Skip to main content

Full text of "Das heilige Köln : Beschreibung der mittelalterlichen Kunstschätze in seinen Kirchen und Sakristeien, aus dem Bereiche des Goldschmiedegewerkes und der Paramentik : auf Wunsch des Vorstandes des christlichen Kunstvereins der Erzdiöcese Köln"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


||IllHlii|"'* 

600035239S 


r~r- 


?r^^^ 


..^i*?!^^*,. 


las  tirilijir  liiln. 

Bescbrelbnnii; 

der 

DiitlelalteiiicheD  Kunstsch&tze  in  seinen  Kirehen  und  Sakristeien, 


iiiis  «tnii  Ki'H'it'lic  ili-s  (M>lils('liiiiii><lr<;nvi'rkr<i  iiiiil  der 
l'iiriiiiii'iitik. 


Auf  Wunsch  des  Vorstandes  des  cbristlicben  Kunetvereins  der  ErzdiOcese  Kfiln 
herausgegeben  von 

FBAHZ    BOCK. 


„Gloriora  dicU  mnt  de  te  CiritM  Hei  - 


LEIPZIG, 

T.    O.    W  E  I  G  E  L. 

18(8. 


/ys:  -iL.    J2.3. 


-\      ^    .  "*  \ 


VORWORT. 


iJie  alte  Hansestadt  am  Rhein,  gelegen  an  der  grossen  Pulsader  des  „heiligen 
deutsehen  römischen  Reiches",  war  das  ganze  Mittelalter  hindurch  der  vielbewegte 
Stapelplatz  ftlr  Handel,  Gewerbe,  Industrie;  die  Metropole  Köln  war  aber  auch 
unter  dem  milden  Krummstabe  kunstsinniger  KirchenfÜrsten  lange  Jahrhunderte 
hindurch,  als  Leuchte  auf  deutschem  Boden  für  die  höheren  Interessen  der  Menschheit, 
jener  pulsirendc  Mittelpunkt,  von  wo  aus,  insbesondere  für  den  Nordwesten  des 
Reiches,  Kunst  und  Wissenschaft  ihren  anregenden  und  veredelnden  Ausgang  genom* 
men  haben.  Wenn  auch  die  Sprache  der  Urkunden  und  Schreinsbttcher  heute  noch 
theilweise  verstummt  ist,  so  sprechen  zur  Bewahrheitung  des  Gesagten  desto  lauter 
die  Steine  an  grossartigen  kirchlichen  und  profanen  Monumenten,  welchen  Höhe- 
punkt „das  heilige  Köln''  vor  allen  übrigen  Städten  der  deutschen  Gauen  im 
Mittelalter  erstiegen  hatte. 

Aber  nicht  nur  allein  auf  dem  einen  Gebiete  des  künstlerischen  Schaffens 
und  Könnens,  der  Baukunst,  überragte  die  mächtige  Rheinstadt,  im  Liede  dess- 
wegen  vielfach  gefeiert,  die  übrigen  Schwesterstädte  des  Landes,  sondern  auch  alle 
anderen  Künste  hatten  sich  zu  einer  Zeit,  als  sie  noch  der  Architektur  als  Lehr- 
meisterin und  Arbeitgeberin  gehorchten,  in  den  lebensfrohen  gastlichen  Mauern 
des  alten  Kölns  gleichmässig  eingefunden,  um  sowohl  im  Dienste  der  Religion, 
als  auch  zur  Verschönerung  des  Lebens,  Stadt  und  Land  zu  einem  blttthenreichen 
Garten  der  Kunst  umzuschaffen. 

Wenn  nun  Baumeister  und  Gesellen  eine  solche  Kunstthätigkeit  entfaltet 
hatten,  dass,  einer  unverbürgten  Sage  nach,  365  Kirchen  der  Rheinstadt  den  Namen 
das  „deutsche  Rom''  zu  Wege  brachten,  so  unterliessen  zahlreiche  Bildhauer  und 
Bildschnitzer  es  nicht,  die  geräumigen  inneren  und  äusseren  Hallen  dieser  Tempel 
mit  einem  Paradies  von  Heiligen  durch  die  Kunst  ihres  Mcissels  zu  bevölkern. 
Lange  bevor  die  Mediceer  in  Florenz  nach  klassischem  Zuschnitt  ihre  „Akademien" 
eröffneten,  blühte  in  Köln  am  Rhein  eine  altberühmte  praktische  Meisterschule,  in 
welcher  schlicht  und  einfach  vor  allen  andern  Künsten  namentlich  die  Malerei 
regelrecht  gehegt  und  gepflegt  wurde.    Die  Ehre  femer,  die  Limoges  erst  seit 


2  VORWORT. 

dem  XII.  Jahrhundert  für  sieh  beanspruchen  kann,  nilmlich  allen  übrigen  Städten 
des  Abendlandes  in  der  Kunst  des  Emaillirens,  Nigellirens  und  Schmelzens  über- 
legen gewesen  zu  sein,  kann  in  ausgedehntem  Masse  die  alte  Römerstadt  am  Rhein 
schon  seit  den  Tagen  der  Ottonen  von  sich  behaupten,  wie  das  selbst  französische 
Archäologen  in  neuester  Zeit  haben  anerkennen  müssen. 

Zwei  Künste  aber,  denen  vorzugsweise  der  innere  Schmuck  der  Kirchen  und 
Altäre  im  Mittelalter  anvertraut  war,  fanden  in  der  alten  Erzbischöflichen  Metropole 
ihre  besondere  Pflege ;  es  war  das  die  Kunst  des  freien  Goldschmiedegewerkes  und 
die  Kunst  der  Bild-  und  Wappenstickerei.  Die  erstgenannte  „er*yiiÄn7iV"  nahm  in 
Köln  schon  seit  dem  X.  Jahrh.  ciarauf  Bedacht,  nicht  nur  die  liturgisch  kirchlichen 
Geräthe  und  Gefässe  des  Altars  möglichst  kostbar  und  kunstgerecht  auszustatten, 
sondern  auch  eine  grosse  Zahl  berühmter  Reliquien,  deren  Besitzes  sich  die  Rhein- 
stadt erfreute,  erhielt  durch  sie  in  kunstvollen  Einfassungen  und  reichen  Behältnissen 
ihre  würdevolle  Ruhestätte.  Dessgleichen  richteten  angesehene  Zunftmeister  der  Bild- 
und  Wappensticker  im  alten  Köln  ihre  besondere  Aufinerksamkeit  darauf,  die  Vor- 
hänge und  Bedeckungen  des  Altars,  ja  selbst  das  priesterliche  Gewand  durch  kunst- 
reiche Nadelmalereieu  und  Wirkereien  i^opera  acu  picta"  gleichsam  zu  einem  lehr- 
und  bilderreichen  Buche  auszustatten  tür  jene,  die  lesen,  noch  mehr  aber  für  die- 
jenigen, die  da  nicht  lesen  konnten. 

Der  alt«  rheinische  Clironist  Gelen  sah  noch  die  vielen  Kirchen  und  Sa- 
kristeien seiner  berühmten  Vaterstadt  ausgestattet  im  Innern  mit  dem  reichsten 
Schmucke  kostbarer  Gefässe  und  Gewänder,  die  von  der  hohen  Kunstfertigkeit 
kölnischer  (Goldschmiede  und  kölnischer  Bildsticker  mehrere  Jahrhunderte  hindurch 
lautredendes  Zcugniss  ablegten.  Ein  anderer  verdienstvoller  Kölner  der  Neuzeit, 
Wallraf  hatte  noch  die  hohe  Freude,  unmittelbar  vor  dem  Erlöschen  den  letzten 
Schimmer  aller  jener  unersetzlichen  kirchlichen  Kunstschätze,  die  auch  auf  dem 
Gebiete  der  Goldschmiedekunst  aus  mehr  als  einem  Grunde  seiner  Vaterstadt  den 
Namen  des  „heiligen  Köln''  zugefbhrt  hatten,  bewundem  zu  können.  Da  nahten 
mit  dem  Schlüsse  des  vorigen  Jahrhunderts  traurige  Zeiten  flir  die  ehemalige  Hanse- 
stadt, indem  der  Wellenschlag  <ler  französischen  Staatsumwälzungen  unbarmherzig 
mit  sich  fortriss,  was  der  Kunst-  und  Frommsinn  vieler  Jahrhunderte  in  Köln  zur 
Ehre  des  Höchsten  Grossartiges  und  Staunenswerthes  geschaffen  hatte.  Prachtvolle 
Bauwerke  wurden  ohne  Noth  niedergerissen,  viele  dei*selben  entstellt  und  in  Ka- 
sernen und  Magazine  verwandelt.  Bei  diesem  allgemeinen  Umsturz  suchte  Wallraf 
und  seine  Freunde  an  älteren  werthvollen  Malereien,  Sculpturen  und  Glasgemälden 
das  noch  zu  retten  und  zu  erhalten,  was  zu  retten  war.  Noch  schlimmer  ging 
es  in  der  Sturm-  und  Drangperiode  zu  Anfiuig  dieses  Jahrhunderts  den  Meister- 
werken der  Goldschmiedekunst  und  den  in  Gold  und  Perlen  gestickten  reichen 
kirchlichen  Ornaten.  Leider  boten  die  letztgedachten  Kunstschätze  den  Aufklärern 
und  Neuerungshelden  eine  erwünschte  Gelegenheit,  ihre  meist  leeren  Taschen  mit 
dem  wohlerworbenen,  kunst-  und  werthvollen  Eigenthum  der  Kirche  zu  füllen  und 
das  meistens  auf  den  Grund  hin:  dasselbe  würde  doch  früh  oder  spät  eine  Beute 
fremder  Eindringlinge  werden.    Was  der  Ausländer  nicht  in   seinen  geräumigen 


VORWORT.  3 

Schmelztiegel  schon  vorher  gebracht  hatte,  das  verschwand  spurlos  unter  den  Händen 
von  einheimischen  Zerstörern,  die,  bei  der  allgemeinen  Verwirrung  der  Kechtsbe- 
griffe  von  Mein  und  Dein,  oft  um  des  kleinen  Metallwerthes  wegen  schonungslos 
vernichteten,  was,  in  Bezug  auf  Composition  und  Form,  für  den  Geschichts-  und 
Kunstfreund  unersetzlich  war.  So  sah  die  Stadt  der  drei  Weisen  innerhalb  eines 
kurzen  Zeitraumes  von  kaum  25  Jahren  bei  der  unbegreiflichen  Gleichgültigkeit  der 
Menge  und  der  Habsucht  Einzelner,  die  die  Gelegenheit  gewissenlos  benutzten,  das 
Alles  unwiederbringlich  verschwinden ,  was  auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen  Gold- 
schmiedekunst, der  Weberei  und  Stickerei,  mehr  als  acht  lange  Jahrhunderte  hin- 
durch, Kunstreiches  und  Schönes  von  frommen  Händen  zu  Gottes  Ehre  geschaffeu 
worden  war. 

Heute,  wo  die  alte  Rheinstadt  um  so  viele  prachtvolle  kirchliche  Kunstschätze, 
worüber  alte  Schatzinventare  noch  Vieles  zu  erzählen  wissen,  ärmer  geworden  ist, 
wird  es  freilich  vielfach  bedauert,  dass  in  jenen  schönem  Tagen,  wo  die  Schränke 
der  hiesigen  Sakristeien  mit  Kunstschätzen  der  obengedachten  Art  noch  reich  ge- 
füllt waren,  Köln  keinen  Mann  in  seinen  Mauern  gehabt  habe,  der,  gleich  dem  be- 
kannten Mönch  von  Aschaffenburg,  mit  kundiger  Hand  alle  jene  bedeutenderen 
Kunstwerke  aufgezeichnet  und  abgebildet  habe,  die,  hervorgegangen  von  Meistern 
des  heimathlichen  Goldschmiedegewerkes,  die  Zierde  der  Kirchen  und  der  Stolz  der 
kunstsinnigen  Einwohner  des  alten  Kölns  lange  Zeit  hindurch  gewesen  waren.  Nach 
so  vielen  Verlusten  würde  man  sich  heute  noch  an  diesen  aufgezeichneten  schönen 
Formen  der  Vorzeit  erbauen,  und  die  Kunstgeschichte  Kölns  würde  dadurch  Belege 
in  Menge  beibringen  können,  welchen  Höhepunkt  die  Goldschmiedekmist  in  Köln, 
alle  übrigen  Städte  überragend,  im  Mittelalter  erstiegen  habe. 

Was  man  im  vorigen  Jahrhundert,  als  noch  jede  Sakristei  der  grösseren 
Kirchen  Kölns  so  zu  sagen  ein  reichhaltiges  christliches  Kunst -Museum  für  sich 
allein  bildete,  zu  thun  unterlassen  hat,  das  wollen  wir  im  vorliegenden  Werke, 
wenn  auch  in  der  eilften  Stunde,  in  kleinerem  Umfange  nachzuholen  nicht  ver- 
säumen. Allerdings  hat  die  altehrwürdige  erzbischöffliche  Metropole  am  Rheine 
sehr  Vieles  von  ihrem  ursprünglichen  Glänze  und  ihren  reichen  Kunstschätzen  in 
Sakristeien  und  Gerkammem  eingebüsst,  aber  die  Menge  des  Vorfindlichen  im 
Fache  der  Groldschmiedekunst,  der  Weberei  und  Stickerei  war  so  gross,  dass  sich 
ungekannt  und  ungeachtet,  bei  der  Ueberstürzung  der  Ereignisse  und  durch  die 
Gunst  von  Nebenumständen,  noch  Bedeutendes  erhalten  hat.  Glücklicherweise  war 
im  Mittelalter  bei  Anfertigung  kostbarer  Geräthe  und  Utensilien  meistens  die  schöne, 
edle  Form  und  die  delikate,  fleissige  Ausarbeitung  Hauptsache,  und  betrachtete  man 
zuweilen  das  edle  Material  als  Nebensache,  das  durch  die  hohe  Entwickelung  der 
Formen  in  Schatten  gestellt  werden  sollte.  Und  so  wurden  zu  vielen  kunstreichen 
kirchlichen  Ge&ssen  und  zu  umfangreichen  Reliquienschreinen  Kupfer  und  Messing 
genommen,  das  man  durch  eine  starke  übersolide  Feuervergoldung  zu  idealisiren 
und  dem  Grolde  gleich  zu  stellen  suchte.  Da  nun  die  Neuerer  des  19.  Jahrhunderts 
nur  nach  dem  werthvollen  Materiale  suchten,  für  die  Form  aber  kein  Verständniss 
mehr  hatten,  so  haben  sich  in  der  letztgedachten  vandalisehen  Zerstörungsperiode 


4  VORWORT. 

noch  eine  Meng^  von  kuu^treichen  Praehtgefässen  und  kirchliche  Gebrauchsgegen- 
stände erhalten,  die  nur  allein  der  allgemeinen  Zertörung  entgingen,  weil  sie  das 
Glück  hatten  von  Kupfer  und  Messing  zu  sein  und  daher  das  Einschmelzen  derselben 
keine  lohnende  Goldemdte  versprach.  Trotz  der  grossen  Verluste  können  daher  die 
kölnischen  Kirchen,  nach  so  lang  anhaltender  systematischer  Plttndermig,  doch  noch  von 
sich  sagen,  dass  sie  reiche  Armen  geblieben  sind.  Fasst  man  nämlich  sämmtUche 
werthvolle  Kunstschätze,  die  sich  bis  heute  noch  in  den  Sakristeien  Kölns  gerettet 
haben,  näher  ins  Auge,  so  überzeugt  man  sich,  dass  dadurch  so  ziemlich  nach- 
geA\iescn  werden  kann,  in  welchen  Fonnen  und  Bildungen  nicht  nur  alle  vorkom- 
menden Gefässe  und  kostbaren  Geräthschaften  für  kirchlichen  Grebrauch  im  Mittel- 
alter angefertigt  zu  werden  pflegten,  sondern  auch  in  welchen  Gestaltungen  alle 
jene  Paramente  und  stofflichen  Ornate  der  verschiedensten  Gattung  für  litur- 
gische Zwecke  ehemals  durch  Stickereien  und  Wirkereien  ihre  künstlerische  Aus- 
stattung fanden. 

Wenn  wir  nun  im  Folgenden  der  lohnenden  Aufgabe  uns  unterziehen,  im 
Wort  und  Bild  gleichsam  ein  Schatzinventar  der  noch  vorflndlichen  Kunstgegen- 
stände sämmtlicher  Sakristeien  Kölns  anzufertigen,  wie  das  in  den  Zeiten  des 
Mittelalters,  nach  strenger  kirchlicher  Vorschrift,  zeitweise  von  den  Verwaltungsvor- 
ständen  einer  jeden  Kirche  einzeln  geschehen  musstc,  so  leitete  uns  dabei  vor- 
nehmlich der  Gedanke,  dass,  nachdem  endlich  nach  langer  Gleichgültigkeit  und 
Verkennung  das  Verständniss  der  Traditionen  unserer  eigenen  heimathlich  ange- 
stammten Fonnenwelt  der  jetzigen  Generation  wieder  näher  gerückt  ist,  es  gleich- 
sam als  eine  Ehrenpflicht  der  kölnischen  Kirchen,  als  die  heutigen  gewissenhaften 
Erben  der  Hinterlassenschaft  einer  frommen  und  kunstsinnigen  Vorzeit,  betrachtet 
werden  könne,  das  genauer  zu  untersuchen  und  durch  Bild  und  Schrift  zu  erläu- 
tern, dessen  Besitzes  sich  das  altbeiühmte  Köln  heute  noch  vor  so  vielen  andern 
Städten,  die  an  solchen  Schätzen  leer  ausgegangen  sind,  rühmen  kann.  Bei  einer 
solchen  Detailbeschreibung  der  Meisterwerke  kirchlicher  Goldschmiedekunst  und 
zugleich  auch  der  Weberei  und  Stickerei  dürften  sich  nicht  nur  für  den  Archäo- 
logen vom  Fach  eine  Menge  von  Einzelheiten  ergeben,  die  in  Bezug  auf  Ur- 
sprung, Form,  Composition  und  technische  Beschaffenheit  Interesse  bieten,  son- 
dern es  möchten  auch  in  symbolischer  und  liturgisch  ritueller  Beziehung  sich 
manche  Anhaltspunkte  wieder  aufflnden  lassen,  die  im  Mittelalter  bei  der  Compo- 
sition und  Ausführung  einer  Menge  von  einschlagenden  kirchlichen  Kunstgegen- 
stände bestimmend  und  massgebend  gewesen  sind. 

Da  in  jüngster  Zeit  das  Studium  der  Formen  christlicher  Kunst  nicht  nur 
eine  wissenschaftUche  Hinterlage  gefimden  hat,  die  für  sich  allein  schon  Vielen 
einen  grossen  Beiz  zu  gewähren  scheint,  sondern  da  das  Verständniss  dieser  gehalt- 
vollem Bildungen  auch  noch  den  practischen  Vortheil  bringt,  dass  man  vermittelst 
derselben  einzelne  Kunstzwcige  für  höhere  kirchliche  Zwecke  wieder  fruchtbringend 
machen  kann,  um  dadurch  würdige  und  ernstere  Formen  für  den  heutigen  Ge- 
brauch wieder  erstehen  zu  sehen;  so  leitete  uns  bei  Herausgabe  des  vorliegenden 
Sammelwerkes  auch  noch  der  mehr  praktische  Gedanke,  nicht  nur  dem  Componi- 


VORWOBT.  5 

sten,  sondern  auch  dem  selbst  schaffenden  Meister  auf  dem  Gebiete  der  kirch- 
lichen Goldschmiedekunst  und  der  Paramentik  unter  Vorlage  von  charakteristi- 
schen Original -Zeichnungen  mit  ausführlichem  erläuterndem  Texte  jene  schöneren 
Vorbilder  wieder  nahe  zu  rttcken  und  an  die  Hand  zu  geben,  deren  eingehendes 
Studium  sie  nach  und  nach  wieder  befähigen  dürfte  analoge  Bildungen  ftLr  kirch- 
liche Kunst-  und  Gebrauchsgegenstände  zu  schaffen,  die  heute  ihrem  Zwecke  und 
ihrer  Beschaffenheit  nach  in  der  katholischen  Liturgie  dieselben  geblieben  sind,  wie 
sie  auch  im  Mittelalter  in  der  Kirche  in  Gebrauch  waren. 

Noch  beabsichtigten  wir  bei  Abfassung  des  vorliegenden  Werkes  in-  und 
ausländischen  Besuchern,  welche  in  grosser  Zahl,  namentlich  in  den  Reisemonaten, 
die  hervorragenden  kirchlichen  Monumente  Kölns  in  Augenschein  nehmen,  einen 
Leitfaden  an  die  Hand  zu  geben,  der  besonders  Freunde  und  Verehrer  mittel- 
alterlicher Kunst  genauer  darauf  hinweise,  welche  kostbaren  Kunstschätze  sie  in  den 
Kirchen  und  Sakristeien  Kölns  noch  zu  suchen  haben,  an  denen  man  jüngst  noch 
vielfach  vorttbereilte,  weil  man  das  Vorhandensein  derselben  nicht  vermuthete.  Nach 
Besichtigung  der  hier  beschriebenen  kirchliehen  Ornamente  mag  dann,  nach  Hause 
zurückgekehrt,  das  vorliegende  Buch  dazu  dienen,  unter  Beigabe  der  nöthigen 
Zeichnungen  die  Erinnerung  an  das  Gesehene  noch  längere  Zeit  wach  zu  erhalten. 
Vielleicht  möchte  auch  Vielen  Vorliegendes  als  Fingerzeig  nicht  unwillkommen 
sein,  wie  man  auf  gleichartige  liturgische  Gebrauchsgegenstände  der  eigenen  Hei- 
math mehr  Gewicht  legen,  sie  sorgfältiger  aufbewahren  und  in  ähnlichen  Be- 
schreibungen der  Wissenschaft  nutzbar  machen  könne.  Da  es  überhaupt  in  einer 
Zeit  der  Zerfahrenheit  und  stylistischen  Verwirrung  auf  dem  Gebiete  der  heutigen 
Formen  keiner  Entschuldigung  bedarf,  wenn  man  es  unternimmt,  mustergültige 
Originalbildungen  einer  grossen  Vergangenheit  des  eigenen  Volkes  näher  ans  Licht 
zu  ziehen  und  zu  erörtern,  so  war  bei  vorliegender  Beschreibung  der  kölnischen 
Kunstschätze  des  Mittelalters  auf  dem  Gebiete  des  Goldschmiedegewerkes  und  der 
Paramentik  auch  noch  der  Gedanke  leitend:  das  beste  Mittel,  kirchliche  Kunst- 
gegenstände  vor  dem  Verkommen  und  der  allmähligen  Vergessenheit  zu  retten, 
bestehe  vornehmlich  darin,  dass  man  sie  in  gedruckten  Schriften  genauer  skizzire, 
ihren  Werth  öffentlich  bespreche  und  die  Schönheit  der  Formen  derselben  in  einer 
getreuen  Zeichnung  veranschauliche. 

Wir  gehören  grade  nicht  zu  denjenigen,  die  scholl  die  nächste  Zukimft  durch 
eine  allzu  dunkle  Brille  zu  betrachten  gewohnt  sind  und  beftlrchten  nicht  so  sehr,  dass, 
wie  gewisse  Propheten  es  Allen  verkündigen,  die  es  gerne  hören  wollen,  wir  am 
„Vorabende  grosser  Ereignisse  stehen".  Sollte  jedoch,  wider  Erwarten,  eine  spätere 
Zeit  bei  der  Nähe  eines  unruhigen  Nachbars,  der  seine  Revolutionsperioden  noch 
nicht  alle  durchlaufen  zu  haben  scheint,  wieder  ähnliche  Katastrophen  für  Köln 
eintreten  sehen,  was  Gott  verhüten  wolle,  wie  dieselben  leider  unsere  Grosseltem 
erlebt  haben,  dann  dürften  aus  allgemeiner  Gleichgültigkeit  und  Unkenntniss  nicht 
so  sehr  jene  werthvoUen  Kunstschätze  Gefahr  laufen,  um  Kleinigkeiten  verschleudert 
zu  werden  und  verloren  zu  gehen ,  deren  bleibender  Werth  durch  Schrift  und  Bild 
ausführlicher  festgestellt  und  gesichert  worden  ist.    Wenn  aber  dennoch  im  Drange 


6  VORWORT. 

der  Zeitumstände  in  späteren  Jahren  einzelne  hervorragende  Meisterwerke^  die  sich 
bis  auf  unsere  Tage  noch  glücklich  gerettet  haben,  für  kölnische  Kulturgeschichte 
wirkHch  verloren  gehen  sollten,  so  wttrde  die  vorliegende  Schrift  fttr  den  Vater- 
landsfireund  und  Geschichtsforscher  wenigstens  den  Yortheil  haben,  dass  er  mit 
einem  gewissen  Hochgefühl,  hinzeigend  auf  die  nachfolgenden  Zeichnungen  jener 
Kunstwerke,  die  seine  Vorfahren  im  Mittelalter  zur  Ehre  Gottes  geschaffen  haben, 
sagen  könnte:  gegen  Mitte  des  XIX.  Jahrhunderts  hatte  das  „heilige  Köln^'  in 
seinen  Kirchen  und  Sakristeien  noch  solche  Kunstschätze  aufzuweisen. 

Köln,  in  der  Charwoche  des  Jahres  1858. 


Franz  Bock. 


"ßhä  Ö-  ÖPrröii . 


i 


ssfefa 


^G' 


r<rm 


,JIu9  S-  6frnin . 


^t  6crcon. 


iQttelalterliohe  EunstgegenstAnde  in  St.  6ereo9. 

1)  Reliqiiienkreuz ,  aus  BergkrysUll,  XIV.  Jahrhundert.     Taf.  I.  Fig.  1        .     . 

2)  Arabische  Büchse  aus  Eirenbein,  XII    Jahrhunderl.     Taf.  I.  Fig.  2        .     . 

3)  KussUfelcben ,  XVI.  Jahrhundert.     Taf.  I.  Fig.  3 

4)  Figuralisch  bemalte  Reliquienbachse»  XV.  Jahrhundert.     Taf.  I.  Fig.  4 

5)  Reliquienküstchen  aus  beinartiger  Substanz,  XII.  Jahrhundert.     Taf.  I.  Fig.  5 

6)  Figurirtes  Teppichgewebe  in  Wolle ,  XII.  Jahrhundert.     Taf.  II.  Fig.  6 

7)  Rehquiar  in  Form  eines  Armschenkels   mit  Hand,  XIII.  Jahrhundert.     Taf.  II 

8)  Reliquiengeftss  von  derselben  Form,  wie  das  vorhergehende,  XIII.  Jahrb.  Taf. II 

9)  In  Seide  gestickte  Tasche,  XIV.  Jahrhundert.     Taf.  II.  Fig.  9        .... 
1 0)  Gothtsche  Messkelche ,  XVI.  Jahrhundert.     Taf.  II.  Fig.  10 

Ehemaliger  Schatz  der  Stiftskirche  von  St.  Gereon 


Fig.  7 
Fig.  8 


3 

4 

6 

7 

9 

10 

15 

17 

19 

20 

22 


t. 

Reliquien-Krenz 

ans  einzelnen  Krystallstücken  zusammengesetzt. 

Fuss  messing- vergoldet;    40  Cpntimeter  HUhe;   grUsste  Breite  der  Querbalken  20  Centimeter; 

Durchmesser  des  Fusses  21  Centimeter.     XIY.  Jahrhundert. 

Dieses  Reliquien-Gefäss  gehört  zu  jener  Rubrik  von  Altar-  und  Vorsatz- 
kreuzen, deren  Kreuzbalken  mit  Reliquien  gefüllt,  bei  feierlichen  Veranlassungen 
auf  dem  Altar  zur  Verehrung  hingestellt  wurden. 

Dasselbe  erinnert  noch  in  einzelnen  Theilen  an  die  Formen  der  romanischen 
ICunstepoche,  wo  bekanntlich  der  Cristal  de  Roche  angebohrt  und  mit  verschiede- 
nen, eingegrabenen  Figuren  sculptirt,  zu  Reliquienbehältem  und  vielen  andern 
kirchlichen  Utensilien  häufig  verwendet  wurde.  Auch  das  vorliegende  Reliquiar  zeigt 
in  seiner  Kreuzesform  fünf  grössere  Stücke  Bergkrystall,  wovon  drei  an  dem  Quer- 
balken und  dem  Unterbalken ,  die  Form  von  runden  Kugeln  erkennen  lassen.  Diese 
Kugeln  sind  nach  mehreren  Seiten  hin  mit  schmalen  Bandstreifen,  Verzierungen  in 
Filigran  enthaltend ,  omamentirt  Die  Spitze  der  Kugel  an  beiden  Kreuzbalken  ist 
ebenfalls  mit  Krystallpasten  besetzt,  die  in  kräftigen  Fassungen  (lectula)  nach 
Aussen  zum  Vorschein  treten. 

Der  mittlere  Bergkrystall  ist  in  seiner  Aushöhlung  dazu  bestimmt,  verschie- 
dene Reliquien  aufzunehmen,  und  misst  derselbe  horizontal  liegend,  7  Centimeter. 
Dieser  sechseckig  geschliffene  Bergkrystall  wird  auf  beiden  Seiten  mit  breiten  Rin- 
gen, als  Kordons  eingefasst;  in  diesen  sechseckig  geformten  Ringen  erblickt  man 
Edelsteine  ohne  Facetten,  Ametisten,  Agate  etc.  Den  Oberbalken  des  Kreuzes  bildet 
ebenfalls  ein  ausgehöhlter  Bergkrystall  zur  Aufnahme  von  Reliquien,  und  hat 
derselbe  die  Föhn  eines  Herzens;  auch  dieser  Bergkrystall  ist  auf  beiden  Seiten 
durch  schmale  Filigranbände  mit  dazwischen  befindlichen,  gefassten  kleinen  Rubi- 
nen verziert,  und  werden  durch  diese  Ränder  der  obere  und  untere  Verschluss  die- 
ses KrystaUgefässes  zusammen  gehalten.  —  Auf  diesem  letzten  Bergkrystall  zeigt 
sich  als  Abschluss  ein  kleiner  Aufsatz  mit  Filigran  und  gefassten  Steinen  verziert, 
der  von  einem  Metallknöpfchen  tiberragt  ist,  auf  welchem  sich  ein  kleines  Kreuz 
befindet,  welches  auf  der  platten  Rückseite  in  früh  gothischen  Majuskelschriften  die 


4  8T.  GEllKON. 

Le8ung  enthält':  „2>e  Hyno  DommU*  Die  vordere  Seite  dieses  Kreuzes  ist  von 
einem  mit  Facetten  geschliffenen  Bergkrj'stall  belegt,  der  ehemals  die  Bestimmung 
hatte,  die  früher  darin  befindliche,  kleinere  Partikel  vom  h.  Kreuz  sichtbar  werden 
zu  lassen.  Der  Fuss  dieses  Krystallkreuzes  setzt  sich  vermittelst  einer  unbedeckten 
Schraube  von  Eisen  mit  dem  obem,  eben  beschriebenen  Theile  des  Reliquiariums 
zusammen.  Dieser  Fusstheil  in  Messing  vergoldet,  bildet  im  äussern  Umriss  eine 
stemfbrmige,  sechseckige  Figur;  auf  dieser  breitem  Unterlage  erhebt  sich  in  Mes- 
sing getrieben  ein  zweiter  kleiner,  sechseckiger  Fuss,  der  auf  einem  ansteigenden 
Halse  einen  kleinen  Sockel  mit  profilirten  Gliedern  trägt,  auf  welchem  der  Schaft 
des  Reliquienkreuzes  sich  ansetzt.  Wir  glauben  annehmen  zu  dürfen,  dass  dieser 
einfache,  wenngleich  formschöne  und  zierliche  Fuss  nicht  ursprünglich  zu  dem  obem 
Theile  gehörte,  wenigstens  fehlt  heute  das  verbindende  Mittelglied  zwischen  Kreuz  und 
Fussgestell  in  Form  eines  Knaufes,  das  ebenfalls,  wie  wir  glauben,  ein  Bergkrystall 
war.  Nach  Analogien  zu  schliessen,  dürfte  man  dtifilr  halten,  dass  der  Fuss  im 
XV.  Jahrhundert,  hingegen  das  obere  Kreuz  mit  Filigranbändern  gegen  Schluss 
des  Xni.  oder  Beginn  des  XIV.  Jahrhunderts  seine  Entstehung  gefunden  habe. 


2. 

Reliquieii-Bfichse 

aus  Elfenbein  mit  arabischen  Inschriften. 

Uühe  18  Centimeter ;   Durchmesser  12  Centimeter.     XII.  Jahrhundert. 

Vorliegendes  Reliquiarium  hat  vollständig  die  Form  jener  Salbbttchse ,  die 
auf  altdeutschen  Bildern  der  Maria  Magdalena  und  den  weinenden  Frauen  am 
Grabe  beigegeben  ist.  Diese  fipyxis  ebumea/'  in  ihrem  untem  Theile  aus  einem 
Elfenbeinzahne ,  von  vollständig  runder  Form  angefertigt,  ist  im  Innern  hohl  aus- 
gerundet und  besteht  der  Fuss  dieses  Reliquienbehälters  aus  einer  runden  Scheibe 
von  Elfenbein,  die  als  Boden  eingelassen  ist.  Der  mittlere  Theil  der  Seliquien- 
bttchse  ist  an  seinem  obem  und  untem  Bande  mit  einem  fremdartigen  Ornamente 
verziert,  das  in  Form  eines  Bandstreifens  in  der  Breite  von  3  Centimeter  der 
Bttchse  als  Abschluss  dient  Das  Ornament  ist  aus  geometrischen  Gonstructionen 
zusammengesetzt,  kleinere  Kreise ,  Dreiecke  und  Vierecke  bildend.  Diese  Orna- 
mente sind  ziemlich  vertieft  in  Elfenbein  ausgegraben  und  scheinen  diese  Ver- 
tiefungen theilweise  mit  einer  rothen,  theilweise  mit  einer  schwarzen  Masse  ausge- 
ftlllt  gewesen  zu  sein,  die  als  fester  glänzender  Kitt  sich  zu  erkennen  gibt,  der  heute 
an  den  meisten  Stellen  ausgesprungen  ist  Der  Deckel  der  merkwürdigen  Elfen- 
beinbüchse läuft  nach  oben,  wie  ein  Zeltdach  ansteigend,  mit  einer  stumpfen  Spitze 
aus.  Dieselbe  Art  der  Omamentation ,  wie  sie  sich  an  den  beiden  untem  Rändern 
der  Kapsel  befindet,  ist  auch  auf  dem  obem  Deckel  innegehalten.  Der  Deekel 
nämlich  ist  kreisfönnig  in  schmalem  runden  Ringen  abgetrennt,    die  mit  kleinen 


8T.  GEREON.  5 

Kreisen  in  rother  Masse  ausgefüllt,  ein  ziemlich  monotones  Ornament  bilden.  Um 
diesen  äussern  Perlrand ,  der  mit  Eierstabverzierungen  des  alten  klassischen  Roms 
einige  Aehnlichkeit  besitzt,  erhebt  sich  kreisförmig  ein  Rand  in  Elfenbein  in  Breite 
von  IVs  Centimeter.  In  diesem  Rande  befinden  sich  arabische  Schriftzüge,  ähn- 
lich den  in  Oold  gestickten  Inschriften  auf  der  Kaiseralbe  im  Schatze  zu  Wien  % 
die  als  integrirender  Theil  zu  den  Reichskleinodien  der  ehemaligen  deutschen  Kai- 
ser gezählt  wird.  Die  Inschrift  wird  gebildet  auf  eine  höchst  eigenthümliche  Weise, 
indem  in  dünnen  Punkten  das  Elfenbein  angebohrt  worden  ist  und  diese  Vertiefungen 
mit  einer  röthlichen  Masse,  jetzt  meistens  ausgesprungen ,  ausgetttllt  sind.  Da  diese 
orientalischen  Schriflzeichen  mtthsam  aus  einzelnen  eingebohrten  Pünktchen,  wie  eben 
bemerkt,  sieh  zusammensetzen,  und  dadurch  eine  gewisse  UndeutUchkeit  der  Ghar 
raktere  entsteht,  so  ist  es  geübten  Orientalisten,  denen  wir  eine  getreue  Copie 
der  Inschriften  einsandten,  bisheran  nicht  gelungen,  eine  kritisch  genaue  Lesung 
dieser  arabischen  Monumentalschriften  festzustellen.  Wir  werden  nächstens  dem 
bekannten  Orientalisten  Prof.  Reinaud  in  Paris  eine  ähnliche  Kopie  zuzusenden 
nicht  unterlassen  und  leben  der  Hofihung,  dass  es  uns  in  der  nächsten  Lieferung 
dieses  Werkes  gelingen  wird,  die  Deutung  dieser  merkwürdigen  Schriflzeichen  end- 
gültig mitzutheilen ,  die  vielleicht  hinsichtlich  der  Zeit  der  Anfertigung  sichere  Daten 
an  die  Hand  geben  dürften,  lieber  dieser  Inschrift  formiren  sich  andere  kleine  Kreise 
mit  eingelassenen  Ornamenten  von  kleinen  rothen  Perlen.  Zwischen  diesen  letzten 
Kreisbildungen  setzen  sich,  einem  Bogenkreise  ähnlich,  Halbkreise  fort,  die  auf  die 
obenailgedeutete  Weise  technisch  ausgeflihrt  sind.  Auf  der  Spitze  des  Deckels  erblickt 
man  jetzt  noch  einen  kleinen  knaufartigen  Ring  mit  einer  runden  Oefihung,  worin, 
wie  es  uns  scheint,  ehemals  ein  kleiner  runder  Knopf  befestigt  gewesen  ist  So- 
wohl die  Beschaffenheit  des  Ornaments,  die  eigenthümliche  Technik,  als  auch  die 
Inschrift  geben  deutlich  zu  erkennen,  dass  diese  Elfenbeinkapsel  orientalischen  Ur- 
sprunges ist  Uns  will  es  scheinen,  dass  dieselbe  zur  Zeit  der  Kreuzzüge  als  Re- 
liquienbehälter mit  heimgebracht  wurde,  und  dass  ihre  Entstehungszeit  in  das 
Xn.  Jahrhundert  anzusetzen  sei.  Ehemals  scheint  der  obere  Theil  der  Büchse  an 
zwei  einander  entgegengesetzten  Stellen  mit  dem  Deckel  in  Verbindung  gewesen 
zu  sein.  Man  sieht  nämlich  an  dem  obem  Rande  der  Büchse  vier  eingelassene  sil- 
berne Nägel,  die  früher  vidleicht  eine  Handhabe  (Ohr)  befestigten,  vermittelst  des- 
sen die  Büchse  etwa  an  einem  Riemen  oder  einer  seidenen  Schnur  getragen  und 
so  leichter  transportirt  werden  konnte.  An  dieser  Stelle  haben  sich  noch  ziemlich 
vollständig  jene  rothen  eingelassenen  Ornamente  erhalten,  die  den  aufinerksamen 
Beschauer  in  den  Stand  setzen,  zu  urtheilen,  wie  ehemals  diese  Büchse  in  ihren 
omamentalen  Theilen  beschaffen  gewesen  sein  mag. 


*)  Vgl.  unsere  Betehreibung  der  deuUchen  Beichskleinodien  in  den  MittheUnngen  der  K.  K.  Cen- 
trelcommission  zur  Erhaltung  der  Baudenkmale,  im  März-,  April-  und  Maihefte  1857.  Wien  in  der 
K.  K.  Staatsdruckerei. 


6  ST.  GEBEON. 

3. 

Knsstäfelchen, 

silbervergoldet  mit  Glasverschluss  und  dahinter  befindlichem  Schnitzwerk  in 

Palmholz. 

Hohe  10  Va  Centimeter,   Breite  9  Centimeter,    Tiefe  2"s  Gentimeter.    XYI.  Jahrhandert 

Diese  Kapsel,  welche  die  Bildungen  der  Goldschmiedekunst  gegen  Schluss 
des  Mittelalters  charakteristisch  zum  Vorschein  treten  lässt,  wurde  ehemals  in  feier- 
lichen Messen  9  beim  ^^ Agnus  Dei**  als  „osculum  paeis**  vom  Subdiakone  allen  im 
Ornate  im  Chore  befindlichen  Geistlichen  zum  Friedenskusse  dargereicht,  daher 
auch  der  Name.  Das  Gefäss  ist  basirt  auf  einem  schön  profilirten  Fusse,  im  läng- 
lichen Rechteck  angelegt;  auf  demselben  erhebt  sich  eine  kleine  durchbrochene 
Galerie  in  Kreisen,  die  jedesmal  durch  zwei  sogenannte  Fischblasen  belebt  sind. 
Ueber  dieser  durchbrochenen  Galerie  nimmt  man  in  länglich  runder  Form  einen 
Glasverschluss  wahr,  der  mit  einer  stark  gewundenen  Profilirung  als  Cordon  ab- 
gefasst  ist  Hinter  diesem  Verschlusse  befindet  sich  eine  Hohlkehle,  in  welcher 
die  Kunst  des  Goldschmiedes  eine  reich  geformte  Guirlande  angebracht  hat,  zu- 
sammengesetzt aus  Blättern  und  Blttthen,  die  bereits  die  Zeiten  der  Spätgothik 
stark  zu  erkennen  geben.  Hinter  diesem  mit  grosser  Meisterschaft  dselirten  Laubrand 
setzt  sich  in  Rundbogenform  eine  Kapsel  an,  die  auf  der  glatten  Hinterfläche  eine 
kleine  Handhabe  zeigt ,  zum  Anfassen  bei  Darreichung  des  Friedenskusses.  Diese 
Handhabe  hat  die  Form  eines  geschlungenen  Spruchbandes.  Die  eben  beschriebene 
kunstreiche  Einfassung  umschliesst  ein  bei  weitem  kunstvolleres  niedliches  Sculptur- 
werk,  das  in  meisterhafter  Technik  und  fast  mit  minutiöser  Zierlichkeit  den  Mo- 
ment der  Anbetung  der  drei  Könige  zur  DarsteUung  bringt,  das  Lieblingsthema 
der  KtLnstler  des  Mittelalters,  namentlich  aber  der  Maler  und  Bildhauer  im  „alten 
hilligen  Köllen.'^  Die  drei  Weisen,  im  Aeussem  zugleich  auch  repräsentirend  die 
drei  Alter  des  menschlichen  Lebens,  oder  wie  andere  woUen  die  drei  damals  be- 
kannten Welttheile,  befinden  sich  als  Jttngling,  Mann  und  Greis  auf  der  einen  Seite. 
Auf  der  andern  Seite  kniet  Joseph  als  „o»r  justus^;  darüber  die  Gestalten  von  Ochs 
und  Esel.  In  der  Mitte  sitzt  unter  einem  einfachen  Bauwerk  die  Madonna  mit 
dem  Jesuknaben.  Diese  ganze  Scene  Überragt  als  Hintergrund  ein  Berg  und  hat 
hier  in  äusserst  delicater  Technik,  mit  der  Lupe  gearbeitet,  der  fleissige  Künst- 
ler im  Tiefgrund  die  Stadt  Bethlehem  und  die  Erscheinung  der  Engel  bei  den  Hir- 
ten auf  dem  Felde  zur  Anschauung  gebracht  Composition  und  Haltung  dieser 
reichen  Scenerie  ist  äusserst  zart  und  edel.  Die  technische  Ausftlhrung  in  Buchs- 
baumholz zeugt  von  einer  Gewandtheit  und  Kühnheit  in  Handhabung  des  Meisseis, 
wie  man  sie  im  kleinen  Maasstabe  angewandt,  seltener  anzutreffen  gewohnt  ist 
Der  Faltenwurf  der  Gewänder  ist  bereits  sehr  geknickt  und  erinnert  an  die  bevor- 
stehende Ausartung  des  Styles,  wie  ihn  die  Compositionen  der  Dürer'schen  Zeit 
zeigen.    Diese  feine  Sculptur  ist  im  Innern  nochmals   umlegt  mit  einem  delicat 


ST.  OEBEOir.  7 

ciseUrten  Laubkranz,  der  mit  grttnem  und  violettem  Email  ttberkleidet  ist  Sowohl 
die  Sculptur,  als  auch  die  Detailformen,  die  in  Sflbervergoldung  der  Goldschmied 
bei  der  Einfassung  angebracht  hat,  besagen  deutlich,  dass  das  vorliegende  niedliche 
Kunstwerk  im  Beginne  des  XYL  Jahrhunderts  seine  Entstehung  gefunden  haben  dürfte. 
Mit  dieser  Zeitangabe  will  jedoch  die  Inschrift  so  wie  die  Form  der  Wap- 
p^  auf  der  hintern  Fläche  gar  nicht  im  Einklänge  stehen.  Es  befinden  sich 
nämlich  auf  der  hintern  Abschlussfläche  die  eingravirten  Wappenschilder  der  alten 
Oeschlechter  der  von  Loen  und  Wulfskhel.  In  dem  untern  Bande  liest  man  die 
Inschrift  in  Majuskeln  der  Benaissance:  Anna  Maria  von  Loen  D.  D.  anno  1643 
den  25^  Junii.  Da  die  Formen,  worin  das  Ganze  ausgeftlhrt  ist,  wie  früher  be- 
merkt, wenigstens  um  130  Jahre  älter  sind,  so  lässt  sich  mit  Grund  annehmen, 
dass  das  vorliegende  ^,o9culatornim**  sich  bereits  länger  im  Besitz  der  Familie  von 
Loen  befand  und  1 643  der  Inschrift  zufolge  von  der  obengedachten  gleichnamigen 
Geschenkgeberin  der  Kirche  zu  den  „goldnen  Heiligen*^  in  Köln  verehrt  wurde. 


4. 

Reliqnien-Biiclise, 

in  Holz  mit  bemalten  HeiligenOguren  in  Tempera. 

Höhe  23  Centümter  2  MiUimeter,  Dnrebmewer  des  Fuiset  13  Centimeter  3  Mülimeter.  — 

XV.  Jahrhundert. 

Diese  interessante  Beliquienbttchse,  die  wir  in  dieser  Form  nirgendwo  anders 
angetroffen  haben,  ist  hinsichtlich  ihrer  äussern  Grestaltung  übereinstimmend  mit 
jenen  Salbgefässen,  die  auf  altem  Sculpturen  und  Malereien  jene  weinenden  Frauen, 
die  zum  Grabe  gingen,  in  Händen  halten.  Eigenthttmlich  ist  es  auch,  dass  selbst 
der  Gang  der  drei  Frauen  zum  Grabe  auf  dieser  zierlichen  Bttchse  äusserst  zart  und 
delicat  auf  glatt  vergoldetem  Grunde  zur  Darstellung  gebracht  ist  und  dtLrfle 
daraus  die  Hypothese  hergeleitet  werden,  dass  ehemals  Beliquien  in  dieser  originel* 
len  Bttchse  aufbewahrt  wurden,  die  mit  dem  Grabe  des  Heilandes  vielleicht  in  Be- 
ziehung stehen  mochten.  Eingangs  des  geöffneten  Grabes  erblickt  man  nämlich, 
ttbereinstimmend  mit  den  bezüglichen  Worten  der  h.  Schrift;,  den  Engel  in  weissen 
Gewändern,  der  auf  die  leeren  Grabtttcher  hinweisend,  in  dem  Momente  dargestellt  ist, 
wie  er  zu  den  weinenden  Frauen  die  Worte  spricht:  y,surreant  et  non  est  hw." 
Maria,  Jacobe  und  Salome  sind  aufrecht  dargestellt  an  der  Langseite  des  Grabes, 
jede  ein  Salbgefäss  haltend.  Das  Costttm  dieser  drei  weinenden  Frauen  hat  der 
Kttnsäer  vollständig  aus  seiner  Umgebung  gewählt  Femer  hat  er  in  den  drei 
Frauen  die  drei  Lebensalter  des  Menschen  wie  es  uns  scheinen  will,  zur  Anschauung 
bringen  woUen;  die  eine  dieser  Matronen  veranschaulicht  das  angehende  Alter;  die 
zweite  Figur  zeigt  eine  Frau  im  mittlem  Alter  und  das  dritte  Frauenbild  stellt  eine 
verschleierte  Jungfrau  von  jugendlichem  Aeussem  dar. 


8  ST.  OEBEOV. 

Als  weitere  Darstellung  folgt  jetzt  das  zartgemalte  Bild  der  Kaiserin  Helena, 
die  in  der  rechten  Hand  das  Kreuz  httlt,  in  der  linken  die  Orabeskirche.  —  Ihr 
Haupt  ist  geziert  mit  der  Kaiserkrone,  die  in  Weise  der  byzantinischen  Kronen  mit 
einem  doppelten  Bttgel  geschlossen  ist  Die  Kirche,  die  die  Kaiserin  in  der  Linken 
hält,  zeigt  im  Bilde  einen  Kuppelbau  in  Rundform.  Es  ist  m(}g^ch,  dass  dieselbe  an- 
näherungsweise jene  Form  imitirt,  in  welcher  sich  ehemals  die  ursprttn^che  Kap- 
pelkirche von  Gereon  auszeichnete,  von  der  ältere  Chronisten  behaupten,  dass  sie 
von  der  h.  Helena  erbaut  worden  sei.  Dieser  „patrona  secundaria^*  von  St  Gereon, 
einer  Kirche,  die  ehemals  ihrer  vielen,  auf  Gold  gemalten  Heiligen  wegen  den  aus- 
zeichnenden Namen  „ad  aureos  sanetos'*  führte,  reiht  sich  das  Standbild  des  ersten 
Patrons  an,  dessen  Namen  heute  noch  die  Kirche  führt,  des  heiligen  Gereons 
im  ritterlichen  Gkwande ,  als  „legionarius.*^  Der  Waffenrock  desselben  ist  mit  dem 
bekannten  Gereonskreuz  geschmückt,  ebenso  das  Banner,  das  er  mit  der  Rechten 
hält  Sämmtliche  sechs  Darstellungen  auf  einem  glanzgoldenen  Grunde  bekunden, 
was  die  Composition  betrifft,  einen  tüchtigen  Meister,  dem  es  gegeben  war,  jene 
Ideale  der  Heiligen,  die  er  im  frommen  Gemüthe  erschaute,  auch  in  zarten  For- 
men und  in  edler  Technik  zur  Ausführung  zu  bringen. 

Irren  wir  nicht,  so  dürften  diese  Figuren,  die  einen  weichen  geübten  Pinsel 
erkennen  lassen,  in  einer  spätem  Zeit  durch  ein  anderes  Farbpigment  stellenweise 
ziemlich  dicht  übermalt  worden  sein.  —  Nach  der  Haltung  der  Figuren  und  namentlich 
dem  trefflich  geordneten  Faltenwurf  zu  urtheilen,  dürfte  das  vorliegende  interes- 
sante Kunstwerk  im  dritten  Viertel  des  XY.  Jahrhunderts  seine  Entstehung  gefun- 
den haben.  Der  obere  Theil  der  Reliquienkapsel,  die  in  der  innem  Höhlung  ein 
ziemlich  weiches  Holz,  das  nicht  von  Wurm  angefressen  ist,  erkennen  lässt,  bildet 
einen  nach  oben  hin  ausladenden  Deckel  zum  Verschluss,  der  ebenfalls  vergoldet, 
in  seiner  Mitte  den  Heiland  erkennen  lässt,  mit  segnender  Rechten  und  in  der 
linken  Hand  die  Weltkugel  haltend.  —  Würde  man  in  dieser  Darstellung  des 
Heilandes  in  seiner  Herrlichkeit,  die  im  Mittelalter  so  oft  vorkommende  »majestas 
Damini*'  erkennen,  so  dürften  die  unten  beschriebenen  Heiligenfiguren  als  jene  für- 
bittenden Heiligen  zu  betrachten  sein,  die  mit  dem  Herrn  erscheinen  werden,  wenn 
der  Tag  des  Gerichtes  naht 

Was  nun  die  Bestimmung  dieser  merkwürdigen,  bemalten  Reliquienbfichse 
anbelangt,  so  könnte  es  in  Zweifel  gezogen  werden,  ob  die  vorliegende  Mpyaris  Ugnea 
dejncta"  iu*sprünglich  als  s»reliqmarium**  angefertigt  worden  ist,  oder  ob  sie  etwa  als 
y,reeeptaculum'*  diente  und  angefertigt  wurde  zur  Aufnahme  eines  reichen  Gefässes 
in  Silbervergoldung,  worin  in  der  Charwoche  die  Eucharistie  beigesetzt  wurde, 
wodurch  dann  auch  äusserlich,  namentlich  aber  durch  die  oben  angegebene  bild- 
liche Darstellung,  das  „seputchrum  Dommi**  angedeutet  werden  konnte.  Obschon  eine 
Restauration  der  zarten  Malereien,  die  vom  Zahn  der  Zeit  sehr  angenagt  sind ,  zu 
wünschen  wäre,  so  würde  es  doch  bezweifelt  werden  können,  ob  eine  Wieder- 
herstellung zu  ermöglichen  sei,  die  den  primitiven  Charakter  der  schönen  Male- 
reien nicht  beeinträchtigte. 


ST.   QEREOK. 


5. 

Reliqnien-Kästchen, 

aus  einer  bcinarügen  Substanz. 

Länge  40  Centimeter,  Hohe  II  Vi  Centimeter,  Breite  25  Centimeter.     XII.  Jahrhundert. 

Dieses  oblonge  „scrinium^^  in  sehr  eigenthfimlicher,  offenbar  orientaliseber 
Form,  liefert,  zugleich  mit  der  vorher  beschriebenen  Elfenbeinbüchse  den  Beweis, 
dass  man  im  Zeitalter  der  Kreuzztige  durch  Bitter  und  Pilger  eine  Menge  Reliquien 
aus  dem  Orient  in  den  Occident  überbrachte  und  zur  Aufbewahrung  derselben  Rell- 
quiarien  in  den  mannichfachsten  Formationen  und  den  yerschiedenartigsten  Materia- 
lien grösstentheils  aus  dem  Oriente  selbst  mit  zu  tiberbringen  pflegte.  Daher  fin- 
det man  auch  in  altern  Schatz-  und  Reliquienverzeichnissen  vielfach  die  Bezeich- 
nung: ^^reliqtdae  transmttrinaey  scrimolum  persicum,  vasculum  Orientale." 

Ein  sachlicher  Beweis,  dass  auch  dieses  viereckige  Schreinchen  im  Oriente 
seine  Entstehung  gefunden  habe,  ist  noch  darin  zu  finden,  daas  dasselbe  System  der 
Omamentatiou ,  wie  es  sich  auf  der  durch  Neschi-Inschriften  beglaubigten  arabischen 
Büchse  der  vorhergehenden  Nummer  vorfindet,  auch  an  dem  vorliegenden  Beli- 
quienkästchen  beibehalten  ist  und  zwar  ausgeführt  in  einer  ganz  ähnlichen  Substanz. 

Was  diis  Material  betrifft,  womit  in  dünnen  Platten  die  innere  Lade  aus 
einem  feinen  Holze  bekleidet  ist,  so  wagen  wir  nicht  zu  behaupten,  ob  diese 
weissliche  Masse,  die  auf  den  ersten  Anblick  hin  sich  wie  Belegplatten  von  Knochen 
darbieten ,  entweder  aus  Elfenbein,  was  unwahrscheinlicher  ist^  oder  aus  Wallross- 
zahn genommen  sei.  Die  drei  aufsteigenden  Seiten  des  Reliquiariums,  ebenfalls  mit 
dünnen  knochenartigen  Deckplatten  belegt,  zeigen  an  den  4  Rändern  ein  einge- 
grabenes Ornament,  das  sich  schlangeniörmig  in  einander  windet  und  in  jeder 
Windung  kleine  Kreise  zeigt,  in  denen  Punkte,  als  Centrum,'  sich  befinden.  In 
der  Mitte  erblickt  man  ein  schmales  Panelstück  durch  rothgebeizte  Beinmasse 
gebildet,  das  in  der  Mitte  kleinere  Durchbrüche,  als  Stäbe  vertikal  neben  einander 
laufend,  zeigt,  hinter  welchen  eine  homartige,  durchsichtige  Platte  zum  Vorschein 
kommt,  die  auf  der  hintern  Seite  Spuren  eines  Goldlackes  erkennen  lässt  Die  ein- 
zelnen Stücke  des  Kästchens  sind  an  den  vier  Ecken  und  nach  unten  zusanunen- 
gehalten,  von  liliemörmigen  Ornamenten  aus  Eisen  gebildet,  die  ehemals  ebenfalls 
vergoldet  gewesen  sein  mochten.  Der  grösste  Reichthum  des  Ornamentes  entfaltet 
sich  auf  dem  obem  Deckel  dieser  „arcula"  der  etwas  ausgerundet  zu  sein  scheint. 
Dieser  Deckel  wird  nämlich  nach  den  vier  Seiten  hin  ebenfal  s  wieder  durch  schlan- 
genfbrmig  gewundene  Ornamente  abgegränzt,  die  mit  dem  Stichel  einfach  in 
die  elfenbeinartige  Masse  eingegraben  worden  sind.  Alsdann  folgt  bandförmig  eine 
zweite  Umrandung,  die  in  der  Mitte  blos  eine  Menge  rundausgedrehter  kleiner 
Kreise  zeigt,  unter  welchen  eine  vergoldete  Unterlage  wieder  zum  Vorschein  kömmt. 
In  dem  mittleren  Quadrate,  das  auf  dem  Deckel  durch  diese  beiden  Randeinfassun- 
gen  gebildet   wird,    zeigt    sich   offenbar  aus    rothgebeizter   Beinmasse    eingelegt 

2 


1()  ST.   GEREON. 

die  Fonii  eines  griechischen  Kreuzes,  mit  ziemlich  gleichhingen  Querbalken ,  dn^  an 
beiden  Seiten  ebenfalls  wieder  von  zwei  kleinem  Kreuzen  aus  demselben  gerötheten 
Materiale  formirt,  umgeben  ist.  Die  vier  breitem  Kreuzbalken  sind  wiedemm 
durch  kleinere  Kreise  durchbrochen,  damit  die  unterlegte  Vergoldung  sich  kennt- 
lich macht.  Der  mittlere  Querbalken  des  Kreuzes  hat  ebenfalls  eine  Durch- 
brechung a  jour  nach  demselben  Systeme  formirt,  wie  an  den  eben  beschriebenen 
vier  Flachseiten,  wodurch  abermals  die  unterliegenden  Goldplättchen  ans  Licht 
treten.  Noch  verweisen  wir  bei  der  detaillirten  Beschreibung  dieses  orientalischen 
Reliquienkästchens  auf  die  acht  kleinem  Kreuzchen,  die  in  Durchbrechung  von 
einem  kleinen  punktirten  Kreise  umgeben,  an  den  beiden  Langseiten  des  Reliquien- 
gefässes  und  zwar  auf  dem  Deckel  desselben  ausgeschnitten  sind.  Die  Form  dieser 
Kreuze  ist  die  der  Malteserkreuze  und  lässt  sich  die  Gestaltung,  sowie  die  Um- 
kreisung dieses  Ornamentes  vollständig  als  eine  namentlich  in  Byzanz  im  frühe- 
ren Mittelalter  sehr  beliebte  Verzierung  erkennen,  wie  sie  sich  in  Malereien,  Sticke- 
reien und  Webereien  des  Orientes  häufig  wiederfindet.  Dieses,  Jahrhunderte  hin- 
durch im  Oriente,  namentlich  in  der  byzantinischen  Kunst,  stagnirende  Ornament 
bezeichnet  der  bekannte  päpstliche  Biograph  Anastasius  BibHothecarius  an  vielen 
Stellen  seiner  „©ito  Rom.  PorUf."  mit  dem  Ausdmcke  ^^cum  orbiculis  et  cruce." 
Was  nuu  die  Zeit  der  Entstehung  dieses  seltenen  Reliquiengetässes  angebt, 
so  glauben  wir  nach  Vergleichung  älterer  Reliquienbehälter  in  ähnlicher  Fomi  an- 
nehmen zu  sollen,  dass  dies  vorliegende  Kunstwerk  zur  selben  Zeit  im  Oriente 
seinen  Urspmng  gefunden  habe  mit  jenen  zwei  merkwürdigen  Reliquienkästchen  von 
derselben  Gestaltung  und  verwandter  Formbildung,  wie  wir  dieselbe  vorlängst  in  der 
Sakristei  der  ehemaligen  Benediktinerabteikirche  zu  Werden  an  der  Ruhr  gefun- 
den haben.  Wir  glauben  der  Wahrheit  nahe  zu  kommen,  wenn  wir  die  Entstehungs- 
periode der  vorliegenden  „arcula  quadrata*^  in  das  XI.  oder  spätestens  in  den 
Anfang  des  XU.  Jahrhunderts  hin  verlegen. 


6. 

Teppichgewebe, 

als  haute-lififie  y    in  vielfarbiger  Wolle  und  mit  nnf urhistorischen  Darstellungen 

scenerirt. 

■ 

Xn.  Jahrhundert. 

Die  in  Zeidmung  mitgeheilte  seltene  Teppichweberei  ist  von  den  fielen 
und  zum  Tlieil  kostbaren  Webereien,  womit  die  hintern  Brttstungsmauem  der 
Chor-Absiden  sowie  die  Chorschranken  der  Kirche  zu  den  „goldenen  Heiligen"  an 
Festtagen  geschmückt  sein  mochten,  die  einzige,  welche  in  dieser  merkwtlrdigen 
Technik  und  in  diesen  eigenthUmlichen  Mustern  aus  der  frllhromanischen  Kunst- 
epoche sich  bis  auf  unsere  Tage  gerettet  hat. 


ST.   GEREON.  13 

gleicbmässig  imuier  wieder  zurttekkehreti,  an  die  romHnisirenden  Formen,  wie  sie 
inanchnial  die  Kun^tweise  des  Oceidentes  im  12.  Jahrhunderte  aufzustellen  pflegte; 
jedoch  scheinen  die  Verbindungen  der  einzelnen  Laubomamente  durch  den  phan- 
tastischen Thierkopf ,  so  wie  auch  einzelne  Ausladungen  der  Blätter  auf  orientar 
lischen  Ursprung  hinzudeuten.  * 

Bei  genauerer  Besichtigung  dieses  interessanten  Haute-lisse  drängen  sich  zur 
Beantwortung  zwei  Fragen  auf,  die  wir  in  Folgendem  nur  in  Kttrze  zu  beantwor- 
ten versuchen  wollen.  Wo  und  wann  ist  dieses  Gewebe  angefertigt  worden  und 
welchem  Zwecke  war  es  ehemals  bestimmt?  Nach  sorgfältiger  Vergleichung  dieses 
Stofl'es  mit  echt  orientalischen  Geweben  haben  wir,  einem  gewissen  Stilgettlhle  fol- 
gend, gleich  bei  der  kttrzlichen  Wiederauffindung  dieses  an  abgelegener  Stelle  in 
Vergessenheit  gerathenen  Zeuges  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  dasselbe  nicht 
dem  Occidente,  sondern  dem  Oriente,  dem  eigentlichen  Vaterlande  der  Weberei,  sowohl 
fllr  Seiden  als  auch  ftür  Wollenstoffe,  seinen  Ursprung  zu  verdanken  habe.  Dafür 
spricht  nicht  nur  die  eigenthttmliche  Zusammenstellung,  Wahl  und  Mischung  der  Farb- 
töne in  auffallender  Aufeinanderfolge,  sondern  auch  die  Ausprägung  und  charak- 
teristische Ausbildung  der  einzelnen  Laubomamente,  wie  sie  dem  Abendländer  in 
der  romanischen  Kunstperiode  in  dieser  Gestaltung  nicht  eigen  waren;  am  meisten 
aber  die  Wahl  und  Durchführung  der  bildlichen  Darstellungen ,  die  sich  deutlich  zu 
erkennen  geben  als  Ornamente,  die  jenen  entfernten  Gegenden  entlehnt  sind,  wo 
nach  der  Annahme  des  Mittelalters  der  fabelhafte  Greif  seine  Heimath  und  Behau- 
sung hatte.  Mtfglicli  ist  es,  dass  dieser  Teppich,  den  mittelalterliche  Schat^ver- 
zeicbnisse  auch  unter  der  Bezeichnung  „pallium  transmartnum*%  cortina  persica'* 
oder  auch  3,velmn  tartaricum^'  kennen,  entweder  an  der  Küste  Kleinasiens,  Arabiens 
oder  in  den  gewerbfleissigen  Städten  Alexandrien,  Damaskus  angefertigt  worden 
ist  Diese  unsere  Vermuthung  scheint  uns  noch  mehr  an  Wahrscheinlichkeit  dar 
durch  zu  gewinnen,  da  es  bekannt  ist,  welchen  ausgedehnten  Handel  die  Schiffe 
der  Genueser,  Pisaner  und  Venetianer  Kaufleute  in  jener  Zeitepoche  mit  den  ebenge- 
dachten industriellen  Ländern  des  Orients  unterhielten,  zu  einer  Zeit  wo  das  Abend- 
land durch  die  Schaaren  seiner  Kreuzritter  die  bisheran  verschlossenen  Pforten  des 
Orientes  sich  zu  eröffnen  gewusst  hatte.  Es  dürfte  schwer  fallen  eine  bestimmte 
Jahreszahl  zu  fixiren,  wann  das  vorliegende  Gewebe  im  Orient  seinen  Ursprung 
gefunden  habe.  Das  jedoch  scheint  uns  ziemlich  festzustehen,  dass  die  Anferti- 
gung dieses  Meisterwerkes  orientalischer  Weberei  v^r  der  Mitte  des  12.  Jahrhun- 
derts zu  suchen  sein  dürfte. 

Es  erübrigt  nun  noch  in  Kürze  darauf  hinzuweisen,  welchem  kirchlichen 
Gebrauche  ursprünglich  diese  Wirkerei  gewidmet  gewesen  sein  möge.  Wir  glauben 
nicht  annehmen  zu  sollen ,  dass  es  als  ,^tragulum'*  zur  Bedeckung  des  Fussbodens 
im  engem  Chor  oder  zur  Bedeckung  der  Altarstufen  gedient  habe.  Nicht  nur 
die  delikaten,  leicht  zu  beschmutzenden  Farben  sondern  auch  die  technische  Zu- 
sammenttigung  und  das  kleine,  fein  gemusterte  Dessin  des  (Jewebes  scheint  mit 
dieser  letzten  Annahme  im  Widerspruche  zu  stehen.  Wir  glauben  deshalb  mit 
mehr  Wahrscheinlichkeitsgründen   die  Hypothese   aufstellen  zu  dürfen,   dass   das 


14  ST.   GEREON. 

fragliche  Teppichwerk  entweder  als  Wandbekleidung  ehemals  in  der  Kirche,  t,ad 
aureos  sanctos"  an  der  Stelle  im  Chor  benutzt  wurde ,  die  wir  bereits  im  Eingange 
andeuteten,  oder  aber  dass  dasselbe  als  theures  Gewebe  diente,  um  die  Altar- 
mensa, vielleicht  als  Vorhang,  nach  vier  Seiten  zu  verhüllen,  endlich  aber  auch,  um 
als  schützende  Decke  benutzt  zu  werden,  zur  UebMage  über  die  Leintücher  des 
Altars,  wie  dieselben  heute  noch  in  vielen  ELirchen  nach  Beendigung  des 
Morgen -Gottesdienstes  als  Vesperaltücher,  um  Staub  abzuwehren,  im  Gebrauch 
sind.  Nach  Durchsicht  mehrerer  älteren  Schatzverzeichnisse  von  Stifts-  und 
Kathedralkirchen,  die  wir  im  letzten  Jahre  auf  ausgedehnten  Reisen  zahlreich 
anzusammeln  und  in  Abschrift  zu  nehmen  Gelegenheit  hatten ,  ist  es  uns  einleuch- 
tend geworden,  dass  im  frühem  Mittelalter  grössere  Kirchen  eine  Menge  solcher 
kostbaren  historisch  figurirten  Gewebe  besassen ,  womit  an  Festtagen  die  Wände  der 
Langschiffe,  mehr  aber  die  des  Chores  behängt  und  ausgeschmückt  wurden.  Ein  be- 
sonders inhaltreiches  Schatzverzeichniss  des  St.  Yeitsdomes  zu  Prag  vom  Jahre 
1387  enthält  unter  der  Ueberschrift  ,,Rubrica  de  cortmü"  in  langer  Reihe  eine 
Aufzählung  von  solchen  altem  gewebten  oder  reichgestickteu  Wandteppichen  und 
Bekleidungen  für  das  innere  Hochchor.  Unter  andern  interessanten  Angaben 
heben  wir  hier  für  unsem  vorliegenden  Zweck  folgende  Aufzählungen  hervor: 
„Item  cortma  minore  quae  solet  suspendi  in  antiqua  ecclesia  una  cum  trtbus  prae- 
scriptis  in  festis  prmcipaUbus.  Item  cortina  in  brunatico  cum  rotis  in  quibus 
sunt  grifones.  Item  cortina  una  de  duobus  aUis  factOy  una  pars  cum  leonibus  et 
grifonibus  alia  de  opere  graeco.  Nach  Analogie  dieser  Wandteppiche  und 
kunstreichen  Behänge  mit  eingewebten  Löwen  und  Greifen  von  griechischer  Arbeit, 
wie  sie  ehemals  der  Prager  Domschatz  aufzuweisen  hatte,  dürflie  auch,  mit  Um- 
gehung der  beiden  letzten  obengedachten  G^brauchsangaben,  das  merkwürdige 
orientalische  Teppichgewebe  „opere  graeco"  von  St  Gereon  als  Festtagsbehang  im 
innem  Chor  ehemals  benutzt  worden  sein. 

Noch  fügen  wir  hinzu,  dass,  in  Hinsicht  von  gleichartigen  Teppichen,  die, 
analog  mit  dem  ebenbesprochenen,  ehemals  die  Kirchen  des  Occidents  schmückten, 
ausgedehnte  Nachforschungen  uns  die  Ueberzeugung  beigebracht  haben,  dass  das 
in  Rede  stehende  Gewebe  heute  in  ähnlicher  Musterung  und  verwandter  Technik 
wohl  schwerlich  mehr  seines  Gleichen  finden  dürfte.  Es  hat  dies  wohl  darin 
seinen  Grund,  dass  die  beiden  letzten  Jahrhunderte  nicht  im  Mindesten  ein  kunst- 
historisches Interesse  für  ähnliche  merkwürdige  Zeuge  sich  bewahrt  hatten,  zu- 
mal wenn  sie  durch  den  Zahn  der  Zeit  beschädigt  und  abgenutzt  waren,  was 
besonders  bei  Geweben  von  diesem  Alter  und  bei  einer  Zusammensetzung  von 
Wolle  und  Leinen  häufig  der  Fall  war.  Die  meisten  gewirkten  und  gestickten 
Teppiche,  die  uns  zu  Gesicht  gekommen  sind,  sind  jungem  Ursprungs  und  stam- 
men meistens  aus  dem  XIV.  und  XV.  Jahrhundert.  Die  ältesten  und,  unseres  Wis- 
sens nach,  vollendetsten  Tapisserien  trifil  man  bekanntlich  in  grossartigen  Darstel- 
limgen  zu  Bayeux*)  und  leitet  man  ihren  Ursprung  her  aus  dem  XI.  Jahrhundert, 

*l  Vgl.  die  Beschreibung  desselben  in   der  Reviie  angto-fi'an^aUe  de  M,  de  la  FonieneUe  de 
Fmdori,  Poiiiert  tom,  II,  pag.  4^3—437. 


ST.  QEREON.  15 

und  zwar  von  der  kunstgeübten  Hand  der  Königin  Mathilde,  der  Gemahlin  Wil- 
helm des  Eroberers.  Ein  anderes  nicht  weniger  merkwürdiges  Teppichgewebe 
rühmt  sich  heute  noch  der  Dom  zu  Halberstadt  zu  besitzen ,  und  sind  mit  diesen 
umfangreichen  Geweben,  enthaltend  eine  grössere  Zahl  figürlicher  Darstellungen 
aus  dem  alten  und  neuen  Testamente,  die  innem  Absperrungswäude  des  Hoch- 
chors bedeckt.  Hinsichtlich  der  technischen  Ausführung  haben  diese  merkwürdi- 
gen und  seltenen  Tappisserien,  die  ebenfalls  im  XL  Jahrhundert  ihre  Entstehung 
gefunden  haben  dürften,  viele  AehnUchkeit  mit  dem  vorliegenden  merkwürdigen  Ge- 
webe aus  St.  Gereon.  Noch  fanden  wir  in  der  Schatzkammer  der  ehemaligen 
Stiftskirche  zu  Quedlinburg  einige  seltene  Ueberreste  von  Teppichen,  jedoch  mit 
tigürlicher  Darstellung  durchwebt,  die  hochstehend,  ähnlich  unsem  heutigen  Ve- 
lourteppichen ,  fabricirt  waren.  Diese  letztgenannten  dürften  unseres  Daftirhaltens 
noch  ein  höheres  Alter  ftlr  sich  beanspruchen.  Bei  dem  grossen  Interesse, 
das  die  Mitglieder  des  Eirchenvorstandes  von  St  Gereon  ftir  ähnliche  Ueber- 
bleibsel  mittelalterlicher  Kunst  besitzen ,  steht  es  mit  Grund  zu  erwarten ,  dass  von 
erfahrener  Hand  dieser  ehrwürdige  Bruchtheil  einer  verloren  gegangenen  Kunst- 
industrie eine  zweckmässige  Wiederherstellung  und  eine  würdigere  Aufbewahrung 
an  passender  Stelle  nächstens  erfahren  werde. 


7. 

Reliqniengefäss, 

in  Form  eines  Armschenkels  mit  ausgebreiteter  Hand;  silbervergoldet. 

54  Centimeter  Höhe;  grösste  Breite  22  Centimeter.    XIIT.  Jahrhundert. 

Dieses  brachium  gehört  mit  dem  folgenden  unstreitig  zu  den  reichsten  Reli- 
quiengetässen  in  dieser  Form,  die  Köln  heute  noch  besitzt  und  dürfte  dasselbe,  was  die 
vielgestaltigen  Ausbildungen  seiner  getriebenenen  Ornamente,  die  feine  Entwicke- 
lung  des  Filigrans  und  die  technisch  gelungene  Darstellung  der  emaiUirten  Halb- 
figuren betri£Ft,  aus  der  Blüthezeit  der  romanischen  Goldschmiedekunst,  der  ersten 
HäUte  des  XHI.  Jahrhunderts  herrühren.  Auf  dem  untern  Fussstück  mit  zierlich 
getriebenen,  spät-romanischen  Laubomamenten  erhebt  sich  von  einer  freistehenden 
durchbrochenen  Verzahnung  umgeben,  der  Unterschenkel  eines  Annes  (tibta.)  Der- 
selbe ist  bekleidet  mit  einem  Gewandstücke,  das  eine  Oeflfhung  des  weiten  Aer- 
mels  (manica)  zum  Vorschein  treten  lässt  Das  Gewandstück  hat  die  Ausdehnung 
und  Gestalt  eines  Aermels,  wie  derselbe  an  der  Dalmatik  des  XHI.  Jahrhunderts 
zu  ersehen  war;  sowohl  der  untere  Saum,  als  auch  die  Abfassung  an  dem  obern 
Theile  sind  mit  reichen  Omamentationen  umrandet  Der  untere  Saum  „praetexta^ 
bildet  auf  glattem  silbervergoldeten  Grunde  einen  ziemlich  breiten  Filigranrand, 
der  nach  kurzen  Zwischensätzen  mit  einzelnen  zierlich  gefassten  Amethisten  und 
Luxsaphiren  verziert  ist. 


16  ST.   GEREON. 

Der  Gewandtheil  Helbnt  i^t  in  getriebenem  Silberbleeh  durch  einzelne  kleine 
FaltenbrUche  angedeutet  Die  obere  Abfassung,  unmittelbar  ttber  dem  Fusssockel, 
ist  verziert  mit  fUnf  Medaillons  in  Halbkreisform ,  welche  als  nigellirte  und  inkru- 
stirte  Email  in  der  Mitte  den  segnenden  Heiland ,  mit  dem  Alpha  und  Omega  und 
dem  aufgeschlagenen  Buch  zur  Darstellung  bringen.  Zur  Seite  dieser  y^majestas 
Dommi^  erblickt  man  die  Halbfigur  des  heiligen  Felicissimus  und  neben  diesem 
das  Bild  des  Donators,  wahrscheinlich  des  zeitlichen  Probstes  von  St  Gereon  in 
der  Stellung,  wie  er  als  j^suplex^  die  beiden  Reliquienarme  dem  h.  Felicissimus 
weihend  übergibt;  die  darunter  befindliche  Inschrift  in  Gold  auf  blau  emaillirtem 
Grunde  nennt  diesen  Geschenkgeber  in  Abkürzungen:  y^Präpositus  Amoldus  de 
Bume."  Auf  der  rechten  Seite  des  Heilandes  zeigen  sich  femer  in  Halbmedail- 
lons die  Brustbilder  der  h.  Helena  und  des  h.  Gereon.  Fast  sämmüiche  Emailli- 
rungen  sind  als  „emavx  champlevi^  gehalten;  nur  die  Halbfiguren  selbst  treten  in 
Gold  hervor  und  sind  die  Umrisse  derselben  in  Niello  angedeutet 

Aus  dem  obenbeschriebenen  Gewandtheile  ragt  das  Handgelenk  mit  einer 
geöflneten  Hand  in  Silber  getrieben  und  vergoldet  hervor;  dieses  Handgelenk  selbst 
ist  umgeben  von  einem  anliegenden  Gewandtheile  in  Form  eines  Leibrockes,  der 
oben  mit  einem  schmalen  Filigranrand  und  gefassten  Steinen  omamentirt  ist.  Noch 
ftagen  wir  hinzu,  das»  auf  der  vordem  Seite  dieser  „hierotheca  in  brac/uf  modum 
formata^  in  einem  Vierpass,  von  Filigranimngen  eingefasst,  ein  grosser  Rauch- 
topas sich  befindet  und  zwar  trägt  dieser  an  einem  beweglichen  Chamier  ange- 
heftete Vierpass  die  Bestimmung,  als  Thtlrverschluss  zu  dienen,  um  die  im  Innern 
befestigte  Reliquie  sichtbar  werden  zu  lassen.  Der  Inschrift  zu  Folge,  wie  sich 
dieselbe  auf  der  untern  kräftig  gravirten,  vergoldeten  Platte  befindet,  sind  in  dem 
Innern  des  Reliquienraumes  noch  mehrere  y^ossa  sanciorum^  verschlossen,  die  äus- 
serlich  nicht  sichtbar  sind.  Diese  untere  Fussplatte  hat  eifömiig  die  Gestalt  eines 
romanischen  Schildes  und  erblickt  man  in  der 'Mitte  ein  lateinisches  Kreuz,  das 
ungefähr  jene  Gestaltung  hat,  wie  dasselbe  in  dem  Wappenschilde  des  h.  Gereon 
als  Legionspräfect  häufig  ersichtlich  ist.  Dieser  innere  Schild  mit  dreifacher  Um- 
randung ist  von  vier  Seiten  mit  Halbkreisen  umgeben,  worin  in  energischer  Gra- 
virung  die  Brustbilder  von  vier  Engeln  dargestellt  sind,  die  tlbrigen  Flächen  der 
untern  reich  omamentirten  Deckplatte  zeigen  ziemlich  regelmässige  Punktirungen, 
die  mit  einem  groben  Stichel  hervorgebracht  worden  sind.  Auf  diesem  so  präpa- 
rirten  Tiefgrunde  befinden  sich  roma^ische  Laubomamente,  wie  sie  die  üeber- 
gangsperiode  vom  romanischen  in  den  gothischen  Styl  charakterisiren.  In  den  ge- 
häuften Umkreisungen  sind  auf  dieser  Deckplatte  die  Namen  jener  vielen  Reliquien 
in  spätromanischen  Majuskelinschriften  eingegraben,  die  im  Innern  des  Reliquiars  ein- 
geschlossen sind.  Der  Anfang  der  Lesung  ist  angedeutet  durch  ein  eingravirtes 
griechisches  Kreuz.  Es  folgt  alsdann  nachstehende  Inschrift :  „Beüquiae  Laurench\ 
Stephani,  Nerei,  Achüeiy  Domicülae,  VincencH,  Marü  et  Marthaey  Hermetis, 
Anastasii  P.  P.;"  in  der  zweiten  herzförmigen  Umkreisung  liest  man  ebenfalls  in 
spätromanischen  Majuskeln  das  folgende  Legendarium:  y^de  spongia  fhn.y  Andreae 
AposL,  de  mensa  Dni.  de  cilido  Agn.  PaulinL^    Femer  in  der  folgenden  Umkrei- 


ST.  GEREON.  17 

ftung:  y^Metü  tietrix  MUihtm  Thebeormn  Martyrum.^  Endlicli  in  der  vierteB  und 
letzten  Umrandung  die  Bezeichnung:  ^^et  AgajnH  Sixti  Felmsthni.**  Auch  auf  dem 
untern  Pedalstttcke  liest  man  auf  einem  schmalen  Rande  unterhalb  der  durch- 
brochenenen  Kammverzierung  gleichfalls  in  spätromanischen  Miyuskeln  folgenden 
Leoninischen  Vers:  yy Helena  haec  imentrix  sanciae  erucis  ad  tmplemt  opus  lucis 
jrio  desiderio.^ 

Sowohl  die  Inschriften,  als  auch  die  figürlichen  Darstellungen  in  Email 
besagen  es  deutlich,  dass  beide  Reliquiengefässe  sowohl  das  vorliegende  als  dai4 
in  der  Beschreibung  nachfolgende  zusammengehören  und  dass  sie  zu  einer  und 
derselben  Zeit  ihre  Entstehung  gefunden  haben.  Dies  geht  auch  hervor  aus  der 
Darstellung  des  auf  emaillirtem  Grunde  im  Brustbilde  ersichtlichen  Donators,  der 
wie  oben  schon  angedeutet  als  Weihgeschenke  dem  heiigen  Felicissimus  beide  Be* 
liquiengefässe  darbietet,  und  dessen  klar  bezeichneter  Name:  Arnold  von  Born 
(Borne)  später  bei  Durchsicht  der  Reihenfolge  der  Pröbste  zur  Feststellung  eines 
bestimmten  Zeitabschnittes  fbhren  dürfte,  innerhalb  welcher  diese  beiden  Meister- 
weAe  mittelalterlich  kirchlicher  Goldschmiedekunst  angefertigt  worden  sind. 
Wir  glauben  der  Wahrheit  ziendich  nahe  zu  kommen,  wenn  wir  die  Bildungen  die- 
ser beiden  gut  erhaltenen  Reliquiarien  in  ihrer  Ganzheit  und  in  ihren  Detailformen 
auffassend,  die  Hypothese  aufzustellen  wagen:  beide  „brachia*'  seien  von  einem 
Kölner  „aurifaber^^  angefertigt  worden  grade  zu  jener  Zeit,  wo  der  polygone  Kup- 
pelbau der  Kirche  ^ad  aureos  Sanctos^  eben  seine  Vollendung  erreicht  hatte,  was 
in  das  zweite  oder  dritte  Jahrzehnt  des  XUI.  Jahrhunderts  fallen  dürfte. 


8. 

Reliqniar^ 

in  Form  eines  Armes,  silbervergoldet. 

Höhe  53  V*  Centimeter,  grösster  Durolunesser  der  Fassplatte  20  Va  Centimeter.    XIIT.  Jahrhundert. 

Auch  dieser  reichgeformte  Reliquienbehälter  ahmt  im  Aeussem  die  Form 
eines  Unterschenkels  mit  erhobener  geöffneter  Hand  nach.  Es  kann  eine  solche 
Form  eines  Reliquiariums  gar  nicht  auffallend  erscheinen,  da  man  es  im  Hittel- 
alter liebte  die  Reliquiengefässe  äusserlich  so  zu  gestalten,  dass  man  auf  den 
ersten  Blick  hin  schon  errathen  konnte,  welchem  Körpertheile  die  darin  aufbe- 
wahrte Reliquie  ehemals  angehört  hatte.  So  finden  sich  z.  B.  in  alten  Schatzrerzeich- 
nissen Reliquiengeftsse  in  Form  eines  Hauptes,  Fusses,  Beines  etc.  aufgeführt  Durch 
diese  bildlichen  Darstellungen  einzelner  wesentlichen  Körperthefle  soll  jedoch  nicht 
immer  angedeutet  werden,  dass  der  betreffende  Theil  des  Körpers  sich  in  seiner 
Ganzheit  darin  befinden  mtlsse,  sondern  es  gentigt  auch  das  Vorhandensein  einer 
kleinen  Partikel,  um  durch  das  Reliquiarium  das  Glied  zu  yeranschanlichen, 
wozu  das  kleinere  r^os^  gehört     Auch  das  vorliegende  Reliquiar,  ebenfalls  ein  in 


18  ST.  GEBEON. 

Silber  getriebener  vergoldeter  Armsehenkel  erhebt  sich  aafrechtstehend  auf  einem  mit 
romanischen  Laubomamenten  verzierten  Fussgestell  als  Sockel,  welches  nach  oben  hin 
mit  einer  einfachen  blattförmigen  Verzahnung  umgeben  ist.  Auf  der  untern  Platte, 
ebenfalls  wieder  in  Form  eines  eiförmigen  Schildes  gehalten,  erblickt  man,  viel  ein- 
facher omamentirt,  als  das  bei  dem  vorherbesehriefoenen  Reliquiengefäss  der  Fall  ist, 
in  der  Mitte  ein  Kreuz  der  thebäischen  Legion ,  von  einem  Kreise  umzogen,  worin 
folgende  Inselirift  in  romanigchen  Majuskeln  kräftig  eingravirt  ist:  „ite/.  Ä  SÄrtf, 
S.  Agapiti,  S.  FeUcissimi,  Thebaeomm  Martf/rum^  de  corporibus  5.  Nerei  et  AckiUei/* 
Um  eine  Abwechselung  in  den  Omamentationen  des  o£fenen  und  weiten  Gewandärmels 
zu  erzielen,  womit  der  üuterschenkel  bekleidet  ist,  hat  der  Goldschmied  sowohl  an 
der  vertical  ansteigenden  als  auch  an  der  horizontal  laufenden  Randverzierung  und  Ein- 
fassung statt  eines  Ornamentes  in  ]<^ligran,  Yerzienmgen  in  vielftu'bigen  Schmelzen  zur 
Anwendung  kommen  lassen.  An  dem  untern  breiten  Saume,  womit  das  Fussstttck 
unmittelbar  in  Verbindung  steht,  erblickt  man  eine  stärker  hervortretende  Band- 
einfassung, die  in  drei  grossem  emaiUirten  Halbmedaillons  eine  reichere  Ausstat- 
tung erhält.  In  diesen  Rundmedaillons  sind  im  nielirten  Email  jene  Heiligen 
dargestellt,  deren  Reliquien  im  Innern  eingeschlossen  sind;  so  erblickt  man  auf  dem 
ersten  Medaillon  das  Brustbild  des  „S.  Agapitus'^  auf  dem  zweiten  das  des  „S. 
Sixtus  und  S.  Lau"  (vielleicht  Laurentius);  in  dem  dritten  und  letzten  Halbkreis 
endlich  das  Bild  eines  jugendliehen  Heiligen  mit  der  Märtyrerpalme ,  den  die  In- 
schrift näher  bezeichnet  als  „S.  Felicissimus" ;  zur  Rechten  dieses  Märtyrers  ersieht 
man  die  Abbildungen  zweier  Donatoren  in  bittender  Stellung,  und  werden  diesel- 
ben ebenfalls  durch  die  Inschrift  als  derzeitige  Vorsteher  des  St.  Gereon-Stiftes 
bezeichnet,  nämlich  als  „Praepositus  Anioldus"  und  „Hermanricus  Decanus." 
Zwischen  diesen  emaiUirten  halbkreisfönnigen  Schildchen  befinden  sieh  nicht  Fili- 
granarbeiten, wie  an  dem  vorbeschriebenen  Getässe,  sondem  man  erblickt  in  die- 
sen Zwickeln,  kunstreich  in  Silberblech  getrieben  und  vergoldet  vier  Engelsgestalten 
in  erhabener  Arbeit,  die  Spruchbänder  halten.  Auf  dem  Vordertheile  des  Reliquia- 
riums  macht  sich  ebenfalls  eine  grosse  Vierpassform  als  Oeffhung  bemerklich ,  die  die 
Freisicht  der  eingeschlossenen  Reliquien  zu  vennitteln  die  Bestimmung  hat.  Die- 
ser Vierpass  ist  mit  Filigranarbeiten  und  vier  grossen  kunstreich  gefassten  Amethista- 
gaten  geschmückt.  Bei  Auffindung  einer  chronologisch  geordneten  Reihenfolge  der 
frühem  Stiflsprälaten  von  St.  Gereon  würde  sich,  wie  oben  schon  bemerkt,  die 
Zeit  genau  bestimmen  lassen,  wann  von  Seiten  der  beiden  Geschenkgeber  Her- 
manrich  und  Arnold  diese  „Brachialien"  geschenkt  worden  sind.  Beide  Reliqiua- 
rien  bekunden  in  ihrer  technisch  sauberen  und  schönen  Ausführung  einen  kunst- 
geübten Goldschmied,  der  nicht  nur  die  Kunst  des  Emaillireus,  des  Filigrans  als 
Meister  verstand,  sondem  der  auch  in  gleichem  Grade  mit  grosser  Geschicklichkeit 
zu  treiben  und  zu  graviren  wusste.  Aehnliche  Reliquiarien  in  Form  einer  Hand 
mit  Unterschenkel  haben  sich  in  ziemlich  ähnlicher  Ausstattung  heute  in  Köln  nur 
noch  in  St.  Cunibeii  erhalten.  Auch  der  reichhaltige  Schatz  des  Münsters  zu  Aachen 
hat.ein  ähnliches  y^brachium^,  jedoch  in  kostbarer  Fassung  aufzuzeigen  und  wird  darin 
ehrfurchtsvoll  aut bewahrt,  der  untere  Armschenkel  des  „grossen  christlichen  Helden 


ar.  OEREOK.  19 

Karl/*  Noch  in  mehrem  Kirchen  Kölns  finden  sich,  meistens  aus  dem  XTV.  und 
XV.  Jahrhundert  herrührend,  ähnlich  gestaltete  Reliquienbehälter,  jedoch  in  der 
Regel  in  Eichenholz  gearbeitet  und  reich  vergoldet  oder  versilbert,  mit  gothisch  durch- 
brochenen Thttrverschltlssen,  die  geöfifhet  die  darin  verschlossenen  Reliquien  zu  er- 
kennen geben. 

Diese  und  ähnliche  reich  verzierten  Reliquiarien  wurden  bei  öflFentlichen  Bitt- 
gängen und  Prozessionen  ehemals  von  den  Htiftsgeistlichen  feierlichst  umhergetra- 
gen und  wurden  dieselben  auch  an  Festtagen  oder  an  den  kirchlichen  Gedächt- 
nisstagen  der  betreffenden  Heiligen  als  reiche  Zierde  auf  die  Lichterbank  des  Haupt- 
altares zur  Verehrung  hingestellt 


9. 

Reliqnientftsehehen^ 

iu  Weise  eines  gestickten  Beuleis. 

Höhe  15  Centimeter;  Breite  17  Centimeter.     XIV.  Jahrhundert 

Diese  sehr  interessante  Enveloppe  hat  sich  heute  als  einzige  Reliquientasche 
in  Köln  noch  erhalten  und  repräsentirt  hinsichtlicli  ihrer  Form  und  Ornameuta- 
tionsweise  jene  Reliquientäschchen,  wie  sie  in  alten  Schatz  Verzeichnissen  häufig 
vorkommen  unter  der  Bezeichnung  „sacculum  holosericum,  bursa  sericea,  ope?*e  phrij- 
gionis  confecta,** 

Hinsichtlich  der  interessanten  Detailverzierung  dieser  Reliquientasche  ver- 
dient bemerkt  zu  werden,  dass  diese  eingestickten  Muster  auf  Seidenstramin,  als 
feststehende  Reminiscenzen  betrachtet  werden  können,  wie  die  Nadelarbeiten  (acu- 
piettira)  schon  seit  der  frühesten  christlichen  Zeitreclmung  als  technische  Ueberlie- 
ferung  aus  den  Tagen  des  klassischen  Roms  herrührend,  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch geübt  worden  sind.  Diese  Nadelmalereien  zeigen  auf  beiden  Seiten  ab- 
weichende Muster,  die  jedoch  im  gleichen  System  gehalten  sind.  Die  eine  reicher 
verzierte  Seite  lässt  erkennen  zwölf  kleine  Sechsecke,  die  mit  kleinem  rhomboiden- 
fbrmigen  Ornamenten  verziert  sind.  Die  Zmschenräume  dieser  zwölf  grossem  Com- 
partimente  sind  kreuzf&rmig  durch  gestickte  Omamente  ausgefüllt,  wodurch  diese 
Sechsecke  wiederum  hexagon  eingeschlossen  werden. 

Die  Farbtöne  wechseln  verschieden  ab  und  spielt  die  rothe,  die  gelbe,  die 
grüne  und  purpur  Seide  dabei  die  Hauptrolle.  Die  Farbenwahl  muss  in  ihrer 
Zusammenstellung  als  eine  glückliche  bezeichnet  werden,  die  sich  von  dem  zu 
Bunten  fem  gehalten  hat.  Sämmtliche  Stickereien  sind,  wie  es  der  Augenschein 
lehrt,  linearisch  im  Vieleck  ausgeftlhrt  und  hat  die  Stickerin  das  vorzüglich  deshalb 
gethan ,  weil  die  Straminstickerei  keine  mnden  Linien  zulässt.  Die  Art  und  Weise 
de«  Stickens  würde  man  als  eine  Arbeit  im  Flammenstich  näher  bezeichnen  kön- 
nen, der  auf  los  gewebtem  Leinen  über  einen  bis  \ier  Fäden  fortspringt 

Auf  der  andern  Seite  der  y^capsellu^  zeigen  sich  übereck  gestellte  Quadrate 


20  ST.  QBREON. 

in  sechs  Reiheu  geordnet,  und  zwar  ist  die  eine  Reihe  dieser  Quadraturen  in 
Roth  und  Purpur  abwechselnd  gestickt  und  mit  kleinen  weissen  Kreuzchen  in  vier* 
eckigen  Maschen  befindlich,  ausgefüllt.  Die  andern  Quadrate  zeigen  auf  rothem 
oder  grttnem  Fond  jene,  in  der  mittelalterlichen  Straminstickerei  so  häufig  wiedeiv 
kehrenden  Ornamente,  die  man  heute  als  Verzienmgen  „^  /a  Grecque^  bezeichnen 
würde,  in  welcher  in  der  verschiedensten  Modification  der  bekannte  altgriechische 
Mäander  zur  Anwendung  kömmt  Solche  Formen,  die  sich  sämmtlich  im  rechten 
Winkel  bilden,  hat  die  Kunst  des  freien  Handstickens  des  Mittelalters,  aus  den  clas- 
sischen  Zeiten  herrührend,  immer  beibehalten  und  damit  auf  die  verschiedenste 
Weise  variirt.  Der  vorliegende  merkwürdige  Beutel  bietet  in  seiner  äussern  Ge- 
staltung, wie  auch  in  seiner  Omamentation  \iele  Analogie  mit  jenen  zierlichen 
Geldbeutelchen,  Almosentäschchen  y^aumonieres,  escarcelles^  wie  sie  im  Mittelalter 
die  vornehme  Kirchgängerin  als  Sclmiuck  und  Zierde  am  Gürtel  trug  und  wie 
solche  reich  verzierte  Täschchen  bei  dem  voUständigen  Costüm  des  Patriziers  und 
Rathsberm  im  XIV.  und  XY.  Jahrhundert  niemals  fehlen  durtlen. 

Es  entsteht  die  Frage,  ob  dieses  vorliegende  zierliche  Beutelcheu  ebenfalls 
früher  nicht  als  y^aumonihre^  gedient  habe,  und  dürfte  man  wohl  dieselbe  desswegen 
bejahend  beantworten,  weil  die  seidenen  Schnüre,  mit  kleinen  Quasten  und  gol- 
denen Eichelchen  verziert,  die  sich  an  demselben  befinden,  heute  noch  anzu- 
deuten seheinen,  dass  vermittelst  dieser  Schnüre  diese  reichgestickte  Börse  ehe- 
mals an  dem  Leibgurt  befestigt  wurde.  Dieselben  Quasten  in  grüner  Farbe  keh- 
ren auch  mit  goldenen  Eichelchen  versehen  an  den  untern  Ecken  des  Täschchens 
wieder.  Die  Näthe  zu  beiden  Seiten  des  Reliquiariums  sind  ebenfalls  mit  meh- 
rem  künstlich  verschlungenen  goldnen  Knöpfchen  besetzt  Eine  genaue  Besichti- 
gung verwandter  Analogien,  wie  wir  dieselben  in' ähnlicher  Stickerei  an  Stolen, 
Sudarien  und  andern  liturgischen  Gewandstücken  noch  häufiger  vorfanden,  haben 
uns  die  Ueberzeugung  beigebracht,  dass  das  vorliegende  Kunstwerk,  was  in  seiner 
Art  heute  seltener  geworden  ist,  gegen  Schluss  des  XIV.  Jahrhunderts  seine  Ent- 
stehung gefunden  haben  dürfte. 


lU. 

Vier  godiische  Messkelche, 

sämmtlich  silbervergoldet. 

Einige  aus  dem  Schluss  des  XV.,  andere  aus  dem  Beginne   des  XVI.  Jahrhunderts  herrührend.     Höhe 

zwischen  30—24  Centimeter. 

Unter  Figur  tO  haben  wir  in  verkleinerter  Zeichnung  den  interessantesten 
der  Messkelcbe  aus  St  Gereon  mitgetheilt,  der  wie  gewöhnlich  einen  sechstheiligen 
Fuss  in  Rosenblattform  erkennen  lässt.  Der  sechseckige  Ständer  sowie  auch  der 
Knauf  dieses  Kelches  zeigen  bereits  eingravirte  Ornamente,  wie  sie  bei  der  Ausar- 
tung der  Gothik  gang  und  gäbe  waren.  Die  ^echs  vorstehenden  Pasten  des  „nodus'% 


8T.  QEREOK.  21 

ehemals  emailErt,  lasseii  heute  noch,  erhaben  aufstehend,  in  Oravining  die  sechs 
Buchstaben  des  Namens  Jesus  in  gothischer  Schreibweise  mit  dem  Spiritus  „A^ 
erkennen.  Die  Kuppe  oder  Trinkschale  des  Kelches  ist  offenbar  neueren  Ur- 
sprungs, wie  das  ihre  moderne  Form  und  Ausbildung  des  obem  Sandes  deutlich 
eikennen  lässt  Der  vorliegende  Kelch  bietet  sonst  nichts  Eigenthümliches,  als 
dass  eine  Fläche  des  Fusses  mit  dem  Wappen  einer  kölner  Patrizierfamilie  ver- 
ziert ist,  das  wie  es  scheint,  dem  Geschlechte  der  „von  den  Jttdden'^  angehörte. 
Es  ist  anzunehmen,  dass  dieses  Geschlechtswappen  hindeute,  auf  einen  Ge- 
schenkgeber, welcher  der  obengedachten  begüterten  Familie  angehörte  und  diesen 
Kelch  dem  alten  Stifte  von  St.  Gereon  verehrt  hat.  Zu  diesem  Kelche  gehört  auch 
eine  einfach  gebildete  Patene  (Fig.  10.  a),  die  ein  „stgnaculum^  in  Form  eines 
Kreuzes,  gegenüber  dem  ebengedachten  Patrizierwappen,  als  einfache  Gravirung, 
von  einem  Kreise  umschlossen  zeigt  Man  erblickt  nämlich  auf  rothemaillirtem 
Felde  auf  der  rechten  Halbseite  des  Wappenschildes  drei  spitze  Judenhüte,  wie 
sie  im  Mittelalter  zur  Bezeichnung  des  Judenthums  immer  dargestellt  zu  werden 
pflegten. 

Der  andere  Messkelch  mit  rundem  Fusse  hat  noch  seine  alte  primitive  Trink- 
schale vorzuweisen  und  zeigt  derselbe  sehr  schöne  Verhältnisse  in  seinen  einzel- 
nen Haupttheilen.  Dieser  Kelch  ist  sonst  sehr  einfach  in  seinen  Gliederungen  und 
Ornamenten,  und  gibt  er  sich  dadurch  als  ^^calix  quotidianug"  zu  erkennen.  Das 
in  Bede  stehende  Gefäss  scheint  von  einen  frommen  Stifter  in  der  Absicht  geschenkt 
worden  zu  sein,  damit  an  einem  bestimmten  Yotivaltar  sein  Kelch  täglich  bei  der 
b.  Messe  in  Grebrauch  genommen  werden  solle.  Das  zeigt  auch  eine  Inschrift 
in  spätgothischen  Majuskeln  deutlich  an,  die  sich  in  dem  Spruchbande  um  das 
j^siynaculum^  befindet;  diese  lautet:  y^calix  altarü  est  sanctae  Helene  regine^ 
A.  1534.  Dieses  „signaculum",  welches  als  Merkmal  ftlr  die  Stelle,  wo  an 
der  Kuppe  bei  der  Gommunion  die  y^sumptio  ss,  sanguinis^  und  später  die  ablutio 
vom  Priester  zu  nehmen  ist,  niemals  fehlen  darf,  ist  an  dem  vorliegenden  Kelche 
sehr  schön  in  Form  eines  Maltheserkreuzes  kräftig  auf  dem  Fusse  eingravirt,  und 
zwar  ist  dieses  eingravirte  Kreuz  zur  einen  Hälfte  ornamental,  zur  andern  Hälfte 
in  architektonischen  Formen  gebildet. 

Der  dritte  einfache  Messkelch,  der  sich  heute  in  dem  stark  zusammenge- 
schmolzenen Schatze  des  ehemaligen  reichen  Stiftes  von  St.  Gereon  in  sehr  ein- 
fachen Formen  und  schönen  Verhältnissen  vorfindet,  repräsentirt  wie  auch  die 
beiden  vorherbeschriebenen  Kelche  die  Gestalt  eines  gewöhnlichen  Messkelches  flir 
täglichen  Gebrauch,  wie  sie  im  XVI.  Jahrhundert  von  den  Meistern  der  Gold- 
schmiedezunft in  Köln  in  der  Regel  angefertigt  zu  werden  pflegten.  Dieser  dritte 
Messkelch,  der  heute  als  Mustervorbild  bei  Anfertigung  von  einfachen  gothischen 
Kelchen  ftlglich  betrachtet  werden  könnte,  zeigt  einen  Knauf  mit  sechstheiligen 
weit  vorstehenden  Pasten.  Bei  diesen  über  Eck  gestellten  rhomboidenförmigen 
Vorsprüngen  ist  vom  Goldschmiede  im  Mittelalter  jener  Uebelstand  beseitigt  wor- 
den, worüber  heute  bei  Anfertigung  ähnlicher  gothischer  Kelche  mit  Recht  Klage 
geftlhrt  wird,  dass  nämlich  diese  Ecken  zu  scharf  und  schneidend  ausgebildet  sind.    An 


22  8T.  GEREON. 

den  altem  Kelchen  seheint  man  jlie  Schärfen  dieser  Pasten  vor  der  Vergoldung  mit 
der  Feile  gebrochen  und  abgerundet  zu  haben ,  damit  beim  Gebrauche  in  der 
h.  Messe,  namentlich  zur  Winterzeit,  diese  scharfen  Ecken  und  Kanten  die  Fin- 
ger des  Gelebranten  nicht  verletzten  und  die  Haut  aufritzten. 

Wie  die  Inschrift  auf  dem  Fusse  unmittelbar  neben  dem  Kreuzzeichen  deut- 
lich besagt,  ist  auch  dieser  Kelch  ein  Geschenk  eines  Mitgliedes  der  k(>hiischen 
Patrizier  Familie  von  den  Jttdden.    Man  liest   nämlich  daselbst: 

yf  Jungfer  Veronika  von  den  Joeden  hait  mivhA,  1553  gegeven.^ 

Auf  der  andern  Seite  liest  man  die  zweite  Inschrift: 

^Jungfer  Cathrhia  von  den  Joeden  do  beide  gestaurven.^ 
Unseres  Dafürhaltens  nach  ist  durch  die  letzte  Inschrift  angedeutet,    daas  Jungfer 
Cathrina  von  den  JUdden  vielleicht  in  späterer  Zeit  diese  beiden  Kelche,  die  von 
ihrer  Familie  herrührten,  hat  neu  vergolden  und  restauriren  lassen. 

Noch  besitzt  die  Sacristei  von  St  Gereon  einen  vierten  Kelch  in  den  For- 
men der  bereits  ausgearteten  Gothik,  der  in  der  Gesammtanlage  mit  den  eben- 
beschriebenen Kelchen  übereinstimmt.  Auf  einem  Theile  des  Fusses  eine  sechs- 
blättrige Böse  vorstellend,  liest  man  in  einem  vielfach  verschlungenen  Spruchbande 
folgende  eingravirte  Inschrift:  y^calix  altaris  sancti  AntonH  in  capitolio,^  Aus  die- 
ser Inschrift  liesse^  sich  folgern,  dass  der  vorliegende  Kelch  angefertigt  worden  ist 
ftlr  den  Altar  des  heiligen  Antonius  in  der  ehemaligen  Stiftskirche  Maria  im  Ga- 
pitol;  zugleich  aber  auch,  dass  es  im  Mittelalter  Brauch  war,  dass  zu  jedem  Altar 
ein  besonderer  Kelch  gehörte,  der  von  dem  Yicarius  täglich  in  Gebrauch  genom- 
men wurde,  dessen  Pfründe  und  Stipendien  auf  den  Titel  dieses  bestimmten  Altar 
res  lauteten.  Auf  der  Kehrseite  des  sechstheiligen  Fusses  zeigt  sich  in  spätgothi- 
schen  Majuskelbuchstaben  folgende  Inschrift:  „Johannes  Hilden^  canonicus  sancti 
Severiniy  vicarius  sancti  AntonH  in  Capitoiio,  nee  non  sancti  Jacobi  me  fieri  fecit  et 
dico  Antonio  dedicavit."^  Diese  Inschrift  giebt  also  zu  verstehen,  dass  ein  Kölner 
Canonicus  von  St  Severin,  der  zugleich  eine  Pfründe  als  adscribirter  Vicar  des 
Altars  von  St  Antonius  im  Maria  Kapitel  genoss,  als  Beneficiat  den  vorliegenden 
Kelch  zum  beständigen  Gebrauch  an  dem  ebengedachten  Altar  auf  seine  Kosten 
habe  anfertigen  lassen. 


Ehemaliger  Schatz  der  Stiitskirche  von  St.  Gereon. 

Unter  Beachtimg  der  betreffenden  Hindeutungen  der  manchmal  unkritischen 
Angaben  älterer  kölnischen  Chronisten  wollen  wir  es  in  der  Folge,  jedesmal  zu 
Schluss  der  Beschreibung  jener  Kunstschätze,  wie  sie  fast  jede  kölnische 
Kirche  heute  noch  zu  besitzen  sich  rühmt,  vei-suohen  in  kurzen  Umrissen  anzu- 
deuten, welche  einschlngendcu  Kunstwerke  nodi  zu  Zeiten  des  Gelenius  jede  Sa- 
cristei als  ihren  Stolz  und  ihre  Zierde  aufzuweisen  hatte,  ehe  die  officielle  Berau- 
bung zu  Schluss  des  vorigen  und  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  eingetreten  war. 


ST.   GEREON.  23 

T 

Dass  in  Köln  eine  solche  Silberablieferung  von  Seiten  der  französischen 
Comniissarien  leider  mit  vielem  Erfolge  in  grösserem  Umfange  in  einer  Zeit  noch 
betrieben  wurde,  wo  schon  vieles  durch  einheimische  Hände  vertheilt  und  unsicht- 
bar gemacht  worden  war,  lässt  sich  entnehmen  aus  einer  mündlichen  Angabe  eines 
befreundeten  Kunstkenners,  der  uns  kürzlich  ausitthrlioh  berichtete:  ein  vorlängst 
als  Friedensrichter  verstorbener  Kölner,  der  dem  französischen  Regime  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  sich  besonders  diensteifrig  erzeigen  zu  müssen  glaubte,  habe 
ihm  in  seinen  Lebzeiten  oft  mitgetheilt:  „wenn  er  es  gewollt  hätte,  hätte  er  ein 
reicher  Mann  werden  können ,  indem  er  als  französischer  Commissair  alles  Silber 
und  Gold  der  Kirchen  Kölns  eingetrieben  habe.  In  den  Gebäulichkeiten  des  Non- 
nenklosters in  der  Kupfergasse  habe  er  damals  alle  Schätze  zusammen  bringen  las- 
sen, und  wären  zu  jener  Zeit  mehr  als  vier  Zimmer  daselbst  mit  den  kostbarsten 
Gemsen  und  Kirchen-Utensilien  angefüllt  gewesen.**  Wir  glauben  begründete 
Zweifel  hegen  zu  dürfen ,  dass  der  ebengedachte  im  grossartigen  Massstabe  ausge- 
führte Baub  aus  den  kölnischen  Kirchen  wohlbehalten  in  die  Hände  des  damaligen 
französischen  revolutionären  Regiments  gekommen  ist 

Dem  Eingangs  gedachten  Gewährsmanne  in  seinem  Werke  „de  niagnitudme 
Coloniae^  zu  Folge,  besass  gegen  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  der  Schatz  von 
St  Gereon  unter  Anderem,  abgesehen  von  der  grossen  Zahl  kostbarer  und  kunst- 
reich gearbeiteter  Kelche,  Rauchfösser,  Messkännchen,  Leuchter  etc.  zehn  verschie- 
dene „hierothecäe**,  die  als  Behälter  für  verschiedene  Reliquien  aus  edlem  Metall 
in  den  zierlichsten  Formen  kunstreich  gearbeitet  waren.  Unter  diesen  befanden 
sich  auch  die  unter  Nr.  7  u.  8  beschriebeneu  Reliquiarien  und  führt  in  3ezug  auf  das 
unter  Nr.  8  bezeichnete  der  ebengedachte  köhiische  Chronist  an,  ohne  jedoch 
seine  Quelle  namhaft  zu  machen,  dieses  eine  „brachium^  sei  ein  Geschenk  des 
Propstes  Amoldus,  das  er  unter  der  Regierung  des  h.  Engelbertus  (von  1216 — 
1225)  seiner  Stiftskirche  verehrt  habe. 

Femer  werden  noch  im  Schatze  von  St  Gereon  als  ehemals  daselbst  befind- 
lich aufgeführt:  sieben  verschiedene  theilweise  silbervergoldete  „kemia^  Reliquia- 
rien, in  Form  von  Brustbildern  wie  sie  vielleicht  in  ähnlicher  Form  in  der  Ab- 
bildung von  Flg.  X  veranschaulicht  sind.  Femer  besass  der  Schatz  zwei  in  edlen 
Metallen  kunstvoll  getriebene  Statuen  der  Madonna.  Das  eine  Bildwerk  der  Mut- 
ter Gottes,  wie  sie  auf  dem  Throne  sitzt,  war  silbervergoldet,  und  mochte  unse- 
rer Ansicht  nach,  eine  ähnliche  Gestalt  und  Grösse  gehabt  haben,  >vie  das  in  Gold- 
blech getiiebene,  sitzende  Bild  der  Himmelskönigin  in  dem  Schatze  zu  Essen  be- 
findlich, herrührend  aus  dem  XL  Jahrb. 

Die  andere  „opus ßmle"  der  Himmelskönigin  scheint,  als  Standbild  in 
Silber  getrieben,  ohne  Vergoldung,  von  ziemlicher  Grösse  gewesen  zu  sein,  im 
Innern  desselben  eine  Anzahl  Reliquien  von  verschiedenen  Heiligen  verborgen. 

Im  ehemaligen  Schatze  von  St.  Gereon  befanden  sich  noch  in  verwand- 
ter Form,  wie  das  abgebildete  *  Krj'stallkreuz ,  vier  ähnliche  „cruces  crysta- 
linae*'  mit  Perlen  und  Edelsteinen  reichlich  verziert,  deren  Fassungen  sehr 
kunstreich  gearbeitet,  und  deren  grössere  Krystall-Cylinder  wertlivoU  gewesen  sein 


24  ST.  GEREON. 

müssen.  Auch  einen  silbernen  Trinkbecker ,  y^scffphus^  von  der  h.  Elisabeth  her- 
rührend, hatte  das  Gereonsstift  ehemals  unter  Beinen  Schätzen  au&uweisen.  Dess- 
gleichen  fanden  sich  auch  daselbst  mehrere  Reliquien-Tafeln  j^tabulae  reliquiarum^ 
vor,  die  wahrscheinlich  in  Weise  von  tragbaren  Alülrchen  in  ihrer  äussern  Um- 
randung kostbar  eingefasst  waren. 

Ueberdies  gewahrte  man  noch,  ebenfalls  in  demselben  Behältnis»  ver- 
schlossen, wo  auch  heute  der  so  sehr  geplünderte  Schatz  von  St  Gereon  sich 
befindet,  zwei  kleinere  silberne  ReHquien-Kasteu,  die  mit  Ueberbleibseln  mehrerer 
berühmter  Heiligen  angefllllt  waren.  Auch  sah  man  ehemals  in  dem  ebengedach-* 
ten  yjthesaurarium^  ein  Reliquiar  in  Form  eines  Strausseneies,  das  als  jjOvum  stru" 
tianis^  auch  von  Gelen  bezeichnet  wird.  Wir  haben  auf  ausgedehnten  Reisen 
solche  Reliquienbehälter,  wie  immer  kunstreich  einge&sst,  und  mit  einem  Sländer 
und  Fusstheile  versehen,  noch  häufiger  vorgefunden,  welche  aus  demselben  Mate- 
riale  angefertigt  waren.  Noch  werden  in  älteren  Schatzverzeichnissen  mehrere 
runde  Büchsen  von  Elfenbein,  wahrscheinlich  von  derselben  Form  und  Be- 
schaffenheit ,  wie  wir  dieselben  in  Abbildung  gegeben  haben ,  •  namhaft  ge- 
macht. Im  Ganzen  zählte  der  Schatz  von  St  Gereon  zur  Zeit  als  Gelen  sein  Werk 
schrieb,  mehr  als  neun  und  zwanzig  meist  kostbar  ausgestattete  Reliquienbehäl- 
ter. Unter  diesen  nahmen  jedoch  zwei  grosse,  silbervergoldete  und  mit  Perlen  und 
Edelsteinen  reich  verzierte  Reliquienschreine  die  erste  Stelle  ein,  deren  einer  in 
der  Länge  von  sechs  Fuss  und  wahrscheinlich  in  dem  verwandten  Formen-Reich- 
thum  der  altem  Reliquienschreine  des  XI.  und  XU  Jahrhunderts,  die  Ueberreste 
des  h.  Gereon,  des  Anführers  der  Thebäischen  Legion,  der  andere  die  Gebeine 
des  h.  Gregor  enthielt 

Leider  hatten  diese  zwei  grossartigen  Reliquieubehälter  in  den  Zeiten  der 
französischen  Revolution  das  Unglück,  dass  sie  von  bedeutendem  Metallwerth  m 
den  Augen  derer  befunden  \\iirden,  welche  auf  den  grossen  historischen  Eunstwerth, 
die  äussere  Form  und  Omamention  nicht  das  geringste  Gewicht  legten.  Alle  diese 
Kunstschätze  von  Silber,  die  im  Anfange  unseres  aufgeklärten  XIX.  Jahrhunderts 
unter  der  sehr  naiven  Bezeichnung  „altfränkische  Alterthttmchen"  meist  in  die 
Schmelze  wanderten,  sind  heute  spurlos  verschwunden.  .  Hingegen  haben  siehBe- 
liquienschreine  aus  vergoldetem  Messing  mit  getriebenen  Figuren  und  mit  reichen 
emaillirten  Darstellungen  geschmückt ,  da  sie  ^  keinen  klingenden  Gewinn  ver- 
sprachen, heute  noch  in  der  kölnischen  Erzdiöcese  zahlreich  erhalten,  die  ahnen 
lassen,  von  welchem  grossen  Kunstwerthe  die  vorhingedachten  Reliquienkasten  der 
beiden  Hauptpatrone  der  ehemaligen  Stiftskirche  zu  den  „goldenen  Heiligen^'  ge- 
wesen sein  mögen. 


jln«  ^artd-I^imtnrlfdfirl'. 


^toia-^immeffdjrt 


(Jesuitenkirche.) 


Mittelalterliche  Knnstgegenstände  in  der  Sakristei  daselbst. 


11)  Processionskreuz ,  kupfervergoldet,  XIV.  Jahrhundert.     Taf.  III.  Fig.  11 

12)  CaremonieDstab ,  als  Scepter,  XV,  Jahrhundert.     Taf.  111.  Fig.  12    . 

13)  Aitarleuchter  in  Messingguss,  XV.  Jahrhundert.     Taf.  111.  Fig.  13 

14)  Messkelch,  silbervergoldet,  XV.  Jahrhundert.     Taf.  III.  Fig.  14 

15)  Messkelch,  silbervergoldet,  XV.  Jahrhundert.     Taf.  III.  Fig.  15    .     . 
Schlussbemerkungen 


Seite 

3 
5 
6 
9 
11 
13 


11. 

Processionskrenz, 

kupfervergoldet,  mit  getriebenen  figuralen  und  ornamentalen  Darstellungen. 

Xiy.  Jahrhundert.     Orösste  Länge  50  Centimeter.    Breite  der  Querbalken  37  Centimeter. 

Vorliegendes  Vortragekreuz  erinnert  in  seineu  schönen  Gesammtformen  und 
in  seiner  Grundanlage  an  die  reichen  „cruces  processionales\  wie  sie  die  Gold- 
schmiedekunst gegen  Schluss  der  romanischen  Kunstepoche  in  Menge  entstehen 
sah.  Als  Ausmündung  der  schmalen  Ereuzbalken»  in  der  Breite  von  zwei  Centi- 
meter, erhebt  sich  an  den  vier  Ecken  je  eine  vierblätterige  Böse,  in  Vierpass- 
form. An  diese  rosenförmigen  Ausmtlndungen  der  Kreuzbalken  schliessen  sich 
Formbildungen  von  Lilien  an,  wie  sie  als  j,franzisca^  in  der  Frühgothik  zur  Zeit 
Ludwig  des  Heiligen,  namentlich  an  französischen  Werken  der  Elleinkunst  Überall 
ersichtlich  sind.  Sowohl  die  Flächen  dieser  schlanken  fjleurs  de  lis^  bIb  auch  die 
der  Vierpässe  sind  mit  dem  Laube  und  den  Früchten  eines  einheimischen  Pflanzen- 
gewächses, das  eine  Nachahmung  des  Pfeilkrautes  j^sagittaria^  zu  sein  scheint,  in 
getriebener  Arbeit  belebt  Dieses  getriebene  Laubwerk  liegt  ziemlich  erhaben  auf 
einem  mit  der  Punze  scharrirten  Tiefgrunde  und  verräth  diese  Technik  einen  Mei- 
ster, der  mit  der  Gravimadel  äusserst  gewandt  umzugehen  wusste.  Leider  fehlen  heute 
in  diesen  Medaillons  jene  bildlichen  Darstellungen,  womit  dieselben  vielleicht  früher 
in  Email  oder  Niello  verziert  gewesen  sein  mochten.  Auf  der  vorderen  Seite  des 
Kreuzes,  das  im  Laufe  der  Jahrhunderte  mehrfach  verändert  und  umgestaltet  wor- 
den ist,  erblickt  man  aufgesetzte  Medaillons  mit  kalten  Glasmalereien,  Zuthaten 
des  XVI.  Jahrhunderts,  sowie  auch  eine  grössere  Zahl  von  ungeschliffenen  Steinen 
in  primitiver  Fassung,  die  als  Glasflüsse  mit  farbiger  Folie  hinterlegt  sind.  Auch 
die  Figur  des  Gekreuzigten  ist  offenbar  eine  spätere  Hinzuf^lgung  aus  dem  Schlüsse 
des  XV.  Jahrhunderts  und  will  dieses  ciselirte  Bild  des  Erlösers  zu  den  frühem 
Formen  des  Kreuzes  durchaus  nicht  harmouiren.  Unstreitig  bietet  die  hintere 
Fagade  des  Kreuzes  für  die  Archäologie  deswegen  schon  ein  grösseres  Interesse, 
weil  hier  die  Kunst  des  Goldschmiedes  in  kräftiger  getriebener  Arbeit  die  vier 
Evangelisten  in  sitzender  Stellung  mit  menschlichen  Körpern  in  Verbindung  mit  den 
bezüglichen  Häuptern  der  vierThiere  dargestellt  hat,  was  in  der  deutschen  Kunst  wohl 


4  HARIA-HIMMELFAHRTS-KIRCHE. 

seltener  vorkommen  dürfte.  Bei  jeder  dieser  einzelnen  Figuren  befindet  sich  als 
Halbbild  die  bekannte  symbolische  Tliiergestalt,  wie  sie  Ezeehiel  am  feurigen 
Wagen  ersah,  dennoch  angewandt  Auch  die  hintern  Flächen  der  Kreuzbalken 
sind  durch  energische  Gravirung  mit  Lauboniamenten  in  einer  Weise  belebt,  dass  sich 
in  den  Balken  ein  architektonisches  Motiv  gleichmässig  fortsetzt,  welches  im  Innern 
mit  Laubomamenten  ausgefüllt  ist.  Die  vier  geflügelten  Evangelisten  in  einem 
schwungvollen  und  edlen  Style  gezeichnet,  nicht  weniger  aber  auch  die  eben  ge- 
dachten eingravirten  Laubomaniente  sind  als  sichere  Belege  daftlr  anzuftihren, 
dass  das  in  Eede  stehende  wohl  proportionirte  ,ycrux  procemonalis^  von  einem 
hervorragenden  Meister  in  dem  Begintxe  des  XTV.  Jahrhunderts  seine  Entstehung 
gefunden  habe,  einer  Zeitepoche,  in  welcher  die  kölnischen  Goldschmiede  noch 
nicht  durch  Statuten  als  Zunft  geordnet,  sondern  mehr  als  religiöse  Bruderschaft 
„cofifratemitas  aurifabrorum^  die  Rechte  ihrer  Verbindung  nach  Aussen  hin  zu 
wahren  suchten. 

Noch  fllgen  wir  hinzu ,  dass  die  hintere  Vierung  auf  der  Rückseite  des  Kreu- 
zes ein  Quadrat  zeigt  in  einem  Durchmesser  von  6 '/«  Centimcter,  auf  welchem  in 
trefiTlicher  Gravirung  ein  Goldschmied  gegen  Schluss  des  XV.  Jahrhunderts  den 
Heiland  nach  der  Sjreuzabnahme  auf  dem  Schoosse  seiner  Mutter  in  äusserst  sau- 
berer Technik  zur  Darstellung  gebracht  hat.  Ein  nur  flüchtiger  Vergleich  dieses 
ebengedachten  vortrefflichen  Bildwerkes,  mit  der  Composition  und  Durchfilhrung 
der  Figur  des  Gekreuzigten  auf  der  vorderen  Seite  dürfte  es  fast  zur  Gewissheit 
erheben,  dass  diese  gegossene  und  ciselirte  Figur  durch  jene  Meisterhand  ihre 
Entstehung  gefunden  habe,  von  der  auch  die  eben  belobte  Gravirung  der  „/wVfffl" 
herrührt.  Aus  derselben  Periode  scheint  auch  der  imtere  Knauf  mit  seinen  Pasten 
herzustamn^en;  ebenso  der  Stiel  mit  seinen  architektonischen  Zuthaten,  der  unmit- 
telbar über  der  höchst  unschönen,  stylwidrigen  Kugel  aufsitzt,  die  in  der  Glanz- 
periode des  Ungeschmackes,  im  Anfange  unseres  Jahrhunderts,  von  jenem  kölnischen 
Goldschmiede  hinzugeftigt  und  mit  getriebenen  Ornamenten  überladen  worden  zu 
sein  scheint,  der  auch  auf  eine  höchst  unglückliche  Weise  den  prachtvollen  Schrein 
der  h.  drei  Könige  zusammengefügt  und  wiederhergestellt  hat.  Wenn  auch  heute 
noch  in  den  Pfarrkirchen  Kölns  sich  mehrere  Vortragekreuze  erhalten  haben,  die 
die  romanische  und  gothische  Kunstepoche  in  ihren  verschiedenen  Entwickelungs- 
phasen  ziemlich  vollständig  repräsentiren,  so  hat  doch  Köln  heute  kein  Vortrage- 
kreuz von  so  edeler  Form,  gelungenen  Proportionen,  in  zarter  Behandlung  der 
Ornamente,  mehr  vorzuweisen  aus  jener  Kunstepoche,  in  welcher  vorliegendes  Mei- 
sterwerk der  Goldsclimiedekunst  seine  Entstehung  gefunden  hat.  Bei  den  vielen 
Vorzügen  des  ebengedachten  mustergültigen  Kreuzes  und  dem  bedauerlichen  Zustande, 
worin  es  sich  gegenwärtig  befindet,  steht  es  mit  Sicherheit  zu- erwarten,  dass 
dasselbe  in  nächster  Zukunft  von  geschickter  Meisterhand  eine  gründliche,  ßtyl- 
görechte  Wiederherstellung  im  Sinne  des  ersten  Meisters  erfahren  werde. 


MARU-mMUELFAUBTS-KIRCHE.  5 

12. 

Cftremonienstab 

in  Form  eines  Scepters,  Silber  mit  vergoldeten  Ornamenten. 

Länge  71  Centimeter.    XY.  Jahrhundert. 

Dieses  Scepter,  eigenthtlmlich  in  seiner  Art  und  von  origineller  Fonn, 
dürfte  sich  heute  in  kirchlichem  Gebrauche  nur  noch  selten  vorfinden.  In  grössern 
Kathedralen  trug  der  „magister  cantus^  auch  „episcopus  chori^  genannt ,  bei  be- 
sonderen festlichen  Veranlassungen  einen  langen  reich  verzierten  Stab  „bacultts^f  wo- 
durch er  in  seiner  Eigenschaft  als  Leiter  des  Gesanges  ausgezeichnet  wurde.  In  der 
Spätzeit  des  Mittelalters  wurde  es  auch  üblich,  dass  die  y^caeremoniarii^  grösserer 
Bruderschaften,  ähnlich  >vie  die  Pedells  an  den  Universitäten*),  als  Zeichen  ihrer 
Amtsfunction  bei  feierlichen  Bruderschaftsfesten  mit  einer  reich  verzierten  Ruthe, 
Stab  (virga,  virgula)  einherschritteu ,  und  haben  sich  solche  Stäbe  in  den 
Händen  der  Bruderschaftsmeister,  wenn  auch  meistens  in  unschöner  Form,  bis 
heute  noch  bei  Processionen  und  Wallfahrten  erhalten.  Diese  Stäbe  der  Bedien- 
steten einer  kirchlichen  Confratemität  waren  in  der  Regel  mit  den  Abzeichen  der 
Genossenschaft  und  auf  ihren  Spitzen  mit  dem  Standbilde  des  Patrons  der  geist- 
lichen Bruderschaft  versehen,  dessen  Namen *sie  führte.  Auch  die  vorliegende 
Ruthe,  die,  der  Tradition  nach,  der  Bruderschaft  des  h.  Joseph  angehörte, 
welche  in  der  St.  Lupuspfarrkirche**)  zu  Köln  bestand,  ist  auf  ihrer  Spitze  mit 
dem  Standbilde  des  Nährvaters  Christi  verziert.  Weil  das  Mittelalter  jedoch  sel- 
ten den  h.  Joseph  als  einzelne  Figur  darzustellen  pflegte,  so  ist  def selbe  auch 
hier  in  Begleitung  der  h.  Familie  abgebildet;  es  steht  nämlich  in  der  Mitte  vor- 
tretend der  Knabe  Jesus,  in  der  rechten  Hand  einen  Apfel  haltend,  in  der  linken 
ein  Spruchband;  rechts  erblickt  man  hinter  dem  Jesusknaben  seine  Mutter  im  Ma- 
tronengewand, und  links  den  „vtr  justm^  dargestellt  als  Greis.  Diese  Gruppe  in 
der  Höhe  von  kaum  5  Centimeter  ist  in  Silber  gegossen,  vergoldet,  jedoch  nicht 
nachciselirt  und  deswegen  in  den  äusseren  Formen  ziemlich  roh  und  unentwickelt. 
Das  eben  gedachte  Bildwerk  der  h.  Familie  befindet  sich  auf  einer  achteckigen  Platte 
als  Piedestal,  die  auf  vier  reich  in  einander  verschlmigenen  gothischen  Laubblättem 
ruht.  Dieser  untere  Sockel  hat  die  Form  einer  Console.  Von  dem  a  joUr 
durchbrochenen  Sockel  geht  nach  unten  hin  ein  Rundstab  aus,  kaum  ein  Centi- 
meter im  Durchmesser,   der   in  der  Länge  von  48  Centimeter  fast  in  seiner  mitt- 


*)  Die  Pedells  der  Universität  Prag,  bekanntlich  gestiftet  von  Carl  IV.,  tragen  heute  noch  bei 
feierlichen  Aufzügen  solche  „feucei^^  in  Form  von  silbernen  Ruthen  und  haben  sich,  wie  wir  uns  durch 
den  Augenschein  davon  ttberzeug^  haben,  noch  zwei  derselben  in  mittelalterlicher  Form,  in  Silber 
reich  verziert  an  der  Prager  Hochschale  erhalten.  Die  daran  befindlichen  Wappenschilder,  so  wie 
sämmtliche  Ornamente  scheinen  anzudeuten,  dass  diese  „virgae'*  noch  aus  der  Frllhzeit  der  Stiftung 
der  gedachten  Universität,  der  letzten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  herrühren. 

**)  Diese  St  Lupnskirche  lag  ehemals  an  der  Nordseite  des  Domchores,   in  der  Nähe  des  jetzi- 
gen Wittgenstoin'schen  Hauses  auf  der  Ecke  der  Johannisstrasse  und  der  Trankgasse. 


6  MARU-HIMMEFAHSTS^KIBCHE. 

leren  Hälfte  von  einem  kleinen  silbervergoldeten  Knaufe  abgefasst  wird.  Am  un- 
tern Ende  dieses  „baculus  caerernanialü^  befindet  sich  eine  Handhabe,  die  auf  bei- 
den Seiten  nach  unten  und  oben  mit  einem  vergoldeten  Knopfe  abgeschlossen 
wird.  Diese  Handhabe  in  Form  eine?  Bohre  verdickt  sich  nach  der  Mitte  hin 
unmerklich  und  ist  an  dieser  Stelle  mit  einem  vergoldeten  profilirten  Ringe  umgeben. 

Was  nun  das  Alter  des  vorliegenden  Scepters  betrifft,  so  scheint  dasselbe 
gegen  Schluss  des  XV.  Jahrhunderts  oder  selbst  schon  im  Beginne  des  XVI.  in 
Küln  seine  Entstehung  gefunden  zu  haben.  Ausser  den  in  der  Anmerkung  ange- 
ftlhrten  Pedellstäben  zu  Prag  wüssten  wir  heute  keine  ähnliche,  aus  dem  Mittel- 
alter stammende  j^virgulae^  anzuführen,  die  noch  jetzt  im  kirchlichen  Gebrauche 
wären.  Entfernte  Achnlichkeit  mit  der  eben  beschriebenen  Ruthe  haben  die  beiden 
sogenannten  Reichsscepter,  wie  sie,  heute  noch  bei  den  Kleinodien  des  ehemaligen 
h.  römisch-deutschen  Reiches  aufbewahrt,  in  dem  Schatze  der  Kaiserburg  zu  Wien 
gefunden  werden.*) 

Das  eine  dieser  Scepter,  dem'XV.  Jahrhundert  angehörig,  ist  in  seiner  Anlage 
sehr  ähnlich  mit  dem  eben  gedachten  Stabe  und  in  seinen  Formen  höchst  ein- 
fach; das  andere  wurde  ehemals  offenbar  als  „nspergülum^  gebraucht  zum 
Darreichen  des  geweihten  Wassers,  wann  der  Kaiser  zur  Krömmg  in  die  Krönungs- 
kirche trat.  Erst  später  hat  man  in  den  Schatzinventarien  diesen  Weihwedel  als 
Scepter  namhaft  gemacht.  Auch  ^r  Cäremoniar  des  Münsters  zu  Aachen  trägt 
eine  ähnliche  silberne  Ruthe,  wie  die  ebenbeschriebene,  nur  können  wir  uns  nicht  ent- 
sinnen, ob  dieselbe  ebenfalls  noch  mittelalterliche  Omamentationen  aufzuweisen  hat 


13. 

Einfacher  Altarlenchter 

in  Messingguss. 

XV.  Jahrh.    Höhe  bis  zum  obem  Rand  21  Gentimeter.    Durchmesser  des  Fusses  13  Centimeter. 

Wenn  auch  in  den  vielen  Sakristeien  Kölns  sich  noch  die  verschiedenen 
liturgischen  Geräthe  fast  sämmtlich  in  einzelnen  Exemplaren  vertreten  finden,  wie 
sie  für  den  Altardienst  das  ganze  Mittelalter  hindurch  im  Gebrauche  waren,  so  zeigt  sich 
jedoch  heute  kaum  noch  in  einiger  Forniabwechselung  vertreten  jenes  liturgische 
Geräth,  das  als  Leuchter,  meistens  aus  Kupfer  oder  Messing  gearbeitet,  die  Be- 
stimmung hatte,  die  Lichter  auf  dem  Altare  oder  in  der  Kirche  aufzunehmen.  Aus 
der  romanischen  Kunstepoche  herrührend,  sucht  man- heute  merkwürdiger  Weise 
vergeblich  in  den  kölnischen  Kirchen  grössere  und  kleinere  Leuchter,  wie  sie  oft  im 
phantastischen  Reichthume  der  Formen,  als  eine  Verbindung  der  Thier-  und  Pflan- 
zenwelt, vielfach  noch  in  älteren  Kirchen  Deutschlands  vereinzelt  angetroffen  werden. 


*)  ^gl-  unsere  Beschreibungf  der  deutschen  Reichskleinodien  in  den  ,,Mittheiluiigen  der  k.  k.  Com- 
mission  zur  Erhaltung  der  Baudenkmalc^*  in  der  ersten  Httlfte  des  Jahres  1857. 


J 


MABIA-HIMBfELFAHBTS-KIBCHE.  7 

Auch  siebenannige Standleuchter  ^arborB.M.  F.",  sowie  grössere  hängende  Leuchter 
yjpolycandelae^,  die  auch  zuweilen  ihrer  äusseren  Form  wegen  „caronae  lummariae^ 
genannt  werden ,  sind  heute  nicht  mehr  in  Köln  zu  finden,  obschon  die  mittelalter- 
lichen Metallkttnstler  der  rheinischen  Metropole  dieselben,  nach  Angabe  älterer 
Autoren  und  Inventarien,  zur  Zierde  der  hiesigen  Kirchen  in  Menge  angefertigt 
haben.  Wie  wir  das  im  Verlaufe  dieses  Werkes  sehen  werden,  befand  sich 
nach  dem  Berichte  des  Gelen  in  seinem  Werke  y,de  mtignitudme  Coloniae^  noch 
zu  seiner  Zeit  eine  Anzahl  grösserer  Leuchter  und  hängender  Lichterkronen  in  den 
hiesigen  Kirchen,  die  leider,  da  der  grosse  Umfang  und  das  Gewicht  derselben  auf  ge- 
wisse Geister  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  einen  grossen  Reiz  austlbten,  der  Schmelze 
verfallen  sind,  und  in  den  napoleonischen  Kriegen  zum  Kanonenguss  vielfach  verwandt 
worden  sein  dürften.  Was  einfachere  Altarleuchter  in  gothischem  Style  betrifil,  so 
haben  sich  heute  noch  eine  ziemliche  Anzahl  solcher  Lichtträger  in  hiesigen  Kirchen 
erhalten,  die  alle  kein  hervorragend  formelles  Interesse  darbieten.  Die  vorliegende 
Abbildung  unter  Figur  13  veranschaulicht  den  Grund-Charakter  der  „Ceroferalien" 
wie  sie  das  ganze  XIV.,  XV.  und  theilweise  auch  das  XVI.  Jahrhundert  hindurch 
kirchlich  in  Gebrauch  waren.  Solche  y^cereostati^y  die  sich  nur  durch  ihre  grössere 
und  kleinere  Ausdehnung  unterscheiden,  sind  noch  in  den  meisten  hiesigen  Kirchen 
anzutreffen,  und  haben  sich  namentlich  dieselben  im  Dom,  in  St.  Martin,  in 
St  Alban,  in  St  Andreas  in  grösserer  Zahl  und  Formenabwechselung  erhalten. 
Wie  die  Leuchter  des  romanischen  Styls,  sind  auch  die  Lichtträger  in  der  gothi- 
schen  Kunstepoche  aus  drei  wesentlichen  Haupt-Bestandtheilen  zusammengesetzt, 
nämlich  aus  dem  Fuss,  dem  Ständer  oder  Stiel  und  dem  obem  Schttsselchen  zum  Auf- 
£uigen  des  Wachses.  An  den  gothischen  Leuchtern  ist  der  Fuss  im  Gegensatz  zu 
dem  dreiftlssigen  romanischen  Lichtträger  meistens  rund  gehalten  und  besteht  derselbe 
aus  mehreren  profilirten  Ringen,  die  allmählig  sich  verjtlngend  mit  tiefen  Hohlkehlen 
nach  oben  trichterförmig  zulaufen.  Der  glatte,  runde  Schaft,  der  auf  diesem 
Fusssttick  unmittelbar  ohne  Verbindung  aufsitzt,  wird  nach  gleichen  Zwischenräu- 
men durch  kräftig  vortretende  Ringe  unterbrochen.  Die  Mitte  dieses  Ständers  ist 
bezeichnet  durch  einen  stark  vortretenden  Knauf,  der  ebenfalls  wieder  aus  meh- 
reren Ringen  zusanmiengesetzt  ist  Die  obere  Schüssel  zum  Auftiehmen  des  Wachses 
hat  eine  ziemliche  Breite  und  erhält  nur  durch  mehrere  ProfiUrungen  einige  Form- 
abwechselung. Dieser  Auftanger  des  Wachses  ist  an  dem  vorliegenden  Leuchter 
nicht,  wie  das  bei  andern  formreicheren  der  Fall  ist,  mit  einer  Art  Zinnenbekrö- 
nung  verziert,  sondern  schliesst  ohne  derartige  Bekrönung  mit  einem  einfachen 
vorstehenden  Rande  ab.  Aehnliche  Leuchter  von  etwas  reicherer  Form  haben  auch 
um  den  hohlen  Fuss  herum  mehrere  Durchbrüche  in  Drei-  oder  Vierpassform,  und 
ruht  der  Fuss  meistens  auf  drei  oder  vier  Ständern,  die  als  Unterlage  in  der  Regel 
die  Form  von  kleineren  Löwen  in  liegender  Stellung  haben.  Auch  die  yjistula^ 
ist  alsdann  bei  grossem  Leuchtern  nicht  mit  einem,  sondern  mit  mehreren  grösse- 
ren und  kleineren  „nodus^  vortheilhaft  belebt  Es  mag  auftallend  erscheinen, 
dass  die  Gothik  auf  die  formelle  Ausbildung  und  Entwickelung  der  Altarleuch- 
ter  so  wenig  Sorgfalt  verwendet  hat.    Das  aber  dürftie  sich  durch  den  Umstand 


8  MAKIA-HIMHELFAHBTS-KIBCHE. 

erklären  lassen,  dass  man  in  der  Mligothischen  Eunstperiode  sich  mit  jenen  kunst- 
reich ausgestatteten  Lichtträgem  begnügen  mochte,  die  die  romanische  Kunst  als  Ge- 
genstand einer  besondem  Formentwicklung  zahlreich  angefertigt  hatte.    Da  in  der 
romanischen  Periode  der  Altar  meist,  was  den  Au&atz  „retable^  betrifft,  sehr  ein- 
fach und  niedrig  construirt  war,  so  leuchtet  es  ein,   dass  man  in   dieser  Epoche 
auf  die  Leuchter,  die  man  gleichsam  als  Ornamente  auf  die  „predella^'  des  Altares 
stellte,  einen  grossem  Formreichthum  verwandte.     Im  XIV.  und  XV.  Jalirhundert 
jedoch  nahm  der  häufig  auf  der  „mensa'*  des  Altars  befindliche  Aufsatz  grössere  Di- 
mensionen an,  und  verbanden  sich  zwei  Künste,  Malerei  und  Sculptur,  um  dieses 
Centmm  der  Kirche,  die  Opferstätte,  würdig  imd  möglichst  glanzvoll  auszustatten. 
An  diesen  reicheren  Altären  der  Gothik  wirkten  Leuchter  sehr  störend,  sobald  sie 
in  grösserer  Formentwicklung  als  Hauptsache  ftir  sich  allein  auf  der  Leuchterbank 
des  Altares  gesehen  zu  werden  beanspmchten.    Damit  nun  die  Leuchter  den  dar 
huiter  befindlichen  kunstreich  ausgestatteten  Altaraufsatz  mit  seinen  vielen  bemal- 
ten  und  sculptirten  Omamenten  nicht  in  Schatten  stellten,   oder  unpassend   ver- 
deckten, gestattete  die  Gothik  den  Leuchtem  keine  weiteren  Formentwickelungen, 
gestaltete  sie  möglichst  einfach  mid  vergönnte  ihnen  auch  nur  eine  massige  Höhen- 
dimension, so  dass  sie  in  der  Kegel  nicht  über  den  Untersatz  f^predetla^  des  Altar 
res  herüberragen  durften.    Diese  niedrige  Form  wurde  ihnen  auch  wohl  deswegen 
gegeben ,  damit  beim  Oeffnen  und  Schliessen  der  Altarflügel  diese  Lichtträger  nicht 
von  der  Lichterbank  entfernt,  sondem  die  darauf  befindlichen  Wachskerzen  nur  eben 
hemntergenommen  zu  werden  brauchten.    Diese  kleinen  gothischen  Altarleuchter, 
aus  Ringen  und  Knäufen  gebildet,  vne  sich  dieselben  in  verwandter  Form  noch  sehr 
häufig  in  rheinischen  Kirchen  befinden,  wurden  meistens  von  den  Gelbgiessem  Kölns 
angefertigt    Grössere  Lichthalter,  die  als  Standleuchter  im  Chore  neben  dem  Altare 
aufgestellt  wurden ,  pflegten  mit  mehr  Formenflüle  in  den  im  Mittelalter  berühmten 
Gusswerkstätten  Belgiens  und  namentlich  zu  Dinant  und  Mästricht  angefertigt  zu 
werden ;  daher  auch  für  grössere  religiöse  Gusswerke  des  Mittelalters  die  Bezeich- 
nung ^dtnanderie.^     Hinsichtlich  dieser  grossen  Gereostaten,  die  vor  der  Revolu- 
tion  den  Presbj'tericn   verschiedener  Kirchen  Kölns   als  »Kunstwerke   des  Gusses 
zur  Zierde  gereichten,  heben  wir  hier  noch  hervor,  dass  bis  in  die  achtziger  Jahre  des 
vorigen  Jahrhunderts  im  Hochchore  des  Kölner  Domes,  einer  mündlichen  Tradition 
älterer  Leute  zufolge,  sich  vier  grössere  kunstreich  gegossene  Lichthalter  befanden 
in  Form  von  Chembinen,   die  auf  einem  messingenen  üntersockel  als  Schaft  auf- 
recht standen  und  grössere  Kerzen  trugen.     Als  unglücklicher  Weise  im  vorigen 
Jalirhundert  bei  dem  vollständigen  Verschwinden   der  Kenntniss  und  des  Inter- 
esses fllr  die  schöneren  Formen  des  Mittelalters  auch  der  ursprüngliche  Hochaltar 
im   modernen   Neuerungseifer    abgerissen    und   der  heutige   stylwidrige  Marmor- 
Altar  mit  seinen  unschönen  italienisirenden  Formen  als  Hauptaltar  an  die  Stelle 
des  zerstörten  aufgerichtet   wurde,  wollten  die  ebengedachten  Meisterwerke   des 
Gusses,  diese  vier  grossen  Engel  als  Lichtträger,  zu  der  neugeschafienen  modernen 
Herrlichkeit  wenig  mehr  passen.    Dieselben  Verschönerer  machten  daher  mit  die- 
sen stattlichen  Gusswerken  einfachen  Process,  Hessen  sie  leider  auf  die  Schmebse 


ItARIA-HIHMELFAHRTS-KIRCHG.  9 

bringen  und  statt  derselben  jene  unförmigen  vier  colossalen  Leuchter  in  den  aus- 
gebildetsten Formen  des  Zopfstyles  anfertigen,  wie  sie  heute  noch  dem  innem 
Hochchor,  unmittelbar  vor  dem  Hochaltar  aufgestellt,  gewiss  nicht  zur  Empfehlung 
und  zum  Schmucke  gereichen. 

Hoffentlich  ist  die  Zeit  nicht  so  fem,  in  welcher  nicht  nur  der  einfache  pri- 
mitive Hauptaltar,  wie  die  herrliche  Architektur  des  Domes  ihn  mit  Nothwendig- 
keit  erfordert,  mit  Beseitigung  der  missverstandenen  Formen  des  heutigen  Marmor- 
baues, wieder  aufgestellt  werden  wird,  sondern  auch  die  ebengedachten  unpas- 
senden Leuchter  des  vorigenJahrhunderts  beseitigt,  und  mit  den  Formen  des  neuen 
styl-  und  kunstgerechten  Hochaltares  wieder  in  formverwandte  Harmonie  gebracht 
werden  dürften. 


14. 

Messkeleh, 

silbervergoldet. 

XV.  Jahrhundert.    Höhe  19  Centimeter  7  Milimeter;   Durchmesser  der  Kuppe    10  Centimeter  4  Mili- 

'  Dieter;  Durchmesser  des  Fusses  15  Centimeter. 

Dieser  einfache  Messkelch  in  schönen  proportionirten  Verhältnissen  gehört 
zu  den  wenigen  altdeutschen  Messkelchen,  die  sich  in  einiger  Entwicke- 
lung  der  Form  aus  dem  verschlingenden  Sturme  der  Revolution  zu  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  haben.  Einzelne  ältere  Schatzverzeich- 
nisse verschiedener  Kirchen  Kölns  geben  Aufschluss  über  die  grosse  Zahl  von 
Messkelchen  und  die  reiche  Formation,  wodurch  sich  diese  hervorragenden  litur- 
gischen Getässe  in  den  hiesigen  Sakristeien,  angefertigt  von  bedeutenden  Mei- 
stern der  altkölnischen  Goldschmiedezunft,  vor  den  übrigen  Geräthen  auszeichne- 
ten. Leider  findet  sich  heute  kein  Exemplar  eines  solchen  Prachtkelches  aus  der 
gothischen  Kunstepoche  mehr  in  den  kölnischen  Sacristeien  vor,  das  auch  nur 
einigen  Aufschluss  gäbe,  in  welcher  Form  und  in  welcher  Technik  diese  reicheren 
yycalices  festales^  angefertigt  worden  seien.  Der  vorliegende  Kelch  empfiehlt  sich 
mehr  durch  seine  einfachen  schönen  Verhältnisse,  als  durch  den  Keichthum  seiner 
Formen.  Der  Fuss  desselben  (pedale)  gibt  sich  zu  erkennen  als  eine  Rose  von 
sechs  tief  eingeschnittenen  Blättern.  Ueber  dem  breiten,  platten  Fussrande  erhebt 
sich  ein  schmaler  Rand,  der  bloss  eingetriebene,  nicht  durchbrochene  Vierpassfor- 
men zeigt.  Die  Blätter  des  Fusses  steigen,  ziemlich  tief  ausgerundet,  nach  oben 
spitz  an,  und  bilden  am  Halse  des  Fusses  vertiefte  dreieckige  Einschnitte.  Auf 
diesem  schlank  sich  erhebenden  Halse  hat  der  Künstler  einen  architektonisch  im 
Sechseck  mit  Widerlagen  umgebenen  Sockel  angebracht,  auf  welchem  sich  eine 
gleichfalls  sechseckige  Röhre  (ßstula)  erhebt,  die  auf  ihren  Seiten  mit  omamen- 
talen Gravirungen  verziert  ist.     Der  Knauf  (pomum,  nodus)  ist  ebenfalls   sechs- 


10  MARIA-HDOfELFAHRTft-KIRCHE. 

theilig  gehalten,  und  ist  mit  sechs  hervorstehenden  Pasten  umstellt,  die  auf  ihrer 
äusseren  Plattfläx^he  mit  einem  in  Belief  ausgearbeiteten  Blattomamente  verziert 
sind«  Zwischen  diesen  scharf  hervortretenden  Pasten  hat  der  Goldschmied  wie 
gewöhnlich  eine  Art  von  Fensterstellungen  mit  Maasswerk  angebracht,  das  nicht 
wie  bei  den  meisten  andern  Kelchen  dieser  Art  ä  jaur  durchbrochen  ist.  lieber 
diesem  zweckmässig  construirten  Knauf,  dessen  scharfe  Ecken  vom  Künstler  abge* 
rundet  worden  sind,  damit  sie  bei  dem  Gebrauche  des  Gefässes  nicht  verletzen, 
erhebt  sich  eine  zweite  sechseckige  Bohre  von  derselben  Höhe,  wie  die  untere,  die 
oben  mit  einem  runden  einfach  ausgezackten  Deckblatte  belegt  ist,  worin  die  obere 
Trinkschale  des  Kelches  eingreift.  Diese  Trinkschale  (cuppa)  zeigt  eine  geiällige 
Form,  ist  nach  unten  eiförmig  zugespitzt,  und  steigt  nicht  geradlinigt  nach  oben 
an,  wie  bei  vielen  gothischen  Kelchen  der  Fall  ist,  sondern  hat  hier  eine  kleine 
Ausbauchung.  Den  äusseren  Formen  nach  zu  urtheilen,  wttrde  man  diesen  Kelch 
seiner  ganzen  Beschaffenheit  nach  dem  Schlüsse  des  XV.  Jahrhunderts  zuweisen. 
Diese  Annahme  findet  nun  ihre  Bewahrheitung  auch  durch  eine  kleine  Inschrift  rück- 
wärts auf  dem  Innern  Theile  des  Fusses,  deren  Lesung  wir  mit  einiger  Mtthe  fest- 
gestellt haben,  wie  folgt:  Anno  Domini  1495*"  mens,  Februarü,  Nicolas  Presbyter, 
cuius  anima  requiescat  in  pace;  orate  pro  eo» 

Durch  diese  Inschrift  wird  unseres  Dafürhaltens  nach  angedeutet,  dass  in  dem 
ebenbezeichneten  Jahr  der  Priester  Nicolas  gestorben  sei,  der  diesen  Kelch  viel- 
leicht testamentarisch  der  Kirche  zum  Geschenk  vermacht  haben  mochte.  Unserer 
Vermuthung  nach  dürfte  also  dieser  Kelch  entweder  einige  Jahre  früher  für 
den  Privat-Gebrauch  dieses  Geistlichen  angefertigt  worden  sein,  und  erklärte 
sich  auch  so  die  unorganische  Aufbeftung  der  eben  bezeichneten  Inschrift  in  go- 
thischen Minuskeln  auf  der  innem  Fläche  des  Fusses  vermittelst  eines  aufgelö- 
theten  silbernen  Schildchens,  oder  derselbe  ist  aus  einem  Theile  des  Nach- 
lasses des  Geschenkgebers  gleich  nach  seinem  Tode  angefertigt  worden.  Noch 
fügen  wir  hinzu,  dass  sich  auf  dem  einen  Theile  des  Fusses  als  „signacnlum^  ein 
gothisch  reich  verziertes  Kreuz  von  einem  runden  Medaillon  eingefasst,  befindet, 
das  in  kräftiger  Gravirung  ausgeführt  worden  ist  Einer  altem  Vorschrift  gemäss 
bezeichnet  nämlich  dieses  Kreuz,  das  die  Goldschmiede  der  letzten  Jahre  aus  Un* 
kenntniss  vielfach  anzubringen  vernachlässigten,  jene  Stelle,  wo  der  Priester  bei 
der  h.  Messe  die  vorgeschriebenen  Segnungen  vornimmt,  vornehmlich  aber  auch 
jene  Stelle,  bei  welcher  der  Gelebrans  bei  der  Communion  die  „sumptio  ss.  sangui- 
nis^ vorzunehmen  hat,  damit  er  auch  an  derselben  Stelle  gleich  darauf  die  Ablu- 
tionen  vollziehe.  Zu  diesem  Kelche  gehört  heute  ein  interessantes  Kelchschttsselchen 
„patena.^  Wie  bei  allen  altem  Patenen  zeigt  sich  auch  an  der  vorliegenden  nach 
einem  breiten  Bande  eine  tellerförmige  Vertiefung,  die  in  ihrem  Tiefgrunde  in 
getriebener  Arbeit  eine  Kleeblattform  zum  Vorschein  treten  lässt.  Der  äussere 
breite  Band  ist  an  einer  Stelle  auch  mit  einem  eingravirten  Kreuze  (signaculum) 
versehen,  wodurch  ebenfalls  die  Stelle  bezeichnet  werden  soll,  wo  der  Priester 
jedesmal  beim  Gebrauch  die  Patene  anzufassen. habe. 

Die  schönsten  und  reichsten  altem  Messkelche  aus   der  gothischen  Kunst^ 


MABIA-HIUlfELFAHBTS^KIRCHE.  1 1 

periode  fimden  wir  auf  längern  Beisen  in  der  Minderbriiderkirclie  zu  Braunschweig, 
in  der  katholischen  Pfarrkirche  zu  Wesel,  in  dem  Schalze  der  Schlosscapelle  zu 
Harienburg  iPreussen),  im  Schatze  des  Domes  zu  GTran  und  in  dem  ungarischen 
Nationalmuseum  zu  Pestb.  Auch  der  Domschatz  zu  Mainz  hat  noch  einen  äusserst 
reichen  Prachtkelch  mit  Email  rerziert  aufzuweisen ,  desgleichen  der  Dom  zu  Os- 
nabrtlck.  So  findet  sich  auch  in  der  reichhaltigen  Privatsammlung  mittelalterlicher 
Kunstschätze  Sr.  Hoheit  des  Fürsten  Carl  Anton  von  HohenzoOem-Sigmaringen 
ein  reich  ausgestatteter  gothischer  y^calix  epücopaUs^  vor,  der  mit  den  beiden 
ebengedachten  Kelchen  zu  Mainz  und  Osnabrück  grosse  Aehnlichkeit  hat. 


15. 

Hesskeleh, 

silbervergoldet. 

XV.  Jahrhundert     Htthe  19  Centineter  2  Milimeter.    Dnrehmeaser  der  Kuppel  11  Gentimeter.     Tiefe 
der  Kuppel  7  Centimeter  8  Milimeter.    Durchmesaer  des  Fuues  15  Centimeter  2  Milimeter. 

Der  vorliegende  sehr  einfache  Messkelch  ist  von  bester  Wirkung  durch 
seine  wohlgeordneten  Verhä||pisse.  Der  Fuss  desselben  ist  nicht  sechstheilig,  son- 
dern, was  seltener  vorkonunt,  achttheilig  angelegt,  in  Form  einer  achttheiligen 
Rose.  Auf  dem  einen  Ausschnitte  des  Pedales  ist  in  gelungener  Gravirung  als 
„iignaeubtm^  ein  Malteserkreuz  angebracht,  durch  Ciricelschläge  und  gothische 
Maasswerkformen  gebildet.  Neben  diesem  Kreuz-Medaillon  erblickt  man  in  Spruch- 
bändern gravirt  folgende  Inschrift:  ^fRaymundus  Pandt  me  feeit  fieri.^  Wahr- 
scheinlich der  Name  eines  GreistUchen,  der  diesen  Kelch  fttr  seinen  eignen  Ge- 
brauch, wie  das  im  Mittelalter  häufig  der  Fall  war,  anfertigen  liess  und  denselben 
testamentarisch  bei  seinem  Tode  einer  Kirche  als  Geschenk  überwies.  Auch  der 
Stiel  (ßstula)  des  Kelches  ohne  Gravuren  ist  im  Achteck  angelegt  Nur  der  „nodus" 
ist  sechstheilig  gehalten  und  durch  sechs  hervorspringende  Pasten  verziert,  in  deren 
Tiefgnmd  sich  vertiefte  ausgestochene  Füllungen  zeigen,  die,  wie  es  den  Anschein 
hat,  mit  blauem,  durchsichtigem  Email  ehemals  überzogen  waren.  —  Die  meisten 
einfiftchem  Kelche  für  den  y^usus  guotidianus,^  wie  sie  im  XIV.  und  XV.  Jahrb. 
angefertigt  zu  werden  pflegten,  haben  in  der  Regel  eine  Höhe  von  1 7 — 22  Centimeter, 
und  steigt  die  Kuppe  derselben  fast  geradlinigt  an  mit  nur  schwacher  Ausbauchung, 
wie  dieses  die  vorliegende  nach  photographischer  Aufiiahme  copirte  Abbildung 
unter  Nr.  1 5  veranschaulicht  Unseres  Erachtens  nach  hat  man  in  der  spät  gothi- 
schen  Periode  der  Trinkschale  des  Kelches  diesen,  wir  möchten  fast  sagen,  archi- 
tectonischen  Schnitt  gegeben*),  damit  der  Priester  nach  der  Communion  die  zwei- 


*)  Bei  heutigen  Compositionen  tou   neuen  Kelchen  in  gothiachem  Style   wird   meistens   dieser 
Aufriss  der  Kuppe,  der,  fiut  geradlinigt  aufsteigend  mit  weniger  Ausladung  tou  bester  Wirkung  ist, 


12  MAEIA-HIMMELFAHRTS-KIBCHE. 

malige  „ablutio^  leicht  vermittelst  einer  kleinen  Bewegung  und  Schwenkung  yor- 
uehmen  kann.  Lst  die  Trinkschale  des  Kelches  hingegen  von  der  unschönen 
wellenförmigen  Äusbiegung,  *wie  die  Renaissance  und  der  spätere  Zopfsiyl  mit 
einem  starken,  ausladenden  Bande  dieselbe  ausgebildet  hat,  so  lassen  sich  die 
vorgeschriebenen  Ausspülungen  nur  unbequem  vornehmen,  indem  eine  starke  Bewe- 
gung und  Schwenkung  nicht  leicht  die  j^ablutio^  bis  an  den  obem  Rand  ansteigen 
lässt.  Wie  die  Renaissance  den  äussern  Schnitt  der  Kuppe  unvortheilhaft  und 
imbequem  im  Gegensatze  zu  dem  der  Gothik  umzugestalten  sich  herausgenommen 
hat,  so  hat  sie  auch  ohne  Noth  die  Schuld  auf  sich  geladen,  dass  sie,  mit  Um- 
gehung der  traditionellen  Höhe,  die  Messkelche  hochbeiniger  gestaltet  hat  Längere 
Nachforschungen  sowie  sorgfaltige  Ausmessungen  einer  grossen  Anzahl  älterer 
Kelche  in  Italien,  Deutschland  und  Frankreich  haben  uns  zu  der  Annahme  geflihrty 
dass  die  Höhe  der  Kelche  fast  nach  einem  bestimmten,  feststehenden  Gesetze  in 
den  gedachten  Ländern  im  Mittelalter  gleichmässig  eingehalten  worden  ist,  und 
dass  dieselbe  die  obengedachte  Dimension  selten  übersteigt  Es  hat  uns  scheinen 
wollen,  als  ob  man  im  Mittelalter  diese  feststehend  überlieferte  Dimension  aus  mehre- 
ren wichtigen  Gründen  unverrückt  beizubehalten  sich  veranlasst  sah.  Hat  nämlich 
der  Kelch  die  eben  gedachte  massige  Höhe,  so  läuft  er,  wenn  die  Kuppe  dem 
breiten  Fussgestell  näher  liegt,  nicht  so  sehr  Gefahr,  bei  einem  leichten  Anstossen 
an  die  Trinkschale  das  Gleichgewicht  zu  verlieren  und  umzufallen,  wie  wenn  der- 
selbe höher  gestaltet  ist,  und  die  Trinkschale  weiter  fpn  dem  Fusse  entfernt  liegt 
Auch  lassen  sich  offenbar  die  vorgeschriebenen  Segnungen  über  dem  Kelche  leichter 
ausführen,  wenn  derselbe  eine  massige  Höhe  hat,  als  wenn  er  eine  solche  Aus- 
dehnung einnimmt,  wie  sie  durch  die  Renaissance  herbeigeführt  worden  ist  Fer- 
ner kann  der  Priester  auch  jene  Gebete  von  der  hinter  dem  Kelche  aufgestellten 
Canontafel  viel  bequemer  lesen,  wenn  derselbe  niedrig  gehalten  ist,  als  wenn  er 
die  heutige  sehr  unzweckmässige  Höhenausdehnung  hat,  zumal  er  einige  dieser  Gebete 
in  gebeugter  Stellung  verrichten  muss.  Endlich  machen  wir  noch  darauf  aufmerksam, 
dass  das  Kelchtuch  ^velum,^  das  heute  doch  meistens  auf  ein  sehr  beschränktes  Mini- 
nmm  von  Ausdehnung  gebracht  worden  ist,  würdiger  und  faltenreicher  beimZudeckenf 
den  Kelch  verhüllt,  wenn  derselbe  niedriger  ist,  als  wenn  er  in  beträchtlicher  Höhe 
ansteigt  Wir  glauben,  dass  es  der  spätem  Forschung  gelingen  dürfte  nach  Ver- 
gleich und  Ausmessung  einer  grossen  Zahl  von  heute  noch  vorfindlichen  gothischen 
Messkelchen,  die  stetigen  Gesetze  ausfindig  zu  machen  und  genau  festzustellen, 
die  ohne  Zweifel  bei  Anfertigung  derselben  von  den  Meistern  der  Goldschmiede- 
kunst namentlich  in  Bezug  auf  die  richtigen  Dimensionen  der  einzelnen  Haupt- 
bestandtheile  traditionell  beibehalten  und  in  Anwendung  gebracht  wurden. 


Tcrfehlt  und  geht  damit  das  eigcnthUmlich  EchOne  Profil  der  altgothischen  Keloho  meistens  verloren. 
Es  dauert  in  der  Regel  lange,  ehe  der  Componist,  sowie  der  ausAihrende  Goldschmiedemeistcr  mit 
sicherer,  kundiger  Hand  der  Trinkschale  des  Kelches,  vorauf  Vieles  ankommt,  den  i echten,  strengen 
Zuschnitt  zu  geben  versteht. 


MAmA-KTMMWT.FAHBTfihKIRCHE.  1 3 

Hinsichtlich  des  ehemaligen  und  theilweise  heute  noch  vorfindlichen  Schatzes 
an  kostbaren  Gefässen  in  der  vormaligen  Jesuitenkirche  mag  hier  schliesslich 
noch  einige  allgemeine  Bemerkungen  hinzuzuftigen  erlaubt  sein. 

Die  grossartige,  schaffende  Thätigkeit  des  Ordens  der  Gresellschaft  Jesu  auf 
dem  Gebiete  der  Kunst  fiel  mit  Bezug  auf  den  kirchlichen  Charakter  der  auszu- 
führenden Formen  in  eine  ungünstige  Zeit,  in  welcher  die  geflQligeren  Bildungen 
des  neu  aufgekommenen  Styles  mit  den  ernstem,  aber  vielfach  bereits  ausgearte- 
ten Formen  der  alten  ererbten  Weise  im  harten  Kampfe  um  Sein  oder  Nichtsein 
begriffen  waren.  So  begann  auch  der  Jesuitenorden  in  KOln  seinen  umfangreichen 
Kirchbau  auszuftlhren  zu  einer  Zeit,  als  die  aus  Italien  und  Frankreich  auch  an 
den  Bhein  verpflanzte  neue  classische  Kunstweise  die  viel  gepriesene  Benais- 
sance,  sich  mit  Verdrängung  der  lang  geübten  heimathlichen  Kunstformen  auszu- 
dehnen begann.  Obschon  der  Jesuitenorden  auf  theologischem  Felde  ftlr  die 
Wahrheit  und  ungetheilte  Anerkennung  der  altkatholischen  traditionellen  Dogmen, 
wie  sie  Jahrhunderte  hindurch  die  Kirche  unversehrt  bewahrt  hatte,  als  muthiger 
und  gewandter  Kämpfer  auftrat  und  so  der  Kirche  grosse  Dienste  erwies;  so  erach- 
teten es  die  Väter  der  Gesellschaft  Jesu  doch  nicht  als  ihre  Aufgabe  auch  gegen 
die  herrschende  Kunstströmung  der  Zeit  au&utreten,  und  auch  auf  dem  Gebiete 
der  Kunst  ihren  ganzen  Einfluss  mit  aller  Kraft  dahin  geltend  zu  machen,  dass 
die  neu  aufgewärmten  heidnischen,  d.  h.  altgriechischen  und  römischen  Formen, 
wie  sie  der  moderne  Zeitgeist  wollte,  als  dem  Wesen  der  Kirche  nicht  entsprechend, 
wenigstens  von  dem  Altare  und  aus  dem  Tempel  femgehalten  wtlrden.  Der  Orden 
schien  damals  nicht  zu  ahnen,  dass  mit  Hingabe  der  überlieferten  heimathlichen 
Kunstformen,  die  vom  specifisch  christlichen  Geiste  gross  gezogen  und  getragen  wur- 
den, und  mit  der  Einführung  der  neu  wieder  zu  einem  Scheinleben  erweckten  grä- 
cisirenden  Formenwelt  auch  ein  ziemlicher  Theil  von  dem  altclassischen,  d.  h.  heid- 
nischen Geiste,  so  wie  auf  dem  Gebiete  der  Literatur  desgleichen  auch  in  dem  Be- 
reiche der  Architektur  und  der  übrigen  bildenden  Künste  allmählich  miteingebürgert 
vnirde.  Leider  zeigen  daher  alle  Jesuitenbauten  das  Gepräge  jener  hochtrabenden 
Kunstformen,  wie  sie  von  den  sogenannten  „Ginquecentisten^*  in  Italien  und  den 
„Humanisten^'  in  Deutschland  und  Frankreich  als  die  schöneren  Formen  eines  auf- 
geklärten und  gelehrten  Jahrhunderts  gepriesen  und  allmählich  eingeführt  wurden.  *) 

Wir  haben  also  auch  in  dem  Schatze  der  Jesuitenkirche  zu  Köln,  da  die 
Goldschmiedekunst  und  Paramentik  der  zweiten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts, 
(wohin    der   Bau   der   Kirche    zu   versetzen   ist),    sich    den    Gesetzen   der   Ar- 


*)  Von  den  Tielen  Jesuitenkirchen ,  fast  alle  in  grosser  üebereinstimmung  und  Formenverwandt- 
schaft gebaut,  wie  wir  sie  auf  längeren  Reisen  in  Augenschein  zu  nehmen  Gelegenheit  hatten,  zeichnet 
sich  das  hiesige  grossartige  Bauwerk  dadurch  vortheilhafb  aus,  dass  namentlich  im  Innern  noch  mit 
einer  gewissen  ZiUiigkeit  die  Formbildungen  der  altdeutschen  Bauordnung  beibehalten  wurden,  währeild 
an  der  äussern  Fa^ade  die  spielenden  und  leichten  Formen  der  Renaissance  mit  der  ernsten  Gothik 
unschön  und  missverstanden  in  störende  Verbindung  gesetzt  worden  sind.  Die  Jesuitenkirche  in  Köln 
ist,  namentlich  was  die  innem  oonstructiven  Theile  betrifft,  als  das  letzte  unbewusste  Wiederaufleben 
der  antiquirten  Formen  der  Gothik  unmittelbar  vor  ihrem  gänzlichen  Untergange  am  Rheine  zu  be- 
trachten. 


14  ICABIA-HIMMBLFAHRTS-KmGHB. 

ehitektur  des  Tages  unterordnete,  keineswegs  Kunstwerke  zu  suchen ,  die  den 
Stempel  der  altem  heimatUichen  Eunstweise  an  sich  tragen,  d.  h.  aus  der  gothi- 
sehen  oder  romanischen  Kunstepoche  herrtlhren.  De»3wegen  ist  ana&unehmen,  das« 
alle  ReUquiengefässe,  die  Gelenius  bei  Beschreibung  der  Schätze  der  in  Rede  stehen- 
den Kirche  aufzählt,  in  den  modernen  Formen  des  damals  herrschenden  Renaissance- 
Styles  ausgeführt  waren.  Viele  derselben  haben  sieh  heute  noch  in  der  Sakristei 
der  gedachten  Kirche  erhalten,  deren  Beschreibung  wir  gerne  andern  überlassen« 
da  wir  in  dem  voiüegenden  Werke  uns  ausschliesslich  mit  der  Au&ählung  und 
Abbildung  der  noch  restirenden  Kirchenschätze  Kölns  beschäftigen,  insofern  sie 
ein  mittelalterliches  Formengepräge  haben.  Die  vorher  besprochenen  wenigen  Ge- 
räthschafken  im  gothischen  Style,  die  sich  heute  noch  in  der  Jesnit^ikirche  befin- 
den, bestanden  sämmtlich  schon,  ehe  der  Bau  der  heutigen  Kirche  begonnen 
wurde,  und  sind  ohne  Zweifel  Geschenke  von  Seiten  anderer  Kirchen  Kölns  und 
frommer  Wohlthäter,  die  dem  Orden  ttbergeben  wurden,  als  im  Jahre  1629  nach 
einem  wenige  Jahre  vorher  erfolgten  Brande  die  vollendete  Kirche  fttr  den 
Gottesdienst  eröffiiet  wurde. 

Möglich  ist  es  aber  auch,  dass  die  auf  Tafel  HL  abgebildeten  altdeutschen 
Gefdsse  der  hiesigen  Jesuitenkirche  erst  in  neuerer  Zeit  in  die  Sakristei  derselben 
gdangtcfn,  als  die  ehemalige  Ordenskirche  Anfangs  dieses  Jahrhunderts  zu  einer 
Pfiurrkirche  umgestaltet  wurde. 


^n«  S'OTnltrpflai. 


^t  ^{nbrcaö 


Mittelalterliche  Eonstgegenst&nde  daselbst. 

Seite 

1 6)  Vier  Medaillons  mit  gestickten  figuralcn  Darstellungen,  XV.  Jahrh.    Tafel  IV.  Fig.  1 6  3 

17  und    IS)  Zwei  Siegel  in  Messing  gestochen,  XIII.  Jahrlnindcrl.     Taf.  IV.  Fig.  17u.  IS  5 

19)  Messkelch,  silhervergoldet ,   XV.  Jahrhundert.     Taf.  IV.  Fig.  19 7 

20)  Reliquiengeßlss  mit  Krystallcylinder.  XIV.  Jahrhundert,  Taf.  IV.  Fig.  20 9 

21)  Reliquiarium,  messing  vergoldet,  XV.  Jahrhundert.     Taf.  IV.  Fig.  21 II 

22)  Reliquienkiistchcn  aus  einem  beinartigen  Material,  XII.  Jahrhundert.     Taf.  IV.  Fig.  22  .  1.3 

23)  Reliquienschrein  der  siehen  machabäischen  Brüder,  XV.  Jahrhundert.     Taf.  V.  Fig.  23  1 5 
Ehemaliger  Schatz  von  St.  Andreas 25 


16. 

Vier 


in  Plattstich  gestickt,  darstellend:  Scenen  aus  der  Lebensgescliichtc  des 

heiligen  Hubertus. 

Mitte  des  XV.  Jahrhunderts.     Durchmesser  40  Gentimeter. 

Von  kunstreichen  Nadelmalereien,  wie  sie,  von  der  Zunft  der  Bild- 
sticker  des  alten  Kölns  angefertigt,  ehemals  häufig  auf  Falraen  und  Vorhän- 
gen als  grössere  Medaillons  ersichtlich  waren,  haben  sich  heute  verhältnissmässig 
nur  sehr  wenige  erhalten.  Die  ebenbezeichneten  Nadelmalereien,  welche  sich  nocli 
in  der  Sacristei  von  S.  Andreas  vorfinden,  können  unzweifelhaft  als  das  Aus- 
gezeichnetste betrachtet  werden,  was  in  Köln  in  grösserem  Maasstabe  gegen 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  die  Bildstickerei  hervorgebracht  hat;  zugleich  dienen 
die  vorliegenden  grossen  Medaillons  zum  Belege,  dass  die  Stickerei  in  der  letzten 
Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  ebenbürtig  mit  der  Malerei  den  Wettkampf  aufneh- 
men konnte,  und  in  vielen  Fällen  für  gewisse  Zwecke  die  Malerei  bedeutend  hinter 
sich  zurückliess.  Die  vorliegenden  Bildstickereien,  mit  grosser  Meisterschaft,  was 
das  Technische  betrifft,  ausgetührt,  sind  zweifelsohne  von  einem  bedeutenden 
Maler  der  damaligen  Zeit  wahrscheinlich  in  Farbenskizze  angefertigt  worden  und 
sind  alsdann,  wie  es  uns  scheinen  will,  vom  Maler  selbst  mit  fester  sicherer  Hand 
alle  Conturen  auf  die  grobe  Leinwand  als  Unterlage  fllr  die  Stickerei ,  hingezeich- 
net worden. 

Die  Composition  ist,  was  anatomisch  richtige  Behandlung  der  Körperformen 
betrifft,  in  sämmtlidien  Darstellungen  äusserst  edel  und  sind  sämmtliche  Gewand- 
parthien  mit  grosser  Sorgfalt  ohne  stylistische  Steifheiten  und  Härten  durchgeführt. 

In  Hinsicht  der  treflTIichen  technischen  Ausführung  muss  gesagt  werden,  dass 
sämmtliche  Incarnationstheile  so  wie  die  Untergewänder  in  einem  ruhigen  regel- 
mässigen Plattstich  mit  feiner  Flachseide  von  einem  geübten  Bildsticker,  wel- 
cher seinem  Kunstwerk  eine  grosse  Vollendung  der  Formen  zu  geben  wusste, 
ausgeführt  worden  sind.  Alle  faltenreichen  Obergevvänder  sind  in  dichten  Gold- 
fäden, zu  2  und  2  nebeneinander  verbunden,  so  zur  Darstellung  gebracht,  dass 


l  ST.    ANDKEAS. 

alle  Schattiningen  in  dunkleren  Tönen  von  feiner  Haarseide  Über  diesem  Goldfond 
angedeutet  und  durelig;efUlirt  worden  sind. 

Wie  schon  oben  bemerkt,  werden  in  diesen  fünf  Medaillons  die  Haupt- 
begebenheiten  aus  dem  Leben  des  h.  Hubertus,  dessen  Andenken  die  Kirche 
bekanntlich  am  3.  November  feiert,  kunstreich  zur  Anschauung  gebracht  Auf  dem 
ersten  dieser  Medaillons  erblickt  man  die  wunderbare  Bekehrung  des  gedach- 
ten Heiligen,  wie  ihm  nämlich  auf  der  Jagd  der  Hirsch  erscheint,  der  zwi- 
schen dem  Geweih  das  Bild  des  Gekreuzigten  trägt.  Auf  dem  zweiten  Me- 
daillon ist  die  Scene,  wie  der  Neubekehrte  von  Hause  und  den  Seinigen 
als  Pilger  Abschied  nimmt  und  seine  Güter^  unter  die  Armen  vertheilen  lässt,  aufs 
kunstreichste  in  Stickerei  vorgeführt.  Auf  dem  dritten  Medaillon  wrd  dem  Hei- 
ligen die  Erscheinung  des  Engels,  der  ihm  andeutet,  was  er  in  nächster  Zukunft 
beginnen  soll.  Auf  dem  vierten  Medaillon  erblickt  man  den  h,  Hubert,  wie  er 
als  Pilger  in  Rom  angekommen  ist  und  beim  Papste  eine  gnädige  Aufnahme  findet. 
Das  fünfte  und  letzte  Medaillon  endlich  stellt  den  Heiligen  dar,  >vic  er  die  höhe- 
ren Weihen  empftingt  und  zum  Bischof  consecrirt  wird. 

Es  ist  schwer  zu  bestimmen,  welchem  Medaillon  man,  hinsichtlich  seiner  Coni- 
position  und  technischen  Ausführung  bei  den  vielen  Vorzügen  eines  jeden  einzel- 
nen derscll)en,  den  Vorzug  geben  soll.  Uns  hat  es  scheinen  wollen,  als  ob 
dass  eine  Medaillon,  welches  >vir  im  verkleinerten  Maasstabe  im  Bilde  wiederge- 
geben haben,  nicht  nur  hinsichtlich  seiner  Composition,  sondern  auch  deswegen 
eine  besondere  Beachtung  verdiene,  weil  auf  demselben  der  Bildsticker  die  En- 
gelsburg mit  der  dabei  befindlichen  Tiberbrücke  dargestellt  hat,  zugleich  aber  auch 
das  Bild  des  Papstes  umgeben  von  Cardinälen  und  Bischöfen,  die  sämmtlich  mit 
reichen  liturgischen  Gewändern  bekleidet  sind,  welche  über  Form  und  Omamcn- 
tation  der  päi)stlichen  und  Cardinais-Gewänder  des  XV.  Jalirhunderts  gewünschten 
Aufschluss  geben.  Einer  ziemlich  verbürgten  Tradition  nach  rühren  diese  Bild- 
werke aus  der  früheren  Klosterkirche  der  Karthäuser  in  Köln  her  und  ist  es  wahr- 
scheinlich, dass  dieselben,  von  gestickten  Liiubornamentcn  umgeben,  einem  reichen 
Festtagsimtipendium  daselbst  zur  Zierde  gedient  haben  oder  aber  als  Medaillons 
von  Kiix'heufahneu  herrühren. 

Da  bekanntlich  die  Karthäuser  in  Köln  neben  dem  beschaulichen  Leben, 
wozu  sie  durch  ihre  Ordensregel  verpflichtet  wurden,  auch  verschiedene  Künste, 
namentlich  aber  die  Bildschnitzerei  und  Goldschmiedekunst,  als  Meister,  im  grös- 
sern Umfange  übten,  so  liegt  auch  die  Vermuthung  nahe,  dass  diese  pracht^oU 
gestickten  fünf  Medaillons  ebenfalls  von  der  kunstgetibtcn  Nadel  eines  Karthäuser- 
mönches in  Köln  herrühren.  Später  kamen  diese  merkwürdigen  Bildstickereien 
in  Privatbesitz  und  wurden  dieselben  durch  den  ehemaligen  Präsidenten  des  Kir- 
chenrathes  von  St.  Andreas:  Joh.  Bapt.  Farina,  (f  1844)  der  Sakristei  der  genann- 
ten Kirche  als  Geschenk  überwiesen. 


ST.   ANDKEAii.  5 


17  und  18. 

Zwei  Kirchensiegely 

in  Messing  gestochen. 

Das  grössere  stammend  aus  dem  Beginne  des  XIII.  Jahrhunderts,    das  kleinere  runde  Siegel  aus  dem 

Sehluas  des  XII.  Jahrhunderts. 

Unseres  Wissens  nach  haben  sich  heute,  da  die  meisten  grossem  Kirchen- 
siegel von  Silber  angefertigt  waren  und  durch  ihre  Schwere  zum  Einschmelzen 
mllkonimene  Veranlassung  boten ,  nur  sehr  wenige  Siegel  erhalten,  welche  von 
der  Vortrefflichkeit  der  Kunst  des  Siegelschneiders  im  alten  Köln  heute  noch 
Kunde  geben.  Dass  Köln  in  den  verschiedenen  Jahrhunderten  des  Mittelalters  in 
seinen  Mauern  tüchtige  Siegelstecher  aufzuweisen  hatte,  bezeugen  heute,  wo 
die  altem  Originalsiegel  meistens  abhanden  gekommen  sind,  noch  eine  Menge  von 
prachtvollen  Siegelabdrucken  in  rothem,  grünem  und  gelbem  Wachs,  wie  sie  sich 
in  Kirchen  und  städtischen  Archiven  noch  in  Menge  an  alten  Pergamenturkunden 
erhalten  haben.  Auch  J.  J.  Merlo  besitzt  einige  ältere  ausgezeichnete  Original- 
siegel, offenbar  köhiischcn  Ursprungs  und  haben  wir  von  dem  kunstsinnigen  Kenner 
der  Kölnischen  Localgeschichte  die  Zusage  erhalten,  diese  Originalsiegel  älterer 
hiesiger  Kirchen  in  einer  sjgätem  Liefemng  dieses  Werkes  abbilden  und  beschrei- 
ben zu  dürfen.  Vergleicht  man  die  vorliegenden  Siegelstücke  hinsichtlich  der  gross- 
artigen Composition  und  technisch  saubem,  äusserst  fleissigen  Ausführung,  so  muss 
man  im  Hinblick  auf  unsere  heutigen  meist  form-  und  werthlosen  Kirchensiegel  sich 
das  Geständniss  machen,  dass  das  Mittelalter  auch  anscheinend  kleinere  Kunstge- 
genstände von  geringerem  Belange  und  fbr  kirchliche  Nebenzwecke  angefertigt, 
mit  demselben  Fleisse  und  derselben  Pietät,  was  Composition  und  Ausführung 
betrifft,  zu  behandeln  gewohnt  war,  welche  es  gleichmässig  bei  der  Neuschaffung  von 
grossem  und  bedeutendem  Kunstgeräthschaften  und  Gefässen  überall  an  den 
Tag  legte. 

Das  grössere  dieser  beiden  Kirchensiegel,  deren  Wiederauffindung  der 
grossen  Sorg&lt  des  jetzigen  P&rrers  von  St  Andrea«  für  Erhaltung  alt- 
kirchlicher Kunstgegenstäude  zu  verdanken  ist,  nusst  in  seiner  grössten 
Länge  7  Centimeter  bei  einer  Breite  von  nur  57«  Centimeter  und  zeigt  die 
ältere  oblonge  Form  der  frühem  Kirchensiegel,  wie  sie  im  12,  und  13.  Jahr- 
hundert allgemein  als  grösseres  oder  Ceremoniensiegel  an  altern  Codicillen  noch 
heute  angetrofien  werden.  In  dem  inncrn  Medaillon  hat  der  Siegelstecher  mit 
grosser  tecluiischer  Meisterschaft  in  die  Metallfläche  das  Martyrium  des  Apostels 
Andreas  energisch  eingravirt.  Die  körperlichen  Formen  sind  mit  vieler  Natur- 
wabrheit  sehr  edel  gegeben,  auch  die  Darstellung  des  Kreuzestodes  des  cbenge- 
dachten  Apostels  ist  nicht  in  jener  drastischen,  schreckenerregenden  und  unwür- 
digen Weise  bildlich  veranschaulicht,  wie  das  die  naturalistische  Malerei  und 
Sculptur  in  den  Zeiten  Kul>ens  und  der  niederländischen  Meister  sich  zur  Aufgabe 


C  ST.  ANDREAS. 

machte,  um  in  der  Regel  Effect-Darstellimg  zu  erzielen,  die  die  Geübtheit  der 
KttnsÜer  damaliger  Zeit  in  der  schwierigen  Darstellung  des  Nackten  anschaulich  be- 
kundigen sollten.  Das  Martyrium,  die  Kreuzigung  des  Apostels  Andreas  ist  ähn- 
lich wie  die  des  Heilandes  selbst  dargestellt,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dasn 
der  Apostel  nicht  wie  der  Meister  am  Kreuze  angenagelt  sich  zeigt,  sondern  mit 
Stricken  an  den  Kreuzesbalken  angebunden  ist  Auch  ist  das  Andreaskreuz  nicht 
abgeplattet,  sondern  als  Baum  mit  runden  Balken  auf  dem  vorliegenden  Siegel 
abgebildet  Es  scheint,  nach  dem  ebenerwähnten  »Siegel  und  altem  Bildwerken 
zu  urtheilen,  dass  diese  Darstellung  des  Kreuzestodes  des  h.  Andreas  in  der  romar 
nischen  und  frühgothischen  Kunstepoche  gang  und  gäbe  waren,  und  dass  in  den 
Zeiten  der  Spätgothik  und  noch  mehr  in  den  Tagen  der  Renaissance  die  Kreuzi- 
gung dieses  Apostels,  ausgespannt  an  einem  Kreuze  (Andreaskreuz),  welches  bekannt- 
lich die  Form  eines  griechischen  X  hat,  häufiger  in  Aufiiahme  gekommen  ist  In 
den  4  I<k;kflächen ,  gebildet  durch  die  obenbeschriebene  Kreuzigung  hat  der  Kupfer- 
stecher in  spätromanischen  Msguskelschriften  folgendes  Legendarium  angebracht: 
yj Plus  X  PI  famulus  Andreas,^  Um  dieses  innere  oblonge  Medaillon  ist  eine  breite 
Randeinfassung  herumgeftthrt,  worin  sich  ebenfalls  in  der  Künstlerschrift  des 
XIII.  Jahrhunderts  folgende  schöne  Sentenz  befindet,  die  der  Jünger  des  Heilan- 
des selbst  auszusprechen  scheint,  mit  Bezug  auf  die  Aehnlichkeit  seines  Martyr- 
thums  mit  dem  des  Meisters:  „f-  Jam  diu  desideravi  te  amplecti  o  bona  crua:,^ 

Hinsichtlich  der  anatomisch  sehr  richtig  darges|ellten  körperlichen  Formen, 
so  wie  in  Rücksicht  auf  die  Anordnung  und  Behandlung  des  Faltenwurfs  an  dem 
Hchttrztuch  des  Apostels  glauben  wir  die  Bemerkung  machen  zu  sollen,  dass  die 
Gravuren  fllr  die  Zeit  des  XUI.  Jahrhunderts  sehr  edel  gehalten  sind  und  dass  diese 
Behandlung  und  Durchführung  der  Formen  viele  Analogie  darbietet  mit  der  Com- 
position  und  Ausführung  jenes  romanischen  Bildwerkes  des  Gekreuzigten,  wie  wir 
dasselbe  an  dem  Kreuzaltare  im  Dom  gleich  beim  Eingange  der  Sakristei  aufg'e- 
fasst  und  durchgeführt  finden.  Diese  ebengedachten  Formen,  nicht  weniger  auch 
die  characteristischen  Majuskelschriften  lassen  mit  ziemlicher  Gewissheit  erkennen, 
dass  das  vorliegende  Meisterwerk  der  Siegelstecherkunst  im  ersten  Viertel  des 
XIU.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  sein  dürfte. 

Wurde  dieses  grosse  Ceremoniensiegel  in  der  Regel  oflSciellen  Actenstücken 
und  Codicillen  von  grösserer  Bedeutung  angeheftet,  so  bediente  man  sich  zur 
Beglaubigung  kleinerer  Schriftstücken  von  geringerer  Bedeutung  „arf  causas^ 
.jenes  kleinen  Siegels  (Nr.  17),  welches  in  einer  Grösse  von  4V«  Centimeter  sich 
ebenfalls  noch  im  Kirchenarchiv  von  Andreas  erhalten  hat  und  zugleich  mit  dem 
vorhergehenden  unlängst  wieder  aufgefunden  worden  ist  Auf  diesem  Rundsiegel 
für  kleinere  Amtssachen  hat  der  Kupferstecher  die  Figur  des  h.  Andreas  als  Brust^ 
bild  dargestellt  und  zwar  ist  er  hier  als  Apostel  und  Verkündiger  des  Evangeliums 
abgebildet,  in  Basrelief,  wie  er  in  der  Rechten  das  Kreuz  hält  und  in  der  Linken 
den  h.  Text.  Das  Halbbild  ist  motivirt  und  ragt  hervor  aus  einer  Lage  von  über- 
eiuandergeschichteten  Wolken.  Das  Kreuz  ist  ebenfalls  nicht  in  Form  eines  X, 
sondern  wieder  als  lateinisches  Kreuz  mit  stark  verlängerten  Unterbalken  voran- 


ST.   ANDREAS.  7 

schaulicht.    Um  den  Rand  liest  man  folgende  Inschrift:  ^f  S(iffillum)  eeclesiae  sei 
Andreas  coL  ad  causas.^ 

Wenn  uns  ein  Stylgeftihl  nicht  täuscht,  so  dürfte  dieses  kleinere  Siegel, 
hinsichtlieh  der  conventioneilen  Strenge  und  Steifheit  in  Behandlung  der  figür- 
lichen Darstellung,  dem  Schlüsse  des  Xn.  Jahrhunderts  zuzuschreiben  sein. 


19. 

Messkelch, 

Silber  vergoldet,  in  den  Formen  der  Spalgotbik. 

Schluss  des  XV.  Jahrhunderts.    Hohe  17'/s  Centimeter;  Durchmesser  des  Fusses  13  Ccntimeter 

4  Millimeter;   Durchmesser  der  Kuppe  9*/i  Centimeter. 

Vorliegender  Kelch  dürfte  als  einer  der  interessantesten  und  formschönsten 
spätgothischen  Kelche  bezeichnet  werden,  wie  sie  sich  heute  in  wenigen  Exem- 
plaren vereinzelt  in  den  Sakristeien  der  Kirchen  Kölns  vorfinden.  ,  Welchen 
Reichthiun  Köln  vor  der  letzten  Revolution  an  heiTorragenden  Kelchen  besass,  geht 
nicht  nur  hervor  aus  den  Berichten  älterer  Augenzeugen,  sondern  lässt  sich  auch 
annähernd  entnehmen  aus  dem  Vorfinden  einer  grossen  Zahl  von  kostbaren,  reich 
ausgestatteten  Messkelchen,  wie  wir  sie  in  jenen,  heute  meist  protestantischen 
Pfarr-  und  ehemaligen  Stiftskirchen  häufig  noch  gefunden  haben,  die  den  Einflüssen 
der  politischen  und  religiösen  Stürme  in  den  letzten  Jahrhunderten  fem  lagen. 
Wir  machen  hier  im  Vorbeigehen,  mit  Bezug  auf  das  eben  Gesagte  aufmerksam, 
auf  die  vielen  prachtv^ollen  Kelche  in  der  protestantischen  Petri-Kirche  in  Soest, 
in  der  Stadtkirche  zu  fieutiingen  (Schwaben),  dann  in  dem  Schatz  der  Marien- 
kirche zu  Danzig  und  im  Schlosse  und  der  Sakristei  zu  Marienburg.  Der  in  Rede 
stehende  Messkelch  ist  einer  Inschrift  zufolge  zu  betrachten  als  bestehend  aus 
einem  altiti  und  einem  neuem  Theile.  Es  dtLrfte  nicht  schwer  fallen,  die  primi- 
tiven Theile  von  den  im  Jahre  1551  hinzugeftigten  zu  unterscheiden.  Die  Inschrift 
auf  dem  innem  Fusstheil,  in  Silber  eingegraben,  ergiebt  nämlich  in  lateininchcn 
Majuskelschriften  der  ausgebildeten  Renaissance  folgende  Lesung: 
Tnt  Jor  1551  haet  Jonfer  EUsabet  a  Ilokirge  disen   alden  Kelch   neu  gissen  lasen. 

Kost,  eir  aen  golt  Silver  und  mackloin  52  Gulden. 
Aus  dieser  Inschrift  geht  also  hervor,  dass  eine  bedeutende  Verändenmg  und  Re- 
stauration  auf  Kosten  einer  gewissen  Jungft^au  von  Hochkirchen,    wahrscheinlich 
einer  Wohlthäterin  des  Stiftes  St  Andreas,  vorgenommen  worden  ist. 

Auf  den  ersten  Blick  hin  überzeugt  man  sich,  dass  die  Gesammtfonn  des 
Fusses  vollständig  dem  mittelalterlichen  Pedalstücke  älterer  Kelche  treu  entlehnt 
worden  ist  Jedoch  zeugen  die  Profile  an  diesem  Fussstück  schon  von  bedeuten- 
dem Einfluss  des  neuen  Kunststyles.  Der  Fuss  ist  nämlich,  wie  das  bei  den  meisten 
gothischen  Kelchen  der  Fall  ist,  in  sechsblättriger  Rosenforai  angelegt,  jedoch  sind  die 


8  ST.   ANDREAS. 

halbkreiBrunden  Blätter  nicht  sehr  tief  ausgeschnitten.    Auf  dem  Flachtheile  dieses  Un- 
tersatzes befindet  sich  ein  zweites,  engeres  Fussstück,  das  vermittelst  eines  breiten  pro- 
filirten  Ringes  kreisförmig  aufliegt.    Aus  dieser  Ueberhfthung  des  Fusses  erheben  sich 
in  starker  Gra^drung  sechs  lancettförmig  gebildete  Blätter,   deren  Stiele  sich  nach 
oben  hin  als  Hals  des  Fusses  verjüngen  und  vom  Kreis  ins  Sechseck   ttbersprin- 
gen.    Die  Flachtheile  dieses  Fusses,  die  durch  Profile  nicht  belebt  sind,   hat  der 
Goldschmied  des  1 6.  Jahrhunderts  durch  eingravirt«  Laubomamente,  vollständig 'im 
Geschmacke  der  eben  auflebenden  Benaissance  gehalten,  verziert.    Als  „signaculum^^ 
des  Kelches  erblickt  man  erhaben  auf  dem  Fusse  autliegend  den  „Mann  der  Schmer- 
zen" wie  er  mit  der  Hälfte  des  Körpers   aus  dem  Grabe   sich   erhebt  und   seine 
Wundmale  zeigt,  eine  Darstellung,  wie  sie  bekanntlich  in  der  altem  Malerschule 
Italiens,  beidenMemmi,  Gaddi,  unter  der  Bezeichnung  y^Christo  al  sepolcro%  selte- 
ner aber  in  Deutschland,  in  dieser  Auffassung,  zu  finden  ist.    Diesem  Kreuze  ge- 
genüber befindet  sich  aufgenietet  ein  in  der  Weise  des   16.  Jahrhundert  formirtes 
Wappenschild,  in  welchem  sehr  zart  eine  Kreuzesabnahme  gravirt  ist    Sowohl  das 
Pflanzen-Ornament,  was  in  gelungener  Gravirung  der  Goldschmied  am  Fusse  ange- 
wandt hat,  nicht  weniger  die  Form  des  Wappensehildes,  als  auch  die  quadratisch 
länglichen  Einschnitte  am  untern  Rande  des  Fusses  zeigen  deutlich,  dass  entweder 
der  ganze  Fuss   bei   der  besagten  Wiederherstellung  im  Jahre  1551    hinzugefügt 
worden  ist,   oder  aber  dass  die  eingravirten  Laubomamente  und  der  untere  Rand 
an  dem  altem  vorfindlichen  Fusstheile  als  eine  Hinzuthat  und  Verzierung  der  eben- 
gedachten Epoche  zu  betrachten  ist.    Auf  dem  Halse  des  Fusses  erhebt  sich  eine 
sechstheilige  Röhre,  die  vielleicht  als  primitiver  Bestandtheil  des  altem  Kelches  zu 
halten  sein  dürfte.    Diese  Röhre,  die  nach  aussen  die  Form  von  zusammengesetzten 
Pfeilerbündeln  zeigt,  wird  in  ihrer  Mitte  von  einem  Knauf  als  Handhabe  des  l^el- 
ches  umgeben,  der  eine  originelle  Ausbildung  in  seiner  Fomi  zeigt,  wie  wir  eine 
solche  ähnliche  nicht  weiter  gefunden  haben.    Dieser  „nodus"  von  einigen  Schrift^ 
steilem  auch  „fnanubfium,  po?nellum^^  genannt,   ist  stemtörmig  im  Sechseck  ai^e- 
legt.    Mit  dieser  Stemform  hat  der  Goldschmied  dadm'ch  einen  Kreis  zu  verbinden 
gewusst,   dass  er  durch  die  Spitzen  desselben  eine   starke  Kordoninm^  gezogen 
hat,  die  kreisförmig  um  den  Knauf  herumgeführt  ist  und  demselben  beim  Anfassen 
praktisch  eine  grössere  Bequemlichkeit  verleiht.    Auch  auf  beiden  Seiten  des  platt- 
gedrückten Knaufes  hat  der  Goldschmied  in  kleinerem  Durchmesser  diese  Ringe, 
als   Kordon    gedreht,   wiederholt     Diese   aufliegenden   Kreise  sind  jedoch   mit 
dem  Knauf  an  sechs  Stellen  durch  ringförmige  Umfiissungen  in  Verbindung  gesetzt 
Es  ist  schwer  zu  sagen,   ob  dieses  ^pomellum^  als  zu  dem  alten  Kelch  gehörend 
aufzufassen  ist,    oder   ob   diese   interessant«  Formation  bei   der  oben  angeregten 
Restauration  hinzugefügt   wurde.    Die   kleinen   quadratischen  Einschnitte   in   den 
Hohlkehlen  des  Knaufes,  die  entschieden  ein  Renaissance-Gepräge  haben,   wollen 
ftlr  die  letzte  Annahme  sprechen.     Das  jedoch  kann  man  mit  Sicherheit  behaup- 
ten ,  dass  die  sonstige  Bildung  des  Knaufes  in  seiner  constmctiven  Anlage  durchaus 
als  eine  gothische  zu  betrachten  ist,   wozu   sich   zweifelsohne  an  den  zahlreichen 
gothischen   Kelchen  Kölns   viele  Parallelen   und  Analogien   ehemals   vorgefunden 


ST.  ANDREAS.  9 

haben  dürfen.  Noch  machen  vnr  auf  die  Verdeckung  durch  kleinere  blattförmig 
gebildete  Silberbleche  aufmerksam,  wodurch  die  Verbindung  der  Röhre  mit  dem 
Fusse,  dem  Knauf  und  der  Kuppe  angestrebt  wird.  Die  Kuppe  rührt  unstreitig, 
wie  das  ihre  strenge  Formation  besagt,  von  dem  altem  Kelche  her  und  mochte 
dieselbe  bei  der  Bestauration  mit  den  übrigen  Theilen  des  Glefässes  bloss  eine  neue 
Vergoldung  erfahren  haben.  Offenbar  sind  auch  die  sechs  gegossenen  und  ciselir- 
ten  Laubomamente,  die  als  gothische  Blättchen  den  untern  eiförmig  sich  zuspitzen- 
den Theil  der  Kuppe  umgeben,  von  dem  früheren  Kelche  herübergenommen  und 
ohne  organische  Verbindung  mit  den  übrigen  Theilen  an  dieser  Stelle  aufgelöthet 
worden.  £s  dürfte  schwer  sein,  ein  bestimmtes  Alter  fUr  die  primitiven  Theile 
des  vorliegenden  Kelches  anzugeben;  jedoch  scheinen  dieselben  kaum  150  Jahre 
älter  zu  sein ,  als  jene  Ornamente  und  Hinzuthaten ,  die  derselbe  gegen  Mitte  des 
16.  Jahrhundert  erfahren  hat  Bei  den  vielen  Kelchen,  die  heute  im  gothischen 
Style  neu  angefertigt  werden,  wovon  der  grossere  Theil  offenbar  an  einer  fast 
ausschliesslich  constmctiven  Auffassung  und  einer  zu  strengen  architektonischen 
Ausbildung  der  Details  leiden,  möchten  bei  Compositionen  die  praktischen  und  be- 
quemen Formen  an  dem  vorliegenden  Kelche  als  Anhaltspunkte  zu  empfehlen  sein. 
Auch  die  Verhältnisse  der  einzelnen  Theile  zu  einander,  in  deren  richtigem  Zu- 
sammenwirken der  Hauptvorzug  der  Kelche,  wie  überhaupt  sämmtlicher  kirchlichen 
Kunstgeräthe  zu  suchen  ist,  dürften  bei  diesem  Kelche  in  jeder  Beziehung  als 
schön  und  ebenmässig  zu  bezeichnen  sein. 

Die  Patene  des  Kelches,  die,  wie  das  an  den  altem  Patenen  überall  der 
Fall  ist,  eine  tellerförmige  Vertiefung  zeigt,  wodurch  dem  Herunterschieben  leich- 
ter vorgebeugt  wird,  scheint  uns  ebenfalls  bei  der  letzten  Wiederherstellung  des 
Gefässes  durch  Elisabeth  von  Hochkirchen  neu  hinzugefügt  worden  zu  sein,  wie 
das  das  eingravirte  Kreuz,  wodurch  die  Stelle  zum  AnfS^ussen  bezeichnet  werden 
soll,  mit  seinen  Strahlen  ziemlich  deutlich  anzeigt.  Auch  das  „  Agnus  Dei^,  symbo- 
lisch dargestellt  als  Lamm,  welches  das  ,jVeanUum^  als  Zeichen  der  Auferstehung 
und  des  Sieges  über  Tod  und  Hölle  hält,  besagt  in  seiner  AufiSsussung  und  Styli- 
sinmg  deutlich,  dass  der  neue  über  die  Berge  gekommene  Styl  auch  in  Köln  um 
das  Jahr  1551  festen  Fuss  gefässt  hatte. 


20. 

Schangefäss, 

in  Form  einer  zierlichen  kleinen  Monstranz,  Messing  vergoldet. 

Höhe  37  Cent. ;  Durchmesser  des  Fusses  1 1  Cent.  —  XIV.  Jahrhundert. 

Unter  den  vielen  Reliquiengetässen,  die  heute  noch  nach  so  vielfachen  Stür- 
men die  Sacristeien  der  Kirchen  des  „heiligen  Köln"  zieren,  finden  sich  verhält- 
nissmässig  nur  noch  sehr  wenige  vor,    die  jene  interessante  Epoche  kirchlicher 

2 


10  8T.   ANDREA8. 

Groldseliuiiedekunst  cliarakteriBiren,  wo  der  „auritaber"  fast  gezwungeu  die  reiclieo, 
«einem  Materiale  so  sehr  zusagendeu  Formen  der  Thier-  und  Pflanzenwelt  aus 
Händen  legte  und  in  seinem  Gewerke  die  mehr  rationaliBtischen ,  conatructiven 
Formen  der  Architektur  mit  ihren  starren  Regeln  in  Anwendung  kommen 
Hess.  Das  vorliegende  GelUss  in  seinen  zierlichen,  wenn  auch  einfachen  und 
schlichten  Detailformen  bezeichnet  grade  jene  Epoche,  wo  die  Romantik  in 
der  Goldschmiedekunst  aufhörte  und  die  Gothik  mit  ihren  architectonischen  For- 
men den  ersten,  wenn  auch  noch  unscheinbaren  Einfluss  gewann.  Wie  ein  Blick 
auf  die  Zeiclmung  besagt,  tritt  die  Architectur  noch  nicht  rein  und  unvermischt  auf, 
sondern  der  Künstler  bediente  sich  für  seine  omamentalen  Zwecke  einer  freiauflie- 
genden Laubguirlande,  deren  Formationen  der  Natur  nachgebildet  sind.  Das  in  Rede 
stehende  Geläss  dient  heute  dazu,  einen  kleinen  runden  Krystallcylinder  zu  umfassen, 
der  zur  Aufiiahme  von  Reliquien  bestimmt  ist.  Diese  Krystallröhre  erhebt  sich  auf 
einem  runden  Sockel,  in  ihrem  grössten  Durchmesser  von  sechs  Centimeter,  der 
ebenfalls  mit  einem  kunstreich  ciselirten  Geflechte  von  vielfach  gestaltetem  Laub- 
werk umwunden  ist.  Dieses  Blätterwerk  liegt  frei  auf  und  zeigt  einen  platten 
Tiefgrund,  wodurch  diese  Ornamente  mehr  zum  Vorschein  treten.  Unter  den 
schön  stylisirten  Blättchen  machen  sich  kenntlich  ein  scharf  markirtes  Epheublatt, 
eine  ftinfblätterige  Rose,  das  Kleebatt  und  an  einer  Stelle  auch  das  Laub  der  Rebe. 
Man  sieht  es  diesem  delicat  gearbeiteten  Blätterschmucke  an,  dass  er  mit  feinem 
Formsinn,  mit  vielem  Gefühl  und  in  edler  Technik  ausgearbeitet  worden  ist.  Dieser 
untere  Sockel  verjüngt  sich  nach  unten  hin  trichterförmig  und  mündet  ein 
vermittelst  eines  Ringes  in  die  Röhre  des  Ständers,  der  in  der  Mitte  durch  einen 
kunstreich  gefonnten  Knauf  im  grössten  Durchmesser  von  2V2  Centimeter  vor- 
theilhaft  belebt  wird.  An  diesem  „pomellum"  in  getriebener  Arbeit  erheben  sich 
stark  heiTorspringend  sechs  kleinere  'Pasten  in  Rhomboidenform  über  Eck  ge- 
stellt, die  auf  ihrer  Fläche  eine  kleine  Silberplatte  zeigen.  Diese  mit  Nigello 
ausgefüllte  Platte  lässt  in  Vergoldung  und  gravirten  Arbeiten  ein  Reben- 
blatt als  Ornament  erkennen,  das  theilweise  mit  einer  schön  stvlisirten 
nfi^ir  de  Us^  geschmückt«  ist.  Bei  dieser  j^francica^  oder  ,^franciska^,  die 
als  Lilie  schon  vor  der  Zeit  Ludwig  des  Heiligen  in  das  Wappen  Frankreichs 
aufgenommen  >vurde,  hat  man  nicht  sofort  an  ein  heraldisches  Abzeichen  Frank- 
reichs zu  denken,  sondern  wie  das  Didron  in  seinen  j^ Annales  archaeologiques^ 
weitläufiger  nachgewiesen  hat,  war  die  Muttergotteslilie  bereits  im  12.  und  13. 
Jahrhundert  ein  sehr  beliebtes  Ornament,  dessen  sich  die  Kleinkttnstler  des  Occi- 
dentxis  in  der  Sculptur,  Malerei,  Goldschmiedekunst  und  Stickerei  \ielfach  in  den 
verschiedensten  Modificationen  bedienten.  Der  kreisförmig  gebildete  Fuss  zeigt 
keinerlei  eingravirte  Ornamente  und  ist  glatt  mit  kleinem  ansteigendem  Halse  ge- 
halten. Die  ineinander  verschlungene  Blattverzierung,  die  an  dem  Untersatze  des 
Reliquiariunis  vorkommt,  kehrt  in  denselben  Formen  am  obem  Deckverschluss  als 
Guirlande  zurück.  Das  Getäss  schliesst  oben  mit  einer  glatten  Fläche,  auf  welcher 
sich,  als  Kegel  pyramidalfönnig  aufsteigend,  ein  kleiner  Helm  in  Weise  einer  Be- 
dachung ansetzt,   dessen  platte  Flächen  oben  mit  einem  Knauf  abgeschlossen  und 


8T.   ANDREAS.  1  1 

bekrönt  wird.  Nebeu  diesem  mittlem  Helm  hat  der  Goldschmied  vier  Thürmcheu 
als  architektonisches  Beiwerk  anzubringen  gewusst,  die  iu  derselben  Weise  und 
in  analogen  Formen  den  mittleren  Dachhelm  so  ilankiren,  wie  an  dem  Thurnie 
zu  St  Martin  die  vorspringenden  Nebenthttrmchen  den  mittlem  iiauptcoloss  um- 
stehen. Zwischen  diesen  vier  Thürmen  hat  der  Goldschmied  des  Mittelalters,  um 
die  Leere  des  Raumes  auszufüllen ,  noch  vier  Wasserspeier  anzubringen  nicht 
unterlassen,  die  hier  ohne  besoudera  Zweck  als  schuldlose  Ornamente  zu  betrach- 
ten sind.  Die  vier  Thttrmchen  sind  bedeckt  mit  kleinen  konisch  geformten  Dach- 
helmchen,  in  welchen  in  Gravirungen  die  Schiefer  schuppenföraiig  angedeutet 
sind.  Das  G^fäss  findet  seinen  Abschluss,  wie  oben  schon  angedeutet,  in  einem 
mit  tiefen  Rippen  eingeschnittenen  Knopf,  der  als  Sockel  imd  Unterlage  ehemals 
diente,  auf  welchem  sich  ein  Kreuzchen  erhob,  das  ohne  Zweifel  in  seinen  Kreuz- 
balken die  beliebte  Lilienform  wahmehmen  liess.  Diesem  Knaufe  fehlen  ebenfalls  nicht 
auf  seinen  Flächen  kleinere  Ornamente  ^^i  nigello.^  Diese  Arbeiten  in  Schwarzmanier 
erinnern  noch  deutlich  an  die  eben  zurückgelegte  romanische  Periode  der  Gold- 
schmiedekunst, wo  der  Groldschmied  mit  Vorliebe  aus  dem  Bereiche  des  Emails, 
des  Nigells,  der  ciselirten  und  gravirten  Arbeiten  seine  kunstreichen  vielgestalti- 
gen Bildungen  zu  entlehnen  wusste,  \xm  grössere  und  kleinere  Flächen  damit  oma- 
mental zu  beleben.  Leider  hat  der  Ungeschmack  des  vorigen  Jahrhunderts  dieses 
zierliche,  interessante  Getäss  zu  beiden  Seiten  auf  eine  grobe  Weise  mit  zwei  Fltt- 
gelstttcken  umgeben,  in  Rothkupfer  versilbert,  die  den  nichtssagenden  Zopf  in 
greller  Form  zu  Tage  treten  lassen.  Hoflfentlich  werden  diese  lächerlichen  und 
höchst  entstellenden  Zuthaten  nächstens  beseitigt  werden.  Es  kann  nicht  dem 
geringsten  Zweifel  unterliegen,  dass  das  vorliegende  Gefäss  in  Rücksicht  auf  die 
obenbeschriebenen  Detailformen  als  Entstehungszeit  den  Beginn  des  14.  Jahrhun- 
derts zu  beanspmchen  habe,  wo  der  Goldschmied  von  den  neuen  Bildungen 
Kenntniss  nahm,  die  seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  sich  auch  in  Köln  Bahn 
gebrochen  und  wo  eben  vorher  in  der  Architektur  die  romanischen  Formen  sich 
zur  höchsten  Blüthe  und  Vollendung  entfaltet  hatten. 


21. 

ReliqniariniD, 

fast  in  Form  eines  Kreuzes,  aus  mehreren  der  Zeit  nach  verschiedenen 

Bestandtheilen  /usammengeselzt. 

Der  obere  Theil  aus  dem   15.  Jahrh.     Uühe  38  Centimeter.  —  Durchmesser  des  Fusses    13  Ccntimeter 

Nach  Aulhebung  des  Stiftes  von  8t.  Andreas  scheinen  sämmtliche  Kirchen- 
schätze in  den  Wirren  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  verschwunden  zu  sein,  und 
haben  sich  nur  einzelne  wenige  solcher  Reliquiarien  bis  zur  Stunde  erhalten,  deren 
Fassimg  nicht  aus  edlen  Metallen  war.     Das  vorliegende  Reliquiar  besteht  offenbar 


12  ST.  ANDREAS. 

aus  3  StttckeB,  die  zu  verschiedenen  Zeiten  und  von  verschiedenen  Meistern  an- 
gefertigt worden  sind.  Der  untere  Fusstheil  mit  Stender  und  Knauf  rtlhrt  offen- 
bar, wie  das  der  Augenschein  lehrt»  von  einem  altem  Messkelche  her.  Der  Fuss, 
wie  gewöhnlich,  eine  sechsblättrige  Rose  bildend,  ist  nämlich  noch  mit  dem  Sig- 
naculum,  einem  eingravirten  Kreuz  versehen,  das  in  verwandter  Form  auf  gothi- 
schen  Kelchflissen  niemals  fehlt  Auf  einer  daneben  befindlichen  Ausrundung  des 
Fusses  liest  man  das  eingravirte  Legendarium:  ora  p.  D,  (pro  Domino)  Henrice 
Balten.  R  R  A.  161 8.  Offenbar  ist  diese  Inschrift,  mehr  als  1 00  Jahre  jünger 
als  dieser  Theil  eines  ehemaligen  Kelches,  in  Bothkupfer  vergoldet  Auf  dem 
schlanken  Halse  dieses  Pedale  erhebt  sich  im  Sechseck  gehalten  die  ^JUtiäa^^  die 
in  ihrer  Mitte  einen  kleinen  Knauf  trägt  mit  eingravirten  Ornamenten,  die  bei 
aller  Einfachheit  und  Derbheit  von  guter  Wirkung  sind.  Auf  dem  obem  Theile 
der  Bohre  befindet  sich  als  zweite  fremdartige  HinzuftLgung  ein  grosserer  Knauf 
im  Durchmesser  von  7  Centimeter,  der  aus  Bothkupfer  getrieben  und  vergoldet, 
pflanzeniörmige  Windungen  zeigt  und  Beweis  ablegt,  dass  der  Anfertiger  dessel- 
ben eine  grosse  Fertigkeit  in  Herstellung  von  getriebenen  Arbeiten  sich  zu  eigen 
gemacht  hatte.  Dieser  grössere  Ejiauf ,  der  nicht  im  mindesten  in  organischer 
Verbindung  mit  dem  obem  und  untern  Theile  des  vorliegenden  Ostensoriums  steht, 
scheint  uns  nach  mehreren  Analogien  zu  urtheilen ,  ehemals  als  ^pomeäum,  nodus^ 
gedient  zu  haben,  in  Weise  einer  Bekrönung  des  Kopftheiles  an  einem  schweren 
seidenen  Quasten,  womit  an  den  altem  Pluvialen  der  hintere  Schild  (capulum)  in 
der  Begel  verziert  war.  Ueber  diesen  Knauf  erblickt  man  horizontal  gelegt  einen 
runden  Crystall-Cylinder  in  der  Länge  von  lOV^  Centimeter,  der  an  den  beiden 
Kopftheilen  mit  einfachen  Kapseln  verschlossen  ist  Auf  diesen  Ein&ssungs-Bin- 
gen  erheben  sich  in  Messing  gegossen,  in  sehwacher  Ciselirung  zwei  Standbilder 
der  Apostel,  die  kenntlich  sind  durch  Spmchbänder,  auf  welchen  die  Namen  ein- 
gravirt  sind:  R.  S.  Andreae,  R,  5.  RaulL  Zweifelsohne  repräsentiren  diese  beiden 
Statuetten  jedes  in  der  Grösse  von  8  Centimeter,  jene  Heiligen,  deren  Grebeine 
ehemals  in  kleinen  Bmchtheilen  in  dem  obengedachten  Cylinder  verschlossen  wa- 
ren. Heute  noch  erblickt  man  in  der  vorerwähnten  Ciystall-Böhre  eine  grössere 
Zahl  von  Beliquien,  sorgfältig  in  Seide  eingewickelt,  deren  Inschrift  auf  Perga- 
ment deutlich  besagt,  dass  dieselben  in  dieser  Fassung  im  1 7.  Jahrhundert  hinein- 
gefügt  worden  sind.  Es  befinden  sich,  den  Inschriften  auf  diesen  „schedulis^  zu- 
folge, Ucberbleibsel  verschiedener  Heiligen,  als:  ReL  S.  Barbarae,  5.  Simonis, 
S.  Georgit,  5.  Silvestris,  De  Stola  S,  Joh.  EvangeUstae,  In  Mitten  der  eben 
gedachten  Figuren  erhebt  sich  in  vertikaler  Bichtung  ein  zweiter  im  Achteck  ge- 
schliffener Bergkrystall  in  der  Länge  von  7  Centimeter,  der,  der  primitiven  In- 
schrift auf  Pergament  in  gothischer  Minuskelschrift  zufolge,  ein  grosses  Gebein 
vom  Apostel  Andreas  enthält  In  dieser  polygonen  Krystallröhre  befindet  sich  noch 
von  einem  andern  kirchlichen  Gefäss,  als  kleines  Medaillon  herrührend  eine  klebe 
Scheibe  mit  dem  bekannten  Hierogramm  des  Heilandes  „  J.  H,  S^,  das  in  gothi- 
scher Minuskelschrift  „en  nigello^  eingelassen  ist  Der  Krystall-Cylinder  wird  ver- 
schlossen und  überragt  in  seinem  obem  Theile  von  einem  kleinen  thurmartigen 


ST.  AJIDSEAS.  13 

Helme  im  Viereck  angelegt,  der  auf  seinen  vier  Seiten  mit  je  2  kleinen  Fenster- 
stellungen im  Spitzbogen  ä  Jour  durchbrochen  ist  Uebcr  diesen  vier. Spitzbogen- 
Feldern  hat  der  Goldschmied  yier  kleine  Giebel  angebracht,  die  mit  einfachen 
Krabben  omamentirt  sind.  Aus  der  Formation  dieser  Ornamente  lässt  sich  mit 
ziemlicher  Sicherheit  der  Schluss  ziehen,  dass  dieselben  der  Früh-Gothik,  dem 
Beginne  des  14.  Jahrhunderts  angehören  dürften.  Mit  dieser  Annahme  stimmt 
auch  ttberein  die  Haltung  und  die  Drappirung  der  Gewänder  an  den  beiden  oben- 
gedachten Statuetten,  die  in  ihrer  rohen  Ausarbeitung  doch  ein  bestimmtes  mar- 
kirtes  Stylgepräge  verrathen.  Der  obere  Aufsatz  dient  ebenfalls  als  Beliquien- 
behälter,  jedoch  sind  die  Inschriften  bei  den  engen  Durchbrttchen  der  Fenster- 
stellungen nicht  lesbar.  Das  Ganze  findet  seinen  Abschluss  in  einem  Kreuzchen 
von  Rothkupfer,  über  dessen  Ursprung  und  Herkommen  bei  den  unbestimmten 
Detailformen  desselben  sich  schwerlich  eine  begründete  Hypothese  aufstellen  lässt 
Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  zu  diesen  2  Bohren  in  Bergkrystall  ursprüng- 
lich noch  ein  dritter  Cylinder  sich  betunden  haben  dürfte,  der  nach  unten  stei- 
gend den  Langbalken  des  Kreuzes  formirt  hat 


22. 

Reliqnienbehälter, 

mit  farbigen  Platten  eines  elfenbeinartigen  Materials  überlegt. 

XII.  Jahrhundert     Länge  15'/i  Centimeter;   Höhe  5  Centimeter  8  Millimeter;  Breite  9'/s  Gentimeter. 

Dieses  Beliquienkästchen  in  Schatzverzeichnissen  auch  „ladula  ebumea^, 
yfdstttla^  genannt,  bildet  eine  merkwtlrdige  Parallele  zu  den  beiden  unter  Nr.  2  u.  5 
beschriebenen  höchst  merkwürdigen  Beliquiarien  von  St  Gereon.  Der  vorliegende 
Behälter  ist,  was  seine  Form  und  seine  Details  betrifft,  nur  um  etwas  einfacher 
und  anspruchsloser  ausgestattet  Wie  an  dem  unter  Nr.  5  beschriebenen  Reliquien- 
kästchen von  St  Gereon,  sind  auch  an  dem  vorliegenden  mehrere  Kompartimente 
einer  Beinmasse  ersichtlich,  die  durch  eine  röthliche  Beitze  hellroth  gefärbt  wor- 
den sind;  und  zwar  sind  diese  rothgefärbten  Theile  gleich  Ornamenten,  um  eine 
Abwechslung  im  Farbton  zu  erzielen,  als  Ftülungen  in  den  Ivfittelstücken  angebracht 
und  von  Platten  im  natürlichen  weissen  Farbton  umgeben.  Die  vier  Seiten-  der 
kleinen  im  Rechteck  gehaltenen  Lade  zeigen,  kreisförmig  nebeneinander  stehend, 
dasselbe  eingravirte  Ornament,  wie  es  auch  in  derselben  Weise  an  dem  grossem 
Reliquienschrein  von  St  Gereon  ersichtlich  ist;  und  zwar  ist  dieses  nicht  nur  auf 
den  weisslichen  Knochentheilen  angewandt,  sondern  auch  in  ähnlicher  Weise 
zurückkehrend  auf  den  rothgebeizten  Deckplättchen,  womit  die  innern  Flächen  die- 
ser vier  aufrechtstehenden  Theile  des  Kästchens  ausgefüllt  sind.  Die  Kreise  in 
diesen  angerötheten  Belegplättchen  sind  a  jour  durchbrochen  und  lassen ,  unseres 
Dafürhaltens  nach,  zu  Tage  treten  dünne  Widerlags-Plättchen  von  durchsichtigem 


14  8T.  ANDBEAS. 

Hom,  die  auf  ihrer  Hinterseite  ehemals  stark  verg;oldet  gewesen  zu  sein  scheinen. 
Man  wird  sich  erinnern ,  dass  dieselben  vergoldeten  Homplättchen  auch  hinter  den 
Durchbrüchen  des  grossem  Reliquienkästchens  von  S.  Gereon  wahrnehmbar  sind. 
Reichere  Formen  und  Durchbrechungen  sind  angewandt  auf  der  obem  Deckplatte, 
der  eine  Länge  von  1 1  Centimeter  8  Millimeter  hat ,  bei  einer  grössten  Breite  von 
ö  Centimeter.  Auch  diese  Platte  in  Farbe  angeröthet,  zeigt  zwei  Reihen  Oefihun- 
gen  in  runden  Kreisen  und  ist  omamentirt  in  der  Mitte  durch  eine  grössere 
ujour  Durchbrechung,  deren  originelle  treppenförmig  zu  einem  Kreuze  ansteigende 
Formen  beweisen,  in  welchem  Lande  und  in  welcher  Zeitepoche  vorliegende  y^ar- 
aila  quadrata  ^  ihre  Entstehung  gefunden  habe.  Es  zeigen  sich  nämlich  diese  geo- 
metrisch construirten  Formen  frappant  übereinstimmend  nicht  nur  mit  den  herr- 
lichen Gk)ldemails  (emaux  claisotmis),  womit  äusserst  reich  die  Pontificalge- 
wänder  an  den  Säumen  aufliegend  verziert  sind,  die  zum  Krönungsapparate  der 
deutschen  Kaiser  ehemals  gehörten,  sondern  dieselben  Bildungen  kommen  auch  vor 
in  den  vielfarbigen  Emails,  womit  die  beiden  reichen  Krömmgsschwerter  altdeut- 
scher Kaiser  belegt  sind.  Diese  treppenförmig  ansteigende  Verzierung  stellt  sich 
in  vielfarbigen  Emails  dar,  in  mannichfacher  Modification  und  rühren  diese  eigen- 
tbümlich  gebildeten  Verzierungen  her,  laut  der  gestickten  Inschriften,  (Kufen-  oder 
Neschi-Schriften)  von  der  geschickten  Hand  maurischer  Künstler  in  Sicilien.  Ein 
zweiter  Grund,  dass  auch  die  vorliegende  „/arfw/a"  von  Orientalen  ihre  Entstehung 
gefunden  habe,  ist  darin  zu  suchen,  dass  dieselben  Ornamente,  wie  sie  oben  beschrie- 
ben wurden,  auch  an  der  „Pff^  ebumea^  vorkommen,  die  durch  eine  Neschi-In- 
Schrift  auf  dem  Deckel  ihren  Ursprung  als  herübergebracht  „(Toutre  mer^  hinlänglich 
bekundet.  (Vergl.  die  Beschreibung  unter  Nr.  2  der  Reliquienbüchse  von  S.  Gereon.) 
Hinsichtlich  der  Zeit  der  Anfertigung  kann  mit  Grund  behauptet  werden,  dass 
das  vorliegende  Reliquienkästchen  an  einem  der  HauptrStapelplätze  der  Kreuz- 
fahrer in  jenem  Jahrhundert  seinen  Ursprung  gefunden  habe,  als  unter  Ludwig  dem 
Heiligen  die  letzten  Anstrengungen  zur  dauernden  Besitzergreifung  der  heiligen 
Stätten  von  Seite  der  abendländischen  Ritter  gemacht  wurden.  Möglich  bleibt  es 
aber  auch  immerhin,  da  bckanntlicb  die  Detailformen  im  Orient  und  in  Byzanz 
stagnirönder  und  nicht  dem  beständigen  Wechsel  unterworfen  waren,  dass  das 
vorliegende  interessante  Schreinchen,  vielleicht  immittelbar  nach  dem  Falle  von 
Konstantinopel,  im  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  von  abendländischen  Kreuzfah- 
rern, gefhllt  mit  Reliquien,  heimgeführt  worden  ist. 


ST.   ANDREAS.  15 

Grosser  Reliqnieii-Sehrdii, 

bekannt  unter  dem  Namen  ,,der  Macbabäer-Kasten^  in  Messing  vergoldet,  mit 

vielen  getriebenen  Reliefarbeilen,  XV.  Jalirbundert. 

Grösste  Höhe  97  Centimetcr.    Breite   57  Centimeter.     Grösste  Länge  l*i  Decimeter.     Die  untere  Qua- 
drat-Lilnge  17  Centimeter.    Breite  15  Centimeter.    Jede  der  4  Statuetten  auf  den  4  Ecksäulchen 

l5'/s  Centimeter. 

Wenn  auch  die  luittelalteriiche  (jrold8chmiedekun»t  heute  in  den  Sacristeien 
Kölns  nicht  repräsentirt  wäre  durch  eine  grössere  Anzahl  von  kleineren  liturgi- 
schen Gegenständen  für  den  täglichen  Ältarsgebrauch,  so  würden  allein  schon  die 
wenigen  noch  in  Cöln  erhaltenen  Reliquienschreine,  für  sich  allein  betrachtet,  hin- 
reichendes Zeugniss  ablegen,  welche  Höhe  der  Entwickelung  und  Ausbildung  das 
Golschmiedegewerk  in  der  Metropole  am  Rhein,  die  verschiedenen  Jahrhunderte 
des  Mittelalters  hindurch,  erstiegen  hatte.  In  diesen  meist  kostbaren  Reliquien- 
schreinen lässt  sich  nicht  nur  nachweisen  die  Blttthezeit  der  Schmelz-  und  Emaille- 
kttnste,  wie  man  dieselben  bereits  im  XI.  und  XII.  Jahrhundert  innerhalb  der 
Mauern  Kölns  mit  grosser  Fertigkeit  übte,  sondern  auch  die  entwickelte  Gothik 
und  sogar  die  Ausartung  der  altdeutschen  Kunstweise  findet  in  diesen  grossen 
Schrein- Werken  eine  ziemlich  vollständige  Vertretung. 

Was  flir  kunstreich  emaillirte  Darstellungen  das  grossartige  y^scrmium^  des 
heiligen  Heribert  in  der  Pfarrkirche  zu  Deutz,  aus  dem  Beginne  des  XII.  Jahrhun- 
derts ist,  was  femer  für  die  Vollendung  der  getriebenen  figürlichen  Arbeiten  das 
prachtvolle  Schrein-Werk  der  h.  3  Könige  im  Dome  tür  den  Schluss  des  XII.  Jahr- 
hunderts bietet,  das  zeigt  für  die  letzte  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  der  vorliegende 
unvergleichlich  reich  gearbeitete  Reliquienkasten  der  sieben  machabäischen  Brüder, 
dessen  Besitzes,  nach  Abbruch  der  alten  Machabäerkirche ,  sich  heute  die  Pfarr- 
kirche von  St.  Andreas  mit  Recht  rühmen  kann.  Es  beweist  nämlich  dieser  kost- 
bare Schrein,  welche  grosse  Leichtigkeit  und  manuelle  Fertigkeit  die  Meister  der 
kölnischen  Goldschmiedezunft  in  der  schwierigen  Kunst  des  Treibens  in  Rothku- 
pfer, gegen  Ausgang  des  Mittelalters,  sich  zu  eigen  gemacht  hatten. 

In  Hinsicht  auf  Grundriss  und  äussern  Aufbau  des  „Machabäerkastens'^  kann 
gesagt  werden,  dass  die  Goldschmiedekunst  des  XV.  Jahrhundert  sich  in  der 
äussern  Form  und  Grundanlage  strenge  an  die  überlieferte  fast  typische  Form  der 
grossem  Schreinwerke  gehalten  hat,  wie  dieselben  das  12.  und  13.  Jahrhundert 
mit  allem  Reichthum  der  Details  aufgestellt  hatte.  Der  vorlieg;ende  Reliquienkasten 
bildet  nämlich  ein  kunstreiches  Mausoleum,  in  Form  eines  länglichen  architectonisch 
constniirten  Bauwerkes,  das  in  einem  ausgeprägten  Style  des  15.  Jahrhunderts  in 
seinen  mit  Maasswerk  durchbrochenen  Widerlagspfeilem  die  Ausartung  der  Gothik 
deutlieh  wahmehmen  lässt.  Wenn  nun  auch  der  Goldschmied  in  den  Grundfor- 
men seines  Kunstwerkes  eine  strenge  architektonische  Eintheilung  der  verschiede- 
nen Flächen  vonvalten  Hess,  so  hat  er  doch  den  architektonischen  Ernst,  den  das 


IC)  ST.   ANDREAS. 

Schreinwerk  in  seiner  äussern  Erscheinung  macht,  dadurch  zu  mildem  gewusst* 
dass  er  zur  Belebung  der  Flächen,  sowie  auch  in  der  Ausstattung  einzelner  con- 
structiven  Hauptiheile  eine  Menge  getriebener  und  eiselirter  figürlicher  Darstellun- 
gen zur  Anwendung  gebracht  hat 

Als  Grundlage  des  Schreines  hat  der  kölnische  Goldschmied  einen  Sockel 
gewählt,  den  er  mit  Spitzbogen-Verzierungen  und  dem  'bekannten  gothischen  Na- 
senWerk  ausfüllte  und  verzierte.  Auf  dieser  Basis  hat  er  an  den  beiden  Lang- 
seiten 8  Widerlagspfeiler  als  Streben  grundgelegt,  die  er  auf  den  vier  Ecken  je 
doppelt  zur  Verstärkung  anbrachte.  Die  breiteren  Sockel,  auf  welchen  diese 
mit  Maasswerk  durchbrochene  Streben,  nach  oben  sich  wenig  verjüngend  auf- 
steigen, werden  in  '/4  ihrer  Höhe  von  einem  abgeschrägten  stark  profilirten  Sons 
auf  eine  merkwürdige  Weise  durchschnitten,  wodurch  sich  5  vertiefte  Bäume  aiif 
jeder  Langseite  des  Schreines  bilden,  sowie  auch  zwei  vertiefte  Flächen  an  den 
Kopfseiten.  Diese  vertieften  Füllungen  hat  der  Künstler  {mssend  in  ä  jaur  durch- 
brochener Arbeit  auszustatten  gewusst,  durch  eine  Inschrift  in  spät  gothischen 
Majuskel-Schriften,  welche  über  das  Herkommen  der  darin  enthaltenen  Reliquien- 
Schätze,  sowie  über  die  Anordnung  und  Zusammenstellung  der  auf  den  Flächen 
des  Schreines  zur  Anschauung  gebrachten  Bildwerke  nähern  Aufschluss  gibt  Sie 
lautet: 

„Arckiepücopus  ReginaUbu  htdc  Ursuleo  agro  attulit  anno  1164  saera  septem 
Maccabaeorum  corporoy  salvataris  nostri  poidonem  ac  dhsae  Satomanae  matrü  earum 
beatae  Mariae  dolore*  praeßgurantium.*^ 

Zwischen  den  ebengedachten  sechs  Widerlagspfeilem,  befinden  sich  auf  jeder 
Langseite  des  Beliquienschreines,  in  zwei  Reihen  geordnet,  zehn  quadratisch-ge- 
formte  Bildwerke,  die  in  prachtvoll  getriebenen  Basreliefs  sinnig  in  der  obem 
Abtheilung  die  Hauptscenen  aus  der  Leidensgeschichte  des  Heilandes  und  in  der 
untern  Abtheilung  als  ParaUele,  gleichsam  als  typisches  Vorbild  im  alten  Testa- 
mente, die  Martyrergeschichte  der  sieben  machabäischen  Brüder  zur  Darstellung  brin- 
gen. Auf  diese  Weise  ist  die  in  Zeichnung  abgebildete  Langseite  des  Schreines 
mit  zehn  getriebenen  ReliefdarsteDungen  verziert,  wovon  die  fiinf  obem  der  Passion 
des  Heilandes,  die'  fünf  untern  Reliefs  dem  Martyrium  der  sieben  israelitischen 
Heldeiyünglinge  angehören.  Diese  sämmtlichen  Reliefdarstellungen,  im  Quadrat 
gehalten,  sind  von  einer  baldachinförmigen  Nische  überragt  Diese  Baldachine 
treten  an  den  Reliefs  in  der  oberen  Reihe  freier  heraus,  zeigen  reiche  Durch- 
brechungen und  schliessen  die  Spitzgiebel  derselben  über  dem  Daehgesims  sämmt- 
lich*  ab  mit  einer  gothischen  Kreuzblume.  Die  Langseiten  des  Schreines  werden 
über  der  Reihe  der  Relief-Darstellungen  mit  einem  kräftig  ausladenden  Gesims 
abgeschlossen,  das  oben  mit  einer  Kammbekrönung  verziert  ist  Auf  den  Wider- 
lagspfeilem ist  die  Kammverzierung  gleichmässig  fortgeführt,  und  erheben  sich 
auf  dem  Plateau  dieser  Widerlagen  knieende  Engelsgestalten,  die  breite  Spruch- 
bänder in  Händen  halten.  Gleichwie  die  beiden  Langseiten  des  Machabäerschreins 
mit  je  zehn  Basreliefs  geschmückt  sind,  so  hat  der  Künstier  auch  die  Abschrä- 
gungsflächen  der  Bedachung  nicht  ohne  bildlichen  Schmuck  gelassen,   und  zeigen 


ST.   ANDREAS.  17 

«(ich  auf  jeder  derselben  gleichfalls  wieder  zehn  Quadraturen  in  getriebener  Arbeit, 
die  etwas  flacher  im  Relief,  als  die  untern  Bildwerke  gehalten  sind.  Die  fbnf  in 
der  untern  Reihe  befindlichen  Darstellungen  nehmen  Bezug  auf  die  feierliche  Ueber- 
tragung  der  Ueberbleibsel  der  vorchristlichen  Glaubenshelden  nach  verschiedenen 
Hauptstädten  des  Orients  und  Occidents.  lieber  diesen  ebengenannten  Darstellun- 
gen sind  ftonf  Reliefs  kunstreich  ausgefllhrt,  welche  sinnreich  biblische  Scenen 
veranschaulichen,  die  sich  auf  die  Verherrlichung  des  Heilandes  im  gloriiicirten  Leibe 
nach  seiner  Auferstehung  beziehen.  Auf  der  entgegenstehenden  Bedachungs- 
fläche zeigen  sich  wiederum  zehn  figurenreiche  Basreliefe,  wovon  fünf  in  der  untern 
Reihe  Begebenheiten  aus  dem  Martyrium  der  heldenmttthigen  Salomone,  Mutter 
der  Machabäisehen  BrOder  darstellen.  In  der  obem  Abtheilung  erblickt  man  hier 
parallel  fünf  gleich  grosse  Quadraturen ,  die,  analog  mit  den  ebengedachten  Dar- 
stellungen, bildlich  veranschaulichen  fhnf  Momente,  entnommen  aus  den  sogenann- 
ten sieben  Schmerzen  Maria's,  als  Mutter  desjenigen,  der  als  Heiland  fiir  das  ganze 
Menschengeschlecht  die  Marter  und  Leiden  geduldig  erlitten  hat,  die  in  den  zehn 
Quadraturen  auf  den  Langseiten  des  Schreines  im  Bildwerke  veranschaulicht  sind. 
Gleichwie  nun  der  geistreiche  Componist  des  vorliegenden  Reliquienkastens,  d^r 
obengedachten  Inschrift  gemäss,  das  Leben  und  Leiden  der  machabäisehen  Brüder 
und  ihrer  Mutter  in  schöner  Parallele  mit  dem  Leben  und  Leiden  des  göttlichen 
Erlösers  und  seiner  jungfräulichen  Mutter  typisch  durchgeitthrt  und  veranschau- 
licht hat,  so  hat  er  auch  nicht  unterlassen,  an  den  grossen  Hauptflächen,  die  sich 
ihm  an  den  beiden  schmälern  Kopfseiten  des  Reliquienkastens  darboten,  gleich- 
massig  zu  benutzen,  um  hier  die  Aufnahme  und  Verherrlichung  der  machabäisehen 
Brüder  und  ihrer  Mutter  zu  veranschaulichen.  Auf  der  einen  Hauptseite  sieht 
man  nämlich  auf  einer  grossen  getriebenen  Platte  in  einer  Höhe  von  84  Centim. 
in  treffliehen  Basreliefs  die  1 2  Jünger,  wie  sie,  im  Beisein  der  allerseligsten  Jung- 
frau, den  Oelberg  umstehen  und  ihren  Blick  zu  dem  Heimgegangenen  emporrich- 
ten, den  eine  lichte  Wolke  ihren  körperlichen  Augen  entrückt  hat.  In  der  darüber 
befindlichen  mittleren  Darstellung  thront  der  Heiland  in  den  Wolken  des  Himmels, 
von  adorirenden  Engeln  umgeben,  wie  er  als  Sieger  über  Tod  und  Hölle  das  Ban- 
ner der  Auferstehung  emporhält;  über  dem  triumphirenden  Heiland  zurückkehrend 
zu  der  Herrlichkeit^  wie  er  sie  von  Anbeginn  hatte,  erblickt  man  als  Basrelief  die 
beiden  anderen  Personen  der  Trinität,  den  heil.  Geist  in  Gestalt  der  Taube  und 
darüber  Gott  den  Vater  mit  der  Thiara;  die  erhobene  Rechte  segnet  und  in  der 
Linken  hält  er  die  Weltkugel. 

lieber  dem  Oelberge ,  den  die  Jünger  umstehen ,  zeigt  sich  als  zweite  Scene 
eine  andere  Gruppe,  darstellend  den  Heimgang  und  die  Aufnahme  jener  Helden- 
brüder, die  für  den  Glauben  gelitten  und  nach  ausgestandener  Marter  die  Palme 
der  ewigen  Vergeltung  zu  empfangen  im  Begriffe  stehen.  Diese  Verherrlichung  der 
sieben  Brüder  mit  ihrer  Mutter  hat  der  Künstler  schön  darzustellen  gewusst,  wie 
sie  nämlich  in  einem  faltenreichen  Tuche  von  Engeln  gehalten  in  den  Schoos  Abrar- 
ham's  y,m  limbum  patrum^  getragen  werden.  An  der  entgegengesetzten  Kopfseite 
erblickt  man  die  bei  weitem  kunstreichste  und  gelungenste  Reliefdarstellung  näm- 

3 


18  ST.   ANDBEAS. 

lieh  den  Moment  naeli  der  Aufnahme  in  den  Himmel,  die  feierliche  Krönung.  Die 
leitende  Idee,  die  den  Künstler  bei  der  Composition  dieser  schönen  Scenerie  vor* 
geschwebt  hat,  war  zweifelsohne  die:  wie  Maria  die  Gottesmutter,  durch  sieben- 
faches Leiden  die  Krone  des  ewigen  Lebens  nach  ihrer  Aufnahme  in  den  Himmel 
aus  den  Händen  ihres  göttlichen  Sohnes  empfangen  hat,  so  wurde  auch  der  ma- 
chabäischen  Mutter  mit  ihren  sieben  Söhnen,  nach  muthig  ausgerungenem  Kampfe, 
die  Krone  der  Vergeltung  zugleich  mit  ihren  Söhnen  tiberreicht  In  der  oberen 
Hälfte  der  grossen  Giebelfläche  ist  nämlich  in  der  bekannten  oft  yorkommenden 
Weise  die  Krönung  Maria's,  vollzogen  von  den  drei  göttlichen  Personen  vortrefflich 
dargestellt.  In  der  untern  Hälfte  erblickt  man,  in  der  Mitte,  die  Mutter  der  Ma* 
chabäer,  wie  ihr  von  schwebenden  Engeln  die  heldenmttthig  verdiente  Krone  auf» 
Haupt  niedergelassen  wird.  Dass  in  gleicher  Weise  ihre  Söhne  an  dieser  Krönung 
Äntheil  nehmen,  hat  der  Künstler  sinnig  zu  vermitteln  gewusst,  dadurch,  dass  in 
dem  von  Engeln  gehaltenen,  faltenreichen  Mantel  die  sieben  Söhne  gleichmässig 
umschlungen  und  vereinigt  werden. 

Wie  wir  schon  fillher  andeuteten,  sind  die  Strebe -Widerlagen  an  den 
vier  Ecken  des  Schreines  gedoppelt  hingestellt  Den  Zwischenraum  zwischen 
diesen  beiden  Widerlagen  hat  der  Künstler  dadurch  passend  auszuftillen  ge- 
wusst, dass  er  auf  viereckigen  Sockel  kleine,  gewundene  Rund -Säulchen  ge- 
stellt hat,  die  auf  der  oberen  sechseckigen  Abschrägung  über  dem  Capital  die 
getriebenen  Standbilder  von  Heiligenbildern  tragen,  die  mit  den  Reliquien 
der  sieben  Machabäer  und  ihrer  Mutter  in  Verbindung  stehen.  An  dem  einen 
Kopftheile  erblickt  man  nämlich  unter  einem  baldachinartigen  Vorsprunge  die  in 
Rothkupfer  getriebene  vergoldete  Statuette  der  ersten  christlichen  Kaiserin  He- 
lena,'  deren  Darstellung  dadurch  berechtigt  ist,  gegenüberstehend  der  Sta- 
tuette des  h.  Makarius,  Bischofs  von  Jerusalem,  dass,  der  Tradition  nach 
die  Gebeine  der  sieben  Machabäischen  Märtyrer  von  der  Kaiserin  Helena  wieder 
aufgefunden  und  vom  h.  Makarius  erhoben  worden  sein  sollen.  An  der  einen  Stelle 
erblickt  man  an  der  entgegengesetzten  Kopfseite,  gleichfalls  auf  freistehenden 
Rundsäulchen  sich  erhebend,  rechts  die  Statue  des  Salvators  mit  der  Welt- 
kugel und  gegenüberstehend  das  Standbild  der  Madonna  als  Himmelskönigin. 
Auf  der  breiten  Abschrägung  als  Bedachung  dieser  vier  gedoppelten  Widerlags- 
Pfeiler  erheben  sich,  wie  auf  einer  Console,  die  sitzenden  Bildwerke  der  vier  Evan- 
gelisten, die,  sämmtlich  dabei  befindlichen  symbolischen  Thiere,  mit  Abfassung 
der  heiligen  Texte  beschäftigt,  dargestellt  sind.  Die  Giebelschrägen,  die  die  bei- 
den  Kopftheile  des  Schreines  dachförmig  bekränzen,  münden  nach  oben  aus 
in  Darstellung  eines  Engels  mit  sechs  Flügeln  „i'CanT€QOi'*  wie  solche  geflü- 
gelte Bilder  von  Engeln  mehr  der  Kunst  des  Orientes  als  der  des  Occiden- 
tes  eigen  sind.  Die  Giebelleisten  selbst  sind  nach  hintenhin  mit  den  bekann- 
ten gothischen  Krabbenblättem  reich  ausgestattet  In  der  vorderen  Hohl- 
kehle dieser  Giebelleisten  hat  der  Künstler  in  genialer  Weise  geflügelte  En- 
gelgestalten angebracht,  die  erhaben  als  Ornament  aufliegend,  kleine  Posau- 
nen erhoben  haben.    Der  Kamm   der  oberen  Bedachung  erhält  einen  passenden 


gT.   ANDREAS.  \9 

'Schmuck  durch  eine  durchbrochene  Bekrönung,  wie  sie  die  Gothik  an  dieser  Stelle 
gewöhnlich  anwendet  Der  auf  die  ebenbeschriebene  Weise  prachtvoll  ausgestat* 
tete  Reliquien-Schrein  der  Machabäer  birgt  der  Tradition  zufolge  heute  noch  in 
seinem  Innern  die  Gebeine  der  mehrfach  gedachten  alttestamentarischen  Glaubens- 
helden, und  zwar  erblickt  man  an  der  vorderen  Kopfseite,  hinter  dem  schiebba- 
ren Deckel,  worauf  die  Krönung  der  Madonna  dargestellt  ist,  durch  drei  Unter- 
schlage geordnet,  die  sieben  Schädel  der  machabäischen  Brüder  und  einen  achten, 
der  als  ^cranium^  der  Mutter  derselben,  Salomone,  betrachtet  wird.  Diese  Schä- 
del sind  sämmtlich  in  silbervergoldete  kleine  Kapseln,  mit  gothischem  Masswerk 
durchbrochen,  eingefasst,  worin  die  Unterkiefer  einmünden. 

Um  die  Gebeine  der  Heiligen  vor  Verwesung  zu  schützen,  vielleicht  aber 
^uch  um  den  Wohlgeruch  anzudeuten,  den  ihre  Thaten  verbreiten,  scheint  es  im 
Mittelalter  Sitte  gewesen  zu  sein,  in  grössere  Beliquienbehälter  die  duftenden 
Früchte  der  Moschnspilanze  hinein  zu  legen,  die  bei  dem  Eröffnen  dieser  Schreine 
nicht  selten  einen  balsamischen  Wohlgeruch  ausströmen  lassen."^) 

Im  Vorliegenden  hätten  wir  in  kurzen  Zügen  die  äussere  formelle  Beschaf- 
fenheit des  Machabäer-Schreins,  wie  er  sich  heute  in  seinen  Haupttheilen  noch 
ziemlich  unverletet  erhalten  hat,  angedeutet  und  es  erübrigte  noch,  etwas  Nähe- 
res über  den  grossen  Kunstwerth  und  die  hohe  Vollendung  der  vielen  plastischen 
Bildwerke,  womit  die  vorliegende  ,jtumba^  in  ihren  Flachtheilen  verziert  ist,  an- 
zugeben. Wie  es  scheinen  will,  sind  sämmtliche  zweiundvierzig  Relicfdarstel- 
lungcn  nicht  von  einem  Goldschmiede  componirt,  sondern  eigens  für  den  vor- 
liegenden Zweck  von  einem  tüchtigen  Meister  der  Kölnischen  Malerzunft  mit  gros- 
ser Genialität  hingezeichnet  worden,  oder  was  wir  noch  eher  anzunehmen  geneigt 
sind,  sämmtliche  Gruppen  existirten  bereits  in  Tempera-Malerei,  etwa  an  einem 
Flügel-Altar  in  der  alten  Machabäerkirche,  zur  Zeit,  als  man  den  Gedanken  fasste, 
die  Gebeine  der  alttestamentarischen  Märtyrer,  in  einen  neuen  kostbaren  Schrein 
niederzulegen.  Wir  haben  um  so  mehr  Grund  das  Letzte  anzunehmen,  weil  sich 
in  ähnlicher  Weise  geordnet  und  dargestellt,  in  mehr  als  zwanzig  Bildwerken, 
die  verschiedenen  Scenen  aus  der  Martyr-Geschichte  der  h.  Ursula  in  der  gleich- 
namigen Pfarrkirche  zu  Köln  heute  noch  in  trefflicher  Tempera-Malerei  erhalten 
haben.**)  Bei  näherer  Betrachtung  dieser  vielen,  mit  grosser  Bravour  getriebenen 
Relief-Darstellungen  müssen  wir  eingestehen,  dass,  was  die  wohlgeordnete  Com- 
position  der  einzelnen  Scenen  betriflFt,  femer  die  richtige  Auffassung  der  anatonii- 
ficlien  Fonnen,    die  nicht  zu  gehäufte  Anordnung  des  Faltenwurfes  und  der  Ge- 


*>)  Dieses  Faktum  steUte  sich  ebenfalls  ein,  als  wir  jungst  in  Nürnberg,  jenen  herrlichen  Reli- 
quienschrein am  Gewölbe  der  h.  Geistkirche  schwebend,  herunter  zu  lassen  und  zu  eröffnen  Erlaubniss 
erhielten,  in  welchem  von  Jahre  1424  bis  zur  französischen  Invasion  1797,  die  Reliquien  des  h.  deutschen 
römischen  Reiches,  feierlichst  aufbewahrt  wurden,  die  heute  gerettet,  im  kaiserlichen  Schatze  der  Hufburg 
zu  Wien  sieh  befinden.  Bei  Eröffnung  desselben  entströmte  ebenfalls  dem  Reliquicnschrcin ,  der  voll- 
ständig geleert  war,  ein  eigenthUmlicher  Wuhlgeruch,  der  gleichfalls  von  derMuschuspilanze  herrUhrtc. 
**)  Dem  Stadtbaumeister  Weier  gebührt  das  Verdienst,  dass  er  auf  eigne  Kosten  diesen  schönen 
Cyclus  von  altdeutschen  Malereien,  das  Martyrthum  der  berühmten  Kölnischen  Stadtpatronin  und  ihrer 
h.  Schaar  vorstellend,  von  kunstgcUbter  Hand,  getreu  im  alten  Style,  wiederherstellen  liess. 


20  ST.   ANDREAS. 

wand-Partien,  wir  nicht  ähnliche  getriebene  Darstellungen  in  vergoldetem  Rothkupfer 
auf  ausgedehnten  Reisen  gefunden  haben,  die  mit  den  eben  belobten  getriebenen 
Reliefs,  auch  nur  im  Entfernteren  einen  Vergleich  eingehen  könnten. 

Wenngleich  auch  keine  Jahreszahl  die  Zeit  der  Anfertigung  des  vorliegenden 
grossartigen  Kunstwerkes  näher  angiebt,  so  deuten  nicht  nur  allein  die  Füllungen 
und  das  gothische  Maasswerk,  wodurch  die  Widerlagspfeiler  belebt  sind,  sondern 
auch  die  charakteristische  Gostümirung  vieler  Figuren  mit  Sicherheit  darauf  hin, 
dass  das  vorliegende  Schreinwerk  in  dem  letzten  Jahrzehnt  des  15.  Jahrhunderts 
von  der  kunstgeübten  Hand  eines  ausgezeichneten  Meisters  der  Kölnischen  Grold- 
schmiedezunft  seine  Entstehung  gefunden  habe. 

Den  Namen  dieses  Meisters  haben  wir  in  den  vielen  Bildwerken  vergebens 
zu  finden  gesucht,  und  hat  sich  auch  an  demselben  kein  Monogramm  erhalten, 
das  über  diesen  Punkt  Aufscliluss  gäbe.  Nur  auf  dem  Sockel  der  vier  Ecksäul- 
chen  des  Schreines  erblickt  man  in  einem  sich  durchkreuzenden  Stabwerk  vier 
Wappen  in  der  Formation,  wie  mau  sie  gewöhnlich  aus  der  letzten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  antrifft  In  diesen  kleinen  Wappenschildern  ersieht  man  an  der 
einen  Seite,  erhaben  vorspringend,  eine  Namenschiffer,  wie  sie  in  der  Regel  eine 
Innung,  eine  Brudei-schaft  oder  Ordenshaus  gegen  Schluss  des  Mittelalters  zu  führ- 
ren  pflegten,  nämlich  die  beiden  Majuskelbuchstaben  zusammen  verschlungen:  H.  M. 
An  derselben  Seite  erblickt  man  an  der  entsprechenden  Stelle  dasselbe  Wappen- 
schild, worin  die  Sichel  des  Halbmondes  mit  der  bekannten  Gesichtsbildung  an- 
gebracht ist. 

Was  nun  das  Monogramm  betrifft,  befindlich  auf  dem  entgegengesetzten  Wap- 
penschilde, so  schien  uns  anfangs  durch  den  verschlungenen  Namenszug  das  Klo- 
ster der  Machabäer  angedeutet  zu  werden,  woraus  auch  zugleich  noch  gefolgert 
werden  durfte,  dass  theilweise  auf  Kosten  der  gedachten,  weiblichen  Ordensge- 
nossenschaft das  kunstreiche  Schreinwerk  angefertigt  worden  sei.  Hinsichtlich  des 
andern  Wappenschildes  mit  der  Mondsichel  wurden  wir  durch  die  Gefälligkeit  des 
bekannten  kölnischen  Geschichtsforschers  Merlo  auf  einen  besondem  Gönner  und 
freigebigen  Geschenkgeber  des  Klosters  der  Machabäer  gegen  Schluss  des  XY. 
Jahrhunderts  aufmerksam  gemacht,  der  aus  Jülich  gebürtig,  Professor  der  freien 
Künste  war  und  den  latinisirten  Namen  Helias  Marcaeus  führte.  Als  besonde- 
rer Wohlthäter  restaurirte  er  Kirche  und  Kloster  des  ebengedachten  kölnischen 
Gotteshauses  und  war  er  als  Erzbischöflicher  Gommissar  zugleich  auch  „Rector 
und  Moderator"  des  Conventes  der  Machabäer.  Was  Gelen  und  Hartzheim  über 
diesen  berühmten  Mann  des  alten  Köln  zu  Ausgang  des  Mittelalters  angeben,  findet 
sich  von  Merlo  anziehend  zusammengestellt  in  dem  Domblatt  vom  J.  1847  Nr.  30 
bei  Gelegenheit  einer  geschichtlichen  Mittheilung  über  Victor  von  Karben.  Bei 
weiterer  Nachforschung  ergab  es  sich  nun,  dass  dieser  reiche  Wohlthäter  und 
kölnische  Gelehrte,    der  auch  mit  dem  bekannten  Erasmus  von  Rotterdam*)  in 


*)  Der  obengenannte  holländische  Humanist,    der  hinsichtlich   der  Reliquien  der  Machabäer  an 
nnsern  Marcaeus  ein  Anschreiben  gerichtet  hat,  das  in  Druck  noch  auf  uns  gekommen  ist,  schreibt  in 


ST.   ANDREAS.  21 

vertraulichem  Briefwechsel  stand,  nach  dem  Gebrauche  seines  Jahrhunderts,  wo 
namentlich  Gelehrte  ihren  Namen  mit  Zuthaten  des  klassischen  Zeitalters  auszu- 
statten bemüht  waren,  den  hochklingenden  Beinamen  „Helias  de  Luna'^  sich  beigelegt 
hatte.  Mit  diesem  adoptirten  Namen  würde  dann  auch  vollständig  übereinstimmen  das 
entsprechend  gewählte  Wappenschild  mit  der  Mondsichel;  desgleichen  würde  durch 
Anbringung  dieses  Wappenschildes  an  jener  hervorragenden  Stelle  nicht  undeut- 
lich zu  erkennen  gegeben  werden,  dass  Helias  Marcaeus*)  mit  dem  Beinamen 
de  Luna  entweder  auf  seine  eigenen  Kosten  den  vorliegenden  Schrein  hat  anfer- 
tigen lassen  oder  dass  er  gemeinschaftlich  mit  dem  Gonvente  der  Machabäer  als 
Donator  des  besagten  Schreins  zu  betrachten  sei.  Geschichtliche  Andeutungen 
haben  uns  schliessen  lassen,  dass  das  vorliegende  Schreinwerk  gerade  mit  dem 
Jahre  1 500  vollendet  worden  sein  dürfte,  nachdem  vielleicht  einige  Jahre  hindurch 
die  kunstreiche  Arbeit  sich  in  die  Länge  gezogen  haben  mochte.  Zur  Geschichte 
der  im  ganzen  Mittelalter  hochberühmten  Reliquien  der  Machabäer  bemerken  wir 
noch,  dass  im  Laufe  der  christlichen  Jahrhunderte  namhafte  Kirchenlehrer  über 
das  Martyrium  und  das  Lob  dieser  Glaubenshelden  eigne  Abhandlungen  geschrie- 
ben und  die  Erinnerung  an  ihre  Reliquien  vielfstch  gefeiert  haben.  Unter  diesen 
nennen  wir  vornehmlich:  Cyprianus,  Ambrosius,  Chiysostomus,  Hieronymus,  Pru- 
dentius,  Usuardus,  Leo  HI.,  Rhabanus  Maurus,  Bemardus,  Petrus  Gommestor,  Al- 
eimus,  Johannes  Beleth,  Hugo  Gardinalis  und  Antoninus.  **) 

Aus  dem  Berichte  dieser  Schriftsteller  geht  zur  Genüge  ^hervor,  dass  die 
Kaiserin  Helena  die  theuren  Ueberreste  derselben  in  Palästina  gefunden  und  sie 
ihrem  Soljne  Constantin  mit  andern  Schätzen  in  das  neue  Rom,  nach  Byzanz,  über- 
bracht haben  soll.  Von  Konstantinopel  brachte  diese  Reliquien,  als  Geschenk  des  Kai- 
sers Konstantin,  der  Bischof  Eustorgius  nach  Mailand,  von  wo  sie,  zugleich  mit  den 
Reliquien  der  drei  Könige,  Erzbischof  Reinald  von  Dassel  mit  sich  nach  Köln 
führte.  Um  eine  Streitfrage  zwischen  dem  Stifte  St.  Ursula  und  den  Benedictiner- 
Nonnen  in  der  Blutgasse  „ager  Ursulanus'*  zu  schlichten,  überwies  Erzbischof 
Reinald  den  letztgenannten  Benedictinessen  die  Reliquien  der  sieben  Machabäischen 
Brüder  und  erzielte  dadurch  insofern  eine  Einigung,  dass  die  gedachten  Bene- 
dictinessen, auf  diese  kostbare  Gabe  hin,  die  alte  Benennung  zu  Opfer  brachten, 
dieselbe  dem  Ursulastifte  überliessen  und  ihre  Eärche  fortan  benannten  „zu  den  Ma- 
chabäem.*^  Nachdem  die  alte  Machabäerkirche  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  zer- 
stört wurde,  fand  der  hier  beschriebene  prachtvolle  Schrein  zeitweise  in  der  hie- 
sigen St  Gunibertskirche  ein  Unterkommen;  jedoch  wurde  er  durch  die  besondere 


seiner  Anrede:   „/>.  Erasmtu  Rotterdamtu   integerrimo  doclünmoque  palri  Heliae  Marcaeo  Macea- 
batano  honoratitsimi  Machabaeorum  coUegii  inoderatori  S.  D,*' 

*)  Auch  das  obenangeftahrte  Monogramm  H.  M.  wQrde  alsdann  in  dem  Namen  des  ,,HeliasMar- 
caeus'^  als  Donator  einfach  seine  Lösung  finden. 

**i  In  einem  selten  gewordenen  Druckwerk  mit  trefflichen  Holzschnitten,  einem  Incunabel  des 
XV.  Jahrhunderts,  gedruckt  von  Eucharius  Cervicornus  sind  die  einschlagenden  Abhandlungen  der 
eben  gedachten  Kirchenlehrer  zusammengestellt  und  zugleich  auch  die  Abhandlung  des  Flavius  Jose- 
phus  über  das  Martyrium  seiner  berühmten  Landslcute. 


22  ST.  ANDREAS. 

Fürsoi^  des  Kanonikus  Glessen  im  Jahre  1808  in  die  hiesige  Pfarrkirche  von 
St  Andreas  feierlichst  übertragen.  Derselbe  befindet  sich  heute  in  der  besagten 
Kirche  leider  auf  einem  Altarcoloss  des  XYIIL  Jahrhunderts ,  dessen  Formen  mit 
denen  des  schönen  Schreinwerkes  im  grellsten  Contraste  stehen »  unzweckmässig 
aufgesteDt  Noch  machen  wir  darauf  aufmerksam ,  dass  die  in  Stein  kunstreich 
ausgeführte  j^mensa^  des  ebengedachten  Altars  der  Machabäer  ursprünglich  ak 
Unterlage  für  den  Machabäerkasten  in  den  Formen  der  Spätgothik  angefertigt  wor- 
den ist  und  das  in  der  Höhlung  dieses  Altartisches  auch  noch  zierlich  in  Stein 
gehauen  jener  Untersockel  (predella)  des  primitiven  Altares  sich  Us  heute  geret- 
tet hat ,  auf  dem  ehemals ,  als  auf  einem  niedem  Piedestal  der  kostbare  Schrein 
der  sieben  machabäischen  Brüder  aufgestellt  war.  Es  wäre  dringend  zu  wünschen, 
dass  diese  ursprüngliche  Form  des  Machabäer-Altares,  nach  anderweitiger  Verwen- 
dung des  heutigen  Altaraufsatzes  mit  seinen  Ueberschwenglichkeiten,  in  nächster 
Zukunft  wieder  beigestellt  werden  würde. 


Bei  Au&ählung  der  mittelalterlichen  Kunstschätze  aus  dem  Bereiche  der 
Goldschmiedekunsty  der  Weberei  und  Stickerei,  wie  sie  sich  heute  noch  vereinzelt 
in  den  Sakristeien  Kölns  erhalten  haben,  machen  wir  hier  noch  Kenner  vom  Fach 
aufinerksam  auf  einige  liturgische  Gewandstücke,  die  sich,  vom  alten  Andreas- 
stift herrührend,  heute  noch  in  der  Sakristei  der  gleichnamigen  Pfarrkirche  vor- 
finden, und  bedauren  wir,  dass  der  Raum  auf  beifolgenden  artistischen  Beilagen 
es  nicht  gestattet,  die  nöthigen  Zeichnungen  zur  Erläuterung  hinzuzufügen.  Es 
ist  das  nämlich  eine  Kapelle  im  Blausammet  mit  golddurchwirkten  Darstellungen 
aus  dem  XV.  JaJirhundert 

Heute  sind  ähnliche  vollständige  Ornate,  bestehend  aus  Messgewand,  Dal- 
matiken  und  Zubehör  zur  Seltenheit  geworden,  in  welchen  man  Stäbe  (aurifrisia) 
findet,  die  von  der  technischen  Vollendung  der  Werke  der  Wappenstickerzunft  im 
XV.  Jahrhundert  noch  Zeugniss  ablegen.  Der  vorliegende  Ornat  von  St  Andreas 
zeigt  in  den  Stäben  der  Dalmatiken  eines  jener  im  XV.  Jahrhundert  in  Köln  bei 
der  Wappensticker/unft  stereotypen  Ornamentes,  wie  wir  sie  in  grösseren  und  klei- 
neren Resten  häufig  noch  angetroffen  haben,  nämlich  auf  dunkelroth  seidenem 
Grunde  ein  Rankengefleeht  von  Rosen  und  Blättern  in  Gold  gewirkt  Auf  den 
verbindenden  Dorsal  und  Pectoralstücken  ersieht  man  in  denselben  goldenen  Laub- 
werk-Verschlingungen die  gewebten  Halbfiguren  des  Salvators  und  der  Madonna 
und  auf  dem  vorderen  Theile  zwei  Brustbilder  von  kt>lnisGhen  Bischöfen.  Die 
Bildwerke  des  Salvators  und  der  Madonna  sind  ebenfalls  ein  Werk  der  kölnischen 
Bildsticker  und  Wappenwirker,  und  zwar  sind  diese  Figuren  auf  einem  kleinen 
Uandstuhle  in  die  breite  Borde  hineingewebt  worden.  Nur  die  Incamations-Theile 
und  Faltenbrüche  in  den  Gewand-Partien  sind  im  Plattstich  aus  freier  Hand  beige- 
stickt worden.  Leider  ist  das  gestickte  Kreuz  an  dem  Messgewand  nicht  von  der- 
selben Vorzüglichkeit,  und  zeigt  dasselbe  eine  Stickerei  mit  kleinen  figuralen  Me- 
daiUons  und  dazwischen  befindlichen  Ornamenten  von  Vasen  und  daraus  hervor- 


8T.  ANDBEAS.  23 

gehendem  Laubwerk,  wie  es  der  Frtthzeit  der  Renaigsance  eigenthümlich  ist,  und 
wodurch  die  Spätzeit  der  Regierung  Kaiser  Karls  V.  deutlich  charakterisirt  wird. 
Die  kleinen  Rundmedaillons  in  dem  Kreuzstabe  dieses  Messgewandes  sind  gestickt 
mit  den  Bildern  der  zwölf  Apostel  rt^  or  battu^  und  zeigen  die  kunstreichen  und 
äusserst  feinen  Plattstich-Stickereien  noch  vollständig  die  vollendete  Technik,  wie  die- 
selbe in  den  spanischen  Niederlanden  und  namentlich  in  dem  fhr  Anfertigung  kunstr 
reicher  und  kostbarer  Bildstickereien  berühmten  Arni8  gegen  Schluss  des  XV.  und  in 
der  ersten  Hälfte  des  XYL  Jahrhunderts  angefertigt  zu  werden  pflegten.  Auch  der  dun- 
kelblaue Seiden-Sanmiet  mit  einem  in  kölnischen  Sakristeien  noch  oft  vorkommenden 
tief  geschnittenen  gothischeu  Dessin  verdient  an  dieser  Kapelle  Beachtung.  Ge- 
schnittene Sammtstoffe  in  ähnlichen  Mustern  wurden  in  der  letzten  Hälfte  des 
XV.  Jahrhunderts  meistens  angefertigt  und  bezogen  aus  Brttgge  in  Flandern  oder 
aus  Genua  und  Florenz. 

Leider  ist  an  dieser  interessanten  Kapelle  der  Schnitt  vollständig  nach 
neuerer  Weise  verändert  worden,  wie  das  auch  das  unschöne  aufgenähete  Bor- 
denwerk von  weisser  Farbe  deutlich  bekundet  Namentlich  ist  das  Messgewand 
auf  ein  Minimum  von  Form  reducirt  worden,  das  sehr  im  Contraste  steht  mit  der 
schönen  faltenreichen  Casel,  wie  sie  noch  im  XV.  Jahrhundert,  den  vielen  Ab- 
bildungen h.  Bischöfe  auf  Tempera -Malereien  zufolge,  im  alten  Köln  allgemein 
im  Gebrauche  war. 

Von  den  vielen  Schätzen  prachtvoller  Stickereien  und  Webereien,  woran 
das  ehemalige  Kanoniker-Stift  von  St  Andreas  so  grossen  Ueberfluss  hatte,  haben 
sich  heute  nur  noch  äusserst  wenige  Spuren  von  älteren  Paramenten  erhalten.  Nur 
im  Vorbeigehen  erwähnen  wir  noch  in  Kürze  zweier  Dalmatiken,  deren  Grund- 
stoff ein  italienisches  Damast-Muster  des  XV.  Jahrhunderts  zeigt,  wie  es  sich  in  Köln 
an  liturgischen  Gewändern  noch  häufig  vorfindet  Ein  grösseres  Interesse  beanspru- 
chen die  Stäbe  auf  denselben  von  dunkel  violetter  Grundfarbe,  worauf  als  Dessin 
ersichtlich  sind  die  bildliche  Darstellung  des  bekannten  Textes  yjsicut  cervus  desiderat 
ad  fantes  aquarum,^  Von  sechseckigen  Medaillons  eingefasst  erblickt  man  näm- 
lich, auf  blumigtem  Grunde  hingestreckt,  zwei  Hirsche,  die  den  Nacken  aufwerfen 
nach  oben,  woher  aus  den  Wolken  Thautropfen  herunterträufeln.  Diese  Hirsche, 
streng  stylisirt,  sind  in  kunstreichem  Gewebe  durch  Goldfäden  brochirt  Alle  übri- 
gen Laubomaniente,  die  sehr  an  sicilianisch-maurische  Mustervorlagen  der  Weberei 
erinnern,  sind  in  weisser  Seide  durch  den  Einschlag  erzielt  Merkwürdig  ist  es, 
dass  wir  in  Palenno  einen  alten  Seiden-Damast  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  von 
weisser  Farbe  gefunden  haben,  der,  vollständig  mit  dem  Vorliegenden  übereinstim- 
mend, ein  und  dasselbe  Muster  erkennen  lässt  Genau  dasselbe  Muster  fanden 
wir  auch  in  der  an  mittelalterlichen  Stoffen  und  Stickereien  so  reichhaltigen  Sakristei 
des  Domes  zu  Halberstadt  Dieses,  wie  es  scheint,  im  Mittelalter  so  sehr  beliebte 
und  in  den  verschiedensten  Farben  dai^ästellte  Muster,  das  in  alten  Inventa- 
ren  oft  bezeichnet  wird  als  „holoserica  cum  cervts  etflosculU^  scheint  im  XIV.  Jahr- 
hundert mit  besonderer  Vorliebe  bei  Anfertigung  von  liturgischen  Gewändern  ge- 
braucht worden  zu  sein.    Auch  in  unserer  Privat-Sammlung,    die  heute  mehr  ^s 


24  ST.  ANDREAS. 

1400  mittelalterliche  Stickereien  und  Webereien  umfasst,  finden  sich  zwei  solcher 
Gewebe,  wie  das  obenbeschriebene  mit  den  Hirschen  vor*),  und  ist  dieser  StoflF 
mit  den  symbolischen  Hirschen  neuerdings  in  dem  bekannten  Institute  für  Anfer- 
tigung kirchlicher  Stoffe  von  Cassaretto  in  Crefeld  mit  grosser  Präcision  und  Styl- 
Gerechtigkeit  in  verschiedenen  Farben  wieder  angefertigt  worden. 

Noch  befindet  sich  im  Chore  von  St  Andreas  ein  grosses  Graduale  mit 
vielen  Miniaturen  und  reich  verzierten  Initialen.  Der  Beschlag  dieses  reich  aus- 
gestatteten Manuscriptes,  das  offenbar  der  letzten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts 
angehört  und  von  einem  vorzüglichen  Meister  der  Kölnischen  Miniatoren  herrtth- 
ren  dürfte,  verdient  tür  vorliegenden  Zweck  besonders  dadurch  Beachtung, 
weil  die  vier  Ecken  des  Buches  mit  ausgezeichnet  schönen  Beschlägen  verziert 
sind.  Diese  Eckbesätze  sind  unsers  DaftLrhaltens  nach  zu  den  schönsten  zu  rech- 
nen ,  die  sich  heute  noch  vereinzelt  in  Kölnischen  Kirchen  vorfinden.  Eigenthttm- 
licher  Weise  sind  in  diesen  Eckblättem  nicht,  wie  das  in  der  Regel  der  Fall  ist, 
die  vier  symbolischen  Abzeichen  der  Evangelisten,  sondern  in  jeder  Füllung  zu- 
rückkehrend ein  kräftig  stylisirter  Adler  mit  der  Krone  in  Metallguss  zur  An- 
schauung gebracht,  der  allenfalls  der  Vermuthung  Raum  geben  könnte,  dass  durch 
dieses  Thierzeichen  vielleicht  angedeutet  würde  das  heraldische  Abzeichen  des 
deutschen  Reiches.  Vorläufig  bleibt  es  der  Untersuchung  noch  vorbehalten,  fest- 
zustellen, ob  durch  dieses  Thierzeichen  nicht  das  ältere  Abzeichen  des  Kano- 
nikerstifl;es  an  St.  Andreas  vorgestellt  werden  dürfte. 

Die  vorliegenden  Beschläge  zeigen  in  ihren  Omamentationen  noch  viele 
Anklänge  an  die  Formen  des  romanischen  Styles,  dem  auch  das  Bild  des  ein- 
köpfigen Adlers  noch  theilweise  anzugehören  scheint,  und  liegt  die  Vermuthung 
nahe ,  dass  diese  Eckbesätze  mit  der  mittleren  Füllung  ehemals  einem  altem  Gra- 
duale zum  Schutze  und  zur  Zierde  gedient  haben.  Für  diese  Vermuthung  schei- 
nen auch  zu  sprechen  die  zierlichen  Verbindungen  von  Thier  und  Pflanzen,  wie 
sie  als  phantastisches  Ornament  des  XIH.  Jahrhunderts  der  mittleren  Füllung  zur 
Auszeichnung  gereichen.  Auch  die  Schlusskrampen  entbehren  ihres  zweckmässi- 
gen Ornamentes  nicht;  jedoch  rühren  dieselben,  wie  es  den  Anschein  hat,  aus 
jener  Zeit  her,  in  welcher  das  Manuscript  selbst  angefertigt  worden  ist 

Sollte  man  bei  der  Neuschaffung  ähnlicher  Krampen  und  Ein&ssungen  von 
Missalien  in  Köln  nach  altem  schönen  Vorbildern  sich  umsehen,  so  dürftien  bei 
Compositionen  derselben  die  ebengedachen  Eckbesatze  des  Graduale  von  St  Andreas 
eine  sorgfältige  Beachtung  finden. 

Schliesslich  machen  wir,  bei  Beschreibung  der  liturgischen  Geräthe  aus  Metall 
angefertigt  noch  auf  vier  Hand-  oder  Tragleuchter  auftnerksam,  die  von  Chorknaben 
getragen  werden  und  unter  der  Bezeichnung  „Tortschen"  in  Köln  näher  bekannt 
sind.  Diese  Lichtträger  legen  Zeugniss  ab,  welche  grosse  Routine  die  Kupfer- 
schläger und  Kupferschmiede  Kölns  in  der  schwierigen  Kunst  des  Treibens  und 


*)  Vgl.  die  Abbildung  und  Beschreibung  desselben  in  der  I.  Lief,  unseres  Werkes  ,, Geschichte 
d^  liturgischen  Gewänder"  Taf.  IX,  Seite  54  und  55. 


ST.  ANDREAS.  25 

Schlagens  rieh  erworben  hatten ,  namenüieh  zu  jener  Zeit,  wo  die  Gothik  und 
ihr  Fonnenreiehthom  bereits  zum  Abschluss  gekommen  war,  und  die  Renaissance 
eben  ihren  Einzug  hielt  Die  obere  Schale  an  diesen  Uchthaltem  mit  getriebenen 
halbkreisförmig  ausladenden  Ornamenten  erinnert  deutlich  an  die  analogen  getrie* 
benen  Arbeiten  der  Ananasbecher  und  Trinkpokale,  wie  sie  am  Schlüsse  der  go* 
thischen  Kunstepoche  und  dem  Aufkommen  der  Renaissance  ftbr  profiinen  Gebrauch 
vielfach  angefertigt  wurden. 

Noch  besitzt  die  Sakristei  von  St  Andreas  ein  Paar  altdeutsche  kleine  Al- 
tarieuchter  in  Messingguss  mit  mehreren  gedrehten  Ringen,  ähnlich  wie  die  Leuch- 
ter aus  der  Jesuitenkirche.  (Vgl.  Taf.  HL  Fig.  13.)  Dieselben  bieten  keine  Mo- 
dificationen  hinsichtlich  ihrer  Form,  und  genüge  es  daher,  hier  im  Vorbeigehen 
darauf  hingewiesen  zu  haben. 


Ehemaliger  Schatz  von  St  Andreas« 

Aegidius  Gelen,  dessen  oft  citirtes  Werk  „de  magmtudine  Colomae^  wir  die 
folgenden  Notizen  ttber  den  leider  fast  vollständig  verschwundenen  reichhaltigen 
Reliquienschatz  des  ehemaligen  Stiftes  von  St  Andreas  verdanken,  war  als  erz- 
bischöflicher geistlicher  Rath  und  Historiograph  zugleich  auch  Kanonikus  von 
St  Andreas  und  hat  derselbe  in  letzter  Eigenschaft  es  nicht  versäumt,  ausfilhr- 
licher  in  dem  obengedachten  Werke  den  reichen  Schatz  von  kostbaren  GefiLssen 
seiner  Stiftskirche,  wie  er  1 645  noch  ersichtlich  war,  zu  beschreiben.  Es  befanden 
sich  unter  anderen  Eunstschätzen  vornehmlich  daselbst  drei  tragbare  Altftrchen 
(aliaria  trantpartiäa,  gestaiaria),  die  von  grosser  Formschönheit  und  Reichthum 
des  Materials  gewesen  sein  mögen.  Sehr  muss  man  es  bedauern,  dass  auch  diese 
heute  selten  gewordenen  Kunstgegenstände  im  Strudel  der  letzten  grossen  Staaten- 
umwälzung spurlos  verschwunden  sind.  Der  erste  dieser  drei  ^ arae  maioriae^  die  auch 
zuweilen  genannt  werden  y^aUaria  viatica^  war  aus  Gold  angefertigt  und  mochte 
derselbe  vielleicht  die  Grösse  und  Gestalt  haben  jenes  tragbaren  Altares,  der  heute 
noch  in  der  Sakristei  von  Maria^Gapitol  in  Köln  befindlich,  in  der  dritten  Liefe- 
rung dieses  Werkes  in  Abbildung  und  Beschreibung  mitgetheilt  werden  wird.  Die- 
ses von  G^len  angedeutete  y^gestatorium^  zeigte  folgende  leoninische  Inschrift: 

ff  Hoc  decws  Altarü  monumentum  dulcu  amaris, 
Dat  tua  bella  tibi  coniunx  duof  Hugo  Juihitta. 
Ut  memor  ejus  sis  omni  quo  tempore  mvü.^ 
Der  zweite  portative  Altar  war,  der  Angabe  nach,  von  Elfenbein,  d.  h.  er  zeigte 
auf  der  obem  Plattfläche  einen  länglichten  consecrirten  Stein,   der  in  der  Regel 
ein  lapis  Lazuli,  ein  Porphyr  oder  ein  Serpentin  war.    An  den  vier  Seiten  des 
Schreines  entlang  hatte  der  Künstler  wahrscheinlich  mehrere  Heiligen-Figuren  an- 
gebracht,  die  in  Elfenbein  geschnitzt  waren,  woher  auch  der  Name  j^altare  ebur^ 
neum^  entstanden  zu  sein  scheint    Die  Inschrift  auf  demselben  lautete: 

4 


26  ST-  AKDBEAg. 

y^Sit  datar  ae  datum  tibi  Christe  pHssime  gratum 

Claudere  dmutra  poli  d$tm  pulsai  Wolbero  noli 

Qui  tibi  devotiu " 

Das  dritte  Portatile  war  von  Messing,  wahrscheinlich  vergoldet  und  mit  Figuren 
und  Ornamenten  im  vielfarbigen  Email  ausgestattet.  Auf  demselben  ersah  man  fol- 
gendes Legendarium: 

yjHic  cum  gente  pia  Dens  et  sacra  virgo  Maria 

Praesidet  et  secum  per  quos  dOudicat  aequum 

Subsidiis  quarum  laxantur  vincla  reorum 

Suscipit  haec  dana  quae  caeca  fugit  Synagoga 

Angeitu  aspectu  ferit  hos  has  tnnlcet  amictu,^*) 
Femer  befanden  sich  noch  in    demselben  Schatze  sieben   grössere  Beliquiarien, 
meist  silbervergoldet,  von  kunstreicher  Arbeit;  unter  diesen  zeichnete  sich  beson- 
ders aus  eine  j,hierotheca^  von  Silber  in  Form  eines  Doppelkreuzes,  die  in  der  Mitte 
eine  grössere  Partikel  vom  h.  Kreuz  enthielt,  und  in  den  reichverzierten  Ausmttn- 
düngen  der  beiden  Elreuzbalken  mehrere  Keliquien  umschloss.    Femer  besass  noch 
der  gedachte  Schatz  ein  grosses  Kiystallgefäss  mit  silbervergoldeten  Einfiissungen 
und  Verzierungen,  das  mit  Reliquien  gelullt  war.    Besonders  bemerkenswerth  war 
auch  daselbst  ein  silbervergoldetes  Reliquiarium  in  Form  einer  kleinen  Kapelle,  das 
unser  Autor  näher  bezeichnet  als  j,saceUum  seu  thronum ,  und  dabei  bemerkt,  dass 
es  höchst  kunstreich  war.     Nach  der  grossen  Anzahl  von  Reliquien,    die  darin 
verschlossen  waren ,  so  wie  der  Beschreibung  des  Gelen  zufolge  will  es  uns  schei- 
nen,  dass  dieser  zierliche  Kapellenbau  im  gothischen  Style  angefertigt  war  und 
möglicher  Weise  in  jener  Gonstmction  und  jenem  Formenreichthum  imponirte, 
wie  derselbe  heute  noch  an  jenen  prachtvollen  Reliquiuien  ersichtlich  ist,  wie  sie 
der  äusserst  reiche  Domschatz  in  Aachen  an  zwei  kleinen  Kapellenbauten  in  ver- 
goldetem Silber  noch  aufzuweisen  hat    Auch  noch  drei  Reliquienarme  in  edlem 
Metall  und  kunstreicher  Form  ausgeführt,  bewahrte  ehemals  der  Schatz  von  St  An- 
dreas» die  mit  den  heute  noch  vorfindlichen  Brachialicn  aus  dem  Schatz  von  St  Ge- 
reon (vgl.  Taf.  n,  Fig.  7  u.  8)  Aehnlichkeit  gehabt  haben  mochten.  Noch  erblickte  man 
in  dem  damaligen  Schatze,  nach  der  Angabe  unseres  Kölnischen  Chronisten  eine 
grosse  Anzahl  von  verschiedenen  grösseren  und  kleinem  Reliquiengefässen  kunst» 
reich  ausgelührt  in  Silber,   Kupfer  oder  Krystall,  deren  speeielle  Aufzählung  un- 
ser Gewährsmann  unterlässt    Damnter  befanden  sich  wohl  auch  jene  kleineren 
Ueberreste  kirchlicher  Goldschmiedekunst,  die  wir  auf  Tafel  IV  abgebildet  und  un 
Vorhergehenden  beschrieben  haben.    Noch  besitzt  heute  die  Sakristei  von  St  An- 
dreas ein  merkwürdiges  Messgewand  aus  blauem  Seidenplttsch  mit  goldgewirkten 
Stäben  im  &ltenreichen  Schnitt  des  Mittelalters,  das  dem  Albertus  Magnus  zuge- 
schrieben wird.    Wir  werden  im  Anhange  dieses  Werkes  obige  seltene  Kasel  aus- 
führlicher besprechen. 


*}  Einer  Hittheilung  zufolge   sollen  die  so  eben  bezeichneten  PortatiY-Altirchen  in  Dannstadt 
sich  befinden ;  möglich  ist  es,  dass  dieselben  dorthin  gefluchtet  und  spSter  nicht  zurückgesandt  woi-den  sind. 


jfiio  &I  tlrsul'a  . 


jTna  ß;  tlruufi . 


•^ 


JhfiP'.  Qr^ufa. 


^t  'gCrfufa. 


Mittelalterliche  Kunstgegenstände  daselbst« 

Seit« 

24)  Kntininstab  einer  Aebtissin,  in  vergoldetem  Holz.,  XV.  Jahrhundert.     Taf.  VI.  Fig.  24  3 

25)  Reliquiarium  in  Form  eines  Krystallcylinders ,  XIV.  Jahrhundert.     Taf.  VI.  Fig.  25      .  5 

26)  Reliquienbehältcr  in  Seide  gestickt ,  XIII.  Jahrhundert.     Taf.  VI.  Fig.  26       .     .         .5 

27)  Schmuckkästchen  mit  Reliefdarstellungen  in  Elfenbein  geschnitzt,  XlV.Jahrh.  Taf.  VI.  Fig.27  7 
27*)  Elfenbeinkästchen  mit  Sculpturen.     XIV.  Jahrh.  dem  Vorhergehenden  ahnlich    ...  9 

28)  Grosser  Reliquienschrein  der  h.  Ursula,  XII.  Jahrhundert.     Taf.  VII.  Fig.  28     ...  U 
Fig.  28  Langseite  des  Schreines,  Fig.  28a  Kopfseite  desselben 11 

29)  Reliquiengefliss  in  Form  eines  Raldachins,  XIV.  Jahrh.     Taf.  VIII.  Fig.  29    ....  1 5 

30)  Sculptur  in  Rergkrystall ,   einen  liegenden  Vicrfüssler  vorstellend ,    XII.  Jahrh.  Taf.  VIII, 

Fig.  30 16 

31)  Kusstafel  zum  Darreichen  beim  „ii^iM  Dei**,  XV.  Jahrh.     Taf.  VIII.  Fig.  31    ...  18 

32)  Pectoralschild,  Kupfer  vergoldet,  XV.  Jahrh.     Taf.  VIII.  Fig.  32 19 

33)  SchaugeHlss  in  Form  einer  viereckigen  Kapsel  mit  Krystall verschluss,  XIV.  Jahrhundert. 
Taf.  VIll.  Fig.  33 21 

34)  Reliquienskastchen  mit  getriebenen  Silberhlechen  verziert,  XlV.Jahrh.  Taf. VIII.  Fig.  34  23 
Geschichtliche  Nachrichten  über  den  Schatz  von  St.  Ursula 25 


24. 

Obere  insmfindiing  und  Krftmme  eines 

oder  Prälatenstabes, 

aus  Eichenholz  geschnitzt,  mit  reicher  Vergoldung. 

XV.  Jahrhundert.     GrOaste  Länge  4  t  Centüneter.     GrOnter  Durohmesser  der  Krttmme  15  Centimeter. 

Die  Toriiegende  Erttinme  (curvatura),  die  sich  in  dieser  eigenthttmlichen 
Formentwickelung  nicht  leicht  irgend  wo  anders  erhalten  haben  dürfte ,  rtthrt  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  als  obere  Bekrönung  von  einem  Prälaten-  oder  Abtsstabe 
her  (pedum  aiatiale),  und  diente  derselbe,  seiner  grösseren  Leichtigkeit  wegen, 
zum  Grebrauche  an  kleineren  Festen;  oder  er  wurde,  was  nicht  unwahrscheinlich 
erscheinen  dürfte,  aus  diesem  einfachen,  wenig  kostbaren  Materiale  angefertigt,  um 
als  Sepulturstab  einem  verstorbenen,  kirchlichen  Würdenträger,  wie  das  heute 
noch  Gebrauch  ist,  als  Abzeichen  seiner  hohen  Stellung  in  den  Sarg  gelegt  zu 
werden.  Eine  andere  Hypothese,  die  auch  noch  zulässig  erscheint,  wäre  die,  dass 
der  vorliegende  Stab  in  seinem  einfachen  Materiale  nicht  dem  gewöhnlichen  Gebrauche 
gedient  habe,  sondern,  dass  er  bei  feierlichen  Exsequien  für  einen  verstorbenen 
Prälaten  oder  bei  Jahrgedächtnissen  als  Cäremonien-  und  Insignienstab  über  den 
reich  ausgestatteten  Katafalk  (tumba)  nebst  entsprechender  Miter  und  Kelch  hin- 
gelegt worden  sei. 

Zu  der  Beschreibung  dieses  „pedum^  übergehend,  bemerken  wir,  dass  auf 
einem  achteckigen,  stark  profilirten  Knauf,  der  platt  gedrückt  ist,  sich  ein  klei- 
ner Ständer,  Röhre  erhebt,  die  durch  vertieflie  Fensterblenden  auf  ihren  8  Seiten 
omamental  belebt  wird.  Mit  diesem  architektonisch  gegliederten  Ständer  steht  ein 
zweiter  achteckiger  Knauf  mit  tiefem  Profile  in  Yerbindimg,  der  auf  seiner  Spitze 
von  einer  Zinnen-Krone  überragt  wird.  In  diese  offenstehende  Bekrönung  greift 
ein  kräftiger  Blattstiel  mit  drei  hervorstehenden  Nerven  ein,  der  Anfangs  ge- 
radlinig aufsteigt,  alsdann  rechts  tief  ausladet  und  weiter  fortgeftlhrt,  fast  mit 
einer  kreisförmigen  Windung  sich  dem  untern  Ausgangspunkte  wieder  nähert  und 
in  einer  kleinen  überhöhten  Spitze  an  denselben  anschliesst  An  dem  äusseren 
Rücken  dieses  kräftigen  Blattstieles  hat  der  Holzschnitzer  kunstgerecht  an  einan- 


4  ST.  URSULA. 

der  anschliessend  hervorsprossen  lassen  acht  schön  stylisirte  Krabbenblätter,  die  in 
ihrer  Bildung  mit  dem  Kohlblatte  (brassica)  Verwandtschaft  haben.  Durch  die  Unbilden 
der  Zeiten  sind  die  aui^adenden  Krabben  an  diesen  Blättern  sämmtlich  abgestossen 
und  beim  Fallen  verloren  gegangen.  Der  ebengedachte  Blattstiel,  der  die  Krümme 
bildet,  entfaltet  sich  unten  in  seiner  Ausmttndung  zu  einem  reichen,  gothischen 
Blattwerke,  das  ebenfalls  heute  nur  noch  zur  Hälfte  vorhanden  ist.  Die  mittlere 
runde  Oefihimg,  die  durch  die  Ausbiegung  des  Blattzweiges  entsteht,  hat  der 
Künstler  theils  durch  architekturalen,  theils  durch  figuralen  Schmuck  passend  aus- 
zufüllen gewusst.  Es  erhebt  sich  nämlich  auf  einem  tief  profilirten  Sockel  von 
kleiner  Dimension  als  Karyatide  auf  jeder  Seite  des  Stabes  eine  kleine  Statuette, 
in  Holz  vergoldet,  wovon  die  eine  die  Mutter  Grottes,  die  andere,  unseres  Datttr- 
haltens  nach,  die  heilige  Ursula  vorstellt  Die  heil.  Jungfrau  ist  dargestellt,  wie  sie 
als  „mater  müen'cordiae^  die  Pflegbefohlenen  mit  ihrem  schützenden  Mantel  bedeckt. 
Dasselbe  ist  der  Fall  bei  der  auf  der  Rückseite  befindlichen ,  heiligen  Ursula  die 
als  Patronin  die  Ordensgenossen  unter  ihren  Schleier  versammelt  hält  Ueber 
diesen  beiden  Gruppen,  ä  deua;  faces  gestellt,  erhebt  sich  ein  kleiner  Baldachin, 
dessen  Fialen  mit  einander  verbunden  sind  und  durch  den  oberen  Stengel,  der  die 
Krümme  bildet,  hindurchwachsen.  Neben  diesen  Standbildchen  erblickt  man  noch 
innerhalb  der  Krümme  an  jeder  Seite  je  zwei  kleine  Fialen,  die  früher  durch 
kleine  Strebebogen  gegenseitig  in  Verbindung  gesetzt  waren.  Noch  ittgen  wir 
hinzu,  dass  die  ganze,  zierliche  Schnitzarbeit  heute  noch  ihre  alte  primitive  Ver- 
goldung zeigt,  und  dass  auch  die  beiden  Statuettchen  mit  ihren  Nebenfigürchen 
noch  deutlich  die  Spuren  der  ursprünglichen  Polychromie  erkennen  lassen.  Auf 
den  ersten  Blick  besagt  das  in  Bede  stehende  Schnitzwerk  deutlich,  dass  es  in 
Köln  in  der  letzten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  von  einem  geübten  Bildschnitzer 
seine  Anfertigung  gefunden  haben  dürfte.  Was  das  Material,  das  Hobs  betrifil,  worin 
dasselbe  ausgerührt  ist,  so  ist  zweifelsohne  in  derselben  Absicht,  wie  oben  bereits 
angedeutet,  dasselbe  zur  Anfertigung  des  vorliegenden  liturgischen  Geräthes  ge* 
wählt  worden,  damit  die  Schwere  desselben  bei  dem  Gebrauche  nicht  ^tig  sei. 
Aus  demselben  Grunde  wurden  auch  im  Mittelalter  selbst  Monstranzen  mit  reicher 
Vergoldung  aus  Holz  angefertigt,  damit  bei  grösseren  Processionen  die  Umhertra- 
gung  derselben  nicht  durch  ihr  Gewicht  erschwert  wurde.  Wir  erinnern  uns  nicht, 
auf  ausgedehnten  Beisen  bischöfliche  oder  Abatialstäbe,  aus  ähnlichem  Materiale 
verfertigt,  angetroffen  zu  haben.  Bei  den  einfacheren  Bischofsstäben  des  Mittel- 
alters wurde  das  Bothkupfer  mit  reicher  Vergoldung  und  Emaillirung  oder  das 
Elfenbein  angewandt  Die  reicheren  bischöflichen  ^peda^  waren  von  vergoldetem 
Silber  angefertigt  und  mit  edlen  Steinen  und  Perlen  reich  verziert  Interessante 
kunsihistorische  Mittheilungen  über  die  bischöflichen  Stäbe  des  Mittelalters  findet 
man  in  dem  trefflichen  Werke  des  Abbö  Martin  et  Cahier,  nebst  Beigabe  vieler 
Abbildungen  und  zwar  in  dem  IV.  Bande  der  „Mölanges  dFArchiologie.^ 


ST.  UBBUtiA.  5 

25. 

Reliqniarram, 

in  Form  eines  iiorizontalliegenden  Gylinders  mit  silbervergoldeten  Einfassungen. 

XIV.  Jahrh.    Höhe  17  Centimetres.     Länge  16  Centimetres. 

Wir  widmen  diesem  sehr  einfachen  Reliquienbehälter  deswegen  eine  nä- 
here Beschreibung,  weil  derselbe  eine  merkwürdige  formelle  Einrichtung  und 
Gestaltung  hat,  die  sich  sonst  seltener  vorfindet.  Statt  eines  Ständers  mit  darun- 
ter befindlichem  Fusse,  hat  der  Goldschmied  vier  einzelne  Träger  in  Form  von 
sogenannten  Greifenklauen  angebracht,  wodurch  der  horizontalliegende  Cylinder  ge- 
tragen wird.  Diese  Fussgestelle,  „fulcra^'  einfach  gehalten,  münden  auf  beiden  Seiten 
ein  in  einen  Deckel  oder  Schliesse  der  Röhre,  die  als  Verzahnung  eine  Spitzbogen- 
stellung zu  Tage  treten  lässt  Diese  beiden  Schliessen  sind  wiederum  durch 
verschiedene  Ringe  und  Bandstreifen  mit  einfachen  Profilen  in  Verbindung  gesetzt 
Auf  dem  mittlem  Umfassungsring  erhebt  sich,  omamental  gehalten,  der  „Baum  des 
Lebens",  an  welchem  die  Figur  des  Gekreuzigten  befestigt  ist  Zu  beiden  Seiten 
erblickt  man,  auf  Verästelungen  gestellt,  die  Passionsgruppe  Johannes  und  Maria, 
als  Standbilder  neben  dem  Kreuze.  Die  Darstellung  der  Kreuzigung  des  Heilan- 
des in  dieser  Ausführung  haben  wir,  ideal  aufgefasst,  mehrmals  an  anderen  Reli- 
quiarien  als  Krönung  und  AusmUndung  vorgefunden.  Die  Drapirung  der  Gewän- 
der an  den  ciselirten  Standbildern  von  Johannes  und  Maria,  nicht  weniger  die 
Darstellung  des  Gekreuzigten,  wobei  das  im  romanischen  Style  immer  wieder 
vorkommende  „suppedaneum"  fehlt,  bieten  die  nöthigen  Anhaltspunkte,  um  mit  eini- 
ger Sicherheit  den  nicht  gewagten  Schluss  ziehen  zu  können,  dass  der  vorstehende 
Reliquienbehälter  gegen  Schluss  des  XIV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  sei. 


26. 

Reliqnienbehälter^ 

mit  Stickereien  überzogen  und  mit  vergoldeten  Beschlägen  verziert 

XUI.  Jahrhundert.     Länge  20  Va  Cent.    Breite  15  Cent.     Höhe  l4'/s  Cent. 

Dieses  interessante  Seliquienschreinchen  stimmt  in  seiner  Form  als  vier- 
eckiges, längliches  Kästchen  mit  einem  dachförmig  ansteigenden  Deckel  ttberein 
mit  vielen  anderen  in  Metall  gearbeiteten  Reliquiarien.  Die  eigenthttmliche,  kunst- 
reiche Ausstattung,  eine  Art  Straminstickerei,  womit  das  Aeussere  dieser  „ar- 
cula^  überzogen  ist,  möchte  sich  jedoch  heute  nur  noch  selten  vorfinden.  Sowohl 
die  Musterung,  als  auch  die  Technik  bietet  auffallende  Analogien  mit  jenem 
gestickten  Täschchen  im  Schatze    von  St.  Gereon,    das  wir   auf  Seite  19    näher 


6  ST.  URSULA. 

beschrieben  und  auf  Tafel  ü,  Nr.  9,  in  Abbildung  mitgetheilt  haben.     Es  stellen 
sich  nämlich  auf  einer  Grundlage  von  grobem  Leinen  viele  quadratisch  geordnete 
Dessins  in  Weise  unserer  heutigen  Kreuzstickerei  dar,  die  sich  zu   erkennen  ge- 
ben in  Form  und  Composition  als  eigenthümliche  überlieferte  Fomibildungen,  wie 
sie  bei  der  Stickerei  schon  in  der  klassischen  Zeit  gang  und  gäbe  waren,    und 
die  mit  den  romanischen  und   germanischen  Formen  des  christlichen  Mittelalters 
nicht  die  geringste  Verwandtschaft  haben.      Mit  einem  Gesammtnamen  bezeichnet 
man  diese  vielfach  variirenden  Muster,  um  ihre  Herkunft  zu  bezeichnen,  gewöhn- 
lich a  la  Greque,  und  zwar  deswegen,  weil  die  griechische,  bekannte  Mäanderform 
bei    diesen   im  rechten  Winkel    gebildeten   geometrischen    Figuren   eine  Haupt- 
rolle spielt.    Diese  ebengedachten  Ornamente  sind  nur  in  3  Farbtönen  ausgeftihrt, 
um  das  zu  Bunte  und  Unruhige   fem   zu   halten.     Als  Hauptfarbtöne  stellen  sich 
dar,  hellrothe,  hell-  und  dunkelgrüne  und  weisse.    Die  erfindungsreiche  Stickerin 
hat  es  zu  erzielen  gewusst,    dass  auf  jeder  Seite  dieses  ReUquiariums  sinnreich 
und  gewählt  die  Muster  abwechseln,  so  dass  auf  dem  merkwürdigen  Schreine  acht 
verschiedene  Muster  vorkommen,    gerade  ebensoviele,    als  auch  das  „scriniolum^' 
Flächen  bietet    Die  Stickerei  ist  auf  dem  groben  Leinen  in  losgedrehter  Flockseide 
ausgeftihrt,  und  hat  die  Stickerin  die  Fäden  des  unter  gelegten  Leinenstoffes  ge- 
zählt und  im  Plattstich  immer  acht  Fäden  der  Unterlage  übersprungen.    Das  innere 
Kästchen  ist  aus  einem  leichten,  dünnen  Holze  gebildet  und  im  Innern  mit  einem 
weissen  Leinenstoffe  ausgeftlttert.  Um  diesem  Schreinchen  nach  Aussen  mehr  Festig- 
keit zu  geben,  und  um  zugleich  die  Stickerei  vor  Friciion  zu  schützen,  hat  man 
dafür  Sorge  getragen,  dass  die  einzelnen  Seiten  des  Kästchens  mit  ankeriörmigen, 
Kupfer  vergoldeten  Stab-  und  Linienomamenten  überzogen  wurden,  die  sämmtlich 
die  Form   der  bekannten  yjleurs  de  lü^  oder  ,Jrancica^,  jedoch  in  grober  nicht 
ausgebildeter  Weise  an  den  Tag   treten  lassen.    Bei  Durchlesung  einer  grösseren 
Anzahl  älterer  kirchlicher  Schatzverzeichnisse  des  12.,   13.  und  14.  Jahrhunderts 
fiiuden  wir  viele  Bezeichnungen  vor,  die  es  wahrscheinlich  erscheinen  lassen,  .dass 
in  der  angegebenen  Epoche  des  Mittelalters  ähnliche  Kästchen,  durch  Nadelarbei- 
ten auf  eine  weniger  kostspielige  und  doch  kunstsinnige  Weise  ausgestattet,   in 
Menge  angefertigt  worden  sind.    In  diesen  Inventaren  der  Kirchenschätze  führen 
gewöhnlich  ähnliche  Schreine  die  Bezeichnung  „scrmiolum  sericum^  oder  ^ladula, 
opere  polymitario  confecta.^     Wahrscheinlich  ist  es,    dass  dieses  kunstreich   ge- 
stickte Beliquienkästchen  von  einer  Stiftsdame  des  altberühmten,  adeligen  Damen- 
slifties  von  St  Ursula  ftlr  den  bezeichneten  Zweck,    und  zwar,  Analogien  unserer 
Sammlung  nach  zu  urtheilen,  gegen  Schluss  des  13.  Jahrhunderts  angefertigt  wor- 
den ist  ' 


ST.  CBSULA.  7 

Schmnckkästchen, 

in  Elfenbein  mit  vielen  scuiptirten^  figürlichen  Darstellungen. 

XIY.  Jahrh.     Länge  24  Centimeter.    Höhe  9  Centimeter.    Breite  12  Centimeter. 

• 

Dieses  merkwürdige  seulptirte  Seliquienkästchen  in  Elfenbein  gebeint  ehe- 
malB  einem  profanen  Zwecke  gedient  zu  baben  und  erst  später  einem  kirchlicben 
Gebraueb  ttbergeben  worden  zu  sein.  Wie  die  vielen,  auf  den  vier  Seiten  sculptir- 
ten  Basreliefs  anzeigen,  glauben  wir  aus  verwandten  Analogien  scbliessen  zu  kön- 
nen, dass  diese  „arcula  oblanga^  ebemals  als  Schmuck-  und  Juwelkästchen  sich 
im  Besitze  einer  gräulichen  oder  fürstlichen  Dame  beftmden  habe.  Viele  Anzeichen 
sprechen  dafür,  dass  dieses  Schreinwerk  seine  Entstehung  gefunden  habe  in  der 
Blttfhezeit  der  Troubadour-  und  Minnesänger,  wo  bekanntlich  der  poetische  Frauen- 
kult des  Mittelalters  seine  höchste  Ausbildung  erreicht  hatte  und  seiner  Ausartung 
nahe  gekommen  war.  Damit  scheinen  auch  die  vielen  scenirten  Darstellungen  über- 
einzustimmen, die  der  Minne  entlehnt,  dem  vorliegenden  Schreine  2um  poetischen 
Schmucke  gereichen.  Wir  dürfen  es  nicht  wagen,  in  der  vorliegenden  kurzen 
Beschreibung  eine  Deutung  der  vielen  naiven  und  sinnigen  Darstellungen  versuchen 
zu  wollen,  womit  das  vorliegende,  höchst  merkwtlrdige  Kästchen  auf  das  reichste 
ausgestattet  ist  und  bemerken  deshalb  in  Kürze,  dass  sämmtliche  Darstellun- 
gen in  einem  gewissen  Zusammenhange  und  in  einer  gewissen  Reihenfolge  stehen. 
Wir  glauben  mit  Sicherheit  angeben  zu  können ,  dass  der  Gegenstand,  wie  er  hier 
in  13  verschiedenen  Scenen  zur  Darstellung  gebracht  ist,  einem  im  XIV.  Jahrhun- 
dert bekannten  poetischen  Epos  irgend  eines  Meistersängers  entnommen  ist,  das 
im  Volke  einen  Nachklang  gefunden  hatte  und  im  Munde  Aller  lebte.  Es  dürfte 
schwer  halten,  bei  den  vorliegenden  Basreliefs  zu.bestinunen,  in  welcher  Darstel- 
lung der  Anfangs-  und  bei  welchem  Relief  der  Ausgangspunkt  der  vielen  bildlichen 
Darstellungen  zu  suchen  sei.  Eine  Deutung  des  poetisch-geschichtlichen  Gegen- 
standes einer  späteren  geübten  Feder  überlassend,  führen  wir  nur  hier  kurzweg 
an,  dass,  wie  der  Augenschein  lehrt,  in  den  13  Basreliefs,  eine  y,scene  amoureuse^ 
zur  Entfaltung  kommt.  Es  ist  nämlich  auf  der  hinteren  Seite  dieses  „coffrette^^ 
zur  Anschauung  gebracht,  wie  der  von  der  Frau  Venus  als  geflügelter  Genius  ge- 
sandte „schelmische  Amor^'  zwei  liiebende  zusammenführt  Daneben  erblickt  man 
in  naiver  Darstellungsweise  dasselbe  Paar,  das  durch  einen  Gürtel  vereinigt  und 
umschlungen  wird.  Die  dritte  Scene  gibt  bildlich  zu  erkennen,  wie  der  knieende 
Ritter  von  seiner  Dame  einen  Kranz  als  Ritterdank  empfängt  Weitere  Darstel- 
lungen lassen  auf  den  breiteren  Kopftheilen  den  Ritter  und  seine  Dame  erkennen, 
wie  sie  im  Schachspiele  begriffen  sind,  und  wie  dieselben  dem  Vergnügen  der  Jagd 
obliegen.  Auf  der  vorderen  Seite  erblickt  man  an  der  Stelle,  wo  die  in  Silber  kunst- 
reich gearbeitete  Schliesse  sich  befindet,  die  beiden  Liebenden  einander  gegen- 
ttbergewandt,    wie  sie  mit  beiden  Händen  den  kleinen  Verschluss  des  Kästchens 


8  ST.  ITBSUUl. 

ZU  halten  scheinen,  wodurch,  wenn  wir  hier  die  Hypothese  wagen,  möglicher 
Weise  der  Bund  und  die  Beschliessung  der  gegenseitigen  Treue  figürlich  ange- 
deutet werden  könnte.  Zur  Seite  der  Dame  hat  der  Beinschnitzer  die  Figur  eines 
sitzenden,  kleinen  Hundes  angebracht,  zweifelsohne  das  Symbol  der  weiblichen 
Treue,  und  gegenüberstehend  an  derselben  Stelle  die  Sculptur  eines  sitzenden 
Affen,  worin  vielleicht  eine  Anspielung  auf  die  Wandelbarkeit  der  Männer 
gefunden  werden  könnte.  Auf  dem  Deckel  des  interessanten  Schmuckkästchens 
befinden  sieh  unter  vier  Kleeblattbogen,  von  kleinen  Giebelfeldern  überragt,  vier 
grössere  Darstellungen,  unter  welchen  schuldlose  Bildungen  aas  dem  Bereiche 
der  Minne  ebenfalls  wieder  zur  Anschauung  gebracht  sind.  Was  nun  die  Ent- 
würfe der  vielen  Figuren  betrifft,  so  kann  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  dass 
sämmtlichen  Compositionen  ein  feststehender,  handwerksmässiger  Charakter  an- 
haftet, wodurch  diese  niedlichen  Sculpturen  sich  zu  erkennen  geben  si»  immer 
wiederkehrende  Bildwerke  eines  Elfenbeinsehneiders,  der  sein  Eunsthandwerk 
nicht  anmassend  als  Künstler,  sondern  als  geschickter  und  gewandter  Bildschnitzer 
schlecht  und  recht  nach  Zunftgebrauch  handhabte.  Auch  die  technische  Auslttb* 
rung  hält  sich  bei  allen  diesen  scenirten  Darstellmigen,  in  der  goldenen  Mittel- 
strasse, eben  so  weit  von  einer  übertriebenen  Feinheit  in  der  Ausführung  fem, 
als  auch  von  einer  gewissen  Derbheit  in  Handhabung  des  Stichels,  wodurch  sich 
viele  Elfenbeinsculpturen  des  späteren  Mittelalters  unvortheilhaft  auszeichnen. 
Es  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  bei  aller  Einfachheit  der  Darstellung  die  Compo- 
sition,  sowie  die  Behandlung  der  Draperien,  desgleichen  der  Ausdruck  der  Ge- 
sichtszüge durchweg  als  eine  edle  und  gelungene  zu  bezeichnen  ist  Was  den 
Schwung  und  die  Bewegung  der  Figuren  betrifft,  so  erinnert  dieselbe  an  die  reichen 
Sculpturwerke,  wie  wir  sie  unter  den  Vorhallen  mehrerer  nordfranzösischen  Käthe« 
dralen  in  Menge  aus  dem  Schlüsse  des  13.  Jahrhunderts  herrührend,  zu  sehen 
Gelegenheit  hatten.  Auch  das  Vorkommen  der  charakteristisch  gestatteten  nfleurs 
de  äs^  nn  den  Ausmündungen  der  silbernen  Beschläge,  wodurch  das  „coffrette^  an 
vielen  Stellen  zusammengehalten  und  in  seinen  einzelnen  Theilen  verbunden  >vird, 
hat  uns,  einem  gewissen  Stylgefühle  folgend,  zu  der  Ansicht  geftihrt,  dass  das 
vorliegende  höchst  merkwürdige  Beliquienschreinchen  in  jener  interessanten  Kunst- 
epoche seine  Entstehung  gefunden  haben  dürfte,  als  namentlich  unter  der  Regie- 
rung Ludwig  des  Heiligen,  die  sogenannte  Lilie  (francica,  francisca)  in  dem  Wap- 
penschiide der  Könige  von  Frankreich  Aufiiahme  fand  und  als  beliebtes  Or- 
nament alsbald  in  religiösem  und  profanem  Gebranch,  namentlich  im  nördlichen 
Frankreich  und  in  Deutschland,  in  den  mannigfaltigsten  Modificationen  zur  Geltung 
kam.  Wenn  wir  veranlasst  würden,  eine  bestimmte  abgegrenzte  Zeitperiode  und 
die  Gegend  und  das  Land  anzugeben,  wo  im  Mittelalter  znr  Zeit  der  Meistersän- 
ger vorliegendes  Schmuckkästchen  seine  Entstehung  geftinden  habe,  so  würden 
wir  nach  vielen  Analogien  zu  urtheilen,  die  uns  auf  ausgedehnten  Reisen  zu  Ge- 
sicht gekommen  sind,  die  Behauptung  auszusprechen  wagen,  dass  die  vorliegende 
„aticula^  mit  ihren  vielen  Darstellungen  aus  dem  Bereiche  der  Minne  in  jenem  Lande 
zu  Schluss  des  XHL  oder  gar  im  Beginn  des  XIV.  Jahrh.  ihren  Ursprung  gefiin- 


ST.   URSULA.  9 

den  haben  dürfte,  wo  damals,  als  dem  eigentlichen  Sitze  der  Troubadoure  der 
Minnedienst  des  Mittelaltcft«  seine  reichste  Entfaltung  gefunden  hatte.  Dass  wirk- 
lich das  nördliche  Frankreich  nicht  mit  Unrecht  von  anerkannten  archäologi- 
schen Forschem  als  die  eigentliche  Heimath  jener  vielen,  zierlichen  Elfenbein- 
sculpturen  der  mittelalterlichen  Kleinkunst  zu  betrachten  ist,  wie  sie  sich  heute 
noch  häufig  in  Kirchen,  Sakristeien  und  Privatsammlungen  mit  auffallend  ähn- 
lichen Darstellungen,  wie  die  eben  beschriebenen,  erhalten  haben,  scheint  auch 
aus  dem  Umstände  sich  erhärten'  zu  lassen,  dass  namentlich  in  den  früheren  Lan- 
destheilen  von  Bui^und,  Flandern  und  dem  Artois  sich  eine  Menge  ähnlicher, 
kimstreicher  Utensilien  heute  noch  vorfinden.  Hierhin  sind  auch  noch  zu  rechnen  jene 
vielen  verwandten  Sculpturwerke  in  demselben  Style  und  aus  derselben  Kunstepoche 
in  der  bekannten  reichhaltigen  Sammlung  mittelalterlicher  Geräthschaften  des 
Fürsten  Pierre  Zoltykoff  zu  Paris,  der  interessanten  Sammlung  des  M.  Charrand 
ebendaselbst  und  in  den  reichhaltigen  Kunstsammlungen  des  Louvre  und  des  Hotel 
Clyni.  Auch  in  der  Sammlung  des  M.  Ghalendon  zu  Lyon  und  in  dem  städti- 
schen Museum  zu  Bheims  und  zu  Dijon  fanden  wir  an  ähnlichen  Diptychen  und 
Triptychen  sowie  an  verschiedenen  formverwandten  coffrettes,  desgleichen  an  der 
künstlichen  Einfassung  der  Metallspiegel  jene  stereotype  Stylphysiognomie, 
wodurch  sich  auch  das  vorliegende  Kästchen  so  eigenthtlmlieh  auszeichnet.  Die 
oben  beschriebenen  interessanten  Reliefs  mögen  zum  Beweise  dienen,  dass  auf  dem 
eben  angeführten  Terrain  im  13.  und  14.  Jahrhundert  die  Elfenbeinschnitzkunst 
zur  Ausschmückung  kleinerer,  profanen  und  religiösen  Utensilien  eine  ausgedehnte 
Anwendung  gefunden  habe. 


27% 

Elfenbeinkästchen 

mit  vielen  Sculpluren. 

XrV.  Jahrh.    Länge  14  Centimeter.    Breite  7  Centimeter.    IlOhe  4'/t  Gcntimeter 

Auch  dieses  interessante  Reliquienkästchen  gehört  offenbar  mit  dem  unter 
Nr.  27  beschriebenen,  einer  und  derselben  Kunstepoche  an,  und  ist  dasselbe  wie 
das  in  der  vorigen  Nummer  besprochene  Elfenbeinkästchen  ebenfalls  mit  vielen 
figürlichen  Darstellungen  als  Basreliefs  verziert,  die  gleichfalls  aus  dem  Be- 
reiche der  Minne  und  nach  erotischen  Liedern  der  Meistersänger  gehalten,  eine 
mit  der  früher  erwähnten  analoge  Darstellung  gefunden  haben.  Auf  dem 
Deckel  des  ELästchens  zeigen  sich  unter  vier  Spitzbogenstellungen  vier  Darstellun- 
gen der  „amantes^S  wie  sie  wahrscheinlich  in  verschiedener  Situation  entnom- 
men sind  als  Hauptdarstellungen  einem  bekannten  und  vielleicht  im  Munde  des 
Volkes  damals  lebenden  Minneliede.    Diese  Basreliefs,  die  einen  sehr  charakteri- 

2 


10  ST.  URSULA. 

stischen  Styl  und  Typus  erkennen  lassen,  sind  jedoch  nicht  von  der  Fonnschönheit 
und  Treff licheit  der  technischen  AustUhrung  wie  dieselberin  derselben  Darstellungs- 
weise auf  dem   vorhin  beschriebenen  Elfenbein-Kästchen   abgebildet  sind.    Viel- 
mehr zeigen  diese  Sculpturen  einen  gewissen  Grad  von  Unbeholfenheit  und  Derb- 
heit sowohl  in  der  Komposition  als  in  der  Ausführung.    Auf  der  hinteren  Seite  des 
Reliquiariums  sieht  man  im  mittleren  Compartiment   eine  Jagd  zur  Anschauung 
gebracht.    Auf  der  entgegengesetzten  vorderen  Seite   erblickt  man   ebenfalls  in 
drei  Compartimenten  die  vorhin  erwähnten  Liebenden  im  Zwiegespräch  begriffen 
in  verschiedenerartiger  Auffassung  als  Basrelief  dargestellt    Auf  dem  einen  Kopf- 
theile  zeigt  sich  die  Abbildung  des  Ritters  und  seiner  Dame,  wie  sie  eben  im  Schach- 
spiele begriffen  sind.    Ein  besonderes  Interesse  bieten  noch  die  kleinen  zierlichen 
SUberbeschläge ,  die  den  Zweck  haben,  die  emzelnen  Theile  des  Elfenbein-Käst- 
chens zusammenzufügen.    Man  erblickt  nämlich  hier  auf  ausgegrabenen  Tiefgrunde 
verschiedene  kleinere  Thiergestalten  in  phantastischer  Form,  wie  sie  meistens  dem 
Geschlechte  der  Vögel  angehören.    Möglich  ist  es,  dass  die  ausgegrabenen  Tief- 
giUnde    dieser  verbindenden  Bandstreifen  ehemals  mit  blauem  Email  ausgefüllt 
waren.    Auf  der    vorderen   Seite  des  kleinen  Kästchens   hat  der  Bilusehnitzer 
gleichsam  als  Wächter  für  den  im  Kästchen  aufgehobenen  Schatz  den  sagenhaften 
Vogel  Greif  zur  Darstellung  gebracht    Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,    dass 
das  vorliegende  sculptirte  Kästchen  ebenfalls  wie  das  unter  Kr.  27  beschriebene 
gegen  Schluss  des  13.  Jahrhunderts  seine  Anfertigung  gefunden  habe.  Dasselbe  hatte 
gleichfalls   als  Schmuck-  und  Juwelenkästchen  ursprünglich   in   der  Hand    einer 
Edeldame  einen  profanen  Gebrauch ,  und  kam  wahrscheinlich  erst  in  späterer  Zeit 
als  Geschenk  in  den  Besitz  der  Kirche,  bei  welcher  Uebergabe  man  auf  die  Wahl 
der  dargestellten  Scenen  weniger  Gewicht  gelegt  haben  mochte. 


28. 

ReliqDieiischrein  der  heil.  Ursula^ 

in  Kupfer  vergoldet  mit  vielen  Emaillen. 

XII.  Jahrhundert.    Höhe  5  Deoimeter.    Breite  4  Deoimetcr.    Läpge  12  Deoimetcr. 

Von  grösseren  Reliquienschreinen,  die  in  altem  Inventaren,  „arca,  eütOf 
theca^  benannt  werden,  haben  sich  heute  in  den  Kölnischen  Schätzen  noch  Gott- 
lob mehrere  Pracht-Exemplare  erhalten ,  die  von  der  Höhe  der  Goldschmiede-  und 
Emaillirkünste  des  12.  Jahrhunderts  beredtes  Zeugniss  ablegen.  Die  Errettung  dieser 
kunstreichen  Reliquienschreine  vom  Untergange  ist  wohl  zunächst  dem  Umstände  zu 
verdanken,  dass  dieselben  einen  geringen  Metallwerth  hatten,  der  bei  der  Verschleu- 
dertmg  der  Kirchenschätze  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  sich  des  Einschmelzens 
nicht  verlohnte.    Die  Anlage  dieses  gi*össeren  Reliquienschreines   ist  sehr  eigen- 


ST.   URSULA.  11 

thttmlich  und  weicht  von  der  Constniction  der  ttbrif^en  Reliquienschreine,  wie  sie 
noch  auf  uns  gekommen  sind,  bedeutend  ab.  Sämmtliche  grössere  „area^*  zeigen 
insgesammt  die  Form  des  Langschiffes  6iner  kleinen  Kirche ,  die  in  ihren  Haupt- 
theüen  constructiv  gehalten  ist  Die  meisten  Reliquienschreine,  die  uns  zu  Gesicht 
gekommen  sind,  werden  oben  abgeschlossen ,  von  einem  spitzen  Satteldache,  dass 
an  den  beiden  Kopftheilen,  einen  im  Dreieck  gehaltenen  Giebel  zeigt.  Auch  der 
vorliegende  reich  verzierte  Reliquienschrein  stellt  sich  dar,  als  durchaus  construc- 
tiv gehalten,  ähnlich  dem  Langschiffe  einer  Kirche  ohne  Kreuz.  Die  Bedachung 
steigt  nicht  unter  einem  spitzen  Winkel  an,  sondern  ist  im  Halbkreis  ähnlich  einem 
Tonnengewölbe  angelegt  An  den  beiden  schmäleren  Kopftheilen  erblickt  man 
auch  deswegen  überstimmend  mit  dieser  halbkreisförmigen  Bedachung  zwei  Giebel 
ebenfalls  im  Halbkreis  gehalten.  Diese  rundbogigen  Giebel  wiederholen  sich  auch 
an  jedem  Theile  der  Langseite  des  Reliquienschreines  und  steht  mit  diesen  Seiten- 
giebeln ebenfalls  wieder  eine  rundbogige  Bedachung  in  Verbindung,  so  dass  von 
Oben  gesehen,  der  Reliquienschrein  ein  Kreuz  zu  formiren  scheint  Die  Kopftheile 
dieses  Reliquienkajstens  sind  leider  in  ihrer  heutigen  Gestalt  sehr  entstellt,  indem 
zur  Omamentirung  wahrscheinlich  die  in  vergoldetem  Silber  gearbeiteten  Relief-Dar- 
stellungen der  Flächen  in  einer  aufgeregten  2ieit,  vielleicht  des  geringen  Metallwerthes 
wegen,  davon  entfemt'wurden.  Ob  diese  getriebenen  Silberbleche  figurale  oder  oma^ 
mentale  Darstellungen  enthielten,  lässt  sich  heute  nur  sehr  schwer  bestimmen.  Jeden- 
falls war  die  Vertiefung  des  rundbogigen  Giebelfeldes  (tympan)  früher  mit  einer 
Reliefdarstellung  in  getriebenem  Silberblech  verziert  mit  scenirten  Bildwerken 
entweder  aus  dem  Leben  des  Heilandes  oder  der  Mutter  Gottes  oder  jener  Heili- 
gen deren  Reliquien  in  dem  Schreine  ruheten.  So  war  auch  ohne  Zweifel  jenes 
grössere  Medaillon  an  dem  hintern  Kopftheile  des  Reliquienschreines  mit  einer 
getriebenen  Darstellung  einer  vierblätterigen  Rose  als  Randverzierung  umgeben 
und  eingefasst,  die  sich  heute,  in  emaillirten  Plättchen  erhaben  hervorstehend,  noch 
erhalten  hat  Auch  die  vordere  Kopfseite  des  Reliquienkastens  als  Hauptfagade 
entbehrte  gewiss  nicht  des  Schmuckes  von  getriebenen  Figuren,  wie  sie  an  den 
meisten  grossem  Reliquienschreinen  Kölns  heute  nicht  fehlen.  Auch  an  dieser 
Stelle  ist  eine  Entstellung  eingetreten  und  erblickt  man  hier  von  einem  kleeblatt- 
iörmigen  dreitheiligen  Rundbogen  umgeben  eine  platte  monotone  Metallfläche  ohne 
Detailschmuck.  In  diesen  Kleeblattbogen  liest  man  in  spätromanischen  Majuskel- 
schriften eine  Inschrift  in  blauem  Email,  die  anzudeuten  scheint,  welche  Gebeine 
der  Heiligen  vorzüglich  in  diesem  prachtvollen  Schreine  ihre  Ruhestätte  gefunden 
hatten  und  die,  vielleicht  auch  figürlich  unter  diesen  Bogen  und  der  betreffenden 
Inschrift  thronend,  als  Hautrelief  ehemals  dieser  Hauptfronte  zum  kunstreichen 
Schmucke  dienten.  Die  Inschrift  lautet  nämlich  rechts  beginnend:  Sancta  Ursula, 
Smicta  Maria,  Sancta  Cordula.  Analog  mit  den  übrigen  altkölnischen  Reliquien- 
Hchreinen  befand  sich  zweifelsohne  auf  der  unteni  schräg  ansteigenden  Deckplatte,  auf 
welcher  wie  auf  einem  Piedestal  das  Schreinwerk  sich  erhebt,  eine  ähnliche  Inschrift 
in  Vergoldung  auf  dunkelblauen  emaillirten  Grunde,  die  meist  in  leoninischen 
Versen  gewöhnlich  einen  Lob?*pruch  auf  jene  Ueberbleibsel  von  Heiligen  enthielt, 


12  ST.  ÜBSULA. 

welche  in  dem  Sehreine  ehrfurchtsvoll  beigesetzt  worden  waren.  Diese  untere 
Platte  ist  ebenfalls  ergänzt  worden  und  zeigt  in  Gravirung  ein  Ornament,  welches 
dem  SchlusB  des  vorigen  Jahrhunderts  anzugehören  scheint  Auf  dieser  im  Recht- 
eck gehaltenen  untern  Platte  erheben  sich  an  den  vier  Ecken  kleinere  emaillirte 
Kundsäulchen  mit  Bockein  und  romanischen  LaubcapitiÜchen  versehen,  die  hervor- 
stehend eine  Deckplatte  zu  tragen  scheinen,  auf  welcher  das  Dach  mit  seinen  rund- 
bogigen  Giebeln  basirt  ist.  An  jeder  der  Langseiten  dieses  Keliquienkastens  er* 
sieht  man  eine  sechstheilige  Bundbogenstellung,  deren  innere  Flächen  eine  Art 
Baldachin  formiren,  welche  ehemals  die  Bestimmung  hatten,  die  vielleicht  in  Sil- 
ber getriebenen  und  vergoldeten  Standbilder  der  zwölf  Apostel  als  Basreliefs  auf- 
zunehmen. Diese  zwölf  Bogenfelder  scheinen  gegen  Schluss  des  vorigen  Jahrhun- 
derts ebenfalls  beraubt  worden  zu  sein,  und  sind  später  auf  eine  kunstlose  und 
stylwidrige  Weise  mit  zwölf  weissen  Täfelchen  ausgefüllt  worden,  auf  welche  man 
verschiedene  Psalmtexte  und  Symbole  des  Martcrthums  gemalt  hat  Diese  Arca- 
den  je  6  und  6  auf  jeder  Seite  werden  getragen  durch  vorstehende  auf  ihren 
Flächen  emaillirte  Pilaster,  die  von  einem  sculptirten  Capitälchen  überragt  werden, 
auf  welchen  sich  Bogen -Zmckel  erheben,  die  in  ihren  Flächen  mit  reichen 
vielfarbigen  Schmelzen  kunstreich  verziert  sind.  Offenbar  hat  sich  die  obere  Be- 
dachung dieses  ausgezeichneten  Keliquienschreines  bei  den  VerwtUitungen  der 
grossen  Revolution,  die  ihre  verheerenden  Wellen  bis  an  den  Rhein  geschlagen 
hat,  am  besten  erhalten,  und  scheint  hier  kein  wesentliches  Stück  der  ursprttng- 
lichan  Omamentation  zu  fehlen.  Es  ist  nämlich  die  ganze  kreisförmige  Bedachung 
des  Kastens  in  kleinen  Quadraturen  getheilt,  die  in  ihrer  Mitte  abwechselnd  ein 
kunstreich  getriebenes  I^aubomament  in  einem  scharf  ausgesprochenen  spätromani- 
schen Charakter  einfassen.  Auf  sämmtliehen  Ecken  dieser  Quadraturen  hat  der 
Künstler  des  Mittelalters  erhaben  aufliegend,  RundmedaiUons  befestigt,  die  die 
mannigfaltigsten  in  Kreuzform  emaillirten  Pflanzenomamente  zeigen.  Diese  sämmt- 
liehen emaillirteu  Medaillons  haben  einen  tiefblauen  Grund  und  sind  die  Pflanzen- 
omamente in  wachsenden  Farbtönen  von  Blau  und  Grün  mit  einfassenden  Gold- 
linien kenntlich  gemacht  Auf  der  Bedachung  erhebt  sich,  ein  Kreuz  bildend, 
eine  durchbrochene  Kamm-Bekrönung  in  einem  bekannten  romanischen  Lauboma- 
ment,  das  nach  gleichen  Zwischenräumen  kleine  Crj'stallkugeln  in  sich  au&immt 
Auf  dem  Durchkreuzungspunkte  dieses  Kammaufsatzes,  so  wie  auf  den  Rundbogen- 
giebeln zu  beiden  Langsciten  des  Schreines  erblickt  man  grössere  Krystallkugeln 
von  Blätterschmuck  umgeben,  die  in  Form  von  kleinen  Aepfelchen  nach  Einigen  die 
Früchte  der  guten  Werke  versinnbilden  sollen,  die  als  Wohlgerüche  über  dem  Grabe 
der  Heiligen,  gleichsam  symbolische  Ornamente,  hier  ihre  passende  Stelle  finden  mögen. 
Diese  zierlichen  y^pomeHa^  die  überhaupt  an  grösseren  romanischen  Reliquienschrei- 
nen niemals  fehlen,  ersieht  man  auch  in  grösserem  Umfange  in  Messing  vergoldet 
mit  reichen  vielfarbigen  Schmelzen  zu  beiden  Schmalseiten  des  vorliegenden  Reli- 
quienkastens als  Abschluss  und  Bekrönung  der  Rundbogen-Giebel.  Diese  Giebel 
sowohl  an  den  Kopftheilen,  wie  auch  an  jeder  Langseite  des  Schreines  sind  eben- 
falls  durch   eine  durchbrochene  Kammbekrönung   rierlieh   abgeschlossen.     Unter 


8T.  UBSCLA.  13 

dieser  Kammbekrönung  hat  die  Kunst  des  Schmelzers  hervortretend  an  jedem  der 
4  Giebel  vier  kleine  viel&rbig  emaillirte  Zierplättchen  angebracht,  die  nach  glei- 
chen Zwischenräumen  mit  gravirten  vergoldeten  Kupferblechen  abwechseln,  auf  wel- 
chen der  Goldschmied,  um  denOmamentenreichthum  des  Reliquienkastens  zu  erhöhen, 
jedesmal  drei  ungeschliffene  Halbedelsteine  in  einfachen  Fassungen  applicirt  hat; 
dieses  System  der  Omamentation  ist  auch  beibehalten  an  dem  ziemlich  stark  vor- 
springenden oberen  Rande,  der  wie  ein  Architrav  tLber  die  vorhin  erwähnte  Bogen- 
stellung  bei  den  Langseitei)  des  Schreines  gelegt  ist  Die  wenigen  Halbedelsteine 
ohne  Schleifung,  die  sich  bis  heute  an  diesem  omamentalen  Rande  noch  erhalten 
haben,  sind  zu  erkennen  als  Agate,  Saphire,  Rubinen,  Camiole.  Die  werthvolleren 
sind  in  der  früher  erwähnten  Katastrophe  verloren  gegangen,  und  durch  werth- 
lose  fa^ettirte  Glasflüsse  mit  unterlegter  Folie  kunstlos  ersetzt  worden.  Es  kann 
nicht  dem  geringsten  Zweifel  unterliegen,  dass  der  vorliegende  prachtvolle  Schrein 
von  den  altkölnischen  Emailleurs  zu  jener  Zeit  angefertigt  worden  ist,  wo  in  die- 
sem Kunstzweige  mit  ähnlichen  Ornamenten  die  vielen  übrigen  grossen  Reliquien- 
schreine in  der  Stadt  und  der  Erzdiöcese  Cöln  in  Menge  entstanden  sind.  An 
einer  anderen  Stelle  in  diesem  Werke  werden  wir  darauf  hinweisen ,  dass  vor- 
nehmlich die  Kunst  des  EmaiUirens  und  des  Schmelzens  von  den  ^Jvotres  laid^ 
in  dem  altberühmten  Benedictinerkloster  zu  St  Fantaleon  mit  grosser  Meisterschaft 
geübt  worden  ist,  und  dass  von  dieser  religiösen  Schule  die  meisten  jener  ausge- 
zeichneten Reliquienschreine  hervorgegangen  sein  dtbrften,  deren  Besitz  in  vielen 
prachtvollen  Exemplaren  die  Erzdiöcese  Köhi  trotz  der  vielen  Stürme,  die  beim 
Ausbruch  der  französischen  Revolution  über  sie  ergangen  sind,  sich  heute  noch 
bewahrt  hat  Wir  werden  bei  Beschreibung  der  Reliquienschreine  des  heil.  Heribert 
zu  Deutz,  sowie  des  St  Albinu»-  und  St  Maurinusschreines,  beide  Letzgenannten 
in  der  Kirche  von  St  Maria  in  der  Schnurgasse  befindlich,  auf  die  grosse  Ver- 
wandtschaft der  getriebenen  und  eingeschmelzten  Arbeiten  zurückkommen,  die 
die  eben  gedachten  drei  prachtvollen  Reliquienschreine  mit  dem  vorliegenden 
Schreine  der  heiligen  Ursula  und  Kordula  geraeinschafUich  aufzuweisen  haben. 
Schliesslich  bemerken  wir  noch,  dass  auch  der  in  Rede  stehende  Reliquienschrein 
jener  produktiven  Kunstepoche,  der  letzten  Hälfte  des  1 2.  Jahrhunderts  angehöre, 
in  welcher  überhaupt  die  meisten  grossartigen  Goldschmiedewerke  im  „heil.  Köln*' 
angefertigt  worden  sind. 

Die  Kirche  von  St  Ursula  besitzt  auch  noch  in  drei  verschiedenen  Abthei- 
lungen eines  alten  Altaraufbaues  aus  dem  13.  Jahrhundert  2  grössere  Reliquien- 
kasten in  Form  der  älteren  Sarkophage,  die  ebenfalls  fUr  die  hohe  Entwickelung 
und  Ausbildung  der  Kölnischen  Emaillir-  und  Goldschmiedekunst  des  12.  Jahr- 
hunderts beredtes  Zeugniss  ablegen.  Diese  beiden  ehemals  reichverzierten  Reli- 
quienschreine stehen  leider  heute  nur  als  klägliche  Ruinen  da,  die  ftlr  die  gewalt- 
same Bemubung  und  Zerstörung  der  kirchlichen  Kunstreliquien  in  den  Umwälzun- 
gen zu  Anfang  unseres  Jahrhunderts  als  Zeugen  auftreten  können.  Man  er- 
kennt an  diesen  beiden  „arca^  heute  nur  das  spärlich  vergoldete  Gerippe  in 
Eichenholz,  das  früher  mit  emailirten  und  in  Silber  getriebenen,  figürlichen  und 


14  ST.  URSULA. 

ornanientolen  Darstellungen  umkleidet  wtfr.  Der  mittlere  dieser  drei  Reliquien- 
Schreine  lägst  noch  am  meisten  die  kunstreichen  Spuren  der  fiHheren,  heute  entr 
schwundenen  Herrlichkeit  erkennen.  Dieser  mittlere  Schrein,  dem  eine  unverbürgte 
Tradition  heute  noch  den  Namen  der  ,,arca  sianctae  UrstUae^  beilegt,  zeigt  jetzt  noch 
an  den  beiden  Schmalseiten  des  Kopf-  und  Hintertheiles  eine  dreifache  Arkaden- 
stellung im  Rundbogen,  die  von  kunstreichen,  reich  emaillirten,  freistehenden  Rimd- 
säulchen  getragen  sind;  sowohl  die  getriebenen  Standbilder  in  dieser  dreifachen 
Bogenstellung,  als  auch  die  als  Hauterelief  getriebenen^  Darstellungen  in  dem  Gie- 
belfelde des  gedachten  Schreines  fehlen  heut  gänzlich.  Zu  beiden  Langsei- 
ten des  Reliquienkastens,  der  früher  bei  feierlichen  Processionen  auf  einer  Trag- 
bahre einhergetragen  zu  werden  pflegte,  lassen  sich  heute  noch  auf  jeder  Seite  je 
6  Bogenstellungen  erkennen,  die  auf  vorspringenden  emaillirten  Pilastem  mit 
reich  sculptirten  Capitälen  und  Sockeln  basirt  sind.  Auch  die  inneren  Zwickel 
dieser  Arkadenstellimgen  sind  mit  zierlichen  Laubomamenten  auf  blauem  Emaill- 
grunde  ausgefbllt  Zweifelsohne  thronten  unter  diesen  1 2  Bogenblenden,  analog  mit 
den  übrigen  grösseren  Reliquienschreinen,  die  sich  in  der  Kölnischen  Erzdiöcese 
zahlreich  heute  noch  erhalten  haben,  die  sitzenden  Standbilder  der  12  Apostel  als 
Basreliefs  in  getriebener  Arbeit  Leider  mochten  dieselben  von  vergoldetem  Silber 
gewesen  sein,  und  war  dieses  geringfügige  Material  des  Silbers  die  traurige  Veran- 
lassung, dass  diese  schönen  Kunstwerke  unwiederbringlich  in  den  Schmelztiegel 
wandern  mussten.  Auch  der  reiche  omamentale  Schmuck  in  getriebenen  ver- 
goldeten Silberblechen,  der  ehemals  auf  den  beiden  dachförmigen  Flächen  des 
besagten  Reliquienschreins  prangte,  fehlt  heute  sämmtlich,  und  ist  derselbe  durch 
unpassende  Ornamente  aus  vergoldetem  Holz  aus  dem  Beginne  unseres  Jahrhun- 
derts ergänzt  worden.  Als  Kammbekrönung  des  Reliquienkastens  zeigt  sich  heute 
noch  ein  prachtvoll  ciselirter  Aufsatz  in  Pflanzen-  und  Thieromamenten  kunstreich 
durchbrochen.  Unter  den  ansteigenden  Bedachungsflächen  erblickt  man  auf  blau 
emaillirtem  Grunde  in  spätromanischen  Majuskelbuchstaben  eine  vielfach  verstüm- 
melte Inschrift,  die,  wie  es  uns  scheinen  will,  Bezug  nimmt  auf  die  heil.  Ursula 
und  ihre  jungfräuliche  Begleitung.  Der  zweite  dieser  beraubten  Reliquienschreine, 
beflndlich  zur  rechten  Seite  des  eben  gedachten  Schreines  der  heil.  Ursula,  bietet 
in  formeller  Beziehung  der  christlichen  Kunstarchäologie  nicht  jenes  Interesse,  wie 
dies  bei  dem  eben  beschriebenen  Schreine  in  hohem  Grade  der  Fall  ist  Derselbe 
gehört  auch  nicht,  wie  das  früher  erwähnte  Schreinwerk  dem  Schlüsse  des  1 2.  Jahr- 
hunderts an,  sondern  es  stammt  derselbe  aus  der  frühgothischen  Periode,  und 
dürfte  derselbe  hinsichtlich  seiner  Anfertigung  in  die  letzte  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts zu  versetzen  sein. 

Es  hält  heute  schwer,  zu  bestimmen,  ob  derselbe  ehemals  mit  getriebenen 
Silberblechen  und  einzelnen  emailirten  Platten  belegt  war.  Der  dritte  Sehrein  von 
kleinerem  Umfang,  der  sich  in  der  3.  Oefl&iung  des  merkwürdigen  Altaraufsatzes 
von  St.  Ursula  befindet,  bietet  zunächst  fllr  unseren  Zweck  ein  geringeres  In- 
teresse, indem  derselbe  sich  in  seiner  Ganzheit  als  ein  kunstloses  Machwerk 
aus  den  barroken  Zeiten  des  vorigen  Jahrhunderts  herausstellt;   nur  einige  unge- 


ST.   UfiSULA.  15 

schliffene  Halbedelsteine  in  Form  von  Pasten  deuten  an»  dass  sie  ehemaligen  Be- 
liquienschreinen  entlehnt  sind.  Als  dritter  Sehrein  fand  sich  früher,  einer  glaub- 
würdigen Angabe  zufolge,  an  Stelle  des  letztgedachten  kunstlosen  Behälters  jener 
kostbare  emailirte  Beliquienschrein,  den  wir,  als  im  Schatze  der  heil.  Ursula  be- 
findlich, unter  Nr.  28  beschrieben  und  abgebildet  haben.  Zu  wünschen  wäre  es, 
dass  bei  der  nächsten  Wiederherstellung  des  merkwürdigen  Beliquienhalters  von 
St.  Ursula  auch  dieser  fehlende  dritte  Beliquienschrein,  um  die  Tradition  aufrecht 
zu  erhalten,  an  seine  primitive  Stelle  wieder  hinversetzt  würde.  Die  formelle  Be- 
schaffenheit dieses  ebengedachten  seltenen  Altarwerkes  von  St.  Ursula,  das  heute 
eine  grössere  Berühmtheit  im  Auslande  als  im  Inlande  geniesst,  werden  wir  in 
getreuer  Abbildung  veranschaulichen  und  näher  beschreiben  bei  Gelegenheit,  wo 
der  zu  diesem  frühgothischen  Altarschreine  gehörende  kostbare  Altarvorhang,  heute 
widerrechtlich  und  ohne  Zweck  befindlich  in  der  hiesigen  ehemaligen  Bathbaus- 
kapelle,  näher  besprochen  und  erläutert  werden  wird. 


'     29. 

Reliqniengefäss, 

in  Silber  vergoldet,  einen  kleinen  Baldachin  bildend,  mit  darunter  befindlichem 

Krystall-Cylinder. 

XrV.  Jahrhundert    Höhe  17'/s  Centimeter.    Breite  9  Centimeter. 

Vorliegendes  interessante  Beliquiarium  zieht  nicht  nur  wegen  seiner  origi- 
nellen und  zierlichen  Anlagen,  sondern  auch  wegen  der  feinen  Durchbildimg  sei- 
ner schönen  omamentalen  Theile  die  besondere  Aufinerksamkeit  des  Kunstkenners 
auf  sich.  Es  bildet  i^mlich  dieser  Beliquienbehälter  in  seiner  quadratischen  An- 
lage die  Form  eines  Baldachins  nut  offener  durchbrochener  Bedachung,  unter  wel- 
cher der  Künstier  in  horizontaler  Lage  einen  Krystall-Cylinder  zur  Au&ahme  der 
Beliquien  zweckmässig  angebracht  hat.  Auf  einem  im  Viereck  gehaltenen  Fussge- 
stell,  dessen  einzelne  Ständer  nicht  wie  gewöhnlich  Löwentatzen  oder  Greifenklauen 
ähnlich  sind,  sondern  die  aus  einem  schön  modellirten  Dreiblatt,  in  Silber  ciselirt, 
bestehen,  erhebt  sich  eine  glatte,  silbeiTcrgoldete  Platte,  die,  ebenfalls  im  Viereck 
gehalten,  in  ihrem  vertieften  Bande  ein  sternförmiges  Ornament  enthält,  das,  wie 
wir  früher  schon  bemerkten,  für  eine  gewisse  Periode  der  Goldschmiedekunst  cha- 
rakteristisch ist  Auf  den  vier  Ecken  dieser  unteren  Platte  erheben  sich,  im  Fünf- 
eck angelegt,  vier  Widerlagspfeiler,  die,  um  ihre  Schwere  zu  mildem,  im  Inneren 
nach  ihren  4  Seiten  mit  Durchbrüchen  versehen  sind.  Auf  der  oberen  Wasser- 
scluilge  dieser  4  Widerlagen  setzt  sich  eine  Verjüngung  dieser  Pfeiler  fort,  die 
nach  obenhin  in  Fialen  auslaufen.  Als  besonders  reiches  Ornament,  streng  archi- 
tektonisch gebildet ,  zeigen  die  schmäleren  Kopftheile  des  Beliquiariums,  unter  fein 
gegliederten  Ziergiebeln,  verschiedene  Zirkelschläge  mit  Maasswerkfällungen,  die  der 


16  8T.  URSULA. 

Künstler  nach  hinten  hin,  jant  kleinen  randen  Scheiben  von  blau  durchsichtigem  lEmskH 
hinterlegt  hat  Aehnliches  Haasswerk,  mit  Email  hinterlegt,  ist  in  der  Glanzperiode  der 
rheinischen  Gothik  an  reichem  kirchlichen  Gef&ssen  häufiger  anzutreffen  sind.  —  Auf 
den  Giebeln  selbst  erheben  sich  als  Krabben  einzelne,  mit  vielem  Schwung  und  Styl- 
verständniss  gearbeitete  Blätter,  die  die  Meisterhand  eines  besonders  geübten  Gk)ld- 
Schmiedes  bekunden,  der  mit  grosser  Präcision  seinen  Detailbildungen  Leben  und 
Ausdruck  zu  verleihen  wusste.  —  Auch  die  Bedachung  an  dem  vorliegenden  Bal- 
dachine ist  auf  beiden  Seiten  mit  architectonischen  Maasswerkveizierungen  durch- 
b^'ochen,  deren  Formbildungen  vollständig  ttbereinstimmend  sind  mit  den  reicheren 
Detailbildungen,  wie  sie  an  dem  sttdlichen  Thurme  des  Domes  von  Köln  häufig 
vorkommen. 

Als  Kammbekränung  erheben  sich  auf  der  zierlichen  Bedachung  dieses  Reli- 
quiariums  fünf  Blätter,  mit  vielem  Schwung  und  Verständniss  gearbeitet,  die  ver- 
mittelst kleiner  Stielchen  aus  der  Dachfirste  hervorwachsen.  In  dem  Cylinder 
erblickt  man  sorgfältig  in  Seide  eingewickelt  verschiedene  Beliquien,  deren  Namen 
in  gothischen  Majuskelschriften  auf  kleinen  Pergamentstreifen  beigefügt  sind.  Diese 
Bezeiclmungen  lauten  übereinstimmend  mit  denen  auf  einer  grösseren  „schedula^' 
von  Pergament,  auf  dem  unteren  Fusssockel  angefügt  wie  folgt:  y,de  Sancta  Maria 
Magdalena,  de  JlageUo  quo  Christus  ßagellatus  est,  de  Casuia  Sti.  Set^vatü,  de 
cruore  St  Virgmum.^  Bei  einer  aufmerksamen  Besichtigung  der  trefflich  gearbei- 
teten Detaifformen  des  vorliegenden  Behälters  dürfte  es  sich  ergeben,  dass  derselbe 
in  Köln  seine  Entstehung  gefunden  habe  in  einer  Zeit,  wo  es  der  Gothik  gelungen 
war,  ihre  Formen  als  Ornamente  sogar  in  der  Hand  des  Goldschmiedes  rein  con- 
structiv  auftreten  zu  lassen,  und  dürfte  demnach  die  Anfertigung  des  vorliegenden 
Beliquiariums  in  die  erste  Hälfte  des  XIY.  Jahrhunderts  zu  setzen  sein. 


Scnlptnr  in  Bergkrystall 

in  Form  eines  liegenden  Vierlusslers. 

Höhe  4  Centimeter.     Grösste  Länge  6'/x  Gentimeter.    XI.  Jahrhundert. 

So  unscheinbar  auch  die  vorliegende  phantastische  Thierbildung  aus  Berg- 
krystall  auftritt,  so  hat  sie  doch  für  archäologische  Forschungen  eine  nicht  ge- 
ringe Bedeutung.  An  dem  vorliegenden  Reliquiengefässe  unterscheidet  man  deutlich 
zwei  Kunstepochen.  Der  Gothik  gehört  der  obere  Aufsatz  in  vergoldetem  Silber- 
blech an,  der  im  Sechseck  als  Bohre  gehalten,  ehemals  wie  das  seine  zwei 
Schamire  zeigen,  mit  einem  Aufsatze  in  Verbindung  stand,  der  ebenfalls  als  Beli- 
quienbehälter  früher  gedient  haben  mochte.  Die  architektonischen  Verzierungen 
an  dieser  sechseckigen  Röhre  zeigen  deutlich,  dass  dieser  Au&atz  eine  sj^tere 
Hinzufügung  ist  und   der  letzten   Hälfte  des   14.  Jahrhunderts  angehört     Das 


ST.  URSULA.  17 

grösste  Interesse  bietet  die  darunter  befindliche  groteske  Figur,  wie  es  uns  schei- 
nen will,  eines  Löwen  in  liegender  Stellung  aus  Bergkrystall,  der  in  seiner  Detail- 
form  mehr  als  Ornament  behandelt  und  durchgeführt  ist,  wie  man  solche  phanta- 
stische Thiergestalten,  typisch  und  nicht  naturalistisch  aufgefasst,  in  den  orien- 
talischen Seidengeweben  des  XI.  und  XII.  Jahrhunderts  als  retoumirende  Dessins  häu- 
fig antrifft.  —  Man  darf  sich  Über  die  Bohheit  der  äusseren  Form  bei  dieser  Thier- 
bildung  nicht  wundem,  wenn  man  bedenkt,  welche  Schwierigkeiten  sich  dem  Bild- 
schnitzer entgegenstellten,  um  mit  seinen  Instrumenten  dem  äusserst  harten  Material 
des  „cristal  de  rocke*'  einzelne  Detailformen  abzugewinnen.  Obschon  die  Thierbildmig 
des  liegenden  Löwen  sich  als  eine  romanische  Sculptur  fbr  den  Geübteren 
vollständig  zu  erkennen  giebt,  so  zeigen  doch  die  ziemlich  roh  gearbeiteten 
Pflanzenbildungen,  wie  dieselben  vom  Steinschneider  auf  den  breiten  Hin- 
terschenkeln des  liegenden  Löwen  angebracht  sind,  als  charakteristische  Orna- 
mente deutlicher  die  Kunstepoche  an,  in  welcher  vorliegender  höchst  eigen- 
thttmliche  Reliquienbehälter  seine  Entstehung  gefunden  hat  Auch  die  Formation 
einer  sogenannten  9,palmetie'%  die  vertieft  auf  den  breiten  Theilen  der  Vorderschen- 
kel eingravirt  sind,  ist  für  eine  gewisse  Eunstepoche  sehr  kennzeichnend.  Auf 
der  Brust  des  Löwen  hat  man  eine  ziemlich  breite  Röhre  eingebohrt,  die  in  Form 
eines  ausgehöhlten  Cylinders  zur  Auibewahnmg  von  Reliquien  bestimmt  war.  Nach 
vielen  Analogien,  die  uns  in  ähnlichem  Material  zu  Gesichte  gekommen  sind,  zu 
urtheilen,  glauben  wir  unter  Betrachtnahme  der  früher  erwähnten  omamenta- 
len Details  mit  einiger  Sicherheit  die  Folgerung  ziehen  zu  können,  dass  die  in 
Rede  stehende  merkwürdige  Sculptur  in  Bergkrystall  gegen  Schluss  des  XL  oder 
in  der  ersten  Hälfte  des  XH.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  ist  Im  Vorbeigehen 
erinnern  wir  daran,  dass  man  in  der  romanischen  Kunstepoche  für  decorative 
Zwecke  sich  häufiger  des  Bergkrystalls  bediente,  indem  man  ihn  theils  in  runder 
ovaler  Schleifung  und  kräftiger  Fassung  als  Paste  anbrachte,  oder  ihn  in  vielge- 
staltiger Form  an  Altar-  und  Vortragekreuzen,  sowie  auch  an  dem  Ständer  klei- 
nerer Leuchter  in  Anwendung  kommen  Hess;  meistens  aber  tritt  er  in  Form  von 
phantastischen  Thiergestalten  als  rohe  Sculptur  auf,  wie  wir  dergleichen  in  analo- 
ger Weise  auf  einigen  Reliefdarstellungen  im  Schatze  zu  Quedlinburg,  wahi-schein- 
lich  aus  der  Zeit  der  Ottonen  stammend,  kürzlich  noch  in  Augenschein  genommen 
haben.  —  Auch  an  einem  sehr  merkwürdigen  altromanischen  Altarkreuz  zu  St  Se- 
verin  in  Köln,  dessen  Beschreibung  in  der  4.  Lieferung  dieses  Werkes  mitgetheilt 
werden  wird,  finden  sich  in  Verbindung  mit  den  Querbalken  an  kleinen  Kettchen 
hängend  angebohrte  Reliquienbehälter  in  Bergkrystall  mit  vertieften  ausgestochenen 
Ornamenten,  die  mit  dem  vorliegenden  Gefässe  wohl  eine  Entstehungszeit  bean- 
spmchen  dürfen.  Auch  die  kürzlich  in  Krakau  veröffenüichten  Abbildungen  der 
kirchlichen  Kunstschätze  aus  der  Kathedrale  der  ehemaligen  polnischen  Königs- 
stadt *^j  veranschaulichen  eine  charakteristische  Copie  eines  sehr  merkwürdigen  Trink- 


**')  Der  Schatz  der  Kathedrale  zu  Krakaa,    mit  Abbildung^en   herausgegeben  von  einer  archäologi- 
schen Gesellschaft.    Krakau  1857. 


18  ST.   URSULA. 

becliers  iu  Bergkrj'stall  mit  eingravirten  romanisohen  Ornamenten,  die  mit  den  eben 
angeflihrten,  was  teelmiRclie  Behandlung  betriflft,  Aehnliehkeit  haben.  Wie  der  zu 
eben  besagtem  Bildwerke  gehörige  Text  angibt,  soll  diese  merkwUnlige  Sehaale 
in  Bergkrystall  der  heiligen  Hedwig,  irren  wir  nicht,  als  Trinkbecher  gedient  haben. 
Die  an  der  Krvstallsehaale  vorkommenden  Ornamente  stehen  mit  dieser  Tradition 
nicht  in  Widei-spruch. 


Knsstafel, 

Keiiquiengefäss  in  Form  eines  Kussläfelcheiis,  in  vergoldetem  Kupfer. 

XVI.  Jahrhundert.     Höhe  16'/i  Centimeter.     Breite  9  Vi  Centimeter. 

Das  vorliegende  j^osculum  pacis^  verräth  hinsichtlich  seiner  einfachen  Anlage 
eine  grosse  Uebereinstimmung  mit  dem  Agnus  d!^*- Täfelchen  aus  der  Sakristei  von 
St  Martin,  das  in  der  2.  Liefr.  dieses  Werkes  ausführlicher  beschrieben  wenlen  wird. 
Es  erheben  sich  nämlich  auf  einem  quadratisch  länglichen  Untersockel,  der  im 
Inneren  ausgehöhlt  ist  und  nach  Aussen  blos  einfache  Profile  zeigt,  an  den  vorde- 
ren Ecken  zwei  Widerlagspfeiler,  die  vermittelst  Wasserschrägen  mit  der  inneren 
Vierung  des  Kusstäfelchens  in  Verbindung  gesetzt  sind.  Als  Sockel  zeigen  diese 
Widerlagspfeiler  ein  einfaches  Blattomament,  und  finden  dieselben  nach  oben  ihren 
Abschluss  in  zwei  kleinen  Fialen  als  ausmündende  Spitzthürmchen;  lieber  der  mitt- 
leren Vierung,  die  ein  getriebenes  Bildwerk  der  Madonna  in  Rothknpfer  enthält,  erhebt 
sich  ein  Ziergiebel  in  Form  eines  geschwungenen  Eselsrticken,  der  auf  seiner  Spitze 
diu*ch  eine  Kreuzblume  abgeschlossen  wird.  Auf  der  hinteren  Seite  ist  eine  Hand- 
habe, nach  Art  eines  Spruchbandes  aufgenietet,  auf  welchem  in  spätgothischen  Ma- 
juskelbuchstaben der  Goldschmied  folgenden  Spruch  eingravirt  hat: 

Helf  Ghot  unde  Maria  uns  allen. 
Bidet  Ghot  vor  Alle  Criste  Selen. 

Die  vorliegende  „tabula  pack^^  die  bei  den  täglichen  Stiftsmessen  von 
St.  Ursula  ehemals  an  gewöhnlichen  Tagen  in  Gebrauch  gewesen  sein  mag,  ist  in 
ihrer  Anlage  und  den  Detailformen  sehr  einfach  und  anspruchslos  gehalten.  — 
Nur  das  Mittelbild,  das  die  eben  beschriebene  gothische  Einfassimg  mngibt,  zeigt 
die  grosse  Routine,  welche  die  Goldsehmiedezunft  des  XVI.  Jahrhunderts  in  Köln 
sich  in  Ausführung  von  getriebenen  Darstellungen  erworben  hatte.  Obschon  die 
Arbeit  nicht  mit  ängstlicher  Sorgfalt  im  Einzelnen  ausgefllhrt  ist,  so  beweist  sie 
doch  ein  richtiges  Verständniss  der  körperlichen  Formen,  und  es  gibt  sich  bei  die- 
ser Madonna  schon  eine  strengere  Nachahmung  der  Natur  und  ein  Anschliessen 
au  italienische  Vorbilder  deutlich  zu  erkennen,  wodurch  der  Einfluss  des  neu  ent- 
standenen Styles  der  Renaissance  sich  hinlänglich  kennzeichnet   Auch  die  Nische, 


8T.  UB8ULA.  19 

worin  die  Madonna,  das  Jesuskind  haltend,  als  Brustbild  angebracht  ist,  verräth 
schon  vollständig  den  Eintritt  der  Renaissance  auf  kölnischem  Boden,  indem  hier 
jene  bekannte  Muschelform  als  Baldachin  angebracht  ist,  wie  dieselbe  architek- 
tonisch im  grösseren  Maasstabe  auch  an  der  merkwtlrdigen  Vorhalle  der  Süd- 
seite des  Langschiffes  von  St.  Georg  in  Köln,  vollständig  entmckelt  als  eine 
Nachbildung  von  klassischen  und  romanischen  Bauformen,  zu  ersehen  ist.  Stimmt 
die  Anfertigung  dieses  getriebenen  Bauwerkes  mit  der  gothischen  Einfassung  der 
Zeit  nach  zusammen,  was  jedoch  mit  Grund  bezweifelt  werden  darf,  indem  diese 
getriebene  Arbeit  einen  vollständig  italienischen  Anstrich  hat,  so  könnte  man  die 
Entstehung  dieses  Kusstäfelchens,  das  in  einer  hinteren  Kapsel  verschiedene  Reli- 
quien ohne  nähere  Bezeichnung  enthält,  in  das  zweite  Viertel  des  XVI.  Jahrhun- 
derts versetzen. 


32. 

Pectoralschild, 

Agraffe  als  Schliesse  eines  Ghormantels  von  vergoldetem  Kolhkupfer. 

XV.  Jahrhundert     GrÖsster  Durchmesser  t6'  t  Gentimeter. 

Die  Verzeichnisse  der  älteren  Kirchenschätze  geben  vielfach  Nachricht  von  dem 
Vorfinden  reicher  Pectoralschilder,  die  aus  edlen  Metallen  angefertigt  und  mit  dem 
Schmucke  kostbarer  Steine  versehen,  den  reicheren  Pluvialeu  an  Festtagen  als  Kram- 
pen zur  auszeichnenden  Zierde  dienten.  Diese  Pectoralschilder,  die  sich  heute  in 
den  Sakristeien  Kölns  nur  noch  in  sehr  wenigen  Exemplaren  vorfinden,  hatten  im 
Mittelalter  die  Bestimmung,  die  Schliesse  und  Zusammenfttgung  der  Chormäntel 
auf  der  Brust  zu  verdecken.  Gewöhnlich  bilden  diese  Schliessen  der  Ghorkappe 
ein  Stück  Stoff  von  der  Breite  einer  Hand,  und  die  Kunst  im  Mittelalter  glaubte 
diesen  kleinen  Stoffrest  zum  Zusammenhalten  des  Chormantels,  des  beschränkten 
Raumes  wegen,  nicht  so  durch  Stickereien  heben  zu  können,  dass  diese  Schliesse, 
an  hervorragender  Stelle  befindlich,  zu  dem  tlbrigen  Beichthume  des  Chormantels 
passte.  Um  dem  Bedürfnisse  nach  einem  reicheren  Schmucke  an  dieser  Stelle 
abzuhelfen,  nahm  man  deswegen  im  Mittelalter  häufig  die  Goldschmiedekunst  zu 
Hülfe,  und  liess  mit  allem  Aufwände  der  Kunst  grössere  und  kleinere  Brustschilder 
in  Form  von  Medaillons  anfertigen,  die  vermittelst  einer  kleinen  Kette  oder  auch  eines 
breiteren  Krampens  so  getragen  wurden,  dass  sie  in  ihrer  Grösse  und  Ausdehnung 
vollständig  den  unschönen  Halter  der  Chorkappe,  als  formlosen  Stoffrest,  zweck- 
mässig verdeckten.  Die  vorliegende  Agraffe,  die  in  Schatzverzeichuissen  auch  häufig 
y^manäe,  ßbula^  genannt  wird,  diente  ehenuds,  sowie  auch  heute,  zu  dem  obenbe- 
zeichneten kirchliehen  Gebrauche.  Dieses  Pectoralschild  aus  St.  Ursula,  das  zu  deu 
reicheren  gehört,  die  sich  noch  in  Köln  erhalten  haben,  bildet  vollständig  die  Form 
des   bekannten  Vierpasses   oder   einer  vierblättrigen  Rose.    Die  äusseren  Ränder 


20  8T.   URSULA. 

dieses  Vierpasses  nach  Innen  zeigen  schon  ein  Stabwerk,  die  Spätperiode  der 
Gothik  kennzeichnend,  das  sich  durchbricht  oder,  wie  man  es  gewöhnlich  bezeich- 
net, das  in's  Versteck  geht  und  sich  verkröppt  Um  diesen  mittleren  Vierpass 
zieht  sich  eine  tiefe  Hohlkehle,  in  welcher  der  Künstler  einen  Rundstab  frei  auf- 
liegend angebracht  hat,  der,  nach  regelmässigen  Abschnitten,  mit  kleinen  Ringen 
und  polygonen  Knäufen  belebt  wird.  In  den  vier  Ecken  oder  Einschnitten  dieses 
Vierpasses  hat  der  Groldschmied  ein  reicheres  gothisches  Laubwerk  sich  ansetzen 
lassen,  wodurch  eine  Erweiterung  der  Hohlkehle  nöthig  wurde.  Auf  diese  Weise 
gestaltete  sich  die  äussere  Umringung  und  Einfassung  des  vorliegenden  Pectoral- 
Schildes  zu  einer  achtblättrigen  Rose.  Auf  der  inneren  Vertiefung  des  Vierpasses 
hat  der  Ktlnstler  auf  einer  dreitheiligen  Karyatide,  die  von  einem  zierlichen,  schlank 
geschlungenen  Laubwerke  getragen  wird,  drei  Statuettchen  angebracht,  deren  mitt- 
leres die  Madonna  dai*stellt.  Zur  rechten  Seite  dieser  Statuette  erblickt  man  das 
ciselirte  Standbildchen  eines  Apostels,  dessen  kennzeichnendes  Marterwerkzeug  heute 
fehlt;  auf  der  linken  Seite  hingegen  das  Standbild  des  heil.  Franciscus  von  Assisi, 
der  mit  der  einen  Hand  seine  stygmatisirten  Wundmahle  zeigt.  Sofort  erkennt 
man  an  der  Stylisirung  der  Gewänder  imd  dem  fleissig  gearbeiteten  Ausdrucke  der 
Köpfe,  dass  diese  beiden  Nebenstatuettchen ,  primitiv  zu  der  Agraffe  gehörend, 
von  Meisterhand  angefertigt  worden  sind.  Das  Standbildchen  der  Himmelskönigin 
in  der  Mitte  ist  jedoch  erst  später  hinzugefügt,  sehr  roh  und  nicht  ciselirt  gear- 
beitet, ein  Product  aus  der  Spätzeit  der  Renaissance.  Diese  drei  Statuettchen 
werden  gemeinschaftlich  von  einem  breiten  Baldachin  überragt,  der,  ein  geschwun- 
gener Eselsrücken,  die  Ausartung  der  architektonischen  Formen  deutlich  zu  Tage 
treten  lässt,  wie  sie  gegen  Schluss  des  XV.  Jahrhunderts,  dem  wir  auch  bestimmt  die 
Entstehung  dieses  Vorhängeschlosses  zuschreiben,  gang  und  gäbe  waren.  Dafür  spre- 
chen auch  die  Maasswerksformen  und  Zirkelschläge,  die  in  Gravirung  in  den  bei- 
den gegenüberstehenden  Rosenblättem  des  Vierpasses  als  Ornamente  ersichtlich  sind, 
desgleichen  auch  das  ciselirte  gothische  Laubwerk,  das  an  der  ebengedachten 
Stelle,  frei  durchbrochen,  aufgenietet  ist.  Die  Glasflüsse  mit  vielen  Facettirungen 
und  unterlegter  Folie,  die  allein  schon  für  einen  modernen  Ursprung  zeugen,  schei- 
nen aus  dem  letzten  Jahrhunderte  herzurühren  und  an  die  Stelle  von  früheren  un- 
geschliffenen Edelsteinen  gesetzt  worden  zu  sein.  Die  Krampe  auf  der  Rückseite, 
vermittelst  welcher  die  yjibula^  heute  auf  das  Querstück  der  Chorkappe  eingescho- 
ben wird,  gibt  sich  ebenfalls  als  eine  spätere  Zuthat  zu  erkennen,  und  die  vier 
vorstehenden  Verbindungshaken  auf  der  Rückseite  der  Agraffe  scheinen  uns  andeu- 
ten zu  wollen,  dass  dieses  „?nonile^  ursprünglich  vielleicht  als  verzierendes  Mittel- 
stück an  einem  anderen  kirchlichen  Kunstgegenstande  befestigt  gewesen  ist 

Noch  weisen  wir  darauf  hin,  dass  in  der  reichhaltigen  Privatsammlung 
mittelalterlicher  Kunstgegenstände  von  Kaufinann  Ruhl  in  Köln  sich  ein  ausge- 
zeichnetes Prachtexemplar  einer  mittelalterlichen  Agraffe  von  grosser  Dimen- 
sion und  delikater  technischer  Ausarbeitung  befindet,  die  aus  der  Kunst- 
sammlung des  verstorbenen  Rentners  Leven  herrührt  und  offenbar  von  der 
Meisterhand   eines  Kölnischen  Goldschmiedes   gegen  Mitte   des  XV.  Jahrhunderts 


ST.   ÜESULA.  21 

ausgeführt  worden  ist.  —  Die  reichsten  Pectoralschilder  dieser  Art,  die  uns  auf 
längeren  Reisen  zur  Kenntniss  gelangt  sind,  befinden  sich  in  dem  Schatze  der 
Sakristei  der  ehemaligen  Stifts-  und  heutigen  Pfarrkirche  zu  Tongern  (in  Bel- 
gien). Auch  der  Schatz  der  Münsterkirche  zu  Aachen  bewahrt  noch  vier  reich 
verzierte  Agraffen  in  gothischem  Style  von  grosser  Schönheit  der  Composition  und 
technischer  Vollendung  der  Ausftlhnmg.  In  der  Sammlung  kirchlicher  Gebrauchs- 
gegenstände aus  dem  Bereiche  der  Goldschmiedekunst  des  Mr.  Chalendon  zu  Lyon 
hatten  wir  Gelegenheit  mehrmals  verschiedene  interessante  kleine  Pectoralschilder 
in  vielfarbigem  Schmelze  in  Augenschein  zu  nehmen,  die  sämmtlich  noch  der 
romanischen  Kunstepoche  angehören  und  aus  den  Schmelzwerkstätten  der  EmaUeurs 
von  Limoges  herrühren  dürften. 


33. 

Schangefäss, 

Reiiquiengeiass  in  Form  einer  viereckigen  Kapsel  mit  Krystallpasten  in  Kupfer 

vergoldet. 

Beginn  des  XIV.  Jahrhunderts.     Höhe  36  Centimeter.    Breite  der  viereckigen  Kapsel  1 1  '/>  Centimeter. 

Durchmesser  des  Fusses  15  Centimeter. 

Obschon  das  vorliegende  Reliquiengefäss  aus  einfachem  Material  anspruchslos 
angefertigt  ist,  so  verdient  es  doch  seiner  originellen  Form  und  der  vielen  mit  grosser 
Kunstfertigkeit  gravirten,  figuralen  und  omamentalen  Darstellungen  wegen  von  Sei- 
ten der  Archäologie  ein  besonderes  Interesse.  Das  Fussstttck  des  vorliegenden 
Reliquiars  ist  kreisförmig,  und  nicht,  wie  die  meisten  derartigen  Gefässe,  im  sechs- 
eckigen Rosenblatt  gehalten.  Auf  dem  Fusse,  der  röhrenförmig  zu  einer  Spitze 
heransteigt,  erblickt  man  in  4  fiundmedaillons,  von  Kreisen  umzogen,  auf  feinem 
quadrirten  Tiefgrunde  die  eingravirte  Darstellung  der  4  geflügelten  Wesen,  die  be- 
kannten symbolischen  Darstellungen  für  die  Evangelisten.  Der  „aurijaber*',  der  als 
vollendeter  Künstler  dieses  Gefäss  ausgeführt,  hat  diese  Symbole  ziemlich  vertieft 
ausgestochen  und  so  modellirt,  dass  sie  fast  als  Basrelief  eine  skulptorische  Run- 
dung annehmen.  Die  Zwischenräume  zwischen  diesen  Kreismedaillons  hat  der  Gold- 
arbeiter zweckmässig  durch  die  Halbfiguren  von  vertieft  eingravirten  Engeln  aus- 
zufüllen gewusst,  die  Spruchbänder  und  Bücher  halten.  Vom  schlanken  Halse  des 
Fusses  ausgehend,  verzweigt  sich  ein  omamentales  Laubwerk  mit  den  Blättem  der 
Weinrebe.  Der  Knauf,  der  als  Handhabe  des  Gefässes  auf  dem  Halse  des  Fusses 
aufsitzt,  ist  sechstheilig  gehalten,  und  an  diesen  Theilen  treten  sechs  kleinere 
Rundknäufe  ziemlich  erhaben  hervor,  die  mit  vertieft  ausgestochenen  Köpfen 
von  Engeln  omamental  ausgestattet  sind,  lieber  diesem  „nodus^^  erhebt  sich  trich- 
terförmig eine  Röhre,  die  sich  nach  oben  in  Weise  eines  Tellers  erweitert,  um  als 


22  ST.  URSULA. 

Sander  zur  Befestigung  der  grossen  viereckigen  E^apsel  zu  dienen,  die  die  Bestim- 
mung Iiat,   in  ihrem  inneren  Baume  die  Reliquien  jener  Heiligen  au&unehmen, 
deren  Martergescliiehte  auf  dem  dachförmig  ansteigenden  Deckel  des  Gelasses  bild- 
lich dargestellt  ist    Die  4  Seiten  der  quadratisch  gehaltenen  Reliquienkapsel  sind 
in  der  Mitte  ausgefüllt  durch  ziemlich  hervorspringende  Krystallpasten  in  Halbkugel- 
form, die  vermittelst  stark  ausgezahnter  Umringungen  und  Einfassungen  (lectu/a) 
mit  der  ausgeschnittenen  Metallfläche  in  Verbindung  stehen.    Diese  4  Krystallpa- 
sten, die  die  Goldschmiedekunst  des  Mittelalters  häufig  als  Ornamente  anzubringen 
pflegt,  haben  hier  noch  den  besonderen  Zweck,  dass  sie  die  Besichtigung  der  im 
Inneren  eingeschlossenen  Reliquien  ermöglichen.  An  der  4.  Fläche  hat  der  KUnsfler, 
da  \ielleicht  die  nüthige  Erystallkugel  ihm  abging,  einen  viereckigen  glatten  Ber;^- 
krystall  in  die  vorspringende  Fassung  eingefügt.    Um  die  EjystaUkugehii  hemm 
hat  der  Goldschmied  die  freien  Flächen  in  den  Zwickeln  durch  gestreckte  Halb- 
figuren von  Engeln  kunstreich  zu  fbllen  gewusst,   die  gleichsam  über  dem  Grabe 
der  Heiligen  mit  der  Posaime  den  Tag  der  Auferstehimg  und  Verklärung  zu  ver- 
künden scheinen.    Wie  oben  schon  bemerkt,  sind  die  4  fast  in  gleichseitigem  Drei- 
eck  gehaltenen  Felder  des  verschliessbaren  Deckels  ebenfalls  omamentirt  durch 
Rimdmedaillons  in  der  grössten  Breite  von  6  Centimeter  5  Millimeter,  welche  im  Inne- 
ren in  energischer  Gravirung  Seenen  aus  dem  Leben   und  der  Leidensgeschichte 
der  heiligen  Jungfrau  und  Märtyrin  Barbara,  die  in  der  occidentalischen  Kirche  in 
grosser  Verehrung  steht,  zur  Anschauung  bringen.    In  dem  einen  Medaillon  wird 
Barbara  von  den  Schergen  vor  ein  Götzenbild  geftlhrt,  und  der  königliche  Vater 
als  Richter  befiehlt  ihr,  den  heidnischen  Göttern  zu  opfern.    Die  folgende  Scene 
stellt  dar  die  Einsperrung  der  heiligen  Barbara  in  den  Thurm,  vollzogen  durch 
ihren  Vater.    In  dem  dritten  Medaillon  erblickt  man  die  Scene,  Avie  die  MärtjTin 
von    den   Schergen   zerfleischt   wird.     Das  vierte    und    letzte  Medaillon    endlich 
veranschaulicht  die  Enthauptung  der  Heiligen    eigenhändig  vorgenommen  durch 
den   grausamen  Vater  derselben.     Die  Ecken  dieser  Bedachungsfelder  um  diese 
Medaillons  herum  sind  ausgefüllt  durch  zierlich  geformten  Blätterschmuck.    Das 
Reliquiarium  erhält  einen  Abschluss  durch   einen  kleinen,   glatten  Knauf,   der, 
wie  es  den  Anschein  hat,  ehemals  als  Unterlage  diente  zur  Aufiiahme  eines  klei- 
nen  Globus    in  Bergkrystall;    darauf  möchte   auch  die  runde  Oefihung   in    der 
Mitte  dieses  glatten  Knaufes  hindeuten.    Was   die  Composition  der  ebengedach- 
ten figuralen  Darstellung  und  des  gefälligen  Blätterschmuckes  betriflft,  so  muss  zu- 
gegeben werden,  dass  sowohl  in  der  Composition,  als  technischen  Ausführung  der- 
selben sich  ein  ausgezeichneter  Goldschmied  bekundet,  der  mit  vielem  Schwung  und 
grosser  Meisterschaft  dem  ungefügigen  Material  des  Rothkupfers  so  schwungvolle 
Formbildungen  zu  entiocken  gewusst  hat    Dem  edlen  Faltenwurf  der  Gewänder 
nach  zu  urtheilen,  sowie  der  Form  der  mit  der  grössten  Naturwahrheit  gebildeten 
Laubomamente  nach  zu  schliessen,   steht  nichts  im  Wege  anzunehmen,  dass  das 
vorstehende  Gefäss  gegen  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  seine  Entstehung  und 
kunstreiche  Anfertigung  gefunden   habe.    Vor  nicht  langer  Zeit  ist  das  in  Rede 
stehende  interessante  Reliquiengefäss  von  einem  ehemaligen  Pfarrgenossen  von 


8T.   URSULA.  23 

St.  Ursula  dem  Schatze  dieser  Kirche  geschenkt  worden ;  dasselbe  rührte  von  dem 
letzten,  vor  wenigen  Jahren  verstorbenen  Stiftsvikar  des  ehemaligen  Kapitels  von 
St  Cunibert  her. 


Reliqnienkästchen 

in  Holz  mit  zierliclien  ge[)ressten  Ornamenten  von  dünnem  Silberblech 

überzogen. 

XrV.  Jahrhundert.     Grösste  Länge  24 ■'!  Centim.     Grdsste  Breite  IS '/>  Centim.    Grösste  Hohe  2V/t  Cent. 

Das  vorstehende  Beliquienkästchen  verdient  in  mehr  als  einer  Beziehung  die 
Aufmerksamkeit  von  Seiten  der  Alterthumsforscher,  nicht  nur,  weil  es  in  formeller 
Beziehung  Interesse  bietet,  sondern  auch  weil  die  technische  Ausarbeitung  als  eine 
eigenthtlmliche  und  höchst  seltene  sich  herausstellt  Der  vorliegende  Schrein  in 
sehr  origineller  Form  besteht  seinem  Stoffe  nach  aus  einem  weichen  Holze,  das  in 
allen  seinen  Theilen  mit  einer  gepressten  Masse,  einem  festen  Kitt  ähnlich, 
überlegt  ist,  unserem  DafürbtUten  nach  eine  Mischung  von  Kreide  und'  Leim. 
Es  scheint,  dass  diese  Masse  unter  Präge  gebracht,  mit  äusserst  dUnnen  sil- 
bernen und  goldenen  Blechen  (Kauschsilber)  überlegt  und  alsdann  in  trockenem 
Zustande  vermittelst  einer  Leimimg  auf  die  Holzflächen  des  Beliquienkästchens 
befestigt  wurde.  Auf  diese  Weise  hat  man  die  Flächen  des  Holzes  durch  ein 
einfaches,  wenig  kostspieliges  Material  so  zu  beleben  gewusst,  dass  die  ausge- 
pressten  Ornamente  nicht  nur  nicht  einer  vielgestaltigen  Form  ermangelten,  sondern 
dass  auch  noch  diesen  zierlichen  Ornamenten  in  mattem  Silber  und  Vergoldung 
ein  reicher  Farbton  verliehen  wurde. 

Die  Form  dieser  „arcula^  weicht  in  sofern  von  den  übrigen  Beliquien- 
schreinen  ab,  die  in  Messing  oder  Silber  vergoldet  mit  Emailverzierung  oder  sculp- 
tirtem  Elfenbein  vorkommen,  dass  die  äusseren  Formen  auf  Flächen  und  hervor- 
stehende Leisten  berechnet  sind,  um  die  gestampften  Pressungen  aufzunehmen. 
Auf  einem  ziemlich  breiten  Fussrande,  der  mit  reichgebildeten  Ornamenten  über- 
zogen ist,  erhebt  sich  ein  kleines,  oblonges  Kästchen,  das  an  seinen  Ecken  durch 
Widerlagen  von  schmalen,  viereckigen  Stäben,  wie  es  uns  scheinen  will,  in  polirten 
Camiolen  flankirt  ist.  Sowohl  an  den  beiden  Langseiten,  wie  an  den  Kopfseiten  die- 
ses Kästchens  hat  man  nicht  ohne  Absicht  viereckige,  länglich  geschliflFene  Bergkiy- 
stalle  von  ziemlicher  Dicke  anzubringen  gewusst,  wodurch  eine  bequeme  Besichti- 
gung der  im  Inneren  verschlossenen  Beliquien  ermöglicht  wurde,  ohne  dass  eine 
Oeifiiung  zur  Einsicht  derselben  vorgenommen  zu  werden  brauchte.  Zu  den 
beiden  Seiten  dieser  Krystallflächen  erblickt  man  an  den  beiden  Langseiten  der 
y,tkeca  oblonga"  je  zwei  vielfarbige  Thierbilduugen  in  Email,  die  von  eigenthttm-» 


24  ST.  URSULA. 

lieber  Farbenpracht  und  originell  stylstrenger  Fomibildung  sind.  Es  wllrde  scbwer 
fallen,  diese  kleinen  Thierunbolde  einer  gewissen  Tlüergattung  überweisen  zu 
wollen,  da  sie  mehr  in  der  reichen  Phantasie  eines  genialen  Künstlers,  als  in  der 
Wirklichkeit  jemals  existirt  haben.  Dieselben  erscheinen  als  vierfttssige,  harm- 
lose Thiere,  die  mit  niedergedrücktem  Kopf  und  hervorstehendem  Hinterkörper 
feindselig  gegen  eine  gegenüberstehende  Thierfratze  in  gleicher  Gestalt  anrennen 
wollen.  Frappant  ähnliche  Thierbilder  derselben  Gattung  fanden  wir  auch  in  die- 
ser Situation  auf  der  kunstreich  in  Lederplastik  geformten  Enveloppe  im  Kaiser- 
schatze  zu  Wien,  worin  ehemals  die  Krone  des  heiligen  römischen  deutschen  Rei- 
ches aulbewahrt  wurde,  und  die  nachweislich  gegen  Mitte  des  XTV.  Jahrhun- 
derts unter  der  Begierung  KarFs  IV.  angefertigt  worden  ist.  Was  die  Technik  dieser 
mit  grosser  Bravour  ausgeführten  Emailschildchen  betrifft,  so  fügen  wir  hier  hinzu, 
dass  diese  Emailirungen  auf  einem  feinen  Silberblech  helldurchscheinend  als  „«na//- 
transluctde'^  so  aufgeschmelzt  worden  sind,  dass  man  die  in  Silberblech  eingravirte 
und  ein  wenig  modellirte  Thierfigur  durch  den  durchsichtigen  Schmelz  erken- 
nen kann.  —  Die  übrigen  freistehenden  Räume  an  den  beiden  Lang-,  sowie  auch 
an  den  Kopfseiten  des  kleinen  „scrinium**  sind  mit  den  eben  angedeuteten,  in  Silber 
geprägten  Ornamenten  so  überlegt,  dass  die  Unterlage  des  Holzes  gänzlich  dadurch 
verdeckt  ist  Sämmtliche  Prägen  liegen  streifenfbrmig  neben  einander,  und  in  den- 
selben schlängelt  sich  immer  wieder  vorkommend  eine  zierliche  Guirlande  mit 
Rebenlaub  hindurch,  welche  als  schön  stylisirtes  Ornament  häufig  in  der  Blttthe- 
zeit  ^  der  rheinischen  Gothik  erscheint.  Dadurch ,  dass  der  besagte  Schrein  auf  4 
ausgeschnittenen  kleinen  Fussstücken  ruht  und  der  Boden  deswegen  keine  Fric- 
tionen  beim  Aufstellen  erleiden  konnte,  hat  man  mit  den  obengedachten  gepress- 
ten  und  mit  Silberstaniol  überzogenen  Ornamenten,  die  sich  hier  noch  besonders 
scharf  erhalten  haben,  den  ganzen  äussern  Fussboden  bedeckt  Der  Deckel  dieses 
interessanten  Reliquienkästchens  steigt,  ebenfalls  nach  allen  Seiten  hin  abgeschrägt,  in 
Dachform  an,  und  diese  Abschrägungen  sind  mit  fünfeckig  geschliffenen  Kiystallgläsem 
verschlossen.  Auf  der  oberen  viereckig  länglichen  Fläche  der  Bedachung  erblickt 
man  eine  Art  Handhabe  in  Silber  vergoldet,  die  ehemals  die  Bestimmung  zu  haben 
schien,  sich  derselben  beim  Henuntragen  des  vorliegenden  Reliquienkästchens  als 
Henkel  zu  bedienen.  Diese  Handhabe  zeigt  sonst  keine  Ornamente,  als  3  Aufsätze 
in  Kleeblattform.  Auch  unten,  wo  diese  Handhabe  in  die  Bedachung  des  Käst- 
chens eingreift,  hat  der  Goldarbeiter  als  Blätterschmuck  die  Blätter  des  Weinlaubs 
silbervergoldet  angebracht,  die  als  eine  gelungene,  naturalistisch  aufgefasste  Blatt- 
bildung betrachtet  werden  kann,  wie  die  Gothik  in  ihrer  Glanzepoche  solche  cha- 
rakteristisch zu  geben  gewohnt  war.  An  dieser  Handhabe  ist  eine  ^,sckedula"  in 
Pergament  befestigt,  auf  welcher  man  folgende  Angabe  in  mittelalterlicher  lateini- 
scher Majuskelschrift  liest:  „Cütula  Sanctae  Cordulae  virg,  et  martyrist  continens  ein- 
gula  et  alias  reliquias  S.  S.  Virginum  item  aliquod  oscula  mfantium  qüi  cum  iisdem 
virginibus  occisi  sunt.  Hinsichtlich  der  äusserst  fein  stylisirten  Laubomamente  im 
dünnen  getriebenen  Silberblech,  sowie  der  vielfarbigen  Schmelzwerke  an  den 
phen  bezeichneten  Stellen,  nehmen  >vir  keinen  Anstand,  hier  die  Behauptung  auf- 


^ 


ST.  UBSULA.  25 

zustellen,  dass  das  vorliegende  interessante  Beliquiensclireinchen  aus  dem  Beginne, 
spätestens  aber  aus  der  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  herrühre. 

Der  reichhaltige  Reliquienschatz  von  St.  Ursula  besitzt  noch  ein  zweites  Reli- 
quienkästchen von  ähnlicher  technischer  Beschaffenheit,  dessen  artistisch  formellerWerth 
jedoch  bedeutend  geringer  ist,  als  der  der  eben  beschriebenen  „ctstula".  Auch  die- 
ses Kästchen  ist  ebenfalls  aus  leichtem  Holz  construirt  und  mit  einer  dtlnn  aufliegen- 
den Kittmasse  überzogen,  in  welcher  ebenfalls  frtthgothische  Laubomamentationen 
erhaben  ausgeprägt  sind.  Diese  haben  ihrerseits  wieder  in  einem  dünnen  Silbersta- 
niol  einen  ziemlich  scharfen  Ueberzug  erhalten.  An  den  aufrecht  stehenden  Seiten 
dieses  viereckig  länglichen  Kästchens  sind  4  dicke  Krystallgläser  angebracht,  die'  den 
Inhalt  des  Kästchens  ersichtlich  werden  lassen.  Oben  auf  der  Deckplatte,  die  flach 
abschliesst,  erblickt  man  den  Rest  einer  Handhabe,  und  hat  der  Künstler  die  Tief- 
fläche dieses  Deckels  mit  zwei  Perlmutter-Täfelchen  ausgefUlt;  desgleichen  sind  zu 
beiden  Seiten  der  Handhabe  die  entsprechenden  Flächen  mit  Schildkrot-Täfelchen 
belegt,  die  auch  als  kleine  quadratische  Verzierungen  an  dem  unteren,  schräg  an- 
steigenden Sockel  als  Ornamente  wiederkehren.  Auch  das  vorliegende  Reliquien- 
schreinchen  möchte  mit  dem  vorhin  beschriebenen  dieselbe  Zeit  der  Entstehung 
beanspruchen.  — 


Geschichtliche  Nachrichten 

über  die  Flucht  und  Rettung  des  Reliquienschatzes  von  St.  Ursula. 

Aus  den  älteren  Stiftern  Köhis,  die  vielfach  unter  ihren  Mitgliedern  die  Kir- 
chenschätze vertheilten,  ehe  die  Franzosen  gegen  Schluss  des  vorigen  Jahrhun- 
derts Köln  in  Besitz  nahmen ,  haben  sich  heute  in  der  Schatzkammer  der  St.  Ur- 
sulakirche verhältnissmässig  nicht  nur  eine  grosse  Menge  von  kostbaren  Reliquien 
unverletzt  erhalten,  sondern  es  befinden  sich  dieselben  auch  heute  noch  in  kunst- 
reichen und  werthvollen  Fassungen,  deren  Formenbildungen  noch  vielfach  aus  der 
Blttthezeit  der  Kölnischen  Goldschmiedekunst,  dem  Mittelalter,  herrühren.  Hier- 
hin sind  heute  noch  zu  rechnen  eine  grosse  Zahl  von  kunstvoll  in  Silber  getrie- 
benen Brustbildern,  die  von  der  grossen  Geschicklichkeit  Kölnischer  Goldschmiede 
in  der  schwierigen  Kunst  des  Treibens  zum  Beweise  dienen  können.  Aeltere 
Schriftsteller  bezeichnen  diese  getriebenen  Brustbilder  gewöhnlich  mit  dem  Ausdrucke 
y,pectorales  staiuae  argenteae^,  und  sind  dieselben  in  der  Rege]  in  jener  Formaus- 
prägung, wie  wir  eines  dieser  ,,herma"  unter  Nr.  42,  aus  dem  Domschatze  herrüh- 
rend, in  Abbildung  veranschaulicht  haben.  In  diesen  meist  silbernen  Brustbildern, 
deren  heute  noch  die  Schatzkammer  von  St.  Ursula,  aus  dem  Mittelalter  her- 
rührend, eine  grosse  Anzahl  aufeuweisen  hat,  sind  ehrfurchtsvoll  aufgehoben 
Schädel  jener  heldenmttthigen  englischen  Jungfrauen,  die  in  den  Mauern  Köln's, 


26  ST.  UBSULA. 

auf  ihrer  Bttckkehr  von  der  Wallfahrt  nach  Born,  von  den  heidnischen  Hun- 
nen erschlagen  und  ihres  Glaubens  wegen  standhaft  den  Märiyrertod  erdul- 
det haben.  Nur  allein  der  wachsamen  Vorsicht  der  damaligen  Vorstände  des 
St.  Ursula -Stiftes  hat  man  es  zu  danken,  dass  bei  dem  gewaltsamen  Vordringen 
der  Sansculotten  sämmtliche  Reliquien  in  ihren  kunstreichen  Fassungen  in  versie- 
gelten Kästen  jenseits  des  Kheines  in  Sicherheit  gebracht  wurden. 

Es  muss  beklagt  werden,  dass  damals  die  anderen  reichen  Stifter  und  Kirchen 
Kölns  nicht  dem  gleichen  Beispiele  der  Stiftsvorstände  von  St.  Ursula  gefolgt  sind;  wir 
würden  dann  im  vorliegenden  Werke  über  bedeutend  werthvoUere  und  kostbarere 
Schätze  zu  berichten  haben,  als  dies  heute  nach  systematischer  Plünderung  der 
altkölnischen  Kirchenschätze  der  Fall  ist  Mit  welcher  Sorgfalt  und  Umsicht  man 
bei  der  Einpackung  und  Flucht  der  Kunst-  und  Beliquienschätze  von  St  Ursula  gegen 
Schluss  des  vorigen  Jahrhunderts  verfahren  ist,  beziehungsweise  welchen  grossen  Werth 
man  auf  Erhaltung  der  Authenticität  des  seltenen  Beliquienschatzes  des  altbertthm- 
ten  Stiftes  legte,  beweist  folgende  merkwürdige  geschichtliche  Urkunde  (im  hie- 
sigen erzbischöflichen  Archiv  befindlich),  deren  Abschrift  wir  der  zuvorkommenden 
Freundlichkeit  des  jetzigen  Pfarrers  von  St.  Ursula  verdanken.  Wir  iheilen  die- 
selbe hier  ihrem  Wortlaute  nach  mit  und  bemerken,  dass  die  im  Folgenden  be- 
zeichneten Gegenstände  unversehrt  im  Jahre  1804  wieder  in  die  oftgedachte  Stifts- 
kirche zurückgeftlhrt  worden  sind. 

„MaximilianusFranciscus,  Dei  Gratia  Archiepiscopus  Goloniensis,  S.  B.  J.  per 
Italiam  Archicancellarius  et  Elector,  Icgatus  natus  S.  B.  apostolicae  Sedis  etc.  etc. 

Omnibus  praesentes  litteras  visuris,  lecturis  aut  legi  audituris  salutem  et 
benedictionem  in  Domino. 

Tenore  praesentium  notam  facin^us  universis,  ad  quos  haec  pagina  pervene- 
rit,  sequentes  reliquias  Sanctorum  huic  capsae  inclusas  videlicet: 

l"'*    Caput  s***  Ursulae,   reginae  Brittaniae  V  et  M.  cinctum  diademate  marga- 
rithis  et  gemmis  omato. 

2*°    Caput  s"  Etherii  Eegis  Angliae  et  M.  sponsi  s***  Ursulae  reginae  pari  Dia- 
demate margarithis  omato  cinctum. 

S^'*    Caput  s"  Pantali  primi  Episcopi  Basüiensis  et  M. 

4^    Caput  s***  Christinae  ex  societate  s**'   Ursulae  ob  Christi  fidem  Martyrio 
coronatae. 

5**     Caput  s**'  Benedictae  Ducissae  ex  societate  s*"  Ursulae. 

6***     Caput  8**'  Cordulae  reginae  et  Martyris. 

jtimo  Caput  s"  Jacobi  Episcopi  Antiocheni  pro  fide  Christi  Martyrium  perpessi. 

8**"*  Caput  s"'  Barthimiae  reginae  in  terra  Siciliae  (sie  enim  inscriptio  annexi 
pergameni  legenda  videtur). 

9"°    Cranium   s'**  Martyris   ciyusdam  cum  capillis,   cujus   nomen   adscriptum 

haud  ftut. 
10""    Eeliquiarium  cum  inscriptione  de  s**  Maria  Magdalena,    de  flagello,   quo 
Christus  flagellatus  est,  de  Casula  s"  Servatii,   de  cruore  etc.  XL  M.  V. 


ST.   UB8ULA.  27 

11  ""^^  Linteae  sanguine  tinctae  inclusae  vitro  Cylindrico,  quod  ex  superiori  et 
inferiori  parte  argento,  obseratum  ac  fulcris  argenteis  innixum  est. 

12""  Variae  sanctorum  Reliquiae  una  cum  linteo  sacro  Martyrum  cruore  tincto, 
quae  ex  Reliquiario  formam  Brachii  habente  deprompta  sunt. 

13*'**    Os  quoddam  Martyris  superius  ac  inferius  argento  inclusum. 

I^to  iperra  sanguine  imbuta  una  cum  aliquibus  reliquiis  sanctorum  et  schedu- 
liSy  in  quibus  hae  leguntur,  de  Tabulis  testamenti,  Satuminae  Yirginis,  dens 
s^  Hipoliti  dens  s^'  Satumini  s^'  Benedicti  Abbatis,  Annae  .  .  .  reliqua  prae 
vetustate  legi  haud  potuere. 

15^^     Maxiila  argento  pro  parte  cooperta  et  fulcris  argenteis  tribus  innixa. 

16*"  Variae  Reliquiae  e  Reliquiario  in  forma  Ostensorii  extractae,  quibus  ailexa 
erant  pergamena  cum  inscriptione  de  s**  Greorgio,  de  Tunica  Jesu  Christi 
inconsutili. 

lyümo  Reliquiae  de  s**  Cruce,  quae  inclusae  fuere  cruci  argenteae  de  anno  1601. 

IS""*  Capsula  ebumea  minor  nullis  figuris  decorata  habens  in  se  pannos  seri- 
cos  sacro  cruore  tinctos. 

IQ*""  Alia  Capsula  ebumea  major  figuris  incisis  omata  cum  variis  Reliquiis  et 
rubrica:  de  vestimentis  s"  Stephani. 

20"*'  Alia  Capsula  ebumea  prioribus  major  figuris  incisis  decorata  varias  com- 
plexans  reliquias  et  argenteam  s*"  ürsulae  Effigiem. 

2t"*  Variae  Reliquiae,  quaram  adscriptae  Rubricae  haec  sunt:  de  s**  Vincentio, 
s*^  Adriano  M.  S.  Augustino,  S.  Alexandro,  reliquiae  S.  Alexii,  Caeciliae 
V.  S.  Antonii,  S.  Margarethae  V.  de  panno  in  quo  .  .  .  (reliqua  enim  de- 
trita  prae  vetustate  legi  non  possunt)  quae  omnia  ex  vasculo  quodam  in 
forma  Ostensorii  constmcto  fuere  extracta. 

22*°  De  Corona  Christi  spineae  duae,  Reliquiae  s**"  Cmcis  et  s''  Jacobi  Apostoli, 
terra  item  sanguine  Mm.  imbuta  quae  fuere  inclusae  Reliquiario  in  for- 
mam Ostensorii  efformato. 

23***  Quatuor  ossa  sanctorum  deprompta  ex  argentea  figura  virginis,  in  cujus 
pede  legebantur  haec  yerba,  Sigismundus  Eppus  Varadiensis  in  Hungaria. 

24***     Reliquiae  Martyris  ex  argentea  quadam  s**'  ürsulae  EfBgie  desumptae. 

25**     Variae  Reliquiae,  dentes,  Capilli  et  terra  fuso  Martyrum  sanguine  tincta, 

quae  in  vasculo  in  forma  Ostensorii  condito  fuere  asservata. 

26**  Variae  reliquiae  titulis  ac  rubricis  destitutae  inclusae  Cylindro  vitreo  ful- 
cris argenteis  innixo,  cui  superposita  est  Christi  cnicifixi  EfSgies. 

Has  omnes  supradictas  Reliquias  esse  easdem,  quae  in  Hierophilacio  Basili- 

cae  ad  s^"  Ursulam  sociasque  Mss.  Coloniae  ante  hac  asservatae,  ac  piae  fidelium 

.  venerationi  publice,   expositae  fuemnt  easque  ex  variis,   in  quibus  latebant  Reli- 

quiariis  nostra  authoritate  extractas  et  praesenti  Capsulae  archiepiscopali  sigillo 

nostro  obseratae  esse  inclusas  fidem  hisce  facimus  ac  attestamur,  ac  in  majorem 


28  ST.  UB8ULA. 

horum  authentiam  praesentem  desaper  chartam,  manu  nostra  signatam  conscribi, 
eamque  archiepiscopalis  sigilli  nostri  appressione  ac  testium,  in  quorum  praesentia 
haec  acta  sunti  subscriptione  jussimus  roborari. 

Datum  Frankofiirti  ad  Mönum  die  3'^  Augusti  1798. 

L.  S.  Maximilianus  Franciscus, 

Ärchiepiscopus  et  Elector  Coloniensis. 
B.  Mylius  Eccl.  Metrop.  et  Basilicae  ad  S.  Ursu- 

lam  Canonicus  Capitularis. 
Wreden  Scr.,  ac  B.  Electoris  col.  Beferendarius 
intimuB  EcclesiaBticus,   canon.   Bonn,  et  ad  88. 

Apostolos  Goloniae. 


^w  ^rr  pr^nt^Vammtv  iti  Homtt. 


W(tEr*Dt=lrmirth.  Coln 


-^na  itr  3rliaOlidmmrrlr»  Damra. 


Jlns  hrr  ÖrB^affltsmintr  ftr»t)a>nf»  ■ 


des  Kölner  Domes. 


Mittelalterliche  KuiiBtgegeiiBtftiide  daselbst 

Seltf 

35)  RomaDisehes    Kreuz,    kupfervergoldcl ,     mit     oiner     Monge    vielfarbiger    Schmelze. 

XII.  Jahrlmmlerl.     Taf.  IX.  Fig.  35    ... 3 

36  und  37)  Erzbischöfliclies  Yorlragckreuz,  in  Silber  vergoldet,  roil  reichen  Emaillirungen. 

XIV.  Jahrhundert.     Taf.  IX.  Fig.  36  u.  37        7 

3S)  Messkelch  für  den  täglichen  Gebrauch,  in  Silber  vergoldet.  XV.  Jahrb.  Taf.  IX.  Fig.  3S.      \\ 

39)  Grosse  Monstranz,  silbervergoldet.     XIV.  Jahrhundert.     Taf.  X.  Fig.   39    .     .     .     .      13 

40)  Reliquienkreuz,  silbervergoldel,  mit  doppelten  Kreuzbalken.    XV.  Jahrb.  Taf.  X.  Fig.  40      17 

41)  Drei    Relirjuiengeßisse ,    kupfervergoldet,    in    einfachen    Formen.     XVI.   Jahrhundert. 

Taf.  X.  Fig.  41 18 

42)  Brustbild  in  Silber  getrieben,  vorstellend  die  Büste  des  h.  Gregorius  Spoletanus  im 
priesterlichen  Gewände.     XV.  Jahrhundert.     Taf.  X.  Fig.  42 19 

43)  Lichtträger  in  Form  von  knieenden  Engeln,    in  Silber  getrieben.     XV.  Jahrhundert. 

Taf.  X.  Fig.  43 20 

44)  Reliquien-schrein  der  heU.  drei  Könige,  silbervergoldet,  mit  einer  Menge  Emaillirun- 
gen verziert.     XII.  Jahrhundert.     Taf.  XI.  Fig.  44,  u.  Taf.  XII.  Fig.  44a    .     .     .  23 

45)  ErzbischOilicher  Krunimslab,  in  Silber  vergoldet,  mit  reichen  durchsichtigen  Schmel- 
zen.    XIV.  Jahrhundert.     Taf.  XII.  Fig.  45 44 

46)  Gaeremonienschwerli  silbervergoldet.     XV.  Jahrhundert.     Taf.  XII.   Fig.  46  .     .     .  48 


I! 


35. 

Krenz,      ^ 

kupfervergoldet,   mit  einer   Menge  vielfarbiger  Schmelze. 

Xn.  Jahrhundert.     Grüsste  Länge  50  Centimeter,  Breite  40  Centimeter. 

Dieses  Vortragekreuz  zeigt  in  seiner  Grundanlage  die  stereotype  Foi-m  der 
älteren  romanischen  Kreuze,  die  sich  aus  der  Blflthezeit  mittelalterlicher  Goldschmiede- 
kunst noch  hin  und  wieder  vor  den  Verwüstungen  des  vei-flosseneü  Jahrhundei-ts  bis 
auf  unsere  Tage  erhalten  haben.  Das  Kreuz  scheint,  wie  es  heute  vorliegt,  der  Zeit 
und  der  Technik  nach  zwei  verschiedenen  Perioden  anzugehören.  Unwiderleglich 
rtlhren  die  aufgelegten  Emails  aus  einer  älteren  Kunstepoche  her,  wie  dieses  nicht 
nur  die  figurativen  Darstellungen,  sondern  auch  die  eingelassenen  Schmelze 
deutlich  erkennen  lassen.  Die  mittlere  ,emaillirte  Platte  in  der  Länge  von 
21  Centimeter  und  in  der  grössten  Breite  der  Quertheile  von  14  Centimeter  zeigt  die 
Darstellung  des  Heilandes  am  Kreuze,  nach  alter  byzantinisirender  Auffassung,  stehend 
und  segnend  als  verklärter  Gottmensch.  Das  „mppedaneum''  bei  den  Füssen  fehlt; 
jedoch  sind  die  Füsse  nicht  über-,  sondern  nach  älterer  Darstellungsweise  neben- 
einander durch  zwei  Nägel  an  das  Kreuz  geheftet.  —  Die  Figur  des  Gekreuzigten 
ist  als  Basrelief  von  vergoldetem  Messing  erhaben  auf  das  emaillirte  Kreuz  befe- 
stigt. Die  Emails  des  Kreuzes  sind  in  den  verschiedensten  Farbentönen  vom 
Dunklen  bis  zum  Hellblau  gehalten.  Das  Haupt  des  Heilandes  ist  mit  einem 
gekreuzten  Nymbus,  die  Gottheit  andeutend,  versehen.  Ueber  demselben  erblickt 
man  in  griechischer  Schreibweise  das  bekannte  Hierogramm.  Die  Emails  des  Kreuzes 
dürften  nach  den  neuesten  Forschungen  als  „emaux  champleves^  bezeichnet  werden; 
d.  h.  nur  die  Omamentationen  in  Metall,  die  heute  in  starker  Vergoldung  ersicht- 
lich sind,  hat  der  Emailleur  hochstehend  gelassen,  den  übrigen  Grund  jedoch  ver- 
tieft ausgestochen  und  denselben  mit  vielfarbigem  Schmelz  so  ausgefüllt,  dass  da- 
durch eine  glatte  Fläche  gebildet  wurde.  An  den  vier  Ecken  des  Kreuzes  befin- 
den sich  als  emaillirte  Schildchen  ebenfalls  vier  figurale  Darstellungen,  die  bei 
näherer  Betrachtung  zeigen,  dass  sie  ursprünglich  nicht  zusammengehört  ha- 
ben,   und    gelegentlich    hier     hinzugefllgt   worden    sind.     Bei    älteren    byzanti- 


4  DOICSCHATZE. 

niBchen  Kreuzen  sind   an  den  vier  Ausgangspunkten  der  Querbalken  häufig  ent- 
weder in  getiiebener  oder  emaillirter  Arbeit  die  symbolischen  Darstellungen  der  vier 
Evangelisten  angebracht.    Auf  vorliegendem  Kreuze  sind  aber  blos  zwei  derselben 
vorhanden,    nsCliilich  an  dem  oberen  Theile,   dem  Kopfbalken,  das   symbolische 
Abzeichen    des   Evangelisten    Johannes,    der   Adler,    eine    Spruchrolle    haltend, 
und  an  dem  unteren  Langbalken  die  yjacies  hominis** ,  das  charakteristische  Zei- 
chen des  Evangelisten  Matthäus.    An  Stelle  der  beiden  übrigen  Thiersymbole,  ani 
Querbalken,  hat  man  als  Halbiiguren  auf  emaillirten  Schildchen  die  Darstellung  der 
Leidensgruppe  angebracht,  nämlich  auf  der  rechten  Seite  des  Erlösers:  Maria,  und 
auf  der  linken:  den  Lieblingsjttnger  Johannes.    EigenthUmlich  ist  es,  dass  bei  die- 
sen vier  letztgenannten  Darstellungen   nur  die  Kopfbildung  als  Basrelief  erhaben 
hervortritt    Die  übrigen  Körpertheile  hat  der  Künstler  in  vergoldeten  Contouren 
ohne  Emaillirung  so  dargestellt,  dass  er  mit  einem  stumpfen  Stichel  eine  Model- 
lirung  der  Gewandpartieen  hervorzubringen  gewusst  hat.    Es  dürfte,  wie  überhaupt 
bei  den  Emails  des  XII.  Jahrhunderts,  nicht  leicht  sein,  anzugeben,  wie  dieses 
auch  der  gelehrte  Kenner  älterer  Schmelzwerke,  Abb6  Texier,  in  seinem  Werke: 
y^Les  emauw  de  Limoges^  an  vielen  Stellen  durchblicken  lässt,  ob  die  den  vor- 
liegenden ähnlichen  Emails  in  dem  alten  Stammsitz  emaillirter  Arbeiten,  zu  By- 
zanz,   angefertigt  worden   seien,   oder  ob  Limoges  oder  die  Schmelzarbeiter  zu 
Köln  im  XII.  Jahrhundert  die  vorliegenden   Emails  ausgeführt  haben.    Nach  der 
Angabe   des   ebengedachten  Schriftstellers  waren   nämlich  die  ^opißces^  in  Köln 
längere  Zeit   vor  den  SchmelzkUnstlem  von  Limoges  thätig,   kirchliche  Geräthe 
durch  emaillii-te  Arbeit  zu  schmücken.  Betrachtet  man  die  grosse  Menge  der  pracht- 
vollen Emailwerke,  die  sich  heute  noch  an  Reliquienschreinen,  tragbaren  Altären,  Kreu- 
zen, in  hiesigen  Kirchen  trotz  des  französischen  Regime  in  den  Tagen  der  letzten  gros- 
sen Staatsumwälzung  erhalten  haben,  so  muss  man  eingestehen,  dass  das  vorliegende 
Schmelzwerk  als  ein  Glied  und  integrireuder  Theil  jener  emaillirten  Kunstwerke  zu 
betrachten  ist,  die  dem  Kunstfleisse  Kölnischer  Benedictiner  (fratres  laici)  ihren 
Ureprung  verdanken.    Wir  werden  im  Verlaufe  dieses  Werkes  bei  Beschreibung 
des  St.  Heribertschreines  zu  Deutz  und  der  prachtvollen  Reliquienschreine  der  ehe- 
maligen Benedictinerabtei  St  ^Pantaleon  die  Beschaffenheit  und  EigenthUmlichkei- 
ten  der  Kölnischen  Emails  gegenüber  den  gleichzeitigen  Arbeiten  von  Byzanz  und 
Limoges   ausführlicher  darzustellen  Gelegenheit  haben.    Hinsichtlich  der  in  Rede 
stehenden  Schmelzwerke  fügen  wir  noch  hinzu,  dass  die  charakteristischen  Farben- 
töne derselben,  sowie  die  Haltung  und  Drappirung  der  Figuren  es  nicht  undeutlich 
erkennen  lassen,  dass  diese  zierliclien  Compaiiimente  gegen  Mitte  des  XII.  Jahr- 
hunderts ihre  Entstehung  gefunden  haben  dürften.    Die  übrigen  Theile  dieses  in- 
teressanten Vortragekreuzes   gehören,   unseres  Dafürhaltens  nach,   einer  jüngeren 
Kunstepoche  an,  und  fällt  die  Anfertigung  derselben  in  den  Anfang  des  XIE.  Jahr- 
hunderts,   für    welche  Hypothese    wir    gleich  die    näheren    Angaben    beibringen 
wollen. 

Die  äussere  Form  des  Kreuzes,   die  lateinische  mit  verlängerten  Unterbal- 
keu,    muss  als   eine  originelle   und   äusserst  gefallige  bezeichnet  werden.    Die 


DOMSCHÄTZE.  5 

Kreuzbalken  haben,  bei  einer  Breite  von  6  Centimeter  und  einer  Tiefe  von 
fast  2  Centimeter,  als  AusinUndung  nach  vier  Seiten  hin  ein  doppeltes  Ornament. 
Es  erhebt  sich  nämlich  auf  einer  horizontalen  geraden  Abschlusslinie  eine  soge- 
nannte fj*rancica^  oder  ^francisca^  in  Form  einer  nfleur  de  lis^,  wie  wir  sie  als 
beliebtes  Ornament  im  Xu.  Jahrhundert  überall  anti-effen,  und  wie  sie  auch  als 
Lilie  in  das  Wappenschild  von  Frankreich  übergegangen  ist.  Dieses  schOne  Lilien- 
omanient  an  den  Endpunkten  der  Kreuzbalken  hat  an  der  Stelle,  wo  die  Lilie  in 
die  Kreuzbalken  einmündet,  einen  geradlinigen  Vorsprung,  bedeutend  breiter,  als 
die  Ausdehnung  der  Kreuzbalken,  die  nach  beiden  Seiten  hin  ansteigend  ausge- 
rundet ist  Diese  omamentalen  Theile  sind  auf  der  vorderen  Seite,  wo  die  Emails  sich 
befinden,  mit  reichen  Filigranarbeiten  bedeckt,  auf  welchen  sich  in  einfachen  und 
kräftigen  Fassungen  je  ein  als  ^capuekofi^  geschliflfener  Bergcrystall ,  nach  vier 
Seiten  von  geschli£fenen  Halbedelsteinen  umgeben,  die  sich  als  Amethist-Agate 
kenntlich  machen,  befindet.  Die  grosseren  derselben  fehlen  heute  und  sind 
durch  unächte  Steine  mit  hintergelegter  Folie  später  ergänzt  worden.  Dasselbe  Fili- 
granwerk setzt  sich  mit  dazwischen  befindlichen  kleineren  Edelsteinen  als  Einfas- 
sungsrand an  der  Vorderseite  des  Kreuzes  fort,  und  erhält  dasselbe  dadurch  als  glor- 
reiches Siegeszeichen  des  Christenthums  eine  ideale  Form,  so  dass  es  ehemals  beim 
Vortragen  in  feierlichen  Processionen  nicht  nur  durch  den  Glanz  der  Steine  und 
der  zierlichen  Filigranarbeit,  sondern  auch  durch  den  Schmuck  der  vielfarbigen 
Emails  einen  erhebenden  Eindruck  machte.  Auch  die  hintere  Seite,  T^facies  dorsa- 
Ifs^y  entbehrt  bei  diesem  reichen  „crua;  processionaü'jt^  nicht  eines  passenden 
Schmuckes.  Gleichwie  die  Vorderseite  mit  Filigran  und  gefassten  Steinen  verziert 
ist,  so  hat  der  ^yaiirtfex''  die  hintere  Seite  mit  gravirten  Arbeiten  aufs  reichste  aus- 
zustatten gewusst,  und  dadurch  den  Beweis  geliefert,  dass  er  mit  der  Gravimadel 
ebenso  meisterhaft  umzugehen  verstand  wie  mit  den  Schmelzen.  Der  Künstler  hat  näm- 
lich in  den  \ier  Zierlilien,  welche  die  Kreuzbalken  bekrönen,  in  Rundmedaillons  die 
\ier  Thiersymbole  der  Evangelisten,  Spruchbänder  haltend,  angebracht,  worin  die  ent- 
sprechenden Namen  der  vier  Evangelisten  in  spät  romanischen  Majuskeln  zu  lesen 
sind.  In  der  mittleren  Vierung,  wo  die  Kreuzbalken  zusammentreffen,  ist  die 
Krönung  der  allerseligsten  Jungfrau  in  frUhgothischer  Darstellungsweise  eingravii-t. 
Die  \ier  Kreuzbalken  sind  auf  ihrer  breiten  Fläche  durch  schön  geschwungene  Laub- 
omamente,  mit  breitem,  energisch  stylisirtem  Blätterwerke  ausgestattet,  theilweise  ein 
Eichenlaub  mit  Früchten,  theilweise  Blätter  und  Frucht  der  Erdbeere  vorstellend. 
Dieses  Laubwerk  erhebt  sieh  kräftig  mit  einiger  Modellirung  der  Blätter  auf  einem 
quadrirten  Tiefgrunde,  und  das  Stylgeiiräge  desselben  lässt  deutlich  erkennen,  dass 
diese  Gravirung  von  einem  ausgezeichneten  Meister  mit  grosser  technischer  Bra- 
vour  angefertigt  worden  ist,  zu  einer  Zeit,  als  in  der  Goldschmiedekunst  ein 
neuer  Styl,  der  frühgothisebe,  bereits  zur  Geltung  gekommen  war  und  die  Reminis- 
cenzen  des  eben  überwundenen  romanischen  Styles  noch  in  starken  Nach- 
klängen sich  benierklich  machten.  —  Es  kann  diese  Periode  unwiderruflich  als  die 
Glanzperiode  der  Goldschmiedekunst  angesehen  werden.  Hinsichtlich  der  Stylisi- 
rung  der  Gewandpartieen  dieser  „corotiatio  B.  M,   V/\  verglichen  mit  den  nelen 


6  DOMSCHATZE. 

Analogien  auf  den  Wandmalereien  in  der  sogenannten  Taufcapelle  von  St  Gereon, 
düi-fte  das  vorliegende  Kunstwerk  hinsichtlich  der  Ausstattung  der  Rückseite  in  das 
zweite  Viertel  des  XIII.  Jahrhunderts  zu  verweisen  sein.  Wollten  wir  Parallelen  mit 
dem  vorliegenden  Kreuze  aufsuchen,  die  sich  heute  noch  in  Privatcabinetten  und  Sakri- 
steien hervorragender  Kirchen  erhalten  haben,  so  ^vird  unstreitig  die  grossartige  Samm- 
lung des  Pursten  Pierre  Solticoff  in  Paris  die  meisten  Analogien  au&uweisen  haben. 
Namentlich  erinnern  wir  uns,  daselbst  eine  grössere  Anzahl  von  emaillirten  Kreuzen  ge- 
sehen zu  haben,  meistens  herstammend  aus  den  Schmelzhtttten  von  Limoges,  die  eine 
frappante  Aehulichkeit  mit  den  vorliegenden  emaillirten  Arbeiten  darbieten.  Auch  be- 
wahi-t  der  Schatz  zu  Essen,  wenngleich  aus  früherer  Zeit,  den  Tagen  der  Ottonen,  noch 
vier  Altar-  und  Processionskreuze,  die  hinsichtlich  der  Fonn  und  Ornamentik  einige, 
wenn  auch  entfernte  Venvandtschaft  mit  der  Technik  und  den  Formen  des  vorlie- 
genden Kreuzes  zeigen.  Ebenso  besitzt  der  Domschatz  zu  Speyer,  desgleichen  die 
ehemalige  Benedictiuer -Abteikirche  zu  Beichenau  im  Bodensee,  sowie  auch  die 
Pfarrkirche  von  Ueberlingen  grössere,  reichere  Vortragekreuze,  die  mit  dem  vor- 
liegenden Prachtkieuze  in  Gomposition  imd  Anlage  einige  Aehulichkeit  haben. 

Schon  die  Einrichtung  des  unteren  Kreuzbalkens  mit  der  durchgehenden 
Spitze  in  Eisen  bekundet  deutlich,  dass  das  vorliegende  spätromanische  Kreuz  ehe- 
mals sowohl  zum  Processions-,  als  zum  Altarkreuze  benutzt  wurde.  Leider  fehlt 
zu  demselben  die  Tragstange  (canna,  fistula)^  und  ist  offenbar  anch  das  heute  un- 
schöne Fussgestell  nicht  primitiv  zum  Kreuze  gehörend,  sondern  als  Conglomcrat  von 
verschiedenen  Emails  in  missverstandener  Zusammenftigung  zu  betrachten.  In  einer 
Höhe  von  59  Centimeter  erhebt  sich  nämlich  dieses  unförmliche  Piedestal  in  einer 
Breite  von  28  Centimeter,  und  fomiirt  eine  Rundbogenstellung,  welche  von  reich 
emaillirten  Säulchen  an  der  vorderen  Seite  getragen  wird.  Die  übrigen  Flächen 
der  vorderen  Seite  sind  theilweise  mit  werthvollen  alten  Emailplatten,  theilweise 
mit  Filigrauplatten  belegt,  die  sich  sofort  als  integrirende  Theile  des  grossen  Reli- 
quienschreines documentiren,  worin  heute  die  Gebeine  der  heil,  drei  Könige  ruhen. 
Der  verbürgten  Mittheilung  eines  Augenzeugen  zufolge  stammen  diese  kostbaren 
Ueberreste  aus  der  für  kirchliche  Kunst  so  unheilvollen  Periode,  wo  das  her- 
vorragendste Meistenverk  der  mittelalterlichen  Goldschmiedekunst,  das  Europa  jetzt 
noch  besitzt,  die  j^arca  trium  reijum^,  von  ihrer  Flucht  jenseits  des  Rheines  traurig  ent- 
stellt, in  grösseren  Bruchtheilen,  in  die  Mauern  Kölns  meder  zurückgeführt  wurde. 
Der  Tradition  nach  soll  Meister  Pollak,  der  nebst  seinen  beiden  Söhnen  mit 
AViederhei-stcUung  des  Schreines  beauftragt  wurde,  unbegreiflicher  Weise,  da  meh- 
reres  fehlte,  das  herrliche  Schreinwerk  um  einen  kleinen  Theil  verkürzt  haben, 
und  dürften  die  vorliegenden  Emails  die  lIcbeiTCste  sein,  die  nach  dieser  unberech- 
tigten Verkürzung  übrig  blieben.  Eine  besondere  Beachtung  verdient  auch  jenes 
kunstreich  getriebene  Basrelief,  das  mit  den  ebenbesagten  emaillirten  Ueberresten 
die  vordere  Seite  des  Fussgestelles  bekleidet. 

Wie  der  erste  Anblick  leicht  erkennen  lässt,  gehört  diese  mit  grosser  Bra-  . 
vour  und  technischer  Kenntniss  getriebene  Arbeit  in  vergoldetem  Silberblech  jener 
Kunstperiode  an,  in  der  nur  noch  in  einzelneu  Gewandpartieen  sich  die  Machklänge 


DOMSCHATZE.  7 

des  eben  zartlckgelegteu  gothischen  »Style»  zu  erkennen  geben.  Die  architektoni- 
fi(che  Einfassung  jedoch,  mit  Säulen  von  Laubgewinden  im  Akanthusblatt  umgeben, 
sowie  die  bekannte  musebelförmige  Verzierung  im  mittleren  Kleeblattbogen  bekun- 
det deutlich ,,  dasR  dieses  Meisterwerk  in  getriebener  Arbeit  bereits  der  Mitte  des 
XVI.  Jahrhunderts  angehört.  Ohne  weitere  Bürgschaften  daflir  beibringen  zu  kön- 
nen, führen  wir  hier  einfach  an,  dass,  einer  mündlichen  Angabe  zufolge,  dieses  jce- 
triebene  figurenreiche  Relief,  vorstellend  die  Sendung  des  heil.  Geistes,  ehe- 
mals in  grösserer  Reihenfolge  in  den  Quadraturen  der  oberen  ßedaehung  des 
Dreikönigenschreins  eingcfasst  gewesen  sein  soll.  Auf  der  Flucht  zur  Zeit  der 
französischen  Occupation  am  Rhein  sollen  auch  diese  vielen  getriebenen  Reliefs 
ihres  geringen  Metallwerthes  wegen  eingeschmolzen  und  anderweitig  verwendet 
worden  sein.  Sollte  diese  Ueberlieferung  als  historisches  Factum  feststehen,  was 
noch  zu  erweisen  ist,  so  dürfte  man  anzunehmen  berechtigt  sein,  dass  diese  ge- 
triebenen Deckplatten  des  Obertheils  des  Dreikönigenschreins  später  hinzugefügt 
worden  seien,  und  dass  also  der  prachtvolle  Schrein,  wie  das  auch  an  dem  gleich- 
zeitigen Reliquienschreine  des  heil.  Suitbertus  zu  Kaiserswerth  ersichtlich  ist,  nicht 
in  einer  Periode  vollständig  im  Ornament  vollendet  wurde,  sondern  in  verschiede- 
nen Zeiträumen  seine  Ausstattung  gefunden  habe. 


36  und  37. 

Erzbischofliches  Yortragekrenz, 

in  Silber  vergoldet^  mit  reichen  Eniaillirungen. 

XIV.  Jahrhundert  .GrOsstc  Lttngo  34  Centimcter  und  grOsstc  Breite  3  t  Ccntmietcr. 

Vorliegendes  f^cruje  processiofialis^  ist  in  seinen  einzelnen  Theilen  sehr  ein- 
fach gehalten,  verdient  aber  eine  besondere  Beachtung  seiner  ausgezeichnet  schö- 
nen Schmelzen  wegen,  die,  in  Medaillons  eingcfasst,  die  mittlere  Vierung  des  Kreu- 
zes, sowie  die  Ausmtlndung  der  Balken  in  Vierpassfonn  schmücken.  Wie  an  den 
meisten  Prachtkreuzen  des  Mittelalters,  sind  die  Ausmündungen  als  vierblätterige 
Rosen  gehalten  und  im  Tiefgmnde  verziert  mit  den  bekannten  Symbolen  der 
Evangelisten.  Von  einer  kräftig  profilirtcn  Randeinfassung  umgeben,  belebt  mit 
getriebenen  Ornamenten,  erhebt  sich  auf  vertieftem  Gmnde  in  schwungvoller  Model- 
limng  bei  der  Ausmündung  des  Kopf  balkens  der  geflügelte  Mensch  (Symbol  des 
heil.  Matthäus)  in  einem  reich  drapirten  Gewände,  einer  Albe  ähnlich.  Der- 
selbe hält  ein  silbernes  Spruchband,  worauf  eigenthümlicher  Weise,  abweichend 
von  der  heutigen  Bezeichnungsweise,  der  Name  des  heil.  Johannes  in  gothischer 
Majuskelschrift  sich  befindet.  Da  bekanntlich  die  „facles  hominis^  nach  den  mei- 
sten Darstellungen  das  Symbol  des  Evangelisten  Matthäus  ist,  so  haben  wir  ver- 
geblich nach  dem  Grunde  geforscht,  warum  der  Künstler  hier  mit  diesem  Symbol 
den  Namen  des  heil.  Johannes  in  Verbindung  brachte,  der  in  den  meisten  Darstel- 


8  0OMSCHÄTZE. 

lungen  durch  das  Bild  des  Adlers  angedeutet  wird.  Der  im  Unterbalken  befindliehe 
Adler  aber  fttbrt  im  Spmchbande  merkwürdiger  Weise  den  Namen  „Sanclm  Mar- 
fVM"  und  nicht  ,y Johannes.^  Der  Löwe  dagegen  im  rechten  Kreuzbalken  „Sanctus 
Mati/tias^ ,  und  die  ,Jacies  viluli^  die  Bezeichnung  ^Safictus  Lucas^  ttbereinstün- 
mend  mit  der  gewöhnlichen  Annahme.  Wir  können  nicht  gut  voraussetzen,  dass  in 
den  drei  abweichenden  Bezeichnungen  eine  Unkenntniss  oder  ein  Irrthum  von  Sei- 
ten des  Künstlers  zu  suchen  sein  dürfte,  müssen  aber  doch  eingestehen,  dass  wir 
bis  jetzt  vergeblich  zu  dieser  abweichenden  Bezeichnung  den  Schlüssel  gesucht 
haben.  — 

Das  mittlere  Vierpass-Medaillon  zeigt  die  Darstellung  des  gekreuzigten  Hei- 
landes, umgeben  von  der  Passionsgruppe  Johannes  und  Maria,  die  sich,  auf  Con- 
solen  stehend,  zu  beiden  Seiten  des  Gekreuzigten  als  y^cmidolmtcs^  befinden.    Neben 
diesen  Statuettchen  erscheinen,  aus  stylisirten  Wolken  hervorragend,  in  Halbfiguren 
Engel,   von   welchen  der   eine  ein  Wachslicht  trägt,   der  andere  das  Kauchfa>«s 
schwingt.     Diese  fUnf  emaillirten  Medaillons  tragen  deutlich  den  Charakter  von 
deutschen  Schmelzen  und  unterscheiden  sich  in  ihrer  Composition  und  technischen 
Ausfuhrung  von  den  y^emaux  champleves^\  wie  sie  in  der  romanischen  Kunstepoche, 
von  Byzanz  herrührend,  an  kirchlichen  Geräthen  allerwärts  vorkommen.    Die  vor- 
liegenden Emails  bezeichnen  französische  Archäologen,   die  sich  gründlicher  mit 
dem  Studium   emaillirter  mittelalterlicher  Arbeiten  befasst  haben,   im  Gegensatze 
zu  den  incrustirten ,  matten  Schmelzen  der  romanischen  Kunstepoche,  als  durch- 
sichtiges Schmelz  in  hell  leuchtenden  Farben  (emaä  translucide)^  das  die  Eigenschaf- 
ten hat,  vielfarbig  nebeneinander  aufgetragen,  die  auf  der  silbernen  Unterlage  be- 
findlichen modellirten  Darstellungen  in  helleren  oder  dunkleren  Tönen  unter  der 
emaillirten  Deckplatte  durchschimmern  zu  lassen.    Diese  durchsichtigen  Schmelze, 
die  in  schöner  Composition  und  Anordnung  der  Farben  grossen  Kunstwcrth  bean- 
spruchen, sind  leider  durch  das  häufige  Putzen,  das  sie  im  letzten  Jahrhundert  von 
ungeschickter  Hand  erfahren  haben,  sehr  entstellt  und  beschädigt,   so  dass  die 
Zeichnung  mehrfach  undeutlich  geworden  ist    Der  Tiefgrund  der  vorderen  Seite 
der  vier  Kreuzbalken,   die  eine  grösste  Breite  von  4  Centimeter  haben,  zeigt  auf 
einem   carrirten  Fond  ein  schwungvolles  Laubomament  in  breitgezogenen  gothi- 
schen  Blättern,  wie  sie   die  Epoche   der  Goldschmiedekunst  in  der  Regierungs- 
zeit Kaiser  Carl's  IV.  und  seiner  beiden  Söhne,  seinen  unmittelbaren  Nachfolgern 
im  Reiche,  deutlich  charakterisiren.    Wir  haben  öfters  dieses  schöne  Ornament  an 
vielen  mittelalterlichen  Gefässen  aus  den  Tagen  des  letztgenannten  Kaisers  und  sei- 
ner Nachfolger,  Wenzel  und  Sigismund,  im  reichhaltigen  Domschatze  zu  Prag  und 
dem    zu  Gran   in  Ungarn  vorgefunden.     Sogar   die   eingepressten   kleinen  vier- 
blätterigen Blümchen  in  der  vertieften  Umrandung,  wovon  das  ganze  Kreuz  einge- 
fietsst   ist,   sprechen  offenbar   für   eine  Anfertigung   des   vorliegenden  Kreuzes  in 
der  angegebenen  Epoche,  der  letzten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts.     Auch  die 
Composition  der  Figuren,  der  edle  Faltenwurf  der  Gewänder,  stimmt  ndt  der  an- 
gegebenen Epoche  vollkonmien  überein.    Die  Hintcrfagade  des  Kreuzes  ist  einfach 
gehalten  und  entbehrt  jeglichen  Ornamentes.    Man  ist  nicht  gcnöthigt  anzunehmen. 


DOMSCHATZß.  9 

dass  dieses  Kreuz  auch  ehemals   als  Altarkreuz   benutzt  worden  ist,    und  also 
auch    ein    bewegliches   Fussgestell    dazu    gehört    habe.     Das    lässt    sich    aber 
mit  Gewissheit   behaupten,    dass    die    heute    dabei    befindliche   Tragstange   das 
deutliche    Gepräge    einer   früheren    Kunstepoche    zeigt,    und    wahrscheinlich    in 
einem  der  letzten  Jahrhunderte,   wo  man  nicht  mehr   genauer   die   verschiede- 
nen Kunstepochen  zu  scheiden   wusste,   zu   dem  vorliegenden  Kreuze   als  Stab 
hinzugefügt  wurde.    Noch  sei  in  Rücksicht  der  interessanten  Bchmelzwerke  be- 
merkt,   daßs   dieselben  frappante  Aehnlichkeit  haben    mit  den   äusserst  gut  er- 
haltenen  emaillirten  Medaillons,    womit   auf's    Reichste  jener    Kelch    ausgestat- 
tet   ist,    der    sich    in    der    reichhaltigen    Sammlung    mittelalterlicher   Kunstge- 
räthe  Sr.  Hoheit,  des  Fürsten  Carl  Anton  von  Hohenzollem- Sigmaringen  befin- 
det   Auch  die  durchsichtigen  figuralen  Schmelzwerke  eines  prachtvollen  bischöf- 
lichen Kelches  im   heutigen  Domschatz  zu  Mainz  können  als  Parallelen  zu  den 
eben   beschriebenen  Emails  angeführt  werden;   desgleichen   das  kostbare   email- 
lirte  FlOgelaltärchen ,  ein  Meisterwerk  der  mittelalterlichen  Schmelz-   und  Geld- 
gchmiedekunst,  wie  es   heute  im  Gabinet  des  Grafen  von  Wolff  Mettemich  auf 
Schloss  liblar  sich  erhalten  hat.    Was  die  Grundanlage  des  vorliegenden  Kreuzes 
betrifft,  so  hat  es  hinsichtlich  seiner  äusseren  Form  viele  Verwandtschaft  mit  dem 
sogenannten  „apostolischen  Kreuze'S   das  sich   im  Domschatze  zu  Gran  befindet 
and  beute  noch  von  einem  Dom-Capitular  des  besagten  Hochstifles   zu  Pferde 
dem  Kaiser  von  Oesterreich  vorgetragen  wird,  wenn  er  als  König  von  Ungarn  bei 
feierlicher  Veranlassung  dieses  Kronland  besucht    Offenbar  gehört  die  Tragstange 
( Ständer),  in  weldie  das  eben  beschriebene  Kreuz  behufs  des  Vortragens  eingelas- 
sen wird,   der  romanischen  Kunstepoche  an,  wie  das  die  niellirten  imd  getriebe- 
nen Arbeiten  in  einem  scharf  ausgeprägten  romanischen  Charakter  nicht  weniger 
auch  die  Majuskelbuchstaben  in  späti'omanischem  Charakter  deutlich  besagen.    Wir 
vermögen  nicht  anzugeben,   wann  der  vorliegende  Stab  zu  dem  erzbischöflichen 
Vortragekreuz  hinzugefügt  worden  ist    Indem  wir  die  Beschreibung  dieses  kunst- 
reich verzierten  Stabes  hier  folgen  lassen,  fbgen  wir  einfach  die  Bemerkung  hinzu, 
dass  dieser  Ständer  ehemals  als  „baeulus  caeremonialis  praeeentorum^  zu  dem  heut 
noch  im  Domschatze  erhaltenen  Aufsatze  als  integrirender  Theil  gehörte,  dessen 
Abbildung  wir  auf  Taf.  IX.  N.  36  veranschaulicht  haben.    Das  Ornament  des  vor- 
liegenden Rundstabes,   dessen   Anfertigung  in  die   letzte  Hälfte   des  Xn.  Jahr- 
hunderts   fällt,     besteht    aus    einzelnen    silbervergoldeten    Blechplatten,    womit 
ein  Theil  der  oberen  Hälfte   desselben  umlegt  ist    Der  Künstler  hat  auf  einem 
carrirten  Tiefgrunde  in  kräftigen  niellirten  Charakteren  eine  omamentale  Inschrift 
anzubringen  gewusst,  wodurch  nicht  nur  der  Zweck  dieses  Stabes,  sondern  auch 
der  Name  desjenigen  bezeichnet  wird,  auf  dessen  G^heiss  vorliegendes  Meister- 
werk der  NieUirkunst  des  Mittelalters  angefertigt  worden  ist    Der  Anfang  der 
Inschrift  ist,  wie  in  der  Regel ,  bezeichnet  durch  ein  griechisches  Kreuz,  und  lesen 
wir  hierauf  in  leoninischen  Versen  folgende  Inschrift:  „Sum  praecentorum  baculus 
ipeciaHs  harum  \  in  manibug  quorum  vet^ax  m  festis  baculorum  \  Causa  mea  solemnis  et 
erit  mea  fama  perennin  \  in  festis  magnis  renovanda  quibus  libet  annis  \  Hujo  deciis 


10  DOH8CHATZE. 

cleri  vir  parcere  neschis  aeri  \  me  ßeri  fecit^  me  jumt  konore  teneri.     Anntut  mä- 
lentis  centenus  septuagenus  octavus  Christi  primus  bacuto  ßiit  isti.^ 

Aus  dem  eben  angegebenen  Legendarium  geht  also  hervor »  dass  der  vor- 
liegende Stab  des  sogenannten  Chorbischofs  als  Dirigent  des  Gesanges  angefertigt 
worden  ist  wahrscheinlich  auf  Kosten  eines  opferwilligen  Domherren  Hugo  im  J.  1 1 78. 
Die  Inschrift  giebt  nicht  an,  ob  dieser  Hugo  im  Dome  zu  Köhi  selbst  die  Wtlrde  eines 
j,magister  cantus"  oder  ,yepiscopiis  ckori*'  bekleidete;  sie  deutet  Eingangs  nur  noch  an, 
dass  der  Stab  an  besonders  jährlich  wiederkehrenden  hohen  Festen  von  dem  j,prae- 
centor^  als  auszeichnender  Ehrenstab  getragen  wurde.  Noch  machen  wir  auch 
aufmerksam  auf  das  interessante,  in  dttnnem  vergoldeten  Silberblech  getriebene 
romanische  Ornament,  womit  der  Stab  an  2  Stellen  umkleidet  ist  Die  omamen- 
tirten  Goldbleche,  quadratisch  abgetheilt,  an  der  unteren  Hälfte  des  Stabes  in  einem 
unklaren  Ornament,  scheinen  jüngeren  Ursprunges  zu  sein.  Von  besonderer  Schön- 
heit, was  die  Composition  des  Ornamentes  und  seine  Ausarbeitung  betrifft,  ist  das 
„pamellum",  das  in  der  oberen  Hälfte  die  Eintönigkeit  des  runden  Stabes  angenehm 
unterbricht.  Man  erblickt  nämlich  hier  auf  einem  quadrirten  vergoldeten  Tiefgrunde 
ein  zierliches  Laubgewinde  mit  romanischem  Blätterwerke,  und  zwar  umfassai  die 
einzelnen  Windungen  desselben  jedesmal  eine  Thiergestalt,  unter  denen  man  das 
Bild  des  Adlers,  der  Taube  und  des  Strausses  erkennen  kann.  Diese  ebengedach- 
ten Figurationen  sind  äusserst  kunstreich  in  der  bekannten  Schwarzmanier  in 
Silber  eingelassen,  und  von  derselben  technischen  Beschaffenheit,  wie  auch  heute 
die  IMlladosen  omamental  gehalten  sind.  Die  Fortsetzung  und  Bekrönung  dieses 
fUr  den  Chordirigenten  bestimmten  Caeremonienstabes  befindet  sich  heute  leider  nicht 
mehr  auf  dem  eben  beschriebenen  Ständer,  sondern  dieser  Aufsatz,  in  Form  eines 
Dreizackes  auf  einer  Krystallkugel  befestigt,  dient  heute  als  Bekrönung  eines  Vor- 
tragestabes, der  aus  3  der  Zeit  nach  verschiedenen  Compartimenten  zusammenge- 
ftlgt  ist,  und  der,  wenn  auch  in  heterogener  Zusammensetzung,  den  Namen  als 
„Stab  des  Vorsängers"  sich  zu  bewahren  gewusst  hat  Von  dem  alten  Stabe,  der 
obiger  Inschrift  nach  von  Hugo  als  Geschenk  aus  dem  Jahre  tt78  herrührt, 
erübrigte  man  an  dem  vorliegenden  Stabe  (vergl.  Taf.  IX.  N.  36)  blos  die  bei- 
den Kugeln  von  Bergkiystall ,  sowie  die  dreifache  Röhre,  die  auf  dem  obe- 
ren Kiystallknauf  sich  erhebt.  Eine  reicl^e  Phantasie,  in  Verbindung  mit  der 
manuellen  Geschicklichkeit  der  Goldschmiedekttnstler  aus  dem  letzten  Viertel  des 
Xn.  Jahrhunderts,  hat  auf  den  Flächen  dieser  Röhre  in  Form  eines  Dreizackes, 
als  zierliche  Arabesken,  Scenen  einer  Jagd  darzustellen  verstanden.  In  beiden 
äusseren  Stäben  ist  nämlich  ein  Bogenschütze,  seinen  Bogen  spannend,  dargestellt 
das  eine  Mal,  um  ein  Eichhörnchen,  das  andere  Mal  um  einen  einem  Storche  ähn- 
lichen Vogel  zu  erlegen.  Auf  der  Kehrseite  erblickt  man  eine  Arabeske  im  niellirten 
Email,  als  geniale  Verbindung  der  Thier-  und  Pflanzenwelt,  wie  man  solche  natur- 
historische Ornamente  an  den  Sockeln,  Wülsten  und  Capitälen  romanischer  Kir- 
chen aus  dieser  Kimstepoche  häufiger  antrifil.  Als  Abschluss  dieses  sogenannten 
Dreizackes  zeigt  sich  heute  ein  kleines  Piedestal  aus  vergoldetem  Silber,  in  einer 
Länge  von  1 1  Centimeter  rechtwinklig  angelegt,  das  auf  seinen  Langflächen  2  Wap- 


DOMSCHÄTZE.  11 

penschilder  auf  jeder  Seite  erkennen  lässi  Das  eine  Wappenschild  veranschau- 
licht in  4  Feldern  vier  Instrumente ,  ähnlieh  einer  Scheere,  die  der  Vermuthung 
Raum  gegeben  haben ,  dass  der  in  Rede  stehende  Aufsatz  ehemals  dem  Caeremo- 
nienstabe  (ferula)  einer  Innung  als  Bekrönungsabschluss  gedient  hat  Auf  die- 
sem Sockel  hat  der  Goldschmied  die  scenerirte  Darstellung  der  Anbetung  der  hei- 
ligen drei  Könige,  in  Silber  vergoldet,  angebracht.  Diese  sämmüichen  Statuettchen 
sind  ein£Etch  gegossen  und  nur  spärlich  nachciselirt,  sodass  die  technische  Ausar- 
beitung bei  diesem  Bildwerke  nicht  sonderlich  hoch  anzuschlagen  ist;  desto  mehr 
aber  die  schöne  Composition  und  der  zarte  Faltenwurf  der  Gewänder,  der  es  ein- 
leuchtend macht,  dass  der  in  Rede  stehende  Aufsatz  gegen  die  Mitte  des  XIV.  Jahr- 
hunderts von  geübter  Ktinstlerhand  seine  Entstehung  gefunden  habe,  und  dass  er 
also  mehr  als  1 50  Jahre  jünger  anzusetzen  ist,  als  jener  Stab  des  Vorsängers,  auf 
dessen  Obertheil  die  Gruppe  heute  basirt  ist.  Der  Rundstab  mit  Silberblech  um- 
wunden, als  drittes  Gompartiment  des  vorliegenden  Gaermonienstabes,  gehört  nicht- 
in  die  Kunstperiode,  der  vorliegendes  Werk  gewidmet  ist  In  Kürze  mag  die 
Angabe  genügen,  dass  derselbe  aus  dem  XVQ.  Jahrhundert,  der  entwickelten 
Renaissance -£poche,  herrührt  und  keinen  Kunstwerth  beanspruchen  kann.  Da 
unseres  Erachtens  nach  in  den  heutigen  Cathedralschätzen  Kantorstäbe  in  dieser 
Formenschönheit  sich  gar  nicht  mehr  vorfinden,  so  dürfte  wohl  der  Wunsch 
begründet  erscheinen,  dass  in  nächster  Zukunft  von  geübter  Hand  der  vorhin  be- 
schriebene kunstvolle  Stab  zu  dem  ebengedachten  Dreizack  als  Aufsatz  wieder  hin- 
zugefügt werde,  womit  er  auch  früher  in  Verbindung  stand.  Mit  Ausschluss  der 
ciselirten  Statuetten  würde  alsdann  die  ursprüngliche  Form  dieses  „baculus  prae^ 
centoris'*  wieder  hergestellt  sein. 


38. 

Messkelch, 

für  den  täglichen  Gebrauch,  in  Silber  vergoldet. 

Xy.  Jahrhundert.     Höhe  22  Centimeter.    Durchmesser  des  Fusses  19  Centimeter.     Durchmesser  der 

Kuppe  12  Centimeter.     Tiefe  der  Kuppe  8  Centimeter. 

Von  sämmtlichen  einfachen  Messkelchen  in  gothischem  Style,  wie  sich  heute 
dieselben  noch  zahlreich  in  den  Sakristeien  der  Kirchen  Kölns  erhalten  haben, 
darf  unstreitig  der  vorliegende  Kelch  als  derjenige  bezeichnet  werden,  der  bei 
grosser  Einfachheit  der  Detailformen  eine  treffliche  und  gelungene  Proportion  in 
den  einzelnen  Uauptbestandtheilen  aufzuweisen  hat.  Diese  harmonisch  bemesse- 
nen Verhältnisse  der  einzelnen  wesentlichen  Theile  des  Kelches  zu  einander, 
die  heute  bei  der  Neuschaffung  von  sogenannten  gothischen  Kelchen   fast  gar 


1 2  DOMSCHÄTZE. 

nicht  berücksichtigt  werden,  waren  überhaupt  bei  den  Kelchen  des  Mittelalters 
wie  wir  daß  häufiger  wahrzunehmen  Gelegenheit  hatten,  besonders  beobachtet,  und 
ist  es  diesem  Umstände  zuzuschreiben,  dass  die  alten  gothischen  Messkelche,  bei 
höchster  Einfachheit  der  Form,  dennoch  von  bester  Wirkung  sind.  Der  Fusstheil 
des  vorliegenden  Domkelches,  des  einzigen,  der  sich  noch  von  den  vielen  ehe- 
mals in  der  Sakristei  daselbst  befindlichen  erhalten  hat,  ist  in  sechsblätteriger 
Bosenform  gehalten,  und  zeigt  auf  seinen  sechs  Flächen  keinerlei  Gravirungen  und  Or- 
namentationen.  Auf  dem  ziemlich  schlank  ansteigenden  Halse  des  Fnssstückes  erhebt 
sich  als  Untersatz  ein  architektonisch  foimirter  Sockel,  im  Sechseck  gehalten,  mit 
kleiner  Zinnenbekrönung.  Jede  der  sechs  Flächen  ist  mit  je  zwei  Vierpässen 
durchbrochen.  Auf  diesem  Piedestal,  das  an  den  Kelchen  der  Spätgodiik  selten 
fehlt,  erhebt  sich  ebenfalls  eine  sechseckige  kleine  Röhre,  die  sich  in  gleicher 
Dimension  und  Form  über  dem  Knaufe  fortsetzt  und  auf  ihren  Flächen  keine 
Omamentationen  zu  erkennen  gibt.  Das  j^pomellum^  ist  ebenfalls  sechstheilig  ge- 
halten, und  springen  an  demselben,  wie  das  in  der  Regel  bei  spätgothisehen  Kel- 
chen der  Fall  ist,  gegenüber  den  sechs  Einschnitten  des  Fusses  sechs  kleinere  über 
Eck  gestellte  Pasten  „rotuli^  hervor,  die  meistens  mit  den  sechs  Buchstaben  des 
Hierogramms  nach  mittelalterlicher  Schreibweise  auf  emaillirtem  Grunde  verziert 
sind.  Bei  der  jüngsten  Vergoldung  dieses  stattlichen  Kelches,  dessen  Goldfiirbe. unserer 
Ansicht  nach  zu  weich  und  in  der  modernen  Weise  der  heutigen  galvanischen  Vergol- 
dung gehalten  ist,  und  des  monumentalen  Ernstes  der  mittelalterlichen  Feuerver- 
goldung entbehrt,  hat  man  die  sechs  Buchstaben  des  Namens  Jesus  auf  blauem 
Emailgrunde  wieder  ergänzt,  und  hat  der  Goldarbeiter,  wie  es  scheint,  aus  Un- 
kenntniss  statt  des  zweiten  Buchstaben  H  unrichtig  ein  B  eingeschoben.  Zwischen 
diesen  stark  hervorspringenden  Pasten  befinden  sich  an  dem  „nodus",  wie  gewöhn- 
lich, architektonisch  gegliederte  Durchbrechungen,  die,  in  Maasswerkfomi  gehalten, 
ein  oft  vorkommendes  Ornament  an  Knäufen  von  gothischen  Kelchen  abgeben. 
Auch  die  Kuppe  dieses  Kelches  zeigt  noch  vollständig  die  alte  überlieferte  Form 
der  Trinkschaalen  an  gothischen  Kelchen,  die  ohne  alle  Ausbiegimg  an  dem  obe- 
ren Rande  geradlinigt  ansteigt  und  nur  bei  der  Einmündung  in  den  Ständer  eine 
kleine  halbrunde  Ausbauchung  zeigt  Da  bei  der  heutigen  Nachbildung  gothischer 
Messkelche  meistens  die  Grundformen  und  Proportionen  verfehlt  werden,  wäre  es 
dringend  den  Componisten  und  ausführenden  Meistern  solcher  Kelche  anzurathen, 
häufiger  die  gelungenen  Verhältnisse  in  Augenschein  zu  nehmen  und  sorgfaltiger 
zu  messen,  wie  sie  sieh  an  dem  vorliegenden  Kelche  und  mehreren  anderen  in 
den  Sakristeien  Kölns  vortheilhaft  zu  erkennen  geben.  Der  eben  beschriebene 
Mcsskelch  stammt,  wie  es  seine  Detailformen  deutlich  erkennen  lassen,  aus  der 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts.  — 


DOMSCUÄTZE.  13 


Grosse  Monstranz, 

silbervergoldet. 

Hühe  87  Centimeter ;  grösste  Breite  des  Fusses  13  Ccntim.;  Breite  des  oberen  Aufsatzes  i9  Centim. 

XIV.  Jahrhundert. 

Vergeblich  würde  man  in  den  heutigen  Cathedral-Schätzen,  sowie  in  grös- 
seren Privatsammlungen,  ein  ,,ostensorium'*  suchen,  das  hinsichtlich  seiner  Grösse, 
des  Reichthums  seiner  Form,  sowie  in  BUcksicht  der  Frühzeit  seiner  Entstehung 
mit  der  vorliegenden  Monstranz  einen  Vergleich  eingehen  könnte.  Unsere  auf 
vielfache  Anschauung  gegründete  Ueberzcugung  sprechen  wir  dahin  aus,  dass  das 
vorliegende  Schaugefäss  zu  den  prachtvollsten  gehöre,  die  sich,  aus  der  Spätzeit 
des  Mittelalters  henUhrend,  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  haben. 

Was  nun  zunächst  die  Idee  betrifft,  die  den  Künstler  bei  Entwurf  dieser 
grossartigen  Monstranz  geleitet  haben  mag,  so  muss  angegeben  werden,  dass  die 
Gesammtanlage  derselben  von  einem  architektonisch- construirten  Gezelte  (Balda- 
chin) hergeleitet  worden  ist,  und  dass  dieses  reiche  Monstranzwerk  in  seiner 
Form  gleichsam  als  eine  Nachbildung  der  Sanctuarien  (Sakramentshäuschen)  be- 
trachtet werden  könne,  wie  wir  heute  dieselben  noch  in  vielen  Kirchen  des  west- 
liehen Deutschlands  in  Augenschein  zu  nehmen  und  zu  bewundem  Gelegenheit 
hatten.  Dass  meistens  bei  der  Anlage  von  thurmförmig  construirten  Monstranzen, 
in  Weise  eines  tragbaren  Tabernakels,  der  Künstler  des  Mittelalters  sein  Gefäss 
formell  gestaltet  habe  nach  dem  bekannten  Spruche:  „ecce  tabemaculum  Dei  cum 
hominibus  et  habitabit  in  eis^  ist  uns  häufiger  bei  Betrachtung  ähnlicher  Ostenso- 
rien  einleuchtend  geworden.  Auch  bei  der  Construction  des  vorliegenden  Kunstwer- 
kes scheint  der  Componist  es  nicht  gewagt  zu  haben,  von  diesem  Spruche  Abstand 
zu  nehmen ;  jedoch  hat  er,  was  sich  bei  mittelalterlichen  Monstranzen  seltener  vor- 
findet, mit  der  leichten  Construction  eines  baldachinfbmiigen  Tabernakels  sehr 
geschickt  eine  zweite  Grundform  in  Verbindung  zu  bringen  gewusst,  die  ebenfells 
einem  Spruche  der  heil.  Schrift  entlehnt  zu  sein  scheint,  der  da  lautet:  „£»  sole 
posuit  tabemaculum  suum,^  Den  Andeutungen  dieser  letzten  Stelle  folgend,  hat  auch 
die  später  auffaretende  Renaissance  mit  Umgehung  eines  thurmförmigen  Baldachins 
sich  bei  der  Anlage  von  ähnlichen  liturgischen  Gef  ässen  der  Sonnenform,  in  Weise 
einer  verschliessbaren  Gapsei,  zugewandt,  wodurch  äusserlich  das  Sonnengezelte  als 
Tabernakel  des  in  der  Eucharistie  verborgenen  Gottes  angedeutet  werden  sollte. 
An  diesem  Schaugefäss  hat  also  der  Componist,  von  welchem  der  Entwurf  herrührt^ 
die  Vorstellung  des  thurmfbrmigen  Tabernakels  und  der  zeltartigen  Sonne  zu  ver- 
einigen gesucht,  und  zwar  in  folgender  Weise.  Auf  einer  breiten,  in  länglichem 
Viereck  gehaltenen  Console,  die  sich  nach  unten  im  Sechseck  verjüngt,  erhebt  sich 
auf  einer  Unterlage  (Piedestal)  eine  runde  Capsel  im  grössten  Durchmesser  von 
t2Vi  Centimeter,   bei   einer   Tiefe   von   8V<  Centimeter,    die   die   Bestimmung 


14  DOMSCHÄTZE. 

hat,  unter  sorgfältigem  Verschluss  von  Kiystall  die  j^sacra  species^  den  Gläubigem 
zur  Anbetung   zu  zeigen.    Die  Einfassung .  dieser  breiten  Capsel   ist  kreisförmig 
gehalten,  in   der  inneren  Hohlkehle  mit  cmaillirten  Rosen  ausgelegt,   und  ist  um 
die   äussere  Peripherie  derselben  ein  zartes  Laubomament  in  Form  von  kleinen 
Krabben  herumgeflihrt,  wodurch  diese  Capsel  ein  zierliches  sonnenförmiges  Aeus* 
sere  gewinnt.    Auf  dieser  Capsel,  wie  oben  angeftlhrt,  das  Sonnengezelt  vorstellend, 
hat  der  Goldschmied  als  Basis  seine  Thurmconstruction  in  Fialenarchitectur  so  au&u- 
bauen  gewusst,  dass  das  Ganze  als  eine  leichte,  im  Sechseck  construirte  Baldachin- 
anlage sich  darstellt,  in  Weise  eines  Tabernakels  ttber  dem  cisilirten  Standbilde  der 
Mutter  Gottes.    Dieses  mittlere  Hauptcompartiment  umragen  nach  sechs  Seiten  hin 
leicht  und  frei  gearbeitete  Widerlagspfeiler,  die  vermittelst  kleinerer  Streben  mit 
dem  mittleren  Hauptkem  in  Verbindung  stehen  und  denselben  zu  stützen  scheinen. 
Auf  der  Platte  des  Baldachins,   der  sich  ttber  dem  Haupte  der  Madonna  wölbt, 
zeigt  sich,  ebenfalls  im  Sechseck  angelegt,   ein  reich  gearbeiteter  thurmförmiger 
Aufsatz  als  Lunette,   der,   von  zwei  kleineren  Lunetten  umgeben,   in  seiner  Be- 
dachung durch  eine  doppelte  Kreuzblume  abgeschlossen  wird.    Nach  Analogie  vie- 
ler ähnlicher  Monstranzen,  die  uns  zu  Gesicht  gekommen  sind,  veijttngt  sich  das 
Ganze  nach  oben  in  ein  kleines  Kreuzchen,  das  heute  daselbst  nicht  mehr  vorfind- 
lich  ist.    Zu  den  beiden  Seiten*  der  ebengedachten  verschliessbaren  Krystallcapsel 
hat  der  Künstler  noch  ein  reich  entwickeltes  Strebesystem  angebracht,  nach  oben 
in  vielen  Spitzthürmchen  ausmttndend,  die  durch  Strebebogen  mit  dem  ebengedach- 
ten, architectonisch  entwickelten  Aufsätze  in  Verbindung  gebracht  sind.  Diese  letzt- 
gedachten Seitenconstructionen,   die  der  Monstranz  in  der  Femsicht  eine  grössere 
Breite  verleihen,  waren  ehemals  nochmals  umstellt  von  niedrigen  Widerlagspfeilem, 
die   das   ganze  Werk  flankirten  und  einen  pyramidal   ansteigenden  Aulbau  vor 
Fialen    zweckmässig    herbeiftlhren  halfen.     Leider   fehlen   heute  diese  äusseren 
ausladenden  Fialen,  und  würde  das  Kunstwerk  an  Zierlichkeit  und  Formftllle  ge- 
winnen,  wenn  dieselben  nach    einer   charakteristischen   Zeichnung   von  geübter 
Hand   ergänzt   würden.     Zu  beiden   Seiten   sind  die    ebengedachten   Pfeilercon- 
structionen  gnmdgelegt  auf  einer  Console  im  Fünfeek,  die  von  einem  gewundenen 
Laubomamente  mit  emaillirten  Rosetten  getragen  wird.    Noch  fllgen  wir  hinzu, 
dass  die  viereckige  Grundlage,  worauf  die  Rundcapsel  wie  auf  einem  PfUhle  ruht, 
an  jeder  Seite  von  einer  Strebe  mit  Bogen  flankirt  wird.    Innerhalb  dieser  Stre- 
ben erheben  sich  auf  kleinen  Sockeln  ciselirte  Figürchen  von  adorii'enden  Engeln,  die 
auf  der  Vorderseite  Lichter  haltend  imd  auf  der  Rückseite  auf  Instrumenten  musi- 
cirend  dargestellt  sind.    Die  oben  beschriebene  sechseckige  Console  greift,  nach 
unten  sich  zuspitzend,  in  einen  abgeschrägten  sechseckigen  Knauf  ein,  in  wel- 
chen eine   ebenfalls  im   Sechseck   gehaltene  Röhre   einmündet,    die  als  verbin- 
dendes Mitglied   mit   einem   reich  gearbeiteten    „nodus"   als  Handhabe    in  Ver- 
bindung steht    Dieser  ELnauf,  sechstheilig  gehalten,   zeigt  einen  grössten  Durch- 
messer von  10  Centimeter,   und  ist  derselbe  von  vorspringenden  „rotuä^  über- 
ragt,  die  in  der  Mitte   ausgehöhlt  sind  und  eine  kleine  frei  aufliegende  Rose 
von  Perlenmutter  zum  Vorschein  treten  lassen.    Um  die  Peripherie  dieses  Knau- 


DOMSCHÄTZE.  15 

fes,  sowie  um  die  hervortretenden  Pasten,  schlängelt  sich  ein  Laubgewinde  von  klei- 
nen ciselirten  Laubomamenten,  die  diesem  „pomelbtm"  eine  reiche  Gestaltung  geben, 
jedoch  als  unpraktisch  und  verletzend  sich  herausstellen.  Die  unter  dem  Knaufe 
hervorragende  Röhre  mündet  nach  unten  in  einen  sechseckig  architektonisch  geglieder- 
ten Untersatz,  der  oben,  wie  gewöhnlich,  eine  Zinnenbekrönung  zeigt  An  den  sechs 
Seiten  erheben  sich  baldachinartige  Nischen,  unter  welchen  ciselirte  Heiligen-Sta- 
tuettchen thronen,  die,  wie  es  den  Anschein  hat,  verschiedene  Heilige  vorstellen, 
wie  sie  in  Köln  seit  alten  Zeiten  in  Verehrung  stehen.  Unter  diesen  sind  durch  ihre 
Symbole  besonders  kenntlich  der  heil.  Gereon,  der  heil.  Christoph,  und  als  weib- 
liche Heiligen,  wie  sie  in  der  Kölnischen  Malerei  und  Sculptur  öfters  dargestellt 
werden:  die  heil.  Katharina,  Barbara  und  Magdalena.  Als  sechstes  Statuettchen 
zeigt  sich  noch  ein  Standbildchen,  das,  wie  es  den  Anschein  hat,  den  heil.  Dia- 
con  Laurentius  erkennen  lässt,  dessen  geschlossene  Hand  ehemals  die  „craticula" 
(Rost)  gehalten  hat 

Eine  sehr  schöne  und  selten  vorkommende  Formation  zeigt  der  breite,  wohl- 
proportionirte  Fusstheil  der  vorliegenden  Monstranz,  der  in  einem  länglichen  Sechs- 
eck angelegt,  an  jeder  Ecke  je  eine  Ausrundung  in  Form  eines  Halbkreises  zum 
Vorschein  treten  lässt  Auf  den  sechs  Feldern  dieses  Pedälstttckes  hat  der  Künst- 
ler eine  eigenthümliche  Omamentation  zur  Anwendung  gebracht,  die  sich  sonst 
seltener  vorfindet  und  als  geschrotene  Arbeit  ,jOpus  interrasile^  eine  zarte  Technik 
erkennen  lässt  Die  Zeichnung  dieser  figürlichen  Darstellungen,  aus  der  Passion 
des  Heilandes  entlehnt,  wird  gebildet  durch  kleine  sich  aneinander  schliessende 
Pünktchen,  die  durch  die  Punze  eingeschlagen  sind. 

Auf  der  vorderen  Fläche  erblickt  man  den  Anfangs-  und  Ausgangspunkt 
sämmtlicher  Darstellungen,  nämlich  den  leidenden  Gottmenschen,  wie  er  als  „Mann 
der  Schmerzen"  mit  gebundenen  Händen,  zu  beiden  Seiten  die  Geisseiwerkzeuge, 
aus  dem  Grabmonumente  zur  Hälfte  hervorragt.  Auf  den  folgenden  Flächen  sind 
in  derselben  Technik  die  Leidenswerkzeuge  des  Heilandes  veranschaulicht,  unter 
anderen :  der  Hahn  nebst  Schwamm  und  Schwert,  femer  der  Judasbeutel  mit  den  Sil- 
berlingen,  sodann  Würfel  und  Nägel  etc.  Die  drei  hinteren  Flächen  an  dem  Fuss- 
stück  dieses  Ostensoriums  sind  mit  zierlichen  Laubomamenten  künstlerisch  ausge- 
stattet. Die  vorliegende  Belebung  der  Flachtheile  des  Fusses  in  punktirter  Arbeit 
hat  einige  entfernte  Aehnlichkeit  mit  den  häufig  vorkommenden  zarten  Gravirungen 
auf  Kelchflissen;  nur  ist  die  Arbeit  delicater  Natur  und  dem  Auge  nicht  leicht  sicht- 
bar. Ein  breiter,  stark  profilirtcr  Rand  dient  dem  Fusstücke  der  Monstranz  als  Ba- 
sis, der,  um  seine  Tragfähigkeit  nicht  zu  schwächen,  ohne  Durchbrüche  gehalten 
ist  Noch  fügen  wir  hinzu,  dass  sämmtliche  Wasserspeier,  die  an  den  Abschrä- 
gungen der  Widerlagspfeiler  zum  Vorschein  treten,  heute  dazu  dienen,  um,  an 
unschönen  Kettengliedern  befestigt,  mehrere  Schaumünzen  von  geringem  Metall- 
werthe  und  noch  geringerem  Kunstwerthe  zu  tragen,  wodurch  die  monumentale 
Wirkung  des  stattlichen  Monstranzwerkes  sehr  beeinträchtigt  wird.  Nach  Analo- 
gie anderer  Ostensorien  waren  unseres  Dafürhaltens  nach  ehemals  an  dieser  Stelle 
kleine  Silberglöckchen  befestigt,  die  ebenfalls  eine  stylschöne  Form  und  Ausprä- 


16  DOMSCHÄTZE. 

gung  zeigten.  Gewiss  wäre  es  zu  wtinschen,  dass  bei  einer  gründlichen  Wieder- 
herstellung des  vorliegenden  Sehaugefässes  diese  kunstlos  geprägten  SchaumOnzen 
entfernt  und  durch  zweckmässige  Zierrathen,  die  dem  architectonischen  Ganzen 
keinen  Eintrag  thun,  ergänzt  wtlrden.  Bei  dieser  Gelegenheit  würde  dann  auch  die 
formlose  stylwidrige  „lunula''  entfernt  und  das  fehlende  Kreuzchen  auf  die  Spitze 
gebracht  werden. 

Zu  der  Geschichte  des  vorliegenden  Prachtexemplars  einer  Monstranz  be- 
merken wir,  dass  dasselbe  als  letztes  Kunstwerk,  noch  ans  der  Blttthezeit  mittel- 
alterlicher Kimst  herrührend  y  zu  den  gleichartigen  Schätzen  des  Kölner  Domes 
durch  eine  grossmttthige  Geschenkgeberin  hiesiger  Stadt  hinzugefügt  wurde. 

Als  nämlich  zu  Schluss  der  vierziger  Jahre  von  einem  hiesigen  Kunsthänd- 
ler die  in  Rede  stehende  Monstranz  zum  Verkaufe  feilgeboten  wurde,  war  es  Frau 
Commerzienräthin  Schaaffhausen,  die  das  prachtvolle  Kunstwerk  um  hohen  Preis 
an  sich  brachte  imd  es  der  Schatzkammer  des  hiesigen  Domes  zuwandte.  Wir 
haben  nicht  in  Erfahrung  bringen  können,  woher  die  Monstranz  ursprttngUeh 
stammte,  und  welcher  Kirche  dieselbe  ehemals  zugehört  habe.  Es  liegt  die  Vermu- 
thung  nahe,  dass  sie  durch  die  grosse  französische  Staatsumwälzung  aus  kirchlichen 
in  Privatbesitz  gelangte,  und  glauben  wir,  gestützt  auf  längere  Studien  der  Formen 
Kölnischer  Goldschmiede  annehmen  zu  dürfen,  dass  dieses  grossartige  Monstranzwerk 
ehemals  einer  Kölnischen  Kirche  Zugehört  habe  und  von  einem  vorzüglich  befähig- 
ten Meister  der  Kölnischen  Groldschmiedezunft  angefertigt  worden  ist  Erkennt 
man  in  der  einen  Statuette  einen  heil.  Laurentius  mit  dem  Roste,  so  könnte  die  Ver- 
muthung  Raum  gewinnen,  dass  die  Monstranz  vielleicht  ehemals  dem  reichhaltigen 
Schatze  der  früheren  Laurentiusklrche  angehört  habe.  In  dieser  Pfarre  hatten  ehe- 
mals die  bedeutendsten  Goldschmiede  des  alten  Kölns  ihre  Wohnhäuser  und  Kauf- 
läden, weswegen  auch  heute  noch  der  ebengedachte  Strassentheil  „Unter  Gold- 
schmidt" heisst.*) 

Hinsichtlich  der  Zeit  der  Anfertigung  erlauben  wir  uns  noch  hinzuzufügen, 
dass  die  in  Rede  stehende  prachtvolle  Monstranz,  die  in  Hinsicht  der  Schönheit  und 
Grossartigkeit  der  Detailformen  schwerlich  von  gleichartigen  liturgischen  Gerä- 
then  in  Deutschland  heute  noch  übertrofFen  werden  dürfte,  zweifelsohne  als 
eines  der  älteren  Monstranzwerke  betrachtet  werden  kann,  das  nach  Einführung 
der  Frohnleichnamsprocession  am  Rheine  angefertigt  worden  ist.  Wenn  nun  nach 
erhaltener  Inschrift  das  reiche  Monstranzwerk  zu  Ratingen  bei  Düsseldorf  in 
dem  letzten  Viertel  des  XIV.  Jahrhunderts  seine  Entstehung  gefunden  hat,  so 
dürfte  das  eben  beschriebene  Schaugefäss  hinsichtlich  des  strengeren  architectoni- 
schen Ernstes,  der  sich  in  sämmtlichen  Detailbildungen  entfaltet,  als  ein  hervor- 
ragendes Product  der  Goldschmiedekimst  aus  der  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  zu 


*)  Wir  stellen  obige  Ansieht  als  gewagte  Hypothese  hin,  wozn  wir  sonst  keine  Wahrsoheinliefa- 
keitsgrUnde  aufweisen  können,  und  möchten  wünschen,  dass  in  Folge  dieser  Andeutung  gründlichere 
Nachforschungen  über  das  geschichtliche  Herkommen  und  den  Ursprung  dieser  Monstranz,  da  alle  In- 
schriften fehlen,  angestellt  werden  mochten. 


DOMSCHÄTZE.  1 7 

betrachten  »ein.  Mit  dieser  Annahme  srimmt  auch  ttberein  der  Charakter,  wie  er 
sich  in  den  geschrotenen  zierlichen  Laubomamenten  des  Fusses  zu  erkennen  gibt. 
Auch  die  figurale  Darstellung  des  ,,8chuierzenreichen  Heilandes",  die  auf  dem  Fusse 
an  der  vorderen  Seite  ersichtlich  ist,  scheint  für  die  obige  Annahme  Zeugniss 
ablegen  zu  wollen. 


40. 

Reliquieiikrenzy 

silbervergoldet,  mit  doppelten  Kreuzbalken. 

Schluss  des  XY.  Jahrhunderts.    Grötste  Hohe  36  Vs  Centimeler.    Breite  des  grüssten  Uaerhalkens 

13'/s  Centimeter. 

Das  vorliegende  Kreuz  repräsentirt  im  heutigen  Domschatze  jene  ^crtices 
bipartitae^,  die  in  älteren  Verzeichnissen  von  Kirchensch'ätzen  häufig  angeführt 
werden  als  „cruces  on'entales**,  und  welche  man  in  Italien  meistens  als  y^croci  hye^ 
rosoleme^  näher  bezeichnet  Das  vorliegende  Doppelkreuz  in  Form  eines  Patriar- 
chalkrenzes  ist  in  seinen  Formen  platt  und  einfach  gehalten  und  zeigt  an  d<)n 
Ecken  sämmtlicher  Kreuzbalken  die  Fonn  der  Vierpassrose,  die  auf  der  Vor- 
derseite als  Medaillons  mit  erhöhtem  Rande  erscheinen  und  in  ihrer  Vertiefung 
an  den  vier  Ecken  der  Querbalken  die  Abzeichen  der  vier  Evangelisten  in  den 
bekannten  geflttgelten  Thiergestalten  zum  Vorschein  treten  lassen.  Diese  symboli- 
schen Thiere  sind  als  Basrelief  gegossen  und  mit  vielem  Geschmack  ciselirt.  In 
dem  Kopfinedaillon  erblickt  man  als  Brustbild,  thronend  auf  dem  Mond  und  um- 
geben von  der  Sonne,  die  Figur  der  Mutter  Gottes  mit  dem  Jesus-Kindlein.  In  dem 
Medaillon  am  unteren  Langbalken  ist  im  Basrelief  ersichtlich  die  knieende  Figur 
eines  Donators  in  bischöflichen  Gewändern,  wodurch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
jener  Kirchenfttrst  angedeutet  wird,  der  das  vorliegende  Kreuz  vielleicht  aus  eige- 
nen Mitteln  hat  anfertigen  lassen.  Eine  Inschrift  und  auch  das  Geschlechtswappen, 
wodurch  der  erzbisehöfliche  Geschenkgeber  angedeutet  würde,  fehlt  gänzlich.  Die 
beiden  Querbalken  sind  in  der  Mitte  verbunden  durch  eine  kleine  runde  Kapsel 
mit  Glasverschluss,  in  welcher  eine  grössere  Partikel,  anscheinend  vom  h.  Kreuze, 
in  besonderer  Goldeinfassung  ersichtlich  ist.  —  Die  untere  Ausmündung  des  Lang- 
balkens greift  nach  einem  kleinen  Mittelglied  unmittelbar  in  einen  achteckig  gehal- 
tenen architectonisohen  Untersatz  ein,  der  auf  seinem  Sockel  von  einer  viereckigen 
Unterlage  mit  Zinnenbekrönung  aufgenommen  und  umschlossen  wird.  Dieser 
Sockel  steht  unmittelbar  in  Verbindung  mit  einem  eigenthümlich  geformten  Fuss- 
theile  in  Kreuzform,  wie  wir  denselben  in  dieser  Weise  bis  jetzt  selten  vorgefun- 
den haben.  Aus  den  Detailformen  ist  nicht  schwer  zu  entnehmen,  dass  das  vor- 
liegende Kreuz  in  dem  letzten  Viertel   des  XV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden 


18  DOMSCUÄTZB. 

ist  Wie  es  heute  noch  in  vielen  Kirchen  des  Occidents  Sitte  ist,  werden  bei 
feierlichen  Hochmessen  ähnliche  Doppelkreuze  als  Reliquiarien  vom  Celebrans  mit 
an  d^  Altar  genommen  und,  am  Fusse  des  Altars  angekommen,  werden  dann  diese 
darin  befindlichen  Reliquien  vom  Celebrans  gekttsst,  der  darauf  das  Kreuz  als  Pa- 
cificale  vor  dem  Staffelgebete  den  beiden  neben  ihm  befindlichen  Diaconen  zum 
Kusse  hinreicht.  Nach  dem  Staffelgebet  mtd  dann  dieses  Pacificale  seitwärts  auf 
den  Altar  nach  der  Epistelseite  hin  aufgestellt  — 


41. 

Drei  Reliqniengeftsse, 

in   Kupfer  vergoldet   und   einfach  in  ihren  Formen. 

Sämmtlicli  herrührend  aus  dem  Beginne  des  AVI.  Jahrhundert«. 

Das  grössere  dieser  Beliquiengefässe ,  welches  mehrere  Reliquien  in  einem 
einfachen  Glascylinder  enthält,  die  durch  Inschriften  nicht  näher  bezeichnet  sind,  zeigt 
in  seinem  äusseren  Aufbaue  eine  Menge  von  Detailformen,  die  noch  als  schwache 
Nachklänge  an  die  edleren  Formbildungen  des  (roldschmiedegewerkes  aus  dem 
XIV.  Jahrhundert  erinnern.  Der  Knauf  aber  und  die  eingravirt^n  Maasswerkveizie- 
rungen  auf  dem  sechstheiligen  Fussstücke  lassen  deutlich  erkennen,  dass  schon  die 
Verfallzeit  der  Gothik  vor  der  Thttre  stand,  als  das  vorliegende  Beliquiarium  seine 
Entstehung  fand.  Auch  das  kleinere  dieser  drei  Beliquiengefässe,  in  Messing  vergoldet, 
ist  im  Beginne  des  XVI.  Jahrhunderts  angefertigt  worden,  als  für  die  Zunft  der  Köl- 
nischen Goldschmiede  die  Glanzepoche  ihres  schöpferischen  Könnens  schon  lange 
erloschen  war.  Nur  auf  dem  Fusse,  der  eine  sechsblätterige  Rose  bildet,  erblickt 
man  noch  in  gelungener  Gra\irung  ein  Laubomament,  das  mit  vielem  Schwung 
und  Verständniss  ausgearbeitet  ist.  Noch  weisen  wir  auf  die  sechs  kleineren  Pa- 
sten des  j^tiodus^  hin,  auf  welchem  die  Gravinmg  der  verschiedenen  Leidenswerk- 
zeuge aus  der  Passion  des  Heilandes  veranschaulicht  ist.  Das  dritte  der  zur  Auf- 
nahme von  Reliquien  bestimmte  Gefässe  zeigt  jene  unschöne  Verbindung  der  For- 
men der  ausgearteten  Gothik  in  missverstandener  unglücklicher  Vereinigung  mit 
den  frühesten  Bildungen  der  Renaissance.  Dieses  Gefäss,  dessen  Formen  sonst 
keinen  Kunstwerth  beanspruchen  können,  bietet  den  deutlichen  Beleg,  dass  die 
Renaissance  bei  ihrem  Aufkommen  in  Köln  nicht  fähig  war,  in  den  Hauptconstruc- 
tionen  neue  selbstständige  Formen  aufzustellen,  sondern  dass  man  sich  noch  eine 
Zeit  lang  ängstlich  an  die  Ueberlieferung  der  Gothik  anschloss  und  nur  im  Detail 
die  neuen,  theilweise  noch  ungeübten  Formen  des  neuen  Modestyles  annahm. 


DOHSCH&TZE.  19 

42. 

Brustbild, 

in  Silber  getrieben,  vorstellend   die  Büste   des   heil.  Gregorius  Spoletanus  im 

priesterlichen    Gewände. 

XV.  Jahrh.     Höhe  46  Centimeter.     Grösster  Durchmesser  des  Fussthciles  40  Centimeler. 

Von  den  vielen   kostbaren   Bildwerken,  in   Silber  getrieben,   von   kunst- 
reicher Arbeit,  die  der  ehemalige  Domschatz  aufzuweisen  hatte,  befindet  sich  heute 
noch  in  der  Schatzkammer  daselbst  die  unter  Figur  41  abgebildete  ,,herma  pecto- 
raUs'*,  in  deren  Haupte  unter  einem  bewegliehen  Verschlusse  das  f,cranmm"  des 
Märtyrers  Gregor  von  Spoleto  ersichtlich  ist.    Die  Grebeine  dieses  Heiligen,  des- 
sen Fest  das  Kölnische  Directorium  unter  dem  22.  December  anfuhrt,  wurden  vom 
EIrzbischofe  Bruno  von  Spoleto  nach  Köln*  Übertragen,  und  ruhen' dessen  übrigen 
Gebeine  zugleich  mit  denen  des  heil.  Felix  und  Nabor  in  dem  oberen  Reliquien- 
sehreine,  der  sich  als  grösserer  Aufsatz  auf  dem  Drei-Königen-Kasten  befindet 
Wie  es  den  Anschein  hat,   wurde  vielleicht  im  XV.  Jahrhundert  das  Haupt  des 
spoletanischen  Märtyrers  als  eines  der  Schutzpatrone  des  hohen  Domes  von  den 
übrigen  Gebeinen  erhoben  und  in  das  vorliegende  Brustbild  eingelassen,  damit  es 
an   dem  Gedächtnisstage  des  Heiligen   feierlichst  auf  dem  Hochaltare  ausgestellt 
und  den  Gläubigen  zur  Verehrung  gezeigt  werden  könnte.    Dieses  schöne  Brust- 
bild, ein  Meisterwerk  des  „opus  propulsatum",  hat  sich  vielleicht  durch  einen  glück- 
lichen Zufall  aus  der  Verwüstungsepoche  am  Schlüsse  des  vorigen  Jahrhunderts  bis 
auf  unsere  Tage  gerettet,  während  drei  andere  prachtvolle  Brustbilder,  aus  dersel- 
ben Epoche  stammend,  verloren  gegangen  sind,  die  einzeln  die  Häupter  des  Papstes 
Sylvester,  des  heil.  Nabor  und  des  heil.  Felix  umschlossen.    Das  Bildwerk  selbst 
lässt  mit  grosser  Naturwahrbeit  und  fast  sogar  mit  einer  anatomischen  Strenge  die 
sehr  markirten  Gesichtszüge  eines  Priesters  erkennen,  der  schon  im  angehenden 
Alter  befindich  dargestellt  ist    Das  Haar  ist  stark  geringelt  und  slylisirt  und  zeigt 
noch  eine  solide  Feuervergoldung.    Das  Haupt  selbst  ist,  um  die  Priesterwürde 
anzuzeigen,  mit  der  Tonsur  versehen.    Das  in  Rede  stehende  silbergetriebene  Bild- 
werk hat  bei  seinen  anderen  plastischen  Vorzügen  namentlich  fllr  das  Studium  der 
priesterlichen  Gewänder  des  Mittelalters  den  Vortheil,  dass  es  mit  grösster  Deul^ 
lichkeit  erkennen  lässt,  wie  der  priesterliche  Messomat  in  Köln  gegen  Schluss  des 
Mittelalters  in  seinen  wesentlichen  Bestandtheilen  formell  und  decorativ  beschaf- 
fen war. 

Das  ernste  Brustbild  des  heil.  Gregorius,  der  als  Presbyter  von  Spoleto  in  der 
Christenverfolgung  des  Diocletian,  und  zwar  unter  dem  Präfecten  Flaccus,  nach  lieber- 
stehung  vieler  Qualen  den  Märtyrertod  erlitt,  hat  der  Kölnische  Goldschmied,  dem 
Marfyrologium  zufolge,  richtig  dargestellt  im  Priestergewande,  mit  der  Messcasel  ge- 
schmückt, wie  sie  in  weiter,  faltenreicher  Form  im  alten  Köln  noch  immer  das 
XV.  und  XVI.  Jahrhundert  hindurch  im  Gebrauche  war.    Dieses  Messgewand,  das 


20  DOlfSGHÄTZE. 

in  Silber  angedeutet,  Brust  und  Schulter  des  Pectoralbildes  gleichmässig  bedeckt, 
ist,  wie  das  auch  die  Abbildung  auf  Taf.  X,  Fig.  42  deutlich  erkennen  lässt,  ausgezeich- 
net  durch  ein  reiches  Ornament,  als  Stickerei  halb  erhaben  hervortretend,  und  gibt 
sich  dasselbe  in  seiner  Form  sofort  als  eine  „at/ri/Winia"  zu  erkennen,  die,  auf  dem 
Vorder-  und  Hintertheile  des  Messgewandes  gabelförmig  über  die  Schultern  heran- 
steigend, gleichmässig  auf  beiden  Seiten  des  Grewandes,  so  zu  sagen  ein  Gktbel-  oder 
Y-Kreuz  mit  schräg  ansteigenden  Querbalken  bildet.  Es  war  das  die  Form  eines 
gestickten  Doppelkreuzes  an  reicheren  Messgewändem  in  Deutschland  das  XI\^ 
und  XV.  Jahrhundert  hindurch.  Aus  diesem  Gabelkreuze  bildete  sich  erst  gegen 
Schluss  des  XV.  Jahrhunderts,  mehr  aber  noch  im  XVL  Jahrhundert,  als  die  Stoffe 
zu  den  Messgewändem  steifer  und  jEaltenärmer  wurden,  das  Kreuz  auf  dem  Hinter- 
theile des  Messgewandes  mit  gerade  ausgestreckten  Querbalken,  wie  es  heute  noeh 
auf  dem  Rttcktheile  der  Casel  gebräuchlich  ist  Im  Vorbeigehen  bemerken  wir 
noch  hinsichtlich  dieses  über  die  Schultern  schräg  ansteigenden  Caselkreuzes,  wo- 
mit das  vorliegende  Brustbild  geschmückt  ist,  dass  auf  diese  Form  der  Aurifrisien 
sich  auch  jene  merkwürdige  und  wichtige  Stelle  des  Thomas  a  Kempis  bezieht, 
der  in  dem  IV.  Buche  seines  berühmten  Werkes  von  der  Nachfolge  Christi  Cap.  V. 
ni,  wo  er  von  dem  Messgewande  des  Priesters  spricht,  wie  es  zu  seiner  Zeit 
in  Deutschland  üblich  war,  angiebt:  ^thabet  ante  se  et  retro  Dommfoae  crucis 
Signum."  Mit  vollem  Rechte  haben  aus  dieser  interessanten  Stelle  jene  Schriftsteller, 
die  in  neuester  Zeit  unter  andern  gewichtigen  Beweisgründen  die  deutsche  Abstam- 
mung des  gottseligen  Thomas  für  die  Stadt  Kempen  am  Niederrhein  unumstösslich 
festgestellt  haben,  einen  Nebenbeweis  für  ihre  Behauptung  herzuleiten  gewusst,  dass 
Thomas  der  deutschen  Nation  angehöre,  indem  diese  Form  des  doppelten  Gasel- 
kreuzes, ansteigend  über  Schulter  und  Brust,  nicht  in  Frankreich  und  Italien,  son- 
dern in  Deutschland  an  den  Messgewändern  damals  üblich  gewesen  sei. 


43. 
Lichtträger 

in  Form  von  knieenden  Engeln,  in  Silber  getrieben. 

XV.  Jahrhundert.     Höhe  33  Ccntimetcr,  Durchmesser  des  Fusses  15  Centimeter. 

Unter  den  vielen  Formen,  die  der  Leuchter  im  Mittelalter  gefunden  hat, 
dürften  die  vorliegenden  Lichthalter  hinsichtlich  ihrer  Gestalt  und  technischen 
Ausarbeitung  wohl  am  interessantesten  und  gelungensten  erscheinen.  Der 
Leuchter  des  Mittelalters  hatte  in  der  romanischen  Kunstepoche  eine  vielge- 
staltige Durchbildung  und  Formfülle  erhalten.  Die  Gk)thik  fand  eine  solche 
Menge  von  kunstreichen  und  we]*tbv()llen  Lichtträgeiti  vor,  dass  imserem  Er- 
achten nach  dieselbe  den  Leuchtern  keine  neue  eigenthümliche  Form  zuerkannt 


DOMSCHATZE.  2  t 

hat,  und  dieselben  äui^&erst  einfach,  meistens  in  Messing,  seltener  in  Silber,  in 
jenen  einfachen  Formen  gegossen  wurden,  wie  dieselben  an  Figur  43  ersichtlich 
sind.  Bei  den  reichen  Sculpturaltären  und  gemalten  Flttgelbildem,  die  in  der  gothi- 
schen  Eunstepoche  auf  niedrigem  Altarsockel,  wie  wir  das  vorhin  schon  bemerk- 
ten, aufgestellt  wurden,  war  man  gar  nicht  gewillt,  dem  Leuchter  eine  solche 
Grösse  und  Formentwickelung  zu  geben,  dass  er  störend  und  verdeckend  vor  den 
kunstreich  ausgestatteten  Aufsatz  des  Altars  aufgestellt  werden  konnte.  Man  be- 
begnfigte  sich  deshalb  damit,  denselben  a]s  Nebensache  sehr  einfach  und  niedrig 
zu  halten,  so  dass  er  nicht  als  Hauptsache  den  Blick  von  dem  kunstvoll  ausgear-* 
betteten  Altaraufsatz  abzulenken  im  Stande  war.  Aus  diesem  Grunde  finden  sich  ver- 
h&Itnissmässig  nur  noch  wenige  Leuchter  vor,  die,  in  Silber  ausgeführt,  bei  einer 
ziemlichen  Grösse  einige  Formentwickelung  zur  Schau  tragen.  Dem  Compouisten 
des  vorliegenden  Lichttiügers  ist  es  gelungen,  bei  kleiner  Ausdehnung  an  der  schwie- 
rigen Ausbildung  eines  Lichtträgers  vorbeizukommen  und  demselben  eine  solche 
originelle  Gestaltung  zu  geben,  die  von  der  Alltagsform  abwich,  und  womit  zugleich 
eine  schöne  Idee  verbunden  war.  Er  hat  nämlich  einen  Cherub  in  knieender 
Stellung  componirt,  der  anbetend  beide  Hände  gefaltet  hat,  und  einen  klei- 
nen Leuchter  zu  halten  scheint.  Diese  knieende  Engelsgestalt  ist  angethan  mit 
einer  langen  faltenreichen  Albe,  die  um  die  Lenden  mit  einem  „cmgulum^  gegürtet 
ist.  Um  den  Halsausschnitt  der  ebengedachten  y^camisia^  bat  der  Künstler 
das  Schultertuch  (humerale)  in  der  alten  Form  so  angelegt,  dass  die  gestickte 
und  darauf  befestigte  y^parura^  als  kleiner  Kragen  erscheint,  indem  dieser  aufge- 
nähte gestickte  Rand  nach  hinten  hin  sich  in  Form  eines  Kragens  anlegt  und  den 
Halsausschnitt  der  Albe  zweckmässig  überdeckt.  Mit  besonderer  Sorgfalt  ist  das 
Haar  der  Engel  streng  stylisirt  und  geringelt;  die  einzelnen  Locken  sind  mit  grossem 
Fleisse  behandelt.  Das  Haar  ist  als  „ckrf/sojfcoma^,  wie  das  die  Goldschmiedekunst 
im  Mittelalter  namentlich  den  jugendlichen  Heiligengestalten  mittheilte,  vergoldet 
dargestellt,  so  auch  das  ^^ humerale^  und  der  Sockel.  Die  Flügel  sind  durch  Haken 
beweglich  eingesetzt,  und  sind  die  einzelnen  Federn  derselben  durch  kräftige  Gra- 
virungen  angedeutet.  Die  kleineren  Leuchter,  zur  Aufnahme  des  Wachslichtes  von 
dem  Engel  gehalten,  scheinen  nicht  mehr  primitiv  zu  sein,  sAndem  die  obere  Röhre 
ist  neu  hinzugefügt,  und  nur  noch  der  Fusstheil  stammt  aus  älterer  Zeit.  Was  nun 
die  Incamationstheile  dieser  knieenden  Engel  betrift't,  so  kann  gesagt  werden,  dass 
dieselben  mit  grosser  Fertigkeit  sehr  natunvahr  behandelt  und  ausgeführt  sind.  Das 
Gewand  selbst  zeigt  in  seinem  Faltenbruch,  der  nicht  zu  sehr  gehäuft  und  manie- 
rirt  ist,  dass  die  Anfertigung  dieser  Figuren  noch  nicht  gerade  der  Verfall- 
zeit der  Gothik  angehörte.  Diese  knieenden  Enjcel,  mit  grosser  Gewandtheit 
aus  starkem  Silberblech  getrieben,  hat  der  Goldschmied  auf  einem  kleinen 
Sockel,  in  Messing  vergoldet,  befestigt,  der  im  Sechseck  augelegt  ist.  Die  Ränder 
dieses  Sockels  sind  nach  unten  und  oben  stark  protilirt  mit  tiefen  Ausladun- 
gen. Auf  den  6  Flachseiten  dieses  Sockels  liest  man  in  gothischer  Minuskel- 
schrift eine  Inschrift,  die  zugleich  bekundet,  welchem  Gebrauche  diese  Lichtträger 
gewidmet  waren.    Man  ersieht  nämlich  auf  dem  einen  Sockel  den  bekannten  Spruch 


22  domschXtze. 

aus  dem  ^hymnus  angelicus^:  „ecce  pams  Angehrum  f actus  eibus  viatarum.^  Auf 
dem  anderen  Fusse  zeigt  sich  der  andere  Spruch:  „0  memorude  mortis  Dowäm 
panis  virms  vitam  praestans  hominL^  Auf  der  Plattfläche  des  Sockels,  die  nicht 
durch  die  Inschriften  ausgeftlUt  ist,  erblickt  man  in  derber  Gravirung  ein  Wappen* 
Schild  in  der  Form  des  XY.  Jahrhunderts  mit  Helmzierde  und  Laubomamenten. 
Dieses  geraldische  Abzeichen  hat  2  Felder,  und  zeigt  sich  auf  jedem  derselben  ein 
Stern.  Vielleicht  dürfte  es  Heraldikem  bei  einiger  Nachforschung  gelingen,  unter 
Beachtung  dieses  Familienzeichens  den  Namen  des  Greschenkgebers  ausfindig  zu 
machen,  auf  dessen  Geheiss  und  Kosten  vorliegende  Lichttrilger  angefertigt 
worden  sind.  Heute  werden  diese  Lichthalter  zu  häufig  als  Akoluthenleuchter, 
und  zwar  von  Messknaben,  gebraucht,  die  am  allerwenigsten  den  grossen  Kunst- 
werth  und  die  originelle  Form  derselben  zu  schätzen  wissen.  Durch  häufiges  Fal- 
len und  Stossen  sind  diese  interessanten  Lichtträger  heute  in  einem  solchen  deso- 
laten Zustande,  dass  der  Wunsch  in  jeder  Beziehung  berechtigt  erscheint,  diese 
ebengedachten  werthvollen  Arbeiten  möchten  fortan,  den  Übrigen  Domschätzen  zu- 
gesellt, eine  sorgfältigere  Aufbewahrung  und  einen  selteneren  Gebrauch  finden; 
und  zwar  dürften  sie  zunächst  jenem  Gebrauche  wieder  zurückgegeben  wer- 
den, wozu  sie  ursprünglich  von  dem  frommen  Greschenkgeber,  wie  das  die 
Inschrift  andeutet,  bestimmt  worden  sind.  Sie  hatten  nämlich,  unserer  Ueberzeu- 
gung  nach,  ehemals  die  Bestimmung,  an  Festtagen  beim  sakramentalischen  Segen 
oder  bei  der  Aussetzung  des  hochwtlrdigsten  Gutes,  mit  brennenden  Wachslichtem 
versehen,  zu  beiden  Seiten  der  Monstranz  auf  den  Altar  gestellt  zu  werden.  Alten 
Schatzverzeichnissen  zufolge  scheinen  in  grösseren  Kirchen  des  Mittelalters  ähn^ 
liehe  Lichtträger  in  Gestalt  von  anbetenden  Engeln,  meistens  in  Silber  getrieben, 
vielfach  vorgekommen  zu  sein.  So  viel  uns  bekannt  geworden,  haben  sich  am  Rheine 
keine  derselben  mehr  erhalten ;  es  finden  sich  nur  noch  zwei  solcher  Lichthalter  in 
ähnlicher  Grösse,  jedoch  in  reicherer  Formentwickelung,  in  der  Sakristei  der  P&rre 
von  S.  Martin.  Dieselben  sind  aus  Lindenholz  geschnitten  und  reich  vergoldet. 
Auf  die  Beschreibung  derselben  werden  wir  in  der  nächsten  Lieferung  zurückkom- 
men. Auch  in  der  Sebalduskirche  zu  Nürnberg  sahen  wir  zwei  ausgezeichnet 
schöne,  in  Messing  getriebene  Leuchter,  ebenfalls  in  Gestalt  von  Engeln,  wenn 
wir  nicht  irren,  in  aufrechter  Stellung,  die  von  der  grossen  Meisterschaft  der  Gold- 
und  Kupferschmiede  der  alten  freien  Reichsstadt  Nürnberg  heute  noch  beredtes 
Zeugniss  ablegen.  Auch  in  der  Pfarrkirche  zu  Rottweil  (in  Schwaben)  sahen  wir 
mehrere  Leuchter  in  Lindenholz  geschnitst  in  Form  von  stehenden  Engehi.  Der  vor 
der  französischen  Invasion  so  reichhaltige  Schatz  des  Domes  von  Köln,  welche^ 
jetzt  kaum  den  sechsten  Theil  seiner  ehemaligen  Kunstwerke  gerettet  hat,  rühmte^ 
sich  auch  des  Besitzes  von  grossen,  in  Silber  getriebenen  Standbildern  der  zwölf 
Apostel,  die,  sämmtUch  Meisterwerke  der  Treibekunst,  an  Festtagen  auf  die  nie- 
dere „predeUa^  des  ehemaligen  alten  Hochaltars  aufgestellt  zu  werden  pflegten. 
Einer  zuverlässigen  Angabe  zu  Folge  sollen  diese  getriebenen  Apostelstatuen  eben- 
falls in  der  letzten  Hälfte  des  XY.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  sein,  und  zwar 
nach  jenen  Modellen  in  Eichenholz  geschnitzt,  die,  die  1 2  Apostel  vorstellend,  sich 


DOMSCHATZE.  23 

heate  noch  in  der  8t.  Albanskirche  vorfinden.  Es  läge  nun  die  Vermufliung  nahe, 
dass  in  Anbetracht  der  grossen  Aehnlichkeit  dieser  Apostelstatuetten  mit  der  gelun- 
genen Composition  der  oben  beschriebenen  Engel,  diese  letztgedachten  getriebenen 
Bildwerke  zu  derselben  Zeit  und  vielleicht  von  demselben  Meister  angefertigt  worden 
seien,  dem  auch  die  untergegangenen  silbernen  Standbilder  der  Apostel  ihre  Entstehung 
zu  verdanken  hatten.  Gibt  man  dieser  Hypothese  Raum,  so  dürften  dann  diese  bei- 
den sübergetriebenen  Bildwerke  zu  betrachten  sein  als  jene  Leuchter,  die  bei  der 
Aussetzung  des  „ Sanctissimum^  auf  dem  alten  Hochaltare  unmittelbar  neben  der 
Monstranz  ihre  Stelle  fanden,  wenn  an  grösseren  Festen  auch  die  getriebenen 
Statuen  der  zwölf  Sendboten  den  Hauptaltar  des  Kölner  Domes  schmückten. 


44. 

Reliquienschrein  der  heil,  drei  Könige, 

silbervergoldet,   mit  vielen  getriebenen  figürlichen  Darstellungen  in  Gold-  und 
Silberblech  und  mit  einer  Menge  Emaillirungen  kunstvoll  ausgestaltet. 

XII.  Jahrhundert.     18  Decimeter  lang,  9  Centimeier  hoch. 

Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  die  in  archäologischen  Schriften  durch  ge* 
schichtliche  Belege  ausser  Zweifel  gestellt  worden  ist,  dass  die  altberllhmte ,  erz- 
bischöfliche  Metropole  am  Rhein  bereits  gegen  das  X.  Jahrhundert  die  verschiede- 
nen Künste  im  Dienste  der  Kirche  innerhalb  ihrer  Mauern  in  einer  Weise  sich 
entwickeln  sah,  wie  das  wenige  Bischofsitze  um  diese  Zeit  von  sich  rühmen  konn- 
ten. Neben  der  Architectur,  die  wir  heute  noch  in  den  grossartigsten  Monumenten 
anstaunen,  gelangten  bereits  um  das  XI.,  mehr  aber  noch  gegen  das  XII.  Jahr- 
hundert im  „heiligen  Köln'^  unter  den  bildenden  Kttnsten  zu  einer  grossen  Höhe 
der  compositorischen  und  technischen  Ausbildung,  die  Malerei,  die  Groldschmiede- 
kunst  und  kirchliche  Stickkunst.  In  dem  vorliegenden  Werke  ist  es  vornehmlich 
unsere  Aufgabe,  wie  wir  das  auch  in  der  Vorrede  weiter  entwickelt  haben,  die 
grossartigen  Ueberreste  dieser  beiden  letzteren  im  mittelalterlichen  Köln  mit  so 
grossem  Erfolge  geübten  Kunstzweige  zu  beschreiben  und  durch  kleinere  Zeich- 
nungen zu  erläutern. 

Gleichwie  die  Malerei  nach  langjährigen  Vorstudien  und  Entwickelungspha- 
sen  erst  im  XV.  Jahrhundert  in  den  Meisterschulen  der  altkölnischen  Malerzunft 
ihre  Glanzperiode  feierte,  so  hatte  die  Goldschmiedekunst  bereits  250  Jahre  früher 
die  Höhe   ihrer  ästhetischen   und  technischen  Vollendung  im  Dienste  des  Altars 


24  "  DOMSCHÄTZE. 

innerhalb  der  Mauern  Kölns  erstiegen.  Zum  Belege  des  Letztgesagten  verweisen 
wir  hier  auf  jenes  Prachtwerk  der  romanischen  Goldschnüedekunsty  das  unter  dem 
Namen  „der  Reliquienschrein  der  heil,  drei  Könige"  eine  europäische  Berühmtheit 
erlangt  bat.  Nachdem  wir  die  meisten  kirchlichen  Kunstschätze  des  westlichen,  öst- 
lichen und  südlichen  Europa's  auf  ausgedehnten  Reisen  zum  Gegenstande  einer  einge- 
henden Forschung  gemacht  haben,  nehmen  wir  keinen  Anstand,  hier  die  Behauptung 
aufzustellen,  dass  jener  kostbare  und  grossartige  Reliquienschrein,  worin  die  Lei- 
ber der  heil,  drei  Könige,  sowie  verschiedener  anderer  Heiligen,  ehrfurchtsvoll  bei- 
gesetzt sind,  unbedingt  als  das  vorzüglichste  und  umfangreichste  Meisterwerk  der 
Goldschmiedekunst  bezeichnet  werden  kann,  welches,  den  Stürmen  der  Revolutionen 
trotzend,  sich  bis  auf  unsere  Stunde  noch  ziemlich  gut  erhalten  hat.  Als  gleich- 
artige Mcistenverke ,  die  mit  dem  vorliegenden  Prachtwerke  Kölnischer  Gold- 
schraiedekunst  einen  Vergleich  eingehen  können,  wüssten  wir  hier  nur  noch  anzu- 
geben die  kostbare  „/;«//«  a/taris^  in  der  Basilika  des  heil.  Ambrosius  zu  Mailand 
und  die  bekannte  ,jpalla  dtoro^  im  Marcusdom  zu  Venedig. 

Bei  dem  beträchtlichen  Reichthume  desMaterialsundderkünstlerisch  vollende- 
ten Form,  wodurch  der  Reliquienkasten  der  heil,  drei  Könige,  abgesehen  von  der  gros- 
sen Menge  der  herrlichsten  und  seltensten  Gemmen  und  Campen  aus  dem  elassi- 
schen  Alterthume,  sich  als  einzig  in  seiner  Art  dastehend  auszeichnet,  muss  es 
gewiss  befremden,  dass  derselbe,  trotz  der  allgemeinen  Regsamkeit  und  Rührigkeit 
auf  dem  Gebiete  der  Archäologie,  in  neuester  Zeit  noch  keine  eingehende  artisti- 
sche Beschreibung  gefunden  hat,  wie  der  historische  Kunstwerth  des  ebengedachten 
Reliquiariums  in  so  hohem  Grade  es  beansprucht*) 

Im  Folgenden  wollen  wir  es  versuchen,  vom  Standpunkte  der  heutigen 
archäologischen  Wissenschaft  aus,  eine  genauere  Beschreibung  dieses  unerreichten 
Meisterwerkes  kirchlicher  Goldschmiedekunst  der  OefFentlichkeit  zu  übergeben. 

Bei  Beschreibung  des  vorliegenden  Reliquienschreines  ist  zweierlei  zu  beob- 
achten,  nämlich:  Grundanlage  und  Conception  desselben,  und  technisch  gelungene 
Ausführung  der  vielen  einzelnen  Theile,  die  sich  zu  einem  grossartigen  Ganzen 
kunstreich  zusammensetzen.  Was  vornehmlich  die  Idee  betrifft,  die  bei  dem  Ent- 
würfe der  in  Rede  stehenden  y^theca^  leitend  gewesen  ist,  so  muss  angege- 
ben werden,  dass  Grundlage  und  Composition  rein  constructiver  Natur  ist 
Es  repräsentirt  nämlich  dieses  Schreinwerk  in  seiner  äusseren  Form  vollstän- 
dig den  Bau  einer  romanischen  ELirche,  bestehend  aus  einem  Langschiff  ohne 
Kreuzschiffe  mit  geradlinigem  Abschluss  der  beiden  schmäleren  Kopfseiten.  Der 
Künstler,  von  dem  die  geniale  Composition  des  ^scrlnium  trium  regum^  herrührt, 
bat  femer  den  Bau  einer  Basilika  in  idealer  Weise  so  nachzubilden  gesucht,  dass 
er  das  Langhaus  ohne  Unterbrechung  darstellte,  mit  hochauf  ragendem  Mittekchiff 


*)  In  neuester  Zeit  geschah  2war  in  Besohi-cibungcn  des  Domes  dieses  prachtvoUen  ReUquien- 
Schreines  mehrfach  Erwähnung,  jedoch  haben  dies»  Besprechungen,  sowie  auch  einige  Munographien, 
die  im  vorigen  Jahrhundert  erschienen  sind,  in  den  Augen  einer  strengeren  Kunstkritik  nicht  den  ge- 
ringsten Werth,  da  sie  blos  Allgemeinheiten  ohne  tieferes  Eingehen  auf  die  Eunstformen  zur  Mitthei- 
lung bringen. 


"  *. 


I',  • 


DOHSCHÄTZE.  25 

und  kleineren,  gleich  hohen  Nebenschiflfen.  Die  vordere  Hauptfa^ade,  der  Kopf- 
theil  des  Schreines,  bietet  daher  auch  in  seinen  äusseren  Umrissen  den  Anblick 
der  Giebelfronte  einer  „Basilika^'  ohne  Thurmanlagen ,  wie  wir  sie  an  longobardi- 
schen  Eirchbauten  des  XU.  Jahrhunderts  in  verwandter  Formation  mehrfach  zu  sehen 
Gelegenheit  hatten.  Die  meisten  Seliquienschreine,  die  sich  im  grösseren  Umfange 
sonst  noch  in  verschiedenen  Kirchen  des  Occidentes  erhalten  haben,  bestehen  einfach 
aus  vier  aufrecht  stehenden  Abscblusswänden,  die  von  einem  Satteldache  überdeckt 
sind;  der  vorliegende  Sarkophag  aus  vergoldeten  Silberblechen,  worin  die  Gebeine 
der  drei  Weisen  aus  Morgenland  ruhen,  ist  ausnahmsweise  zusammengesetzt  aus 
zwei  Schreinwerken,  und  zwar  erhebt  sich  auf  dem  grösseren  unteren  „scrintum 
oblangum^  unmittelbar  über  den  schräg  ansteigenden  Bedachungsflächen  ein  zwei- 
ter ftlr  sich  selbstständiger  Kasten  als  Aufsatz.   (Vgl.  Fig.  44  a.) 

Indem  wir  jetzt  zu  der  Beschreibung  der  einzelnen  Details  dieses  Pracht- 
werkes mittelalterlicher  Goldschmiedekunst  übergehen,  werden  wir  der  Reihe  nach 
die  vordere  Hauptfagade,  die  rechte  und  linke  Langseite  nebst  ihren  Bedachungs- 
flächen, die  Langseiten  der  oberen  Abtheilung,  und  endlich  die  hintere  Fa^ade 
des  vorstehenden  Reliquiariums  in  ihrem  omamentalen  Beichthume  zu  skizziren 
versuchen. 

Wendet  man  zuerst  den  aufmerksamen  Blick  der  vorderen  B[auptfa^e  die- 
ses kunstreichen  Behältnisses  zu,  so  nimmt  man  wahr,  dass  der  Goldschmied  des 
alten  Köln  das  edelste  Material  und  einen  Ueberfluss  der  kostbarsten  antiken  Gem- 
men und  Gamöen,  desgleichen  eine  grosse  Zahl  von  kunstreichen  Schmelzwerken 
nicht  geschont  hat,  um  sein  Meisterwerk  auf's  reichste  und  glanzvollste  auszustatten. 
An  diesem  vorderen  Haupttheile,  der  Kopffronte  des  gedachten  Schreines,  die  eine 
grösste  Breite  von  fast  11  Decimeter  bei  einer  grössten  Höhe  von  15  Decimeter 
hat,  macht  sich  vor  Allem  die  grosse  Kunstfertigkeit  bemerklich,  die  der  ^auri-- 
faber^  gegen  Schluss  der  romanischen  Kunstepoche  in  der  schwierigen  Darstel- 
lung figürlicher  getriebener  Arbeiten  sich  erworben  hatte.  Diese  Hauptfronte  be- 
steht zum  Unterschiede  von  den  vergoldeten  Silberflächen  der  drei  anderen  Seiten 
aus  gediegenen  Goldblechen.  In  der  unteren  Abtheilung  des  Schreines  zeigen  sich 
unter  dreifachen  BogensteUungen,  die  von  gedoppelten  emaillirten  Säulchen  getra- 
gen werden,  drei  getrennte  Scenen;  unter  dem  mittleren  Kleeblattbogen,  als  Nische 
in  einer  Höhe  von  30  Gentimeter,  thront  die  sitzende  Statuette  der  Madonna  als 
Himmelskönigin  auf  einem  reich  ausgestatteten,  architectonisch  gebildeten  „sedile", 
das  mit  einem  Ptühl  belegt  ist  Der  göttliche  Knabe  hat  die  Rechte  gleichsam 
segnend  erhoben  und  schien  ehemals  in  der  geöfiheten  linken  Hand  den  „orbis 
ierrarum'*  zu  tragen.  Unterhalb  dieser  Bogenspannung  erblickt  man  kleinere,  blau 
emaillirte  Halbbögen,  die  in  goldenen  Majuskehi  folgendes  Legendarium  erkennen 
lassen:  „Sancta  MariOy  Mater  Domtnl"  Offenbar  ist  die  Krone,  welche  sich  heute 
auf  dem  Haupte  der  jungfiräulichen  Mutter  befindet,  nicht  als  die  primitive  zu  be- 
trachten, sondern  die  an  derselben  befindlichen  Details  lassen  sie  sofort  als  eine 
Zuthat  der  Zopfzeit  erkennen.  Die  Himmelskönigin  und  der  Jesusknabe  sind  nach 
der  rechten  Seite  hingewandt,  auf  welcher  unter  einem  breitgespannten  Kleeblatt- 

4 


26  DOMSCHATZE. 

bogen  die  zweite  Gruppe  sich  zeigt,  vorstellend  die  Anbetung  der  drei  Weisen, 
die  dem  neugeborenen  Könige  den  Tribut  der  Anbetung  zollen  und  die  bekannten 
Geschenke  in  reich  verzierten  Gefässen  darbringen.  Der  Ktlnstler  hat,  einer  alten 
lYadition  folgend,  in  den  drei  opfernden  Weisen  die  drei  verschiedenen  LeliensH 
alter,  desgleichen  auch  die  drei  damals  bekannten  Welttheile  zur  Anschauung  brin- 
gen wollen,  welche  dem  Heilande  durch  Geschenke  ihre  Huldigimg  bezeugen.  Der 
niederknieende  König,  der  Repräsentant  Asiens,  mit  langem  Barte  und  alternden 
Zttgen  versinnbildet  das  Greisenaltcr,  und  die  Email-Inschrift  benennt  ihn  „Caspar." 
Nach  ihm  folgt  mit  bartloser,  jugendlicher  Kopf  bildung  der  Inschrift  gemäss  „Mel- 
chior" als  Jtlngling,  der  Vertreter  Europa's,  der  in  einem  reich  verzierten  Gefasse 
Weihrauch  darbringt  „Balthasar"  in  einer  mit  Filigran  verzierten  Kapsel  Myr- 
rhen darreichend,  nimmt  die  letzte  Stelle  ein  und  repräsentirt  mit  kurzem  Bart 
und  markirten  Zttgen  das  kräftige  Mannesalter  oder  den  dritten  Welttheil:  Africa. 
Unter  der  dritten  Bogenwölbung  folgt  noch  das  kleinere,  in  Gold  getriebene  Stand- 
bild des  Donators,  der  als  vierter  der  anbetenden  Könige  in  einem  kleinen  vier- 
eckigen Kästchen  ebenfalls  Gold  darzubringen  scheint  Die  Inschrift  in  der  klei- 
neren Bogenspannung  über  dem  Haupte  dieser  Statuette  bezeichnet  näher  dieselbe 
als  Geschenkgeber:  ^,Otto  rex^\  Es  wäre  hieraus  der  Schluss  zu  ziehen,  dass 
dieser  ganze  Vordertheil  zur  Zeit  des  Erzbischofs  Adolph  von  Altona  durch  die  Geld- 
mittel Otto's  IV.  gleich  nach  seiner  Wahl  zu  Köln  im  Jahre  1198  angefertigt  wor- 
den sei. 

Noch  machen  wir  darauf  aufmerksam,  dass  sämmtliche  Figuren  der  eben- 
gedachten Gruppe  ihre  Weihegeschenke  mit  verhüllten  Händen,  zum  Zeichen  der 
Ehrfurcht,  darbringen.  Zur  linken  Seite  der  Madonna  hat  der  Künstler  analog 
mit  der  Gruppe  der  Anbetung  in  Scene  gesetzt,  und  zwar  ebenfalls  in  Goldblech 
als  Hautrelief  getrieben,  die  Taufe  des  Heilandes  im  Jordan.  In  der  dreifachen 
Bogenlaube  liest  man  die  heute  unvollständige  Inschrift:  „JETic  baptizifica- 
tur."  In  der  Mitte  steht  der  Heiland,  dessen  Unterkörper  von  den  Wellen  des 
Jordanstromes  umflossen  und  verhüllt  ist;  zur  Rechten  erblickt  man,  auf  einem 
Felsen  stehend,  den  Vorläufer  Johannes,  wie  er  mit  der  Muschel  die  Taufe  vor- 
nimmt; unter  dem  dritten  Bogen  hat  die  Kunst  des  Mittelalters  einen  dienenden 
Engel  angebracht,  der  das  Gewand  des  Heilandes  darzureichen  scheint  Leider  ist  der 
Untersockel,  worauf  das  ganze  Schreinwerk  ruht,  und  der  sich  in  zwei  Abiheilun- 
gen in  einer  Höhe  von  lOV«  Centimeter  treppenft5rmig  aufbaut,  bei  der  jüngsten 
Wiederherstellung  von  ungeübter  Hand,  die  dem  ursprünglichen  Style  des  Schrei- 
nes nicht  gerecht  zu  werden  verstand,  mit  getriebenen  Blechen  belegt  worden, 
deren  Ornamente  klägliche  Manifestationen  aus  dem  vorigen  Jahrhunderte  sind,  eine 
Epoche,  in  welcher  den  Goldarbeitem  das  Verständniss  der  romanischen  Kunstform 
vollständig  abhanden  gekommen  war. 

Nur  an  einem  Theile  des  Sockels  hat  sich  noch  die  primitive  kostbare  Oma- 
mentation  in  kleinen  rechteckigen  Platten,  abwechselnd  in  Email  und  Filigran, 
erhalten.  Auch  das  mittlere  Compartiment  an  dieser  Hauptfa^e  des  vorliegen- 
den Beliquiariums  ist  in  seinen  Haupttheilen  als  eine  Zuthat  des  Schnörkelstyles, 


DOMSCHÄTZE.  27 

wie   er  ohne  Gesetz   und   ohne  Regel    im  vorigen  Jahrhunderte  sich  vollständig 
ermüdet  hatte,  zu  betrachten.    Es  bildet  dasselbe  nämlich  jenen  beweglichen,  im 
Fünfeck  gehaltenen  Deckelverschluss,  der  behufs  der  Besichtigung  der  Häupter  der 
h.  drei  Könige  herausgehoben  werden  kann.    Wie  dieser  Verschluss  ursprünglich 
durch  alle  Mittel  der  Kunst  ausgestattet  gewesen  sein  möge,  dürfte  heute  nicht  leicht 
mehr  zu  bestimmen  sein.    Alle  Flachtheile  dieses  Deckels  sind  auf  eine  unschöne 
Weise  mit  getriebenen  Zuthaten  im  Rococcogeschmack  überlegt;  die  schöne  Styl- 
epoche des  Xin.  Jahrhunderts  inmitten  dieser  barocken  Formenhäufung  macht  sich 
nur   noch  kenntlich  an   einem  kunstreich  durchbrochenen  Bandstreifen.     In  den 
schwungvoll  gearbeiteten  Ornamenten  desselben  hat  der  Goldschmied  mit  grosser  Mei- 
sterschaft in  ciselirter  und  getriebener  Arbeit  verschiedene  Scenen  einer  Jagd  zur 
Anschauung  gebracht,  deren  Deutung  einer  reicher  begabten  Phantasie  nicht  schwer 
fallen  dürfte.    Wir  unseres  Theils  erkennen  in  diesen  Ornamenten,  anstatt  uns  in 
gewagten  Deutungen  zu  ergehen,  jene  harmlosen,  poetischen  Pflanzen-  und  Thier- 
bildungen  (Arabeske),   wie  sie,  in  den  Zeiten    der  Kreuzzüge  aus   dem  Orient 
entlehnt,   in  der  Sculptur    des   Xu.    und  Xm^  Jahrhunderts    sich   allenthalben 
geltend   machen.    Die  mittlere  Hauptfläche   dieses  Deckverschiusses   zeigt  jenes 
regellose  Schnörkelwerk  des  ausgearteten  Zopfstyles,  das   mit  den  übrigen  cha- 
rakteristischen Ornamenten  der  romanischen  Kunstepoche  in  grellem  Widerspruche 
steht    Einen  hervorragenden  Schmuck  von  bedeutendem  Werthe,  der  dem  classi- 
Bchen  Alterthume  angehört,  erhält  dieser  Verschluss  durch  zwei  grosse  geschnittene 
Steine,    von   welchen    der    eine  (vgl.  44  c)   die  Apotheose  des  Kaisers  Augustus, 
der    andere    (vgl.  44b)  „Venug  victriar",    von  zwei  Cupido's   gekrönt,    vorstellt. 
Diese  beiden  Gammen,  von  grösster  Ausdehnung,  flankiren  einen  mächtigen  Rauch- 
topas   vom   hellsten  Wasser,    der  die  seltene  Breitenausdehnung  von  O'/^  Genti- 
meter  hat    In  der  einen  Ecke  dieses  Deckverschlusses  prangt  noch  ein  Sardonix 
mit  erhaben  geschnittenem  Kopfe.   An  der  entsprechenden  Stelle  auf  der  entgegen- 
gesetzten Seite  hat  ioan  zur  Omamentation  der  Fläche  eine  Gam^e  in  quadratischer 
Form,  im  Durchmesser  von  3  Centimeter,  angebracht;  dieselbe,  ein  Karneol  (vgl. 
44  d),  gibt  sich  zu  erkennen  als  abendländisphes  Werk  der  Steinschneidekunst  des 
Xn.  Jahrhunderts,  und  stellt  als  Brustbild  den  Heiland  dar,  der  in  lateinischer  Weise 
segnet*) 

Der  obere  giebelförmige  Aufsatz  der  „arca  trium  regum^^  der  als  umfang- 
reicher Reliquienschrein  wieder  für  sich  betrachtet  werden  muss  und  eine 
grösste  Breite  von  56  Gentimeter  bei  einer  Höhe  von  80  Centimeter  hat,   zeigt 


*)  Da  wir  in  Torstehendcr  Beschreibung  vorzugsweiso  der  Ooldschmiedekunst  des  XII.  Jahrhnn- 
derts  unser  Augenmerk  zuwenden,  wie  sie  an  dem  vorliegenden  Prachtschreine  zur  höchsten  Entfal- 
tung der  Form  gelangt  ist,  so  mögen  Andere  sich  der  sehr  verdienstlichen  Arbeit  unterziehen,  den  hohen 
Kutostwerth  in  einer  besonderen  Monographie  nachzuweisen  und  durch  Zeichnungen  zu  erläutern,  der 
in  der  grossen  Menge  der  prachtvollsten  und  seltensten  geschnittenen  Steine  des  olassisohen  Griechen- 
und  Römerthums  verborgen  liegt.  Hinsichtlich  der  Zahl  dieser  Campen  und  Gemmen  bemerken 
wir  hier  vorübergehend,  dass  allein  heute  noch  an  der  vorderen  Kopfseite  des  Reliquienschreines  der 
heil,  drei  Könige  mehr  als  50  Gemmen  und  Carnigen  prangen,  die  von  der  hohen  RlUthe  der  Stein- 
schneidekunst im  classischen  Zeitalter  Zeugniss  ablegen. 


28  DOMSCHÄTZE. 

unter  einem  Kleeblattbogen  von  breiter  Spannung  den  Heiland  mit  erhobener  seg- 
nender Rechten  als  Weltenrichter,  wie  er  am  Ende  der  Tage  wiederkehrt;  in  der  Lin- 
ken hält  er  eine  Schriftrolle,  worauf,  jedoch  in  modernen  Schriftzttgen,  die  Worte 
jyliber  vttae''  zu  lesen  sind.*)  Den  Herrn  der  Tage,  welcher  durch  einen,  auf  dem 
rechten  Knie  befestigten  Spruchstreifen  mit  der  Inschrift:  „iudea:^,  gekennzeichnet  wird, 
umstehen  repräsentirend  die  9  Chöre  der  Engel,  die  mit  dem  Heiland  beim  Weltgerichte 
in  seiner  Glorie  erscheinen,  jene  am  meisten  in  der  heil.  Schrift  genannten  Erz- 
engel, kenntlich  gemacht  durch  die  Umschrift:  f^Gabriel,  Fortitudo  Det\  Raphael, 
Medicina  Bei.''  Gabriel  trägt  hier  eine  Lanze,  und  Raphael  einen  grossen  Nagel 
oder  Dom.  Es  ist  immer  möglich,  dass  über  dem  Kleeblattbogen  ehemals  eine  dritte 
Engelsfigur,  nämlich  die  des  Erzengels  Michael  mit  dem  Kreuze  zu  ersehen  war,  denn 
man  liest  hier  die  Inschrift:  „In  cruce  vita  mori  voluit,  mors  ut  moreretur.*'  — 
Unter  den  breiten  Filigranstreifen  mit  gefassten  Edelsteinen,  einen  Kleeblattbogen 
formirend,  der  baldachinförmig  die  gedachte  Scene  überschattet,  befindet  sich  auf  blau 
emaillirtem  Grunde  in  goldenen  Majuskelbuchstaben  folgender  Leoninische  Vers: 

Lanceüy  Spina^  Calix,  Cnuv,  Spongia^  Signa  dolorum^ 
Quos  tulit  Hie  dolens^  gui  Judex  est  meritorum. 
Durch  diese  Inschriften  werden  nicht  nur  jene  ^instrumenta  dammicae  pas- 
sionis^  näher  gedeutet,  die,  wie  frtther  bemerkt,  von  den  Erzengeln  Gabriel,  Ra- 
phael und  Michael  getragen  werden,  sondern  auch  die  Leidenswerkzeuge  von  den 
beiden  Engeln  gehalten,  die  als  kleinere,  in  Croldblech  getriebene  Standbilder  neben 
der  sitzenden  Statuette  des  als  Richter  wiederkehrendem  Heilandes  plastisch  dar- 
gestellt sind.  Der  eine  dieser  mit  grosser  Meisterschaft  getriebenen  Engel  zur 
Rechten  des  Weltrichters  scheint  den  ^calia:^  und  die  „spangia"  zu  tragen,  die  auch 
in  der  obigen  Inschrift  aufgeftlhrt  werden ;  der  andere  die  „corana",  die  hier  nicht 
realistisch  als  Domenkrone,  sondem  ideal  als  Königsdiadem  aufgefasst  und  künst- 
lerisch omamentirt  ist.  Die  Email -Inschrift,  die  den  ganzen  inneren  Rand  des 
oberen  Reliquienschreines  an  der  vorderen  Hauptfronte  ausfüllt,  zeigt  deutlich  den 
Zweck  der  zweiten  Rückkehr  des  Herm  in  seiner  Herrlichkeit  an  und  lautet 
wie  folgt: 

„Advenio  dignos  satvare^  ferire  maUgnos 

Ergo  boni  metite  felicia  gaudia  vitae, 

Ite  rei  vos  ira  Dei  transmittit  in  ignem, 

Quisque  metit,  guod  promeruit,  sub  jndice  justo" 
In  gleicherweise,  wie  das  eben  erwähnte  ,j legendär ium^  den  oberen  Giebel 
des  „serinium  trium  Magofmm*'  einfasst,  hatte  zweifelsohne  der  Künstler,  dem  das  vor- 
liegende Prachtwerk  altkölnischer  Goldschmiedekunst  seine  Entstehung  verdankt,  auch 
den  vertieften  Rand,  der  sich  im  Fünfeck  unmittelbar  über  dem  beweglichen  Deckver- 
schlusse  befindet,  mit  einer  Email-Inschrift  an  analoger  Stelle  versehen,  die  leider  durch 


*)  Da  bei  dieser  „mq/ettas  Domini"  die  altromanisohe  Kunst  niemals  in  der  Hand  des  Welten- 
richters diese  ,,schedula'^  fehlen  lässt  mit  ähnHchem  Spruch,  so  ist  anssunehmen,  dass  auch  ehemals  Tor 
der  letzten  Restanration  des  Reliquienschreines.  dieselbe  Inschrifb  mit  dem  Spruche,  jedoch  sehr  beschä- 
digt, an  derselben  Stelle  sich  befand. 


DOMSCHATZE.  29 

die  Unkenntniss  und  den  Unverstand  sogenannter  Restaurateurs,  wie  es  uns  scheinen 
will,  zu  Anfang  des  XVIU.  Jahrhunderts  beseitigt  und  durch  eine  Abfassung  mit 
einem  unschönen  musehelförmigen  Blatt  des  Rococco  verdeckt  worden  ist.  Wir 
bedauern  in  älteren  Beschreibungen  keine  Andeutung  mehr  vorgefunden  zu  haben, 
welche  Inschrift  ehemals  an  dieser  Stelle  ersichtlich  war.  Ohne  Zweifel  nahm  die- 
selbe ihrem  Inhalte  nach  Bezug  auf  die  darunter  befindliche  Darstellung  des 
Opfers  der  heil,  drei  Könige ,  sowie  auf  die  Gebeine  derselben ,  welche  von  die- 
ser Stelle  aus  nach  Entfernung  des  Deckverschlusses  den  Gläubigen  ersichtlich 
wurden. 

Sowohl  die  Abschrägungen  des  unteren  grossen  Schreinwerkes,  als  auch  die 
des  darüber  befindlichen  Reliquienkastens,  sind  nach  allen  Seiten  hin  durch  klei- 
nere, quadratisch  längliche  Bleche  in  der  Breite  von  3  Gentimeter  abgefasst,  die 
abwechselnd  mit  reichen  EmalUirungen  verziert  oder  durch  den  Schmuck  von 
Edelsteinen  auf  filigranirtem  Tiefgrunde  gehoben  werden.  Diese  emaillirten  Schild- 
chen sind  alle  in  verschiedenen  Farbetönen  gehalten  und  zeigen  durchweg  varii- 
rende  Muster;  dieselben  können  als  undurchsichtige  imaux-champleves  bezeichnet 
werden. 

Ueber  dem  beweglichen  Verschluss  an  der  mittleren  Fronte  des  Schreines 
erblickt  man  ebenfalls  noch  vier  emaillirte  Deckplättchen  in  der  grössten  Länge 
von  6  Gentimeter,  die  ein  viel  kostbareres  und  durchsichtiges  Email  auf  Goldgrund 
zeigen,  welches  französische  Archäologen  als  hnaux-cloüavnes  allgemein  zu  benen- 
nen ttbereingekonunen  sind. 

Die  äusseren  Umrisse  des  Schreines  sind  auf  der  Bedachung  desselben,  umzo- 
gen von  einer  hjour  durchbrochenen  Kammverzierung  in  einem  ausgestochenen  roma- 
nischen Laubwerk,  bei  welcher  immer  dasselbe  Motiv  gleichförmig  zurückkehrt.  Auf 
der  Giebelspitze  erhält  der  vorliegende  Reliquienschrein  eine  Bekrönung  durch  einen 
reichen  Blätterschmuck,  energisch  ciselirt,  welcher  auf  seiner  Spitze  durch  einen 
runden  emaillirten  Knauf  zu  einem  kunstreichen  Abschluss  gelangt 

Betrachtet  man  aufmerksameren  Blickes  die  vielen,  in  feinstem  Goldblech 
getriebenen  figürlichen  Darstellungen  an  dieser  Hauptfronte,  so  muss  man  einge- 
stehen, dass  diese  zarten  Bildungen  aus  der  Meisterhand  eines  Goldschmiedes  her- 
voi^egangen  sind,  der  es  im  Fache  des  Treibens  zu  einer  grossen  Vollendung  in 
der  Form,  was  das  Technische  betrifft,  gebracht  hatte.  Sowohl  die  körperlichen 
Bildungen,  als  auch  die  Anordnung  der  G^wandpartieen  lassen  es  deutlich  erra- 
then,  dass  diese  Darstellungen  als  Hautreliefs  der  Zeitfolge  nach  unmittelbar  dem 
Schlüsse  des  XIL  Jahrhunderts  angehören,  einer  Zeit,  in  welcher  auf  dem  Gebiete 
der  Malerei,  der  Sculptur  und  der  figuralen  Goldschmiedekunst  die  erstarrten,  vielfach 
geistlos  und  typisch  gewordenen  Formen  von  Byzanz  für  plastische  Darstellungen  nicht 
mehr  maassgebend  waren,  und  in  welcher  das  in  der  Durchbildung  begriffene  germani- 
sche Formengesetz  begonnen  hatte,  basirt  auf  dasStudium  der  Natur  und  des  Individuums, 
mit  den  überlieferten  orientalischen  Typen  brechend,  selbstschöpferisch  neue  Ge- 
staltungen «u  Wege  zu  bringen.  Von  hoher  Formschönheit  und  Vollendung  sind 
namentlich  sämmtliche  Kopfbildungen  der  verschiedenen  Figuren;  es  macht  sich 


30  DOMSCHÄTZE. 

in  diesen  markirten  Zügen  eine  Tiefe  des  Gettthls,  ein  hierarchischer  Ernst  gel* 
tend,  der,  das  Ideale  anstrebend,  von  diesen  kirchlichen  Gebilden  alle  weichlich 
sinnlichen  Formen  fem  zu  halten  bemüht  war. 

Schreiten  wir  fort  zur  Beschreibung  der  rechten  und  linken  Langseite  des 
Beliquienschreins,  so  begegnet  uns  hier  derselbe  Reichthum  der  figürlichen  getrie- 
benen Darstellungen,  abwechselnd  mit  der  Farbenpracht  der  vielen  Emails  und 
der  zahlreichen,  als  Cabuchons  gefassten  Edelsteine.  Es  zeigen  sich  heute  noch 
an  der  imteren  Flachseite  des  Reliquiariums  in  einer  Höhe  von  47  V'  Gentimeter  sechs 
Bogenlauben,  jede  in  einer  Spannung  von  23  Centufneter,  die  als  Eleeblattbogen 
von  gedoppelten,  reich  emaillirten  Säulchen  getragen  werden.  Ehemals  fUIlten 
diese  Langseiten  die  sitzenden  Standbilder  von  7  Propheten  des  A.  B.  aus,  und  hat 
der  Goldschmied,  dem  zu  Anfange  unseres  Jahrhunderts  der  Auftrag  wurde,  die- 
sen auf  der  Flucht  zur  Zeit  der  französischen  Revolution  in  einzelne  Theile  zer- 
legten Prachtschrein  der  heil,  drei  Könige  wieder  herzustellen,  da  einzelne  Theile 
fehlen  mochten  oder  sehr  beschädigt  waren,  sich  leider  veranlasst  gesehen,  das 
kostbare  Schreinwerk  um  eine  Bogenstellung  zu  verkürzen,  so  dass  heute  je  eine 
Nische  mit  entsprechender  Figur  auf  jeder  der  Langseiten  weggefallen  und  somit, 
wie  es  uns  scheint,  das  richtige  Verhältniss  zwischen  Länge,  Breite  und  Höhe  des 
Schreins  merklich  gestört  worden  ist 

Als  mittlere  Hauptfigur  auf  dieser  rechten  Seite  des  Reliquiariums  im  unte- 
ren Fache  erblickt  man  unter  einer  nischenförmigen  Bogenlaube,  die  sich  sechsmal 
fortsetzt,  das  prachtvoll  getriebene,  sitzende  Bildwerk  des  Königs  Salomo,  kennt- 
lich durch  eine  Emailinschrift,  welche  die  Worte  enthält:  „Saloman  Reo;."  Zur 
Linken  des  weisen  Mannes  thronen  unter  emaillirten  Kleeblattbogen  die  ebeimlls 
sitzenden  Statuen  des  Propheten  Joel  und  des  Hohenpriesters  Aaron ;  leider  ist  die 
getriebene  Statuette  des  Propheten  Habacuc  bei  der  jüngsten  Zusanunensetzung 
verloren  gegangen;  zur  rechten  Seite  Salomons  hat  der  Künstler  in  den  vertieften 
Kleeblattlauben  die  Propheten  Nahum,  Jeheremias  und  Ezechiel*)  angebracht  Auf 
der  linken  Langseite  des  Reliquienschreins  sieht  man  in  der  Mitte,  analog  gegen- 
überstehend dem  Könige  Salomon,  die  sitzende,  in  vergoldetem  Silberblech  getrie- 
bene Statuette  des  königlichen  Psalmensängers  David.  Ihm  zur  Seite  folgen  unter 
Klecblattbogen  auf  reich  verzierten  ^scamimHa^  die  Bildwerke  einzelner  Propheten, 
die  in  den  Emailinschriften  genannt  werden:  Moyses,  Jonas,  Daniel,  Arnos  und 
Abdias.  lieber  diesen  Nischen  mit  den  sitzenden  Bildwerken  der  Propheten  bildet 
nach  Oben  einen  geradlinigen  Abschluss  folgende  emaUUrte  Inschrift: 

„Canditor  orbis  mdicat  orbem,  düt  Bona  nwjora  meritis  tarmenta  mmanL*' 


*)  Freunde  und  Kenner  mittelalterlicher  Kunst  sind  dem  üochwürdigsten  Metropolitandomeapi- 
tel  eu  Dank  vcrpfliohtet,  das  auf  unser  Ansuchen  es  zuvorkommend  gestattete,  dass  Herr  Modelleur 
0.  Leers  nicht  nur  sammUiche  antiquen  Camden  und  Gemmen  sorgfältig  abformen  dürfe,  sondern  auch 
jene  vielen  getriebenen  Bildwerke  des  Reliquiensohreines ,  die  in  dieser  Vollendung  der  Formen,  aus 
dem  Schlüsse  des  XII.  Jahrhunderts  herrührend,  wohl  schwerlich  im  Occidente  ihres  Gleichen  finden 
mochten.  Herr  Leers  (Stolkgasse  — Köln)  ist  in  der  Lage,  diese  Abfurmungen  an  öffentliche  und  pri- 
rate  Museen,  auf  schriftliche  BesteUung  hin,  einzusenden. 


DOMSCHÄTZE.     •  31 

An  derselben  Stelle  auf  der  rechten  Seite  des  Schreinwerkes  liest  man  fol- 
gendes Inpendarium: 
fjQuem  nuUa  possunt  secreta  latere,  pomas  nuUgnü  infert  dat  praemia  dignis.^ 

In  den  vertieften  Bogenzwiekehi  über  den  Gapitälen  der  doppelten  emaillir- 
ten  Säulchen  erblickt  man  heute  auf  jeder  der  Langseiten,  erhaben  aufliegend, 
emaillirte  Bundmedaillons,  die  verschiedenartige  Vierpassformen  zeigen,  welche  im 
Inneren  durch  ein  Pflanzenomament  in  Kreuzform  gefüllt  sind. 

Die  Abschrägungen  der  Bedachungsflächen  zu  beiden  Langseiten  des  Reli- 
quiariums  sind  an  den  äusseren  Firsten  abgegrenzt  durch  zwei  reichverzierte  Band- 
streifen, an  welchen  ebenfalls  wieder  viereckige  Plättchen  von  vielfarbigem  matten 
Email  mit  kleinen  Filigranplatten  abwechseln.  Die  Bedachungsflächen  selbst  zeigen 
heute  leider  nicht  mehr  ihren  ehemaligen  reichen  Schmuck  von  getriebenen  Goldblechen, 
und  sind  dieselben  unter  Eleeblattbogen  mit  acht  kleineren  Tafelmalereien  belegt,  die 
keinen  besonderen  Eunstwerth  beanspruchen  können,  und,  aus  neuester  Zeit  her- 
rührend, in  Oelmalereien  einzelne  Episoden  aus  der  Geschichte  des  A.  T.  veran- 
schaulichen, welche  mit  acht  analogen  Darstellungen  aus  der  Geschichte  der  heil, 
drei  Könige  in  Bezug  gesetzt  sind.  Wenn  dem  Berichterstatter  Vogel  aus  dem 
Jahre  1781  Glauben  beizumessen  ist,  so  waren  noch  in  diesen  Flächen  in 
neun  länglich  runden  Abtheilungen  verschiedene  Scenen  aus  dem  Leben  des 
Erlösers  ersichtlich,  und  zwar  waren  nach  Angabe  unseres  Autors  je  drei  und 
drei  dieser  getriebenen  Darstellungen  von  einem  viereckigen  emaillirten  Bande, 
Inschriften  enthaltend,  abgeschlossen.  Jetzt  wird  diese  ganze  Bedachung  nach  den 
\ier  Seiten  auch  durch  emaillirte  Inschriften  eingefasst,  jedoch  zeigen  hinzugeftigte 
Emailstreifen  mit  Ornamenten  an  den  beiden  Schmalseiten,  dass  diese  Inschriflien 
früher  eine  andere  Aufstellung  und  Einrichtung  hatten."^) 

Wir  sind  nicht  in  der  Lage,  heute  näher  anzugeben,  von  welcher  artistischen 
Beschaffenheit  die  in  vergoldetem  Silberblech  getriebenen  Basreliefs  waren,  welche 
diese  Bedachungsflächen-  des  unteren  Reliquienkastens  ausschmückten  und  heute 
leider  in  französischer  Genremalerei  nach  Baphael'schen  Reminiscenzen,  von  einem 
Kölnischen  Maler  B.  Beekenkamb  herrührend,  ausgeftült  worden  sind.  Es  ist  wahr- 
scheinlich, dass  diese  Bedachungsflächen  mit  ähnlichen,  kunstreich  getriebenen  Bas- 
reliefs in  kleineren  quadratischen  Flächen  ausgestattet  waren,  wie  man  dieselben 
heute  noch  an  dem  prachtvollen  Reliquienschreine  bewundert,  der  die  Gebeine  des 
berühmten  engelländischen  Märtyrers,  des  heil.  Albanus,  birgt.    Wir  werden  den- 


*)  Es  möge  gestattet  sein,  die  emaillirten  Inschriften  auf  den  Umrandungen  sowohl  der  unteren 
wie  oberen  Bedachungsflächen  hier  mit  Stillschweigen  lu  übergehen ,  indem  dieselben  auf  Anordnung 
von  Prof.  Wallraff,  so  gut  es  damals  angehen  mochte,  nach  so  vielen  Entstellungen  und  Verkürzungen 
wieder  zusammengesetzt  und  nothdürftig  ergänzt  worden  sind.  Schon  in  den  Tagen  des  oft  genannton 
Vogel,  der  auf  Befehl  des  vorletzten  Churfürsten  Maximilian  Priederich  1781  in  einer  unkritischen 
Zeit  vorliegenden  Prachtschrein  abzubilden  und  zu  beschreiben  versuchte,  war  bereits  die  richtige  Auf- 
einanderfolge und  der  Zusammenhang  dieser  Inschriften  gestört  Vgl.  die  Lesung  der  vielen  Emailin- 
schriften nach  Wallraff's  Gonjecturen  in  dem  Buche:  Historische  Beschreibung  der  berühmten  hohen 
Erzdomkirche  zu  Köln  am  Bhein  yon  A.  E.  d'H...  bei  Heberle  1821. 


32  DOHSCHÄTZE. 

selben  in  der  III.  Lieferung  dieees  Werkes  ausfbhrlieber  beschreiben  und  durch 
Zeichnungen  veranschaulichen. 

Bichten  wir  nun  unsere  Aufmerksamkeit  auf  die  Langseiten  der  oberen 
Abtheilung  des  Reliquienschreins  in  ihren  vielen  figürlichen  getriebenen  Darstellun- 
gen, so  will  es  scheinen,  dass  diese  beiden  oberen  Langseiten  noch  ziem* 
lieh  in  ihrer  primitiven  Form  vorhanden  sind,  mit  Abrechnung  der  Figuren  und 
Bogennischen,  die  bei  der  Verkürzung  des  Schreines  auf  jeder  Seite  unglücklicher 
Weise  beseitigt  worden  sind. 

Gleichwie  au  den  unteren  Langseiten  unter  Kleeblattbogen  die  grossartigen 
Bilder  der  Propheten,  als  die  Vertreter  des  alten  Testamentes,  thronen,  so  hat  der 
Künstler  die  oberen  Langseiten  des  Reliquienkastens  entsprechend  mit  den  sitzen- 
den Bildwerken  der  Repräsentanten  des  neuen  Bundes,  den  zwölf  Sendboten,  figu- 
renreich ausgestattet.  Dem  obengedachten  Autor  zufolge  ersah  man  ehemals  an 
diesen  oberen  Langseiten  inmitten  von  je  6  und  6  Aposteln  unter  einem  Bund- 
bogen einen  Seraphim  mit  Ueberschrift: 

,ySeraphim  ardens  Charitate.*' 

Diese  einzelnen,  grossartig  componirten  und  technisch  vortrefflich  ausgeführ- 
ten Bildwerke  der  Apostel,  sitzend  auf  12  reichverzierten  Stühlen  nach  dem 
Spruche:  „iudicantes  tribus  Israel^ ^  sind  durch  emaillirte  Inschriften  kenntlich  ge- 
macht, die  in  hinkenden  leoninischen  Versen  zugleich  mit  dem  Namen  des  betref- 
fenden Apostels  andeuten,  durch  welches  Marterwerkzeug  derselbe  die  Palme  des 
Lebens  errang;  sie  lauten: 

1.  Fert  Petrus  insigne  cruas  signum,  in  cruce  passus, 

2.  Trmusmisit  coelo  Jacobum  tua  pertica  fullo, 

3.  Funibus  extensum  tultt  Andream  crucis  ara, 

4.  Ense  cruentatus  Jacobus  major  gerit  ensem, 

5.  Matthaeum  mensis  coeiesh'bus  addidit  etisls. 

6.  Constantis  fidei  cutis  est  nota  Bartholomaeu 

Auf  der  linken  Langseite  erblickt  man  an  der  entsprechenden  Stelle  die 
übrigen  6  Apostel,  die  durch  folgende  Verse  näher  gekennzeichnet  werden: 

1.  Elise  cadens  Paulus  necis  in  signum  tenet  ensem. 

2.  Vas  olei  fervens  evasit  trirgo  Joannnes. 

3.  Morte  crucis  Philippe  irucis  superas  scelus  hosüs. 

4.  Thomas  ense  cadit,  sed  victor  ad  aethera  vadiL 

5.  Fuste  Simon  triplici  caesus  petit  atria  coelL 

6.  Mundi  pressuris  Judam  rapit  ista  sccuris. 

In  der  Mitte  dieser  6  Apostel  auf  der  linken  Seite  prangte  ehemals  ein 
Cherubim  mit  der  Inschrift: 

fj  Cherubim  plenitudo  Scientiae.^* 

Ausser  diesen  Symbolen  tragen  9  verschiedene  Apostelstatuen  in  der  Lin- 
ken noch  umfangreichere  Bauwerke,  wodurch  ohne  Zweifel  die  von  denselben 
gestiftieten  Kirchen  vorgestellt  werden  sollen. 


DOMSCHÄTZe.  33 

In  den  äusseren  Ein&ssungsrändern,  die  gleichsam  als  Bänder  die  ganze 

Wandung   umgeben ,    liest   man    in    goldenen    Majuskeln    auf  blauem    emaillir- 

ten  Felde: 

yyjudewy  quem  nulla  queunt  sect*eta  latere, 

Poenas  itidignis  infert,  dut  praemia  dignis. 

Hos  Dominus  nobis  Semen  patresque  reliquit, 

Ne  mutos  fuceret  nos  asperifas  vitiorum. 

Ili  terrendo  minis,  miris  radiando,  pluendo 

Voctrinis,  mundi  sordes  lavere  proJanas/* 

In  den  Bogenzwickeln  über  dieser  sechsfachen  Arkadenstellung  ersieht  man 
als  Ausftillung  auf  jeder  Seite  flinf  Brustbilder  von  weiblichen  Figuren,  allegorisch 
sinnbildend  yerschiedene  christliche  Tugenden,  welche  durch  Emailschriften  im  Hin- 
tergründe näher  benannt  sind,  und  zwar  auf  der  linken  Seite:  largüas,  bofuias, 
misericordioj  Concor dia^  temperantia,  humiätas,  sobrietas;  und  auf  der  rechten:  paa^^ 
befugnitas,  prudentiüj  obedientia,  sapientia,  castitas,  parcitas. 

Noch  fttgeu  wir  hier  hinzu,  dass  die  Würfelcapitälchen  auf  sämmtlichen  frei- 
stehenden Säulchen  ä  Jour  durchbrochen  sind  und  abwechselnd  eines  der  Thier- 
symbole  der  vier  Evangelisten  zeigen.  Leider  hat  die  obere  schräge  Bedachung 
des  zweiten  Gefaches  des  Reliquienschreines  der  heil,  drei  Könige  eine  gänzliche 
Umgestaltung  erlitten,  so  dass  von  den  primitiven  Belegplatten  in  getriebenen  Figu- 
ren heute  nichts  mehr  zu  ersehen  ist.  Die  Armuth  der  heutigen  Omamentation, 
die  unter  Glastafeln  eine  grünliche  Marmorirung  erkennen  lässt,  hat  auf  dieser 
Bedachung  von  Glas  höchst  kläglich  kleinere  Engel  in  getriebenem  Kupferblech 
ohne  den  geringsten  Kun^twerth  als  hinkende  Ornamente  anzubringen  gesucht^ 

Dem  oben  citirten  P.  Vogel  zufolge  ersah  man  auf  den  obersten  Absehrägungen 
als  Deckel  auf  jeder  Seite  unter  drei  Bogenstellungen  figürliche  Darstellungen,  die 
auf  „die  Auferstehung  des  Fleisches"  Bezug  hatten;  jefloch  unterlässt  es  unser 
Gewährsmann,  anzuftihrein,  ob  diese  bildlichen  Darstellungen  in  edlem  Metall  ge- 
trieben, oder  in  Email  und  Niell  ausgeführt  waren. 

Der  obersten  Dachfirste  entlang  erhebt  sich  als  Bekrönung  und  Abschluss 
ein  durchbrochenes  Laubgesimms  mit  romanischen  Ornamenten;  auch  erblickt  man 
in  dieser  Kammverzienmg  vier  runde  Kugeln  mit  vielfarbigen  emaillirten  Ornamen- 
ten belebt,  wie  sie  überhaupt  auf  keinem  der  grösseren  Reliquienschreine,  die  uns 
am  Rheine  bekannt  geworden  sind,  fehlen,  und  als  „pommes  d'amour*'  vielleicht  an 
dieser  hervorragenden  Stelle  eine  symbolische  Deutung  finden  mögen.  Diese  „glo- 
bus^  in  älteren  Inventaren,  auch  ,,malogranata'*  genannt,  dürften  etwa  als  Blüthen 
und  Wohlgerüche  aufgefasst  und  betrachtet  werden,  die  über  dem  Grabe  der  Hei- 
ligen, welche  „in  odore  suavit(Uis"  hier  beigesetzt  sind,  zum  Himmel  emporsteigen. 

Es  erübrigte  nun  noch,  die  hintere  Fa;ade  des  vorliegenden  Prachtwerkes 
in  Folgendem  näher  zu  skizziren.  Die  Anordnung  und  Eintheilung  der  Ornamente 
an  dieser  schmäleren  Rückseite  ist  durchaus  verschieden  von  den  drei  übrigen. 
Es  hat  nämlich  der  Künstler  den  unteren  umfangreicheren  Hauptschrein  nach  hin- 
ten hin  durch  zwei  grössere  einfassende  Giebelfelder  abgetheilt.    Unter  dem  brei- 

5 


34  DOMSCHÄTZE. 

ten  Giebel  zur  Rechten  erblickt  man  als  Hautrelief  die  Kreuzigung  des  Heilandes 
dargestellt,  und  zwar  ist  der  Gekreuzigte  hier  noch,  der  älteren  Anschauung  der 
Byzantiner  zufolge,  am  Kreuze  abgebildet,  stehend  auf  einem  breiten  „suppedaneum'* 
mit  geradlinig  ausgestreckten  Armen,  mehr  als  verherrlichter  Gottmensch,  wie  er 
gleichsam  vom  Kreuze  herunter  das  Menschengeschlecht  segnend  umfasst  Zu  bei- 
den Seiten  des  gekreuzigten  Erlösers  ist  wie  gewöhnlich  die  Passionsgruppe,  Johan- 
nes und  Maria,  zur  Anschauung  gebracht.  Das  Kreuz  selbst,  woran  der  Heiland 
gewissermaassen  zu  thronen  scheint,  ist  ebenfalls  durch  die  Kunst  ideal  behandelt, 
indem  die  breiten  Flächen  desselben  vollständig  mit  Filigranarbeiten  und  edlen 
Steinen  ausgeschmückt  sind.  Der  breite  Kleeblattbogen,  dessen  oberer  Rand  reich 
mit  einer  erhaben  aufliegenden  Filigranverzierung,  abwechselnd  mit  vielfarbigen 
Halbedelsteinen,  besetzt  ist,  zeigt  noch  eine  vertieft  stehende  Nebenumrandung  in 
blauem  Email,  worin  man  die  Namen  der  beiden  Standbilder  ^ySandu»  Joannes^ 
Sancta  Maria*'  gewahrt,  lieber  dem  «Haupte  des  Heilandes  liest  man  folgende 
merkwürdige,  abgekürzte  Inschrift:  ,,Mor.  Mar,  Mor.  Mor.  Mor.'*,  welche  vielleicfat 
durch  den  folgenden  oder  durch  einen  ähnlichen  Spruch :  „Mortem  mortiferam  mari- 
turis  morte  moratur'*  zu  lösen  sein  dürfte. 

In  dem  Giebel  über  diesem  Kleeblattbogen  hat  der  Künstler,  soweit  es  der 
Raum  zuliess,  drei  Kreissegmente,  von  breiten  Filigraniimdem  abgefasst,  ange- 
bracht, aus  welchen  als  Hautreliefs  zu  beiden  Seiten  des  Gekreuzigten  die  allego- 
rischen figürlichen  Darstellungen  von  Sonne  und  Mond  sich  erheben,  die  bei  dem 
Sterben  des  Heilandes  ihren  Schein  verloren.  In  einem  grösseren  Medaillon  über 
dem  Haupte  des  Heilandes  steht  eine  trauernde  Engelsgestalt,  die  in  Form  eines 
aufgeschlagenen  Buches  den  „titulus  cruas"  hält,  mit  der  bekannten  InscUift: 
„Jesus  Nazarenus,  Rex  Judaeorum.'* 

Die  inneren  Abschrägungslinien  dieses  Giebels  geben  ebenfalls  die  erläu- 
ternde Emailinschrift  zu  erkennen: 

„In  cruce  pendebat,  solvens  quae  non  rapiehat.** 

Da,  wo  die  beiden  ebengedacbten  Giebel  nach  unten  in  einem  stumpfen 
Winkel  sich  vereinen,  erscheint  unter  einem  Baldachin  im  Rundbogen  das  29  Centi- 
meter  hohe,  getriebene  Standbild  des  Propheten  Jeremias,  der  auf  einem  Spruch- 
streifen in  kräftiger  Gravirung  den  bekannten  Spruch  hält:  „Vere  languores  nostros 
ipse  portavit,  cujus  livore  sanati  sumus.'* 

Leider  sind  bei  der  jüngsten  Wiederherstellung  die  kunstreich  emaiUirten 
Säulchen,  welche  den  eben  erwähnten  Rundbogen  trugen,  fortgefallen  und  durch 
zwei  glatte  Säulchen  ohne  Kunstwerth  ersetzt  worden. 

Auf  dem  daneben  befindlichen  Kleeblattbogen  unter  einem  einfassenden  brei- 
ten Giebel  von  der  Grösse  des  ebenerwähnten,  hat  der  „aurifiUfer**  in  drei  getrie- 
benen Figuren,  analog  mit  den  drei  Figuren  der  Kreuzigung,  die  Geisselung  des 
Heilandes  zur  Anschauung  gebracht.  Unter  der  mittleren  höheren  Bogenlaube  er- 
sieht man  nämlich  den  an  die  Säule  gebundenen  Gottmenschen,  wie  er  von  den 
Kriegsknechten  die  Geisseihiebe  empftlngt;  die  beiden  Schergen  sind  bekleidet  in 
orientalischer  Art  mit  spitzem  Judenhut.     Auch  hier  liest  man  wieder  in  dem 


DOHSCHATZE.  35 

abschliessenden  inneren  Rande  des  Giebels  eine  Emailinschrift,  die  den  erklären- 
den Spruch  enthält: 

„Vtctima  vera  Jesus^  consputtts  verbere  caesus.'* 

In  der  mittleren  dreieckigen  Vertiefung,  welche  gebildet  wird  durch  den 
Aneinanderschluss  der  beiden  Giebel,  sowie  durch  den  Aufsatz  des  zweiten  oberen 
Kastens  hat  der  Künstler  ein  anderes  Bildwerk  angebracht,  welches  das  Brustbild 
eines  Erzbischofes  zeigt,  bekleidet  mit  der  Miter  und  Casel.  Eine  Emailinschrift 
im  Tiefgrunde  dieser  Statuette  besagt  deutlich,  dass  dieses  Hautrelief  jenen  Kir- 
chenftlrsten  Kölns  vorstelle,  der  die  Reliquien  der  drei  Weisen  aus  dem  zerstör- 
ten Mailand  nach  Köln  ttberbracht  habe,  sie  lautet: 

„Regum  translator  Reinaldus  Episcopus  ArchtV 

Zu  beiden  Seiten  dieser  Halbfigur  waren  ehemals  die  Brustbilder  zweier 
Eugelsgestalten  angebracht,  welche  entweder  Sprüche  hielten,  die  auf  die  lieber- 
tragung  der  Reliquien  Bezug  hatten,  oder  ab^r  die  bischöflichen  Insignien  trugen. 

Der  hintere  Giebel  des  oberen  Reliquiariums  ist  ebenfalls  wieder  mit  einem 
reichen  figuralen  Schmuck  ausgestattet,  und  zeigt  unter  einer  dreifachen  Rundbo- 
genstellung das  Standbild  des  Heilandes  als  Vergelter,  wie  er  den  beiden,  durch 
Ueberschriften  näher  bezeichneten  christlichen  Helden,  Felix  und  Nabor,  die  Krone 
der  Glorie  reicht  und  zu  denselben  die  Worte  der  Belohnung  zu  sprechen  scheint^ 
welche  man  in  der  darüber  befindlichen  Emailinschrift  liest: 

f,Sumite  pro  meritis  Regni  diadema  perhennis." 

Durch  diese  Darstellung  hat  der  Künstler  so  zu  sagen  die  Apotheose  der 
beiden  Heiligen  bildlich  darstellen  wollen,  deren  Ueberreste  in  dem  oberen  Schrein- 
werke enthalten  sind. 

In  drei  Rundbogencompartimenten  oberhalb  dieses  Kleeblattbogens  erschei- 
nen drei  Figuren,  wovon  jedoch  zwei,  ohne  Stylgepräge,  neuesten  Ursprunges  sind, 
als  Sinnbilder  der  durch  die  Emailiuschrift  angedeuteten  Tugenden: 

„Fides  vera,  Spes  ßrma,  Charitas  perfecta,** 

Auch  an  dieser  Stelle  erhält  das  ganze  Giebelfeld  im  Inneren  durch  eine 
emaillirte  Inschrift  einen  sinnreichen  Abschluss,  welche  lautet: 

„  Vera  fides,  perfectus  amor,  spes  firma  fu^re 
Hü  via  Martyrio  quae  Regna  poli  meru^re. 
His  tribus  armatus  Martyr  milesque  beatus 
Frater  Naboris  pariter  cum  fratre  laboris 
Possidet  in  Coelis  felicia  praemia  Felix.** 

Auf  der  rechten  und  linken  Seite  der  obersten  Verdachung  befanden  sich 
eben&lls  auf  Metallstreifen  ciselirte  und  vergoldete  Inschriften ,  die  jedoch  zer- 
stückelt und  von  den  Restaurateurs  so  durcheinander  geworfen  worden  sind,  dass 
man  ihren  Sinn  nicht  mehr  herausziifinden  vermochte.  Dem  sei.  WallrafT  ist  es 
mit  Mühe  gelungen,  aus  den  Ueberresten  folgende  Zusammenstellung  zu  Stande 
zu  bringen,  die  wir  hier  wiedergeben,  ohne  jedoch  fllr  deren  Richtigkeit  bürgen 
zu  wollen. 


36  DOMSCHÄTZE. 

Auf  der  rechten  Seite: 

jyjtidicn  memores  nos  haec  monet  esse  statera. 
Nee  data  tunc  ßecti  poterit  sententia  vera. 
Quidquid  eangessit  Studium  mortale  eremabit 
Sic  doeet  esse  Deum,  quem  namen,  vita  reatus 
Oppositum  doeet  esse  Deo,  eadit  ergo  eadentem 
•     Mors  rapit  aeterno,  justos  beat  aula  supema," 

Auf  der  linken  Seite: 

yjMundus  ut  aetemum  forma  niteat  meliori 
In  cinet^em  coro  versa  prius  mirabile  facta. 
Hie  redit  in  camem,  sie  cf*edat  quisque  fidelis 
Ilic  coro  de  cinere  putri  reparandu  docetur. 
Articulus  ßdei  patet  hie,  quem  siquis  inanem 
Esse  putat,  mortis  tarnen  ad  tormenta  resurget.^ 

Im  Vorstehenden  hätten  wir  in  einigen  ZUgen  den  grossartigen  Kunstreich- 
thum  angedeutet,  den  die  frommen  Vorfahren  mit  lobenswerther  Opferwilligkeit 
aufgeboten  haben,  um  die  Ruhestätte  derjenigen  aufs  prachtvollste  auszuschuiUckeD» 
die  als  Erstlinge  unter  den  Heiden  vom  Stenie  geleitet  wurden,  dem  neugeborenen 
Gottmenschen  den  Tribut  der  Verehrung  und  Anbetung  zu  zollen. 

Die  sterblichen  Ueberreste  dieser  drei  Weisen  ruhen  in  dem  unteren  pracht- 
vollen Hauptschreine,  und  bei  Wegnahme  des  mittleren  Deck  verschlusses  an  der 
vorderen  Hauptfa^ade  des  Reliquiariums  sind  die  drei  Häujrter  derselben  an  grösse- 
ren Festtagen  den  Gläubigen  zur  Verehrung  ersichtlich. 

Bis  zur  französischen  Revolution  ruhte  auf  jedem  dieser  ehrwürdigen  Soliä- 
del  eine  kostbare  Krone  von  je  sechs  Pfund  Gewicht  an  Gold  und  Perlen,  und 
diese  Kronen  waren  mit  einem  reichen  Schmuck  von  edelen  Steinen  auf  das  herr- 
lichste ausgestattet.  Die  Geschichte  gibt  die  näheren  Umstände  nicht  an,  wie  es 
gekommen  ist,  dass  diese  drei  Prachtkronen  gegen  Schluss  des  vorigen  Jahrhun- 
derts auf  der  Flucht  spurlos  verloren  gegangen  sind.  Wahrscheinlich  sahen  sieh 
diejenigen,  deren  Händen  auf  der  Flucht  so  kostbare  Pfänder  anvertraut  waren, 
in  die  traurige  Lage  versetzt,  diese  Kronjuwelen  zu  veräussem,  um  im  Auslande 
ihre  Lebensexistenz  zu  gewinnen,  da  keinerlei  Subsidien  von  der  Heimath  aus 
ihnen  femer  zugehen  konnten.  Die  heutigen  Kronen  haben  wenig  Metallwerth 
und  noch  weniger  Kunstwerth. 

Wir  machen  schliesslich  noch  darauf  aufmerksam,  dass  das  einfache  Gestell, 
worauf  die  Häupter  der  drei  Weisen  mit  unterlegten  kleinen  Seidenkissen  ruhen, 
mit  1 7  Edelsteinen  verziert  ist,  wovon  9  als  sehr  werthvolle  Genauen  und  Camien 
aus  dem  classischen  Zeitalter  anzuführen  sind. 

Um  diese  Reliquienhäupter  vor  unbe&gter  Berührung  sicher  zu  stellen,  hat 
man  bereits  im  vorigen  Jahrhundert  ein  kunstloses  Gitterwerk  in  unschöner,  J^tjl- 
widriger  Form  hier  eingelassen,  welches  stellenweise  mit  alten  unfa^etrirten  Edel- 
steinen in  primitiver  Fassung  besetzt  ist.    Auf  demselben  erblickt  man,  ebenfoH^^ 


DOMSCHÄTZE.  37 

unzweckmässig  an  dieser  Stelle  angebracht,  die  Namenszüge  der  drei  Weisen,  und 
zwar  aus  Rubinen  zusammengesetzt: 

yj Caspar 9  Melchior,  BaUhasar.^ 
In  der  unteren  Vertiefung  dieses  Schreines  sind  ehrfurchtsvoll  die  übrigen 
Gebeine  der  heil,  drei  Könige  beigesetzt,  welche  indessen  nicht  ersichtlich  sind, 
und  woYon  eine  Inschrift  rühmt,   „dass  nichts  davon  entfernt  und  anders  wohin 
gebracht  worden  sei." 

In  dem  oberen  Aufsatze,  welcher  fter  sich  einen  selbstständigen  Reliquien- 
kasten bildet,  sind  die  Ueberreste  der  Märtyrer  und  heil.  Krieger  Felix  und  Nabor, 
wie  vorhin  schon  angedeutet,  eingeschlossen,  die  dem  Martjrrologium  zufolge  unter 
der  Regierung  des  Kaisers  Maximilian  zu  Lodi  um  des  Glaubens  willen  den  Tod 
erlitten,  und  die  zugleich  mit  den  Leibern  der  heil,  drei  Weisen  vom  Erzbischof 
Reinald  von  Dassel  aus  dem  zerstörten  Mailand  nach  Köln  ttberbracht  wurden. 

Am  Schlüsse  unserer  Beschreibung  angelangt,  dürfte  es  wohl  von  nicht  ge- 
ringem Interesse  sein,  den  Ort  und  die  Zeit  näher  zu  ermitteln,  wo  und  wann  das  in 
Rede  stehende  Prachtwerk  mittelalterlicher  (}oldschmiedekunst  seine  Entstehung  ge- 
funden habe,  und  zugleich  auch  auf  die  Parallelen  hinzuweisen,  die  in  der  analogen 
Technik  und  in  verwandter  Form  sich  heute  noch  im  Occidente  erhalten  haben. 

Dass  dieses  hervorragende  Meisterwerk   der  Goldschmiedekunst  in  jener 
Stadt  von  kunstgeübter  Hand  ausgeführt  worden  ist,  wo  sich  heute  noch,  wie  in 
1"  keiner  anderen  Metropole  des  Occidentes,  die  meisten  und  grossartigsten  Ueber- 

^  bleibsel  kirchlicher  Goldschmiedekunst  des  Mittelalters  gerettet  haben,  kann  wohl 

-'  nicht  dem  leisesten  Zweifel  unterliegen.    Schon  aus  dem  Umstände,  dass  sich  in 

den  Mauern  Kölns   noch  bis  zur  Stunde  nach  so  vielen  Stürmen,   Verwüstungen 
>  und  Verschleuderungen  acht  mehr  oder  weniger  in  der  Composition  und  Technik 

gleichartige  hervorragende  Reliquienschreine  vorfinden;  aus  dem  Umstände  femer, 
^.  dass  in  der  nächsten  Umgebung  Kölns  noch  sieben  ähnliche  „arca^^  von  grosser 

r  Voraüglichkeit  und  hoher  technischer  Vollendung  sich  gerettet  haben,  die  sämmt- 

, '  lieh  den  unläugbaren  Tyjms  der  Kölnischen  Formen  und  der  Kölnischen  Meister 

an  der  Stirn  tragen,  glauben  wir  den  naheliegenden  Schluss  ziehen  zu  dürfen,  dass 
auch  der  kostbarste  Reliquienschrein,  den  Köln  aufzuweisen  hat,  gleich  den  übri- 
gen noch  vorfindlichen ,  von  einem  ausgezeichneten  Meister  damaliger  Zeit  im 
alten  Köln  angefertigt  worden  ist.  Auf  Gründe  iussend,  welche  wir  später  an 
anderer  Stelle  beibringen  werden,  glauben  wir  die  Ansicht  aussprechen  zu  dürfen, 
dass  die  Gebilde  an  dem  vorliegenden  Schreinwerke  nicht  von  einem  Laiemnei- 
ster  der  Kölnischen  Goldschmiedekunst,  die  im  XII.  Jahrhundert  noch  nicht  als 
geschlossene  Innung  sich  gebildet  hatte,  sondern  unter  Leitung  und  nach  Angabe 
eines  kunstgeübten  Benedictiners  vielleicht  aus  der  Abtei  von  StPantaleon  zu  Köln  aus- 
geführt worden  ist,  deren  y^opißces  magistri  anjentarü^  in  allen  metallischen  Künsten, 
desgleichen  im  Emailliren  und  Nielliren,  beillhmt  und  sehr  gesucht  waren.  Hin- 
sichtlich der  Zeit  der  Anfertigung  des  Schreines  lässt  sich  eine  möglichst  eng  ab- 
geschlossene Periode  angeben,  in  welcher  dieses  Prachtwerk  der  Goldschmiede- 

* 

kunst  als  ein  würdiges  y^receptaculum^  zur  Auf  bewahrung  so  theuerer  Pf  ander 


38  DOMSCHÄTZE. 

angefertigt  worden  sein  dttrfte.    Da  bekanntlich  aus  der  Kirche  des  heil.  Eustor- 
gius  nach  der  Zerstörung  von  Mailand  im  Jahre  1163  die  Reliquien  der  heil,  drei 
Könige,  die  sterblichen  Ueberreste  der  Märtyrer  Felix  und  Nabor,  so  wie  die  Häup- 
ter der  Macchabäer  vom  Erzbischofe  Reinald  von  Dassel  nach  Köln  übertragen 
wurden,  so  dürften  wohl  noch  einige  Jahre  vergangen  sein,  ehe  man  mit  der  An- 
fertigung eines  prachtvollen  Schreines  zur  Aufbewahrung  jener  Ueberbleibsel  der  drei 
Weisen,  denen  Köln  nicht  nur  seinen  grossen  Ruf  im  Mittelalter,  sondern  auch  den 
Bau  seines  Riesendomes  zu  verdanken  hat,  den  Anfang  gemacht.    Das  scheint 
uns  ziemlich  fest  zu  stehen,  dass,  da  das  getriebene  Brustbild  des  Ueberbringers 
der  oben  erwähnten  Reliquie  aus  Mailand,  Reinald  von  Dassel,  wie  auf  Seite  35 
bemerkt  worden,  auf  dem  einen  Kopftheile  als  freistehende  Figur  vorkommt,  wohl 
mit  Grund  anzunehmen  ist,  dass  bei  Anfertigung  des  Schreines  der  ebengedachte 
gefeierte  Begründer  der  Grösse  Kölns  bereits  mit  Tode  abgegangen  war  und  der 
Geschichte  angehörte.    Durch  die  grossen  Pilgerzttge,  die  nach  der  Ueberbringung 
der  kostbaren  Schätze  aus  weiter  Feme  allseitig  nach  Köln  herbeiströmten  und 
ihre  Opfer  ungemessen  zur  Verherrlichung  dieser  theuren  Pfänder  beibrachten,  ist 
es  erklärlich,  dass  vielleicht  wenige  Jahrzehnte  nach  der  Ueberbringung  durch  diese 
Opfergaben  von  Pilgern  und  reichen  Privaten  theilweise  die  Mittel  zur  Anfertigung 
eines  solchen  kostbaren  Schreines  mit  einem  Prachtaufwande  und  einem  Umfange, 
wie  die  christliche  Welt  deren  keinen  zweiten  aufzuweisen  hatte,  aufgebracht  waren. 
Es  dürfte  also  die  Anfertigung  des  besagten  Reliquienschreines  nach  unserem  Da- 
fürhalten in  den  Beginn  der  neunziger  Jahre  des  Xn.  Jahrhunderts  zu  setzen  sein, 
so  dass  bei  der  Wahl  und  Krönung  Otto's  IV.  1 198  durch  den  Erzbischof  Adolph 
von  Köln,  von  Seiten  dieses  gewählten  und  gekrönten  deutschen  Königs,  vielleicht 
zur  Vollendung  des  goldenen  Prachtwerkes  ein  nicht  unbedeutender  Beitrag  gelei- 
stet worden  sein  mochte.  Deswegen  ist  ihm  auch  gleichsam  als  Donator  die  Ehre 
widerfahren,  dass  er  späterhin  an  der  vorderen  Hauptfa^ade,  wie  oben  bemerkt, 
gleichsam  als  vierter  der  anbetenden  und  opfernden  Könige  in  Relief  dargesteUt 
wurde,  wie  er,  ein  Kästchen  mit  Gold  haltend,  sich  bestrebt,  die  Grabesstätte  der- 
jenigen zu  verherrlichen,  die  in  der  Fülle  der  Zeiten  mit  Gold,   Weihrauch  und 
Myrrhen,  dem  neugeborenen  Heiland  als  König,  Gott  und  als  Mensch  in  ihren  €re- 
schenken  zu  huldigen,  aus  weiter  Ferne  gekommen  waren.    Ob  durch  diesen  rei- 
chen Beitrag  Otto's  IV.  vielleicht  die  vordere  Hauptfa^de  des  Kopftheiles  in  gedie- 
genem Grolde  angefertigt  worden  ist,  kann  heute  nicht  mit  Sicherheit  nachgewie- 
sen werden. 

üVenn  es  auch,  bei  dem  Fehlen  von  genaueren  geschichtlichen  Daten,  heute 
schwieriger  ist,  zu  bestimmen,  ob  der  Prachtschrein  der  heil,  drei  Könige  in  dem 
engen  Zeiträume  von  wenigen  Jahren  oder  überhaupt  in  zwei  getrennten  Zeit- 
epochen  zur  Ausfhhrung  gekommen  ist,  so  hat  uns  doch  eine  mehrtägige  genauere 
Besichtigung  und  ein  eingehendes  Detailstudium  der  schönen  Fomibildungen  des 
besagten  Schreines  die  volle  Ueberzeugung  beigebracht,  dass  der  mehrgemeldete 
Reliquieuschrein  vollständig  in  allen  seinen  Theilen  mit  dem  Schlüsse  der  romani- 
schen Kunstepoche   zur  Vollendung  gekommen  ist,   und  dass  in  der  folgenden 


DOMSCHÄTZE.  39 

gothischen  Eunstperiode  kein  ergänzender  wesenflicher  Theil  hinzugefügt  wurde. 
Gleichwie  die  Kirchen  von  St.  Gereon  und  St  Cunibert  zu  Köln  in  ihren  charak- 
terisüschen  Formen  theilweise  die  Hartnäckigkeit  der  alten  ttberlieferten,  auf  das- 
sisehen  Grundformen  beruhenden  architectonischen  Bildungen  erkennen,  theilweiBC 
aber  auch  den  unleugbaren  allmäligen  Einfluss  der  in  Bildung  begriffenen  Spitz- 
bogenformen ziemlich  stark  durchblicken  lassen,  so  charakterisiren  gleichfalls  nicht 
nur  die  Grundanlage  des  vorliegenden  goldenen  Bauwerkes,  sondern  vorzüglich 
eine  Menge  von  Detailformen  jene  interessante  Periode  der  Kölnischen  Goldschmiede- 
kunst, wo  die  Formen  des  herrschenden  Tagesstyles  in  ihrer  höchsten  Entwicke- 
lung  schon  leise  das  Eindringen  eines  neuen  Kunstsiyles  zu  erkennen  geben,  und 
man  möchte  daher  nicht  mit  Unrecht  das  gelungene  Product  der  Goldschmiede- 
kunst im  nordwestlichen  Europa  als  ein  Meisterwerk  des  „Uebergangsstyles'^  zu 
benennen  berechtigt  sein.  Namentlich  verrathen  die  prachtvoll  getriebenen  sitzen- 
den Statuetten  der  Apostel  und  Propheten  an  den  beiden  Langseiten  des  Reliquien- 
schreines ein  grosses  Streben  nach  Naturwahrheit  und  Individualisirung ,  und  die 
mit  grösserem  Verständniss  der  körperlichen  Formen  behandelten  Bildwerke,  so- 
wie der  zierlich  nach  der  Natur  behandelte  Faltenwurf  zeigen ,  dass  der  Künst- 
ler, von  dem  die  Composition  der  ebengedachten  Bildwerke  henrtthrt,  vollständig 
mit  den  Ueberlieferungen  der  typischen  byzantinischen  Darstellungsweise  gebrochen 
und  Formen  zu  Wege  gebracht  hatte,  die  als  Uebergänge  zu  betrachten  sind  zu 
den  zarteren  Compositionen  und  lebensvolleren  Darstellungen,  wie  der  Bildhauer 
dieselben  in  der  Blttthezeit  der  Gothik  zu  gestalten  wusste. 

Wie  schon  im  Vorhergehenden  bemerkt  worden  ist,  hat  das  ^scrüuum  trium 
regum^  in  verschiedenen  Zeitläufen  mehrere  sogenannte  Restaurationen  erfahren, 
die  vom  Standpunkte  einer  auch  nur  gelinden  Kunstkritik  eher  als  De- 
vastationen  bezeichnet  werden  müssen.  Die  erste  derartige  Wiederherstellung 
scheint  niach  einem  Brande  im  XVI.  Jahrhundert  erfolgt  zu  sein,  wodurch  der 
Schrein  selbst  in  einzelnen  wesentlichen  Theilen  beschädigt  worden  ist.*)  Gleich 
nach  diesem  Brandungltlck  und  als  Folge  davon  scheint  man  unter  dem  Kurftü^ 
sten  Maximilian  Heinrich  aus  dem  Hause  Baiem  eine  eigene  Capelle  mit  feuer- 
fester Wölbung  in  dem  Abschlusschörchen  hinter  dem  Hochaltar,  wo  sich  dieser 
Einbau  im  überladenen  Renaissancestyl  heute  noch  befindet,  errichtet  zu  haben.  **) 


*)  Wie  der  bekannte  Forscher  der  Kölnischen  Specialgeschichte,  Freiherr  von  Mering,  uns  mit- 
zutheilen  die  Gewogenheit  hatte,  wurden  bei  diesem  Brande  die  Reliquien  der  heiligen  drei  Könige 
und  einzelne  Kleinodien  des  Schreines  in  die  Wohnung  eines  seiner  Ahnen,  des  damaligen  Domherrn 
▼on  Mering,  gefluchtet,  wo  sie  wahrscheinlich  bis  zu  der  gleich  darauf  erfolgten  Wiederherstellung  des 
Schreines  verblieben. 

**)  Dem  Berichte  Crombach's  zu  Folge  befand  sich  ehemals  in  demselben  MuttergotteschOrchen 
der  Schrein  der  heil,  drei  Könige  frei  aufgesteUt  und  nach  aUen  Seiten  von  einem  schweren  eisernen 
Gitter  umgeben,  wahrscheinlich  in  ähnlicher  Weise,  wie  wir  heute  in  der  Sakristei  der  prachtvollen 
St.  Elisabethenkirche  zu  Marburg  den  reichen  kostbaren  St.  Elisabethenschrein  aufgestellt  und  von 
einem  kunstreich  gebildeten  Eisengitter  nach  allen  Seiten  so  verschlossen  fanden,  dass  die  Besichtigung 
des  Schieines  nicht  erschwert,  jedoch  auch  die  sichere  Aufbewahrung  desselben  nicht  im  Mindesten 
gefährdet  war. 


40  DOMSCHÄTZE. 

Wahrscheinlich  ist  es  nun,  dass  nach  diesem  Brande  eine  Wiederher- 
stellung der  vorderen  Hauptseite  des  Schreines,  namentlich  aber  auf  dem  beweg- 
lichen Deckverschlusse  desselben  in  jenen  überladenen  Formen  des  Bococcostyles 
erfolgt  ist,  auf  die  wir  schon  vorhin  in  der  Beschreibung  vorübergehend  aufmerk- 
sam gemacht  haben.  Mit  dem  Eintritt  der  grossen  französischen  Staatsumwälzung, 
die  die  RechtsbegriflFe  in  so  vielen  Köpfen  damaliger  Zeit  in  Verwirrung  gebracht 
hatte,  wäre  auch  die  kostbare  Grabesstätte  der  Schutzpatrone  Kölns  ein  Baub 
der  Fremden  geworden,  wenn  nicht  im  Jahre  1794  das  damalige  Capitel  die  Vor- 
sorge getroflfen  hätte,  den  Schrein  in  seine  einzelne  Theile  zerlegen  zu  lassen. 
Diese  Bruchtheile  wurden  zugleich  mit  den  übrigen  Schätzen  der  Sakristei 
zuverlässigen  Männern  anvertraut,  die  mit  denselben  nach  Westphalen  flüchte- 
ten und  so,  fem  von  der  Bheingrenze,  auf  neutrales  Gebiet  dieselben  in  Sicherheit 
brachten.  Als  die  Zeiten  sich  wieder  ruhiger  gestalteten,  da  erlebte  im  Jahre  1 804 
die  alte  Metropole  Köln  die  Freude,  dass  im  festlichen  Triuraphzuge  die  Gebeine 
der  obengedachten  Stadtpatrone,  sowie  das  kostbare  Schreinwerk,  wenn  auch  in 
viele  Theile  zerlegt  und  vielfach  beschädigt,  in  die  Halle  des  Domes  wieder  zurück- 
geführt wurden.  Jener  patriotische  Kölner,  den  die  Geschichte  seiner  Vaterstadt 
als  Beschützer  und  Erretter  zahlreicher  vaterländischer  Kunstdenkmäler  fort- 
während mit  Verehrung  nennen  wird,  erhielt  bei  Zurückführung  der  Reliquien- 
schätze den  ehrenvollen  Auftrag,  die  Aufstellung  und  Wiederherstellung  des  vor- 
liegenden Reliquienkastens  zu  leiten  und  zu  überwachen.  Wallraff  übertrug  diese 
Wiederherstellungsarbeiten  einem  damaligen  bewährten  Meister  der  Kölnischen 
Goldschmiedezunft  Pollak  und  seinen  Söhnen.  Da  aber  Wallraff  als  Sohn  sei- 
ner Zeit  die  classische  Antike  als  das  Ideal  aller  Kunst  betrachtete  und  der  gan- 
zen  Zeitrichtung  Sinn  und  Verständniss  der  romanischen  christlichen  Kimstformen 
dunkel  und  verschlossen  war,  so  konnte  damals  an  eine  gründliche,  stylgetreue 
Wiederherstellung  des  Dreikönigenkastens  im  Sinne  seiner  ersten  Verfertiger  nicht 
im  entferntesten  gedacht  werden,  und  ist  deswegen  die  Restauration,  die  von  Mei- 
ster Pollak  vorgenommen  wurde,  als  eine  durchaus  misslungene  und  stylwidrige, 
zu  beklagen,  wie  das  alle  Zuthaten  und  Detailformen,  die  von  Pollak  herrühren, 
nur  zu  deutlich  bekunden.  Unbegreiflich  aber  bei  dieser  sonderbaren  Restauration 
ist  der  Umstand,  dass  man  sich  bei  dieser  letzten  unglücklichen  Zusammensetzung 
veranlasst  sah,  den  Schrein  der  heil,  drei  Könige  in  seinen  wesentlichen  Theilen 
zu  alteriren,  einzelne  Compartimente  ausfallen  zu  lassen  und  in  die  Proportionen  und 
Dimensionen  desselben  störend  und  ändernd  einzugreifen.  Man  hat  nämlich  bei  die- 
ser letzten  Zusammenstellung  mitten  an  den  Langseiten  des  Schreines  eine  Bogenstel- 
lung  in  der  ganzen  Höhe  des  Schreines  ausfallen  lassen,  wodurch  selbstverständlich 
auch  vier  dazu  gehörige  Statuetten  von  sitzenden  Heiligenfiguren  fortgefallen  sind,  wie 
wir  das  schon  vorhin  gerügt  haben.  Die  Gründe  zu  dieser  unverzeihlichen  Modification  in 
den  Hauptforraen  des  prachtvollen  Reliquienschreines  sind  uns  unbekannt,  und  wollen 
wir  zur  Entschuldigung  annehmen,  dass  vielleicht  einzelne  Figuren  auf  der  Flucht 
abhanden  gekommen  waren,  oder  so  stark  beschädigt  gewesen  sein  mochten,  dass 
man  an  einer  Wiederherstellung  derselben  zu  zweifeln  Grund  zu  haben  vermeinte. 


DOMSCHÄTZE.  41 

Trotz  der  Vorsorge  WallrafiPs  Hessen  sieh  bei  dieser  Aufstellung  auch  die  vielen 
früher  angegebenen  Emailinschriften  nicht  so  ordnen,  wie  sie  von  den  ersten  An- 
fertigem des  prachtvollen  Schreines  aufgestellt  und  in  richtiger  Aufeinanderfolge 
angeordnet  worden  sind.  Am  meisten  aber  muss  beklagt  werden,  dass  die  Wieder- 
hersteller des  Reliquienschreines  zu  Anfange  dieses  Jahrhunderts  unbegreiflicher 
Weise  sich  veranlasst  sahen,  auch  die  getriebenen  Bildwerke  als  Basreliefs,  womit, 
nach  unserem  Daftlrhalten,  die  Quadraturen  sämmtlicher  Bedachungsflächen  des 
doppelten  Reliquienschreines  kunstreich  überdeckt  und  verziert  waren,  beseitigten 
imd  durch  auf  Metallbleche  gemalte,  reich  scenerirte  Malereien  ergänzen  liessen, 
die,  wenn  auch  von  einem  tüchtigen  KünsÜer  der  damaligen  Zeit  grOsstentheils 
nach  bekannten  Vorbildern  von  Raphael  aus  den  Logen  des  Vaticans  angefertigt, 
dennoch  mit  den  altehrwürdigen  Grundformen  des  besagten  Schreines  im  grellsten 
Widerspruch  standen.  Wir  lassen  hier  die  Frage  unerörtert,  ob  an  diesen  Stellen 
ähnliche  Bildwerke  vielleicht  in  grossen  emaillirten  Platten  kunstreich  dargestellt, 
ähnlich  wie  wir  dieselben  heute  am  Reliqiuenschreine  des  heil.  Heribert  als  grosse 
Rundmedaillons  noch  be wundem,  sich  ehemals  befunden  haben,  oder  ob,  was  uns 
wahrscheinlicher  erscheint,  nach  Analogie  der  meisten  Reliquienschreine  aus  dieser 
Epoche  an  dieser  Stelle,  wie  wir  oben  andeuteten,  aus  dünnem  Silberbleeh  getrie- 
bene Scenerien  angebracht  waren,  wie  das  die  unkritische  Beschreibung  von  Vogel  aus 
dem  vorigen  Jahrhunderte  anzudeuten  scheint.  Dass  überhaupt  diese  fraglichen 
Theile  des  Reliquienkastens  ehemals  anders  kunstreich  ausgestattet  waren  und 
nach  der  Wiederherstellung  die  öffentliche  Meinung  in  Köln  sich  unvortheilhaft 
über  diese  beliebte  Neuerung  an  dem  Schreine  ausliess,  lässt  sich  schon  aus  dem 
Umstände  entnehmen,  dass  nach  der  Aussage  eines  glaubwürdigen  Geschichts-  und 
Kunstforschers,  dem  wir  diese  Notiz  verdanken,  es  nach  dieser  Wiederherstellung 
und  Neuerung  allgemein  in  Köln  verlautete,  „die  früheren  Darstellungen  und  Bild- 
werke wären  doch  viel  schöner  gewesen." 

Noch  eine  dritte  gefahrvolle  Katastrophe  hatte  der  Schrein  der  heil  drei 
Könige  in  neuerer  Zeit  zu  bestehen.  Es  war  im  Jahre  1827,  als  es  ein  frecher 
Dieb  wagte,  sich  Abends  im  Dome  einschliessen  zu  lassen,  um  einen  Raub  an  dem 
kostbaren  Behälter  zu  begehen.  Wirklich  gelang  es  ihm,  durch  die  damals  leider 
nicht  verschlossenen  Gitter  der  Dreikönigencapelle  einzusteigen  und  den  Schrein 
mit  Gewalt  seiner  werthvollen  Goldbleche  und  Kleinodien  zu  entkleiden.  Die  Kir- 
chendiener sahen  mit  Entsetzen  früh  Morgens  den  Frevel,  der  an  heil.  Stätte  ver- 
übt worden  war,  während  es  dem  Kirchendiebe  gelang,  bei  dem  Dunkel  der  Friihe 
mit  seinem  Raube  aus  der  geöfineten  Kirche  zu  entwischen.  Was  von  Menschen- 
händen nicht  vorsichtig  genug  verschlossen  und  verwahrt  worden  war,  schien  von 
der  wachenden  Vorsehung  vor  seinem  gänzlichen  Verschwinden  beschützt  zu  wer- 
den. Der  Frevler  hatte  nämlich,  wir  wissen  nicht,  aus  welchen  Gründen, 
die  gestohlenen  Gold-  und  Silberbleche  in  einem  Felde  vor  Köln,  nahe  bei  Mela- 
ten,  vergraben,  und  die  später  hinzugefügten  Kronen,  nachdem  er  sie  als  unächt 
und  werthlos  erkannt  hatte,   auf  demselben  Felde  weggeworfen.    Diese  Kronen 

wurden    gleich    darauf    gefunden,    und    verhalfen    auch    zur   späteren    Au£Bn- 

6 


42  DOMSCHÄTZE. 

dung  der  übrigen  gewaltsam  entfremdeten  Kostbarkeiten.  —  Durch  diesen  yertib- 
ten  Frevel  hat  in  neuester  Zeit  das  prachtvolle  Schreinwerk  abermals  sehr  gelitten ; 
obschon  die  abgerissenen  Goldbleche  und  kunstreichen  Bekleidungen  gleich  wie- 
der nach  ihrer  Auffindung  hinzugefügt  worden  sind,  so  kann  man  doch  noch  heute 
in  der  Zusanunenftigung  deutliche  Spuren  dieser  Beraubung  und  Entstellungen 
erkennen. 

Bei  Besprechung  der  \ielen  Vorzüge  des  in  Rede  stehenden  prachtvollen 
Reliquienschreines  erübrigt  es  noch,  auf  einige  Parallelen  aufmerksam  zu  machen, 
die  in  Hinsicht  ihrer  delicaten  technischen  Ausfiihrung  und  Grossartigkeit  der  Com- 
Position  einige  Aehnlichkeit  mit  dem  vorliegenden  Prachtwerke  der  Kölnischen 
Goldschmiedekunst  aufzuweisen  haben.  Anstatt  diese  Aehnlichkeit  an  kirchlichen 
Kunstschätzen  aus  weiter  Feme,  namentlich  an  den  beiden  Hauptmeisterwerken 
kirchlicher  Goldschmiedekunst  in  Italien,  der  bekannten  Palla  d'oro  in  St  Marco 
zu  Venedig  und  den  in  Gold  getriebenen  ähnlichen  Altarbekleidungen  von  St  Am- 
brogio  in  Mailand,  nachzuweisen,  wollen  wir  unsere  Analogien  mehr  in  der  Umge- 
bung aufsuchen,  und  verweisen  desw^egen  auf  die  beiden  kostbaren  Reliquien- 
schreine, wie  dieselben  als  hervorragende  Meisterwerke  der  Goldsehmiedekunst 
des  Xn.  Jahrhunderts  dem  Schatze  des  Münsters  zu  Aachen,  der  alten  Krö- 
nungskirche deutscher  Könige,  zur  Zierde  gereichen,  desgleichen  auf  den  pracht- 
voll in  getriebenen  Goldblechen  verzierten  „amÄö",  der  heute  noch  zur  Absingung 
des  Evangeliums  an  hohen  Festtagen  in  der  ebengedachten  Stiftskirche  benutzt 
wird.'  Sowohl  diese  beiden  Reliquienschreine,  als  auch  das  gedachte  ,Jectorium*\ 
haben  von  Meisterhand  unter  der  Regierung  der  letzten  Hohenstaufen  zweifels- 
ohne von  Kölnischen  Goldschmieden  ihre  Entstehung  gefunden.  Auch  in  dem 
nahen  Belgien  haben  sich  noch  vereinzelt  drei  grössere  Reliquienschreine  erhalten, 
die  ebenfalls  aus  dem  XH.  Jahrhundert  herrühren  und  verwandte  Formen  zeigen 
mit  denen,  die  wir  an  dem  eben  beschriebenen  goldenen  Mausoleum  der  drei  Kö- 
nige bewundem.  Es  sind  das  die  grösseren  Reliquienschreine  in  der  Cathedrale  zu 
Toumay,  in  der  vormaligen  Stiftskirche  zu  Huy  an  der  Maas  und  der  reiche  Reli- 
quienschrein des  heil.  Servatius  in  der  Kirche  des  gleichen  Namens  zu  Mastricht 
Auch  der  Reliquienschrein  in  Siegburg,  worin  die  irdischen  Ueberreste  des  grossen 
Anno,  dessen  Ehre  in  letzter  Zeit  durch  eingehende  Geschichtsforschungen  glänzend 
gerettet  worden  ist,  sich  befinden,  hat  trotz  seiner  heutigen  Entstellung  viele  Analo- 
gien mit  dem  Dreikönigenschreine  aufzuweisen.  Von  den  Vielen  reichen  Reliquienschrei- 
nen, die  Köln  noch  vor  der  französischen  Revolution  aufzuweisen  hatte,  mögen  meh- 
rere wohl,  aus  der  gleichen  Kunstepoche  stammend,  von  ähnlicher  formeller  Beschaf- 
fenheit mit  dem  Domschreine  gewesen  sein.  Der  reichste  und  kostbarste  dieser  Reli- 
quienschreine war  jedenfalls  das  grossartige  Schreinwerk,  worin  die  Gebeine  des 
heiligen  Severin  in  der  Stiftskirche  des  gleichen  Namens  beigesetzt  waren.  Auch 
dieser  Schrein,  ganz  in  Goldblech  getrieben,  ist  in  den  politischen  Umwälzungen 
zu  Anfange  dieses  Jahrhunderts  unwiederbringlich  in  die  Schmelze  gewandert 

Am  meisten  Aehnlichkeit  mit  dem  oben  beschriebenen  j^scrmium  trhtm  regum^ 
zeigt  der  grossartige  und  prachtvolle  Reliquienschrein,  worin  ehemals  die  Gebeine 


DOMSCHÄTZE.  43 

der  heil.  Elisabeth ,  Landgräfin  von  Hessen  und  Thüringen,  geruht  haben.  Diese 
kostbare  ,,tumba"  wird  heute  noch  von  Freunden  mittelalterlicher  Kunst  in  der 
bekannten  Elisabethenkirche  zu  Marburg  vielfach  bewundert.  *)  Der  Zeit  nach  dürfte 
derselbe  nur  um  einige  Jahrzehente  später  als  der  Dreikönigenkasten  angefertigt 
worden  sein.  Was  den  grossartigen  Schmuck  der  vielen,  mit  höchster  Vollendung 
getriebenen,  silbervergoldeten  Statuetten  betrifft,  die  nach  vier  Seiten  den  Elisa- 
bethenschrein zieren,  so  nehmen  wir  keinen  Anstand,  hier  die  Behauptung  auszu- 
sprechen, dass  diese  kunstreich  getriebenen  Bildwerke,  die  12  Apostel  vorstellend, 
sowie  der  reiche  Schmuck  der  ciselirten  Laubarbeiten  mit  den  vielen  getriebenen 
Omamentationen ,  die  wir  am  Reliquiensehreine  der  heil,  drei  Könige  bewundem, 
in  nächste  Verwandtschaft  zu  setzen  sind. 

Da  bei  der  Grundanlage  des  heutigen  Domes  das  ebenbeschriebene  Reli- 
quiar  bereits  in  seiner  Vollständigkeit  prangte,  und  die  Schätze,  die  dasselbe  barg, 
eine  grosse  Menge  von  Pilgern  von  allen  Seiten  in  die  Metropole  des  Rheines  hin- 
zogen, so  entsteht  die  Frage,  die  wir  hier  vorübergehend  nur  in  Kürze  berühren 
wollen:  wo  beabsichtigte  der  Erbauer  des  Domes  bei  seiner  Grundanlage  den  Reli- 
quienschrein mit  den  Gebeinen  der  drei  Weisen,  das  Palladium  Kölns,  aufzustellen? 
Dass  er  bei  der  Vollendung  des  Chores  heute  in  der  siebenten  Abschlusscapelle, 
die  gewöhnlich  in  den  älteren  verwandten  Domen  Frankreichs,  als  Mariencapelle, 
der  Himmelskönigin  geweiht  ist,  in  alter  Zeit  eine  blos  vorübergehende,  provisori- 
sche Aufttellung  gefunden  habe,  mag  wohl  ziemlich  einleuchtend  sein.  In  neue- 
ster Zeit  haben  angesehene  in-  und  ausländische  Archäologen  betreffs  der  Aufstel- 
lung des  obenbeschriebenen,  unvergleichlichen  Schreinwerkes  ihre  Ansicht  dahin 
ausgesprochen,  dass  es  Absicht  der  ersten  Bauherren  gewesen  sein  dtlrfte,  den 
Reliquienkasten  unmittelbar  hinter  dem  Pfarraltare,  unter  der  Wölbung  des  Lett- 
ners, der,  wie  an  allen  grösseren  Gathedralen  des  Mittelalters,  den  Chor  als  inne- 
res Presbyterium  vom  Langschiffe  trennt,  so  au&ustellen,  dass  hinter  einem  wohl- 
versicherten und  verschlossenen  Gitterwerk  der  kostbare  Schrein  an  Festtagen  nach 
dem  Fortziehen  der  inneren  Vorhänge  den  Blicken  der  Gläubigen  von  allen  Sei- 
ten zugänglich  sein  könnte.  Wie  Einige  wollen,  sollte  es  auch  beabsichtigt  gewe- 
sen sein,  den  Schrein  und  seinen  Inhalt  unmittelbar  unter  dem  Kuppelthurme  der 
Vierung  des  Kreuzes  aufzustellen,  und  zwar,  wie  das  auch  in  St.  Peter  zu  Rom 
heute  an  derselben  Stelle  der  Fall  ist,  in  einem  unterirdischen  Grabgewölbe,  dajs 
durch  brennende  Ampeln  erleuchtet  werden  müsste.  Unstreitig  dürfte  nach  der 
nächstens  bevorstehenden  Forträumung  der  störenden  Sperrwand  sich  keine  wür- 
digere und  passendere  Stelle  in  dem  vollendeten  Dome,  als  für  sich  abgeschlosse- 
nes und  doch  allgemein  sichtbares  „receptaeulam**  der  heil,  drei  Könige,  ergeben. 


*)  Leider  hat  religiöse  Undtüdsamkeit  in  den  Tagen  der  Humanisten  die  irdischen  Ueber- 
reste  der  grossen  Ahnfrau  der  hessisch  -  thüringischen  Fttrstendynastie  aus  der  kostbaren  Truhe  ent- 
fernt und,  damit  kein  Aberglaube  mit  den  Gebeinen  seiner  ,, lieben  Muhme"  getrieben  wUrde,  an  un- 
bekannter Stelle  in  der  Unterkirche  yergraben  lassen.  Die  Geschichte  nennt  diesen  Mann,  der  den 
fraglichen  kostbaren  Schrein  seines  werthyolleren  Inhaltes  beraubte,  Landgraf  Philipp,  mit  dem  Bei- 
namen den  Grossmttthigen. 


44  domschXtze. 

als  an  ebengedachter  Stelle  mitten  zwischen  den  beiden  Haupteingangsthttren ,  die 
unter  dem  Lettner  den  Eingang  in  das  hohe  Chor  veimitteln.  Hoffentlich  wird 
A^k^djinTi  auch  bei  dieser  nothwendigen  Uebertragung  und  wttrdigen  Aufstellung  des 
prachtvollen  Reliquienschreines  in  nicht  zu  femer  Zukunft  das  Schreinwerk  selbst, 
welches  die  irdischen  Ueberbleibsel  der  Patrone  des  erhabenen  Bauwerkes  umfasst, 
von  kunstgettbter  Meisterhand  in  allen  seinen  Theilen  eine  solche  durchgreifende 
Wiederherstellung  erfahren,  dass  dadurch  eine  harmonische  Uebereinstimmung  und 
Gesammtwirkung  in  allen  seinen  einzelnen  Theilen  im  Greiste  seines  ersten  Schöpfers 
herbeigetührt  werden  wird.  Durch  eine  solche  styl-  und  kunstgerechte  Wiederher- 
stellung dürften  dann  für  immer  die  Mängel  und  Entstellungen  der  zwei  letzten  so- 
genannten Restaurationen  beseitigt  werden. 


45. 

Erzbischöflieher  Kmmmsftab, 

in  Silber  vergoldet,  mit  reichen  durchsichtigen  Schmelzen. 

XrV.  Jahrhundert.    GrOsste  Länge  1  Meter  9  Deoimeter.    Lllnge  der  Röhre  1  Meter  4S  Centimeter.   LKnge 
des  oberen  Aufsatzes  mit  der  Krllmme  43  Centimeter.    Orösster  Durchmesser  der  Krflmme  1 1  Centimeter. 

Von  den  reichen  Domschätzen,  die  vor  der  französischen  Invasion  die  alte 
Metropole  Kölns  in  Besitz  hatte,  sucht  man  nach  dem  grossartigen  Beliquienschreine 
der  heil,  drei  Könige  vergeblich,  unter  den  heute  noch  erhaltenen  Schätzen  des 
Mittelalters,  nach  einem  Kunstwerke  aus  der  Blttthezeit  des  Kölnischen  Goldschmiede- 
gewerkes,  das  hinsichtlich  seiner  schönen  und  edlen  Composition,  sowie  in  Rücksicht 
der  ausgezeichnet  gelungenen  technischen  Ausftlhrung  mit  dem  vorliegenden  Stabe 
der  alten  Kölnischen  Erzbischöfe  einen  Vergleich  eingehen  könnte.  Nachdem  wir 
die  meisten  kirchlichen  Kuustschätze  des  stidwestlichen  Europa's  aufmerksamer 
besichtigt  und  erforscht  haben,,  fügen  wir  zu  dem  eben  Gesagten  die  Behauptung 
hinzu,  dass  sich  heute  in  Gathedralschätzen,  sowie  in  Privatsammlungen,  nicht 
ein  ähnliches  Kunstwerk  dieser  Gattung  mehr  vorfindet,  das  einen  Vorrang  vor 
diesem  prachtvoll  ausgestatteten  Hirtenstabe  beanspruchen  dtii-fte.  Der  Krummstab 
der  ehemaligen  Churfbrsten  Kölns,  wie  er  sich  heute  noch  trotz  der  vielen  Stürme  in 
ziemlich  gut  erhaltenem  Zustande  vorfindet,  stammt  aus  jener  interessanten  Periode 
der  Kölnischen  Goldschmiedekunst,  wo  der  ,^aurifaher^  zur  Ausstattung  seines 
Kunstwerkes  nicht  nur  von  der  Architectur,  so  viel  es  seinen  Zwecken  diente, 
die  Ornamente  entlehnte,  sondern  wo  er  auch  seine  aus  der  romanischen  Kunst- 
epoche ererbte  manuelle  Fertigkeit  in  Darstellung  von  vielfarbigen  Emails  zur 
Ausschmückung  der  flachen  Theile  ausnehmend  gut  zu  benutzen  wusste.  Zu 
diesen  eben  genannten  technischen  Verzierungsweisen  brachte  der  Goldschmied 
ausserdem  auch  noch  kunstreich  ciselirte,  figurale  und  omamentale  Detailbildungcu 


DOMSCHÄTZE.  45 

zur  Ausstattung  seines  Pracbtwerkes  in  Anwendung.  Der  vorliegende  Bischofsstab 
besteht  aus  zwei  zusammengehörigen  Haupttheilen ,  der  oberen  Krümme  mit  dem 
Ansätze  des  Stieles  und  dem  Stender,  der  Röhre,  die  vermittelst  einer  einfachen 
Vorkehrung  mit  dem  oberen  Aufsatze  in  Verbindung  gebracht  werden  kann.  Bei 
der  folgenden  Beschreibung  wollen  wir  zunächst  den  Stab  (canna^  fistula)  näher  in 
Betracht  ziehen.  Dieser  Stab,  der  noch  vollständig  seine  primitive  Form  auch  in 
der  unteren  Spitze  bewahrt  hat,  zeigt  deutlich  an,  dass  bei  Anfertigung  dieses  Hir- 
tenstabes die  älteren  liturgischen  Gesetze  vom  Groldarbeiter  beobachtet  und  in  An- 
wendung gebracht  worden  sind,  nach  welchen,  den  Angaben  des  gelehrten  Litur- 
g^kers  Durandus,  Bischofs  von  Mende  zufolge,  der  Bischofsstab  aus  drei  wesentlichen 
Stächen  bestehen  musste:  der  unteren  Spitze,  dem  mittleren  Stabe  und  dem  obe- 
ren Aufsatze  der  Krttmme.  Es  sollte  nämlich  der  Bischofsstab  in  diesen  drei  ver- 
schiedenen Theilen  symbolisch  die  Machtvollkommenheit  und  die  Befugnisse  des 
bischöflichen  Hirtenamtes  andeuten.  Da  er  vermöge  seines  Amtes  als  Hirt  einer 
geistigen  Heerde  bestellt  war,  so  sollte  den  Anschauungen  der  älteren  Symboliker 
zufolge  die  obere  Krttmme  des  Hirtenstabes  dazu  dienen,  um  die  Zaudernden  und 
nicht  Wollenden  mit  der  Krttmme,  gleichsam  mit  leiser  Gewalt,  an  sich  zu  ziehen.  Der 
Langstab,  den  der  Bischof  beim  Tragen  des  Stabes  stützend  in  die  Hand  nahm, 
sollte  sein  Regiment  als  Ftthrer  und  Leiter  der  ihm  untergebenen  Heerde  kenn- 
zeichnen. Die  Spitze  endlich  des  Stabes  (Stimulus)  sollte  das  Zeichen  seines  Richteramtes 
sein,  wodurch  er  die  nicht  Wollenden,  die  Widerspenstigen  gleichsam  wie  mit  einem 
Sporn  zum  Gehorsam  antriebe.  Auf  diese  mystische  Erklärung  des  Bischofsstabes 
scheint  auch  hinzudeuten  jener  sinnreiche  Spruch,  der  sich  auf  älteren  bischöflichen 
Stäben  eingravirt  vorfindet  und  da  lautet: 

Attrahe  per  prmum. 

Per  medium  rege, 

Pars  ultima  pungit 
Die  untere  Spitze  des  vorliegenden  Prachtstabes,  worauf  der  Schluss  des 
vorstehenden  Verses  anzuwenden  ist,  hat  auch  in  artistischer  Beziehung  ihre 
formelle  Ausbildung  und  Entwickelung  gefunden.  Dieselbe  ist  im  Sechseck  an- 
gelegt und  mit  schön  profilirten  Knäufen  versehen,  in  der  grössten  Länge  von 
fast  13  Centimeter.  Als  Strafinstrument  entbehrt  sie  auch  nicht  an  dem  oberen 
Abschlüsse  einer  eisernen  Spitze,  die  beim  praktischen  Gebrauche  auch  noch  den 
Zweck  hatte,  beim  Aufsetzen  des  Stabes  einen  leichteren  Haltpunkt  in  dem  Stein- 
gefttge  des  Bodens  zu  finden.  Der  Stab  selbst,  kreisförmig  gehalten,  besteht  aus 
3  Abtheilungen  von  ziemlich  gleicher  Länge,  die  durch  einfoche  profilirte  Ringe 
abgetheilt  und  in  Verbindung  gesetzt  sind.  Besonders  prachtvoll  und  kunstreich 
ausgestattet  stellt  sich  dieser  Stab  in  seinen  einzelnen  omamentalen  Theilen  her- 
aus. Den  ganzen  Stab  entlang  reihen  sich  nämlich  rhomboidenförmig  verbimdene 
Quadrate  aneinander,  erhaben  hervorspringend,  in  deren  Ränder  emaillirte  vier- 
eckige Plättchen  im  grössten  Durchmesser  von  3V2  Centimeter  eingelassen  sind. 
In  jeder  Abtheilung  dieses  Langstabes  zählt  man  auf  jeder  Seite  je  1 0  dieser  email- 
lirten  Schildchen,  so  dass  der  ganze  Stab  mit  60  solcher  eingeschmelzten  Silberbleche 


46  DOMSCHÄTZE. 

gleichnütosig  belegt  ist  Die  ttbrigen  Flächen  des  Stabes  hat  der  Künstler  dareh 
in  Silber  getriebene  Laubomamente  passend  verziert,  und  zwar  erheben  sieh  in 
gleich  grossen  Quadraten,  gleichfalls  60  an  der  Zahl,  auf  einem  gekörnten  Tief- 
gininde  vier  zierliche  Blättchen  in  schöner  Bewegung  und  Stylisirung^  die  dem 
Laub  des  Pfeilkrautes*  (sagütaria)  ähnlich  sind.  Das  Email  selbst  zeigt  ein  immer 
wiederkehrendes  Ornament  in  Form  eines  Kreuzes,  das  mit  dem  Zirkel  gebildet 
worden,  und  in  seinen  Kreuzbalken  mit  kleineren  Ornamenten  und  mit  vielfarbigen 
Emails  verziert  ist  In  den  vier  Bogenzwickeln,  die  sich  zu  Seiten  der  Kreuzbal- 
ken bilden,  hat  die  reiche  Phantasie  des  Emailleurs  jene  harmlosen  Thiei^stalten 
als  zierliche  Omamentationen  anzubringen  gewusst,  die  Gebilden  des  Mittelalters  in 
den  Augen  des  Ungeübten  einen  eigenthttmlichen  originellen  Reiz  verleihen,  worin 
aber  Tieferblickende  in  letzten  Zeiten  eine  höhere  symbolische  Deutung  finden 
zu  müssen  geglaubt  haben.  Indem  wir  bei  dieser  kurzen  Beschreibung  unmöglich 
auf  die  immerhin  noch  gewagte  mystische  Deutung  dieser  phantastisehen  Thier- 
bildungen  eingehen  können,  wie  sie  häufig  an  den  Wasserspeiern,  Gesim- 
sen, Wülsten  und  Capitälen  der  Architectur  in  den  spätromanischen  und  frUhgothi- 
schen  Bauten  ihr  anmuthiges  Spiel  treiben ,  machen  wir  hier  nur  darauf  aufmerk- 
sam, dass  diese  zierlichen  und  lebensvoll  stylisirten  Thierunholde  sowohl  dem 
Geschlechte  der  Vögel,  als  der  VierfUssler  angehören,  und  dass  besonders  zahl- 
reich in  diesen  Phantasiegestalten  der  geflügelte  Drache  und  der  sagenhafle  Vogel 
Greif  seine  Darstellung  findet.  Die  2.  Abtheilung  des  Stabes  zeigt  unwiderle^ch 
die  grösste  Fülle  der  Omamentation  und  ist  in  ihrer  Weise  als  ein  vollendetes 
Meisterwerk  der  Email-  und  Ciselirkunst  des  Mittelalters  zu  betrachten.  Auf  einer 
sechseckigen  Röhre  in  grösster  Länge  von  1472  Centimeter  erhebt  sich  ein 
consolenfbrmiger  Sockel,  als  Untersatz,  der,  ebenfalls  im  Sechseck  angelegt, 
die  Bestimmung  trägt,  als  Piedestal  eine  Menge  constructiver,  der  Architectur 
entlehnter  Ornamente  als  Basis  aufzunehmen.  Die  Flächen  dieser  eben  bezeichneten 
Röhre  sind  in  vielfarbigem  Schmelz  in  kleinere  Quadrate  abgetheilt,  und  in  die- 
sen kleinen  Feldern  erblickt  man,  ebenfalls  wieder  in  Vergoldung  auf  Emailgrund  her- 
vortretend, jene  harmlosen  Thiergestalten,  die  der  Künstler  des  Mittelalters  zu  sei- 
nen omamentalen  Zwecken  so  vortheilhaft  zu  benutzen  wusste.  Der  untere  Hals 
des  Knaufes,  der  ebenfalls  im  Sechseck  ausladet,  ist  in  Weise  eines  Gapitäles  mit  rei- 
chem Blätterschmuck  umlegt,  der,  wie  es  scheint,  aus  freier  Hand,  mit  vielem 
Schwung  gearbeitet,  um  den  Hals  dieses  Schaftes  stellenweise  au%elöthet  ist  Auf 
der  Fläche  dieses  Knaufes  erheben  sich,  einen  mittleren  Stender  im  Viereck  um- 
ragend, 4  architectonisch  gegliederte  Aufbauten.  Zu  jeder  Seite  der  breiteren 
Fläche  zeigt  sich  je  eine  constructive  capellenibrmige  Anlage,  die  in  der  unteren  Ab- 
theilung  3  Fensterstellungen,  ajour  durchbrochen,  zum  Vorschein  treten  lässt  Uebo* 
diesen  spitzbogigen  Fenstern,  deren  mittleres  mit  Maaswerkverzierungen  versehen 
ist,  eriieben  sich  kleinere  Ziergiebel  (Wimberge).  Hinter  denselben  hat  derGoMbckmied 
ein  Zeltdach  angebracht,  auf  welchem  sich  3  Fialen  erheben,  deren  mittlere,  als 
Thünnchen  vergrösserf,  die  beiden  übrigen  überragt,  und  mit  einem  Spitzsänlchen 
sammt  Kreuzblume  abschliesst    An  den  beiden  Schmalseiten  des  inneren  verdeck- 


DOMSCHATZE.  47 

ten  Stabes  hat  der  Künstler  2  zierliche  Tbttrmchen  im  Sechseck  angelegt,  mit  Fen- 
sterstellungen und  Giebelfeldern,  die  nach  oben  sich  gleichfalls  im  Sechseck  verjün- 
gen und  auf  ihrer  Spitze  durch  eine  Kreuzblume  gekrönt  werden.  Die  ,4  Ecken 
des  mittleren  Stabes  werden  auf  jeder  Seite  flankirt  durch  einen  schlanken  Wider- 
lagspfeiler,  der,  nach  oben  sich  verjüngend,  ansteigt  und  in  Form  einer  Fiale  abgeschlos- 
sen wird.  Sämmtliche  Detailformen  an  diesen  rein  architectonischen  Verzierungen 
sind  sehr  edel  gehalten  und  zeigen  die  Gothik  in  ihrer  Blüthe  und  Reinheit,  wie 
sie  an  den  Chortheilen  des  Kölner  Domes  zu  Tage  tritt  Wie  schon  früher  bemerkt 
ist  der  untere  Stab  in  Form  einer  Röhre  als  „tubus^  gehalten.  Unter  dem  poly- 
gonen  Knaufe  tritt  diese  Röhre  in's  Sechseck  über  und  erscheint  im  Rechteck 
gehalten  als  Fortsetzung  des  Stabes  hinter  den  eben  beschriebenen  architectoni- 
schen Ornamenten.  Dieser  im  Viereck  gehaltene  Theil  des  Stabes,  theilweise  von 
diesen  Architecturen  verdeckt,  hat  eine  Höhe  von  fast  15  Centimeter.  Die  breiten 
Flächen  dieses  im  Rechteck  sich  fortsetzenden  Stabes  sind  ebenfalls  mit  reichen, 
vielfarbigen  Emaillirungen  geschmückt,  die,  in  Quadraten  eingefasst,  weder  der 
Thier-,  noch  der  Pflanzenwelt  .angehören.  Dieser  mittlere  Theil  des  Stabes  erhält 
oben  eine  frei  durchbrochene  Abschlussgallerie,  durch  welche  der  letzte  Aufsatz  des 
Stabes  verdeckt  einmündet,  der  in  seiner  Fortsetzimg  nach  obenhin  in  eine  Krümme 
ausladet  Dieser  letzte  Aufsatz  des  Stabes,  der  dem  Schafte  einer  Pflanze  gleicht, 
ist  ebenfalls  länglich  viereckig  gehalten,  und  nach  aussen  hin  von  einem  reichen, 
erhaben  vorspringenden  Blattnerv  imischlossen.  In  diesem  äusseren  Umfas- 
sungsrande  erheben  sich  nach  kurzen  Zwischenräumen  einzelne  aufgesetzte  Laub- 
omamente  in  Weise  eines  Kohlblattes,  die  als  bekannte  gothische  Ornamente 
den  Namen  Krabben  führen  und  in  der  Blüthezeit  der  Gothik,  in  verwandter 
Formation,  an  den  Ziergiebeln  in  der  Architectur  häufiger  zur  Anwendung  kommen. 
Die  beiden  Flächen  dieser  Krümme  des  Stabes  sind  ebenfalls  wieder  mit  kleine- 
ren emaillirten  Flächen  ausgestattet,  die  dasselbe  System  der  Omamentation  zei- 
gen, wie  der  Emailleur  das  auch  consequent  an  den  übrigen  Flachtheilen  des 
Stabes  sinnig  angewandt  hat  Die  innere  Krümme  mtlndet  in  einen  Knauf  aus» 
der  nach  oben  hin  sich  als  Caryatide  erweitert  und  so  einer  länglichen  Plattfläche 
als  Untersatz  dient,  auf  welcher  als  Basis  der  Künstler  eine  Gruppe,  in  Silber  cise- 
lirt,  angebracht  hat,  vorstellend  die  Widmung  des  Stabes  von  Seiten  des  Donators 
an  die  Gottesmutter  Maria,  die  den  göttlichen  Knaben  auf  dem  Schoosse  hält  Es 
kniet  nämlich  auf  diesem  Plateau  eine  kleine  bischöfliche  Figur,  angethan  mit  der 
Albe,  der  Pluviale  und  Mitra;  die  Hände,  in  denen  der  bischöfliche  Stab  lehnt, 
hat  er  zum  Gebete  erhoben.  Da  in  dieser  Weise  auf  älteren  Votivbildem 
der  Donator  gewöhnlich  knieend  abgebildet  ist  und  sein  Greschenk  in  Händen 
hält,  so  glauben  wir  nicht  ohne  Grund  in  dieser  knieenden  bischöflichen  Figur 
den  Geschenkgeber  des  vorliegenden  Stabes  erkennen  zu  sollen,  indem  diese  kleine 
Donatorgestalt  den  fraglichen  Stab  der  Gottesmutter  zu  widmen  scheint  Die 
Letztgenannte  sitzt  als  Himmelskönigin  auf  einer  „selia"  mit  der  Krone  geschmückt 
und  hält  nach  dem  Spruche  ,,Ee  ostetide  nobis  filium^  der  knieenden  Figur  das 
Jesuskind  entgegen.    Diese  zierliche  Gruppe,  gegossen  und  nachciselirt,  zeigt  in 


48  DOMSCHÄTZE. 

ihrer  Gompositioii  einen  schönen  gefälligen  Faltenwiuf  und  ein  richtigefi  Verstand- 
niss  der  einzelnen  Körpertheile. 

Die  gelungenste  figttrliche  Darstellung  an  dem  vorliegenden  Prachtexemplare 
eines  erzbischöflichen  ^.pedum**  ist  unstreitig  jene  zierliche  Engelsgestalty  die  gleich- 
sam die  innere  „curvalura^  stützend  und  haltend  an  der  inneren  Seite  des  oberen 
Stabes,  auf  einer  Console  stehend,  von  dem  Kttnstler  mit  vielem  Glück  nach  Ana- 
logie älterer  Elrummstäbe  angebracht  ist    Dieser  Engel,  mit  einer  Albe  und  falten- 
reichen Pluviale  bekleidet,  hat  etwa  die  Grösse  von  7  V«  Centimeter.    Die  Drappe- 
rie  der  ebengenannten  Gewänder  ist  äusserst  schön  und  zierlich  geordnet,  und  er- 
innert in  der  Weichheit  und  Ungezwungenheit  des  Faltenwurfes  an  die  älteren 
Kölnischen  Sculpturen  aus  der  Frtlhgothik.    Da  bei  dem  knieenden  erzbischöflichen 
Statuettchen  keinerlei  Wappenschild  oder  ein  anderes  kennzeichnendes  Ornament 
angebracht  ist,  wodurch  der  Name  und  das  Geschlecht  des  Geschenkgebers  auch 
nur  im  entferntesten  angedeutet  würde,  so  sind  wir  hinsichtlich  der  Entstehungszeit 
vorliegenden  j^baculus  pastoralü^  der  altkölnischen  Goldschmiedekunst  auf  das  Feld 
der  Hypothese  angewiesen,  und  wird  aus  den  Detai}formen  ein  Schluss  hinsichtlich 
der  Entstehungszeit  gezogen   werden  müssen.    Wir  glauben  der  Wahrheit  ziem- 
lieh nahe   zu   kommen,    wenn  wir,   fussend  auf  charakteristische  Detailformen, 
annehmen,  dass  der  in  Sede  stehende  erzbischöfliche  Stab  in  der  letzten  Hälfte 
des  XIV.  Jahrhunderts  seine  Entstehung  von  Meisterhand  in  den  Mauern  Kölns 
gefunden  habe.    Zu  der  oberen  Krümme  dieses  merkwürdigen  Stabes,  der  heute 
vergeblich  seines  Gleichen  sucht,  hat  sich  auch  noch  eine  Capsel  als  Envelope  in 
Leder  erhalten,   die  offenbar  mit  dem  kunstreichen  Stabe  dieselbe  Zeit  der  Ent* 
stehung  beanspruchen  darf.    Dieser  Lederverschluss  zeigt  auf  seinen  Flachtfaeilen 
ein  zierliches  gothisches  Laubomament  vertieft  in  das  Leder  hineingearbeitet,  ftist 
in  denselben  Formen  und  Bildungen,   wie  auch  die  reichverzierten  Ledercapseln 
artistisch  ausgestattet  sind,  worin  die  Krone  des  heiligen  deutschen  römischen  Kel- 
ches im  Kaiserschatze  zu  Wien  und  die  böhmische  Krone  aus  der  Zeit  Garl's  IV. 
in  Prag  aufbewahrt  wird. 


46. 

Caeremoniensehwert, 

silbervergoldet. 

XY.  Jahrhundert.     Länge  1  Meter  43  Centimeter.     Grdsste  Breite  der  Farirstange  25  Centimeter. 

Breite  der  Scheide  am  Mundstück  7  Centimeter. 

In  dem  vorliegenden  höchst  kunstreichen  Schwerte  besitzt  der  Domschatz 
die  einzige  noch  existirende  Reminiscenz  an  die  Landeshoheit  und  weltliche  Gre- 
richtsbarkeit,  die  die  ehemaligen  Churfttrsten  Kölns  über  ein  ziemlich  lunfangreiehes 


1  .. 


iC 


DOM8CHÄTZ£.  49 

liUidergebiet  am  Niederrhein  und  in  Westpbalen  besassen.  Dieses  Majestäts- 
sehwert soll  bei  allen  feierlichen  Veranlassungen  von  einem  der  altkölnischen 
Stände  dem  zeitlichen  Churfürsten  von  Köln  vorgetragen  worden  sein,  wenn  er 
als  LandesiUrst  erschien;  insbesondere  aber  pflegte  ein  solches  Caeremonien-  oder 
Insiguienschwert  in  dem  feierlichen  Zuge  nicht  zu  fehlen,  wenn  durch  den 
Kölner  Erzbischof  die  Krönung  des  deutschen  Königs  zu  Aachen  vorgenom- 
men wurde. 

Die  Grundform  des  vorliegenden  Schwertes  ist  noch  streng  mittelalterlich, 
indem  die  Scheide  und  Klinge  senkrecht  ansteigt  und  der  Gri£f  nebst  Parirstange 
mit  der  Scheide  ein  lateinisches  Kreuz  bildet.  Die  ganze  Anlage  des  kostbaren 
Sehwertes  beweist,  dass  dasselbe  niemals  an  einem  Gürtel,  j^batheus^,  umgehängt 
wurde,  sondern  blos  als  Luxus-  und  Parade waiFe  in  Gebrauch  genommen  und 
bei  den  obengedachten  öffentlichen  Feierlichkeiten  von  der  betreffenden  Hof- 
charge mit  beiden  Händen  am  unteren  Griffe  gefasst  und  aufrecht  getragen 
]gfurde. 

Der  Künstler,  dem  das  Prachtschwert  des  Kölner  Churfttrsten  seine  Ent- 
stehung verdankt,  hat  die  beiden  breiten  Flächen  der  Scheide  zu  benutzen  gewusst, 
um  hier  eine  Fülle  von  ciselirtem  Laub-  und  Rankenwerk  anzubringen.  Diese  äusserst 
kuBstreicb^i  Guirlanden  stellen,  willkürlich  sich  verästelnd,  ein  Bankenwerk  mit 
kleinen,  fein  stylisirten  Blättchen  dar,  die  Bosenblättem  am  ähnlichsten  sind  und 
stellenweise  eine  kleine  fünfblätterige  Blume  zum  Vorschein  treten  lassen.  Die- 
ses Laubwerk,  fast  in  Weise  eines  kräftigen  Filigrans,  ist  nicht  gegossen  und  als- 
dann ciselirt  worden,  sondern  das  Ganze  scheint  aus  freier  Hand  von  einem  her- 
vorragenden Meister  der  Kölnischen  Goldschmiedezunft  mit  dem  Stichel  und  der 
Punze  gearbeitet  worden  zu  sein.  Daher  zeigt  sich  daa  Gewinde  auch  an  jeder  Stelle 
in  abwechselnder  Weise,  immer  neue  Bildungen  anstrebend.  Um  den  Effect  der 
Arbeit  noch  zu  heben,  hat  der  Meister  seine  frei  durchbrochene  Arbeit,  d.  h.  die 
Plattseiten  der  beiden  Flächen  mit  einem  starken  Genueser  Bothsammet  hinter- 
legt Mitten  auf  der  einen  Seitenfläche  der  Scheide  erblickt  man  in  dem  eben- 
gedaehten  zierlichen  Laubwerk  die  Halbfigur  eines  Engels  als  Schild-  und  Wap- 
penhalter; jedoch  ist  an  der  entsprechenden  Stelle  ersichtlich,  dass  das  Wappen- 
»chald  entweder  absichtlich  entfernt  worden,  oder  sonst  verloren  gegangen  ist  Auf 
der  vorderen  Seite  des  Schwertes  an  derselben  Stelle  scheint  eine  ähnliche  £n- 
^Isfigur  als  Sehildhalter  befestigt  gewesen  zu  sein;  statt  derselben  befindet  sich 
jedoch  nun  ein  Wappenschild  von  spät  mittelalterlicher  Form,  das  sich  als  das 
Geschlechtswappen  der  Grafen  von  Wied  zu  erkennen  gibt  Nach  unten  wird 
das  reiche  Schwert,  in  eine  Spitze  auslaufend,  durch  einen  kleinen  gedrehten 
Knauf  abgeschlossen.  Die  beiden  Eckseiten  der  ziemlich  platten  Scheide  sind  ein- 
fach von  vergoldetem  Silberblech  gehalten  und  schliessen  auf  beiden  Seiten  durch 
einen  hochstehenden  Band  ab.  Oben  am  Mundstück  der  Scheide,  da,  wo  die 
Klinge  eingreift,  fehlt  das  durchbrochene  Laubwerk,  indem  hier  zwei  halbrunde 
Schilder,  von  der  Parirstange  ausgehend,  den  oberen  Band  der  Scheide  bedecken. 

Im  Tie%runde  dieser  beiden  Bundschildchen  ist  einerseits  das  Wappen  des  Dom- 

7 


50  DOMSCHATJBE. 

capitels,  ein  schwarzes  Kreuz  auf  silbernem  Grande,  andererseits  das  heraldische 
Abzeichen  des  alten  rheinischen  Grafengeschlechtes  der  „von  Wied"  angebracht 
Dieses  letztere  Wappen  legt  die  Vemiuthung  nahe,  dass  diese  kunstreiche  Hoheits- 
waffe, wenn  auch  nicht  auf  Kosten  des  Churfttrsten  Hermann  von  Wied,  doch  unter 
seiner   Regierung,  die  vom  Jahre  1515  — 1547  reicht,   angefertigt  worden  sei. 
Auch  noch  zu  einer  zweiten  Annahme  dürfte  man  sich  veranlasst  sehen,   dass 
nämlich   eine  Wiederherstellung  dieses  Caeremonienschwertes  stattgefunden  habe, 
als  Hermann  von  Wied  den  erzbischöflichen  Stuhl  eingenommen  hatte.    Dieser  An- 
nahme  scheint  uns  jedoch  die  grosse  Formenftllle  und  der  Beichthum  des  Orna- 
mentes zu  widersprechen,  verbunden  mit  einer  äusserst  delicaten  Technik,  wie 
sie  für  die  Spätgothik  durchaus  bezeichnend  ist%   Hinsichtlich  der  Analogien,  die  das 
vorliegende  Schwert  heute  noch  mit  ähnlichen  aufisuweisen  hat,   entsinnen  wir  uns 
nicht,  bei  ausgedehnteren  Nachsuchungen  ein  Prachtschwert  vorgefunden  zu  haben, 
das,  aus  der  Spätgothik  herrührend,  einen  solchen  Reichthnm  der  Form  gellend 
macht.    Wohl  hat  die  Goldschmiedekunst  in  der  romanischen  Kunstepoehe  eine 
ziemliche  Anzahl  von  Prachtschwertem  in  einer  unglaublichen  Ptiye  von  Omamen- 
tationen  hervorgebracht,   und  sind  glücklicher  Weise  noch  einige  hervorragende 
Kunstwerke  dieser  Art  auf  uns  gekommen,   die  dafür  zum  Belege  dienen,  dass 
die  Gothik,  wie  überhaupt  bei  allen  kirchlichen  Geräthschaften,  die  bereits  existiren- 
den  reicheren  Vorbilder  und  Vorlagen  der  romanischen  Kunstepoche  zum  Vorwurf 
und  als  Anhaltspunkt  genommen  hat.    Von  den  beute  noch  vorhandenen  roiuuii- 
schen  Prachtschwertem ,  die  einem  ähnlichen  Zwecke,  wie  die  vorliegende  ehur- 
kölnische  Majestätswaffe  dienten,   hat  die   reichhaltige  Schatzkammer  zu  Essen 
ein    älmliches   Exemplar    aufzuweisen,    das    ebenSedls    auf    beiden   Seiten   der 
Scheide   mit  einem  äusserst  reichen  getriebenen  Ornament  von  Tfaierfigurationen 
und   Laubwerk   geschmückt  ist.     Dasselbe  wird  hoffentlich  in  dem    U.   Bande 
des  Werkes:   „Die  Kunstdenkmale  des  Niederrheines  von  E.  aus  dem  Werth'' 
eine    getreue   Abbildung  und  eingehende  Beschreibung  finden.     Aus    derselben 
romanischen  Kunstepoche  herrührend,  findet  man  auch  noch  im  Schatze  der  kai- 
serlichen Hofburg  zu  Wien  drei  prachtvolle  ähnliche  Schwerter,  lut  von  derselben 
GrOsse  und  äusseren  Gestaltung,  wie  das  vorliegende,  die  zu  den  ehemaligen  Klei- 
nodien und  Reliquien  des  heil,  deutschen  römischen  Reiches  gehörten.  Es  sind  das  das 
Schwert  des  heil.  Mauritius  und  ein  anderes  Kaiserschwert,  womit  die  vom  Papste 
gesalbten  und  gekrönten  Kaiser  auf  der  Engelsbui^  in  Rom  unmittelbar  nach  dem 
Krönungsacte  die  „equites  aurei^  creirten;  femer  der  „adnaces  persica^  oder  Säbel 
Karl's  des  Grossen,  womit  die  Kaiserleiche  des  grossen  Helden  Kaii  bei  der  Eröff- 
nung des  Grabes  im  Jahre  1000  durch  Otto  IH.  umgürtet  gefunden  wurde,  und 
den  er,  den  Angaben  verschiedener  Autoren  zufolge,  von  dem  Kalifen  Harun  al 
Raschid  zum  Geschenk  erhalten  haben  soll.    Die  beiden  vorher  besagten  Pracht^ 
Schwerter,  Meisterwerke  der  sicilianischen  Goldschmiedekunst,  sind,  was  die  rei- 
chen Filigran-  und  Emailomamentationen  betrifft;,  unzweifelhaft  zor  Zeit  der  eisten 
Hohenstaufen  von  maurischen  Goldschmiedekttnstlem  in  Sicilien  angefertigt  wor- 
den, wie  wir  das  in  der  HI.  Lieferung  unseres  Werkes,  die  „Kleinodien  des  heiL 


DOMSCHÄTZE.  51 

deutschen  römischen  Reiches"  ausführlicher  nachweisen  werden.*)  Noch  fügen 
wir  hinzu,  dass  sich  auch  im  Domschatze  zu  St.  Veit  in  Prag  ein  Schwert  nebst 
Scheide  befindet,  das  vom  J)öhniischen  Herzog  und  Landespatron,  dem  heiligen 
Wenzel,  herrühren  soll.  Die  Omamentation  der  Scheide  in  Silber  auf  Rothsam- 
met rührt  ebenfalls  aus  der  spätgothischen  Kunstepoche  her,  ist  jedoch  äusserlich 
sehr  einfach  in  der  Formentwickelung  gehalten. 


Da  der  Raum  der  vorliegenden  I.  Lieferung  schon  bedeutend  überschritten 
worden  ist,  so  werden  wir  als  Anhang  zu  der  IV.  Lieferung  dieses  Werkes  aus- 
führlicher aufzählen,  welche  grossartigen  Kunstschätze  ehemals  der  Dom  zu  Köln 
besass.  Wir  befinden  uns  in  der  Lage,  alsdann  auch  eine  annähernde  Abbildung 
dieser  Aufzählung  hinzufügen  zu  können,  von  welcher  formellen  Beschaffenheit 
nämlich  jene  Kleinodien  gewesen  seien,  die  der  Domschatz  noch  vollständig  vor 
dem  Einbrechen  der  französischen  Staatsumwälzungen  besass. 


*)  YergL  unsere  Beschreibung  dieser  drei  prachtroUen  Schwerter  in  den  Mittheilungen  der  K. 
K.  Gommission  zur  Erhaltung  der  Baadenkmale  in  den  Sommerheften  des  Jahres  1S57. 


Ki 


Druck  von  J.  B.  Hirsch feld  in  Lt'iptig. 


\ 


0 

« 


Druck  von  J.  B.  Hirscbfeld  io  Leiptlg. 


^u?   fi'  Canibtr*. 


^i  guniBcri 


Mittelalterliche  KunstgegenstAnde  daselbst 


Seite 


47  und  48)  Weihkessel  in  Messingguss,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XITI.    Fig.  47  und  48     .  3 

49)  Leuchter  des  XV.  Jahrhunderts.    Tafel  XIII.    Fig.  49.     Figurale  Stickereien,  Beschrei- 
bung derselben,  XV.  Jahrhundert 4 

50)  Runde  Kapsel    in    vergoldetem   Silber,   mit  Filigranverzierungen ,    XIII.  Jahrhundert. 
Tafel  Xm.  Fig.  50 6 

51)  Beliquiar  in  Form  eines  Brustbildes,  von  Kupfer,  vergoldet,  XIII.  Jahrb.  Tafel  XIII.  Fig.  51  7 

52)  Wandleuchter,  in  Messing  gegossen,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XIII.   Fig.  52    ....  10 

53)  ZweiBeliquiare,  vergoldete  silberne  Arroschenkel  darstellend,  XIII.  Jahrb.  Taf.XIIl.Fig.53  11 

54)  Ftinfarmiger  Passionsleuchter,  in  Messing  gegossen,  XV.  Jahrh.   Tafel  XIV.   Fig.  54    .  13 

55)  Beliquiengef^ss,  von  vergoldetem  Messing  mit  Emaillirung,  XIV.  Jahrh.  Tafel  XIV.  Fig.  55  *  15 

56)  Reliquiar,  von  Acoluthen  getragen,  von  vergoldetem  Kupfer,  XV.  Jahrh.  Taf.  XV.  Fig.  56  16 

57)  Kleine  Monstranz,  von  vergoldetem  Silber,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XV.   Fig.  57 .     .     .  18 

58)  Auibewahrungsgefäss  f.  d.  geweihten  Oele,  von  vergoldetem  Silber,  XVI.Jahrh.Taf.XV.Fig.58  1 9 

59)  Messingbeschlag  eines  Antiphonariums,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XV.    Fig.  59     ...  20 
Ehemaliger  Schatz  von  St.  Cunibert 22 


47  und  48. 

Zwei  Weihkesselchen 

in  Messingguss. 

Das  grössere  22  Centimeter;  das  kleinere  21  Centhneter  hoch,  bei  einem  Durchmesser  von  22 '/s  Centi- 

meter.    XY.  und  XVI.  Jahrhundert 

Das  unter  No.  48  abgebildete  „vo«  tustrale"  in  einfacher,  aber  gefiUliger  Form 
gehört  ebenfaUs  zur  Kategorie  jener  Gusearbeiten ,  die  ohne  höhere  kttnsüerische 
Entwickelung  schlicht  und  einfach  vom  Gelbgiesser  angefertigt  zu  werden  pflegten. 
Das  Weihbecken  selbst  ist,  als  Gegenstück  zu  den  noch  vielfach  vorfindlichen  gegos* 
senen  Leuchtern  der  Spätgothik,  in  Kreisform  am  Fusstheil  angelegt  und  durch  ein- 
zelne Ringe,  die  relief  hervortreten,  profilirt  Die  Bauchung  des  Gefässes  zieht 
sich  in  der  Mitte  unmerklich  zusammen  und  erweitert  sich  dann  wieder  nach  oben 
hin,  wo  in  der  Höhe  von  iQ'/s  Centimeter  schräg  ansteigend  sich  ein  glatter  Band 
in  der  Breite  von  3  V>  Centimeter  ansetzt  An  diesem  Rande  durch  zwei  Nietnägel 
angeheftet  befinden  sich  die  HalbbUder  zweier  Engel,  die,  mit  der  Albe  und  dem 
Humerale  bekleidet,  zwei  Wappenschilder  tragen.  Der  heraldische  Schild  dieser 
Engel  als  Wappenhalter  zeigt  bereits  die  Formation  der  SpätgoÜiik;  auf  jedem  der 
beiden  Wappen  sind  in  einfacher  Gravur  Familienzeichen ,  vielleicht  die  eines  edlen 
Geschenkgebers  der  Kirche  von  St  Cunibert,  dargestellt,  die  einem  der  älteren 
Patriziergeschlechter  Kölns  angehören  mochten.  Auf  dem  einen  Wappenschilde 
ersieht  man  nämlich  in  kräftiger  Gravur  einen  Rost  (cratieula\  wie  er  in  den  älte- 
ren Bildwerken  als  Marterwerkzeug  des  heiligen  Laurentius  vorkommt;  das  andere 
zeigt  einen  eingravirten  Bandstreifen,  schräg  von  rechts  nach  links  gezogen,  auf 
welchem  drei  Rosen  im  FOnfblatt  eingegraben  sind.  Als  Handhabe  und  Träger 
dieses  „Sprengkessels''  ist  in  den  hohlgegossenen  Kopf  der  beiden  Engel  ein  eben- 
faUs gegossener  Reifen  in  Hufeisenform  eingelassen,  an  welchem  zwei  sich  win- 
dende Schlangen  an  beiden  Seiten  befestigt  sind,  aus  deren  weit  geöfihetem  Rachen 
ein  verbindendes  Mittelstttck  als  Handhabe  nach  oben  ausgeht  Es  ist  wahrschein- 
lich, dass  das  vorliegende  massive  Gusswerk,  das  in  ähnlicher  Form  noch  in  ver- 
schiedenen Kirchen  des  Niederrheins  vorkommt  (so  z.  B.  in  der  heutigen  Pfiur- 
kirche  zu  Deutz  und  der  ehemaligen  Stiftskirche  zu  Hochelten  bei  Emmerich),  eben- 


4  ST.  CUKIBERT. 

falls  in  Köln  von  einem  zünftigen  Gelbgiesser  in  den  letzten  Decennien  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  gegossen  worden  ist  Hinsichtlich  des  ehemaligen  Gebrauches 
dieses  tragbaren  „uf^ceolus"  verdient  hier  eine  glaubwürdige  Tradition  angeftihrt 
zu  werden,  nach  welcher  dasselbe  ehemals  schwebend  in  einer  Kurbel  oberhalb 
jenes  Brunnens  hing,  der  im  Hochchor  vor  dem  Hauptaltare  der  St  Cunibertskirche 
bis  in  die  achtziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  im  Gebrauch  war,  und  noch 
heute  sprüchwörtlich  in  Erinnerung  bei  älteren  Kölnern  steht.  Dieser  Brunnen, 
welcher  zu  den  heute  noch  im  Gebrauch  befindlichen  Brunnen  in  den  Ciypten  zu 
Paderborn  und  zu  Kegensburg  in  Parallele  stand,  wurde  trotz  seiner  zierlichen 
Einfassung  und  kunstreichen  Uebergitterung  in  den  aufgeklärten  achtziger  Jahren 
des  vorigen  Jahrhunderts  als  zwecklos  beseitigt 

Das  zweite  unter  Fig.  47  au%efükrle  Weihbecken  zeigt  eine  einfachere  Form, 
ist  hinsichtlich  seines  Gewichtes  leichter  und  scheint  deshalb  ehemals  beim  Aus- 
th eilen  des  geweihten  Wassers  vor  Beginn  der  sonntäglichen  Stifts-  und  Hochmesse 
von  einem  Ministranten  dem  Celebranten  behufs  der  „a^ersio"  vorgetragen  wur^ 
den  zu  sein. 

Sowohl  die  Profilirungen  an  dem  hohlgegossenen  Fusse,  wie  die  Ausbauchung 
dies  eigentlichen  Wasserbehälters  in  Form  einer  plattgedrückten  Kugel ,  nicht  weni- 
ger «die  ziemlich  ausgebogeoe  Umrandung  lassen  deutlich  erkennen »  dass  dieser 
Sprengkessd  in  der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhimderts  in  Kupfer  gegossen  wor- 
den ist,  da  der  alte  heimathUcbe  Kunststyl  seine  Abwickelimg  erreicht  und  eine 
neue  Stylform  sich  bereits  Geltung  verschafft  hatte. 


49. 

Messgewand  mit  zwei  Dalmatiken. 

Grundstoff  violetter  Sanimt  mit  figuralen  Stickereien  auf  Goldgrund 

und  mit  der  Jahreszahl  1612. 

(Ohne  Abbildung.) 

Da  diese  reichgestickte  Kapelle  der  Inschrift  zufolge  von  „Johann  Beck^yuivV 
doctor^  und  SybiUa  Söntgens,  seiner  „H^-usfrau^S  als  Geschenkgebem  wahrschein- 
lich dem  ehemaligen  Stifte  S^.  Cunibert  überwiesen  worden  ist,  und  zwar  um  das 
Jahr  1612;  so  zeigen  sämmtliche  figurale  Darstellungen  nicht  allein  in  der  Gompo- 
aition,  sondern  auch  vornehmlich  in  der  technischen  Ausführung,  dass  die  Tra- 
ditionen und  Keminiscenzen  der  altem  Wappen-  und  Bildstickerzunft  Kölns  sogar 
bis  zu  den  Tagen  der  ausartenden  Benaissance  sich  so  zu  sagen  stereotyp  und 
fitegnirend  bei  den  spätem  Meistern  der  Bildsticker- Innung  erhalten  haben. 

Der  Goldgrund  auf  den  Stäben  ist  noch  in  älterer  Weise  „a  or  baitu"  mit 
übereinander  gelegten  Goldfäden  in  sdiönen  Quadraturen  aufs  Beichste  gestickt 
Audh  der  Faltenwurf,  sowohl  bei  den  gestickten  Figuren  des  Messgewandes,  als 


ST.   CUNIBERT,  5 

auch  bei  denen  der  Dalmatiken  ist  noch  durchaus  mittelalterlich  behandelt.  Die 
Technik  der  Stickerei  in  Plattstich  ist  dieselbe  geblieben,  wie  sie  in  den  letzten 
Tagen  der  Gk)thik  von  den  geschickten  Bildstickem  Kölns  geübt  wurde.  Nur 
die  Incamationstheile  der  Figuren,  Gesicht  und  Hände,  sind  nicht  wie  früher  in 
Plattstich  gestickt,  sondern  bereits  in  einem  schwereren  Seidenatlas  aufgeheftet, 
auf  welchen  alsdann  blos  in  Conturen  die  Umrisse  gestickt  worden  sind. 

Wir  machen  hier  auf  diesen  gestickten  Ornat  auch  noch  deswegen  vorüber- 
gehend aufmerksam,  weil  auf  dem  vordem,  in  Gold  gestickten  Stabe  des  Messge- 
wandes die  beiden  Brüder  und  Märtyrer  Ewaldi,  Nebenpatrone  der  Kirche  St. 
Cunibert,  als  Standbilder  unter  Baldachinen  in  trefflichen  Stickereien  dargestellt  sind, 
die, merkwürdiger  Weise  sogar  noch  um  das  Jahr  1612  in  gelungener  Nadelmalerei 
vorkommen,  bekleidet  mit  einem  faltenreichen  Messgewande,  wie  dasselbe  das 
ganze  Mittelalter  hindurch  traditionell  in  der  alten  Form  und  dem  überlieferten 
Schnitt  gebräuchlich  war.  Vielfache  Nachforschungen  haben  es  uns  klar  gemacht, 
dass  erst  gegen  Mitte  des  XVn.  Jahrhunderts  zur  Zeit,  als  der  Roccocostyl  sich 
bereits  auszubilden  begann,  in  den  Kirchen  Kölns  der  ererbte  schönere  Schnitt 
und  die  malerische  Form  der  Messkasein  allmählich  verdrängt  und  leider  auf  das 
Minimum  der  beutigen  so  sehr  verschnittenen  und  entstellten  Messgewänder  redu- 
cirt  wurde. 

Auch  die  in  Bede  stehende  Adventskapelle  zu  St.  Cunibert  scheint  um  die 
angegebene  Zeit  von  einer  unbarmherzigen  Scheere  auf  ihre  heutige  trostlose  Form 
gebracht  worden  zu  sein,  wobei  ohne  Schonung  auch  nach  unten  hin,  wie  das  die 
halben ,  abgeschnittenen  Figuren  deutlich  zeigen ,  ein  Theil  der  schönen  Bildsticke- 
reien fortrasirt  worden  ist 

Die  Sacristei  von  St  Cunibert  bewahrt  auch  noch  einen  einfachen  gothischen 
Messkelch  von  Silber,  vergoldet,  der  wahrschemlich  aus  der  Zeit  des  Stiftes  herrührt 
und  zum  täglichen  Gebrauche  bestimmt  war.  Derselbe  hat  eine  Höhe  von  nur 
I8V2  Centimeter  bei  einem  Durchmesser  von  UV«  Centimeter. 

Wie  alle  gothischen  Messkelche ,  die  sich  heute  noch  in  köhiischen  Sacristeien 
erhalten  haben,  ist  derselbe  in  seinen  Formen  sehr  einfach  gehalten;  indessen  sind 
seine  Proportionen  äusserst  edel  und  gelungen  zu  nennen,  weshalb  er  trotz  seiner 
Einfachheit  nicht  verfehlt,  eine  gute  Wirkung  hervorzubringen. 

Der  Fuss  ist  sechstheilig  in  Form  einer  Sose  angelegt  und  lässt  auf  dem 
einen  Blatte  ein  schönes  „^gnaculum'*  in  energischer  Gravur  hervortreten.  Das 
„pomeUum"  ist  ebenfaUs  im  Sechseck  angelegt,  mit  sechs  stark  ausladenden  Pasten, 
auf  welchen  in  der  bekannten  älteren  Schreibart  in  sechs  Minuskelbuchstaben  der 
Name  Jesus  zu  lesen  ist.  Der  Schaft,  im  Sechseck  formirt,  ist  eben£aDs  einfach 
gegliedert.  Von  besonderer  Wirkung  ist  die  schön  gestaltete  „cuppa'*  (Trinkschale) 
des  Kelchs,  die  nach  unten  eiförmig  zu  einer  kleinen  Spitze  ohne  tiefere  Aus- 
bauchung sich  verjüngt.  Die  Formation  des  vorliegenden  Kelches  kann  als  die 
stereotype  betrachtet  werden,  die  bei  Kelchen  für  den  täglichen  Gebrauch  in  der 
letzten  Hälfte  des  XV.  und  zu  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  nach  stetigen  Ge- 
setzen angewandt  wurde. 


8T.   CUKIBE£T. 


50. 

Kapsel  9 

in  vergoldetem  Silber  mit  FiligranvcrzieroDgen. 

Huhc  22  Centimeter,  grUsster  Durchmesser  der  Kapsel  7  Gentimeter.     XIIL  Jahriiandert 

In  den  Sacristeien  der  kölnischen  Kirchen  werden  heute  noch  in  Tiel£acber 
Abwechselung  so  ziemlieh  alle  jene  Gefässe  angetroffen,  deren  sich  die  Earche  zu  den 
verschiedenen  liturgischen  Handlungen  bedient;  jedocli  nur  noch  ein  einziges  Exem- 
plar einer  Beliquien  •  oder  Hostienbttchse  hat  sich  in  der  Kirche  von  St  Cunibert 
erhalten,  deren  Anlage  und  Form  nicht  nur  höchst  eigenthUmlich  ist,  sondern  die 
auch  hinsichtlich  ihres  ehemaligen  liturgischen  Gebrauches  manche  Hypothese  zu- 
lässt.  Dieses  interessante  Gefäss,  von  origineller  Form,  zeigt  ein  kreisrundes  Fuas- 
stück  von  7  V2  Centimeter  im  Durchmesser,  dessen  grösserer  Rand  von  einer  breiten 
Filigranverzierung  umschlungen  wird,  in  welcher  abwechselnd  nach  kurzen  Zwi- 
schenräumen vier  kleinere  gefasste  Halbedelsteine  einen  grossem  umstehen.  Nach 
oben  verjüngt  sich  trichterförmig  dieser  Fusstheil  und  mündet  in  eine  spitze  Bohre, 
die  als  Ständer  eine  breitere  Rundscheibe  aufoimmt  und  nach  aussen  hin  eben- 
falls wieder  mit  einem  breiteren  filigranirten  Rande  umgeben  und  eingefasst  vriid. 
In  diesen  Filigranrand  als  Fusstheil  schiebt  euch  eine  bewegliche  Büchse  ein, 
aus  dünnem  Holze  bestehend,  die  ehemals,  wie  das  heute  noch  Ueberreste  zeigen, 
mit  einem  dünnen  Silbcrblech  überzogen  und  belegt  war.  Auch  der  obere 
Rand  dieser  runden  Büchse,  die  eine  Höhe  von  672  Centimeter  hat,  ist  mit  einem 
Filigranrande  eingefasst,  in  welchem  symmetrisch  geordnet  mehrere  Edelsteine,  als 
Sapphire,  Türkise,  Amethyste  und  kleine  Perlen  sich  befinden.  Am  obem  Rande 
bemerkt  man  zwei  ühamiere,  die  ehemals  eine  Oeffiiung  und  Schliessung  desGe- 
fässes  bewerkstelligen  Hessen.  Dieses  zierliche  .^vasculum**  wird  oben  abgeschlossen 
durch  einen  Deckverschluss,  der  auf  seiner  verjüngten  Spitze  ein  pomellum  trägt, 
das  ebenfalls  von  einem  Filigranrande  umgeben  ist  Auf  diesem  Knaufe  erhebt 
sich  als  Abschluss .  und  Bekrönung  ein  Kreismedaillon  von  47«  Gentimeter  im 
grössten  Durchmesser,  das  in  der  Mitte  frei  durchbrochen  ist  und  „a  deux  faces^ 
die  Kreuzigung  des  Heilandes  mit  den  zwei  Passionsbildem  Johannes  und  Maria 
darstellt.  Der  Heiland  ist  am  Kreuze  mit  geradlinig  ausgestreckten  Annen  ab- 
gebildet, wie  er  nach  Weise  der  Byzantiner  auf  einem  „suppedaneum*'  nicht  so 
sehr  leidend,  sondern  fast  triumphirend  |am  Kreuze  erhöht  ist.  Die  trefflichen 
Filigranarbeiten,  mit  den  gefassten  Genmien  durchflochten,  nicht  weniger  die  Cooi- 
position  der  beiden  bei  dem  Kreuze  stehenden  Figuren  lassen  mit  ziemlicher 
Gewissheit  erkennen ,  dass  diese  zierliche  Pyxis  in  den  Frühzeiten  des  XIIL  Jahr- 
hunderts angefertigt  worden  ist,  wo  man  die  romanischen  Stylformen  noch  nicht 
verlassen  hatte,  und  doch  der  neue  Styl  noch  nicht  zur  Geltung  gekommen  war. 
Es  entsteht  nun  die  Frage ,  welchem  kirchlichen  Zwecke  war  die  vorliegende  Kapsel 


ST.  CUNIBERT.  7 

ehemals  bestimmt?  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass,  bei  der  Yielgestaltigkeit 
der  Beliquiengefässe,  auch  der  vorliegende  Behälter  primitiv  zu  dem  Zwecke  ange- 
fertigt worden  ist,  um  in  demselben  Reliquien  au&ubewahren;  jedoch  dürfte  auch 
die  andere  Annahme  zulässig  erscheinen,  dass  das  in  Bede  stehende  „vasculum'' 
dazu  benutzt  wurde,  um  in  demselben  die  Eucharistie  aufzubewahren,  wenn  sie 
als  „maticum**  zu  den  Kranken  getragen  wurde.  Für  diese  zweite  Hypothese  scheint 
auch  der  Umstand  zu  sprechen,  dass  einestheils  der  eigentliche  Behälter  des  6e- 
fässes  nicht,  wie  das  gewöhnlich  der  Fall  ist,  aus  einem  rundgeschliffenen  Berg- 
kiystall  besteht,  um  die  eingeschlossenen  Reliquien  sichtbar  werden  zu  lassen, 
andemtheils  aber  der  Behälter  bei  seinem  grösseren  Formenreichthum  auch  noch 
oben  mit  einem  kreisförmigen  Medaillon  verziert  ist,  das  bei  seiner  Aehnlichkeit 
mit  der  „sacra  specie^*  vielleicht  äusserlich  darauf  hindeuten  sollte ,  welchem  er- 
habenen Zweck  das  Innere  bestimmt  war. 

Noch  machen  wir  schliesslich  darauf  aufmerksam,  dass  heute  noch  im  Innern 
des  Gefässes,  dessen  bewegliche  Büchse,  in  Silber,  verschwunden  ist,  vier  reiche 
Filigranränder  aufgehoben  liegen,  welche,  ehemals  vertical  stehend,  auf  dem  Silber- 
blech des  Gefässes  aufgeheftet  waren  und  die  oberen  mit  den  unteren  Filigran- 
rändem  an  vier  Stellen  in  Verbindung  brachten. 

In  älteren  Schatzverzeichnissen,  die  wir  in  grosser  Zahl  abschriftlich  auf 
längeren  Reisen  angesammelt  haben,  wird  vielfach  solcher  ,fVascula"  Erwähnung 
gethan.  So  werden  in  einem  umfangreichen  Inventar  der  Kirchenschätze  von  St 
Veit  in  Frag  vom  Jahre  1387  mehrere  solcher  Gefässe  aufgeführt.  Unter  der 
Rubrik  „flfe  caUcibus  seu  vasis  sacrtßcn"  liest  man  daselbst:  ,yitem  vasculum  ad 
modum  pyxidis  in  quo  portatur  c/trisma  ad  ungendos  reges";  „item  duo  vascula 
eristalUna  cum  balsamo  et  unum  viireum" ;  „item  duae  py arides  ckristallinae 
sine  cooperturis".  Zwei  solcher  Gefässe,  dem  oben  beschriebenen  hinsichtlich  der 
Form  und  Ausstattung  sehr  ähnlich,  fanden  wir  heute  noch  in  dem  reichhaltigen 
Schatze  von  St  Veit  in  Prag  vor;  auch  in  der  Sacristei  zu  Kempen  am  Nieder- 
rhein sahen  wir  noch  ein  ähnliches  y,vasculum*\  das  mit  denen  zu  Prag  und  dem 
eben  beschriebenen  Aehnlichkeit  hat 


51. 

Reliqniariam 

in  Form  eines  Brustbildes,  aus  vergoldetem  Kupfer. 

Hohe  40  Centiineter,  grÖMter  Durchmesser  des  Fusses  45  Centimeter.    XIII.  Jahrhundert. 

Es  finden  sich  heute,  soweit  uns  bekannt  geworden  ist,  in  köhiischen  Eir^ 
chen  keine  Büsten  in  getriebener  Arbeit  mehr  vor,  die  von  dem  entwickelten  For- 
mensinne kölnischer  Qoldschmiede  aus  der  spätromanischen  Kunstepoche  Zeugniss 


8  ST.  CUNIBEBT. 

ablegen.  Als  Grund,  dass  solche  Brustbilder,  deren  die  älteren  Inventare  häufig 
Erwähnung  thun,  heute  in  kölnischen  Schätzen  so  selten  geworden  sind,  dürfte 
wohl  angeführt  werden,  dass  die  meisten  derselben  in  der  romanischen  Konstr 
epoche  aus  Silberblech  angefertigt  zu  werden  pflegten.  Dieses  verführerische  Mate- 
rial bot  ohne  Zweifel  die  Veranlassung,  dass  diese  Bildwerke  in  böser  Zeit  eine 
ähnliche  Verwendung  erlitten  haben,  wie  das  eherne  Denkmal  Otto's  IIL  in  Aachen, 
das  auf  einer  Stoiberger  Hütte  schonungslos  in  die  Schmelze  wandern  musste. 

Vorliegende  „herma",  das  Bild  des  heiligen  Antonius  Einsiedlers  vorateOend, 
hat  ihre  Erhaltung  wohl  nur  dem  glücklichen  Umstände  zu  verdanken,  dass  sie 
aus  Rothkupfer  getrieben  ist. 

Der  Vater  der  Anachoreten,  Antonius,  ist  hier  nicht  in  dem  schlichten  Gostttm 
der  Einsiedler  dargestellt,  sondern  die  Kunst  des  Mittelalters  hat  das  Grewand  des 
Einsiedlers  zu  idealisiren  und  mit  vielen  Ornamenten  zu  heben  gewusst.    Antonius 
erscheint  in  dieser  Büste  mit  einer  tunica  bekleidet;  der  Halsausschnitt  des  Gewan- 
des ist  mit  einem  Saume  von  Filigranrändem  umlegt ;  auf  beiden  Schultern  ist  ein 
fünf  Gentimeter  breites  Filigranband,  mit  gefassten   ungeschliffenen  Steinen  ver- 
ziert, als   stattliches  Ornament  angebracht.     Auf  der  Brust   war    das  Bildwerk 
ehemals  wahrscheinlich  mit  einer  prachtvollen  Agraffe  Uyinanüe'*)  verziert,  die  als 
vielblätterige  Rose  ebenfalls  ein  kunstreiches  filigranirtes  Ornament  erkennen  liess, 
wovon  heute  nur  noch  ein  kleiner  Bruchtheil  ersichtlich  ist    Um  den  untern  Rand 
der  Büste  herum  ist  ebenfalls  eine  47^  Gentimeter  breite  Einfassung  herumgelegt» 
die  gleichfalls  eine  künstliche  Filigranarbeit  von  schönem  Schwünge  erkennen  lässt 
Die   eben   erwähnten  Filigranverzierungen   sind   allenthalben  mit  ungeschliffenen 
Halbedelsteinen  besetzt,  bestehend  aus  Sapphiren,  Amethysten,  Topasen,  und  in  der 
Weise  geordnet ,  dass  vier  kleinere  Steine  einen  mittlem  grösseren  umstehen.    Die 
f,lectula",  die  diese  als  „capuckon**  behandelten  Edelsteine  einfassen,  sind  nach  Art 
der  Acanthusblätter  pflanzenartig  ausgebildet.   Ausser  den  zwei  Umfassungsrändeni, 
welche ,  die  Länge  des  Armes  herunterlaufend ,  ein  sehr  zierlich  getriebenes  Omar 
ment  zeigen,  sollen  einer  mündlichen  Angabe  zufolge  Brust  und  Schulter  dieser 
schönen,  nur  leider  sehr  in  Unstand  gerathenen  Büste  ehemals  noch  mit  anderen 
Zierrathen  in  Silber  aufs  Reichste  ausgestattet  gewesen  sein.   Es  will  uns  scheinen, 
als  ob  diese  silbernen  Zuthaten  späterer  Zeit  angehört  haben  und  nicht  als  gleich- 
zeitig anzusehen  sein  dürften.    Einen  eigenthümlich  strengen  Ausdmck  zeigt  das  mit 
grosser  technischer  Geschicklichkeit  getriebene  Haupt  dieser  Büste,  die  deutlich 
erkennen  lässt,  dass  zur  Zeit,  als  der  romanische  Kunststyl  noch  herrschend  war, 
neben  dem  Filigran,  dem  Email,  dem  Nigello  auch  das  y^opus  pr*apüUatum**  von 
der  Gonfratemität  köhiischer  Goldschmiede  mit  grosser  manueller  Fertigkeit  geübt 
worden  ist.    Mit  besonderer  Sorgfalt  sind  in  strenger  Stylisimng  das  Haupthaar  und 
der  Bart  dieses  Brustbildes  zierlich  geordnet;  der  Bart  ist  nach  zwei  Seiten  getheilt 
und  mündet  auf  jeder  Seite  in  eine  gedrehte  spitz  zulaufende  Locke  aus.  ^e  wir 
das  an  Reliquienkästen  des  Mittelalters  vielfach  bemerkt  haben,  waren  mit  einem 
„emailpeint"  die  Augen  der  vorliegenden  „Aerma"  so  gefärbt,  dass  der  Augapfel  in 
schwarzer  Farbe  auf  weissem  emaülirtem  Grunde  hervortrat;  auch  die  Lippen  scheinen 


ST.  CUNIBERT.  9 

durch  eine  Schmelzfarbe  ehemals  angeröthet  gewesen  zu  sein.  *)  Was  nun  die  Zeit 
der  Anfertigung  der  vorliegenden  Büste  anlangt,  so  lässt  die  charakteristische  Ausarbei- 
tung des  FiligranSy  nicht  weniger  das  schön  stylisirte  und  gelockte  Haar  mit  Sicherheit 
erkennen,  dass  dieselbe  ihre  Entstehung  einem  kölnischen  Goldschmiede  in  jener  Eunst- 
epoche  zu  verdanken  haben  dürfte,  als  der  romanische  Styl  seine  höchste  formelle  Ent- 
wickelung  erreieht  hatte ,  und  die  Gbtbik  eben  in  ihrer  Entfaltung  begriffen  war.  Viel- 
leicht dtlrfte  man  aber  auch  bei  einer  Beurtheilung  der  Kunstproducte  der  spät- 
romanischen Zeit  die  Hypothese  zulassen,  dass  auch  noch  in  der  zweiten  Hälfte 
des  Xni.  Jahrhunderts  ältere  Zunftmeister  in  Köln  als  ausübende  Künstler  sesshaft 
waren,  welche  jene  Detailformen  ihres  Gewerkes  noch  immer  beibehielten,  die  sie  in 
ihrer  Jugend,  als  die  Formen  der  Bomantik  noch  gäng  und  gäbe  waren,  mit  Vor- 
liebe geübt  hatten.  Dem  Ebengesagten  zufolge  dtlrfte  man  also  den  Eintritt  der 
Formen  der  Gothik  auf  dem  Gebiete  der  Goldschmiedekunst  nicht  an  ein  bestimm- 
tes Jahr  knüpfen  und  mithin  die  Epoche,  wo  der  ältere  Styl  aufhörte,  und  der 
neuere  sich  zu  entwickeln  begann,  nicht  so  haarscharf  bestimmen  wollen.  Sollten 
wir  hinsichtlich  des  Alters  des  vorliegenden  Bildwerkes  eine  Zeitepoche  genauer 
fisiren ,  so  ginge  unsere  unmassgebliche  Ansicht  dahin ,  dass  dieses  „caput 
pectorale^  angefertigt  worden  sei  in  jenen  Tagen,  als  die  romanischen  Kunstfor- 
men noch  ihre  Herrschaft  im  heiligen  Köln  unangefochten  behaupteten,  mit  anderen 
Worten,  dass  dasselbe  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  XHI.  Jahrhunderts  seine  Ent- 
stehung gefunden  habe. 

Man  muBS  es  bedauern,  dass  das  vorliegende  mit  so  grosser  technischer 
Bravour  gearbeitete  Brustbild  durch  die  Ungunst  der  Zeiten  heute  so  sehr  ent- 
stellt und  beschädigt  ist.  Wir  wünschen  demselben  in  nächster  Zeit  eine 
gründliche,  stylgetreue  Wiederherstellung  von  der  kunsterfahrenen  Hand  jenes 
Meisters,  der  vor  wenigen  Jahren  den  sehr  zusammengeschmolzenen  Schatz  der 
hiesigen  Cunibertskirche  mit  einem  prachtvollen  Ciborium  bereichert  hat,  dessen 
technisch  äusserst  saubere  und  delicate  Ausarbeitung  der  Details  fast  den  Werth 
der  Gomposition  in  Schatten  zu  stellen  geeignet  ist.  Vielleicht  dürfte  später  in 
dem  neu  zu  erbauenden  Hauptaltar  dieser  Kirche,  und  zwar  in  der  „predella*'  des- 
selben, ein  vertiefter  Beliquienschrein  angebracht  werden,  in  welchem  hinter  durch- 
sichtigem Verschluss  die  eben  beschriebene  „herma"  nebst  den  beiden  unter  No. 
53  folgenden  Brachialien  an  grossem  Festen  ersichtlich  wären,  wenn  man  es 
nicht  vorziehen  wollte,  in  der  stylgerecht  mit  Wandmalereien  reichverzierten  Chor- 
absis,  und  zwar  in  dem  mit  Gitter  verschliessbaren  ursprünglichen  „thesaurarium^, 
die  sämmüichen  kirchlichen  Kunstschätze  würdig  aufzubewahren,  deren  ausführ- 
liche Beschreibung  uns  hier  beschäftigt. 


*)  Bis  vor  wenigen  Jahren  war  das  schöne  Brostbild  Karls  des  Grossen  im  Schatze  zu  Aachen 
an  den  Inoamationstheilen  mit  einem  ähnlichen  fleischfarbigen  ,,gfemalten  Email"  überzogen,  bis  ün- 
kenntnisB  und  Willktthr  denselben  entfernen  liess. 


2 


10  ST.  CUNIBERT. 


52, 

Lichtträger 

vor  einem  Votivbilde  befestigt.     Kupferguss.    * 

Höhe  50  Centimeter,  Breite  der  oberen  Schale  16  Centimeter.    XV.  Jahrhundert 

Leuchter  in  Kupferguss  in  einiger  Entwickelung  der  Formen,  wie  sie 
die  Ausgangszeit  der  Gothik  bezeichnen,  sind  heute  in  köhiischen  Kirchen  zur 
Seltenheit  geworden.  Nur  die  Kirche  von  St  Cunibert  hat  noch  als  Wand-  oder 
Annleuchter  vor  jenem  prachtvollen  Sculpturwerke,  die  Verkündigung  Maria's  vor- 
stellend, zwei  Leuchter  aufzuweisen,  die  durch  die  schöne  Ausbildung  der  Formen 
erkennen  lassen,  dass  die  Gothik  im  XY.  Jahrhundert  die  gegossenen  Wandleuchter 
nicht  so  ganz  unentwickelt  gelassen  habe.  Der  eigentliche  Arm,  in  Gelbkupfer  ge- 
gossen und  mit  grossem  und  kleinem  Knäufen  belebt,  windet  sich  in  Halbkreisform 
um  den  grossen  reichverzierten  Sockel,  auf  welchem  je  ein  Standbild  der  Verkün- 
digung aufgestellt  ist.  Unmittelbar  vor  jedem  Bildwerke  erhebt  sich  aufrechtste- 
hend ein  beweglicher  LichttrUger,  dessen  Ständer  von  grossem  und  kleinem  Ringen 
umfasst  wird.  Auf  dem  letzten  Binge  sitzt  ein  trichterförmiger  Hals,  der  ein  breite- 
res Schttsselchen  zum  Auffangen  des  herunterträufelnden  Wachses  trägt.  Dieses 
Schüsselchen  ist  nach  unten  hin  durch  erhaben  gegossene  sich  anschliessende  Or- 
namente verziert,  in  denen  nicht  mit  Unwahrscheinlichkeit  die  bekannten  Bildungen 
der  ^ewr  de  lis^  gesucht  werden  dürften,  lieber  dieser  Ausbauchung  des  teller- 
förmigen Schüsselchens  erhebt  sich  ein  profilirter  Band,  der  oben  mit  einer  zin- 
nenformig  ausgeschnittenen  Bekrönung  umgeben  und  abgeschlossen  wird.  Bei 
Gompositionen  von  Trag-  oder  Standleuchtem  dürfte  die  eben  beschriebene  obere 
Ausmündung  dieser  Wand-  oder  Votivleuchter  als  willkommenes  Motiv  zu  muster- 
gültigen Vorlagen  in  Betracht  gezogen  werden  können. 

Noch  im  Vorbeigehen  machen  wir  Freunde  mittelalterlicher  Kunst  imd  ins- 
besondere Kenner  kirchlicher  GrefUsse  auf  ein  interessantes  Bildwerk  aufmerksam, 
das  in  der  baulich  merkwürdigen  Sacristei  von  St.  Cunibert,  und  zwar  über  der 
Eingangsthüre  derselben  aufgehängt  ist  und  eine  jener  Darstellungen  zeigt,  wie  sie 
im  XV.  Jahrhundert  von  der  Kölner  Malerzunft  unter  der  Bezeichnung  „missa  St' 
Gregorii^  mit  besonderer  Vorliebe  gemalt  zu  werden  pflegten. 

Auf  diesem  Bildwerke,  das  in  Italien  meistens  den  Namen  j^missa  di  Bol- 
sena^^)  führt,  sieht  man  in  der  Regel  den  obengedachten  Papst,  umgeben  von 


*)  Ein  anfmerksamer  Forscher  nach  Malereien  dos  Mittelalters  dtlrfte  yieUach  fUr  die  Compo- 
sition  sttmmtlicher  Torkommenden  Altargerttthschaften,  so  wie  für  Schnitt  und  omamentale  Ausstattong 
der  litor^schen  Gewänder  die  nOthigen  Anhaltspunkte  auf  Altem  Bildein  finden,  die  bei  der  heutigen 
Nachbildung  den  Meistern  des  Oewerkes  gute  Dienste  leisten  könnten.  Sowohl  altitalienische  als  alt- 
deutsche Wand-  und  Tafelmalereien,  ähnlich  wie  die  oben  besprochene,  bieten  fUr  die  angedeuteten  Stu- 
dien noch  eine  reiche,  bisher  unbenutzte  Fundgmbe. 


ST.  CUKIBERT.  11 

Mmistranten  und  Gardkiälen,  knieend  dargestellt,  wie  er  bei  der  Gonsecratioii  in 
Staunen  niedersinkt  vor  dem  Wunder,  das  er  auf  dem  Altar  erschaut,  indem  ihm  der 
Heiland  incorporirt  als  „ecce  homo^  erscheint  Der  kölnische  Maler  hat  es  auf 
dem  eben  bezeichneten  Gemälde  nicht  unterlassen,  den  ganzen  Altarapparat  in 
seinen  einzehien  Gefässen  in  streng  richtiger  Zeichnung  darzustellen.  Für  unseren 
vorliegenden  Zweck  haben  zunächst  die  schönen  Leuchter  ein  besonderes  Interesse, 
wie  sie  gemalt  auf  jeder  Seite  des  Altars  ersichtlich  sind.  Da  solche  Leuchter 
heute,  wie  bereits  bemerkt,  zur  grossen  Seltenheit  geworden  sind,  so  ermangeln 
wir  nicht,  unter  Figur  49  eine  getreue  Abbildung  dieser  auf  dem  Altar  in  Gold 
gezeichneten  Leuchter  beizubringen.  Ein  breiter  runder  Fuss  ruht  auf  sechs  lie- 
genden Löwen.  Derselbe  wird  oben  durch  einen  profilirten  Knauf  abgeschlossen, 
aus  dem  sich  der  Ständer  erhebt,  der  in  der  Mitte  von  einem  grossem  y^pomeUum^ 
als  Handhabe  unterbrochen  wird.  Sowohl  das  Schtlsselchen  zum  Aufifangen  des 
Wachses,  wie  die  Ständer  entbehren  nicht  einer  omamentalen  Ausbildung.  Wir 
sind  der  Ueberzeugung,  dass  der  Maler  aus  der  letzten  Hälfte  des  XV.  Jahrhun- 
derts den  eben  bezeichneten  Leuchter  nicht  aus  eigener  Idee  erfunden,  sondern  so 
gezeichnet  hat,  wie  man  ihn  damals  häufig  auf  Altären  anzutreffen  pflegte.  Schliess- 
lich machen  wir  noch  darauf  aufmerksam,  dass  die  E^che  von  St.  Gunibert  heute 
noch  sechs  grössere  und  zwei  kleinere  Altarleuchter  besitzt,  die,  als  treffliche  Guss- 
werke aus  dem  XY.  Jahrhundert  herrührend,  in  ihrer  Form  keine  Verschiedenheit 
zeigen  von  jenem  Leuchter,  den  wir  in  der  1.  Lieferung  dieses  Werkes  unter  Fig. 
13.  beschrieben  und  abgebildet  haben. 


53. 

Zwei  Reliqniarien 

in  Form  von  reich  verzierten  Armschenkeln. 

Grösstc  Höhe  40  Gentimeter,  Durchmesser  des  Fusses  22  Centimeter.    Xm.  Jahrhundert. 

Der  heute  sehr  decimirte  Schatz  von  St.  Gunibert  hat  noch  zwei  reich  ver- 
zierte Reliquiarien  aufsuweisen,  die,  was  Reichthum  der  Detailformen  betrifft,  wohl 
mit  jenen  ähnlichen  Reliquienbehäitem  in  St.  Gereon  (vergl.  Taf.  n.  Fig.  7  und  8) 
kühn  den  Vergleich  eingehen  dürfen.  Dieselben  rühren  offenbar  von  einer  und  der- 
selben Meisterhand  her,  die  auch  die  oben  beschriebene  „herma  Scti.  Antonü^  an- 
gefertigt hat,  und  verdienen  nicht  nur  hinsichtlich  des  reichen  Schmuckes  von  zier- 
lichen Filigranarbeiten  eine  besondere  Aufmerksamkeit,  sondern  auch  in  Hinsicht 
einzelner  emaiUirten  Randeinfassungen,  die  die  Yortrefflichkeit  der  kölnischen 
Sehmelzarbeiten  am  Schlüsse  des  XII.  oder  im  Beginn  des  Xm.  Jahrb.  erkennen 


12  «T.  CUNIBERT. 

lassen.    Da  hinsichtlich  der  Anlage  und  der  decorativen  Ausstattung  die  beiden 
Reliquienarme  gleiche  Formen  zeigen,  so  genttge  es  hier,  einen  dieser  Brachialien 
zu  beschreiben  und  durch  eine  stylgetreue  Zeichnung  zu  veranschaulichen.     Auf 
einem  S'/s  Centimeter  hohen  Fusssockel,  um  dessen  Rand  zum  Theil  heute  noch 
ein  in  Metallblech  getriebenes  Ornament  nach  hinten  herumläuft,  erheben  sich  trep- 
penförmig,  immer  weiter  zurücktretend,  zwei  andere  einförmige  Umrandungen,  die 
als  Piedestal  fbr  den  darauf   befindlichen   Armschenkel    mit  Filigranomamenten 
und  eingefassten  Steinen  verziert  sind.    Auf  diesen  nach  oben  hin  sich  verjüngen- 
den Sockel  hat  der  Goldschmied  den  obem  Armschenkel  so  gestellt,  dass  die  aus 
demselben  hervorragende  Hand  die  innere,  geöfltaete  Handfläche  zeigt    Die  Be- 
kleidung des  Armschenkels  ist  eine  ähnliche,  wie  die  an  den  „braehia^  von  St 
Gereon.    Es  ragt  nämlich  die  Hand  aus  dem  breiten  Aermel  (manica)  vom  Hand- 
gelenk an  hervor,  das  mit  einem  enganschliessenden  Gewandtheile,  ähnlieh  einer 
Albe,    bedeckt  ist    Diese  „manica*^ ^   als  integrirender  Gewandttheü   von    einer 
Dalmatika  od^r  Tunicella   genommen,    ist   an  dem  obem  Abschluss,   sowie  an 
den  beiden  Seitentheilen  mit  äusserst  kunstreich  verzierten  FiUgranrändem  belegt, 
die  von  kleinen  Emailplättchen  unterbrochen  werden.    Das  Filigran  liegt  stark  er- 
haben auf,  ist  durchbrochen  (ä  jour)^  und  die  technische  Behandlung  desselben 
verräth  die  Hand  eines   tttchtigen  geübten  Meisters.     Die  emaillirten  Blättchen 
würde  man  ihrer  Technik  nach  als  y^emauw  ckampleves^  bezeichnen.    Die  Farben- 
stimmung dieser  Emails  in  blauen  und  röthlichen  Tönen  ist  eine  solche,  wie  man 
sie  an  Kölner  Schmelzwerke  immer  wieder  anzutreffen  gewohnt  ist  Da,  wo  auf  den 
mittlem  Flächen  der  Faltenwurf  des  Gewandes  in  reicher  Drapirung  sich  bildet, 
hat  der  Künstler  ein  in  Chamieren  bewegliches  Rundmedaillon  in  einem  Durch- 
messer von  8  Centimeter  angebracht,  das  als  mittlere  Füllung  einen  ungeschliffe- 
nen Bergkrystall  zum  Vorschein  kommen  lässt,  welcher  von  einer  reich  verzierten 
Filigranumrandung,  mit  Halbedelsteinen  besetzt,  umgeben  ist    Hinter  diesem  Kry- 
stallverschluss  war  ehemals  in  der  innem  Höhle  des  Armschenkels  jenes  yyos^  er- 
sichtlich, zu  dessen  würdiger  Aufbewahmng  dieses  Prachtgefäss  war  angefertigt 
worden.    Eine  kleine  Partikel  von  den  Reliquien  des  h.  Antonius  Abbas,  die  heut 
neben   der  Krystallpaste    in  modemer  Einfassung  sich  befindet,  scheint   später 
hinzugefügt  worden  zu  sein,   indem  vielleicht  das  grössere  Gebein,  welches  ehe- 
mals die  Höhlung  ausfüllte,  verloren  gegangen  ist    In  dem  andern  Reliquiarium, 
dem  Pendant  zu  dem  eben  beschriebenen  Gefässe,  befindet  sich  heute  noch  an  der 
in  Rede  stehenden  Stelle  ein  grösseres  Gebein,  das  dem  h.  Servatius,  Kschof  von 
Tongera  und  Maestricht,  zugeschrieben  wird.    Einer  mündlichen  Tradition  zufolge 
sollen  diese  beiden  merkwürdigen  und  formschönen   Gefässe  aus  der   ehemaligen 
St  Servatius-Pfarrkirche,  die  in  der  Nähe  von  St  Cunibert  an  der  Jobannstrasse 
gelegen  war,  herstammen.    Diese  alte  Pfarrkirche  ist  erst  in  den  zwanziger  Jah- 
ren dieses  Jahrhunderts  ungeachtet  ihres  monumentalen  Werthes  niedergelegt  wor- 
den, um  einer  Oelfabrik  Platz  zu  machen. 

Die  vollständig  identische  Behandlung  der  Filigranarbeiten  an  diesen  Reliqni- 
arien  mit  denen  an  der  vorbeschriebenen  ^^herma^*  scheint  der  Annahme  das  Wort 


ST.  CUKIBEBT.  t3 

ZU  sprechen,  das8  das  Brustbild  mit  den  beiden  in  Rede  stehenden  Beliquienarmen  von 
einem  und  demselben  Meister  und  zu  derselben  Zeit  sei  angefertigt  worden,  und 
zwar  in  der  Absicht,  dasselbe  als  Mittelsttick  zwischen  den  beiden  Brachialien  an 
Festtagen  auf  dem  Untersatz  des  Altares  zu  exponiren.  Wenn  die  Wiederherstel- 
lung dieses  interessanten  Pectoralbildes  in  späterer  Zeit  erfolgen  sollte,  so  dürften 
wohl  auch  die  beiden  oben  beschriebenen  jybrachia^  in  Silberblech  sfylgerecht  wie- 
der ergänzt  werden,  indem  die  Gewinnsucht  in  den  Stttrmen  zu  An&ng  dieses 
Jahrhunderts  die  primitiven  in  Silber  getriebenen  Hände  gewaltsam  fortgenonmien 
und  durch  solche  von  versilbertem  Holze  wieder  ergänzt  hat  Glücklicher  Weise 
finden  sich  die  wesentlichen  Theile,  ebenfalls  in  Silber  getrieben,  noch  an  den  bei- 
den formverwandten  Beliquiengefässen  aus  St.  Gereon  vor,  und  dürften  von  diesen 
die  Modelle  und  Vorlagen  zu  entnehmen  sein.  Als  Parallelen  zu  diesen  eben  be- 
schriebenen yjbrackia^  verweisen  wir  hier  im  Vorbeigehen  noch  auf  zwei  äusserst 
delicat  und  zierlich  gearbeitete  Beliquiarien  in  Form  von  Armschenkeln,  im  Schatze 
der  Stiftskirche  zu  Essen  befindlich,  die  jedoch  um  150  Jahre  jünger  befunden 
werden  dürften.  Auch  der  kOnigl.  Haus-  und  Reliquienschatz  zu  Hannover  hat 
noch  eine  grössere  Zahl  Reliquienge&sse  in  dieser  Form  au&uweisen. 


54. 

Ffinfarmiger  Staadlenchter 

in  Form  eines  Kreuzes. 

Hohe  1  Meter  60  Centimeter,  Breite  der  Arme  1  Meter  10  Centimeter.  GelbgOBs  des  XV.  Jahrhanderts. 

Wenn  von  competenter  Seite  in  nicht  zu  femer  Zukunft  nachgewiesen 
und  durch  Beispiele  veranschaulicht  werden  wird,  von  welcher  formellen  Beschaf- 
fenheit im  Mittelalter  die  verschiedenartigen  Beleuchtmigsapparate  fllr  Kirche  und 
Altäre  gewesen  sein  mögen,  so  dürfte  zur  Aufhellung  und  Feststellung  dieser 
eben  so  interessanten,  als  praktischen  Frage  auch  der  vorliegende  Lichterhalter 
nicht  übergangen  werden. 

Von  den  vielen  mehrarmigen  Leuchtern,  die  ehemals  als  Meisterwerke  des 
Metallgusses  verschiedenen  Kirchen  Kölns  zur  Zierde  gereichten,  hat  sich  heute  nur 
dieser  einzige  ftlnfarmige  Leuchter  in  St  Cunibert  noch  erhalten,  der  Anhaltspunkte 
bieten  dürfte,  von  welchem  Beichthum  und  welcher  Zierlichkeit  der  Formen  jene 
grösseren  Lichterkronen  und  umfangreichen  Standleuchter  ehemals  gewesen  sind,  die 
unter  dem  Namen  „poli/candella**  oder  y,arbores  B,  M.  F."  in  allgemeinerem  Gte- 
brauche  waren.  Gleichwie  diese  siebenarmigen  Leuchter  in  ihrer  Siebenform  als 
Mutter-Gottes-Leuchter  die  sieben  Freuden  oder  die  sieben  Schmerzen  Maria's  sym- 
bolisch andeuten  sollten,  so  scheint  der  vorliegende  mehr  als  Passionsleuchter  in  der 
Fünfzahl  seiner  Lichter  die  fllnf  Wundmale  des  Heilandes  mystisch  versinnbilden 
zu  wollen. 


14  ST.  CUKIBEBT. 

Auf  einem  dreieckigen,  ungefähr  50  Gentimeter  hohen  Sockel  von  Stein, 
der  an  seinen  Ecken  abgeschrägt  und  mit  breiten  Widerlagen  fast  zu  einem  Sechs- 
eck umgestaltet  ist,  erhebt  sich  ein  34  Gentimeter  hohes,  nach  oben  sich  yer- 
jungendes  Piedestal,  ebenfalls  im  Sechseck  construirt.  Dieser  in  Messing  hohlge* 
gossene  Sockel  ist  an  drei  Seiten  umlegt  von  kleinen  gegossenen  Löwen  in  der 
Länge  von  14  Gentimeter.  Auf  dem  sechseckigen  Untersockel  ruht  ein  profilirter 
Wulst  in  Ereisform,  aus  welchem  eine  runde  Röhre  gleichsam  herauswächst,  die 
durch  ihre  eingelassenen  abgesägten  Aeste  zu  beiden  Seiten  einen  Baum  als  Kreu- 
zesstamm veranschaulichen  soll,  nämlich  jenen  mystischen  tfOrbor  vitae,  in  qua  salus 
nostra  pependit."  In  massiger  Höhe  theilt  sich  der  mittlere  Hauptstamm  seitwärts 
in  zwei  Aeste,  die  sich  wiederum  nach  oben  zweifach  theüen. 

Da  der  mittlere  Hauptstanun  geradlinig  durchgeht ,  so  entstehen  also  durch 
diese  doppelte  Verästelung  des  Lebensbaumes  fllnf  Lichthalter,  die  auf  ihren  Spitzen 
einen  breiten  Teller  zum  Auffangen  des  herunterträufelnden  Wachses  tragen.  Da, 
wo  der  Baumstamm  nach  beiden  Seiten  sich  in  Kreuzesform  verästelt,  hat  der  Künst- 
ler in  vollendetem  Guss  das  Bild  des  Gekreuzigten  angebracht,  dessen  grösste 
Längenausdehnung  83  Gentimeter,  wogegen  die  Spannung  der  Hände  80  Gentime- 
ter beträgt 

Das  mit  vollendetstem  Ausdruck  des  Schmerzes  kunstvoll  gegossene  Haupt 
des  Erlösers  trägt  die  Domenkrone ;  die  übrigen  körperlichen  Formen  sind  mit  ge- 
nauer Kenntniss  der  Anatomie  fttr  die  Zeit  der  Entstehung  dieses  Kunstwerkes 
richtig  gegeben,  sogar  die  gespannten  Adern  des  Körpers  sind  in  dem  Gusswerk 
angedeutet;  auch  das  Lendentuch  ist  in  edlem  Faltenbruch  stylgerecht  geordnet 
Die  ziemlich  richtige  anatomische  Durchführung  der  Körperformen  an  der  Figur 
des  Gekreuzigten,  nicht  weniger  der  Sockel  von  Stein  mit  seinen  architektonischen 
Profilirungen  lassen  deutlich  erkennen,  dass  der  vorliegende  Passionsleuchter  in 
den  letzten  Decennien  des  XV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  ist  Dass  das  vor- 
liegende Gusswerk  in  Köln  entstanden  ist,  dürfte  wohl  nicht  beanstandet  werden, 
da  bekanntlich  alle  Kleinkünste  im  XY.  Jahrhundert  in  dem  gewerbe-  und  industrie- 
reichen Köln  ihre  zunftgerechte  Ausübung  fanden.  Mehrere  heute  noch  erhaltene 
Taufbecken  des  XYI.  Jahrhunderts,  die  in  Köba  gegossen  worden  sind,  lassen  mit 
Grund  annehmen,  dass  auch  im  XY.  Jahrhundert  der  Metallguss  in  grösserem  Um- 
fange in  den  Mauern  Kölns  von  den  Meistern  der  Gelbgiesser-Innung  geübt  wurde. 
Man  braucht  deswegen  bei  dem  vorliegenden  fünfarmigen  Leuchter  nicht  der  An- 
nahme Raum  zu  geben,  dass  derselbe  in  den  bekannten,  äusserst  betriebsamen 
GusBwerkstätten  des  Mittelalters  zu  Maestricht  oder  Dinant  angefertigt  worden  sei. 
Was  Grossartigkeit  der  Anlage  und  Beichthum  des  Details  betrifit,  so  dürfte  der 
vorliegende  Kreuz-Gandelaber  um  Yieles  übertroffen  werden  durch  das  interessante 
Lichtgitter,  kupfergegossene  Sperre  zwischen  Ghor  und  Altar  im  Dome  zu  Xanten.*) 


*)  Vgl.  die  Abbildimg  in  den  Knnstdenkmttlern  des  chrisÜichen  Mittelalten  in  den  Rheinlandea 
von  £.  aos'm  Werth  I.  Band.  Taf.  XVIII.  No.  5. 


ST.  CUNIBERT.  15 

Dieses  prachtvolle  Gitter  als  Lichtträger  und  Chorschranke  ist  der  Inschrift  zufolge 
t50]  zu  Maestricbt  gegossen  worden.  Hinsichtlich  der  Anlage ,  der  Entstehungszeit 
und  Omamentation  dttrfte  der  dreiarmige  Standleuchter,  ebenfalls  im  Xantener 
Chore  befindlich"^),  mit  dem  fünfarmigen  Passionsleuchter  zu  St.  Cunibert  die 
meiste  Verwandtschaft  aufzuweisen  haben. 


55. 

Ostensorinm , 

aus  Messing,  vergoldet,  mit  emaillirten  Ornamenten. 

Höhe  45  Gentimeter,  grösster  Durchmesser  des  Fasses  18'/s  Centimeter.  XIY.  Jahrhundert. 

Fttr  das  Studium  mittelalterlicher  kirchlicher  Gefässe  bildet  das  vorliegende 
Reliquiarium  deswegen  ein  grösseres  Interesse,  weil  es  bei  sehr  einfacher  Form  er- 
kennen lässt,  wie  auch  in  der  Gothik  die  gettbten  Emailleurs  darauf  Bedacht  nah- 
men, bei  Anfertigung  kirchlicher  Gefässe  breitere  Flächen  zu  schaffen,  die  durch 
farbigen  Schmelz  und  bildliche  Darstellungen  gehoben  und  verziert  werden  sollten. 
Der  Fusstheil  des  vorliegenden  Ostensoriums  bietet,  in  Kreisform  angelegt,  eine 
breite  Fläche,  die  der  GU)ldschmied  durch  Anbringung  von  sechs  Emailmedaillons 
künstlerisch  zu  beleben  gewusst  hat.  Man  erblickt  nämlich,  von  erhaben  aufliegen- 
den Rändern  eines  Vierpasses  eingeschlossen,  ähnlich  geformte  Medaillons  im  gröss- 
ten  Durchmesser  von  4  Centimeter  8  Millimeter,  die  auf  roth  und  blau  emaillirtem 
Tiefgrunde  in  vergoldeten  Contouren  verschiedene  mittelalterliche  Thiersymbole  zu 
erkennen  geben.  Auf  dunkelblauem  Email  treten  nämlich  in  der  oberen  Hälfte 
dieser  Medaillons  in  zinnoberrothem  Email  die  Oberkörper  der  bekannten  evange- 
listischen Thiergestalten  hervor,  die  sämmtlich  einen  goldenen  Spruchstreifen  zu 
tragen  scheinen.  Diese  Abzeichen  der  Evangelisten  sind  mit  grosser  Bravour  imd 
Stylstrengheit  ausgeführt,  und  der  Emailleur  scheint  auf  eine  zarte  technische  Be- 
handlung nicht  viel  Geweht  gelegt  zu  haben.  Die  beiden  übrigen  Medaillons  zei- 
gen ebenfalls  Darstellungen,  die  der  mittelalterlichen  Thier-Sjmbolik  entlehnt  sind. 
In  dem  einen  erblickt  man  nämlich  auf  emaillirtem  Grund,  wie  er  in  seinen  Far- 
bennüancirungen  im  Vorhergehenden  angedeutet  wurde,  das  Bild  des  Pelikan,  der 
sich  selbst  seinen  Jungen  hingiebt.  Die  andere  Typologie  in  dem  folgenden 
Medaillon  ist  weniger  bekannt  und  stellt  einen  Löwen  dar,  wie  er  seine  Jungen 
am  dritten  Tage  nach  der  Geburt  anhaucht  und  ihnen  so,  nach  mittelalterlicher  An- 
schauungsweise, das  Augenlicht  verleiht. 

Dieses  eben  beschriebene  Fussstttck  entbehrt  sonst  jeglicher  Omamentation. 
In  der  Mitte  desselben  erhebt  sich  ein  Untersatz  oder  Sockel,  in  den  eine  runde 
Röhre  einmündet,   die  ungefähr  in  ihrer  Mitte  durch  einen  Elnauf  als  Handhabe 


*)  In  Abbilduag  befindlich  auf  derselben  Tafel  XVIII.,  No.  6. 


16  ST.  CÜNIBERT. 

angenehm  unterbrochen  wird.  Dieser  »^nodus"  ist  sechstheilig  angelegt  und  ttuft 
in  sechs  runde  Pasten  im  Durchmesser  von  fSäst  2  Gentimetem  aus,  die  abwechsefaid 
auf  blauem  und  roihem  Grund  in  vergoldeten  Miguskelbuchstaben  die  Worte  ,^Ave 
Maria"  enthalten. 

Zwischen  je  2  dieser  vorspringenden  emaillirten  Knäufe  hat  der  Goldschmied 
erhaben  aufliegend  je  eine  ,Jleur  de  lü"  angebracht,  die  nach  untenhin  in  die  da- 
rüber befindliche  Röhre  einzumünden  scheint  Diese  obere  Röhre  trägt  einen  im 
Kreise  angelegten  Aufsatz,  der  als  Piedestal  einen  Glascylinder  zur  Aufbewahrung 
von  Reliquien  smfnehmen  soll,  der  aber,  früher  wahrscheinlich  aus  Bergkrystall  beste- 
hend, gegenwärtig  fehlt  Heute  noch  umstehen  dieses  Receptaculum  vier  Wider- 
lagspfeiler  in  einfacher  Form,  an  deren  Sockel  vermittelst  Kettchen  zwei  kleinere 
emaillirte  Wappenschilder,  die  den  Typus  der  Frühgothik  unverkennbar  an  sich  tragen, 
aufgehängt  sind  und  auf  blauem  Grunde  zwei  sich  durchkreuzende  Pfeile  erkennen 
lassen.  Die  vier  Widerlagen  tragen  als  Helm  eine  kleine  Bedachung,  die  oben 
mit  einem  Knopfe  abschliesst  Der  obere  Theil  dieses  Schaugeftsses  bietet  in 
formeller  Beziehung  wenig  Interesse.  Die  Composition  und  die  technische  Durch- 
ftihrung  der  oben  beschriebenen  emailiirten  Ornamente,  desgleichen  die  charakte* 
ristische  Form  der  Majuskelbuchstaben,  wie  sie  als  monumentale  Künstlersohrift 
in  der  romanischen  Kunstepoche  g^big  und  gäbe  waren,  dürften  als  Beweise  an- 
gefbhrt  werden,  dass  das  vorliegende  Gefäss  gegen  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts 
seine  Entstehung  gefunden  habe,  eine  Epoche,  in  der  die  Zunftmeister  der  Gold- 
schmiede zu  Köln  durchsichtige  Schmelze,  ^^imaux  iranslucides"^  mit  Vorliebe  zur 
Ausftülung  von  einfachen  und  reichen  liturgischen  Geiässen  häufig  zur  Anwendung 
brachten. 


56. 

Reliqniarinm , 

in  Form  einer  kleinen  ,ftuinba^^  von  Acoluthen  getragen. 

Huhe  36  Vs  Centimeter,  grOsste  Anadelmiiiig  des  Fasses  39  Gentimeter.    XV.  Jahrhundert 

Da  dieses  Reliquiengefäss  eine  originelle,  von  dem  beinahe  feststehenden 
Typus  der  mittelalterlichen  Reliquiarien  abweichende  Form  hat,  so  dürfte  das- 
selbe schon  seiner  eigenthümlichen  Anlage  wegen  eine  genauere  Betrachtung  sei- 
ner Detailformen  verdienen. 

Auf  vier  liegenden  Löwen,  in  Bothkupfer  gegossen  und  vergoldet,  erhebt 
sich  ein  viereckiges  längliches  Piedestal  als  Sockel  in  der  Höhe  von  4Vs  Centime- 
ter, das  an  seinem  aufrecht  stehenden  Seitentheil  eine  ä  jour  Durchbrechung  in  Vier- 
passform zeigt  Auf  der  oberen  Fläche  des  Piedestals  liegt  ein  Halbcylinder  von 
massiger  Höhe,  der  mit  gefassten  Edelsteinen  verziert,  in  Ghamieren  beweglich  ist 


ST.  CCNIBEBT.  17 

und  zugleich  als  Deckverschluss  dazu  dient,  die  in  dem  ausgehöhlten  Fusstheil 
au&unehmenden  Beliquien  zu  verschliessen.  Auf  den  vier  Ecken  dieses  Untersatzes 
st^en  kleine  in  Bothkupfer  gegossene  und  ciselirte  Statuettchen  in  der  Höhe  von 
1 1  Centimeter.  Dieselben  sind  mit  Humeralen  und  Alben  bekleidet,  gleichsam  als 
Acoluthen,  und  tragen  auf  zwei  langen  Stäben,  die  auf  den  Schultern  derselben  zu 
ruhen  scheinen,  eine  Art  „tumba^,  die  ähnlich  einem  kleinen  „scrintum^  formirt 
ist.  Der  kleine  Behälter,  der  auf  diesen  Tragstangen  ruht,  ist  im  Sechseck  ge- 
halten und  aus  geschlififenem  Bergkrystall  angefertigt  An  den  beiden  Eopftheilen 
wird  diesem  kleinen  Kiystallsarge  durch  gedoppelte  Widerlagspfeiler,  die  auf 
beiden  Seiten  ein  Giebelfeld  flankiren,  ein  architektonischer  Abschluss  gegeben. 
Unter  diesen  beiden  Giebelfeldern  stellt  das  eine  auf  der  danmter  liegenden  platten 
Fläche  in  erhaben  aufliegenden  ciselirten  Figuren  die  Elrönung  Maria's  dar,  das 
andere  die  Ej-euzigung  Christi. 

Auf  den  inneren  Umfangswänden  dieses  horizontalliegenden  Erystallbehälters 
erheben  sich  auf  der  Spitze  kleine  thurmförmige  Aufbauten,  nach  unten  hin  qua- 
dratisch angelegt,  auf  welchen  ebenfalls  kleinere  Erystallröhren  im  Sechseck  ein- 
gefügt sind,  die  als  verschliessbare  Behälter  oben  von  einem  kleinen  Helm  über- 
ragt werden,  auf  deren  Spitze  die  beiden  Figuren  der  sogenannten  Passionsgruppe 
Maria  und  Johannes  stehen. 

Die  auf  der  oberen  Spitze  dieser  kleinen  Erystalltumba  horizontal  gelegte 
Klammverzierung  wird  in  der  Mitte  unterbrochen  durch  einen  viereckigen  thurm- 
förmigen  Aufsatz.  Die  obere  Erystallröhre  desselben  nebst  verschliessbarem  Dach- 
helme, die  ehemals  ohne  Zweifel  mit  einem  kleinen  Grucifixbilde  abschloss,  ist 
leider  verloren  gegangen  und  wird  heute  auf  eine  unzweckmässige  Weise  durch  das 
kleine  Bildniss  eines  Genius  als  Engel,  der  die  Posaune  bläst,  ergänzt.  Dieses 
eingeschobese  figurale  Ornament  rührt  offenbar  als  Giebelverzierung  von  dem  Ma- 
cabäer-Schreine  her,  der  unter  Fig.  23  der  I.  Lieferung  eine  eingehende  Besprechung 
gefunden  hat. 

Betrachtet  man  die  technische  Ausführung  dieses  Mausoleums,  so  kann  frei- 
lich nicht  behauptet  werden,  dass  dieselbe  durch  Feinheit  der  Form  und  Ausfüh- 
rung sonderlich  imponire;  desto  mehr  aber  fällt  die  originelle  Composition  in  die 
Augen,  wodurch  die  feierliche  Erhebung,  „translatio^  der  Ueberbleibsel  der  Hei- 
ligen von  ihrer  irdischen  Begräbnissstätte  angedeutet,  und  welcher  Akt  von  Dia- 
conen  oder  Ministranten  in  geistlichen  Gewändern  vollzogen  wird. 

Viele  kleinere  Details,  unter  andern  auch  die  unentwickelten  Blätter,  die 
als  Krabben  die  beiden  Giebelschrägen  verzieren,  scheinen  darauf  hinzudeuten,  dass 
der  vorliegende  Beliquienbehälter  im  Beginn  des  XY.  Jahrhunderts  seine  Entste- 
hung gefunden  habe. 


18  8T.  CUNIBEBT. 

57. 

Schangef&ss, 

aus  Silber,  rergoldet. 

Höhe  42  Vi  Centimeter,    grOsste   Breite  11  Centimeter,    Darchmesser  des  Fasses  U'/s  Centimeter. 

XV.  Jahrhundert. 

Von  kleineren  Reliquiengefässen,  die  eine  bo  delicate  Ausarbeitung  der  De- 
tailformen zur  Schau  tragen,  dürfte  sich  heute  in  den  Sacristeien  Köbis  wohl  kei- 
nes mehr  erhalten  haben,  das  aus  der  Yerfallzeit  der  Grothik  eine  solche  Eleganz 
der  Formen  erkennen  lässt,  wie  man  dieselbe  an  dem  vorliegenden  Ge&sse  wahr- 
nimmt. Der  Fuss  dieses  Gefässes,  in  Yierpassform  mit  angesetzten  Spitzen  angelegt» 
die  dem  Flamboyant-Style  als  sogenannte  „Eselsrttcken^*  entnommen  sind,  enthält  auf 
seinen  vier  Flächen  in  äusserst  zarter  Gravur  eine  mit  vielem  Schwung  und  Ausdruck 
eingravirte  Darstellung  der  Symbole  der  vier  Evangelisten.    Auf  diesem  schmalen 
Fusse  erhebt  sich,  über  Eck  gestellt,  eine  quadratisch  gebildete  yjistula^,  die  in 
ihrer  Mitte  ein  ^pamellum^  aufnimmt,  das  ebenfalls  im  Viereck  construirt,  auf  den 
vier  Seiten,  correspondirend  mit  den  Blättern  des  Fusses,  eine  kleine  Kreuzblume, 
erhaben  aufliegend,  hervortreten  lässt.    Auf  dieser  Röhre  erhebt  sich  über  einem 
schön  profilirten  Knaufe  ein  kleiner  Sockel,  der,  quadratisch  gehalten,  als  Piede- 
stal  eine  kleine  Krystallröhre  aufnimmt,   die  als  durchsichtiger  Behälter  eine  Re- 
liquie lunschliessen  soll.     Dieser  8  Centimeter  hohe  Cylinder  findet  seinen  Ab- 
schluss  in  einem  reichverzierten  schlanken  Aufsatz,  der  gleichsam  als  schwebender 
Baldachin  die  Reliquie  überschattet    Dieser*  kleine  Helm,   in  Form  eines   zierlich 
construirten  Dachreiters,   ist  ebenfalls   im  Viereck  angelegt,   und  isU  der  untere 
Sockel  dieses  Thürmchens  mit  vier  Fialen  umstellt,  die  zwischen  sich  eine  reich 
durchbrochene  Laubbekrönung,  im  Charakter  eines  Ziergiebels  aufnehmen.    Ueber 
dieser  omamentalen  Grundanlage  erhebt  sich  eine  ebenfalls  im  Viereck  construirte 
und  nach  oben  sich  verjüngende  grössere  Fiale,  die  mit  Spitzsäulchen,  von  einer 
doppelten  Kreuzblume  überragt,  endigt.    Den  innem  Kern  der  Fiale  umgeben  an 
den  vier  Ecken  freistehende  Widerlagspfeiler,  die  vermittelst  kleiner  Streben  mit 
demselben  constructiv  verbunden  und  nach  oben  ansteigend  zweimal  in  Spitzthttrm- 
chen  sich  verjüngend,  zu  je  zwei  auch  unter  einander  mit  einem  ornamentalen 
Ziergiebel  über  Eck  in  Verbindung  gesetzt  sind.    Dieser  leichte  Helmavifsatz  wird 
gestützt  und  getragen  durch  ein  doppeltes  System  von  Widerlagspfeilem,  zu  beiden 
Seiten  des  Cylinders  befindlich,  die  als  über  Eck  gestellte  Fialen  sich  nach  oben- 
hin in  Spitzthürmchen  verjüngen  und  von  einem  Kreuzblümchen  überragt  werden. 
Um  die  Leeren  zwischen  den  beiden  Seiten  des  Cylinders  und  diesen  stützenden 
Widerlagspfeilem  auszufüllen,  hat  der  Goldschmied  sehr  zweckmässig  die  äusseren 
Fialen  auf  jeder  Seite  durch  eine  Fensterstellung  mit  einfachen  Maasswerkverzie- 
mngen  verbunden.    Die  inneren  Räume  zu  beiden  Seiten  des  Cylinders  sind  durch 
ein  Astgeflechte  kunstreich  ausgefüllt,   in  der  Weise ^  wie  das  erst  in  der  Spät- 


ST.  CüOTBERT.  19 

gothik  in  der  Goldschmiedekimst  zur  Anwendung  kömmt.  Wie  die  Abbildung  zeigt, 
ist  die  Gomposition  und  der  Aufbau  dieser  gefälligen  y,manstrantiola^  eine  durchaus 
glückliche  zu  nennen;  auch  tritt  die  technische  Ausfährung  bescheiden  und  an- 
spruchslos aufy  so  dass  man  nicht  leicht  Gefahr  läuft ,  ttber  der  zu  sehr  gekttnstel- 
ten  und  delicaten  technischen  Ausführung,  wofür  nur  Fachleute  ein  getlbtes  Auge 
haben,  den  Werth  und  die  Vorzüge  der  Gomposition,  die  nicht  minder  hoch  anzu- 
schlagen ist,  zu  vergessen.  Auch  einem  weniger  geübten  Auge  dürfte  es  bei  näherer 
Betrachtung  der  Detailformen  dieses  wohlproportionirten  Gefasses  anschaulich  wer- 
den, dass  dasselbe  in  den  beiden  letzten  Decennien  des  XY.  Jahrhunderts  oder 
sogar  im  Anfange  des  XVI.  aus  der  Werkstätte  eines  kölnischen  Goldschmiedes 
hervorgegangen  sei,  der  mit  Leichtigkeit  in  den  schwungvollen  Formen  das  „style 
flamboiante"  sich  zurecht  zu  finden  wusste. 


58. 

Gefilss 

zur  Aufbewahrung  der  geweihten  Oele,  in  vergoldetem  Silber. 

Höhe  29  Centimeter,    Darehmesser  des  Fasses  llVs  Centimeter.    XYI.  Jahrhimdert. 

Vorliegendes  Gef^s,  das  als  Salbbüchse  beim  Austheilen  der  heil.  Oelung 
gebraucht  wird,  ist  in  seinen  Formen  sehr  einfach  gehalten  im  Vergleich  mit  den 
reichen  Formbildungen,  welche  sich  an  jenem  altem  Salbgefäss  entfalten,  welches 
heute  noch  in  der  Pfarre  St.  Maria  Lyskirche  in  Gebrauch  ist*) 

Indem  wir  der  Vollständigkeit  wegen  dieses  „vasculum^  hier  in  möglichst 
kurzer  Beschreibung  nebst  Abbildung  mittheilen,  behalten  wir  uns  vor,  bei  Gelegen- 
heit der  Beschreibung  des  ebengedachten  Gefasses  Ausführlicheres  über  die  im 
Mittelalter  gebräuchlichen  Salbgefässe  zu  berichten.  Der  Fusstheil  derselben  zeigt,  wie 
gewöhnlich,  eine  sechstheilige  Rose  mit  ziemlich  tiefen  Einschnitten.  Auf  dem  Halse 
dieses  Fusses  erheht  sich  ein  profilirter  Aufsatz,  aus  welchem  eine  sechseckige  kleine 
Röhre  hervortritt,  die  sich  nach  oben  fortsetzend,  in  ihrer  Mitte  von  einem  runden 
Knauf  umfangen  wird.  Dieser  „nodus^  besteht  ebenfalls  aus  sechs  Blättern,  die 
in  ihrer  Ausbildung  die  Formen  der  Spätgothik  erkennen  lassen.  Auf  einer  zwei- 
ten Röhre  stützt  sich  ein  ebenfalls  im  Sechseck  construirter  Sockel,  der  als  Piede- 
stal  eine  Deckplatte  in  Elleeblattform  aufnimmt,  auf  welcher  in  Kleeblattform  drei 
Gefässe  ab  kleine  Gylinder  im  Durchmesser  von  3  Vz  Gentimeter  bei  einer  grössten 
Höhe  von  6  Gentimeter  ruhen.  Diese  drei  runden  j^pt/xides^  im  Dreieck  zusam- 
mengefügt, dienen  als  Behälter  zur  Aufnahme  der  geweihten  Oele,  nämlich  'des 
„oleum  catechumenorum^^  des  „oleum  mfirmomm^  und  des  ^^Chrysma^.  Diese  drei  Be- 


*)  Die  Beschreibang  dieser  yjpyxit^*  aus  St.  Maria  Lyskirche  folgt  in  der  IV.  Lieferang. 


^0  ST.  CUNIBEBT. 

hälter  werden  gemeinsam  von  einem  VerschlusB  in  Kleeblatifonn  bedeckt,  auf  dem 
8ieb,  im  Secheeck  angelegt,  ein  kleiner  Helm  erhebt,  der  oben  in  seiner  Spitze 
durch  einen  niedrigen  kleinen  Knauf  abgeschlossen  wird.  Es  dürfte  wohl  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  dieses  einfache  Salbgefäss  im  Beginn  des  XVI.  Jahrhun- 
derts angefertigt  worden  ist.  Die  schönen  Verhältnisse  der  einzelnen  Theile,  die 
an  demselben  als  gebr  gelungen  zu  bezeichnen  sind,  dürften  dasselbe  bei  vorkom- 
mender Neuschaffung  als  mustergültiges  Vorbild  empfehlen. 


59. 

Beschlag  eines  antiphonariumsy 

< 

in  Kupfer  gegossen. 

GnSsstcr  Durchmesser  des  roittleren  Beschlages  15  Centimeter,  gi^sste  Länge  der  Eckheschläge  eben- 

faUs  15  Centimeter.    XV.  Jahrhundert. 

Die  beweglichen  Sängerpulte  in  den  vielen  reichen  Stiftskirchen  des  mittel- 
alterlichen Köln  trugen  bis  zur  Aufhebung  derselben  noch  grosse  und  schwere 
Pergameutcodices  als  RitualbUcher,  in  welchen  von  Miniatoren  und  Notenschreibem 
die  zum  Chordienste  nöthigen  Gesangstttcke  in  kunstvoller  Weise  eingeschrieben  und 
mit  reichen  Initialen  und  Bildwerken  illustrirt  wurden.  Nur  noch  wenige  Kirchen 
Kölns  haben  aus  den  Stürmen  der  Revolutionszeit  diese  meist  prachtvoll  ausge- 
statteten Eitualbücher  bis  zur  Stunde  sich  zu  bewahren  vermocht.  Auch  dürfte  nur  noch 
eine  geringe  Zahl  derselben  mit  so  reichen  Beschlägen  verziert  sein,  wie  sich  die- 
selben an  den  werthvoUen  Chorbüchem  von  St.  Cunibert  vorfinden. 

Der  Beschlag  an  dem  einen  Antiphonale,  abgebildet  unter  Fig.  59  u.  59a  zeigt 
in  rohen  unentwickelten  Formen  eine  Grossartigkeit  der  Composition,  die  heute  noch 
bei  grossem  Bitualbüchem,  wenigstens  der  Idee  nach,  als  Mustervorlage  maassge- 
bend  sein  dürfte. 

Um  den  schweren  Einband  auf  dem  Deckel  vor  Reibung  und  Beschädigung 
zu  schützen,  tritt  an  jedem  Eckbeschlage  ein  starker  Knauf  in  Form  einer  vier- 
blätterigen Rose  hervor,  wodurch  selbst  das  Gusswerk  vor  Friction  geschützt  ist. 
In  grader  Linie  neben  diesen  schützenden  Knäufen  erheben  sich  in  einer  quadrati- 
schen Einfassung  über  Eck  gestellt  die  geflügelten  vier  Thiersymbole  der  Evange- 
listen, die  im  rohen  Guss  ä  jour  durchbrochen  sind.  Die  beiden  zur  Spitze  an- 
steigenden Seiten  auf  jedem  dieser  Eckbeschläge  sind  mit  Laubomamenten  reich 
ausgestattet,  die  mehr  durch  ihre  Composition  als  durch  feine  Ausbildung  der  Details 
imponiren.  Die  Mitte  des  Deckels  wird  auf  jeder  Seite  geschützt  durch  einen  Beschlag 
in  Form  einer  runden  Scheibe,  in  deren  Mitte  frei  durchbrochen  ein  Osterlamm, 
das  Symbol  der  Auferstehung,  ruht  In  dem  3  Centimeter  breiten  um  dieses  j^agnus 
dei^  herumgeftlhrten  Rande,  schlängelt  sich  ebenfalls  durchbrochen  eine  zierliche  Laub- 
guirlande,  die  ein  Pflanzenomament,  dem  Kleeblatt  ähnlich,  erkennen  lässt  Auch  die 


St.   CLNIBERT.  21 

Krampen  dieses  äusserst  soliden  und  stattlichen  Codex  entbehren  durch  passende 
GraTirungen  ihres  Schmuckes  nicht.  Sollte  bei  vorkommendem  Entwurf  von  Be- 
schlägen zur  Zierde  ftir  Messbttcher  die  Idee  der  vorliegenden  adoptirt  werden,  do 
dürfte  darauf  Bedacht  genommen  werden  müssen,  dass  unter  Beibehaltung  des  Mo- 
tives  sämmtliche  Details  und  Ornamente,  an  einem  kleineren  Messbuche  angewandt, 
eine  feinere  und  delicatere  Ausführung  zu  erfahren  hätten.  Der  in  Rede  stehende 
PergamentrCodex  zeigt  im  Innern  eine  in  Scalen  von  fünf  Linien  stehende  Nota- 
tion in  kölnischer  Weise.  Die  schöne  Schrift,  sowie  einzelne  Initiale  in  vielen 
Farben  ausgeführt,  sind  Belege  dafür,  dass  das  vorliegende  umfangreiche  Manu- 
script  gegen  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  von  Klosterschreibem  begonnen  worden 
ist.  Die  Fortsetzung  und  der  Schluss  wurden  der  Inschrift  zufolge  von  den  Mi- 
niatoren  und  Schreibern  des  Conventes  Wydenbach  erst  im  Jahr  1553  hinzugefügt, 
so  dass  das  Antiphonale  von  verschiedenen  Händen  in  seiner  jetzigen  Gestalt  erst 
gegen  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  vollendet  wurde.  Die  darauf  bezügliche  inter- 
essante Inschrift  lautet  mit  Umgehung  der  Abkürzungen  also: 

„/n  laudem  Dei^  Mariae  virghns,  Kumberti  et  aliorum  hnjus  ecclesiae  patro- 
norum  olim  inchoatum  est  istud  antiphonale  a  fratribus  in  Wydenbach  grandl  pecu- 
nia  per  diversarum  personarum  manus  adjutrices  anno  1553  perfectum,  loeatumque 
ante  subsellia  dominorum  vicariorum  in  totere  domini  decani  ad  quortim  usum  pe?*- 
manere  perpetuo  debet.^ 

Ein  zweites  nicht  weniger  voluminöses  Graduale  wird  in  der  Sakristei  von  St.  Cuni. 
bertausder  alten  Stiftszeit  herrührend,  noch  aufbewahrt,  das  in  zierlichen  Durch- 
brechungen in  Kupfer  gegossene  Eckbeschläge  aufzuweisen  hat,  wie  sie  sich  in  ähnli- 
cher Form  ehemals  häufiger  an  solchen  schweren  Chorbtichem  in  Pergament  vorfinden 
mochten.*  Diese  Beschläge  sind  schlicht  und  einfach  gehalten,  und  geben 
dieselben  in  derber  Ausführung  ein  gothisches  Laubwerk  zu  erkennen,  das  in  die- 
ser Formation  das  XV.  Jahrhundert  hindurch  bei  kölnischen  Gelbgiessem  gang 
und  gäbe  zu  sein  scheint.  Als  Eigenthümlichkeit  dieser  Beschläge  verdient  noch 
bemerkt  zu  werden,  dass  die  Durchbrüche  derselben  ursprünglich  abwechselnd  in 
roth  und  blau  bemaltem  Pergament  hinterlegt  waren. 

Auch  die  Krampen,  Schliesser  dieses  Chorbuches  tragen  in  derber  Gravi- 
rung  zwei  Standbilder  des  heil.  Cunibert  und  des  heil.  Clemens. 

Das  in  Rede  stehende  guterhaltene  Chorbuch  zeigt  auf  dem  ersten  Blatt  eine 
merkwürdige  Inschrift,  woraus  erhellt,  dass  die  Brüder  des  Conventes  Wydenbach 
im  XVI.  Jahrhundert,  alß  die  Buchdruckerei  in  Köln  schon  in  grösserem  Umfange 
blühte,  noch  immer  als  Abschreiber  und  Miniatoren  in  Thätigkeit  waren.  Derselbe 
lautet: 

ff  ad  laudem  Dei  omnipotentis,  sanctae  et  indhiduae  Trrnitatis,  beatae  Mariae 
semper  virginis  9anctorumque  Clementis,  Ewaldortim  et  Cumberti  patronorum  abso- 
lutus  consummatusgue  est  liber  iste  pef*  fratres  in  Wydenbach.  Quem  scribi  cura- 
verunt  honorabiles  et  providi  ewecutores  honorabilis  Mychelbach  hujus  ecclesiae  dum 
m'ant  canonici  presbyteris.  Anno  domini  millesimo  quingentesrmo  XXXIII  pro  rA 
carüs  in  latere  domini  praepositi  stantibus  et  canentibus, " 


22  ST.   CÜNIBERT. 

Ebenso  befinden  sich  in  der  Sacristei  von  St  Cunibert  noch  zwei  pracht- 
voll erhaltene  ältere  Chorbücher,  deren  zart  ausgeführte  Miniaturbilder  von  der 
grossen  Kunstfertigkeit  und  Geschicklichkeit  kölnischer  Miniatur-Maler  aus  dem 
Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts  Zeugniss  ablegen.  Fllr  den  speciellen  Zweck,  den 
wir  uns  in  diesem  Werke  gestellt  haben,  gewähren  die  massiven  Metallbeschläge 
dieser  letztgedachten  Chorbttcher  kein  besonderes  Kunstinteresse,  indem  sie  keine  ent- 
wickelte Form  zeigen,  sondern  blos  auf  der,  in  ihren  Deckel  hineinragenden  Spitze 
mit  einer  fleur  de  lis  verziert  sind. 


Ehemaliger  Schatz  der  Stiftskirche  von  St.  Cunibert. 

Der  Beliquienschatz  der  vormaligen  Stiftskirche  vom  h.  Cunibert  muss  den 
Berichten  Gehlen's  zufolge  noch  im  XYII.  Jahrhundert  umfangreich  gewesen  sein. 
Man  erkennt  das  aus  der  reichhaltigen  summarischen  Aufzählung  von  Reliquiarien, 
die  unser  Gewährsmann  aus  einer  gedruckten  Tafel,  die  ihm  vorlag,  aufgestellt  hat. 
Leider  verbreitet  sich  der  ebengedachte  Beschreiber  der  ehemaligen  Grösse  Kölns 
nicht  über  die  Ge^^talt  und  formelle  Beschaffenheit  jener  kostbaren  und  kunstrei- 
reichen  Gefässe,  worin  diese  zahlreichen  Reliquien  ehrfiirchtsvoU  aufbewahrt  wur- 
den. Der  gedachte  kölnische  Chronist  theilt  diese  Schätze  von  St.  Cunibert  ein  nach 
Rubriken,  in  welchen  die  Heiligen  in  Weise  der  Litaneien  nach  den  verschiedenen 
Cötus  aufgezählt  werden.  Zu  der  ersten  Rubrik  gehören  Reliquien  in  kostbaren 
und  kunstreichen  Fassungen,  die  zu  der  Person  des  Heilandes,  seiner  jungfräulichen 
Mutter  und  zu  dem  Vorläufer  Johann  Baptist  in  directer  Beziehung  standen. 
Unter  andern  seltenen  Reliquien  hebt  er  daselbst  hervor:  eine  grosse  bemerkens- 
werthe  Partikel  vom  heiligen  Kreuze,  deren  Echtheit  durch  Feuer  erprobt  worden 
sei.  In  älteren  Schatzverzeichnissen,  die  wir  in  grosser  Zahl  allenthalben  abschrift- 
lich anzusammeln  Gelegenheit  hatten,  ist  oft  von  solchen  durch  Feuersgewalt  authen- 
tisch bewährten  Reliquien  die  Rede.  Dem  zu  Folge  hat  man  an  vielen  Orten,  wie 
das  im  Geiste  des  Mittelalters  lag,  gleichsam  durch  ein  Gottesurtheil  die  Echtheit 
solcher  Schätze  bestätigen  lassen  wollen. 

"  Eine  weitere  Rubrik  zählt  grössere  Reliquien  der  Apostel  auf,  unterlässt  es 
aber,  ebenfalls  die  Reliquienbehälter,  worin  dieselben  aufbewahrt  werden,  des 
Weiteren  zu  beschreiben.  Die  folgende  Abtheilung  führt  in  langer  Reihe  eine 
grosse  Menge  von  Ueberbleibseln  heiliger  Märtyrer  auf.  In  einer  andern  Rubrik 
begegnet  man  der  Angabe  einer  grossen  Zahl  von  Reliquien  aus  der  Reihe  der 
Bischöfe  und  Bekenner.  Unter  diesen  heben  wir  hier  hervor  Kelch  und  Stoledes 
h.  Cunibert,  Erzbischofs  von  Köln  und  Patrons  der  besagten  Kirche.  Da  der  h. 
Cunibert  im  YHI.  Jahrhundert  lebte  und  am  austrasischen  Hofe  bei  den  firänki- 
sehen  Königen  in  hohem  Ansehen  stand,  so  wttrde  heute  dieser  authentische  Kelch 
und  diese  Stole  zur  Beurtheilung  der  Kunstweise  der  vorkarolingischen  Epoche  von 
grösstem  Interesse  sein.    Unter  den  zuletzt  angeführten  Reliquien  befand  sich  auch 


ST.  CÜNIBERT.  23 

in  einer  koBtbaren  Monstranz  mit  Krystalleylinder  eingeschlossen  die  „barba  sancti 
ÄnUmh\  monachi  et  eremitae^.  Unser  Gewährsmann  erzählt  davon  folgende  merk- 
würdige Begebenheit.  In  jedem  Jahre,  wann  die  Gottestracht  Ton  der  Stiftskirche 
St  Cunibert  ihren  Ausgang  genommen  und  dieselbe  den  Märtyrerplatz  der  h.  Ur- 
sula und  ihrer  Gesellschaft  erreicht  habe,  so  sei  aus  dieser  Reliquie,  zu  dem  grössten 
Staunen  der  Umstehenden,  sofort  eine  Menge  Schweiss  und  Wasser  hervorgeträufelt. 
Zu  der  letzten  Klasse  der  Keliquien  in  zierlichen  Gelassen  waren  in  dem  ehemaligen 
Schatze  von  St.  Cunibert  noch  zu  rechnen  verschiedene  Gebeine  heiliger  Jung- 
frauen. Unter  diesen  hebt  Gehlen  besonders  hervor  eine  Reliquie  der  h.  Katharina 
von  Älexandrien,  deren  sterbliche  Ueberbleibsel  heute  noch  in  dem  von  der  Kaise- 
rin Helena  auf  dem  Berge  Sinai  gegründeten  Kloster  ruhen.  Durch  die  Kreuz- 
züge scheinen  mehrere  Reliquien  dieser  berühmten  Jungfrau  und  Märtyrerin  in  das 
christliche  Abendland  gekommen  zu  sein.  Merkwürdiger  Weise  finden  sich  heute 
noch  zahlreiche  Urkunden  vor,  worin  hochgestellte  glaubwürdige  Männer  als  Augen- 
zeugen bestätigen,  dass  in  ihrem  Beisein  aus  diesen  kleinem  Gebeinen  der  h.  Ka- 
tharina ein  feines  Oel  hervorgetröpfelt  sei.  Daher  auch  wohl  in  so  vielen  älteren 
kirchlichen  Schatz  Verzeichnissen  die  Angabe  „de  oleo  sanctae  Catharinae^. 

Eine  solche  Reliquie,  die  dieses  Oel  emaniren  liesse,  besass.  Gehlen  zufolge, 
auch  der  ehemalige  Schatz  von  St.  Cunibert.*)  Bei  den  gewaltsamen  Silberablie- 
ferungen, die  die  französischen  Commissäre  im  Auftrag  ihres  Gouvernements  am 
Schlüsse  des  vorigen  Jahrhunderts  bei  den  reichem  Stiften  Kölns  anzuordnen  sich 
in  der  Lage  sahen,  sind  alle  diese  Kunstgeräthe  des  Schatzes  von  St.  Cunibert 
nebst  ihrem  ehrwürdigen  Inhalte  spurlos  verschwunden.  Zum  Beweise,  mit  welcher 
Rohheit  und  Rücksichtslosigkeit  die  damaligen  fremdländischen  Dränger  und  Sil- 
bererpresser bei  Eintreibung  der  Kirchenschätze  zu  Werke  gingen,  und  wie  wenig 
diese  Leute  bei  der  Sucht  und  Gier  nach  Gold  und  Silber  den  bei  weitem 
höher  anzuschlagenden  historischen  Kunstwerth  zu  schätzen  wussten,  werden  wir, 
als  Anhang  zum  Vorliegenden,  eine  authentische  Angabe  vom  Jahr  1 796  dem  Wort- 
laute nach  mittheilen,  woraus  zugleich  hervorgeht,  welche  grossartige  Kunstschätze 
das  Stift  von  St  Andreas,  damals  bei  weitem  nicht  das  reichste  in  Köln,  diesen 
französischen  Commis^ären  unwiederbringlich  zum  Opfer  bringen  musste. 

Wie  die  meisten  älteren  und  reicheren  Stifte  Kölns,  besass  auch  der  Schatz 
von  St.  Cunibert  noch  bis  zum  Anfang  dieses  Jahrhunderts  zwei  kostbare  gr()3sere 
Reliquienschreine  in  der  Länge  von  5—6  Fuss,  die,  unverbürgten  mündlichen  Mit- 
theilungen zu  Folge,  von  einheimischen  Zerstörern  auf  den  damals  häufig  vernehm- 
baren Gmnd  hin,  „was  man  sich  nicht  selbst  bei  Zeiten  zu  eigen  mache,  das  falle 
ja  doch  später  den  Franzosen  in  die  Hand'S  beraubt  und  gänzlich  entstellt  worden 


*)  Auch  die  heute  noch  an  Kunntschätzen  des  Mittelalters  reichhaltige  Sacristei  der  ehemaligen 
Stiftskirche  zu  Grefrath  im  Bergischen  besass  ehemals  eine  solche  bewährte  und  vielbesuchte  Reliquie 
der  h.  Katharina,  an  welcher  jährlich  diese  auffallende  Erscheinung  stattfand.  Professor  Floss  bespricht 
dieses  merkwürdige  Factum  ausführlich  in  seinen  ^^geschichtlichen  Nachrichten  über  die  Aachener  Hei- 
lig^htimer*'  und  bringt  zugleich  im  Anhange  eine  grosse  Zahl  Ton  Urkunden  im  Wortlaute  bei,  wodurch 
glaubwürdige  Augenzeugen  die  Richtigkeit  dieser  Regcbenheit  eidlich  erhärten. 


24  ST.  CUNIBEBT. 

Bind.  Diese  beiden  ehemals  kostbaren  Beliquienschreine  treten  heute  dem  über  solche 
Entschuldigungsgrunde  erstaunten  Kunst-  imd  Geschichtsforscher  als  leere  nackte  Holz- 
kasten entgegen.  Hinsichtlich  ihrer  Wiederherstellung  scheinen  dieselben  jener 
besseren  Zukunft  entgegen  zu  harren,  in  welcher  die  Sünden  und  Verirrungen 
der  letzten  Vergangenheit  von  den  späteren  Nachkommen  und  Urenkeln  wieder  gut- 
gemacht und  gesühnet  werden  sollen.  Der  ältere  dieser  „tumbae**  verschliesst  heute 
noch  die  sterblichen  Ueberreste  des  h.  Guniberts,  in  dem  andern  werden  die  Gebeine 
der  beiden  Ewaldi  aufgehoben.  Di6se  beiden  Brüder,  nach  der  Farbe  der  Haare 
der  „Blonde  und  der  Schwarze  Ewald^'  genannt,  kamen  aus  Britannien  als  GUu- 
bensboten  nach  Deutschland,  um  hier  den  Brukterem  und  Sachsen  das  Eyangelium 
zu  verkündigen. 

Nachdem  sie  im  Anfang  des  VIU.  Jahrhunderts  die  Palme  des  Märtyrer- 
thums  in  der  treuen  Verkündigung  des  Evangeliums  am  Niederrhein  errungen 
hatten  wurden  ihre  Körper  in  der  Gunibertskirche  ehrfurchtsvoll  beigesetzt 

Das  eine  dieser  heute  ihres  ehemaligen  Glanzes  völlig  entblössten  Schrein- 
werke scheint  dem  Schlüsse  des  XU.  Jahrhunderts  anzugehören,  wie  man  das 
an  den  in  spätromanischem  Kleeblattbogen  gewölbten  Nischen  erkennen  kann,  die, 
sich  aneinanderschliessend,  die  beiden  Langseiten  des  Schreines  ausfüllen.  Unter 
diesen  baldacbinartigen  Wölbungen  thronten  ehemals,  wie  das  bei  sämmtlichen 
heute  noch  erhaltenen  Reliquienschreinen  der  Kölner  Erzdiöcese  aus  dieser  Epoche 
der  Fall  ist,  die  in  Silber  getriebenen  sitzenden  Bildwerke  der  12  Apostel.  Auf 
den  obem  schrägen  Bedachungsflächen  des  Schreines  gewahrt  man  heute  noch  in 
Eichenholz,  vertieft  eingestochen,  je  vier  leere  Medaillons  in  romanischer  Vierpass- 
form, die  ebenfalls  auf  dem  heute  noch  erhaltenen  kostbaren  Schreine  des  h.  Al- 
banus in  der  Pfarrkirche  der  h.  Maria  in  der  Schnurgasse  in  dieser  Gestaltung  er- 
sichtlich sind. 

Vermuthlich  waren  in  diesen  Vierpassfüllungen  in  getriebener  Arbeit  figuren- 
reiche Scenen  aus  dem  Leben  des  betreffenden  Heiligen  dargestellt,  dessen  Ueber- 
bleibsel  in  diesem  reichen  Mausoleum  ruhten. 

Der  zweite,  seines  metallischen  Schmuckes  gänzlich  entblösste  Reliquienschrein 
vom  h.  Gunibert,  scheint  der  entwickelten  Spitzbogenstellung  zu  beiden  Langseiten, 
sowie  den  übrigen  Detailformen  in  Eichenholz  nach  zu  urtheilen,  dem  Schlüsse  des 
XUI.»  oder  dem  Beginne  des  XFV.  Jahrhunderts  anzugehören.  Die  kunstlosen 
Ueberreste  desselben  in  rohem  Holz  lassen  heute  noch  deutlich  erkennen ,  dass  er 
in  seiner  ehemaligen  Pracht  und  Grossartigkeit  eine  verwandte  formelle  Ausbildung 
gehabt  habe,  wie  dieäelbe  sich  heute  noch  an  dem  ehemaligen  St.  Patrociikasten 
aus  Soest  zu  erkennen  giebt,  der,  in  früherer  trauriger  Zeit  auf  die  Sclimelze  ge- 
bracht, einem  glücklichen  Zufall  seine  Errettung  vor  dem  Untergange  verdankt 
Derselbe  bildet  heute  ein  Prachtstück  unter  den  vielen  Kunstschätzen  in  dem  neuen 
königlichen  Museum  zu  Berlin. 


,?fu^  ß>i  .W«r*in. 


Xvß  ^JjBarKitt. 


$t  ^arfin. 


Daselbst  befindliche  Eunstgegenstftnde  des  Mittelalters. 


Seite 

3 


60)  Lichtträger  in  Form  knieender  Engel ,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XVI.    Fig.  60  u.  60a    . 
61}  Reliquiengef^ss  in  Weise  einer  sechseckigen  Monstranz,  von  Kupfer,  vergoldet,  XV.  Jahr- 
hundert.   Tafel  XVI.   Fig.  61 5 

62)  Schaugefäss  in  vergoldetem  Kupfer,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XVI.    Fig.  62    ...     .  6 

63)  Ciborium,  Silber,  vergoldet.  XV.  Jahrhundert.   Tafel  XVI.    Fig.  63  ....'..  7 

64)  Einfacher  Messkelch,  Silber,  vergoldet,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XVI.    Fig.  64  .     .     .  9 

65)  Taufstein  iu  weissem  Marmor,  IX.  Jahrhundert.    Tafel  XVII.  Fig.  65 10 

66)  Kusstäfelchen ,  Kupfer,  vergoldet,  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XVII.   Fig.  66    ....  13 

67)  Antiphonar,  mit  in  Kupfer  gegossenen  Eckbeschlägen,  XVI.  Jahrh.  Tafel  XVII.    Fig.  67  14 

68)  Ehemahger  AbbatialsUb  mit  dem  daran  befindlichen  Tuche,  XV.  Jahrh.  Tafel  XVII.  Fig.  68  16 

Messgewand  mit  reicher  Stabstickerei.     Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts 17 

Ehemaliger  Schatz  der  Benedictinerabtei  St.  Martin 18 


60. 

Lichtträger  9 

in  Form  eines  knieenden  Engels. 

Hohe  40  Centimeter.  XY.  Jahrhundert. 

Im  Mittelalter  hatte  der  Leuchter  eine  vielfach  variirende  Gestalt.  Wir  er- 
innern hier  nur  im  Vorbeigehen  an  die  originellen  Formen  der  Cerogtaten  in  der 
romanischen  Eunstepoche.  Es  hatten  nämlich  diese  Lichthalter  bis  zum  XDI.  Jahr- 
hundert die  Form  von  Drachen,  Bucentauren,  Greifen  oder  anderen  sagenhaften 
Thieren,  die  von  Riesen  oder  grotesken  menschlichen  G^talten  geritten  und  gebän- 
digt wurden.  *)    In  der  Regel  tragen  dann  diese  Reiter  die  Lichthalter. 

Die  Gothik  hatte  für  die  Leuchter  einfachere  Formen  zur  Geltung  gebracht. 
Entweder  erschienen  seit  dem  XIV.  Jahrhundert  in  Messing  gegossene  Leuchter,  ähn- 
lich jenem,  den  wir  unter  Fig.  1 3  L  Lief,  unter  den  Geräthschi^n  der  Jesuitenkirche 
beschrieben  haben,  oder  man  nahm  zu  figuralen  Darstellungen  in  getriebener  Arbeit 
Zuflucht  und  formte  als  Lichtträger  knieende  Engel ,  die ,  in  Weise  von  Chorknaben, 
Lichtständer  tragen,  welche  zur  Befestigung  eines  Wachslichtes  geeignet  erscheinen. 
Auch  die  vorliegenden  Lichthalter  zeigen  die  ältere  Form  von  knieenden  Engeln, 
die  als  Acoluthen  zierlich  gearbeitete  Armleuchter  tragen.  Diese  knieenden  Engels- 
gestalten sind  nicht,  wie  die  Lichtträger  aus  dem  Schatze  des  Kölner  Domes,  die 
wir  unter  Fig.  43  L  Lief,  näher  beschrieben  haben,  in  Silber  getrieben,  sondern  in 
Eichenhok  sculptirt  und  glänzend  vergoldet.  Ftbr  unseren  vorliegenden  Zweck 
haben  diese  interessanten  Bildwerke  insofern  ein  näheres  Interesse,  als  die  künst- 
lich gearbeiteten  Armleuchter,  die  von  diesen  Sculpturen  getragen ~  werden,  den 
metallischen  Künsten  des  Mittelalters  angehören,  indem  dieselben  aus  geschmiede- 
tem und  gravirtem  Eisen  bestehen  und  ein  Schüsselchen  zum  AuflFangen  des  Wach- 
ses tragen,  dessen  Detailformen  in  Kupfer  ausgeführt  sind.  Was  nun  die  Gompo- 
sition  und  technische  Ausführung  der  Bildwerke  in  Eichenholz  betrifl%,   so  muss 


*)  Yergl.  ähnliche  Lichtträger  in  den  Melanges  d^Arehiologie  par  M.  Martin  et  Cahier. 
T.  IL  pag.  42.  HinHichtlich  der  originellen  Form  der  romanischen  Leuchter  in  Thierbildungen  yergl. 
unsere  Abhandlung  ttber  den  Leuchter  des  Thassüo  im  Schatze  zu  Cremsmünster  in  den  Mittheilungen 
der  K.  K.  Oommission  zur  Erhaltung  der   Monumente.    Februarheft  1859. 


4  ST.  MARTIN. 

heiTorgehoben  werden,  da«s  die  Haltung  derselben  und  die  Detailausführungen  den 
Meissel  eines  tüchtigen  altkölnischen  Bildschnitzers  verrathen,  der  dem  ungeftigigen 
Holze  liebliche  und  seelenvolle  Gestaltung  abzugewinnen  gewusst  hat.  Wir  glauben 
nicht,  dass  unter  den  Bildschnitzereien  aus  dem  Schlüsse  des  XV.  Jahrhundert»  bei 
Engelfiguien  lieblichere  und  kindlichere  Gesichtszüge  gefunden  werden  dürften,  als 
dieselben  an  den  beiden  gedachten  Bildwerken  zimi  Vorschein  treten.  Die  beiden 
knieenden  Figuren  sind,  wie  das  immer  bei  Engeln  der  Fall  ist,  in  einem  kirch- 
lichen Costüme  dargestellt,  nämlich  mit  dem  Humerale,  der  Albe  und  dem  Cingn- 
lum,  jedoch  ohne  Stole.  Dieselben  scheinen  im  Fluge  niederzuknieen  und  halten 
einen,  auf  einem  vorspringenden  Knie  gestützten  kleinen  Leuchter,  der  seinem  Profil 
nach  an  die  Spätgothik  erinnert.  Auf  diesem  Untergestell  erhebt  sich  als  beweg- 
licher Armleuchter  in  einer  Schraube  ein  Aufsatz,  der  in  dieser  origineUen  zier- 
lichen Anlage  selten  mehr  angetroffen  werden  dürfte.  Wir  haben  deswegen  diesen 
oberen  Aufsatz  unter  No.  61a  auf  Tafel  XVI  in  vergrössertem  Massstabe  besonders 
dargestellt. 

In  einer  viereckigen  Kapsel,  die  nach  oben  und  unten  eine  ornamentale 
Vergoldung  zeigt ,  erhebt  sich  in  Form  der  lateinischen  Majuskel  S  eine  Ausladung, 
deren  Windung  auf  beiden  Seiten  von  spätgothischen  Laub-  und  Pflanzenomamen- 
ten  schwungvoU  umgeben  ist.  Auf  der  Spitze  dieses  gevmndenen  Armes  hat  der 
geschickte  Schmied  ein  Schüsselchen  von  Messing  angebracht,  das  die  Bestimmung 
hat,  in  seiner  breitem  Umkreisung  das  herabträufelnde  Wachs  aufzufangen.  Die- 
ses tellerförmige  Schüsselchen  hat  nur  nach  untenhin  ein  durchbrochenes  Lauboma- 
ment,  das  in  ähnlicher  Formation  an  den  Gusssachen  in  Messing  häufiger  wieder- 
kehrt. Es  dürfte  nicht  schwer  halten,  aus  den  entwickelten  Detailformen  der  Arm- 
leuchter mit  einiger  Sicherheit  die  Zeit  genau  zu  bestimmen,  wann  diese  beiden 
trefflichen  Bildwerke  von  einem  kölnischen  Schnitzer  angefertigt  worden  sind.  Das 
reichgelockte  sfylisirte  Haupthaar,  welches  durch  ein  Stimband  befestigt  ist,  desglei- 
chen die  charakteristische  Draperie  der  Gewänder  mit  tiefgehenden  zierlich  geknick- 
ten Faltenbrüchen  lassen  deutlich  erkennen,  dass  die  Ausgangszeit  der  Gothik 
herangenaht  war,  als  die  beiden  Acoluthenleuchter  angefertigt  wurden  und  möchten 
wir  die  Entstehuiigszeit  dieser  Bildwerke  in  die  letzten  Jahrzehnte  des  XV.  Jahr- 
hunderts versetzen.  Wir  erinnern  uns  nicht,  auf  grösseren  Reisen  Lichtträger 
in  einer  so  edlen  zierlichen  Form,  wie  diese,  vorgefunden  zu  haben.  Nur  ähn- 
liche lichttragende  Engel,  jedoch  als  stehende  Figuren  und  auch  nicht  in  einer 
solch  delicaten  Ausfdlunng,  sahen  wir  auf  dem  Hauptaltar  der  St.  Sebalduskirehe 
zu  Nürnberg.  Dieselben  waren,  wie  es  uns  damals  schien,  in  Kupfer  gegossen 
und  ciselirt.  Auch  in  der  Pfarrkirche  zu  Rottweil  in  Schwaben  fanden  wir  mehrere 
Engelsgestalten  in  Lindenholz  geschnitzt  und  reich  vergoldet,  die  als  Leuchter 
damals  noch  auf  dem  Altar  in  kirchlichem  Gebrauch  waren. 

Da  die  gothischen  Leuchter  in  Messingguss  heute  etwas  derb  und  unent- 
wickelt erscheinen,  so  dürfte  es  ein  lohnendes  Unternehmen  sein,  wenn  es  von 
befugter  Seite  unternommen  würde ,  die  oben  beschriebenen  kunstvollen  Lichthalter 
galvauoplastisch  niederschlagen  und  auf  diese  Weise  fllr  den  kirchlichen  Gebrauch 


ST.  KARTIN.  5 

yemeUältigen  zu  lassen.  Es  verdient  alle  Anerkennung,  dass  der  jetzige  trefiTIiche 
Küster  von  St  Martin  diese  beiden  seltenen  Lichthalter  dadurch  vor  einem  unfreiwil* 
ligen  Exil  ins  Ausland  rettete,  dass  er  dieselben  aus  eigenen  Mitteln  anzukaufen  sich 
entschloss.  Ohne  Dazwischenkommen  desselben  würden  heute  diese  interessanten 
Leuchter  vielleicht  in  einem  ausländischen  Privatmuseum  ihre  Bewunderer  finden. 


61. 

Reliqaiengeföss 

in  Form  einer  kleinen  sechseckigen  Monstranz,  Kupfer,  vergoldet. 

Höhe  41  Centimeter,    Durchmesser  des  Fasses  16  Centimeter,    Durohmesser  des  oberen  Gefässes 

S5  Centimeter.    ZV.  Jahrhundert 

I)ieses  schlanke,  zierlich  construirte  Reliquiarium  dient  noch  heute  dazu, 
eine  ziemlich  grosse  Partikel  vom  heiligen  Kreuze  in  einem  engen  geschliffenen 
Krystallcylinder  aufeunehmen,  auf  welchem  sich  eine  „schedula''  von  Pergament  be- 
findet, die  in  gothischen  Minuskeln  eine  ziemlich  erloschene  Inschiift  enthält. 

Vorliegende  „monslrantiola"  dürfte  heute  noch  von  altem  Reliquiengef^sseu 
in  Köln  das  einzige  sein,  das  nach  oben  sich  im  Sechseck  aufbaut.  Es  zeigen  sich 
nämlich,  den  mnem  Krystallcylinder  umstehend,  sechs  Widerlag-  und  Strebepfei- 
ler in  einer  Höhe  von  14  Centimeter,  welche  auf  einem  iiinden  Sockel  basiren. 
Dieselben  sind ,  um  ihnen  eine  leichtere  Construction  zu  geben ,  in  drei  Rundbogen- 
stellungen durchbrochen  und  verjüngen  sich  nach  oben  in  zwei  Fialen.  Bei 
diesen  Spitzsäulchen  geht  von  jeder  Strebe  aus  ein  kleiner  Strebebogen,  der  in 
eine  Hohlkehle  einmündet,  die  sowohl  als  obere  Einfassung  des  Gylinders,  wie 
auch  als  Unterlage  des,  das  ganze  Gefäss  leicht  und  zierlich  bekrönenden  Helmauf- 
satzes dient.  Dieser  Helm,  im  Sechseck  angelegt,  ist  auf  allen  Seiten  durch  ä 
jour  durchbrochene  Maasswerkverzierungen  belebt.  Auf  jeder  der  sechs  Ecken 
erheben  sich  Fialen,  die  je  zwei  die  giebelförmige  Ueberhöhung  eines  Spitzbogens 
flankiren,  welche  oben  durch  eine  Kreuzblume  abgeschlossen  wird.  Der  Helm 
wird  jetzt  durch  eine  kleine  gewundene  Hohlkugel  überragt,  auf  welcher  als 
Piedestal  das  gegossene  und  ciselirte  Standbildchen  eines  Märtyrers  steht;  derselbe 
ist  im  kriegerischen  Waffenschmuck  dargestellt ,  rührt  offenbar  aus  der  Renaissance 
her  und  ist  erst  später  diesem  Reliquiar  unzweckmässig  eingeftigt  worden.  Die 
enge  Krystallröhre  basirt  auf  einer  runden  Gonsole,  die  sich  nach  unten  trichter- 
förmig in  ein  Sechseck  zusammenzieht  und  durch  einen  gleichfaUs  sechseckigen 
Knauf  abgeschlossen  wird,  der  die  Verbindung  mit  einem  Ständer  vermittelt.  Die- 
ser Ständer  wird  in  seiner  Höhe  durch  einen  Knauf  als  Handhabe  des  GefUsses 
unterbrochen.  Die  formeUe  Behandlung  des  Ejiaufes  ist  eine  eigenthümliche,  wie 
wir  sie  noch  selten  gefunden  haben,  jedoch  zum  Gebrauche  eine  sehr  bequeme 
und  daher  für  die  Nachbildung  zu  empfehlen.    Der  untere  TheU  des  Ständers  ist 


6  ST.  MABTIK. 

mit  einem  architektonischen,  ebenfalls  im  Sechseck  gefonnten  Sockel  versehen ,  der 
auf  dem  schlank  ansteigenden  Halse  des  Fasses  aufsitzt  und,  wie  bei  den  meisten 
Beliquiengefässen  des  XV.  Jahrhunderts,  als  sechsblätterige  Rose  mit  tiefen  Ein- 
schnitten construirt  ist  Dadurch,  dass  der  Band  des  Fusses  schmal  gehalten  ist, 
die  einzelnen  Blätter  im  Halbkreis  tief  eingeschnitten  sind,  und  der  ansteigende 
Hals  des  Fusses  ziemlich  stark  ausrundet  und  nicht  flach  sich  erhebt,  hat  der 
schlanke  Oberbau  dieser  niedlichen  Monstranz  ebenfalls  ein  zierlich  leichtes  Fuss- 
stück  gewonnen.  Sowohl  die  modellirten  Laubomamente  an  dem  ebenerwähnten 
Knaufe,  als  auch  die  edelgeformten  Bildungen  des  Aufsatzes  lassen  ziemlich  deut- 
lich erkennen,  dass  das  vorliegende  Beliquiarium  gegen  Mitt«  des  XV.  Jahrhun- 
derts entstanden  sein  dürfte.  Was  die  im  Sechsecke  gehaltene  constnictive  Anlage 
des  obem  Aufsatzes  betrifit,  so  gehört  dieselbe  wohl  zu  den  selteneren  Formationen, 
die  an  ähnlichen  Beliquiarien  und  Monstranzen  angetroffen  werden.  Eine  verwandte 
Anlage,  jedoch  im  Achteck,  findet  sich  auch  ziemlich  analog  wieder  an  dem  schönen 
gothischen  Schaugefäss  in  dem  reichhaltigen  Schatze  der  ehemaligen  Stiftskirche 
St.  Victor  zu  Xanten  am  Niederrhein ,  welche  in  dem  prachtvollen  Bildwerke  von 
E.  aus'm  Werth  eine  charakteristische  Abbildung  gefunden  hat.  *) 


62. 

Kleine  Reliquien -Nonstranz. 

Kupfer,  vergoldet.    XV.  Jahrhundert. 

Höhe  16  Ccntimeter ,  grösste  Breite  12  Centimeter,  Durchmesser  des  Fusses  15  Ccntimeter  3  Millimeter. 

Die  Composition  der  vorliegenden  Reliqmenmonstranz  ist  einfach  und  edel; 
die  Ausführung  der  Detailformen  jedoch  in  einzelnen  Theilen  ist  ziemlich  roh  und  un- 
beholfen. Auf  dem  flachen  Fusse,  eine  sechsblätterige  Böse  mit  ziemlich  tiefen  Ein- 
schnitten vorsteUend,  erhebt  sich  eine  runde  ROhre  mit  Bogenstellungen  und  Zinnen- 
bekrönung,  die  sich  ihrer  Kürze  wegen  als  Unterfangssockel  iUr  eine  schmälere 
Bohre,  auf  deren  Absöhluss  oben  der  Knauf  aufsitzen  sollte,  ankündigt;  diese 
zweite  Bohre  fehlt  aber  gegenwärtig  und  ist  vielleicht  schon  längere  Zeit  verloren 
gegangen.  Unstreitig  hatte  diese  Verbindungsröhre ,  gleichwie  die  noch  über  dem 
Knauf  befindliche ,  eine  Höhe  von  zwei  Centimeter.  Bei  dem  Abgange  dieses  Thei- 
les  des  Ständers  ist  der  Untertheil  besagten  Schaugefässes  ziemlich  zusammenge- 
drückt und  unbeholfen  geworden.  Die  den  Knauf  als  Handhabe  überragende  platte 
Bohre  trägt  einen  trichterförmigen  Aufsatz ,  welcher  in  seiner  grössten  Erweiterung 
durch  eine  Zinnenbekrönung  mit  darunter  befindlicher  Verzahnung  im  Bundbogen 


*)    Vgl.  Fig.  4.   Tafel  XVIII,    der  ersten  Lieferung  des  Werkes  „die  christlichen  Kunstdenk- 
male des  Niederrheins  von  £.  aus'm  Werth  ^*,  T.  0.  Weigel.    Leipzig  1853. 


ST.  MARTIN.  7 

abgeschlossen  wird.  Auf  diesem  Untersockel  erhebt  sich,  und  zwar  auf  einer  an- 
steigenden Abschrägung,  ein  Glascylinder,  der  nach  oben  und  unten  yon  einer 
durchbrochenen  Galerie  eingefasst  wird.  Zu  beiden  Seiten  desselben  sind  in  den 
untern  trichterförmigen  Sockel  zwei  einander  gegenüberstehende  Widerlager  einge- 
fügt, die  auf  einem  scheibenförmigen  Sockel  basiren.  Diese  Widerlager  sind  in 
der  Mitte  durchbrochen  und  ist  diese  Durchbrechung  von  einem  Baldachinchen  in 
ziemlich  roher  Arbeit  überragt,  unter  dem  sich  auf  jeder  Seite  je  eine  kleine  Sta- 
tuette in  Guss  ohne  Giseliruhg  befindet,  eine  männliche  und  eine  weibliche  Hei- 
ligenfigur vorstellend.  lieber  diesen  Statuettchen  ist  eine  Abschrägung  angebracht, 
die  nach  vorne  hin  mit  einem  Ziergiebel,  an  welchem  sich  jedes  Mal  ein  kleiner  Was- 
serspeier befindet,  abschliesst.  In  der  Mitte  oberhalb  der  Abschrägung  erhebt  sich 
eine  Fiale,  und  auch  die  nach  oben  sich  verjüngenden  Widerlagspfeiler  sind  alle 
mit  einem  solchen  über  Eck  gestellten  Spitzsäulchen  bekrönt. 

Der  bewegliche  Abschluss  und  die  Bedeckung  des  Cylinders,  in  welchem 
heute  Reliquien  verschiedener  Heiligen  aufbewahrt  werden,  bildet  eine  ausgehöhlte 
Halbkugel ,  welche  in  die  obere  umfassende  Bekrönung  des  Cylinders  eingreift.  Auf 
dieser  Halbkugel  ist  ein  rhomboidenfbrmig  über  Eck  angelegter  Sockel  basirt, 
welcher  als  Redestal  das  Standbildchen  einer  Madonna  aufnimmt,  die  von 
einem  regelrecht  construirten  Baldachin  überragt  wird.  Dieser  ganze  baldachin- 
artige Aufsatz  ist  auf  beiden  Seiten  mit  Fialen  geziert,  die  nach  oben  hin  in  ge- 
wöhnliche Spitzsäulchen  ausmünden  und  an  ihrer  Basis  zu  beiden  Seiten  kleine 
Ziergiebel  einschliessen.  Diese  letzteren  steigen  treppenfbrmig  nach  oben  an,  wie 
solche  bei  der  Profan -Architektur  in  Backsteinen  häufiger  angetroffen  werden. 
Den  Baldachin  umgeben  an  den  vier  Seiten  vier  Ziergiebel,  welche  in  solcher 
Formation  bei  den  Goldschmieden  des  alten  Köln  selten  angetroffen  werden.  Als 
Abschluss  und  Bekrönung  erhebt  sich  nach  oben  ein  platter  Helm,  auf  dessen  pyrami- 
dalisch  ansteigender  Spitze  das  Zeichen  der  Erlösung  sich  befindet,  ideal  und  oma- 
mental gehalten  und  mit  dem  ciselirten  Bilde  des  Gekreuzigten.  Einem  Stylgefühle 
folgend,  würden  wir,  den  Detailformen  nach  zu  urtheilen,  vorliegendes  Gefäss  dem 
Beginne  des  XV.  Jahrhunderts  zuzuschreiben  uns  veranlasst  sehen. 


63. 

Speisekelch  (Ciborium) 

in  Silber,  vergoldet.     XV.  Jahrhundert. 

WÜM  4t  Centimeter,  Darchmesaer  des  aohteokigen  Gefiteses  1  Centimeter,  Durehmesser  des  Fasses 

165  Centimeter. 

Unter  den  verschiedenen  liturgischen  Gef ässen  findet  man  in  der  Regel  nicht 
nur  an  dem  Kelche,  der  seit  der  frühesten  christlichen  Zeit  zur  Gonsecration  des 
Weines  während  der  Feier  der  heiligen  Messe  diente,  eine  reichere  Entwicklung 


8  ST.  MABTIK. 

der  Formen ,  sondern  gleichfalls  auch  an  dem  Ciborium ,  in  welchem  die  conse- 
crirten  Hostien  aufbewahrt  und  bei  der  Communion  den  Gläubigen  dargereicht  werden. 
Das  in  Rede  stehende  Getäss  ist  seiner  Bestimmung  nach  ebenfalls  als  Ciborium  zu 
betrachten;  jedoch  bedient  man  sich  desselben,  seiner  geringen  Dimension  wegen, 
nicht  zur  Austheilung  der  heiligen  Communion  in  der  Kirche,  sondern  es  wird 
dasselbe  in  Gebrauch  genommen,  um  den  Kranken  die  h.  Wegzehrung  zu  bringen. 
Als  solches  vereinigt  es  auch  noch  heute  den  andern  Zweck  in  sich,  als  Reposi- 
torium  zur  Aufbewahrung  des  „oleum  infirmorum"  zu  dienen,  und  ist  dieses  ge- 
weihte Oel  gesondert  in  einem  eigenen  Behälter  (pyxis)  aufgehoben,  welcher  in  dem 
oberen  Aufsatze  in  Form  eines  kleinen  architektonischen  Aufbaues  verschlossen  wird 
Dieser  obere  Aufsatz  ist  im  Sechsecke  angelegt,  und  die  sechs  Fensterstellungen 
werden  von  Ziergiebelchen  überragt ,'  die  auf  beiden  Seiten  von  Fialen  flankirt  sind, 
n'n  denen  gegen  Regel  und  Zweck  kleine  Wasserspeier  angesetzt  sind.  Aus  dieser 
stylwidrigen  Construction,  sowie  auch  an  den  Detailformen  und  deren  technischen 
Ausarbeitungen  sieht  man  sofort,  dass  dieser  Theil  nicht  primitiv,  sondern  in  neue- 
rer Zeit  hinzugefügt  worden  ist.  Den  primitiven  Theil  dieses  (retässes  bildet  die 
im  Sechseck  angelegte  Kuppe  mit  Ständer  und  Fussgestell.  Diesen  sechseckigen 
Behälter,  in  welchem  in  einer  besonderen  beweglichen  Schale  die  „sacra  species" 
eingeschlossen  ist,  umgiebt  am  äussern  Rande  eine  zierlich  gearbeitete  Kanunver- 
zierung  mit  gothischem  Laubwerk,  die  zugleich  als  Bekrönung  des  beweglichen 
Aufsatzes  dient,  welcher  als  Deckel  das  Ciborium  verschliesst  Der  sechseckige 
Behälter  erhält  nach  allen  Seiten  zierliche  Widerlagspfeiler,  die  sämmtlich  aufemem 
consolartigen  Sockel  mit  Laubomamenten  ruhen.  Um  das  Massenhafte  dieser  Wider- 
lager zu  heben,  hat  der  geübte  Goldschmied  den  untern  Theil  derselben  mit  einer 
Bogenstellung  durchbrochen  und  bei  der  Wasserschräge  an  dem  oberen  Theile 
dieser  Streben  zweckmässig  kleine  Wasserspeier  von  abwechselnder  Form  ange- 
bracht. Diese  Widerlagspfeiler  verjtlngen  sich  nach  oben  in  Spitzsäulchen,  die  wahr- 
scheinlich bei  der  jüngsten  Restauration  hinzugefügt  worden  sind.  Die  sechs  Flä- 
chen dieses  Behälters  sind  einfach  mit  gothischen  Masswerkverzierungen  belebt,  und 
zwar  zeigen  sich  nicht  auf  jedem  Felde,  wie  dies  auch  sonst  wohl  vorkommt, 
immer  anders  construirte  Formen,  sondern  es  ist  überall  dasselbe  Motiv  beibehal- 
ten. Es  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  der  Groldschmied  bei  Decorirung  seines 
G^fässes  rein  constructiv  verfahren  ist;  sonst  hätten  sich  diese  breiten  Flächen  sehr 
dazu  geeignet,  um  figürliche  Darstellungen  in  Gravinmgen  anzubringen,  wie  die- 
ses z.  B.  an  dem  prachtvollen  noch  jetzt  im  Besitze  der  Pfarrkirche  zu  Rees  am 
Niederrhein  befindlichen  Ciborium  der  Fall  ist,  welches  in  acht  Feldern  meister- 
haft gravirte  Figuren  mit  Spruchbändern  zeigt,  in  denen  entsprechende  Seligkeits- 
preisungen  aus  der  Bergpredigt  eingravirt  sind.  Der  Ständer  ist  sechseckig 
gehalten  und  platt,  ohne  Verzierung  der  Felder.  Das  „tnanubrium**  in  Mitte  dieser 
sechseckigen  ROhre  ist  ebenfalls  sechstheilig  construirt,  aus  welchem  eben  so  viele 
viereckige  Pasten  stark  hervortreten,  die  rhomboidenförmig  über  Eck  gestellt,  wie 
das  bei  sehr  vielen  Kelchen  und  Ciborien  der  Fall  ist,  die  sechs  Buchstaben  des 
Kamen  Jesus   (kierogramma)  in   älterer  Minuskelschrift  glänzend  auf  carrirtem 


ST.  MARTIN,  9 

Tiefgrande  zeigen.     Auch  das  Fussstück  giebt  die  sa  oft  wiederkehrende  seehs- 
blätterige  Rose  mit  tiefen  Einschnitten  zu  erkennen. 

Der  Gk)ldschmied  hat  den  untern  Band  des  Fusses  ziemlich  breit  formirt 
und  den  Hals  des  Fussstttckes  nicht  sehr  ausgeschweift,  sondern  etwas  schräg  an- 
steigen lassen.  Dadurch  hat  der  Fuss  eine  etwas  schwerfällige  Form  erhalten,  die 
jedoch  mit  der  grossem  Anlage  des  obera  Behälters  in  richtiger  Harmonie  steht. 
Das  Yorii^ende  Geföss  dürfte  bei  Neuschaffung  eines  Ciboriums  besonders  ftlr 
Landkirchen  als  mustergültiges  Vorbild  zu  empfehlen  sein.  Aehnliche  Ciborien 
haben  sich  in  dieser  einfachen  Weise  noch  in  vielen  Kirchen  der  Erzdiöcese  Köln  er- 
halten. Die  Pfarrkirche  zu  Marienheide  bewahrt  heute  noch  ein  Ciborium  in  ganz  ver- 
wandten Formen  wie  das  vorliegende.  Auch  besitzt  die  Pfarrkirche  zu  Vallendar  bei 
Koblenz  zwei  ausgezeichnet  schöne  Gefässe  in  ähnlicher  Gonstruction,  welche  heute 
als  Beliquiengefässe  benutzt  werden.  Ein  besonders  reiches  Ciborium  dieser  Art 
von  verwandter  Gonstruction,  jedoch  etwas  reicher  gehalten,  befindet  sich  in  der 
Pfarrkirche  zu  Kempen  bei  Crefeld.  Wir  glauben  der  Wahrheit  ziemlich  nahe  zu 
konmien,  wenn  wir  die  Vermuthung  aussprechen,  dass  das  vorliegende  Gefäss  ge- 
gen Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  seme  Entstehung  gefunden  habe. 


64. 

Messkelch. 

Silber,  vergoldet.     XV.  Jahrhundert. 

Höhe  iS  Centimeter  4  lüUimeter,    Durohmeaser  des  Fusses   15   Centimeter.     Durchmesser    der  Kuppel 

10  Centimeter. 

Der  vorliegende  schlichte  Messkelch  gehört  in  die  Kategorie  jener  einfachen 
und  bequemen  Kelche,  wie  sie  für  den  alltäglichen  Gebrauch  in  der  letzten 
Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  *  von  der  kölnischen  Zunft  der  Groldschmiede  in 
ziemlich  constanten  Formen  angefertigt  zu  werden  pflegten.  Derselbe  hat 
in  seinen  gelungenen  Proportionen  mehr  die  Bestimmung,  durch  seine  ein- 
fachen schönen  Verhältnisse  zu  wirken,  als  durch  die  künstliche  Ausbildung 
seiner  Details  die  Aufmerksamkeit  zu  fesseln.  Aehnlich  wie  die  einfachen  Mess- 
kelche von  St.  Gereon  und  der  Jesuitenkirche,  die  wir  in  der  1.  Lieferung  dieses 
Werkes  eingehend  beschrieben  haben,  hat  auch  der  vorliegende  Kelch  einen  tief 
eingeschnittenen  Fuss,  eine  sechsblätterige  Rose  bildend,  mit  stark  vorspringendem 
Bande.  Auf  dem  schlank  ansteigenden  Halse  des  PedalstUckes  erhebt  sich  eine 
gleichfalls  sechseckige  Röhre,  deren  verschiedene  Flachtheile  durch  eingravirte  Fi- 
guren belebt  sind,  die  den  Verfall  der  Gothik  schon  deutlich  zu  erkennen  geben. 
Auch- der  bequem  geformte  Knauf  ist  sechstheilig  gehalten;  allein  die  rhomboiden- 
fbrmigen  Pasten  (rötuli)  zeigen  nicht  die  Buchstaben  des  bekannten  Hierogramms 
„Jesus^i  sondern  vertieft  eingravirte  Laubomamente.    Da  nach  unserem  DafÜrhal- 


10  ST.  MARTIN. 

ten  der  vorliegende  Kelch  erst  aus  dem  Anfange  des  XVI.  Jabrbnnderts  her- 
rührt, so  giebt  auch  die  Kuppe  nicht  mehr  jenen  strengen,  wir  möchten  fast  sagen 
architektonischen  Zuschnitt  zu  erkennen,  wodurch  meist  geradlinig  ansteigend  sieh 
die  Kelche  des  XIY.  Jahrhunderts  auszeichnen,  sondern  die  „cuppa^  zeigt  nach 
unten  bereits  eine  kleine  Ausbauchung  und  eine  unmerkliche  Bandausbildung  an 
der  äusseren  Peripherie. 

Neben  dem  Kreuze,  dem  y,signaculum^,  das  ebenfalls  architektonisch  formirt 
ist,  zeigt  sich  von  Kreisen  umzogen  ein  kleiner  Wappenschild  in  der  Spätform  der 
Gothik,  der,  wie  es  uns  scheint,  das  Monogramm  einer  Zunft  oder  einer  religiösen 
Genossenschaft  mit  den  dabei  befindlichen  Buchstaben  B.  B.  erkennen  lässt.  Zu  diesem 
Kelche  hat  sich  auch  noch  ein  kleines  tellj^rförmig  vertieftes  Schüsselchen  ^patena^ 
im  Durchmesser  von  14  Centimeter  erhalten,  das  ebenfalls  primitiv  zu  sein  scheint 


65. 

Tanfstein^ 

in  achteckiger  Form  als  Monolith  aus  einem  weissen  Marmor  angefertigt. 

Grösste  Höhe  1  Meter  S  Centimeter,    grösste  Breite  84  Centimeter. 

Unstreitig  nimmt  die  vorliegende  yjvns  baptismalis^  in  Bezug  auf  ihre  reiche 
Formation  unter  allen  Taufbecken  Köln's  die  hervorragendste  Stelle  ein.  Die  Ein- 
richtung und  Beschaffenheit  dieses  Taufsteins  mit  seinem  geräumigen  Behälter  zur 
Aufnahme  der  geweihten  Flüssigkeit  erinnert  an  die  älteren  Taufbecken  vor  dem 
X.  Jahrhundert,  als  die  Untertauchung  (siibmersio)  des  Täuflings  noch  bei  Spendung 
des  Sacraments  der  Taufe  stattfand.  Zum  Beweise  dafllr  können  auch  die 
verschiedenen  Vertiefungen  auf  dem  oberen  Bande  iies  Taufbeckens  ange- 
sehen werden,  worin,  wie  dies  der  Augenschein  lehrt,  bei  seinem  primitiven  Ge- 
brauche eiserne  aufrecht  stehende  Stangen  zur  Aufnahme  von  Vorhängen  (vela^ 
pallia)  befestigt  waren,  damit  die  Taufhandlung  mit  der  gehörigen  Decenz  vorge- 
nommen werden  konnte.  Das  Taufbecken  erscheint  in  seiner  äusseren  Form 
als  ein  Parallelogramm,  dessen  vier  Winkel  abgestumpft  sind,  wodurch  sich,  wie 
oben  angegeben,  das  Achteck  bildet  mit  acht  stumpfen  Winkeln.  An  diesen  vier 
Seiten,  an  welchen  nämlich  die  Winkel  durch  eine  gerade  Fläche  abgeschnitten  sind, 
laden  vier  Löwenköpfe  ziemlich  weit  aus,  und  ein  zierliches  Bankenwerk,  von  dem 
offenen  Bachen  derselben  ausgehend,  verzweigt  sich  als  Laubgeflecht,  das  in 
der  Breite  von  1  Centimeter  den  oberen  Band  des  Taufbrunnens  nach  allen  Sei- 
ten umgiebt.  Dieses  zierliche  Laubwerk  zeigt  einen  bestimmt  ausgeprägten  roma- 
nischen Charakter  in  einem  dreimal  gespaltenen  Halbblatte,  in  der  Weise,  wie 
dasselbe  im  romanischen  Style  immer  wiederkehrt.  An  den  beiden  Langseiten  des 
Taufbrunnens  zeigen  sich  in  einer  Höhe  von  45  Centimeter  je  zwei  achtblät- 
terige Blumen,  welche  sich  in  ihrer  Form  sofort  als  eine  mit  Absicht  gewollte  Imi- 


ST.  MARTIN.  It 

tation  von  Wasserrosen  (nymphea  alba)  zu  erkennen  geben.     Im  Innern  dieser 
Blumenbildungen  erheben  sich    als  Knospen  ziemlich  hervortretende  Staubfäden. 
Die  Nachbildung  der  „nymphea^f  die  hier  als  Sinnbild  des  Wassers,  welches  im  Innern 
des  Behälters  eingeschlossen  wird,  treffend  von  dem  Künstler  angebracht  worden 
ist,    haben  wir  in  dieser  Durchbildung  der  Form  bisher  noch   nicht   vorgefunden, 
und  wäre  es  für  die  Kenntniss  der  symbolischen  Anwendung  von  Pflanzen  interes- 
sant, von  anderer  Seite  zu  vernehmen,  ob  diese  Wasserrosen  auch  noch  an  andern 
reicher  sculptirten  r^f(mte$  bapHsmales^  anderwärts  vorkommen.    Die  altem  Tauf- 
steine, wie  man  sie  heute  noch  aus  der  Frtthzeit  des  Christenthums  vor  dem  X. 
Jahrhundert  in  der  Erzdiöcese  Köln  hin  imd  ^p^der  antrifft,  zeigen  meistens  in  sehr 
roher  kunstloser  Form  die  Darstellung  des  Fisches  und  jener  übrigen  Thiere,  welche 
im  Wasser  leben.    Auch  sind  dieselben  nicht  achteckig,   sondern  mehr  als  j^pü- 
cinau  rund  gehalten,  und  an  vier  Stellen  derselben  ragen  ebenfalls  Löwenköpfe  her- 
vor, die  häufig  als  Gapitäle  dienen,  womit  vier  freistehende  Säulchen  gekrönt  sind. 
An  den  vier  Abschrägungsseiten,  wodurch,  wie  schon  vorher  bemerkt,  die 
rechten  Winkel  abgeschnitten  werden,  sind  die  Blätter  der  Wasserrose  nach  dieser 
Seite  hin  zur  kleinem  Hälfte  umgebogen;    auf  diesen  zwei  schmäleren  Kopfseiten 
finden  sich  ebenfalls  zwei  dieser  achtblätterigen  Rosen  vor ,  deren  kleinere  Hälften 
nach  der  andem  Schmalseite  hin  umgebogen  sind,    so  dass  die  lanzettförmig  zu- 
gespitzten Blätter  sich  an  diesen  abgeschnittenen  Seiten  unter  dem  Löwenkopfe 
fSftst  berühren.    Sämmtliche  Blätter  dieser  Wasserrosen  haben  in  der  Mitte  einen 
stark    hervortretenden  Blattnerv    und    sind    ziemlich   energisch    und  tief  ausge- 
hauen, so  dass  sie  als  Belief  plastisch  hervortreten.    Wir  lassen  die  unverbürgte 
Biehtigkeit  einer  Tradition  unangefochten,  die  da  angiebt,  dass  der  vorliegende 
Taufbrunnen   ein  Geschenk  Papst  Leo's  IH.  an  die  Schottenabtei  von  St  Martin 
sei,  die,  ehemals  auf  einer  von  einem  Rheinarme  umflossenen  Insel  gelegen,  ausser 
dem  Dom  allein  das  ^Jus  baptismale^  besessen  haben  soll.    Da  sich  durch  Urkunde 
das  Alter  dieses  merkwürdigen  Taufbrunnens  nicht  mit  Sicherheit  feststellen  lässt, 
so  mag  die  Annahme  ihre  Berechtigung  finden,  dass  dieser  Tau&tein  von  Leo  Ul. 
bei  der  Gelegenheit,  als  er,  in  Paderborn  anwesend,  die  Hülfe  des  grossen  Karl  gegen 
seine  Dränger  in  Italien  erbat,  der  Schottenabtei  von  St.  Martin  zugleich  mit  dem 
Taufrechte  verliehen  worden  sei.    Sowohl  das  Material,  aus  welchem   dieses  sel- 
tene Sculpturwerk  angefertigt  ist,  als  auch  seine  originellen  Detailformen  und  nicht 
weniger  die  eigenthümliche  Anlage  derselben  bekunden  ein  hohes  Alter  und  dürf- 
ten fast  für  die  Richtigkeit  der  obigen  Ueberlieferung  zur  Geltung  gebracht  wer- 
den.   Wir  glauben  nämlich  dem  Umstände  ein  besonderes  Gewicht  beilegen  zu 
müssen,  dass  der  in  Rede  stehende  Taufbrunnen  aus  demselben  Material,    einem 
weissen  Marmorsteine,  gearbeitet  worden  ist,  aus  welchem  der  Stuhl  Karls  des 
Grossen,  desgleichen  auch  die  korinthisirenden  alten  Marmorcapitäle  auf  den  Säu- 
len im  Aachener  Octogon  angefertigt  worden  sind.    Da  nun  im  frühen  Mittelalter 
der  weisse  Marmor  meistens  aus  Italien  bezogen  wurde,  und  er  sonst  auch  der  Kost- 
spieligkeit des  Materials  und  der  Härte  der  Bearbeitung  wegen  in  deutschen  Sculp- 
turen  sehr  selten  seine  Anwendung  fand,  so  dürfte  man  sich  mit  Rücksicht  auf  das 


12  ST.  MABTIN. 

Material  und  im  Hinblick  auf  die  obige  Tradition  zu  der  Annahme  hinneigen, 
dass  entweder  von  Leo  III.  der  Marmorblock  den  Benedictinem  der  Schottenabtei 
von  St.  Martin  zugleich  mit  Verleihung  des  Taufrechtes  verehrt  worden  sei,  oder 
dass  die  ebengedachte  Abtei  von  Leo  IQ.  das  vorliegende  Taufbecken  in  derselben 
künstlichen  Ausstattung,  wie  es  sich  heute  vorfindet,  zum  Geschenke  erhalten  hätte. 
Gegen  die  erste  Annahme,  Leo  III.  habe  von  Italien  aus  den  Marmorblock  zu  der 
vorliegenden  reichen  Sculptur  hergesendet,  spricht  indessen  der  Umstand,  dass  die 
sculptirten  Ornamente  an  dieser  rj'ons  baptismalis^  einen  durchaus  fremdartigen, 
nicht  romanisch-deutschen  Charakter  zur  Schau  tragen,  die,  wir  möchten  fast  sagen, 
an  griechische  Detailformen  mehr  erinnern.  Wahrscheinlicher  dürfte  auch  vor  dem 
Fonim  einer  strengeren  kritischen  Beurtheilung  die  Annahme  sich  Geltung  ver- 
schaffen: Leo  m.  habe,  wie  ältere  Chronisten  das  angeben  sollen,  dem  Schotten- 
kloster  zu  Köln  im  Jahr  803  vorliegenden  Taufstein  in  weissem  Marmor  in  seinem 
jetzigen  Habitus  als  Geschenk  verehrt.*)  Es  dürfte  die  Hersendung  eines  solchen 
umfangreichen  Monolithen  nicht  eigenthümlich  und  befremdend  erscheinen,  zumal  es 
geschichtlich  begründet  ist,  dass  Karl  der  Grosse  nicht  nur  aus  Ravenna,  sondern 
auch  aus  Rom  eine  grosse  Menge  von  kostbaren  Sculpturen  zum  Baue  seiner  Pfalz- 
kapelle in  Aachen  mit  grosser  Mühe  über  die  Berge  schaffen  liess.  So  rtlhren 
nachweislich  jene  Porphyrsäulen,  die  heute  theilweise  noch  das  octogone  Bauwerk 
zu  Aachen  schmücken,  von  ravenatischen  Bautrümmem  her,  deren  Erbauung  in  die 
Zeit  des  classischen  Roms  oder  in  die  der  Gothen-Könige  fällt  Will  man  in 
Rücksicht  auf  das  seltene  und  fremdländische  Material,  woraus  der  Taufbrun- 
nen von  St.  Martin  besteht,  und  nicht  weniger  im  Hinblick  auf  die  originellen  höchst 
merkwürdigen  Formen  dieses  trefflich  sculptirten  Taufbrunnens  die  altehrwürdige 
Tradition  aufrecht  halten,  so  dürfte  vielleicht  noch  folgende  Conjectur  zulässig  er- 
scheinen. Es  habe  nämlich  Leo  HI.  bei  Gelegenheit,  wo  er  aus  Italien  an  den 
Kaiserhof  Karls  des  Grossen  nach  Deutschland  kostbare  Baumateriale  von  Ravenna 
und  Rom  eingesendet,  auch  vorliegendes  Taufbecken  den  Schotten  von  Köln  zum 
Geschenke  mit  beigeftlgt. 

Nach  der  Aussage  älterer  Bewohner  Kölns  ist  der  jetzt  unschöne  und  un- 
förmige Deckel  erst  zur  Zeit  Wallraffs  neu  angefertigt  worden,  nachdem  leider  auf 
Veranlassung  des  Letztgenannten  der  alte  Verschluss  entfernt  und  mit  ihm  auch 
jenes  vielleicht  ursprüngliche  eiserne  Stab-  und  Gitterwerk  beseitigt  worden  ist, 
das  den  obem  Theil  des  Taufbeckens  so  abschloss,  dass  an  diesen  eisernen  Stangen 
die  oben  gedachte  Umhüllung  vorgenommen  werden  konnte.  Es  lohnte  sich  der 
Mühe,  wenn  gelegentiich  von  competenter  Seite  in  Italien  Nachforschungen  ange- 
stellt würden,  ob  in  altem  Kirchen  Italiens,  aus  der  karolingischen  Kunstepoche 
herrührend,    sich  heute  noch  Taufsteine  in  jenen  Formationen  aus  Marmor  sculp- 


♦)  AuffaUend  erscheint  es,  dass  Gclenius  in  seiner  y,Colonia  sacra**  mit  keiner  Silbe  dieses  Tauf- 
beckens erwähnt,  obschon  er  ziemlich  ausAlhrlich  aller  Schutze  und  Monumente  der  Abteikirche  ge- 
denkt. 


ST.  MARTIN.  13 

tirt  vorfänden,  die  mit  dem  vorliegenden  verwandtechaftliche  Beziehungen  aufzu- 
weisen hätten. 


66. 

Reliquiengefäss, 

in  Form  eines  ^^osculum  pacis".     Kupfer,  vergoldet.      XV.  Jahrhundert. 

Höhe  22  CeDtimeter,  Breite  des  Fusses    11  Ccntimeter,    Tiefe  3  Gentimeter  4  Millimeter. 

Aehnliche  Beliquiengefässe  kommen  heute  noeh  vielfach  in  den  Saeristeien 
ehemaliger  Stifts-  oder  Abteikirchen  vor,  und  zwar  wurden  diese  Osculatorien  nach 
dem  Agnus  Dei  der  Hochme^sen,  wie  früher  schon  bemerkt,  jedem  im  Chor- 
omate  anwesenden  Kleriker  vom  Subdiakon  zum  Friedenskusse  dargereicht. 
In  diesen  Gelassen  waren  in  der  Regel  Reliquien  eingeschlossen  oder  sie  enthiel- 
ten auch  in  Silber  getriebene  oder  in  Elfenbein  geschnitzte  Darstellungen  meistens 
aus  der  Lebens-  oder  Leidensgeschichte  des  Heilandes.  Noch  heute  sind  dieselben 
bei  grossem  Stifts-  und  Kathedralkirchen  zu  dem  angegebenen  Zwecke  im  Ge- 
brauch und  zwar  bestehen  sie  ftlr  die  Anwendung  an  Festtagen  gewöhnlich 
in  reicherer  Form  und  edlem  Material.  Vorliegendes  Gefäss ,  in  französischen  Kir- 
chen „/a  patir"  genannt,  scheint  für  den  täglichen  Gebrauch,  vielleicht  in  der  vor- 
maligen Abteikirche  der  Schotten  zu  St.  Martin  in  Köln,  benutzt  worden  zu  sein, 
wie  aus  der  einfachen  Form  und  dem  Material  hervorgeht,  das  dazu  verwen- 
det worden  ist.  Auf  einem  einfach  profilirten  länglich  viereckigen  Fussstücke  er- 
hebt sich  eine  rechteckige  Umrahmung,  die  nach  drei  Seiten  mit  einem  durch- 
brochenen schräg  abstehenden  Rande  versehen  ist,  in  welchem  sich  in  einfachen 
Fassungen  quadratische  Glaspasten  befinden,  die  mit  rother,  grüner  oder  blauer 
Folie  unterlegt  sind.  An  diesen  abstehenden  Rand  schliesst  sich  zu  jeder  Seite  ein 
Widerlagspfeiler  an,  der  auf  einem  consolförmig  gebildeten  Sockel  basirt  ist.  Zwi- 
schen den  beiden  Abschrägungen  der  Widerlager  erhebt  sich  als  Ornament  auf- 
liegend ein  gewundenes  Säulchen,  oben  von  einem  kleinen  Giebel  überragt,  hinter 
welchem  eine  Abschlusssäule  hervortritt,  die  unter  dem  bekrönenden  Spitzsäulchen 
mit  der  Kreuzblume  ebenfalls  einige  YRndungen  zeigt.  Die  letzte  Wasserschräge 
an  dem  Widerlagspfeiler  setzt  sich  als  Strebeverbindung  fort  und  schliesst  an  den 
Fuss  eines  im  sogenannten  Eselsrücken  überhöhten  Spitzbogens  an,  der  im  Innern 
durch  vorspringendes  Nasenwerk  im  Kleeblattbogen  zerlegt  ist.  Auf  diesem  über- 
höhten Bogen  erheben  sich  in  Form  von  Krabben  kleinere  Blattansätze,  an  die  sich 
auf  der  Spitze  eine  Art  Kreuzblume  anschliesst,  die  ihrerseits  wieder  von  einem 
kleinen  Crucifixe  überragt  ist.  Noch  ist  zu  bemerken,  dass  von  den  beiden  Grund- 
basen dieses  geschweiften  Spitzbogens  Verbindungslinien  gleichsam  als  Strebewider- 
lager nach  den  bekrönenden  Abschlussfialen  ausgehen,  die  mit  stellenweise  sich 
ansetzenden  Krabben  verziert  sind. 


14  ST.  MABTIN. 

Auf  dem  Fusse  des  Torliegenden  ^jpaix^^  erblickt  man  heute  einen  kleinen 
Wappenschild  mit  über's  Kreuz  gelegten,  wie  es  scheinen  will,  Marterpalmen  und 
einem  lateinischen  Kreuze. 

Offenbar  waren  in  diesem  ,, asser  ad  pacem^  im  Innern  hinter  Glas  Reliquien 
deponirt,  welche  später  durch  ein  werthloses  Bildchen  in  Kupferstich  ersetzt  worden 
sind.  Dass  hier  Reliquien  eingelassen  werden  konnten,  bezeugt  eine  hintere  Deck- 
platte, die  mit  einem  Chamier  zum  Auf-  und  Zuschluss  versehen  ist  und  in  Form 
eines  Spruchbandes  eine  Handhabe  trägt,  womit  das  Gefäss  den  Einzelnen  zum  Frie- 
denskusse dargereicht  werden  konnte. 

Die  Composition  dieses  Kusstäfelchens  ist  sehr  einfach  und  anspruchslos,  aber 
von  gefälligen  Verhältnissen.  Auch  ist  die  technische  Ausführung  so  gehalten,  wie 
sie  dem  einfachen  Materiale  des  Kupfers  als  solchem  zukonmit 

Das  Yorliegende  Gefäss  dürfte  gegen  Schluss  des  XV.  Jahrhunderts  von  einem 
schlichten  Meister  der  kölnischen  Goldschmiedekunst  gefertigt  worden  sein,  als  die 
Formbildungen  der  Gothik  schon  ausarteten  und  der  neue  Styl  der  modernen  Zeit 
bereits  in  der  Entstehung  begriffen  war. 


Beschlag  eines  Antiphonarrams , 

in  Messing  gegossen.     XV.  Jahrhundert. 

Vor  der  Einführung  des  Druckes  und  der  beweglichen  Typen  bestand  in  Köln, 
wo  so  viele  Stifts-  und  Klosterkirchen  mit  einem  zahlreichen  Klerus  bltlheten,  eine 
eigene  Corporation  der  ^^scriptores  et  fmniatores"*)^  die  sich  nicht  nur  mitBUeher- 
abschreiben  befasste,  sondern  die  auch  in  grossartigem  Massstabe  jene  vielen  Chor- 
bflcher  und  Notationen  auf  Pergament  anfertigte,  die  bei  der  Stiftsgeistlichkeit  zur 
Absingung  der  kanonischen  Tageszeiten  in  Gebrauch  waren.  In  den  Klöstern  be- 
fassten  sich  in  der  Regel  einzelne  Laienbrüder  mit  der  künstlerischen  Anfertigung 
und  Ausstattung  solcher  „b'bn.  chorales,''  und  besonders  scheinen  die  Conventualen 
des  Hauses  Wydenbach  in  Köln  die  Abschrift  solcher  stattlichen  Chorbücher  viel- 
fach auf  Bestellung  angefertigt  zu  haben.  Auch  in  Nonnenklöstern  fanden  sich  kunst- 
geübte Hände,  die  der  obengedachten  Kunst  oblagen.  Von  solchen  regelrecht  ge- 
schriebenen Chorbüchem  mit  mehr  oder  weniger  reich  verzierten  Initialbuchstaben 
besitzt,  als  spärliche  Ueberreste,  fast  jede  Kirche  in  Köln  noch  einige  Exemplare. 
Auch  St.  Martin  hat  noch  fünf  solcher  stattlichen  Chorbücher  aus  der  allgemeinen 


'^'i  Man  nannte  diese  Kunstschreiber  deswegen  y^miniatores*^^  nicht  weil  sie  „en  miniature"  kleine 
Bildchen  und  Initialen  herstellten,  wie  irrthttmlich  angenommen  wird,  sondern  weil  sie  ihre  Schriften 
mit  Mennige  (rnfnium)  anfertigten;  deswegen  lautet  die  Erklärung  eines  älteren  Glossars:  ,^miniator 
qui  minio  scribiV^ 


ST.  MABTm.  15 

Zeretörungs-  und  YerwttBtuDgsperiode  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  sich  gerettet, 
und  zwar  rtthren  dieselben  nicht  Tom  ehemaligen  Schottenstifte  der  Benedictiner  her, 
sondern  aus  der  dabei  befindlichen  Pfarrkirche  von  St  Brigitta  und  der  ehemaligen 
Pfarrkirche  von  St.  Laurenz.  Einige  dieser  Chorbttcher  sind  mit  reichen  Initialen 
und  Miniaturen  im  Innern  ausgestattet  und  lassen  in  ihrer  Omamentationsweise 
deutlich  erkennen,  dass  sie  in  der  letzten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  von  köl- 
nischen Miniatoren  angefertigt  worden  sind. 

Fast  alle  diese  heute  ausser  Gebrauch  befindlichen  „libri  chorales^  sind  zum 
Schutze  der  Ecken  mit  reich  durchbrochenen,  reich  gearbeiteten  Beschlägen  ver- 
sehen, die  meistens,  vom  Gelbgiesser  angefertigt,  einen  und  denselben  Kunststempel 
erkennen  lassen.  Diese  sämmtlichen  Gesangbücher,  wie  sie  auch  in  den  übrigen 
Kirchen  Kölns  noch  gefunden  werden,  sind  in  kräftigem,  schwerem  Schweinsleder 
eingebunden,  dessen  kleine  eingepresste  Ornamente  deutlich  erkennen  lassen,  dass 
der  Einband  in  einem  der  letzten  Jahrhunderte  aufs  Neue  vorgenommen  worden 
ist,  jedoch  so,  dass  die  alten  noch  unbeschädigten  und  formschönen  Besehläge  bei 
dem  neuen  Einband  wieder  ihre  Anwendung  fanden.  Auch  an  dem  vorliegenden 
grösseren  Antiphonarium  in  der  Sacristei  von  St.  Martin  ist  diese  „vestis"  im  XVII. 
Jahrhundert  erneuert  worden ,  man  hat  jedoch  zu  diesem  kräftigen  Einbände  jene 
älteren  Eckbesätze  vneder  benutzt,  die,  aus  dem  Beginne  des  XIV.  Jahrhunderts 
stammend,  ehemals  einem  älteren  Choralbuche  zum  Schutze  und  zur  Zierde  gedient 
hatten. 

Obschon  diese  acht  Eckstttcke  und  zwei  mittlere  Füllungen  durch  einfachen 
rohen  Metallguss  erzielt  worden  sind,  so  entbehren  sie  hinsichtlich  ihrer  Stylisirung 
nicht  jenes  charakteristischen  Formtypus,  wodurch  sie  sich  als  Bildungen  aus  dem 
Beginne  des  XIV.  Jahrhunderts  sofort  zu  erkennen  geben.  Auch  die  einfachsten 
Formen  dieser  obengedachten  Kunstepoche,  die  einen  einheitlichen  allgemeingülti-, 
gen  Kunsttypus  besass,  tragen  eine  Entschiedenheit,  Klarheit  und  Originalität 
der  Formen  zur  Schau,  wodurch  sie  sich  vortheilhaft  von  den  ängstlichen,  ver- 
worrenen und  unklaren  Bildungen  der  heutigen  Zeit  unterecheiden.  In  den  Eck- 
besätzen zeigt  sich  überall  und  in  gleichmässigen  Unterbrechungen  ein  schön  styli- 
sirter  einköpfiger  Adler,  mit  einer  Krone  gekrönt,  in  der  Darstellungsweise,  wie  er 
in  der  Regierungszeit  Friedrichs  des  Schönen  und  Ludwigs  des  Bayern  häufig  in  der 
Heraldik  vorkommt.  Das  Laubwerk,  das  in  diesen  Eckbeschlägen  (vergl.  Fig.  67) 
den  Adler  als  freies  Ornament  umgiebt,  lässt  in  seinen  Gestaltungen  noch  einige 
Nachklänge  an  romanische  Laul)omamente  durchblicken. 

Der  Schutzbeschlag,  in  Kreisform,  auf  der  Mitte  des  Deckels  lässt,  mit  Laub- 
guirlanden  abwechselnd,  kleine  Thierunholde,  nämlich  kriechende  Salamander  er- 
kennen, wie  diese  phantastischen  Bildungen  in  der  Elfenbeinsculptur  und  in  der 
Miniatur-Malerei  aus  dem  Beginn  des  XIV.  Jahrhunderts  häufig  angetroffen  werden. 

Die  Schliessen  des  Buches  mit  ihren  spätgbthischen  eingravirten  Ornamen- 
ten, die  auch  auf  unserer  Zeichnung  veranschaulicht  sind,  gehören  dem  Schlüsse 
des  XV.  Jahrhunderts  an,  sind  also  bedeutend  jünger,  als  die  obengedachten  grös- 
seren Beschläge. 


16  ST.  MARTIN. 

Bei  Composition  von  neuen  Beschlägen  für  grössere  Chor-  und  Messbtteher 
dürften  die  ebengedachten  Beschläge  als  Vorbilder  und  Anhaltspunkte  betrachtet 
werden. 


68. 

Abbatialstab, 

mit  dem  daran  befindlichen   y^pannisellus*^  y   ehemals  zustehend   den   infulirten 

Aebten  der  Benedictiner  Abtei  St.  Martin. 

Bekanntlich  machten  sich  die  Abtstäbe  von  dem  j^pedum  epücopale**  dadureh 
kenntlich,  dass  von  der  Krümme  der  Abtstäbe  jenes  „sudarium"  herunterhing,  das 
in  älteren  Schatzverzeichnissen  gewöhnlich  die  Bezeichnung  9,Tttchelchen*^  (pamd- 
sellus)  ftlhrt  Einen  solchen  Stab  mit  dem  Abbatialtüehelchen  trugen  bei  öffentUcben 
Feierlichkeiten  im  alten  Köln  ausser  dem  Abte  von  St.  Martin  noch  die  mitrirten 
Prälaten  von  St.  Pantaleon,  der  Abtei  Deutz  und  der  Abtei  von  Brauweiler. 

Dieselben  führten,  bei  öffentlichen  Processionen  mit  Mitren  bekleidet,  den- 
selben kirchlichen  Ornat,  wie  er  dem  Erzbischof  zustand,  jedoch  sollte  der  j^panm- 
sellus"  anzeigen,  dass  ihnen  nur  die  bischöflichen  Insignien  als  Decorum  zugestanden 
seien,  dass  sie  aber  nicht  an  der  bischöflichen  Jurisdiction  participirten.  Der  unter 
No.  68  in  Abbildung  veranschaulichte  Abtsstab  von  St.  Martin  ist  hinsichtlich  seiner 
Compositioii  und  technischen  Ausführung  vollkommen  identisch  mit  jener  Krümme 
des  ,fpedum  abbatiale",  wie.  dieselbe  auf  Taf.  XXTTT  dieser  Lieferung  veranschauhcht 
ist.  In  der  Curvatur  des  Stabes  ersieht  man,  von  Baldachinen  überragt,  den 
Patron  der  Abtei,  den  heiligen  Martin,  wie  er  mit  dem  Schwerte  seinen  Mantel 
zertheilt.  Unterhalb  der  Krünune  erblickt  man  in  zierlich  gestalteten  Nischen  die 
ciselirten  Standbildchen  mehrerer  Heiligen.  Die  untere  Röhre  des  Abtsstabes,  in 
Silberblech  gehalten,  war  nicht  glatt  und  rund,  sondern  gedreht. 

Bis  zum  Schlüsse  des  vorigen  Jahrhunderts  befand  sich  dieser  schöne  Abts- 
stab unter  den  Schätzen  und  Kleinodien  von  St.  Martin.  Leider  hatte  derselbe  das 
Unglück,  dass  er  in  seinen  wesentlichen  Theilen  in  vergoldetem  Silber  angefertigt 
war.  Dieses  scheint  die  einzige  Ursache  gewesen  zu  sein,  weswegen  er  in  den 
Augen  der  französischen  Gonunissare  in  Ungnade  fiel  und  in  die  Schmelze  wan- 
dern musste,  wohingegen  der  gleichartige  Abtsstab  in  Kupfer  vergoldet  zu  Deuz  bis 
zur  Stunde  aufbewahrt  wird.*^)  Nach  der  sehr  genauen  Abbildung  zu  urtheilen 
hing  das  „sudarium^  vermöge  einer  kleinen  Schnur  beweglich  an  einem  vorspringen- 


*)  Wir  haben  uns  erlaubt,  diesen  ehemaligep  Stab  Ton  St.  Maitin,  da  sich  dazu  noch  ein  geeig- 
neter Raum  auf  Tafel  17.  fand,  abzubilden  und  zu  beschreiben,  obgleich  er,  wie  oben  bemerkt,  heute, 
wie  so  viele  andere  Schätze  von  St  Martin,  verschwunden  ist.  Die  Zeichnung  haben  wir  einem  alten 
Bilde  entlehnt^  das  den  Piraten  Libler,  f  1652,  angethan  mit  allen  Insignien  seiner  Abtswürde^ 
darstellt. 


J 


ST.  MAETIN.  17 

den  Pflanzenornamente  der  Curvatury  und  bestand  der  Originalzeichnang  zu- 
folge dieser  f,panniselltu",  was  das  Stoffliche  betrifft,  aus  zwei  Theilen.  Mit 
dem  leinen  weissen  Tuche  umwickelt,  hält  die  Hand  des  Abtes  den  obern  Theil 
der  Bohre,  damit,  wie  es  den  Anschein  hat,  der  Handschuh  (cheirotheca)  nicht 
durchs  häufige  Anfassen  der  metallnen  Bohre  beschmutzt  werden  oder  Schaden 
nehmen  konnte.  Der  andere  Theil  des  Tttchelchens,  der  reich  yerziert  ist,  hängt 
für  sich,  getrennt  von  der  Krümme,  geradlinig  herunter  und  ist  dieser  Theil  mit 
Ornamenten  reich  verziert  Die  obere  Ausmttndung  dieses  ^pannisellus"  zeigt  die 
Form  eines  Dreiecks  mit  reicher  Perlstickerei  an  allen  drei  Seiten.  In  der  Mitte 
erblickt  man  in  Stickerei  das  Brustbild  einer  Heiligenfigur.  An  dieses  dreieckige 
Ornament  schliesst  sich  eine  netzförmige  Stickerei  an,  die  die  obere  Hälfte  des 
Ttlchelehens  in  seiner  Ganzheit  umgiebt  und  umschliesst  Die  untere  Hälfte  besteht 
aus  einem  weissen  Stoff,  der  nach  unten  hin  mit  einer  seidenen  Franse  abgeschlos- 
sen wird.  In  der  Begel  bestehen  diese  alten  Stickereien ,  ihren  stofflichen  Theilen 
nach,  aus  einem  mehr  oder  weniger  feinen  Byssusstoff,  einem  zarten  Leinen,  das 
unserer  heutigen  Gaze  nicht  unähnlich  ist  Ein  ähnlich  verziertes  Sudarium,  die 
heute  zur  grössten  Seltenheit  geworden  sind,  sahen  wir  im  bischöflichen  Museum 
zu  Münster;  auch  fehlt  an  demselben  die  obengedachte  netztörmige  Omamenta- 
tion  nicht 

Wir  werden  in  der  vierten  Lieferung  unseres  Werkes  „Geschichte  der  litur- 
gisöhen  Gewänder^'  uns  tiber  das  Geschichtliche  und  die  Form  dieser  Abbatialtttchel- 
chen  näher  verbreiten.  Hier  nur  noch  die  Angabe,  dass  wir  in  einem  ausführ- 
lichen Inventar  der  Schätze  und  kirchlichen  Gebrauchsgegenstände  des  St  Veita- 
domes  zu  Prag  von  1387  hinsichtlich  dieser  Sudarien  folgende  interessante  Notiz 
yorfanden  und  zwar  unter  der  Ueberschrift:  ^^rubrica  de  pamsellü": 

„Item  paniseUus  dictus  pamyczyl  pendens  in  curvaiura,  primus  est  de  perUs 
cum  nodis  argenteis  deauratis  kabens  imagmem  Christi.^ 

„Item  secundus  paniseUus  cum  perlis  et  tribus  nodulis  perlarum.*^ 


68. 

Messgewand  (ohne  Zeichnung) 
mit  reicher  Stabstickerei.     Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts. 

Nachdem  bereits  im  ersten  Viertel  des  XVI.  Jahrhunderts ,  von  Italien  und 
Frankreich  ausgehend ,  der  Einfluss  der  neu  belebten  römisch  -  griechischen  Formen 
sich  auch  am  Rhein  und  namentlich  in  Köln  Eingang  verschafft  hatte ,  dauerten  in 
keinem  Eunstzweige  die  Nachklänge  der  vorhergegangenen  heimathlichen  Formen 
mit  solcher  Zähigkeit  so  lange  fort,  wie  auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen  Stickkunst, 
wo  solche  noch  bis  gegen  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  wahrnehmbar  sind.  Als 
Beleg  zu  dem  Gesagten  verweisen   wir  auf  den  vorliegenden,  reich  in  Gold  und 

3 


18  ST-  MARTIN. 

Figuren  gestickten  Messomat,  der  den  vielen  charakteristischen  Details  zufolge 
gegen  die  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  von  äusserst  kunstgettbten  Händen  ange- 
fertigt sein  dürfte.  Leider  ist  namentlich  das  Messgewand  durch  den  Einfluss 
der  Renaissance  heute  in  seinen  kunstreich  gestickten  Stäben  auf  beiden  Seiten 
nicht  unbedeutend  verkürzt  und  zugeschnitten  worden,  so  dass  auf  jeder  Seite  des- 
selben ein  Theil  der  Bildstickerei  fortgeschnitten  worden  ist.  Auf  der  hintern  Seite 
des  Messgewandes  hat  die  Kunstfertigkeit  der  Nadel  im  grössten  ßeichthume  des 
Materials,  und  zwar  in  Mitte  der  Kreuzesvierung,  die  Himmelfahrt  und  Krönung 
der  allerseligsten  Jungfrau,  umgeben  von  zartgestickten  thuribulirenden  Engelsge- 
stälten,  zur  Anschauung  gebracht  Weiter  erblickt  man  auf  diesem  goldgestickten 
Kreuzstabe,  jedes  Mal  von  reich  in  Gold  gestickten  Baldachinen  überschattet,  die 
Verkündigung  und  Verlobung  Maria's,  äusserst  reich  und  zart  gestickte  Scenen, 
in  welchen  die  Innigkeit  und  die  Würde  der  bildenden  Kunst  im  Dienste  der  Kir- 
che klar  und  ansprechend  zum  vollendeten  Ausdruck  gekommen  ist.  Auf  der  vor- 
deren \,aurifrisia**  dieses  Messgewandes  ersieht  man,  ebenfalls  in  grösster  Perfec- 
tion  der  Technik,  drei  andere  gestickte  Scenen  aus  dem  Leben  des  Heilandes. 
Zu  diesen  kunstvoll  gestickten  Stäben  des  Messgewandes,  die  eine  grösste  Weite  von 
2t  Centimeter  haben,  existiren  heute  noch  zwei  Dalmatiken  nut  ihren  entsprechen- 
den in  Gold  gestickten  Aurifrisien,  deren  viele  figuralen  Bildstickereien  von  der- 
selben Hand  und  aus  derselben  Kunstepoche  mit  den  Bildstickereien  des  Messge- 
wandes herzurühren  scheinen.  Die  Stäbe  der  Levitenröcke  haben  eine  Breite  von 
zehn  Centimeter  und  sind  auf  einem  gestickten  Goldgrunde  (a  or  battu)  eine  grosse 
Zähl  von  stehenden  Heiligenbildern  in  grösster  Vollendung  des  Bilderstiches  ange- 
bracht, die  durchschnittlich  eine  Grösse  von  17  —  18  Centimeter  haben. 

Im  Falle  die  ebengedachten  Figurstickereien  an  der  vorliegenden  Kapelle 
nicht  von  den  Kunststickem  des  belgischen  Flanderns  angefertigt  worden  sind, 
deren  Hauptschule  gegen  Ende  des  Mittelalters  in  Arras  ihren  Sitz  hatte ,  so  dürf- 
ten diese  vielen  Bildwerke  aus  der  Hand  eines  sehr  befilhigten  Meisters  des  BU- 
derstichs  aus  der  angesehenen  Zunft  der  Wappenwirker  zu  Köln  im  zweiten  Vier- 
tel des  XVI.  Jahrhunderts  hervorgegangen  sein.  Erst  vor  wenigen  Jahren  ist  es 
der  Umsicht  und  dem  Interesse  des  Kirchenvorstandes  von  St.  Martin  zur  Erhal- 
tung von  kölnischen  kirchlichen  Kunstwerken  gelungen,  bei  einem  hiesigen  Kunst- 
händler, in  dessen  Händen  sich  diese  merkwürdigen  Stickereien  zum  Verkaufe  be- 
fanden, die  obengedachte  Kapelle  durch  Ankauf  wieder  zu  gewinnen  und  sie  auf 
diese  Weise  für  die  vaterländische  Kunst  zu  erhalten. 


Ehemaliger  Schatz  der  Benedictiner-ibtei  St.  Martin. 

Wir  haben  in  diesem  Werke  nach  Beschreibung  der  wenigen  noch  vorfind- 
lichen  Kirchenschätze  die  nicht  angenehme  Aufgabe  übernommen,  zu  constatiren« 
was  in  den  verschiedenen  Kirchen  und  Sacristeien  Kölns  an  Kunstzierden  noch  von 


ST-  MARTIN.  19 

dem  ehemaligen  „heiligen  Köln'^  sich  aus  den  Gräueln  der  letzten  Zerstörungsperiode 
gerettet  hat.  Bei  sorgfiUtiger  Nachforschung  nach  dem  heute  Vorfindlichen  stiessen  wir 
begreiflicher  Weise  allenthalben  auf  die  theils  mündlichen,  theils  schriftlichen  An- 
gaben: was  noch  bis  zum  Eintritt  der  französischen  Fremdherrschaft  in  Köln  sich  an 
grossartigen  Werken  der  Goldschmiedekunst  erhalten  gehabt  habe.  Und  da  stellte 
es  sich  denn  heraus,  dass  namentlich  die  ehemaligen  Stifts-  und  Abteikirchen,  nach- 
dem durch  einen  Gewaltstreich  ihr  wohlerworbenes  Eigenthum  für  vogelfrei  erklärt 
worden  war,  fast  Alles  verloren  haben,  was  die  ehemaligen  Schatzverzeichnisse  in 
langer  Beihe  an  dort  befindlichen  kirchlichen  Prachtgeräthen  aufzählten. 

Wenige  Abteikirchen  Kölns  jedoch  sind,  ihrer  ehemaligen  Schätze  beraubt, 
heute  so  leer  ausgegangen,  wie  die  vormalige  reiche  Abteikirche  der  Schotten  zu 
Gross  St.  Martin.  Die  spärlichen  Eeste,  die,  in  der  Sacristei  von  St.  Martin  noch 
befindlich,  oben  beschrieben  worden  sind,  stammen  grossentheils  noch  aus  der  un- 
mittelbar neben  St.  Martin  vormals  belegenen  Pfarrkirche  St.  Brigitta  her. 

Wir  versuchen  es  in  Folgendem  an  der  Hand  älterer  Chronisten  ein  übersicht- 
liches Verzeichniss  von  den  Werken  der  Goldschmiedekunst  zu  geben,  die  der  „thesau- 
rus  sacer*'  von  St.  Martin  ehemals  vor  der  öffentlichen  Einschmelzung  in  der  Zeit  der 
niuminanten  besass.  Besonders  machte  sich  durch  seine  Grösse,  seine  Schönheit  und 
seine  vielen  Detailformen  der  grosse  silberne  Reliquienschrein  bemerkbar,  der  die 
Truhe  mit  den  Gebeinen  des  heiligen  Märtyrers  Eliphius  umschloss.  Dieser  Schrein 
war  auf  Kosten  des  kölnischen  Erzbischofs  Hermann,  Landgrafen  von  Hessen,  im 
Jahr  1485  angefertigt  worden  und  dürfte  derselbe  eine  analoge  Gestalt  und  Fassung 
gehabt  haben,  Vodurch  sich  heute  der  in  der  ersten  Lieferung  dieses  Werkes  be- 
schriebene Schrein  der  machabäischen  Brüder  kenntlich  macht.  Nach  einer  neu- 
lichen Mittheilung  von  sonst  bewährter  und  kundiger  Stelle  soll  der  ebengedachte 
Eliphiuskasten  in  St.  Martin  von  denselben  Goldschmieden  gegen  den  Schluss  des 
XVTL  Jahrhunderts  angefertigt  worden  sein,  durch  den  auch  die  heute  noch  er- 
haltene „tumba  Sti.  Engelberti"  im  Schatze  des  Kölner  Domes,  ein  Prachtwerk  köl- 
nischer Goldschmiede  aus  den  Tagen  der  Renaissance ,  seine  Entstehung  gefunden 
hat.  Ist  dieser  Nachricht  Gewicht  beizulegen,  so  dürfte  der  im  Jahr  1485  ange- 
fertigte Schrein  im  XVH.  Jahrhundert  eine  vollständige  Umgestaltung  erfahren 
haben.  Femer  ersah  man  in  dem  Schatze  zwei  Hierotheken,  als  Brustbilder  in 
Silber  getrieben,  die  der  kölnische  Chronist  mit  dem  Ausdruck  „herma"  bezeich- 
net, und  welche  die  Häupter  der  heiligen  Paulina  und  Pignosa  enthielten. 

In  einem  andern  Reliquiarium  von  kunstreicher  Fassung  wurde  ein  Stück 
vom  KreuzesholzQ  Christi  verwahrt. 

In  einer  weitem  kostbaren  Einfassung  ersah  man,  dem  Gelen  zufolge,  die 
Ueberreste  jenes  Pingers,  womit  Johann  Baptist  auf  den  Heiland  hinzeigte. 

Ausserdem  bewahrte  der  vormalige  Schatz  von  St.  Martin  noch  mehr  als 
zwanzig  Gefässe  und  Behälter  in  mehr  oder  minder  kunstreicher  Ausarbeitung, 
worin  Ueberbleibsel  verschiedener  Heiligen  aufbewahrt  wurden.  Unter  diesen  be- 
fand sich  eine  stoffliche  Reliquie , '  von  welcher  sonst  in  alten  Kircheninventaren 
häufiger  Erwähnung  geschieht,  nämlich:  „de  peplo  B.  M.  V.''    Merkwürdigerweise 


20  ST.  MARTIN. 

bestanden  diese  Ueberbleibsel ,  die  wir  unter  der  Bezeichnung:  y,yon  dem  Schleier 
der  allerseligsten  Jungfrau^*  mehrfach  zu  sehen  Gelegenheit  hatten,  aus  einem 
äusserst  feinen  Gewebe  von  weissliehgelblicher  Farbe,  und  zwar  giebt  sich  dieser  Stoff 
nicht  als  Seidengewebe,  sondern  als  zartes  egyptisches  Lieinen  (Byssus)  zu  erken- 
nen. Eine  solche  Stofireliquie ,  in  ziemlich  grosser  Ausdehnung ,  sahen  wir  in  dem 
reichhaltigen  Schatze  zu  Prag,  wo  sie  in  einem  merkwürdigen  Krystallkästchen 
mit  Sculpturen  und  zierlichen  Fassungen  noch  heute  aufbewahrt  wird,  wie  eine 
Inschrift  auf  der  Pergamentschedula  das  angiebt,  als  y^pcplum  B.  M.  F.''  Dieser 
merkwürdige  Stoff  im  Schatze  zu  Prag  stellt  sich  ebenfalls  als  ein  Byssusgewebe 
dar  in  einer  solchen  Feinheit,  die  wir  bis  heute  noch  nirgends  in  dieser  Art  ge- 
Amden  haben.  Das  Gewebe  übertrifft  an  Feinheit  und  Dichtigkeit  die  heutige 
analoge  Seidengaze  um  ein  Bedeutendes. 

Einmal  im  Jahre  wurden ,  wie  das  noch  jetzt  in  St.  Peter  zu  Rom  der  Fall 
ist,  die  ebengedachten  yielen  Reliquien  innerhalb  der  Kirche  von  St  Martin 
dem  Volke  unter  entsprechenden  Feierlichkeiten  gezeigt.  Wir  glauben  mit  Sicher- 
heit annehmen  zu  können,  dass  diese  Zeigung  der  lüeinodien  und  Reliquien  von 
St.  Martin  von  den  obem  offenen  Gallerien  (loggia)  stattfand,  die  heute  noch  in 
der  herrlichen ,  leider  sehr  baufälligen  ehemaligen  Abteikirche  der  Schotten  zu  bei- 
den Seiten  des  Chors  ersichtlich  sind.  An  derselben  Stelle  sind  auch  behufs  der 
Zeigung  der  Reliquien  in  der  heutigen  St  Peterskirche  zu  Rom  ähnliche  offene 
Logen  angebracht. 

Bis  zu  den  Tagen  des  Chronisten  Gelen  hatte  sich  im  Chor  der  heutigen 
Martinskirche  eine  uralte  Altarmensa  erhalten,  deren  Form  und  Beschaffenheit,  da 
sie  aus  dem  Schlüsse  des  X.  Jahrhunderts  herrührte ,  für  die  Kunstforschung  der 
Gegenwart  ein  grosses  Interesse  geboten  haben  würden.  Dieselbe  scheint  grossentheils 
von  Metall  gewesen  zu  sein  und  man  erblickte  damals,  in  Erz  vertieft  eingegraben, 
auf  derselben  folgende  sehr  mutilirte  Inschrift  in  lateinischen  Unzialbuchstaben : 

„f*  Warinus  Archiepis.     Coloniensis  .... 
.  ,  .  .  A.  Cmis  Loculum  sed  per,^* 

Es  scheint  dieses  seltene  Kunstwerk  leider  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts, 
wo  die  schöne  Martinskirche  im  Innern  eine  gräcisirende,  durchaus  stylwidrige 
und  lächerliche  Umänderung  erfuhr,  unbeachtet  entfernt  worden  zu  sein,  um  an 
Stelle  des  entfernten  Monumentes  den  heutigen  unförmigen  und  unpassenden  Altar- 
koloss  construiren  zu  können. 


^^'^ 


^^emafige  'glaf^^auöRapefle. 


Seite 

69)  Emaillirtes    Anlependium    mit    auf   Goldgrund   gemalten    Heiligenfiguren,   theilweise 
aus    dem   XIL,     theilweise    aus    dem    XIV.  Jahrhundert    herrührend.     Tafel  XVIII. 

Fig.  69 3 

Ehemalige  kirchliche  Geßisse  und  Kunstgeräthe  der  Rathhauskapelle 7 


69. 

latependinm  eines  ehemaligen  Altars, 

herriihrend  aus  St.  Ursula.     Einfassungsränder  in  Email.     XII.  Jahrhundert. 

Malerei  der  Füllungen  aus  dem  XIV.  Jahrhundert. 

Hohe  1  Meter  und  14  Centimeter,  Länge  2  Meter  und  18  Centimeter. 

Zweifelsohne  besass  Köln,  als  im  Mittelalter  seine  Sacristeien  und  Altäre 
noch  mit  dem  Schmuck  jener  reichen  Kunstwerke  geziert  waren,  welche  die  Erzeug- 
nisse der  alten  kirchlichen  „canfratemitas  aunjabrorum^'  bildeten,  eine  grössere  Zahl 
jener  kostbaren  „palla  (Foro",  wie  wir  sie  heute  noch  in  geringer  Zahl  als  Meisterwerke 
der  romanischen  Goldschmiedekunst  diesseits  und  jenseits  der  Berge  vereinzelt  ange- 
troffen haben.  Von  den  ehemaligen  derartigen  Altarantependien  mit  vergoldeten  figu- 
ralen  Darstellungen  und  zierlichen  Einfassungen  in  Email  ist  das  in  Rede  stehende 
,Jrontaie",  heute  befindlich  über  dem  Altar  in  der  ehemaligen  Rathhauskapelle,  der 
letzte  Ueberrest,  der  jedoch  trotz  seiner  Entstellung  erkennen  lässt,  in  welcher 
Construction  und  in  welch'  grossartigem  Formenreichthume  die  Goldschmiedekunst 
im  alten  Köln  die  Hauptfronte  des  Altars  an  Festtagen  auszustatten  wusste.  Der 
kölnische  Altarvorhang,  dessen  Beschreibung  uns  gegenwärtig  obliegt,  besteht  in  sei- 
ner heutigen  Gestaltung  und  Omamentation ,  wie  schon  in  der  Ueberschrift  ange- 
deutet wurde ,  aus  zwei  der  Zeit  und  der  Technik  nach  ganz  verschiedenen  Com- 
positionen.  Sämmtliche  Umtassungsränder  in  vielfarbigen  verschieden  gestalteten 
emaua:  champleväs,  desgleichen  die  in  vergoldetem  Bothkupfer  getriebenen  Verzie- 
rungsleisten, gehören  spätestens  dem  Schlüsse  des  XU.  Jahrhunderts  an.  Die  sie- 
benzehn auf  glattem  Goldgrund  in  kräftigen  Conturen  gemalten  Heiligenbilder  jedoch 
gehören  offenbar  in  ihren  altem  Theilen,  die  bei  der  letzten  Restauration  durch 
neue  nicht  ergänzt  worden  sind,  dem  Schlüsse  des  XIV.  Jahrhunderts  an.  Es  ist 
heute  schwer  zu  bestimmen,  welche  primitive  Physiognomie  das  vorliegende  höchst 
merkwürdige  Frontale  in  seinen  später  er^nzten  Theilen  ehemals  gehabt  habe. 
Nach  Besichtigung  mehrerer  älterer  „paUa  (Toro's^y  desgleichen  nach  genauerer  Ein- 
sichtnahme ähnlicher  grösserer  Reliquienschreine  in  derselben  emaillirten  Einfassung 
und  Umrahmung  glauben  wir  annehmen  zu  können,  dass  in  jenen  Bogennischen 
und  Füllungen,  in  denen  heute  die  obengedachten  „goldenen  Heiligen"  thronen, 
ehemals   als   Basreliefs   getriebene  Heiligenfiguren  ersichtlich  waren,  die  mit  den 


4  EHEMALIGE  RATHHAUSKAPELLE. 

vorliegenden  gemalten  Figuren  der  Wahl  und  Anordnung  nach  identisch  gewesen 
sein  dürften.  Möglich  ist  es  auch,  dass  in  diesen  Bogenlauben  und  Füllungen 
ehemals  ähnliche  Bildwerke  angebracht  waren,  die  durch  die  Farbenpracht  des  Email» 
den  Blick  des  Beschauers  fesselten.  Wir  überlassen  es  einer  spätem  Forschung  zu 
constatiren,  fUr  welchen  Altar  und  in  welcher  Technik  jene  Bildwerke  ausgeführt  wa- 
ren, die  ehemals  an  dieser  interessanten  „palliotta  altaris*'  figurirt  haben,  und 
gehen  im  Folgenden  zu  der  Detailbeschreibung  dieses  goldenen  Altarvorhanges  über. 
Das  vorliegende  Antependium  ist  durch  seine  verschiedenen  Einfassungen 
in  drei  Hauptcompartimente  abgetheilt  Die  mittlere  schmälere  Abtheilung 
in  der  Breite  von  68  Centimeter  zeigt  in  der  Mitte  ein  rosenförmiges  Medaillon, 
im  Vierpass  gehalten,  das  in  seiner  grösstcn  Ausdehnung  67  Centimeter  misst 
Dieses  längliche  Vierpassmedaillon  springt  auf  vertieftem  Goldgrunde  mit  sei- 
nem Umfassungsrande  Vji  Centimeter  erhaben  vor.  Der  Rand  dieses  Medaillons 
ist  nach  innen  und  nach  aussen  mit  einem  omamental  getriebenen  Kupferblech 
umlegt.  Die  äussere  platte  Fläche  dieses  Randes  zeigt  in  zwölf  kleinem  Compar- 
timenten  von  8  Vi  Centimeter  vielgestaltige  Oraamentmotive  in  jenem  charakteristi- 
schen kölnischen  „email  ckamplevi",  wie  es  sich  in  verwandter  Form  und  Technik 
so  vielfach  an  grossem  kirchlichen  Kunstwerken  des  Xu.  Jahrhundert  erhalten  hat 
Die  übrigen  Zwischenräume  waren  ehemals  zweifelsohne  durch  kleine  Comparti- 
mente  ausgefUllt,  entweder  wie  gewöhnlich  in  Filigran  mit  dazwischen  befindlichen 
Halbedelsteinen,  oder  es  waren  hier  in  Rothkupfer  getriebene  und  vergoldete  oma- 
mentale Bleche  eingesetzt.  Auf  den  vier  Bogen  dieses  Medaillons  erheben  sieh 
ähnliche,  erhaben  vorspringende  gerade  Leisten,  wodurch  diese  mittleren  Com- 
partimente  sich  zu  der  Form  eines  Kreuzes  gestalten.  In  den  vier  kleinem  Ab- 
theilungen und  Winkeln,  die  sich  in  den  Ecken  der  mittleren  Vierung  ergeben, 
herbeigeführt  durch  die  Form  des  Vierpasses,  erblickt  man  die  Gestalten  von  musi- 
cirenden  Engeln,  die  auf  Saiteninstmmenten  das  Lob  der  Himmelskönigin  verkün- 
digen, welche  in  dem  mittleren  Medaillon  bildlich  dargestellt  ist.  Auf  einem  reich 
verzierten  „sedile"  hat  nämlich  die  h.  Jungfrau  Platz  genommen  und  hat  der  Künstler 
den  göttlichen  Knaben  auf  dem  Schosse  der  Mutter  stehend  dargestellt,  wie  er  eben, 
in  der  beliebten  Weise  der  altkölner  Schule,  im  Begriffe  steht,  eine  Blume  zu 
greifen,  die  die  Madonna  ihm  darreicht.  Bios  die  Incamationstheile  und  der 
Haarschmuck  der  Figuren  ist  in  Temperafarbe  äusserst  zart  und  weich  ausgeführt, 
und  erinnert  der  sanfte  und  liebliche  Ausdruck  der  Köpfe,  insofem  sie  noch  primi- 
tiv sind,  an  die  wunderlieblichen  Heiligenköpfe  in  der  tiefen  und  innigen  Auffas- 
sungs-  und  Darstellungsweise  der  kölnischen  Maler,  die  den  Schluss  des  XIV.  und 
den  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts  charakterisirt.  Zu  beiden  Seiten  dieser  mittlem 
Viemng  ersieht  man  je  eine  grössere  quadratische  Abtheilung  in  einer  Höhe  von 
41  Centimeter  und  in  einer  Länge  von  61  Centimeter.  In  jeder  dieser  vertieften 
Quadraturen  erblickt  man,  reihenfbrmig  über  einander  geordnet,  je  drei  und  drei 
Nischen  im  Rundbogen,  die  auf  kleinen  mit  Capitälchen  gekrönten  Pilastem  ruhen. 
Diese  Rundbogen  nebst  Zwickel  und  den  entsprechenden  Trägem  sind  mit 
den  gchönsten  und  schwungvollsten  spätromanisehen  Laubomamenten  bedeckt,  die 


l; 


vi 


EHEMALIGE  BAtHHAUSKAi^ELLE.  5 

als  „emaua^  champleves*'  in  weisslichen,  bläulichen  und  grünlichen  Farbentönen  jene 
charakteristisch  zarten  Emails  zu  erkennen  gaben,  wie  dieselben  an  dem  Drei- 
königsschreine ,  dem  Albinuskasten ,  sowie  den  vielen  fieliquienschreinen  von  Sieg- 
burg, sämmtlich  Meisterwerke  der  kölnischen  Emailleurs,  sich  kenntlich  machen. 
Betrachtet  man  die  vielgestaltigen  Laubomamente ,  die  auf  diesen  grossem  email- 
lirten  Platten  ersichtlich  sind,  und  vergleicht  man  dieselben  mit  den  noch  vielfach 
erhaltenen  Initial-  und  Miniaturwerken  romanischen  Styles,  so  überzeugt  man  sich, 
dass  die  Anfertigung  dieser  emaillirten  Platten  nebst  den  dazu  gehörigen  getrie- 
benen und  ciselirten  Ornamenten  unwiderruflich  der  letzten  Hälfte  des  Xu.  Jahr- 
hunderts angehören.  Sämmtliche  emaillirte  Rundbogen  mit  den  entsprechenden 
Pilasterpfeilerchen  dienen  als  nischenförmige  Einfassungen  in  einer  Höhe  von 
38  Centimeter  bei  einer  Breite  von  18  Centimeter  dazu,  auf  Glanzgold  einzelne 
Standbilder  von  Heiligenfiguren  aufzunehmen,  die,  wie  die  früher  beschriebenen 
Figuren  der  mittleren  Vierung,  als  „aurei  sancti",  in  stehender  Haltung  und  in 
sichern  und  starken  Conturen  angedeutet  sind.  Bios  das  Incamat  der  Köpfe  und 
Hände  ist  in  Tempera  gemalt,  und  muss  es  bedauert  werden,  dass  einige  dieser 
Köpfe  vor  der  letzten  Wiederherstellung  vielfach  verschwunden  waren.*)  In  der 
oberen  Beihe  befinden  sich,  zu  drei  und  drei  geordnet,  sechs  Standbilder  der 
Apostel.  In  der  untern  Reihe  ersieht  man  auf  der  einen  Seite  drei  weibliche  Hei- 
lige und  auf  der  entgegengesetzten  Seite  drei  männliche  Heilige,  die  als  Patrone 
Kölns  sich  zu  erkennen  geben.  Das  Vorkommen  von  sechs  Apostelbildem  in  der 
obem  Reihe  lässt  mit  ziemlicher  Sicherheit  den  Schluss  ziehen,  dass  die  y^palla 
(Poro''  Kölns,  wie  das  an  den  übrigen  reichen  Antependien  der  Fall  ist,  ehemals 
auch  noch  zwei  schmälere  Flügel  aufzuweisen  hatte,  die  die  Bestimmung  trugen, 
die  beiden  Schmalseiten  des  Altars  entsprechend  auszustatten.  Dürfte  sich  dieses 
bewahrheiten,  so  haben  zweifelsohne  die  übrigen  sechs  Apostelbilder,  zu  drei  und 
drei  in  einer  Reihe  geordnet,  die  Füllung  der  schmäleren  Kopfseite  des  Altars 
unter  einer  gleichen  architektonischen  Einfassung  verziert.  Noch  fügen  wir  hinzu, 
dass  das  vorliegende  Frontale  auf  den  vier  Seiten  durch  einen  14  Centimeter  brei- 
ten Rand  eingefasst  vrird.  Das  Profil  dieses  Randes  ist  einfach  gegliedert  und  giebt 
sich  als  primitiv  zu  dem  Antependium  gehörend  sofort  zu  erkennen.  Die  innere 
Hohlkehle  dieses  breiten  Randes  war  ehemals  mit  dünn  getriebenen  vergoldeten 
Kupferblechen  belegt,  die  oft  vorkommende  romanische  Ornamente,  über  einer 
Stanze  getrieben,  zu  erkennen  geben.  Der  äussere  flache  Rand  in  einer  Breite  von 
fUnf  Centimeter  nimmt  stellenweise  eine  Anzahl  von  emaillirten  Plättchen  auf,  die  mit 
getriebenen  vergoldeten  Kupferblechen  vormals  abwechselten  oder  mit  grösseren  Fili- 
granbändem,  welche  durch  den  Schmuck  von  gefassten  Edelsteinen  gehoben  wurden. 
Da  es  einleuchtet,  dass  das  vorliegende  Frontale  ehemals  den  Hauptaltar 
einer  kölnischen  Kirche  schmückte,  so  entsteht  die  Frage,  wie  kam  diese  y,paUa 


*)  Consenrator  Ramboux  hat  mit  grosser  Sorgfalt  in  denselben  Pigmenten  und  möglichst  streng 
im  alten  Charakter  diese  Figuren  restaurirt  und  Überhaupt  dem  seltenen  Kunstwerk  in  seinen  übrigen 
Thcilen  eine  gründliche  Wiederherstellung  zu  Theil  werden  lassen. 


iP 


G  EHEMALIOE  RATHUAUSKAPELLE. 

fToro''  aus  kirchlichem  Besitze  in  den  Besitz  der  Stadt  Köln,  die  dieses  Kunstwerk 
provisorisch  in  der  heute  als  Bildergallerie  benutzten  Kapelle  aufstellen  Hess.  Wir 
wollen  hier  kurzweg  die  betreffenden  Angaben  folgen  lassen,  die  uns  a1«i 
glaubwürdig  von  mehreren  Seiten  mitgetheilt  worden  sind.  Das  vorliegende  Ante- 
pendium  hat  ehemals,  wie  verlautet,  dem  Pfarraltar  der  St.  Ursulakirche  zur  Zierde 
gereicht,  der  nach  Aussage  von  Augenzeugen  noch  zn  Zeiten  des  ehemaligen  Ursu- 
lastiftes unmittelbar  am  Eingange  des  Hochaltars,  von  Abschlussgittem  umgeben, 
errichtet  war.  Als  nun  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  die  ebengedachte  Kirche  einer 
sogenannten  Verschönerung  im  Innern  zu  bedürfen  schien  und  die  betreffenden 
Arbeiten  unter  Leitung  und  Führung  von  Wallraff  ausgeführt  und  vollendet  wur- 
den, soll  Wallraff  in  Anerkennung  für  seine  desfallsigen  Bemühungen  die  vorlie- 
gende „/?ö//a  d'orö"  von  der  Kirche  als  (Jeschenk  erhalten  haben.  Nachdem  die 
Privatsammlung  W^allraff 's  nach  dem  Tode  desselben  an  die  Stadt  übergegangen  ist, 
ist  auch  das  vorliegende  Antependium  in  den  Besitz  der  Stadt  Köln  gekommen. 

Was  nun  die  Parallelen  betrifft,  die  die  vorliegende  Altarbekleidung  mit 
den  heute  noch  erhaltenen  analogen  Altarzierden  in  Form  von  Frontalien  in  edlem 
Metall  aufzuweisen  hat,  so  muss  hier  angeführt  werden,  dass  solche  Vorhänge  heute 
nur  noch  in  wenigen  Exemplaren  diesseits  und  jenseits  der  Berge  anzutreffen  sind. 
Die  zwei  kostbarsten,  aber  auch  zugleich  ältesten  y,palla  d^oro^"-  besitzt  Italien  und 
stellen  dieselben,  in  dünnem  quadratischen  Goldblech  getrieben ,  figurenreiche  Sei- 
nen aus  dem  Leben  und  Leiden  des  Heilandes  dar.  Die  bekannteste  derselben 
bekleidet  die  vier  Flächen  der  Mensa  des  Hauptaltars  in  S.  Marco  zu  Venedig; 
die  andere  die  vier  Seiten  des  Hauptaltars  in  der  altehrwttrdigen  Basilika  des  beil. 
Ambrosius  zu  Mailand.  Obgleich  die  ^^folla  foro*'  in  Venedig  sich  eines  grös- 
seren Rufes  als  die  von  S.  Ambrosio  in  Mailand  erfreut,  so  müssen  wir  doch  ein- 
gestehen, dass  ein  genaueres  Studium  dieser  beiden  Antependien  an  Ort  und  Stelle 
uns  die  Ueberzeugung  beigebracht  hat:  die  goldene  Altarbekleidung  zu  S.  Ambrosio 
dürfte  in  keiner  Beziehung  hinsichtlich  ihres  Kunst-  und  Metallwerthes  niedriger 
als  die  zu  S.  Marco  angeschlagen  werden.  Die  reichste  y,paUa  tforo**  diesseits  der 
Berge  in  Goldblech,  mit  vielen  figunüen  Darstellungen,  getrieben,  befindet 
sich  heute  noch  in  dem  Münsterschatz  zu  Aachen  und  hat  dieselbe  mit  den 
ebengedachten  norditalienischen  Altarbekleidungen  viele  verwandtschaftliche  Be- 
ziehungen aufzuweisen.  *)  Ein  zweites  grossartiges  und  reiches  Altarfrontale  be- 
wundert man  heute  noch  im  Stifte  Klosterneuburg  bei  Wien.  Dasselbe  ist  vor 
einigen  Jahren  von  Arueth  in  einer  besonderen  Monographie  beschrieben  worden 
und  bezeichnet  der  Verfasser  dieses  unvergleichlich  reiche  Schmelz-  und  Email- 
werk irrthümlich  als  „Nielloantependium".  Ein  drittes  Meisterwerk  der  (Jold- 
schmiede-  und  Emaillirkunst  ausser  der  oben  beschriebenen  palla  (Toro  in  Köln 


*)  Wir  werden  dieselbe  vor  Beendigung  des  vorliegenden  Werkes  in  einer  grössern  Heraus- 
gabe ausführlicher  beschreiben,  die  unter  Beigabe  vieler  Abbildungen  den  Titel  Alhren  wird:  .«der 
Schatz  des  ehemaligen  KaiRerlich- freien  Reichs-  und  Erönungsstiftes  «, Unserer  Lieben  Frau  su 
Aachen.'* 


EHEMALIGE   IUTHHAU8KAPELLE.  7 

trifft  man  heute  auf  Deutschlands  Boden  in  der  Pfarrkirche  zu  Eomburg*)  in 
Schwaben  an.  Dasselbe  zeigt  hinsichtlich  seiner  Eintheilung  und  emaillirten  Ar- 
beiten viele  Analogieen  mit  unserem  goldenen  Frontale  in  der  Rathhauskapelle. 
Auch  lassen  die  getriebenen  Bildwerke  auf  dem  Komburger  Antependium  einige 
Schlüsse  ziehen,  wie  etwa  in  figürlichen  Darstellungen  der  vorliegende  Vorsatz 
ehemals,  statt  der  heutigen  Malereien,  omamentirt  gewesen  ist.  Sowohl  der  soge- 
nannte Verduner  Altar  zu  Klosterneuburg,  als  auch  das  merkwürdige  Antepen- 
dium zu  Komburg  dürfte  mit  der  eben  beschriebenen  Altarbekleidung  zy  Köln  eine 
und  dieselbe  Entstehungszeit  in  der  letzten  Hälfte  des  XII.  Jahrhunderts  beanspru- 
chen. Die  berühmten  Schmelz-  und  Emailwerkstätten  zu  Limoges  haben  zweifels- 
ohne ebenfalls  im  XII.  und  XITT.  Jahrhundert  eine  grosse  Zahl  solcher  emaillirter 
Altarfrontalien  hervorgebracht;  jedoch  hat  die  französische  Revolution,  die  nicht 
nur  im  Auslande,  sondern  auch  im  eigenen  Stammlande  gründlich  aufgeräumt 
hat,  soviel  uns  auf  ausgedehnten  Reisen  durch  Frankreich  zur  Kunde  geworden 
ist,  keine  dieser  palla  (Toro  mehr  existiren  lassen.  Nur  fanden  wir  im  äusser- 
sten  Süden  der  Provence,  zwischen  Montpellier  und  Cette,  eine  Kirche,  deren 
Name  uns  gegenwärtig  entfallen  ist,  die  noch  ein  kleineres  emaillirtes  Antepen- 
dium, aus  dem  Beginn  des  XIII.  Jahrhunderts  herrührend,  aufzuweisen  hat. 


Ehemalige  kirchliche  Kunstwerke  der  Rathhauskapelle. 

Wie  das  an  den  altern  Rathhäusem  zu  Regensburg,  Prag,  Nürnberg  und 
anderswo  zu  ersehen  ist,  befand  sich  auch  in  der  Nähe  des  Rathhauses  zu  Köln  eine 
besondere  Kapelle,  in  welcher  bei  feierlichen  Veranlassungen  für  die  Rathshen-en 
der  Stadt  ein  besonderer  Gottesdienst  stattfand.  £ine  solche  Kapelle,  aus  dem 
XV.  Jahrhundert,  mit  einem  ausgezeichnet  schönen  ,J)achreiter"  in  den  gefälligen 
Formen  der  Spätgothik,  hat  sich  auch  heute  noch  in  Köln  erhalten.  Dieses  „sace/- 
lum  magütratus*',  in  welchem  jetzt  provisorisch  ein  Theil  des  Archives  aufgestellt 
ist,  war  ehemals  hinsichtlich  seiner  kunstreichen  Ausstattung  und  des  reichen  Mo- 
biliars als  ein  wahres  Schatz-  und  Schmuckkästchen  des  alten  Kölns  zu  betrachten. 
Ausser,  der  Farbenpracht  der  gemalten  Fenster,  die  heute  leider  verschwunden 
sind**),  war  ehemals  der  Altar  jener  Kapelle,  in  welcher  vor  Beginn  der  jedes- 
maligen Sitzung  die  Rathsherren  der  kaiserlichen  Freien- Reichsstadt  Köln  der 
Feier  einer  „rmssa  de  spiritu  sancto"  beiwohnten,  mit  dem  berühmten  FlUgelbilde, 
das  die  Anbetung  der  drei  Könige,  von  der  Hand  des  Meister  Wilhelm  ausgeführt, 


*)  Vgl.  die  Abbildang  und  Beschreibung  dieses  Antependiums  in  dem  treiHichen  Werke  von 
Dr.  Schwaiz  und  Laib,  „Studien  Über  die  Geschichte  des  christlichen  Altars.** 

**)  Nur  in  der  dabei  befindlichen  Sacristei  haben  sich  einige  schöne  üeberreste  dieser  Glas- 
malereien erhalten. 


S  EHElfALIGE  RATHHAUSKAPELLE. 

vorBtellt,  verziert.*)  Dieses  Meisterwerk  mittelalterlicher  Malerei  rettete  sich  bei 
dem  Einfall  der  Sansculotten  gegen  Schluss  des  Torigen  Jahrhunderts  nur  dadurch, 
dass  man  es  längere  Zeit  imter  einem  öffentlichen  Fahrwege,  wie  ims  mitgetheilt 
wurde,  versteckt  hielt,  der  zu  seinem  Schutze  mit  Balken  und  anderem  Bretter- 
werk  Oberlegt  war.  Schlimmer  erging  es  den  Prachtgeräthen  kirchlicher  Gold- 
schmiedekunst und  Stickerei,  von  den  alten  Meistern  der  entsprechenden  kölnischen 
Zünfte  herrührend,  die  an  Sonn-  und  Festtagen  den  Gottesdienst  der  „Herren  vom 
Rathe''  ver];ierrlichten.  Das  nachfolgende  urkundliche  Verzeichniss,  das  uns  durch  die 
Zuvorkommenheit  des  städtischen  Archivars  Dr.  Ennen  abschriftlich  mitgetheilt 
wurde,  setzt  uns  in  die  Lage,  heute  noch  beurtheilen  zu  können,  wie  gross  die 
Zahl  jener  reichen  Kirchengefässe  und  Kleinodien  war,  die  den  Schatz  der  ehe- 
maligen Bathhauskapelle  bildeten.  Indem  wir  hier  dieses  Verzeichniss,  seinem  Wort- 
laut nach,  folgen  lassen,  machen  wir  noch  darauf  aufmerksam,  dass  diesem  ofB- 
ciellen  Einschmelzungsberichte  zufolge  das  Loth  feines  Silber  damals  im  geringen 
Werthe  von  42  Stttber  stand,  was  nach  unserem  heutigen  MttnzAisse  etwas  mehr 
als  siebenzehn  Silbergroschen  betragen  würde.  Man  kann,  es  zur  Beberzigung  für 
die  kommenden  Generationen  nicht  oft  genug  öffentlich  aussprechen,  dass  nicht  nur 
in  Köln  gegen  Schluss  des  vorigen  und  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts,  sondern 
allerwärts  im  westliehen  Europa,  das  von  den  Fluthen  der  französischen  Revolution 
bespült  wurde,  um  des  schnöden  Gewinnstes  von  einigen  Loth  Silbers  willen  Kunst- 
werke auf  immer  vernichtet  wurden,  die  lange  Jahrhunderte  hindurch  der  Stolz 
unserer  frommen  Vorväter  waren  und  die  unsere  heutige  krankhaft-industrielle  Zeit, 
in  ähnlichen  Kunstschöpfungen  zu  ersetzen,  sich  nicht  mehr  in  der  Lage  befindet 


*)  Es  ist  in  jüngster  Zeit  in  der  Eunstwelt  mit  BeifaU  vernommen  worden,  dass  dieses  be- 
rühmte Bild,  das  im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  im  hiesigen  Dome  Schuti  suchte  und  hnd  durch  rich- 
terlichen Ausspruch  auf  immer  dem  Dome  zur  Aufbewahmng  zuerkannt  worden  ut ;  auf  diese  Weise 
ist  das  schöne  Bildwerk  seinem  ursprünglichen  kirchlichen  Zwecke  wieder  zurückgegeben  worden,  in- 
dem es  sonst  Gefahr  lief,  als  GaUeriestUck  dem  Gottesdienste  yielleicht  für  immer  entfremdet  zu  werden. 


EHEMAUGE  RATHHAUSKAPELLE. 


^^Terzeiehmss 

über  die  Kirchengeräthe  der  ehemaligen  Raths-Kapelle^  welche  sowohl  in  der- 
selben, als  auch  in  der  Behausung  des  Burgers  de  G.  sich   vorgefunden  und 
unter  heutigem  Dato  in  Gegenwart  der  Bürger  S.,  Präsident,  P.  und  K., 

Municipal-Verwalter,  abgewogen  worden  sind." 

Pfd.    Loth. 

1  Silber  übergoldeter  Kelch 1  16 

1    dto.                          dto 1  24Vj 

1  Monstranz 3  20*/? 

1  Tcrgoldetes  Ciborium 1  23 

1  Paar  übergoldete  Pollen  sammt  Teller  ...  3  5 

1  dto.  silberne         dto.                  dto.      ...  2  19 

1  Rauchfass  mit  Schiffchen  *) 3  10 

10  Wandleuchter  \ 

10  Armleuchter      ' ^^  ^ 

1  silberner  Weihquast —  297« 

1  dto.          dto —  22 

2  Reliquien-Kasten-Füsse 1         V« 

2  Beschläge  von  Evangelien-Tafeln  ')....    2       572 

1  Kreuz  mit  Zubehör 1      17 

2  Blumenpott  mit  Gestell  ^) 2       4 

1  iflS  ^^^  2  Krönchen —     20 

1  Luna-Kasten  vergoldete —     1772 

1  silberner  Weinbecher —     10 

1  vergoldeter  Kelch,  das  obere  Theil  Silber  mit 

einem  Löffelchen,  das  untere  Theil  Kupfer  .  —      9 

2  Blumenpött  mit  den  kupfernen  Platten    ...    2     10 
Verschiedene  Kleinigkeiten —     28 

2  Pfennige  und  einige  Kleinigkeiten      ....  —       37» 

^  Pfd.  42       1378  Loth. 

')  Eb  lässt  sich  Termutheiif  dasB  die  meisten  dieser  angegebenen  kirchlichen  Geräthe  aus  der 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  stammten,  nur  das  Vorkommen  des  Tellers  bei  den  Pollen  durfte  die  An- 
nahme begründen,  dass  diese  Messkännchen  in  einer  jüngeren  Epoche  angefertigt  worden  sind. 

')  Es  waren  das  jedenfalls  silberne  Ornamente  an  den  Rahmen  der  drei  Kanonestafeln  befindlich, 
die  hier  irrthümlich  ETangelien tafeln  genannt  sind. 

')  Diese  Blumenvasen  in  Silber  gehörten  offenbar  nicht  mehr  dem  Mittelalter  an,  indem  es  erst 
in  der  ausartenden  Renaissance  vorkam,  den  Altar  an  Festtagen  mit  gemachten  künstlichen  Blumen  zu 
belasten  und  zu  verunzieren. 

*)  Die  Bezeichnung  dieses  Oefässes  klingt  fremd;  wahrscheinlich  war  dieses  ein  Behälter,  worin 
der  ,,luna**  mit  der  heiligen  Hostie  im  Tabernakel  verschlossen  war,  wenn  die  Monstranz  zur  grössern 
Sicherheit  in  der  Sacristei  deponirt  wurde. 

2 


10  EHEMALIOE  BATHHAUSKAPELLE. 

Pfd.  Loth. 

Uebertrag  42  ISV» 

Mehrere  Kleinigkeiten 4  30 

Verschiedenes  Silber,  vergoldet ') .    .    .    •    .    .  1  21 V« 

Noch  mehrere  Kleinigkeiten 5  1 V« 

Diverses  Silber,  vergoldet 1  24V2 

Von  dem  silbernen  Buch  getrennt 5  9 

3  sübeme  Köpfchen«) —  9V« 

6  grosse  und  2  kleine  Leuchter 33  10 

1  Leuchter 13  8 

SUber    Pfd.  107     317«  Loth. 
k  42  Stüber  per  Loth  macht  Livres  7257     12  Sols. 
1  Messbuchgestell  mit  Silber  beschlagen  '  j      ...  1 6     16 
I  Messbuch  mit  4  silbernen  Ecken  und  zwei   dto. 

Krampen 33     12 

1  in    rothem    Safian     gebundenes    Evangelienbuch 

mit  2  silbernen  Krampen  *) 15     — 

1  goldenes  Herz 

2  goldene  Augen 

1  goldenes  Schildchen 

1  goldene    Kette    mit    1    Herzchen  '^ »    6"/82  Loth 
1  desgl.  mit  1  Kreuzchen  .    .     .    .  ' 

1  goldenes  Kreuzchen 

1  ähnliches 

1  goldenes  Herzchen 

2  Krönchen  mit  Stein  und  Scepter  und  L  -  n  i  / 

1  kleineres  Krönchen f 

an  Gold  Ig"/^^         362     — 

Lvrs. '')  7880     — 

')  £b  ist  heute  schwer  zu  erratheUf  was  das  für  Kleinigkeiten  könnten  gewesen  sein;  in  den 
Aug^n  dieser  profanen  Taxatoren  galt  in  damaliger  trauriger  Zeit  Alles  fUr  Kleinigkeit,  was  nicht 
schwer  an  Silbergewicht  wog,  und  so  wurden  nierkwUrdige  und  seltene  Gegenstände  der  kirchlichen 
Kleinkunst  unbarmherzig  vernichtet,  weil  diese  Leute  nicht  mehr  in  der  Lage  waren,  den  grossen  hi» 
storischen  Kunstwerth  dieser  Kleinigkeiten  ahnen  und  bemessen  zu  können. 

*)  Biese  Köpfchen  werden  hi  alten  luven taren  „pomella*^  genannt  und  scheinen  das  Aepfelchen 
gewesen  zu  sein,  worin  die  starken  seidenen  Fransen  an  der  untern  Kappe  der  Pluviale  befestigt  waren. 

^)  Rührte  aus  der  Spiitepoche  des  Zopfes  her,  wie  man  noch  heute  aus  dieser  Zeit  kleinei-e 
jypulpita*'^  antrifft,  die  mit  Silber  beschlagen  sind. 

*)  Wahrscheinlich  ein  auf  Pergament  geschriebener  Evangeliencodex,  auf  welchen  die  Barger- 
meister des  alten  Köln  vereidet  wurden. 

^)  Diese  goldenen  Zicrrathen  waren  Weihgeschenke,  die  der  fromme  Glaube  „ex  votix"^  vor 
einem  Andachts-  und  Gnadenbildc  im  Laufe  der  Zeiten  aufgehängt  hatte.  Diese  Votivgeschenke  hin- 
gen ohne  Zweifel  vor  dem  Bilde  der  Madonna  mit  dem  Jesusknaben,  die  mit  goldenen  Kronen  und 
Scepter  geschmückt  waren,  worauf  die  Angaben  unter  ^)  hindeuten. 

^)  Ein  Livre  gleich  einem  franz.  Franken  nach  heutigem  Geldwerthc. 


J 


$i  mun. 


Mittelalterliche  Eunatgegenstände  daselbst. 

Seite 

70)  Reliquienmonstranz  in  Form  eines  Krystallkreuzes,  Silber  vergoldet,  XV.  Jahrhundert. 

Tafel  XIX.  Fig.   70 3 

7  1 )  Agraffe,  Silber  vergoldet,  XVL  Jahrhundert.    Tafel  XIX.     Fig.  71 5 

72)  Statue  des  Apostelfürsleu  Petrus.  XV.  Jahrhundert.    Tafel  XIX.    Fig.  72    ...     .  6 

73)  Weihrauchfass  in  Silber,  Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts.    Tafel  XIX.    Fig.  73  .     .     .  8 

74)  Reliquiengeföss,  eine  kleine  Monstranz  formirend,  XV.  Jahrhundert.  Taf.  XIX.  Fig.  74  12 

75)  Taufbecken  in  Messingguss,  XVII.  Jahrhundert.    Taf.  XIX.    Fig.  75 13 

Schaugef^ss,  Kupfer  vergoldet,  XV.  Jahrhundert 15 

Mittelalterliche  Paramenlslickerei,  XV.  Jahrhundert 16 

Ehemaliger  Schatz  von  St.  Alban .  18 


70. 

noDstranz 

in  Form  eines  Altarkreuzes.     Silber  vergoldet. 

Höhe  57  Centimeter,   gross te  Ausdehnung   der  Querbalken  29  Centimeter.     XV.  Jahrhundert. 

In  altera  ächatzinyentaren  findet  man  öfters  ^^cruces  crystallinae'^  verzeichnet, 
die  zur  Aufbewahrung  verschiedener  Reliquien  dienten.  Ohne  Zweifel  hatten  vor 
der  Revolution  auch  die  reichhaltigen  Kirchenschätze  Kölns  eine  grössere  Zahl 
solcher  Krystallkreuze  aufzuweisen.  Von  diesen  hat  sich  in  besonders  schöner 
und  edler  Form  in  der  Pfarrkirche  von  St.  Alban  ein  y^pacißcale"  erhalten,  dessen 
Kreuzbalken  mit  vier  grösseren  KiystaUstücken  ausgeschmückt  sind. 

Der  Buss  von  sehr  origineller  Form,  im  Durchmesser  von  20  Gentim.,  ist 
unten  in  Kreistorm  gehalten  und  geht  auffallender  Weise  gleich  darauf  ins  läng- 
liche Viereck  über.  Dieser  zweite  Fusstheil  ist  unten  mit  einem  zinnenförmigen 
Ornamente  umgeben,  hinter  welchem  sich  die  vier  Flächen  des  Fusses  nach  oben 
ansteigend,  verjüngen.  Auf  dem  Halse  des  Fusses  erhebt  sich  ein  verbinden- 
des Mittelstück,  welches  als  Handhabe  mit  einem  viertheiligen  Knaufe  abschliesst. 
Dieser  Doppelfuss  wird  in  seinen  Flächen  mit  einem  kunst-  und  schwungvollen 
Ornamente  in  kräftiger  Gravirung  gehoben  und  belebt,  welches  Laubwerk  sich 
auf  einem  quadratisch  carrirten  Grunde ,  fast  als  Relief  modellirt,  in  starker  Mar- 
kirung  geltend  macht.  Den  unstreitig  reichsten  und  formschönsten  Theil  bildet 
der  obere  Aufsatz  des  Gefässes,  nämlich  das  Kry stallkreuz,  das  vier  gleichlange 
KreuzbaJken  in  der  grössten  Ausdehnung  von  11  Centimeter  zeigt.  Diese  Kreuz- 
balken setzen  sieh  gleichmässig  an,  an  ein  mittleres  Gompartiment  in  Kreisform,  im 
grössten  Durchmesser  von  6V2  Centimeter,  das  eine  verschli^sbare,  nach  zwei 
Seiten  hin  mit  Krystall  belegte  Kapsel  zeigt,  welche  ehiBmals  eine  Partikel  vom 
heil.  Kreuze  umschloss.  Die  Kreuzbalken  selbst  münden  an  den  vier  Ecken  in 
Form  eines  Halbkreises  aus,  der  noch  mit  einer  Spitze  nach  Art  eines  Eselsrückens 
überhöhet  ist.  Auf  diesen  überhöhten  Spitzen  erheben  sich  nach  drei  Seiten  hin 
kleinere  ornamentale  Aufsätze,  ähnlich  einer' Fruchtbildung,  die  dem  Ganzen, 
wie  das  auch  an  dem  schönen  Kreuze  zu  St.  Columba,  sowie  an  einem 
ähnlichen  Yortragekreuze  zu  Calcar  der  Fall  ist,  einen  zierlichen  Abschluss 
geben.    Die  mittlere  Krystallrundung  an  der  Vierung  des  Kreuzes  ist  in  den  vier 


4  ST.   ALBAK. 

Ecken  mit  einem  durchbrochenen,  freistehenden  Ornamente  verziert,  ähnlich  einem 
Ziergiebel,  der  auf  beiden  Seiten  eine  Blattbildung  zum  Vorschein  treten  lässt. 
Diese  krabbenfbrmigen  Ansätze  eines  omamentalen  Blätterschmuckes  yerzweigen 
sich  gleichmässig  an  beiden  Plattseiten  der  vier  Kreuzesbalken,  wodurch  dem 
Ganzen  ein  belebtes  reichgestaltetes  Aeussere  verliehen  wird.  Die  Umfassungs- 
ränder der  vier  Krystallflächen  mit  dem  obenbeschriebenen  Blätterschmuck  ver- 
ästeln sich,  freier  hervortretend,  an  beiden  Seiten  der  Ausmttndung  der  Kreuz- 
balken zu  einem  schwungvollen  Ornamente,  das  in  seinem  Innern  jedesmal  eine 
kleine  sechsblätterige  Böse  aufnimmt.  Der  untere  Balken  des  Kreuzes  mündet 
an  seiner  Spitze  nicht  in  Weise  der  übrigen  in  eine  erdbeerförmige  Frucht 
aus,  sondern  es  verwächst  dieselbe  organisch  mit  dem  untern  Ständer  so  zusammen, 
dass  durch  einen  viereckigen  abgeschrägten  Knauf  diese  Verbindung  vermittelt 
wird.  Auf  der  vordem  Seite  des  untem  Balkens  erblickt  man  noch  heute  einen 
von  zwei  kleinen  schwebenden  Engeln  gehaltenen  Kelch,  der  als  Reliquiar  auf 
seiner  Kuppe  eine  goldene,  mit  Diamanten  besetzte  Kapsel  erkennen  lässt,  die 
hinter  Glasverschluss  eine  miraculöse  Reliquie  birgt.  Diese  Reliquie  war  in 
der  französischen  Revolution  in  einem  prachtvollen  Behälter,  in  Form  eines  grossen 
Altarkreuzes  mit  Fussstück,  die  damals  ohne  Schonung  eingeschmolzen  worden 
ist*),  ehrfurchtsvoll  aufgehoben. 

Bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  war  die  ebenbesehriebene  „<tmj?  m/- 
stallina"  als  Reliquien-  und  Vorsatzkreuz  in  kirchlichem  Gebrauche.  Als  jedoch 
mit  dem  Jahre  t802  die  obengedachte  merkwürdige  Reliquie  aus  der  aufgehobenen 
Augustinerkirche  nach  der  St.  Albanskirche  transferirt  wurde,  wurde  erst  später 
in  dieser  Kirche  vorliegendes  Kreuz  als  Monstranz  für  den  sacramentaUsehen 
Segen  in  Gebrauch  genommen,  indem  man  die  consecrirte  Hostie  vermittelst  einer 
„/tfwtf/a"  in  der  vorhin  gedachten  mittleren  Rundkapsel  aufstellte. 

Prüft  man  aufmerksamer  die  charakteristische  Form  und  Ausbildung  der 
auf  dem  Fusse  eingravirten  Laubornamente,  desgleichen  die  vielen  kleineren  Blatt- 
ansätze, welche  die  ganze  äussere  Umrandung  des  vorliegenden  Gefässes  umgeben, 
ebenso  die  Anlage  und  Formation  der  Kreuzbalkcn,  so  überzeugt  man  sich 
leicht,  dass  vorliegendes  auch  technisch  äusserst  delicat  gearbeitetes  Gefä^s  in 
den  Tagen  Kaiser  Karls  IV.,  des  Luxemburgers,  angefertigt  worden  sein  dürfte,  und 
zwar  unsenn  Dafürhalten  nach  im  zweiten  Viertel  des  XIV.  Jahrhunderts.  Bei 
Beschreibung  des  reichhaltigen  Domschatzes  von  St.  Veit  in  Prag,  den  wir  im 
Auftrage  der  k.  fe  Commission  zur  Erhaltung  der  Baudenkmale  im  vorigen  Jahr 
aufzunehmen  den  Auftrag  hatten,  sind  uns  aus  der  Zeit  des  gebefreudigen  Karl  IV. 
mehrere  kirchliche  Gefässe  noch  lebhaft  in  Erinnerung,  die,  mit  Jahreizahlen  ver- 
sehen, hinsichtlich  der  feinen  Entwicklung  ihrer  Detailformen  vollständig  mit  der 
oben  beschriebenen  crua:  crystallina  übereinstimmen.    Besonders  muss  das  gesagt 


♦)  Von  diesem  stattlichen   ertuc  allarü  aus   dem   ehemaligen  Schatze  der  Augustiner  i^t  heute 
noch  eine  grosse  Abbildung,  die  jedoch  sehr  incorrect  ist,  Torhanden. 


J 


ST.  ALBAN.  O 


werden  hinsichtlich  der  charakteristisch  eingravirten  Laubomamente  in  dem  Fuss- 
theile  des  oben  beschriebenen  Beliquiars,  die  mit  den  eingravirten  Omamentationen 
an  den  vorhin  erwähnten  Prager  Gelassen  vollkommen  übereinstimmend  sind. 


71. 

Agiraffe, 

in  vergoldetem  Silber,  mit  figürlichen  Darstellungen. 

QröBster  Darchmesser  \0\'i  Centimeter.    XVI.  Jahrhundert 

Gleichwie  ehemals  der  Pedall  einer  kirchlichen  Bruderschaft  zum  Abzeichen 
seiner  untergeordneten  Amtsfimction  in  der  Rechten  eine  silberne  Ruthe,  oder 
einen  Stab  trug  (wir  haben  einen  solchen  in  Fig.  12,  I.  Lief,  veranschaulicht),  so 
trug  er  auch  angeheftet  an  der  linken  Seite  seines  faltenreichen  Obergewandes 
eine  auszeichnende  Agraffe  (ßbula),  wodurch  seine  Bedienstung  als  kirchlicher 
OfGciant  an  Festtagen  gekennzeichnet  wurde.  Auch  das  vorliegende  „monile** 
gehörte  offenbar  als  auszeichnende  Brustkrampe  dem  Cäremoniarius  einer  kirch- 
lichen Schtitzengilde  vom  heil.  Sebastianus  an,  wie  das  die  ganze  Anlage  und 
Einrichtung  erkennen  lägst. 

Auf  der  vordem  Hauptseite  tritt  nämlich  auf  einer  vergoldeten  Fläche  ein 
kräftiges  Gewinde  von  Baumranken  stark  hervor,  das  an  vielen  Stellen  kleinere 
Knotenansätze  zeigt,  wie  wenn  hier  Zweige  abgeschnitten  wären.  Dieses  gefloch- 
tene Rankenwerk  dient  als  Einfassung  und  Medaillon,  um,  im  Innern  vertieft,  auf 
einer  vergoldeten  Platte  eine  zierliche  freistehende  Sculptut  aufzunehmen,  welche 
die  Marterscene  des  heil.  Sebastian  darstellt.  St.  Sebastianus  ist  nicht,  wie  die  Frtih- 
gothik  denselben  abbildet,  als  Genturio  im  leichten  Waffenschmuck  dargestellt,  wie 
die  tödtlichen  Pfeile  ihn  erreichen,  sondern  der  Ciseleur  des  XVI.  Jahrhundert«« 
hat  ihn  abgebildet,  wie  er  entblösst  und  mit  dem  Schürztuch  umhüllt,  an  einem 
Baumstamme  mit  Stricken  befestigt  sein  Martyrium  erleidet.  Auf  der  rechten  Seite 
erblickt  man  die  kleine  Statuette  eines  Kriegsknechtes,  der  den  Bogen  ge- 
spannt hält,  um  sein  Wurfgeschoss  auf  den  Heiligen  abzuschnellen.  An  der 
andern  Seite  steht  ein  zweiter  Kriegsknecht,  der  eben  beschäftigt  ist  die  Arm- 
brust zu  spannen.  Diese  drei  Figuren  sind  mit  grosser  Präcision  und  vieler 
Naturwahrheit  ciselirt,  so  dass  man  sogar  in  den  Gesichtszügen  des  Märtyrers  die 
Freude  über  das  Glück,  sein  Leben  für  Christus  opfern  zu  können,  lesen  kann, 
desgleichen  in  den  grinsenden  Gesichtern  der  beiden  Schergen  dämonischen  Hohn 
und  Schadenfreude.  Wie  es  uns  scheinen  will,  war  ehemals  der  ciselirte  Boden, 
worauf  diese  Martergeschichte  angebracht  ist,  mit  grünem  durchsichtigen  Email 
überzogen,  das  heute  abgesprungen  ist  Auf  der  innem  Fläche  dieses  Pectorale 
liest  man  folgende  interessante  Inschrift  in  spätgothischen  Majuskelbuchstaben: 


0  ST.   ALBAN. 

Anno,  Dmi  1509.    Jokain  Kesell  dedit  veieht  12  LOIT. 

Ueber  dieser  Inschrift  erblickt  man  ein  in  den  Formen  der  Spätgothik  ge- 
bildetes Wappenschild,  das  in  seinen  drei  Flächen  als  Anspielung  auf  den  Namen 
des  Geschenkgebers  drei  eingravirte  kleine  Kessel  erkennen  lässU  HinsichÜidi 
der  Gewichtsangabe  nach  altkölnischem  Maassstabe  diene  hier  noch  die  Angabe,  dass 
das  altkOlnisehe  Loth  im  Mittelalter  leichter  gewesen  ist,  als  das  Loth,  wie  es 
heut  im  Gebrauche  ist.  Eine  genaue  Abwägung  hat  nämlich  ergeben,  dass  oben- 
gedachte 12  Loth  heut  an  Gewicht  haben  10  Loth  6  Quentchen. 

Mit  diesem  Brustkrampen,  wie  der  eben  beschriebene,  sind  als  Analogien 
in  Verbindung  zu  setzen  jene  reichem  Pectoralschilde,  die  als  Agraffe  die  Bestim- 
mung tragen,  die  Pluviale  auf  der  Brust  zusammen  zu  halten  und  zu  befestigen. 
Auch  jene  omamentalen  Schilde  sind  hierhin  zu  rechnen,  die  die  V^ülotioi  und 
80genannten  „Schützenkönige"  kirchlicher  Gilden  und  Innungen  ehemals  an  einer 
Kette  auf  der  Bmst  zu  tragen  pflegten.  Zwei  äusserst  reiche  y,pectoralia**  dieser 
Art  aus  der  letzten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  finden  sich  noch  in  Kirchen  am 
Niederrhein,  bei  Cleve,  und  ist  die  Abbildung  dieser  schönen  Decorationen  unter 
Fig.  7  u.  Fig.  9  des  Werkes  zu  ersehen  „Kunstdenkmäler  des  christlichen  Mittel- 
alters in  den  Rheinlanden  von  Dr.  aus'm  Weerth,  L  Lief.  T.  0.  Weigel,  Leipzig  1858. 


72. 

Statne  des  Apostels  Petras. 

Hohe  55  Centimeter.     XV.  Jahrhundert. 

Der  Altar  von  St.  Alban  wird  an  Festtagen  mit  12  Standbildern  der  Apostel 
verziert,  die  in  Eichenholz  geschnitzt  und  in  jüngster  Zeit  neu  illuminirt  worden 
sind.  Obgleich  dieselben  nicht  in  den  Bereich  der  vorliegenden  Beschreibung 
gehören,  da  hier  unsere  Absicht  nur  dahingeht,  die  kirchlichen  Kunstschätze  in 
den  Sacristeien  Kölns  zu  beschreiben,  insofern  sie  der  Goldschmiedekunst  und  der 
Paramentik  des  Mittelalters  angehören,  wohingegen  diese  Figuren  als  Meistenverke 
der  altkölnischen  Sculptur  sich  darstellen,  so  möge  im  Vorbeigehen  ausnahms- 
weise derselben  Erwähnung  geschehen,  da  sie  mit  der  Goldschmiedekunst  in  gewisser 
Beziehung  im  Zusammenhange  stehen.  Eine  unverbürgte  Tradition  giebt  nämlich 
an,  dass  diese  12  Apostel  angefertigt  worden  seien,  um  als  kleine  Modelle  zu 
dienen,  nach  welchen-  im  grossem  Maasstabe  jene  in  Silber  getriebenen  Apostel* 
Statuen  angefertigt  worden  sind,  die  ehemals  den  alten  Hochaltar  des  Kölner 
Domes  zierten.  Diese  kostbaren  getriebenen  Bildwerke  sind  mit  so  vielen  andern 
Schätzen  des  Domes  vom  Schlünde  der  französischen  Bevolution  verschlungen  wor- 
den. Es  lässt  sich  jedoch  aus  mehrem  Gründen  annehmen,  dass  die  kleinen 
Acolutheu- Leuchter,  die  ebenfalls  in  Silber  getrieben,  heute  noch  im  Domschatze 


ST.   ALBAN.  7 

existiren  ivergl.  No.  42,  I.  Lieferung),  von  demselben  kölnischen  Goldschmiede  her- 
rühren, der  auch  die  12  Apostelstatuen  ftlr  den  Hauptaltar  des  Domes  angefertigt 
hat.  Diese  beiden  knieenden  Engel  in  Form  von  Lichthaltem  zeigen  wirklich, 
was  als  Bewahrheitung  der  eben  angeführten  Tradition  betrachtet  werden  dürfte, 
viele  Analogie  hinsichtlich  der  Composition  mit  diesen  12  Standbildern.  Einer 
weitem  mündlichen  Ueberlieferung  zu  Folgi^  sollen  femer  die  vorliegenden  schönen 
Sculpturwerke  aus  dem  ehemaligen  Karthäuserkloster  Kölns  herkommen,  und 
dürften  dieselben  alsdann  dem  Kunstfleisse  eines  Karthäusermönches  zu  verdanken 
sein,  der  als  Bildhauer  in  beschaulicher  Zurückgezogenheit  der  ftiedlichen  Kloster- 
mauer seine  Zeit  dem  Gebete  und  der  kirchlichen  Bildschnitzerei  gewidmet  hatte. 
Da,  wie  eben  angedeutet,  von  diesen  1 2  Apostelstatuen  des  Kölner  Hochaltars,  die 
ihrer  Grossartigkeit  wegen  im  Andenken  älterer  Kölner  noch  bis  in  die  letzten 
Zeiten  sich  erhalten  haben,  heute  jegliche  Spur  verschwunden  ist,  so  würde  es 
in  mehrfacher  Beziehung  von  grossem  Interesse  sein,  wenn  es  einer  weiteren 
Nachforschung  gelänge,  auf  haltbarere  als  die  eben  vorgebrachten  Gründe  gestützt, 
den  Nachweis  zu  führen,  dass  diese  heut  in  St  Alban  befindlichen  stylschönen 
Bildwerke  der  12  Apostel  in  Eichenholz  wirklich  die  Modelle  jener  in  Silber  ge- 
triebenen Altarstatuen  des  Domes  gewesen  seien.  Was  nun  die  Composition  dieser 
Holzsculpturen  betrifft,  deren  stylistische  Eigenthümlichkeiten  wir  in  der  unter 
No.  72  abgebildeten  Statuette  des  Apostel  Petrus  veranschaulicht  haben,  so  muss 
gesagt  werden,  dass  diese  Bildwerke  vollständig  den  Typus  und  Charakter  altköl- 
nischer Sculpturen  aus  dem  XV.  Jahrhundert  zu  erkennen  geben,  wie  derselbe 
auch  auf  den  gleichzeitigen  Tempera -Malereien  ersichtlich  ist,  die  sich  in  dem 
städtischen  Museum  und  in  der  reichhaltigen  Sammlung  mittelalterlicher  Malereien 
des  Stadtbaumeisters  Weyer  zahlreich  vorfinden.  Auffallend  erscheint  es  jedoch, 
dass  sämmtliche  Bildwerke  sich  nicht  durch  eine  schlanke  Haltung  auszeichnen, 
sondern  eher  etwas  gedrungen  und  kurz  erscheinen,  ähnlich  den  mittelalterlichen 
Sculpturen  Westphalens,  die  wir  in  Soest  und  anderswo  zu  sehen  Gelegenheit 
hatten.  Auch  der  Faltenwurf  ist  noch  nicht  so  sehr  überladen  und  manirirt,  wie 
derselbe  an  den  Bildwerken  gegen  Schluss  des  XV.  Jahrhunderts  vorkömmt.  Wir 
würden  deswegen  der  Ansicht  Baum  geben,  dass  diese  12  Statuen  der  Apostel 
gegen  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  sind. 

Im  Verhältnisse  zu  den  vielen  werth  vollen  Tempera -Malereien  der  altem 
Schule,  die  Köln  noch  in  seinen  öffentlichen  und  Privatsammlungen  besitzt,  haben 
sich  hier  auffallend  sehr  wenige  illuminirte  Sculpturwerke  des  Mittelalters  erhalten, 
die  davon  Zeugniss  ablegen  könnten,  dass  zur  Zeit,  als  in  Köln  die  alten  rheini- 
schen Meisterschulen  der  Malerei  blühten,  auch  die  verwandte  Bildschnitzerei  nicht 
zurückgeblieben  war,  sondem  dass  dieselbe,  mit  der  Malerei  als  Schwesterkunst 
Hand  in  Hand  gehend,  das  Höchste  angestrebt  habe,  um  Kirche  und  Haus,  vorzugsweise 
aber  die  Altäre  mit  kunstreich  geschnitzten  Heiligenbildern  zu  bevölkem.  Ohne  Zweifel 
hatten  die  zahlreichen  kölnischen  Kirchen  ehemals,  wie  das  heute  noch  manche 
Ueberreste  beweisen,  eine  grosse  Zahl  von  geschnitzten  Flügel  -  oder  Klappaltären 
mit  reichen  Bildwerken  aufzuweisen,  die  zuerst  durch  die  Renaissance  unbarmher- 


ö  8T.   ALBAN. 

zig  entfernt  und  durch  jene  unschönen  hochbeinigen  Altarau&ätze  ersetzt  worden 
sind,  die  heute  noch  fast  sämmtliche  Kirchen  Eöln's  entstellen  und  mit  der  schönen 
Architektur  meistens  in  Widerspruch  bringen.  Jedenfalls  rühren  auch  die  oben- 
erwähnten zwölf  Statuetten  als  ehemals  reichvergoldete  Bildwerke  von  einem  alten 
grösseren  Sculpturaltare  her.  Dergleichen  geschnitzte  Altäre  mit  ähnlichen  polychro- 
mirten  Apostelstatuen  finden  sich  nur  noch  im  Dome ;  auch  St.  Cunibert  und  St  Peter, 
desgleichen  die  Kapelle  des  hiesigen  Alexianerklosters  haben  noch  einzelne  grössere 
Ueberreste  von  altkölnischen  figuralen  Sculpturwerken  au&uweisen.  Die  meisten 
Schnitzwerke  dieser  Art,  die  nicht  einem  unfreimUigen  Untergange  durch  die 
modernen  BildersttLrmer  zu  An&ng  dieses  Jahrhunderts  erlegen  sind,  wanderten 
in  Menge  in  den  letzten  10  Jahren  in  auswärtige  Kunstsammlungen,  und  haben 
viele  derselben,  ohne  jemals  wiederzukehren,  die  Reise  Über  den  Kanal  angetreten. 
Möchten  heute  doch  endlich  in  der  elften  Stunde  von  Seiten  der  städtischen  Be- 
hörde die  nöthigen  Vollmachten  ertheilt  werden^  dass  das  an  altkölnischen  Sculp- 
turen  des  Mittelalters  der  Stadt  und  ihrem  neuen  Museum  gerettet  werde,  was 
sich  im  Privatbesitze  noch  zerstreut  vorfindet  und  zeitweilig  zum  Verkaufe  ange- 
boten wird. 


73. 

Weihranchfass 

in  Silber. 

Höhe  26  Centinieter,   Breite  des  Fusses  10  "i  Centimeter.     Beginn  des  XYl.  Jahrhunderts 

Auffallend  dürfte  es  uns  erscheinen,  dass  in  sämmtlichen  Kirchen  Kölns 
neben  der  verhältnissmässig  grossen  Anzahl  von  verschiedenartigen  kirchlichen 
Gefässen  des  Mittelalters  kein  Bauchfass  im  romanischen  oder  gothischen  Sfyle 
sich  mehr  vorfindet.  Dass  die  romanischen  ,,thuribula"  heute  aus  sämmtlichen 
kölnischen  Kirchen  verschwunden  sind,  erklärt  sich  aus  dem  Umstände,  dass  die 
Gothik  die  meisten  in  Kupfer  gegossenen,  vielfach  vergoldeten  „thymiamateria'* 
der  romanischen  Kunstepoche  beseitigte,  um  WeihrauchfUsser  an  die  Stelle  zu 
setzen,  die  nicht  nur  umfangreicher  waren,  sondern  auch  meistens  in  edlem  Metall 
angefertigt  zu  werden  pflegten.  Gross  dürfte  die  Zahl  der  silbernen  Bauchfässer 
gewesen  sein,  die  in  den  architektonischen  Formen  der  Gothik  gebildet,  sich  bis 
zum  vorigen  Jahrhunderte  in  den  vielen  Kirchen  Kölns  noch  vorfanden. 

Die  dem  Geschmacke  der  Kococozeit  nicht  mehr  zusagende  Form  der 
älteren  Bauchgefässe,  die  ohnehin  in  der  Hand  von  Knaben  einige  Jahrhunderte 
hindurch  sehr  schadhaft  geworden  sein  mochten ,  nicht  weniger  das  Material  des 
Silbers  selbst,  das  meistens  zur  Anfertigung  von  reichem  verwendet  wurde,  mögen 
wohl  als  Ursache  betrachtet  werden,  dass  bereits  vor  der  französischen  Revolution 


ST.   ALBAK.  9 

die  älteren  gothischen  Rauchfässer  ftlr  kirchliehe  Zwecke  eingeschmolzen  oder 
umgeformt  wurden,  bevor  bei  und  nach  der  Revolution  die  Hände  Vieler  nach  den 
silbernen  Schätzen  der  Kirche  sich  ausstreckten.  So  ist  es  denn  gekommen,  dass 
von  den  vielen  in  den  Schatzinventaren  aufgeführten  „thuribula  oder  thuricremia" 
heute  nur  noch  in  der  Pfarrkirche  von  St.  Alban  sich  ein  Rauchgefäss  gerettet  hat, 
welches  in  der  Ilauptanlage  noch  altdeutsch  gehalten,  in  seinen  Details  jedoch 
deutlich  erkennen  lässt,  mit  welcher  Renitenz  die  Grundformen  der  lange  Jahr- 
hunderte hindurch  im  heil.  Köln  fast  erblich  gewordenen  Gothik  bis  zum  Schlüsse 
des  XVI.  Jahrhunderts  sich  fortwährend  behaupteten,  ehe  es  den  neuen  italienisiren- 
den  Bildungen  endlich  gelang,  mit  Verdrängung  der  heimathlichen  Kunstweise  eine 
neue  Norm  für  die  üblichen  kirchlichen  Gefässe  aufzustellen.  Die  Jabrzahl  1588, 
die  auf  dem  innem  Fusse  des  in  Rede  stehenden  Rauchfasses  sich  eingravirt  findet, 
und  zwar  unterhalb  eines  heraldischen  Abzeichens  einer  älteren  Patricierfamilie 
Kölns,  scheint  nämlich  anzudeuten,  dass  nicht  nur  dieses  Rauchfass  das  Geschenk 
eines  Wohlthäters  der  St.  Alban -Kirche  gewesen  ist,  sondern  dass  auch  in  dem 
obengedachten  Jahr  dasselbe  seine  Entstehung  gefunden  hat.  Mit  dieser  Jahr- 
zahl stimmt  auch  vollständig  der  Charakter  der  vielen  auf  den  verschiedenen  Flach- 
theilen  des  Gefässes  eingravirten  Laubomamente  überein,  die  bereits  vollständig 
in  den  yerworrenen  der  stylistischen  Einheit  entbehrenden  Formen  der  Renaissance 
ausgeführt  sind. 

Der  Fusstheil  des  RauchgefÜsses  ist  in  Gestalt  einer  sechsblätterigen  Rose 
gehalten,  wie  das  bei  älteren  verwandten  gothischen  Gefässen  an  den  Pedalen 
eine  stereotyp  feststehende  Form  ist.  In  den  Zwickeln  dieser  Rosenblätter  setzen 
sich,  im  Dreieck  gehalten,  einzelne  Spitzen  als  Blattansätze  an,  die  dem  Fussstttck 
im  Aeussem  eine  zierliche  Gestaltung  geben.  Unmittelbar  über  dem  Fusse,  ohne 
verbindendes  Mittelstück,  erhebt  sich  der  eigentliche  Behälter  des  Gefässes,  das  ein 
kleineres  bewegliches  Kohlenbecken  von  Eisen  aufnimmt  Dieser  Untersatz  ist, 
in  Form  einer  Halbkugel,  rund  gehalten  und  zeigt  an  seinem  obern  Rande  in  ge- 
triebener Arbeit  acht  Halbkreise,  in  eingefurchteten  Ringen  umgeben,  innerhalb 
welcher  die  oben  angedeuteten  Renaissancegravirungen  angebracht  sind.  Corre- 
spondirend  mit  den  sechs  Einschnitten  des  Fusses  in  Form  einer  Rose,  sind  am 
äussern  Rande  des  untern  Deckels  sechs  vorspringende  Consolen  in  Kreisform  an- 
genietet, die  zunächst  als  Befestigungspunkte  der  drei  Ketten  des  Rauchfasses 
dienen.  Leider  sind  durch  die  Unkenntniss  und  den  Ungeschmack,  wie  es  scheint 
der  ersten  Decennien  dieses  Jahrhunderts,  die  schönen  Proportionen  dieses  „tkuri" 
kulum'*  dadurch  vollständig  gestört  worden,  dass  man  ohne  Noth  ein  3  Centimeter 
hohes  Mittelstück  in  glattem  Silberblech  zvidschen  dem  untern  Becken  und  dem 
obern  Helme  als  Einsatz  eingelassen  hat.  Den  reichsten  Theil  des  Rauchfasses 
bildet  der  obere  bewegliche  Aufsatz,  der  auffallender  Weise  nicht  in  Kreisform 
angelegt  ist,  wie  das  untere  Beeken,  sondern  eine  polygone  Construction  im  Sechs- 
eck zeigt  An  den  sechs  Ecken  erheben  sich  hervorspringend  kleinere  thurmlörmige 
Anlagen,  durch  deren  Oeffhung  an  drei  verschiedenen  Stellen  die  Ketten  durch- 
gehen.   Die  sechs  Seiten  dieses  Deckels  lassen  sechs  verschiedene  Ziergiebel  mit 

2 


10  ST.  ALBAN. 

reichen  DurchbreehuDgen  deutlich  erkennen,  die  sämmtlich  im  überhöhten,  ge- 
schweiften Spitzbogen  gehalten  sind,  der  unter  dem  Namen  „Eselsrttcken'*  in  den 
spätgothischen  Formen  des  sogenannten  Flamboyante-Styls  häufiger  vorkömmt. 
Die  obengedaehten  Durchbrechungen  dieser  Giebel,  sowie  deren  Maasswerkformen 
lassen  nur  noch  wenige  Reminiscenzen  an  die  überwundene  Gothik  erkennen.  In 
jener  Zeit,  wo  man  es  unternahm,  die  schönen  Gesammtproportionen  des  Rauch- 
fasses durch  das  obengertlgte  Einschiebsel  zu  vernichten,  hat  man  es  wahrschein- 
lich auch  für  zweckmässig  erachtet,  die  Spitzthtlrmchen  und  Fialen,  die  sich  in 
der  Sechszahl  zu  beiden  Seiten  dieser  Giebel  vorfanden,  zu  beseitigen,  so  dass 
heut  nur  noch  die  abgeschnittenen  Sockel  dieser  Fialen  ersichtlich  sind.  Offenbar 
waren  diese  Spitzthttrmchen  nach  oben  durch  Strebebogen  mit  dem  thurmförmigen 
Aufsatz  des  Gefässes  in  Verbindung  gesetzt,  indem  sich  noch  an  den  sechs  ent- 
sprechenden Stellen  deutliche  Spuren  dieser  Verbindung  erkennen  lassen,  üeber 
den  Bedachungsflächen,  der  obengedachten  ä  jour  durchbrochenen  Ziergiebel,  erhebt 
sich,  im  Sechseck  kugelförmig  gehalten,  eine  kleinere  Dachhaube,  die  auf  ihrem 
Plateau  einen  kleinem  thurmförmigen  Aufsatz  in  Höhe  von  13  Centimeter  trägt, 
dessen  sechs  Flächen  von  Fensterstellungen  im  Style  der  Spätgothik  durchbrochen 
sind,  um  auch  nach  oben  dem  aufsteigenden  Weihrauch  leichteren  Durchzug  zu 
gestatten.  Dieses  sechseckige  Thttrmchen  ist  bekrönt  durch  einen  niedem  Dach- 
heim,  der  mit  hervortretenden  Rippen  nach  oben  sich  verjüngt  und  hier  durch  einen 
Knauf  abgeschlossen  wird,  welcher  auf  beiden  Seiten  einen  phantastischen  Löwen- 
köpf  erkennen  lässt.  Dieser  Löwenkopf  hält  in  seinem  Rachen  einen  Ring,  der 
die  vierte  Kette  aufnimmt,  vermittelst  der  die  Verschiebung  des  beweglichen 
Deckels  gehandhäbt  werden  kann.  Auch  die  Ketten  dieses  Rauchfasses  in  Länge 
von  78  Centimeter  sind  primitiv  und  haben  noch  ein  mittelalterliches  Geftige; 
desgleichen  ist  auch,  was  bei  älteren  Rauchtässem  seltener  vorkömmt,  die  obere 
Handhabe  noch  als  die  primitive  zu  erkennen.  Dieselbe  ist  noch  vollständig  in 
ihren  äussern  Umrissen  in  mittelalterlicher  Form  angelegt,  und  zeigt  in  ihrem 
Grundriss  ein  gleichseitiges  Dreieck,  über  dessen  Seiten  in  Halbkreisform  in  be- 
kannter Weise  ein  Kleeblett  vorspringt.  Oben  auf  dem  Halse  dieser  Handhabe 
befindet  sich  ein  in  den  Formen  der  Renaissance  profiUrter  Knauf,  der  in  einem 
kleinen  Ringe  einen  grossem  beweglichen  Reif  als  Handhabe  aufnimmt  Hinsicht- 
lich seiner  Grundform  möchte  dieses  Rauchfass  für  neuere  Compositionen  als 
Muster  sehr  zu  empfehlen  sein,  wogegen  ^ämmtliche  Detailbildungen  den  ent- 
sprechenden strengern  Formen  der  Gothik  entlehnt  werden  mtissten.  Es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dass  dieses  Rauchfass  in  Köln  gegen  Schluss  des  XVL  Jahr- 
hunderts angefertigt  worden  ist,  zumal  auch  auf  der  obem  Handhabe,  sowie  an 
einer  Stelle  auf  dem  untern  Deckel  das  Aichungszeichen  Kölns  für  die  Richtigkeit 
der  Silberwährung  noch  deutlich  zu  erkennen  ist.  Dieser  eingeschlagene  Stempel 
macht  sich  nämlich  kenntlich  als  altkölnisches  Wappenschild  in  mittelalterlicher 
Form  mit  den  drei  Kronen  in  der  obem  Hälfte  des  Wappens.  Schliesslich  müssen 
wir  noch  bemerken,  dass  ausser  den  zwei  prachtvollen  Rauchfässern  romanischen 
Styls  im  Dome   zu   Trier   und  dem  berühmten   „encensow  de  Lille"   romanische 


ST.   AI^AN.  1  I 

Rauchfässer  heut  zur  Seltenheit  geworden  sind.  *)  Von  den  Wenigen,  die  sich  in  den 
letzten  Silberablieferungen  bis  zur  Stunde  in  kirchlichem  Besitze  noch  erhalten  haben, 
nennen  >vir  hier  vorztlglich  ein  reiches,  gothisches  ßauchfass  von  Silber  in  Würz- 
burg, andere  zu  Eltemberg,  in  der  Münsterkirche  zu  Emmerich,  zu  Orsoi  am 
Niederrhein  und  endlich  ein  äusserst  zierliches  Rauchgefäss,  ebenfalls  aus  dem 
XYI.  Jahrhundert,  in  den  Formen  der  §pätgothik,  im  Besitze  des  Grafen  von 
Fürstenberg  -  Herdringen. 

Zur  Geschichte  des  Rauchfasses  fügen  wir  hier  noch  hinzu,  dass  in  der 
Kirche  seit  den  Tagen  ihrer  Befreiung  vom  drucke  des  Heidenthums  das  Rauch- 
fass  seine  Anwendung  fand.  Bereits  zur  Zeit  Gregorys  des  Grossen  entwickelte 
sich  die  Form  dieses  f,incensorium"  und  findet  man  schon  bei  Anastasius  Biblio- 
thec.  eine  Menge  Angaben  sowohl  von  festhängenden  Rauchgefässen  und  auch 
solchen  die  an  Ketten  getragen  wurden.  Der  ebengedachte  päpstliche  Biograph 
pflegte  diese  letztgedachten  thymiamateria ,  thuricremia  zu  benennen.  Unstreitig 
erreichte  das  Rauchfass  im  XHI.  Jahrhundert,  als  noch  auf  dem  Gebiete  der  Gold- 
schmiedekunst das  romanische  Formenprincip  herrschend  war,  seine  reichste  Ent- 
wickelung  und  formelle  Ausprägung.  Die  Gothik  machte  aus  einem  kleinen  Ge- 
fässe,  das  gerundet  der  Form  einer  Kugel  nahe  kam,  einen  entwickelten  architek- 
tonischen Aufbau  mit  Helm  und  Widerlagspfeilem  und  Fialen,  die  beim  Gebrauch 
noch  inuner  als  sehr  praktisch  sich  herausstellen.  Die  Renaissance  führte  dem  Rauch- 
gefäss neue  profane  Formen  zu  und  unter  dem  kalten  Drucke  der  modernen 
Industrie  wurde  heute  dem  ehemaligen  altehrwürdigen  Rauchfass  vollends  seine 
kirchliche  Physiognomie  benommen  und  ähnlichen  modernen  Gebrauchsgeräthen 
nachgebildet.  Die  symbolische  Bedeutung  des  Rauchfasses  findet  man  bei  Inno- 
centius  HI.  (de  sacro  attar.  myster.)^  desgleichen  bei  Durandus  in  seinem  rationale 
dwin,  ojficior. 

Ueber  die  technische  Anfertigung  und  die  Form  des  Rauchfasses  verbreitet 
sich  ausführlich  der  bekannte  Mönch  Theophilus  in  drei  Kapiteln  seiner  ,,schedula 
divers,  artium";  dasselbe  handelt  lib.  UI.  c.  59.  de  thuribulo '  ductili  (getriebene 
Arbeit)  und  c.  60.  de  thuribulo  fusili  (gegossene  Arbeit)  und  c.  6  h  <fe  catenis  (von  den 
Ketten  desselben). 


*)  Noch  fügen  wir  hinzu,  dass  die  kleine  Pfarrkirche  zu  Meone  in  Westphalen  ein  ttusserst 
zierliches  romanisches  Rauchfass  besitzt;  auch  in  der  Sammlung  des  Herrn  Dietz  zu  Coblenz  fanden 
wir  noch  ein  Rauchgefäss  vor,  das  dem  ZUI.  Jahrhundert  angehörte  und  aus  Italien  herrührte. 


12  ST.   ALBAN. 

74. 

ReliqniengeiUss 

in  Form  einer  kleinen  Monstranz. 

Iluhe  3U  Centimeter,  grüsster  Durchmesser  des  Fusses  16   Centimeter.     XY.  Jahrhundert. 

■ 

Vorliegende  „manstranttola**  stimmt  in  ihrer  Anlage  und  in  ihren  Verhält- 
nisHen  überein  mit  jenen  kleinen  Schaugefässen ,  wie  sie  sich  noch  häufig  in  köl- 
uischen  Saeristeien  vorfinden. 

Das  Fussstück  ist  im  Sechseck  angelegt  und  nicht  rosenförmig  ausgebildet, 
sondern  in  Weise  eines  Sterns  gehalten.  In  der  Hohlkehle  des  breiten  Fussrandes 
koi^men  Durchbrechungen  in  Vierpasform  zur  Anwendung.  Auf  dem  Halse  des 
Fusses  erhebt  sich  eine  sechskantige  Bohre,  die  in  ihrer  Mitte  ein  Aepfelchen  als 
Handhabe  trägt,  das  ebenfalls  wieder  in  gewöhnlicher  Weise  im  Sechseck  angelegt 
ist  und  wahrscheinlich  ehemals  auf  seinen  6  Pasten  (rotuH)  mit  Halbedelsteinen 
verziert  war.  Auf  dem  obem  Stiele  baut  sich  ein  Sockel,  im  Viereck  angelegt, 
auf,  der  nach  oben  sich  zu  einer  runden  Scheibe  erweitert.  Diese  Scheibe  ist 
von  einer  durchbrochenen  Gallerie  umgeben  und  nimmt  einen  runden  Kiystall- 
cylinder  in  sich  auf,  der  in  seinem  Innern  einzelne  Reliquien  des  heil.  Quirinus 
und  der  heil.  Balbina  birgt.  Diesen  Krj'stallcylinder  flankiren  zu  beiden  Seiten 
zwei  Widerlagspfeiler,  die  ehemals  nach  oben  in  Fialen  ausmündeten.  Von  diesen 
Pfeilern  gehen  heute  noch  zwei  kleinere  Streben  aus,  die  diese  Widerlagen  mit 
dem  oberen  Abschluss  und  der  Bekrönung  des  Cylinders  in  Verbindung  setzen. 
Diese  obere  Bekrönung  des  Cylinders  besteht  aus  einem  kreisförmigen  Rande  mit 
Durchbrechungen  und  Profilirungen,  der  oben  mit  ausgesägten  Zinnen  abschliesst. 
Der  jetzt  auf  diesem  kleinen  Schaugefäss  befindliche  Helm  ist  hoch  gestaltet  und 
ist  offenbar  nicht  primitiv  zu  der  vorstehenden  Reliquienmonstranz  angefertigt 
worden;  Noch  machen  wir  nachträglich  darauf  aufmerksam,  dass  der  untere 
Sockel,  worauf  der  Krystallcylinder  ruht,  nach  beiden  Seiten  einen  kleinen  thumi- 
förmigen  Ausbau,  mit  Zinnen  bekrönt,  zum  Vorscheine  treten  lässt,  aus  welchen 
in  Brustbildern  die  Statuetten  der  Apostel  Petrus  und  Paulus  hervorragen.  Ein 
Blick  auf  die  einzelnen  Detailformen  des  eben  beschriebenen  Gefässes  genügt,  mo 
einzusehen,  dass  dieses  Reliquiar  gegen  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  angefertigt 
worden  ist. 


ST.   AI^BAN.  13 

75. 

Tanfbecken, 

ein  Gusswerk  in  Messing;    der  Hebel  des  Deckels  eine  reiche  Schmiedearbeit. 

Hohe   1  Meter  85  Centimeter.     Durchmesser  des  obem  Deckels  70  Centimetcr.     Der  Inschrift 

tVL  Folge  Tom  Jahr  1642. 

Aus  Gründen,  die  wir  im  Folgenden  näher  bezeichnen  werden,  sind  die 
mittelalterlichen,  kirchlichen  GefUsse  von  St.  Alban,  insoweit  sie  aus  edlerem 
Metall  waren,  verloren  gegangen,  so  dass  wir  im  rorhergehenden  nur  einen  sehr 
geringen  Ueberrest  jener  Kunstwerke  beschrieben  haben,  die  vormals  die  Zierde 
des  Schatzes  der  ebengedachten  alten  PfaiTkirche  bildeten.  Es  sei  deswegen  im 
Nachfolgenden  gestattet,  bei  der  geringen  Zahl  der  heute  in  St.  Alban  befindlichen 
Kunstwerke  gleichsam  als  Entschädigung  ein  Gusswerk  näher  zu  beschreiben  und 
in  Zeichnung  mitzutheilen,  das  zwar  nicht  mehr  jener  Kunstepoche  angehört,  deren 
Producte  in  vorliegendem  Werke  ausschliesslich  in  Betracht  gezogen  werden  sollen, 
sondern  das  innerhalb  der  Mauern  Kölns  einer  Zeit  seine  Entstehung  verdankt,  in 
welcher  die  neuen  Stylgebilde  der  Benaissance  mit  Beseitigung  der  älteren  Kunst- 
formen  sich  vollständig  geltend  zu  machen  gewusst  hatten.  Auch  diese  in  Rede 
stehende  ,Jans  baptismalis"  in  edler  und  schöner  Form  kann  wieder  zum  Beweise 
dienen,  dass  der  neu  aufgekommene  Styl  in  Köln  nicht  im  Stande  gewesen  ist, 
ftlr  die  verschiedenen  kirchlichen  Gebrauchsgegenstände  neue  Formen  und  Bil^ 
düngen  zu  erzeugen,  die  sich  durchaus  als  eigenthttmlich  und  charakteristisch  fUr 

die  Renaissance  von  den  geringschätzend  bei  Seite  geschobenen  Formationen  der 

• 

Gothik  unterschieden.  Abgesehen  von  einzelnen  Profilen,  wie  sie  der  Renaissance 
eigenthttmlich  sind,  bat  die  Grundform  dieses  Taufsteines  durchaus  noch  ein  alt- 
deutsches Gepräge  sich  zu  bewahren  gewusst.  Derselbe  zeigt  nicht  mehr  die 
Form  eines  Beckens,  worin  in  der  frühromanischen  Zeit  noch  eine  „immersio" 
des  Täuflings  stattfinden  konnte,  sondern,  die  Gothik  hatte  namentlich  am 
Niederrheine  bei  ähnlichem  Gusswerke  für  Taufbrunnen  mehr  die  Fonn  eines 
Kelchs  zur  Geltung  gebracht,  die  vieUeicht  schon  der  symbolischen  Bedeutung 
wegen  leichter  Eingang  finden  konnte,  um  das  Sacrament  der  Taufe  mit  der  Er- 
lösung durch  das  Blut  des  Heilandes  in  Verbindung  zu  setzen ,  das  durch  den 
Kelch  des  neuen  Bundes  versinnbildet  werden  sollte.  Das  Fussstück  dieses  Tauf- 
beckens in  Kelchform  ist  kreisförmig  gehalten  und  basirt,  wie  das  in  der  Gothik 
an  Leuchtern  und  Weihbecken  in  der  Regel  vorkömmt,  auf  drei  gegossenen  kleinen 
Löwen,  dem  Symbol  der  Stärke  und  der  Kraft.  Dieses  Pedalstück,  was  nur  durch 
einige  Ringe  markirt  ist,  trägt  einen  einfachen  Ständer  in  Höhe  von  30  Centinu, 
der  die  Stelle  der  ,Jistula,  catma"  bei  mittelalterlichen  Kelchen  vertritt. 

An  Stelle  eines  weit  vorspringenden  Eoiaufes,  wie  er  an  solchen  Kelchen 
ersichtlieh  ist,  hat  der  Gelbgiesser  in  der  Mitte  des  Ständers  einen  einfachen  un- 
profilirten  Ring  angebracht,  wie  er  an   den  Ständern  grösserer  Lichthalter  vor- 


14  8T.  ALBAK. 

kömmt.  Das  eigentliche  Taufbecken  in  Form  einer  auBgehöhlten  Halbkugel,  deren 
untere  Bauchung  glatt  gehalten  ist,  ruht  auf  diesem  Ständer.  Der  obere  Rand 
wird  umschlossen  durch  einige  profilirte  Ringe,  unter  welchen  sich  eine  schmale 
Umrandung  befindet,  die  in  der  Breite  von  S^ji  Centimeter  eine  Inschrift  in  er- 
habenen aufstehenden  Majuskeln  au&immt,  wie  sie  in  der  Renaissance,  anschliessend 
an  die  classischen  römischen  Schriften  ttblich  sind.    Dieselbe  lautet  wie  folgt: 

„Peter  Kaufmann  guss  mich  in  Cöln  anno  domini  MDCXLIL^' 

Der  Deckel  zeigt  in  seinem  äussern  Aufriss  eine  schöne  Profilirung.  Es 
erhebt  sich  nämlich  auf  einem  wellenförmig  ansteigenden  Bedachungshelm  eui 
kleiner  Sockel,  der  zugleich  dem  Deckel  als  Abschluss  und  Bekrönung  dient,  zu- 
gleich aber  auch  vom  Gelbgiesser  als  Piedestal  intendirt  wurde,  um  das  32Centim. 
hohe  Standbild  des  berühmten  englischen  Glaubensboten  und  Märtyrers,  des  heil. 
Albanus,  zu  tragen.  Der  Giesser  hat  den  Patron  der  Kirche  dargestellt,  als  Prie- 
ster, angethan  mit  der  Albe,  dem  Messgewand,  das  noch  um  das  Jahr  1 642  diesem 
Bildwerke  zufolge  den  mittelalterlichen  Schnitt  in  Köki  bewahrt  hatte.  Nach 
älterer  Anschauungsweise  ist  Albanus  als  Märtyrer  dargestellt,  wie  er  mit  der 
Rechten  das  abgeschlagene  Haupt  trägt,  in  der  Linken  dagegen  das  Schwert,  wo- 
durch er  die  Märtyrerkrone  erlangt  hat,  eine  im  Mittelalter  geläufige  DarsteOung:^ 
weise  der  Märtyrer,  die  nicht  nur  bei  dem  h.  Dionysius,  sondern  auch  bei  weiblichen 
Heiligen  schon  seit  der  Frtthzeit  des  romanischen  Styles  in  der  Piastick  geläufig 
war.  Nicht  nur  die  äussere  schöne  Form  imd  die  deutliche  Inschrift  dieses  Tauf- 
beckens als  eine  adäquate  Nachbildung  älterer  kölnischen  Taufbecken  dürfte  ftr 
die  kirchliche  Alterthumswissenschaft  von  Interesse  sein,  sondern  es  verdient  auch 
der  in  der  Wand  an  starken  Klammem  befestigte  und  in  Angeln  sich  frei  be- 
wegende Hebel  in  seiner  reichen  Verzierung  und  kunstvollen  Schmiedearbeit  eine 
nicht  geringere  Beachtung.  Derselbe  dient  dazu,  den  schweren  gegossenen  Deck- 
verschluss  des  Taufbeckens  wegzuschieben  und  zur  Seite  in  schwebender  Lage 
tragen  zu  können. 

Offenbar  befanden  sich  in  der  altdeutschen  Kunstepoche  in  kölnischen  Kir- 
chen ähnliche  reiche  Schmiedearbeiten  als  Halter  von  gegossenen  Taufdeckeln 
vor,  nach  welchen  dieser  meisterhaft  gearbeitete  Träger  gestaltet  worden  ist  Die 
Formen  der  Renaissance,  wie  sie  sich  in  gefälligem,  reichen  Schwünge  an  diesem 
Träger  erhalten  haben,  lassen  deutlich  erkennen,  welche  grosse  manuelle  Fertig- 
keit die  Zunft  der  Kunstschmiede  des  alten  Kölns  in  Behandlung  des  Eisens, 
dieses  schwer  zu  bearbeitenden  und  harten  Materials,  noch  als  eine  Ueberkoromen- 
schaft  aus  der  vorhergehenden  Kimstepoche  sieh  zu  bewahren  gewusst  hatte. 

Noch  sei  an  dieser  Stelle  eines  kleinen  aus  Messing  gegossenen  Weih- 
beckens erwähnt,  das  beim  Eintritt  in  die  Sacristei  von  St  Alban  an  der  Thflre 
hängt;  dasselbe  zeigt  die  Form  jener  Weihbeckeu,  wie  sie  ftlr  den  häudichen 
Gebrauch  im  Mittelalter  und  der  beginnenden  Renaissance  zahlreich  angefertigt 
worden  sein  mögen.  Es  misst  dieses  y,vas  lustral^'  in  grösster  Höhe  9  Centimeter 
bei  einem  Durchmesser  des  obem  Randes  von  VVs  Centimeter.    Der  Henkel,  die 


ST.  ALBAK.  15 

Handhabe  desselben,  fast  im  Kleeblattbogen  angelegt,  erinnert  noch  an  die  Formen 
der  Gothik.  Die  starke  Bauchung  des  Gefässes,  sowie  der  Fusstheil  desselben 
verräth  Anklänge  an  die  Fonnbildung  des  grösseren  Beckens,  das  wir  unter  No.  47) 
als  der  St.  Kuniberts -Kirche  angehörig,  beschrieben  haben.  Das  in  Rede  stehende 
,,urceolum"  dttrfte,  wie  der  vorher  beschriebene  Taufbrunnen,  ebenfalls  aus  dem 
XVII.  Jahrhundert  herrühren. 

Noch  haben  sich  in  der  Pfarrkirche  von  St  Alban  zwei  kleinere  gegossene 
Altarleuchter  in  Höhe  von  30  Gentimeter  erhalten,  die  in  Gelbkupfer  gegossen  und 
mit  'Ringen  profilirt  zu  jenen  altgothischen  Altar -Leuchtern  zu  rechneu  sind,  wie 
sie  das  XV.  Jahrhundert  allenthalben  am  Rheine  entstehen  sah. 


SchangefUss, 

in  vergoldetem  Kupfer. 

Höhe  62  Gentimeter,    grösster  Durohmesser  des  Fasses  21  Gentimeter.    XV.  Jahrhundert. 

Gross  muss  die  Zahl  von  Reliquiengefässen  in  Form  kleinerer  Monstranzen 
gewesen  sein,  die  im  alten  Köln  vor  der  Vemichtungsperiode  zu  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  in  den  zierlichsten  Formbildungen  angetroffen  wurden.  Die  vielen 
heute  noch  in  den  Sacristeien  Kölns  erhaltenen  „monstrantiotae"  dieser  Art  lassen 
mit  Sicherheit  auf  die  ehemals  bedeutend  grössere  Zahl  solcher  Schaugefässe 
schliessen,  die  meistens  aus  edlem  Materiale  kunstreich  geformt  waren. 

Das  vorliegende  Schaugefäss,  das  heute  Partikel  von  den  Gebeinen  des 
heil.  Sebastianus  birgt,  scheint  ehemals  nicht  als  Reliquiengefäss,  sondern  als 
kleine  Monstranz  zum  Gebrauche  an  Wocheutagen  benutzt  worden  ^u  sein.  Da- 
für spricht  nicht  nur  der  sehr  breite  Glascylinder,  sondern  auch  eine  Vorkehrung 
auf  dem  Boden  desselben,  worin  ehemals  noch  eine  kleine  lunula  eingelassen  wer- 
den konnte.  Der  Fuss  der  vorliegenden  Monstranz  bildet  eine  sechsblätterige 
Rose,  deren  zwei  gegenüberstehende  Seitenblätter  erweitert  und  stumpf  abge- 
schnitten sind.  Ständer  und  Knauf  sind  eben£a,lls  im  Sechseck  glatt  gehalten,  und 
zeigt  das  „pomellum"  in  Form  eines  Kürbisses  gebildet,  Analogien  mit  jenen  Kelch- 
knäüfen,  wie  die  kölnischen  Goldschmiede  des  XV.  Jahrhundei-ts  sie  häufiger  an- 
wendeten. Leider  fehlt  heut  der  ältere  Krystallcylinder  und  ist  durch  ein  ein- 
faches Glas  ergänzt,  das  nach  oben  und  unten  durch  eine  reichverzierte  Kamm- 
bekrönung  eingefasst  und  umrandet  ist.  Zu  beiden  Seiten  umgeben  den  breiten 
Cylinder  architektonisch  gegliederte  Widerlagen,  die  untenhin  auf  einem  künstlich 
verzierten  Sockel  in  Form  eines  freien  Pflanzenomamentes  basirt  sind.  Die 
äussern  Widerlagspfeiler,  die  nicht  organisch  mit  den  innem  Widerlagen  in  Ver- 
bindung stehen,  dürften  wohl  ftir  eine  spätere  Zuthat  gehalten  werden.  Die  Spitz- 
thttrmchen,  die  nach  oben  diese  Widerlage  verzierten,  fehlen  heut  noch  an  ver- 
schiedenen Stellen.    Auch  der  obere  Aufsatz  dieses  Gefässes  scheint  gegenwärtig 


16  8T.   ALBAN. 

in  Beiner  Zusammensetzung  sehr  verstümmelt  zu  sein,  indem  auf  der  Bedachung 
desselben  in  Form  einer  Halbkugel  eine  Bekrönung  aufsitzt,  die  hinsichüich  ihrer 
Höhenausdehnung  bedeutend  modificirt  worden  ist  Das  Glänze  sehliesst  ab  mit 
einem  Crucifix,  des  Formen  gegen  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  entstanden  sein 
dürften.  Unsere  Vermuthung  geht  dahin,  dass  die  Verkürzung  des  vorliegenden 
Reliquiariums,  die  demselben  ge\vi§is  nicht  zum  Vorzug  gereicht,  in  jenen  Tagen 
von  unberufener  Seite  vorgenommen  worden  ist,  als  der  ehemalige  mittelalterliche 
Hauptaltar  von  St.  Alban  dem  jetzigen  unschönen  und  hochbeinigen  Altarkolosg 
hat  weichen  müssen,  bei  dem  es  sich  herausgestellt  haben  dürfte,  dass  das  neue 
Tabernakel  zur  Aufhahme  dieser  Monstranz  zu  niedrig  ausgefallen  war. 

In  der  Sacristei  zum  St.  Alban  findet  sich  auch  noch  ein  spätgothischer 
Kelch,  in  der  Form,  wie  sie  noch  häufig  in  den  Sacristeien  Kölns  fllr  den  täglichen 
Gebrauch  angetroffen  werden.  Derselbe  stammt  gleichfalls,  wie  das  vorbe- 
zeichnete Reliquiengefäss,  aus  der  letzten  HäUte  des  XV.  Jahrhunderts. 

Fuss  und  Knauf  sind  im  Sechseck  angelegt.  Auf  ersterem  findet  sich  ein 
altes  Patricierwappen  und  darüber  in  einem  Spmchbande  eine  Inschrift  eingravirt, 
die  wahrscheinlich  den  Namen  des  Geschenkgebers  anzeigt.  Heute  ist  dieselbe 
sehr  unleserlich  geworden;  jedoch  ist  durch  die  freundliche  Beihülfe  des  städtischen 
Archivars  Dr.  Ennen  die  Lesung  „Herbert  Mommersloch"  constatirt  worden.  Die 
altkölnische  Patrizierfamilie  der  von  Mommersloch  war  in  der  St  Albanskirche  einge- 
pfarrt  und  ist  daher  der  ebenbezeichnete  Herbert  Mommersloch  als  Geschenkgeber 
des  vorliegenden  Kelchs  zu  betrachten.  Dieser  Herbert  starb,  der  Mittheilung  des 
obengedachten  Archivars  zu  Folge,  im  Jahre  1490.  Vielleicht  dürfte  wenige  Jahre 
vor  dieser  Zeit  vorliegendes  Gefäss  entstanden,  oder  auch  nach  dem  Tode  des 
Geschenkgebers  aus  einem  Theile  seines  Nachlasses  angefertigt  worden  sein.  Das 
eingravirte  Wappen  der^ron  Mommersloch  zeigt  auf  goldenem  Felde,  horizontal 
gelegt,  eine  breite  Zickzackverzierung  in  schwarzen  Farben.  Die  obere  Kuppe 
ist  später  hinzugeftlgt  worden;  dieselbe  ist  jedoch  heut  der  Art  beschädigt,  dass 
der  Kelch  unbrauchbar  geworden  ist.  Es  steht  jedoch  mit  Grund  zu  erwarten, 
dass  bei  bevorstehender  Restanration  desselben  streng  in  der  älteren  Form  eine  neue 
Kuppe  wieder  binzugefligt  werde. 


Mittelalterliche  Paramentstickereien  ans  dem  XY.  Jahrb. 

Die  älteste  Stickerei,  die  üch  heute  noch  in  den  Gewandschränken  von 
St.  Alban  erhalten  hat,  findet  sieh  vor  an  einem  Stabgewebe  in  Gold,  das  in 
letzterer  Zeit  sehr  unzweckmässig  durch  breite  unechte  Borten  entsteDt  ^ind  auf 
ein  modernes  Messgewand  übertragen  worden  ist.  Diese  iaurifrisia'^  auf  der 
Vorderseite  des  Messgewandes  ist  ohne  Zweifel  gefertigt  worden  von  der  alten 
Zunft  der  Wappensiicker  Kölns  und  dttrite,  nach  Analogien  zu  scbliessen,  g^^ 


ST.  ALBAK.  17 

Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  entstanden  sein.  In  einem  sehSnen  Geflechte  von 
Laubwerk  und  Blttthen  in  grttner  Farbe  auf  Goldgrund  sind  theilweise  durch  die 
Nadel  des  Bildstickers  die  Bilder  der  tjlegina  Coeli'%  des  heil.  Alban,  und  der 
heil.  Katharina  zur  Darstellung  gebracht.  Auf  der  Bttckseite  im  Kreuze  der  Casul 
erblickt  man  in  viereckigen  Quadraturen  Engel ,  die  Wappenschilder  halten»  in 
welchen  die  Passionswerkzeuge  des  Heilandes  gestickt  und  eingewirkt  sind.  Auch 
diese  aus  verschiedenen  Zeiten  zu  einem  Kreuze  zusammengesetzten  Bruchtheile 
rflhren  aus  dem  XV.  Jahrhundert  her  und  sind  ebenfiedls  als  Kunsterzeugnisse 
jener  betriebsamen  Innung  der  Bild-  und  Wappenwirker  Elölns  zu  betrachten, 
deren  Leistungen  man  heute  noch  an  altem  liturgischen  Gewändern  des  fihein- 
landes  häufig  vorfindet 

Eine  andere  interessante  Bildstickerei  findet  sich  in  der  mehrfach  gedachten 
Püurrkirche  vor  an  einem  Vorhänge  von  rothem  Sammt.  Diese  interessante  „auri-* 
frisia"'  misst  in  grösster  Länge  10  Decimet  u.  5  Centimeter  und  hat  eine  Breite 
von  14  Vi  Centimeter.  Der  kölnische  Bildsticker  hat  in  der  Mitte  dieser  Bordüre 
die  im  Mittelalter  sehr  beliebte  Darstellung  der  Krönung  Marias  auf  einer  goldge* 
wirkten  Unteriage  so  zu  sticken  gewusst,  dass  diese  Darstellung  in  Weise  eines 
lieliefs  fast  erhaben  aufliegt  Die  architektonisch  reich  gegliederte  Sitzbank  um- 
stehen musicirende  Engel,  die  den  Moment  der  Krönung  mit  zu  feiern  und  zu 
verherrlichen  scheinen.  Zu  beiden  Seiten  dieses  gestickten  Mittelbildes  hat  der 
KtlnsÜer  die  12  Apostel  gruppenweise  zu  2  und  2  geordnet,  als  Halbbilder  unter 
architektonisch  gebauten  Nischen  dargestellt  Dieselben  sind  kenntlich  durch  die  ihnen 
beigegebenen  Attribute.  Die  Köpfe  dieser  Apostelbilder  sind  äusserst  charakteristisch 
im  Plattstich  gestickt  SämmÜiche  Gewänder  sind  „a  ar  battu**  gearbeitet  mit 
eingesticktem  gothischen  Blumenwerk.  Auf  den  äussern  Pfeilern,  welche  die  über 
den  Aposteln  befindlichen  Baldachine  zu  tragen  scheinen,  sind  Überall  stehende 
oder  sitzende  kleinere  Figürchen  von  musicirenden  Engelsgestalten  angebracht, 
die  variirend  alle  jene  Instrmnente  spielen,  welche  im  Mittelalter  gebiüuchlicli 
waren.  Glücklicher  Weise  hat  sieh,  was  selten  noch  vorkömmt,  auf  d^n  äussern 
Rande  dieser  merkwürdigen  „aurffrtsia**  die  Jahreszahl  „1500'^  in  alt  gothischer 
Schreibweise  erhalten,  wodurch  also  Conjecturen  über  die  Zeit  der  Anfertigung 
vorliegender  Stabstickerei  von  selbst  fortfallen.  Uebereinstimmend  mit  altem  An- 
tipendien  war  die  reich  gestickte  obere  Randeinfassung  ehemals  fi-ei  und  beweg- 
lich als  herunterhängendes  Ornament  unmittelbar  am  obem  Rande  des  Vorhanges 
befestigt,  und  hat  durch  die  jetzige  stylwidrige  Application  an  unzweckmässiger 
Stelle  der  Paramentenschneider  der  Neuzeit  zu  erkennen  gegeben,  dass  ihm  wohl 
schwerlich  mehr  die  decorative  Beschaffenheit  und  Einrichtung  der  älteren  schönem 
Antipendien  bekannt  gewesen  ist. 

Das  „testiarütm**  zu  St  Alban  besitzt  auch  noch  eine  äusserst  reich  und 
kostbar  in  Gold  auf  schwerem  rothen  Sammt  gestickte  Capelle,  die  zu  dem  Vor- 
trefflichsten gezählt  werden  kann,  was  sich  aus  der  Periode  der '  beginnenden 
Renaissance  und  der  aUmählicb  entarteten  Technik  heute  noeh  in  den  Sacristeien 
Kölns  vorfindet 

3 


18  ST.  ALBAS. 

Die  Plattstickerei  in  dieser  Capelle,  bestehend  aus  dem  Kreuze  und  den 
Stäben  des  Messgewandes  und  zweier  Dalmatiken,  ist  leider,  wie  uns  angegeben 
wurde ,  aus  dem  reichen  goldgestickten  Umstoffe  in  rothem  Sammt  herausgenom- 
men und  bereits  vor  langem  Jahren  auf  einen  neuen  Rothsammt  zu  einer  zweiten 
Capelle  applicirt  worden.  Kattlrlich  mussten  bei  dieser  Zurechtsetzung  und  Yer- 
kttrzuDg  des  ebengedachten  Ornates  von  den  Stäben  des  Messgewandes  und  der 
Dalmatika  die  untern  gestickten  Heiligenfiguren  zur  Hälfte  weggeschnitten  werden. 
Diese  Nadelmalereien  von  grösseren  Heiligenfiguren  auf  reich  gesticktem  Gold- 
grunde, die  der  Jahreszahl  zufolge  1 624  in  Köln  angefertigt  worden  sind,  beweisen 
unzweideutig,  dass  in  der  Bildstickerei  dieser  Periode  eine  naturalistische,  mehr 
materielle  Auffassung  imd  Durchführung  der  Heiligenfiguren  sich  Bahn  gebrochen 
hatte,  und  dass  die  zartere  ideale  Composition  von  Heiligenfiguren  nicht  mehr  mit 
dem  Geschmacke  und  der  Geftihlsweise  der  modernen  Zeit  tibereinstimmte.  Auch 
die  Technik,  wie  sie  an  diesen  Bildstickereien  zu  Tage  tritt,  ist  nicht  mehr  jene 
zarte  bis  ins  kleinste  Detail  delieat  durchgeführte,  wie  wir  dieselbe  bei  kölnischen 
Bildstickereien  des  XV.  Jahrhunderts  häufig  bewundert  haben. 


Ehemaliger  Schatz  Ton  St.  ilban. 

Nach  den  Angaben  des  Gelen  und  glaubwürdigen  mündlichen  Mittheilungen 
zufolge,  muss  der  gegenwärtig  sehr  zusammengeschmolzene  Schatz  der  Pfarrkirche 
von  St  Alban  bis  zu  den  verhängnissvollen  Tagen  der  französischen  Invasion  an 
Schätzen  der  Goldschmiedekunst  umfangreich  gewesen  sein.  Die  grosse  Zahl 
werthvoUer  und  kunstreicher  Gefösse  in  dem  ehemaligen  Thesaurus  von  St. 
Alban  lässt  sich  heute  noch  annähernd  ermessen  aus  den  vielen  und  kostbaren 
kirchlichen  Prachtgewändem  von  den  Tagen  des  XY.  Jahrhunderts  bis  zu  den  Glanz* 
Zeiten  des  XYH.  Jahrhunderts,  die  sich  heute  noch  in  den  dortigen  Gewandschränken 
vorfinden.  Unter  den  fernem  Gründen,  die  zu  der  Annahme  nöthigen,  dass  der  Schatz 
von  St.  Alban  ehemals  bedeutend  gewesen  sein  muss,  heben  wir  hier  noch  den  hervor, 
dass  in  dieser  Pfarre,  einer  der  vier  ältesten  und  angesehensten  des  mittelalterlichen 
Kölns,  deren  zeitliche  Pastoren  auch  den  Titel  „vicarü  archiepitcopales"  ftübrten, 
viele  der  reichsten  und  angesehensten  Patrizier  und  Kaufleute  ihren  Wohnsitz 
hatten,  deren  Familienbegräbnisse  sich  heute  noch  in  der  gedachten  Kirche  be- 
finden. 

Die  französischen  Steuern  und  Gelderpressungen,  durch  welche  im  Anfange 
dieses  Jahrhunderts  die  Abtei-  und  Stiftskirchen  von  Köln  in  rascher  Aufeinanderfolge 
heimgesucht  wurden,  scheinen  sich  auch  sogar  auf  die  Pfarrkirchen  ausgedehnt 
zu  haben.  Einer  zuverlässigen  Mittheilung  zufolge  wurden  die  der  Kirche  von 
St.  Alban  auferlegten  Contributionen  und  anderen  Lasten  von  einem  begüterten 
Mitgliede  des  damaligen  Kirchenvorstandes   in  der  löblichen  Absicht  aus  eigenem 


8T.   ALBAN.  19 

Vermögen  bestritten,  damit  später,  wenn  die  Zustände  sich  wieder  geordnet  hätten, 
ihm  diese  Vorschüsse  von  der  Kirchenkasse  in  Baten  zurückerstattet  würden. 
Diese  erhofifte  bessere  Ordnung  der  Dinge  trat  aber  nicht  ein;  man  sah  sich  des- 
halb in  die  traurige  Lage  versetzt,  zur  Deckung  der  schwebenden  Schulden  zum 
Aeussersten  greifen  zu  müssen.  Die  kunstreichen  Ejrchengeräthe  und  prachtvollen 
Gefässe,  die  lange  Jahrhunderte  hindurch  so  Viele  erbaut  und  erfreut  hatten, 
wanderten  in  die  Schmelze.  Und  so  wurden  des  Metallwerthes  wegen  Kunstwerke 
zerstört,  deren  Werth  nach  heutiger  Schätzung  oft  um  das  Dreissigfache  höher  an- 
zuschlagen sein  würde.  In  dieser  unglücklichen  Katastrophe  verschwanden  auch 
nebst  andern  grossem  kirchlichen  Utensilien,  in  edlen  Metallen  getrieben,  als 
silberne  Altarleuchter,  silberne  Hängelampen  u.  s.  w.,  jene  formschönen  Keliquien- 
behälter,  wovon  Gelen  zwölf  verschiedene,  mehr  oder  weniger  kunstreich  ausge- 
stattete „kierothecae  argenteae"  namliaft  macht.  Unter  diesen  altem  meist  silber- 
vergoldeten Reliquarien  von  St.  Alban,  die  unser  Autor  mit  ihrem  Inhalte  einzeln 
kennzeichnet,  befand  sich  auch  ein  Reliquiar,  dessen  Fonu  die  Gestalt  eines  silber- 
vergoldeten  Dreifusses  zeigte,  welcher  in  reicher  Fassung  die  Kinnlade  der  heil. 
Apollonia  umschloss.  Dass  man  im  Mittelalter  diese  und  andere  kunstreich  ge- 
arbeiteten Reliquienbehälter  als  passende  Omatstücke  auf  die  „predelta"  der  Haupt- 
altäre zu  stellen  pflegte,  geht  u.  A.  deutlich  aus  einer  Stelle  hervor,  die  der  oft 
genannte  Beschreiber  der  ehemaligen  Grösse  Kölns  bei  Au&ählung  der  Kunst - 
und  Beliquienschätze  von  St.  Alban  anzugeben  nicht  unterlässt.  *)  Er  spricht  näm- 
lich unter  No.  tl  und  12  von  zwei  grossem  silbernen  „brackia*'  die  „pro  inajore 
omatu  et  splendore  altaris"  auf  den  Untersätzen  des  Altars  mit  den  übrigen  Beli- 
quienbehältem  aufgestellt  zu  werden  pflegten. 


*)  Heute  nehmen  leider  falsche  Blumen  als  ein  unkirchUches  und  unwürdiges  Surrogat  in  yielen 
Kirchen  Kölns  die  SteUe  der  obengedachten  Kunstgeräthe  und  GefUsse  ein,  die  namentlich  in  Winters- 
seit  mit  der  dann  herrschenden  Kälte  im  grellsten  Contraste  stehen,  abgesehen  Ton  den  tändelnden 
Künsteleien,  womit  diese  erlogenen  Blumen  zusammengesetzt  sind. 


M«?>  ^'  Qaltttnke 


ffuii  ^'-   QnlumUa. 


ytuß  9-  qalumlia. 


$i  gofumBa. 


Oegenstftnde  der  mittelalterlichen  Kunst  in  der  dortigen  Saoristei. 


76)  SchaugeHlss,  in  Silber,  XV.  Jahrhundert.   Tafel  XX.   Fig.  76 

77)  Processionskreuz,  in  vergoldetem  Silber,  XV.  Jahrhundert.   Tafel  XX.   Fig.  77 

78)  Monstranz  in  vergoldetem  Silber,  XV.  Jahrhundert.   Tafel  XX.   Fig.  78  .     . 

79)  Lichthalter  in  Schmiedeeisen,  XV.  Jährh.  Tafel  XXI.  Fig.  79 

80)  Grosse  Monstranz  in  vergoldetem  Silber,  XIV.  Jahrh.   Tafel  XXI.  Fig.  80    . 

81)  Ghorleuchter  in  Messing  gegossen,  XV.  Jahrh.  Tafel  XXI.  Fig.  81     .     .     . 

82)  Messgewänder  mit  reichen  figuralen  Bildstickereien,  XV.  Jahrh.  Taf.  XXII.  Fig 
Vormalige  Kirchenschätze  von  St.  Columba -    .     . 


82 


Seite 

3 
4 

7 
9 
11 
15 
16 
18 


I 


i 


76. 

Reliqniengef&ss, 

in  Form  einer  kleinen  Monstranz  in  Silber,  ohne  Vergoldung. 

Höhe  43  Centimeter,  Breite  14Vs  Centimeter,  grösster  Durchmesser  des  Fusses  13Vs  Centimeter. 

XV.  Jahrhundert. 

Dieses  Reliquiarium  stammt  ans  jener  Zeit  der  entwickelten  Gothik,  in  der 
man  Reliquiengeiässe  in  SUber  ausführte  ohne  Vergoldung,  und  nur  einzehie  her- 
vorragende Theile  derselben  durch  Vergoldung  zu  heben  suchte.  Der  Fuss  dieser 
kleinen  Monstranz  ist,  wie  bei  den  meisten  Qefässen  dieser  Art,  in  sechsblätteriger 
Rosenform  gehalten,  ohne  Durchbrechung  des  untern  Randes  und  ohne  Gravuren 
auf  den  verschiedenen  Blättern. 

Auf  dem  ziemlich  breit  ansteigenden  Halse  des  Fusses  erhebt  sich  ein 
architektonisch,  im  Sechseck  geformter  Untersatz  mit  Widerlagspfeilem,  Zinnen- 
bekröntmg  und  Durchbrechungen  im  sogenannten  Frauenschuh.  Auf  diesem  Sockel 
ruht  ein  sechseckig  gebildeter  Ständer,  der  in  der  Mitte  durch  einen  Knauf,  als 
Handhabe,  unterbrochen  wird.  Dieser  »^nodus**  hat  die  Form  einer  Fruchtkapsel, 
die  platt  zusammengedrückt  ist,  mit  starken  Profilirungen.  Auf  dem  Ständer 
erhebt  sich  ebenfalls  im  Sechseck  eine  Gonsole,  die  nach  oben  im  Kreide  sich  er- 
weitert und  durch  eine  Zinnenbekrönung  abgeschlossen  wird.  Der  Cylinder,  wel- 
cher die  Reliquie  einschliesst ,  ein  schöner  Bergkrystall,  ist  correspondirend  mit 
dem  untern  Fusstheile  im  Zwölf  eck  geschliffen;  auf  .beiden  Seiten  flankiren  ihn 
zierlich  entwickelte  WiderlagspfeUer  von  Baldachinen  durchbrochen,  unter  welchen 
zu  beiden  Seiten  die  kleinen,  in  Silber  ciselirten  Standbilder  der  Apostel  Petrus 
und  Paulus  dargestellt  sind.  lieber  diesen  Baldachinen  erheben  sich  *  kleine 
Säulchen  als  Ständer,  die  auf  jeder  Seite  eine  zweite  ciselirte  Heiligenfigur  tragen, 
und  zwar  auf  der  einen  Seite  Johannes  den  Täufer,  auf  der  andern  einen  Heiligen 
im  Rittercostttme,  Panzer  und  Harnisch,  der  in  beiden  Händen  seine  Symbole  trägt, 
nämlich  Ambos  und  Hammer.  Da  vorliegendes  Reliquiarium  wahrscheinlich  als 
Geschenk  von  irgend  einer  Zunft  herrührt,  so  möchte  in  diesem  Heiligen  vielleicht 
der  Schutzpatron  der  Schmiede  oder  Goldarbeiter  zu  erkennen  sein.  Beide  Wider- 
lagspfeUer verjüngen  sich  nach  oben  in  Fialen.  Um  dem  Gylinder  noch  eine 
grössere  Consistenz  zu  geben,  hat  der  Goldschmied  zu  beiden  Seiten  desselben 


4  ST.  COLUHBA. 

dttnne   Mittelwftnde   angebracht,  die  einfache   architektonifiche   Durchbrechungen 
zeigen  und  oben  mit  Zinnen  bekrönt  sind.    Nach  obenhin  wird  der  ausgehöhlte 
Krystali  von  einer  Art  Krone  überragt,  die  auf  ihrem  obem  Rande  mit  einem 
gothischen  Blätterwerk  als  Kanunyerzierung   einen  zierlichen   Abschluss  erhält 
Der  Cylinder  selbst  ist  zur  Deckung  mit  einer  halbkreisförmigen  Kapsel  versehen, 
die  auf  ihrer  Oberfläche  einen  architektonisch,  im  Sechseck  construirten  Baldachm 
aufiiimmt,  was  dem  ganzen  Gefass  einen  leicht  sich  veijttngenden  Abschluss  ^ebt 
Unter  diesem  Baldachinchen,  das  auf  beiden  Seiten  durch  Widerlagspfeiler  gestutzt 
wird,  thront  die  Patronin  der  Kirche,  die  heil.  Columba,  die  Palme  haltend  and 
geschmückt  mit  der  Marterkrone.    Diese  Statuette  ist  von  andern  h.  h.  Märtyrern, 
als  Kirchenpatronin  durch  den  zu  ihren  Füssen  befindlichen  Bären,  der  in  ihrer  Mar- 
tyrergeschichte  eine  wunderbare  Rolle  spielt,  kenntlich  gemacht  Der  überragende 
Baldachin  wird  bekrönt  durch  einen  sechsseitigen 'Helm,  der  nach  oben  sich  in  eine 
Spitze  verjüngt  und  zweifelsohne  ehemals  mit  einem  kleinen  Ejreuzchen  verziert 
war,  welches  heute  mit  noch  einigen  andern  kleinem  Ornamenten  verschwunden  ist 
Im  Innern  des  geschliffenen  Krystalls  erblickt  man  die  knieende  Figur  eines  En- 
gels, silbervergoldet,  der  in  seinen  Händen  eine  kleine  Röhre  hält,  einen  längern 
Dom  umschliessend,  welcher  auf  einem  dabei  befindlichen  Pergamentstreifen  als 
„Spina  de  Corona  Christi^*  benannt  ist 

Was  die  technische  Durchbildung  und  Entwickelung  der  DetaOform  dieser 
zierlichen  „monstrantiola**  betrifft,  somuss  bemerkt  werden,  dass  dieselbe  in  ihrer 
Ausarbeitung  eine  höhere  Vollendung  der  Technik  erkennen  lässt,  als  das  bei  der 
unter  No.  78  beschriebenen  Monstranz  der  Fall  war.  Auch  dürfte,  dem  grossem 
Formenreichthume  nach  zu  urtheilen,  dieses  Beliquiengefäsp  erst  gegen  das  Ende 
des  XY.  Jahrhunderts  in  einer  Werkslätte  entstanden  sein,  wo  man  mehr  darauf 
rechnete,  durch  das  harmonische  Ebenmass  der  einzelnen  Theile  eine  gefällige  6e- 
sammtwirkung  hervorzubringen,  als  durch  übertriebene  Ausbildung  untergeordneter 
Detailformen. 


77. 

Grosses  Proeessionskreuz^ 

in  Silber,  vergoldet. 

Or&sste  Länge  79  Centimeter,  Breite  der  Kreazarme  50  Centimeter.    XV.  Jalurhundert 

Nicht  leicht  dürfte  am  Niederrheine,  aus  dem  Schlüsse  des  XY.  Jahrhunderts 
herstammend,  ein  Vortragekreuz  gefunden  werden,  das  hinsichtKch  seiner 
gefflUigen  Gomposition  und  des  Reichthums  seiner  Detailformen  mit  dem 
Pfarrkreoze  yon  St.  Columba  den  Vergleich  eingehen  könnte.  Das  Kreuz  selbst 
ist  als  Baum  „des  Lebens'S  an  dem  das  Heil  der  Welt  hing,  nicht  naturalistisch, 


ST.  COLUMBA.  5 

sondern  ideal  aufge&sst;  deswegen  auch  die  vielen  ciselirten,  silbervergoldeten 
Ornamente  an  den  Ecken,  wie  an  den  beiden  Seiten  der  Kreuzbalken.  Dasselbe 
ist  in  seinen  vier  Balken  glatt  in  Silber  gehalten  und  nur  durch  einige  punktirte 
Laubomamente  verziert  Die  Ränder  desselben  sind  schön  profilirt,  sflbervergol- 
det  und  zeigen  in  der  HohlkeUe  erhaben  gepressie  vierblätterige  Ornamente.  Die 
vier  Kreuzbalken  durchlaufen  nach  kurzen  Zwischenräumen  lang  gezogene  und 
gesch¥ningene  Laubomamente  mit  stylisirten  gothischen  Blättchen,  silberver- 
goldet, wodurch  die  Einförmigkeit  der  vier  Kreuzbalken  angenehm  unterbrochen 
und  dem  ganzen  Prachtstücke  ein  reiches  Ornament  verliehen  wird.  Die  Ausmttn- 
düngen  der  Kreuzbalken  sind  durch  quadratisch  geformte  architektonische  Bildungen 
bekrönt,  deren  vier  Seiten  bogenförmig  eingedrückt  sind.  Darüber  setzt  ein  Halb* 
kreisbogen  an,  welcher  im  Innern  mit  einem  Kleeblattbogen  verziert  ist.  In  Mitte 
dieses,  über  Eck  gestellten  sogenannten  „Ostereies*^  zeigt  sich  ein  Rundmedaillon, 
welches  als  Hautrelief  mit  je  einer  Darstellung  der  Thiersymbole  der  vier  Evan- 
gelisten in  Vergoldung  auf  Silbergrund  ausgeftült  ist  Auf  den  drei  Ecken  dieses 
Ostereiomamentes  erheben  sich  zwei  ähnliche  Blattbildungen,  wie  sie  auch  an  den 
vier  Balken  des  Kreuzed  vorkommen,  die  in  ihrer  Mitte  eine  silbervergoldete  Frucht- 
bildung in  der  Form  einer  Erdbeere  einfassen,  die  auf  den  vier  Seiten  von  schön 
stylisirten  Deckblättchen  eingeschlossen  wird.  Unterhalb  dieser  rosenförmigen  Aus- 
mündung an  dem  untern  Kreuzbalken  tritt  eine  Verlängerung  des  Langbalkens  ein, 
und  befindet  sich  in  diesem  verlängerten  Theile  unter  einem  Baldachine  das 
kleine  ciselirte  Standbildchen  der  heil.  Golumba.  Ohne  weitere  Gliederung  greift 
alsdann  unter  dem  Sockel  dieser  Statuette  der  verlängerte  Kreuzbalken  in  einen 
breiten  Knauf  ein,  der  mit  rundbogigen  Fensterstellungen  ohne  Durchbrechungen 
-omamentirt  ist  Dieser  runde  Knauf  ist  in  seiner  Mitte  umzogen  mit  einer  stark 
hervortretenden  Cordonirung,  an  welcher  nach  beiden  Seiten  hin  Laubomamente 
hervorsprossen,  die  nach  regelmässigen  Zwischenräumen  sechs  zierliche  Blttthenbil- 
dungen  einfassen.  Den  untern  Ständer  (stylus^  ßstula)  bildet  eine  architektonische, 
im  Achteck  angelegte  leichte  Säulenstellung,  welche  auf  kleinen  Gapitälchen  zier- 
liche Giebelfelder  tragen,  die  auf  der  Spitze  mit  einer  Kreuzblume  abgeschlossen 
werden.  Dieser  reich  gegliederte  Schaft  wird  überragt  von  einem  helmartigen 
Aufsatze,  der  in  halber  Höhe  von  dem  ebengedachten  breiten  „pomeUum"  unter- 
brochen wird.  Die  Rückseite  dieses  stattlichen  Vortragekreuzes  zeigt  dieselbe 
Omamentation;  jedoch  thront  in  der  Kreuzung  der  Querbalken  unter  einem  freige* 
arbeiteten  Baldachin  das  sauber  ciselirte  Standbildehen  der  Himmelskönigin.  Was 
die  Bildungen  der  untern  Ränder  des  Knaufes  und  der  andern  Detailformen  betrifft, 
nicht  weniger  die  Composition  und  Drapirung  der  oiselirten  silbernen  Statuettchen, 
so  dürfte  man  aus  diesen  Formen  dea  Schluss  herleiten,  dass  das  vorliegende 
Pfarr-  und  Vortragekreuz  in  der  ersten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  von  einem 
geübten  kölnischen  Meister  der  GoldschmiedezuQft  angefertigt  worden  sei.  Da* 
gegen  kann  offenbar  die  fast  20  Centimeter  grosse,  in  Silber  gegossene  Figur  des 
Gekreuzigten  kein  so  hohes  Alter  beanspruchen,  wir  haben  viehnehr  die  sichere  Ueber- 
zeugung,  dass  dieses  kunstreich  geformte  und  fein  ciselirte  Bild  des  gekreuzigten 


6  ST.  COLUMBA. 

Erlösers  später  hinzugefügt  worden  ist,  und  zwar  erst  gegen  Beginn  des  XYL  Jahr- 
hunderts. Im  andern  Falle  mttsste  man  annehmen,  ein  älterer  Zunftmeister 
habe  das  Kreuz  mit  seinem  Omamentreichthum  und  den  ciselirten  Standbildchen 
in  jenen  Formen  nach  altem  Modellen,  wie  sie  in  seiner  Jugend  üblich  waren, 
ausgeführt,  und  ein  anderer  jüngerer  Künstler  habe  den  Christus  nach  den  Ge- 
setzen, wie  sie,  zur  Renaissance  schon  bedeutend  hinneigend,  in  der  ersten  Hälfte 
des  XYI.  Jahrhunderts  zur  Geltung  gekommen  waren,  angefertigt  Nicht  nur  lässt 
das  flatternde  Schürztuch  des  Heilandes,  mit  seinem  vielfach  geknitterten,  langge- 
zogenen Gefälte,  sondern  noch  mehr  die  bis  zu  den  Adern  streng  durchgefilhrte 
anatomisch  ängstliche  Behandlung  und  Durchbildung  der  einzelnen  Körpertheile  des 
Gekreuzigten,  auch,  das  weniger  geübte  Auge  deutlich  erkennen ,  dass  entweder 
diese  technisch  gut  ausgeführte  Figur  von  einem  jungem  Ejreuze  herrührt,  was 
wir  eher  anzunehmen  geneigt  sind,  oder  dass  wenigstens  hundert  Jahre  später  dieses 
Bildwerk  für  das  in  fiede  stehende  Kreuz  ist  angefertigt  worden,  was  als  Vortrage - 
oder  Fahnenkreuz  yielleicht  ursprünglich  nicht  mit  dem  Bilde  des  gekreuzigten  Er- 
lösers versehen  war.  Leider  fehlt  gegenwärtig  zu  diesem  reichen  Prachtkreuze  das 
ähnlich  construirte  und  verzierte  Fussgestell;  das  heutige  gehört  in  seinen  unschönen 
Formen  offenbar  dem  letzten  Jahrhundert  des  Ungeschmackes  an.  Der  Mangel 
des  Pedalstttckes  hat  uns  zu  der  Vermuthung  geführt,  als  ob  ursprtlnglich  das  vor- 
liegende Pfarrkreuz  nicht  als  ^,crux  aUaris*'  zum  Aufstellen  auf  dem  Altare  an  Fest- 
tagen, sondern  als  eine  „crua?  processianaUs'^  zum  Vortragen  bei  feierlichen  Proces- 
sionen  oder  auch  als  Fahnenkreuz  angefertigt  worden  sei.  Schliesslich  müssen  wir 
noch  bemerken,  dass  es  den  Anschein  haben  vrill,  als  ob  die  vier  Kreuzbalken 
nicht  in  rechter  organischer  Verbindung  mit  den  vier  reichen  Abschluss -Bösen 
ständen.  Das  Aufhören  der  glatten  Ejreuzbalken  mit  den  einfassenden  vergoldeten 
Profilen  ist  ein  plötzliches,  und  dürfte  man  annehmen,  da^  dieser  Abschnitt  ge- 
waltsam vorgenonmien  worden  sei.  Die  ebengedachten  vergoldeten  Abschlussstreifen 
setzen  sich  auch  nicht  gleichmässig  in  den  Umringungen  der  reichen  Eckverzie- 
rungen fort,  sondern  brechen  plötzlich  ohne  alle  Verbindung  ab. 

Ausser  den  drei  Pi*achtkreuzen  in  Gold  und  mit  künstlichen  byzantinischen 
Schmelzen  (emauw  cloisormSs)  in  dem  reichen  Schatze  zu  Essen,  Meisterwerke  der 
Goldschmiedekunst,  aus  den  Zeiten  der  Ottonen  herrührend,  wüssten  wir  aus  dem 
XV.  Jahrhundert  heute  nur  noch  wenige  Processionskreuze  anzuführen,  die  hin- 
sichtlich der  Grösse  und  genialen  Composition,  nicht  weniger  in  Rücksicht  der 
Fülle  der  Detailformen  mit  unserm  Pfarrkreuze  von  St  Golumba  wetteifern  könnten. 
Verwandte  Analogien  mit  dem  vorliegenden  Ejreuze  hat  die  reiche  „ertu:  proce^ 
sionaUs''  der  Pfarrkirche  zu  Calkar  am  Niederrhein.  Auch  in  der  Pfarrkirche  zu 
Ueberlingen  am  Bodensee,  Gonstanz  gegenüber,  fanden  wir  ein  ähnliches  Altar- 
kreuz von  reicher  Formbildung  und  ziemlicher  Grösse,  bei  dem  sich  auch  noch 
das  primitive  Pedalstück  erhalten  hatte. 


ST.  COLCMBA.  7 

78. 

Monstranz^ 

in  vergoldetem  Silber. 

Höhe  70  Centimeter,  grösste  Breite  20  Centimeter,  mittlere  Breite  des  Fusses  18  Centimeter. 

XY.  Jahrhundert. 

Wenn  die  unter  No.  80.  beschriebene  Monstranz  von  St.  Columba  sich  mehr 
durch  das  schöne  Ebenmaass  ihrer  schlanken  Form  und  durch  den  streng  construc- 
tiven  Ernst,  der  in  ihren  Detailformen  vorwaltet,  auszeichnet,  so  empfiehlt  sich  das 
hier  in  Rede  stehende  Schaugefäss  mehr  durch  die  Freiheit  und  Genialität,  wodurch  es 
dem  Componisten  gelungen  ist^  seine  Formen  in  grösserer  Leichtigkeit  als  Ornamente 
auftreten  zu  lassen,  welche  einen  architektonischen  Zwang  und  constructive  Gesetz- 
mässigkeit nicht  zu  sehr  zur  Schau  tragen.  Die  unter  No.  80  beschriebene  Mon- 
stranz charakterisirt  jene  Eunstepoche,  wo  auch  der  Goldschmied  sich  den  archi- 
tektonischen Fesseln  fast  gegen  seinen  Willen  fügen  musste.  Das  vorliegende 
Kunstwerk  in  seinem  zierlichen  Formenreichthum  lässt  den  Ausgang  des  Spitz- 
bogenslyls  bereits  deutlich  erkennen,  wo  es  dem  Goldarbeiter  als  Omamentalisten 
gelungen  ist,  die  strengen  architektonischen  Gesetze  und  Formen  zu  umgehen 
und  an  die  Stelle  derselben  eine  leichtere  phantasievollere  Auffassung  und  Durch- 
ftüirung  der  constructiven  Formen  treten  zu  lassen,  wodurch  auch  das  Pflanzen- 
omament  mehr  Geltung  gewinnt  und  dem  reichem  bildsamen  Materiale  des  Silbers 
grössere  Zugeständnisse  gemacht  wurden.  Der  Fuss  der  Monstranz  zeigt  wiederum 
die  gewöhnlich  vorkommende  Form  einer  sechsblätterigen  fiose,  und  sind,  da 
dieselbe  oben  nach  zwei  Seiten  ausladet,  auch  die  entsprechenden  Einschnitte  des 
Fusses  nach  dieser  Bichtung  hin  verlängert  und  schllessen  mit  einer  stumpfen 
Linie  ab.  Auf  den  ansteigenden  Flächen  des  Fusses  hat  der  Gk>ldschmied  keine 
Gravirungen  angebracht,  sondern  erhabene  aufgelöthete  Maasswerkverzierungen, 
wodurch  dieses  Pedalstück  gewisse  Aehnlichkeit  mit  einem  reichen  künstlichen 
Netzgewölbe  der  Spätgothik  erhält,  wo  auf  dem  sich  durchkreuzenden  Rippenwerk 
die  Gewölbkappen  leicht  aufliegen.  Vielleicht  hat  der  Gomponist  auch  bei  diesen 
aufliegenden  Maasswerkverzierungen  daran  gedacht,  sich  durchkreuzende  Fasern 
und  Wurzeln  zur  Darstellung  zu  bringen,  indem  der  Ständer  der  Monstranz,  der 
sich  auf  diesem  Fusse  aufbaut,  fast  die  Gestalt  eines  Baumstammes  mit  tiefem 
Einschnitten  zeigt,  auf  welchem  nach  oben  in  leichten  architektonischen  Ver- 
zierungen die  Krone  eines  Baumes  sich  zu  verästeln  scheint.  Auf  diese  Weise 
würde  der  Künstler  dann,  wenn  unsere  Vermuthung  sich  bewahrheiten  sollte,  dem 
vorliegenden  Monstranzwerk  vielleicht  die  Idee  des  mystischen  Baumes  der  Erkennt- 
niss  des  Guten  und  Bösen  zu  Grunde  gelegt  haben,  der  da  gepflanzt  war  in  Mitte 
des  Paradieses,  oder  aber  die  Vorstellung  des  Baumes  der  Kirche,  wie  derselbe 
sich  an  Monstranzen  aus  der  beginnenden  Renaissance  häufig  vorfindet,  und  wie 
ihn  die  Augsburger  Goldschmiedezunft  in  der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts 


8  ST.  COLUMRA. 

häufiger  darzustellen  pflegte.  Eine  solche  äusserst  prachtvolle  Monstranz,  an  der 
der  Künstler  offenbar  der  obenbezeichneten  Idee  den  entsprechenden  Ausdruck 
gegeben  hat,  befindet  sich  heute  noch  im  Besitze  des  königlichen  Kammerherm 
Baron  Ton  Maienfisch ,  Director  der  fürstlich  Sigmaringischen  Kunstsammlungen.  *) 

Der  Ständer  der  vorliegenden  Monstranz,  der  sich  auf  einer  sternförmigen 
Unterlage  unmittelbar  auf  dem  Halse  des  Fusses  im  Sechseck  aufbaut,  hat  aui- 
fallender  Weise  in  seiner  Mitte  keinen  Knauf,  sondern  es  befindet  sich  ein  solcher 
an  dem  obem  Theile  des  Schaftes,   ebenfalls  sechseckig  gehalten.    Auf  diesem 
Yorsprunge,  der  dazu  dienen  soll,  sich  auf  die  ihn  umfassende  Hand  aufzusetzen, 
erheben  sich  auf  den  sechs  Ecken  ebenso  viele  kleine  Fialen,  die  jedesmal  kleinere, 
als  Baldachine  geformte  Giebelaufsätze  flankiren.    Ueber  dieser  architektonischen 
Gliederung  setzt  sich  der  Ständer  fort  und  trägt  einen  ebenfidls   un    Sechseck 
construirten  Sockel,  der  auf  seiner  nach  oben  hin  erweiterten  Fläche  sechseckig 
mit  einem  hängenden  Sims  abgeschlossen  wird.    Nach  oben  umgiebt  auf  einer  an- 
steigenden Erhöhung  diesen  Consol  ein  gothisches  Blättersims,  das  den  Kiystall- 
cylinder  nach  unten  aufzunehmen  und  einzufassen  hat   Zu  beiden  Seiten  schliessen 
den  Cylinder  zwei,  je  im  Dreieck  construirte  Widerlagspfeiler  ein ,  nach  oben  in 
Spitzsäulehen  sich  verjüngend,  welche  unter  Baldachinen  die  Standbilder  verschie- 
dener köhiischen  Heiligen  aufnehmen.    Nach  obenhin  sind  diese  beiden  Streben 
durch  omamentirte   Bogen  verbunden.    Die  Zwischenräume  dieser  Streben  sind 
nach  untenhin  ausgetUllt  durch  grössere  Baldachine,  unter  welchen  auf  der  rechten 
Seite  der  Apostel  Petrus  und  auf  der  linken  der  heil.  Paulus  thront.  Diese  äusserst 
fein  in  Silber  ciselirten  Standbildchen  der  Apostel  sind  auf  vergoldeten  Säulchen 
als  Ständer  hingestellt.   Ueber  dem  Sanctissimum  erhebt  sich  in  Weise  eines  reich 
construirten  Baidachines  eine  Helmbekrönung,  die  ebenfalls  im  Sechseck  angel^ 
ist.    Dieser  Aufsatz,  als  schlanker  Helm  sehr  reich  construirt,  venüth  eine. reiche 
FormenflUle  und  das  Bestreben  des  Componisten,  innerhalb  der  architektonischen 
Gesetze  ein  zwangloses  Sichgehenlassen  des  Ornamentes  zur  Greltung  zu  bringen. 
Die  sechs  Ecken  dieses  laubartigen  Baldaehines  sind  mit  grossem  und  kleinem 
Fialen  umstellt,   welche  durch  kleinere,  sich  durchkreuzende  Oiebelbekrönungen 
im  sogenannten  Eselsrttcken   mit  einander  verbunden  sind.    Ueber  diesen  Durek- 
kreuzungspunkten  hat  das  Genie  des  Künstlers  sechs  zierliche,  zart  ciselirte  kleine 
Engelsgestalten  angebracht,  die  in  sitzender  Stellung  abermals  kleinere  Fialen  zu 
halten  scheinen,  welche  auf  kleineren  Bogenstellungen  basirt  sind.   Auf  der  obera 
Wölbung  des  Baldachins  tritt  als  Sockel  eine  Dreieckform  mit  dem  bekannten 
Kleeblatte  über  den  drei  Seiten  desselben  hervor,  aus  welcher  sich  im  Dreieds 
drei  Pfeilerbündel  erheben,  die  in  ihrer  Mitte  das  in  Silber  ciselirte  Standbild  der 
Himmelskönigin  umstehen.    Von  diesen  drei  Pfeilerbündeln  getragen,  erhebt  sich 
als  Ausläufer  des  Ganzen  ein  kurzgedrungener,  dmt^rochener  Helm  und  verjüngen 


*)  Dieses  kostbare  SchaugefÜss,  eben  so  schön  und  sinnig  in  der  Composition,  als  techniBch* 
meisterhaft  ansgeAlhrt,  haben  wir  in  dem  Kataloge  der  Ausstellong  im  SrzbischlSflichen  Muaeani  tn 
Köln  Ton  Jahre  1867  in  leichten  Umriisen  besprochen. 


ST.   COLUMBA.  9 

Bich  die  drei  Ständer  nach  obenhin  zu  Fialen,  die  sich,  ein  Zeichen  von  spät- 
gothischer  Formation,  oben  umbiegen,  und  sich  nach  drei  Seiten  oben  durch  ein- 
ander verkröppen.  Das  Kreuz,  welches  die  Monstranz  ttberragt,  scheint  uns  neue- 
sten Ursprungs  zu  sein,  und  fehlt  an  demselben  die  Figur  des  Gekreuzigten,  die 
an  altem  Monstranzwerken  niemals  yergessen  ist.  Dieses  Schauge&ss  ist  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  erst  dann  angefertigt  worden,  als  in  der  ersten  Hälfte  des 
XV.  Jahrhunderts  auch  die  spätem  Anbauten  an  St  Columba  in  einer  bereits  aus- 
gearteten und  ausgestorbenen  Gothik  ausgeführt  worden  sind.  Jedenfalls  aber  hat 
der  Anfertiger,  als  hervorragender  Künstler  von  Beruf,  bei  dem  vorliegenden  „o^ 
tensorium"  ein  Meisterwerk  nicht  nur  hinsichtlich  der  Composition,  sondern  auch 
rttcksichtlich  der  technischen  Ausführung  vollendet.  Was  die  präcise  Ausführung 
der  einzelnen  Theile  in  den  Bildungen  der  Spätgothik  betrifft,  so  hat  die  vor- 
liegende zierliche  Monstranz  von  St.  Columba  viele  Analogie  mit  der  schönen 
Monstranz,  die  sich  heute  in  der  Pfarrkirche  zu  Orsbach  bei  Aachen  befindet 
Diese  gehörte  ehemals  der  hiesigen  Antoniter- Kirche  an,  wie  dies  ein  auf  der 
Spitze  befindliches  Antonkreuz  und  auch  eine  Inschrift  deutlich  besagt,  und  ist, 
der  Inschrift  zu  Folge,  1517  von  einem  Meister  der  Goldschmiedezunft  angefertigt 
Um  diese  Zeit  dürfte  auch  die  ebenbeschriebene  Monstranz  ihre  Entstehung  gefunden 
haben.  Auch  befindet  sich  in  der  ehemaligen  Stiftskirche  zu  Bees  am  Niederrhein 
noch  eine  prachtvolle  Monstranz,  die  rücksichtlich  ihrer  Detailformen  viele  Ver- 
wandtschaft mit  der  ebenbeschriebenen  Monstranz  zeigt  Desgleichen  auch  eine 
andere  von  verwandter  FormbUdung  in  Moselweis  bei  Coblenz. 


79. 

Tersehiedene  Halter, 

in  geschmiedetem  Eisen,  auf  Steinconsolen  befestigt,  aus  der  letzten 

Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts. 

Höhe  2  Meter    9  Decimeter. 

Diese  interessanten  Halter  dienten  vielleicht  ehemals  dazu,  die  Votivkerzen 
zu  tragen,  die  vor  einzelnen  Gnadenbildem  angezündet  wurden ;  heute  werden  zwei 
derselben  zu  Lichtträgem  von  grossem  Kerzen  benutzt,  welche  bei  den  Exequien 
einzelner  P&rrmitglieder  angezündet  werden. 

Eine  reiche  Gliederung  zeigen  die  Ständer  als  zierliche  Sockel  mit  jenen 
architektonischen  Formen  profilirt,  wie  man  sie  gegen  Schluss  des  XV.  und  den 
Beginn  des  XVf.  Jahrhunderts  häufig  als  Sockel  an  Fensterstäben  und  Gewänden 
der  altem  kölnischen  Wohnhäusern  antrifiFt. 

Die  St  Columba- Kirche  bewahrt  noch  einige  dieser  eisernen  Lichtträger 
in  ähnlicher  FormbUdung,  wie  dieselben  sich  ebenfalls  in  verschiedenen  Kirchen 

2 


10  ST.  COLUMBA. 

Kölns  vorfinden.  Der  in  der  vorliegenden  Zeichnung  mitgetheilte  Lichttrager, 
hinßichüich  seiner  omamentalen  Ausbildung  am  reichsten  gegliedert,  liefert 
den  Beweis,  dass  das  Kunstschmiedegewerk  gegen  Schluss  des  XV.  Jahrhundem 
im  alten  Köln  hinsichtlich  seiner  Leistungen  vor  den  Kunstschöpfungen  der  Ter- 
wandten  Zunftmeister  nicht  zurückzustehen  brauchte. 

Der  vorliegende  Lichthalter,  in  seinen  massiven  reichprofilirten  Untersockel 
von  Stein  eingesenkt,  ist  aus  Schmiedeeisen  angefertigt    An  der  untern  gedachten 
Mittelßtange  springt  in   einem  rechten  Winkel  ein  eiserner  Lichthalter  vor,  der 
ehemals  die  Bestimmung  zu  tragen  schien,  vermittelst  eines  breiteren  Aufsatzes 
von  Holz  die    untere  Höhlung  einer   grossen  Wachs-  und    Votivkerze  bequem 
aufzunehmen.    Um  diese  grosse  Wachskerze  im  Gleichgewicht  zu    erhalten  und 
ein  Ausbiegen  derselben  nach  der  einen  oder  der  andern  Seite  zu  verhindern, 
war  an  der  obem  Stange  ein  schiebbarer  Halter  mit  einem  Ringe  angebracht,  der 
die  Votivkerze  in  gerader  Richtung  erhielt.    An  der  mittlem  Stange  erblickt  man 
an  unserm,  in  Abbildung  veranschaulichten  Lichtträger  zwei  Wappenschilder  in  den 
Formationen  der  Spätgothik,  aufweichen,  wie  es  uns  scheinen  will,  ehemals  Ib 
Temperafarben   die    heraldischen   Abzeichen    einer    kölnischen   Patricier-Familie 
gemalt  waren. 

Das  Vorkommen  dieser  Wappen  dttrfte  der  Hypothese  Eingang  verschaffen, 
dass  dieser  Funeralleuchter  ursprünglich  Ober  dem  Grabe  einer  Patricier-Familie, 
vielleicht  vor  einem  in  der  St.  Columba- Kirche  ehemals  befindlichen  geschnitzten 
oder  gemalten  Epitaphium  angebracht  war,  vor  welchem  bei  Jahrgedäcbtnissen 
oder  bei  sonstigen  Trauerfeierlichkeiten  der  Familie  die  mächtige  Trauerkerze  an- 
gezündet zu  werden  pflegte. 

An  dem  obem  Theile  der  AusmUndung  dieses  künstlich  in  Eisen  ge8cb^li^ 
deten  Lichtträgers  gibt  sich  ein  reiches  Blattomament  zu  erkennen,  das  in  seinen 
charakteristischen  Formen  die  Ausgangszeit  des  XV.  Jahrhunderts  deutlich  wahr- 
nehmen  lässt. 

Die  im  Vorstehenden  in  kurzen  Umrissen  beschriebene  Schmiedearbeit  rührt 
gegen  Ausgang  des  Mittelalters  von  jenen  kölnischen  Meistern  der  Schmiedezunft 
her,  die  nicht  nur  die  künstlichen  Schlosserarbeiten  anfertigten,  sondern  von  denen 
jene  vielen  reicheren  Thürbeschläge  und  Gefüge  herrühren,  die  sich  heute  noch 
als  kunstreiche  Verzierungen  an*  verschiedenen  Mobiliargegenständen  des  Mittel- 
alters erhalten  haben.  Aus  dieser  Blüthezeit  der  mittelalterlichen  Schmiedearbeiten 
stammen  auch  jene  reichen  Gitterverschläge  her,  die  sich  heute  in  spätgothisehen 
Kirchen  noch  zahlreich  vorfinden.  In  dieselbe  Periode  dürften  ebenfalls  zu  versetzen 
sein  jene  grossartigen  vielarmigen  Kirchenleuchter  in  geschmiedetem  Eisen,  die 
sich  heute  noch  besonders  in  rheinischen  und  westphälischen  Kirchen  häufiger  er- 
halten haben.  Dahin  sind  zu  rechnen  die  siebenarmigen,  kunstreicft  geschmiedeten 
Hängeleuchter  (corona  luminaria  B,  AL  V,)  in  der  Pfarrkirche  zu  Calcar,  Kempen, 
Erkelenz  am  Niederrhein,  und  die  reicheren  dreifachen  Lichterkronen  in  Schmiede- 
eisen im  Dome  zu  Magdeburg  und  Brandenburg. 


4  • al        .« 


-T  ^y. 


ST.  COLÜMBA.  11 

Wir  werden  später  Gelegenheit  nehmen,  in  diesem  Werke  auf  andere  ver- 
wandte Meisterwerke  der  mittelalterliehen  Kunstschmiede  aufmeifcsam  zu  machen, 
die  sich  beute  noch  in  Köln  erhalten  haben. 


80. 

Monstranz, 

aus  Silber,  vergoldet. 

Höbe  89  Centim.,  Breite  2i'/s  Gentim.,  grösste  Ausdehnung  des  Fnsses  3lVx  Centim.   XIV.  Jahih. 

Nach  der  Monstranz  im  Kölner  Dome  verdient  das  vorliegende  Gefäss  als 
das  formschönste  und  hervorragendste  bezeichnet  zu  werden,  das  sich  als  ein  voll- 
endetes Meisterwerk  der  Kölner  Goldschmiedekunst  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten 
hat.  Was  dieses  Ostensorium  vor  vielen  andern  ähnlichen  auszeichnet,  die  sich 
heute  noch  zalibreich  in  vielen  Kirchen  am  Rheine  vorfinden,  sind  nicht  nur  die 
schönen  Proportionen,  die  bei  der  ziemlich  hochstrebenden  Construction  des  Ge- 
lasses mit  der  Breitenausdehnung  in  rechter  Harmonie  stehen,  sondern  mehr  noch 
die  trefflichen  Gravirungen,  die  in  ihrer  Art  bei  Monstranzen  heute  kaum  ihres 
Gleichen  finden  dtlrften. 

Auf  einem  breiten  Fusse,  der  aus  sechs  tiefeingezahnten  Blättern,  eine  Rose 
bildend,  zusammengesetzt  ist,  erhebt  sich  als  ansteigender  Hals  ein  architektonisch, 
in  Stemform  construirter  Untersockel,  welcher  der  Röhre  (fistula)  mit  dem  Knaufe 
zur  Basis  zu  dienen  die  Bestimmung  trägt  Da  der  obere  Aufsatz  des  Gefässes 
sich  nach  der  Breite  hin  ausdehnt,  so  hat  der  geniale  Componist  auch  den  Fuss, 
correspondirend  mit  der  obem  Ausdehnung,  nach  der  Breite  hin  dadurch  erweitert, 
dass  er  an  den  auf  beiden  Seiten  gegenttberstehenden  Rosenblättem  noch  eine 
Spitze  angesetzt  hat,  wodurch  diese  beiden  Theile  die  Form  des  sogenannten 
Eselsrückens  erhalten  haben.  Der  Fuss  selbst  ist  in  seinem  untern  Theile  mit  einer 
Gallerie  zierlich  durchbrochen,  unter  welcher  ein  einfach  profilirter  Rand  angesetzt 
ist.  Ein  besonderes  Interesse  für  die  Archäologie  bieten  unstreitig  jene  sechs 
prachtvollen  Gravirungen  dar,  welche,  in  Bezug  auf  Grossartigkeit  der  Com- 
Position  und  Weichheit  in  Behandlung  des  Faltenwurfs,  mit  Recht  als  ein 
Meisterwerk  mittelalterlicher  Gravirkunst  betrachtet  werden  können.  Bei  längerer 
Betrachtung  dieser,  technisch  ausgezeichnet  durchgeführten  Darstellungen  haben 
wir  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  die  Gomposition  dieser  sechs  sitzenden 
Apostelgestalten  unmöglich  Erfindungen  des  Goldschmiedes  in  seiner  Eigenschaft 
als  Graveur  sein  kann,  und  glauben  wir  daher  mit  Recht  annehmen  zu  dttrfen, 
dass  ein  bedeutender  Maler  der  alten  kölnischen  Schule,  wie  es  auch  heute  noch  zu 
geschehen  pflegt,  den  Entwurf  zu  diesen  Bilderwerken  dem  befreundeten  Goldschmiede 
geliefert  hat.    Sämmtliche  Figuren  sind  vom  Künstler  sitzend    dargestellt,    und 


12  ST.  COLUMBA. 

zwar  auf  einem  ^^sedile,  scamnum^j  das  von  einer  baldaehinartigen  Architektur  auf's 
Reichste  überragt  wird.  Als  ein  Vorzug  dieser  zierlichen  Composition  verdient 
hervorgehoben  zu  werden,  dass  sämmtliche  Sitzbänke,  in  einer  Art  Hochconstrae- 
tion,  verschiedenartig  dargestellt  sind  und  eine  grosse  Abwechselung  in  der  Form 
enthalten.  Was  die  Bilder  selbst  betriff^  so  hat  der  Künstler  hier  augenfällig  mit 
einem  Theile  das  Ganze  andeuten  wollen.  Er  hat  nämlich  die  zwölf  Sendboten 
bildlich  wiedergeben  wollen,  thronend  in  der  Herrlichkeit  nach  dem  Spruche 
yyjudicantes  tribus  Israel''.  Die  Reihe  der  Apostel  beginnt  mit  Petrus,  dem  Sehllissel- 
bewahrer,  alsdann  folgt  ihm  zur  rechten  Seite  Paulus,  als  „doctor  gentium'%  die- 
sem zur  Rechten  sitzt  der  LieblingsjtLnger  Johannes,  an  diesen  reiht  sich  an  die 
sitzende  Darstellung  des  Apostels  Thomas;  weiter  erblickt  man  den  heil.  Jacobus 
und  endlich  bildet ,  dem  Petrus  zunächst,  den  Schluss  die  Darstellung  des  Bartholo- 
mäus. Wir  haben  unter  Fig.  80'  und  Fig.  80"*  zwei  dieser  trefdichen  Bildwerke 
in  verkleinertem  Massstabe  abgebildet.  Wenn  gleich  schon  die  einfache  Gonstruc- 
tion  des  obem  Theiles  dieser  Monstranz  in  ihren  edlen  Formen  die  Grothik,  wie 
sie  in  der  ersten  Hälfte  des  XY.  Jahrhunderts  in  Köln  zur  Entfaltung  gekommen 
ist,  deutlich  kennzeichnet,  so  bieten  namentlich  diese  sechs  Apostelbilder  willkom- 
mene Anhaltspunkte,  woraus  sich  mit  einiger  Sicherheit  ermessen  lässt,  dass  das 
vorliegende  Geftiss,  als  Meisterwerk  der  Goldschmiedekunst  im  Be^nn  des 
XY.  Jahrhunderts,  oder  vielleicht  noch  gegen  Schluss  des  XIY.  Jahrhunderts  an- 
gefertigt worden  ist.  Es  ist  nämlich  der  Entwurf  der  schönen  Figuren  für  jene 
Epoche  der  Malerei  kennzeichnend,  wo  ein  leichter  beweglicher  Faltenwurf  in 
ziemlich  gehäuften  Massen  gegen  Schluss  des  XIY.  Jahrhunderts  m  der  kölnischen 
Schule  zur  Anwendung  kam.  In  dieser  Art  findet  sich  noch  eine  Menge  von 
altkölnischen  Malereien  im  hiesigen  städtischen  Museum  und  in  der  bekannten, 
reichhaltigen  Sammlung  des  Baumeisters  Weyer  vor.  Hinsichtlich  der  gelungenen 
Technik  sei  noch  bemerkt,  dass  die  Fertigkeit  der  Gravimadel  alle  Anerkennung 
verdient,  die  mit  Anwendung  von  tiefen  Schatten  in  den  Gewandparthieen  fast 
eine  Art  Modellirung  als  Relief  hervorzubringen  gewusst  hat 

Der  Ständer,  der  als  sechseckige  Röhre  das  breite  Fussstück  mit  dem  obem 
Theile,  dem  eigentlichen  Schaugefäss,  verbindet,  ist  in  der  Mitte  durch  einen  breiten 
Knauf  (nodos)  als  Handhabe  unterbrochen.  Derselbe  bildet  sich  ein&ch  aus  einem 
Ringe,  an  welchem,  in  Uebereinstimmung  mit  den  sechs  Rosenblättem  des  Fusses, 
ebensoviele  runde  Pasten  herausragen,  in  deren  Höhlung  sich,  wie  gewöhnlich,  die 
sechs  Buchstaben  des  Namens  Jesus  nach  der  älteren  griechischen  Schreibweise 
befinden.  Jene  Buchstaben  waren  ehemals  in  Minuskelschrift  auf  einem  emaillirten 
Grunde  in  Glanzvergoldung  angebracht  Diese  Emaille,  wahrscheinlich  von  blauer 
Farbe,  fehlt  auch  an  dem  ziemlich  breiten  Bogenstreifen,  an  welchem  diese  Pasten 
herausragen.  Die  Ornamente  des  Knaufes  werden  durch  Bandverschlingungen, 
die  kreisförmig  in  einander  greifen,  gebildet  Nach  der  Sechszahl  geordnet  smd 
gleichviel  rundfbrmige  Yertiefungen  angebracht,  welche  im  Tiefgrunde  eine  Durch- 
brechung in  Yierpassform  zeigen.  Auf  dem  zweiten  Theile  der  Röhre  oberhalb 
des  Knaufes  erhebt  sich  ein  stemfbrmig  gebildeter  Sockel,  der  den  nach  obenhin 


ST.  COLUHBA.  13 

trichterförmig  auslaufenden  Hals  des  Schaogeiässes  au&ehmen  soll.  Dieser  sechs- 
eckig gebildete  Sockel  erweitert  sich  nach  oben  in  eine  Rundung,  die  mit  einer 
kleinen  Zinnenbekrönung  verziert  ist.  Hinter  derselben  befindet  sich  eine  an- 
steigende Fläche  9  auf  welcher  der  Goldschmied  vierzehn  schOne  stylisirte  rosen- 
fbrmige  Ornamente  angebracht  hat.  Auf  dem  ebenbezeichneten  Piedestal  erhebt 
sich  der  eigentliche  Behälter,  ein  prachtvoller  ausgebohrter  Bergkrystall  von  aus- 
gezeichneter Schönheit,  in  einer  Höhe  von  8  Centimeter.  Der  Durchmesser  des- 
selben beträgt  &st  5  Millimeter.  Die  meisten  altem  Monstranzen  zeigen  zwar  als 
ftrecqttaculum"  zur  Aufnahme  der  consecrirten  Hostie  ebenfalls  einen  cylinder- 
fbrmig  ausgebohrten  Bergkrystall.  Wir  erinnern  uns  jedoch  nicht,  jemals  einen 
solchen  von  dem  Umfange  und  der  Schönheit,  wie  bei  der  vorliegenden  Monstranz, 
gesehen  zu  haben.  Der  ebenbeschriebene  Glascylinder  mündet  nach  unten  in  eine 
durchbrochene  schmale  Gallerie  mit  einer  Verzahnung  ein,  die  in  Rundbogenform 
nach  oben  gekehrt  ist  Dieselbe  Einfassung  des  Cylinders  bemerkt  man  auch 
nach  obenhin,  und  steht  damit  eine  breite  Hohlkehle  in  Verbindung,  in  welcher, 
analog  mit  den  aufgeschraubten  14  Ornamenten  auf  dem  untern  Rande,  ebenfalls 
eine  gleiche  Zahl  von  fbnfblätterigen  Rosen  erhaben  aufliegend  angebracht  ist 
Dieser  obere  Fassungsrand  erhält  als  Ausmttndung  nach  oben  ein  zierlich,  fein 
ciselirtes  Eammgesims  von  gothischen  Blattbildungen.  Zu  beiden  Seiten  des  Glas- 
cylinders  erheben  sich  zwei  breite  Widerlagspfeiler,  welclie  die  Bestimmung  haben, 
dem  Cylinder  mit  seinem  obem  Aufsatz  in  Form  eines  schlanken  Baldachins  grossem 
Halt  zu  geben.  Diese  beiden  Widerlagspfeiler  greifen  nach  unten  in  den  kreis- 
förmigen Sockel  eixk  und  mttnden  in  eine  Konsole  aus,  über  welcher  sich,  in  einer 
Hohlkehle  als  Piedestal,  zwei  keuchende  männliche  Figuren  befinden,  die  von  der 
Last  der  Strebepfeiler  erdrückt  zu  werden  scheinen.  Die  drei  Abstufungen  dieser 
Widerlagen  mttnden  in  schlanke  Fialen  aus,  die  von  kräftigen  Ejreuzblttmchen  Über- 
ragt werden.  Da,  wo  an  den  beiden  Strebepfeilern  die  Strebebogen  nach  der 
obem  Bekrönimg  des  Cylinders  hin  sich  ansetzen,  theilt  sich  jede  Strebewiderlage 
in  zwei  schlanke  Fialen,  welche  wiederum  durch  Sttttzbogen  mit  einander  in  Ver- 
bindung stehen.  Es  hat  den  Anschein,  als  ob  die  beiden  Spitzthttrmcben,  welche 
die  zwei  höchsten  Fialen  zu  beiden  Seiten  des  Cylinders  überragen,  nicht  mehr 
primitiv  seien.  Jedenfalls  erscheinen  sie  uns  viel  zu  gedrückt  und  mögen  früher 
eine  grössere  Höhe  gehabt  haben.  Offenbar  befindet  sish  der  zierlichste,  und  reich 
architecktonisch  construirte  Theil  der  Monstranz  unmittelbar  über  dem  Cylinder 
in  Form  eines  kleinen  Helmes.  Derselbe  ist  beweglich  eingerichtet  imd  soll  zu- 
gleich als  Deckel  einen  reich  verzierten  Verschluss  des  Cylinders  nach  obenhin 
bilden.  Die  architektonische  Constmction  des  Baldachins  als  Auftatz  und  Be- 
krönung  der  Monstranz  ist  in  Uebereinstimmung  mit  der  Anlage  des  Fusses  und 
Knaufes  ebenfalls  im  Sechseck  angelegt  und  zwar  erhebt  sich  dieser  von  sechs 
schlanken  Säulchen  getragene  Baldachin  auf  einem  ausgehöhlten  Deckel  in  Halb- 
kreisform.  Diesen  mitÜeren  hexagonen  Aufsatz  umstellen  4  Widerlagspfeiler,  or- 
namental gehalten,  von  welchen  nach  den  gegenüberstehenden  Stützpfeilern  des 
Baldachins  zierliche  Strebebogen  ausgehen.    Die  vier  ausgerandeten  Flächen,  die 


14  ST.  COLUMBA. 

sich  auf  der  kugelfttrmigen  Bedachung  des  KiystallcylinderB  befindeiiy  hat  der 
Künstler  durch  eingravirte  Bildwerke  ebenfallB  zu  beleben  gewusst.  Man  erblickt 
hier  die  vier  symbolischen  Thierzeichen  der  vier  Evangelisten,  und  zwar  sind 
dieselben  geflügelt  dargestellt,  Spruchbänder  haltend,  auf  welchen  die  Namen  der 
vier  Eyangelisten  eingegraben  sind.  Unter  der  Wölbung  des  innem  Baldachins 
erhebt  sich  auf  einem  schlanken  Sockel  das  in  Silber  gegossene  Standbild  der 
heil.  Columba,  welches  in  seiner  äussern  Form  als  Guss  noch  ziemlich  roh  erscheint 
und  kaiun  eine  Nachciselirung  er&hren  haben  dtlrfie.  An  älteren  Monstra^en 
befindet  sich  thronend  unter  diesem  Baldachin,  unmittelbar  über  dem  Behälter, 
worin  die  Eucharistie  den  Gläubigen  gezeigt  wird,  die  ciselirte  Figur  des  Heilandes 
in  glorificirtem  Leibe  nach  der  Auferstehung,  das  Siegesbanner  (veanlhnn)  in  der 
Kochten  haltend.  Seltener  erblickt  man  in  dieser  Nische  das  Standbild  der  Him- 
melskönigin, und  nur  in  den  wenigsten  Fällen  ist  es  ims  bekannt,  dass  hier  un- 
mittelbar über  dem  „Sanctissimum^'  das  Standbild  des  Kirchenpatrones,  wie  im 
vorliegenden  Falle,  angebracht  ist.  Ueber  dieser  Standfigur  erhebt  sich  als  letzte 
Verjüngung  des  Hehnes  ein  architektonischer  Aufsatz  im  Dreieck  angelegt,  welcher 
nach  den  drei  Seiten  vorspringende  leichtere  Baldachine  trägt,  unter  denen  drei 
gekrönte  weibliche  Heiligenfiguren,  ebenfSedls  in  Silber  gegossen,  mit  schwacher 
Nachciselirung,  thronen. .  Das  Ganze  findet  seinen  Abschluss  durch  einen  im  Drei- 
eck angelegten  Helm,  ohne  Durchbrechung,  der  sich  nach  oben  nur  wenig  ver- 
jüngt, und  dessen  Spitze  gegenwärtig  abgebrochen  zu  sein  scheint  Auf  demselben 
sitzt  nun  ein  unförmlicher  runder  Knopf,  in  welchen  ein  plattes  ein&ches  Kreuz 
einmtlndet,  das  auf  den  drei  Kreuzbalken  durch  grosse  Knop^erlen  einen  reichen 
Abschluss  erhält.  Die  Figur  des  Gekreuzigten  scheint  uns  primitiv  aus  der  Zeit 
der  Anlage  der  Monstranz  herzurühren. 

Was  nun  den  Ort  und  die  Zeit  der  Anfertigung  betrifft,  so  dürfte  es  wohl 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  das  in  Bede  stehende  SchaugefUss  von  einem 
der  hervorragendsten  Meister  der  altberühmten  Goldschmiedezunft  zu  Köln,  deren 
Mitglieder  um  St.  Laurenz  herum  wohnten,  im  Anfange  des  XV.  Jahrhunderts  ur- 
sprünglich f)lr  St  Columba,  eine  der  altern  und  reichem  Pfarrkirchen  Kölns,  ange- 
fertigt worden  ist.  Sowohl  der  Charakter  der  Architektur,  als  auch  die  Compo- 
sition  der  gravirten  Figuren  scheint,  wie  früher  schon  bemerkt,  die  ausgesprochene 
Ansicht  zu  bestätigen.  Die  architektonischen  Details  sind  noch  sehr  einfach  ohne 
Uebertreibungen  und  Ueberladungen  ausgeführt,  und  hat  die  vorliegende  Monstranz 
hinsichtlich  der  Formreinheit  und  des  constructiven  Ernstes,  der  darin  vorwaltet, 
mit  dem  schönen  Ostensorium  viele  Aehnliohkeit,  welches,  einer  Inschrift  gemäss,  in 
der  letzten  Hälfte  des  XIV.  Jahiiiunderts  für  die  Pfarrkirche  zu  Ratingen  ange- 
fertigt worden  ist,  und  heute  noch  dieser  Kirche  zur  Zierde  gereicht  Hinsichtlich 
ihrer  Grösse  und  Anlage  zeigt  dieses  Schaugefites  viele  Analogien  mit  der  statt- 
lichen Monstranz  in  der  P&rrkirche  zu  Vallendar,  femer  mit  der  im  Kloster  Stein- 
feld in  der  Eifel  und  mit  den  beiden  Monstranzen  zu  Brauweiler. 


BT.  COLUMBA.  15 


81. 

Grosser  Standlenchter^ 

in  Messing  gegossen. 

Hübe  2  Meter  2  Decimeter,  Durchmesser  5  Decüneter.     XY.  Jahrhusdert. 

Wie  wir  früher  schon  bei  Beschreibung  kleinerer  gegossener  Altarleuchter 
in  den  Spätformen  der  Gothik  zu  bemerken  Veranlassung  nahmen,  hat  man  zu 
Ausgang  des  Mittelalters,  besonders  in  der  Gelbgiesserei  keinen  Bedacht  darauf 
genommen,  den  Altarleuchtem  eine  reichere  und  entwickeltere  Form  zu  geben; 
dasselbe  kann  auch  von  den  grösseren  Standleuchtem  gesagt  werden,  die  ehe- 
mals im  engeren  Presbyterium  zu  beiden  Seiten  des  Hochaltars  aufgestellt  zu 
werden  pflegten.  Vergleicht  man,  in  Parallele  zu  dem  in  der  beifolgenden  Abbil- 
dung veranschaulichten  Chorleuchter,  jene  in  gleich  grossartigem  Massstabe 
prachtvoll  gegossenen,  spät  romanischen  Standleuchter,  die  heute  noch  im  Dome  von 
Bamberg  aufbewahrt  werden^)«  desgleichen  die  reichentwickelten  frttbgothischen 
grossen  Chorleuchter  in  der  heutigen  Magdalenenkirche  zu  Hildesheim,  beide  heiv 
rührend  aus  der  ehemaligen  Benedictiner  Abtei -Kirche  von  St.  Michael  ebendaselbst, 
so  muss  man  zugeben,  dass  die  Spätgothik  bei  der  Bildung  grösserer  Leuchter 
in  Kupferguss  auf  eine  sehr  einfache,  kunstlose  und  fast  stereotype  Form  festge- 
fahren war. 

Wie  bei  dem  kleinen  Altarleuchter  in  Gelbguss,  wovon  wir  einige  unter 
vorbeigehenden  No.  abgebildet  und  beschrieben  haben,'  so  bestehen  auch  die  beiden 
grossen  Chorleuchter  von  St  Columba  aus  drei  wesentlichen,  sehr  conformen  Be- 
standtheilen,  nämlich  aus  dem  rundgegossenen,  einfach  profilirten  Fuss,  dem  lang- 
gezogenen Schaft  oder  Ständer,  der  durch  viele  Binge  und  Absätze  unterbrochen 
und  belebt  wird,  und  endlich  aus  der  obem  breiten,  runden  Schüssel  zur  Aufio^hme 
des  herunterträufelnden  Wachses. 

In  ganz  ähnlicher  Formbildung,  jedoch  von  geringerer  Ausdehnung,  fanden 
wir  auch  in  verschiedenen  Kirchen  des  Niederrheins  einzelne  Gussleuchter  vor, 
die  heute  noch  dazu  dienen,  Votivlichter  als  Träger  aufeunehmen,  vorzüglich  aber 
als  Ständer  gebraucht  zu  werden,  um  die  Osterkerze  »tcereus  paschaäs'*  darauf 
zu  stellen. 

Wir  bemerken  hier  noch  im  Vorbeigehen,  dass  der  Dom  von  Münster,  trotz 
der  vandalischen  Zerstörung  zur  Zeit  der  Wiedertäufer,  heute  noch  sehr  reich  ist 
an  grösseren  Werken  des  Gelbgusses.  Unter  andern  prachtvollen  Werken  des 
Gusses  fanden  wir  noch  daselbst  zwei  stattliche  grosse  Chorleuchter  auf  gegossenen 


*)  Es  durften  das  die  schönsten  und  grossartigsten  Lichttrttger  sein,  die  heute  in  Deutsohland 
EU  finden  sind.  Man  mnss  sieh  wundem,  dass  bis  zur  Stunde  diese  Gandelaber  eu  Bamberg  nooh 
nicht  in  Gyps  abgeformt  worden  sind,  da  sie  beim  Neuguss  Ton  tthnlichen  grössern  Altarleuchtem 
trefflich  als  Vorbilder  zu  benutzen  wären. 


16  ST.   COLUMBA. 

Löwen  ruhend,  femer  einzelne  Reste  eines  Tenebrae-  und  eines  fünf  armigen 
Leuchters  und  eine  ausgezeichnet  in  Guss  gearbeitete  „corana  lummaricu''  Auch 
im  Dome  zu  Braunschweig,  und  im  Dome  zu  Xanten  finden  sich  noch  grössere 
Standleuchter  in  Guss  von  ähnlichen  Formen,  wie  dieselben  an  den  ebenbeschrie- 
benen beiden  Candelabem  in  St  Columba  hervorgehoben  worden  sind. 


82. 

Messgewand 

mit  reichen  figuraien  Stickereien  in  Platt-  und  Biiderstich.     XV.  Jahrhundert. 

Es  haben  sich  heute  in  den  Gewandkammem  kölnischer  Kirchen  verhältiÜBs- 
mässig  nur  sehr  wenige  ausgezeichnete  Messgewänder  erhalten,  die  mit  kunstreich 
gestickten  Bildwerken  in  Kreuz  und  Stäben  verziert  sind. 

Leider  machten  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  moderne  Vandalen  die  un- 
heilvolle Entdeckung,  dass  der  Fond  dieser  vorzüglichen  liturgischen  Gev^der 
durchaus  in  Goldfäden  gestickt  sei,  und  dass  selbst  in  den  vielen  gestickten  Hei- 
ligenbildern die  Goldfäden  nicht  spärlich  angewandt  seien.  Diese  Wahrnehmung 
genügte,  um  den  Versuch  zu  machen,  ob  durch  Einschmelzen  und  Verbrennen  sich 
nicht  ein  baarer  Goldgewinn  ergäbe.  So  wanderten  in  den  ersten  Decennien 
dieses  Jahrhunderts  eine  Menge  der  prachtvollsten  figuraien  BUdstickereien  in  das 
Glühfeuer  der  Schmelze,  die  heute  als  vollendete  Meisterwerke  des  nuttelalterlichen 
Bilderstichs  in  hohen  Ehren  gehalten  werden  wtbiden.  So  sind,  wie  in  der  ersten 
Lieferung  dieses  Werkes  bereits  angedeutet  wurde,  durch  die  Sucht  nach  edlem  Me- 
talle von  Seiten  der  damaligen  „Patrioten'^  eine  unglaubliche  Menge  der  kostbarsten 
Bildstickereien  muthwillig  verbrannt  worden*),  wozu  wir  viele  factische  Belege 
beibringen  könnten,  und  muss  man  sich  in  der  That  wundem,  dass  in  den  Ge- 
wandschränken zu  St  Columba  sich  vor  dem  Schmelztiegel  noch  vier  prachtvoll 
gestickte,  mittelalterliche  Messgewänder  bis  zur  Stunde  erhalten  haben. 

Leider  sind  diese  kostbaren  Kunststickereien,  heute  sämmtlich  als  Stäbe  auf 
MessgewändemvonBothsammet  befestigt,  nicht  ohne  Entstellung  unter  der  modifidren- 
den  Scheere  aus  den  Tagen  des  XVn.  Jahrhunderts  geblieben.  Nachdem  nämlich 
im  mittelalterlichen  Köln  das  in  seiner  Form  historisch  überlieferte  Messgewand  so 
ziemlich  bis  gegen  Schluss  des  XVL  Jahrhunderts  in  seiner  Integrität  sich  erhidten 


*)  Die  meisten  dieser  kostbaren,  älteren  Gewänder  waren  reichlich  mit  ächten  Perlen  gestickt 
und  Yeniert.  Naohdem  yiele  Hunderte  solcher  Meisterwerke  mittelalterlicher  Stickkunst  in  obeng«- 
dachter  gewinnsüchtiger  Absicht  meistens  Ton  jüdischen  Ankäufern  Terbrannt  worden  waren,  stasdes 
zu  Anfang  dieeee  Jahrhunderts,  nach  Aussage  älterer  Leute,  die  uns  nähere  Details  über  diese  und 
ähnliche  Verwüstungen  mittheilten,  die  kleineren  Perlen  in  K5ln  in  so  geringem  Werthe,  dass  idlMt 
die  Juden  dieselben  nicht  anders  ankauften,  als  wenn  sie  ihnen  in  kleinen  Behältern  ansgemesieii 
wurden« 


ST.  COLUMBA.  17 

hatte,  da  fing  man  erst  mit  dem  Beginn  des  XVII.  Jahrhunderts,  nachdem  die 
letzten  Traditionen  der  altköhiischen  Kunst  in  der  Architektur,  wie  in  den  übrigen 
untergeordneten  Zweigkttnsten,  vollständig  gewichen  waren,  mit  einem  Male  an  ein- 
zusehen, dass  das  Messgewand  in  seiner  Breite  beim  Gebrauche  nicht  mehr  bequem 
sein  dürfte.  Die  angestammte  Würde  und  den  malerischen  Faltenwurf  bei  Seite 
setzend  begannen  nun  auch  in  Köln  neuerungs-  imd  gewinnsüchtige  Paiamenten- 
schneider,  wie  sie  angaben,  aus  Bequemlichkeitsrttcksichten,  eigentlich  aber  in  Bück- 
sicht auf  ihren  eigenen  Vortheil,  den  über  die  Arme  tief  herunterhängenden  Stoff 
des  Messgewandes  willkürlich,  so  weit  es  ihnen  beliebte,  abzuschneiden.  Nachdem 
man  so  den  ersten  kühnen  Schritt  selbstständig,  ohne  die  kirchliche  Behörde  zu 
befragen,  gewagt  hatte,  überzeugte  man  sich  auch  gleich  darauf,  dass  mit  der  so 
verkürzten  Breite  des  modificirten  und  zugestutzten  Gewandes  auch  nicht  mehr  die 
ehemalige  Länge  desselben  harmoniren  wolle.  Dieselben  Neuerer  besannen  sich  des- 
wegen nicht  lange^  sondern  erkühnten  sich  auch  den  vorderen  und  hinteren  Theil  des 
Messgewandes  um  ein  gutes  Stück  der  Länge  nach  abzuschneiden.  Bei  diesem  Yerkür- 
zungsprocesse  kümmerten  sich  diese  Leute  gar  nicht  darum,  ob  sie  mit  ihrer  Scheere 
einen  nicht  unbedeutenden  Theil  von  prachtvollen  figuralen  Bildstickereien  weg- 
schnitten und  so  den  Zusammenhang  des  gestickten  Bildercyklus  muthwillig  stör- 
ten. Auch  an  den  verschiedenen  Messgewändem  in  rothem  Sammet,  wie  sie  sich 
heute  noch  in  den  reichgefüllten  Gewandschränken  von  St.  Columba  in  Köln  vor- 
finden, ist  der  Einfiuss  der  Spätrenaissance  deutlich  ersichtlich,  und  haben  bei  der 
modernen  Zurechtschneidung  des  Stofflichen  dieser  Gewänder  die  reichen  Bild- 
stickereien in  Kreuz  und  Stäben  um  ein  gutes  Theil  verkürzt  und  abgeschnitten 
werden  müssen,  so  zwar,  dass  an  jedem  Gewände  mehr  als  1  Fuss  Breite  der 
Stickerei  weggefallen  ist 

Es  würde  uns  zu  weit  ftlhren,  wenn  wir  an  dieser  Stelle  in  erschöpfender 
Weise  die  vielen  prachtvollen,  in  Plattstich  gestickten  Bildwerke  beschreiben  und 
mit  Namen  bezeichnen  wollten,  die  sieh  in  reicher  Abwechslung  der  Farben  und 
der  Technik  auf  diesen  verschiedenen  Messgewändem  von  St.  Columba  vorfänden. 
Es  genüge  deswegen  hier  die  allgemeine  Angabe,  dass  in  den  Stäben  und  Kreuzen  dieser 
ausgezeichneten  Messgewänder,  in  der  edelsten  Technik  gestickt,  ersichtlich  sind 
die  Hauptscenen  aus  dem  Leben  des  Heilandes  und  der  Allerseeligsten  Jungfrau, 
so  wie  eine  grössere  Zahl  von  Standbildern  verschiedener  Heiligen,  die  als  Local- 
heilige  grösstentheils  der  kölnischen  Erzdiöcese  angehören.  Im  Hinblick  auf  diese, 
wenn  wir  sagen  dürfen,  „Köhiischen  Heiligen'^  nicht  weniger  in  Betrachtnahme  der 
eigenthümlichen  charakteristischen  Dars^Uung  und  Stylisirung  dieser  vielen  reich- 
gestickten Bildwerke  lässt  sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  der  nicht  gewagte  Schluss 
ziehen,  dass  die  sänunüichen  Bildstickereien  in  Groldfäden  und  zarter  Haarseide 
gegen  Schluss  des  XV.  Jahrhundjerts  und  selbst  im  Beginn  des  XYI.  Jahrhunderts 
von  sehr  geübten  und  befähigten  Meistern  der  altköhiischen  berühmten  und  reichen 
Zunft  der  Wappen-  und  Bildsticker  angefertigt  worden  seien.  Bei  näherer  Besich- 
tigung dieser  vielen  äusserst  edel-  und  zartgestickten  Bildwerke  dürfte  es  auch 
einem  weniger  geübten  Auge  einleuchtend  werden,   dass  die  Compositionen  zu 

3 


18  ST.   COLCMBA. 

diesen  vollendeten  figuralen  Stickereien  unmöglich  von  den  Meistern  der  Bild- 
Btickerzunf t  herrühren  dürften ;  und  es  liegt  deswegen  die  Annahme  nahe,  die  wir 
auch  hei  anderen  ebenso  vollendeten  Meisterwerken  der  höheren  Stickkunst  ge- 
macht haben,  dass'der  Entwurf  zu  diesen  vielen  Bildwerken  von  einem  geübten 
und  befähigten  kölnischen  Maler  der  damaligen  Zeit  gemacht  worden  ist,  der  es 
nicht  unterliess,  wie  wir  das  öfter  auf  altem,  schadhaft  gewordenen  Stickereien 
wahrzunehmen  Gelegenheit  hatten,  mit  fester  sichrer  Hand  die  Contouren  in  star- 
ken Streifen  auf  die  Leinwand  hinzuzeichnen,  auf  welchen  der  Eunststieker,  an- 
statt in  Farben,  in  glänzenden  Seidenfäden  die  vorgezeichnete  Nadelstickerei  fort- 
ftihrte  und  vollendete.  Die  ebenbezeichneten,  heute  noch  in  St.  Columba  erhaltenen 
Stickereien,  die  kühn  ihres  Gleichen  am  Rhein  suchen  können,  dienen  zimi  an- 
schaulichen Belege,  bis  zu  welcher  Höhe  sich  das  Kunsthandwerk  im  mittelalter- 
lichen Köln  zu  jener  Zeit  erhoben  hatte,  als  es  glücklicher  Weise  noch  keine  Aka- 
demien gab,  und  die  Werkstatt  eines  jeden  tüchtigen  Meisters  so  zu  sagen  eine 
kleine  Akademie  ftlr  sich  allein  bildete ,  in  welcher  kein  Tross  von  Stümpern  heran- 
gebildet wurde,  sondern  in  welcher  nur  der  befähigte  und  berufene  KttnsÜer 
dauernden  Eintritt  finden  konnte. 

Wir  werden  in  der  Fortsetzung  dieses  Wferkes  Gelegenheit  finden,  über 
die  technische  Anfertigungsweise  dieser  und  anderer  in  kölnischen  Sacristeien 
vorfindlichen  Bildstickereien  das  Nähere  nachzuholen.  Schliesslich  sei  hier  noch 
die  Hinzuftlgung  gestattet,  dass  der  thätige  und  umsichtige  Vorstand  der  Pfarr- 
kirche St.  Columba  in  Köln  beabsichtigt,  die  ebengedachten  reichen  Plattstickereien 
auf  neu  anzufertigende  Messgewänder  in  einem  ernsten  soliden  Kirchenstoff  aus  der 
bekannten  Fabrik  von  Casaretto  in  Crefeld  übertragen  zu  lassen.  Diese  wieder- 
hergestellten Messgewänder  sollen  alsdann  jenen  Faltenreichthum  und  jene  würde- 
volle Grösse  wieder  erhalten,  wie  dieselben  ehemals  ihrem  Schnitte  nach  beschaffen 
waren,  als  die  ebengedachten  Stickereien  angefertigt  wurden. 

Wir  haben  es  uns  deswegen  erlaubt,  in  der  vorliegenden  Abbildung  eine 
der  gedachten  figui-alen  Kreuzstickereien  von  St.  Columba  auf  dem  Neustoffe 
eines  Messgewandes  darzustellen,  wie  man  dasselbe  dem  Schnitte  nach  in  näch- 
ster Zeit  einzurichten  gewillt  ist. 


Der  ehemalige  Schatz  der  Pfarrkirche  von  St.  Columba. 

Wie  schon  im  Vorhergehenden  bemerkt,  gehört  die  Pfarrkirche  von  St. 
Columba  zu  den  vier  ältesten  Pfarrkirchen  der  Metropole  Köln  und  nimmt  auch 
heute  noch  unter  denselben  den  ersten  Rang  ein.  Schon  der  Name  und  die 
Widmung  der  Kirche  deutet  auf  ein  hohes  Alter  hin.  Die  heil.  Jungfrau  und 
Mai-tyrin  Columba,  geboren  zu  Sens,  im  sennonischen   Gfallien,  errang  um  das 


ST.  COLUMBA.  19 

Jahr  270  zur  Zeit  der  Verfolgung  des  Aurelian  die  Palme  des  Marterthums  durch 
das  Schwert,  nachdem  sie  vorher,  wie  die  Legende  erzählt,  im  Amphitheater  durch 
einen  herheieilenden  Bären  gegen  ihre  Schergen  und  Peiniger  vertheidigt  worden 
war.  Deswegen  fllhrt  dieselbe  auch  in  den  Abbildungen  der  altkölnischen  Maler- 
schule als  kennzeichnendes  Symbol  ausser  der  Martyrpalme  bei  sich  das  Bild 
des  Bären. 

Gleichwie  die  Pfarre  von  St.  Alban,  war  auch  die  Kirche  von  St  Columba, 
gelegen  im  Mittelpunkte  der  Stadt,  vorzugsweise  Pfarrkirche  der  reichen  kölnischen 
Patricierfamilien,  und  viele  derselben  hatten  in  der  geräumigen  Kirche  ihre  Epitaphien 
und  Familiengrttfte.  Da  es  ehemals  löbliche  Sitte  im  alten  „heiligen  Köln''  war, 
mit  frommen  Gaben  und  Vermächtnissen  im  Leben  und  Sterben  jener  Pfarrkirche 
eingedenk  zu  sein,  wo  die  Familie  seit  langen  Jahren  ansässig  war  und  in  deren 
Hallen  ruhmreiche  Ahnen  ihre  letzte  Ruhestätte  gefunden  hatten,  so  muss  der 
Schatz  von  St.  Columba  vor  der  Säcularisation ,  die  nicht  einmal  das  Eigenthum 
der  Pfarrkirchen  schonte,  umfangreich  und  bedeutend,  vomelimlich  an  Meisterwerken 
der  Goldschmiedekunst  und  Paramentik  gewesen  sein. 

Leider  ist  der  grössere  Theil  desselben  in  den  Revolutionssttlrmen  zu  An- 
fang dieses  Jahrhunderts  verloren  gegangen. 

Da  wir  bis  zur  Stunde  nicht  so  gltlcklich  waren,  in  dem  reichhaltigen  Ar- 
chive der  St.  Columba-Pfarre  ein  älteres  Schatzverzeichniss  vorzufinden,  das  Kunde 
gäbe  hinsichtlich  jener  reichen  Schätze  an  kostbaren  Gefässen  und  Gewändern, 
die  diese  Kirche  im  Mittelalter  besass,  so  sei  es  uns  gestattet,  an  der  Hand  unsers 
oft  citirten  Gewährsmannes  Gelen  im  Folgenden  darauf  in  Kürze  hinzuweisen,  welche 
hervorragende  Kunst-  und  Prachtstttcke  der  ^ythesaurus  sacer"  der  mehrfach  ge- 
meldeten  Pfarrkirche  ehemals  besass. 

Vor  Allem  zog  im  vormaligen  Schatze  daselbst  das  Augenmerk  auf  sich 
ein  grosses,  in  Silber  kunstreich  verfertigtes  Standbild  der  heil.  Columba;  in  einem 
Monile  auf  der  Brust  desselben  waren  mehrere  Reliquien  dieser  alten  Kirchen- 
patronin Kölns  eingefasst. 

Eine  andere  kunstreich  gearbeitete  Hierothek  von  Silber  enthielt  ebenfalls 
mehrere  Ueberbleibsel  derselben  Jungfrau  und  Martyrin.  In  einem  weiteren  Reli- 
quienschreine von  Silber^  der  mit  einem  Krj^stall  verschlossen  war,  erblickte  man 
Ueberbleibsel  von  der  Domenkrone  Christi.  Femer  erwähnt  der  kölnische  Chronist 
eines  grossen  silbervergoldeten  Reliquienkastens,  der  in  kunstreicher  Ausarbeitung 
eine  namhafte  Zahl  von  werthvollcn  Reliquien  enthielt.  Demselben  Berichterstatter 
zufolge  müssen  noch  mehrere  Reliquiarien  von  werthvollem  Material  und  noch 
werthvolleren  kunstreichen  Ausarbeitungen  dem  ehemaligen  Kirchenschatze  zu 
St.  Columba  zur  Zierde  gereicht  haben.  Das  Alles  ist  zugleich  mit  einer  grossen 
Zahl  von  kostbaren  und  formschönen  liturgischen  Gefässen  und  Gewändern  im 
Strudel  der  Revolution  verschwunden. 


li 


>lii^lin''Pfarrliirr(if  ;»  Dm<; . 


>5 


und  jitai^t  Ifarrlurfb  zu  §tvit 


Kittelalterliohe  Kunstwerke  daselbst 

Seite 

83)  Krumme  eines  AbUstabes,  vergoldetes  Kupfer.     XV.  Jahrh.    Tafel  XXllI.  Fig.  83   .  3 

84)  Ciborinm,  silbenrergoldet  mit  Deckel.     XV.  Jahrh.     Tafel  XXIII.   Fig.  84      .     .     .  5 

85)  Stab  des  h.  Heribert,  Elfenbeinsculptur  mit  vielen  Reliefs.   X.  Jahrb.  Taf.  XXIII.  Fig.  85  8 

86)  Grosser  Reliquienschrein  des  h.  Heribert  mit  vielen  getriebenen  Figuren  und  emaillirten 

Darstellungen.  Tafel  XXIV.   Figur  86 12 

Ehemalige  Kirchenschütze  der  Abtei  zu  Deutz 22 


83. 

Kmmnistab  eines  infnlirten  Abtes, 

Messing  vergoldet  mit  silbernen  Zierrathen. 

Höhe  36  Vi  Centimeter,  Durohmesser  der  Krttmme  19'/»  Centimeter.     Schlues  des  XV.  Jahrhunderts. 

Vorliegende  Krümme  eines  Abbatialstabes  bietet  ein  interessantes  Muster 
zum  Belege  dar,  bis  zu  welcher  Ueberfülle  der  Form  die  Goldschmiedekunst  gegen 
Schlnss  des  Mittelalters  sich  verstiegen  hatte.  Bios  an  dem  untern  Knauf  zeigt 
sich  noch  ein  höheres  architektonisches  Ornament  An  der  daraufsitzenden  Krümme 
dagegen  ist  ein  freies  Laubomament  ohne  allen  architektonischen  Zwang  zur  An- 
wendung gebracht  Der  untere  Stab  besteht  aus  einer  glatten  Bohre  in  ziemlicher 
Höhe,  deren  Monotonie  nur  durch  einige  Knäufe  und  Binge  unterbrochen  wird. 
Da,  wo  die  Bohre  endigt ,  hat  der  Künstler  einen  polygonen  Knauf  gleichsam  als 
Sockel  angebracht,  aus  dessen  Innerm  ein  Ast  mit  Laubwerk  heraufsteigt  und  in 
einer  Bundung  ausmündet  Dieser  Sockel,  consolenartig  gebildet,  zeigt  sechs 
Flächen  von  je  zwei  durchbrochenen  und  mit  Fialen  gekrönten  Widerlagspfeilem 
verziert,  welche  gleichsam  als  Nischen,  die  in  Silber  ciselirten  Statuettchen  der 
Madonna,  der  heil.  Katharina,  des  heil.  Johannes  des  Täufers,  des  heil.  Petrus,  des 
heil.  Johannes  und  der  heil.  Margaretha  aufnehmen.  Ueber  diesen  erhaben 
aufliegenden  Standfigürchen  erhebt  sich  in  Weise  eines  herüberragenden  Baldachins 
je  ein  überhöhter  Spitzbogen  in  Form  eines  Eselsrückens,  welcher  durch  eine 
Kreuzblume  seinen  Abschluss  erhält  Der  Laubstengel,  der  aus  diesem  Untersatz 
organisch  herauswächst,  ist  gleichfalls  im  Sechseck  gebildet  und  zeigt  plattgedrückt 
im  Durchschnitt  die  Form  eines  Bhomboids. 

Die  Ecken,  die  bei  dieser  Form  des  Stengels  auf  der  innem  und  äussern 
Bundung  entstehen,  hat  der  Goldschmied  durch  aufgelöthete  und  aufgenietete  Blatt- 
verzierungen,  kunstreich  omamentirt,  welche  die  Form  von  Krabben  haben,  in 
ähnlicher  Bildung,  wie  die  Spätgothik  ihre  Ziergiebel  durch  aufgelegtes  Blattwerk 
belebte.  Der  Laubschmuck,  welcher  sich  frei  und  hoch  aufliegend  nach  Aussen 
hin  an  der  Bundung  der  Krümmung  entfaltet,  ist  durch  Fallen  vielfach  bechädigt 
und  theilweise  abgesprungen.  Die  Plattheiten  der  Krümme  sind  auf  beiden  Seiten 
auf  den  Ecken  mit  vier  spiralförmig  gewundenen  Gordons  eingefasst.  Zwischen 
diesen  vorstehenden  Trennungsstreifen  schlängelt  sich  ein  ciselirtes  Laubomament 


4  KUN0T8CUATZE  DER  PFABBKIRCHE  ZU  DEUTZ. 

in  Silber,  in  starker,  gehäufter  Verästelung,  das  an  je  fttnf  Stellen  durch  vielfar- 
bige Steine  in  grober  Fassung  unterbrochen  wird,  die  an  diesem  schmalen  Bande 
wie  Blumen  hervorragen.  Die  Krümme  nimmt  eine  regelmässige  Ausrundung,  einen 
Kreis  bildend,  wogegen  jener  sechskantige  Laubstengel  in  einen  Blumenkelch 
ausmündet,  von  reichem  Blätterwerk  umgeben,  aus  welchem  ein  in  Silber  getrie- 
benes sitzendes  Standbildchen  der  Himmelskönigin  mit  dem  göttlichen  Sjiaben 
hervorragt.  Durch  einen  flammenden  Strahlenkranz  getrennt,  erblickt  man  an  der 
entgegengesetzten  Seite  ein  gleich  grosses,  in  Silber  gegossenes  und  ciseUrtes  Stand- 
bild einer  heil.  Martyrin,  die  mit  gekröntem  Haupte,  eine  Märtyrer-  und  Sieges- 
pahne haltend,  den  hintern  Raum  als  Standfigur  völlig  ausftUlt  Die  eine  Hand 
dieser  Heiligen  ist  verloren  gegangen,  dessgleichen  auch  das  entsprechende  Sym- 
bol; es  lässt  sich  daher  nicht  mehr  bestimmen,  welche  Heilige  diese  Figur  dar- 
stellen soll.  Da  am  Sockel  bereits  die  heil.  Katharina  und  die  heil.  Margaretha 
vorkömmt,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  zu  diesem  Gyklus  der  weiblichen  Heiligen 
noch  die  heil.  Agnes  hinzuzufügen  sein  dürfte,  welche  die  altkölnische  Kunst 
stets  mit  Vorliebe  im  Verein  mit  den  eben  bezeichneten  dargestellt  hat 

Wie  aus  der  bereits  früher  angeführten  gelehrten  Abhandlung  unseres  seli- 
gen Freundes,  des  Abbö  Martin  S.  J.,  näher  zu  ersehen  ist,  münden  die  „eumatura" 
vieler  bischöflichen  Krummstäbe  meistens  aus  in  einem  Drachen-  oder  Schlangen- 
kopf und  unterlässt  der  besagte  französische  Archäolog  es  nicht,  die  symboliachen 
Gründe  anzugeben  weswegen  man  bei  den  meisten  Krummstäben  der  romanischen 
und  gothischen  Kunstepoche  dieses  Thieromament  an  der  schneckenfbrmigen 
Krümme  solcher  Hirtenstäbe  anzubringen  beliebte.  In  der  spätem  Qothik  ent- 
wickelte sich  an  dieser  Stelle  statt  des  obengedachten  Thierbildes  häufig  ein 
Pflanzenomament  in  Form  eines  Blumenkelches,  auf  welchem  wie  auf  einem  Piede- 
stal,  das  Standbild  einer  Heiligen,  meistens  der  Mutter  Gottes  „i  deuaf  faces'%  als 
Relief  zum  Vorschein  tritt.  Dieser  Blumenkelch,  als  Basis  benutzt,  aus  welchem 
in  der  Regel  Halbfiguren  sich  erheben,  war  namentlich  in  der  letzten  Hälfte  des 
XV.  Jahrsunderts  in  der  Holzsculptur,  in  der  Miniaturmalerei  und  in  der  Kunst- 
stickerei ein  beliebtes  Motiv,  um  aus  solchen  Blttthen  einen  zusammenhängenden 
Kreis  verschiedener  Heiligen  hervorsprossen  zu  lassen.  So  sieht  man  auch  in 
dieser  Periode  den  Stammbaum  Josse  noch  häufig  auf  diese  Weise  gebildet,  indem 
die  Ahnen  des  Heilandes,  die  Könige  Israels,  aus  pflanzenartig  gebildeten  Blumen- 
kelchen hervorsprossen. 

Was  die  Technik  an  dem  vorliegenden  Abtstabe  betrifft,  so  hat  der  Künstler 
mit  vielem  Schwung  und  mit  grosser  Verständniss  des  Technischen  dem  Roth- 
kupfer die  zierlichsten  Formen  abgezvnmgen,  die  überhaupt  das  schwierige  Mat^al 
nur  immer  zulässt.  Wenn  auch  die  vorhin  beschriebenen  Statuettchen  an  dem 
polygonen  Sockel  nicht  den  Fleiss  eines  geübten  Ciseleurs  bekunden,' so  verräth 
doch  das  fein  ciselirte  sitzende  Bild  der  Madonna  in  der  Krümme  mit  dem  reichen, 
ängstlich  behandelten  Faltenbruch  der  Gewänder  und  die  minutiöse  Ausarbeitung 
der  Incamationstheile ,  dass  die  €k>ldschmiedezunft  bei  Ausgang  des  Mittelalters 
im  alten  Köln  eben  so  reich  in  der  Gomposition,  als  auch  zierlich  und  delikat 


KUN8T8CSATZB  DEE  PFABBKIBCHE  ZU  DEUTZ.  5 

bei  Ausftftrang  der  Details  in  ihren  BilduDgen  zu  Werke  ging,  wie  man  das  ebenfalls 
an  den  noch  erhaltenen  Meisterwerken  der  berühmten  Goldschmiedezttnfte  der  fi'eien 
Reichsstädte  Augsburg  und  Nürnberg  gegen  Schluss  des  Mittelalters  bewundert 
Täuscht  uns  ein  gewisses  Stylgefühl  nicht,  so  möchten  wir  die  Anfertigung  dieses 
Kmmmstabes  in  die  letzten  Jahrzehnte  des  XV.  Jahrhunderts  versetzen.  Ob  in 
früherer  Zeit  der  vorliegende  Stab  im  Gebrauche  der  infulirten  Aebte  der  altbertthmten 
Benedictiner- Abtei  zu  Deutz,  in  deren  Beihe  der  bekannte  Eirchenschriftsteller  und 
Gelehrte  „Rupertus  Tuitiensis"  glänzte,  sich  befunden  habe,  wagen  wir  nicht  zu 
behaupten,  indem  uns  kein  mittelalterliches  Inventar  der  Schätze  der  Abtei  Deutz 
bekannt  geworden  ist,  worin  die  vorliegende  fpcurvatura**  erwähnt  wird.  Da 
derselbe  sich  jedoch  in  der  Sacristei  der  ehemaligen  Abteikirche  heute  noch  vor- 
findet, und  di^  Tradition  ihn  auch  als  Stab  der  Aebte  von  Deutz  bezeichnet,  so 
steht  nichts  im  Wege  anzunehmen,  dass  vorliegendes  einfache  „pedum**  zum  ge- 
wöhnlichen Gebrauche  der  Aebte  der  ehemaligen  Benedictiner -Abtei  Deutz  gedient 
habe.  Möglich  aber  nicht  wahrscheinlich  ist  es,  dass  dieser  bischöfliche  Stab 
bei  der  grossen  französischen  Staatsumwälzung  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
von  Emigranten  über  den  Rhein  gebracht  imd  hier  der  Earche  zu  Deutz  anheim- 
gefallen ist,  wie  dies  von  einem  Reliquienkäst^hen  in  Email  von  Limoges  (XII. 
Jahrhundert)  nachgewiesen  werden  kann,  das  früher  in i  der  Sacristei  der  heu- 
ligen Pfarrkirche  zu  Deutz  sich  vorfand  und  heute  in  die  reichhaltige  Sammlung 
mittelalterlicher  Kunstwerke  Sr.  Hoheit  des  Fürsten  Carl  Anton  von  Hohenzollem- 
Sigmaringen  als  Ehrengeschenk  übertragen  worden  ist 


84. 

Trinkschale  des  h.  Heribert^ 

in  Form  eines  Ciboriums,  in  Silber  mit  vergoldeten 

Ornamenten  eingefasst. 

Höhe  36  Centimeter,  Durchmesser  der  Trinkschale.  14  Centimeter.    X.  u.  XV.  Jahrhundert. 

Dieses  interessante  Gefäss  besteht  seiner  Form  wie  seinem  (xchalte  nach 
aus  zwei  der  Zeit  und  dem  Stoife  nach  sehr  verschiedenen  Theilen.  Das  jetzige 
Geftss  in  den  bereits  ausartenden  Formen  der  Spätgothik,  dient  nämlich  dazu, 
in  der  tiefen  Aushöhlung  der  Kuppe  und  des  Deckels,  die  altehrwürdige  Trink- 
schale, deren  sich,  der  üeberlieferung  nach,  der  heil.  Heribert,  Erzbischof 
von  Köln,  bedient  haben  soll,  zu  bergen.  Diese  Trinkschale  ist,  wie  es  uns 
scheinen  will,  aus  Buchsbaum  angefertigt  und  mit  dem  Ansatz  eines  kleinen  Fusses, 
aus  einem  Stück  gedreht.    Dieselbe  ist  heute  stark  vom  Wurm  beschädig  und 


6  SUKSTBCHATZE  DEB  PFABSKIfiCHB  ZU  DEUTZ. 

macht  ihr  vermoderter  Zustand  den  Eindruck,  als  ob  sie  in  dem  Grabe  des  L  Erz- 
bischotes  längere  Zeit  geruht  habe  und  erst  später  aus  demselben  erhoben  worden 
sei.  Dieses  einfache  Behälter  in  Holz  zeigt  sich,  sobald  man  die  heutige  Trinkschale 
in  Silber  herausnimmt;  diese  letztere  ist  von  eigenthttmlicherBesehaflfmihdt  und  hat 
es  den  Anschein,  als  ob  dieselbe,  der  beweglichen  silbernen  Koppe  zufolge,  früher  eine 
andere  Aufbewahrung  und  Einfassung  gehabt  habe,  zu  welcher  diese  Kuppe  als  inte- 
grirender  Theil  gehört  habe.  Dieselbe  ist  nämlich  in  ihrer  Ausbaudiung  glatt  gehalten. 
Auf  dem  Boden  derselben  sieht  man  au%elöthet  eine  runde  Silber  vergoldete  Platte, 
die  eine  merkwürdige  Darstellung  enthält  In  getriebener  Arbeit  sieht  man  hier  im 
Brustbilde  eine  bischöfliche  Figur,  bekleidet  mit  der  Inful,  der  Casul  und  dem  Pal- 
lium, wie  sie  ein  von  einer  andern  Halbfigur  dargereichtes  ziemlich  geräumiges 
Trinkgefäss  mit  einem  breiten  Fusse  und  Deckel  in  Empfang  nimpat  Es  sdieint 
uns  keinem  Zweifel  zu  unterliegen,  dass  die  Ueberreichung  dieses  Trinkgeftsses 
einen  geschichtlichen  Grund  habe,  und  wäre  es  interessant  nachzuforschen,  inwie- 
fern die  in  diesem  ciborienartigen  Oefässe  eingeschlossene  Trinkschale  des  heil. 
Heribert  mit  der  ebenangedeuteten  Scene  in  Verbindung  stehe.  Es  will  uns 
scheioen,  als  ob  in  dem  Ueberreicher  eine  Kaiserfigur  zu  erkennen  sei,  angethan 
mit  dem  Kaisermantel,  der  Kroile  und  in  der  Hand  den  Scepter  haltend.    Den 

• 

Empfänger  dttrfte  man  alsdann  als  den  h.  Erzbischof  Heribert  selbst  bezeichnen,  da  er 
auch  mit  dem  erKbischöflichen  Pallium  bekleidet  ist  und  den  aus^^&rts  gewandten 
bischöflichen  Krummstab  trägt  Auffallend  ist  es,  dass  wir  bei  Gelegenheit  einer 
neulichen  sorgfältigen  Besichtigung  des  reichhaltigen  Hildesheimer  Domschatzes 
ein  ähnliches  schalenförmiges  Trinkgefäss  des  heil.  Bemward,  bekanntlich  eines 
Zeitgenossen  des  heil.  Heriberts,  vorfanden.  Dasselbe  besteht  im  Aeussem  aus 
zwei  schliessbaren  Hälften  einer  Kokusnuss  (?)  und  wird  von  reichen  EinfSeissungs- 
streifen  im  romanischen  Style  gamirt.  Im  Innern  ist  diese  Trinkschale  zu  Hildes- 
heim ebenfalls  mit  vergoldetem  Silberblech  ausgefüttert  und  zeigt  vollkommen 
Übereinstimmend  mit  dem  Trinkbecher  des  h.  Heribert  in  der  Tiefe  ein  getriebenes 
Relief,  darstellend  in  Halbfigur  die  bekannte  »majestas  Dommi"  nämlich  den  Erlöser 
in  seiner  Herrlichkeit  Bei  Besichtigung  dieser  reichverzierten  und  wohlerhaltenen 
Trinkschale  des  grossen  Bischofs  Bemward  zu  Hildesheim  hat  es  uns  im  Hinblick 
auf  das  ähnliche  Gefäss  des  heil.  Heribert  zu  Deutz  scheinen  wollen,  als  ob  im 
Mittelalter  die  Bischöfe  im  Privalgebrauche,  sowie  auch  auf  grossem  Beisen  sich 
solcher  Trinkgefässe  häufiger  bedient  hätten. 

Was  die  Composition  und  Draperie  der  Gewänder  betrifit,  so  scheint  uns 
diese  getriebene  figurale  Darstellung,  in  ziemlich  roher  Arbeit,  dem  XL  Jidir- 
hundert  anzugehören.  Offenbar  ist  es ,  dass  dieses  auf  dem  Fusse  aufgelötfaete 
getriebene  Bildwerk  ehemals  eine  andere  Bestimmung  hatte,  und  später,  ziem- 
lich ungeschickt,  hier  angebracht  worden  ist 

Besondere  Aufmerksamkeit  verdient  der  äusserst  kunstreich  gearbeitete 
Rand,  eine  geniale  Verbindung  von  romanischem  Laubwerk,  an  welchem  jene 
Perliänder  und  Fruchtbildungen  von  Erdbeeren  hervortreten,  die  den  reichsten  Ge- 
staltungen des  spätromanischen  Styles,  in  dem  ersten  Viertel  des  XIH.  Jahrhunderts 


KÜN8TS(3üiTZE  DER  PPABBKIBCHS  ZU  DEDTZ.  7 

von  der  Archäologie  heute  allgemem  Tindicirt  werden.  Diese  technisch  äusserst 
gelungen  ausgefilhrten  Ornamente  der  spätem  Romantik  verratben  einen  fein  ge- 
bildeten Geschmack,  und  den  gettbten  Stichel  eines  Meisters,  wie  er  uns  an  den 
Detailformen  des  Dreikönigenschreins  entgegentritt.  Die  Kuppe  mit  diesem  Rande 
schiebt  sich  ein  in  eine  etwas  umfiingreichere  Trinkschale,  im  Halbkreise  ausge- 
rundet,  welche  dazu  dient,  die  Trinkschale  des  h.  Heribert  von  Buxus  in  ihrer  Höhlung 
airfzuaehmen.  Durch  das  Einschieben  der  ebengedachten  Kuppe  in  das  gothische 
Gtofäss,  wird  natürlich  dk  eben  erwähnte  Reliquie  unsichtbar  gemacht,  und  yer- 
deckt.  Um  jedoch  das  im  Innern  aufbewahrte  Trinkgefäss  als  Reliquie  zu  Tage 
treten  zu  lassen,  hat  der  Goldschmied  des  XV.  Jahrhunderts  die  äussere  silberne 
Tmkschale  an  vier  Seiten  kreisförmig  durchbrochen.  Diese  architektonisch  ä  jour 
geformten  Durchbrtiche  sind  heute  mit  einer  rothen  ungemusterten  Taffetseide 
hinterlegt  Die  silbemvergoldete  Einlassungss^^ale  ruht  auf  einer  runden  Console, 
welche  nach  untenhin  mit  einem  Kamm  in  gothischem  Laubwerke  umflochten  ist 
Aus  dieser  freistehenden  Guirlande  ragt  nach  untenhin,  zu  einem  breiten  Fusse 
blattweise  sich  entfaltend,  ein  Laubstengel  hervor,  der  aus  dreieckigen  Rippen 
von  acht  verschiedenen  Blattnerven  kunstreich  zusammengesetzt  ist,  und  zwar 
entwickeln  sich  an  diesem  Ständer  sechs  Blattstiele  in  Silber  nach  untenhin  zu 
einem  breiten  Rosenblatte  mit  aufgesetzter,  ausgeschweifter  und  Überhöhter  Spitze. 
Die  vier  andern  Blattstiele  jedoch,  die  nach  oben  kantig  hervortreten,  und  zusam- 
men verbunden,  den  Ständer  des  Gefässes  bilden,  sind  vergoldet,  mit  einer  kleinen 
Gravirung  belebt  und  formiren  auf  dem  Fusstheile  ein  längliches  oben  ausgerun- 
detes Blättchen,  wodurch  die  vier  Rosenblätter  auf  eine  zierliche  Weise  getrennt 
werden  und  so  eine  gefällige  Vielgestaltigkeit  des  Pedalstttckes  erzielt  wird. 
Auch  der  ziemlich  breite  Rand  des  Gefässes  entbehrt  des  Ornamentes  nicht,  und 
zeigt  sich  hier  in  kleinen  Quadraturen  das  bekannte  gothische  Nasenwerk.  Unter 
diesem  Rande  befindet  sich  ein  zweiter  silbervergoldeter  Rand,  der  ziemlich  breit 
fmd  glatt  gehdten  ist  Besonders  reich,  in  den  Fonnen  der  Spätgothik  gestaltet, 
ist  der  obere  Deckelverschluss  des  GefUsses,  das  in  Weise  einer  Halbkugel  for- 
mirt  ist  Der  äussere  Rand  im  Durchmesser  von  15  Centimeter  findet  nach  oben- 
hin einen  reichen  Abschluss  durch  ein  ä  jour  gehaltenes,  gothisches  Blattwerk, 
welches  bereits  die  Formen  der  ausartenden  Gothik  deutlich  erkennen  lässt.  Von 
diesem  bekrönenden  Laubgesims  aus  eAeben  sich  vier  onamentirte  Streifen, 
deren  Flächen  in  der  Mitte  mit  einzelnen  Perlen  besetzt  ist.  Auf  diesen  vier 
Bändern  eiMickt  man  als  Abschluss  und  Bekrönung  des  Deckels  vier  Rundthttnn- 
ehen  mit  einer  BekWhiung  von  Zinnen  und  spitz  ausmündender  Bedachung,  die 
nacii  vier  Seiten  hin,  ein  Redestal  flankiren,  das  kreisförmig  angelegt  ist,  und  auf 
i^einer  obem  platten  Fftefae  ciselirte  ©tatuettchen  verschiedener  Heiligen  zur  Ansicht 
treten  ISsst.  Das  eine  stellt  die  Madonna  mit  dem  Kinde  vor,  die  beiden  andern 
fieheisen  den  h.  Erzbischof  Heribert  von  Köln  und  den  Kaiser  Heinrich  den  Hei- 
^gem  bfidlieh  darstellen  zu  wollen.  Das  vierte  Standbildchen  fehlt  heute.  Es 
UnlerKegt  keinem  Zweifel ,  dass  das  vorliegende  Gefäss  nicht  als  Ciborium  ange- 
fBrtigt  worden  ist,  sondern  als  Geftss  zur  Aufnahme  und  Aufbewahrung  jener 


8  KX7N8T8CHÄTZE  DBB  PFARBKIRGHE  £U  DBOIE. 

oben  erwähnten  TrinkBchale  von  Holz,  dessen  sich  der  heil.  Heribert  wahrseheio- 
lieh  auf  seinen  Reisen  nach  Italien,  als  Freund  und  Bathgeber  Otto  ÜI,  bedient 
haben  mag.  Die  Hauptbestandtheile  des  jetsdgen  Trinkgefässes  in  Form  eines 
CiboriumSy  wie  sie  eben  beschrieben  worden  sind,  rühren  offenbar  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  XY.  Jahrhunderts  her,  wo  die  kölnischen  GoldschmiedemeiBter  ihre 
Formen  schon  freier  in  oramentalem  Style  zu  bilden  begannen,  und  sieh  von  einem 
architektonischen  Zwange  nicht  mehr  so  sehr  beherrschen  Hessen.  Die  ganze  An- 
lage des  Fusses  sowie  des  Deckels  in  seinem  eigenthflmlichen  breit  gezogenen 
Blätterschmuck  eri^nert  an  die  ähnlichen  Formgebungen  der  berühmten  AugBr 
burger  Goldschmiedezunft,  zu  Ende  des  XY.  Jahrhunderts.  Bemerkenswerfli  ist 
es,  dass  an  dem  vorliegenden  Gefässe,  sowie  an  den  meisten  kirchlichen  Geififli- 
schaften  aus  der  Mitte  des  XY.  Jahrhunderts,  sämmtliehe  Flächen  in  Silber  ange- 
fertigt sind,  wohingegen  alle  oniamentale  Ansätze  und  Yemerungen  immer  ver- 
goldet worden  sind. 


85. 

BisehSflieher  Hirfteflstab. 

Die  obere  Ausbiegung  in  Elfenbein.     Der  Tradition  nach  herfahrend  rom 

heiligen  Heribert^  Erzbischof  zu  Köln. 

GhrttBite  Länge  135  Centimeter,  grOsste  Ausdehnimg  der  obem  Krttmine  14'/t  GentimetBr. 

X.  Jahrhundert 

Unter  den  bischöflichen  Krummsläben,  die  sich  heute  noch  in  Europa  er- 
halten haben,  ninmit  unstreitig  das  YorHegende  altehrwttrdige  bischtffliche  npedum 
posturale"  eine  der  heryorragendsten  Stellen  ein,  nicht  nur  hindchilich  seiner 
frühmittelalterlichen  Form,  sondern  auch  in  Bttcksicht  auf  seine  merkwürdige 
höchst  originelle  technische  Beschaffenheit  Die  ganze  äussere  Fonn  und  Be- 
schaffenheit desselben  erinnert  deutlich  an  die  früh  christlicbe  Form  der  bischjtf- 
liehen  Hirtenstäbe,  die  heute  noch  vielfach  in  der  griechischen  Kirche  eine  dof^te 
Krümmung  nach  beiden  Seiten  erkennen  lassen,  und  im  Aeusseni  der  Geatalt 
eines  griechischen  T  nicht  unähnlich  sehen.  Die  trefSiche  Abhandlung  des  ver- 
storbenen  Abbö  Martin  in  seinen  ^Melanges  ^archiologie**  verbreitet  sieh  weitläiifg 
über  die  geschichtliche  Entwickelung  und  Ctestalt  dieser  altem  Bischoftatäbe. 
Auch  werden  in  den  vielen  Zeichnungeh  mehrere  Krümmen  in  Elfenbein  in  Abbtt* 
düngen  nachgewiesen,  die  mit  der  vorliegenden  Elfenbein -Seulptor  Aehnliohkeit 
haben.  Um  nicht  bereits  Ctesagtes  zu  wiederholen,  verweisen  wir  hier  im  Y<M:tiber- 
gehen  auf  die  gediegene  Auseinandersetzung  des  gelehrten  französiBehenAreUlologeB» 

Der  eigentliche  Stab  in  einer  LAnge  von  130  Centimeter  hat  die  Anadeh* 
nung,  Farbe  und  Beschaffenheit  anscheinend  eines  Bohres;  bei  näherer  Uateimwkwg 


KUNSTSCHÄTZE   DER  PFARRKIRCHE  ZU  DEUTZ.  9 

Hessen  sich  aber  deutlich  Holzmasern  erkennen.  Wir  sind  nicht  in  der  Lage  genauer 
angeben  zu  können ,  aus  welcher  Holzart  der  vorliegende  Stab  angefcniagt  worden 
ist  Wie  es  uns  scheinen  will,  ist  derselbe  als  primitiv  zu  der  obem  Krümme 
gehörend  zu  betrachten.  Derselbe  ist  glatt  gehalten  und  unten  mit  einer  Bttchse 
als  Schluss  versehen.  In  seiner  obem  Ausmttndung  ist  dieser  Stab  von  einem 
silbernen  Abschlüsse  umgeben,  der  in  seiner  grössten  Länge  von  VJa  Centimeter 
nach  unten  hin  vier  im  Dreieck  ausgezackte  Spitzen  zeigt,  in  denen  sich  heute 
noch  in  scharfen  Oravirungen  niellirte  Darstellungen  deutlich  erkennen  lassen. 
Zwei  dieser  Ecken  des  Beschlages  sind  ausgefttllt  mit  dem  Bilde  der  drei  Frauen 
am  Grabe,  denen  der  Engel  verkündet:  „resurrexü  et  tum  est  hie**.  An  der  an- 
dern Seite,  dieser  Auferstehungsscene  gegenüber,  hat  der  Künstler  den  Moment 
des  Herabsteigens  in  die  Unterwelt,  in  welcher  der  Herr  den  Seelen  der  Gerechten, 
der  Schrift  zufolge,  den  Absdiluss  des  Erlösungswerkes  ankündigt  und  die  Thore 
des  verschlossenen  Paradieses  öffnet,  angebracht.  Auf  dem  nur  wenig  vorspringen- 
den silbernen  Bande,  der  den  obem  Stab  kreislörmig  abschliesst,  liest  man  in 
trtthromanischer  Majuskelschrift  folgendes  Legendarium:  „+  Betiquiae  Sanetae 
Marie  et  sancti  Ckrixtophori^*.  Aus  dieser  eingravirten  Inschrift  lässt  sich  al^o 
deutlich  entnehmen,  dass  im  Innem  des  bischöflichen  Stabes,  dem  Gebrauche 
der  Zdt  gemäss,  Reliquien  verschlossen  waren.  Wahrscheinlich  befanden  die- 
selben sich  entweder  unter  dem  sUberoen  Beschläge  oder  in  der  innem  Höhlung 
der  obem  Krümme  von  Elfenbein,  zu  deren  Beschreibung  wir  jetzt  übergehen 
wollen.  Dieser  obere  elfenbeineme  Aufsatz  des  Hirtenstabes  besteht,  ähnlich 
einem  Antoniuskreuze,  als  Nachbildung  des  griechischen  Buchstabens  T  aus  einem 
verlängerten  Langbalken  und  einem  horizontal  darüber  gelegten  Kreuzbalken  ohne 
Kopfstück.  Diese  sculptirte  Arbeit  in  Elfenbein  zeigt  in  ihrer  Gomposition  und 
auch  in  ihrer  technischen  Durchführung  Spuren  eines  hohen  Alters,  wie  sie 
den  Elfenbeinschnitzarbeiten  aus  der  byzantinischen  Epoche  vor  dem  X.  Jahrb. 
eigenthümlich  sind.  Die  bildlichen  Darstellungen ,  welche  sich  auf  beiden  Seiten 
der  Krümme  dieses  Stabes  befinden,  der  in  seiner  Form  einem  Krückenstock 
nicht  unähnlich  sieht,  sind  füglich  im  Zusammenhange  au&ufassen  mit  den 
figtlrlichen  Bildwerken,  die  auf  der  silbemen  Einfassung  des  Stabes  niellirt, 
eben  angeführt  worden  sind.  Man  erblickt  nämlich  auf  der  einen  Seite  als 
Basrelief  dargestellt  in  alter  byzantinischer  Auflassungsweise  die  Kreuzigung  des 
Heilandes.  An  den  beiden  Querbalken  befinden  sich  rechts  und  links  Abbildungen 
der  beiden  Hauptgestime,  Sonne  und  Mond,  die  beim  Hinscheiden  des  Herrn  der 
Schöpfung  ihren  Schein  verloren.  Diese  Darstellung  der  Hauptgestirae  des  Him- 
mels, die  als  y,plangentes"  als  allegorische  Figuren  dargestellt,  ihr  Gesicht  ver- 
hüllen, fehlt  bekanntlich  niemals  bei  analogen  byzantinischen  Sculpturen,  welche  die 
Kreuzigung  darstellen.  An  dem  Langbalken  des  Kreuzes  zu  beiden  Seiten  des 
Gekreuzigten  hat  der  Künstler  die  beiden  Figuren  der  Passionsgmppe,  Johannes 
und  Maria  in  Halbfiguren  anzubringen  gewussl  Auf  der  Kehrseite  des  Stabes  hat 
der  Sculpteur  eine  zweite  Scene  zur  Anschauung  gebracht,  welche  bei  mittelalter- 
lichen kirchlichen  Bildwerken  sehr  häufig  wiederkehrt,  nämlich  das:  „ef  iterum 

2 


10  KUN8TSCHÄTZE  DER  PPASRKIRCHE  ZU  DEUTZ. 

vefiturus  est  cum  gloria**.  Man  erblickt  nämlich  hier  ebenfalls  in  halb  erhabener 
Arbeit  den  Heiland  sitzend  auf  dem  Regenbogen,  wie  er  zum  zweiten  Male  ab 
Richter  wiederkehrt,  umgeben  von  Engeln.  Diese  Darstellung,  von  altem  Schrift* 
steilem,  wie  früher  schon  bemerkt,  ^^majesioM  Damim**  genannt,  hat  leider  durch 
den  Zahn  der  Zeiten  so  sehr  gelitten,  dass  von  der  Figur  des  Heilandes  nur 
noch  dunkel  die  Umrisse  ersichtlich  sind.  Auf  dem  obera  Flachtheile  dieses 
bischöflichen  Pedums  zeigt  sich  abermal  euae  merkwürdige  Sculptur,  die  sich 
auch  an  dem  sogenannten  Lotharkreuze  in  Aachen,  desgleichen  an  älteren  byzan- 
tinischen Bildwerken  häufiger  vorfindet.  Aus  Wolken  heraus  ragt  nämlich,  von  einem 
gekreuzten  Nimbus  umgeben,  hervor  die  Hand  Gottes  unmittelbar  über  dem  Haupte 
des  Gekreuzigten;  eine  ältere  griechische  Darstellungsweise.  Diese  segnende 
Rechte  galt  schon  im  Frtthmittelalter  als  Symbol  fttr  die  erste  Person  der  Gottheit, 
den  Vater.  Dieselbe  weist  hin  auf  den  Sohn  mit  Bezugnahme  auf  den  Spmoh: 
„Ate  est  filius  mens  dilectus,  in  quo  mihi  eomplacui^*.  Die  beiden  Rundungen 
des  Stabes  auf  beiden  Seiten  lassen  auf  jeder  Seite  deutlich  den  geöffiaeten  Rachen 
eines  schön  stylisirten  Löwenkopfes  erkennen,  der  zweifelsohne  an  dieser  Stelle, 
unserem  Erachten  nach,  einer  symbolischen  Deutung  fähig  und  in  Beziehung  zu 
setzen  ist  mit  dem  königlichen  Löwen  vom  Stamme  Juda,  dessen  Sieg  Aber  Tod 
und  Hölle  durch  die  dabei  befindliche  Kreuzigung  angedeutet  ist  Die  Löwen- 
köpfe treten  zierlich  auf  beiden  Seiten  aus  einer  Laubeinfassung  hervor,  deren 
Blätterwerk  in  ihrer  Formation  deutlich  an  das  griechische  Acanthusblatt  erinnert 
Die  Mähnen  des  Löwenkopfes  selbst  sind  als  Planzenomamente  stylistiseh 
reich  behandelt  und  zeigen  jene  eigenthttmlichen  charakteristischen  Bandver- 
schlingungen,  wie  man  sie  in  Miniaturwerken  der  spätkarolingischen  Kunstepoche 
sehr  häufig  anzutreffen  gewohnt  ist  Leider  hat  durch  eine  starke  Friction  während 
so  vieler  Jahrhunderte  die  Elfenbein -Sculptur  dieses  Stabes  bedeutend  gelitten, 
so  dass  viele  dieser  originellen  Ornamente  undeutlich  geworden  sind.  In  Folge 
eines  Falles  in  früherer  Zeit  ist  es  denn  auch  gekommen,  dass  heute  leider  der 
eine  Löwenkopf  abgebrochen  ist  und  deswegen  mit  der  Doppelkrttmme  mittels 
eines  silbernen  Umfassungsringes  in  loser  Verbindung  steht  Auch  scheint  nach 
untenhin  der  merkwürdige  Stab  ziendich  verkürzt  worden  zu  sein,  so  dass  man 
sich  heute  wohl  schwerlich  noch  eine  richtige  Vorstellung  von  dem  ehemaligen 
umfange  der  Elfenbeinsculptur  machen  kann.  Das  aber  dürfte  jedenfalls  fest- 
stehen, dass  die  Füsse  des  Grckreuzigten  mit  dem  s»fuppedaneum'%  so  wie  die 
beiden  Nebenfiguren  Johannes  und  Maria,  die  heute  nur  zur  Hälfte  ersichtlich 
sind,  ehemals  in  ihrer  Ganzheit  unverletzt  zu  Tage  traten.  Noch  erübrigt  es,  ein 
Näheres  hinsichtlich  der  Zeit  und  des  Landes  anzugeben,  dem  vorstehende 
seltene  Sculptur  ihre  Entstehung  zu  verdanken  habe.  Aus  allen  Details  seheint 
es  als  ziemlich  begründet  hervorzugehen,  dass  das  vorliegende  eigenthümliche 
Sculpturwerk  aus  der  Zeit  des  heil.  Heribert  herrühre.  Dafhr  legt  auch  noch 
ausser  den  vorhin  angeführten  charakteristischen  Einzelnheiten  die  Form  der 
Buchstaben,  um  den  untem  silbernen  Rand,  deutlich  Zeugniss  ab.  Dieselben  sind 
nämlich  nicht  in  der  ausgeprägten  leicht  kenntlichen  Formation  der  spätromanischen 


KUNSTSCHÄTZE  DER  PFAKBEIBCHE  ZU  DEUTZ.  tl 

Kunstepoche  gehalten,  sondern  sie  zeigen  noch  den  Charakter  und  Typus  der 
spätrömischen  Uncialbuchstaben,  die  bis  in  die  Spätzeit  der  Karolinger,  vom  clas- 
sisehen  Born  ausgehend,  sich  traditionell  erhalten  hatten.  Was  das  Land  anbelangt, 
dem  dieses  Basrelief  in  Elfenbein  seine  Entstehung  zu  verdanken  hat,  so  därfte 
es  wohl  nicht  als  eine  zu  ktthne  Hypothese  angesehen  werden,  wenn  man  annähme, 
dass  St  Heribert,  der  traute  Freund  und  Rathgeber  Otto's  HI.,  des  Sohnes  der 
Theophania,  diesen  Stab  aus  dem  Lande  der  griechisch -traditionellen  Elfenbein- 
sculptur,  aus  Italien,  dem  Grossgriechenland  des  Byzantiners,  nüt  heimgebracht 
habe.  Bekanntlich  führte  der  treue  Heribert  die  Leiche  des  fllr  das  Beich  zu  früh 
verstorbenen  Freundes  mit  sammt  den  Beichskleinodien,  welche  der  sterbende 
Otto  seiner  Obhut  llbergeben  hatte,  aus  Italien  mit  ttber  die  Berge  in  die  deutsche 
Heimath  und  begrub  sie  an  der  Seite  des  grossen  Kaiserhelden  Karl  in  der 
P&lzkapelle  zu  Aachen. 

Ebenfalls  dürfte  eine  andere  Annahme  berechtigt  erscheinen,  dass  nämlich 
der  heil.  Heribert  dieses  fremdartige  im  Occidente  seltener  vorkommende  Kunst- 
werk von  der  Mutter  Otto's  HI.,  der  kunstliebenden  griechischen  Slaisertochter 
Theophania,  zum  Geschenke  erhielt,  die  dasselbe  durch  griechische  Beinschnitzer 
habe  anfertigen  lassen.  Dagegen  dürfte  einer  dritten  Hypothese  weniger  Gewicht 
beizulegen  sein,  die  dahin  ginge,  die  in  Bede  stehende  „curvatura*'  könne  vielleicht 
als  Meisterwerk  der  Sculptur  in  Elfenbein  betrachtet  werden,  das  aus  der  Schule 
der  kunstgeUbten  Beinschnitzer  herrühre,  die  der  grosse  Bischof  Bemward  von 
Hildesheim  um  sich  versammelt  hatte.  Dass  ausser  heute  noch  in  Hildesheim 
erhaltenen  Kunstwerken  in  edlen  Metallen  auch  Sculpturen  in  Elfenbein 
in  den  durch  den  heU.  Bemward  in  Hildesheim  gegründeten  Kunstwerk- 
stätten angefertigt  wurden,  lässt  sich  unter  Anderm  folgern  aus  dem  Vorfinden 
eines  äusserst  reich  in  Elfenbein  geschnitzten  Weihkesselchens  t^vas  lustrale^^  das 
kürzlich  erst  bekannt  geworden  ist  und  der  Inschrift  zufolge  dem  Kaiser  Otto  HI. 
durch  seinen  Erzieher,  den  Bischof  Bernward,  als  Geschenk  überwiesen  wurde. 

In  den  oben  erwähnten  Melange*  et^Arehiologie  ^  Tom.  IV.  pag.  175 — 256, 
werden  in  Abbildung  und  Beschreibung  eine  grössere  Zahl  älterer  bischöflicher  Stäbe 
mitgetheilt,  unter  andern  auch  solche,  die  nach  beiden  Seiten  eine  Krümme  zeigen, 
wie  der  vorliegende  y^scipio  St.  Heriberti^*,  Eine  solche  der  vorliegenden  sehr 
ähnliche  ^jcurvatura"*  fanden  wir  ebenfalls  in  Elfenbein  geschnitzt,  aus  dem  XI.  Jahr- 
hundert herrührend,  in  dem  städtischen  Museum  zu  Ronen,  und  existiren  auch  von 
derselben  Abgüsse  in  Gyps,  wovon  wir  einen  besitzen. 


12  KÜVSTSCHATZE  DER  PFARBKIBCHE  ZU  DEUTZ. 


86. 

Reliqnienschrein  des  heiligen  Heribertns^ 

mit  reichen  getriebeneu  und  emaillirten  Arbeiten. 

Lunge  154  Centim.,   Höhe  63  Centim.  5  Millimet.,  Breite  42  Oentim.  5  Millinieter.    XII.  Jthiliaiidert 

6ro88  ist  die  Zahl  jener  älteren  christlichen  Mausoleen,  die  aus  der  Glanz- 
periode der  kirchlichen  Goldschmiedekunsty  dem  Xu.  Jahrhundert  in  der  Erzdiöcese 
Küln  sich  bis  zur  Stunde  noch  erbalten  haben.  Diese  umfangreichen  Reliquien- 
Schreine  zeichnen  sich  meistens  durch  einen  Reichthum  von  getriebenen  Arbeiten 
und  Reliefdarstellungen  aus.  An  vielen  derselben  treten  auch  zur  weiteren  Aus- 
schmückung emaillirte  Arbeiten  zu  Tage,  wodurch  diesen  kostbaren  Schreinwerken 
ein  leuchtender  Farbenreichthum  verlieben  wird.  Einzig  aber  in  seiner  Art  und 
ohne  Parallele  unter  den  ttbrigen  grösseren  Reliquienschreinen  der  Erzdiöcese 
Köln  steht  jenes  unvergleichliche  Schreinwerk  da,  das  heute  noch,  an  primitiver 
Stelle  befindlich,  die  sterblichen  Ueberreste  eines  der  ausgezeichnetsten  Köhier  Era- 
bischöfe,  des  h.  Heribert ,  des  Freundes  und  Rathgebers  Otto's  in.,  birgt  Dieser 
kostbare  Schrein  verdient  von  Seiten  der  christlichen  Kunstarchäologie  deswegen 
eine  besondere  Beachtung,  weil  derselbe  mit  grossartigen  und  technisch  ge- 
lungenen emaillirten  Darstellungen  aufs  Reichste  ausgestattet  ist,  wodurch  die 
Schmelz-  und  Emailkttnste  des  XII.  Jahrhunderts  auf  der  Höhe  ihrer  ästhetischen 
und  technischen  Entwickelung  gekennzeichnet  werden.  Hin^chtlich  der  Vorzttg- 
lichkeit  dieser  vielen  emaillirten  Arbeiten,  wodurch  die  Flächen  des  St  Heriberts- 
kastens gehoben  und  belebt  werden,  tragen  wir  kein  Bedenken  hier  die  Behaup- 
tung aufzustellen,  dass  von  allen  Schmelzwerken  der  romanischen  Kunstepoche, 
die  sich  dieseits  der  Alpen  aus  dem  Strudel  der  Revolutionen  gerettet  haben,  die 
emaillirten  Platten  am  St  Heribertsschreine  zu  Deutz  unmittelbar  die  nächste 
Stelle  einnehmen  nach  den  unvergleichlichen  Schmelz-  und  Kielloarbeiten,  die  den 
sogenannten  Verduner  Altar  zu  Klostemeuburg  bei  Wien,  als  das  grossartigste 
und  bedeutendste  MeiBterwerk  der  Emailleurs  aus  dem  Schlüsse  des  XH.  Jahr- 
hunderts, zieren.  Nicht  allein  die  vielen  figürlichen  Emails,  sondern  auch 
die  meisterhaften  und  zahlreich  getriebenen  Arbeiten,  die  die  Flächen  des  Reli- 
quienschreines zu  Deutz  bedecken,  würden,  fUr  sich  allein  schon  betrachtet,  der 
Ruhestätte  des  h.  Heribert  einen  bedeutenden  Vorrang  unter  den  Monumenten 
der  religiösen  Goldschmiedekuust  des  Mittelalters  sicliem.  Es  zeigen  nämlich  die 
vielen  mit  grosser  technischer  Fertigkeit  getriebenen  omamentalen  und  figuralen 
Bildungen,  dass  die  Goldschmiede  des  alten  Kölns  in  jenen  Tagen,  als  die  Fabrik 
und  die  kalte  Maschine  das  Pressen,  Prägen  und  Stampfen  noch  nicbt  der  freien 
Handarbeit  als  Rivalin  entgegengefahrt  hatte,  das  ^^opus  productile"  mit  einer 
grossen  Leichtigkeit  und  Sicherheit  zu  handhaben  wussten,  wie  sie  heute  nur  noch 
wenigen  Kleistern  im  Fache  des  Treibens  zu  eigen  sein  durfte. 


KUKSTSCHÄTZE  DER  PFARRKIRCHE  ZU  DEUTZ.  13 

Nach  diesen  allgemeinen  Voraussendongen  über  den  hohen  aiÜBtischen  und 
technischen  Werth  des  gedachten  Eeliquienschreines,  sei  im  Vorbeigehen  be- 
merkty  dass  die  äussere  Foim  und  Grösse  desselben  sich  wesentlich  von  den 
übrigen  ähnlichen  Schreinen  unterscheidet,  die  in  k(5lnischen  Kirchen  noch  mehr- 
fach angetroffen  werden.  Es  stellt  nämlich  der  vorliegende  Beliquienschrein  in 
seinem  kunstreichen  architektonisch  gegliederten  Aufbaue  das  Langhaus  einer 
Basilika  vor,  die  ohne  Kreuzanlage  an  den  beiden  schmälern  Kopftheilen  flach 
gegliedert  abschliesst.  Die  beiden  Langseiten  sind  abwechselnd  mit  getriebenen 
Bildwerken  der  Apostel  und  abwechselnd  mit  den  emaillirten  Darstellungen  der 
Propheten  geziert  Die  Flächen  der  schräg  ansteigenden  Bedachung  zeigen  im 
reichsten  Farbenschmuck  in  Jossen  Medaillons  emaillirte  Bildwerke,  vorstellend 
einzelne  Begebenheiten  aus  dem  Leben  jenes  Erzbisehofs,  dem  die  Pietät  der 
Vorfahren  bei  seiner  feierlichen  Kanonisation  diese  kostbare  Buhestätte  anfertigen 
Hess.  Die  beiden  schmäleren  Kopftheile  des  Reliquienkastens  zeigen  in  getriebe- 
nen Bildwerken  den  h.  Heribert,  thronend  unter  den  seligen  Himmelsbewohnem 
gleichsam  in  dem  Momente,  wo  der  Heiland  zu  dem  verherrlichten  Diener  das 
^,euge  serve  bone  et  fidelis*^  auszusprechen  scheint 

Da  uns  in  den  beiden  folgenden  Lieferungen  dieses  Werkes  noch  die  Be* 
Schreibung  ähnlicher  Beliquiarien  in  verwandten  Omamentationen  und  in  gleicher 
Gestaltung,  wie  das  vorliegende  sie  aufweist,  obliegt,  und  wir  bereits  Gesagtes 
später  nochmals  zu  wiederholen  befürchten,  so  dttrfte  es  gerechtfertigt  erscheinen, 
wenn  wir  hier  die  Erklärung  der  vielen  Inschriften  und  Bildwerke  wörtlich  folgen 
lassen,  die  von  einer  andern  sachkundigen  Feder  bereits  früher  erschienen  ist 
Es  gebührt  Dr.  Heuser,  Professor  im  hiesigen  erzbischöflichen  Seminar,  das  Ver- 
dienst, dass  er  zuerst  im  Organ  fUr  christliche  Kunst*)  die  Lesung  der 
vielen  emaillirten  Inschriften  an  dem  St  Heribertsschreine  richtig  fixirt  und 
historisch  näher  begründet  und  dargelegt  hat.  Indem  \m  den  Wortlaut  dieser 
historischen  und  sachlichen  Erläuterungen  folgen  lassen,  beschränken  wir  uns 
darauf,  zum  Schluss  noch  einige  allgemeinere  technische  und  artistische  Be- 
merkungen hinzuzufügen.  Die  eine  vordere  Schmalseite  zeigt,  in  hocberhabener 
Arbeit,  die  Mutter  Gottes  sitzend  mit  dem  Jesuskinde  auf  dem  Schoosse,  zu  jeder 
Seite  einen  Engel,  darunter  die  Inschrift:  „Plena  sohlte  ave  noxam  guae  däms 
Evae*\  So  Hess  man  ihn  im  Tode  zu  den  Füssen  des  Bildes  der  Mutter  Gottes 
ruhen,  der  er  im  Leben  so  kindlich  gedient,  der  zu  Ehren  er  ein  Münster  zu  Deutz 
errichtet  und  zu  Köln  die  den  Aposteln  und  ihrer  Königin  geweihte  Kirche  neu 
gegründet  hatte.  Auf  der  entgegengesetzten  Seite  des  Schreines  ist  in  gleicher 
Arbeit  der  heilige  Heribert  selbst  dai^estellt ;  zu  seiner  Seite  zwei  Figuren,  welche 
die  Ueberschrift  als  die  von  ihm  unzertrennlichen  Genossen  bezeichnet:  .^Has 
praesut  Christi  vitae  socias  habuisti^\  Diese  beiden  Figuren  sind  durch  die  neben- 
bei befindlichen  Worte,  die  eine  als  „Ckaritas**,  die  andere  als  „Humitäas",  be- 


*)  Vcrgl.  No.  19  und  20  des  ,,0rgan'8  für  ohristliohe  Kunst'*  von  Fr.  Baudri,  im  Cot.   1855. 


14  KUNSTSCHÄTZE  DER  PFARRKIRCHE  ZU  DEUT2. 

zeicliiiet,  welche  Tagenden  auch  in  der  That  in  dem  reichen  Kranze  seiner  Hei- 
ligkeit besonders  heryorstrahlen.  Ueber  seinem  Haupte  erblickt  man  in  einem 
runden  Medaillon  das  Bild  dessen,  dem  der  Heilige  mit  demttihiger  Liebe  in 
seinen  Brtldem  gedient  hat;  die  linke  Hand  trägt  ein  Buch  mit  den  Worten 
„Effo  sum,  qui  mm*\  die  rechte  ist  segnend  über  St.  Heribert  ausgestreckt,  zum 
Zeichen  des  grossen  Lohnes,  den  der  Herr  seinem  getreuen  Knechte  auf  Ewigkeit 
verliehen  hat. 

An  der  untern  Langseite  sind,  wie  schon  bemerkt,  die  Apostel  dargestellt 
und  zwar  in  sitzender  Stellung;  jeder  hat  ein  offenes  Buch  in  der  Hand,  und  die 
auf  demselben  vertheilten  Artikel  des  apostolischen  Glaubensbekenntnisses  stellen 
sie  als  diejenigen  dar,  welche  die  frohe  Botschaft  des  Heiles  zur  Erleuchtung  und 
Beseligung  der  Welt  aller  Creatur  verktlndet  haben;  wahrlich  ein  passender 
Schmuck  fbr  den  Schrein  eines  so  apostolischen  Bischofes.  So  folgen  sich  an 
der  einen  Seite  die  h.  h.  Petrus,  Andreas,  Jacobus,  Johannes,  Bartholomäus  und 
Thomas;  an  der  andern  Seite:  Paulus,  Jacobus,  Philippus,  Matthäus,  Simon  und 
Judas.  Ueber  den  Aposteln  zieht  sich  eine  Ueberschrift  hin,  nämlich  goldene 
Msyuskelbuchstaben  in  blauem  Email,  welche  die  Wirksamkeit  der  Apostel,  und 
somit  auch  die  ihres  treuen  Nachfolgers,  des  heiligen  Heribertus,  nach  ihren  ver- 
schiedenen Richtungen,  als  erleuchtend  und  Gnade  spendend  und  die  Gläubigen 
regierend,  in  folgenden  Versen  darstellt: 

Wc  fantes  Helij,  sunt  hie  panes  duodeni 
Hie  qui  Jacob  species,  sie  tot  lapides  radiantes 
Ordme  bisseno^  virtuOs  dogmate  pleno^ 
Fulget  apostolicus  perfuloa  metalla  senatus: 
Nempe  rigans,  satians,  tenebrarum  devia  vitans 
Iste  StfOH  sotidat,  quam  temo  robore  quadrat^ 
Sicque  Dei  trini  per  bis  duo  eUmata  mpndi 
Vera  fides  per  eum  longum  ßrmatur  in  aevum. 
Die  quadratischen  Vertiefungen,  in  denen  die  Apostel  sitzen,  sind  durch  kleine 
Pfeiler  gebildet,    und  auf  diesen  finden  sich  in  Email  vierzehn  Propheten  dai^e- 
stellt,  an  deren  Spitze  man  David  und  Moses  erblickt,  vielleicht  mit  Beziehung 
auf  die  auch  in  dem  h.  Heribertus  verbundene  geistliche  und  fdrstUche  Gewalt 
Auf  David  folgen:    Isaias,  Zacharias,  Ezechiel,  Habakuk,  Oseas  und  Sophonias; 
auf  Moses:   Daniel,  Jeremias,  Malachias,  Nahum,   Joel  und  Amos.    Jede  dieser 
vierzehn  Figuren  hält  eine  geöfihete  Bolle  in  der  Hand,  die,  nach  unten  sich  ent- 
faltend, eine  Stelle  aus  ihren  Schriften  enthält,  welche  die  Wirksamkeit  der  Apostel 
schildert;  zugleich  wird  gerade  dadurch  das  schönste  Lob  dem  h.  Heribert  ertheilt 
Wir  lassen  diese  Stellen  hier  folgen,  bei  einer  jeden  den  Namen  dessen  anzeigend, 
der  sie  hält. 

David:    In  omnem  terram  exiüit  sonus  eorum. 
Isaias:    Quam  speciosi  pedes  evangeUzantium  pacem. 
Zacharias:    Isti  sunt  filii  olei  splendarum,  qui  assistunt   domnatori  um- 
vef'sae  terrae. 


KUNSTSCHÄTZE  DER  PFABRKIBCHE  ZU  DEUTZ.  15 

Ezechiel :    Congregabo  vos  de  populü  et  adunabo  de  terris, 

Habakuk:    Justi  in  fide  sua  viveni. 

Oseas:    Tempus  requirendi  dominum  cum  venerit  gut  docebit  vos  justitiam. 

Sophonias:    Dabo  vos  in  nomen  et  in  laudem  omnibus  geniibus. 

Auf  der  andern  Seite: 

Moses:    Sancti  eritis,  quia  et  ego  sanctus  sum, 

Daniel:    Qui  ad  justitiam  erudiunt  multos  quasi  stellae  in  perpetuas  aeter- 


nitates. 


Jeremias :    Dabo  vobis  pastorem  juxta  cor  meum. 
Malachias :    Orietur  vobis  timentibus  nomen  meum  sol  justitiae. 
Nahum:    Ecce  super  montibus  pedes  evangelixantis  et  annuntiantis  pacem, 
Joel :    Filii  Syon,  laetamini  in  domino  quia  dabit  vobis  doctores  justiliae. 
Arnos:    Et  suscitavi  de  filiis  vestris  in  prophetas  et  de  juvenibus  vestris 
naxaraeos. 

Aul  sie  beziehen  sieh  die  Verse ,  die  am  untern  Rande  den  Schrein  um- 
ziehen : 

Patres  legales,  virtute  viri  speciales^ 
Legis  doctores,  justitiae  monitores 
Nube  sub  obscura  praecognoscendo  futura. 
Quem  praedixerunt,  Christi  regnum  meruerunt. 
Quem  patriarcharum  generosa  stirpe  creatur, 
Ordo  prophetarum  praesagus  vaticinatur 
Christum  venturum,  vitaeque  statum  reparari, 
Hostem  casurum,  veterem  culpam  vacuari. 

Gehen  wir  nun  zu  den  zwölf  Darstellungen  der  beiden  das  Dach  bildenden 
Langseiten  ttber.  Sie  sind  auf  runden  Medaillons  in  Email  ausgeführt  und  führen 
uns  die  Hauptereignisse  im  Leben  des  h.  Heribertus  von  der  Geburt  bis  zum  Tode 
vor,  und  zwar  die  sechs  ersten  in  der  Weise,  dass  jedes  Medaillon,  durch  seinen 
Halbmesser  getheilt,  zwei  Darstellungen  enthält;  um  jedes  Bild  läuft  eine  aus 
zwei  lateinischen  Hexametern  bestehende  erklärende  Inschrift: 

1)   Die  Geburt  St  Heriberfs. 

Der  h.  Heribert,  der.  von  so  vielen  Tugenden  strahlen  und  so  Viele  auf 
dem  Wege  des  Heils  erleuchten  sollte,  wurde  gleich  bei  seiner  Geburt  durch 
eine  besondere  Begnadigung  ausgezeichnet.  Wunderbarer  Glanz  erfüllte  das 
Zimmer  in  der  Nacht,  als  er  geboren  wurde,  und  zu  gleicher  Zeit  träumten  sein 
Vater  Hugo  und  ein  Jude,  Namens  Aaron,  der  sich  Geschäfte  halber  bei  ihm 
befand,  die  Decke  des  Zimmers,  wo  die  Mutter  lag,  öfine  sich  und  ein  Stern 
strahle  mit  Sonnenhelle  auf  das  Gesicht  des  Neugebomen.  Dieses  Ereigniss  ist 
in  dem  ersten  Bilde  dargestellt,  in  der  obem  Hälfte  ist  in  der  Mitte  das  Zimmer, 
wo,  von  ihren  Frauen  umgeben,  Thielmidis  mit  ihrem  kleinen  Heribertus  liegt; 
links  von  demselben  schläft  der  Vater  Hugo,  rechts  der  Jude  Aaron ;  oben  erscheint 
ein  Stern,  der  seine  Strahlen  auf  das  Kind,  den^Vate^  und  den  Juden  entsendet; 


16  KUNSTSCHATZE  DEE  PFAJIRKIBCHE  ZU  DBUTZ. 

in  der  untern  Hälfte  sitzt  der  Vater,  dem  der  Jude  seinen  Traum  und  einer  der 
Frauen  freudig  erzählt,  dass  der  Traum  mit  der  Wirksamkeit,  die  sie  gesehen, 
übereinstimme.    Die  Unterschrift  lautet: 

Magnificae  prolis  notat  ortvm  vtsio  solü, 
Hoc  praevidit  ita  pater  ejus  et  Israelüa. 

2)    Studien  St.  Heribert's. 

In  dem  obem  Theile  des  Bildes  ttbergiebt  der  Vater  den  kleinen  Heribertus 
seinem  Lehrer.  Bezeichnend  für  den  Charakter  der  Zeit  ist  die  Scene  in  der 
Ecke  dieser  obem  Hälfte ;  der  kleine  Heribertus  sitzt  auf  einem  niedrigen  Schemel, 
beschäftigt,  die  Buchstaben  auf  eine  Tafel  zu  schreiben:  a,  b,  c,  d,  sind  schon 
fertig;  vor  ihm  steht  der  Lehrer  mit  einer  grossen  Kuthe.  In  der  untern  Hälfte 
ist  Heribertus,  schon  etwas  älter,  in  einem  wissenschaftlichen  Gespräche  mit  seinen 
Lehrern  begriffen  dargestellt.  Ein  solches  Bild  durfte  nicht  fehlen,  da  seine 
Biographen  die  hohe  philosophische  und  theologische  Bildung,  die  er  auf  mehrem 
der  berühmtesten  Bildungs -Anstalten  seiner  Zeit  geschöpft,  so  besonders  henror- 
heben.    Die  Umschrift  ist: 

Doctori  natum  tradit  pater  erudiendum, 
Disputat  atque  docet^  quem  gratia  coelica  replet. 

3)  St.  Heribert  erhält  die  Diakonats  -  Weihe  und  wird  kaiserlicher  Kanzler. 

Mit  der  Ausbildung  seiner  grossen  Geistes -Anlagen  gingen  bei  St  Heribert 
die  Fortschritte  in  der  Vollkommenheit  Hand  in  Hand;  er  dachte  daran,  sich  ganz 
von  der  Welt  zurückzuziehen,  als  er  nach  seiner  Vaterstadt  Worms  zurückberufen 
wurde.  Der  dortige  Bischof  Hildebald  hatte  seinen  Werth  erkannt,  und  ernannte 
ihn  zum  Probst  seiner  Domkirche,  nachdem  er  ihm  die  Weihe  eines  Diakons  ertheilt 
hatte.  Der  alternde  Bischof  glaubte  in  ihm  seinen  würdigen  Nachfolger  zu  er- 
blicken, aber  die  Fttrsehung  hatte  ihm  einen  andern  Bischofstuhl  zugedacht,  dessen 
alten  Glanz  er  mit  neuer  Heiligkeit  mehren  sollte.  Während  aber  die  Demuth 
St  Heriberf  s  sich  schon  damals  auf  zu  hoher  Stufe  glaubte,  ward  ihm  eine  Stelle 
zu  Theil,  die  ihm  einen  hervorragenden  Platz  im  Reiche  einiilumte:  Otto  HI. 
machte  ihn  zu  seinem  kaiserlichen  Kanzler  und  veranlasste  ihn  auch  die  Priester- 
weihe zu  empfangen,  die  er  zugleich  mit  Bruno ,  der  später  als  Gregorius  V.  den 
päpstlichen  Thron  bestieg,  erhielt 

Auf  diese  Züge  aus  dem  Leben  unsers  Heiligen  bezieht  sich  das  dritte 
Bild.  In  der  obem  Hälfte  sieht  man  den  Bischof  Hildebald,  ihm  die  Diakonats- 
Weihe  ertheilend;  interessant  ist  hier  die  Form  des  Manipels,  welches  am  untern 
Ekide  bedeutend  breiter  ist,  als  in  seiner  Länge.  In  der  untern  Hälfte  sitzt  der 
Kaiser  Otto  lU.  auf  dem  Thron  und  reicht  8t  Heribert  das  Reichs-  Siegel.  Die 
Umschrift  lautet: 

Hio  fit  levüa  vir  ctarus  ceb'be  vita, 

CanceUatupoe  rex  hune  mvesüt  hanore. 


KUNSTSCHÄTZE  DEfi  PFARRKIRCHE  ZU  DEUTZ.  17 

4)  St.  Heribert  wird  zum  Bischof  von  Köln  erwählt  und  vom  Papste  bestätigt. 

Während  St  Heribert  mit  dem  Kaiser  in  Italien  weilte,  starb  Erzbischof 
Evergerus  von  Köln,  der  grosse  Wohlthäter  der  Abtei  St.  Martin,  wo  sein  Vor- 
gänger Warmus  die  Mitra  und  den  Fürstenmantel  mit  dem  demüthigen  Gewände 
des  h.  Benedict  vertauscht  hatte.  Als  Zwiespalt  über  die  Wahl  seines  Nachfolgers 
ausbrach,  vereinigte  der  Domprobst  Wezelinus  die  Gemüther,  indem  er  auf  Heri- 
bert hindeutete,  den  eine  einstimmige  Wahl  als  Erzbischof  bezeichnete.  Mit  dem 
alten  Hirtenstabe  der  kölnischen  Kirche  zogen  die  Abgesandten  über  die  Alpen  an 
das  Hoflager  des  Kaisers,  welcher  der  Wahl  freudig  beistimmte  und  dem  Ge- 
wählten, der  sich  zur  Beruhigung  eines  Aufstandes  in  Kavenna  befand,  die  Nach- 
richt mit  den  kurzen  Worten  schrieb :  Otto  imperator  Heriberto  scduiem,  CoUmiam 
et  palUi  cubitum  tmum.  (Kaiser  'Otto  wünscht  dem  Heribert  Wohlergehen,  Köln 
und  eine  Elle  Pallium.)  Gar  sehr  erschrak  bei  dieser  Nachricht  Heribert,  der  in 
seiner  Demuth  schon  früher. das  Bisthum  Würzburg  ausgeschlagen  hatte;  allein 
der  Wille  des  Papstes  machte  seinen  Bedenken  ein  Ende,  indem  er  den  Willen 
Gottes  in  dem  seines  Stellvertreters  verehrte.  Unser  Bild  zeigt  nun  in  seiner 
obem  Hälfte  den  Kaiser,  und  zwar  wie  es  eine  Zeit  lang  Brauch  war,  durch 
Ueberreichung  des  Hirtenstabes  unsem  Heiligen  mit  den  Regalien  des  Bis- 
thums  belehnend;  in  der  untern  Hälfte  sehen  wir  zum  Zeichen  der  päpstlichen 
Bestätigung  den  Papst  sitzen,  vor  dem  auf  einem  Tische  das  Pallium  liegt. 
Die  Umschrift  besagt: 

Ex  regis  dono  datur  hie  sacra  virga  patrano, 
Praesulis  insigne  plenum  dat  papa  benigne. 

5)  St.  Heribert  zieht  über  die  Alpen  und  hält  seinen  Einzug  in  Köbi. 

Das  obere  Feld  zeigt  uns  die  Heimreise  über  die  Berge,  die  St  Heribert 
antrat,  sobald  er  zu  Rom  vom  Papste  Sylvester  H.,  den  einige  als  seinen  alten 
Lehrer  bezeichnen,  das  Pallium  erhalten  hatte.  Das  untere  Feld  zeigt  den  Einzug 
in  Köln.  Am  Tage  vor  Weihnachten  in  der  Nähe  dieser  heiligen  Stadt  ange- 
kommen, schickte  er  das  Pallium  und  die  übrigen  Insignien  seiner  Würde  voraus 
und  hielt  dann,  in  frommes  Gebet  versunken,  barfuss,  wie  ihn  auch  diese  Abbil- 
dung in  ihrer  untern  Hälfte  zeigt,  seinen  Einzug  in  seine  bischöfliche  Stadt,  in 
der  bittem  Kälte  von  dem  Feuer  glühend,  welches  der  Herr  auf  die  Welt  gesandt, 
von  Bischöfen,  die  zur  Feier  gekommen,  geleitet,  an  der  Thtb-  des  Domes  von 
dem  Klerus  mit  Kreuz  und  Weihwasser  empfangen  und  dann  zu  dem  alten  stei- 
nernen Stuhle  der  Kölner  Erzbischöfe  geführt,  den  er  so  würdig  einnehmen  sollte. 
Die  Freude  der  Kölner  hatte  sich  auch  durch  äussern  Schmuck  gezeigt,  nament- 
lich war  der  Dom  mit  Kränzen  und  Lichtem  aufs  Herrlichste  geschmückt.  Die 
Umschrift  lautet: 

Mong  transit  montes  sparsurus  lumme  volles, 
Suscipit  optatum  plebs  Pantificem  sibi  gratum. 

3 


18  KCKSTSCHÄTZE  DER  PFARRKIRCHE  ZU  DEUTZ. 

6)  St.  Heribert  wird  zum  Bischof  geweiht. 

Die  Weihe  wurde  in  dem  zweiten  Hochanite  des  Weihnachtstages  in  dem 
Dome  von  den  Suffragan -Bischöfen  der  £rzdiöceße  KMn  vorgenommen.  Mit 
einem  merkw  Urdigen  Zusammentreffen  öffiiete  sich  das  Evangelienbuch,  als  es  ihm 
nach  der  Vorschrift  des  Pontüicats  aufgelegt  wurde,  bei  den  Worten:  (Luc  4,  14) 
„Spfritys  dommi  super  me;  propter  quod  wiant  me;  ad  evimgeUzandum  pauperibm 
mtsit  me."  Worte  die  so  treffend  das  Wirken  unseres  Heiligen  bezeichnen.  Zu 
dieser  Weihe  führt  uns  das  Bild:  im  obem  Felde  ist  die  Prttfung  daigesteUt,  die 
nach  alter  Vorschrift  der  Weihe  vorher  gehen  soll;  um  die  Fähigkeit  und  Wür- 
digkeit des  zu  Weihenden  festzustellen;  im  untern  Felde  erblickt  man  die  heilige 
Handlung  selbst,  und  zwar  die  Salbung  des  Hauptes  und  das  Auflegen  des  Evan- 
gelienbuches.   Die  Umschrift  besagt: 

Hic  subit  examen  miseris  vir  juge  levamen, 
Unctio  sancta  datur  persanaque  digna  sarrahtr. 

7)  Die  Gründung  der  Abtei  zu  Deutz. 

Während  die  bisherigen  Dai*stellungen  uns  bis  zur  Weihe  St.  Heriberts  im 
Dome  zu  Köln  geftilirt  haben,  geben  uns  die  sechs  Darstellungen  der  andern  Seite 
drei  verschiedene  Scenen  aus  seinem  spätem  Leben  als  Erzbischof  von  Köln. 
Ausserdem,  dass  die  Form  der  Medaillons  selbst  eine  etwas  andere  ist,  enthaüen 
dieselben  auch  nicht  mehr  jene  Abtheilung  in  zwei  Theile. 

Die  erste  Darstellung  bezieht  sieh  auf  die  Stiftung  der  Abtei  zu  Deutz. 
Es  war  ein  Lieblingsplan  St.  Heriberts  und  seines  kaiserlichen  Freundes  und 
Herrn  gewesen,  zu  Ehren  unserer  lieben  Frau  und  zum  Heile  ihrer  eigenen 
Seelen  eine  Abtei  zu  gründen,  und  sie  hatten  beschlossen,  dass,  wenn  der  Tod 
einen  von  ihnen  vor  der  Ausführung  dieses  Planes  überrasche,  der  andere  mit 
Hinzuziehung  der  Güter  des  Verstorbenen  die  Gründung  vollbringe.  Kaum  hatte 
nun  St.  Heribert  die  Leiche  Otto 's  IH.,  an  dessen  Sterbebette  er  in  Italien  gestan- 
den, nach  Aachen  geleitet  und  nach  dem  Wunsche  desselben  in  dem  Chor  des 
Münsters  U.  L.  F.  begi*aben;  so  schritt  er  zur  Ausftlhrung  des  frommen  Vorhabens. 
Ueber  den  Ort  durfte  er  nicht  mehr  im  Zweifel  sein.  Die  allerseligste  Jungfrau 
war  ihm  im  Traume  erschienen  und  hatte  ihm  die  Stelle  angegeben,  an  der  sieh 
jetzt  die  Deutzer  Kirche  erhebt.  Auf  dem  Bilde  sehen  wir  nun  in  der  Mitte  in 
rundem  Kranze  die  allerseligste  Jungfrau,  rechts  ruht  der  h.  Heribcrtus,  links  sein 
Nachfolger  Piligrinus,  der  freigebige  Wohlthäter  der  Deutzer  Abtei,  beide  kenntlich 
gemacht  durch  die  neben  sie  geschriebenen  Namen.  Oben  im  Bilde  sieht  man 
die  Arbeiter  fieissig  mit  dem  Kirchenbau  beschäftigt.    Die  Umschrift  sagt: 

VisUat  ecce,  pater,  te  lummu  inclyta  mater, 

Tempil  Vota  probatis,  formain  sigfians^  loca  moiistrans. 

8)  Die  Erscheinung  des  Kreuzes. 

Die  Fundamente  der  Kirche  waren  ausgeworfen,  und  es  galt  nun,  ein  Kreuz 
zu  bereiten,  welches  daselbst  aufgerichtet  werden  sollte ;  mit  aller  Mühe  kamen  die 


KUKSTSCllÄTZE  DER  PFABRKIBCHE  ZV  DEUTZ.  t9 

Arbeiter  nicht  gehörig  damit  zu  Stande,  und  so  manchen  schönen  Baum  sie  auch 
fällten,  sie  verwarfen  ihn  immer  wieder  als  nicht  recht  passend.  Da  befand  sich 
eines  Tages  St.  Heribert  auf  einem  ihm  gehörigen  Gute.  Er  liess  sich  seinen 
Mittagstisch  in  dem  Obstgarten  desselben  bereiten  und  beim  Essen  zufällig  auf-* 
sehend,  erblickt  er  einen  Birnbaum  vor  sich,  dessen  Aeste  ein  natürliches  Kreuz 
bildeten.  Er  liess  den  Baum  sogleich  fällen,  behauen,  und  nachdem  er  ein  Christus- 
bild zu  demselben  hatte  anfertigen  lassen,  war  das  Kreuz  der  Deutzer  Abtei 
fertig.  Auf  unserem  Bilde  begegnen  wir  nun  St.  Heribert  am  Tische,  verwundert 
jenen  Baum  erblickend;  auch  sehen  wir  die  Arbeiter  schon  beschäftigt,  den  Baum 
zu  fällen.  Die  Form  desselben  ist  die  des  alten  Kreuzes  in  Maria  im  Capitol: 
die  beiden  Arme  erheben  sich  in  stumpfen  Winkeln,  ein  Beweis  mehr,  dass  mau 
auch  in  jener  Zeit  die  Christusbilder  nicht  immer  mit  fast  rechtwinklig  ausge- 
breiteten Armen  am  Kreuze  darstellte.    Die  Umschrift  heisst: 

In  mensa  visus  extensus  in  arbore  Christus, 
Pontifici  sanctae  fit  causa  crucis  faciendae. 

9)  Die  Procession  um  Regen. 

Dieses  Bild  versetzt  uns  wieder  in  die  heilige  Stadt  Köln.  Es  war  eine 
grosse  Dürre  in  den  rheinischen  Landen,  und  die  Ernte  drohte  zu  Grunde  zu 
gehen ;  da  schrieb  St.  Heribert  einen  dreitägigen  Bittgang  aus,  um  durch  die  Für- 
bitte der  Heiligen  eine  Abwendung  dieses  göttlichen  Strafgerichtes  zu  erflehen. 
Ohne  Zweifel  war  man  am  ersten  Tage  vom  Dome  nach  St.  Severin  gezogen; 
denn  seit  bei  der  üebertragung  der  Reliquien  des  h.  Severin  von  Bordeaux  zurück 
nach  Köln  eine  lange  Dürre  plötzlich  dem  fruchtbarsten  Regen  gewichen  war,  ziehen 
die  Kölner  bis  zum  heutigen  Tage  bei  drohender  Trockenheit  vor  Allem  zu  dieser 
Kirche,  um  St.  Severin,  den  die  Kirchenlieder  noch  immer  den  besondem  Vater 
der  Stadt  nennen,  um  seine  Fürbitte  anzurufen.  (Sancte  Pater  Severine,  fnaje- 
stati  fer  divinae  preces  pro  famiiia,)  Am  zweiten  Tage  ging  der  Erzbischof 
mit  der  Procession  von  St.  Severin  nach  St.  Pantaleon,  diesen  Weg,  den  seit 
St.  Severin  so  viele  Kölner  Bischöfe  betend  gewandelt.  Beide  Kirchen  lagen  da- 
mals noch  weit  vor  der  Stadt,  und  während  St.  Severin  schon  seit  Jahrhunderten 
ein  herrliches  Münster  war,  strahlte  St.  Pantaleon  in  dem  neuen  Glänze,  den  der 
h.  Erzbischof  Bruno  ihm  verliehen,  denn  dieser  hatte  für  diese  Kirche  Reliquien 
von  dem  Leibe  des  h.  Pantaleon  erhalten,  und  noch  lebten  viele  Leute  zu  Köln, 
welche  mit  der  grossen  Procession  nach  Pantaleon  gezogen  waren,  als  diese  Reli- 
quien dahin  von  Rom  übertragen  wurden.  Zwar  stand  die  alte  Kirche  nicht  mehr, 
bei  welcher  der  heilige  Reinold  gelebt  und  zu  der  sich  der  h.  Bruno  so  gern  aus 
der  Unruhe  der  Stadt  zurückgezogen  hatte;  aber  es  war  noch  immer  ein  stilles 
Plätzchen  des  Gebetes,  wohin  der  Lärm  der  gewerbreichen  Stadt  nicht  drang. 
Hierhin  zog  also  die  Procession  von  St.  Severin.  Als  der  Zug  an  die  Stelle  ge- 
kommen war,  wo  einst  St.  Severin  die  Freudengesänge  der  Engel  über  die  Auf- 
nahme St.  Martinas  in  den  Himmel  gehört  hatte,  sahen  die  Gläubigen,  wie  eine 
weisse  Taube,  die  schon  früher  Einige  über  St  Heribert  hatten  schweben  sehen, 


20  KUKSTSCHÄTZE  DER  PFAKEKIRCHE  £ü  DEITTZ. 

dreimal  um  sein  Haupt  flog,  und  Alle  glaubten,  der  heilige  Geist  habe  zeigen 
wollen,  ein  wie  lieber  und  getreuer  Arbeiter  ihr  Erzbischot  sei.  Unser  Bild 
zeigt  uns  die  Taube  mit  der  Inschrift:  „Spiritus  sanctus'*,  und  auch  die  Procession 
ist  dargestellt,  wie  sie  in  St.  Pantaleon  einzieht,  wo  die  Mönche  des  von  dem 
seligen  Erzbischof  Bruno  bei  dieser  Kirche  gestifteten  Benedictiner- Klosters  ihn 
mit  dem  Rauchfasse  empfangen.  Hier  hielt  St.  Heribert  die  heilige  Messe  und 
entliess  dann  die  Gläubigen  mit  dem  erzbischOflichen  Segen.  Er  selbst  ging  auch 
nach  Hause  zurück,  von  nichts  redend,  als  von  der  Grösse  seiner  Sünden,  die 
diese  Dürre  auf  das  Volk  herabgezogen  hätten.  Zu  Hause  angekommen,  legte  er, 
wie  einst  St.  Scholastica,  das  Haupt  mit  den  gefalteten  Händen  auf  den  Tisch 
und  betete  im  Stillen.  Als  er  es  wieder  erhob,  strömte  der  Begen  herab,  und  das 
Jahr  wurde  ein  überaus  fruchtbares.  Dieses  Wunder  ist  in  der  Ecke  dieses  Bildes 
dargestellt,  wir  erblicken  St.  Heribert,  aber  das  Haupt  nicht  mehr  auf  den  Tisch 
gelegt,  sondern  dankbar  erhoben;  denn  auch  den  Regen  sehen  wir  auf  dem  Bilde 
in  dichten  Strömen  herabfliessen.    Die  Inschrift  besagt: 

Vota  pater  dum  fert  sacer  huic  se  Spiritus  infert, 
Cumque  Deum  placat  reserans  coelos  pluviam  dat. 

tO)  Die  Heilung  des  Besessenen. 

Es  war  wieder  zu  Köln  und  zwar  bei  der  Bömerfahrt  am  Palmsonntage, 
wo  das  in  diesem  Bilde  dargestellte  Ereigniss  Statt  fand.  Die  Römerfahrt  war 
bis  St  Maria  im  Capitol  gekommen,  der  Erzbischof  stand  auf  der  Anhöhe  und 
die  Procession  um  ihn  und  am  Fusse  des  Hügels,  wo  jetzt  die  Häuser  stehen. 
Er  predigte  und  zwar  von  dem  Falle  unserer  Stammeltem  im  Paradiese  durch  die 
Verführung  des  Teufels,  und  wie  Christus  uns  von  dem  Falle  wieder  erhoben 
und  den  Teufel  überwunden  habe.  In  lautloser  Stille  hörten  die  Schaaren  der 
Gläubigen  auf  die  Predigt  ihres  heiligen  Erzbischofs,  da  erscholl  plötzlich  gräss- 
liches  Geheul,  das  der  über  die  Rede  des  Bischofs  wüthende  Teufel  einen  Be- 
sessenen ausstossen  liess.  Dieser  Unglückliche  war  Allen  bekannt;  an  viele 
Gnaden -Orte  hatten  ihn  seine  Verwandten  geführt,  um  Heilung  flehend,  und  so 
führten  sie  ihn  auch  in  Ketten,  weil  er  oft  gefährliche  AnfäUe  hatte,  der  Proces- 
sion nach.  Als  St.  Heribert  den  Unglücklichen  vernahm,  fing  er  an  zu  beten, 
und  siehe  der  Besessene  wurde  plötzlich  ruhig  und  bat  seine  Wächter  in  ganz 
sanftem  Tone,  ihm  seine  Ketten  abzunehmen,  indem  er  von  der  Besessenheit 
befreit  sei.  Und  von  dem  Augenblicke  an  war  er  für  immer  von  seiner  schreck- 
lichen Heimsuchung  erlöst  Auf  unserem  Bilde  sehen  wir  den  Besessenen,  den 
man  im  Hintergrunde  noch  mit  gefesselten  Händen  erblickt,  dankbar  vor  St 
Heribert  knieen,  vor  den  Augen  zahlreicher,  Palmen  tragender  Zuschauer, 
die  Zeugen  seiner  Heilung,  wie  früher  seiner  Besessenheit  waren.  Die  Um- 
schrift sagt: 

Viribus  antiqui  praesul  rapiens  ininuci, 
Praedam  salvamt^  hanc  daemone  deus  spoUavü. 


KUNSTSCHÄTZE  DER  PFABRKIBCHE  ZU  DEUTZ.  2  t 

1 1 )  Versöhnung  St.  Heriberts  mit  Heinrich  dem  Heiligen. 

Böse  Zungen,  deren  es  zu  allen  Zeiten  gegeben,  hatten  den  heil.  Kaiser 
Heinrich  H.  gegen  unseren  Erzbischof  aufgeregt,  und  mit  nicht  sehr  freundlicher 
Gesinnung  kam  das  Haupt  des  heiligen  römischen  Reiches  im  Februar  des  Jahres 
1 020  den  Rhein  herab  nach  Köln  gezogen ,  wo  Stadt  und  Bischof  ihn  mit  alter 
Treue  und  gewohnter  Ehrfurcht  empfingen,  ohne  seinen,  wie  er  meinte,  gerechten 
Zorn  beschwichtigen  zu  können.  Aber  der  Himmel  selbst  ttbemahm  es,  diese  in 
der  Liebe  zu  Gott  so  einigen  Herzen  zu  versöhnen.  In  der  Nacht  des  18.  Febr. 
erschien  dem  Kaiser  ein  ehrwürdiger  Greis  im  bischöflichen  Gewände  (man 
meinte,  es  sei  St  Petrus  selbst  gewesen)  und  sprach :  „Hüte  Dich,  o  Kaiser  noch 
femer  gegen  den  Diener  Gottes  Heribert  zu  sündigen."  Dadurch  von  der  Grund- 
losigkeit seines  Verdachtes  überzeugt,  bat  der  heil.  Kaiser  unsem  heil.  Erzbischof 
am  anderen  Tage  demüthig  um  Verzeihung,  und  vor  Allen  umarmten  und  küssten 
sie  sich  einander  dreimal  zum  Zeichen  der  Versöhnung.  Damit  noch  nicht  zu- 
frieden, ging  der  Kaiser  nach  Mittemacht,  nachdem  im  Dome  die  Metten  gesungen 
waren,  in  den  Palast  des  Bischofs,  der  damals  noch  am  Dome  stand,  und  als  er 
ihn  da  nicht  fand,  in  die  Kirche  des  h.  Johannes  am  Domhofe  (die  alte  Hof- 
kapelle der  Kölner  Erzbischöfe),  wo  St.  Heribert  manche  Nacht  im  Gebete  zuzu- 
bringen pflegte.  Hier  fiel  er  demüthig  zu  den  Füssen  unseres  heil.  Erzbischofes 
nieder  und  bat  ihn  nochmals  um  Verzeihung.  Lange  weilten  sie  im  frommen 
Gespräche,  und  dem  Kaiser  wurde  hier  auch  kund,  dass  sie  sich  in  diesem  Leben 
nicht  mehr  sehen  würden. 

Diese  Scenen  bilden  den  Gegenstand  unseres  Bildes.  Man  sieht  den  Kaiser 
den  Bischof  umarmen,  und  an  der  Seite  vor  einem  Altar,  auf  dem  Kelch  und 
Leuchter  steht,  den  Kaiser,  um  Verzeihung  bittend,  vor  dem  Bischöfe,  der  ihn 
aufhebt,  knieen.  Bei  St.  Heribert  liest  man  die  Worte:  AmpUus  nan  videbimus 
fadem  nostram.    Die  Umschrift  lautet: 

Corda  cruenta  necat  venia  dum  rex  bene  placat, 
Iram  pontißcis,  ter  praebens  oscula  pacis. 

12)  Tod  St.  Heriberts. 
St  Heribert  wusste,  dass  sein  Tod  herannahe,  und  darum  machte  er  sich 
noch  einmal  auf  den  Weg  durch  das  Erzbisthum,  um  die  Gnadenorte  und  heiligen 
Beliquien  zu  verehren  und  die  Gläubigen  nochmals  selbst  zu  ermahnen,  zu  be- 
lehren und  zu  segnen.  So  war  er  auch  nach  Neuss,  der  alten  Bömerstadt,  gekom- 
men. Hier  überfiel  ihn  ein  heftiges  Fieber,  und  alsbald  schickte  er  Boten  nach 
Köln  in  die  Abtei  Gross -Martin  und  liess  den  Abt  Elias  zu  sich  nach  Neuss  entbieten, 
um  bei  ihm  zu  beichten  und  die  heiligen  Sterbe  -  Sacramente  zeitig  zu  empfangen. 
Dieser  ertheilte  ihm  denn  auch  die  letzte  Oelung  und  reichte  ihm  die  heilige 
Communion.  Hierauf  liess  unser  heil.  Erzbischof  sich  auf  dem  Bheine  nach  Köln 
fahren  und,  sobald  das  Schiff  gelandet,  sich  sogleich  in  den  Dom  tragen,  und  vor 
dem  damals  schon  alten  und  durch  das  wenige  Jahre  vorher  vollbrachte  Wunder 
des  Erzbischofs  Gero  neubertthmten  Kreuze  sich  auf  die  Erde  legen.    Hier  ver- 


22  KUKSrrSCUATZE  DER  PFARRKIBCHE  ZU  DEUTZ. 

harrte  er  lange  im  Gebete,  sich  und  seine  Herde  Gott  und  dem  h.  Petrus  em- 
pfehlend. Vou  da  trug  man  ihn  in  die  alte  kaiserliehe  Pfalz,  die,  ein  Geschenk 
Karls  des  Grossen  an  den  Bischof  Hildebald,  noch  immer  den  Kölner  Erzbischöfen 
zur  Wohnung  diente.  Weinend  umstanden  ihn  die  Geistlichen,  die  er  mit  der 
Hofiiiung  auf  den  Himmel  tröstete.  Dann  verschenkte  er  AUes,  was  er  noch  besass, 
Einiges  zum  Andenken  «an  seine  Verwandten  und  Freunde,  Einiges  seiner  Diener- 
schaft, Einiges  an  die  Kirchen,  das  Meiste  erhielt  Christus  in  den  Armen,  die  er 
stets  alH  seine  Brüder,  ja,  als  seine  Herren  und  Fürsprecher  bei  Gott  geehrt  hatte. 
80  ging  er  aus  diesem  Thale  der  Thränen  in  die  Freuden  des  Himmels  hinüber 
am  16.  März  im  Jahre  des  Herrn  1021,  nachdem  er  länger  als  22  Jahre  auf 
dem  Stuhle  des  h.  Matemus  gesessen  hatte.  Unser  Bild  zeigt  uns  ihn  in  zwei 
Darstellungen ,  als  Leiche  und  wie  er,  lungeben  vom  Klerus  mit  Kreuz  und  Rauch- 
fasB  und  vom  Volke,  ins  Grab  gesenkt  wird.    Die  Umschrift  ist: 

nie  pater  insignis  meritis  rutilaris  velut  ignis, 
Fit  requie  tutus  Paradm,   carne  solutus. 

Seinen  heiligen  Leib  fuhr  man  über  den  Rhein  und  setzte  ihn  in  der  Kirche 
der  Deutzer  Abtei  vor  dem  Altar  bei,  unter  einem  grossen  Zusammenlaufe  vou 
Geistlichen  und  Gläubigen.  Hier  ruhte  er,  von  vielen  Wundem  verherrlicht,  bis 
zum  30.  August  des  Jahres  1147,  wo  er  feierlich  erhoben  und  in  den  Reliquien- 
schrein übertragen  wurde,  nachdem  er  von  dem  h.  Papste  Gregor  VH.  feierlich 
in  die  Zahl  der  Heiligen  aufgenommen  worden  war. 

Nachdem  im  Vorstehenden  in  grösseren  Umrissen  die  vielen  figiiralen 
Darstellungen  mit  ihren  bezüglichen  Inschriften  historisch  gedeutet  worden  sind, 
erübrigt  es  noch,  über  den  Werth  der  kunstreich  getriebenen  Arbeiten,  die  den 
Schrein  auf  seinen  vier  Flachtheilen  beleben,  so  wie  über  den  technischen  Werth 
der  iiguralischen  und  ornamentalen  Emaillirungen  einige  allgemeinere  Andeutungen 
hinzuzufügen,  resp.  unsere  Venuuthung  über  die  Zeit  und  den  Ort  der  Entstellung 
dieses  Prachtschreines  schliesslich  folgen  zu  lassen.  Wie  früher  schon  angedeutet 
worden  itst,  thronen  an  den  unteren  Langseiten  des  St.  Heribertus- Kastens,  auf 
reich  veraeiien  Sedilien  sitzend,  die  als  Hautreliefs  getriebenen,  24  Centimeter 
grossen  Statuetten  der  Apostel.  Hinsichtlich  ihrer  Composition  tragen  dieselben 
den  strengen  Stj'l- Typus  und  hierarchischen  Ernst  der  von  Bj'zanz  ererbten  Ktmst- 
weise  noch  deutlich  zur  Schau.  Betrachtet  man  die  technische  Ausführung  dieser, 
mit  vielem  Schwung  getriebenen  Bildwerke,  und  erwägt  man  die  Schwierigkeiten, 
die  im  XII.  Jahrhundert  bei  dem  y^ojms  propulsatum**  sich  herausstellten,  so  muss 
man  unbedingt  zugeben,  dass  auch  die  Technik,  trotz  dem  dass  sich  in  den  ana- 
tomischen Körpertheilen  noch  manche  Härten  ergeben,  als  künstlerisch  untadelhaft 
bezeichnet  werden  muss.  Ein  Vergleich  dieser  sitzenden  Bildwerke,  mit  jenen 
getriebenen  Apostel- Statuetten  an  dem  im  I.  Bande  des  vorliegenden  Werkes 
be>iehriebenen  Dreikönigcnschreine,  zeigt  zur  vollen  Evidenz,  dass,  der  Zeitfolge 
nach,  die  Bildwerke  am  Heribertusschreine  fast  um  ein  halbes  Jahrhundert  älter 
sind  und  die  Kunst  des  Treibens  in  figüriiefaen  Darstellungen  gegen  Schluss  des 


KUKSTSCHÄTZE  DER  PFAKRKIRCHE  ZU  DEUTZ.  23 

Xn.  Jahrhunderte  jene  Höhe  erstiegen  hatte,  die  der  Goldschmied  ftinfzig  Jahre 
früher  schwerlich  zu.  erreichen  vermocht  hatte.    Einen  grösseren  artistischen  Werth, 
nicht  nur  in  compositorischer  Beziehung,  sondern  auch  in  Hinsicht  der  technischen 
Ausführung,  zeigen  jene  vielen  zierlichen  Ornamente,  theilweise  der  animalischen, 
theilweise  der  vegetahilischen  Schöpfung  angehörend,  mit  welchen  die  Flachtheile 
der  Bedachung  der  in  Bede  stehenden  .,arca"  ausgefüllt  sind.    Es  sind  nämlich, 
wie  früher  bemerkt,  auf  jeder  Bedachangsfläche  sechs  grosse  Emailmedaillons  an- 
gebracht, die  durch  Pilaster  in  vielfarbigem  Schmelz   in  sechs  Felder  abgetheilt 
werden.    Die  Zwickel,  die  durch  diese  Emaillirungen  auf  der  Bedachung  nicht 
ausgefüllt  werden,  sind  mit  dünnen  Blechen  belegt,  die  durch  die  reichsten  Or- 
namente in  getriebener  Arbeit  gehoben  werden.    Jene  Bedachungsfläche  des  Heri- 
bertschreines, auf  welcher  die  emaillirten  Medaillons  angebracht  sind,  die  blos  eine 
grössere  Darstellung  auf  einer  Fläche  zeigen,   ist  an   den  durch    die  Medaillons 
nicht  ausgefüllten  Stellen  bedeckt  mit  getriebenen  Arabesken  in  vergoldetem  Roth- 
kupfer,   während   die   entgegengesetzte   Seite   des   Schreines  an   den  parallelen 
Stellen  getriebene  Ornamente  in  Silberblech  zeigt.    Es  dürfte   schwer  sein,    die 
figürlichen  Darstellungen  auf  diesen  dünn  getriebenen  Blechen  mit  Sicherheit  zu 
deuten.     Innerhalb  jeder  Quadratur   sind   nämlich    von   reichem   Laubwerk    mit 
Thieromamenten  durchflochtene  Kreismedaillons  ersichtlich,  im  Durchmesser  von 
5  Centimeter,  innerhalb  welcher  je  zwei  und  zwei  gegenübergestellte  sitzende  Bild- 
werke als  Basreliefs  dargestellt  sind.  Wie  es  den  Anschein  hat,  sind  diese  Bildwerke, 
gegenüberstehend,    im   Zwiegespräch   begriffen,  und   dürfte    als   nicht  zu   kühne 
Hypothese  der  Annahme  Zulass  gegeben  werden,  dass  jedesmal  durch  die  näm- 
liche Figur  die  verschiedenen  Leidenschaften  und  Kämpfe  veranschaulicht  werden 
sollen,  die  im  Leben  des  Einzelnen  sich  geltend  machen.     Die  Arabesken,  die 
diese  Medaillons  umgeben,  sind  mit  grossem  Schwung  und  technischer  Bravour 
in  derselben  Weise  gearbeitet,  wie  n^an  sie  in  verwandter  Form  an  den  spät- 
romanischen  Capitälen  des  XH.  Jahrhunderts  in  Menge  antrifft.     Die  getriebene 
Arbeit  ist  mit  grösserer  Energie  und  mit  hohem  Reliefs  in  dem  starkem  Roth- 
kupfer erzielt  worden,  als  das  auf  der  andern  Seite  in  dem  sehr  dünnen  Silber- 
blech der  Fall  ist.    Diese  zweite  Seite  der  Bedachung,  die  die  sechs  Darstellungen 
aus  dem  Knaben-  und  Jünglingsalter  des  heil.  Heribert  in  Email  zeigt,  lässt  in 
den  Vertiefungen  der  Quadrate,  die  diese  sechs  Rundmedaillons  umfassen,   das- 
selbe System  der  Omamentation  in  getriebener  Arbeit  erkennen,  wie  dasselbe  im 
Vorhergehenden   beschrieben  worden  ist    Die  Medaillons  auf  dieser  Seite   sind 
von  ähnlichen  reichstylisirten  Laub-  und  Thieromamenten  umzogen    und   treten 
schwach,  als   Relief,    in    sehr  dünnem  Silberblech  auf.      Geübte  Techniker,   die 
wir  zu  Rathe  gezogen    haben,    gaben  ihre  Meinung  dahin  ab,    dass    die  sämmt- 
lichen  im  dünnen   Bleche  getriebenen  natur- historisch   belebten   Ornamente   auf 
beiden   Bedachungsflächen  nicht  aus   freier  Hand    mit  dem   Punzen    getrieben, 
sondern    dass    diese    Metallbleche    durch    Prägung    über  Metallstanzen    hervor- 
gerufen worden  seien.    Als  Beleg  für  diese  Annahme  kann  angeführt  werden,  dass 
'die  getriebenen  Metallbleche  viel  zu  dünn  gehalten  sind,  als  dass  eine  Treibung 


24  KUN8T8CHAT2E  DER  PPABfiKIBCHE  ZU  DEUTZ. 

aus  freier  Hand  mit  Fug  angenommen  werden  könnte.  Aueh  kehren  nach  gleichen 
Zwischenräumen  dieselben  Darstellungen  und  Ornamente  gleichfbrmig  wieder  zu- 
rück, was  nicht  der  Fall  sein  dürfte,  wenn  diese  Basreliefs  durch  freie  Hand- 
arbeit erzielt  worden  wären. 

Es  würde  uns  bei  Beschreibung  des  vorliegenden  Schreinwerkes  zu  weit 
führen,  wenn  wir  es  versuchen  wollten,  ausführlicher  den  grossen  Kunstwerth  zu 
beleuchten  und  auch  noch  die  technische  Präparation  der  vielen  emaillirten  Bild- 
werke zu  besprechen,  die  auf  allen  Seiten  die  Flächen  des  St.  Heribert- Schreines 
zieren.  Es  sei  deswegen  gestattet,  nur  in  grossem  Umrissen  den  eigenthümlichen 
Werth  der  vielen  Emails  hierorts  hervorzuheben,  die  sich  in  dieser  Vortrefflichkeit 
an  keinem  anderen  religiösen  Kunstwerke  der  Erzdiöcese  in  verwandter  Weise 
vorfinden.  Vor  Allem  ziehen  die  Auimerksamkeit  des  Beschauers  auf  sich  die, 
17  Gentimeter  3  Millimeter  im  Durchmesser  grossen  Rundmedaillous,  die  auf 
den  Flächen  der  Bedachung  angebracht  sind.  Dieselben  scheinen  zwar  in  einer  und 
derselben  Werkstätte,  jedoch  von  zwei  verschiedenen  Meistern  angefertigt  worden 
zu  sein.  Sechs  Medaillons  nämlich,  auf  welchen  mehr  die  Jugendgeschichte  unseres 
Heiligen  dargestellt  ist,  sind  auf  dünnen  Platten  in  Rothkupfer  emaillirt,  die  ziem- 
lich flach  gehalten  sind,  wohingegen  die  sechs  übrigen  Medaillons  auf  der  andern 
Fläche  auf  starkem  Rothkupfer  ziemlich  hoch  gehalten  von  einer  andern  Hand 
emaillirt  zu  sein  scheinen,  und  zwar  in  farbigen  Schmelzen,  die  auch  in  Hinsicht 
der  Farbenstimmung  von  den  sechs  übrigen  Medaillons  sich  unterscheiden.  Diese 
emaillirten  Medaillons,  in  grosser  Perfection  der  Technik,  sind  zu  rechnen  zu  den 
,,emaux  champUiiSsy"  wie  sie  als  charakteristisch  für  die  Emailleurs  des  alten 
Kölns  an  den  vielen  noch  erhaltenen  Sehmelzwerken  aus  dem  XH.  Jahrhundert 
ersichtlich  sind.  Indem  wir  auf  das  vortreflTliche  Werk  des  M.  J.  Labarte*)  hier 
vorübergehend  hinweisen,  worin  das  Technische  und  Geschichtliche  der  mittelalter- 
lichen Schmelzkunst  ausführlich  behandelt  worden  ist,  bemerken  wir  nur,  dass  das 
,,ernail  ckampleve"  dadurch  erzielt  wird,  dass  der  Emailleur  auf  einer  starken 
Kupferplatte  mit  dem  Stichel  eine  Fläche  ausgräbt,  innerhalb  welcher  er  seine 
Schmelzflüsse  anbringen  will.  Nur  die  Umrisse  seiner  figürlichen  Darstellungen 
lässt  er  in  dünnen  Linien  erhaben  vorstehen,  damit  durch  diese  Einfassungslinien 
seine  vielfarbigen,  eingelassenen  Schmeke  abgegrenzt  werden.  Charakteristisch 
für  die  Emails  der  früh -kölnischen  Schule  ist  der  Umstand,  dass  sämmtliche 
Incamationstheile  der  vielen  Figuren  auf  diesen  zwölf  RundmedaiUons  blos  in 
Contouren  auf  vergoldeter  Fläche  angedeutet  sind,  die  in  Weise  der  Niello's  an 
dem  y  erduner  Altar  im  Kloster  Neuburg  mit  einem  schwarz -bläulichen  Email 
ausgefüllt  sind.  Wenn  schon  diese  grossen  Rundplatten  mit  ihren  vielen  histori- 
schen Darstellungen  für  das  Studium  der  Bekleidung  und  der  Gewandung  im 
Xn.  Jahrhundert  sowohl  auf  kirchlichem  als  profanem  Gebiete  von  Belang  sind, 
so  haben  auch  die  architektonischen  Darstellungen,   die  sich  in  grosser  Abwech- 


*)  Jul.  Labarte,  Recherches  sur  la  peintare  en  ^maU  dans  Tantiquit^  et  au  nioyen  a^.  F^uris  18^. 


KUnBTSCHÄTZB  DER  VFABXBJBßBE  ZU  DBCTS.  25 

selimg  in  yielfiirbigem  Schmelz  auf  diesen  Hatten  dargestellt  finden,  für  die  Ar* 
chäologie  ein  besonderes  Interesse,  und  das  um  so  mehr,  als  auf  dem  einen  Me^ 
daiUon,  auf  welchem  der  Empfang  und  der  Einzug  des  heil.  Heribertus  als 
neuerwäblter  und  bestätigter  Erzbischof  in  seine  Kathedralkirche  zu  Köln  bildlich 
vorgeführt  wird,  Einige  eine  adäquate  Abbildung  und  Darstellung  der  älteren 
romanischen  Domkirche  zu  Köln  haben  erkennen  wollen.  Wir  lassen  es  dahin 
gestellt  sein,  ob  durch  diese  künstlerisch  improvisirte  Architektur  mit  ihren  Mauern, 
2iinnen  und  Thttrmen  mehr  die  damalige  Stadt  Köln  mit  ihren  Thoren  und  Be- 
festigungswerken dargestellt  oder  ob  der  Empfang  des  neuen  Erzbischofs  von 
Seiten  seiner  Klerisei  beim  Eintritt  in  seine  Domkirche,  was  wir  weniger  glauben, 
hat  angedeutet  werden  sollen.  Hingegen  bietet  ein  anderes  Rundmedaillon  im  Durch- 
messer von  kaum  6V2  Centimeter  ein  grösseres  Interesse,  indem  hier  für  sich 
gesondert  ein  Kirchbau  in  vielfarbigem  Schmelz  dargestellt  ist  In  ziemlich  unbe- 
holfener Weise  hat  hier  der  Emailleur  zur  Anschauung  gebracht  eine  romanische 
Kirche  mit  doppelten  Absiden,  wie  man  sie  an  den  grösseren  Kirchen  zu  Mainz, 
Worms,  Speier,  St.  Godehard  zu  Hildesheim  und  anderswo  häufiger  antrifft.  Die 
eine  Choranlage  flankiren,  wie  immer,  zwei  kleine  Thürme,  und  über  dem  Mittel- 
schiff erhebt  sich  eine  kleine  kuppeiförmige  Anlage.  Wenn  man  in  dieser  Dar- 
stellung nicht  ein  willkürliches  architektonisches  Ornament  finden  will,  sondern  die 
bildliche  Wiedergabe  einer  in  Köhi  damals  vorfindlichen  Eärche,  so  dürfte  man 
zu  der  Annahme  sich  berechtigt  erachten,  dass  in  diesem  Emailwerk  annähernd 
entweder  die  alt- romanische  Domkirche  Kölns  copirt  sei  oder  aber  selbst  jene 
Abtei -Kirche  zu  Deutz,  die  im  Vereine  mit  Kaiser  Otto  IE.  jener  grosse  Bischof 
gebaut  und  reich  dotirt  hatte,  dessen  irdische  Ueberreste  in  diesem  Behälter 
niedergelegt  sind.  Ausser  den  ebengedachten  zwölf  grossen  Emailplatten  auf  den 
Bedachungsflächen  des  St.  Heribertus -Kastens  finden  sich  auch  noch  auf  eben 
diesen  Bedachungsflächen  reich  emaillirte  PUaster,  die  auf  der  einen  Seite  einfacher 
gehalten,  mit  Gapitälen  und  Sockel  versehen  sind,  die  jedoch  auf  der  andern 
Seite  sich  zu  breiten  omamentalen  Bändern  entwickelt  haben.  Diese  472  Centi- 
meter breiten  Omamentstreifen  auf  der  einen  Fläche  des  Reliquienkastens  zeigen 
in  der  Länge  von  7  Centimeter  vielfarbige  Schmelzwerke  in  romanisch  sfylisirtem 
Laub,  abwechselnd  mit  quadratischen  bildlichen  Darstellungen  in  Niello's  auf 
Goldgrund,  wodurch  offenbar  die  verschiedenen  christlichen  Tugenden  dargestellt 
werden  sollen,  die  in  dem  Leben  des  heil.  Heribertus  besonders  hervorieucliten. 
Ea  sind  nämlich  in  diesen  zehn  Quadraten  in  Halbfiguren  allegorische  Darstellungen 
mit  rothem  Heiligenschein  zur  Anschauung  gebracht,  die  mit  Gewalt  das  Haupt 
einer  dabei  befindlichen  kleineren  Figur  niederhalten  und  zu  erdrticken  scheinen, 
bekanntlich  die  im  Mittelalter  gebräuchliche  symbolische  Darstellung  der  Tugenden, 
die  das  entgegengesetzte  Laster  mit  grosser  Kraftanstrengung  niederhalten  und 
beherrschen.  Diese  sieben  Bandstreifen  auf  der  einen  Bedachungsfläche  werden 
nach  oben  und  unten  durch  kleine  Halbmedaillons  abgeschlossen  im  Halbmeaaer 
von  5  Centimeter,  die  in  vielfarbigem  Schmelz  die  neun  Chöre  der  Engel  veraar 
schaulichen  sollen,  in  deren  selige  Gemeinschaft  der  Heilige  bereits  eingegaiigea 

4 


26  RUIIBTSCHÄTZE  DER  PFABBKIBCHE  Zu  DBUTZ. 

ist,  dessen  Gebeine,   dem  grossen  Tage  der  Auferstehung  entgegenharrend ,  hier 
eingesehlossen  sind. 

Den  grössten  künstlerischen  Werth  haben  unstreitig  jene  interessanten 
EmaUs,  die  auf  vierzehn  24  Centimeter  langen  und  5  Centimeter  3  Millimeter 
breiten  Metallstreifen  in  höchster  Vollendung  der  Technik  dargestellt  sind.  Auf 
diesen  breiten  Metallstreifen  von  Bothkupfer,  die  auf  beiden  Seiten  das  sitzende 
Bildwerk  der  Apostel  als  stützende  Pfeiler  umgeben,  erschaut  man  stehend  die 
19  —  20  Centimeter  grossen  Bildwerke  der  Propheten,  die  unbedingt  als  die  vor- 
züglichsten figtlrlichen  Darstellungen  zu  betrachten  sind,  welche  überhaupt  an 
dem  Schreine  zur  Geltung  kommen.  Es  ist  nämlich  die  Composition  dieser  Patri- 
archen und  Propheten  des  alten  Bundes  in  einer  grossen  Kraft  und  Würde  gehal- 
ten, wodurch  dieselben  als  die  Säulen  und  die  Träger  des  neuen  Bundes  ange- 
deutet werden  sollen.  Diese  Eemgestalten,  besonders  aber  die  Bildwerke  des 
Königs  David  und  Moyses,  verrathen  ein  ausgezeichnetes  compositorisches  Talent, 
das  es  bereits  in  dieser  frühen  Zeit  verstand,  sich  möglichst  frei  und  selbstsüln- 
dig  in  figtlrlichen  Bildungen  zu  bewegen,  ohne  den  Einfluss  byzantinischer  Vor- 
bilder ängstlich  zuzulassen.  Auch  die  Härten  des  Styles  sind  hinsichtlich  der 
Anatomie  bei  diesen  Darstellungen  ziemlich  vermieden.  Was  die  technische  Aus- 
führung dieser  meisterhaft  componirten  Bildwerke  betrifft,  so  muss  gesagt  werden, 
dass  diese  Schmelzwerke  das  Werk  der  Emaillirkunst  des  XII.  Jahrhunderts  auf 
der  Höhe  der  Entwickelung  erscheinen  lassen.  Dahin  sind  zu  rechnen  nicht  nur 
die  wachsenden  Farbenschattiningen,  wie  sie  in  dem  fliessenden  Faltenwurf  dieser 
vierzehn  Figuren  vorkommen,  sondern  auch  insbesondere  die  Anwendung  eines 
fleischfarbigen,  schönen  Emails,  wodurch  das  Incamat  der  Köpfe  und  der  Hände 
durchgehends  mit  grosser  Meisterschaft  wieder  gegeben  worden  ist  im  Gegensatz 
zu  den  in  Gold  emaillirten  Incamationstheilen  der  figürlichen  Darstellungen  der 
zwölf  obengedachten  Rundmedaillöns. 

Was  die  Entstehungszeit  des  in  Rede  stehenden  Prachtschreines  betrifit, 
so  ist  vorerst  an  der  Jahreszahl  1147  festzuhalten,  die  unser  früher  belobter  Vor- 
gänger bei  der  historischen  Beschreibung  der  vielen  Bildwerke  des  Heriberta- 
kasteps  als  das  Jahr  der  Anfertigung  aufgestellt  und  angegeben  hat  Leider  hat 
derselbe  es  unterlassen  die  Quelle  näher  anzugeben,  worauf  er  diese  seine  Be- 
hauptung stützt. 

Urtheilt  man  nach  dem  Totaleindruok,  den  .  dieses  christliche  Mausoleum 
auf  den  aufmerksamen  Beschauer  macht,  der  sich  in  den  Gebilden  romanischer 
Qoldschmiedekunst  weiter  umgesehen  hat,  so  dürfte  man  fUr  die  Gesammtanlage 
in  ihren  architektonisch  einfach  gehaltenen  Formen  obige  Jahreszahl  als  Entste- 
hungszeit  des  gedachten  Prachtschreines  unbedingt  zulassen.  Indessen  scheint 
sowohl  die  Composition  als  die  grosse  technische  Meisterschaft,  womit  die  vielen 
Emails  und  kleinen  getriebenen  Bildwerke  in  Silberblech  ausgeführt  sind,  eher 
für  die  Entstehungszeit  desselben  in  dem  letzten  Viertel  des  XU.  Jahrhunderts 
Zengnif«  ablegen  zu  wollen. 


KUBSTBCHÄTZE  DER  PFARRKTRCHE  ZU  DEÜTZ.  27 

Viele  Jahrhunderte  hindurch  haben  die  Gläubigen  der  Erzdiöcese  KOhi  ihre  An- 
dacht vor  dem  Prachtschreine  verrichtet,  der  die  irdischen  Ueberreste  des  grossen 
köhüschen  firzbischofs,  des  h.  Heribert  birgt.  Viele  Jahrhunderte  haben  es  nicht 
vermocht  den  unvergleichlich  grossartigen  Schrein  jener  reichen  Zierrathen  zu 
entkleiden  und  zu  berauben,  die  im  Vorstehendem  weiter  beschrieben  worden  sind. 
Selbst  die  grosse  französische  Revolution,  die  mit  räuberischer  Hand  sowohl  im 
In-  als  im  Auslande  sich  an  den  Grabstätten  grosser  Todten  zu  vergreifen  keine 
Scheu  hatte,  zumal  wenn  sie  von  edlem  Metall  waren,  hat  glücklicher  Weise  den 
Heribertsschrein  unangetastet  gelassen,  weil  ihr  wahrscheinlich  der  geringe 
metallische  Gewinn  nicht  bedeutend  genug  erschien.  Nur  kleinere  Unbilde 
vergangener  Zeiten,  im  Bunde  mit  dem  Ungeschmack  und  dem  verschönernden 
Unverstand  Einzelner,  die  der  Grabstätte  des  h.  Heribert  eine  sogenannte  Restau- 
ration angedeihen  Hessen,  haben  dem  gedachten  Meisterwerke  mittelalterlicher  Gold- 
schmiedekunst nicht  nur  erheblichen  Schaden  zugefügt,  sondern  auch  dasselbe 
in  seinen  äussern  Flächen  mit  einem  dichten  Schmutztimisi^  gänzlich  Überstrichen. 
So  kam  es,  dass,  als  in  den  jüngsten  Tagen  der  Heribertskasten  längere  Zeit  im 
erzbischöflichen  Museum  für  Viele  wieder  zugänglich  und  sichtbar  geworden  war, 
von  mehrem  Seiten  der  Wunsch  ausgedrückt  wurde,  es  möchte  in  nicht  zu  femer 
Zeit  sich  ein  Wohlthäter  finden,  der  die  nicht  unbedeutenden  Kosten  für  eine 
gründliche  stylgerechte  WiederhersteUung  des  gedachten  Schreinwerkes  gross- 
müthig  bestreite.  Dieser  Wunsch  ist  in  neuester  Zeit  dadurch  in  Erfüllung  ge- 
gangen, dass  Se.  Hoheit,  der  Fürst  Carl  Anton  zu  Hohenzollem- Sigmaringen, 
Höchstdieselben  durch  Ankauf  ähnlicher  Kunstwerke  viele  Schätze  für  das  Vater- 
land bewahrt  und  gerettet  haben,  grossmüthig  die  nicht  unbedeutenden  Mittel 
bewilligt  haben,  um  dui'ch  Meisterhand  den  Schrein  genau  und  streng  in  jenen 
Formen  wieder  herstellen  und  verjüngen  zu  lassen,  wie  derselbe  ursprünglich  aus 
der  Hand  der  alten  „cofifraiermtag  aurifabrorum**  zu  Köln  im  XH.  Jahrhundert 
hervorgegangen  ist 

Auf  Wunsch  des  genannten  fürstlichen  Geschenkgebers  erhielt  F.  X.  Hellner 
in  Kempen ,  der  als  Meister  im  Treiben  und  Ciseliren  sich  in  jüngster  Zeit  auf 
dem  Gebiete  der  kirchlichen  Goldschmiedekunst  einen  namhaften  Ruf  verschafft  hat, 
den  ehrenvoUen  Auftrag,  die  vielen  sehr  beschädigten  Bildwerke  und  omamentalen 
Details  des  Reliquienschreines,  unbeschadet  seiner  stylistischen  Eigenthümlichkeiten, 
im  Geiste  und  der  Form  der  kunstsinnigen  Anfertiger  wieder  zu  ergänzen  und 
herzustellen.  Unter  der  überwachenden  Leitung  eines  eigens  ernannten  Ausschusses 
vom  Vorstande  des  christlichen  Kunstvereins  hat  der  ebengedachte  Meister  schon 
längere  Zeit  die  Restaurationsarbeiten  begonnen  und  in  der  schwierigen  Technik  des 
Treibens  gegenwärtig  sämmtliche  figuralen  Bildwerke  des  besagten  Reliquienschrei- 
nes in  einer  Weise  wieder  hergestellt,  dass  der  Vorlage  dieser  Wiederherstellungs- 
arbeiten die  überwachende  Commission  ihren  vollen  Beifall  nicht  versagen  konnte. 
Dank  der  fürstlichen  Grossmuth,  wird  in  wenigen  Monaten  der  trefflich  wiederher- 
gestellte, kostbare  Reliquienschrein  der  Deutzer  Pfarrkirche  als  dauernde  Zierde 
wieder  zurückgegeben  werden  und  alsdann  an  einer  neuen  wohlversicherten  Stelle 


28  KUNST8CHÄTZE  DBB  PFABBK0U?HE  Zu  VBXJTZ. 

eine  solche  Aufstellung  erfahren,  dass  dieses  Palladium  der  ErzdiOeese  nicht  nur 
den  frommen  Besuchern  der  Einwohner  von  Deutz  und  Köln  leichter  als  seither 
zugänglich  wird,  sondern  dass  es  auch  fortan  auswärtigen  Kennern  und  Verehrern 
mittelalterlicher  Kunst  bequemer  und  würdiger  vorgezeigt  werden  kann. 


Ehemalige  fiirchenschätze  der  Abtei  zu  Dentz. 

Der  Schatz  der  Liebfrauenkirche  jener  Abtei,  die  zufolge  einer  Ueberein- 
kunft  zwischen  Otto  m.  und  dem  heil.  Heribert  nach  dem  Tode  des  Erstgenannten 
im  Jahre  1003  vom  heil.  Heribert  gestiftet  und  von  ihm  und  seinem  Nachfolger 
Piligrin  mit  reichen  Gütern  ausgestattet  worden,  muss  ehemals  bedeutend  gewes^ 
sein.  Indessen  trug  die  Lage  der  Kirche  in  dem  befestigten  Gastell  Deutz,  Köln 
unmittelbar  gegenüber,  viel  dazu  bei,  dass  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  in  bürger- 
lichen und  religiösen  Zwistigkeiten  Kölns  bedeutende  Verluste  zu  erleiden  hatte. 
So  erlebte  die  Stiftung  des  heil.  Heribert  im  Jahre  1376,  1585  und  1632  schwere 
Zeiten  und  wurde  in  diesen  Perioden  die  gedachte  Abtei -Kirche,  und  deren 
reiche  Schätze  durch  feindliche  und  Feuers -Verheerung  hart  heimgesucht.  Viele 
werthvolle  Schätze  aus  alter  Zeit  scheinen  in  diesen  Katastrophen  untergegangen 
zu  sein,  so  dass  zu  Zeiten  des  kölnischen  Chronisten  Gelen  der  damalige 
kirchliche  Kunst-  und  Beliquienschatz  sehr  zusammengeschmolzen  gewesen  sein 
muss,  indem  derselbe  nur  wenige  Ueberbleibsel  in  der  Deutzer  Abtei  in  seinem 
Greschichtswerke  namhaft  macht 

So  ftlhrt  Gelen  in  seinem  Werke:  „de  mngnitudine  Colomae"  an,  dass  sieh 
die  Gebeine  des  Stifters  der  Abtei -Kirche  Unserer  lieben  Frau  zu  Dentz  in  einem 
silbernen  Sarkophage  aufbewahrt  fänden.  Es  ist  das  unstreitig  jener  unvergleich- 
lich kostbare  Schrein,  den  heute  noch  die  Pfarrkirche  zu  Deutz  besitzt  und  den 
wir  unter  No.  84.  ausführlicher  beschrieben  und  abgebildet  haben.  Auch  des 
Stabes  (scipio)  erwähnt  Gelen,  dessen  wir  im  Vorhergehenden  Erwähnung  gethan 
haben.  Andere  werthvoUe  Ueberreste  und  Kleinodien  des  heiL  Heribert  in 
kunstrdohen  und  kostbaren  Fassungen,  wovon  ebenfalls  der  alte  Chronist  spricht, 
scheinen  bei  Aufhebung  der  Abtei  verloren  gegangen  zu  sein;  dahin  ist  noch  zu 
rechnen  der  reiehsculptirte  Elfenbeinkamm  des  h.  Heribert 

Es  pflegte  nämlich  bei  der  Consecration  des  Bischöfe  im  Mittelalter,  nach 
der  Salbung  des  Hauptes,  das  Haupthaar  mit  einem  reichgesehnitzten  ,^peeiem 
ebumeum**  wieder  geordnet  und  gekämmt  zu  werden.  Zur  Erinnerung  an  diese 
bischöfliche  Salbung  und  Weihe  wurde  der  Consecrations-Kamm  fortwährend  in 
höben  Ehren  gehalten.  Mit  demselben  Kamme  wurde  auch  das  Haupthaar  des 
Bisehofs  geordnet,  wenn  er  femer  nach  Anlegung  sämmtlieher  Gewände  als  Pon- 
tifex  cdebrirte.   Derselbe  Kamm  folgte  dem  verstorbenen  Oberhirten  in  das  Grab. 


KUNSTSGHÄTZE  DER  PFABRKIRCHE  ZU  DEUTZ.  29 

Dem  Gebrauche  des  Mittelalters,  den  verstorbenen  Bischof  in  feierlichen  Pontifical- 
gewändem  zugleich  mit  dem  „pecten  cansecrationis^*  zu  beerdigen,  verdankt  man 
heute  noch  das  Vorfinden  von  mehreren  älteren  bischöflichen  Kämmen.  So 
machen  wir  hier  im  Vorbeigehen  auf  den  interessanten,  heute  noch  in  der  Pfarr- 
kirche zu  Siegburg  vorfindlichen  mit  sculptirten  Greifen  verzierten  Kamm  des 
grossen  Anno  aufkaerksam,  der  sich  im  Grabe  bei  den  Gebeinen  dieses 
heil.  Erzbischofs  vorgefunden  hat.  Auch  zu  Iburg  im  Hannoverschen  zeigt  man 
noch  zugleich  mit  dem  alten  Messgewande  von  kostbarem  lyrischen  Purpur  den 
Gonsecrations-Eamm  des  Bischofs  Benno  von  Osnabrück.  « 

Bei  Besichtigung  des  heute  im  städtischen  Museum  zu  Köln  befindlichen 
in  Elfenbein  sculptirten  Kammes  mit  der  bildlichen  Darstellung  der  Kreuzigung 
Christi  fühlten  wir  uns  zu  der  Annahme  hingezogen,  dass  dieses  in  byzantinisiren- 
dem  Style  mit  reichen  Ornamenten  verzierte  Geräth  jener  bischöfliche  Kanmi  sein 
dürfte,  der  ehemals  dem  heil.  Heribert  zugehört  habe.  Die  Sculpturen  auf  diesem 
prachtvollen  Kamm  zeigen  nämlich  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  den  in  Elfenbein 
geschnitzten  omamentalen  und  figuralen  Darstellungen,  wie  sich  dieselben  auf 
dem  vorhin  beschriebenen  Stab  des  h.  Heribert  vorfinden. 

Gelen  unterlässt  auch  nicht  bei  der  Aufzählung  des  Schatzes  der  ehemaligen 
Abtei -Kirche  zu  Deutz  auf  das  Messgewand  des  heil.  Heribert  hinzuweisen. 
Glücklicher  Weise  findet  sich  dasselbe  wohlverwahrt  daselbst  noch  vor.  Dieses 
seltene  Gewand,  in  einem  äusserst  kostbaren  und  prachtvollen  Cendelstoflfe  von 
goldfarbiger  Seide  gehalten,  hat  dieselbe  Form  und  den  gleichen  Schnitt,  wie 
das  documentirte  Messgewand  des  h.  Willigis  zu  Mainz,  des  h.  Bemward  zu 
Hildesheim  und  des  h.  Bernhard  zu  Brauweiler. 

Wir  werden  im  Anhange  dieses  Werkes  das  ebengedachte  seltene  Mess- 
gewand des  heil.  Heribert  näher  besprechen  und  bei  dieser  Gelegenheit  die  Be- 
schreibung der  casula  des  grossen  Albertus  hinzufügen,  die  sich  heute  noch  in 
der  St.  Andreas -Kirche  zu  Köln  vorfindet,  in  welcher  auch  die  Gebeine  desselben 
beigesetzt  worden  sind. 

Unser  oftgedachter  Gewährsmann  unterlässt  es  nicht,  bei  der  Beschreibung 
des  Kirchenschatzes  der  ehemaligen  Abtei  Deutz  auf  einige  sehr  merkwürdige 
stoffliche  Reliquien  aufinerksam  zu  machen,  die  daselbst  vormals  aufbewahrt 
wurden.  Man  zeigte  nämlich  daselbst  noch  zu  seiner  Zeit  den  Leibgürtel  der 
h.  Ursula  und  andere  Omatstücke  derselben  berühmten  kölnischen  Martyrin. 

Gelen  hebt  an  dieser  Stelle  hervor,  dass  sowohl  dieser  Gürtel,  als  auch 
die  übrigen  Gebrauchsgegenstände  der  h.  Ursula  den  Stempel  des  höchsten  Alter- 
thums  zur  Schau  trugen  und  durch  ihre  grosse  Einfachheit  die  Entstehung  in  so 
früher  Zeit  hinlänglich  bethätigten. 


Druck  von 'J.  B.  Hirsch  fei d  in  Leiptif. 


iflüiiOFtfritÄtrr^ ,  B'initria  m  A<rfrrg.r» .»  ß.  (ürgn^ . 


|-l-I-V,.NJ4z}i,R  HNT 


%M 


Derfc^iebeneti  ^irc^en  ^ofc 


Mittelalterliche  Kunstgegenstände 

1.  in  Iter  IHinoriten  -  XirAe . 

'  Seile 

87)  Altarkreuz  als  Reliquiarium  in  yergoldetem  Kupfer.     XIV.  Jahrh.     Taf.  XXV.  Fig.  87       3 

n.  in  ^t.  !Maria  in  itt  Snpfe rgosse : 

88)  Kelchlöffelchen  in  vergoldetem  Silher»  XIV.  Jahrhundert.     Taf.  XXV.    Fig.  88     .     .       5 

ni.  ans  ^t.  Saroh  (ehemals  ^t.  dSeorg): 

89)  Kusstäfelchen  in  Silber»  XVI.  Jahrhundert.     Taf.  XXV.   Fig.  89 7 


87. 

Altar -Erenz, 

ein  Reliquiarium  in  vergoldetem  Kupfer. 

Grösate  Länge  1  Meter  20  Centimet. ;  Breite  der  Queranne  78  Centimet. ;  grösste  Länge  des 

Cnioifixes  64  Centimeter.     XIV.  Jahrhundert. 

Die  Minoritenkirche  in  Köln  besitzt  heute  von  ihrer  ehemaligen  kunst- 
reichen Ausstattung  keine  Gefässe  mehr,  die  von  der  Höhe  der  Ent>vickelung  kirch- 
licher Goldschmiedekunst  im  XIII.  Jahrh.  Zeugniss  ablegen  können.  Die  Stttrme  einer 
spätem  kunstfeindlichen  Zeit  haben  das  Alles  zerstört,  was  der  fromme  Sinn  der 
Vorfahren  an  kostbaren  liturgischen  Gefässen  und  Gewändern  zur  Zierde  der  hie- 
sigen Minoritenkirche  geschafft  hatte.  Glucklicher  Weise  hat  sich  unter  den  übrigen 
Gebrauchsgeräthschaften,  die  sämmtlich  aus  der  Blüthezeit  des  Zopfes  herrühren, 
ein  Kreuz  noch  aus  der  Abtei  Brauweiler  in  die  Minoritenkirche  durch  letztwillige 
Schenkung  gerettet,  das  seiner  Ausdehnung  nach  als  das  grösste  Vorsatz-  und 
Altar-Kreuz  betrachtet  werden  kann,  das  sich  in  der  Diöcese  Köln  in  edlem  Metall 
heute  noch  vorfindet.  Das  Kreuz  selbst,  in  Bothkupfer  gefertigt,  hat  eine  grösste 
Breite  von  14  Centimeter;  der  äussere  Band  desselben,  in  Breite  von  2'/2  Cen- 
timeter, tritt,  in  Bothkupfer  gehalten,  nach  allen  Seiten  hin  stark  vor.  Als  Orna- 
mente erblickt  man  in  diesem  vorspringenden  Bande  energisch  eingravirt  eine 
Inschrift,  bestehend  aus  spätromanischen  Majuskelbuchstaben,  die  in  leoninischen 
Versen  folgendes  Legendarium  enthält: 

„nobHis  o  stipes  fructu  satis  ubere  dives 
vivificante  piagas  orbis  serva  antequam  ....*) 
ergo  benigne  Deus  in  iigno  pendens  homo 
verus  hie  te  guaerentes  voveas  et  vota  Jerentes," 

Die  breitere  Vertiefung  des  Kreuzes  in  einer  Ausdehnung  von  1 0  Centimeter  lässt 
auf  feuervergoldetem  Glanzgrunde  in  Bothkupfer  einen  Kreuzesstamm  in  natura- 
listischer Auffassung  erkennen.  Hinter  dem  Haupte  des  Gekreuzigten  erblickt  man 
einen  grossen  Nimbus  im  Durchmesser  von  17  Centimeter,  der  im  Innern  mit 
einem  breiten  Malteserkreuze  geziert  ist.  Ueber  dem  Kreuze  selbst  erblickt  man 
als  „tituius  crucis"  eine  viereckig  längliche  Platte  in  der  Länge  von  28  Centimeter 
bei  einer  Breite  von  14  Centimeter,  die  in  ihren  vier  Ecken  mit  grossen  Krystall- 
pasten  verziert  ist.  In  der  Mitte  dieses  Aufsatzes  ist  ein  grösserer  Krystall  in 
runder  Schleifung  angebracht,  der  im  Durchmesser  8  Centimeter  misst.  Dasselbe 
System  der  Omamentation  mit  Krystallpasten  ist  auch  an  den  obern  Kreuzbalken 

'*')  Das  letzte  Wort  durch  Abkürzung  undeutlich. 


4  AUS  VERSCHIEDENEN  KIRCHEN  KÖLNS. 

ZU  beiden  Seiten  des  Nimbus  beibehalten.  Leider  fehlt  gegenwärtig  dieses  stattliehe 
Ornament  an  dem  untern  Fussbalken,  und  sind  daselbst  nur  noch  die  Anbohrungen 
ersichtlich,  in  welchen  ehemals  diese  Bergkrystalle  mit  zierlichen  Fassungen  be- 
festigt waren.  Wenn  nun  schon  das  ebengedachte  Kreuz  in  seiner  idealen  Gestal- 
tung als  Siegeszeichen  der  Erlösung  fllr  das  Studium  der  christlichen  Kunst  von 
Interesse  ist,  so  dürfte  die  figtlrliche  Darstellung  des  Gekreuzigten  selbst  in  mehr 
als  einer  Beziehung  ein  noch  grösseres  Interesse  von  Seiten  der  Kunstarchäologie 
beanspruchen.  Der  Gekreuzigte  selbst  ist  nicht  mehr  in  jener  idealen  Weise  als 
Gott  herrschend  und  regierend  vom  Kreuze  aus  aufgefasst  und  dargestellt;  es 
ist  nicht  mehr  jener  Christus,  der,  auf  dem  Suppedaneum  mit  beiden  Füssen 
nebeneinander  stehend,  das  ,,stahat  benedicens  in  cruce*'  veranschaulicht,  sondern 
der  Körper  des  Heilands  soll  in  der  vorliegenden  Situation  mehr  die  leidende 
Menschheit  im  Gekreuzigten  veranschaulichen.  Deswegen  sind  bereits  die  Wund- 
male, der  berühmten  Vision  der  h.  Brigitta  zu  Folge,  mit  Nägeln  durchbohrt,  was 
bei  der  frühem  Auffassungsweise  nicht  der  Fall  war.  Auch  der  in  früherer  Periode 
noch  gebräuchliche  Holzblock  fehlt  unter  den  Füssen  und  beide  sind  über  einander 
gelegt  nur  von  Einem  Nagel  durchbohrt.  Wahrscheinlich  zeigte  sich  primitiv  auf 
dem  Haupte  des  Gekreuzigten  die  Domenkrone,  die  jedoch  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten beseitigt  und  durch  eine  neue  Königskrone  in  der  Weise  der  Renaissance 
ersetzt  worden  ist.  Von  besonders  schöner  Entwickelung  und  Stylisirung  ist  das 
Lendentuch  des  Gekreuzigten,  dessen  Draperie  frappant  an  den  Faltenwurf  der 
Sculpturen  erinnert,  wie  derselbe  seit  dem  Beginn  des  XIV.  Jahrh.  von  den  Bild- 
hauem  Kölns  behandelt  zu  werden  pflegte.  Dieses  „perisomum"  liegt  in  reichem 
Gefälte  gehäuft  zu  beiden  Seiten  des  Gekreuzigten,  während  der  Unterkörper 
desselben  durch  ein  bis  zu  den  Knieen  heruntersteigendes  Schürztuch  bedeckt 
wird.  Von  grosser  technischer  Vorzüglichkeit  und  mit  vieler  Naturwahrheit  ist  der 
Koj^f  des  Gekreuzigten  in  getriebener  Arbeit  foraiirt  Derselbe  ist  in  dem  Momente 
dargestellt,  wie  er  das  Haupt  neigt  und  spricht:  „Es  ist  vollbracht'^  Auch  Brust 
und  Oberkörper  des  Gekreuzigten  sind  mit  ziemlicher  Beachtung  der  anatomischen 
Vorschriften,  >vie  es  der  Styl  des  Jahrhunderts  zuliess,  aufgefasst  und  durchgeführt 

Damit  der  ^.corpus*'  des  Gekreuzigten  von  ziemlicher  Ausdehnung  durch 
einen  starken  Dmck  keinen  Schaden  nehme,  so  ist  das  Innere  desselben  mit  Holz 
ausgefüllt  und  sind  daher  die  einzelnen  getriebenen  Silberbleche,  welche  die  ver- 
schiedenen Körpertheile  formiren ,  mit  kleinem  Nägelchen  auf  der  ebengedachten 
Unterlage  befestigt. 

Dass  das  ebenbeschriebene  Christusbild  ehemals  als  Reliquiarium  auf  einem 
Kreuzaltare  aufgestellt  war,  beweist  das  Vorhandensein  einer  ausgehöhlten  Kapsel 
auf  der  Brust  des  Crucifixes  in  Herzform,  die  unter  Glasverschluss,  von  Perlen 
umgeben,  Reliquien  erkennen  lässt,  welche  der  Inschrift  zu  Folge  von  den  Aposteln 
Simon  und  Juda  herrühren.  In  dem  zierlich  profilirten  Rande,  der  in  vergoldetem 
Silber  diese  herzfbrmige  Kapsel  umgibt,  gewahrt  man  nach  kleinem  Zwischen- 
räumen, als  Füllung  in  der  Hohlkehle,  kleinere  Vierpassrosen,  die  wir  in  ähnlicher 
Weise  als  feststehendes  Ornament  an  den  profilirten  Randeinfassungen  reicherer 


AUS  VEBSCHIEDENEN  KIRCHEN  KÖLNS.  5 

Gefässe  aus  der  Periode  Carls  lY.  wahrgenommen  haben.  Hinsichtlich  der  Ent- 
stehungszeit des  in  R^de  stehenden  Altarkreuzes»  das  wohl  seiner  grossen  Aus- 
dehnung wegen  niemals  ein  besonderes  Fussgestell  gehabt  hat*),  fügen  wir  hier 
noch  hinzu,  dass  nicht  nur  die  noch  stark  romanisirenden  Majuskelbuchstaben  der 
Inschrift,  sondern  auch  die  obenbertthrte  Darstellungsweise  des  Gekreuzigten  mit 
der  stark  markirten  Draperie  des  Schtlrztuches  zum  deutlichen  Belege  dienen,  dass 
das  vorliegende  stattliche  Meisterwerk  der  Goldschmiedekunst  in  der  ersten  Hälfte 
des  XIV.  Jahrhunderts  von  Kölnischen  Goldschmieden  Entstehung  gefunden  habe. 
Es  gereicht  dem  jetzigen  Rector  der  Minoritenkirche  zum  bleibenden  Verdienste, 
dass  er  bei  dem  in  den  vierziger  Jahren  erfolgten  Absterben  eines  bejahrten  Cano- 
nicus  dieses  nachweislich  aus  der  Abtei  Brauweiler  herrührende,  grossartige  Kreuz 
erworben  und  dasselbe  einer  von  den  Kölnern  bevorzugten  Lieblingskirche  dauernd 
zugeeignet  hat,  die  in  neuster  Zeit  durch  die  Grossmuth  und  Gabefreudigkeit  eines 
ausgezeichneten  Kölner  Btlrgers,  des  Rentners  Richartz,  mit  grossem  Kostenauf- 
wande  im  Innern  und  Aeussem  stylgerecht,  im  Geiste  des  ersten  Erbauers  wieder 
hergestellt  werden  wird. 

Die  Minoritenkirche  in  Köln,  in  welcher  ehemals  viele  adlichen  Familien 
ihre  Familiengräber  besassen  und  die  auch  wegen  der  zahlreich  darin  aufgehängten 
Wappenschilder  und  Waffen  vom  Volke  „die  Ritter-Kirche^'  genannt  wiu'de,  besass 
ehemals  einen  reichen  Kirchenschatz,  bestehend  aus  werthvoUen  liturgischen  Ge- 
wändern, Reliquiarien  und  Kleinodien,  die  in  der  geräumigen  und  schön  construirten 
Sacristei  aufbewahrt  wurden.  Heute  ist  das  Alles  im  Strudel  politischer  Umwäl- 
zungen verschwunden  und  hat  Gelen  bei  der  Nachfrage  nach  den  ehemaligen 
Kleinodien  der  Ordenskirche  der  y^Jratres  minores**  in  einem  numerischen  Ver- 
zeichnisse angegeben,  was  sich  zu  seiner  Zeit  noch  vorfand.  Ausser  reich  gear- 
beiteten und  werthvoUen  Reliquienbehältem  bewunderte  man  im  Schatze  der  Mino- 
ritenkirche ehemals  fbnf  verschiedene  in  Silber  getriebene  Standbilder,  welche  die 
Reliquien  verschiedener  Heiligen  enthielten.  Gelen  fügt  nicht  hinzu,  ob  unter  diesen 
jfStatuae  argmUeae"  Brustbilder  oder  vollständige  Statuetten  zu  verstehen  seien; 
das  Letztere  scheint  das  Wahrscheinlichere  zu  sein. 


88. 

EelchlSffelchen 

in  vergoldetem   Silber. 

Länge  8  Vi  Centime ter.     XTV.  Jahrhundert 

Der  Gebrauch  der  Löffel  im  profanen  Leben  reicht  bis  ins  höchste  Alter- 
thum  und  dürfte  mit  der  Bereitung  flüssiger  Speisen,  die  in  kleinem  Quantitäten 


*)  Der  lange  eiserne  Zapfen  Ton  dickem  Metall,  der  an  dem  untern  Balken  sich  als  Zunge 
zuspitzt,  scheint  anzudeuten,  dass  mit  diesem  Theile  das  vorliegende  Kreuz  in  die  Predella  oder  die 
Lichterbank  eines  Altares  eingeschoben  werden  konnte. 


6  AUS  VERSCHIEDEKEN  KIBCHEN  KÖLNS. 

genossen  wurden,  als  gleichzeitig  angenommen  werden.  Auch  der  Grebrauch  der 
Löffel  in  der  Kirche  bei  der  Feier  des  h.  Opfers  stammt  aus  frühchristlicher  Zeit 
wie  das  bei  altern  liturgischen  Schriftstellern  ausführlicher  zu  ersehen  ist  Bei  der 
Feier  der  h.  Messe  bediente  man  sich  seit  der  ältesten  Zeit  zweier  verschieden^ 
gestalteter  Löffel.  Der  eine  grössere  derselben,  in  Form  einer  Seihe,  den  die  älteren 
Schatzverzeichnisse  „colum,  colatorium"  oder  auch  „Syan"  nennen,  wurde  liturgisch 
dazu  benutzt,  um  den  dargebrachten  Opferwein,  ehe  man  denselben  in  den  Kelch 
goss,  durch  diesen  löffelartigen  Behälter  zu  giessen  und  zu  reinigen.  Dieser  Löffel 
hatte  deswegen  in  seinem  untern  Behälter  mehrere  feine  Löcher.  Ein  anderer 
kleinerer  Löffel  fand  jedoch  schon  im  frtthen  Mittelalter  in  mehrem  Kirchen  des 
Abendlandes  bei  der  Feier  der  h.  Messe  seine  Anwendung,  um  mit  demselben  aus 
dem  Messkännchen  einige  Tropfen  Wasser  zu  nehmen,  die  dem  zu  consecrirenden 
Weine  beim  „offertonum*'  hinzugefügt  wurden.  Dieses  zweite,  einfache  Löffelchen 
führte  zum  Unterschiede  von  dem  obengedachten  KeinigungsgefiLsse  in  altem  Schatz- 
verzeichnissen den  Namen  „cochlear,  coclear."  Noch  eine  dritte  Abart  von  Löffel 
kommt  seit  den  Tagen  des  Mittelalters  bis  zur  Stunde  noch  bei  gottesdienstlichen 
Verrichtungen  vor:  es  ist  das  jenes  „cochlear,*'  womit  der  Priester  den  Weihrauch 
aus  dem  Schiffchen  (naviculum)  in  das  Feuerbecken  des  Rauchfasses  einlegt 

Nur  wenige  Exemplare  von  mittelalterlichen  Löffelchen,  die  zu  den  beiden 
letztgenannten  kirchlichen  Handlungen  gebraucht  werden,  finden  sich  heute  noch 
in  reicherer  Formentwickelung  vor.  Nicht  leicht  dürfte  in  den  verschiedenen 
Kirchen  des  Rheines  bis  zur  Stunde,  im  liturgischen  Grcbrauche  befindlich,  sich 
ein  Löffelchen  in  der  Ausbildung  und  eigenthttmlichen  Anlage  vorfinden,  wie  unsere 
Zeichnung  in  natürlicher  Grösse  es  veranschaulicht.  Dasselbe  hat  sich  heute 
noch  als  einzelnes  kircliliches  Gebrauchsgeräth  des  Mittelalters  in  der  Sacristei 
von  St.  Maria  in  der  Kupfergasse  erhalten  und  stammt,  da  die  Ejrche  selbst  dem 
XVII.  Jahrhundert  angehört,  offenbar  aus  einer  altern  Kölnischen  Kirche  her. 
Leider  fehlt  gegenwärtig  der  reichere  mittelalterliche  Kelch,  wozu  dieses  „cochlear'* 
als  integrireuder  Theil  ehemals  gehörte.  Die  innere  Schaale  dieses  Löffelchens,  fast 
rund  und  als  Halbkugel  gehalten,  hat  einen  Durchmesser  von  etwas  mehr  als 
2  Centiraeter  zur  Aufnahme  einer  kleinen  Quantität  Wasser.  Der  Stiel  selbst  in 
einer  Länge  von  kaum  7  Centimeter  ist  viereckig,  glatt  gestaltet.  Derselbe  erwei- 
tert sich  nach  oben  zu  einem  glatten,  kleinen  Knöpfchen,  auf  welchem,  als 
Piedestal,  das  gegossene  Standbildchen  der  Madonna  mit  dem  Jesusknaben  sich 
befindet.  Dieses  Bildchen  hat  eine  Grösse  von  2^2  Centimeter  und  ist  als  Guss- 
werk ziemlich  einfach  gehalten  ohne  Nachciselirung.  Die  schlank  gewundene  Häu- 
tung dieser  Statuette,  desgleichen  der  charakteristisch  iormirte  Faltenwurf  derselben 
zeigen,  dass  dieses  liturgische  Gebrauchsgeräth  spätestens  aus  der  letzten  Hälfte 
des  XIV.  Jahrhunderts  herrühre. 

Der  Gebrauch,  sogar  auf  dem  Stiele  von  Löffeln  Heiligenbilder  anzubringen, 
findet  sich  im  Mittelalter  häufiger  vor  und  hat  sich  bis  in  die  Spätzeit  der  Renais- 
sance, namentlich  in  weiblichen  Klöstern,  sogar  bei  den  silbernen  Esslöffeln,  deren 
man  sich  an  Festtagen  bediente,  erhalten.    So  hatten  wir  vor  einigen  Jahren  Ge- 


AUS  VEK8CHIEDENEN  KIBCHEN  KÖLNS.  7 

legenheit,  zwölf  aus  der  Renaissance  herrührende  Esslöffel  zu  sehen,  deren  Btiele 
mit  je  einem  Standbilde  der  Apostel  verziert  waren;  auf  einem  dreizehnten  befand 
sich  das  ciselirte  Standbild  der  Madonna  mit  dem  Jesuskinde. 

Das  eben  beschriebene  Kelchlöffelchen  durfte  als  geeignetes  Vorbild  bei 
Anfertigung  von  neuen  derartigen  Gebrauchsgeräthschaften  zu  kirchlichen  Zwecken 
betrachtet  werden. 


89. 

Ensstäfelchen, 

enthaltend  als  Relief  die  Kreuzigung  Christi. 

Höhe    17  Centimeter,   Breite    tO  Centimeter.      XYI.  Jahrhundert. 

Vorliegendes  „osculum  pacts"  hat  mit  dem  unter  No.  66  beschriebenen  9,Kuss- 
täfelchen'^  ehemals  dieselbe  Bestimmung  gehabt,  indem  es  den  anwesenden  Geist- 
lichen des  Stiftes  St.  Georg  zu  Köln  bei  der  Hochmesse  am  „Agnus  Dei'*  zum 
Friedenskusse  vom  Subdiakon  hingereicht  wurde  mit  den  Worten  „Paa?  tecum." 
Wie  das  osculatorium  von  St.  Martin  hinsichtlich  seines  Materiales  an  Wochentagen 
bei  der  Stiftsmesse  im  Gebrauche  gewesen  zu  sein  scheint,  so  dürfte  in  Rücksicht 
auf  die  künstlichere  Form  und  reichere  Einfassung  Vorliegendes  an  Festtagen  in 
Gebrauch  gewesen  sein.  Das  Fussgestell  dieses  interessanten  G^fässes  besteht  aus 
einem  länglichen  Viereck  mit  stark  profilirten  Hohlkehlen  und  ist  mit  demselben 
eine  nach  drei  Seiten  quadratische  Einrahmung  von  Silber  in  Verbindung  gebracht, 
die  sich  nach  beiden  Seiten  durch  zwei  Rundsäulchen  mit  entspriphenden  Capi- 
tälchen  und  Sockeln  bildet,  an  welche  sich  auf  beiden  Seiten  je  «ine  in  Uebereck 
gestellte  Widerlage  anlehnt,  welche  an  drei  Stellen  mit  quadratischen  profilirten 
Knäufen  versehen  ist.  Diese  äussern  Widerlagen  verjüngen  sich  nach  oben  in 
leichte  Spitzsäulchen,  welche  von  einer  Kreuzblume  tiberragt  sind.  Auch  auf  den 
beiden  innem  Rundsäulchen  erheben  sich  zusammengehäufte  Fialen,  die  mit  dem 
Ganzen  nur  in  schwacher  constructiver  Verbindung  stehen.  Die  mittlere  Sculptur 
wird  überragt  durch  drei  Bogenstellungen,  die  auf  ihrem  Tiefgrunde  schon  voll- 
ständig die  spätere  Muschelform  und  die  Ornamente  der  Renaissance  erkennen 
lassen.  Diese  Bogenstellung  zeigt  überhaupt  viel  Verwandtschaft  mit  der  Eingangs- 
halle an  der  Nordseite  zu  St.  Georg,  wo  ebenfalls  in  den  Bauformen  der  Einfluss 
der  in  Köln  autlebenden  Renaissance  zu  erkennen  ist  Auf  diesen  drei  Rundungen, 
als  Ziergiebel,  erheben  sich  überhöhete  Spitzbogen  im  sogenannten  Eselsrücken, 
die  jedesmal  mit  einer  Kreuzblume  abschliessen.  Aus  der  Mitte  dieser  Ziergiebel 
schlängeln  sieh  gewundene  Fialen  heraus,  die  für  sich  selbst  wiedemm  einen  Esels- 
rüeken  bilden.  Es  sind  dies  die  spielenden  Formen  der  phantastischen  Spätgothik, 
wie  sie  gegen  Schluss  des  Mittelalters,  namentlich  in  der  Goldschmiedekunst,  auf- 
traten.   Das  mittlere  Relief  ist  von  einem  profilirten  Rahmen  in  Silber  eingefasst, 


8  AUS  VEBSCHIEDENEN  KIRCHEN  KÖLNS. 

der  nach  oben  mit  einem  dreieckigen  Giebel  abgeschlossen  wird.  Um  diesen  Ab- 
schlussrahmen herum  zeigen  sich  in  einer  tiefen  Hohlkehle  vierzehn  kleinere  Vier- 
passrosen,  deren  Blätter  mit  einem  blauen  Schmelz  überzogen  sind.  Als  der  inter- 
essanteste Theil  dieses  „pacfßcale"  ist  zu  betrachten  das  mittlere  Basrelief,  welches 
auf  einem  durchbrochenen  Hintergründe  mit  Schwarz  belegt  die  Kreuzigung  Christi 
zeigt  Auf  der  rechten  Seite  des  gekreuzigten  Heilandes  ist  das  t,stabat  maier'' 
zur  Ausführung  gebracht;  die  schmerzhafte  Mutter  hält  der  hinter  ihr  stehende 
Lieblingsjünger  des  Herrn,  Johannes,  aufrecht.  Auf  der  linken  Seite  des  Erlösers 
erblickt  man  die  Gruppe  der  Kriegsknechte,  die  ihn  gekreuzigt  haben.  Da  der 
Heiland  auf  der  Schädelstätte  gekreuzigt  wurde  und  an  dieser  Stätte  einer  alten 
Legende  nach  auch  die  Gebeine  Adams  beigesetzt  worden  sein  sollen,  so  ge- 
wahrt man  am  Fusse  des  Kreuzes  einen  Todtenschädel ,  der  in  der  modernen 
Kunst  wenig  mehr  zur  Anwendung  kommt. 

Die  ganze  Darstellung,  die  in  einem  schwer  zu  bearbeitenden  Materiale,  in 
Perlmutter  geschnitten  ist,  lässt  in  der  Gomposition  des  Ganzen,  sowie  in  der 
Drapiruug  der  Gewänder  den  Ausgang  der  altkOlnischen  Malerei  erkennen  und 
erinnert  an  ähnliche  Compositionen  des  Kölnischen  Malers  De  Bruyn.  Auf  der 
Bückseite  bietet  das  vorliegende  Gefäss  eine  quadratisch  geformte  Handhabe  auf 
einem  Malteserkreuze,  welches,  in  einem  Kreise  sich  formirend,  in  getriebener 
Arbeit  sich  kenntlich  macht.  Auf  der  hintern  Fläche  unter  diesem  Kreuze  liest  man, 
tiefeingravirt,  einfach  die  Jahrzahl  1557.  Wir  glauben  annehmen  zu  dürfen,  dass 
diese  Jahrzahl  nicht  etwa  später  hinzugefügt  worden  ist,  sondern  dass  sie  die 
Entstehungszeit  des  vorliegenden  merkwürdigen  Gefässes  bezeichnet.  Ist  Letzteres 
der  Fall,  so  kann  man  in  der  Formation  desselben  die  Hartnäckigkeit  erkennen, 
mit  welcher  in  dem  alten  Köln,  wo  die  Gothik  seit  Jahrhunderten  ihre  Ausübung 
in  grossartigvn  Maassstabe  gefunden  hatte,  die  älteren  traditionellen  Formen  bei- 
behalten und  noch  immer  geübt  wurden,  obschon  in  Italien  und  Frankreich  schon 
längere  Zeit  die  Bildungen  des  neuen  Styls  die  traditionellen  Formen  der  vorher- 
gegangenen Kunstepoche  verdrängt  hatten.  Wie  ein  Blick  auf  die  beifolgende 
Zeichnung  darthut,  gab  es  also  noch  1557  in  der  Kölnischen  Gk)ldschmiedekunst 
Meister,  die  nach  der  alten  Regel  ihre  Gefksse  constructiv  bildeten,  während  sie 
blos  ftlr  einzelne  Detailomamente  die  Formen  der  neuen,  über  die  Berge  gekom- 
menen Kunstweise  anwandten.  Möglich  ist  es  auch,  dass  von  einem  alten  Köl- 
nischen Meister  der  Goldschmiedekunst  zu  einer  Zeit,  wo  die  neue  moderne  Kunst 
auch  bereits  in  dem  h.  Köln  eingebürgert  war,  das  in  Rede  stehende  Crefäss  noch 
in  jenen  Bildungen  ausgeführt  worden  ist,  welche  der  alte  Goldschmied  seit  seinen 
Jüngern  Jahren  fortwährend  geübt  hatte ,  während  zur  selben  Zeit  von  jtlngem 
Meistern  des  Gewerkes  auch  die  neuen  Bildungen  geübt  und  angefertigt  wurden, 
die  von  Frankreich  ausgehend  sich  auch  in  Köln,  dem  Hauptsitze  der  Gothik, 
Bahn  gebrochen  hatten. 


3=lii?  J5'-  tt*tr. 


■W»l)fffcl)tcli«sTtt6.  Cän 


§t  '^efcr. 


Mittelalterliche  KunstgegenstAnde  daselbst 

Seite 

90)  FlttgelalUr,  illuminirtes  Sculpturwerk,  XV.  Jahrhunderl.    Taf.  XXVI.    Fig.  90.   .     .     .     3 


'. 


90. 

Fliigelaltar 

mit  der  Passion  des  Heilandes,  illuminirtes  Sculpturwerk  des  XV.  Jahrhunderts. 

Grösste  Höhe  2  Meter  S  Decimeter,  Länge  2  Meter  3  Decimeter. 

JbiS  ist  ZU  beklagen,  da,s8  sich  bis  heute  in  Köln  yerhältnissmässig  wenige 
Seulpturen  erhalten  haben,  die  zum  Beweise  dienen  können,  welche  Höhe  die 
Kunst  der  Bildschnitzer  in  jenen  Tagen  des  Mittelalters  erreicht  hatte,  als  auch 
die  Malerei  im  Dienste  der  Kirche  ihre  schönsten  Triumphe  feierte.  Die  meisten 
dieser  Kölnischen  Bildschnitzer^ien,  in  einem  grossartigen  Style  componirt  und  in 
trefflicher  technischer  Ausführung,  haben  leider  in  den  letzten  Decennien  eine  un- 
freiwillige Reise  ttber  den  Kanal  antreten  müssen,  da  in  der  eigenen  Heimath  der 
Sinn  und  dajs  Verständniss  für  solche  bemalte  Bildwerke  vielfach  abhanden  gekommen 
war.  Nach  Angabe  kundiger  Gewährsleute  sollen  nämlich  in  den  zwanziger  und 
dreissiger  Jahren  dieses  Jahrhunderts  ganze  Schiffsladungen  von  altem  Sculptur- 
werken  und  Bildschnitzereien  von  Köln  aus  an  englische  Kunsthändler  verkauft 
und  über  Meer  befördert  worden  sein.  Unter  diesen  befanden  sich  gewiss  auch 
sculptirte  Altäre  mit  ihren  vielen  Bildwerken,  wie  sie  seit  den  Tagen  der  Spät- 
gothik  als  Haupt-  und  Nebenaltäre  den  meisten  Kölnischen  Kirchen  zur  Zierde 
gereichten,  ehe  die  heute  überall  in  hiesigen  Kirchen  vorfindlichen  Roc^co- 
Altäre  ihre  Aufstellung  fanden.  Diese  Sculpturaltäre  mit  ihrem  schönen  Bildwerk, 
die  im  Munde  des  unkundigen  Volkes  meistens  „Püppchens-Altäre^^  genannt  zu 
werden  pflegten,  sind  gegenwärtig  in  den  Kirchen  Kölns  zur  Seltenheit  geworden 
und  es  finden  sich  nur  noch  zwei  derselben  im  Dome  vor,  die  der  Verschleppung 
ins  Ausland  glücklicher  Weise  entgangen  sind.  Schöne  Bruchtheile  solcher  altköl- 
nischen Seulpturen  in  Eichenholz  als  innere  Füllung  von  bemalten  Flügel-  oder 
Klapp -Altären  finden  sich  noch  vor  in  St  Cunibert  und  in  der  neuerbauten  Ka- 
pelle der  Alexianer  hierselbst  Ein  viertes  Meisterwerk  der  altkölnischen  Sculptur 
besitzt  auch  noch  die  Tauf  kapelle  der  Kirche  von  St.  Peter  in  Köln. 

Obschon  es  nicht  unsere  Absicht  ist,  in  diesem  Werke  die  Seulpturen  und 
illuminirten  Bildwerke  zu  beschreiben,  die  sich  noch  vereinzelt  in  Kölnischen  Kir- 
chen erhalten  haben,   so  mag  hier  ausnahmsweise  eine  kurze  Beschreibung  und 


4  ST.   PETER. 

Abbildung  dieses  Schnitzaltärchens  eine  Stelle  finden  und  das  um  so  mehr,  weil 
sich  beute  in  der  ehemals  so  reichen  Pfarrkirche  von  St.  Peter  nur  wenige  Kir- 
chenutensilien von  artistischer  Bedeutung  erhalten  haben,  die,  als  zum  engem 
Schatze  gehörend,  zu  betrachten  sind.  Die  bemalten  Fltlgel  an  dem  vorliegenden 
Klappaltärchen  haben  in  artistischer  Beziehung  viel  geringeren  Werth,  als  jene 
reich  scenerirten  Gruppen  in  Eichenholz  geschnitzt,  die  das  innere  Schreinwerk 
ausfüllen.  Die  Scenen,  die  im  Inneren  als  Hautreliefs  zur  Darstellung  kommen, 
sind  der  Passion  des  Heilandes  entnommen  und  vergegenwärtigen  drei  Haupt- 
momente derselben;  nämlich:  die  Ereuztragung,  die  Kreuzigung  und  die  Kreuz- 
abnahme des  Herrn.  Die  letzte  Darstellung  der  Kreuzabnahme  wird  gewöhnlich 
von  altern  Schriftstellern  die  „Beweinung  Christi'^  genannt  und  bringt  jenen  Mo- 
ment zur  Anschauung,  wo  der  Leichnam  des  Herrn  vom  Kreuze  abgenommen  und 
in  den  Schooss  seiner  jungfräulichen  Mutter  gelegt  wurde,  während  die  übrigen 
weinenden  Frauen  herbeieilen,  um  den  Leib  des  Heilandes  mit  köstlichen  Spe- 
zereien  zu  salben,  ein  Gegenstand,  wie  er  öfters  in  der  Plastik  und  der  Temperar 
maierei  des  Mittelalters  anzutreffen  ist.  Die  mittlere  Darst^ung,  das  grössere 
Hauptbild  des  Sculpturaltares,  veranschaulicht,  wie  eben  bemerkt,  die  Kreuzigung 
des  Heilandes  auf  dem  Calvarienberge  in  Mitten  der  beiden  Schacher.  Der  KtUist- 
1er  hat  jenen  Moment  zur  Darstellung  gewählt,  wo  der  Kriegshauptmann  Longinus 
eben  im  Begriffe  steht,  mit  der  Lanze  die  Seite  des  Herrn  zu  öffnen.  Wie  ge- 
wöhnlich bei  altkölnischen  Bildwerken  und  Malereien,  weist  derselbe  mit  der  linken 
Hand  auf  seine  Augen  hin,  um  anzudeuten,  dass  er  noch  mit  geistiger  Blindheit 
geschlagen  ist.  Unter  dem  Kreuze  erblickt  man  eine  figurenreiche  Gruppe  von 
acht  Reitern,  welche  die  römischen  Kriegsleute  und  Pharisäer  darstellen,  die  den 
sterbenden  Erlöser  verspotten  und  verhöhnen.  Der  untere  Theil  dieses  mittleren 
Hauptbildwerkes  veranschaulicht  zwei  verschiedene  Scenen,  nämlich  rechts:  die 
Gruppe  der  weinenden  Frauen,  die  mit  Johannes,  dem  LieblingsjUnger,  die  Mutter 
des  Heilandes  wehklagend  umstehen;  gegenttberstehend  links:  die  Gruppe  der 
rohen  Kriegsknechte,  die  bei  der  Theilung  der  Gewänder  des  Gekreuzigten  in 
Streit  gerathen  und  zu  Thätlichkeiten  gekommen  sind.  In  der  dritten  kleineren 
Darstellung  hat  der  Künstler  den  Heiland  in  dem  Momente  plastisch  vorgeführt, 
wie  er  unter  der  Wucht  des  ELreuzes  niedersinkt,  und  die  Kriegsknechte  den  vor- 
übergehenden Simon  von  CjTcne  nöthigen,  dem  Erlöser  das  Kreuz  tragen  zu  hel- 
fen. Weiter  im  Hintergrunde  erblickt  man  eine  andere  Gruppe  von  Kriegsknechten, 
welche  die  beiden  Schacher  gebunden  zur  Schädelstätte  führen. 

Diese  drei  Hauptmomente  aus  dem  Leiden  des  Heilandes  werden  er^inzt 
durch  zwei  gemalte  Scenen  auf  den  innem  Flttgelihüren,  wovon  die  eine  darstellt, 
wie  Christus  von  Pilatus  dem  Volke  gezeigt  wird;  auf  der  entgegengesetzten 
Seite  erblickt  man  die  Auferstehung  des  Heilandes  am  Ostermorgen  und  den  Gang 
der  drei  Frauen  zum  Grabe. 

Was  den  grossen  künstlerischen  Werth  der  eben  beschriebenen  sculptirten 
Gruppen  anbelangt,  so  muss  hervorgehoben  werden,  dass  diese  Bildwerke  unstreitig 
zu   den  bessern   zu  rechnen  sind,    die  aus   den  Werkstätten  der  Bildschniteer 


ST.  PETER«  5 

im  alten  Köln  hervorgegangen  sind.  Es  ist  nämlich  nicht  nur  die  Composition  und 
Anordnung  dieser  Figuren  eine  durchaus  gelungene  zu  nennen,  sondern  auch  die 
technische  Ausführung  bekundet  eine  grosse  Meisterschaft  und  Leichtigkeit  in  der 
Behandlung  und  Anordnung  der  Draperie,  sowie  in  der  Darstellung  von  anatomisch 
richtigen  Körperbildungen.  Auch  ist  es  dem  Bildschnitzer,  von  dem  dieses  Meister- 
werk der  Sculptur  herrührt,  gelungen,  in  den  Gruppen  die  verschiedenen  Affecte, 
welche  seine  Figuren  bewegen,  mit  vieler  Naturwahrheit  und  mit  einer  eigen- 
thttmlichen  Naivetät  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

Auch  für  das  Studium  der  Profankleidung,  wie  sie  gegen  Schluss  des  Mit- 
telalters bei  Hoch  und  Gering  im  Gebrauch  war,  bieten  die  in  Rede  stehenden 
Sculpturen  interessante  Anhaltspunkte,  welche  zum  Belege  dienen  können,  wie  die 
naive  Einfachheit  der  Kunst  im  Mittelalter  keinen  Anstoss  daran  nahm,  das  ma- 
lerische Kostüm  des  Tages  bei  einer  Scene  zur  Geltung  zu  bringen,  die  viele 
Jahrhunderte  weit  entfernt  lag.  Nicht  nur  der  reiche,  manierirte  Faltenwurf  der 
Gewänder,  sondern  noch  mehr  die  charakteristische  Bekleidung  der  Reiter,  die 
auf  der  mittleren,  grösseren  Sculptur  angebracht  sind,  desgleichen  auch  das  Kostüm 
der  Kriegsknechte,  in  welchen  man  sofort  die  deutschen  Landsknechte  wieder- 
erkennt, wie  sie  in  den  Tagen  CarFs  V.  als  gedungene  Söldner  Deutschland  durch- 
zogen, können  zum  Beweise  dienen,  dass  das  vorliegende  Sculpturwerk  in  dem 
ersten  Viertel  des  XVI.  Jahrhunderts  von  einem  ausgezeichneten  Kölnischen  Bild- 
schnitzer angefertigt  worden  ist.  Wie  das  auch  in  den  reichen  Schnitzwerken 
Schwabens  und  denen  vom  Niederrhein  ersichtlich  ist,  dürfte  jedoch  die  Idee  und 
der  Entwurf  zu  der  ebenbeschriebenen  Sculptur  nicht  von  dem  Bildhauer  selbst 
herrühren,  sondern  der  Bildschnitzer,  der  im  Mittelalter,  was  geistige  Ausbildung 
betraf,  dem  Maler  untergeordnet  war,  hat  zweifelsohne  das  plastisch  in  Eichenholz 
wiedergegeben,  was  von  bedeutenden  Malern  seiner  Zeit  im  Bilde  dargestellt 
worden  war. 

Ausser  dem  ebenbeschriebenen  Schnitzwerke  und  den  kostbaren  Glas- 
malereien aus  dem  Schlüsse  des  XV.  und  Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts  hat  die 
Pfarrkirche  von  St.  Peter  keine  Kunstwerke  mehr  aufzuzählen,  die  zum  eigent- 
lichen Schatz  gerechnet  werden  könnten.  Nur  hat  sich  in  dieser  Kirche  noch  ein 
eigenthümlicher  Leuchter  aus  der  Spätgothik,  in  Zinn  geformt,  erhalten,  der  ent- 
weder als  Bahrleuchter  oder  als  Lichtträger  zum  Aufstellen  der  Osterkerze  ehemals 
gedient  hat.  Auch  findet  man  in  der  Sacristei  noch  eine  kleine  gothische  Mon- 
stranz in  gewöhnlicher  Form  und  von  geringem  Kunstwerthe;  ferner  wird  daselbst 
noch  ein  anderes  kleineres  Reliquiengefäss  aus  dem  XV.  Jahrhundert  aufbewahrt. 
Die  vielen  liturgischen  Gewänder  der  gedachten  Pfarrkirche  sind  aus  reichen  und 
meistentheils  profanen  Gold-  und  Seidenstoffen  der  beiden  letzten  Jahrhunderte 
angefertigt  und  haben  also  ftir  eine  weitere  Besprechung  in  diesem  Werke,  das 
ausschliesslich  Kölnische  Kirchenschätze  des  Mittelalters  inventarisiren  und  illu- 
striren  soll,  kein  näheres  Interesse.  Nur  eine  jedoch  auf  ein  Minimum  von 
Form  zugeschnittene  Casel  aus  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  hat  sich  in  der 
Sacristei  von  St.  Peter  noch  erhalten,  die  sowohl  hinsichtlich  ihres  Umstoffes  in 

2 


6  ST.  PETEB. 

figurirtem  vielfarbigen  Sammet,  Genueser  Fabrikation,  als  auch  hinsichtlich  ihrer 
goldgestickten  und  gewirkten  Stäbe  ftlr  die  Alterthumswissenschaft  von  Interesse 
sein  dürfte. 

Noch  fügen  wir  hinzu,  dass  durch  fromme  Vorsorge  Einzelner  in  den  ersten 
Decennien  dieses  Jahrhunderts  die  an  unwürdiger  Stelle  in  der  damals  aufgehobenen 
St.  Cäcilienkirche  befindliche  „tumba  Sti  Evergisli"  in  die  St  Peters -Pfarrkirche 
gerettet  worden  ist.  Dieser  Schrein,  der  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  sehr 
entstellt  worden  ist,  zeigt  in  seiner  Anlage  die  Formen  der  entwickelten  Grolhik. 
Indessen  bietet  sein  Aeusseres  der  heutigen  Kunstforschung  deswegen  nur  ein  ge- 
ringes Interesse,  weil  an  demselben  unlängst  eine  Wiederherstellung  nach  heutigen 
modernen  Principien  erfolgt  ist,  die  vollends  die  primitive  Physiognomie  dieses 
Reliquienschreines  durchaus  unkenntlich  gemacht  hat. 


g^g  £»t  ^ofjtUrii 


H 


acctfiea 


Mittelalterliche  KnnstgegexiBtftade  daselbst. 


Seit« 


91)  Messgewand  mit  in  Figuren  gewirktem  Kreuze,  XV.  Jahrb.,  Taf.  XXVU.  Fig.  91      .       3 


91. 

messgewand 

mit  einem  reich  gewirkten  Kreuze  und  figürlichen  Ornamenten  aus  der 

Mitte  des  XV.  Jahrhunderts. 

Bis  zu  den  Tagen  CarFs  des  Grossen  war  die  vom  h.  Matemus,  wie  Viele 
annehmen,  erbaute  Kathedralkirche  unter  dem  Titel  der  h.  Eugenia  und  Gaecilia 
an  der  Stelle  errichtet,  wo  sich  die  heutige  Gäcilienkirche,  ein  Bauwerk  des 
XI.  Jahrhunderts,  in  Köln  befindet  Seit  jener  Zeit,  als  im  IX.  Jahrhundert  an  der 
Stelle  des  jetzigen  Domes  unter  den  Carolingem  die  zweite  Kölnische  Kathedrale 
gegründet  wurde,  wurde  der  alte  Dom,  die  Cäcilienkirche  in  eine  CoUegiatkirche 
verwandelt  und  gelangte  durch  fromme  Schenkungen  nach  und  nach  zu  umfang- 
reichem Gttterbesitz.  Auch  der  Schatz  an  kostbaren  Gelassen  und  Gewändern 
muss  der  Aufzählung  des  Gelen  zu  Folge  nicht  unbedeutend  gewesen  sein. 
Leider  wurde  diese  Stiftskirche  in  den  gewaltsamen  Verheerungen  zu  Anfang  die- 
ses Jahrhunderts  von  Freund  und  Feind  dergestalt  ihrer  Kostbarkeiten  und  Schätze 
beraubt,  dass  bei  der  unerfreulichen  Nachlese,  die  wir  zur  Stunde  in  dem  ehe- 
maligen alten  Dome  von  Köln  halten,  sich  an  Kirchengeräthen  gar  nichts  mehr 
vorfindet,  was  in  artistischer  Beziehung  sich  der  Mühe  lohnt,  es  hier  beschrei- 
bend hervorzuheben.  Unter  den  modernen  Messgewändem,  die  heute  das  „ar- 
marium*'  der  Cäcilienkirche  füllen,  fanden  wir  nur  noch  eine  ausgezeichnete  Casel 
vor,  die  in  ihren  reichgevrirkten  Stäben  zum  Belege  dient,  welche  Höhe  die  Pa- 
rament- Weberei  und  Stickerei  bei  den  Zunftwebern  und  Wappenstickern  des  alten 
Kölns  eingenommen  hatte.  Wie  uns  von  zuverlässiger  Seite  mitgetheilt  wurde, 
rührt  dieses  merkwürdige  Messgewand  nicht  ursprünglich  aus  Cäcilien  her,  son- 
dern dasselbe  ist  wahrscheinlich  aus  einer  altem  heute  aufgehobenen  Kirche  Kölns 
zu  der  Zeit  in  die  Sacristei  von  Cäcilien  tibertragen  worden,  als  die  letztgenannte, 
vollständig  ausgeleerte  Kirche  dem  Gottesdienste  ftir  das  neuerbaute  Bürgerhospital 
in  Köln  überwiesen  wurde. 

Die  „aurifrisiae"  des  vorliegenden  Messgewandes  aus  St.  Cäcilien  gehören 
zu  den  schönsten  und  kunstreichsten  Webereien,  wie  sie  sich  heute  noch  in  Köl- 
nischen Sacristeien  erhalten  haben.  Gleich  wie  in  der  Frühzeit  des  Mittelalters 
das  „opus  anglicafium"   sich   als   eine  geniale  Verbindung  der  Weberei   mit   der 


4  ST.  CAECILIEN. 

Goldschmiedekunst  erweist »  so  können  die  vorliegenden  Stäbe  mit  Fug  vorzugs- 
weise als  ,i0pu8  coloniense"  bezeichnet  werden»  nämlich  als  Verbindung  der  Stickerei 
mit  der  Figurweberei. 

Wir  erinnern  uns  nicht,  auf  vielfachen  Reisen  ähnliche  Kunstwerke  in 
Weberei  mit  theilweise  gestickten  Compartimenten  vorgefunden  zu  haben.  Nur 
allein  der  betriebsamen  und  reichen  Zunft  der  Bild-  und  Wappenwirker  des  alten 
Kölns  gebührt  das  Verdienst,  dass  sie  an  einem  und  demselben  Ornamente  zwei 
verschiedene  künstliche  Anfertigungsweisen  verbunden  haben,  w^odurch  auf  ein- 
fache und  billige  Weise  eine  grosse  Wirkung  herbeigeführt  wurde.  Auf  einem 
dunkelroth  gewebten  Grunde  hat  der  Kölnische  Wappenwirker  ein  zierliches  Laub- 
omament  angebracht,  ein  Kankengeflecht  vorstellend,  von  dem  nach  jeder  Seite 
sich  goldene  Blätter  und  Blüthchen  verästeln.  Auf  diesem  goldgeblümten  Grunde 
hat  der  Wappenwirker  nach  kurzen  Zwischeni^umen  abwechselnd  einzelne  Köl- 
nische Heiligenfiguren  und  Patrone  durch  die  Kunst  der  Webspule  so  einge^ 
wirkt,  dass  sämmtliche  Gewandparthieen  und  Umrisse  in  vielen  Farben  durch 
Einschlag  erzielt  worden  sind,  während  sämmtliche  Incarnationstheile,  d.  h.  Ge- 
sicht und  Hände,  sowie  einzelne  Verzierungen  der  Gewänder  durch  die  Kunst  der 
Nadel  in  feinstem  Plattstich  beigestickt  worden  sind.  In  der  ebengedachten  Tech- 
nik ausgeführt  erblickt  man  auf  dem  breiten  Stabe  der  Rückseite  der  Casel, 
leider  zur  Hälfte  verkürzt,  das  Bild  des  h.  Laurentius  mit  dem  Roste.  Weiter 
ersieht  man  daselbst  die  berühmte  Patronin  Kölns  St  Ursula  mit  dem  Märtyrer- 
pfeil, die  unter  dem  weiten  blauen  Mantel  einen  Theil  der  Genossinnen  versammelt 
hält.  Um  die  traditionelle  Zahl  der  1 1 ,000  aufrecht  zu  erhalten ,  hat  der  Bild- 
wirker hier  eilf  Jungfrauen  in  jugendlicher  Gestalt  angebracht.  Als  letztes  Bild 
erblickt  man  nach  oben  die  Darstellung  des  Apostels  Matthias,  kenntlich  durch 
den  Evangelien -Codex  und  das  Märtyrerwerkzeug.  Unter  dem  Bilde  des  eben- 
gedachten Apostels  ist  das  heraldische  Abzeichen  des  Geschenkgebers  des  vor- 
liegenden Kirchenomates  angebracht,  nämlich:  „H.  Johann  Penynck."  Ueber  dieser 
in  gothischen  Minuskeln  in  Goldfaden  gewirkten  Inschrift  erblickt  man  das  Wap- 
pen des  Geschlechts  der  Penynck*),  nämlich  einen  rothen  Schild  mit  zwei  trans- 
versalen weissen  Streifen  und  an  der  obem  rechten  Seite  ein  blaues  Quadrat,  auf 
welchem  sich  ein  Stern  in  Silber  befindet.  Ueber  dem  Haupte  des  h.  Laurentius 
befindet  sich  in  Gold  eingewebt  die  Inschrift  „Vrouwe  agnes^*,  ohne  Zweifel  der 
Name  der  Gattin  des  obengedachten  Patriziers  als  Geschenkgebers.  Das  Ge- 
schlechtswappen  der  Frau  Agnes  erblickt  man  gleichsam  aufgehängt  und  be- 
festigt in  dem  in  Gold  gewirkten  Ornamente;  dasselbe  zeigt  vier  horizontale 
weisse  Streifen  mit  drei  dazwischen  befindlichen  blauen  Balken.  Das  Ganze  wird 
durchschnitten  durch  einen  breiteren  horizontalliegenden  Balken  in  rother  F&rbe. 
Auf  dem  vordem  Stabe  ist  dargestellt  ein  Heiliger  des  Dominikanerordens,  ferner 


*)  Vergl.  das  Nähere  bei  Beschreibung  der  Schätse  Ton  St.  Jacob  in  dieser  Lieferung,  was  wir 
über  JToh.  Penynk,  einen  reichen  Kölnischen  Tuchkaufmann ,  mitgetheilt  haben,  der  rerschiedene 
Male   das  Amt  eines  Bttrgermeisters  seiner  Vaterstadt  bekleidete. 


ST.   CAECILIEK.  5 

der  h.  Franciscus  von  Assisi  mit  den  Wundmalen  und  ein  h.  Erzbischof  von  Köln, 
der  in  der  rechten  Hand  die  von  ihm  gestiftete  Kirche  trägt.  Diese  bischöfliche 
Figur,  angethan  mit  den  Pontificalgewändem,  ist  auch  deswegen  fUr  die  Kölnische 
Kunstgeschichte  des  Mittelalters  von  Interesse,  weil  dieselbe  bekleidet  ist  mit 
einem  sehr  faltenreichen  Messgewande  in  der  alten  Form,  wie  in  diesem  Schnitte 
das  Messgewand  des  Albertus  Magnus  heute  noch  in  St.  Andreas  anzutreffen  ist. 
Auch  die  Albe  ist  mit  einer  grossen  „plaga",  „parura"  verziert.  In  dieser  Weise 
scheint  der  bischöfliche  Pontificalomat  in  Köln  noch  gegen  Mitte  des  XY.  Jahr- 
hunderts beschaffen  gewesen  zu  sein.  Auch  die  stehenden  Figuren,  die  auf  dem 
vordem  Stabe  angebracht  sind,  sind  in  den  Gewandparthieen  und  Contouren 
durch  die  Kunst  des  Webers  auf  einem  kleinen  Handstuhle  vermittelst  Spule  und 
Einschlag  erzielt  worden.  Nur  die  Incamationstheile  sind  wiederum  in  feinem 
Plattstich  gearbeitet. 

Einer  glaubwürdigen  Tradition  zu  Folge  rührt  das  obenbeschriebene  Mess- 
gewand aus  der  Sacristei  der  hiesigen  Minoritenkirche  her,  und  es  dürfte  darum  auch 
mit  diesem  Herkommen  das  gestickte  Standbild  des  h.  Franciscus  von  Assisi  auf  dem 
vordem  Stabe  der  in  Rede  stehenden  Casel  in  Beziehung  stehen.  Wie  uns  versichert 
wurde,  befanden  sich  in  St.  Cäcilien  bis  noch  vor  kurzer  Zeit  zwei  Dalmatiken,  zu 
diesem  Messgewande  gehörend,  die  mit  höchst  interessanten  Aurifnsien  künstlerisch 
verziert  und  auf  welchen  ebenfalls  Heiligenbilder  theilweise  in  Weberei  und  durch 
die  Kunst  der  Nadel  angebracht  waren.  Leider  sind  diese  schönen  Dalmatiken 
mit  ihren  trefflich  gewirkten  Stäben  vor  wenigen  Jahren  von  einem  Paramenten- 
schneider,  wir  wissen  nicht  aus  welchem  Grunde,  verschnitten  und  geti'ennt  wor- 
den; als  Rest  der  Aurifrisien  dieser  ehemaligen  Dalmatiken  befinden  sich  noch 
eine  Stole  mit  unschönen  und  geschmacklosen  Borden  vor,  die  man  gewalt- 
sam und  ohne  Geschmack  zusammengeflickt  hat.  Auch  das  Messgewand,  dessen 
kunstreich  gewirkte  Aurifrisien  wir  im  Vorstehenden  beschrieben  haben,  dürfte  in 
seiner  jetzigen  Form  und  unschönen  Zusammenstellung  wohl  der  neuem  Zeit  an- 
gehören und  ist  auch  der  gemusterte  Umstoff  nicht  als  primitiv  anzusehen.  Ohne 
Zweifel  bildeten  die  vorhin  beschriebenen  Stäbe  dieses  Messgewandes  Aurifrisien 
an  dem  zu  einer  vollständigen  Casel  gehörenden  Pluviale.  Als  Belege  dafür 
ist  nicht  nur  die  grosse  Breite  dieser  Stäbe  zu  betrachten,  sondern  auch  die  ziem- 
lich ungeschickt  angesetzten  Querbalken  an  dem  hintem  Kreuze,  die  in  ihrer  Zu- 
sammensetzung augenfällig  besagen,  dass  sie  als  schmälere  Stäbchen  ehemals  auf 
den  vorhin  gedachten  Dalmatiken  figurirten. 

Obschon  die  Geschmacklosigkeit  in  neuester  Zeit  sich  in  unverzeihlicher 
Weise  an  den  ebenbesprochenen  Omatstücken  versündigt  hat,  so  muss  man  sich 
dennoch  Glück  wünschen,  dass  noch  so  viel  übrig  geblieben  ist,  um  sich  einen 
ungefähren  Begriff  machen  zu  können,  von  welchem  Reichthum  jener  pracht- 
volle „omatus  integer"  gewesen  sein  mag,  den  der  ehrenfeste  Bürgenneister 
Penynck  und  seine  Frau  Agnes  der  hiesigen  Minoritenkirche  im  dritten  Viertel 
des  XV.  Jahrhunderts  zum  Geschenk  gemacht  hat.  Es  freut  uns,  hier  be- 
richten zu  können,  dass  in  nächster  Zukunft  von  Seiten  des  Vorstandes  der  hie- 

2 


6  BT.  CAECILIEN. 

Bigen  Armenverwaltung  die  Mittel  geboten  und  Einleitung  getroffen  werden  sollen, 
um  die  ebengedachten  seltenen  und  äusserst  gut  erhaltenen  Ueberreste  altköl- 
nischer Wappenwirkerei  wieder  in  eine  solche  Form  bringen  zu  lassen,  daßs  aus 
diesen  werthvollen  Ueberresten  ein  würdiges  faltenreiches  Messgewand  in  mittel- 
alterlichem Schnitte  in  gleicher  Weise  wird  hergestellt  werden,  wie  dasselbe  in 
analoger  Form  an  der  Figur  eines  h.  Erzbischofes  auf  dem  vordem  Stabe  dieses 
Messgewandes  ersichtlich  ist 

Wie  uns  unlängst  von  sachkundiger  Stelle  mitgetheilt  wurde,  befindet  sich 
in  dem  Museum  zu  Darmstadt,  wahrscheinlich  von  der  Sammlung  des  Kölners 
von  Hübsch  herrührend,  eine  grosse  Anzahl  ähnlich  gewirkter  und  figurirter  Stäbe 
vor,  die  den  Stempel  der  Kölnischen  Wappen-  und  Ornat-Stickerei  aus  derselben 
Periode  erkennen  lassen,  zu  welcher  auch  die  ebenbeschriebenen  Auriirisien  zu 
rechnen  sind. 

Der  ehemalige  Schatz  der  CoUegiatkirche  von  St  Cäcilien,  der  nach  den 
Berichten  früherer  Chronisten  umfangreich  gewesen  sein  muss,  ist  heute  nach  den 
Umwälzungen  des  vorigen  Jahrhunderts  gänzlich  verschwunden.  Unter  andern 
kunstreichen  Reliquiarien  befanden  sich  ehemals,  nach  der  Angabe  Gelens,  im 
Schatze  der  Cäcilienkirche  eine  grosse  silberne  Tumba,  in  welcher  die  Ueber- 
reste des  Erzbischofs  Evergislus  und  des  h.  Paulinus  beigesetzt  waren.  Ausser- 
dem sah  man  daselbst  zwei  kunstreich  verzierte  sUbervergoldete  Brustbilder 
(hermae)  mit  Keliquien  verschiedener  Heiligen.  In  einer  andern  silbernen  Hiero- 
thek  fand  sich  ein  „os  brachit"  der  h.  Gäcilia,  der  Patronin  der  Kirche.  Endlich 
bewahrte  der  Schatz  noch  zwei  Brachialien  mit  Keliquien. 


^t  ^poliefn. 


Mittelalterliche  Kunstwerke  dieser  Pfarrkirche. 


Seite 


92)  Reichverzierter  Kelch  in  vergoldetem  Silber,  XIII.  Jahrhundert.  Taf.  XXVIII.  Fig.  92  3 

93)  Zwölf  Slaluetten  der  Apostel  in  Eichenholz  geschnitzt,  XI\.  Jahrhundert.  Taf.  XXVIII. 

Fig.  93*  und  Fig.  93"^ 6 

Ehemaliger  Schatz  der  früheren  Collegial-Kirche  zu  den  h.  Aposteln 9 


92. 

Reichyerzierter  Kelch 

in  vergoldetem  Silber.     XIII.  Jahrhundert. 

Hohe  21  Centimeter.    Dorchmesser  der  Kuppe  W/i  Centimeter  und  des  Fasses  15  Centimeter. 

Vorliegende  Copie  veranschaulicht  ein  Messgeräth,  das  den  vollständigen 
Typus  eines  Pontifical- Kelches,  jener  omamentreichen  Periode  des  romanischen 
Styles  angehörend,  erkennen  lässt,  in  welcher  die  Goldschmiedekunst  in  ästhe- 
tischer und  technischer  Hinsicht  ihren  Höhepunkt  erreicht  hatte.  Am  Schlüsse 
des  Xn.  Jahrhunderts  war  nicht  nur  der  Architektur,  sondern  auch  allen  ver- 
wandten Künsten  ein  neuer  Impuls  gegeben  worden,  und  es  gestalteten  sich  jetzt 
die  Elemente,  aus  denen  die  Spitzbogenkunst  bald  hervorgehen  sollte.  Besonders 
machte  sich  dieser  jugendlich  frische  Aufschwung  auf  dem  Gebiete  der  Ornamen- 
tik geltend,  und  sowie  die  Sculptur  um  diese  Zeit  mit  den  Traditionen  erstarrter 
byzantinischer  Vorbilder  brach,  so  erging  sich  auch  der  Goldschmied  jetzt  in  einer 
Ftille  von  Ornamenten,  in  denen  ein  neues  germanisches  Bildungsgesetz  sich  aus- 
prägte und  die  kaum  noch  orientalische  Vorbilder  durchblicken  Hessen.  Es  war  das 
die  Zeit  der  Hohenstaufen,  in  welcher  dieser  glückliche  Umschwung  erfolgte ;  in  dieser 
Zeit  fanden  auch  die  unübertreflflichen  Meisterwerke  der  Goldschmiedekunst,  die 
sich  im  westlichen  Deutschland  noch  heute  erhalten  haben,  meistens  ihr  Entstehen.*) 
Die  kirchlichen  Gefässe  dieser  Glanz -Epoche  der  romanischen  Kunst  haben  in 
Bezug  auf  Grossartigkeit  der  Composition  und  Schwung  und  Reichthum  der  tech- 
nischen Ausftihrung  einen  so  scharf  ausgeprägten  Charakter,  dass  es  nicht  grade 
eines  Kennerauges  bedarf,  um  den  gemeinsamen  Typus  herausfinden  zu  können. 
Nach  genauer  Besichtigung  einer  Menge  der  noch  erhaltenen  kirchlichen  Uten- 
silien der  gedachten  Periode,  haben  wir  die  volle  Ueberzeugung  gewonnen,  dass 
das  Prachtexemplar  jenes  Kelches,  wovon  vorliegende  Abbildung  eine  getreue  Copie 
bietet,  seine  Entstehung  in  der  ersten  Hälfte  des  XUI.  Jahrhunderts  fand,  obschon 


*)  Hierzu  können  Tomehmlich  gezählt  werden  die  Reliquienschreine  der  h.  drei  Könige  zu  Köln, 
der  grosse  Schrein  des  h.  SuitbertuB  zu  Kaiserswerth,  der  Reliquienkasten  des  h.  Serratius  zu  Ma- 
stricht,  die  prachtroUen  Schreine  im  Schatze  zu  Aachen  und  die  beiden  Reliquienbehälter  von  St. 
Pantaleon  zu  Köln. 


4  ST.  APOSTELN. 

eine  locale  Ti*adition,  wie  das  häufig  vorkommt,  dieses  seltene  Kunstwerk  zwei- 
bimdert  Jahre  älter  ansetzen  möchte. 

Ein  sorgfältiger  Vergleich  der  Detailformen  dieses  Kelches  mit  den  Or- 
namenten an  dem  unvergleichlich  schönen  Reliquien  -  Schrein  im  Schatze  zu 
Aachen  hat  ergeben*),  dass  nicht  nur  die  Composition  und  Zeichnungen  der  ge- 
triebenen Figuren  an  dem  obengedachten  Schreine  mit  den  figurativen  Dar- 
stellungen der  Medaillons  auf  dem  Fusse  des  Kelches  die  frappanteste  Aehn- 
lichkeit  haben,  sondern  daj^s  sogar  die  kugelföimigen  durchbrochenen  Verzie- 
rungen, als  Kammbekrönungen  auf  der  Bedachung  des  gedachten  Schreines,  mit 
den  zart  cisclirten  Durchbrechungen  an  der  Handhabe  des  Kelches  vollkommen 
identisch  sind.  Was  nun  die  Grösse,  den  Umfang  und  die  reiche  Ausschmückung 
des  Kelches  betriflft,  so  glauben  wir,  dass  er  ursprünglich  als  „calia^  Jvstalis''  zum 
Gebrauche  der  Dignitäre  des  Apostelstiftes  angefertigt  worden  ist.  Die  Rund- 
formen, welche  die  romanischen  Gefässe  im  Gegensatze  zu  den  polygonen  Bil- 
dungen der  gothischen  Altargeräthschaften  charakterisiren,  treten  scharf  markirt 
an  dem  vorliegenden  Kelche  hervor:  der  Fuss  ist  kreisrund,  der  Durchschnitt  des 
Ständers  ist  ebenfalls  rund.  Der  Knauf  bildet  eine  eingedrückte  Kugel  und  auch 
die  Kuppe  hat  so  ziemlich  die  Form  einer  Halbkugel.  Die  Gothik  liebt  es  in  der 
Regel  nicht,  den  Fuss  der  Gefässe,  als  tragenden  Theil,  durch  reiches  Beiwerk 
zu  überladen;  sie  wählte  als  l^edalstück  eine  zierliche  Grundform,  entweder  eine 
sechs-  oder  achtblätterige  Rosen-  oder  Stemform.  Bei  den  älteren  romanischen 
Kelchen  liegt  immer  noch  die  Kreislinie  zu  Grunde,  und  man  suchte  die  Monotonie 
dieser  scheibenförmigen  Fläche  durch  mannigfaltige  Ornamente  zu  heben.  So 
begnügte  der  Goldschmied  fast  bis  zum  Schlüsse  des  XHI.  Jahrhunderts  sich 
nicht  damit,  ciselirte  und  getriebene  Arbeiten  auf  dem  geräumigen  Fussstücke 
seiner  Gefässe  anzubringen,  sondern  bei  der  grossen  Fertigkeit,  die  er  in  Anfer- 
tigung von  Filigran-,  Nigell-  und  Email-Arbeiten  sich  erworben  hatte,  war  er  dar- 
auf bedacht,  seinen  Kunstwerken  durch  Anwendung  der  verschiedenartigsten  Tech- 
nik den  Reiz  der  Abwechselung  und  Mannigfaltigkeit  zu  geben. 

So  findet  sich  auch  zur  Belebung  des  Fusses  an  dem  in  Abbildung  mitgetheil- 
ten  Kelche  von  St.  Aposteln  in  Köln  eine  verschiedene  Art  der  Technik  angewandt. 
Es  sind  nämlich  auf  punktirtem  Grunde,  von  reichem  Laubwerk  umgeben,  vier 
Engel,  die  Spruchbänder  halten,  eingravirt.  Zwischen  diesen  schönen  Gravuren 
befinden  sich  vier  fast  zwei  Zoll  grosse  Medaillons.  Dieselben  liegen  erhaben  auf 
dem  Fusse  und  sind  mit  einem  zierlich  cordonuirten  Rande  eingefasst.  Die  Dar- 
stellungen auf  diesen  Medaillons  sind  als  Basreliefs  gehalten,  und  zeigen  eine 
solche  Zartheit  der  Composition  und  der  technischen  Ausführung,  dass  sie  mit 
den  ähnlichen  Basreliefs  wetteifern  können,   wie  sie  als  Füllungen  auf  der  Be- 


*)  Vergleiche  hierzu  die  gelungene  Abbildung  in  den  ,,M^nges  d'Arch<k)logie",  Vol.  I.  pl.  1—6. 
Jn  dem  Texte  dieses  vortrefflichen  Werkes  haben  die  gelehi-tcn  Herausgeber,  Abb^  Martin  und  Cahier, 
mit  vielem  Glück  den  Beweis  su  fahren  gesucht,  dass  der  gedachte  kostbare  Reliquienschrein  im  Schatse 
des  Aachner  Münsters  in  den  Jahren  1220—1237  angefertigt  worden  sei. 


ST.   APOSTELN.  5 

dachung  des  oben  erwähnten  prachtvollen  Schreines  zur  Aufbewahning  der  grös- 
seren Reliquien  im  Schatze  zu  Aachen  angebracht  sind.  Gleichwie  durch  diese 
Basreliers  auf  dem  Schreine  zu  Aachen  das  ganze  Leben  des  Heilandes  in  seinen 
verschiedenen  Momenten  repräsentirt  wird,  so  enthalten  auch  die  vier  zierlichen 
Medaillons  auf  dem  Fusse  des  in  Rede  stehenden  Kelches  die  vier  Hauptbegeben- 
heiten aus  dem  Leben  des  Erlösers,  nämlich:  die  Verkündigung,  die  Geburt,  die 
Kreuzigung  und  die  Auferstehung.  Auf  dem  glatten,  anderthalb  Zoll  hohen  Halse 
des  Fusses  erhebt  sich  die  reich  durchbrochene  Handhabe,  die  in  der  formellen 
Ausführung  der  Technik  von  den  Ornamentationen  des  Fusses  abweicht.  Die 
Durchbrechungen  des  Knaufes  sind  nämlich  in  einem  gröberen  Filigran  gehalten, 
das  durch  seine  Cordonnirungen  in  verschiedene  bogenförmige  Compartimente  ab- 
getheilt  wird.  Zwischen  dieser  Art  von  Filigran-Arbeit  befindet  sich  zart  ciselirtes 
Laubwerk,  aus  dem  ein  kleiner,  beerenförmiger  Fruchtkolben  hervorsprosst.  Diese 
Fruchtbildung,  in  Form  einer  länglichen  Erdbeere,  kehrt  immer  wieder  als  cha- 
rakteristisches Vorkommniss  des  XHL  Jahrhunderts  zurück.  —  Auch  die  äussere 
Peripherie  der  Kuppe  hat  in  einem  zehn  Centimeter  breiten  Rande  eine  zweck- 
mässige und  technisch  gelungene  Verzierung.  Auf  punktirtem  Grunde  befinden  sich 
nämlich  unter  einer  fortlaufenden  Arkadenstellung  im  Kleeblattbogen  die  Halbfiguren 
der  zwölf  Apostel  mit  ihren  verschiedenen  Attributen  eingravirt.  Obgleich  die  Köpfe 
der  Apostel  nur  mit  wenigen,  kräftigen  Strichen  angedeutet  sind,  so  liegt  doch 
in  denselben  eine  so  tiefe  Auffassung  und  ein  so  sichtliches  Streben  nach  Indivi- 
dualisirung,  dass  man  es  sofort  begreift:  der  Künstler  habe  sich  von  den  steifen, 
Conventionellen  Gesichtsbildungen  eines  stereotyp  gewordenen  Byzantinismus  voll- 
ständig loswinden  wollen. 

Bei  der  starken  Inclination  nach  edlen  Metallen,  die  sich  während  der  re- 
volutionären Umwälzungen  zu  Anfang  unseres  Jahrhunderts  im  Westen  Europa's 
geltend  machte,  ist  es  erklärlich,  dass  sich  in  Frankreich  und  Italien  nur  äusserst 
wenige  Exemplare  von  der  Grösse,  dem  Reichthume  und  dem  historischen  Kunst- 
werthe  des  eben  beschriebenen  Original-Gefässcs  erhalten  haben.  Nur  Deutschland 
besitzt  noch  mehrere  Kelche  aus  der  Blüthezeit  der  Goldschmiedekunst,  die  in  Bezug 
auf  ästhetische  Gomposition  und  meisterhafte  Ausführung  der  Details  mit  dem 
in  Rede  stehenden  wetteifern  können.  Das  ohne  Zweifel  prachtvollste  Exemplar 
eines  bischöflichen  Pontifical- Kelches  bewahrt  die  Sacristei  der  St.  Godehardi- 
Kirche  zu  Hildesheim.  Auch  in  mehrem  Kirchen  des  mittlem  Deutschlands  fan- 
den wir  ähnliche  Gefässe,  so  z.  B.  in  Braunschweig,  Osnabrück  und  Halberstadt. 
In  Belgien  hat  sich  in  dem  Kloster  der  Dames  fran^aises  zu  Namur  ein  schönes 
Exemplar  eines  Kelches  des  XHI.  Jahrhunderts  noch  erhalten,  welches  aus  einer 
alten  Cistercienser-Abtei  des  Hennegau's  stammen  soU. 


6  BT.  APOSTELN. 


93. 

ZwOlf  Stotaetten 

der  Apostel  in  Eichenholz  geschnitzt.     XIV.  Jahrhundert. 

Hohe  46—47  Gentimeter. 

Da  die  Kirchen8chätze  des  ehemaligen  reichen  Stiftes  von  St.  Aposteln, 
dessen  Gründung  in  die  Tage  des  h.  Heribert  gesetzt  wird,  heute  bis  auf  jenen 
schönen  festtäglichen  Kelch,  der  in  der  vorhergehenden  Nummer  besehrieben 
worden  ist,  in  den  zerstörenden  Wirren  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  unterge- 
gangen sind,  so  sei  es  gestattet,  hier  an  Stelle  der  verschwundenen  Schätze 
Kunstwerke  verwandter  Art  in  Beschreibung  und  Abbildung  einzuschalten. 
Es  sollen  nämlich  zum  Ersatz  12  Sculpturen  der  Apostel  hervorgehoben  werden, 
die  beredtes  Zeugniss  ablegen,  dass  im  h.  Köln  in  jenen  Tagen,  wo  die  Malerei 
und  Goldschmiedekunst  eine  so  hohe  Stufe  in  compositoriseher  und  technischer 
Beziehung  erstiegen  hatte,  auch  die  verwandte  Schnitz-  und  Bildhauerkunst  nicht 
unbeachtet  im  Nachtheile  geblieben  war.  Wir  nehmen  keinen  Anstand  hier  die 
Behauptung  auszusprechen,  dass  von  allen  figürlichen  Schnitzarbeiten  in  Eichen- 
holz aus  dem  XIV.  Jahrhundert  die  vorstehenden  Statuen  der  zwölf  Apostel  die 
grösste  Beachtung  von  Seiten  der  Kunstarchäologie  mit  vollem  Rechte  beanspruchen 
dürfen.  Wie  ein  Blick  auf  die  beifolgenden  Abbildungen  zur  Genüge  zeigt,  rühren 
diese  zarten  Bildwerke  aus  jener  interessanten  Kunstepoche  her,  wo  der  Bild- 
schnitzer mit  den  todten  Ueberlieferungen  des  Griechenthums  gebrochen  hatte, 
und  wo  derselbe,  den  Bildungsgesetzen  des  germanischen  Formenprincips  Rechnung 
tragend,  sich  bemühte,  im  Anschlüsse  an  die  Natur  und  ihre  Gesetze  die  Charak- 
teristik des  Individuums  in  seinen  Bildwerken  wiederzugeben.  Um  die  leblose 
Ruhe  jener  ascetischen  Heiligen -Gestalten  des  abgethanen  romanischen  Styles  in 
geradliniger  steifer  Haltung  zu  umgehen,  und  zugleich,  um  Leben  und  Empfindung 
seinen  Bildwerken  einzuhauchen,  gefiel  sich  der  herrschende  Tagesstyl  in  jenem 
Jahrhundert,  das  die  „lächelnden  Heiligen'^  darzustellen  beliebte,  darin,  in  oft 
etwas  zu  schlanker  und  stark  gebogener  Haltung  seine  Heiligenbilder  in  Elfenbein, 
Holz  und  Stein  wiederzugeben.  Eine  solche  auffallende  Bewegung  nach  der  lin- 
ken Seite  ausbiegend  gibt  sich  deutlich  an  der  Sculptur  unter  Fig.  9d\  den  heil. 
Petrus  vorstellend,  zu  erkennen.  Diese  Haltung,  desgleichen  auch  die  gleichartige 
Drapirung  der  Gewänder,  versetzt  die  vorliegenden  interessanten  Bildwerke,  hin- 
sichtlich der  Zeit  ihrer  Anfertigung,  in  die  Stylepoche  der  ersten  Hälfte  des 
XrV.  Jahrhunderts,  als  auch  die  gleichartigen  grossen  Apostelstatuen  im  Chore 
des  Kölner  Domes  von  Meisterhand  ihre  Entstehung  und  polychromatische  Staf- 
firung  fanden.  Hinsichtlich  des  schönen,  mehr  wellenförmig  als  eckig  und  geknickt 
behandelten  FaJtenvmrfes  bemerken  wir  hier  vorübergehend,  dass  der  dünne  und 
trefflich  geordnete  Faltenwurf,   ohne  Ziererei   und  Gesuchtheit,  noch   mehr  an 


ST.  APOSTELN.  7 

die  rund  ausgebogene  Draperie  des  romanischen  Styles  erinnert  und  die  glückliche 
Mitte  hält  zwischen  dem  steifen  conventioneil  geordneten  Faltenwurf  der  roma- 
nischen Bildwerke  und  den  ausgearteten  und  gekünstelten  Gewandpartien  mit 
eckigen y  kleinen  Faltenbrüchen,  wie  die  Bildhauer  dieselben  mit  dem  Ausgange 
der  (jothik  auch  in  der  Kölnischen  Schule  zur  Geltung  kommen  Hessen.  In  Rück- 
sicht der  Köpfe,  in  einem  zarten  charakteristischen  Ausdrucke,  sei  nur  bemerkt, 
dass  der  Bildhauer  die  seelenvollen  Züge  fast  aus  dem  Leben  gegriffen  zu  haben 
scheint  und  dass  er  nicht  dieselben  in  trockener  Monotonie  nach  einem  stereotjT)en 
Stylmodell  plastisch  gebildet  hat.  Charakteristisch  für  diese  Stylperiode  ist  auch 
noch  das  schön  stylisirte  und  in  seinen  Locken  fein  geringelte  Haupthaar,  wo- 
durch der  Eindruck  der  Köpfe  nicht  wenig  gehoben  wird. 

Da   sich   gegenwärtig  diese  Bildwerke  der  zwölf  Apostel   in   der   gleich- 
namigen Kirche,  vereinzelt  und  nicht  im  Zusammenhange  mit  einem  Altare  oder 
einem  andern  grossem  Mobiliargegenstande,  vorfinden,  so  dürfte  hier  die  Frage  an- 
gebracht sein :  welche  Stelle  nahmen  ehemals  dieselben  in  der  Stiftskirche  zu  den 
h.  Aposteln  ein?    Wie  eine  glaubwürdige  mündliche  Tradition  von  Augenzeugen 
herrührend  das  angibt,   befanden   sich  die   ehemaligen  Chorstühle,   von  welchen 
ein  Rest  heute  noch  in  der  Chorabsis  von  St.  Aposteln  aufgestellt  ist,  zu  bei- 
den  Seiten  als  Schranken  aufgestellt,   wodurch  der  mittlere  Chorraum  von  den 
beiden  Nebenabsiden  des  Chores  getrennt  wurde.     Wie  uns  angegeben  wurde, 
dienten  nun  die   eben  beschriebenen  zwölf  Statuetten  dazu,  gleichsam  als  obere 
Bekrönung  dieser  reich  geschnitzten  Chorschranken,  wahrscheinlich  unter  ebenso 
reich  geschnitzten  Baldachinen  aufgestellt  zu  werden.    An  dieser  Stelle  und  in  einer 
solchen  Situation  fanden  wir  selbst  noch  in  verschiedenen  Kirchen  kleinere  Bild- 
werke der  Apostel  angebracht.    Irren  wir  nicht,  so  dient  eine  solche  Anordnung 
und  Aufstellung  der  Apostel  als  Bekrönung  der  reichgeschnitzten  Chorstühle   in 
Calcar  am  Niederrhein.      Mit  dieser  traditionellen  Angabe  der  ehemaligen  Ver- 
wendung dieser  Statuetten   stimmt   in   der  That    auch  das  zierliche  und  reiche 
Schnitzwerk  überein,  das  sich  heute  noch  an  den  schönen  Chorstühlen  in  der  Chor- 
rundung von  St.  Aposteln  erhalten  hat  und  dessen  Entstehung  ebenfalls  in  den 
Beginn  des  XIV.  Jahrhunderts  zu  setzen  ist.   Es  muss  beklagt  werden,  dass  man, 
ohne  Zweifel  in  der  besten  Absicht,  vor  mehreren  Jahren  es  unternommen  hat, 
die  ebengedachten,  höchst  werthvoUen  Apostelstatuetten  mit  einem  starken  üeber- 
zuge  von  Gyps  zu  grundiren  und  über  das  ganze  Bildwerk,  sogar  mit  Einschluss 
der   Incamationstheile,   eine   monotone   Glanzvergoldung  zu   appliciren.      Gewiss 
dürfte  der  Wunsch  Beachtung  finden,  dass  später  von  kundiger  Meisterhand  wenig- 
stens von  den  Gesichtstheilen  diese  Vergoldung  und  Grundirung  sorgfältig  entfernt 
und  über  der  jetzigen  Vergoldung  der  Gewandpartieen  eine  stylgerechte,  poly- 
chromatische Ausstattimg  in  harmonisch  gedämpften  Farbtönen,  in  jenen  richtig 
gewählten  Dessins  zur  Geltung  gebracht  würde,  wie  sich  dieselben  in  den  reichem 
Seidengeweben  aus   dem  Beginne  des  XIV.  Jahrhunderts  vorfinden.      Hoffen  wir, 
dass  die  Zeit  nicht  fem  sein  wird,   wo  das  Innere  der  unvergleichlich  schönen 
Apostelkirche  von  der  buttergelblichen  Oelfarbe  wieder  befreit  und  der  Quaderstein 


8  ST.  APOSTELN. 

mit  seiner  natürlichen  Färbung  wieder  zum  Vorschein  gebracht  wird,  den  ün- 
kenntniss  in  früherer  Zeit  mit  einer  kostspieligen  Oelfarbe  überzogen  hat.  Wird  so 
das  Innere  von  St.  Aposteln  wiederhergestellt,  dann  dürfte  auch  der  heutige  styl- 
und  formlose  Altar,  in  hinkender  gräcisirender  Form,  durch  einen  neuen  würdigen 
in  den  gleichartigen  Formen  der  Apostelkirche  ersetzt  werden,  und  es  dürften  dann 
die  eben  besprochenen,  meisterhaften  Statuetten  der  zwölf  Sendboten  in  den  Nischen 
der  neuen  Mensa  eine  passende  und  stylgerechte  Verwendung  finden. 


Die  Apostelkirche  zu  Köln  hat  unter  den  wenigen  noch  vorfindlichen  Merk- 
würdigkeiten des  Mittelalters  noch  ein  auf  grauer  Leinwand  in  kräftigen  Contouren 
gemaltes  Bildwerk  aufzuweisen,  das  eine  unverbürgte  Legende  als  jenes  Bahr- 
oder Leichentuch  bezeichnet,  welches  von  der  bekannten  Richmodis  mit  eigener 
Hand  gesponnen  worden  sein  soll.  Wir  lassen  die  Richtigkeit  dieses  geschichtlichen 
Factums  hier  auf  sich  beruhen,  obschon  an  dem  unteren  Rande  dieses  Bildes  eine 
weibliche  Figur  als  donntrix  kniet,  die  flehend  ihre  Hände  zu  der  darüber  befind- 
lichen Madonna  erhoben  hat.  In  dem  unteren  mit  romanischen  Laubomamenten 
verzierten  Abtreunungsstreifen  erblickt  man  auch  zu  beiden  Seiten  der  knieenden 
weiblichen  Figur,  von  Halbkreisen  eingeschlossen,  die  beiden  Symbole  des  Adlers 
und  des  geflügelten  Menschen.  Die  beiden  andern  symbolischen  Thierzeichen  der 
Evangelisten  fehlen  gänzlich  am  obern  Rande.  In  der  Mitte  dieser  interessanten 
decorativen  Malerei  auf  grauem  Leinen,  der  ältesten  Tableaumalerei,  die  uns  bis 
heute  in  Köln  zu  Gesichte  gekommen  ist,  ersieht  man  die  stehende  Figur  der 
Madonna,  die  ehemals  auf  dem  linken  Arme  den  Jesusknaben  trug,  der  aber  bei 
dem  sehr  beschädigten  Zustande  des  vorliegenden  Bildwerkes  unsichtbar  ge- 
worden ist.  Zu  beiden  Seiten  der  Gottesmutter  gruppiren  sich,  zu  drei  und 
drei  geordnet,  Standbilder  der  zwölf  Apostel.  Der  Faltenwurf  dieser  1  Meter 
4  Decimeter  grossen  Bildwerke  kann  in  Rücksicht  auf  jene  fem  entlegene 
Kunstepoche,  der  vorliegende  Malerei  ihre  Entstehung  verdankt,  ziemlich  edel  und 
entwickelt  genannt  werden.  Dem  Componisten  ist  es  gelungen,  in  einfachen^ 
schlichten  Contouren  mit  Anwendung  spärlicher  Farbmittel  markirte,  ascetische 
Heiligenfiguren  darzustellen,  die  nicht  darauf  berechnet  sind,  dem  sinnlichen  Auge  zu 
schmeicheln.  Das  in  Rede  stehende  Werk  stammt  aus  jener  Epoche,  in  welcher  die 
Malerei,  noch  nicht  übermüthig  geworden,  als  Decoration  sich  den  architektonischen 
Zwecken  bescheiden  unterzuordnen  wusste.  Viele  Details,  sowohl  im  Ornamente 
als  auch  in  der  Composition  der  Figuren,  sprechen  der  Annahme  das  Wort,  dass 
das  Bild  gegen  den  Schluss  des  XH.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  ist,  eine 
Zeit,  in  welcher  der  aus  Byzanz  durch  Vermittelung  der  Kreuzzüge  in  den 
Occident  herübergekommene,  langgezogene  und  gestreckte  Habitus  bei  Heiligen- 
figuren allgemeiner  in  der  bildenden  Kunst  des  Abendlandes  seine  Anwen- 
dung fand. 

Es  dürfte  gegenwärtig  schwer  sein,  anzugeben,  zu  welchen  kirchlichen  Zwecken 
diese  beweglichen  auf  grobem  Leinen  gemalten  Heiligen-Darstellungen  gebraudit 


ST.  APOSTELN.  9 

worden  seien.  Wenn  man  nicht  der  Annahme  Beifall  schenken  will»  dass  dieses  Bild 
mit  andern  gleichartigen  als  bewegliche  Wanddecoration  auf  den  innem  Flächen  der 
Apostelkirche  verwandt  worden  sei,  so  dürfte  man  vielleicht  eher  der  Annahme 
das  Wort  reden,  dass  dieses  interessante  Bruchstück  romanischer  Malerei 
ehemals  als  Compartiment  zu  einem  grösseren  „pallium  quadra^esimale"  gehört 
habe,  das  als  Fasten-  oder  Hungertuch  (drap  de  faim)  am  Triumphbogen  der 
Kirche,  als  Trennung  von  Thor  und  Schiff,  aufgehängt  zu  werden  pflegte,  wenn 
die  kirchlichen  Trauerzeiten,  Advent  und  Fasten,  ihren  Anfang  nahmen.  Gewiss 
wäre  es  zu  wünschen,  dass  auf  dieses  älteste  Yorkommniss  einer  Malerei  auf 
Leinwand,  wie  es  sich  sonst  nirgends  am  Rheine  findet,  mehr  Gewicht  gelegt  und 
dasselbe,  mit  einer  Hinterwand  und  einem  Schlussrahmen  versehen,  eine  sorgfältigere 
Aufbewahrung  fände.  Der  historische  Eunstwerth  dieses  einfachen  Bildwerkes 
würde  zweifelsohne  völlig  verloren  gehen,  wenn  aus  übertriebener  Pietät  man  es  in 
Zukunft  versuchen  würde,  diesem  seltenen  Monumente  der  frühkölnischen  Malerei 
auf  groben  Leinen  eine  Aufbesserung  und  verschönernde  Retouche  aufzudrängen. 


Ehemaliger  Schatz 

der  früheren  CoUegiat- Kirche  zu  den  h.  Aposteln. 

Bei  Beschreibung  der  Kleinodien  der  heutigen  Kirchen  Kölns  ist  uns  im 
vorstehenden  Werke  die  Aufgabe  gestellt,  das  Wenige  noch  zu  besprechen,  das 
aus  der  allgemeinen  Zerstörung  gegen  Schluss  des  vorigen  Jahrhunderts  bis 
zur  Stunde  in  den  betreffenden  Kirchen  sich  noch  gerettet  hat,  hingegen  in  lan- 
ger Reihe  am  Schlüsse  aufzuzählen,  was  unser  beneidenswerther  Vorgänger 
Gelenius  mit  eigenen  Augen  im  Jahre  1645  noch  alles  wohlverwahrt  erschaut  hat. 

Ausser  dem  oben  beschriebenen  prachtvollen  Kelche  aus  spätromanischer 
Kunstepoche,  der  jetzt  irrthümlich  dem  heil.  Heribert  (t  1026)  zugeschrieben 
wird,  befindet  sich  in  Folge  der  gründlichen  Ausleerung  in  den  Tagen  der  Hlu- 
minaten  kein  Kleinodienstück  zur  Stunde  in  dem  verwaisten  Schatzbehälter  von 
St.  Aposteln  vor,  welches  dem  Mittelalter  angehört;  sogar  ein  merkwürdiger  gol- 
dener Ring,  den  der  h.  Heribert  getragen  haben  soll,  scheint  noch  in  jüngster 
Zeit  abhanden  gekommen  zu  sein.  Gleichsam  als  Mahnzeichen  an  jene  flir  Kölns 
grossartige  Kunstschätze  so  unheilvolle  Periode  der  französischen  Invasion  erblickt 
man  noch  in  unseren  Tagen  in  St.  Aposteln  einen  seiner  reichen  Zierrathen  gänz- 
lich entkleideten  Reliquienschrein,  der  ehemals  die  irdischen  Ueberreste  der  heil. 
Märtyrer  Felix  und  Adauctus  und  anderer  Heiligen  barg.  Gelenius  bezeichnet  ihn 
als  silbernen  Sarkophag  mit  Perlen  und  Edelsteinen  verziert  und  fügt  hinzu,  dass 
in  diesen  Prachtschrein  im  Jahre  1225  die  Reliquien  der  ebengedachten  Heiligen  über- 
tragen worden  seien.  Mit  dieser  geschichtlichen  Angabe  stimmen  auch  vollkom- 
men die  Detailformen  in  Eichenholz  zusammen,  die  sich  an  diesem  Rumpf  eines 
ehemaligen  Prachtschreines  vorfinden,  desgleichen  auch  die  wenigen  Ueberreste 


10  ST.   APOSTELN. 

Ton  emaillirten  Metallblechen,  die  noch  stellenweise  an  dem  Schreine  befestigt 
sind.  Sehr  möglich  ist  es,  dass  jene  vielen  üeberreste  von  emaillirten  Plätteben, 
Füllungen,  Säulchen,  Medaillons ,  die  sich  heute  in  den  Museen  zu  Berlin,  Dann- 
stadt und  an  anderen  Orten  noch  gerettet  haben ,  als  Ornamente  von  dem  eben- 
gedachten Reliquienschreine,  sowie  von  den  beiden  spoliirten  Scrinien  in  St  Cunibert 
(vergl.  St.  Cunibert  Seite  23  der  IL  Lief.)  herrtthren. 

Wie  auch  ein  weniger  geübtes  Auge  auf  der  Stelle  erkennt,  sind  die  eben- 
gedachten Üeberreste  von  Emails  durchaus  als  Kölner  Schmelzwerke  der  spät- 
romanischen Kunstepoche  zu  betrachten.  Auch  zwei  reichverzierte  Brustbilder  in 
edlem  Metall,  „hermae'^,  die  die  Häupter  des  heil.  Felix  und  Adauctus  enthielten, 
sind  der  gepriesenen  Revolution  als  Opfer  gefallen,  desgleichen  auch  zwei  andere 
capita  pectoralitty  ebenfalls  von  vergoldetem  Silber,  Eben  so  sind  auch  zwei  silberne 
Brachialien  mit  Reliquien  des  h.  Florinus  und  des  h.  Leonardus,  die  dem  Schatze 
des  Apostelnstiftes  zur  Zierde  gereichten,  verschwunden,  sowie  zwei  grössere  silberne 
Reliquiare  in  Form  von  Vorsatz-  und  Altarkreuzen.  Endlich  fand  sich  auch  in  dem 
ehemaligen  Schatze  des  reichen  Stiftes  von  St.  Aposteln  vor:  ein  Kelch  des  heil. 
Heribei*t  und  zwei  in  Elfenbein  sculptirte  bischöfliche  Pontificalkämme  (pectim 
ebumea),  die  ebenfalls  der  Person  des  heil.  Heribert  angehört  hatten.  Dieser 
Kelch  in  niedriger  Form  und  iu  jener  charakteristischen,  noch  unentwickelten 
Omamentationsweise,  wie  sie  der  Goldschmiedekunst  in  frühromanischer  Epoche, 
d.  h.  im  Beginn  des  XL  Jahrhunderts,  eigenthümlich  war,  ist  wahrscheinlich  in  den 
Stürmen  zu  Schluss  des  vorigen  Jahrhunderts  verschwimden.  Erklärlich  ist  es,  wie 
die  im  Gelen  vorfindliche  Notiz  vom  Kelche  des  heil.  Heribert  sich  auf  jenen  reich 
entwickelten  und  stattlichen  Pontificalkelch  unbewusst  übertragen  hat,  der  heute 
noch  als  einziges  Kleinod  dem  verödeten  Schatze  der  Stiftung  des  h.  Heribert  verblie- 
ben ist.  Ein  Blick  auf  die  Abbildung  Taf.  XXVffl.  Fig.  92  genügt  vollständig, 
um  zu  erkennen,  dass  dieser  Kelch  in  der  ersten  Hälfte  des  XHI.  Jahrhunderts, 
mindestens  200  Jahre  nach  dem  Tode  des  gedachten  heil.  Erzbisehofes,  von  einem 
ausgezeichneten  Meister  der  kirchlichen  »confratemitas  aurifabrorum''  Kölns  an- 
gefertigt worden  ist.  Bei  der  maasslosen  Verschleppung  der  kirchlichen  Kunst- 
und  Reliquienschätze  Kölns  zur  Zeit  der  firanzösischen  Revolution  sind  wahrschein- 
lich die  beiden  reichverzierten  Elfenbeinkämme,  von  denen  ebenfalls  Gelen  spricht, 
mit  so  vielen  andern  Kunstwerken  aus  der  Apostelkirche  entfernt  worden  und 
dürften  vielleicht,  wenn  hier  eine  Hypothese  zulässig  sein  sollte,  diese  beiden 
pectina  Sti,  Ileriberti  wieder  erkannt  werden  in  jenen  reich  verzierten  Elfenbein- 
kämmen, die  heute  noch  im  hiesigen  städtischen  Museum  aufbewahrt  und  be- 
wundert werden.  Wir  werden  nicht  unterlassen,  diese  seltenen  Kunstwerke  in 
Elfenbein,  die  zweifelsohne  aus  dem  ehemaligen  Schatze  einer  Kölnischen  Kirche 
herrühren,  in  der  letzten  Lieferung  des  vorliegenden  Werkes  in  AbbiMung  zu  ver- 
anschaulichen. 


3<lui  1^*-  JHaria  im  ®a|itot. 


"WÄtltlDMltfMltrt,    CSlll. 


^1  "^^axia  in  gamfof. 


Kunstwerke  des  Mittelalters  daselbst. 

Seite 

94)  Tragbares  Allärchen  mit  figarlichen  Sclimelzwerken,  XII.  Jahrb..   Taf.  XXIX.  Fig.  94 

und  94* 3 

95)  Durcbbrocbene  Scbmiedearbeit,  XV.  Jabrb.,  Taf.  XXIX.  Fig.  95 6 

96)  Reicbe  Bildstickerei  eines  Messgewandes,  XV.  Jabrh.,  Taf.  XXX.  Fig.  96      ...     .  7 
Der  ebemalige  Scbatz  von  St.  Maria  im  Gapitol 10 


94. 

Tragbares  Altftrchen 

in  mattem  Schmelz  mit  figürlichen  Darstellungen.     XII.  Jahrhundert. 

Länge  3  P/s  CenUmeter ,  Breite  20'/*  Centimeter,  Hohe  13  Centimeter. 

Von  den  vielen  kostbaren  „aüaria  portatHia^\  die  Gelen  in  seinem  oft  citirten 
Werke  namhajft  macht,  hat  sich  heute  nur  noch  ein  interessantes  Exemplar  in  dem 
vollständig  ausgeleerten  Schatze  der  ehemals  so  reich  dotirten  Stiftskirche  St  Maria 
im  Capitol  erhalten.    Dieses  einzige  noch  restirende  y^gestatorium^'  im  heutigen  Köln 
dürfte  zu  den  einfachem  gehört  haben,  wie  sie  ehemals  die  Metropole  des  Rheines 
in  grosser  Anzahl  besass;  dasselbe  bietet  jedoch  in  seiner  äussern  Gestalt  und 
in  seiner  technischen  Ausführung  alle  nöthigen  Anhaltspunkte,  um  Charakter  und 
Form  der  reichem,  ehemaligen  „aUaria  viatica'^  beurtheilen  zu  können,  die  gegen- 
wärtig sämmüich  aus  Köln  verschwunden  sind.    Auf  einem  Sockel  mit  ansteigender 
Abschrägung,  dessen  Flachtheile  theilweise  mit  eingeschmelzten  Omamenten,  theil- 
weise  mit  getriebenem  Pflanzenwerk  umkleidet  sind,  erheben  sich  die  vier  Flach- 
seiten dieses  tragbaren  Altares,  die  die  innere  Höhlung  von  der  Form  eines  Becht- 
eekes  in  Eichenholz  zur  Aufnahme   der  Reliquien  umkleiden.     Auf  der  einen 
Langfiäche,   die  eine  Ausdehnung   von  26 V2  Centimeter  hat,   bei   einer  grössten 
Höhe  von  8V2  Centimeter,  erblickt  man,  durch  vergoldete,  glatte  Säulchen  getrennt, 
die  figürlichen  Darstellungen  von  sechs  Aposteln,  deren  Namen  durch  Inschriften 
auf  Spruehrollen  zu  ersehen  sind.     Diese  Apostel  umgeben  stehend  den  Heiland, 
der  als  Richter,  auf  dem  Regenbogen  sitzend,  dargestellt  ist;  wie  gewöhnlich  seg- 
net die  Rechte  dieser  .fmajestas  domim"  in  lateinischer  Weise;    die  Linke  trägt 
das  geschlossene  »liber  vitae."     Die  andere  Seite  ist  ebenfalls  durch  glatte  Säul- 
chen in  sieben  Felder  von  der  Form  eines  Rechteckes,   mit  hell-  und  dunkel- 
blauem Email  abgetrennt     Auf  dem  mittlem  breiten  Felde  erblickt    man   thro- 
nend auf  einem  „scamnale''  die  Himmelskönigin,  die  mit  der  Linken  den  göttlichen 
Knaben  hält  und  in  der  Rechten  das  mit  der  Lilie  gekrönte  Scepter  trägt.      Zu 
beiden   Seiten    der  Madonna    gewahrt   man    die   Standbilder   der   sechs  übrigen 
Apostel,  kenntlich  durch  die  Spruchrollen  mit  den  bezüglichen  Namen.    Gleich- 
wie die  Langseiten  dieses  tragbaren  Altares  durch  Bilderschnmck  belebt  sind,  so 
entbehren  auch  die  nur  15  Centimeter  langen  Kopfseiten  des  Fi^^urenschmuckes 


4  ST.   MARIA  IM  CAPITOL. 

nicht.  Im  Gegensätze  zu  den  Trägern  des  neuen  Bundes  sind  hier  die  Repräsen- 
tanten des  alten  Bundes  in  sechs  Figuren  dargestellt.  Auf  der  einen  Seite  erblickt 
man,  durch  glatte,  vergoldete  Säulchen  getrennt,  den  König  David  und  zur  Seite 
die  Propheten  Jeremias  und  Isaias.  Diesen  Figuren  gegenüber  befinden  sich  an 
dem  andern  Kopftheile,  in  gleicher  Technik,  der  König  Salomon,  umgeben  von  den 
Propheten  Habacuc  und  Jonas.  Nur  allein  die  quadratischen  Flächen,  auf  welchen 
diese  kleinen  Standbilder  angebracht  sind,  sind  in  ihrer  Ganzheit  mit  einem  un- 
durchsichtigen, matten  Schmelz  in  hell  und  dunkelblauen  Farbtönen  ausgefällt  Auf 
diesen  emaillirten  Gründen  zeichnen  sich  in  Gold  die  ebengedachten  zwanzig 
Figuren  aus,  deren  Contouren  stark  vertieft  ausgestochen  und  mit  einem  braun- 
röthlichen  Email,  gleichsam  als  Niell,  markirt  sind.  Man  muss  es  diesen  Dar- 
stellungen lassen,  dass  sie  mit  einem  grossen  Ernste  und  fast  rigoroser  Stylstreng- 
heit  von  einem  Emailleur  der  Kölner  Schule  ausgeführt  worden  sind,  der  es  ver- 
stand, den  historisch  überlieferten  Typus  von  Byzanz  beizubehalten,  ohne  jedoch 
als  selbstständiger  Künstler  seine  eigene  individuelle  Anschauung  zum  Opfer  zu 
bringen.  Was  diesen  Figuren  femer  noch  zum  Vorzuge  gereicht,  ist  der  Umstand, 
dass  sie  schlicht  und  recht  von  einem  Kunsthandwerker  componirt  und  ausgeflihrt 
worden  sind,  der  seine  Bildwerke  als  Ornamente,  ohne  alle  Prätensionen,  kräftig 
hingestellt  hat. 

Auf  dem  eben  beschriebenen  viereckig  länglichen  Kästchen  befindet  sich 
als  Deckel  und  Schliesse  eine  geradlinige  Platte,  die  nach  unten  hin  dieselben 
Abschrägungen  und  Verzierungen  hat,  wie  die  untere  Abschlussplatte,  worauf  sich 
das  ebenbeschriebene  rechteckige  „receptaciilutn^^  erhebt 

Der  grösste  Beichthum  der  figuralen  und  omamentalen  Darstellungen  ent- 
faltet sich  auf  der  obern  Fläche  des  Deckverschlusses  (vergl.  94*).  Man  erblickt 
nämlich  von  vielfarbigem  Schmelz  umschlossen,  in  starker  Feuervergoldung, 
an  den  vier  Ecken  die  symbolischen  Thierbilder  der  vier  Evangelisten  mit  den 
betreffenden  Namen  auf  kleinem  Spruchbändern.  In  derselben  Breite  mit  die- 
sen Thiersymbolen  setzen  sich,  als  Rand  an  den  vier  Seiten,  zierliche  Orna- 
mente in  vielfarbigem  Email  fort.  Diese  Laubomamente  geben  sich  als  ,^emaux 
ckampleves"  zu  erkennen,  die  als  Füllungs-Email  die  ausgetieften  Flächen  dieser 
Pflanzenoraamente  einnehmen  und  von  einem  vergoldeten  Fond  umgeben  sind,  im 
Gegensatz  zu  den  figürlichen  emaillirten  Darstellungen,  die  die  vier  aufstehen- 
den Flächen  des  tragbaren  Altars  vielfarbig  verzieren.  Sämmtliche  Omamen- 
tationen  umgeben  als  Randeinfassung  einen  kleinen,  rechteckigen  Serpentin  in 
einer  Länge  von  12^2  Centimeter  und  einer  Breite  von  7  Centimeter  7  Millimeter. 
Den  Serpentinstein,  mit  dunkel-  und  hellgrünen  Marmorirungen,  als  consecrirten 
Altarstein,  umschliessen  zu  beiden  Seiten  die  zwei  Prototypen  des  Opfers  im  alten 
Bunde  für  das  unblutige  Opfer  des  neuen  Bundes;  rechts  Abel  mit  seiner  Opfer- 
gabe und  links  der  König  von  Salem,  Melchisedech.  Sowohl  unmittelbar  um  die- 
sen Serpentinstein,  als  auch  um  das  Aeussere  der  obera  Umrandung  sind  auf 
Goldgrund  schmale  Spmchstreifen  herumgeführt,  die  in  romanischer  Uncialschrift, 
in  dunkelblauem  Email,  folgende  schöne  Sentenz  enthalten: 


ST.  IKAHIA  IM  CAFTTOL.  5 

„Quidqutd  in  altari  ptmctatur  spirituali, 

Illud  in  altari  completur  materiali. 

Ära  crucis,   tumuli  calixy  lapidisque  patena, 

Sindonis  officium  Candida  bissus  habet** 
Gleichwie  der  vorhergegangenen  Beschreibung  zufolge  die  obere  Fläche 
dieses  Portativaltares  mit  reichen  figürlichen  und  omamentalen  Schmelzwerken 
geschmückt  ist,  so  hat  man  es  auch  nicht  unterlassen ,  die  untere  Fläche  dieses 
Beliquiariums  durch  ein  eigenthümliches  Email  zu  heben  und  zu  decoriren;  man 
erblickt  nämlich  hier,  von  vielen  Quadraturen  eingefasst,  ein  Laubornament  in 
Form  eines  Kreuzes,  das  in  allen  Quadraten  gleichmässig  als  retoumirendes 
Dessin  zurückkehrt.  Französische  Archäologen  haben  in  neuester  Zeit  dieses 
bräunliche  Email  mit  goldenen  Ornamenten  „email  brun,  imail  peint*  genannt. 
Dieses  Email,  im  einfachen  bräunlichen  Ton  gehalten,  ist  jedoch  wohl  zu  unter- 
scheiden von  jenem  Schmelz,  wie  es  von  den  Emailarbeitem  zu  Limoges  seit  dem 
XVI.  Jahrhundert  unter  dem  Namen  „email  peinf*  angefertigt  zu  werden  pflegte. 
Um  diese  untere  emaillirte  Deckplatte,  gleichsam  ein  bräunlicher  Emailfimis,  waren 
ehemals,  als  Ständer  zu  diesem  Altärchen,  an  den  vier  Ecken  kleinere  ciselirte 
und  vergoldete  Fussstticke  in  Form  von  Löwentatzen  oder  von  kriechenden  Sala- 
mandern angebracht.  Leider  fehlen  dieselben  heute  an  dem  durch  die  Un- 
bilden der  Zeiten  vielfach  beschädigten  „altare  viaticum."'  Da  sich  die  ver- 
tieften Stellen  erkennen  lassen,  worin  diese  vier  Pedalstücke  ehemals  befestigt 
waren,  so  haben  wir  nicht  unterlassen  wollen,  auf  unserer  Zeichnung  diese  Fuss- 
Btücke,  nach  älteren  Analogien,  anzudeuten.  Sowohl  die  entwickelte  Ausbildung 
und  Belebung  der  Figuren,  die  technische  Behandlung  der  vielen  verschiedenfarbig 
incrustirten  Schmelze  als  auch  der  Charakter  und  die  Gestaltung  der  spätroma- 
nischen Inschriften  legen  beredtes  Zeugniss  dafür  ab,  dass  das  in  Rede  stehende 
tragbare  Altärchen  von  einem  Mitgliede  der  Confratemität  der  Kölnischen  Gold- 
schmiede gegen  den  Schluss  oder  im  dritten  Viertel  des  XII.  Jahrhunderts  angefertigt 
worden  ist.  Obgleich  Köln  von  den  vielen  Gestatorien  seiner  ehemaligen  reichen 
Stifts-  und  Abtei -Kirchen  nur  noch  den  ebenbeschriebenen  als  alleinigen  Re- 
präsentanten der  vielen  verschwundenen  aufzuweisen  hat,  so  finden  sich  doch 
in  der  Erzdiöcese  Köln  noch  einige  äusserst  reiche  und  gut  erhaltene  Exemplare 
vor,  die  zum  Belege  dienen,  mit  welcher  artistischen  Sorgfalt  man  jenen  Reliquien- 
behälter im  Mittelalter  auszustatten  pflegte,  der,  mit  einem  consecrirten  kleinen 
Steine  auf  seiner  Oberfläche  bedeckt,  vornehmlich  auf  Reisen  dazu  benutzt  zu  werden 
pflegte,  um  auf  demselben  das  h.  Messopfer  „ubique  locorum"  begehen  zu  können. 
Das  bei  weitem  reichste  „altare  portatile"  in  ähnlicher  omamentaler  Aus- 
stattung, wie  das  ebenbesehriebene,  besitzt  zur  Zeit  noch,  als  letzte  Erinnerung  an 
verschwundene  Kunstwerke,  die  ehemalige  Benedictiner- Abteikirche  des  h.  Vitus 
zu  M.  Gladbach.  Zwei  andere,  ebenso  kunstreich  in  Email  gearbeitete  bewegliche 
Altärchen  finden  sich  in  dem  noch  jetzt  reichhaltigen  Schatze  der  Pfarrkirche  zu 
Siegburg  vor,  welche  aus  dem  Reliquienschatze  der  Stiftung  des  h.  Anno,  der 
Abtei  gleichen  Namens,  herrühren. 


ST.   MARIA  m  CAPITOL. 


95. 

Bekleidung  eines  Tr&gers, 

in  geschmiedetem  Eisen,  zur  beweglichen  Aufhängung  des  Handtuches. 

XV.  Jahrhundert. 

Üröftste  Länge  4t  Centimeter ,  Breite  10  Centimeter,  Höhe  24  Centtmeter. 

In  der  am  Schlüsse  des  XV.  Jahrhunderts  zur  nördlichen  Seite  des  Chores 
von  Maria  im  Capitol  angebauten  Nebenkapelle,  die  dem  frommen  Sinne  eines  Köl- 
nischen Patriciers  ihre  Entstehung  zu  verdanken  hat,  befindet  sich  heute  noch  ein 
merkwürdiges  Taufbecken  in  massivem  Kupferguss,  das  bereits  fllr  den  vollen 
Eintritt  der  Renaissance  innerhalb  der  Mauern  Eöhis  Zeugniss  ablegt  Das- 
selbe ist  der  Jahreszahl  zufolge  1594  vom  Meister  Weckrath  gegossen  worden. 
In  stylistischer  Beziehung  jedoch  sind  in  derselben  Kapelle  zwei  Utensilien 
von  grösserem  Interesse,  nämlich  die  Thttre  eines  Sacrariums  an  der  Epistel- 
seite des  Altares  und  ausserdem  noch  ein  selten  vorkommendes  Beispiel  eines 
reich  in  Schmiedeeisen  verzierten  Expositoriums  zur  Aufnahme  einer  beweg- 
lichen Rolle  im  Innern,  an  welcher  ehemals  das  Handtuch  (tualia,  altdeutsch 
twele,  Zwehle)  zur  Abwaschung  der  Hände  aufgehängt  zu  werden  pflegte.  Diese 
beiden  Kunstobjecte,  insbesondere  aber  das  letztgenannte,  sind  gewiss  das 
Zierlichste  und  Kunstreichste,  was  die  Kunstfertigkeit  der  Schmiede  und 
Schlosser  im  Bereiche  der  Eisenschmiederei  zu  Ausgang  des  Mittelalters  in 
Köln  hervorgebracht  hat.  Die  reichen  eisernen  Beschläge  und  Verzierungen 
an  der  ebengedachten  kleinen  Thüre  in  Eichenholz  sind  bereits  anderswo  ab- 
gebildet und  beschrieben  worden.  Auch  hat  der  hiesige  Modelleur  C.  Leers  die 
schönen  Eisenbeschläge  der  vorliegenden  Thüre  abgefonut  und  sind  bei  dem- 
selben, auf  schriftliche  Bestellungen  hin,  Abgüsse  davon,  sowie  überhaupt  viele 
Kunstwerke,  die  in  diesem  Werke  beschrieben  und  abgebildet  sind,  käuflich 
zu  beziehen.  So  weit  uns  bekannt  geworden ,  ist  jedoch  von  dem  in  Abbildung 
unter  Nr.  95  veranschaulichten  Träger  des  Manutergiums  keine  Erwähnung  ge- 
schehen. Dieser  Träger,  der  nach  zwei  Seiten  hin  vermittelst  eiserner  Klammem 
in  die  Mauerfläche  eingelassen  ist,  bildet  eine  viereckige  längliche  Kammbekrönung 
von  geschmiedetem  Eisen,  welche  die  Bestimmung  hat,  jenen  bewegUchen  Rund- 
stab von  Eichenholz,  der  im  Innern  eingelassen  ist,  zu  verdecken,  um  welchen  ehe- 
mals ein  langes  zusammengenähtes  Handtuch  befestigt  hing.  Die  Laubomamente, 
die  in  dieser  zierlichen  Bekleidung,  in  durchbrochener  Arbeit,  ersichtlich  sind,  fin- 
det man  in  ähnlicher  Formation  an  stylverwandten  Kunstgegenständen  aus  der- 
selben Epoche  häufiger  vor.  Um  den  Schwung  dieser  omamentalen  Blät- 
ter noch  zu  heben,  hat  der  Kunstschmied  es  nicht  unterlassen,  dieselben 
durch  Treibung  von  Innen  nach  Aussen  zu  erhöhen  und  die  Monotonie  die- 
ser Verzierungen  durch  kräftige  Gravuren  zu  beleben.     Jetzt  ist  leider  dieser 


ST.  MARIA  ni  CAPirOL. 


„Zwelilenträger"  mit  einer  unschönen,  bedeckenden  Oelfarbe  überstrichen,  wo- 
durch seine  feinen  Einzelheiten  vollständig  unsichtbar  gemacht  werden.  Derselbe 
scheint  ehemals  an  verschiedenen  Theilen  versilbert  gewesen  zu  sein;  auch  waren 
sämmtliche  Durchbrechungen  an  den  drei  Seiten  dieses  eisernen  Trägers  ehemals 
mit  einem  starken  blauen  Papiere,  wie  dies  noch  einige  schwache  Ueberreste  zei- 
gen, hinterlegt.  In  verschiedenen  Sacristeien  des  Niederrheines  haben  wir  noch 
mehrere  solcher  verzierten  Träger  von  Manutergien  vorgefunden.  Die  meisten 
sind  in  Holz  angefertigt  und  gehören  der  spätem  Benaissance  an.  Nur  in  der 
Sacristei  des  Domes  von  Xanten  findet  sich,  jedoch  in  Eichenholz  geschnitzt,  noch 
ein  ähnlicher  Zwehlenträger  vor,  welcher  derselben  Kunstepoche,  dem  Schlüsse 
des  XV.  Jahrhunderts,  wie  auch  der  vorliegende,  angehört. 


96. 

Fignrale  Stabstickereien, 

von  einem  Messornat  herrührend.     XV.  Jahrhundert. 

Länge  tt  Decimeter,  Breite  23  Centimeter. 

Als  feststehend  kann  angenommen  werden,  dass  in  den  Sacristeien  jener 
Stiftskirchen,  die  ehemals  einem  weiblichen  Orden  zustanden,  sich  die  kostbarsten 
Omatstickereien  noch  zahlreich  bis  zum  vorigen  Jahrhundert  erhalten  hatten, 
und  dass  in  der  Regel  in  solchen  Stiftskirchen  die  Zahl  derselben  grösser  befun- 
den wurde,  als  dies  in  Sacristeien  von  Pfarrkirchen  der  Fall  war.  Es  war  näm- 
lich im  Mittelalter  die  Kunststickerei  vorzugsweise  den  geübten  Händen  in  weiblichen 
Orden  und  Communitäten  anvertraut,  deren  fromme  Bewohnerinnen,  vom  Geräusch 
der  Welt  in  den  vier  Mauern  ihres  Klosters  zurückgezogen,  mit  grosser  Ausdauer 
und  Hingabe  zu  Ehren  des  Höchsten  die  kunstreichsten  Omatstickereien,  sowohl  fUr 
den  eigenen  kirchlichen  Bedarf  als  auch  auf  Bestellung  hin,  anzufertigen  pflegten. 
Erst  als  die  Zünfte  beim  Anfange  des  Mittelalters  das  Kunsthandwerk  für  sich 
förmlich  monopolisirt  hatten,  fingen  auch,  gleich  den  andern  Zunftmeistern,  die 
Vorsteher  der  Innimg  der  Bild-  und  Wappensticker  an,  eine  unbefugte  Controle 
über  jene  Nadelarbeiten  auszuüben,  die  käuflich,  der  Gewohnheit  früherer  Jahrhun- 
derte gemäss,  in  weiblichen  Klöstern  für  kirchliche  Omatszwecke  angefertigt  wor- 
den waren.  Die  Zunftmeister  erinnerten  sich  nicht  mehr  daran,  dass  seit  dem 
Xni.  Jahrhundert  bis  ins  späte  Mittelalter  hinein  die  Frauenklöster  es  waren,  die 
die  Kunstweberei  und  Stickerei  für  kirchliche  Zwecke  vorzugsweise  in  Pflege  ge- 
nommen hatten  und  dass  durch  Klosterfrauen  die  kirchliche  Stickkunst  auf  ihre 


8  ST.  HARU  IM  CAPnX)L. 

Höhe  gefördert  worden  war.  ♦}  Als  endlich  im  XVII.  und  vollends  im  XVIII.  Jahr- 
hundert die  Coneurrenz  der  kunstreich  gestickten  Ornate  %yeiblicher  Orden  mit 
den  überladenen  Goldstickereien  aufgehört  hatte,  die  von  profanen  Stickem,  Parar 
mentenhändlern  und  Lyoner  Grossisten  als  gesuchte  Speculations-Waare  auf  den 
Markt  gebracht  wurde,  verschwanden  die  Reminiscenzen  der  altkirchlichen  tradi- 
tionellen Stickereien  auf  dem  Gebiete  der  Paramentik  vollständig  und  es  begann 
jetzt  die  profane,  täglich  wechselnde  Mode  mit  überladenen  Phantasieformen  sich 
in  kirchlicher  Oruatstickerei  in  breitester  Weise  geltend  zu  machen. 

Die  vorliegende  Stickerei,  wovon  wir  auf  Blatt  XXX  einen  Bruchtheil  veran- 
schaulicht haben,  gehört  noch  vollständig  jener  schöneren  Periode  an,  in  welcher 
die  Zunft  der  Bild-  und  Wappensticker  des  alten  Kölns,  die  Traditionen  der  altem 
kirchlichen  Ornat-  und  Paramentstickerei  festhaltend,  mit  den  Leistungen  religiöser 
Orden  zu  wetteifern  suchte.  Wir  nehmen  keinen  Anstand  zu  behaupten,  dass  die 
in  Rede  stehenden  Stickereien  als  Meisterwerke  jener  traditionellen  Figurenstickerei 
zu  betrachten  sind,  die  gegen  Schluss  des  Mittelalters  aus  der  Zunft  der  Kölni- 
schen Wappensticker  in  l^Ienge  hervorgingen  und  die  in  ihren  Leistungen  sich  an 
die  Arbeiten  der  befreundeten  Maler  anzulehnen  pflegten.  Von  den  vielen  kunst- 
reichen Figurenstickereien  an  den  Aurifrisien  liturgischer  Gewänder,  an  welchen, 
einer  glaubwürdigen  Tradition  zu  Folge,  die  Schatzkammer  des  reichen  Damenstiftes 
von  Maria  im  Capitol  noch  bis  zur  französischen  Revolution  einen  so  grossen 
Ueberfluss  hatte,  finden  sich  heute  nur  noch  die  beiden  Stäbe  vor,  zu  deren 
Beschreibung  wir  eben  übergehen  wollen.  Leider  hat  eine  bedauemswerthe  In- 
teresselosigkeit vor  mehrem  Jahren  keinen  Anstand  genommen,  die  in  Rede  stehen- 
den gestickten  Bildwerke  mit  der  Scheere  gewaltsam  so  zu  modificiren,  dass  aus 
Resten  durchschnittener  Bildstickereien  mit  genauer  Noth  ein  Kreuz  in  modemer 
Form  zu  einem  Messgewande  formirt  worden  ist. 

Ursprünglich  scheinen  diese  Stäbe  nicht  als  Besätze  eines  Messgewandes, 
sondern  als  reich  gestickte  Auiifrisien  zu  den  vordem  Besatzstücken  eines  Pluviale 
benutzt  worden  zu  sein.  Die  erste  Darstellimg  in  dem  obem  Stabe  beginnt  mit  der 
Verkündigung,  darauf  folgt  die  Geburt,  und  schliesst  sich  diesen  Mittelstücken  die 
Anbetung  der  drei  Weisen  an.  Unter  dieser  letzten  Darstellung  befindet  sich 
jetzt  noch  als  Fortsetzung  ein  Baldachin.  Die  reich  in  Gold  gestickte  Scenerie, 
die  zweifelsohne  die  Beschneidung  des  Heilandes  vorstellt,  ist  von  einer  unbarm- 
herzigen Scheere  vor  bereits  längerer  Zeit  ohne  Schonung  fortgeschnitten  worden, 
als  man  diesen  Stab  eines  Pluviale  zu  dem  heutigen  Stabe  eines  Messgewandes 
zu  verkürzen  kein  Bedenken  tmg. 

Was  die  hohe  Vollendung  sowohl  der  Composition  als  der  technischen  Aus- 
führung betrifTt,  so  muss  gesagt  werden,  dass  mit  diesen  reichen  Figurenstickereien 
höchstens  noch  die  gestickten  Stäbe  einzelner  mittelalterlicher  Messgewänder  in 


*)  Um  Gesagtes  nicht  zu  wiederholen,  verweisen  wir  yorttbergehend  anf  die  11.  Lief,  unseres 
Werkes:  „Geschichte  der  liturgischen  Gewänder  im  Mittelalter",  wo  wir  weitläufiger  über  das  Aus- 
gehen der  kirchlichen  Stickkunst  von  weiblichen  S^östem  im  Mittelalter  gehandelt  haben. 


ST  MARIA  IM  CAPITOL.  9 

St.  Columba  einen  Vergleich  eingehen  können.  Um  den  Reichthum  und  den  Glanz 
der  vorliegenden  gestickten  Bildwerke,  die  sich  gegenwärtig  in  sehr  traurigem 
Zustande  befinden,  zu  kennzeichnen,  bemerken  wir  hier  vorübergehend,  dass  sämmt- 
liche  figurenreiche  Scenen  in  der  Weise  der  „oeuvres  tTArras**  über  doppelt  neben 
einander  gefügten  Goldfäden  in  Plattstich  gestickt  sind.*) 

Sieht  man  sich  nach  verwandten  Parallelen  zu  der  in  Rede  stehenden 
Bildstiekerci  am  Rheine  um,  so  dürften  die  reich  gestickten  Stäbe  eines  pracht- 
vollen Messgewandes  der  Pfarrkirche  zu  Erkelenz  und  zu  Euskirchen,  sowie 
einige  üeberreste  älterer  Stickerei  im  erzbischöflichen  Museum  zu  Köln,  die 
grösste  Verwandtschaft  haben.  Die  hier  besprochenen  Bildwerke  sind,  wie  auch 
die  eben  angeführten  Bildstickereien,  ohne  Zweifel  von  äusserst  geschickten  Bild- 
stickern  Kölns  gegen  Ausgang  des  XV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden.  Dafür 
legen  Zeugniss  ab  die  für  die  altkökiische  Malerschule  durchaus  charakteristische 
Auffassupg  und  Durchführung  der  schönen  Composition,  desgleichen  auch  die  eigen- 
thümliche  Anlage  und  Construction  der  in  Gold  gestickten  Baldachine,  welche  diese 
Scenen  überragen.  In  diesen  drei  Baldachinen  erblickt  man  in  je  einem  ein  Rund- 
medaillon, jedesmal  ein  Wappen  einschliessend,  als  Geschlechtszeichen  von  Patri- 
cierfamilien,  die  in  der  Nähe  von  Maria  im  Capitol  wohnhaft  waren  und  wahrschein- 
lich in  letztgedachter  Kirche  ihre  Familiengrabstätte  besassen.  Das  eine  Wappen 
an  dem  obem  Stabe,  nämlich :  drei  Raben  auf  silbernem  Felde,  gehört  der  altköl- 
nischen Familie  „Walraven"  an;  das  darauf  folgende:  zwei  silberne  Sprossen  auf 
schwarzem  Felde,  ist  das  Familienwappen  der  berühmten  Kölnischen  „Overstolzen", 
und  das  dritte  Wappen:  drei  rothe  Judenhtite  auf  silbernem  Felde,  ist  das  Ge- 
schlechtszeichen der  Patricierfamilie  „Jtidden." 

Der  Kirchenvorstand  von  Maria  im  Capitol  beabsichtigt  in  nächster  Zeit  die 
oben  beschriebenen  seltenen,  in  Plattstich  gestickten  Stäbe  wieder  herstellen  und 
dieselben  zu  einem  neuen  Messgewande  verwenden  zu  lassen.  Es  wäre  dringend 
zu  wünschen,  dass  von  einer  äusserst  geschickten  Hand,  die  mit  dem  Bilderstich 
umzugehen  wüsste  und  auf  Restauration  ähnlicher  Arbeiten  eingeübt  wäre,  mit 
höchster  Vorsicht  diese  kostbaren  Nadelmalereien  für  kirchlichen  Gebrauch  stylgetreu 
wieder  hergestellt  würden.  Gewiss  dürfte  auch  bei  der  Instandsetzung  dieser 
Casel  die  ältere  faltenreiche  Form  des  Messgewandes  wieder  zu  wählen  sein,  des- 
gleichen auch  ein  schwerer  Seidendamast  mit  mittelalterlichen  Musterungen,  dessen 
gedämpfter  Farbton  zu  der  alten  Stickerei  nicht  zu  grell  abstäche. 


*)  Yergl.  die  nähere  MittheUung  über  die   „hauies  lisses  (TArras^^  in  dem  II.  Bande  unseres 
Werkes  „Geschichte  der  Uturgischen  Gewänder  des  Mittelalters/' 


10  ST.   MARIA  IM  CAPrrOL. 

Der  ehemalige  Schatz  von  Maria  im  CapitoL 

Der  alte  Chronist  Gelen,  der  in  gedehnter  Weitläufigkeit  die  Grösse  und 
den  Vorrang  der  Schätze  seiner  Vaterstadt  beschreibt,  unterlässt  es  nicht,  an  der 
Stelle,  wo  er  in  seinem  Werke  „i/e  magmtudine  Colomae'*  die  Kunstwerke  und  die 
Beliquienschätze  von  St.  Maria  im  Gapitol  ausführlicher  aufzählt,  hinzuzufügen,  dass 
durch  die  Gebefreudigkeit  und  die  Frömmigkeit  der  adligen  Stiftsdamen  besagter 
Kirche  sämmtliche  Eeliquien  in  kostbaren  und  kunstreichen  Behältern  zu  seiner 
Zeit  aufbewahrt  gewesen  seien.  Derselbe  fügt  darauf  hinzu,  dass  sich  in  ge- 
nannter Kirche  an  Schätzen  allein  26  kostbare  in  Gold  und  Silber  kunstreich  ge- 
arbeitete Hierotheken  mit  Reliquien  verschiedener  Heiligen  befanden.  Unt^r  an- 
dern war  daselbst  in  einem  silbernen  Brustbilde  das  Haupt  des  Apostels  Judas 
Thaddäus  aufgehoben.  Zwei  andere  Hierotheken  hatten  die  Form  von  silbernen 
Händen  und  enthielten  die  eine  ein  Gebein  vom  Apostel  Bartholomäus  und  die 
andere  einen  Armschenkel  des  h.  Leonardus.*)  In  andern  kunstvoll  gearbeiteten 
Reliquiarien  befanden  sich  Theile  vom  heil.  Kreuze,  von  den  Nägeln,  von  der  Lanze, 
von  der  Donienkrone  und  von  dem  Schwämme.  Alle  diese  Gefässe,  mit  ihrem 
theuren  Inhalte,  die  unser  Berichterstatter  aufzählt,  und  welche  seit  den  Tagen 
der  Erbauerin  von  Maria  im  Capitol,  der  frommen  Plectrudis,  der  Gemahlin  Pipins 
von  Heristall,  eine  Zierde  des  alt  berühmten  Gotteshauses  bildeten,  sind  der  Geld- 
gier der  Revolution  zum  Opfer  gefallen.  Nur  eine  interessante  stoffliche  Reliquie, 
die  Gelen  unter  No.  28  als  „Cingulum  sanctae  Elisabethae"  anführet,  dürfte  sich  bis 
zur  Stunde  glücklich  gerettet  haben  und  befindet  sich  heute  noch  im  Besitze  des 
Biographen  der  h.  Elisabeth,  des  Grafen  Montalembert.  Als  die  Kirchenschätee  von 
Maria  im  Capitol  der  Zerstörung  preisgegeben  wurden,  scheint  dieser  merkwürdige 
und  kunstreich  gewirkte  Gürtel  in  den  Besitz  einer  angesehenen  Kölnischen  Fa- 
milie gelangt  zu  sein.  Später  ging  diese  Reliquie  durch  Schenkung  in  den  Privat- 
besitz eines  Kölnischen  Pfarrers  über,  der  dieselbe  dem  ebengedachten  berühmten 
französischen  Gelehrten  vor  wenigen  Jahren  als  Geschenk  übersandte.**) 

Sind  wir  gut  imterrichtet,  so  befand  sich  ehemals  noch  in  der  Basilica  von 
Maria  im  Capitol  ein  gi-osser  siebenarmiger  Leuchter,  der,  in  Messing  gegossen, 
in  der  reichen  Omamentation  des  spätromanischen  Styles  gestaltet  gewesen  sein  soll 

Glücklicher  Weise  haben  sich  an  dem  nördlichen  Eingang  der  Kirche  von 
Maria  im  Capitol  zwei  äusserst  meAwürdige  und  seltene  Thorflügel  erhalten,  die, 
weil  sie  nicht  von  Metall  waren,  bei  den  Stürmen  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts 
keine  Beachtung  gefunden  haben.  Dieselben  sind  als  Hautrelief  kräftig  in 
Eichenholz  geschnitzt  und  veranschaulichen  in  vielen  Quadraten  Scenen  aus  dem 
Leben  des  Heilandes.  Besagte  Thürflügel,  die  aus  der  entwickelten  romanischen 
Kunstepoche  herrühren,  dürften  in  den  in  Holz  geschnitzten  Thtiren  des  Fuy  de 
Dome  in  der  Auvergne  eine  schwache  Parallele  inden. 


*»  Vergl.  die  Form  dieser  Brachialien  unter  No.  7  u.  8  Taf.  II.  I.  Lief,  dieses  Werkes  Seiteid- 
*'*)  Vergl.    unsere  nähere  Beschreibimg    dieses   merkwürdigen   „Cingnlum   literatttm^^   in  dem 
III.  Bande  des  „Kirchenschmuckes ,  ein  Archir  f\lr  weibliche  Handarbeit". 


Jlu?t5*  y«rab  (tjm«i.   &'•  ©fni'g) 


^t  |acoB 


Ohmalijgf  j5li|taWrrb  vm  j5t  (Smjg)* 


Kunstwerke  des  Hittelaltera  daselbst. 

Seile 

97)  Vollständiger  Ornat  mit  Bildwirkereien  und  Wappen  in  den  Stäben,  XV.  Jahrhundert, 

Taf.  XXXI.  Fig.  97 3 

Ehemalige  Schätze  von  St.  Georg,  nach  Angabe  älterer  Inventare 7 


»» 


97. 

Messornat 

in  weissem  Damast  mit  figuralen  in  Gold  gewirkten  Stäben.    XY.  Jahrhundert. 


Vorliegende  Capelle,  die  bei  den  alten  Schriftstellern  auch  die  Benennung 
omatus  integer"  führt,  gehört  unstreitig  zu  den  merkwürdigsten  liturgischen  Ge- 
wändern, welche  sich  aus  dem  Schlüsse  des  Mittelalters  herrührend  in  den  kölni- 
schen Kirchen  noch  erhalten  haben.  Leider  war  bei  dem  Messgewande  der  primi- 
tive alte  Schnitt  in  seiner  faltenreichen  Ausdehnung,  wie  es  scheint,  schon  lange 
Zeit  einem  modernen  Zuschnitte  gewichen,  wodurch  dasselbe  in  den  golddurch- 
wirkten Stäben  an  Länge  bedeutend  verkürzt,  mid  seine  Breite  hinsichtlich  des 
Grundstoffes  der  Art  geschnitten  worden  war,  dass  noch  unlängst  dieses  Messge- 
wand aus  zwei  knapp  zugeschnittenen  Theilen  bestand,  und  das  so  entstellte  Ge- 
wand kaum  mehr  seinen  Ursprung  von  der  ehemaligen,  faltenreich  den  ganzen 
Körper  umgebenden  ,tcasula  campanula"  errathen  liess. 

Der  Grundstoff  dieses  Gewandes  bestand  ehemals  aus  einem  dunkeln,  des- 
sinirten  Blausammet  mit  einem  Muster,  wie  dasselbe  immer  wieder  in  solchen  figurir- 
ten  Sammetstoffen,  so  wie  in  den  Seidendamasten  des  XV.  Jahrhunderts  zu  erkennen 
ist.  Sämmtliche  Muster  in  diesem  Sammet  waren  von  dem  Weber  mit  einem 
äusserst  feinen  Instrument  eingeschnitten,  so  dass  der  Satinstoff  stark  hervortrat. 
Für  die  geschichtliche  Entwickelung  der  mittelalterlichen  Weberei  und  Stickerei 
bietet  unstreitig  das  mit  grosser  Kunstfertigkeit  in  Gold  gewirkte  Kreuz  ein  grösseres 
Interesse.  Dasselbe  steigt  gabelförmig  gegen  die  Schultern  auf  und  zeigt  auf  dem 
Vorder-  und  Bücktheile  des  Messgewandes  ein  Kreuz.  Bis  zur  Mitte  des  XV.  Jahr- 
hunderts waren  an  den  Messgewändern  die  Ejreuzstäbe  (aurifrisia)  besonders 
an  den  Festtags -Ornaten  meist  in  ähnlicher  Weise  gebildet,  so  dass  auf  diese 
Doppelform  des  Kreuzes  auch  gedeutet  werden  können  die  Worte  bei  Thomas  a 
Kempis,  Lib.  IV,  Cap.  5:  ,yAnte  se  crucem  in  casula  portat,  ut  Christi  vestigin 
diligenter  inspiciat  et  post  se  cruce  signatus  est,  ut  adversa  quaelibet  ab  aliis  illata 
clementer  pro  Deo  toleret.' 


tf 


4  8T.  JACOB. 

Wie  die  ehemals  blaue  Gnmdfarbe  des  Gewandes  anzeigte,  war  besagter  Mesa- 
omat  bestimmt,  um  bei  den  kirchlichen  Trauerzeiten  gebraucht  zu  werden.  Diese 
f%te$  de  dmdl  fallen  vornehmlich  in  die  Fasten-  und  Adrentzeit;  deswegen  zeigen  auch 
die  golddurchwirkten  Stäbe  des  vorliegenden  Messgewandes  einzelne  quadratisch 
geordnete  Scenerien  aus  der  Leidensgeschichte  des  Heilandes.     Auf  dem  Gabel- 
kreuze, welches  den  hinteren  Theil  des  Gewandes  schmttckt,  erblickt  man  in  Gold 
gestickt  die  Darstellung  der  Dreieinigkeit*),  nämlich  die  Person  des  Vaters  oben 
in  stylisirten   Wolken,    darunter  von  Strahlen  umgeben  das  Symbol    des   heil. 
Geistes,  in  Gestalt  einer  Taube,  schwebend  über  der  zweiten  Person  der  Crott- 
heit,   dem  Sohn,  der  als  leidender  Gottmensch  am  Kreuze  dargestellt  ist     Den 
Heiland  umgibt,  wie  gewöhnlich,  die  Passionsgruppe  Johannes  und  Maria.     Von 
diesem  Theile  des  mittleren  Stabes  ausgehend  verzweigen  sich  ttber  die  Schultern 
ansteigend  die  beiden  Ereuzbalken,  die  auf  der  hinteren  Seite  zwei  Medaillons 
erkennen  lassen  von  je  einer  Engelsfigur,  mit  der  Albe  bekleidet,  gehalten,  welche 
die  Verurtheilung  des  Heilandes  vor  Pilatus  und  gegenttberstehend  die  Krönung 
desselben  zur  Darstellung  bringen.     Unter  der  Hauptdarstellung  ist  Christus  am 
Kreuze  abgebildet;  auf  dem  mittleren  Balken  folgen  dann  noch  weiter  nach  unten 
hin  zwei  quadratische  Einfassungen,  ebenfalls  von  Engeln  als  Schildträgem  gehalten, 
die  Abnahme   Christi   vom   Kreuze   und  die  Grablegung    desselben.     Zwischen 
diesen  beiden  Passions  -  Scenen   erblickt  man  in  Gold  eingewirkt  in  gothischen 
Minuskelschriften  in  blauer  Seide  den  Namen  ^ykeyrich  pennyck*'.    Wir  sind  nach 
Analogien,  die  wir  an  andern  Messgewändem  angetroffen  haben,  versucht  anzu- 
nehmen, dass  in  diesen  Worten  nicht  der  Name  desjenigen  zu  erkennen  ist,   der 
als  Wappenwirker  dieses  Kunstwerk  angefertigt  hat,  sondern  der  Name  jenes  kölni- 
schen Bürgers,  der  diesen  Ornat  als  Geschenk  hat  zur  Ausführung  bringen  lassen.  Auf 
dem  vorderen  Balken  ersieht  man  in  der  Mitte  weiter  in  ähnlichen  quadratischen 
Medaillons  Christus  am  Oelberge  und  seine  schlafenden  Jtlnger;  zu  beiden  Seiten 
die  Geissei ung  und  das  y^Ecce  homo**;  femer  dann  den  Yerrath  des  Heilandes  durch 
den  Kuss   des  Judas,   und   als  unterste  und  letzte  Darstellung  den  Heiland  vor 
dem  Hohenpriester,   wie   letzterer  seine  Kleider  zerreisst.     Sämmtliche   figurale 
Darstellungen  sind  in  einfachen  schlichten  Contouren  und  mit  Aufwand  von  weni- 
gen Mitteln  in  den  Goldgmnd  vielfarbig  eingewebt.     Nur  hat  der  Bildsticker  die 
meisten   Umrisse   der  Figuren  mit  einem  dünnen  Goldfaden  eingefasst  und   die 
Gesichtszüge  in  wenigen  Linien  eingestickt 

Vorliegender  figurirter  Goldstab  (orfroie)  gehört  jener  interessanten  Periode 
der  kölnischen  Bildwirkerei  an,  in  welcher  die  Innung  der  Wappenwirker  sceneriite 
Stäbe  anzufertigen  verstand,  die  erst  durch  die  kunstverständige  Hand  der  Bild- 
sticker  ihre  höhere  künstlerische  Vollendung  erhielten.  Von  ähnlichen  Bildwirke- 
reien, an  denen  die  Weberei  und  die  Stickerei  sich  gegenseitig  ergänzen,   sind 


*)  Es  ist  das  eine  im  Mittelalter  bei  Webereien  and  Stickereien  immer  wiederkehrende  Dar^ 
stellang,  wodurch  auch  der  Satz  des  Sjrmbolums  Teranschaulicht  wird,  nämlich  das  „procedit  ab 
ufroque". 


BT.  JACOB.  5 

noch  jetzt  in  den  Kirchen  Kölns  und  der  Erzdiöcese  mehrere  interessante  lieber- 
reste  anzutreffen.  So  besitzt  die  Pfarrkirche  zu  St  Alban  ein,  leider  in  jüngster 
Zeit  sehr  modern  wiederhergestelltes  Messgewand ,  welches  mit  treffend  ähnlichen 
Groldstäben  besetzt  ist.  Auch  unsere  eigene  Sammlung  an  älteren  liturgischen 
Stickereien  hat  noch  eine  Menge  von  solchen  figurirten  Goldstäben  au&uweisen. 
Die,  unserer  Ansicht  nach,  reichste  Bortenwirkerei  in  Gold  mit  vielen  mehrfarbi- 
gen scenerirten  Darstellungen  zeigt  ein  im  Besitze  des  Grafen  Salis-Soglio  be- 
findliches prachtroUes  Messgewand,  das  äusserst  gut  erhalten  und  ebenfalls  mit 
einem  gegen  die  Schultern  ansteigenden  Doppelkreuze  geziert  ist 

Zu  dem  in  Rede  stehenden  interessanten  Messgewande  von  St  Jacob  ge- 
hören auch  zwei  Levitenröcke ,  die,  mit  ähnlichen  Goldstäben  verziert,  vielfarbige 
Darstellungen  zeigen.     Diese  Dalmatiken  hatten  sich   in  ihrer  Form  und  ihrem 
Schnitt  noch  ziemlich  unverletzt  und  primitiv  erhalten;  nur  glaubten  wir  anneh- 
men zu  dttrfen,   dass  eine  modemisirende  Scheere  einige  unbedeutende  Modifi- 
cationen  daran  vorgenommen  hat.     Die  goldenen  Seitenstäbe  zeigen  eine  Breite 
von    6  Centimeter    10  Millimeter.      Die   horizontalen   Verbindungsstäbe    auf  der 
Brust  und  dem  Rücken  haben   eine  Länge  von  41  Centimeter  bei  einer  Breite 
von  14  Centimeter.     Besagte  Diakonen -Gewänder,  welche   sich  in  ihrer  Form 
und   ihrer    Grösse   nicht   unterscheiden,    sind    nach     hinten    verziert   mit   zwei 
gedoppelt    hängenden  Quasten  (fimbriae)   von   rother  Seide,    welche   durch   ein 
vergoldetes  Messingknöpfchen  (pomellum)   nach  oben   einen  Abschluss   erhalten. 
Diese  Quasten  mit  ihren  Schnüren  bilden  an  der  Halsöflhung  eine  offenstehende 
Schlinge ,  durch  deren  Eingriff  in  den  gegenüberstehenden  Knopf  die  Dalmatica 
am  Halse  geschlossen  werden  konnte.    Gleichwie  in  den  Groldstäben  der  Casel  in 
scenerirten  Darstellungen  die  Hauptmomente   aus  dem  Leiden  des  Heilandes  ein- 
gewirkt sind,  so  findet  dieselbe  Darstellung  vom  Leiden  Christi  auch  ihre  Fort- 
setzung in  jenen  Ornamenten,  wie  sie  als  Wappenschilder  in  den  schmalen  Gold- 
stäben  dieser  Dalmatiken   eingewebt  sind.     Die  Kunst  des  Wappenwirkers  hat 
nämlich   in  diesen   Goldstäbchen   abwechselnd  die   Namen  Jesus   und  Maria  in 
blauer  Seide,  in  Minuskelschrift  gehalten,  horizontal  eingewebt.    Zwischen  diesen 
Namen  folgen  nach  regelmässigen  Zwischenräumen  kleine  Wappenschilder  in  sehr 
einfacher  Form  nach  unten  in  Spitzbogen  ausmündend,  die  als  umfassende  Medaillons 
jene  einzelnen  Werkzeuge  und  Geräthschaften,  die  bei  dem  Leiden  des  Heilandes 
in  näherer   oder  entfernterer  Weise  zur  Anwendung  gekommen  sind,  enthalten. 
Dieser  Passionswerkzeuge,  von  älteren  Schriftstellern  auch :  ,^instrumenta  Dommicae 
passianis"  genannt,  befinden  sich  der  Zahl  nach  26  auf  jeder  Dalmatica.   Die  merk- 
würdigsten derselben  in  diesen  Wappenschildern  sind  ausser  den  bekannten  oft  vor- 
kommenden unter  andern  der  ungenähte  Rock  mit  den  Würfeln,  womit  die  Kriegs- 
knechte das  Loos  geworfen,  das  Gefäss  mit  dem  Hysopstengel,  die  dreissig  Silberlinge, 
der  Judaskuss,  das  Schweisstuch  der  Veronika,  der  Leidenskelch  am  Oelberge,  die 
Dornenkrone,  die  Geisselsäule,  das  GefUss  (aquamamle),  das  Pilatus  beim  Hände- 
waschen  gebrauchte  etc.     Die  verbindenden  Mittelstücke  auf  der  Brust  und  auf 
dem  Rücken  zeigen  jedesmal  die  drei  Kniestücke  von  kölnischen  Heiligen ,  unter 


6  8T.  JACOB. 

welchen  besonders  kenntlich  sind  die  Bilder  einiger  Apostel,  der  h.  Diakonea 
Laurentius  und  Vincentius,  so  wie  des  h.  Georg  etc.  Diese  Figuren  sind 
sämmtlich  in  den  Hauptgewandparthieen  durch  die  Kunst  des  Webers  eingewirkti 
nur  sind  einzelne  untergeordnete  Theile,  als  Hände,  Haare  etc.,  hineingestickt 
Auch  die  Wappen  mit  ihren  symbolischen  Darstellungen  sind  durch  die  Weberei 
erzielt,  und  nur  einzehie  Contouren  in  Gold  und  Seide  beigestickt  Die  untere  Oeff- 
nung  der  Aermel  an  diesen  „Lesröcken*'  ist  mit  einer  etwas  schmäleren  Goldborte 
garnirt,  in  welcher  ebenfalls  Wappenschilder  angebracht  sind.  Schon  aus  diesen 
vielen  Wappen,  enthaltend  Werkzeuge  des  Leidens  Christi,  lässt  sich  beweiaen, 
dass  diese  Goldborten  angefertigt  worden  sind  von  einer  Innung,  die  in  dem  alten 
Köln  den  Namen  der  Bild-  und  Wappenwirker  oder  Stieker  führte.  Diese  Bild- 
und  Wappenwirker  bewohnten  jenen  Strassentheil ,  der  bis  zum  Schluss  des  vori- 
gen Jahrhunderts  den  Namen  führte  „unter  Wappensticker*'  und  der  auf 
der  Hochstrasse  die  Häuserreihe  von  den  Vierwinden  bis  zur  Schildergasse  aus- 
füllte. Die  Blttthezeit  dieser  Innung  der  Wappensticker  scheint  uns  von  den 
ersten  Decennien  des  XV.  Jahrhunderts  bis  zu  den  ersten  Decennien  des  XYI. 
Jahrhunderts  hinaufzureichen.  Auffallend  war  es,  dass  die  weiten,  tief  nach  unten 
reichenden  Aermel  nicht,  wie  bei  den  älteren  Dalmatiken,  unter  dem  Arme  mit 
einer  Naht  geschlossen  waren,  sondern  hier  eine  Oefihung  zeigten.  Noch  fügen  wir 
hinzu,  dass  die  Aermel  an  der  unteren  Bandöflnung  mit  schmalen  Kränzen  von 
Seide  in  rother,  blauer,  grüner  Farbe  abwechselnd  besetzt  waren.  Nach  Analogie 
der  altkölnischen  Wappenwirkerei  mit  häufig  eingewebter  Jahreschiffire  zu  urtbei- 
len,  dürften  auch  die  vorliegenden  beiden  Dalmatiken,  welche  hinsichtlich  ihres 
Schnittes  für  neu  anzufertigende  maassgebend  sein  könnten,  gegen  Mitte  des 
XV.  Jahrhunderts  in  Köln  angefertigt  worden  sein.  Auch  das  Futterzeug  (suh- 
ductura,  foederatura),  ein  grobes  blaues  Leinen,  schienen  uns  primitiv  aus  dieser 
Zeit  herzustammen. 

Wir  haben  im  Vorstehenden  die  schöne  Advents -Capelle  in  blauem  ge- 
schnittenen Sammet  mit  kunstreich  gewirkten  (xoldstäben  beschrieben,  als  sie  noch 
im  alten  desolaten  Zustande  sich  befand,  wie  das  XVH.  Jahrhundert  sie  rücksichts- 
los zugeschnitten  hatte.  Da  der  UmstofT  in  Blausammet  stellenweise  sehr  be- 
schädigt war,  so  fasste  der  Kirchenvorstand  von  St  Jacob  kürzlich  den  lobens- 
werthen  Beschluss,  die  reiche  Goldwirkerei  der  besagten  Capelle  auf  einen  in 
gothischem  Style  gemusterten  UmstoflF  von  einem  schweren  Crefelder  Seidendamast 
in  einem  gedämpften  weisslichen  Farbtone  übertragen  zu  lassen,  und  hinsichtiich 
des  Schnittes  jene  faltenreiche  Form  wieder  zu  adoptiren,  wodurch  die  liturgischen 
Gewänder  im  Mittelalter  so  vortheilhaft  sich  auszeichneten.  Wir  haben  auf 
Tafel  XXXI  das  vorhinbesprochene  Messgewand  von  St.  Jacob  in  seiner  jetzigen 
würdigeren  Form  zugleich  mit  der  Musterung  des  neuen  Umstoffes  aus  der  Fabrik 
von  Friedrich  Casaretto  in  Crefeld  im  Bilde  veranschaulicht  und  bemerken  noch 
dazu,  dass  es  den  Bemühungen  des  Kirchenvorstandes  gelungen  ist,  zu  den  gold- 
ge^virkten  Stäben  des  Messgewandes  und  der  Dahnatiken  ähnliche  ältere  Stäbe 
aus    derselben  Fabrikations -Epoche  nebst  der  gestickten  Cappa  eines  Pluviale 


8T,  JACOB, 


kftuflich  zu  erwerben.  Durch  diese  Herstellung  eines  entsprechenden  Pluviale  ist 
die  seither  unvoUständige  CapeUe  der  besagten  Pfarrkirche  gegenwärtig  ein 
„omaius  integer"  geworden. 


Ehemalige  Schätze  und  Kleinodien 

der  früheren  Stiftskirche  von  St.  Georg  (heutigen  Pfarrkirche  St.  Jacob) 

in  Köln. 

Fttr  die  Eenntniss  der  liturgischen  Gefässe  und  Gewänder  leisten  die  heute 
noch  vielfach  vorfindlichen  mittelalterlichen  Schatzverzeichnisse  die  wesentlichsten 
Dienste.  An  der  Hand  derselben  lernt  man  nicht  nur  die  ältere  Terminologie  fttr 
die  verschiedenen  im  Mittelalter  gebräuchlichen  liturgischen  Geräthschaften  und 
Kleinodien  kennen,  sondern  man  findet  darin  auch  über  die  Form,  die  artistische 
und  künstlerische  Beschaffenheit  dieser  Gebrauchsgeräthschaften  sehr  erwünschte 
Aufschlüsse. 

Einer  kirchlichen  Vorschrift  zufolge,  die  leider  in  neuester  Zeit  nach  der 
officiellen  Plünderung  der  Kirchenschätze  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  nicht 
mehr  befolgt  worden  ist,  pflegten  diese  Inventare  von  Zeit  zu  Zeit  revidirt  oder 
aufs  Neue  angefertigt  zu  werden.  Insbesondere  geschah  das  in  bischöflichen  und 
Stiftskirchen ,  wenn  ein  neuer  Bischof  oder  Propst  seine  Amtsverwaltung  antrat, 
und  in  Pfarrkirchen,  wenn  ein  neuer  Pfarrer  eingeführt  wurde. 

Bei  der  Wichtigkeit  und  dem  grossen  Interesse,  das  solche  Schatzverzeich- 
nisse bieten,  haben  wir  auf  ausgedehnten  Reisen  in  letzter  Zeit  es  nicht  versäumt, 
eine  grosse  Zahl  solcher  mittelalterlicher  ungedruckter  Inventare  in  Abschrift  zu 
nehmen.  Gelegentlich  werden  wir  das  Interessanteste  aus  diesen  mittelalterlichen, 
meistens  in  lateinischer  Sprache  verfassten  Schatzverzeichnissen,  die  englischen,  fran- 
zösischen und  italienischen  Kirchen  angehören,  veröffentlichen.  Leider  haben  wir  noch 
verhältnissmässig  sehr  wenige  Schatzverzeichnisse  der  vielen  kölnischen  Stifts-  und 
Pfarrkirchen  bis  zur  Stunde  ausfindig  machen  können.  Als  Grund  hierftlr  mag 
angegeben  werden,  dass  die  meisten  Archive  der  kölnischen  Kirchen  in  den 
Stürmen  zu  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  verschleudert  worden  sind.  Einem 
Umstand  jedoch  ist  es  zuzuschreiben,  dass  sich  von  der  ehemaligen  Stifts- 
kirche St.  Georg  noch  zwei  merkwtlrdige  ältere  Inventare  bis  auf  diesen  Tag  er- 
halten haben. 

Um  nämlich  solche  Inventare  vor  dem  Verkommen  und  der  Zerstörung  mög- 
lichst zu  sichern,  pflegte  man,  bei  der  Seltenheit  des  Pergamentes  und  des  Papieres, 
im  frühen  Mittelalter  dieselben  auf  die  meistens  leeren  und  unbeschriebenen 
SchluBsseiten  älterer  kostbar  gebundener  Evangeliencodices  einzuschreiben.  So 
haben  auch  gegen  Schluss  des  XI.  und  später  wieder  im  XIV.  Jahrhundert  ein- 


8  8T.  JACOB. 

zelne  Sacristanpriester  als  Schatzmeister  der  Stiftskirche  von  St  Greoig  die  za 
ihrer  Zeit  vorfindlichen  Kirchenschätze  ihres  Stiftes  mit  sicherer  Hand  auf  die 
letzten  Pergamentblätter  zweier  älterer  Prachtcodices  notirt.  Das  eine  dieser 
prachtToU  geschriebenen  und  verzierten  Evangelistarien,  dessen  kunstreichen  Ein- 
band wir  auf  Tafel  XXXV  der  vorliegenden  Lieferung  bildlich  veranschaulicht  haben» 
dürfte  spätestens  aus  dem  X.  Jahrhundert  herrühren.*)  Von  einer  späteren  Hand, 
wie  es  scheint  aus  dem  Schluss  des  XL  oder  dem  Beginne  des  XH.  Jahrhunderts, 
rührt  das  Inventar  der  damaligen  Schätze  von  St  Georg  her,  das  wir  hier  seinem 
Wortlaute  nach  im  Urtext  folgen  lassen  mit  wenigen  Anmerkungen  zur  Erläute- 
rung einzelner  unbekannter  Ausdrücke. 

Haec  sunt  ornamenta  ecclesiae  sancti  GeorgiL 

Undecim  cappae*),  tria  dorsalia^),  IUI  dalmaJticae%  V  suptäia*)  cum  Uli 
fanonilnu^)^  XII  pallia*),  Uli  vexilla'),  X  casulae,  III  calices  cum  totidem  pate- 
nis  ex  quibus  unus  est  aureus  (t)^  alter  deauratus,  et  Ußstulae  argenteae,*)  Uma*) 
argentea  et  II  ereae.  Candelabrum  argenteum  ^^)  et  ßstula  alterius  candelabrL  II 
thuribula  **)    argentea,     XX  albae   cum   totidem  amictis  ^^)  et  una  absque  amicto. 


*)   Vergl.  die  Befohreibuog  dieses  Codex  unter  Kr.  103  dieser  Lieferung. 

I)  Bauch,  Vesper-  oder  Chormantel,  sonst  auch  ,;pluvial»,  eappa"  genannt 

t\  Wandteppiche  sur  Bekleidung  der  Chorsttthle  an  Festtagen,  gegen  welche  die  Stiftaherren 
mit  dem  BUcken  gewendet  standen,  daher  der  Name.    Vgl.  Durandus,  Bationale,  lib.  I.  oap.  3,  K.  23. 

3)  LeTitenH)cke  (altkOlnisch  auch  „LesrOcke"),  Utuigisohe  Bekleidung  für  die  Diakonen. 

4)  Ministranten-Gewand  fUr  den  Subdiakon,  Ton  ähnUcher  Form  wie  die  Dalmatica,  nur  länger 
und  weniger  reich  Teraiert;  wird  auch  sp&ter  sum  Unterchied  Ton  der  „tunica"  des  Diacons  h&ufig 
„iunieeii^*  genannt 

5)  Eine  lltere  Beseiohnung  fUr  „manipuium** ;  diese  Beaeiohnang  soU  naoh  Einigen  altsäehsi- 
sehen  Ursprunges  und  mit  dem  Ausdrucke  „Fahne^*  identisch  sein.  Aus  den  bei  Du  Cange  an- 
geführten Stellen  geht  klar  herror,  dass  das  Wort  in  seiner  allgemeinsten  Bedeutung  ein  Stttck  Tuch 
Ton  Leinen  oder  Seide  bezeichnet 

6)  Altarbekleidungen,  gestickte  YorhJlnge,  die  man  heute  „aniependia^'  nennt;  im  frtthen 
Mittelalter  hiessen  dieselben  „vesies  oder  vesHmenta  äUaritf  pallia  aliark"  und  sind  su  unterscheiden 
Ton  den  „vela  aitarü,  tetra  vela",  ron  denen  Anastasius  Bibliotheoarius  so  oft  spricht  Es  waren  diese 
letztgenannten  „vela"  jene  Vorhänge,  die  den  von  Tier  Säulen  getragenen  Ciborienaltar  an  den  Secret- 
theilen  der  h.  Messe  TerhttUten. 

7)  Yortragfahnen ,  die  in  älterer  Form  sehr  selten  geworden  sind;  im  Sohatie  des  Domes  zu 
Halberstadt  finden  sich  noch  zwei  merkwürdige  griechische  „vexüla^'  des  XIL  Jahrhunderts  Tor. 

8)  Solche  silberne  SaugrOhrohen  zum  Genüsse  der  h.  Gommunion  unter  der  Gestalt  des  Weines 
finden  sich  in  älteren  Schatzverzeichnissen  häufig  angeführt;  dieselben  werden  auch  „ealami,  eonna^ 
genannt   Ln  Schatze  ron  8t  Peter  in  Salzbuxg  zeigt  man  heute  noch  ein  solches  althistorisches  Geräth. 

9)  Jedenfalls  sind  unter  dieser  Bezeichnung  „Uma**,  da  sie  uniUittelbar  nach  den  Kdohea 
folgen,  zu  verstehen  die  Messkännchen,  die  in  anderen  luTentaren  „amulae,  ampuUae,  poti,  urceoU^ 
genannt  werden ;  nach  Du  Cange  bedeutet  „uma"  Überhaupt  ein  Gefäss  zur  Aufnahme  Ton  Flüssigkeiten. 

10)  Ein  silberner  Leuchter  und  der  Ständer,  Bohre  {fisiuia)  eines  andern  Lichtträgers. 

II)  Die  Bauohfässer  führen  in  anderen  älteren  SchatsTeneiohnissen  auch  den  Namen  ^ythuri- 
crmnia,  ihymiamaieria". 

12)  Zu  jeder  Albe  gehörte  im  Mittelalter  ein  entsprechendes  amieiut  (Schultertuch),  indem  dai 
Schultertuch  mit  demselben  gestickten  Bande  ,^Uiga,  parura^^  und  Ton  der  entsprechenden  Farbe  Ter- 
ziert  war,  wie  diese  Stickerei  auch  an  Tier  Stellen  der  Alba  mehr  oder  weniger  reich  angebracht  wsr. 


ST.  JACOB.  9 

XII  siolae  cum  totidem  fanonibus  et  una  absque  fanone,  III  manutergia,  *^)  Una 
mappula^*),  II  cingula,  II  tuniae  sericae,  Duo  ordines^^),  III  mmales,  V  missa-- 
les  librit  III  Gradualia,  II  vela^^)y  IUI  iapetia")  et  IUI  scamnalia/^)  tria 
vascula  argentea.*^)  Unum  plenarium^)  auro  contextum^^)  et  I  argento  contextum 
et  tertium  absque  auro  et  argento ;  et  II  cussinL  ^)  Unum  lectionarium  ^)  et  pars 
alterius  lectianarü,    VII  corporalia.  '*)     IUI  cruces  duae  aureae  ")   et  duae  ereae. 


13)  Diese  Handtücher  waren  mit  einem  gestickten  Sanme  verziert  und  fUr  Festtagsgebrauch 
reicher  als  die  gewöhnlichen  Handtücher  der  Sacristei,  die  hier  nicht  aufgeführt  sind. 

14)  Es  Ittsst  sich  heute  nicht  mehr  genau  feststellen,  welches  liturgische  Gewand  im  Früh- 
mittelalter mit  der  Beieichnung  „mappula"  benannt  wurde.  Einige  halten  die  „mappula^*  für  identisch 
mit  y^manipulum'%  Andere  erachten  es  als  ein  besonderes  Obergewand  der  Canonici ;  das  Letzte  scheint 
in  der  vorliegenden  Bezeichnung  der  Fall  zu  sein  und  dürften  als  Oewandstücke  eines  Klerikers  auch 
die  folgenden  11  „cingula^^  und  die  II  „tunicae  sericae^'  zu  betrachten  sein,  wenn  nicht  hier- 
unter 2  seidene  Alben,  die  auch  im  Mittelalter  diese  Bezeichnung  führen,  mit  den  entsprechenden 
Cingula  zu  verstehen  sind. 

15)  Unter  „ordo"  verstand  man  ein  liturgisches  Buch,  heute  auch  noch  genannt  „Ordo 
Rotnanut"y  worin  die  Ceremonien  der  römischen  Kirche  bei  verschiedenen  kirchlichen  Functionen 
nfther  verzeichnet  standen.  „Ordo"  nannte  man  aber  auch  jenes  Buch^  worin  die  Regeln  des 
h.  Benedict  und  auch  die  der  „viia  eommunii"  Air  die  Ganoniker  aufgeschrieben  waren. 

16)  „f^eia",  Vorhänge  zur  Verzierung  der  Kirchen  an  Festtagen.  Diese  Bezeichnung  steht  zu* 
weilen  identisch  mit  den  Ausdrücken  „auleae,  cortinaey  pallia". 

17)  „Tapetia"  nannte  man  im  Mittelalter  die  Fussteppiche  zur  Bekleidung  der  Altarstufen  und 
des  Chores  an  Festtagen;  auch  findet  sich  hierfür  die  Bezeichnung  jfMtraguia". 

18)  „Scamnalia"  Bezeichnung  für  die  gestickten  Ueberhange  und  Spreiten  der  Ghorstühle,  der 
Sitzbänke;  auch  die  drei  f^ediliae"  für  den  Celebrans  und  die  beiden  Ministranten  wurden  bei  feier- 
lichen Hochmessen  mit  diesen  ,jtcamnalia^'  behangen. 

19)  Diese  drei  silbernen  Qefksse  dienten  offenbar  zur  Aufnahme  der  geweihten  Oele,  des 
oleum  eatechumenorumj  infirmomm  und  des  chrisma.  In  andern  Inventaren  werden  dieselben  auch 
wohl  genannt  „ampullae  oder  pyxidet^\ 

20)  „Pfenarium"  nannte  man  im  Mittelalter  jenen  liturgischen  Codex,  in  welchem  vollständig 
die  Evangelien  geschrieben  waren,  deren  Lesung  im  Laufe  des  Kirchenjahrs  bei  Feier  der  h.  Messe 
vorgezeichnet  war.  Diese  häufig  mit  goldenen  und  sUbemen  Buchstaben  auf  purpurgcröthetem  Perga- 
ment geschriebenen  Evangelien-Codices  nannte  man  „plenaria  aurea  purpurea^'. 

21)  Der  Einband  dieser  Pracht -Codices  „vestis  Kbrortim"  war  vom  Goldschmied  in  der  Regel 
mit  getriebenen  Goldblechen  „auro  contextum"  und  mit  Sculpturen  in  Elfenbein  kunstvoll  ausge- 
stattet. Dieses  mit  Gold  beschlagene  „plenarium",  wovon  das  Inventar  spricht,  ist  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  jener  reich  bemalte  Codex  auf  Perg^ament,  der  heute  noch  in  der  Sacristei  von 
Maria  Lyskirchen  aufbewahrt  wird,  und  auf  dessen  letzten  Pergamentseiten  sich  das  vorliegende  Schatz- 
verzeichniss  der  Kleinodien  der  Stiftskirche  St.  Georg  vorfindet.    Vgl.  Taf.  XXXV,  Nr.  103. 

22)  Dieser  Ausdruck,  identisch  mit  dem  gallischen  „Coussin",  findet  sich  in  frühmittelalterlichen 
Inventaren  immer  gleichbedeutend  mit  „puivinaria" ;  es  waren  das  jene,  mehr  oder  weniger  reich  ge- 
stickten Kissen,  auf  welchen  an  Festtagen  die  „plenaria"  und  „müsalia"  mit  ihren  reich  verzierten 
gold-  und  silberbeschlagenen  Einbänden  während  der  Messe  gelegt  wurden,  wie  das  in  einigen  Kirchen 
heute  noch  der  Fall  ist,  anstatt  der  jetzt  gebräuchlichen  „pulpita"  in  Holz. 

23)  Wir  lassen  es  dahin  gestellt  sein,  ob  unter  „lectionarium"  hier  zu  verstehen  sei  jener 
Codex,  der  die  Episteln  enthielt,  oder  ein  liturgisches  Buch,  in  welchem  die  verschiedenen  kirchlichen 
„ieeüonet"  geschrieben  waren. 

24)  Diese  Corporaltüoher  waren  im  Mittelalter  grösser  und  mit  vielfarbigen  Stickereien  als 
Randeinfassuug  verziert. 

25)  Zwei  silbervergoldete  und  zwei  Kreuze  in  Messingguss  (ereae)  zählte  der  damalige  Schatz ; 
es  ist  nicht  gesagt,  ob  dieselben  als  Altarkreuze  mit  einem  Fusse  versehen  oder  auf  einer  Stange 
(canna)  befindlich  als  Processions-  und  Vortragekreuze  dienten.     Unter  den  goldenen  zählte  zweifels- 

2 


10  ST.  JACOB. 

Duo  ctngula^)  I de  pallio,  aliud  de  serico,    Una  acerra^)  deuurata  cum  corieari^\ 
argenteo,  unum  baccinum  *')  cum  columba  deargetitaia.     Linteamen^)  unum  super 
feretrum. 


In  demselben  kostbaren  Codex  vom  ehemaligen  Stifte  St.  Georg,  worin  sieh 
auch  noch  auf  den  letzten  Pergamentblättem,  ausser  dem  obigen  merkwürdigen 
Inventar,  eine  interessante  „sertes  episcoporum"  des  kölnischen  Erzstiftes  vorfindet, 
hat  sich,  geschrieben  von  einer  Hand  des  XIV.  Jahrhunderts,  unter  anderen  Eides- 
formeln auch  noch  der  Wortlaut  eines  »Juramentum**  erhalten,  den  der  neue 
Schatzmeister  feierlich  ablegen  musste,  wenn  er  sein  Amt  antrat  und  wenn  ihm 
bei  dieser  Gelegenheit  der  „thesaurus**  der  Kirche  übergeben  wurde.  Derselbe  dürfte 
hier,  da  das  vorliegende  Werk  vorzugsweise  über  die  ehemaligen  und  heute  noch 
vorfiudlichen  ,,thesauri  sacri^*  der  kölnischen  Kirchen  handelt,  seinem  Wortlaute 
nach  eine  Stelle  finden: 

„Juramentum  thesaurarn  ecclesiae  sancti  Georgü:  Ego  ZI.  thesaurarhu  eccle- 
siae  sancti  Georgü  ab  hac  hora  mantea  ero  ßdeKs  patri  et  domino  dommo 
Archiepiscopo  Colomensi  et  ecclesiae  nieae  sancti  Georgü  Coloniae.  Libros^  oma^ 
menta,  clenodia,  res  sanctuaria^  bona  et  Jura  ecclesiae  meae  et  ad  meam  ci^todiam 
pertinentia  et  quae  mihi  assignata  sunt  et  fuerbU  ßdeliter  et  diligenter  custodiens 
conservabo.    Et  si  aliqua  deperdita  extiterit  ecclesiae  meae  recuperabo,  — 

„Hostias  pro  missarum  celebrationibus  ac  Imninaria  lampadum  et  candelarum 
in  dicta  ecclesia  et  personis  ac  ojßciatis  ejus  debitis  quantitate  ac  tempore  secun- 
dum  antiquas  observantias  et  consuetudines  ac  funes  campanarum  necessarias  mini- 


ohne  jenes  seltene  altromanische  Krem,  dM  heute  noch  in  Maria  Lyskirohen  sogleich  BÜt  dem  kost- 
baren „plenarium"  sich  befindet,  und  einer  mündlichen  Tradition  zu  Folge  bei  Verschleuderung  der 
Kirchenschätze  von  St.  Georg  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  Ton  vorsorglicher  Hand  glücklicherweise 
in  die  Sacristei  der  Pfarrkirche  St  Maria  Lyskirchen  übertragen  vorden  ist.  Vgl.  Taf.  XXXVI, 
Nr.  104. 

26)  AuiTaUcnd  ist  es,  dass  damals  das  Stift  von  St.  Georg  nur  zwei  Gürtel,  „chigult^*,  besäst; 
der  eine  war  aus  Leinenstoff  angefertigt  (pailium),  der  andere  von  Seide  (sencum), 

27)  Das  Schiffchen  zur  Aufnahme  des  Weihrauchs  wird  in  tüteren  Inventaren  ,/teerra'^  ge- 
nannt; in  den  spätmittelaltcrlichen  Schatzverzeichnissen  führt  dasselbe  die  Bezeichnung  ^^tmeutt^K 

28)  Dieses  Löffelchen  zum  Einlegen  des  Weihrauchs  in  das  Rauehfass  unterschied  sich  wesent- 
lich von  dem  „cochlear  calicis'*;  das  letztere  kommt  erst  im  späteren  Mittelalter  in  Ckbrauch  und 
auch  nicht   in  allen  Kirchen. 

29)  yyßacctnum",  ein  vertiefter  tellerf(>rmiger  Behälter,  Becken,  Schüssel;  von  einer  nicht  viel 
späteren  Hand  ist  in  fast  gleichen  SchriftzUgen  beinotirt  worden  „ct/m  toh$mba  deargentatt^*.  Durch 
diesen  Zusatz  ist  auch  das  „baccinum"  näher  erklärt  Es  befand  sich  demnach  in  St  Georg  ehemals  ein 
f^iipensorium"  an  drei  Kettchen  schwebend  unter  einem  älteren  Giborienaltar  als  Speisegefäas  zur 
Aufbewahrung  der  Eucharistie.  Dieses  „columbaHtim"  als  verschliessbares  Gefte  in  Form  einer 
Taube  war  stehend  befestigt  auf  einem  tellerf<>rmigen  Becken,  „baccinum",  in  welches  die  oben  ge- 
dachten  drei  Kettchen  zum  Auf-  und  Niederlassen  unter  dem  Baldachinaltar  eingehängt  wurden.  Die 
reichhaltige  Sammlung  des  Fürsten  Pierre  Soltykoff  in  Paris  besitzt  noch  zwei  solcher  gut  erhaltenen 
emaiUirten  „columbaria"  mit  den  dazu  gehörigen  „baccina". 

30)  Leintuch  zur  Bedeckung  einer  Tragbahre,  „ferclrum". 


ST.   JACOB.  11 

strabo,    El  omnia  et  sinffula  quae  ad  officium  meum  pertinent  ßdelüer  gubeniaho 
et  Jaciam.     Sic  ?ne  deus  adjuvet  et  haec  sancta  dei  evangeiia." 

An  diese  Eidesformel,  die  Aufschlüsse  darüber  giebt,  was  für  Leistungen 
und  Verpflichtungen  im  Mittelalter  dem  Schatzmeister  oblagen,  reiht  sich  auch 
noch  eine  interessante  Notiz  an,  von  derselben  Hand  geschrieben,  woraus  zu  er- 
sehen ist,  dass  der  Schatzmeister  bei  Antritt  seiner,  jedenfalls  einträglichen  Pfründe 
den  Ganonikern  des  Stiftes  eine  Oblation  von  drei  Ohm  Wein  zu  persolviren 
hatte«,  Die  Stelle  heisst  dem  Wortlaute  nach  wie  folgt: 

„Item  sciendum  si  thesaurarius  venerit  ad  thesauraria  per  mortem  alterius 
dabit  capitulo  tres  amas  vini,  si  vero  per  viam  permutationis  dabit  duas  amas 
vini," 

Als  Gegenstück  zu  dem  im  Vorstehenden  mitgetheilten  Verzeichnisse  des 
XI.  Jahrhunderts,  das  einen  Kirchenschatz  aus  der  Gründungszeit  des  Ganoniker- 
stiftes  von  St.  Georg  mittheilt,  fanden  wir  in  einem  alten  Pergamentcodex  aus  der 
ehemaligen  von  Hüb'schen  Sammlung  im  grossherzoglichen  Museum  zu  Dannstadt 
ein  umfangreicheres  Inventar  der  Schätze  von  St.  Georg,  das,  sowohl  seinem  Inhalte 
als  der  Schriflweise  nach  zu  urtheilen,  in  der  ersten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts 
angefertigt  worden  ist.  Wir  verdanken  die  Gopirung  dieses  interessanten  Schatz- 
verzeichnisses der  entgegenkommenden  Freundlichkeit  des  Vorstandes  der  gross- 
herzoglich Hessen -Darmstädtischen  Bibliothek  und  lassen  dasselbe  seinem  Wort- 
laute nach  hier  mit  HinzufUgung  einzelner  Erläuterungen  folgen: 

Reiiquiae  et  clenodia  spectantes  ad  ecclesiam  sancti  Georgii   Colo-- 
niae  quas  seu  quae  thesaurarius  seu  ejus  commissarius  habet 

sub  custodia  sua. 

In  primis  est  ibi  crux  argentea .  deaurata  in  qua  inclusa  est  de  ligno  sanctae 
crucis. 

Item  crux  magna  cuprea  cum  pede  suo  cum  una  parva  ara  argentea. 

Item  duae  cruces^)  argenteae  deauratae  cum  diversis  lapidibus  pretiosis. 

Item  brachium  *)  argenteum  cum  reliquiis  sti,  Georgii  patroni  hujus  ecclesiae, 
cui  appendet  clippeus  argenteus  (cum)  armis  sti.  Georgii. 

Item  imago  parva  st.  Geo7*gii  cum  reliquiis  ejusdem. 

Item  cultellus^)  et  gladius  cum  suo  cingulo*)  deargentati  spectantes  ad  ima- 
ginem  st.  Georgii. 


\)  Eins  dieser  vergoldeten  Kreuze  existirt  heute  noch  in  Maria  Ljskirchon,  das  ehemals  mit 
gössen  Crystallpasten  an  den  4  Balken  verziert  war.  Vgl.  die  nähere  Beschreibung  und  Abbildung 
desselben  auf  Taf.  XXXVI,  Nr.  104,  dieser  Lieferung. 

2)  Dieses  „brachium"  mit  den  Reliquien  des  h.  Georg  war  ein  Reliquiarium  ähnlich  den  merk- 
würdigen Gefässen,  die  in  der  I.  Lief,  dieses  Werkes  auf  Taf.  ü,  Nr.  7  u.  8,  abgebildet  worden  sind. 

3)  Unter   dieser  Bezeichnung   ist   eine  Waffe  in    der  Grösse   eines  Dolches    oder  ein  grössere 
Messer  tu    verstehen.     Zwei    solcher  reich  verzierter  Messer  finden  sich  noch  im  Schatze   zu  Aachen. 

4)  unter  „eingulum"  wird  hier  verstanden  der  Behang  des  Schwertes,  an  andexcn  SteUen  auch 
„haltheut^  genannt,  vermittelst  dessen  das  Schwert  angebunden  und  getragen  werden  konnte. 


12  ST.  JACOB. 

Item  braehium  argenteum  cum  reliquüs  tii.  Annanis. 

Item,  casula^)  sancti  Atmonis  cum  stolü  et  manipulis^)  suis. 

Item  imago  lignea'')  stL  Annonü  deaurata  cum  reliquiis  sL  Annanis  data  per 
daminum  Franckanem  cananicum  hujus  et  pastarem  sti*  Jacabi  ecciesiarum. 

Item  braehium  argetUeum  cum  reliquiis  sti.  Cesarü, 

Itetn  reliquiae  sti.  Cesarii  cum  argenteis  pedibus.  •} 

Item  duae  manstranciae  argenteae  de  cristalla^)  legatae  per  daminum  Jahannem 
Scatum  hujus  ecclesiae. 

Item  duae  parvae  manstranciae  argenteae  cum  reliquiis. 

Item  duae  parvae  capsulae  argenteae  cum  reliquiis. 

Item  adhuc  una  monstrancia^^)  major  argentea  per  dictum  dominum  Scotum 
legata. 

Item  Caput  ligneum  deauratum  in  quo  inclusum  est  capul  sti.  Theodori. 

Item  Capsula  ^^)  de  ossibus  elephantinis  cum  reliquiis. 

Item  unus  scrmeus^^)  ligneus  depictus  cum  reliquiis. 

Item  quaedam  tabula^*)  cum  diversis  reliquiis  in  cujus  media  stat  erucifijcus. 

Item  unus  scrineus  ligneus  in  quo  reclusi  sunt  pannuH  et  corporalia  super 
quibus  sanguis  Christi  ex  negligentia  quorundam  sacerdotum  de  caUce  est  ejffitsus. 

Item  duo  magni  calices^*)  cum  eorum  patenis. 


5)  Diese  merkwürdig  Casel  des  h.  Anno,  des  besonderen  Wohlthttters  des  St.  Georg  -  Stiftes, 
war  in  der  franxÜBisclien  ReTolution  nicht  geschont  worden  und  gelangte,  nachdem  die  reicheren 
Goldstickereien  gewaltsam  davon  losgetrennt  nnd  eingescbmoUen  worden  waren,  in  den  Besitz  eines 
Kulner  Bttigers.  Nach  dem  kürzlich  erfolgten  Tode  des  letzten  Besitzen  brachten  wir  diese«  merk- 
würdige Gewand  käuflich  an  uns.  Diese  seltene  Casel  zeigt  noch  ziemlich  den  mittelalterlichen  Schnitt 
und  besteht  aus  einem  prachtvoll  gewirkten  byzantinischen  Seidenpurpur  (purpur  imperialts).  Die 
Textur  dieser  Casel  zeigt  keine  Dessins  und  ist  vollständig  von  derselben  technischen  Beschaffenheit 
wie  das  Messgowand  des  h.  Heribert  zu  Deutz,  des  h.  Bemard  zu  Brauweiler  und  des  h.  Willigis  su 
St.  Stephan  in  Mainz. 

6)  Dieses  Manipel  aus  den  Tagen  des  h.  Anno  ist  ebenfalls  frtthor  von  dem  Besitzer  der  St. 
Anno-Casel  vexäusscrt  und  von  dem  königlichen  Museum  in  Berlin  angekauft  worden. 

7)  Unter  diesem  Ausdxuck  ist  ein  Brustbild  in  Eichenholz  mit  reicher  Bemalung  zu  verstehen, 
wie  man  solche  illuminirte  „eapiia  pecloralia"  als  Eeliquiare  in  kölnischen  Sacristeien  nocti  häofig 
antrifft« 

S)  Wahrscheinlich  das  Brustbild  des  h.  Caesarius,  ruhend  auf  silbernen  Fussgestellen  in  Fonn 
von  Greifenklauen  oder  kleineren  Löwen. 

9)  Der  mittlere  Cylinder  dieser  silbernen  SchaugefUsse  bestand  aus  einem  ausgehöhlten  Bexg- 
krystall. 

10)  „Monslranaae'*  werden  in  diesem  Inventar  überhaupt  alle  SchaugefiUse  zur  Aufnahme  von 
Keliquien  genannt,  die  in  anderen  Schatzverzeichnissen  die  Bezeichnung  „otlensona,  monstrantioia" 
fuhren. 

11 1  Solche  Büchsen  von  Elfenbein  finden  sich  heute  noch  in  verschiedenen  Kirchensch&tzen 
häufig  vor.    Eine  grosse  Zahl  derselben  sahen  wir  im  Schatze  der  St.  Servatiuskirehe  zu  Mästricht, 

12)  Kleinere  vergoldete  und  mit  Heiligenfiguren  bemalte  Beliquienschreinchen  in  Holz  waren 
ehemals  in  kölnischen  Kirohenschätzen  häufig  anzutreffen.  YergL  die  reichbemalte  Boliquienbüchse 
von  St.  Gereon  Taf.  1,  Nr.  4,  I.  Lfg. 

13)  Solche  reichverzierte  Reliquientafeln  haben  sich  heute  in  kölnischen  Kirchen  keine  mehr 
erhalten.  Eine  reiche  „tabula  reliquiarum'^  bewundert  man  in  der  Sacristei  von  St,  Maximin  in 
Trier  und  dem  St.  Veits -Dom  zu  Frag. 

14)  Diese  grossen  Kelche  rührten  jedenfalls  aus  der  romanischen  Kunstepoche  her  und  wurden 


ST.  JACOB.  13 

Item  tres  alii  calices  cum  earum  patetus. 

Item  unus  calia:,  qui  est  in  armario  sub  custodia  campanarioruM. 

Item  pixis^^)  argentea  deaurata  pro  eucharistia  deputata. 

Item  cclUx  parvus  argenteus  cum  pede  ligneo  quem  dictus  dominus  Francko 
legavit  pro  infirmis  visendis.  **) 

Item  una  fibula  *^)  argentea  cum  capite  sti.  Annonis. 

Item  una  fibula  argentea  cum  crucifixo  signata,  ex  donis  guondam  domini 
Sandern  de 

Item  quatuor  fibulae  cupreae.^*) 

Item  unum  thuribulum  argenteum. 

Item  una  pelvis  argentea.^^) 

Item  una  fistula^)  argentea  pro  concionibus^^)  apta. 

Item  duae  ampullae^)  argenteae. 

Item  unum  coclear^)  argenteum. 

Item  dua  plenaria  deargentata  cum  eorum  cussinis. 

Item  una  dota^)  argentea  pro  consecratione  hostiarum  per  dominum  Francko- 
nem  pastorem  sti,  Jacobi  data  et  in  summis  Jestis  utenda. 


vielleicht  ehemals  alB  ealiees  ministerialei  gebraucht.     Dieeelben  sind  im  Gegensatz  su  den  späteren 
gothischen  Kelchen  sehr  umfangreich. 

15)  Ein  schalenförmiges  Gefäss  in  Form  einer  Eelchkuppe  mit  niedrigem  Fuss  fllr  Aufbewahrung 
der  Eucharistie.  Aus  dem  Vorkommen  dieses  kapselfbrmigen  Gefllsses  lässt  sich  mit  Grund  folgern, 
dass  im  Beginne  des  XIY.  Jahrhunderts  ein  eigenes  Geftss  als  Monstranz  (osiensorium)  bei  Anferti- 
gung dieses  Inrentars  in  kölnischen  Kirchen  noch  nicht  üblich  war;  auch  im  weiteren  Verlaufe  des 
Torliegendcn  Schatzverzeichnisses  findet  man  keine  Erwähnung  einer  Monstranz. 

16)  Nach  dem  Wortlaute  des  Inventars  bediente  man  sich  eines  kleinen  Kelches  von  Silber  mit 
einem  Fusse  von  Holz,  uro  mit  diesem  Gefässe  den  Kranken  die  h.  Communion  zu  reichen. 

IT)  Die  Agraffen  und  Pcctoralschliessen ,  vermittelst  welcher  die  Ghorkappe  zusammen- 
gehalten wurde,  nennt  das  vorliegende  Inventar  „fibula".  In  anderen  Schatzverzeichnissen  führen  die- 
selben den  Namen  y,monil^'.  Solche  reich  verzierte  Agraffen  im  damaligen  Schatze  von  St.  Georg 
lassen  die  Vermuthung  zu,  dass  diese  „fibulae^*  als  Reliquiare  dienten  und  an  silbernen  Ketten  bei 
Processionen  getragen  wurden. 

18)  Diese  kupfernen  y^bula^'  waren  wahrscheinlich  mit  Emaillirung  verziert  und  dienten  nicht 
selten  auch  als  Schliessen  beim  Halsausschnitte  des  Messgewandes. 

19)  Es  ist  schwer  zu  bestimmen,  welchem  kirchlichen  Zwecke  diese  silberne  Schüssel  diente. 
Vielleicht  dass  eic  bei  der  Handwaschnng  eine  Anwendung  fand. 

20)  Auch  noch  eine  Saugröhre  fand  sich  damals  im  Schatze  von  St.  Georg,  wahrscheinlich  aus 
jenen  Tagen  hen-ührend,  wo  die  h.  Communion  den  Laien  noch  unter  beiden  Gestalten  gereicht  wurde, 
vor;  in  dem  vorher  erwähnten  älteren  Schatzveizeichnisse  sind  zwei  solcher  Communionrohre  auf- 
geführt. 

21)  Wahrscheinlich  hat  der  Abschreiber  unrichtig  statt  ,^ro  eommwnonibus",  „pro  coneio- 
nibus"  geschrieben. 

22)  Jene  Gefässe,  die  in  dem  Inventar  von  St.  Georg  aus  dem  XI.  Jahrhundert  „umae^'  ge- 
nannt wurden,  heissen  in  dem  vorliegenden  späteren  Inventar  „ampullae^K  Die  Messkännchen  wer- 
den in  englischen  und  französischen  Schatzverzeichnissen  häufig  auch  „amuiae,  poHf  fiaiae^  ge- 
nannt 

23)  Es  lässt  sich  nicht  bestimmen,  ob  dieser  silberne  Löffel  kirchlich  gebraucht  wurde  und 
zur  Austheilung  des  Weihrauches,  was  nicht  wahrscheinlich  ist,  oder  zum  Beimischen  einiger  Tropfen 
Wassers  in  den  Wein  beim  Offertorium  diente. 

24)  Wir  müssen  eingestehen,  dass  unter  den  vielen  Copieen  älterer  Schatzverzeichnisse  uns  der 


14  ST.  JACOB. 

Folio  Ib. 

Item  duo  panni  contexti^)  et  sunt  diverse  facture. 

Item  uniis  pannus  viridis  coloris  de  serico.^) 

Item  unum  par  ßalatmm  ^)  seu  tassearum  argentearum  per  quondam  dominum 
Henricum  de  Lt/nden  hidc  ecclesiae  leyatarum. 

Item  ßbula  anjentea  deaurata  cum  arfnis  quondam  domini  Henrici  de  Lange- 
houe  signata  spectans  ad  cappam^)  ipsius  sericam  blauei  coioris  de  damasto  una 
cum  casula  et  duabus  vestibus  tunicalibus^)  sericis  rubri  coioris  aureis  filis  intextis^\ 
cum  armis  suis  et  aliis  suis  pertinejiciis. 
Folio  2  a. 

Ilaec  sunt  omamenta  sive  indumenta  ecclesiae  beati  Georgii: 

Casula  de  sameto^^)  blauii  coioris.     Item   casula  purpurea  de  purpura   Ge- 
nuetisi  ^-)    Item  casula  de  balkino.  "J  Item  casula  de  purpura  quam  decanus  Gerardus 


Ausdruck  ^,dota"  noch  nicht  begegnet  ist.  Nach  der  folgenden  Erklärung  scheint  unter  „dota^'  ein 
geräumiges  kapself^irmiges  GefUss  verslanden  zu  werden  zur  Aufnahme  und  Ycrtheilung  der  zu  conse- 
crirenden  Hostien,  und  wäre  demnach  „dota**  gleichbedeutend  mit  unserem  heutigen  Ciborium  anzusetzen. 

25)  £s  ist  nicht  angegeben,  wozu  diese  zwei  gewebten  seidenen  Tücher  liturgisch  benatzt 
wurden. 

26)  Dieser  Seidenstoff  Ton  grUnex  Farbe  (viridis)  scheint  zur  Bedeckung  der  Tragbahren  be- 
nutzt worden  zu  sein. 

27)  In  alten  Schatzverzeichnissen  wurden  die  Messkännchen,  „ampnNag'%  manchmal  jyPkialaf^^ 
manchmal  auch  jyfialae^*  genannt.  Die  hier  beschriebenen  liturgischen  GefUsse  scheinen  eine  grosse 
Bauchung  und  breite  Oeffnung  in  Weise  unserer  heutigen  Tassen  gehabt  zu  haben. 

26)  Der  Ohormantel,  zuweilen  auch  Rauch-  oder  Vespermantel  genannt,  weil  man  ihn  gewöhn- 
lich bei  dem  Yesperalgottesdienste  anzulegen  pflegte,  wo  das  Rauchfass  häufiger  gebraucht  wird,  ftihrt 
dem  vorliegenden  Schatzverzeichnisse  zu  Folge  die  Bezeichnung  „cappa*^  und  ist  von  einem  Theile 
des  Gewandes  das  Ganze  benannt.  Dieser  Mantel  war  noch  bis  zum  Beginn  des  XIII.  Jahriiunderts 
verschen  mit  einer  Art  Mtttze  (eapuiium,  eappa),  die  von  den  Cantores  bei  dem  Frtthgottesdienste 
im  Wintx^r  tlber  den  Kopf  gezogen  werden  konnte.  Aus  diesem  „capuliuntj  cappa"  bildete  sich  jener 
Bchildit)rmige  Ornat,    deswegen  auch  clypeut  genannt,    der  sich  heute  noch  an  dem  Pluviale  befindet. 

29)  Die  Gewänder  für  Diakonen  und  Subdiakonen  werden  hier  „vtstes  tunieales"  genannt;  in 
anderen  Inventaren  heissen  sie  „vctiet  leviiarum,  vesles  diaconatus", 

30)  Auf  den  Stäben  dieser  Dalmatiken  (auri/risiajf  in  Gold  gewebt,  scheinen  die  heraldischen 
Abzeichen  des  Geschenkgebers  gestickt  gewesen  zu  sciu. 

31)  Die  Et}'mologen  sind  darüber  im  Unklaren,  ob  jenes  kostbare  Seidengewebe  des  Mittel- 
alters, das  bei  älteren  Schriftstellern  y^amitutn,  sciamilo"  etc.  etc.  genannt  wurde,  ein  Fabrikat  ist, 
das  wir  heute  vorzugsweise  Sammet  nennen  und  das  der  Franzose  mit  „velourt^*  (veli*eifnn,  vetauum) 
bezeichnet.  In  spätmittelalterlichen  Inventaren  werden  die  sammeten  Messgewänder  durchweg  ,;FIau- 
weln-Caseln"  genannt. 

32)  Da  der  Purpur  seiner  Farbennüancirung  nach  im  Mittelalter  eine  Scala  von  dem  dunkelsten 
Violett  bis  zum  Hochroth  durchmachte,  so  dürfte  es  schwer  halten,  hier  genauer  zu  fixiren,  .welche 
FarbennUan<;e  der  genuesische  Purpur  hatte.  Nach  älteren  genuesischen  Seidenstoffen  unserer  Sammlung 
zu  urtheilen,  glauben  wir  annehmen  zu  dürfen,  dass  dieser  Purpur  fast  den  hochrothcn  Ton  des 
yycocciis"  hatte. 

33)  Baldokingcwebe  nannte  man  das  galfize  Mittelalter  hindurch  einen  schweren  Damaststoff, 
der  mit  eingewebten  Golddessins  gemustert  war.  Die  meisten  Bezeichnungen  der  Seidengewebe  stammen 
aus  dem  Orient,  dem  Stammlande  der  Seidenfabrikation,  oder  von  den  Mauren  des  südlichen  Spaniens 
und  den  saraccnischen  Seidenfabrikanten  Siciliens,  also  aus  dem  Arabischen.  So  ist  auch  der 
Terminus  „Baldach"  arabischen  Ursprungs  und  bezeichnet  einen  der  vielen  rlialcktisch  verschiedenen 
Kamen  der  Stadt  Bagdad,  und  dürfte  deswegen  die  adjectiviRche  Bezeichnung  ,.Baldekin'*  uisprUnglich 


ST.  JACOB.  15 

dedit.  Item  casula  alba  de  serico.  Item  casula  rufa  cum  cruce  de  samitlo.  Item 
casula  ci*ocea  cum  dalmatica  et  subtUi  **)  croceo.  Item  casula  de  sameto  rufo 
cum  dalmatica  et  subtili  rufo.  Item  duae  dalmat?cae  albae  de  serico.  Item  unum 
subtile  de  puf^urea ,  Joederata^)  cum  albo  panno.  Item  tres  cappae  corales^')  de 
rubra  sameto.  Item  duae  casulae  purpureae.  Item  cappa  coralis  de  sameto  blanco. 
Item  cappa  cum  ti/ntinabulis.^)    Item  cappa  antiqua  de  balkino. 


aus  einem  reichen,  za  Bagdad  fabricirten  Seidengewebe  herzuleiten  sein.  Auf  ähnliche  Weise  leitet 
sich  auch  der  heute  noch  bekannte  Damast  Ton  der  Stadt  Damascus  in  Syrien  her.  Weil  zu  Vor- 
hängen und  Tiaghimmeln  in  der  Regel  der  kostbare  Baldachinstoff  verwendet  wurde,  deshalb  leiten 
Einige  unser  deutsches  Baldachin  Ton  diesem  Gewebe  her. 

34)  Bfit  der  rorstehenden  Angabe  wird  eine  safrangelbe  Casel  mit  Dalmatica  und  Subtile  nam- 
haft genuusht  Das  Subtile  war  demnach  das  betreffende  Gewand  für  den  Subdiakon.  Die  drei  Ge- 
wandstücke  zusammen  werden  meist  mit  dem  Ausdruck  „Capella^'  benannt,  zuweilen  auch  ^^ornalus 
integer^*, 

35)  Dieses  Subdiakonatsgewand  von  Purpurstoff  war  gefütteit  (foederata)  mit  weissem  Leintuch. 
Das  Fntterzeug  liturgischer  Gewänder  wird  in  anderen  Schatzverzeichnissen  auch  ,ytubductura"  genannt 

36)  Die  Rauch  -  oder  Vespermäntel  werden  in  dem  vorliegenden  .  Schatzverzeichnisse  nicht 
schlechtweg  „cappae^*,  sondern  y^cappae  choraleg"  genannt,  woher  auch  die  am  Rheine  übliche 
Benennung  „Ghorkappe'*  herzuleiten  sein  dürfte. 

37 1  In  den  mittelalterlichen  Ornaten  gehören  leich  gestickte  Chorkappen  von  Sammet  mit 
▼ielen  silbernen  Schellchen  „Uniinnabulae^* ,  an  dem  unteren  Rande,  anstatt  der  Franzen  von  Seide, 
nicht  zur  Seltenheit.  Der  Schatz  des  Münsters  zu  Aachen  hat  noch  drei  solcher  Chorkappen  mit  sU- 
bemen  Scheuchen  aufzuweisen. 


I 

i 


?lu9  ö'jojisnn. 


^üiß  ^!^fl(|«nn. 


^f.  Joßann. 


Mittelalterliche  Kunstwerke  in  der  dasigen  SaoristeL 

Seite 

98)  Reliquienschrein  der  h.  Antonina  in  Holz  geschnitzt  und  vergoldet,  XIV.  Jahrhundert. 

Taf.  XXXIl.  Fig.  98 3 

99)  Vollständiger  Ornat  mit  figuralen  goldgeivirklen  Stäben,  XV.  Jahrhundert.  Taf.  XXXHI. 
Fig.  99 .  6 

100)  Messkelch  in  Silber  mit  Vergoldung,  XV.  Jahrhundert.  Taf.  XXXIV.  Fig.  100   .     .  8 

101)  Oelgef^ss  in  vergoldetem  Silber.     XV.  Jahrhundert.  Taf.  XXXIV.  Fig.   101        .     .  10 

102)  Ciborium  in  vergoldetem  Silber.     XV.  Jahrhundert.  Taf.  XXXIV.  Fig.   102  .     .     .  11 
Ehemahge  Kleinodien  von  St.  Johann,  nach  einem  Inventar  von  1524     .     .     .     .  13 


98, 

Reliquienschreio  der  h.  Antonina. 

Sculplur  von  Eichenholz  mit  reicher  Vergoldung.     XV.  Jahrhundert. 

Länge  168,  Höhe  84,  Breite  51  Centimeten. 

Das  Mittelalter  liebte  es  zur  Construction  grösserer  Reliquienschreine  ent- 
weder das  Material  des  Silbers  zu  verwenden,  oder  dieselben  von  Kupfer  mit 
reicher  Feuervergoldung  und  Emaillirungen  anzufertigen.  Im  Spätmittelalter  jedoch 
wurde  zur  Anfertigung  von  umfangreichen  Reliquiarien  auch  das  Holz  in  einer 
Weise  künstlerisch  bearbeitet,  dass  demselben  die  verwandten  Formen  von  Kupfer 
oder  Silber  gegeben  wurden.  Das  Holz  pflegte  man  auf  diese  Weise  vermittelst 
einer  reichen  Glanzvergoldung  gleichsam  zu  idealisiren  und  zu  dem  Ansehen 
und  der  Pracht  des  Metalls  zu  erheben.  Auch  der  St  Antonina-Schrein  in  St.  Johann 
ist  als  eine  gelungene  Imitation  ähnlicher  metallener  Reliquiarien  und  zwar  in 
Eichenholz  mit  Glanzvergöldung  zu  betrachten.  Was  nun  die  Grundform  des  vor- 
liegenden reich  sculptirten  Reliquienschreines  betrifft,  so  sei  hier  im  Allgemeinen 
bemerkt ,  dass  bei  diesem  Reliquienkasten  die  Grössenverhältnisse  und  die  äussern 
Formgebilde  jener  Schreine  strenge  beibehalten  worden  sind,  die  aus  der  romani- 
schen Kunstepoche  herrührend,  sich  in  Köln  noch  zahlreich  erhalten  haben.  *)  Die 
Detailformen  des  Antonina-Schreines  sind  streng  constructiv  gehalten  in  den  Bil- 
dungen, die  sich  in  verwandter  Art  in  der  Frtthgothik  am  Rheine  und  besonders 
in  den  Formen  des  Kölner  Domes  wiederfinden.  Wie  an  allen  altem  „tumbae", 
aus  der  romanischen  Kunstepoche  herrührend,  erblickt  man  an  den  Langseiten  des 
in  Rede  stehenden  Schreines  die  sitzenden  Statuetten  der  zwölf  Apostel,  die  imter 
Spitzbogennischen  thronend,  eine  grösste  Höhe  von  durchschnittlich  29  Centimeter 
zeigen.  Die  Bedachungsflächen  des  St.  Antonina-Schreines  sind  auf  jeder  Seite, 
ebenfalls  entsprechend  mit  den  quadratischen  Abtheilungen  der  untern  aufrecht- 
stehenden Theile,  in  6  Quadrate  abgetheilt,  innerhalb  welcher  sich  Vierpassme- 
daiUons  befinden,  welche  jedesmal  mit  einem  Statuettchen  als  Basrelief  ausgefüllt 
sind.  Diese  12  verschiedenen  Basreliefs  in  einer  edlen  Gomposition  und  zarten 
Ausftihrung  scheinen  12  Jungfrauen  aus  der  Gresellschaft  der  h.  Ursula  zu  reprä- 
sentiren.  Auf  der  Dachfirste  des  in  Rede  stehenden  Schreinwerks  erhebt  sich  als 
Abschluss  und  Bekrönung  eine  durchbrochene  Galerie  mit  Vierpassformen,  die  nach 


*)  Vergleiche  die  Abbildung  und  Beschreibung  des  in  der  Grundanlage  ähnlich  gestalteten  Be- 
Uquienfiohreines  auf  Tafel  XXIV  der  11.  Lieferung   No.  86  Seite  12  dieses  Werkes. 


4  8T.  JOHANN. 

obenhin  mit  einem  offenen  Kamme  abschliesst.  Die  beiden  Schmalseiten  des  ge- 
dachten Kastens  sind  nischenförmig  vertieft,  und  von  einem  verzierten  Spitzbogen 
von  breiter  Spannung  überragt,  ttber  welchen  ein  kleiner  Giebel  sich  erhebt,  der 
auf  seinen  Abschlusslinien  schwungvoll  gearbeitete  Krabbenblätter  und  auf  seiner 
Spitze  jedesmal  eine  doppelte  Ejreuzblume  als  Abschluss  und  Ausmündung  zeigt 
In  den  ebengedachten  vertieften  Nischen,  die  auf  beiden  Seiten  von  über  Eck  ge- 
stellten Widerlagspfeilem  flankirt  werden,  erblickt  man,  als  Basrelief  gehalten, 
auf  der  einen  Seite  das  Standbildchen  jener  Heiligen,  deren  Gebeine  in  dem 
Schreinwerke  aufbewahrt  werden.  Dieses  Standbild  der  h.  Antonina,  in  einer  Höhe  von 
45  Centimeter,  veranschaulicht  diese  Heilige  als  eine  der  Führerinnen  aus  der  Zahl 
jener  engländischen  Jungfrauen,  die  der  alten  Tradition  zu  Folge  unmittelbar  vor  den 
Mauern  Kölns  im  VI.  Jahrhundert  christlicher  Zeitrechnung  durch  die  Hunnen  das 
Martyrium  erlitten  hatten.  Gleichwie  die  h.  Ursula  selbst,  ist  auch  ihre  Genossm  als 
Führerin  dargestellt,  wie  sie  unter  ihrem  Mantel  ihre  Gespielinnen  in  schützen- 
der Obhut  vereinigt  hält,  gleichsam  in  dem  Momente,  in  welchem  sie,  nach  Er- 
langung der  Marter-Palme,  als  Verherrlichte  der  Seligkeit  theilhafdg  geworden  ist 
Leider  ist  durch  Ungunst  der  Zeiten  die  Keliefdarstellung  auf  der  entgegengesetzten 
Kopfseite  des  Schreines  verloren  gegangen,  desgleichen  auch  einige  Apostelsta- 
tuetten und  mehrere  Standbilder  der  obem  Bedachung.  Nach  Analogien  älterer 
Schreine  fand  sich,  jenem  Kopftheile  entgegenstehend,  auf  welchem  in  getriebener 
Arbeit  oder  in  Sculptur  das  Standbild  jenes  Heiligen  thront,  dessen  irdische  Ueber- 
reste  in  dem  Schreine  selbst  ehrfurchtsvoll  beigesetzt  waren,  die  immerwieder- 
kehrende Darstellung  der  „majestas  domini*'.  Dieses  Bild  des  Heilandes  als  Ver- 
gelters, wiederkehrend  am  Ende  der  Tage,  ist  immer  umgeben,  entweder  von  den 
ftirbittenden  Heiligen:  Maria  und  Johannes  dem  Täufer,  oder  aber,  wie  das  noch 
zuweilen  vorkommt,  von  zwei  allegorischen  Figuren,  die  die  vorzüglichsten  Tugen- 
den vorstellen,  die  in  dem  Leben  des  betreffenden  Heiligen  besonders  hervor- 
leuchteten. Auch  andere  Schreine  sind  uns  zu  Gresicht  gekommen,  die  an  dieser 
Stelle  das  sitzende  Bild  der  Madonna  mit  dem  segnenden  Christusknaben  veran- 
schaulichten. 

Es  erübrigt  hier  noch,  einige  Worte  hinzuzufügen  über  den  artistischen  Werth 
der  vielen  und  trefflich  geschnitzten  Bildwerke,  womit  der  vorliegende  Schrein 
nach  allen  Seiten  hin  verziert  ist  und  hinsichtlich  der  Zeit,  wann  diese  interessan- 
ten und  schönen  Sculpturen  ihre  Entstehung  gefunden  haben.  Sowohl  die  strengen 
und  ungebrochenen  Linien  und  architektonische  Gliederung  des  AntoninarSchreines 
als  auch  die  Stylisirung  der  Figuren  und  die  charakteristische  Behandlung  der  ge- 
häuften Gewandparthien,  lassen  keinen  Zweifel  darüber  aufkommen,  dass  das  be- 
sagte Reliquiar  gegen  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  von  einem  hervorragenden 
Bildhauer  des  alten  Kölns  angefertigt  worden  ist 

Betrachtet  man  aufmerksamer  die  feststehenden  Normen,  die  bei  Gomposi- 
tion  der  sitzenden  Apostelstatuen  sowohl  als  der  kleinem  Standbildchen  in  den 
Füllungen  der  obem  Bedachung  geltend  gewesen  sind,  so  gelangt  man  zu  der 
Ueberzeugung,  dass  diese  sämmtlichen  Bildwerke  von  einem  schlichten  Meister 


ST.  JOHANN.  5 

der  kölnischen  Bildschnitzer  entworfen  und  ausgeführt  worden  sind,  der  als  Kunst- 
handwerker jenen  herrschenden  Typus  sich  durchaus  zu  eigen  gemacht  hatte,  den 
wir  heute  mit  dem  Ausdrucke  „Styl"  zu  bezeichnen  pflegen.    Bei  einem  ziem- 
lich   richtigen    Verständnisse    für    charakteristische    Auffassung    und    technisch 
schöne    Wiedergabe    der    verschiedenen    Individualitäten    in    den    Köpfen    der 
Apostel  findet  man    eine   auffallende    Gleichmässigkeit   und   Leichtigkeit,    womit 
der  Bildhauer  gleichsam  spielend   den   herkömmlichen  Faltenwurf  der  Gewänder 
zierlich  geordnet  und  technisch  wiedergegeben  hat.    Mit  Grund  glauben  wir  hier 
die  Angabe  hinzufügen  zu  können,  dass  sich  heute  unter  den  einzelnen  in  Köln 
vorfindlichen  Holzsculpturen  wenige  mehr  aus  der  letzten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts 
herrührend  erhalten  haben,  die  mit  den  ebenbeschriebenen  naiven  Bildwerken  einen 
Vergleich  aushalten  könnten.    Lange  Zeit  hindurch  bis  zur  Mitte  des  XIV.  Jahrh. 
hatte  der  ebenbeschriebene  St.  Antonina-Schrein  in  reicher  Glanzvergoldung  einen 
hervorragenden  Platz  auf  der  Predella  des  Hochaltars  der  hiesigen  Pfarrkirche  von 
St.  Johann  eingenommen,  da  gefiel  es  der  Neuerungssucht  im  XVH.  Jahrhundert 
an  Statt  des  althistorischen  Hochaltars  einen  neuen,  unpassenden  und  stylwidrigen 
Altarkoloss  in  den  Formen  des  ausartenden  Renaissancestyles  aufzuthttrmen.    Der 
schöne  Antonina-Schrein  musste  deswegen  von  seiner  primitiven  Ehrenstelle  weichen, 
und  fand  in  den  letzten  Jahren  in  arger  Beschädigung  und  Entstellung  kaum  noch 
ein  geduldetes  Plätzchen  unter  dem  obem  Thurmgewölbe  von  St.  Johann,  während 
die  Reliquien  in  einen  neuen  Schrein  im  Rococcostyl  deponirt  wurden.  Dem  jetzigen 
Pfarrer  von  St.  Johann  gebtthrt  das  Verdienst,  in  letzter  Zeit  das  schöne  Schrein- 
werk von  seiner  unwürdigen  Stelle  entfernt  und  einem  erfahrnen  Künstler  hiesiger 
Stadt,  dem  Bildhauer  Stephan,  zur  vollständigen  Restauration  in  allen  seinen  feh- 
lenden Theilen  übergeben  zu    haben.    Die   seitherigen  Leistungen    des  Meister 
Stephan  berechtigen  zu  der  Annahme,    dass  die  vielen  fehlenden  Bildwerke  ganz 
genau  in  dem  alten  Stylgepräge  so  wieder  ergänzt  werden,  dass  auch  ein  geübtes 
Auge  die  neu  wieder  hinzugefügten  Bildwerke  von  den  alten,  daneben  befindlichen 
Originalen  nicht  untei*scheiden  könne. 

Wie  wir  vernehmen,  wird  Mos  provisorisch  der  bald  wiederhergestellte 
treffliche  Schrein  auf  einem  höchststylwidrigen  Nebenaltar  einstweilen  nur  so  lange 
wieder  aufgestellt  werden,  bis  in  der  gebefreudigen  Gemeinde  von  St  Johann 
sich  die  Mittel  werden  gefunden  haben,  um  den  Hauptaltar  wieder  in  seiner  alten 
ursprünglichen  Form,  mit  Beseitigung  des  jetzigen  unschönen  Möbelstücks,  so  auf- 
zustellen, dass  der  restaurirte  Schrein  der  h.  Antonina  in  stylgerechter  Verbindung 
mit  dem  neuen  Hauptaltar  seine  ehemalige  Stelle  wieder  einnehmen  kann. 


6  8T.  JOHANN. 


99, 

Messgewand 

nebst  den  dazugehörigen  Diakonalgewändern  mit  goldgewirkten  und 

gestickten  Stäben.     XV.  Jahrhundert. 

In  den  verschiedenen  Sacristeien  Eöhis,  dessgleichen  in  den  Gewandschrän* 
ken  der  Kirche  der  köhdschen  Erzdiöcese,  haben  sich  heute  noch  eine  Menge 
figural  gestickter  Aurifrisien  zahh-eich  erhalten,  die  für  die  Blüthe  und  Ausdehnung 
der  Bildstiekereicn  von  der  Hand  der  alten  Zunft  der  Wappensticker  Kölns  beredtes 
Zeugniss  ablegen.  Schwerlich  aber  dürfte  man  in  den  Kirchen  Kölns  noeh  einen 
y,omatus  integer'^  ausfindig  machen,  von  einer  so  vortrefflichen  Erhaltung  und 
solcher  Schönheit  der  gestickten  Bildwerke,  wie  das  bei  jener  Capelle  der  Fall  ist, 
die  im  Nachfolgenden  eine  kurzgedrängte  Beschreibung  finden  soU,  und  wovon  vrir 
auf  Tafel  XXXm.  die  bildliche  Darstellung  des  dazu  gehörenden  Messgewandes 
gegeben  haben. 

Vornehmlich  beansprucht  von  Seiten  der  Alterthumswissenschaft  ein  her- 
vorragendes Interesse  jenes  unvergleichlich  schöne  goldgewirkte  Kreuz,  das  sich 
auf  der  Rückseite  des  vorliegenden  Messgewandes  befindet.  Nicht  nur  ist  die 
Composition  und  Anordnung  desselben  sehr  originell  und  sinnreich,  sondern  die 
Technik,  die  bei  den  Bildstickereien  dieses  Kreuzes  zur  Anwendung  gekommen 
ist,  dürfte  kaum  von  ähnlichen  Nadelmalereien  übertroffen  werden,  die  aus  dem 
Mittelalter  auf  unsere  Tage  gekommen  sind.  Gleichwie  die  meisten  Kreuzstabe  aus 
dem  Schlüsse  des  XV.  und  dem  Beginne  des  XVI.  Jahrhunderts,  die  sich  heute 
noch  zahlreich  vorfinden,  den  Heiland  am  Kreuze  in  Bildstickerei  veranschaulichen 
mit  der  immer  dabei  befindlichen  Paasionsgruppe  Johannes  und  Maria,  so  hat  der 
Bildsticker  sinnreich  in  dem  in  Rede  stehenden  Messgewande  die  Abnahme  des 
Heilandes  vom  Kreuze  und  die  Niederlegung  desselben  auf  den  Schooss  der  Madonna 
so  an  dem  untern  Kreuzbalken  in  feinstem  Plattstich  wiedergegeben,  gleichsam  schwe- 
bend als  Vision,  dass  am  Fusse  des  Kreuzes  die  beiden  Donatoren  knieend  auf  blu- 
migem Grund  noch  Platz  finden  konnten.  Diese  in  zartester  Nadelmalerei  veranschau- 
lichten Geschenkgeber  gehörten  einer  reichen  Patricierfamilie  des  alten  Köln  an,  wie 
das  auch  aus  den  eingewirkten  Namen  und  den  dabei  befindlichen  heraldischen  Ab- 
zeichen deutlich  hervorgeht.  Der  knieende  Donator  im  faltenreichen  Bathsherren- 
costüm  —  an  der  rechten  Seite,  der  Ehrenseite  des  Kreuzes  —  ist  der  Patricier 
Johann  Steinkop,  welcher  im  Jahre  1483  in  den  Urkunden  der  Pfarrkirche  St 
Johann  als  Kirchmeister  verzeichnet  ist.  An  der  andern  Seite  des  Kreuzes  kniet 
eine  weibliche  Figur,  die  Frau  des  ebengenannten,  Sophia,  in  der  damals  üblichen 
Matronentracht.  Auf  dem  Mittelstücke  der  zu  dieser  Casel  ursprünglich  gehören- 
den Dalmatiken  findet  sich  die  erklärende  Inschrift:  „Joti  Steinkop,  fygen  sjtfn  hugs- 
fraw."  Daneben  befinden  sich  auch,  wie  auf  der  Casel,  die  von  quadratischen  Me- 


ST.  JOHANN.  7 

daillons  eingeÜEtösten  Wappenschilde  der  ebengedachten  Eheleute,  wovon  das  eine  auf 
silbernem  Grunde  eine  rothe  Kanne  zeigt  und  dem  Manne  angehört  (Steinkop  gleich- 
bedeutend mit  Steinkrug),  das  andere  auf  gleichem  Grunde  einen  grttnen  Baum  trägt, 
und  auf  den  Familiennamen  der  Frau  passt,  die,  wie  die  Urkunden  ausweisen,  von 
Boichem  (identisch  mit  Buche)  hiess.  lieber  dem  Wappenschilde,  auf  der  Gasel  des 
Donators,  ist  auf  Goldgrund  folgender  Spruch  in  gothischer  Minuskelschrifk  einge- 
wirkt: „0  florens  rosa,  mater  Domini.'*  Die  Madonna  als  „pietä**  wttrde  also 
diesem  Spruche  zufolge  als  blühende  Rose  mystisch  zu  deuten  sein.  Um  die  beiden 
Querarme  dieses  Kreuzes  bildlich  auszufüllen,  hat  der  Wappensticker  hier  sinnig  zwei 
adorirende  Engel,  im  feinsten  Plattstich  ausgeftlhrt,  angebracht,  die  knieend  wie  ge- 
wöhnlich als  Ministranten  das  Rauchfass  schwingen.  Dieselben  sind  mit  liturgischen 
Gewändern,  der  Albe  und  dem  Pluviale  bekleidet.  An  dem  obem  Balken  des 
Kreuzes  ist  noch  der  „titulus  crucis"  ersichtlich.  Wenngleich  die  Composition  und 
technische  Ausführung  der  beiden,  ausgezeichnet  gestickten  Engelsfiguren,  desgleichen 
auch  die  pietä  alles  Lob  verdienen,  sowohl  hinsichtlich  der  schönen  Composition  als 
auch  des  zierlich  geordneten  Faltenwurfs  der  Gewänder,  so  muss  doch  gesagt  werden, 
dass  bei  Weitem  die  knieenden  Bilder  der  beiden  Donatoren,  in  compositdrischer 
wie  in  technischer  Beziehung,  als  die  gelungensten  zu  betrachten  sind.  Der  Ge- 
schenkgeber, anscheinend  im  kräftigen  Greisenalter,  kniet,  angethan  mit  einem 
schwarzen  Rathsherrentalar,  der  im  Innern  mit  braunem  Pelz  besetzt  ist,  am  Fusse 
des  Kreuzes.  Seine  Frau  ist  bekleidet  mit  einem  faltenreichen  Matronenschleier,  dem 
im  Mittelalter  üblichen  Kinntuche  und  einem  entsprechenden  Untergewande.  Von 
besonderer  Vortrefflichkeit  der  Technik  zeugen  die  Gesichtszüge  dieser  beiden 
Geschenkgeber,  die  fast  Portraitähnlichkeit  zu  haben  scheinen.  Wenn  schon  im 
Xn.  und  Xm.  Jahrhundert,  wie  das  aus  mehreren  Stellen  der  Troubadours  und 
Minnesänger  erhellt,  vornehme  Stickerinnen  an  Höfen  und  Schlössern  in  der  Kunst 
des  Bilderstickens  es  dahin  gebracht  hatten ,  Gesichtszüge  nach  dem  Leben  mit 
sprechender  Aehnlichkeit  in  Plattstich  auszufahren,  dann  konnte  es  zweifelsohne 
den  viel  geübteren  Bildstickem  der  kunsterfahrenen  Zunft  der  Wappenwirker  im  alten 
Köln  sicherlich  nicht  schwer  werden,  bei  hervorragenden  Arbeiten  die  Züge  der 
Bestellgeber  mit  treffender  Naturwahrheit  wiederzugeben.  Noch  bemerken  wir, 
dass  der  vordere  Stab  des  in  Rede  stehenden  Messgewandes  verziert  ist  mit  den 
drei  Wappenschilden  der  Frau  und  der  Verwandten  der  Seitenlinien.  Dieselben 
vier  ebengedachten  heraldischen  Abzeichen  kommen  auch  immer  wiederkehrend 
auf  den  goldgewirkten  schmalen  Stäbchen  vor,  die  noch  bis  vor  wenigen  Jahren 
den  zu  dem  Messgewand  gehörenden  beiden  Dalmatiken  in  Grünsammet  zur  Zierde 
gereichten.  Leider  hat  man  es  unbegreiflicher  Weise  vor  nicht  langer  Zeit,  wir 
wissen  nicht  aus  welchem  zwingenden  Grunde,  unternommen,  den  prachtvollen  alten 
Genueser  Grünsammet  der  beiden  Dalmatiken  zu  zertheilen  und  eigenmächtig 
daraus  Kissen  zurechtschneiden  zu  lassen.  Durch  eine  glückliche  Fügung  haben 
sich  indessen  noch  bis  zur  Stunde  die  eben  gedachten  goldgewirkten  Aurifrisien 
dieser  ehemaligen  Dalmatiken  unverletzt  erhalten.  Aehnlich  wie  das  an  den 
schmalen  Goldstäben  der  altem  Gapelle  von  St.  Jacob   der  Fall  ist  (vergl.  die 


8  BT.  JOHANN. 

Beschreibung  und  Abbildung  derselben,  Taf.  XXXI.  S.  3  ff.  dieser  Lief.),  befinden 
sich  auch  auf  den  vorliegenden  Stäben  als  goldgewirkte  Aurifrisien  in  Wappen- 
schilden von  spätgothischer  Formation  die  verschiedenen  ^^instrumenta  dominicae 
passionis'S  als  da  siud  u.  A.  der  Leidenskelch  vom  Oelberge,  die  Geisselsäule, 
die  Nägel  nebst  Domenkrone,  die  Judashand  mit  den  zweiunddreissig  Silberlingen 
u.  B.  w.  Da  in  jüngster  Zeit  der  stylverwandte,  jedoch  nicht  so  gut  erhaltene 
Ornat  von  St.  Jacob,  sowie  eine  ähnliche  GapeUe  in  St.  Martin  und  das  frtther 
beschriebene  gleichzeitige  Messgewand  aus  St  Gäcilien,  eine  gründliche  Wieder- 
herstellung in  der  Hinzufügung  von  stylgerechten  Umstoffen  erfahren  haben;  so 
steht  mit  Grund  zu  erwarten,  dass  in  nicht  zu  femer  Zeit  sich  ein  Wohlthäter  in 
der  Pfarre  St.  Johann  in  Köln  finden  werde,  der  das  reiche  Greschenk  des  alt- 
kölnischen  Patriciers  in  seiner  heutigen  Verunstaltung  und  Zerstückelung  wieder  zu 
Ehren  bringen  wird,  resp.  der  die  Mittel  bieten  wird,  damit  von  erfahrener  Hand 
die  Bildstickerei  mit  Sorgfalt  und  Sachkenntniss  wiederhergestellt  werden  könne.  Dann 
wäre  auch  der  nöthige  Grundstoff  in  weisslichem  oder  rothem  Damast  in  jenem  Falten- 
reichthum  wieder  zu  ergänzen,  wie  er  ehemals  dieser  Capelle  zur  Auszeichnung  ge- 
reicht hat.  Hinsichtlich  der  Zeit  der  Entstehung  des  in  Rede  stehenden  Ornates  sei 
schliesslich  noch  hinzugefügt,  dass,  wie  die  Composition  und  künstliche  Ausführung 
der  Bildstickereien,  ebenso  wie  die  charakteristisch  eingewirkten  Wappenschilder 
es  deutlich  besagen,  der  vorliegende  Messomat  im  letzten  Viertel  des  XV.  Jahrb. 
von  einem  ausgezeichneten  altkölnischen  Meister  der  Bild-  und  Wappensticker-lnnung 
ausgeführt  worden  ist.  Gelegentlich  noch  die  Bemerkung,  dass  in  der  ehe- 
maligen reich  dotirten  Pfarrkirche  von  St.  Johann  nach  einem  altem  Schatzveraeich- 
niss  vom  Jahre  1506  eine  grosse  Zahl  von  reichen  liturgischen  Gefässen  und  Ge- 
wändern sich  vorfand,  wovon  heute  ausser  dem  oben  beschriebenen  nur  noch 
drei  Messgewänder  mit  mittelalterlicher  Bildstickerei  in  den  goldgestickten  Stäben 
übrig  geblieben  sind.  Diese  letztgenannten  sind  mit  grosser  Sorgfalt  und  Styl- 
strenge von  kunstgeübten  Händen  eines  kölnischen  Damen- Vereins  treffhch  wieder 
hergestellt  worden,  die  auch  bei  Anfertigung  der  Teppiche  im  Hochchor  des  hie- 
sigen Doms,  sowie  der  Wandtableaux  daselbst  thätig  gewesen  sind. 


100. 

IHesskelch 

in  den  reicheren  Formen  der  ausartenden  Spätgotbik,   in  vergoldetem  Silber. 

XV.  Jahrhundert. 

Höhe  2lVa  Centimeter,  Durchmesser  der  Kappe  It'/s  Centimeter,  und  des  Fasses  15  Centimeter. 

Vorliegender  Kelch  dürfte  als  sprechender  Beleg  dienen,  in  welchen  gewagten 
und  originellen  Formen  die  Gothik  unmittelbar  gegen  Schluss  des  XVL,  mehr  aber 
npch  im  Anfang  des  XVH.  Jahrhunderts  auftrat    Man  sieht  es  demselben  deutlich 


ST.  JOHANN.  9 

an,  dass  bei  dem  Goldschmiede  die  Häufung  neuer  und  gewagter  Formen  bereits 
Hauptsache  geworden  wdr,  und  er  sich  schon  darüber  hinweggesetzt  hatte,  die 
traditionellen  Proportionen  und  Dimensionen  des  altliturgischen  Gefässes  so  in 
Ehren  zu  halten,  wie  sie  ihm  von  den  älteren  Meistern  der  Goldschmiede- 
kunst als  feststehend  überliefert  worden  waren.  Der  Fuss  dieses  Kelches  ist,  wie 
an  den  meisten  mittelalterlichen  Kelchen,  in  Form  einer  sechsblätterigen  Rose  ge- 
halten. Nur  dadurch  wird  dem  Fussstücke  ein  schwerfälliges,  massives  Aeussere 
verliehen,  dass  mit  demselben  ein  starker,  unterer  Band  von  zu  breiter  Kehlung 
verbunden  ist  In  dieser  Auskehlung  liest  man  in  spätgothischer  Majuskelschrift 
die  Namen  der  Geschenkgeber  dieses  Kelches,  nämlich:  Heinrich  Singdorp,  Mar^ 
greii  uxor.  lieber  dieser  Inschrift,  in  demselben  Rande,  ist  ein  Wappenschildchen 
aufgenietet,  auf  welchem  sich  die  Schriftzüge  eines  bürgerlichen  Wappens  vorfinden. 
In  der  Nähe  dieses  Schildes  erblickt  man  in  kräftiger  Gravirung  ein  schönes  omamen- 
tirtes  Kreuzchen,  das  als  signaculum  von  einem  doppelten  Kreise  umzogen  ist  Die 
übrigen  schmalen  Flächen  dieses  Fusses  sind  theils  mit  eingravirten,  schwungvollen 
Laubomamenten  der  Spätgothik,  theils  mit  architektonischen  Durchbrechungen  und 
Zirkelschlägen  verziert.  Auf  dem  stumpf  ansteigenden  Halse  des  Fussstückes  hat 
der  Goldschmied  als  Unterlage  und  Gonsole  für  den  sechstheiligen  Ständer  in 
origineller  Weise  eine  doppelte  Stemform  angebracht,  die  mit  durchkreuzen- 
den Stäbchen  oben  abgeschlossen  wird.  Die  sechsseitige  Röhre  ist  mit  architek- 
tonischen Gravirungen  belebt,  welche  in  ihren  DetaiUormen  den  Ausgang  des 
Spitzbogenstyles  deutlicb  erkennen  lassen.  Der  Knauf  ist,  wie  an  den  meisten 
Kelchen  aus  dem  Schlüsse  des  XY.  Jahrhunderts,  in  Form  einer  Fruchtkapsel  mit 
Btark  vorspringenden  Pasten  ebenfalls  sechstheilig  gehalten;  auf  diesen  sechs 
Pasten  erblickt  man  in  starker  Gravirung  die  bekannten  sechs  Buchstaben  des 
Hierogramms.  Die  Einfassung  der  Kuppe  an  jener  Stelle,  wo  dieselbe  mit  dem 
Ständer  in  Verbindung  tritt,  ist  zweckmässig  und  mit  vielem  Verständnis  so  be- 
handelt^ dass  sie  mit  den  übrigen  Formen  des  Kelches  in  richtiger  Uebereinstim- 
mung  steht  Die  Ausbauchung  der  Kuppe  lässt  in  der  untern  Rundung  schon 
deutlich  die  Zeit  durchblicken ,  <  wo  die  Renaissance  bereits  im  Anzüge  begriffen 
war.  Fasst  man  die  sämmtUchen  Details,  wie  sie  eben  angedeutet  wurden,  zu- 
sammen, so  dürfte  man  der  Annahme  Zutritt  geben,  dass  das  vorliegende  Gefäss 
eher  dem  Beginne  des  XVL  als  der  letzten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  angehöre. 


2 


10  ST.  JOHANN. 

101. 

Oelgef&ss 

in  den  Formen  der  entwickelten  Golbik,  in  Silber  mit  vergoldeten 

Ornamenten.     XV.  Jahrhundert. 

Durchmesser  des  Salbgeftlsses  5  Centimeter.    Darchmesser  des  Fusses  10  Centimeter. 

H5he  27  Centimeter. 

Dieses  Geftss,  das  sieh  uns  in  seiner  eigenthttmlicben  Detailbildung  noch 
vereinzelt  in  Köln  erhalten  hat,  darf  als  feststehende  Norm  betrachtet  werden,  io 
welchen  Formen  im  alten  Köln  jene  pyxides  gehalten  waren,  die  zur  Austheilung 
der  letzten  Oelung  von  dem  Priester  an  das  Krankenbett  mitgenommen  wurden.  In 
der  Regel  waren  diese  Salbgeftsse  zu  drei  in  Kleeblattiorm  so  vereinigt,  dass 
dieselben  drei  Thttrmohen  formirten,  in  welchen  die  drei  von  der  Kirche  zum 
liturgischen  Gebrauche  geweihten  Oele  sich  befanden,  wie  das  an  den  Oelgefässen 
von  St  Gunibert  in  der  zweiten  Lieferung  dieses  Werkes  und  an  den  Oelbehältern 
angedeutet  worden  ist,  die  heute  noch  in  St.  Maria  Lyskirchen  sich  vorfinden 
(vergl.  No.  105  der  vorliegenden  Lief.)  Das  in  Rede  stehende  Salbgeftss,  bloss  zur 
Aufnahme  des  oleum  inßrmorum  bestimmt,  ist  ebenfalls,  wie  die  frUher  beschrie- 
benen Salbgeiässe,  thurmfbrmig  behandelt.  Der  Thurm,  das  Sinnbild  der  Stärke, 
durfte  zur  Aufbewahrung  des  eonsecrirten  Oeles  schon  deswegen  mit  einer  sym- 
bolischen  Beimischung  gewählt  worden  sein,  weil  durch  die  Salbung  mit  dem  ge- 
weihten Oele  die  geistige  Kraft  und  Stärke  angedeutet  wird,  die  dem  Kranken 
durch  die  letzte  Oelung  verliehen  werden  soll.  Es  befindet  sich  nämlich  auf  einem 
trichterfbrmig,  im  Sechseck  sich  ausbreitenden  Halse,  in  Kreisform  gehalten,  eine 
kleine  Thurmanlage,  in  grösster  Höhe  von  67«  Centimeter,  die  unten  mit  einer 
silber-vergoldeten  Zinnenbekrönung  umschlossen  und  eingefasst  ist  Kach  oben 
wird  diese  thurmförmige  Büchse  mit  einem  kräftigen  Profil  als  Randeinfaesung 
abgeschlossen,  an  welche  sich  im  Rundbogen  ein  kleines  Sims  anschliesst  Da^ 
über  erhebt  sich,  zurücktretend,  ein  innerer,  glatter  Rand,  der  als  Fuge  dient»  um 
einen  im  Sechseck  gehaltenen  Helm  als  DeckverscUuss  au&unebmen  und  zu  be- 
festigen. Dieser  kleine  Helm  ist  in  seinen  sechs  Flächen  mit  vertieften  Gravuren 
versehen,  welche  kleine  Dachziegel  bilden.  Um  diesen  Helm  herum  ist  als  Profilirung 
ein  Kreis  geftihrt,  auf  welchem  der  Goldschmied  einen  durchbrochenen  Kamm  mit 
Laubblättem,  wie  sie  der  entwickelten  Gothik  angehören,  regelrecht  angebracht  hat 
Wir  wagen  nicht  zu  bestimmen,  ob  das  jetzt  auf  der  Spitze  des  Helmes  befind- 
liche Kreuz  primitiv  flir  dieses  Oelgefäss  gearbeitet  worden  ist,  oder  ob  nicht  auf 
der  Spitze  desselben  das  kleine  ciselirte  Standbildchen  des  h.  Jacobus  ebemal» 
angebracht  war,  in  dessen  Briefe  bekanntlich  von  der  h.  Oelung  der  Kranken  au6füh^ 
lieber  die  Rede  ist.  Der  Knauf  des  vorliegenden  Salbgefässes  ist  von  eigenthüm- 
licher  Bildung  und  zeigt  sechs  kleinere  vorspringende  Rundpasten,  die  von  einem 
pomellum  ausgehen,  das  durch  sechs  Bogenstellungen  mit  dem  bekannten,  ^pat- 


ST.  JOHANN.  II 

gothiBehen  Nasenwerk,  in  kräftiger  Gravirung  belebt  wird.  Wie  es  den  Anschein 
hat,  fehlt  nach  dem  Fussstttcke  hin  die  eine  Hälfte  einer  sechseckigen  Röhre,  in 
derselben  Weise,  wie  sich  diese  fistula  oder  canna  über  dem  Aepfelchen  er- 
bebt. Der  Fusstheil  dieses  vasculum  ad  canservandum  oleum  inßrmorum  ist 
einfach,  im  Kreise  gehalten,  ohne  Anwendung  von  Gravirungen;  sein  Hals  steigt 
jedoch  im  Sechsecke  schlank  empor,  um  sich  mit  dem  Ständer  organisch  zu  ver- 
binden. Wie  schon  die  in  Silber  gehaltenen  Flachtheile  mit  vergoldeten  Orna- 
menten, noch  mehr  aber  die  ciselirten  Blätter  als  untere  Bekrönung  des  Helmes 
deutlich  zu  erkennen  geben,  gehört  dieses  mustergültige  Geftlss,  das  bei  Nach- 
ahmungen ftlr  ähnliche  Zwecke  sehr  zu  empfehlen  sein  därfte,  der  Eunstepoche 
aus  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  an,  in  welcher  es,  wie  schon  früher  bemerkt, 
Brauch  geworden  war,  die  Flachtheile  einzelner  liturgischer  Gefdsse  in  Silber  zu 
lassen  und  den  profilirten,  omamentalen  Einzelheiten  eine  reiche  Feuer-Vergoldung 
zu  geben. 


102. 

Ciborinm^ 

in  vergoldetem  Silber.     XV.  Jahrhundert. 

Höhe  48  Centimeter,   Darchmesaer  des  Fasses  18  Centimeter. 

In  vielen  Kirchen  des  Niederrheins  haben  sich  bis  zu  dieser  Stunde  noch 
in  ziemlicher  Anzahl  und  in  grosser  Abwechselung  der  Formen  Gefässe  erhalten, 
aus  welchen  in  Form  von  grösseren  Speisekelchen  die  h.  Gommunion  in  der  Kirche 
den  Gläubigen  dargereicht  wurde,  oder  die  in  kleinerer  Ausdehnung  dazu  dienten,^ 
die  letzte  Wegzehrung  den  Kranken  und  Sterbenden  zu  bringen.  Die  unbestreitbar 
reichsten  Ciborien  dieser  Art  findet  man  heute  noch  zu  Rees  und  Eltenberg  am 
Niederrhein,  so  wie  in  der  Sacristei  zu  Vallendar  (bei  Coblenz);  auch  der  MUn- 
sterschatz  zu  Aachen  hat  noch  einen  solchen  Speisekelch  in  zierlicher  Formation 
aufzuweisen,  vermittelst  dessen  ehemals  das  viaticum  gereicht  worden  sein  dürfte. 
Die  Kölnischen  Sacristeien  können  sich  in  ihren  sehr  geplünderten  Kirchenschätzen 
nicht  mehr  des  Besitzes  reicher  Ciborien  rühmen,  welche  mit  den  ebengedachten 
in  Vergleich  gesetzt  werden  könnten ;  nur  die  Pfarrkirche  von  St  Johann,  welcher 
ehemals  die  reiche  Zunft  der  „WüUenweber  und  Tuchmacher^'  incorporirt  war,  be- 
sitzt noch  unter  den  wenigen  in  ihrem  sehr  geschmälerten  Schatze  befindlichen 
h.  Gelassen  ein  interessantes  Exemplar  eines  mittelalterlichen  Giboriums,  das  in 
Bciner  reichen  Formentwickelung  ahnen  lässt,  von  welcher  Schönheit  und  Zierlich- 
keit der  formellen  Gestaltung  im  alten  heiligen  Köhi  jene  grösseren  und  umfang- 
reicheren Speisekelche  gewesen  sein  dürften,  aus  welchen  an  den  Hauptfesttagen 
den  zahlreichen  Communicanten  die  Eucharistie  gereicht  wurde. 

Das  in  Rede  stehende  Ciborium  wird  getragen  von  einem  Fussstück,  wel- 
ches als  sechsblätterige  Böse,  die  gewöhnliche  Form  der  Kelchgefässe  des  XV.  Jahr- 


12  ST.  JOHAISN. 

hundertd  erkennen  lässt.     Auf  diesem  Fusstheile,  der  glatt  und  ohne  Gravur  ge- 
balten ist,   erhebt  sich  ein  kleiner  Sockel  im  Scebseck  in  der  Höhe  von  vier 
Centimeter,  der  oben  von  einem  Zinnenkranz  umgeben  ist    Mit  diesem  Unter- 
sockel steht  in  Verbindung  eine  sechseckige  Röhre  in  grösster  Länge  von  6'/i 
Gentimeter,   die  in  der  Mitte  von  einem  sechstheiligen  Knaufe  in  gewöhnlicher 
Formbildung  unterbrochen  wird.    Mit  diesem  Ständer  setzt  sich  weiter  in  Verbindang 
ein  ebenfalls  im  Sechseck  construirter  Sockel,  dessen  Hals  sich  trichterförmig  nach 
oben  ausbreitet,  um  den  eigentlichen  Behälter  aufzunehmen,  der  vieleckig  geformt, 
auf  den  sechs  Ecken  mit  durchbrochenen  WiderlagspfeUem  umstellt  ist    Die  reich- 
sten Ornamente   sind  auf  den  genannten  sechs  Gentimeter  und  fünf  Millimeter 
breiten  Flächen  dieses  Behälters  ersichtlich.     Durch  eine  kiilftige  Gravirung  hat 
der  Künstler  diese  glätten  Theile  mit  stehenden  Heiligenfiguren  zu  beleben  ge- 
wusst,   die  in  ihrer  Gomposition  und   technischen  Ausführung   die  frappanteste 
Aehulichkeit  mit  jenen  figürlichen  Darstellungen  aufweisen,  welche  auf  dem  Fusse 
jener  prachtvollen  Monstranz  gravirt  sind,  die  auf  Tafel  XXI.  der  zweiten  Lie- 
ferung dieses  Werkes  veranschaulicht  worden  ist.    Auf  der  einen  Fläche  erblickt 
man,  von  einem  baldachinfbrmigen  Rundbogen  Überragt,  in  stehender  Stellung  den 
Salvator  mit  erhobener,  segnender  Rechten,  die  Linke  hält  die  Weltkugel    Auf 
dem  folgenden  Felde  rechts,  in  bittender  Stellung,  ist  die  allerseligste  Jungfrau^ 
und  auf  dem  gegenüber  befindlichen  Felde  links  der  Vorläufer  Johannes  mit  dem 
Symbol  des  Lammes  dargestellt.     Dem  Heilande  gegenüber  befindet  sich  auf  der 
entgegengesetzten  Fläche  das  Standbild  der  h.  Antonina,  Jungfrau  und  Märtyrin, 
mit  ihrer  Gesellschaft.     Dass  diese  Darstellung  nicht  als  das  Bild  der  h.  Ursula 
mit  ihren  Genossinnen  zu  betrachten  sein  dürfte,  sondern  als  jene  königliche  Mär- 
tyrin  aus  der  Gesellschaft  der  h.  Ursula,  deren  Reliquien  in  einem  prachtvollen 
Schreine  ebenfalls  in  der  St.  Johanniskirche  aufbewahrt  und  verehrt  werden,  kanfl 
schon  daraus  entnommen  werden,  dass  unter  dem  ausgebreiteten  Mantel  nur  secbs 
Gefährtinnen  figürlich  dargestellt  sind,  also  die  Elfzahl  hier  absichtlich  vermieden 
ist.    Die  gekrönte  Märtyrin  trägt  auf  dem  vorliegenden  Bilde  auch  nicht  den  Pfeil, 
sondern  die  Märtyrerpalme.     Zur  rechten  Seite  dieses  Bildes  der  h.  Antonina  er- 
blickt man  das  Standbild  des  Apostels  Matthias  und  auf  der  Fläche  links  das  Bild 
der  h.  Gatharina.    Sämmtliche  Figuren  in  einer  schlanken  beweglichen  Gomposition 
und  in  einer  edlen  Technik  ausgeführt,  treten  in  scharfen  und  tiefen  Contouren 
auf  einem  carrirten  Tiefgrunde   deutlich  hervor.     Der  zierlich  behandelte  wel- 
lenförmig gehaltene  Faltenwurf  der  Gewänder  lässt  deutlich  erkennen,  dass  das 
vorliegende  Giborium  in  dem   zweiten  Viertel  des  XY.  Jahrhunderts  seine  Ent- 
stehung gefunden  hat,  einer  Periode,  in  welcher  auch  die  Malerschule  des  alten 
Kölns  ihre  vorzüglichsten  Meisterwerke  geliefert  hat. 

In  den  sechseckigen  und  zwar  zunächst  in  die  Aushöhlung  zweier  gegen- 
überstehenden Widerlagspfeiler  mündet  vermittelst  silberner  Zapfen  ein  reich  ver^ 
zierter  Helm  ein,  der  als  beweglicher  Deckel  das  Giborium  verschliesst  und  dem- 
selben zugleich  nach  oben  einen  reich  gegliederten  Abschluss  verleiht  An  den 
sechs  Ecken  dieses  Au&atzes  sind  als  Fortsetzung  und  Verjüngung  der  untern 


ST.  JOHAKN.  13 

Widerlagspfeiler  seehs  Fialen  aDgebracht,  die  yermittelst  kleinerer  Strebebögen  in 
Verbindung  treten  mit  einem  sechstheiligen  Widerlagssystem,  das  seinerseits  wie- 
derum durch  kleinere  Strebebögen  einen  sechstheiligen  offenen  Baldachin  stützt 
und  umstellt     Dieser  Baldachin  schliesst  oben  mit  sechs  Oiebelfeldern  ab,  ttber 
welchen  sich  ein  kleiner  Dachhelm  erhebt,  der  sich  oben  zu  einer  doppelten  Kreuz- 
blume verjüngt     Auf  der  Spitze  dieser  Bekrönung  thronte  zweifelsohne  das  Bild 
des  Qekreuzigten ;    das  jetzt  an  dieser  Stelle  befindliche  Ejreuz  scheint  nicht  das 
ursprüngliche  zu  sein.    Es  dürfte  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  das  vor- 
liegende formschöne  Gefäss,  ehemals  wie  auch  heute,  kirchlich  dazu  benutzt  wurde, 
um  aus  demselben  den  Kranken  die  h.  Wegzehrung  zu  reichen;   darauf  deutet 
auch  die  runde  bewegliche  Schaale  hin,  die  sich  im  Innern  des  Gefässes  befindet 
Ein  Umstand  jedoch  könnte  zu  mehrem  Hypothesen  Veranlassung  bieten.     Man 
gewahrt  nämlich  unter  dem  sechstheiligen  Baldachin,  der  das  ganze  Gkfäss  über- 
ragt,  einen  ziemlich  grossen  Einschnitt,   der,   wenn  nicht  der  Anschein  trügt, 
im  Mittelalter  dazu  benutzt  worden  sein  dürfte,  um  vermittelst  einer  hier  einge- 
schobenen kleinen  Lunula  eine  consecrirte  Hostie  zu  exponiren,  wenn  das  Viaticum 
von  den  Nachbarn,   wie  das  gewöhnlich  zu  geschehen  pflegte,   zu  den  Kranken 
unter  einem  Baldachin   begleitet  wurde.     Wie   das  folgende  Inventar  andeutet, 
scheint  jedoch  hier  ein  kleines  Glöckchen  eingeschoben  worden  zu  sein.     Gewiss 
wäre  es  zu  wünschen,  dass  sich  in  nächsten  Zeiten  ein  Wohlthäter  der  heut  mit- 
tellosen Pfarrkirche  von  St  Johann  fände,  der  die  Kosten  bestritte,  um  das  oben 
beschriebene  sehr  beschädigte  Gefäss  wiederherstellen  zu  lassen.    Der  spätere  Re- 
staurateur  desselben  würde  sich  genau  an  die  vorfindliche  Form  ohne  Zuthat  von 
Neuem  zu  binden  haben  und  würde  vor  Allem  darauf  Rücksicht  nehmen  müssen, 
bei  der  Vergoldung  desselben  unbedingt  eine  Feuervergoldung  in  einem  kaltem 
gelblich-grtlnen  Tone  wieder  in  Anwendung  zu  bringen. 


.1 


Ehemalige  Kirehenschfttze  nnd  Kleinodien  der  Pfarre 

St.  Johann. 

Unser  Gewährsmann  Gelen,  der  uns  mit  seinen  wenn  auch  dürftigen  und 
oberflächlichen  Notizen  bei  Schilderung  dessen,  was  die  Köhiischen  Stifts-  und 
Pfarrkirchen  ehemals  an  L  Gefässen  und  Gewändern  besassen,  bei  dem  fast  gänz- 
lichen Mangel  an  älteren  Inventaren,  häufig  gute  Dienste  geleistet  hat,  erhält  bei 
der  Pfarrkirche  von  St  Johann  Baptist  eine  willkommene  urkundliche  Ergänzung 
durch  ein  noch  vorfindliches  Inventar  aus  dem  Beginne  des  XV.  Jahrhunderts.  Im 
Archiv  der  genannten  Kirche  hat  sich  nämlich  ein  im  Jahre  1406  von  den  da- 
maligen Eirchenmeistem  Wiuand  LUdendorp,  Heinrich  vom  Rynn  und  Peter  von 
Duitz  angelegtes  Register  aller  Renten,  Immobilien  und  Mobilien  der  besagten 
Kirche  erhalten.  Fol.  III  ist  auch  das  Schatzverzeichniäs  dieser  Kirche  aus 
dem  Jahre  1406,  leider  aber  nicht  in  der  Ausftlbrlichkeit,  wie  wir  es  wünschten, 


14  ST.  JOHANN. 

aufgezeichnet,  jedoch  ausführlich  genug,  um  einen  allgemeinen  Ueberblick  ttber 
das  Mobiliarvermögen  einer  Kölnischen  Pfarrkirche  aus  jener  Zeit  gewinnen  zu 
können.  Wir  verdanken  die  genaue  Lesung  dieses  merkwürdigen  Inventare  der 
entgegenkommenden  Gefillligkeit  des  Herrn  Pfarrers  Stein  und  lassen  es,  dem  Wort- 
laut des  Originals  gemäss,  nach  der  Entzifferung  des  ebengedachten  Pfarrers  von 
St.  Johann  unverändert  hier  folgen: 

„Dyt  synt  die  omament  ynd  cleynode,  die  in  die  Kirche  gehörent  zu  sent  Johann 
Baptisten.    Zum  eirsten  XXXVIII  Caselen.    Item  XL  Alven  (alba).   Item  XXVilll 

amyt  (amictus,  humerale) ynd  as  manch  Manipel.    Item  in  Cappen  und 

n  sylvem  Fybelen.')  Item  \1II  Leisröcke')  (Leseröcke,  Dalmatiken)  und  II  scho- 
lärenröcke. ')  Item  VII  Keilghe  myt  yren  patenen.*)  Item  Xn  Corporalen  myt 
yren  Costodien.  *)  Item  XXV  Boiche  (Bücher)  so  cleyn  ynd  grois.  Item  eyn  paar 
sylvem  poUen.")  Item  eyn  sylvem  weyegevesgin  (Weihwasser-Behälter).  Item  epe 
monstranz,  da  man  dat  heilige  Sakrament  ynne  drait.  Item  sylveren  Buysse,  da 
man  dat  heilige  Sakrament  eynen  brenght  den  Seighen  (den  Siechen,  Kranken) 
dareyn  gehört  eyne  sylvem  achter  Buysse  und  ein  sylveren  Schaelgin. ')  Item  eyn 
sylvem  Vesgin')  da  dat  heilige  Olege  ynnen  is.  Item  eyne  helpenbeynere')  Bn\m 
myt  eyme  sylvem  Deckel.     Item   eynen  sylveren  arm.'**)    Item  eyn  ßchreyn- 


t)  Die  fJibulaB"  werden  in  andern  Inventaren  y,monHia^  peeioralta*'  genannt.  Es  sind  das 
reichverzierte  Agraffen,  nm  die  Bänder  zu  verdecken,  welche  die  Chorkappen  auf  der  Brust  zasammcn- 

halten. 

2)  Die  Dalmatiken  wurden  deswegen  im  AltkOlniBchen  „Leisröcke'*  genannt,  weil  mit  demselbes 
bekleidet  yon  den  Diakonen  und  Subdiakonen  die  Lesung  des  Evangeliums  und  der  Epistel  Toigeson- 
men  wurde. 

3)  Kirchliche  Bekleidungsstneke  ftlr  die  Scholaren  {viearioli),  unsere  heutigen  Chorknaben  oder 
Messknaben.  Solche  kleinere  Dalmatiken  für  die  Messknabipi  haben  sich  in  der  Pfarrkirche  in  Uu 
am  Bheine  noch  erhalten. 

4)  Die  sieben  Kelche  mit  dazu  gehörigen  KelchschUsselchen  lassen  auf  eine  grösseie  Zahl  toh 
Alt&ren  schliessen,  die  damals  in  St  Johann  im  Oebrauch  waren. 

5)  Diese  Custodien,  die  in  andern  Inventaren  häufiger  Corporaltaschen,  Bufsen  genannt  verdeo. 
finden  sich  heute  noch  in  Köln  vereinzelt  vor  und  sind  meistens  mit  figürlichen  Stickereien  auf  deiB 
obem  Deckel  versehen.  Die  Sacristei  hatte  ftlr  jeden  Geistlichen  eine  solche  besondere  Custodie,  woiio 
nach  der  Messe  das  Corporale  und  Purificatorium  zum  Schutze  gegen  Beschmutzung  aufbewahrt  wurde. 

6)  Am  Niederrhein  werden  die  Messkännchen  heute  noch  Pollen  genannt,  von  dem  lateinisdieB 
Terminus  ,fampuUa"  herrührend;  in  der  Schweiz  nannte  man  sie  „Messstizeli." 

7)  Ohne  Zweifel  ist  hiermit  jenes  schöne  Ciborium  gemeint,  welches  wir  vorhin  unter  "So.  1U2 
abgebildet  und  Seite  1 1  ff.  weiter  beschrieben  haben.  Die  „sylverne  achter  Büysse"  ist  die  im  h^t^ 
des  Ciboriuras  heute  noch  befijidliche ,  bewegliche  Kapsel ,  worin  die  hh.  Eucharistie  deponirt  wird. 
Unter  dem  Baldachin  auf  dem  obem  Deckel  scheint  dem  Wortlaute  des  vorliegenden  Inventars  zufolg« 
sich  ehemals  ein  kleines,  silbernes  Glöckchen  „Schaelgin'*  befunden  zu  haben,  wodurch  das  EovmeD 
des  Priesters  vernehmbar  wurde,  wenn  er  die  h.  Wegzehrung  zu  einem  Kranken  trug. 

h)  Dieses  OelgefUss  ist  wahrscheinl  eh  jene  Büchse,  die  wir  auf  Seite  10  f.  beschrieben  und  unter 
No.  101  bildlich  veranschuulicht  haben. 

9)  Diese  elfenbeinerne  Büchse  mit  silbernem  Deckel  diente  vermuthlich  dazu,  um  die  Oblaten 
in  der  Sacristei  aufzubewahren,  die  zu  der  Feier  der  h.  Messe  verwandt  wurden. 

10)  Es  war  das  ein  Reliquiar,  enthaltend  Gebeine  von  der  h.  Antonina,  vielleicht  in  tthnlicber 
Form,  wie  wir  dieselbe  in  der  I.  Lieferung  dieses  Werkes  veranschaulicht  haben. 


ST.  JOHANN.  15 

gemach  *)  von  cristalln  mit  heiltmn.  Item  eyn  ander  schryn  myt  heiltum.  Item 
II  Cruytz')  da  man  de  Leyde  mit  begeit  (beerdigt).  Item  in  zinnere  Elter 
Lechter  ynd  11  kuifierne.  Item  I  kuiffern  veyveser?  (mcensoir,  Rauchfass?;. 
Item  y  paar  pollen.  Item  III  groisse  zinnere  Lechter ,  da  man  die  Lüde  mit 
begeit  (Begräbnissleuchter).  Item  I  paarVanne.')  Item  UI  tapit^)  so  ....  sankt. 
Item  VII  Stoellachen  (stolae).  Item  1  paar  Vleugeln*)  und  eynen  vleugel  an 
den  (hohem  Elter.  Item  XIII  Veirhenge*)  myt  yren  twelen.  Item  IX  twelen') 
myt  .  . .  lysten.  Item  XII  Elter  twelen.*)  Item  VIII  Hanttwelen.')  Item  eynen 
alden  seyden  balcken.*"}  Item  eyn  gehemele.")  Item  l  kuiflferen  Wykessel. 
Item  eyn  kuifieren  Wasservas.  Item  eynen  kuifferen  kessel  da  man  Wasser 
mitheilt." 


1)  Wahncheinlich  ein  viereckiges  Behälter  Ton  ErystaU  mit  silber  -  vergoldeter  Einfassung, 
worin  verschiedene  Reliquien  „Heiltum"  auAiewahrt  wurden. 

2)  Yortragekreuze,  die  bei  Processionen  und  Beerdigungen  gebraucht  wurden. 

3)  £s  ist  hier  nicht  gesagt,  ob  unter  diesen  Fahnen  kirchliche  „vexilla*^  zu  verstehen  sind, 
oder  Banner,  wie  dieselben  heute  noch  bei  kirchlichen  Bruderschaften  in  Gebrauch  sind. 

4)  Mit  diesen  Teppichen  wurden  die  Chorschranken  an  Festtagen  behangen,  und  nennen  andere 
Schatzregister  sie  auch  „dorsalia,  slragttla" 

5)  Wahrscheinlich  sind  unter  diesen  „Yleugeln"  jene  beweglichen  stofflichen  YorhängeflOgel  zu 
Terstehen,  die  zur  Seite  verschiedener  Altttre  an  eisernen  Buthen  befestigt  waren,  vermittelst  welcher 
der  celebrirende  Priester  am  Altare  von  den  umstehenden  Gläabigen  gleichsam  wie  von  einem  engem 
Chore  getrennt  wurde,  damit  er  durch  das  unbefugte  Hinttbersehen  auf  den  Altar  nicht  gestört  werden 
konnte.  Diese  FlUgel  und  Behänge  sah  man  noch  bis  vor  wenigen  Jahren  an  einzelnen  Altären  im 
Dom  von  Münster.  Wir  können  nicht  annehmen,  doss  unter  diesen  FlUgeln  die  gemalten  AltarflUgel- 
thtlren  verstanden  worden  sind,  indem  dieselben  zu  den  Immobilien  der  Kirche  gehörten. 

6)  Unter  dem  Terminus  „Yeirhange**  ist  offenbar  jenes  Altarparament  zu  verstehen,  welches 
heute  Antependium  „frontale"  genannt  wird.  Die  dazu  gehörigen  „Twelen**  sind  das  weissleinene 
Tuch,  das  Über  den  Altar  als  Untertuch  gebreitet  wurde,  und  an  welchem  der  Yorhang  ehemals  an- 
genäht zu  werden  pflegte.  Ueber  diesem  weissen  Untertuch  mit  daran  herunterhängendem  gestickten 
Frontale  breitete  man  das  Altartuch  von  feinem  Leinen  „palla  altan's"  aus. 

7)  Dieser  niederdeutsche  Ausdruck  „Twele**,  gleichbedeutend  mit  weissem  Leintuch^  stammt  offen- 
bar von  dem  mittelalterlichen  Terminus:  „ioallia'*  (franz.  iouaiUe)  her.  Yergl.  die  vielen  synonymen 
Ausdrücke  ad  voc,  ioallia  bei  du  Cange,  Glossarium  LatinüatU  etc. 

8)  Diese  leinenen  AltartUcher  werden  in  andern  Schatzverz  ichnissen  ausser  pallia  allaris  auch 
benannt  „tnappula,  toballia  allaris." 

9)  Diese  Handtwelen,  die  in  anderer  Mundart  auch  „Handzweien"  genannt  werden,  hingen 
rund  zusammen  genäht  an  einem  beweglichen  Zweiträger  in  verwandter  Form ,  wie  wir  ihn  von  St. 
Marien  im  Capitol  auf  Taf.  XXIX  abgebildet  und  unter  No.  95  besprochen  haben. 

10)  £s  ist  nicht  klar,  was  unter  dem  Ausdruck  „Balken"  zu  verstehen  ist;  entweder  dürfte  da- 
runter ein  alter  gestickter  Kreuzbalken  eines  Messgewandes  zu  verstehen  sein,  oder  aber  ein  Bahrtuch 
mit  darauf  gesticktem  Kreuzbalken. 

W)  Ohne  Zweifel  ein  tragbarer  Baldachin,  auch  heute  am  Niederrhein  „Himmel"  genannt. 


Änp  ^i  ^ariabilf^flWrrlifn. 


Vft'bnrJiSeckcr^IilLCoTB. 


3in^  S>'jKl&rin  iit Ijehtrciirn . 


$t  ^aria  Jlt;$ßircfien. 


Mittelalterliche  EunBtBoli&tze  dieser  Pfarrkirche. 

Seite 

103)  Evangelien-Codex  mit  vielen  Initialen  und  Miniaturen  und  reich  verziertem  Einbände, 

X.Jahrhundert.   Taf.  XXXV.    Fig.  103 3 

1 04)  Vortrage-Kreuz  mit  daran  befindlichem  „Christus  iogatus",  XII.  Jahrb. ,  Taf.  XXXVI. 

Fig.  104 5 

105j  Geläss  zur  Aufbewahrung  der  h.  Oele  in  vergoldetem  Silber,  XV.  Jahrb.,  Taf.  XXXVI. 

Fig.  105 9 

106)  Kniekissen  in  vielfarbigem  Wollenstramin  gestickt,  XVI.  Jahrb.  Taf.   XXXVI.   Fig.  106.  11 


103. 

ETangelien  -  Codex 

mit  vielen  Miniaturen  und  Initialen  und   einem   kunstvoll  verzierten  Einbände. 

Länge  30,  Breite  22 '/i  Centimeter.    X.  Jahrhundert. 

In  den  Staats-Umwälzungen  zu  Sehluss  des  vorigen  Jahrhunderts  sind  jene 
kostbar  geschriebenen  und  reich  eingebundenen  Evangelistarien  und  Plenarien, 
die  ehemals  vor  Einführung  der  beweglichen  Typen  in  keiner  grossem  Kirche 
fehlten,  entweder  ganz  verloren  gegangen  oder  dieselben  sind  aus  kirchlichem  Be- 
sitze in  öffentliche  oder  Privatbibliotheken  gewandert.  Von  den  vielen  kostbaren 
Evangeliencodices  in  reicher  Fassung ,  die,  Gelen  zufolge,  noch  in  seinen  Tagen 
zahlreich  in  den  damaligen  Kirchenschätzen  Kölns  angetroffen  wurden,  ist  heute 
nur  noch  die  Pfarre  St  Maria  in  Lyskirchen  zu  Köln  in  der  Lage,  ein  seltenes 
und  äusserst  werthvolles  Exemplar  aufweisen  zu  können,  das  nicht  nur  hinsichtlich 
seiner  vielen  Initialen  und  Miniaturen  die  Aufmerksamkeit  der  Archäologen  erregt, 
sondern  dessen  Einband  auch  in  mehr  als  einer  Beziehung  Beachtung  verdient. 
Dieses  Evangelistarium  umiasst,  wie  schon  der  Name  besagt,  die  Evangelien 
nach  den  vier  Evangelisten.  Auf  dem  letzten  Blatte  ist  ausserdem  noch  ein 
merkwürdiges  Verzeichniss  der  Kirchenschätze  von  St  Georg  aus  dem  XI.  Jahr- 
hundert angefllgt.  Die  Schrift  selbst  dieser  Pergamenthandschrift,  die  6V2  Centi- 
meter breit  ist,  gibt  sich  als  Minuskelschrift  aus  dem  Schlüsse  des  X.  Jahrhun- 
derts zu  erkennen.  Die  einzelnen  Evangelien  sind  Eingangs  geschmückt  mit  dem 
sitzenden  Bildwerke  der  vier  Evangelisten  in  typisch  traditioneller  Weise.  Sowohl 
die  Composition  als  auch  die  technische  Ausführung  der  Miniaturen  und  Initialen 
sind  ziemlich  roh  und  derb  gehalten  und  erinnern  in  ihrer  stylistischen  Durchfüh- 
rung an  jene  Miniaturen,  wie  man  sie  zur  Zeit  der  letzten  Karolinger  anzufertigen 
pflegte. 

Für  unsem  nächsten  Zweck  ist  die  eine  Seite  des  Einbandes  (vestis  libri) 
von  grösserem  Interesse  und  wollen  wir  es  versuchen,  im  Nachstehenden  dieses 
merkwürdige  Frontale  zu  beschreiben,  womit  der  vordere  Deckel  des  Buches 
geschmückt  ist  Offenbar  ist  der  Einband  in  seiner  heutigen  Gestalt  und  Fassung 
nicht  mehr  der  primitive  und  rührt  von  dem  ursprünglichen  Einbände  gegen- 
wärtig nur  das  seltene  Relief  her,  das  die  mittlere  Füllung  des  Deckels  schmückt. 
Dieses  Relief  stellt  in  der  Länge  von  16  und  in  der  Breite  von  IS'/s  Centimeter 


4  8T.  MABU  LT8KIRCHEK. 

• 

dar  die  Kreuzigung  des  Heilandes  in  jener  typisch-traditionenen  AuffassungB- 
weise,  wie  sie  der  byzantinischen  Kunst  geläufig  ist  Man  erblickt  nämlich  in 
stark  hervortretendem  Kelief  den  Heiland  am  Kreuze ,  dessen  Arme  ehemalg 
gradlinigt  ausgespannt  waren  und  dessen  Fttsse  auf  einem  Fussblöckchen  ruhten, 
unter  welchem  sich  als  Thierfratze  die  Schlange  der  Verführung  abgebildet 
findet,  deren  Macht  durch  den  Sieg  des  Heilandes  am  Kreuze  fbr  immer  gebrochen 
ward.  Zur  Rechten  und  Linken  des  Erlösers  ersieht  man  die  Passionsgruppe  Jo- 
hannes und  Maria  als  kleinere  Randbilder.  Unmittelbar  zu  beiden  Seiten  des 
Kreuzes  erblickt  man  zwei  Kriegsknechte ,  wovon  der  eine  rechts  den  Longinas 
vorstellt,  der  mit  dem  Speere  die  Seite  des  Heilandes  zu  öfihen  im  Begriffe  steht; 
der  andere  dieser  Kriegsknechte  reicht  den  mit  Essig  und  Myrrhen  gcMten 
Schwamm  dar.  Zwei  dienende  Engel,  die  in  dieser  Darstellungsweise  seltener  vor- 
kommen, halten  in  beiden  Händen,  von  Wolken  getragen,  die  beiden  Querbalken 
des  Kreuzes,  lieber  diesen  beiden  Kreuzes-Armen  machen  sich  als  kleine  Rund- 
medaillons kenntlich,  wie  immer,  die  allegorisch-figtlrlichen  Darstellungen  von  Sonne 
und  Mond,  die  beim  Tode  des  Heilandes  ihren  Schein  verlieren.  Die  vier  Ecken 
dieser  merkwürdigen  Sculptur  zeigen  die  gefltlgelten  Bilder  der  vier  Evangelisten. 
Diese  innere  Füllung,  die  aus  drei  länglichen  Elfenbeinstücken  zusammengesetst 
ist,  wird  nach  vier  Seiten  durch  ein  zart  sculptirtes  Laubomament  abgefasst  nnd 
eingeschlossen,  in  welchem  sich  die  bekannte  Reminiscenz  des  altgriechiscben 
Acanthusblattes  deutlich  zu  erkennen  gibt.  Fragt  man  nach  dem  kunsthistoiisehen 
Werthe  und  der  Entstehungszeit  dieser  seltenen  Sculptur,  so  muss  gesagt  werden, 
dass  der  Bildschnitzer,  dem  dieses  Relief  seine  Entstehung  zu  verdanken  hat,  als 
Künstler  auf  ungleich  höherer  Stufe  stand,  als  jener  Miniaturmaler^  von  dem  die 
vielen  gemalten  Bildwerke  und  Ornamente  im  Innern  des  Codex  herrühren.  Ob- 
schon  in  der  Composition  und  in  dem  Faltenwurf  dieser  Figuren  noch  der  con- 
ventioneile Typus  der  Byzantiner  vorwaltet,  so  muss  man  doch  eingestehen,  dass 
dieselben  mit  einer  grossen  Glemüthstiefe  und  nicht  ohne  Verständniss  der  Natur 
aufgefasst  und  durchgeführt  sind.  Lren  wir  nicht,  so  dürfte  dieses  Meisterwerk 
der  Elfenbeinschnitzkunst  von  einem  äusserst  befähigten  Künstler  griechischen  Her- 
kommens angefertigt  worden  sein,  der  auf  italienischem  Boden  ein  ergiebiges  Feld 
für  seine  Leistungen  gefunden  hatte.  Auch  sind  wir  entschieden  der  Ansicht,  dass 
diese  Reliefs  zur  Zeit  der  Ausführung  der  Malereien  des  innem  Codex  entweder 
in  den  Tagen  Kaiser  Otto's  HI.  oder  zur  Zeit  seines  unmittelbaren  Nachfolgers 
Kaiser  Heinrichs  11.,  des  Heiligen,  angefertigt  worden  sind.  Die  Gründe,  worauf 
diese  Annahmen  sich  stützen,  sind  zu  entnehmen  aus  der  auffallenden  Aehnlichkeit 
und  Uebereinstimmung  der  vorliegenden  Sculpturen  mit  den  Elfeubein-Relie&  in 
verwandten  Sujets,  die  den  vordem  Hauptdeckel  des  prachtvollen  Evangelien-Codei 
Otto's  n.  zieren,  der  aus  der  alten  Reichsabtei  Echtemach  im  Luxembuigischen 
stanunt  und  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  in  die  Manuscripten- Bibliothek  des 
herzoglichen  Schlosses  Friedenstein  in  Gotha  gekommen  ist  Auch  die  Aehnlich- 
keit dieser  Elfenbeinsculptur  mit  der  auf  dem  Evangelistarium  Heinrichs  des  Hei- 
ligen zu  Bamberg  verdient  Beachtung.     Von  geringerem  Werthe  ist  o£fenbar  die 


ST.  HABIA  LTSKIRCHEN.  5 

kupfe^-yergoldete  Einfassung»  die  das  ebenbeschriebene  Belief  auf  vier  Seiten  um- 
fasst  In  der  Stylweise  der  letzten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  hat  im  Bande 
dieser  Einfassung  ein  geschickter  Kölnischer  Graveur,  verschiedene  Heiligen-» 
figuren  von  reichen  Baldachinen  ttberragt  angebracht,  unter  andern  Madonna 
mit  dem  Kinde  und  gegenüberstehend  einen  Kölnischen  Bischof.  Auf  dem  obem 
Bande  erblickt  man  den  Salvator  in  sitzender  Stellung  von  musicirenden  En- 
geln umgeben.  Auf  dem  untern  Bande  ist  dargestellt  die  Heldenthat  des  Bitters 
St.  Georg,  wie  er  den  Lindwunn  erlegt  In  den  vier  Ecken  dieser  Einfassung 
erheben  sich,  um  Frictionen  von  der  Elfenbeinsculptur  fem  zu  halten,  vier  grosse 
Kiystallpasten ,  die  von  kräftigen  zierlichen  Fassungen  umschlossen  sind*  Noch 
machen  wir  im  Vorbeigehen  darauf  aufmerksam,  dass  von  einer  spätem  Hand  des 
Xn.  Jahrhunderts  die  vier  freien  Pergamentblätter,  die  dem  Evangelium  des  heil. 
Jobannes  folgen,  beschrieben  worden  sind.  Es  enthalten  dieselben  den  genauen 
Catalogus  der  Kölnischen  Erzbischöfe,  der  mit  dem  h.  Matemus,  dem  Schüler  des  h. 
Petrus,  als  erstem  Bischof  von  Köln  beginnt  und  fortgeführt  ist  bis  zum  Tode  des 
Erzbischofs  Beinold  von  Dassel,  der  aus  dem  zerstörten  Mailand  die  Gebeine  der 
h.  Drei  Könige  nach  Köln  gebracht  hat 

Wie  schon  oben  bemerkt,  befindet  sich  auf  dem  letzten  Schlussblatt  des 
vorliegenden  Codex  ein  seltenes  Schatzverzeichniss  in  den  Schriflzügen  des  XI.  Jahr- 
hunderts, das  zum  Belege  dienen  kann,  wie  einfach  und  ärmlich  es  noch  im  XL 
Jahrhundert  mit  den  liturgischen  Gebrauchsgegenständen  in  den  grossem  Kirchen 
Kölns  bestellt  war;  dieses  Inventar  ist  bei  Beschreibung  der  ehemaligen  Schätze 
von  St  Georg  (heute  St  Jacob)  in  dieser  Lieferung  wörtlich  wiedergegeben  worden. 


104. 

Tortragekrenz 

mit  dem  Bilde  des  Gekreuzigten  in  vergoldetem  Bothkupfer. 

AuBdehnung  des  Langbalkens  67  Centimeter ;  grdsste  Ausdelmiuig  der  Qaerbalken  47  Centimeter. 

xn.  Jahrhundert 

Heute  haben  sich,  aus  der  romanischen  Kunstepoche  henührend,  am  zahl- 
reichsten noch  Yortragekreuze  erhalten,  äie  eine  solche  Einrichtung  und  Gestaltung 
haben,  dass  sie  zugleich  als  Vorsatz-  und  Altarkreuze  benutzt  werden  konnten. 
Die  meisten  dieser  romanischen  „cruces  processtanales'*  sind  ohne  grossen  Aufwand 
von  kunstreicher  Ausarbeitung  meistentheils  sehr  einfach  in  Bothkupfer  gehalten 
mit  reicher  Feuervergoldung.  Die  Figur  des  gekreuzigten  (xottmenschen  ist  mei- 
stentheils gegossen  und  spärlich  nachciselirt.  Auch  konmien  an  diesen  altem  Pro- 
cessionskreuzen  in  der  Begel  energisch  eingravirte  Ornamente  auf  der  Btlckseite 
vor.  Auch  der  Glanz  von  Edelsteinen  und  Kiystallpasten  wurde  von  den  Künst- 
lern des  Mittelalters  nicht  verschmäht,  um  das  2ieichen  der  Erlösung  in  idealer 
Weise  kunstreich  auszustatten.     Die  Ursache,  dass  heute  noch  eine  Menge  roma- 


6  ST.  MARIA  LYSKmCHEK. 

nischer  Vortragkreuze  in  der  eben  angegebenen  Form  sich  allenthalben  zer- 
streut vorfindet,  ist  wohl  darin  zu  suchen,  dass  diese  Kirchenutensilien  meistens 
Ton  Rothkupfer  angefertigt  waren  und  den  vandalischen  Plünderern  der  Kirchen- 
schätze  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  nicht  die  gehofifte  Ausbeute  verhiessen. 
Obgleich  in-  und  ausländische  Museen  und  Priyatsammlungen  noch  eine 
grosse  Zahl  solcher  romanischer  Vortragekreuze  besitzen ,  so  haben  sich  doch  in 
den  vielen  Sacristeien  der  Kirchen  Kölns  verhältnissmässig  wenig  Exempb^e  er- 
halten, welche  die  typische  Omamentationsweise  der  romanischen  Kreuze  im  XL 
und  Xn.  Jahrhundert  erkennen  lassen.  Unstreitig  besitzt  heute  die  Pfarre  Maria 
Ljskirchen  das  merkwürdigste  Crucifix  als  Vortragekreuz,  welches  sich  in  Köln 
und  am  Niederrhein ,  aus  dem  XII.  Jahrhundert  herstammend,  noch  vorfindet,  and 
ist  dieses  Vortragekreuz  nicht  nur  hinsichtlich  des  eigentlichen  üjpeuzes  mit  seinen 
vier  omamentirten  Kreuzbalken  von  besonderem  Interesse,  sondern  die  Figur  des 
Gekreuzigten  selbst  dürfte  eine  noch  grössere  Aufmerksamkeit  von  Seiten  der 
Kunstarchäologie  beanspruchen.  Das  Kreuz  selbst  zeigt  in  seinen  vier  Balken  in 
höqhst  einfacher  und  wir  möchten  fast  sagen  nachlässiger  Technik,  die  stereotype 
Gestaltung  der  Kreuze  in  frttbromanischer  Zeitepoche.  Es  münden  nämlich  die 
drei  obem  Kreuzbalken,  die  eine  Breite  von  8  Centimeter  7  Millimeter  aufweisen, 
statt  der  dreiblätterigen  Bosenform  der  Frühgothik  in  vorspringenden  quadratisch 
länglichen  Ansätzen  aus,  die  von  einem  vertieft  ausgestochenen  Bande  umgeben 
und  eingefasst  sind.  Um  die  Monotonie  dieser  drei  viereckigen  Ansätze  der  oben 
Balken  zu  mildem,  hat  der  Goldschmied  dieselben  in  einer  Kreisrundung  von 
4 — 5  Centimeter  durchbrochen,  damit  in  diesen  Durchbrüchen  grosse  Kiystallpasten 
mit  mnder  ovaler  Schleifung  nach  beiden  Seiten  hin  hervortreten  konnten.  Diese 
mächtigen  Krystallpasten,  ein  bevorzugtes  Ornament  an  den  frUhromanischen  kirch- 
lichen Geräthschaften,  fehlen  heute  leider.  Desgleichen  auch  die  doppelten  Ein- 
fassungen (lectula).  Der  obere  quadratische  Abschluss  des  Kopf  balkens  enthält 
auf  seiner  Fläche  den  bekannten  KreuzestiteL  Dieser  ,stitulus  cructs"  ist  in  kräf- 
tiger Weise  in  Majuskelbuchstaben  eingravirt,  die  unverkennbar  für  eine  gewisse 
Zeitepoche  massgebend  und  bestimmend  sein  dürften.  Unmittelbar  über  dem  Haupte 
des  Gekreuzigten,  aus  stylisirten  Wolken  hervorragend,  erblickt  man  die  Hand  Gottes 
des  Vatera,  das  Symbol  des  Frühmittelalters  für  die  erste  Person  der  Gottheit, 
Diese  Hand  ist  durch  die  eingravirte  Inschrift:  „Dea^tra  Dei"  hinlänglich  gekenn- 
zeichnet. An  den  beiden  Querarmen  sind  ebenfalls  in  leichter  Gravirung  die  Be- 
präsentanten  der  beiden  Himmelslichter  dargestellt,  die  bei  dem  Hinscheiden  des 
Heilandes  verdunkelt  wurden.  Rechts  ist  als  allegorische  Figur  mit  brennender 
Fackel  in  der  Rechten  veranschaulicht  der  Sonnengott  und  in  der  Ecke  des  lin- 
ken Querbalkens  die  Allegorie  der  ,,Luna''  als  weibliche  Halbfigur.  Gleichwie 
die  drei  obem  Kreuzbalken  mit  einer  nach  beiden  Seiten  halbkreisförmigen  ge- 
schliffenen Krystallpaste  ehemals  verziert  waren,  so  entbehrte  früher  auch  der  un- 
tere Balken  dieses  reichern  Ornamentes  nicht. 

Dieses  stattliche  Kreuz,  aus  einem  dicken  Blech  in  Rothkupfer  gescbnitteO) 
mündet  nach  unten  in  ein  pflanzenförmiges  Ornament  aus,  das  sich  fast  als  sjleur 


ST.  AIARU  LYSKIBCHEK.  7 

de  &''  zu  erkennen  gibt  und  vollständig  in  seiner  Stylisirung  den  fiUhromanischen 
Typus  erkennen  lässt  Von  grösserer  Bedeutung  nicht  nur  in  artistischer  Beziehung, 
sondern  auch  in  symbolischer  Hinsicht,  sind  die  reichen  figürlichen  Darstellungen, 
womit  in  kräftiger  Gravur  die  hintere  Fläche  des  Kreuzes  belebt  ist.  Man  erblickt 
nämlich  in  der  Vierung  desselben  gegenüberstehend  die  allegorisch  weibliche  Figur 
der  Kirche,  dieser  sichtbaren  Stiftung  des  am  Kreuze  triumphirenden  Heilandes. 
Diese  weibliche  Figur  ist  sitzend  auf  einem  Schemel  dargestellt  Die  Rechte  trägt 
das  siegreiche  Banner  der  Auferstehung,  die  Linke  hält  den  Kelch  des  unblutigen 
Opfers.  An  dem  Bande  liest  man  die  erklärende  Umschrift  in  frllhromanischen 
M^juskelbuchstaben  »Saneta  Ecclesia.'^  Diese  Allegorie  umgeben  auf  den  vier  Bal- 
ken die  Prototypen  des  unblutigen  Opfers  im  neuen  Bunde,  die  vorbildlichen  Opfer 
des  alten  Bundes,  nämlich  über  dem  Haupte  der  y,Ecclesia"  das  Halbbild  des  Kö* 
nigs  von  Salem,  in  der  Umschrift  genannt  Melchisedech ,  der  Brod  und  Wein 
opfernd  mit  beiden  Händen  darreicht.  Eigenthümlicb  erscheint  es,  dass  zur  Hech- 
ten der  Kirche  auf  dem  rechten  Querarme  das  Halbbild  des  Kain  seine  Dar- 
stellung findet,  wie  er  die  verschmähten  Garben  opfert ;  auf  der  Linken,  ihm  gegen- 
tlber,  sitzt  sein  Bruder  als  „puer  justus  Abel'%  indem  er  das  wohlgefällige  Opfer 
des  Lammes  darbringt  Im  untern  Querbalken  zeigt  sich  in  einem  vierten  Kreis- 
medaillon, der  Inschrift  zu  Folge,  die  Halbfigur  des  Abraham  im  Begriffe  den  Isaak 
zu  opfern.  Um  den  Kaum  des  Unterbalkens  zweckmässig  auszufbUen,  hat  der  Gra- 
veur unter  dem  ebengedachten  Medaillon  auch  noch  den  Widder,  vom  Dombusch 
umfangen,  dargestellt  Von  diesen  eben  beschriebenen  sechs  Medaillons  aus  ver- 
ästeln sich  auf  schrafSrtem  Grunde  schön  stylisirte  Laubomamente,  die  in  ihren 
Bildungen  deutlich  jene  Ornamentik  und  Pflanzenbildungen  erkennen  lassen,  wie 
sie  gegen  Anfang  des  XH.  Jahrhunderts  den  Miniatur-Malern  geläufig  waren.  Für 
die  eben  angegebene  Zeit  der  Anfertigung  des  vorliegenden  Kreuzes  sind  auch 
maassgebend  die  grossen  lateinischen  Majuskelscbriften,  die  auf  der  vordem  Seite 
des  Kreuzes  ersichtlich  sind.  Dieselben  entbehren  noch  der  spätromanischen  Aus«- 
bildung  und  Entwickelung  und  lehnen  sich  theilweise  noch  an  die  ererbten 
classisch-römischen  Schriftcharaktere  an. 

Schwieriger  jedoch  ist  es  zu  bestimmen,  welcher  Kunstepoche  das  in  Silber 
getriebene  Bildwerk  des  Gekreuzigten  angehöre  und  welchem  Zwecke  es  ehemals 
gedient  habe.  Eine  nähere  Besichtigung  ergibt  deutlich,  dass  die  Figur  des  Ge- 
kreuzigten nicht  ursprünglich  zu  dem  eben  beschriebenen  Kreuze  angefertigt  wor- 
den ist  Dafür  zeugt  nicht  nur  das  verschiedenartige  Material  des  Rothkupfers  am 
Kreuze  und  des  Silbers  am  getriebenen  Christusbilde,  sondern  mehr  noch  die  rohe 
und  ungeschickte  Art  und  Weise,  womit  dieses  Bildwerk  aus  dünnem  vergoldeten 
Silberblech  auf  dem  eben  beschriebenen  Kreuze  befestigt  worden  ist.  Dieses  Bild 
des  Gekreuzigten  ist  nämlich  auf  eine  unorganische  Weise  mit  dem  Kreuze  so  in 
Verbindung  gebracht,  dass  durch  diese  spätere  Hinzuthat  die  eben  besprochenen 
figürlichen  Darstellungen  der  Sonne  und  des  Mondes  nicht  nur  zum  Tbeil  verdeckt 
werden,  sondern,  um  die  Ghristusfigur  zu  befestigen,  hat  man  auch  keinen  Anstand 
genommen,   durch  grosse  Schrauben  die  bildlichen  Gravirungen  auf  dem  Hinter- 


8  ST.  MARIA  LYSKIRCHEN. 

theile  des  Kreuzes  an  vielen  Stellen  zu  durchbrechen  und  zu  entstellen.  Obscbon 
die  anatomisch  fortgeschrittene  Darstellungsweise  des  Gekreuzigten,  und  der  edle 
Faltenwurf  der  Toga  daftir  zum  Beweise  dienen  können  i  dass  dieses  getriebene 
Bild  ebenfalls  wie  auch  das  Kreuz  mit  seinen  bildlichen  Darstellungen  aus  dem 
Anfange  oder  der  Mitte  des  Xu.  Jahrhunderts  herrühren  könnte,  so  sind  wir  doch 
entschieden  der  Ansicht,  dass  dieses  merkwürdige  Bildwerk  ursprünglich  eine  an- 
dere Verwendung  gefunden  habe. 

Wie  das  die  innere  Höhlung  des  Grckreuzigten  als  ein  technisch  meisterbaft 
gearbeitetes  ^yopus  productüe"  andeutet,  dtirfte  dieses  Christusbild  ehemals  als  Be- 
liquiarium  gedient  haben.  Die  kleinen  Reliquien ,  die  sich  in  dieser  Höhlung  be- 
fanden, stellten  alsdann  yor  die  „viseera  ChristL**  Solche  ausgehöhlte  Ghristus- 
bilder  mit  Reliquien  angefUllt  kommen  als  Reliquiarien  im  frühen  Mittelalter 
häufiger  Tor.  So  führt  das  ekronicon  Conradi  episc.  (ed.  Urstitius)  an:  dass  im 
XH.  Jahrhundert,  unter  den  übrige;i  reichen  Schätzen  der  Mainzer  Metropole,  der 
Schatz  daselbst  ein  grosses  goldenes  Christusbild  besass,  das  in  seinen  einzeben 
Theilen  lösbar  war  und  worin  eine  Menge  Reliquien  aufbewahrt  wurden. 

Für  das  Studium  der  verschiedenartigen  Darstellungsweisen  des  Gekreuzig- 
ten im  Mittelalter  ist  vom  höchsten  Belange  die  Auffassung  des  gekreuzigten  Hei- 
landes in  der  Weise,  wie  er  hier  bildlich  wiedergegeben  ist.  Derselbe  ist  offen- 
bar hier  künstlerisch  dargestellt  als  „Chrütus  regnans  et  triumphans  in  cruee^'; 
nach  dem  Spruche  der  h.  Schrift:  „^'  ascensus  Juero  in  crucem  omnia  ad  me  atrakam" 
steht  der  Gekreuzigte  auf  einem  Untersockel  mit  geradlinigt  ausgespannten  Armen. 
Die  Hände  und  Füsse  sind  nicht  mit  Nägeln  durchbohrt  Auffallend  ist  es,  dass 
hier  die  symbolische  Königskrone  auf  dem  Haupte  desjenigen  fehlt,  der  vom  Kreuze 
hernieder  die  Welt  regiert  Der  Gekreuzigte  trägt  überdies  eine  „^imica  inconsu' 
tilis^'j  die  in  leichtem  Faltenwurf  bis  zu  den  Füssen  heruntersteigt  und  deren  weite 
Aermel  nur  bis  zum  Unterarm  reichen.  Solche  Darstellungen  des  Gekreuzigten 
als  Christus  iogatus  oder  tunicatus  auf  eine  ideale  Weise  mit  dem  Leibrock  be- 
kleidet, anstatt  mit  dem  Lendentuch  (perizanium)^  finden  sich  seltener  vor.  Ueber 
dieses  seltenere  Vorkommen  gekleideter  Christusbilder  in  einer  langem  Tunica 
oder  einem  kleinem  Leibrock  ist  das  Nähere  in  der  Abhandlung  des  gelehrten 
Jesuiten  Charles  Cahier  zu  ersehen:  die  Darstellung  des  Gekreuzigten  vor  dem 
X.  Jahrhundert*)  Ein  anderer  französischer  Gelehrter,  J.  Lamie,  nennt  dieses 
Gewand  in  Form  einer  Tuniceila  an  alten  Christusbildem  vor  dem  X.  Jahr- 
hundert „yw/iewi"  (gonetta).  Lamie  citirt  mehrere  solcher  bekleideter  Crucifixe; 
auch  M.  Guenebald  führt  an,  dass  in  der  Kathedrale  von  Burgos  (Espagne  artistiqnt 
et  monumental)  sich  ein  Gemälde  mit  einem  solchen  bekleideten  Ghristusbilde  ehe- 
mals befand.  Wir  theilen  die  Ansicht  nicht,  die  von  Schaefer  in  einer  kleinen  Schrifi: 
„der  Hülfensberg  im  Eichsfeld,  1853'*  ausgesprochen  worden  ist,  dass  nämlich  die 
Bilder  und  Darstellungen  der  h.  Kumemus  ehemals  ältere  Cmcifixe  gewesen  seien, 
aus  einer  Zeit  vor  dem  X.  Jahrhundert,   wo   man  den  Heiland  nicht  nackt  am 


*)  Monges  d'arch^logie.  Tom.  I.  pag.  23S. 


£rr«  BiARIA  LYSKIRCHEN.  9 

Ereaze,  sondern  mit  einem  Leibroek  bekleidet  darzustellen  gewohnt  war.  Bei 
dem  Aufkommen  der  Christusbilder  mit  dem  Schürztuche  habe  man  aus  diesen 
gekleideten  Christusbildern  eine  Heilige  gemacht,  die  man  „Oncommera,  Wilge- 
fortis  liberata"  genannt  habe.  Diese  ebengedachte  gewagte  Hypothese  würde  sich 
durch  Belege  schwerlich  erhärten  lassen;  desgleichen  dürfte  auch  nicht  zugegeben 
werden,  dass  in  dem  vorliegenden  Christus  tutucatus  das  Bild  der  h.  Wilgefortis 
zu  finden  sei.  Denn  nicht  nur  gehört  die  Legende,  Darstellung  und  Abbildung 
der  h.  Eumemus*)  dem  spätem  Mittelalter  an,  sondern  das  vorliegende  Christus- 
bild entbehrt  auch  der  Krone  und  der  reichen  Fussbekleidung,  die  bei  der  Abbil- 
dung der  Wilgefortis  niemals  fehlen.  Noch  fügen  wir  bei  Beschreibung  dieses 
merkwürdig  bekleideten  Christusbildes  hinzu,  dass  die  t^tuniea",  wie  das  Bildwerk 
des  Gekreuzigten  sie  trägt,  ehemals  am  untern  Saume,  so  wie  an  der  Ausmündung 
der  Aermel  und  des  Halsausschnittes  mit  kleinen  Edelsteinen  verziert  war,  oder 
mit  schmalen  Bändern  von  Filigran,  die  abwechselnd  kleine  Rubinen  als  Ornamente 
zu  erkennen  gaben.  Sowohl  das  vorliegende  merkwürdige  Ereuz,  als  auch  das 
unter  No.  103  beschriebene  „evangelistarium"  stammen  aus  der  ehemaligen  Stifts- 
kirche von  St.  Georg  und  scheinen  in  den  Umwälzungen  zu  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts, um  sie  zu  retten,  in  die  Sacristei  von  Maria  Lyskirchen  übertragen  wor- 
den zu  sein. 

Da  dem  ebenbeschriebenen  Ereuze  nebst  seinem  merkwürdigen  Crucifix  in 
nächster  Zeit  eine  stylgerechte  Restauration  bevorsteht,  so  wäre  zu  wünschen,  dass 
bei  Vornahme  einer  solchen  keine  moderne  süssliche  Vergoldung  in  kalter  Weise 
diesem  seltenen  Vortragekreuze  gegeben  werde,  wodurch  demselben  der  althistorische 
Anhauch  und  somit  der  Beweis  des  Alterthums  benommen  würde,  sondern  dass, 
wenn  nun  einmal  heute  Vielen  die  „(lerugo  nohilis*'  des  alterthümlichen  Ereuzes 
nicht  mehr  gefallen  will,  unbedingt  reine  Feuervergoldung,  ohne  zu  grellen  Glanz 
und  Schimmer  angebracht  werde. 


105. 

Gefäss 

zur  Aufbewahrung '  der  heiligen  Oele.     Silbervergoldet. 

Hohe  27  CeDtimeter,  Duichmesser  des  Fusses  13  Vi  Centimeter.    XV.  Jahrhundert 

Von  den  wenigen  „piandes"  zur  Aufbewahrung  der  h.  Oele,  die  sich  heute 
noch  in  Eölnischen  Eirchen  erhalten  haben,  dürften  die  in  Bede  stehenden  „va^- 
(mla"  als  die  zierlichsten  und  formschönsten  betrachtet  werden.  Der  Fuss  ist  als 
sechstheilige  Rose  gehalten.  Auf  dem  schlank  ansteigenden  Halse  desselben  setzt 
sich  eine  glatte  Bohre,  im  Sechseck  gehalten,  an,  die  von  einem  zierlichen  Enopfe 


*)  Vergl.  acta  Ss,  der  BoUandisten  zum  20.  Juli. 


10.  8T.  ÜARIA  LYSKIRCHEN. 

als  Handhabe  unterbrochen  wird.    Diese  Röhre  verbreitet  sich  nach  oben  za  einer 
kleinen  ConsolCi  auf  deren  Fläche  einDreipass  aufliegt,  der  sich  über  den  Seiten 
eines  gleichschenkeligen  Dreieckes  entwickelt     In  den  spits&en  Winkeb  dieses 
Dreieckes  erblickt  man  ttbereck  gestellt  Widerlagspfeiler,  die  sich  nach  oben  za 
zierlichen  Fialen  yerjüngen.     Von  diesen  Fialen  aus  yerftsteln  sich  drei  Streben, 
die  sich  in  einem  Mittelpunkte  vereinigen  und  auf  ihrer  Spitze  eine  Laubconsole 
tragen»  auf  welcher  das  kleine  ciselirte  Standbild  eines  Heiligen  ersichtlich  ist 
Offenbar  stellt  dieses  Standbildchen  die  Figur  des  Apostels  Jacobus  vor,  der  in  sei* 
nem  Briefe  von  der  Spendung  des  Sacramentes  der  Oelung  bereits  im  apostolischen 
Zeitalter  beredtes  Zeugniss  ablegt    Bekanntlich  lautet  die  betreffende  Stelle  mit 
Bezug  auf  die  h.  Oelung  nach  der  Yulgata  wie  folgt:  jjnfi$*matur  aUqms  iniro- 
ducat  presbyteros  JEcclesiae  et  orent  super  eum  etc."     Die  h.  Oele  selbst  sind  in 
thurmartigen  kleinen  Behältern  aufgehoben,  die  auf  der  kleeblattfbrmigen  Grund- 
lage,  wie  oben  angedeutet,  halbkreisförmig  nach  drei  Seiten  ausladen.    Diese 
Thurmform   zur  Aufbewahrung  der  h.  Oele  findet  sich  im  ganzen  Mittelalter  Tor, 
und  scheint  darin  eine  symbolische  Hinterlage  zu  haben,  dass  die  consecrirten 
Oele    als   Stärkungsmittel   gleichsam   in   festen  Bollwerken   aufbewahrt  werden. 
Auf  der  äussern  Umrandung  dieser  runden  Thttrmchen  erheben  sich  kleine  dach- 
förmige Spitzen,  wodurch  diese  drei  Gefässe  wie  durch  Helme  abgeschlossen  wer- 
den.   Um  diese  Dachhelme  zu  veranschaulichen,  sind  dieselben  mit  einer  Menge 
Ziegel  in  Gravirungen  belebt,  die  den  Schuppen  des  Fisches  nicht  unähnlich  flber- 
einander  geordnet  sind.     Die  runden  Bauchungen  dieser  ssVasculu**  sind  gekenn- 
zeichnet durch  die  eingravirte  Bezeichnung  jener  Oele,  die  in  dem  betrefienden 
Gefässe  aufbewahret  werden.     So  liest  man  auf  dem  einen  Thttrmchen  „ofetoR 
mßrmorum",  auf  dem  andern  ftsaorum  oleum",  und  auf  dem  dritten  „s.  chrima,'^ 

Wir  tragen  kein  Bedenken,  dieses  schöne  und  seltene  Gefäss  vorkommen- 
den Falls  als  Mustervorlage  und  Modell  jenen  anzuempfehlen,  die  ein  neues  Gefäss 
zu  ähnlichen  Zwecken  anzufertigen  beabsichtigen. 

Aehnliche  Oelgefässe,  jedoch  nicht  in  dieser  reichen  Formentwickelung,  be- 
finden  sich  heute  noch  in  einigen  Kirchen  Westphalens  und  hat  Dr.  Giefers  in 
einem  früheren  Jahrgange  des  Organs  für  christliche  Kunst  eine  Beschreibung  und 
Abbildung  dieser  Salbgefässe  mitgetheilt 

Den  kirchlich  vorgeschriebenen  Gebsauch  dieser  h.  Oele  als  bekannt  vor- 
aussetzend, machen  wir  noch  darauf  aufmerksam,  dass  der  liturgischen  Vorschrift 
gemäss  diese  geweihten  Oele  unter  keiner  Bedingung  in  demselben  verschliess- 
baren  Räume  zugleich  mit  der  Eucharistie  aufbewahrt  werden  dürfen.  Um  aber 
dennoch  die  h.  Oele  würdig  und  verschliessbar  aufeuheben,  pflegte  man  im  Mittel- 
alter, dem  Sacramentshäuschen  gegenüber  an  der  Epistelseite,  meist  in  Nähe  der 
„Piscina",  ein  verschKessbares  Behälter  in  die  Mauerfläche  zu  vertiefen,  wo  das 
betreffende  Gefäss  mit  den  h.  Oelen  ehrfurchtsvoll  eingeschlossen  zu  werden  pflegte. 


ST.  MARIA  LYSKIRCHEN.  II 

106. 

Kniekissen 

in  vieirarbigem  Wollenstramin  gestickt. 

Länge  62  Centimeter,  Breite  52  Centimeter.     XVL  Jahxhandert. 

In  der  Pfarrkirche  „St  Maria  in  Ktore^'  haben  sich  heute  noch  mehrere  inter- 
essante Kniekissen  erhalten ,  die  zum  Belege  dienen ,  yon  welcher  artistischen 
Beschaffenheit  im  Mittelalter  die  „pulvinaria,  cussini"  gewesen  sind,  deren 
in  altem  Inventaren  so  oft  Erwähnung  geschieht  Ein  sehr  beschädigtes  Kissen 
daselbst  lässt  einen  „wilden  Buschmann^'  erkennen,  der  als  Wappenherold  zwei 
Wappenschilder  trägt  Dies  Haute-lisse-Oewebe  ist  offenbar  aus  dem  Schlüsse  des 
XV.  Jahrhunderts.  Ausserdem  befinden  sich  daselbst  noch  zwei  andere  Kniekissen, 
die  der  Zeitfolge  nach  etwas  jünger  zu  sein  scheinen  und  spätestens  aus  der  Mitte 
des  XVL  Jahrhunderts  herrühren  dürften.  Es  scheinen  dieselben,  nach  den  darauf 
befindlichen,  gestickten  Wappen  zu  schliessen,  ehemals  reichen  Patricierfamilien 
angehört  zu  haben,  welche  auf  denselben  beim  Gottesdienste  zu  knieen  pflegten. 
Was  die  Technik  dieser  interessanten  „plumatia**  betrifft,  so  sei  hier  bemerkt, 
dass  dieselben  auf  einem  groben,  aber  sehr  gleichmässig  gewebten  Leinenstramin 
im  regelmässigen  Kreuzstich  gestickt  sind,  wie  man  auch  heute  solche  Kniekissen 
noch  anzufertigen  pflegt  Die  Dessins  an  dieser  interessanten  Straminstickerei, 
vielleicht  der  ältesten,  die  in  dieser  Technik  sich  noch  in  Kölnischen  Kirchen  Tor- 
findet,  sind  als  Reminiseen^en  an  jene  Straminarbeiten  zu  betrachten,  die  sich  ftlr 
Teppiche,  Kniekissen  und  ähnliche  Wollenstickereien  Jahrhunderte  hindurch  als 
stereotyp  feststehende  Muster  erhalten  hatten.  Aehnliche  Dessins  fanden  wir,  aus 
dem  Beginne  des  XIII.  Jahrhunderts  herrührend,  an  einem  seltenen  Messomate 
im  ehemaligen  Benedictinessenstifte  Göss  bei  Leoben  in  Steiermark.*)  Auch  an 
Teppichen  und  Ueberzügen  des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  kommt  dies  eigen- 
thUmlich  quadratisch  geordnete  Muster  bei  der  Straminstickerei  in  Wolle  und  Seide 
immer  wieder  zum  Vorschein.  Wie  die  betreffende  Abbildung  das  veranschaulicht, 
sind  in  rombenförmgen  Einfassungen  jedesmal  kreuzweise  geordnete  Dessins  so  in 
Zickzackformen  immer  wiederkehrend  gestickt,  dass  die  Dessins  in  spitzen  und 
stumpfen  Winkeln  sich  brechen:  Musterungen,  die  für  die  Straminstickerei  äusserst 
geeignet  und  technisch  leicht  auszuftlhren  sind.  Auch  die  Farbenwahl  ist  eine 
solche,  dass  bei  dem  reichen  Wechsel  derselben  sie  nicht  zu  bunt  und  unruhig 
erscheinen.  Auf  den  beiden  mittleren  Einfassungen  ersieht  man  zwei  Wappen- 
schilder, mit  ihren  noch  gothisirenden  Helmzierden  und  umfassenden  Laubornamen- 
ten. Dieselben  enthalten  im  Innern  auf  Seide  gestickt  die  heraldischen  Abzeichen 
einzelner  Patricier  Köbis.  Die  originelle  Form  der  Wappenschilder  dient  zum 
deutlichen  Belege,  dass  diese  Kissen  erst  im  zweiten  Viertel  des  XVI.  Jahrhun- 
derts gestickt  worden  sind.    Bei  Anfertigung  ähnlicher  Kissen  zu  demselben  kirch- 


*)  Vgl.   unsere   Beschreibung   und  AbbUdung    dieser   in  Seidenstramin  gestickten  CapeUe  im 
3.  Jahrg.  der  Mittheilungen  der  K.K.  Centrulcommission  zur  Erhaltung  der  Monumente.    Wien  1858. 


12  ST.  MARIA  LYSKIBCHEN. 

liehen  Gebrauche  dürften  diese  schönen  Dessins  als  Mustervorbilder  festzuhalten 
sein,  anstatt  jener  schwulstigen  Stickereien  mit  naturalistisch  überladenen  und 
yerworrenen  Laubomamenten,  die  man  heute  nicht  nur  an  Sophakissen,  sondern 
auch  als  Kniekissen  fUr  den  Altar  zuweilen  antrifft. 

Ausser  den  eben  besprochenen  Kunstwerken  werden  in  der  Sacristei  von 
St.  Maria  Lyskirchen  noch  zwei  interessante  Fahnenkreuze  in  feuervergoldetem 
Bothkupfer  aufbewahrt ,  die  auf  der  einen  Seite  in  energischer  Grayirung  spat- 
romanische Ornamente  erkennen  lassen,  zugleich  mit  den  Emblemen  der  vier  Evan- 
gellsten  in  den  Kleeblattbogen  der  Kreuzbalken,  während  die  Kehrseite  des  Kreu- 
zes mit  Ornamenten  und  Zierrathen  aus  der  Spätgothik  ausgestattet  ist  Diese 
beiden  romanischen  Kreuze  aus  der  ebengedachten  Pfarrkirche  dtirften  die  ein- 
zigen Fahnenkreuze  in  Köln  sein,  die  aus  der  ersten  Hälfte  des  Xm.  Jalirhuu- 
derts  stammend  bis  heute  ihrem  primitiven  Zwecke  erhalten  worden  sind. 

Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  hiesige  Pfarrkirche  Maria  Lyskirchen, 
die  früher  „Unserer  Lieben  Frau  am  Ufer^*  hiess,  vor  dem  Ausbruche  der  fran- 
zösischen Beyolution  eine  grosse  Zahl  von  Kunstschätzen  des  Mittelalters  im  Be- 
sitze gehabt  habe.  Auch  Gelen,  der  unter  der  Ueberschrift  „thesaurus  sacer  B. 
M.  F.  m  liiore"  die  Kirchenschätze  der  besagten  Kirche  der  Reihe  nach  auf- 
zählt, spricht  nur  von  zwei  silbernen  Hierotheken,  in  denen  Reliquien  verschiedener 
Heiligen  deponirt  waren.  Unter  der  Rubrik  „monumenta  in  usu  ecclesiae^'  ftihrt  er 
ein  ausgezeichnetes  Gemälde  auf,  vorstellend  die  Beweinung  Christi  nach  der 
Kreuzabnahme,  das  hinsichtlich  seines  Kunstwerthes  zahlreiche  Beschauer  ange- 
zogen habe  und  J524  von  dem  Kölnischen  Senator  Gobelin  Schmitgen  der  be- 
treffenden Kirche  geschenkt  worden  sei. 


Druck  Ton  J.  B.  Hlrtchfeld  In  Leipiig, 


'Urs 

'S. 


& 


•SX 


•02. 


i 


§t.  "^Kaxia  in  6cr  ^c^nurgaffe 


(Jfam  #i  |antalMn.) 


Mittelalterliche  Kunstwerke  daselbst 

Saite 

107J  Reliquienschrein  des  h.  Albinus  (Protomartyr  Angliae)  mit  getriebenen 
Bildwerken  und  eingeschmelzten  Ornamenten.  XII.  Jahrh.  Taf.  XXXVIL 
Fig.  107 3 

108j  Reliquienschrein  enthaltend  die  Gebeine  des  h.  Maurinus  mit  vielen  Flach- 
gebilden und  figuralen  und .  omamentalen  Schmelzwerken.  XU.  Jahrh. 
Taf.  XXXVIIL  Fig.  108 11 

109)  Vortragekreuz  mit  vielfarbigen  incrustirten  Schmelzen.  Xu.  Jahrhundert 

Taf.  XXXIX.  Fig.  109 20 

110)  Altarkreuz  in  vergoldetem  Rothkupfer.  XIV.  Jahrh.  Taf.  XXXIX.  Fig.  HO    22 

1 1 1 )  Vorsatzkreuz  mit  starker  Feuervergoldung.  XV.  Jahrhundert  Taf.  XXXIX. 

Fig.  111 23 

112)  Getriebene    Statuette    der  Himmelskönigin   in  vergoldetem  Rothkupfer. 

XV.  Jahrhundert.  Taf.  XL.  Fig.  112    . 24 

112a)  Drei  Messgewänder  mit   gestickten  figuralen    Bildwerken.   XV.  Jahrh.    25 
Der  ehemalige  Schatz  der  Benedictiner  Abtei  von  St.  Pantaleon.  27 


107. 
Grosser  Reliqnienschrein 

mit  vielen  ciselirten  und  eingeschmelzten  Ornamenten^  enthaltend  die  Gebeine 

des  h.  Märtyrers  Albinus. 

Länge  IV2  Meter;  Breite  44  Gentimeter;  grOute  Höhe  62  Centimeter.  XII.  Jahrhundert. 

Unter  den  vielen,  heute  noch  erhaltenen  Beliquienschreinen  der  Erzdiöcese 
Köln  sind  wohl  mehrere  anzutreffen,  die  hinsichtlich  ihrer  metallischen  Beschaffenheit 
und  Ausdehnung  sowie  desReichthums  der  getriebenen  Arbeiten  einen  grösseren  Werth 
beanspruchen  dürften,  als  jenes  Schreinwerk  aus  der  ehemaligen  Abtei  von  St  Pan- 
taleon  aufzuweisen  hat,  worin  die  Gebeine  des  engländischen  Märtyrers  Albinus 
ruhen.  Hinsichtlich  der  edlen  Verhältnisse  und  der  trefflich  ausgeführten  einge- 
schmelzten und  ciselirten  Arbeiten  jedoch  durfte  der  Albinusschrein  nicht  leicht 
von  einer  andern  y^tumba^'  des  kölnischen  Erzstiftes  Übertreffen  werden. 

Hinsichtlich  der  Construction  und  äusseren  Eintheilung  der  „orea  Sti.  Atbim'" 
ist  anzuführen,  dass  dieselbe  das  Langschiff  einer  Basilica  ohne  Kreuzanlage  mit 
geradlinig  abschliessenden  Schmal-  und  Kopfthcilen  vorstellt.  Wir  beginnen  die 
Beschreibung  dieses  Prachtschreines  zunächst  an  jenem  Kopftheile,  der  ehemals 
in  getriebener  halberhabener  Arbeit  das  Standbild  jenes  Blutzeugen  Christi  zeigte, 
dessen  Ueberreste  in  dem  innern  Holzkasten  seit  dem  1 2.  Jahrhundert  eine  ehrfurchts- 
volle Aufbewahrung  gefunden  haben.  Zu  beiden  Seiten  dieses  getriebenen  Bildwerkes 
des  hl.  Albinus  erblickte  man  bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  kleinere  Bild- 
werke, nämlich  rechts  das  des  h.  Germanus,  Bischofs  von  Auxerre  und  links  jenes 
der  Kaiserin  Theophauia,  der  Mutter  Kaiser  Otto's  HL  Eine  kunstfeindliche  Zer- 
störungssucht, die  seit  den  Tagen  der  französischen  Revolution  bis  zu  den  zwan- 
ziger Jahren  dieses  Jahrhunderts  den  herrlichsten  Werken  der  Goldschmiedekunst 
ohne  Scheu  den  Krieg  erklärt  hatte,  ist  Ursache,  dass  nicht  nur  die  eben  gedachten 
in  Silberblech  getriebenen  Standbilder,  sondern  auch  mehr  als  zwanzig  grössere  und 
kleinere  in  edlem  Metall  getriebene  Heiligenfiguren  heute  an  dem  Albinus-Kasten 
gänzlich  verschwunden  und  verloren  gegangen  sind.  Die  unter  den  vielen  Rund- 
und  Kleeblattbogen  in  Oel  gemalten  Heiligengestalten  sind  auf  Kosten  einer  Bru- 
derschaft in  Uebereinstimmung  mit  den  betreffenden  Inschriften  auf  den  Bogen- 
blenden als  kunst-  und  werthlose  Surrogate  an  Stelle  der  alten  Flachgebilde  in 
neuester  Zeit  hinzugefügt  worden. 


4  ST.  MARIA  m  DEB  SCHNURGASSE. 

Die  Eingangs  gedachten  drei  Standbilder,  welche  den  einen  Eopftheil  zieren, 
ftUlten  die  entsprechenden  Räume  eines  Kleeblattbogens  aus,  der  durch  vier  mit 
reich  ciselirten  Capitälchen  bekrönten  Säulchen  in  drei  Felder  abgetheilt  wird.  Das 
über  diesem  Kleeblattbogen  befindliche  Giebelfeld  ist  ebenfalls  durch  drei  Halb- 
medaillons ausgefüllt  und  verziert;  in  der  Vertiefung  derselben  waren  ehemals 
kleinere,  in  Silberblech  getriebene  Halbfiguren  angebracht  und  zwar  an  den  klei- 
neren Halbkreisen  zur  Seite  zwei  adorirende  Engelsgestalten  und  in  der  Mitte  die 
Halbfigur  des  Heilandes  als  „mafestas  dominL" 

Dass  diese  heut  fehlenden  Halbbilder  früher  daselbst  ihren  Platz  gefunden 
haben,  bezeugt  eine  goldene  Inschrift  auf  blau  emaillirtem  Grunde,  die  folgendes 
Legendarium  enthält, 

Hunc  cui  se  donat^  dilectio  vera  coronat. 

lieber  diesem  Giebel  erhebt  sich  ein  breiter  profilirter  Abschlussrand,  der 
mit  vielen  ciselirten  und  eingeschmelzten  Ornamenten  kunstvoll  ausgestattet  ist. 
Der  äussere  Abschluss  dieses  Ziergiebels  wird  gebildet  durch  einen  reich  durch- 
brochenen und  äusserst  zart  ciselirten  Kamm,  der  ein  spätromanisches  Laubwerk  in 
Verbindung  mit  den  phantastischen  Gestalten  der  animalischen  Schöpfung  erkennen 
lässt.  Auf  der  Spitze  des  Giebels  erhebt  sieh  ein  Granatapfel  in  Gestalt  einer 
geschliffenen  Krystallkugel,  die  von  ciselirten  Laubomamenten  eingefasst  ist. 

In  den  vertieften  Bogenblenden  zu  Häupten  der  obengedachten  Stand- 
bilder befinden  sich  jetzt  noch  in  blauem  Schmelz  folgende  Inschriften:  f  -^/*a- 
nus  Protomartf/r  Anglorum,  femer:  Set  Germanus  und  endlich:  Theophanu 
imperatrix.  Unter  dem  obem  Abschlussrand  des  Giebels,  desgleichen  auch  über 
dem  untern  Fusssockel  ist  ein  schmaler  Abfassungsrand  in  vergoldetem  Kupfer- 
blech angebracht,  der  in  blau  eingeschmelzten  Versalbuchstaben  folgende  Lesung 
enthält: 

Iste  decens  locus  claudit  venerahile  corpus 
Anglia  quod  Romae  quod  Roma  rernisit  Agrippae, 
Primi  martyrio  florentis  in  orbe  Britatmo 
Nobilis  Albam,  quem  sanguis  candidat  Agni 

Eine  verwandte  omamentale  Eintheilung  und  Ausstattung,  wie  an  dieser 
schmäleren  Kopfseite  des  Albinuskastens ,  ist  in  ähnlicher  Anordnung  auch  an 
den  beiden  Langseiten  unseres  Schreines  eingehalten  worden.  Man  erblickte  näm- 
lich ehemals  unter  sechs  Kleeblattbogen,  wovon  jeder  eine  Spannung  von  20 V« 
Centimeter  hat,  gleichmässig  auf  beiden  Seiten  die  wahrscheinlfch  sitzenden  Bildwerke 
verschiedener  Heiligen,  deren  Andenken  in  der  Kölner  Diöcese  schon  im  1 2.  Jahrhun- 
dert in  hohen  Ehren  stand.  Die  Reihe  dieser  vorzugsweise  kölnischen  Kircheupatrone 
eröfhete  früher  auf  der  einen  Langseite,  der  Statuette  des  h.  Albinus  zunächst^ 
das  in  Silber  getriebene  Bildwerk  des  h.  Bischof  Martinus,  das  jetzt  wenig  künst- 
lerisch durch  ein  gemaltes  Bildchen  ersetzt  wird.  In  der  äussern  Umrandung  des 
darüber  befindlichen  Kleeblattbogens  liest  man  mit  Bezug  auf  dieses  letztgedachte 
Bild  folgende  Inschrift: 

Affer  Martine  coelestis  opem  medicinae. 


ST.  MARIA  IN  DER  SCHNUAOASSE.  5 

Der  Statuette  des  h.  Martinas  schloss  sich  an  das  sitzende  Bild  des  h.  Cunibertus, 
Erzbischofs  von  Köln,  dessen  Gebeine  in  der  gleichnamigen  Kirche  in  einem  gegen- 
wärtig seiner  reichen  Zierrathen  gänzlich  entblössten  Schreine  noch  aufbewahrt 
werden.  In  dem  betreffenden  Bogen  liest  man  ebenfalls  in  Versalien  folgende 
Inschrift  in  Gold  auf  blau  emaillirtem  Grunde : 

Nostra  salus  per  te  stat  sancte  pater  Kuniberte. 
Als  drittes  sitzendes  Standbildchen  reihete  sich  die  Darstellung  des  h.  Bischofs 
und  kölnischen  Stadtpatrones    Severinus  an;  das  Legendarium,  das  sich  in  dem 
einfassenden  Kleeblattbogen  in  eingeschmelzter  Arbeit  befindet^  lautet: 

Praesul  Agrippinae  rege,  pasce  gregem  Severine. 
Alsdann  folgte ,   als  vierte  Statuette ,  das  Bild  der  Himmelskönigin  y  auf  die  sich 
nachstehende  Inschrift  bezieht: 

Praesta  virgo  pia  lucem  cum  prole  Maria, 
Die  folgende  Inschrift  an  gleicher  Stelle: 

Ursula  ßos  urbis  es  subveniens  prece  turbis, 
besagt,  dass  unter  dem  betreffenden  Bogen  das  Bildwerk  der  h.  Ursula  thronte. 
In  der  sechsten  und  letzten  Bogenblende,   worunter  sich  ehemals  das  Bild  der 
h.  Cäcilia  befand,  liest  man  folgenden  leoninischen  Vers: 

Audiat  ante  thorum  Caecilia  dragrna  decorum. 
Wir  müssten  die  vorliegende  Schilderung  zu  weit  ausdehnen,  wollten  wir  ins  Ein- 
zelne gehend  die  reich  emaillirten  Musterungen  beschreiben,  welche  in  Weise  von 
rechteckig  länglichen  Plättchen  in  einer  Ausdehnung  von  6 — 7  Centimeter  den 
untern  Sockel  des  vorliegenden  Werkes  zieren.  Mit  Bezug  auf  diese  figuralen 
Schmelzwerke  mit  stets  wechselnden  Musterungen,  die  nicht  nur  dem  untern  und 
obem  Rande  des  Schreinwerkes  zum  Schmucke  dienen,  sondern  die  auch  die  Um- 
randung der  obem  Bedachungsfiächen  bilden,  bemerken  wir  nur  im  Vorbeigehen, 
dass  in  diesen  eingeschmelzten  Ornamenten  sich  die  Kunst  der  kölnischen  Email- 
leurs nicht  nur  hinsichtlich  der  Technik,  sondern  auch  der  Composition  auf  der 
Höhe  der  Entwickelung  und  Ausbildung  erkennen  lässt. 

Noch  sei  bemerkt,  dass  die  Künstler,  aus  deren  Händen  dieses  Meisterwerk 
der  Goldschmiedekunst  hervorgegangen  ist,  alle  jene  Bogenzwickel,  die  sich  bei 
dem  Zusammenstossen  der  verschiedenen  Kleeblattbogen  der  Langseiten  ergeben, 
mit  emaillirten«  kreisförmig  gebildeten  Medaillons  ausgeftlUt  haben,  die  auf  ver- 
tiefl;er  Fläche  in  blauem  Schmelz  die  sieben  Gaben  des  h.  Geistes  in  Gestalt  von 
stylisirten  Tauben  veranschaulichen.  Dass  diese  Thiergebilde  die  ^ydona  spiritus 
sancti"  versinnbilden,  geht  daraus  hervor,  dass  in  dem  jedesmaligen  darüber  be- 
findlichen Halbbogen  in  eingeschmelzten  Versalien  folgende  Inschriften  sich 
befinden:  Spiritus  sapientiae,  sjh  consilii,  sp.  intellectus,  sp.  pietatis,  sp,  scientiae, 
sp.  fortitudinisy    sp.  timoris  dandni. 

Es  erübrigt  hier  noch,  auf  die  in  Silber  getriebenen  Flachgebilde  aufmerk- 
sam zu  machen,  die  in  vier  rechteckig  länglichen  Füllungen  auf  jeder  Seite  den 
Flächen  der  Bedachung  zum  auszeichnenden  Schmucke  gereichen. 

Auf  der  linken  Seite  des  Schreines,  die  zunächst  unserer  Beschreibung  vor- 


6  ST.  MARU  IN  DER  SCUXUBGASSE. 

liegt,  erblickt  man  die  doppelte  Darstellimg  der  Taufe  und  des  Unterriebts  des 
h.  Märtyrers  Albinus.  Als  Erklärung  dieser  beiden  Scenen  sind  folgende  Hexa- 
meter zu  betrachten,  die  oben  und  unten  das  betreffende  Flachgebilde  abfassen 
und  umranden: 

f  Hie  informatur  Christique  ßde  solidatur 
Et  baptisatus  fit  agendo  justa  beatus. 
Das  zweite  Bas-Relief  zeigt  den  h.  Albinus,  von  Schergen  umgeben,  vor  dem  Rich- 
ter und  hat  darauf  folgende  Inschrift  Bezug: 

Martyr  discussus  et  nomen  dicet*e  jussus, 
Quaenam  sectetur  qualis  sit  et  unde  Jatetur. 
Wahrscheinlich  ist  früher  eine  Restauration  des  Schreines  vorgenommen  worden, 
bei  welcher  Gelegenheit  die  Reihenfolge  der  Inschriften  willkührlich  gestört  wor- 
den ist.  Wir  haben  in  obiger  Aufstellung  es  versucht,  die  Inschriften  mit  den  dar- 
gestellten Reliefs  auszusöhnen. 

Die  dritte  Scene  veranschaulicht  als  Flachgebilde  die  Geisselung  des  h.  Al- 
binus und  nimmt  darauf  Bezug  die  dabei  befindliche  Inschrift: 

Laetatur  caesus  fit  ei  protectio  Ihesus 
Fert  piagas  mitis  illatas  a  parasitis. 
Das  vierte  und  letzte  Relief  stellt  dar  das  Ende  der  Leiden  des  engländischen 
Glaubenshelden  und  seinen  Tod  durch  das  Beil  des  Henkers.    Die  darauf  Bezog 
nehmende  Inschrift  lautet: 

Impius  insontem  praecepit  scandere  montem 
Ense  cruentatur  et  in  aetheris  arce  locatur. 
Eine  gleiche  omamentale  Eintheilung  und  Ausstattung  bemerkte  man  ehe- 
mals an  der  rechten  Langseite  des  Schreines.  Leider  hat  dieselbe  aber  in  den 
Stünnen  am  Anfang  dieses  Jahrhunderts  sehr  gelitten,  so  dass  heute  diese  gedop- 
pelten emaillirten  Säulchen*),  die  früher  die  sechs  Kleeblattbogen  trugen,  nebst 
Gapitälen  und  Sockel,  dessgleichen  auch  die  sechs  sitzenden  Statuetten  in  getrie- 
benem Silberblech  abhanden  gekommen  sind.  Glücklicher  Weise  haben  sich  unter 
den  betreffenden  Bogen  in  eingeschmelzter  Arbeit  noch  sämmtlichc  Inschriften  er- 
halten, die  deutlich  besagen,  welche  Heiligenfiguren  in  diesen  Nischen  sich  in 
halberhabener  Arbeit  befanden.  Gleichwie  nämlich  verschiedene  Kirchenpatrcme 
des  alten  heiligen  Köln  als  Statuen  die  linke  Langseite  des  Schreines  schmückten, 
so  waren  auf  der  rechten  Seite  folgende  sechs  Hauptpatrone  von  köbischen  Stifts- 
und Pfarrkirchen  angebracht,  nämlich  die  h.  h.  Petrus,  Andreas,  Gereon,  Mauritius, 
Pantaleon  und  Georgius.  Die  diese  Namen  enthaltenden  sechs  Inschriften  der 
Kleeblattbogen  lauten: 

1)  Pastor  ovile  rege  Petre  XPO  prednce  rege. 

2)  Te  probat  Andrea  doctrina  crucis  tropkea. 


*)  Irren  wir  nicht,  so  haben  wir  in  einem  grösseren  deutschen  Museum  diese  Säulchen  wieder 
erkannt,  die  hinsichtlich  ihrer  Musterung  mit  den  eingeschmelzten  Motiven,  welche  eich  an  den  ver- 
schiedenen    Säulen   der  eben  beschriebenen  Langseite  Torfinden,  voUkommen  übereinstimmen. 


ST.  MARIA  IN  DER  SCHNUBGA8SE.  7 

5)  Hanc  Gereon  serva  quae  dat  tibi  vota  caterva. 

4)  Contere  Maurici  dux  bella  potens  inimici. 

5)  Victricis  potere  (?)  ßos  es  Pantaleon  alme, 

6)  Praestet  inte  mori  tua  mors  pretiosa  Georgi. 

Sowie  der  Goldschmied  durch  die  Kunst  des  Schmelzens  die  verschiedenen  Zwik- 
kel,  die  sich  beim  Zusammentreffen  der  Kleeblattbogen  auf  der  einen  Langseite 
ergeben,  durch  die  symbolische  Darstellung  der  Tauben  passend  ausgeMlt  hat;  so 
hat  er  parallel  an  derselben  Stelle  auf  der  entgegengesetzten  Langseite  des  Schrei- 
nes in  halben  Medaillons  sieben  Halbfiguren  in  eingelassenen  Füllungsschmelzen 
zur  Anschauung  gebracht,  die  als  allegorische  Figuren  die  Haupttugenden  reprä- 
sentiren  sollen,  welche  den  engländischen  Erzmärtyrer  in  seinem  Leben  besonders 
auszeichneten.  Die  Reihe  dieser  Tugenden  eröfinet  die  Ckaritas,  alsdann  folgen  die 
Humilitasy  ContinentiOy  Largitas,  Castitas,  Patientia,  Pax» 

In  Uebereinstimmung  mit  den  vier  oben  beschriebenen  Flachgebilden  der  einen 
Bedachungsfiäche  hat  der  Künstler  auch  die  entgegengesetzte  Fläche  zu  zieren  gewusst, 
und  zwar  mit  verwandten  Scenen  aus  dem  Leiden  und  der  Verherrlichung  des 
Heilandes.  Dem  Unterrichte  und  der  Taufe  des  h.  Albinus  steht  an  der  andern 
Seite  parallel  gegenüber  die  Geburt  des  Heilandes  und  die  andere  Scene:  der 
h.  Joseph  erhält  im  Traume  die  Weisung  des  Engels.  Zur  Erklärung  finden  sich 
dabei  folgende  Inschriften: 

Quem  sine  matre  pater  genuit  non  ex  patre  mater, 
Nascendi  Jura  mutantur  in  kac  geniturcu 
Alsdann  folgt  als  zweites  Flachgebilde  die  Kreuzigung  des  Heilandes  mit  den 
weinenden  Frauen  auf  der  linken  und  Johannes  und  Maria  auf  der  rechten  Seite. 
Unten  zu  den  Füssen  des  Herrn  erblickt  man  in  liegender,  flehender  Haltung  mit 
aufgehobenen  Händen  den  Donator,  nach  unserem  Dafürhalten  den  Abt,  unter 
dessen  Amtsführung  der  vorliegende  Schrein  angefertigt  worden  ist.  Die  einfas- 
sende Inschrift  lautet: 

Demta  restaurantur^  dolus^  ars  hostis  vacuantur. 
Dem  eben  gedachten  Relief  schliesst  sich  als  drittes  ein  anderes  an,  dajs,  in  Paral- 
lele mit  dem  Martyrium  und  dem  Heimgange  des  h.  Albinus,  den  Sieg  des  Hei- 
landes über  Tod  und  Hülle  darstellt.    Als  umschliessenden  Sinnspruch   liest  man 
zur  Seite  der  Auferstehung  des  Herrn  folgenden  Vers: 

Vlm  reprimens  ?nortis  XPC  surgit  leofortis 
Nil  corruptelae  referens  sed  regna  medeiae. 
Das  letzte  Basrelief,  das  als  achtes  in  der  Reihenfolge  die  linke  Bedachungs- 
seite ziert,  hat  zum  Gegenstande  die  Auffahrt  des  Herrn  am  Oelberg  mit  den 
zwölf  Aposteln  und  den  Herrn  in  seiner  Herrlichkeit,  wie  er  am  letzten  der  Tage 
als  Richter  und  Vergelter  wiederkehrt.  Darauf  beziehen  sich  diese  zwei  leonini- 
schen  Verse: 

Astra  Dens  scandit  suaque  magnalia  pandit 
Inde  reversurus  kominumque  repensa  daturus. 
Gleichwie  die  vordere  Hauptgiebelfronte  mit  einem  meisterhaft    ciselirten  Kamme 


8  ST.  MARIA  IN  DER  8CHNURGA8SE. 

verziert  ist,  so  gelangt  auch  die  Bedachungsfirste  der  Länge  nach  mit  einer  ähn- 
lichen durchbrochenen  Bekrönung  zum  Abschluss,  die  ebenfalls  wieder  das  conven- 
tionelle  spätromanische  Laubwerk  in  Verbindung  mit  den  phantastischen  Thierge- 
stalten  der  mittelalterlichen  Natursymbolik  erkennen  lässt. 

Wie  an  den  meisten  Reliquienschreinen  des  12.  Jahrhunderts  erheben  sich 
auf  der  Dachfirste  unseres  Reliquiars  jene  zierlichen  pomella  theilweise  aus  geschlif- 
fenen Bergkristallen,  theilweise  aus  den  reich  emaillirten  Knäufen  bestehend,  die, 
wie  früher  bemerkt,  als  Sinnbilder  der  Früchte  guter  Werke  zu  betrachten  sein 
dtlrften,  welche  als  Wohlgerüche  aus  dem  Grabe  der  Heiligen  zum  Hinmiel  aufeteigen. 

Nur  noch  einige  Worte  über  die  ornamentale  Ausstattung,  die  sich  ehemals 
in  der  Giehelfläche  des  hintern  Kopftheiles  befand.  Heute  ergiebt  sicli  an  dieser 
Stelle  nur  noch  ein  Vierpass-Medaillon  im  grössten  Durchmesser  von  34  Vs  Centi- 
meter,  das  ehemals  dazu  diente,  ein  getriebenes  Bildwerk  aufzunehmen.  Es  dürfte 
im  Hinblick  auf  die  übrigen  verwandten  Schreinwerke  der  Erzdiöcese  nicht  schwer 
fallen,  hier  anzudeuten,  welche  Heiligenfigur  in  getriebener  Arbeit,  dieses  eben 
gedachte  Medaillon  früher  ausgefüllt  hat.  Es  befand  sich  nämlich  in  diesem  Me- 
daillon das  Bild  des  Herrn  in  seiner  Herrlichkeit  als  Weltrichter,  oder  aber,  was 
wir  eher  anzunehmen  geneigt  sind,  die  sitzende  Statue  der  Himmelskönigin  mit 
dem  segnenden  göttlichen  Knaben. 

Schliesslich  sei  es  noch  gestattet,  über  den  künstlerischen  Werth  der  Fladi- 
gebilde  des  Albinusschreines  uns  kurz  zu  äussern,  und  die  Entstehungszeit  des- 
selben näher  festzustellen.  Die  Reliefs  auf  der  linken  Bedachungsseite,  aus  dem 
Leben  und  dem  Martyrium  des  Heiligen,  dessen  Gebeine  in  dem  scrinmm  ihre 
irdische  Ruhestätte  gefunden  haben,  zeigen  deutlich  jenen  charakteristischen  For- 
mentypus in  der  Composition,  so  wie  in  der  technischen  Ausführung,  welchen  wir 
an  den  steinernen  Heiligensculpturen  in  den  Vorhallen  romanischer  Kirchen  aus 
det  letzten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  wahrnehmen.  Man  sieht  es  diesen  kurz 
gedrungenen  Figuren  mit  einem  mittelmässigen  Verständniss  der  anatomisch  rich- 
tigen Körperverhältnisse  an,  dass  sie  nach  streng  hieratischen  Gesetzen  in  jener 
stereotyp  conventionellen  Weise  gebildet  worden  sind,  wie  die  Plastik  der  Byzan- 
tiner sie  in  ähnlicher  Stylisirung  schon  mehrere  Jahrhunderte  hindurch  zu  gestalten 
pflegte.  Im  Gegensatz  zu  diesen  Reliefs  auf  der  linken  Seite  des  Albinuskastens 
giebt  sich  in  den  Flachgebilden  auf  der  entgegengesetzten  Bedachungsseite,  welche 
einzelne  Momente  aus  dem  Leiden  und  der  Verherrlichung  des  Herrn  darstellen, 
nicht  nur  die  geläufigere  Hand  eines  andern  Künstlers,  sondern  auch  sogar  eine 
richtigere  Auffassung  des  Natürlichen  und  eine  grössere  Leichtigkeit  und  Zierlich- 
keit in  Behandlung  des  Faltenwurfs  zu  erkennen;  namentlich  macht  sich  das  an 
dem  Relief  der  Kreuzigung  des  Heilandes  und  an  der  Gruppe  der  drei  weinenden 
Frauen  bemerklich.  Aus  dieser  lebensfrischen  Auffassungs-  und  Darsteliungsweise 
im  Gegensatze  zu  den  mehr  geistig  erstorbenen  traditionellen  Gebilden  der  byzan- 
tinischen Kunstweise,  ersieht  man  es  deutlich,  dass  der  Durchbruch  einer  neuen 
Stylepoche,  die  von  einer  selbstständigen  germanisch-christlichen  Auffassung  des 
natürlich  Richtigen  bedingt  wurde,  im  Anzüge  ist  und  dass  die  Zeiten  nicht  mehr 


ST.  MABIA  IN  DEB  SCHNURGASSE.  9 

fem  sind,  wo  die  bildenden  Künste  die  engen,  von  dem  Orient  entlehnten  Fesseln 
brachen  und  sich  mit  grösserer  Freiheit  innerhalb  allgemeinerer  Stjlgesetze  zu 
bewegen  begannen.  Rechnet  man  zu  dieser  freieren  Composition  und  Behandlung 
der  vielen  figürlichen  Darstellungen  noch  die  reichere  Entwicklung  und  äusserst 
feine  und  technisch  gelungene  Ausführung  der  durchbrochenen  Kämme  und  Gräte, 
womit  der  Albinusschrein  auf  seinen  beiden  Giebeln  und  auf  der  Firste  seiner 
Bedachung  abgeschlossen  wird,  beachtet  man  endlich  die  äusserst  zierliche  Glie- 
derung und  Entfaltung  der  spätromanischen  Architektur  auf  den  beiden  Lang- 
seiten unseres  Schreinwerkes  un^  den  seltenen  Schmuck  der  vielgestaltigen  einge- 
schmelzten Ornamente;  so  dürfte  man  nicht  unschwer  zu  dem  Schlüsse  gelangen, 
dass  der  Albinusschrein  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  durch  die  kölnische 
confratemitas  aurifabrorum  Entstehung  gefunden  habe.  Diese  Folgerung,  die  sich 
aus  der  Betrachtung  der  vielen  charakteristischen  Einzelnheiten  des  reichen 
Schreiuwerkes  ergiebt,  wird  vollends  zur  historischen  Gewissheit  durch  die  authen- 
tischen Angaben  einer  alten  Chronik  von  St.  Pantaleon  erhoben,  welche  die 
Reihenfolge  der  Aebte  der  oben  gedachten  Abtei  und  die  wichtigsten  Begeben- 
heiten unter  der  Amtsführung  derselben  enthält  Es  wurde  uns  dieses  werthvoUe 
Manuscript  durch  das  freundliehe  Entgegenkommen  des  zeitigen  Pfarrers  von 
St.  Pantaleon,  der  überhaupt  mit  der  grössten  Gefälligkeit  und  Zuvorkommenheit 
bei  Beschreibung  und  Abbildung  der  Schätze  der  ehemaligen  Abteikirche  uns  hel- 
fend zur  Seite  stand,  zur  Benutzung  übergeben. 

Unter  Heinrich  von  Hüme,  der  als  erster  dieses  Namens  und  als  14.  Abt 
vom  Jahre  1169—1196  der  gedachten  Abtei  vorstand,  fUhrt  nämlich  die  obenge- 
dachte Chronik  wörtlich  an :  „Zur  grösseren  Ehre  dieses  Märtyrers  (des  h.  Albinus) 
und  um  die  Verehrung  desselben  zu  heben,  Hess  der  gedachte  Abt  auch  den 
neuen  Schrein  [tumba),  welcher  mit  Gold  und  Edelsteinen  reich  ausgestattet  ist 
und  in  welchem  jetzt  (zur  Zeit  des  Chronisten)  auch  der  Körper  des  h.  Märtyrers 
zum  Tröste  und  zum  Schutze  unseres  Klosters  ehrfurchtsvoll  bewahret  wird,  aus 
den  freiwilligen  Opfergaben  der  Gläubigen  herstellen,  zugleich  mit  der  silbernen  ver- 
goldeten Tafel,  welche  die  Bilder,  der  Apostel  darstellt.  "*) 

Eine  Druckschrift,  die  über  das  Leben,  die  Bekehrung,  die  Marter  und  die 
Wunder  des  h.  Albinus  von  einem  Zöglinge  der  Benedictiner-Abtei  St.  Pantaleon 
im  Jahre  1657  zu  Köln  („bei  den  Erben  Pitter  Overardt  unter  Sachsenhausen")  ver- 
öffentlicht wurde,  giebt,  wahrscheinlich  auf  ältere  Klosterurkunden  gestützt,  auf 
Seite  44  sogar  das  Jahr  an,  in  welchem  unser  Schrein  fertig  geworden  und  die 
Uebertragung  der  Gebeine  des  h.  Albinus  in  denselben  erfolgt  ist.  Die  hierauf 
bezügliche  Stelle  lassen  wir  hier  ihrem  Wortlaute  nach  folgen:  „Nachdem  nun  die 
h.  Reliquien  mit  grossem  Verlangen  und  Andacht  beschauet  und  verehret  worden, 


*)  Die  SteUe  lautet  ihrem  Wortlaut  nach  wie  folgt: 

Ad  majorem  etiam  ejusdem  Martyris  honorem  et  venerationem  memoratus  Abbas  noynm  tum- 
bam,  auro  gemmisque  non  mediocriter  excultam,  in  qua  etiaronum  corpus  ss.  Martjris  ad  Monasterij 
noBtri  solatium  aeque  ac  munimen  debite  as&ervatur,  una  cum  argentea  et  deaurata  illa  tabula  duode- 
cim  Apostolorum  Ima^inee  cxhibentc  fabricari  fecit. 

2 


10  ST.   MABU  IN  DER  SCHNURGASSE. 

seindt  sie  in  obgemeltem  zierlichen  Kasten  verschlossen  und  versiegeU  hineinge- 
legt worden,  welches  geschehen  im  Jahr  Christi  1186  unter  Philippo  von  Heins- 
berg, Erzbischoffen  zu  Collen  und  Henrico  dieses  Nahmens  dem  ersten  und  vier- 
zehnten Abbten  des  Klosters  zu  St.  Pantaleon.^' 

Wir  wollen  die  Beschreibung  des  Albinusschreines  nicht  zu  Ende  fiihren, 
ohne  vorher  noch  einige  geschichtliche  Nachrichten  über  das  Martyrium,  die  Er- 
hebung und  Uebertragung  dieses  Blutzeugen  hier  mitzutheilen.  Den  ehrwürdigen 
Traditionen  der  St.  Pantaleons- Abtei  zufolge  wurden  die  Reliquien,  welche  in  dem 
gedachten  Prachtschreine  eingeschlossen  sind,  sei|  den  frühesten  Zeiten  fortwährend 
als  die  irdischen  Ueberreste  jenes  h.  Märtyrers  Albanus  unbezweifelt  angenommen 
und  verehrt^  der  zu  Verula  in  England  in  Hardfordshire  zur  Zeit  Kaiser  Diocleüan's 
um  das  Jahr  303  als  erster  christlicher  Glaubensheld  und  Blutzeuge  die  Palme 
des  Martyriums  auf  englischem  Boden  errungen  hatte. 

Sowohl  die  oben  angeführten  Inschriften  auf  Email,  als  auch  ältere  Chro- 
nisten von  St.  Pantaleon  berichten  über  die  Translation  der  Reliquien  unseres 
,,pro(omartf/r  Angliae"  Folgendes:  Der  h.  Germanus^  Bischof  von  Auxerre,  der  auch 
in  Bild  und  Inschrift  auf  unserem  Schreine^  vorkommt,  habe  zur  Danksagung  für 
die  grossen  Verdienste,  die  er  sich  um  die  Kirche  Englands  durch  die  siegreiche 
Bekämpfung  der  dort  herrschenden  pelagianischen  In-lehre  erworben  hatte,  einen 
Theil  der  irdischen  Ueberbleibsel  des  h.  Albanus  erhalten.  Germanus  habe  später 
diese  Reliquien  mit  sich  nach  Ravenna  genommen,  wo  er  448  im  Gerüche 
der  Heiligkeit  gestorben.  Von  Ravenna  seien  dieselben  nach  Rom  gelangt 
und  dort  ehrfurchtsvoll  hinterlegt  worden.  Als  die  griechische  Kaisertochter 
Theophania,  die  Gemahlin  Otto's  II.,  im  Jahre  9S9  das  Grab  der  Apostelfllrsten  in 
Rom  besuchte,  sei  dieselbe  von  dem  damaligen  Papste  mit  den  Reliquien  des 
h.  Albanus  beschenkt  worden.  Theophania  habe  im  darauf  folgenden  Jahre  den 
theuien  Reliquienschatz  glücklich  über  die  Berge  bis  nach  Mainz  gebracht;  da 
erklärte  ihr  der  Mainzer  Erzbischof,  dass  in  einer  dortigen  Abtei-Kirche  die  Gebeine 
eines  anderen  h.  Albanus  ruhten  und  dass  in  späterer  Zeit  der  Gleichlaut  des 
Namens  zu  Irrthümem  und  Verwechslungen  Veranlassung  geben  dürfte.  Um 
solchen  ftlr  alle  Zukunft  vorzubeugen,  habe  mit  Einwilligung  der  Kaiserin  der 
Erzbischof  von  Mainz  die  Veränderung  des  Namens  Albanus  in  Albinus  vorge- 
nommen. In  die  Mauern  Köln's  eingezogen  habe  die  fromme  Kaiserin  ihren 
Schatz,  der  vom  Erzbischofe  Bruno,  dem  Bruder  Otto's  L,  begründeten  und  ao  sehr 
bevorzugten  Abtei  St.  Pantaleon  tibergeben.  So  ist  es  gekommen,  dass  seit  langen 
Jahrhimderten  den  grösseren  Theil  der  irdischen  Ueberreste  des  ereten  Glaubens- 
helden von  England  die  von  den  Ottonen  begründete  und  begünstigte  Abtei  von 
St.  Pantaleon  in  prachtvollem  Schreine  bewahrt,  während  der  kleinere  Theil  in 
der  berühmten  Albany-Abtei  zu  England  ehemals  in  hohen  Ehren  gehalten  wurde. 


ST.  MABIA  IN  DER  SCHNURGASSE.  1  1 

108. 
Reliqnienschrein 

in    vergoldetem    Rolhkupfer    mit    getriebenen     Basreliefs     und     vielen    einge- 
schmelzten und  ciselirten  Verzierungen. 

Grösste  Länge  1   Meter  30  Centimeter,  Breite  42  Centimeter,  Hühe  597*  Centimeter.  XII.  Jahrhundert. 

0 

Es  ist  in  der  That  zu  verwundem,  wie  die  Metallkünstler  im  Mittelalter  es 
verstanden,  bei  den  vielen  grossem  Reliquienschreinen,  die  das  h.  Köln  in  der 
letzten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  entstehen  sah,  innerhalb  der  stetigen  gege- 
benen Grundformen  eine  solche  Abwechselung  und  eine  solche  Fülle  von  decora- 
tiven  Einzelnheiten  zu  erreichen.  Auch  der  Schrein  des  h.  Maurinus,  der  unserer 
Beschreibung  vorliegt,  zeigt  im  Ganzen  und  Grossen  jene  Form,  die  bei  den  Reli- 
quienschrcinen  der  „confratemitas  aurtfabrorum^'  des  alten  Kölns  feststehend  war 
und  die  im  Wesentlichen,  wie  das  ein  Vergleich  der  beiderseitigen  Abbildungen 
ergibt,  mit  dem  Schreinwerke  des  h.  Albinus  übereinstimmt.  Nur  das  System 
der  Omamentation  ist  bei  beiden  ein  anderes.  Die  Profilirung  an  dem  Albinus- 
kasten  zeigt  eine  reichere  Gliedemng  und  Abwechselung  der  Formen,  als  das  an 
den  einzelnen  constructivenTheilen  des  Maurinuskastens  der  Fall  ist,  während  anderer- 
seits bei  letzterem  die  Omamentation  in  ihrer  technischen  Durchbildung  als  eine  ge- 
lungenere und  durchgebildetere  erscheint,  als  dies  bei  den  eingeschmelzten,  ciselirten 
und  getriebenen  Omamenten  des  Albinusschreines  der  Fall  ist.  Leider  sind  durch  die 
Unbilden  einer  sturmbewegten  Zeit,  wie  an  diesem  so  auch  an  der  „uma  sancti 
MauHfii"  alle  jene  getriebenen  sitzenden  Bildwerke  der  beiden  Kopf-  und  Lang- 
seiten gewaltsam  entfernt  worden,  indem  sie  das  Unglück  hatten,  von  einigem,  wenn 
auch  geringem  Silberwerthe  zu  sein.  Glücklicher  Weise  haben  sich  jedoch  auf 
den  beiden  Bedachungsfiächen  der  vorliegenden  „arca"  noch  alle  jene  Flachge- 
bilde ziemlich  unverletzt  erhalten,  die  in  artistischer  Beziehung  einen  Schluss  ziehen 
lassen,  von  welcher  Formausprägung  und  Stylisirung  jene  sitzenden,  heute  ver- 
schwundenen Bildwerke  gewesen  sind,  die  ehemals  die  jetzt  in  Oel  angestrichenen 
untern  Flächen  kunstgerecht  ausfüllten. 

Be^nnen  wir  im  Folgenden  die  kurz  gedrängte  Beschreibung  jener  Reliefs 
des  obera  Satteldaches  und  fügen  dann  schliesslich  hieran  die  Angabe  jener  Bild- 
werke, die  ehemals  in  den  Bogenblenden  unsere»  Schreins  thronten.  Die  Beda- 
chungsfläche veranschaulicht  plastisch  auf  der  linken  Langseite  in  fünf  übereck- 
gestellten Vierpassmedaillous  das  Martyrium  verschiedener  Heiligen  aus  der  aposto- 
lischen und  frühchristlichen  Zeit.  Diese  Martyrergeschichten  sind  zweifelsohne  als 
Parallelen  aufzufassen  zu  den  Leidensmomenten  des  h.  Maurinus,  die  ebenfalls  in 
sieben  Vierpassmedaillons  auf  der  entgegengesetzten  Bedachungsfläche  plastisch 
wiedergegeben  sind,  namentlich  in  einem  Relief  die  Scene,  wie  er  nach  der  Le- 
gende, betend  im  Vorhofe  der  Kirche  —  „m  atrio  eccle^'ae*'  —  den  Todesslreich 
von  seineu  Verfolgern  cmpiängt. 


12  ST.  MARIA  IN  DER  SCHNÜROA53E. 

Wir  versuchen  es  im  Folgenden  in  kurzer  Aufzählung  die  einzelnen  Marter- 
darstellungen in  Ettrze  anzudeuten; 

1.  Das  Martyrium  des  h.  Petrus.  In  den  offenen  Zwickeln,  die  sich  durch 
die  beiden  anschliessenden  Medaillons  ergeben,  zeigt  sich  oben  in  Kupfer  das  halb 
erhabene  allegorische  Bild  der  p^temperantia"  mit  dabei  befindlichem  energisch  ein- 
gravirtem  Spruchstreifen,  der  in  romanischen  Versalien  den  Namen  dieser  Cardinal- 
tugend  enthält.  In  dem  untern  Zwickel  ersieht  man  das  fiachgetriebene  Bild  des 
Apostels  Jacobus  mit  den  Worten  aus  seinem  Briefe  (I.  1.)  „Beatus  vir,  qui  suf- 
fert  tentationem.    .     .     .*' 

2.  Martyrium  des  h.  Bartholomäus.  Die  zur  Rechten  dabei  befindliche  Figur 
der  ijortiiudo''  hat  den  Blick  zur  Marterscene  hingewandt;  unten  sieht  man  das 
Halbbild  des  Evangelisten  Johannes,  der  da  sagt:  „Omne  quod  natiim  est  ex  deo, 
vincit  mundum"  (I.  Job.  4.) 

3.  Die  Steinigung  des  Protomartyrs  Stephanus. 

Die  ihn  auszeichnende  Tugend  der  „prudentia'*  erblickt  man  als  Flachgebild 
oben.  In  dem  untern  Zwickel  einen  Spruchträger  als  Papst  mit  der  Tiara  und  dem 
Pallium,  der  da  sagt:  „JSfcrft'  dei  camem  dominant'^ 

4.  Die  Märtyrerscene  des  h.  Laiirentius  (in  craticula.) 

Die  auszeichnende  allegorische  Tugend  nennt  sich  nach  der  Inschrift 
,Jiistitia**.  Der  untere  Spruchträger  giebt  in  der  y,sckeda"  die  Inschrift  zu  erkennen: 
„Si  quid  patimini  propter  Justitium  beati.**  (I.  Pet.  HI,  14.) 

5.  Das  Martyrium  des  h.  Vincentius  (?).  In  dieser  Scene  wird  plastisch  ver- 
anschaulicht der  Heimgang  eines  Märtyrers,  der  durch  das  Schwert  des  Renkers 
die  Palme  des  Lebens  empfängt.  Da  sich  des  beengten  Raumes  wegen  die  er- 
klärenden Legendarien  nicht  dabei  befinden,  so  haben  wir  angenommen,  das^s  in 
Uebereinstimmung  mit  den  Marterscenen  der  bekannten  Diakonen  Stephanus  und 
Laurentius  hier  die  Leidensgeschichte  des  dritten  Diakonen  Vincentius  veran- 
schaulicht werde. 

Bezugnehmend  auf  diese  ftinf  Marterscenen  aus  dem  apostolischen  Zeitalter 
liest  man  in  dem  untern  Abfassungsrande  folgende  Iconinischen  Verse: 

Exemplo  Christi  patiendo  propensius  isti 

Indeßnitae  captarunt  gaudia  vitae. 
Auf  der  rechten  Seite  dem  Martyrium  des  h.  Petrus  gegenüber: 

6.  Die  Enthauptung  des  h.  Paulus. 

7.  Die  Leidensgeschichte  41es  h.  Andreas. 

8.  Das  MartjTium  des  h.  Maurinus,  der  als  Abt  mit  dem  Pedum  und  be- 
kleidet mit  der  GucuUa  im  Vorhofe  der  Kirche  betend  dargestellt  ist  in  dem 
Augenblicke,  wo  er  von  seinen  Verfolgern  erreicht  wird. 

9.  Das  Martyrium  des  h.  Johannes  (in  dolio). 

10.  Die  Märtyrergeschichte  eines  Heiligen,  dessen  Bestimihung  der  unge- 
wohnten Darstellung  wegen  mit  Schwierigkeit  verbunden  sein  dUrftie.  —  In  den 
offenen  Zwickelflächen,  die  sich  bei  Zusammenftlgung  der  5  Medaillons  ergeben, 
bat   der  Künstler  getriebene  Halbfiguren    in  Gestalt   von  Engeln   und  Heiligen, 


ST.  MARIA  m  DER  SCHNURGASSE.  13 

Spruchbänder  tragend  als  Basrelief  dargestellt,  die  in  den  betreffenden  Phylak- 
terien  keine  Inscbriften  zum  Vorschein  treten  lassen.  Aus  diesem  Umstände  dürfte 
schon  gefolgert  werden,  dass  dieser  weniger  verzierte  Theil  ursprünglich  wohl  als 
Bttekseite  des  Kastens  betrachtet  worden  sei.  Auch  diese  Flachgebilde  finden 
eine  Deutung  in  dem  Spruche,  der  als  Abfassung  des  untern  Randes  folgenden 
Wortlaut  ergiebt: 

Isti  sunt  sancti  Jamulantes  rite  tonanti 
Qui  captant  vitam  preciosa  mofte  beatam. 
Hinsichtlich  des  künstlerischen  Werthes  der  sämmtlichen  ebengedachten 
Flachgebilde  muss  angeführt  werden,  dass  8  Basreliefs  von  einer  und  derselben 
Hand  herrühren  und  sowohl  in  Composition  als  technischer  Durchi\lhrung  dasselbe 
Stylgepräge  zu  erkennen  geben,  welches  sich  an  den  Flachgebilden  des  Albinus- 
kastens  zeigt.  Die  letzten  Flachgebilde  jedoch  verrathen  ein  anderes  Stylgepräge 
und  einen  andern  ausführenden  Künstler,  der  hinsichtlich  der  Composition  und 
der  technischen  Ausführung  eine  freiere  Durchbildung  der  Form  und  einen  hohem 
Standpunkt  in  der  Plastik  eingenommen  zu  haben  scheint,  als  das  bei  seinem 
Vorgänger  der  Fall  ist.  Gehen  wir  nach  dieser  flüchtigen  Beschreibung  der  obem 
Bedachungsflächen  zur  Angabe  der  Ornamente  über,  die  ehemals  den  beiden 
Langseiten  unseres  Reliquiars  zum  plastischen  Schmucke  gereichten,  so  muss  auch 
hier  wieder  gesagt  werden,  dass  der  Quasten  des  Anstreichers  in  einem  erlogenen 
Marmor  jene  Innern  Räume  ärmlich  ausgestattet  hat,  die  ehemals  durch  getriebene 
Bildwerke  in  dem  schwierigen  opus  propuUatum  ausgefüllt  waren.  Analog  mit  den 
meisten  grösseren  Reliquiarien  der  Erzdiöcese  Köln  thronten  innerhalb  der  Bogen- 
blenden auf  den  beiden  Langseiten  unseres  Maurinuskastens  die  12  Apostel,  denen, 
um  die  Siebenzahl  der  Bogen  auf  jeder  Seite  auszufüllen,  auf  der  einen  Seite  noch 
das  Standbild  des  h.  Johannes  des  Täufers  und  auf  der  andern  das  des  Apostels 
Paulus  beigefügt  war.  Auf  der  linken  Seite  befanden  sich  von  reich  emaillirten 
Bogenblenden  umschlossen,  folgende  sitzende  Apostelbilder  in  halb  erhabener  Ar- 
beit, deren  Namen  im  blau  emaillirten  Abschlussstreifen  oberhalb  der  Bogenwöl- 
bung  in  dieser  Reihenfolge  zu  lesen  sind. 

Sanctus  Johannes  Baptista,  Sanctus  Petrus,  Sanctus  Andreas,  Sanctus  Jacobus, 
Sanctus  Johannes,  Sanctus  Philippus,  Sanctus  Thomas, 

Parallel  mit  diesem  obem  Einfassungsrande  läuft  auf  dem  Untersatz,  auf 
welchem  sich  die  Sockel  der  Bogenpfeiler  erheben,  ebenfalls  in  vergoldeten  Ver- 
salien auf  blau  emaillirtem  Grund  eine  Inschrift,  die  Bezug  nimmt  auf  den  h.  Mär- 
tyrer Maurinus,  dessen  Gebeine  im  Innern  dieses  Prachtschreines  eine  ehrenvolle 
Beisetzung  gefunden  haben.    Dieselbe  lautet: 

f  Eamvias  hominis  ponens  Maurinus  in  imis 
Conditur  hac  uma  cui  gloria  pax  diutuma 
Compar  eis  f actus  quos  mors  decoravit  et  actus 
Lumen  Agrippinae  decus  ac  tutor  sine  fine. 
Wir  befürchten  unserer  Beschreibung  eine  zu  weite  Ausdehnung  zu  geben, 
wenn  wir  ausführlicher  den    grossen  Reichthum    an    eingeschmelzten    und   ein- 


14  ST.  MARIA  IN  DER  SCHKUBGASSE. 

gravirten  YerzieruDgen  kennzeichnen  wollten.  Mit  solchen  hat  das  schaffende 
Talent  des  Künstlers  nicht  nur  die  Flächen  der  Pilaster,  sondern  auch  die 
Bogenwinkel  ausgefüllt,  die  durch  die  Arkadenstellung  sich  auf  jeder  Seite  erge- 
ben. Auch  ein  ungeübtes  Auge  wird  bei  Besichtigung  dieser  vielen  Ornamente 
zugeben  müssen,  dass  das  vorliegende  Schreinwerk  gleichsam  als  Mustersammlung 
der  verschiedenartigen  eingeschmelzten  Motive  zu  betrachten  sein  dürfte,  welche 
am  Schlüsse  der  romanischen  Kunstepoche  bei  den  kölnischen  Schmelzwerken 
in  Gebrauch  waren.  Namentlich  in  den  Bogenwinkeln  kommt  ein  überaus  reiches 
Ornament  in  vielfarbigen  Schmelzen  zur  Entfaltung,  welches  in  den  8  Zwickeln 
der  Bogenstellung  einmal  als  Pflanzenomament,  das  andere  Mal  als  figurale  Dar- 
stellung auftritt.  Mit  den  figuralen  Ornamenten  abwechselnd  ersieht  man  nämlich 
auf  der  Langseite  links  als  Halbfiguren  von  stylisirten  Wolken  getragen  die  Bil- 
der dreier  Engelsgestalten,  die  in  breiten  Phjlakterien  folgende  leoninische  Verse 
zu  erkennen  geben: 

1 .  Voce  fide  vita  quasi  veste  nitent  polimita. 

2.  Portae  bis  senae  gemmae  sunt  hae  duodenal 

3.  Hae  nubes  coeli  rorantes  imbre  fideli. 

Gleichwie  die  linke  Langseite  des  Schreines  durch  den  Schmuck  getriebener 

sitzender    Bildwerke    gehoben   wurde,    so    fehlten,  um    die    Reihe    der   Apostel 

auszufüllen,  diese  getriebenen  Statuen  auch   nicht  der  rechten  Langseite  unserer 

arca.    Den  in  Schmelz  eingelassenen  Inschriften  zufolge  ersah   man  ehemals  in 

^    den  gleichartigen  Bogennischen  folgende  Bilder  der  Apostel: 

St.  Paulus,  St.  Jacobus,  St.  Matthaeus,  St.  Siman^  St.  Thaddaeus,  St.  Bartho- 
lomaeus,  St.  Matthias. 

Die  Legendarien  der  Engelsgestalten  in  den  betreffenden  Bogenansätzen 
lauten  wie  folgt: 

4.  Quam  bene  pugnarunt  qui  camem  mortißcarunt. 

5.  Jam  meritis  tuti  cangaudent  came  soluti. 

6.  His  honor  impensus  redditur  post  funera  census. 

Auch  die  rechte  Langseite  wird  durch  emaillirte  Spruchstreifen  in  ähn- 
licher Weise  abgeschlossen,  wie  das  auf  der  linken  der  Fall  ist.  Dieselben  be- 
ziehen sich  dem  Anschein  nach  auf  die  Verherrlichung  jenes  MärtjTcrs,  dessen 
Gebeine  der  Schrein  umschliesst.  Leider  ist  in  der  Zerstörungsepoche  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  ein  Theil  dieser  einfassenden  Legeudarien  verloren  gegangen, 
so  dass  hier  betreffs  der  Ergänzung*)  zu  einer  Conjectur  geschritten  wurde.  Der 
eine  leoninische  Vers  lautet  noch  wie  folgt: 

In  Domino  plaudit  quem  praesens  (arcula  cUtudit) 

Es  fehlt  nun  weiter  der  grössere  Theil  eines  Hexameters,  der  mit  folgenden 
noch  erhaltenen  Worten  schliesst: 

(Linquens  serviles  sedes)   ingressus  herilcs. 


*)  Wir  geben  diese  Ergänzung  in  Klammer,  wie  sie  von   sachkundiger  Hand  aufgestellt  wurde. 


ST.  MASIA  IN  DER  SCHNUBOASSE.  15 

Auf  diesen  Schlusssatz  nehmen  Bezug  folgende  2  Hexameter,  die  noch  in  ihrer  Voll- 
ständigkeit erhalten  sind. 

Per  cujus  merita  veniat  pax  gratia  vita 

Edituis  cincrum  per  tempora  longa  dierum. 
Auch  an  den  beiden  Kopftheilen  fehlen  heute  die  in  Silber  getriebenen  Flachge- 
bilde, die  ehemals  dem  Maurinusschreine  zum  auszeichnenden  Schmucke  gereichten. 
Noch  haben  sich  glücklicher  Weise  in  den  breiten  Kleeblattbogen  einzelne  Reste 
von  Inschriften  erhalten,  welche  die  figürlichen  Darstellungen  jener  vordem  Schmal- 
seite, der  zunächst  das  Haupt  unseres  Märtyrers  ruhte,  grössten  Theils  errathen 
lassen.  In  der  mittlem  breiten  Bogenspannung  ersieht  man  nämlich  in  Schmelz 
eingelassen  den  Schluss  des  bekannten  Hierogramms  ASii  wenn  auch  das  dazu 
gehörige  Alpha  fehlt,  so  dürfte  jenes  Zeichen  in  der  obem  Rundung  des  mittlem 
Bogens  doch  als  Beleg  zu  betrachten  sein,  dass  unter  demselben  als  opus  productile 
das  stehende  Bild  des  Heilandes,  die  bekannte  Majestas  Domini  thronte,  der  als 
Vergelter  zu  der  zu  seiner  Rechten  befindlichen  Statue  des  h.  Maurinus  gewandt, 
jenes  bekannte  „Euge  serve  bone"  der  Schrift  zu  sprechen  schien.  Zur  Linken 
des  Herrn  in  seiner  Herrlichkeit  war  ehemals  ein  anderes  Flachgebilde  ersichtlich, 
dessen  Bezeichnung  in  dem  darüber  befindlichen  Bogenabschnitt  gegenwärtig  fehlt 
Die  entsprechende  Bogenblende,  die  sich  an  dem  hintern  Kopftheile  ergibt  und  die 
heute  ihres  figuralen  Schmuckes  ebenfalls  beraubt  ist,  dürfte  nach  Analogie  form- 
und  stylverwandter  Reliquienschreine  zu  urtheilen,  mit  dem  sitzenden  Bildnisse 
der  Himmelskönigin,  auf  dem  Schoosse  das  göttliche  Kind  tragend,  ausgeftlllt 
gewesen  sein.  Zufolge  der  noch  erhaltenen  Inschriften  in  Email  erblickte  man 
ehemals  zu  beiden  Seiten  der  ebengedachten  Statue  die  stehenden  Bilder  des 
h.  Bruno'*')  und  des  h.  Laurentius  als  Basreliefs. 

Wir  haben  im  Eingange  schon  darauf  hingewiesen,  dass  nicht  nur  sämmtliche 
Emails,  sondern  auch  die  vielen  getriebenen  Arbeiten  eine  Höhe  der  technischen 
Vollendung  erkennen  lassen,  wie  sie  an  wenigen  ähnlichen  Reliquiarien  aus  dem 
Schluss  des  12.  Jahrhunderts  vorkommt.  Das  Gleiche  gilt  auch  hinsichtlich  der 
ä  jour  durchbrochenen  Kämme,  mit  welchen  nicht  nur  die  beiden  Giebelfronten 
der  Schmalseite,  sondern  auch  die  Bedachungsfirste  auf  das  Reichste  veraiert  sind. 
In  den  Schmuckkämmen  auf  den  beiden  Frontgiebeln  ersieht  man  nicht  nur  eine 
äusserst  delicat  ausgeführte  Durchbrechung  und  Ciselirung  jenes  conventionell 
stylisirten  Laubwerkes,  welches  für  die  spätromanische  Kunstepoche  charakteri- 
stisch ist,  sondern  an  diesem  Kamme  wechseln  ab,  was  seltener  vorkommt,  klei- 
nere birnförmige  Ornamente  nebst  eingelassenen  vielfarbigen  Schmelzen  mit  jenen 
kleineren  y,pomella'^  in  Krystall,  wie  sie  auch  auf  der  Bekrönung  der  Firste  in  grosser 
Zahl  angebracht  sind.  Ehemals  erhielten  die  beiden  Frontgiebel  einen  noch  rei- 
chern Abschluss  durch  ein  heute  fehlendes  zierliches  Pflanzenomament ,  das  in 
schöner  Stylisirung  noch  in  der  Mitte  des  Kammes  sich  erhebt  und  welches  ehe- 


*)  Für  die  HeUigengeschichte  der  Erzdiöcese  Köln  durfte  das  Vorkommen  des  „Sanctus  Bruno 
jirchiepiscoptu"  von  grossem  Interesse  sein. 


16  ST.   MABIA  IN  DES  SCHNUB6ASSE. 

mals  kleinere  Erystallpasten  als  Aepfelehen  auf  seinen  Spitzen  verzierten.  Es  erübrigt 
noch  auf  die  vier  grossen  eingeschmelzten  Bildwerke  aufmerksam  zu  machen,  mit 
welchen  die  vier  9  Centimeter  breiten  und  28 '/»  Centimeter  langen  Pilaster  geziert 
sindy  welche  auf  den  4  Ecken  der  Langseite  die  beiden  Bedachungsflächen  zu 
stützen  und  zu  tragen  scheinen.  Zu  beiden  Seiten  des  Vordertheiles,  wo  das 
Haupt  des  h.  Maurinus  ruht,  gewahrt  man  die  Reprliscntanten  der  neun  Chöre 
der  Engel,  nämlich  den  ordo  der  Seraphim  und  den  der  Cherubim.  Um  die 
Geistigkeit  ihres  Wesens  auszudrücken,  stellte  die  lateinische  Kunst  wie  die  grie- 
chische im  AnschluBS  an  die  h.  Schrift  meistens  die  Seraphim  und  Cherubim  als 
k^antBQOL  dar  und  zwar  in  der  Weise,  dass  die  6  Flügel  den  Ober-  und  Unter- 
körper dieser  Engelsgestalten  so  verdecken  und  umhüllen,  dass  nur  Gesicht,  Hände 
und  Füsse  zum  Vorschein  kommen.  Um  die  Engel  als  reine  geistige  Wesen 
denen  die  körperliche  Schwere  abgeht,  anzudeuten,  hat  die  Kunst  der  Grie- 
chen meistens  die  Seraphim  und  Cherubim  auf  geflügelten  Rädern  dargestellt,  ein  Sym- 
bol, das  auch  an  den  vorliegenden  eingeschmelzten  Figuren  in  Anwendung  gebracht 
worden  ist.  An  der  untern  Seite,  in  der  Gegend  wo  die  Füsse  unseres  Märtyrers 
ruhen,  hat  der  Schmelzkünstler  auf  den  beiden  breiten  Pilastern  die  figürlichen 
27  Centimeter  grossen  Darstellungen  der  beiden  Erzengel  Michael  und  Gabriel  zur 
Anschauung  gebracht.  Der  h.  Michael,  in  lange  faltenreiche  Gewänder  gehüllt, 
trägt  nach  der  Anschauungsweise  der  Byzantiner  in  der  einen  Hand  als  Zeichen 
der  Macht  und  der  Herrschaft  den  Globus,  während  er  in  der  Rechten  den  Lilien- 
scepter  hält.  Diesen  „Gilgen^'  trägt  auf  der  entgegengestellten  Seite  auch  der 
Erzengel  Gabriel,  während  seine  andere  Hand  eine  Spruchrolle  mit  den  An- 
fangsworten der  Verkündigung  ^,Ave  Maria  gratia  plena"  hält.  Was  die  Technik 
dieser  vier  grossen  Emailbilder  betrifft,  so  fügen  wir  hier  hinzu,  dass  nicht  nur 
diese  4  Bildwerke,  sondern  auch  die  übrigen  eingeschmelzten  stylisirten  Pflanzen- 
und  Thieromamente  sowohl  an  dem  Maurinuskasten  als  auch  an  dem  vorhin  be- 
schriebenen Albinusschreine  durchaus  der  Confratemität  der  kölnischen  Schmelz- 
wirker angehören,  deren  grossartig  schaffende  Thätigkeit  in  die  letzte  Hälfte  des 
12.  Jahrhunderts  fUllt.  Der  Schmelz  selbst  gibt  sich  als  ein  farbig  geschwängerter 
Glasfluss  zu  erkennen,  der  durch  Zusatz  von  Bleioxyd  undurchsichtig  und  matt 
gemacht  worden  ist,  während  die  übrigen  Schmelze  vor  dem  10.  Jahrhun- 
dert und  nach  dem  14.  Jahrhundert  ohne  Zusatz  von  Bleioxyd  in  der  Begel 
als  durchsichtige  farbige  Glassflüsse  (translucide)  zu  betrachten  sind.  Sämmtliche 
eingeschmelzte  Arbeiten,  sowohl  figürliche  als  omamentale  an  dem  Maurinus-  wie 
an  dem  Albinusschreine,  sind  ferner  als  in  eine  dicke  Kupferfläche  vertieft  einge- 
lassene Füllungsschmelze  (emaux  champleves)  zu  betrachten  im  Gegensatze  zu  den 
älteren  und  kostbarem  Zellenschroelzen  (hnavw  cloisormes),  welche  der  Kunst 
der  Byzantiner  vorzugsweise  angehören.  Betreffs  der  Farbentöne,  die  den  ebenge- 
dachten opera  smalti  zum  Schmucke  gereichen,  ftlgen  wir  noch  hinzu,  dass  an 
diesen  beiden  Reliquienschreinen  jene  Farbennüancen  sich  ergeben,  wodurch  die  kölni- 
sche Schule  der  Schmelzwirker  sich  charakteristisch  auszeichnet.  Es  finden  sich  näm- 
lich als  dominirende  Farben  vor  ein  weissliches  Blau,  das  die  Scala  bis  zum  dunkel- 


ST.  MARIA  IN  DER  SCHKURGASSE.  17 

blau  durchläuft;  neben  diesem  Blau  zeigt  sich  überall  ein  allmäliges  Wach- 
sen der  Farben  vom  Dunkelgrün  bis  zum  hellen  Seegrün  >  das  bis  zum  Gelb 
gehellt  wird.  Ausserdem  tritt  auch  zu  diesen  eben  gedachten  Farbtönen  noch  jenes 
schöne  und  seltene  Braunroth  hinzu,  dessen  Zubereitung  unter  allen  Smal- 
ten  die  kostspieligste  war.  Wir  dürfen  es  nicht  unterlassen  bei  Beschreibung  des 
in  Bede  stehenden  Maurinusschreines  noch  auf  eine  merkwtlrdige  eingravirte 
Arbeit  aufmerksam  zu  machen,  die  als  Ornament  auf  dem  untern  breiten  Fuss- 
sockel  des  Schreines  sich  befindet.  Der  Meister  und  seine  Schule,  von  denen  das 
vorliegende  Prachtwerk  der  religiösen  Goldschmiedekunst  herrührt,  verschmähte 
es,  nicht  die  eigene  Ehre  suchend,  seinen  und  seiner  Gesellen  Namen ,  wie  das  erst 
seit  den  modernen  Zeiten  an  ähnlichen  Kunstwerken  Brauch  ist,  in  dem  Sockel 
des  Fusses  auf  die  Nachwelt  zu  bringen.  Nur  die  Namen  und  die  Fortraits  vielleicht  des 
zeitlichen  Abtes  und  des  Priors,  in  deren  Auftrag  das  Kunstwerk  entstand,  hat  der 
Künstler  in  zarter  Gravur  mitten  auf  der  linken  Langseite  dargestellt.  Man  erblickt 
hier  das  Brustbild  eines  Abtes,  der  mit  erhobenen  Händen  zu  dem  Schutzpatron 
fleht,  dessen  Bild  in  der  obem  Rundbogennische  ehemals  in  halbgetriebener 
Arbeit  angebracht  war.  In  der  Scheda  zu  Häupten  dieses  Abtes ,  als  donator, 
liest  man  in  romanischen  Versalien  den  Namen:  Fridericus.  Ihm  gegenüber  zeigt 
sich  links  das  der  Länge  nach  als  supplex  in  flehender  Stellung  befindliche  Bild 
des  damaligen  Priors,  den  die  Inschrift  in  der  Spruchrolle  nennt :  Herlivus  prior. 
Mit  der  Rechten  hält  dieser  einen  grossen  Spruchstreifen,  auf  welchem  in  Abkür- 
zung die  Worte  zu  lesen  sind:  Jok  (annes)  ora  pro  me.  Wir  lassen  es  dahingestellt 
sein,  ob  unter  diesen  beiden  Gestalten  jener  Abt  und  jener  Prior  veranschaulicht 
werden  sollen,  unter  deren  Amtsführung  der  vorliegende  Prachtschrein  Entstehung 
fand.  Der  fragliche  Abt  Fridericus  und  sein  Prior  Herlivus  sind  nämlich  in  der  Ordens- 
tracht der  Benedictiner  dargestellt.  Herlivus  trägt  als  Obergewand  die  cuculla 
manachojmmj  nämlich  jenes  Ordenskleid  der  Benedictiner,  das  oben  mit  der  Kapuze 
versehen  ist.  Herlivus  sowohl  als  Fridericus  haben  die  tonsura  monacalis^  wie  sie 
dem  Benedictiner-Orden  im  12.  Jahrhundert  als  tonsura  sancti  Fauä  eigenthümlich 
war.  Es  entsteht  nun  die  Frage,  die  zur  chronologischen  Feststellung  der  Anfer- 
tigung unseres  Reliquiars  maassgebend  ist:  kömmt  im  12.  Jahrhundert  ein  Fride- 
ricus als  Abt  in  der  series  abbatum  vor  und  findet  sich  unter  demselben  ebenfalls 
ein  prior  Herlivus  verzeichnet?  Wir  müssen  den  ersten  Theil  der  Frage  nach  der 
Aufzeichnung  der  Achte  von  St.  Pahtaleon  aus  dem  12.  Jahrhundert,  die  uns  in 
einer  glaubwürdigen  Abschrift  vom  Jahre  1667  vorliegt,  verneinend  beantworten  ^ 
in  diesem  Jahrhundert  findet  sich  kein  Abt  dieses  Namens  verzeichnet.  Man  dürfte 
daraufhin  zu  der  Annahme  sich  veranlasst  sehen,  die  Halbtigur,  welche  den 
Beinamen  Fridericus  führt,  sei  demnach  der  opifex  oder  der  magister  aryentarius, 
durch  welchen  das  vorliegende  Schreinwerk  Entstehung  gefunden  habe.  Diese 
Vermuthung  dürfte  dadurch  noch  einen  höbern  Grad  von  Wahrscheinlichkeit 
gewinnen,  dass  Fridericus  bescheiden  als  Halbfigur  mit  erhobenen  Händen  sich 
eingravirt  findet,  während  gegenüber  als  eigentlicher  Donator  das  Bild  des 
Prior  Herlivus  in  flehender  Stellung  angebracht  ist,  und  ausserdem  noch  die  Inschrift 


IS  ST.   MARIA  IN   DER  SCHNCROASSE. 

des  Schutzpatrons  dieses  Priors  nämlich  S.  Johannes  und  dabei:  ara  pro  me.  Fin- 
det sich  aber  der  Name  des  IMor  Herlivus  in  der  Reibe  der  Aebte  von  St.  Panta- 
leon  vor?  Im  12.  Jahrhundert  wird  zweimal  in  dem  voriiegfenden  Verzeichnisse 
der  Name  Herlinus  angeführt,  nämlich  unter  dem  Abte  Henricus  L,  der  vom  Jahre 
1169—1196  der  berühmten  Abtei  von  St.  Pantaleon  vorstand.  Herlivus  steht  aber 
dort  nicht  als  Prior,  sondern  noch  als  Frater  bezeichnet  und  ist  das  v  des  Namens 
in  n  verwandelt,  was  leicht  zu  erklären  ist  und  zu  keinem  Bedenken  hinsichtlich 
der  Identität  der  Person  Veranlassung  bieten  könnte.  Auch  der  Umstand,  dass 
Herlinus  hier  als  Frater  angefllhrt  wird,  verschlägt  nichts,  indem  die  Annahme 
zulässig  ist,  dass  er  erst  in  den  letzten  Jahren  der  Amtsführung  des  Abtes  Hein- 
rich zum  Prior  ernannt  worden  ist,  jedoch  von  den  Klosterschreibem  As  solcher 
irrthtimlich  nicht  namhaft  gemacht  wurde.  Ein  Grund  mehr,  in  dem  F.  Herlinus 
unter  dem  Abte  Henricus  I.  unsem  Herlivun  als  Bcstellgeber  des  Maurinuskastens 
zu  erkennen,  ist  noch  darin  zu  suchen,  dass  unter  der  Amtsf)lhrung  desselben 
„Henricus  abbas"  auch  der  Reliquienschrein  des  h.  Albinas,  der  uns  vorliegenden 
Angabe  einer  altem  Chronik  von  Pantaleon  zu  Folge,  angefertigt  worden  ist.  Ein 
eingehender  Vergleich  der  beiden  Schreine  hat  uns  die  Ueberzeugung  verschafft, 
dass  der  Maurinusschrein  um  höchstens  ein  Jahrzehnt  jünger  als  der  Schrein  des 
h.  Albinus  anzusetzen  sein  dürfte.  Dass  überhaupt  unter  dem  Abte  Heinrich  ein 
reges  Kunstinteresse  in  der  Abtei  von  St.  Pantaleon  vorgeherrscht  habe  und  unter 
ihm  Vieles  fllr  die  innere  Ausschmückung  der  Abteikirche  im  Bereiche  der  Gold- 
schmiedekunst geschehen  ist,  beweist  ebenfalls  eine  Angabe  derselben  Chronik,  dass 
nämlich  dieser  Abt  aus  den  Opferspenden  der  Gläubigen  zugleich  mit  dem  Albinus- 
schrein  auch  argenteam  et  doauratam  illam  Tabutam  dvodecim  apostoiomm  imaginesex- 
hibentem  habe  anfertigen  lassen.  Unter  dieser  silbervergoldcten  Tafel  mit  den  getrie- 
benen Bildwerken  der  1 2  Apostel  ist  zweifelsohne  eine  Tabula  aitans ,  welche  die 
Italiener  P/i/fo,  Paliotta  altaris  nennen,  unser  heutiger  Altarvorsatz  od.  Antipendium 
zu  verstehen.  Für  die  Anfertigung  unseres  Reliquienschreines  in  den  letz- 
ten Decennien  des  12.  Jahrhunderts  wahrscheinlich  noch  unter  dem  Abte  Hein- 
rich I.  spricht  femer  nicht  nur  das  in  grösster  Formenfülle  und  in  der  zierlichsten 
Entwiekelung  vorfindliche  Pflanzenornament  sowohl  in  getriebener,  ciselirter,  als 
auch  in  eingeschmelzter  Arbeit,  sondern  mehr  noch  der  freiere  und  lebensvolle 
Schwung  in  der  Composition  der  Figuren  und  in  der  ungezwungenen  Be- 
handlung des  Faltenwurfs  an  den  Gewändern  derselben.  Auch  die  Marterscenen 
des  h.  Johannes,  der  in  siedendem  Oel  die  Tortur  erleidet,  so  wie  die  dabei 
befindliche  noch  unerklärte  Marterscene  sprechen  der  letzten  Annahme  bedeutend 
das  Wort  und  dürften  diese  beiden  getriebenen  Bildwerke  sogar  noch  im  Beginne 
des  13.  Jahrhunderts  angefertigt  w^orden  sein.  Hinsichtlich  der  irdischen  Ueber- 
reste  des  h.  Maurinus,  die  in  dem  eben  beschriebenen  kostbaren  Sarkophage  ihre 
irdische  Ruhestätte  gefunden  haben,  berichtet  der  bekannte  Chronist  Tritheim  in 
seiner  Chronik  der  Abtei  Hirsau  Folgendes:  Erzbischof  Bruno  habe  bei  der  Grün- 
dung von  Pantaleon  auf  dem  Bauplatze,  wo  sich  eine  uralte  Kapelle  zu  Ehren 
der  h.  Kosmas  uud  Damianus  befand,  bei  Vornahme  der  Grund-  und  Mauerarbeiten 


ST.  MARIA  IN   DER  SCHXÜRGASSE.  19 

zur  neuen  Kirche  ein  wohlvermauertes  Grab  gefunden  mit  einem  Gedenksteine, 
der  folgende  Inschrift  gezeigt  habe: 

„//iV  requiescunt  ossa  bonae  memoriae  Maurmi  Abbatis  qui  in  atrio  ecclesiae 
marti/rium  pertuUt  sub  die  quarto  Idus  Junii." 

Der  ebengedachte  Chronist  fügt  hinsichtlich  der  Heimath  des  h.  Maurinus 
hinzu,  dass  derselbe  ein  Schotte  gewesen  sei,  der  in  den  Tagen  des  Franken- 
königs Dagobert  seine  Heimath  verlassen  und  in  Begleitung  zweier  anderer  Schot- 
tenmönche im  Sachsenlande  das  Evangelium  verkündet  habe.  Gelen  spricht  in 
seinem  Werke  de  magnitudine  Colaniae  die  Vermuthung  aus,  dass  der  h.  Maurinus 
vielleicht  jenem  klösterlichen  Vereine  von  Religiösen  angehört  habe,  die  durch  die 
Kaiserin  Helena  aus  dem  Oriente  berufen,  eine  vita  communis  bei  der  von  dieser 
grossen  Frau  gegründeten  basilica  ad  aureos  sanctos  (St  Gereon)  zu  Köln  begrün- 
det hätten.  Dass  bei  dem  Baue  der  neuen  Abteikirche  die  Gebeine  des  h.  Mau- 
rinus mit  der  oben  citirten  Inschrift  aufgefunden  worden  sind,  berichtet  auch  ein 
Zeitgenosse  und  Augenzeuge,  nämlich  der  Benedictiner- Mönch  Stephan,  der  an- 
führt, dass  Erzbischof  Volkmar,  der  Nachfolger  Bruno's  in  seinem  Beisein  den  Holz- 
sarg habe  erheben  lassen  und  dass  bei  Eröfinung  desselben  sich  an  den  Ueber- 
resten  noch  Spuren  des  gewaltsamen  Martertodes  vorgefunden  hätten. 

Im  Vorhergehenden  haben  wir  das  Nähere  über  Alter,  Ursprung  und 
Kunstwerth  des  Prachtschreines  vom  h.  Maurinus  nachzuweisen  gesucht  und  dar- 
gethan,  dass  derselbe  spätestens  gegen  Schluss  des  XII.  Jahrhunderts  von  Meister- 
hand Entstehung  gefunden  habe.  Wie  jedoch  die  Angabe  einer  handschriftlichen 
Chronik  von  St.  Pantaleon  vom  Jahre  1689  zu  deuten  ist,  die  berichtet,  dass 
unser  Schreinwerk  vom  Abte  Heidenricus  von  Romsdorf  zwischen  1366  bis  1373 
wiederhergestellt  worden  sei,  vermögen  wir  nicht  zu  bestimmen,  indem  sämmtliche 
heute  an  dem  Reliquienkasten  vorfindliche  Ornamente  den  Stempel  einer  und 
derselben  Kunstepoche  erkennen  lassen.  Vielleicht  ist  diese  geschichtliche  Angabe 
zu  beziehen  auf  die  Anfertigung  und  Hinzufügung  jener  in  Silber  getriebenen 
sitzenden  Apostelstatuen,  die  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  der  Zerstörung  anheim- 
gefallen sind.  Zur  Rechtfertigung  dieser  Annahme  müsste  man  jedoch  die  gewagte 
Hypothese  zulassen,  die  wir  nicht  vertreten  wollen,  dass  nämlich  gegen  Schluss 
des  Xn.  Jahrhunderts  unser  Maurinusschrein  nicht  in  seiner  Ganzheit  vollendet 
worden  sei,  so  dass  also  erst  das  XIV.  Jahrhundert  an  dem  figürlichen  Schmuck 
des  Reliquiars  das  hinzugefügt  und  ergänzt  habe,  was  das  XH.  Jahrhundert  noch 
unfertig  gelassen  hatte. 


20   '  ST.  MARIA  m  DER  SCHNURGASSE. 

109. 
Tortrage-Krenz 

in  vergoldetem  Rolhkupfer  mit  vielfarbigen  Schmelzen. 

GröBste  Länge  40V>  Centimeter;  Ansdehnung  der  Querbalken  22Vs  Gentimeter.    XII.  Jftbiiiandert 

Cruces  stationcdes  mit  eingeschmelzten  Emails  und  eingravirten  Arbeiten  aus 
dem  Schlüsse  des  XII.  Jahrhunderts  sind  heute  in  den  Kirchen  der  Erzdiöcese 
Köln  zur  grossen  Seltenheit  geworden.  Die  Sacristei  von  St.  Maria  in  der  Schnur- 
gasse  hat  als  Nachfolgerin  der  ehemaligen  Abtei  von  St.  Pantaleon  ein  solches 
Vortrage -Kreuz  in  ihrem  Besitze,  das  hinsichtlich  seiner  originellen  Form  und 
reichen  Verzierungsweise  zu  den  interessantesten  Kreuzen  Kölns  gezählt  werden 
kann.  Leider  ist  das  heute  auf  diesem  Vorträge-Kreuze  befindliche  Bild  des  Ge- 
kreuzigten nicht  als  ursprüngliches  zu  betrachten,  indem  das  ältere  Crucifix  bereits 
früher  verloren  gegangen  und  das  jetzt  daselbst  befindliche  Bild  erst  vor  wenigen 
Jahren  neu  hinzugefügt  worden  ist.*) 

Die  reichste  Ausstattung  hat  unstreitig  die  vordere  Hauptseite  des  Kreuzes 
erfahren,  indem  hier  der  Schmelzer  in  vertieft  eingelassenem,  mattem  FüÜungs- 
schmelz  einen  Reichthum  von  vielfarbigen  Laubverzierungen  angebracht  hat  Diese 
eingelassenen  Emails  lassen  das  conventionelle  Laubwerk  der  spätromanischen 
Kunstepoche  auf  der  Höhe  seiner  Entwickelung  erkennen.  Sowohl  die  wachsenden 
Farbtöne  des  Emails  in  vorherrschend  bläulicher,  grünlich-gelber  und  weisser 
Farbe,  als  auch  die  charakteristische  Stylisirung  der  einzelnen  Blätter  besagen 
deutlich,  dass  diese  eingeschmelzten  Arbeiten  zu  jenen  sogenannten  emaux  champ- 
leves  gehören,  die  durch  die  kölnische  Schule  der  Emailleurs  in  grosser  Menge  geg:en 
Schluss  des  12.  Jahrhunderts  entstanden  sind.  Ein  nicht  geringeres  Interesse 
bietet  die  Rückseite  dieses  Kreuzes  für  die  christliche  Kunstforschung,  indem  hier 
in  strenger  Stylisirung  und  kräftiger  Gravur  die  bekannte  majestas  dominU  umge- 
ben von  den  symbolischen  Zeichen  der  Evangelisten,  zur  bildlichen  Darstellung 
gelangt  ist.  Der  Herr,  den  man  in  seiner  Herrlichkeit  zum  zweitenmale  als  Richter 
wiederkehrend  als  Halbfigur  in  einem  Kreismedaillon  auf  der  Vierung  des 
hintern  Kreuzes  erblickt,  hat  die  Rechte  in  lateinischer  Weise  segnend  erhoben. 
Der  Graveur  hat  es  verstanden,  mit  wenigen,  aber  kräftigen  Strichen  das  Antlitz  des 
Heilandes  so  wiederzugeben,  dass  sich  darin  Erhabenheit,  zugleich  mit  Ernst  und  Wür- 
de paaren.  Zu  beiden  Seiten  des  Herrn  erblickt  man  nach  griechischer  Auffassungs- 
weise das  bekannte  A  und  Si\  die  übrigen  4  Flächen  der  Querbalken  sind  mit 
energisch  eingravirten  Laubomamenten  versehen,  wie  sie  in  ähnlicher  Stylisirung 


*)  Unsere  Abbildung  ▼eranschaulicht  an  der  Stelle  des  altem,  fehlenden  Christusbildes  eine 
Abbildung  des  Gekreuzigten,  welche  im  Privatbesitze  sich  vorfindet.  Dieses  Bildwerk  dürfte  dem 
Schlüsse  des  1 2.  Jahrhunderts  angehören  und  haben  wir  in  verkleinertem  Maassstabe  diese  Copie  genom- 
men nach  einem  Gyps-Abgusse,  den  Modelleur  Leers  unmittelbar  nach  dem  Originale  nahm. 


ST.  MARIA  m  DER  SCHXURGASSE.  21 

und  Motivirung  häufig  gegen  Ausgang  des  1 2.  Jahrhunderts  angetroffen  werden. 
Die  geradlinig  abfliessenden  Kreuzbalken  zeigen  in  ihrer  Ausmttndungy  von 
,  Halbkreisen  umgeben,  die  geflügelten  Symbole  der  Evangelisten.  Ehemals  ging 
von  dem  untern  Langbalken  eine  zur  Spitze  verlängerte  Zunge  in  Koth-Kupfer 
aus»  die  in  die  untere  Büchse  eingriff  und  beweglich  gehalten,  auch  in  einen 
besonderen  Fuss,  zum  Aufstellen  auf  deioa  Altar,  eingelassen  werden  konnte.  Leider 
ist  diese  verbindende  Zunge  oder  Spitze  durch  Fallen  abgebrochen  und  in  anderer 
Weise  ergänzt  worden.  Die  untere  Kapsel  indessen,  worin  als  Btlchse  der  Trag- 
Stab  von  Holz  heute  noch  einmündet,  ist  als  ursprüngliche  zu  erkennen.  Merk- 
wtlrdiger  Weise  findet  sich  auf  dieser  Einlass-Büchse  eine  Inschrift  in  romanischen 
Versalien,  die  deutlich  besagt,  dass  dieses  Kreuz  ehemals  auch  Reliquien  ent- 
hielt Wie  so  häufig  ist  der  Anfang  dieses  Legendariums  mit  einem  griechischen 
Kreuze  bezeichnet    Dasselbe  lautet  wie  folgt: 

De  Signa  Sctae  Crucis, 

De  Osse  Set  BartholomäL 

De  Omitu  sctor.  Apostolorum 

Pauli,  Symonis  et  Judae  atque  Matthiae. 

De  ossibus  Sanctorum  Martyrum 

Stephani  Protomartyris,  Laurentii, 

Vincentii^  Pancratü  atque  Albini  et 

Sancti  Nicolai  Confessoria. 

Miserere  mei  Alberti,  Amen. 
Wenn  dieser  Inschrift  zufolge  die  in  Rede  stehende  crua?  stationaUs  zugleich 
als  Reliquienbehälter  aufzufassen  ist,  so  entsteht  die  Frage,  wo  waren  diese  in 
der  Inschrift  namhaft  gemachten  Reliquien  aufbewahrt?  Zwei  Hypothesen  dürften 
hier  zulässig  erscheinen.  Es  waren  entweder  dieselben  in  dem  zu  dem  Kreuze 
gehörenden  Fusstheile  eingeschlossen,  oder  aber,  was  wahrscheinlicher  ist,  befan- 
den sich  dieselben  in  dem  ausgehöhlten  corpus  jener  Christusfigur,  die  heute  ab- 
handen gekommen  ist  In  diesem  letzten  Falle  wären  dann  die  in  diesem  Chri- 
stusbilde ehemals  befindlichen  Reliquien  aufzufassen  als  die  viscera  oder  membra 
Christi,  die  gleichsam  als  mystische  Theile  des  Leibes  des  Herrn  auch  in  der  innem 
Höhlung  jenes  grossen  Crucifixes  aus  purem  Golde  sich  vorfanden ,  das  nach  der 
Chronik  des  Conrad  bei  Urstitius  ehemals  im  Domschatze  von  Mainz  aufbewahrt 
wurde.  Wenn  auch  nicht  das  charakteristische  Formgepräge  der  eingravirten  und 
eingeschmelzten  Laubomamente  für  die  Entstehungszeit  des  vorliegenden  Kreuzes 
gegen  Schluss  des  12.  Jahrhunderts  Zeugniss  ablegte,  so  dürfte  dieselbe  hin- 
länglich durch  den  Schluss  der  oben  angeführten  Inschrift  ausser  Zweifel  gesetzt 
werden,  nämlich  durch  die  Worte:  Miserere  mei  Alberti.  Dieselben  deuten 
an,  dass  ein  gewisser  Albertus  sich  der  Fürbitte  jener  Heiligen  anbefiehlt, 
deren  Reliquien  in  diesem  Kreuze  ehemals  verschlossen  waren.  Entweder 
war  nun  dieser  Albertus  der  Anfertiger  und  Meister,  dem  das  in  Rede  stehende 
Kreuz  seine  Entstehung  zu  verdanken  hat,  oder  er  ist  als  der  Donator  aufzufassen,  in 
dessen  Auftrag  dasselbe  angefertigt  worden  ist  Letzteres  scheint  uns  das  Wahrschein- 


"12  ST.  MARU  IN  DER  SCHNUROASSE. 

lichere  zu  sein.  Durch  die  entgegenkommende  Freundlichkeit  des  gegenwärtigen 
Pfarrers  wurde  uns  nämlich  Einsicht  eines  altem  Manuscriptes  ermöglicht,  das 
die  Reihenfolge  der  Aebte  und  Frioren  der  Abtei  von  St.  Pantaleon  zu  Köhi  eut* 
hält.  Unter  Wichmannus,  dem  1 3.  Abte  der  gedachten  alt  berühmten  Abtei,  findet 
sich  bei  dem  Jahre  1167  als  Prior  verzeichnet  P.  Albertus.  Unter  dem  14.  Abte 
Heinrich  findet  sich  zum  Jahre  1176  abermals  angeführt  P.  Albertus  Prior.  Nach 
dem  Jahre  1176  kommt  der  Name  unseres  Albertus  in  der  Chronik  von  St  Panta- 
leon nicht  mehr  vor.  Mit  vielen  Wahrscheinlichkeitsgrttnden  lässt  sich  annehmen, 
dass  das  vorliegende  Reliquienkreuz  auf  Anordnung  und  unter  Amtsführung  des  eben 
gedachten  Priors  Albertus  zwischen  den  Jahren  1 156—  1 176  angefertigt  worden  ist. 


110. 
Torsatz-  oder  Alfarkrenz 

in  vergoldetem  Rothkupfer. 

Hohe  46  Gentimeter;  grttsste  Länge  der  Querbalken  I9*/2  Centimeter.    XIV.  Jahrhundert. 

Die  Abbildung  unter  Nr.  110  veranschaulicht  in  getreuer  Copie  ein  Altar- 
Kreuz,  wie  es  in  dieser  eigenthttmlichen  Form  und  Verzierungsweise  heute  selten 
mehr  angetroffen  werden  dürfte.  Die  ganze  Anlage  desselben  ist  nämlich  von 
vorne  herein  darauf  berechnet  worden,  die  Tiefflächen  der  4  Ereuzesbalken,  die 
eine  Kapsel  bilden,  mit  Keliquien  auszurullen.  In  dieser  Vertiefung  sind  heute 
auf  hohlem  Metallgrunde  in  Tempera&rbcn  Christus  am  Kreuze  und  in  den  Vier- 
passrosen als  Ausmündungen  der  Balken  die  4  Symbole  der  Evangelisten  in  Tem- 
peramalerei ausgefUhrt.  Der  Fuss  des  Kreuzes  ist  sternförmig  im  Sechseck  ange- 
legt, auf  demselben  erhebt  sich  als  Ständer  eine  runde  BUehse,  die  in  ihrem 
oberen  Theile  von  einem  manubnum  unterbrochen  wird,  das  als  pomellum  in  Form 
einer  Kapsel  mit  runden  Einschnitten  gestaltet  ist  In  den  obem  Theil  der 
offenen  Büchse  ist  das  Kreuz  eingelassen,  dessen  Vierpassrosen  nach  innen  hin 
mit  ciselirten  Ornamenten  in  Lilienform  ausgestattet  sind.  Unser  Kreuz  erhält  da- 
durch einen  weiteren  auf  die  Feme  wirkenden  Schmuck,  dass  der  Goldschmied 
sowohl  die  innere  Vierung  des  Kreuzes,  als  auch  die  ausmündenden  Vierpassrosen 
nach  4  Seiten  mit  grösseren  gefärbten  Steinen  und  Grlaspasten  verziert  hat,  die 
jedesmal  durch  4  vorspringende  ungues  auf  stark  vorspringenden  Unterlagen  befe- 
stigt und  emporgehalten  werden.  Aus  den  omamentalen  Einzelheiten,  die  das  vor- 
liegende, zwar  einfach  verzierte,  jedoch  durch  seine  schönen  und  richtigen  Propor- 
tionen vortrefflich  wirkende  Kreuz  zeigt,  dürfte  mit  Grund  entnommen  werden,  dass 
dasselbe  spätestens  in  der  letzten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden 
ist.  Auch  diese  crua:  altaris  ist,  wie  die  nachfolgende,  durch  freiwillige  Schen- 
kung in  den  Besitz  der  Pfarrkirche  von  St.  Pantaleon  in  der  Schnurgasse  gekommen, 


ST.   MARIA  IN  DER  SCHNÜRQASSE.  23 

indem  dieselbe  im  Privatbesitz  des  Stadtbaumeisters  a.  D.  Herrn  P.  Weyer  befind- 
lich, erst  im  Jahre  1854  den  2.  Juni  der  ebengedachten  Pfarrkirche  als  Greschenk 
überwiesen  wurde.  Wir  dürfen  hier  nicht  mit  Anerkennung  hervorzuheben  unter- 
lassen, dass  der  ebengedachte  kunstsinnige  Besitzer  einer  Sammlung  mittelalter- 
licher Oemälde,  die  in  Hinsicht  der  Zahl  und  ihrem  kunsthistorischon  Werthe 
nach  nicht  leicht  von  einer  zweiten  Bildersammlung  in  Deutschland  übertroffen 
wird  vor  Kurzem  seiner  Pfarrkirche  ebenfalls  2  werthvolle  Temperamalereien 
der  altern  kölnischen  Schule  angehörend,  zum  Grcschenke  verehrt  hat,  und 
dieselben  auf  seine  Kosten  in  eine  solche  Fassung  hat  bringen  lassen,  dass  dar 
durch  das  Tabernakel  eines  gothis^chen  Altaraufsatzes  in  reicher  FormentwickeluDg 
gebildet  worden  ist. 


IIL 
Torsatz-  oder  iltarkrenz 

in  starker  Feuervergoldung.    XV.  Jahrhundert. 

Von  allen  liturgtschea  Gefässen  und  Utensilien  sind  in  den  heutigen  Kir- 
chen Kölns  am  zahlreichsten  noch  jene  Kreuze  vertreten,  die  zugleich  als  Altar- 
kreuz und  als  Vortragekreuz  benutzt  werden  konnten.  Unter  diesen  cruces  altaris 
nimmt  das  vorliegende  zierliche  Kreuz  nicht  die  letzte  Stelle  ein.  Aus  welcher 
Kirche  dasselbe  ursprünglich  herstammt,  dürfte  sich  gegenwärtig  kaum  erweisen 
lassen,  indem  es  erst  vor  wenigen  Jahren  aus  Privatbesitz  dem  Inventar  der  Pfarr- 
kirche von  St.  Pant^leon  in  der  Schnurgasse  einverleibt  wurde.  Der  zeitige 
Pfarrer  der  Kirche  hatte  Gelegenheit  bei  dem  herkömmlichen  österlichen  Pfarrei- 
besuch dieses  Kreuz  in  der  Wohnung  eines  kölner  Gärtners  in  Augenschein  zu 
nehmen.  Kaum  hatte  derselbe  den  Wunsch  ausgesprochen,  das  Kreuz  für  den 
Schmuck  seiner  Kirche  zu  besitzen,  als  sofort  der  opferwillige  Gärtner  sich  bereit 
erklärte,  dieses  schöne  Geräth  seiner  Pfarrkirche  als  Eigenthum  zu  überweisen. 
Vom  Worte  schritt  man  gleich  zur  That  und  so  befindet  sich  denn  das  in  Abbildung 
beigefügte  Kreuz  seitdem  15.  März  1837  als  Weihgeschenk  unter  den  leider  gegen- 
wärtig sehr  decimirten  Kunstschätzen  der  ehemaligen  Pantaleonsabtei  vor.  Wir  unter- 
lassen hier  nicht  unter  Hinweis,  dass  in  Köln  noch  eine  Anzahl  sogenannter  verschme- 
gener  Kirchenschätze  sich  vorfinden  dürfte,  den  Namen  der  schlichten  Geschenk- 
geber im  Hinblick  auf  den  Spruch  exempla  trahunt  folgen  zu  lassen.  Es  waren 
die  Eheleute  Otto  Schmitz  und  Catharina  Schmitz  geb.  Mai. 

Von  eigenthümlicher  Anlage  und  Construction,  wie  es  die  Zeichnung  zeigt,  ist 
namentlich  der  glatte  Fuss  des  Kreuzes,  der  sich  in  dieser  Gestaltung  seltener 
vorfindet.  Auf  demselben  erhebt  sich  eine  schlanke  sechseckige  Röhre,  die  von 
einem  sechstheiligen  Knaufe  mit  vorepringenden  Pasten  unterbrochen  wird.  Auf 
dem  obem  Abschlussknauf  der  Röhre  steht    als  Reliquiarium  ein   plattes  Kreuz, 


24  ST.  MABU  IN  DER  SCHNUSOAS8E. 

das  auf  den  4  Querbalken  mit  den  bekannten  Vierpassrosen  verziert  ist  h  diesen 
Vierpässen  erblickt  man  erhaben  aufliegend  die  symboUschen  Zeichen  der  4  Evan- 
gelisten in  schöner  omamentaler  Stylisirung.  Seine  reichste  Zierde  erhUt  das 
Kreuz  durch  einen  frei  durchbrochenen  Rand,  der  sich  gleichmäsgig  auf 
Bämmtlichen  Balken  des  Kreuzes  fortzieht  Derselbe  bildet  sich  durch  an- 
einanderschliessende  spätgothische  Blattverzierungen ,  die  sämmtlich  von  einer 
starken  Spitze  überragt  sind.  Auf  der  Rückseite,  die  neuer  zu  sein  scheint, 
ersieht  man  in  der  Vierung  des  Kreuzes  eine  grosse  kreuzförmige  Oeffiiung,  die 
gegenwärtig  leer  ist,  und  darüber  die  Inschrift:  de  ligno  s,  crucis.  Nicht  nnr 
sämmtliche  spätgothische  Ornamente  des  vorliegenden  Kreuzes,  sondern  auch  die 
Figur  des  Grekreuzigten  selbst,  mit  dem  grossen  faltenreichen  Schürztuche  dUrfen 
als  Belege  betrachtet  werden,  dass  dieses  liturgische  Geräth  frühestens  gegen 
Schluss  des  XV.,  wenn  nicht  im  Beginne  des  XVI.  Jahrhunderts  angefertigt 
worden  ist. 


112. 
Getriebenes  Bild  der  HimmelskSiiigiii 

in  Kupfer  mit  starker  Feuervergoldung. 

Hübe  mit  £inichla»s  des  Sockeh  40 Vi  Centimeter;  grösster  Durchmesser  des   Sockels    \t  Gentiffleter 

XV.  Jahrhundert. 

In  altem  Kirchenschätzen  trifft  man  häufig  in  Kupfer  oder  Silber  getriebene 
sitzende  und  stehende  Bildwerke  verschiedener  Heiligen  an,  die  in  der  Regel  „ymi- 
gines'*  genannt  werden;  entweder  auf  der  Brust  dieser  Statuetten  oder  aber  im 
hohlen  Fusssockel  derselben  sind  kapseiförmige  Verschliessungen  angebracht,  in 
welchen  Beliquien  aufbewahrt  wurden.  Auch  die  in  Rede  stehende  Statue  ist  ab 
Reliquiar  zu  betrachten,  da  in  dem  in  Achteck  gestalteten  10  Centimeter  hohen 
Piedestal  eine  verschliessbare  und  nach  aussen  mit  einem  Glasverschluss  versehene 
Kapsel  angebracht  ist,  in  welcher  sich  eine  Reliquie  ohne  nähere  Bezeichnung 
findet.  Die  Flachtheile  dieses  polygonen  Sockels  scheinen  ehemals  mit  aufge- 
nieteten, rosenförmigen  Verzierungen  in  Silber  geschmückt  gewesen  zu  sein,  deren 
Spuren  an  den  betreffenden  Stellen  mit  ihren  Oeffnungen  noch  deutlich  wahr- 
nehmbar sind.  Das  Bild  der  Himmelskönigin  selbst,  in  einer  grOssten  Ausdehnung 
von  26  Centimeter  ohne  Einschluss  der  Krone,  ist  als  ein  opus  productile  von 
einem  geübten  Meister  der  kölnischen  Goldschmiedezunft  aus  2  Platten  von  Kupfer 
so  getrieben  worden,  dass  die  Zusammenlöthungen  auf  der  hintern  Seite  des  Bil- 
des kanm  wahrgenommen  werden..  Sowohl  die  Gesichtszüge  der  allerseligsten  Jung- 
frau als  auch  die  des  göttlichen  Kindes  sind  mit  grosser  Sorgfalt  und  Meisterschaft 
in  der  schwierigen  Kunst  des  Treibens  so  ausdrucksvoll  und  lebensfrisch  ausge- 


8T.  HABIA  IN  DER  SCHNUB6ASSE.  25 

ftlhrty  wie  es  sich  selten  bei  getriebenen  Arbeiten  findet.  Von  besonderer  Schön- 
heit und  Weichheit  in  den  Faltennindungen  ist  das  Gewand  an  der  Madonna 
gebildet,  das  in  seiner  Stylisirung  deutlich  den  Einfluss  der  durchgebildeten  Gothik 
zu  erkennen  gibt.  Wir  nehmen  keinen  Anstand  in  Rücksicht  auf  die  reiche  Dra* 
pirung  des  Gewandes  und  die  Laubomamente  an  der  Krone  der  Statuette  hier 
die  Ansicht  auszusprechen,  dass  das  vorliegende  Bildwerk  im  Beginne  des 
XV.  Jahrhunderts  aus  der  Hand  eines  erfahrenen  Metalltreibers  kunstgerecht  her- 
vorgegangen ist  Auch  dieses  zierliche  ymago  B.  M,  V.  befindet  sich  noch  nicht  lange 
im  Besitze  der  genannten  Kirche ,  indem  dasselbe  vermöge  testamentarischer  Ver- 
fügung dem  Schatze  von  St  Pantaleon  in  der  Schnurgasse  durch  den  am  1 9.  Ja- 
nuar 1841  verstorbeneu  vormaligen  apostolischen  Protonotar  und  Generalvicar 
J.  W.  S.  Schmitz  überwiesen  wurde.  Derselbe  war  früher  Mitglied  der  durch 
den  h.  Heribert  gestifteten  Benedictiner  -  Abtei  Deutz.  Vielleicht  hat  dieses 
getriebene  Bildwerk  als  Reliqniar  ursprünglich  dieser  Abtei  angehört  und  dürft» 
dasselbe  bei  der  Theilung  der  dortigen  Reliquien  bei  dem  Einrücken  der  Fran- 
zosen dem  letztgedachten  Benedictiner-Conventual  als  Eigenthum  zugefallen  sein. 


112* 
Drei  JHessgewftnder 

mit  altem  in  Figuren  gestickten  Kreuzen  und  Stäben. 

Obschon  bei  der  Umgestaltung  der  ehemaligen  Abteikirche  von  St  Fanta- 
leon mehrere  noch  dort  befindliche  Kirchenutensilien  zugleich  mit  dem  Titel  der 
frühem  Abteikirche  auf  die  in  der  Nähe  befindliche  ehemalige  Kirche  der  Discalcea- 
tessen  f,Sancta  Maria  in  pace"  übertragen  wurden,  so  scheinen  bei  dieser  Gelegen- 
heit wenige  jener  älteren  gestickten  Ornate  des  Mittelalters  nach  der  neuen 
Pfarrkirche  übertragen  worden  zu  sein,  woran  das  alte  imd  reiche  Stift  von 
St.  Pantaleon  zur  Zeit  seiner  Blüthe  gewiss  einen  grossen  Vorrath  besessen  hat. 
Heute  finden  sich  in  der  Sacristei  der  letztgedachten  Pfarrkirche  nur  noch  drei 
Measgewänder,  deren  Stickereien  in  den  Stäben  von  Seiten  der  Kunst-Archäologie 
ein  Interesse  beanspruchen  dürften,  da  sie  die  figurale  Nadelmalerei  am  Schlüsse 
des  Mittelalters  auf  der  Höhe  ihrer  technischen  und  künstierischen  Vollendung 
wahrnehmen  lassen.  Als  Beispiel  von  älteren  Stabwirkereien  bezeichnen  wir  hier 
die  in  Bildem  gemusterten  Stäbe,  die  sich  heute  auf  einer  violettsammtnen  Casel 
mit  geschnittenen  Mustemngen  befinden.  Auf  dem  hintem  Kreuzesbalken  erblickt 
man,  in  Plattstich  gestickt,  die  Figur  des  Heilandes  am  Kreuz  und  unten  wie 
gewöhnlich  die  Passionsgruppe  Johannes  und  Maria.  Sowohl  das  Kreuz,  als  auch 
die  letztgedachte  Leidensgruppe  sind  in  dem  eigenthtlmlich  präparirten  Goldfaden 
der  Wappenwirker  Gölns  durch  Weberei  erzielt,  nur  die  Incamationstheile  dieser 


26  ST.  MARIA   IN  DEB  SCUNUKGASSE. 

Gruppe  sind  im  Plattstich  gestickt.  Auf  dem  vordem  Theil  derselben  Casel  er- 
sieht man  ebenfalls  in  Goldstoff  gewirkt,  in  grossem  Wappenschildern,  die  instru- 
menta dominicae  passionü,  unter  diesen  das  eingewirkte  Standbild  des  h.  Petrus. 
Dass  diese  Stabwirkerei  aus  dem  Schlüsse  des  XV.  Jahrhunderts  von  der  damals 
blühenden  Zunft  der  operatrices  casularum  und  Jactrices  stolarum,  die  schlechthin 
die  Zunft  der  Wappenwirker  und  Bildsticker  genannt  wurde,  angefertigt  worden 
ist,  beweist  unter  anderm  auch  eine  Jahreszahl  auf  den  goldenen  Aurifrisien,  die 
ehemals  als  schmale  Stäbe  auf  Dalmatiken  sich  befanden.  Auf  diesen  Wirkereien, 
die  jetzt  als  Stole  im  Gebrauche  des  zeitigen  Pfarrers  von  St  Pantaleon  in  der 
Schnurgasse  sich  befinden,  liest  man  unten  mit  Abkürzungen  in  Minuskelschriften 
von  blauer  Seide  die  Angabe:  anno  dm.  1495.  In  denselben  Aurifrisien  wechseln 
mit  schön  stylisirten  vielfarbigen  Laubomamenten  ebenfalls  in  AbktLrzung  die  be- 
kannten Verse  aus  dem  Hymnus  der  österlichen  Zeit  ab:  Regina  coeii  laetare 
AUsluja.  Quin  quem  met^uisti  portare  Alleluja*  Resurrearit  sicu^  dixil  ÄlieiujiL 
Ora  pro  nobis  Deum  Ailetuja, 

Das  zweite  Messgewand  in  rothem  geschnittenem  Sammt  zeigt  gleichfalls 
die  ebenbeschriebenen  figürlichen  Darstellungen  in  den  hintern  goldgestickten  Kreuz- 
balken, jedoch  ist  die  Passionsgruppe  hier  nicht  eingewebt,  sondern  durch  die 
Kunst  der  Nadel  im  Plattstich  erzielt,  dessgleichen  auch  die  Wappenschilder  der 
Geschenkgeber  in  dem  vordem  Stabe.  Ein  besonderes  Interesse  beansprucht  die 
schöne  Mustemng  des  Sammtstoffes,  die  durch  eine  künstliche  Abscherung  des 
aufstehenden  Sammts  herbeigeführt  worden  ist  und  nicht  durch  heisse  Pres- 
sungen,  wie  wohl  irrthümlich  angenommen  wird.  Sowohl  dieser  dessinirte  Roth- 
sammt,  als  auch  die  Figurenstickerei  rühren  offenbar  aus  dem  letzten  Viertel  des 
XV.  Jahrhunderts  her. 

Noch  machen  wir  auf  eine  dritte  und  letzte  Casel  aufmerksam,  deren  Unter- 
stoff aus  blauem  Sammt  besteht  und  die  auf  einem  breiten  Kreuzesstabe  a  or 
battu,  wie  die  mittelalterlichen  Schriftsteller  es  nennen,  gestickt  ist  In  der  mitt- 
lem Kreuzesvierung  erblickt  man  die  Aufnahme  der  allerseligsten  Jungfrau  von 
dienenden  Engeln  umgeben  im  feinsten  Plattstich  gestickt  In  dem  untern  Kreuzes- 
balken befindet  sich  ebenfalls  in  2  und  2  zusammengefügten  GoldfUden  im  fein- 
sten Plattstich  gestickt  als  figurenreiche  Scene  die  Beschneidung  des  Heilandes 
und  unten  die  Anbetung  der  h.  Dreikönige.  Auch  der  vordere  Stab  dieses  Hess* 
gewandes,  der  heute  sehr  beschädigt  und  in  seinen  figürlichen  Darstellungen  kaum 
mehr  erkennbar  ist,  lässt  einige  Darstellungen  aus  der  Jugendgeschichte  des  Heilandes 
wahrnehmen.  Es  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  die  in  Rede  stehende  äusserst 
kostbare,  aber  durch  den  Zahn  der  Zeit  sehr  entstellte  Goldstickerei  bereits  aus 
der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts  herrührt  und  dass  diese  zarten  figuralen 
Bildwerke  zu  jenen  haut^lisse  und  Goldstickereien  gehören,  die  in  der  Hauptstadt 
des  alten  Flanderns  zu  Arras  durch  die  blühende  Zunft  der  brodeurs  d'AfTos  an- 
gefertigt wurden.  Aehnliche  Bildstickereien,  die  wir  in  italienischen  Kathedralen 
noch  vielfach  angetrofifen  haben,  nennt  man  heute  noch  um  ihr  Herkommen  zu 
bezeichnen  einfach:  Arracci. 


ST.  MARIA  IN  DER  SGHNUROASSE.  27 

Verloren  gegangene  Kleinodien  nnd  Kunstwerke  der  ehe- 
maligen Abtei  Ton  St  Pantaleon. 

Die  Stiftung  der  Benedictiner-Abtei  St.  Fantaleon,  welche  unstreitig  die 
angesehenste  und  begütertste  der  Erzdiöcese  Göln  war,  fällt  in  die  Mitte  des 
X.  Jahrhunderts.  Diese  Abtei,  die  anfangs  noch  ausserhalb  der  Mauerringe  des 
alten  Cöln  lag,  hatte  das  Glück  in  den  ersten  Jahrhunderten  ihrer  Gründung 
mächtige  Förderer  und  Gönner  zu  zählen ;  ausser  dem  Bruder  Otto's  ü.,  dem  Erz- 
bischofe  Bruno,  der  auch  nach  seinem  965  erfolgten  Tode  in  der  von  ihm  erbau- 
ten Abteikirche  seine  irdische  Buhestätte  fand,  ist  auch  die  Gemahlin  Otto's  U., 
die  griechische  Frinzessin  Theophania,  als  besondere  Gönnerin  und  Wohlthäterin 
von  St  Fantaleon  zu  betrachten.  Auch  mehrere  Aebte  dieses  berühmten  Benedic- 
tiner-Stiftes  zeichneten  sich  durch  hohen  Kunstsinn  und  Gebefreudigkeit  vortheil- 
haft  aus.  Es  ist  also  nicht  zu  verwundern,  das»  seit  der  Gründung  der  Schatz  von 
8t.  Fantaleon  durch  kunstreiche  und  werthvolle  Geschenke  ansehnlich  vermehrt  wurde. 
Nur  noch  wenige  Ueberreste  des  Reliquienschatzes  von  St  Fantaleon  hat  die  Erbin 
der  ehemaligen  Abteikirche,  die  jetzige  Ffarrkirche  von  St  Maria  in  der  Schnur- 
gasse in  Besitz  genommen;  diese  wenigen  Ueberreste  jedoch  lassen  hinsichtlich  der 
Form  und  der  artistischen  Austattung  hinlänglich  ermessen,  von  welcher  Bedeutung 
der  ehemalige  Schatz  der  in  Rede  stehenden  Abteikirche  gewesen  sein  muss,  ehe 
er  den  Vandalen  des  neunzehnten  Jahrhunderts  zur  Zerstörung  preisgegeben 
wurde.  Dank  dem  emsigen  Forscherfleisse  unseres  Vorgängers  Gelenius  sind  wir 
heute  in  der  Lage  hier  im  Anhange  berichten  zu  können,  wie  gross  die  Zahl 
jener  Reliquien-  und  Kleinodienschätze  war,  die  rfoch  in  der  letzten  Hälfte  des 
XVn.,  und  ohne  allen  Zweifel  bis  zum  Anfange  des  XIX.  Jahrhunderts  der  Stif- 
tung des  grossen  Bruno  zum  auszeichnenden  Schmucke  gereichten.  Wir  lassen  an 
der  Hand  des  gedachten  kölnischen  Chronisten  die  numerische  Aufzählung  der 
gegenwärtig  verschwundenen  Kunstschätze  von  St.  Fantaleon  folgen  und  heben 
hier  Eingangs  hervor,  dass  der  Metallsucht  der  sogenannten  •  Fatrioten  im 
Anfange  unseres  aufgeklärten  Jahrhunderts  leider  auch  jenes  Meisterwerk  der 
Goldschmiedekunst  und  des  Metallgusses  unwiederbringlich  verfallen  ist,  das  der 
IX.  Abt  von  St.  Fantaleon  Herimanus  Graf  von  Zuepften  seiner  Kirche  als  gross- 
artiges  Geschenk  im  Beginne  des  XII.  Jahrhunderts  verehrt  hat;  es  war  das  eine 
mit  Gold,  Edelsteinen  und  Schmelzwerken  reich  verzierte  corona  lummaria,  die  in 
Gestalt  der  Lichterkrone  Friedrich  Barbarossa's  in  Aachen,  vorstellend  das  himm- 
lische Jerusalem,  im  Langschiffe  von  St  Fantaleon  schwebend  befestigt  war.  Diese 
Polycandela  des  Abtes  Herimanus  (f  1121)  zeigte  ähnlich  wie  die  betreffenden 
Kronleuchter,  die  heute  noch  in  Hildesheim  und  im  Münster  zu  Aachen  sich  vor- 
linden, auf  den  glatten  Flächen  ihrer  weiten  Feripherie  Inschriften  in  leoni- 
nischen  Versen,  worin  der  Gedanke  ausgesprochen  ist,  dass  diese  Lichter- 
krone das  h.  Sion  mit  seinen  \2  Thoren  von  Gemmen  und  Edelsteinen  erbaut 
in  seinem  überirdischen  Glänze  versinnbildlichen  soll. 


28  8T.  MARIA  IN  DER  SCHNURGASgE. 

Diese  Inschrift  lautet  nach  Gelen: 

Has  inter  gemmas  Hermannus  fulgeat  ÄhbaSy 
Hoc  opus  Ecelesiae  qui  mira  eontulit  arte: 
Nam  muros»  portas  et  turres  atque  plateas 
Quae  dilecta  Deo  gemmü  omatur  et  auro, 
Hinc  lapides  vivt  preMsura^  caede  politi 
Aptantur  merito  virtutis  ordine  certo. 
Surgit  in  excehü  urbs  inclyta^  vüio  paeis 
Sorte  locis  iusta  Christus  disponit  in  itla 
Tpsaque  ptUekra  ßde^  dives  spe^  fortis  amore 
Sicut  sponsa  viro,  coelesti  fungitur  auro. 
Hinc  stabiles  muri,  lapides  ejus  pretiosi 
Structurae  ratio  loquitur,  praesentis  et  ordo: 
Haec  est  illa  ßde,  quam  fundnvere  Prophetae, 
Quae  per  ApostoUcas  pandit  sua  moenia  gemmas 
Hierusalem  structam  sanctis  in  montibus  Urbem 
Hinc  super  aptantur  vigiles,  urbemque  tuentur. 
Im  engeren  Schatze  von  St  Pantaleon  bewunderte  man  bis  zum  Tage  der 
französischen  Revolution  femer  ein  grosses  griechisches  Kreuz,  welches  mit  reichen 
Goldblechen  und  Edelsteinen  umkleidet  in  seinem  Innern  eine  namhafte  Partikel 
vom  h.  Kreuze  umschloss.    Dieses  kostbare  Reliquiar  war  bei  der  Einnahme  von 
Byzanz  im  Jahre  1 208  durch  die  Lateiner  von  einem  Grafen  Henricua  de  Uhnene 
in  das  Abendland  ttberbracht  worden  und  gehörte  ehemals  als  kostbares  Kleinod 
der  Justinianischen  Basilica  der  h.  Sophia  in  Gonstantinopel  an.   Dieses  werthvolle 
Kreuz  war  durch  den  Abi  Albertus  von  Kloster  Laach  dem  Schatze  von  Pantaleon 
mit  andern  Beliquien  ttbersandt  worden.    Auf  diesem  griechischen  Beliquiar  war 
zur  Erinnerung  an  seine  Uebertragung  in  das  Abendland  folgende  Inschrift  ein- 
gravirt  worden: 

Vir  meritis  clarus  Henricus  in  Ubnene  natus 
Contulü  hoc  lignum  nobis  veneramine  dignum^ 
Quod  Graecis  victis  advewit  partibus  istis. 
Albertus  claustro  quo  tempore  praefuit  auro 
Sic  ea;omamt  Dens  hoc  quod  glorißcavit. 
Ausser  diesem  griechischen  Beliquienkreuze.aus  der  Sophienkirche  in  Gon- 
stantinopel ersah  man  in  dem  thesaurus  sacer  von  St.  Pantaleon  4  verschiedene 
in  vergoldetem  Silber  als  Brustbilder  gestaltete  hermae,   die  wahrscheinlich  eine 
ähnliche  decorative  Ausstattung  zeigten,  wie  das  Pectoralbild  von  St  Ounibert, 
das  wir  in  der  II.  Lieferung  dieses  Werkes  unter  Nr.  51  Tafel  XDI.  Fig.  51  bild- 
lich veranschaulicht  und  beschrieben  haben.     In  diesen  5  capita  pectoraHa  waren 
Theile  von  dem  Schädel  verschiedener  Heiligen  aufbewahrt 

Auch  2  Reliquiarien  in  vergoldetem  Silber  in  Form  eines  Unterarms  befanden 
sich  im  Schatze  von  St  Pantaleon  mit  Theilen  von  den  Armschenkeln  des  h.  Bartholo- 
maeus,  des  h.  Sebastianus  und  des  h.  Vincentius  in  verwandter  kunstreicher  Fassung, 


ST.   »LVKIA   IN  DER  SCHNÜltGASRE.  29 

wie*  jeue  brachialia  iin  Schatze  von  St.  Gereon,  welche  wir  auf  Taf.  IL  der   I.  Lie- 
ferung Fig.  7  und  8  im  Bilde  nähier  veranschaulicht   haben. 

Ausser  den  vorbenannten  Eeliquiarien  in  kunstreicher  Ausstattung  fanden 
sich  noch  in  der  Schatzkammer  von  St.  Pantaleon  vor :  1 3  in  Bezug  auf  Gestalt, 
Form  und  künstlerische  Fassung  merkwürdige  Reliquienbehälter,  die  Gelen  mit 
dem  Collectivnamen  hierothecae  benennt  und  die  in  einem  alten  Manuscript  als  Hei- 
ligthumskasten  unter  näherer  Verzeichnung  ihres  ehrwürdigen  Inhalts  namentlich 
angefahrt  sind.*) 


'*'  Wir  verdanken  dieses  interessante  Manuscript,  das  als  Abschrift  eines  älteren  gegen  Anfang 
des  JCVII.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  ist,  der  entgegenkommenden  Freundlichkeit  des  Herrn 
Biicli-  und  Vcrlagshttndlers  Eisen,  der  uns  dasselbe  zur  freien  Benutzung  zugestellt  hat.  Die  üeber- 
schnft  dieses  Manuscriptes  ist  folgende:  f,Deseriplio  Ceieberrimae  Meiropolftanae  ElectoralU  Huju» 
Eclexiae  Cotoniensit  Uli  eliam  Collegialarum,  Abbatiatium  Caeierarumque  parochiaiium  respecHve 
Ede^iarum  nee  non  Sanctiuimarum  Reliquianim  in  hac  tarn  famota  vereque  Augtuta  Agrippina 
ct'vi'läite  Co/om'a  ad  Rhenum  tila  Exütentium. 


r 


I 


jpm  ß-'  Sfüfrin . 


st  Seperin. 


Kunstwerke  des  Mittelalters   daselbst. 


Seit« 


113)  Crux   Stationalis  in   vergoldetem  Kupfer   mit   geschnittenen    Krj'stallen. 

XII.  Jahrhundert  Taf.  XL.  Fig.  113 3 

114)  Sitzendes  Bild  des  b.  Severinus.    Eine  Schmelzarbeit  in  Zellenemail  auf 

Goldblechen.  XII.  Jahrhundert.  Taf.  XLI.  Fig.  1 14 5 

115)  Hörn  des  h.   Cornelius  mit  kunstreichen  Beschlägen.  XIV.  Jahrhundert 

Taf.  XLI.  Fig.  115     .    '. 6 

1 1 6)  Krümme  eines  bischöflichen  Stabes  in  Silber.  XV.  Jahrb.  Taf.  XLII.  Fig.  116      S 

117)  Ein  Reliquiar  in  vergoldetem  Holze.  XIV.  Jahrb.  Taf.  XLIL  Fig.  117     .      9 

118)  Thtirbeschlag  in  Form  eines  Löwenkopfes.  XH.  Jahrb.  Taf.  XLH.  Fig.  118     10 

1 1 9)  Lectorium,  ein  Messingguss  in  Gestalt  eines  Raben.    XIV.  Jahrhundert. 

Taf.  XLH.  Fig.  119 11 

120)  Figur-  und  Omamentstickereien  von  Dalmatiken  herrührend.  XIV.  Jahrb. 

Taf.  XLIL  Fig.  120 12 

Ehemaliger  Schatz  der  Stiftskirche  von  St  Severin 13 


113. 
Processionskreuz 

in    vergoldetem  Kupfer. 

Länge  44  Vx  Centimeter;  Breite  4V/t  Centimeter.  XII.  Jahrhundert. 

W  ie  wir  an  anderer  Stelle  dieses  Werkes  hervorgehoben  haben,  finden  sieb 
in  den  Saeristeien  Kölns  alle  Formen,  die  bei  den  crucas  stationales  ehemals  ge- 
bräuchlich waren,  so  ziemlich  vertreten.  Nicht  leicht  aber  wird  sich  am  Rheine  gegen- 
wärtig noch  ein  solches  erhalten  haben,  das  hinsichtlich  seiner  originellen  Anlage  mit 
dem  vorliegenden  Kreuz  von  St.  Severin  in  Vergleich  gestellt  werden  könnte. 
Wir  glauben  annehmen  zu  dttrfen,  dass  die  Form  dieses  Kreuzes  im  Mittelalter 
nicht  vereinzelt  da  stand  und  dass  dieselbe  sich  an  eine  ältere  überlieferte  an- 
schloss.  Wie  ein  Blick  auf  die  beiliegende  Abbildung  es  klar  macht,  ist  der 
innere  Theil  aus  Quadraten  und  Rechtecken  in  Weise  eines  griechischen  Kreuzes 
mit  gleich  langen  Balken  zusammengesetzt  Eine  grössere  Vierung  als  Mittelstttck 
von  10  Centimeter  im  Quadrat  bildet  den  innem  Kern,  mit  welchem  4  kleinere 
Quadrate  als  Ausmttndnng  der  Querbalken  in  Verbindung  gesetzt  sind.  Diese 
Verbindung  wird  durch  kleinere  Metallstreifen  in  Form  von  durchbrochenen  Bän- 
dern erlangt.  Auf  diesen  4  Quadraten  erheben  sich  gleichsam  als  omamentale 
Ausmttndnng  und  Verzierungen,  die  Fortsetzungen  und  der  erweiterte  Abschluss 
jener  durchbrochenen  Bänder,  die  von  der  mittlem  Viemng  ausgehen  und  nach 
einer  kleinem  Ausladung  einen  geradlinigen  Abschluss  finden.  Die  äussere  Um- 
randung dieses  byzantinisirenden  Kreuzes  ist  auf  allen  Seiten  gleichmässig  mit 
einem  eingravirten  spätromanischen  Bhittoraament  verziert,  das  mit  dem  Ausgange 
des  XII.  Jahrhunderts  häufig  in  ähnlichen  Metallarbeiten  anzutreffen  ist  Die  innere 
Fläche  der  Quadrate,  die  als  Abschluss  sich  an  jedem  Querbalken  befinden, 
zeigt  auf  der  innem  Füllung  eine  mit  dem  Punzen  eingetriebene  Kömung,  innerhalb 
welcher,  in  starken  Contouren  eingravirt,  die  symbolischen  Zeichen  der  4  Evange- 
listen ersichtlich  sind.  In  dem  mittlem  Quadrat  erhebt  sich  von  einer  filigranirten 
reichen  Einfassung  in  Gold  (lectulum)  umgeben  ein  ovallänglicher  Krj^stallpasten 
in  der  grössten  Länge  von  5*/s  Centimeter ,  der  im  Innem  eine  nicht  unbedeu- 
tende Partikel  vom  h.  Kreuz  umschliesst.  An  den  eingefassten  Steinen  des  Lothar- 
kreuzes zu  Aachen,  dessgleichen  auch  an  dem  reichen  Steinschmuck  der  deutschen 
Kaiserkrone  findet  man  eine  ähnliche  Fassung  von  Goldfiligranen,  die  vermittelst 
einer   rundbogigen  kleinen  Arcadenstellung   auf  einer  Unterfläche  ä  jour  ange- 


4  ST.   SEVERIN, 

bracht  ist.    Diese  eigenthttmliehe  Aulage  des  lectulum^  die  auf  eine  Fmstellung 
und  Durchbrechung  des  Hintergrundes  berechnet  zu  sein  scheint ,  hat  in  uns  die 
Vermuthung  aufkommen  lassen,  dass  dieser  grosse  geschliffene  Kr^^stall  mit  seiner 
kostbaren  Fassung   in   Goldfiligran    ursprünglich   nicht   dazu  bestimmt  war,   die 
Vierung  des  vorliegenden  Kreuzes  zu  schmücken,  sondern  dass  er  als  hervorra- 
gendes   Ornament    vielleicht   in    einem    der    Giebel   des    St.    Severinusschreines 
prangte.      Diese   Vermuthung  wird   dadurch  noch   zu  grösserer  Gewissheit  erho- 
ben, da  es  sich  zeigt,  dass  die  Partikel  vom  h.  Kreuze  mit  der  modernen  darum 
befindlichen  Goldkordonirung  und  der  Inschrift  de  ligno  dorn,  erst  in  neuerer  Zeit 
mit  der  rothseidenen  Unterlage   in  das  vorliegende  Kreuz  übertragen  worden  ist 
Als  selten  vorkommendes  Ornament  erblickt    man  ausserdem   an  Kettchen  frei- 
schwebend  und  zwar  an  den  beiden  Querarmen  befestigt  2  kleine  Phiolen  in  Berg- 
krystall  geschnitzt.     Diese  Phylakterien  in  ziemlich    roher  Sculptur  tragen  eine 
verschiedene  Form  zur  Schau,  indem  das  eine  fast  die  Formbildung  eines  Fisches  zeigt. 
das  andere  jedoch  mehr  als  kleinere*  Flasche  mit  4  Ständern,  wovon  gegenwärtig  2 
abgebrochen  sind,   sich  zu  erkennen  gibt.     Wir  erinnern   hier  im   Vorbeigehen 
daran,   dass  im  Schatze  zu  Quedlinburg  mehrere  Sculpturen  in  Krystall  als  ßeli^ 
quienbehälter  sich  vorfinden,   die  mit  den  eben  gedachten  Phylakterien  Aehnlieh- 
keit  haben.    In  welcher  Weise  die  hintere  Seite  dieses  Kreuzes  ehemals  kttnst- 
lerisch  verziert  war,  lässt  sich  nicht  ermitteln,  dessgleichcn  auch  nicht,  ob  die 
eben  beschriebene  Seite  des  Kreuzes  ehemals  als  reichere  vordere  Seite  oder  als 
Rückseite  gedient  habe.     Der  untere  Metallzapfen,  der  als  Zunge  sich  zuspitzt, 
scheint  anzudeuten,  dass  unser  Kreuz  ehemals  beweglich  gehalten  war,  nicht  nur 
zum  Einlassen  in  eine  Tragstange,  sondern  auch  zum  Einlassen  in  ein  Fussstttck. 
Der  heute  mit  demselben  in  Verbindung  gebrachte  Fusssockel  aus  Eichenholz  in 
Gestalt  eines  Pelikan  gibt  sich  als  ein  Werk  aus  dem  Schluss  des  XVII.  Jahrhun- 
derts zu  erkennen,  während  jedoch  2  Medaillons    in  Perlmutter  geschnitzt,  mit 
Darstellungen   aus  dem  Ausgange  des  Mittelalters  sich  auf  demselben    befinden. 
Das  eine  mit  Durchbrechungen  veranschaulicht  die  Verkündigung,  das  andere  grös- 
sere die  Kreuzigung  des  Heilandes.     Schliesslich  bemerken  vrir,   dass  das  eben 
besprochene  Kreuz,  welches  in  seinen  omamentalen  Einzelheiten  als  ein  Werk  des 
Xn.  Jahrhunderts  angesehen  werden  muss,  in  seiner  äussern  Anlage  und  in  seinen 
Durchbrechungen  als  eine  Parallele  aufgefasst  werden  kann  zu  jenem   merkwür- 
digen Kreuz,  das  als  schwebende  corona  lununaria,  wenn  auch  in  grösserer  Aus- 
dehnung, sich  im  Dome  von  St  Marcus  in  Venedig  findet. 


ST.   SEVERIN.  5 

114. 
Der  Reliqnienschrein 

mit  den  Gebeinen  des  h.  Severin. 

Länge  L  Meter  46  Centimeter ;  Breite  51  Centimeter;  gfösste  Höhe  92  Centimeter.    XII.  Jahrhundert. 

Den  Berichten  älterer  Schriftsteller  zufolge  soll  der  Beliquienschrein  des 
h.  Severin,  aufbewahrt  in  der  Kirche  gleichen  Namens  zu  Köln,  hinsichtlich  seiner 
entwickelten  Form  und  des  Keichthums  des  Materials  nach  dem  Dreikönigsschrein 
der  kostbarste  und  ansehnlichste  unter  den  vielen  h.  Schreinen  des  ehemaligen 
Kölns  gewesen  sein.  Obschon  in  einer  aufgeregten  Zeit  zu  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts bei  dem  Anrücken  der  Franzosen  fast  sämmtliche  Zierrathen  und  kost- 
baren Umkleidungen  der  innem  hölzernen  Truhe  gewaltsam  entfernt  worden  sind, 
so  lassen  doch  einzelne  Ueberreste  von  eingeschmelzter  und  filigranirter  Arbeit 
deutlich  erkennen,  dass  die  obengedachte  Tradition  ihre  volle  Berechtigung  habe. 
Namentlich  lässt  ein  prachtvolles  rnontle  in  Email  in  einem  grössten  Durch- 
messer von  1 1  Centimeter  gegenwärtig  noch  einen  nicht  gewagten  Schluss  über  die 
Technik  und  die  compositorische  Beschaffenheit  der  emaillirten  Darstellungen  ziehen, 
welche  ehemals  in  grösserer  Zahl  die  Flächen  des  Severinuskasten  zierten.  Wie 
am  Schreine  der  h.  3  Könige,  der  ebenfalls  durch  4  emaillirte  Plättchen  auf 
goldener  Unterlage  in  Zellenschmelz  (email  cloüanni)  verziert  ist,  so  zeigt  noch 
gegenwärtig  der  seines  Schmuckes  vollständig  entkleidete  Severinusschrein  in  dem 
breiten  Ziergiebel  an  seiner  vordem  Schmalseite  das,  in  einem  Rundmedaillon  von 
Gold,  in  Zellenschmelz  glänzende  Bild  des  h.  Severinus,  sitzend  auf  einer  reich 
verzierten  *e//a,  welche  mit  einem  gelb  und  weiss  gemusterten  Kissen  (pulvinary 
cussinupi)  bedeckt  ist.  Die  Füsse  sind  mit  dunkel  purpurrothen  Sandalen  bekleidet; 
als  Untergewand  trägt  der  Heilige  eine  faltenreiche  Albe,  auf  derselben  zeigen 
sich,  unter  der  bischöflichen  Tunicella  heiTorreichend,  2  ausmündende  Fusstheile 
einer  blauen  Stola  mit  einer  quadratisch  länglichen  Erweiterung  der  Enden. 
Darüber  befindet  sich  eine  hellblaue  Dalmatica,  die  mit  einem  gelben  breiten 
Saume,  praetexta,  an  dem  untern  Rande,  so>vie  auch  an  den  Seiteneinschnitten 
verziert  ist.  Ueber  der  Dalmatica  erblickt  man  die  faltenreiche  casula  oder  pla- 
neta  von  dunkelblauer  Farbe,  die,  in  der  alten  Form,  ohne  Einschnitt,  die  Beschaf- 
fenheit der  altem  campanvIa  zeigt.  Ueber  der  casula  befindet  sich  das  erzbischöfliche 
Pallium  in  weisser  Farbe,  das,  in  Quadraturen  abgetheilt,  in  jedem  einzelnen  Vier- 
eck ein  schwarzes  Kreuz  ernennen  lässt.  Die  Linke  des  Heiligen  hält  ein  evan-- 
geliarium,  während  er  in  der  Rechten  das  erzbischöfliche  pedum  hat,  dessen 
curvatura  vorschriftmässig  nach  Aussen  gewendet  ist.  Das  bärtige  Haupt  ist  mit 
einem  grossen  Heiligenschein  umgeben,  aber  nicht  mit  der  miti^a  bedeckt.  Zur 
rechten  Seite  des  Hauptes  der  sitzenden  bischöflichen  Figur  liest  man  in  roma- 
nischen Versalbuchstaben  in  eingelassenem  dunkelblauen  Schmelz  die  Inschrift: 
Sanctus  Severinus,    und   auf  der  andern'  (entgegengesetzten  Seite   archiepiscopus.  • 


6  8T.  SEVERIN. 

Als  ausfüllende  kreuzförmig  gebildete  Ornamente  befinden  sieh  unten  und  oben 
noch  4  ebenfalls  in  durchsichtigem  Schmelz  vielfarbig  eingelassene  Verzierungen. 
Ausser  diesem  grossen  monile  in  dem  seltenen  Zellenschmelz  ersieht  man 
auf  dem  untern  breiten  Sockel  des  Reliquienkastens  noch  4  quadratisch  läng- 
liche Belegplättchen,  deren  Flächen  mit  Goldfiligranen  und  gefassten  Edelsteinen 
ausgefüllt  sind.  Femer  haben  sich  noch  auf  dieser  Flinte  2  kleinere  eingeschmelzte 
Ornamente  erhalten,  die  ein  vielfarbiges,  mattes  Füllungsschmelz  (emaü  champ- 
leve)  erkennen  lassen,  das  in  seiner  Composition  und  in  seinen  Farbtonen 
deutlich  auf  seinen  Ursprung  von  kölnischen  Schmelzwirkem  hinweist.  Als  letztes 
Ueberbleibsel  vom  ehemaligen  Reliquienschrein  des  h.  Severinus  findet  sieh 
endlich  noch  ein  kleines  Kreuz  aus  Goldblech  mit  Filigranirungen  und  gefassten 
Edelsteinen,  das  in  künstlerischer  Beziehung  sonst  nichts  Auffallendes  hat^^er 
Schrein  hat  seine  heutige  kunstlose  Zusammensetzung  erst  am  Anfange  der  zwan- 
ziger Jahre  gefunden  und  lässt  in  seiner  verfehlten  gothisirenden  Form  doppelt 
das  Verschwinden  des  altem  Reliquiars  empfinden,  welches  als  ein  Meistenverk 
der  kölnischen  Goldschmiede-  und  Schmelzkunst  aus  dem  Beginne  des  XII.  Jahr- 
hunderts, den  erhaltenen  eben  beschriebenen  Ueberresten  zu  Folge,  zu  betrach- 
ten war. 


115, 
Morn  als  Reliqniar 

I 

mit  reichen  silbervergoldeten  Beschlägen  und  Einfagsungea. 

Grösste  Spannweite  des  Homes  28  Centimeter;  Durchmesser   der  obem  AusmUndung  10  Ccntiineter. 

XrV.  Jahrhundert. 

In  den  grossem  Kirchenschätzen  des  christlichen  Abendlandes  sind  gegen- 
wärtig noch  trotz  der  Verwüstungen  aus  dem  Schlüsse  des  vorigen  Jahrhunderts 
eine  Menge  reich  verzierter  Uörner  in  ähnlicher  omamentaler  Ausschmückung  wie 
das  vorliegende  anzutreffen.  Dieselben  dienen  jetzt  sämmtlich  zu  liturgischem 
Gebrauche,  mögen  aber  ursprünglich  einem  profanen  Zwecke  gedient  haben. 
So  sahen  wir  noch  kürzlich  im  Schatze  der  Kirche  des  h.  Servatius  zu  Mastricht 
mehrere  ähnlich  verzierte  Höraer,  die  Reliquien  enthalten.  Auch  im  Schatze  der 
Metropolitankirche  zu  Gran  in  Ungam  fanden  wir  3  grössere  Höraer,  aus  der- 
selben Epoche  wie  das  vorliegende,  die  in  der  Charwoche  als  vasa  chrfsmalia* 
benutzt  werden.  Offenbar  hat  das  vorliegende  comu  ehemals  zu  andern  Zwecken 
als  zur  Aufhebung  von  Keliquien  gedient,  denn  nicht  nur  sind  von  einer  unfähigen 


*  Hierzu  vergleiche  unsere   Beschreibung   des  Graner  Dumschatzes   mit  vielen   Abbildungen  in 
4.  Bande  der  MittheUungen  der  K.  K.  Commission  zur  Erhaltung  der  Baudenkmale  Wien,    1859. 


ST.  SEVERIN.  7 

spätern  Hand  die  2  Fussständer  auf  eine  wenig  künstlerische  Weise  unschön  hin- 
zugefügt worden,  sondern  auch  der  obere  silberne  Deckversehluss,  der  in  seinen 
quadratischen  Durchbrechungen  einzelne  Reliquien  sichtlich  werden  lässt,  ist  eine 
Zuthat  des  XVI.  Jahrhunderts,  die  mit  der  primitiven  kunstreichen  Randverzierung 
des  Homes  durchaus  nicht  harmonisch  im  Einklang  steht  Aehnlich  wie  die  reich- 
verzierten Trinkhömer,  die  ehemals  als  stattliche  Aufsätze  auf  Schautischen  bei  Trink- 
gelagen aufgestellt  zu  werden  pflegten,  und  die  sich  gegenwärtig  in  der  königlichen 
Kunstkammer  zu  Dresden  und  anderswo  noch  vorfinden,  wird  auch  das  vorliegende 
Reliquienhom  an  2  verschiedenen  Stellen,  nämlich  in  der  Mitte  und  an  der  obem 
Ausrandung  mit  kunstreich  ciselirten  silbervergoldeten  Bandstreifen  eingefasst,  die 
dem  Gefäss  zu  nicht  geringer  Zierde  gereichen.  Die  obere  breite  Randeinfassung 
zeigt  in  einer  streifenförmigen  Vertiefung  gefasste  Edelsteine,  theils  Amethyste 
theils  Rubinen,  die  jedesmal  mit  erhaben  aufliegenden  Wappenschildern  abwech- 
seln. Diese  heraldischen  Schilde,  die  in  ihrer  altem  strengem  Form  an  die  Tage 
Kaiser  Karls  IV.  erinnern,  geben  auf  eingeschmelztem  Tiefgrund  verschiedene 
Thierzeichen  zu  erkennen,  welche  auf  das  Herkommen  dieses  interessanten  Homes 
aus  königlichem  und  fürstlichem  Besitze  schliessen  lassen.  In  dem  obem  breiten 
Rande  erblickt  man  auf  dem  ersten  Wappenschilde  das  heraldische  Abzeichen  der 
Krone  Böhmens,  nämlich  den  aufrecht  stehenden  gekrönten  Löwen  in  Gold  mit 
doppelt  gespaltenem  Schweif  auf  roth  eingegossenem  Schmelz.  Daneben  ersieht 
man  das  Wappenschild  Bayerns,  die  rautenförmigen  Würfel  auf  blau  emaillirtem 
Felde.  Auch  die  goldenen  Lilien  auf  blau  emaillirtem  Felde,  die  heraldischen 
Abzeichen  Frankreichs,  kommen  in  einem  Wappenschilde  dieser  Randvertiefung 
vor.  Dessgleicheu  der  einköpfige  goldene  Adler  auf  rothem  Feld  und  noch  einige 
andere  frühgothische  Wappenschilder,  deren  Deutung  einem  erfahrenen  Heraldiker 
in  späterer  Zeit  überlassen  bleiben  mag.  Wir  bemerken  nur  noch,  dass  ausser 
den '4  ebengedachten  näher  bezeichneten  noch  4  andere  Wappen  mit  Thier-Emble- 
men  an  dem  obem  Rande  vorkommen.  Auch  der  mittlere  Theil  des  Homes, 
dessen  stoffliche  Beschaffenheit  sich  als  ein  kurzes  Kuh-  oder  Büffelhom  zu  erken- 
nen gibt,  ist  mit  einem  umfassenden  ornamentalen  Bandstreifen  von  vergoldetem 
Silber  umschlungen,  der  eine  ähnliche  Verziemng  und  Ausbildung  hat,  wie  die 
obere,  reiche  Einfassung  des  Randes.  Auffallend  und  bezeichnend  ist  es,  dass, 
wenn  auch  in  kleinerem  Umfange  sich  an  diesem  mittlem  Umfassungsbande  in 
der  Vertiefung  des  Randes  jene  Wappen  mit  denselben  heraldischen  Thierzeichen 
vorfinden,  die  auch  auf  dem  obem  ersichtlich  sind.  Gleichwie  unser  comu  suffta- 
tile  mit  2  umfassenden  Bandstreifen  der  Breite  nach  geschmückt  ist,  so  hat  der 
(joldschmied  es  auch  der  Länge  nach  mit  3  einfassenden  Bandstreifen  kunstreich 
ausgestattet,  die  eine  einfache  Verzahnung  zeigen  und  ebenfalls  wieder  durch 
erhaben  aufliegende  Wappenschilder  verziert  sind.  Auf  der  untem  Spitze  des 
Homes  erhebt  sich  in  vergoldetem  Silber  ein  kleiner  omamentaler  Aufsatz,  der 
auf  seinem  obem  sich  verjüngenden  Knaufe  mit  Vierpassröschen  ein  reich  ver- 
ziertes Mundstück  trägt.  Dasselbe  ist  aus  8  über  einander  geschobenen  Eichen- 
blättem  gebildet,  die  eine  trichterförmige  offene  Röhre  umfassen.    Die  Art  und 


8  ST.   SEVEUIN. 

Beschaffenheit  dieses  obern  Aufsatzes  als  Mundstück  besagt  deutlich,  dass  das 
Hom  ehemals  nicht  einem  kirchlichen,  sondern  einem  profanen  Zweck  bestimmt 
war.  Im  Hinblick  auf  die  vielen  Wappen,  die  hier  nicht  als  bedeutungsloses  Onia- 
ment  vorkommen  und  in  Betrachtnahme  des  bequem  eingerichteten  Mundstückes 
zum  Blasen,  machten  wir  hier  die  nicht  gewagte  Hypothese  aufstellen,  dass  dieses 
zierliche  Blasinstrument  als  Hifthorn  in  jenen  Tagen  des  blühenden  Ritterthunis  be- 
nutzt worden  ist,  als  im  Äbendlande  Fürsten  und  Grafen  mit  zahlreicher  Dienerschaft 
sich  am  edlen  Waidwerk  vergnügten  und  der  damals  so  beliebten  Falkenjagd 
oblagen.  Noch  weisen  wir  darauf  hin,  dass  auf  der  untern  Bauchung  des  Bornes 
ausser  den  vielen  kleinen  Wappenschildern  sich  noch  ein  grosses  Wappen 
vorfindet,  das,  von  einem  breiten  omamentalen  Rand  umfasst,  auf  goldenem  Fond 
ein  Pfianzenomament  zu  erkennen  gibt.  Neben  diesem  grossem  Hauptwappen 
erblickt  man  ein  kleines  silben^ergoldetes  Spruchband,  auf  welchem  in  gothi- 
scher  Minuskelschrift  folgender  eingravirter  Spmch  zu  lesen  ist:  „mix  willen^.  Ver- 
gleicht man  dieses  formschöne  Hom  mit  dem  Jagdhom  in  geschnitztem  Elfenbein, 
das  sich  gegenwärtig  in  reicher  Ausstattung  in  der  herzoglichen  Kunstkammer 
des  Schlosses  Friedenstein  zu  Gotha  vorfindet,  *)  zieht  man  femer  noch  in  Betracht  . 
die  ähnlich  gestalteten  Homer  zum  Gebräuche  auf  der  Falkeiyagd,  wie  sie  gegen- 
wärtig noch  in  öfientlichen  und  Privatsammlungen  vorkommen,  so  wird  man  nicht 
nur  zugeben  müssen,  dass  das  vorliegende  Blasinstrument  in  den  Tagen  Kaiser 
Karls  IV.  des  Luxemburgers  Entstehung  gefunden  hat,  sondem  dass  es  ursprüng- 
lich ftir  die  ars  venandi  angefertigt  und  erst  später  ftir  die  Aufbewahrung  von 
Reliquien  in  kirchlichen  Gebrauch  gekommen  ist. 


116. 
Bischofsstab^  als  Reliqnienbehälter, 

in  Silber  mit  vergoldeten  Ornamenten. 

Länge  54  Centimeter;  grOsste  Aiisdehnang  der  KrUmme  13Vs  Centimeter. 

XY.  Jahrhundert. 

Sowohl  die  einfache  Beschaffenheit  des  in  Rede  stehenden  pedum,  als  auch 
die  kleine  Dimension  desselben,  besagt  deutlich,  dass  dasselbe  niemals  bei  bischöf- 
lichen Functionen  gebraucht  wurde,  sondern  im  ehemaligen  Stifte  von  St  Se- 
verin  dazu  diente,  in  seiner  untern  Abtheilung  einen  Theil  jenes  Stabes,  des- 
sen sich  der  h.  Öeverinus  in  seinen  Lebzeiten  bedient  hatte,  aufeubewah- 
ren.  Diese  Reliquie  ist  vermittelst  einer  Oeffhung  am  untern  Theile  der 
canfia    deutlieh  zu  ersehen.      Der  Stab   des    h.    kölnischen   Erzbischofs  ßcbeJBt 


*)  Vgl.  unsere  Beschreibung  und  Abbildung  dieses  Ilifthomes  in  dem  Organ  Hlr  christliche  Kun.<t 
Jahrgang  1859. 


ST.   SEVERIN.  9 

aus  einer  feinen  Holzart  mit  starker  Maserung  bestanden  zu  haben.  Das  Reli- 
quiar  mit  seiner  obem  eurvatura  ist  aus  Silberblech  glatt  und  einfach  gehalten. 
Nur  der  obere  Aufsatz  der  Krümmung  ist  achteckig  gebildet  und  zeigt  dieselbe  in 
ihrer  Rundung  ein  verschlungenes  Blattornament,  wie  es  dem  XY.  Jahrhundert 
eigenthttmlich  ist  Auf  dem  äussern  Rücken  der  Krümmung  sind  5  getriebene 
Krabben  in  vergoldetem  Silber  aufgelöthet,  ähnlich  wie  man  sie  in  der  Architek- 
tur häufig  auf  den  Ziergiebeln  über  grossem  Fenstern  antrifft.  Den  reichsten 
Theil  des  vorliegenden  Reliqniars  bildet  der  mittlere  Knauf,  der  als  pomellumf 
manubrium  die  untere  glatte  Röhre  überragt  und  aus  dem  die  Krümme  hervor- 
geht Diesen  silbervergoldeten  Knauf  umgeben  stark  vorspringende  Pasten  in 
rautenförmiger  Stellung,  die  auf  ihrer  glatten  äussern  Fläche  die  Halbbilder  ver- 
schiedener Heiligen,  nämlich  der  allerseligsten  Jungfrau,  der  h.  Cornelius  und  Severi- 
nus,  der  h.  Catharina  und  Margaretha  und  des  h.  Christoph  in  schwacher  Gravirung 
erkennen  lassen.  Auch  diese  eingravirten  Heiligenfiguren  besagen,  wie  die  oben- 
gedachten spätgothischen  Pflanzenomamente,  deutlich,  dass  dieses  Werk  gegen 
Schluss  des  XV.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  ist.  Sowohl  dieser  Stab  als  auch 
das  vorhin  beschriebene  Hom,  das  ausser  mehrem  andern  auch  Reliquien  der 
h.  Cornelius  und  Cyprianus  enthält,  werden  jeden  Montag  Morgen  bei  der  h.  Messe 
um  8  Uhr  auf  den  Hauptaltar  gelegt  (daher  auch  der  Name  der  Hömchens-Messe), 
und  werden  dann  den  Andächtigen  nach  vollendetem  Messopfer  sowohl  die  Reli- 
quien in  dem  sogenannten  Hom  des  h.  Cornelius,  wie  auch  die  vom  Stabe  des 
h.  Severin  zur  Verehrung  und  zum  Kusse  dargereicht 


k_ 


Schrein 

in  vergoldetem  Holz,  Reliquien  mehrerer  Heiligen  enthaltend. 

Länge  27  Centimeter;  Breite  19  Oentimeter;  Höhe  32  Centimeter.  XIV.  Jahrh. 

Gleichwie  sich  in  kölnischen  Kirchen  gegenwärtig  noch  eine  grosse  Zahl 
von  capita  pectoraUa,  brachialia  vorfinden,  in  ähnlicher  Form  und  Gestaltung, 
wie  sie  in  der  1.  und  2.  Lieferung  abgebildet  sind,  so  haben  sich  auch 
mehrere  kleinere  Reliquienschreine  in  vergoldetem  und  versilbertem  Holz  da- 
selbst erhalten,  die  in  alten  Inventaren  meistens  den  Namen  scriniolae 
führen.  Auch  der  in  Rede  stehende  Schrein,  den  wir  unter  Nr.  117  in 
verkleinertem  Massstab  abgebildet  haben,  dürfte  als  Typus  betrachtet  werden, 
in  welchen  einfachen  und  doch  geschmackvollen  Formen  aus  Holz  man 
im  XIV.  und  XV.  'Jahrhundert  Reliquiarien  zu  gestalten  pflegte.  Auf  einem 
in  Spitzbogenform  imd  einfachem  Nasenwerk  durchbrochenen  Sockel  erhebt 
sich  der  eigentliche  rechteckig  längliehe  Behälter,   dessen  beide  Kopftheile  durch 

2 


10  ST.  8EVERIN. 

eine  dreifache  Fensterstellung  durclibrocfaen  sind,  während  die  Langseite  durch  2 
durchbrochene  Vierpässe  belebt  wird,  deren  vergoldetes  Hasswerk  hinter  Glasver- 
scbluss  die  Reliquien  zur  Anschauung  gelangen  lässt  Bekrönt  wird  das  zierlieh 
geformte  Schreinchen  durch  eine  durchbrochene  Gallerie  von  gothischem  Laub- 
werk; hinter^^diesem  erhebt  sich  eine  zeltförmige  kleine  Bedachung,  die  auf  der 
obem  Firste  mit  6  Lilien  verziert  ist  In  dem  thesaurarium  von  St.  Severin,  welches 
als  geräumiger  Wandschrank  an  der  Evangelienseite  des  Altars  angebracht  ist, 
sind  heute  ausser  dem  ebengedachten  scriniolum  wenige  Beliquiarien  mehr  anzu- 
treffen, die  ahnen  Hessen,  von  welcher  künstlerischen  Beschaffenheit  die  ehemals 
hier  aufgehobenen  Gefässe  gewesen  sein  mügen.  Diesem  Reliquienschrank 
gegenüber  befindet  sieh  an  der  entgegengesetzten  Seite  des  Chores  ein  saerü" 
rium  zur  Aulbewahrung  der  h.  h.  Eucharistie,  das  als  reicheres  Sculpturwerk  der 
Renaissance  erst  gegen  Schluss  des  XVL  Jahrhunderts  angefeiligt  worden  ist 


118^ 
ThiirTerziernng 

in  Form  eines  Löwenkopfes,  Gusswerk  des  XII.  Jahrhunderts. 

GrOsster  Durchmesser  30  Centimeter;  Höhe  des  getriebenen  Kopfes  9  Centimeter. 

Man  liebte  es  in  der  romanischen  Kunstepoche,  nicht  ohne  symbolische 
Bedeutung,  auf  den  Doppel -Thtlren  des  Haupteinganges,  meistens  von  zierlichen 
Beschlägen  umgeben,  stark  vorspringende  Löwenköpfe  aus  kräftigem  Messingguss 
anzubringen.  Diese  Thierköpfe  mit  strenger  Stylisirung  der  Mähneu  hatten 
in  der  Regel  auch  den  praktischen  Zweck,  dass  durch  den  halbgeöfliieten 
Rachen  bewegliche  Ringe  von  Messing  durchgeführt  waren,  rermittelst  deren 
als  Handhaben  die  schweren  ThUren  leichter  geschlossen  werden  konnten. 
Zahlreich  sind  an  den  primitiven  Kirchthtlrcn  des  XL  und  XH.  Jahrhunderts 
heute  noch  so  geformte  omamentale  Gusswerke  anzutreffen.  Wir  verweisen 
im  Vorbeigehen  hier  nur  auf  die  Thieromamente  an  den  karolingischen  gegossenen 
Thürfiügeln  des  Domes  zu  Aachen,  an  die  prachtvollen  Löwenköpfe  auf  den  gegen- 
wärtig leider  moderaisirten  ThUren  des  Domes  zu  Mainz,  auf  die  ähnlichen  Ver- 
zierungen an  den  gegossenen  Reliefthttren  zu  Hildesheim,  einem  Werke  des  gros- 
sen h.  Bischofes  Bernward,  an  die  Löwenköpfe  der  Messingthtlren  des  Domes  zu 
Augsburg  und  die  Thürflügel  der  Kirche  von  St.  Zeno  in  Verona  etc.  etc.  Zwei- 
felsohne fanden  sich  diese  überall  vorkommenden  Löwenköpfe  auch  als  Thüner- 
zierungen  an  mehreren  altern  Eingängen  romanischer  Kirchen  Kölns  vor.  Als 
Reminiscenz  dieser  omamentalen  Verzierungen  des  alten  Kölns  hatte  sich  \A^ 
in   die    letzten   Zeiten  an  einem  Thürflügel    von    St  Severin    noch    ein    solches 


ST.   REVKKIX.  11 

Gus8werk  erhalteu,  dessen  Abbildung  >vir  hier  geben  und  das  bei  der  Aufstellung 
einer  neuen  glatten  Thttr  von  kunstlosem  Aeussem  entfernt  worden  ist  und  jetzt 
in  der  Saeristei  aufbewahrt  wird. 


119. 
Lesepult 

in  Form  eines  Adlers,  ein  Gusswerk  in  Kupfer  mit  Spuren  ehemaliger 

Feuervergoldung. 

Orösste  Höhe  53  Centimeter;  Spannweite  der  FlUgel  39  Centimetcr.     XIV.  Jahrhundert. 

lu  belgischen  und  rheinischen  Kirchen  haben  sich  als  grossartige  Ousswerke 
aus  dem  Schlüsse  des  Mittelalters  noch  mehrere  pulpita  erhalten,  die  in  alten 
Schatzverzeichnissen  meistens  lecioria  genannt  werden.  So  besitzt  unter  anderen 
die  Liebfrauenkirche  zu  Tongern  ein  solches,  zu  welchem  sich  verwandte  Analo- 
gien im  Münster  zu  Aachen  und  (aus  Altenberg  stammend»  in  der  Maxkirche  zu 
Düsseldorf  erhalten  haben.  Köln  hat  aus  den  Tagen  des  Mittelalters  kein  gegos- 
senes lectorium  mehr  aufzuweisen,  das  in  einer  reichen  architektonischen  Anlage 
oben  von  einem  Adler  überragt  wird.  Allein  in  der  ehemaligen  Stiftskirehe  von 
St.  Severin  bewahrt  man  gegenwärtig  noch  ein  pulpituntj  das  in  einfacherer  Form 
als  bescheidene  Parallele  zu  den  ebengedachten  Lesepulten  aufgefasst  werden 
kann.  Es  erhebt  sich  nämlich  auf  einer  Säule,  mit  einer  Abkantung  im  Sechseck 
nach  Unten,  das  hohl  in  Kupfer  gegossene  Bild  eines  Adlers,  der  mit  ausge- 
spannten Krallen  den  capitälartigen  obem  Aufsatz  der  Kundsäule  gefasst  hält.  Brust 
und  Oberkörper  desselben  sind  schuppenförmig  gestaltet,  um  auf  diese  Weise  das 
Gefieder  anzudeuten.  Die  FlUgel  sind  zur  Hälfte  ausgebreitet,  damit  Baum  für 
die  Auflegung  des  Evangelienbuches  gewonnen  werden  kann.  Leider  ist  gegenwärtig 
der  gallerieartige  Vorsprung  der  ehemals  auf  den  ausgebreiteten  Flügeln  behufs  der 
Auflage  des  lectionariums  ruhte,  verschwunden.  Auch  zeigt  sich  auf  dem  Kücken 
des  Vogels  eine  grosse  ovalrunde  Oeffnung,  vielleicht  eine  Andeutung,  das»  ehe- 
mals auf  diesen  Flügeln  und  auf  dem  Kücken  des  Adlers  ein  reich  gefonntes 
pulpitum  mit  Masswerkdurchbrechung  ruhte,^  das  diese  Oeffnung  so  wie  die  ziem- 
lich unfertig  gearbeiteten  obem  Flügel  grösstentheils  verdeckte.  Dieses  pulpitum 
war  wahrscheinlich  durch  Schrauben  in  jenen  Oeffuungen  befestigt,  die 
sich  an  vier  verschiedenen  Stellen  der  beiden  Flügel  gegenwärtig  noch  vor- 
finden. Besonders  charakteristisch  hinsichtlich  seiner  Stylisirung  ist  der  Kopf 
und  der  Sehnabel  des  Adlers  und  zeigt  sich  an  denselben  am  deutlichsten 
die  Reinheit  und  technische  Vollendung  des  Ousses.  Da  sich  an  dem  Vogel 
keine  sonstigen  Ornamente  zur  Bestimmung  der  Zeitepoche  seiner  Entstehung 
erhalten  haben,  so  düifte  es  schwer  sein  mit  einiger  Sicherheit  die  Zeit  des 
Gusses  anzugeben.    Nimmt  man  an,  dass  der  untere  Ständer  von  Holz  mit  seinem 


12  ST.  SEVERIN. 

breiten  Dreifuss,  der  ein  einfaches  gothisches  Nasenwerk  zeigt,  ursprünglich  sei, 
und  aus  der  Entstehungszeit  des  darauf  befindlichen  Gusswerkes  herrühre,  so 
dürfte  das  letztgenannte  gegen  Schluss  des  XIV.  oder  im  Beginne  des  XV.  Jahr- 
hunderts als  vollendetes  opus  fusile  durch  einen  köhiischen  Gelbgiesser  gebildet 
worden  sein. 


120. 
nUtelalterliche  Figuren  und 

Das  ehemalige   vestiarium  des  Stiftes  von  St  Severin  umfasste  gewiss  eine 
Menge  von  reich  gestickten  kirchlichen  Ornaten,   die  von  der  gerühmten  Kunst- 
fertigkeit kölnischer  Sticker  und  Wappenwirker  Zeugniss  abzulegen  vermochten. 
Nach  den  Stürmen  des   letzten  Jahrhunderts  finden  sich  gegenwärtig  nur  noch 
wenige  Stickereien  an  liturgischen  Ornaten  in  den  Gewandschränken  von  St  Se- 
verin vor,  und  die  noch  vorhandenen  lassen  kaum   einen  Schluss  ziehen,  welche 
Nadelwirkereien  hier  ehemals  aufbewahrt  waren.  Es  haben  sich  nur  einige  Figur- 
stickereien in   Plattstich  als  Ornamente  von  Kreuzen  in  einzelnen  Messgewäudem 
erhalten,  die  sowohl  in  der  Composition  als  in  der  Ausftihrung  hinsichtlich  ihres 
künstlerischen  Weilhes   nicht  hoch  anzuschlagen  sind.    Ein  desto  grösseres  Inter- 
esse  beanspmchen  jedoch  jene  goldgestickten  Stäbe  {aurifrisiae)  an  zwei  altem 
Dalmatiken,   deren   Grundstoff  aus  figurirtem  grünem  WoUsammt  besteht     Die 
eingepressten  Muster  in  diesem  Stoffe  besagen  deutlich,  dass  derselbe  dem  XVI. 
Jahrhundert  angehöre,    wo  hingegen  die   gestickten  Aurifrisien  wenigstens   um 
250  Jahre  älter  anzusetzen  sind.     Diese   Stabstickereien  in  Goldfäden   sind  auf 
einem  jetzt  in  der  Farbe  sehr  erloschenen  rothen  Sammt  ausgeftihrt,  der  durch 
das  Alter  sehr  gelitten  hat.    Die  Goldstickerei  selbst  setzt  sich  als  ein  Laubge- 
winde in  2  Verästlungen   gleichmässig  in  diesen  Aurifrisien  fort,  und  bildet  als 
immer  wiederkehrendes  Motiv  eine  Form,  die  einer  Mandorla  sehr  nahe  kommt 
Da  wo  die  Laubeinfassungen  sich  erweitem,  hat  die  Kunst  des  Goldstiekers  ab- 
wechselnd entweder  eine  ausfüllende  Blume  in  Gold  angebracht ,  oder  aber  ein 
Wappenschild,   das   die  heraldischen  Abzeichen  eines  gräflichen  oder  filrstlichen 
Geschenkgebers  wahrnehmen  lässt.    Auf  den  breiten  MittelstUcken,  die  die  beiden 
schmälern  Stäbe  auf  dem  vordem  und  dem  hintern  Theile  der  Dalmatica  verbinden, 
sind  ebenfalls  durch  Kadelmalerei  die  Halbbilder  verschiedener  Heiligenfiguren,  ein- 
gefasst  von  goldgestickten  Laubornamenten,  angebracht  worden.    Betrachtet  man 
die  feine  Stylisirung  des  Blätterwerkes  in  Verbindung  mit  der  Composition  der 
Halbfiguren  und  die  charakteristische  Ausführung  der  Gesichtsztige  in   Plattstich, 
so  dürfte  man  zu  der  Ueberzeugung  gelangen,  dass  diese  kölnische  Gold-  und 
Figurenstickerei  gegen  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  Entstehung  gefunden  habe. 
Diese  chronologische  Annahme  dürfte  auch  bestätigt  werden  durch  die  Gestaltung 


k-   , 


_  -• 


ST.  SEVSRIX.  13 

Ansbildong  der  yerschiedeoen  Wappen  und  ihrer  henddischeu  Eiutheilim^  und 
lawdnnng:,  die  in  den  schmalen  Äurifrisien  in  grosser  Zahl  sich  vorfinden.   Koch 
vei^n  wir  im  Vorbeigehen   darauf  hin»  dass  in  dem  armarinm  ^on  St.  Severin 
*  skfa  auch  eine  ältere  bmrm  eorporüKiom  erhalten  hat,  die,  mit  rothem  Samnit  ttber- 
xf^en,  auf  ihrem  obem  Deckel  in  den  4  Ecken  als  kleinere  Ornamente  Goldstickereien 
lei^;  in  einem  schweren  GoldbouUon  ausgeflihrt,  geben  sich  diese  Verzierungen  als 
kroderies  dEspagne  zu  erkennen,  wie  dieselben  in  der  2.  Hälfte  des  XVI.  Jahrhun- 
derts allgemein  ftblich  waren.  Auf  dem  mittlem  Deckel  dieser  CorponUkapsel  befin- 
det sich  ausserdem  noch  in  Gold  gestickt  ein  Wappen,  das  von  6  goklgestickten 
Buchstaben  umstellt  ist     Zu  dieser  capsella  hat   sich  auch  noch  eine  paHa  mit 
Goldstickerei  erhalten,  die  auf  einem  rothen  Atlas  in  mittelalterlicher  Schreibweise 
das  Hierogramm  IHS  von  einem  Domenkranz  umgeben  darstellt.     Diese  Namen- 
chifire  war  ehemals  mit  Perlen  bestickt,  die  heute  verschwunden  sind;  das  Gleiche 
jrilt  auch  von  den  4  Buchstaben,  die  in  den  Ecken  angebracht  sind. 


Die  Terschwnndenen  Kunst-  nnd  Reliquienschfttze  von 

St  Severin. 

Der  Schatz  von  St.  Severin  theilt  mit  den  übrigen  hiesigen  Kircbeuscbätzen 
das  Loos,  dass  er  in  jenen  traurigen  Tagen  in  die  Schmelze  zu  wandern  gen($- 
tbigt  wurde,  als  die  Sansculotten-Wirthschaft  in  Frankreich  auch  die  Hegriffe  von 
Mein  und  Dein  vieler  aufgeklärter  Kölner  damaliger  Zeit  verwirrt  hatte. 

Zum  Belege,  welche  grosse  Gleichgültigkeit  für  die  Erhaltung  kunst-  und 
werthvoller  kirchlicher  AlterthUmer  selbst  unter  den  Gebildeten  der  damaligen 
traurigen  Zeiten  sich  eingestellt  hatte,  führen  wir  hier  zur  Beherzigimg  für  kom- 
mende Tage  folgendes  Factum  an,  das  uns  als  geschichtlich  verbürgt  von  einem 
altera  Kölner  Bürger  mitgetheilt  worden  ist  Als  gegen  Schluss  des  vorigen  Jahr- 
hunderts französische  Commissäre  unter  verschiedenen  Titeln  fortwährend  von  den 
kölnischen  Klöstern,  Stiften  und  Pfarrkirchen  Summen  zu  erpressen  wussten,  traf 
es  sich,  dass  man  auch  den  Stiftsherren  von  St.  Severin  nach  vielen  vorherge- 
gangenen Zahlungen  eine  neue  Summe  zu  bezahlen  auferlegte.  Alles  baare  Geld 
and  auch  sonstige  Kirchenkleinodien  waren  früher  schon  veräussert  worden.  Da 
entschlossen  sieh  bei  dem  neuen  Drängen  die  Canoniker  von  St.  Severin  ihr  letz- 
tes Kleinod  anzugreifen  und  zu  Geld  zu  machen.  Man  berief  einen  kölnischen 
Goldschmied  M.,  damit  er  den  werthvollen  silbervergoldeten  Schrein  gegen  Erle- 
gung einer  grossem  Summe  in  die  Schmelze  nehme.  Der  berufene  Goldschmied 
»äumte  nicht,  sich  rasch  an  die  Zerstörungsarbeit  zu  geben.  Aber  siehe  da,  beim 
Lostreiben  der  reich  ciselirten  und  getriebenen  Tafeln,  die  das  Schreinwerk  des 
h.  Severin  schmückten,  stellte  sich  sofort  heraus,  dass  die  meisten  Metallbleche 
nicht  aus  vergoldetem  Silber,  sondern  aus  purem  Golde   waren.    Der  wackere 


14  ST.  SEVERIN. 

Meister  gebt  desswegen  sofoii;  zum  Propste  mit  der  Anzeige,  dass  das,  was 
er  als  Silber  eingekauft  babe,  sich  als  Gold  herausstelle.  Die  Canoniker  von 
St.  Severin  beschlossen  sofort  in  Anerkennung  der  Geradheit  und  Ehrlich- 
keit des  Meisters,  dass  nur  per  Loth  eine  unbedeutende  Erhöhung  des  stipu- 
lirten  Kaufpreises  eintreten  solle.  So  wurde  denn  bald  darauf  der  Beliquienschrein 
von  St.  Severin  rücksichtslos  zerstört,  der  einer  mündlichen  Tradition  zufolge  an 
Schönheit  der  Formen  imd  an  Beichthum  des  Materials  nur  allein  von  dem 
Dreikönigs-Kasten  des  Domes  übertroffen  wurde.  Dass  in  diesen  Tagen  der  Zer- 
störung von  historischen  Kunstwerken,  die  im  Laufe  von  700  Jahren  in  den  Mau- 
ern Kölns  Entstehung  gefunden  hatten,  ungeschliffene  Edelsteine  und  Perlen  fast 
keinen  Werth  mehr  hatten  und  dass  die  grosse  Menge  der  letzteren  nur  mit  dem 
Maasse  von  Deutzer  Juden  fllr  ein  Spottgeld  angekauft  zu  werden  pflegten,  haben 
wir  an  anderer  Stelle  dieses  Werkes  mitgctheilt.  Zur  Charakterisirung,  wie  man 
damals  in  Köln  mit  den  grossen  incrustirten  Schmelzwerken  des  XI.  und  XII.  Jahr- 
hunderts, die  auf  vergoldetem  Kupfer  als  Grubenschmelz  (emm'l  champleve)  eingelassen 
waren,  schonungslos  verfuhr,  diene  folgendes  Curiosum,  das  uns  von  einem  alten  Grold- 
schmiede  mitgetheilt  wurde.  Dieser  alte  Meister  drückte  uns  einstmals  sein 
Befremden  aus  über  den  fabelhaft  hohen  Preis,  der  fllr  solche  byzantinische 
emaillirte  Tafeln  und  kirchliche  Utensilien  von  Seiten  reicher  Kunstliebhaher  gebo- 
ten würde.  „Zu  meiner  Jugendzeit,"  äusserte  wörtlich  der  Meister,  „war  das 
anders,  man  machte  aus  diesem  emaillirten  Kupfer  nicht  viel  Aufhebens;  so  erin- 
nere ich  mich  noch  wohl,"  fuhr  der  alte  Mann  fort,  „dass  ich  als  Lehrjunge  viele 
Monate  nichts  anders  gethan  habe,  als  mit  einem  grossen  Hammer  dieses  farbige 
„Posteling"  von  den  vertieften  Kupfertafeln  durch  Schlagen  abzulösen  und  auf 
diese  Weise  das  Metall  des  Bothkupfers  wieder  zu  gewinnen." 

Wenn  man  auf  diese  barbarische  Weise  mit  Beseitigung  der  künstliehen 
Schmelzarbeiten  darauf  ausging,  die  Grundlagen  incrustirter  Belegplatten  von  Reli- 
quienschreinen, Antipendien  und  grossem  Kronleuchtern  zu  gewinnen,  so  kann 
man  unbedingt  zugeben,  dass,  in  Anbetracht  der  vielen  heute  noch  erhaltenen 
Schmelzwerke,  die  Zahl  der  Kunstschätze  dieser  Art  in  Köln  noch  bis  zum 
Schluss  des  vorigen  Jahrhunderts  äusserst  bedeutend  gewesen  sein  muss. 

Ausser  dem  kostbaren  goldenen  Sarkophag,  der  ehemals  die  Gebeine  des 
h.  Severin  barg  imd  wovon  jetzt  nur  als  letzter  Best  das  auf  Taf.  XLI.  Fig.  1 1 4 
beschriebene  Bild  dieses  Heiligen  auf  goldener  Grundlage  in  durchsichtigem  Zellen- 
schmelz sich  erhalten  hat,  sah  man  bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  in  der  besag- 
ten Stiftskirche  zwei  Kronleuchter,  in  der  Weise  der  corona  lummaria  von  St  Pan- 
taleon,  die  als  Meisterwerke  des  Gusses,  des  Schmelzens  und  Ciselirens  länger 
als  600  Jahre  an  Festtagen  die  alte  Basilika  des  h.  Severin  mit  magischem  Licht- 
schmucke  erleuchteten.  Als  es  jedoch  zu  Anfang  unseres  XIX.  Jahrhunderts  hell 
und  klar  in  den  Köpfen  Vieler  zu  werden  begann,  leuchtete  es  ein,  dass  man 
diese. Lichterkronen  wohl  füglich  entbehren  könnte.  Und  so  wurden  Kunstwerke 
mii  dem  üammer  zerstört,  die  die  vorübergegangenen  Geschlechter  Jahrhunderte 
hindurch  erfreut  und  erbaut  hatten  die  aber  von  der  jüngsten  Generation  nicht 


ST.   SEVEBIK.  15 

mehr  gewürdigt  und  verstanden  wurden.  Leider  gibt  der  sonst  so  umständliche 
und  ausführliche  Gelen  weder  die  Inschrift  an,  die  auf  der  äussern  Umrandung 
des  kleinen  Kronleuchters  gravirt  war,  noch  auch  die  leoninischen  Verse  auf  den 
Flächen  der  grossen  Lichterkrone,  die  nur  an  Festtagen  angezündet  zu  werden 
pflegte.  Dr.  Heuser,  Professor  im  hiesigen  erzbischöflichen  Seminar,  theilte  uns 
eine  Abschrift  jener  leoninischen  Verse  mit,  die  ehenmls  auf  den  Flacbtheilen  der 
äussern  Peripherie  des  grossen  Kronleuchters  von  St  Severin  angebracht  waren 
und  die  derselbe  in  dem  Nachlasse  von  Alfter  (museum  Alßerianum  Vol.  \2)  in 
der  hiesigen  Gymnasialbibliothek  gefunden  und  copirt  hatte.  Die  Abschrift  lautet, 
ohne  Zweifel  nicht  ganz  correct,  bei  Alfter  wörtlich: 

Inscriptio  magnae  coronae  ad  S.  Sevennum  in  circuitu,  in  medio  Ecclesiae 
pendentiSf  quam  Stavüo  Decanus  et  Diacanus  una  cum  corona  in  choro  pendente 
donavit. 

Jure  dei  nati  perkibentur  pacificati 

Justis  per  luctum  praestant  solemnia  fructum 

Munditie  cordis  mamfestat  se  sator  orbis 
*         Ejus  (Et?)  Jeritas  cordis  (cordi?)  datur  his  par  (paxi)  inde  referri 

Mitibus  amplifice  sentit  possesio  terrae 

Moris  multa  polis  est  pro  xpo,  reprobatis 

Pneumatis  sapories  homini  fit  coelica  sedes 

At  sitis   atque  James  saturabit  justa  fideles. 
In  i^reriore  parte: 

Huic  (Huc?)  et  virorum  (vivorumf)  spes  ducat  certa  bonorum 

Atque  fide  mentis  depromunt  munera  templis 

Speravit  etemas  sibi  quis  fulgere  lucemas 

Dispensatori  (is?)  clemens  operisque  datoris 

Ipsi  xpicolis  gaudent  se  subdere  votis 

Rectis  corde  probas  quia  dant  benefacta  Coronas 

Atque  St,  manes  stabüis  cole  regnis  nos  stabUistis 

Sis  tu  vere  Deus  mundi  solamine  Jesus, 

So  sah  man  auch  noch  in  den  Tagen  des  Gelen  vor  dem  Kreuzaltare  in 
St.  Severin  einen  grossen  Candelaber,  ebenfalls  ein  Meisterwerk  des  Gusses;  ob 
derselbe  als  Nachbildung  des  Salomonischen  Leuchters  siebenarmig  war,  wie  der 
Candelaber  in  Essen,  oder  ob  derselbe  als  Passions-Leuchter  nur  5  Arme  hatte, 
ähnlich  dem  Meisterwerk  in  St.  Cunibert  (vgl.  IL  Lieferung i  davon  spricht  unser 
Berichterstatter  nicht.  Jedenfalls  gehörte  derselbe,  wie  die  darauf  eingegrabenen  leoni- 
nischen Verse  beweisen,  der  romanischen  Kunstperiode  an  und  mochte  in  reicher  Form- 
entwicklung in  jenen  Zeiten  Entstehung  gefunden  haben,  als  der  Stiftsdechant  Stavilo 
die  eben  besprochene  grössere  und  kleinere  corona  luminaria  anfertigen  Hess.  Die 
Inschrift  auf  diesem  Candelaber,  einem  Geschenk  des  Probstes  Arnold  (vielleicht 
jenes  Arnold,  dessen  Name  auf  Urkunden  von  1080 — 1094  vorkommt»,  lautete  so: 

Praesulis  Annonis  memor  Amoldus  junioris 
Supplicat  ut  coelis  micet  ipse  lucema  fidelis 


16  ST.   SEMIIRIK. 

Et  precibus  teneat  quem  Praepositum  fadebat 
Sit  tibi  concivts  tnter  candelabra  lucis 
Pro  queis  corde  pio  miti  dat  et  hoc  Severino. 
In  der  arca  reliquiarumy  die  heute  noch  als  tiefes  Wandgelass  von  einem 
starken  Gitter  verschlossen  an  der  Evangelienseite  in  der  Chor-Absis  von  St.  Seveiin 
ersichtlich  ist,  befanden  sich  bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  nach  dem 
Wortlaute  des  früher  citirten  Manuscriptes  im  Besitze  des  Herrn  Hofbachhändlers 
Eisen  ein  silbernes  caput  pectorale,  mit  Reliquien  von  der  h.  Emerentia;  femer  ersah 
nian  in  diesem  Schatze  3  reichvezierte  kostbare  Reliquienkreuze,  wovon  das  eine 
im  Jahre  1388  von  dem  Canonicus  Jacob  de  Porcheto  (Burtscheid?)  dem  Schatze 
von  Severin  geschenkt  worden  war.  Von  demselben  Canonicus  befanden  sich 
auch  als  Geschenke  im  dortigen  receptaeulnm  3  andere  reichverzierte  silbervergoldete 
Reliquienbehälter,  welche  Ueberbleibsel  verschiedener  Heiligen  enthielten.  Dess- 
gleichen  bewahrte  der  oft  gedachte  Schatz  5  verschiedene  grössere  und  kleinere 
Reliquien-Monstranzen  in  kunstreichen  Formbildungen,  die  eingravirten  Inschriften 
zufolge  als  Geschenke  von  einzelnen  Canonikem  des.  besagten  Stifl;es  herrührten. 
Endlich  befanden  sich  dort  eine  Anzahl  Reliquiare  von  verschiedener  Form  und 
Gestalt,  die  unser  Manuscript  einfach  „silberne  ttberguldene  Geschier**  oder  auch 
„Ubersilberne  Uberguld  Gefäss"  benennt  Alle  diese  kunstvollen  Gefilsse  und  heili- 
gen Geräthe  scheinen  in  der  nämlichen  unheilvollen  Katastrophe  verkauft  worden  zu 
sein,  in  welcher,  wie  früher  bemerkt,  auch  der  prachtvolle  Schrein  des  h.  Severin 
in  der  Schmelze  seinen  Untergang  gefunden  hat. 


JitilitifAini  .1Riir>um . 


jStä&tijHjpH  JAntrum. 


& 


;^Nibtirrl;f^.  äHlnftttin . 


iSt«Mifr|f?Hii(n 


jSlÄbtirrfjfii  Jfluffam  u.  ß  6nvj^. 


^fdbfifcfeö  'g^lufeum. 


Kunstwerke  daselbst,  die  bis  zum  Anfange  dieses 
Jahrhunderts  sich  noch  in  kölnischen  Kirchen  befanden. 

Seite 

121)  Kamm  des  h.  Heribert,  in  Elfenbein  geschnitzt,  herrührend  ans  der  ehe- 

maligen Abtei  Deutz.  XI.  Jahrhundert  Taf.  XLIII.  Fig.  121     ....      3 

122)  Kamm    mit    naturhistorischen,    sculptirten    Ornamenten    in    Elfenbein. 

XI.   Jahrhundert  Tai.  XLIV.  Fig.  122 6 

1 23)  Orientalisches  Elfenbeinkästchen  mit  geschnitzten  Ornamenten.  XI.  Jahrh. 

Taf.  XLV.  Fig.  123 9 

124)  Flachgebilde  in  Elfenbein  mit  verschiedenen   Heiligen,   herrührend  von 

einem  ehemaligen  Buchdeckel  eines  Evangelistariums.  XH.  Jahrhundert 
Taf.  XLVI.  Fig.  124 11 

1 25)  Frontale  eines  Evangelistariums,  mit  reichen  eingeschmelzten  und  getrie- 

benen Arbeiten.  XII.  Jahrhundert  Taf.  XLVH.  Fig.  125 13 

126)  Reliquiar   in   Goldblech  mit  getriebenen  Bildwerken  und  Ornamenten. 

XH.  Jahrhundert  Tafel  XLVIH.  Fig.  126 16 

Nachtrag. 

127)  Pyxis  zur  Aufbewahrung  des  h.  Chrisma.  Eigenthum  des  kölner  Domes. 

XV.  Jahrhundert.  Tafel  XLVHI.  Fig.  127      .^ 18 

128)  Das  Schwerdt  des  h.  Georg,  mit  durchsichtigen  Schmelzarbeiten  (vorfind- 

lich  im  Schatze  der  gleichnamigen  Kirche).  XIV.  Jahrh.    Taf.   XLVHI. 
Fig.  128 20 


181. 

m 

fiamm 

in  Elfenbein  mit  ornamentalen  und  figuralen  Sculptiiren.  XI.  Jahrh. 

Höhe  19V2  Centimeter;  Breite    12  Centimeter 

in  den  Schätzen  deutscher  Kathedral-  und  Stiftskirchen  haben  sich  bis 
heute  verhältnissmässig  wenige  ältere  Originale  von  sculptirten  Elfenbeinkämmen 
erhalten;  über  Ursprung  und  Gebrauch  derselben  walten  verschiedenartige  Meinungen 
ob.  Viele  dieser  Kämme  sind  mit  phantastischen  Thieromamenten  mehr  oder 
weniger  reich  auf  ihrer  Handhabe  verziert;  andere  hingegen  zeigen  auf  dem  obem 
„manubrium*'  figurale  Flachgebilde,  die  selten  biblischen  Inhalts  sind.  Die 
meisten  dieser  Kämme,  namentlich  jene  mit  religiösen  Bildwerken,  sind  nicht  als 
Profangeräthe  für  Zwecke  des  alltäglichen  Lebens  zu  betrachten,  sondern  diesel- 
ben waren  ehemals  kirchlichen  Gebrauches  und  rühren  als  bischöfliche  Kämme 
aus  jenen  Tagen  her,  wo  es  in  der  Kirche  Sitte  war,  dass  der  pontifex  vor 
der  Feier  des  h.  Messopfers  Bai-t  und  Haupthaar  durch  einen  solchen  „pecten" 
ordnen  Hess.  Da  bei  der  bischöflichen  Consecration  d.  h.  bei  der  Salbung  des 
Hauptes  mit  dem  geweihten  Chrisam  ebenfalls  im  frühern  Mittelalter  ein  reich 
verzierter  Elfenbeinkamm  zur  Anwendung  kam ,  um  das  Haupthaar  nach  der  Sal- 
bung wieder  zu  ordnen;  so  ist  es  geschichtlich  nachweisbar,  dass  nach  vollzogener 
Salbung  der  zur  Anwendung  gekommene  „pecten  consecrationis**  dem  betreffenden 
Bischof  verblieb,  als  Erinnerung  der  bischöflichen  Consecration  fortwährend  in 
Ehren  gehalten  und  nach  dem  Ableben  des  Eigenthümei-s  dem  Verstorbenen 
mit  ins  Grab  gegeben  wurde.  Diesem  Gebrauche  ist  es  zuzuschreiben,  dass  bis 
auf  diesen  Tag  noch  mehrere  bischöfliche  Kämme  sich  erhalten  haben.  So  fand 
sich  im  Grabe  des  Bischofs  Benno  von  Osnabrück,  bei  der  Eröffnung  seiner  Gruft 
in  der  Benedictiner-Abteikirche  zu  Iburg,  ein  solcher  „pccten  comecratianis"  in 
Elfenbein  geschnitzt  vor,  der  gegenwärtig  noch  zu  Iburg  bei  Osnabrück  aufbe- 
wahrt wird.  So  auch  fand  sich  bei  Eröffnung  des  Grabes  des  h.  Anno  zu  Sieg- 
burg nebst  den  andern  Pontiflcalien  der  geschnitzte  Elfenbeinkamm  desselben, 
der  jetzt  noch  in  der  Pfarrkirche  zu  Siegburg  aufbewahrt  wird.  Dessgleichen  hat  sich 
auch  in  Augsburg  der  geschnitzte  Elfenbeinkamm  des  h.  Ulrich  noch  erhalten.  Das 
städtische  Museum  zu  Köln  besitzt  unter  vielen  andern  Elfenbeinsculpturen  aus  der 
romanischen  Kunstcpocho  noch  zwei  geschnitzte  Elfenbeinkämme,  die  aller  Wahr- 


4  STAEDTISCHES  MUSEUM. 

Bcheinlichkeit  nach  aus  kölnischen  Kirchen  herrtthren  und  kölnischen  ErzbischOfen 
ehemals  zugehört  haben  mögen.  Insbesondere  dürfte  die  äussere  reiche  Form 
und  die  auf  demselben  befindlichen  Flachgebilde  den  bischöflichen  Gebrauch  des 
einen  grossem  pecten  ausser  allen  Zweifel  stellen.  Im  Gegensatz  zu  dem  peeten 
Si,  Atinonü  in  Siegburg,  der  in  seiner  Hälfte  ein  greifbares  Mittelstflck  hat,  von 
welchem  aus  nach  beiden  Seiten  die  Zähne  des  Kammes  sich  ansetzen ,  ist  jener 
bischöfliche  Kamm,  der  in  unserer  Abbildung  auf  Taf.  XLIIL  in  Naturgrösse  veran- 
schaulicht wird,  nur  mit  einer  Reihe  feiner  Zähne  nach  unten  hin  versehen.  Diese 
Zähne  selbst  sind  ziemlich  dicht  nebeneinander  gestellt  und  sind  dieselben  durch 
den  häufigen  Gebrauch  schwärzlich  angehaucht  Als  Schutz  dieser  Zähne 
befinden  sich  zu  beiden  Seiten  zwei  starke  VorsprOnge,  die  ebenfalls  als  Verzah- 
nung  nach  unten  hin  sich  zuspitzen  und  auf  ihrer  Fläche  ein  gräcisirendes  vertieft 
ausgestochenes  Laubomament  zeigen.  Dieser  eine  stärkere  Zahn  als  Abschluss 
fehlt  an  der  rechten  Seite.  Die  reichste  Fülle  hat  der  Elfenbeinschneider  an  dem 
breitem  Obertheile  des  Kammes,  der  eigentlichen  Handhabe,  »tanubrium^  zur  Ent- 
faltung gebracht.  Man  erblickt  nämlich  unmittelbar  über  der  Verzahnung  als 
Flachgebilde  die  Darstellung  des  Heilaudes  am  Kreuze  mit  der  Passionsgnippe. 
Der  Gekreuzigte  selbst  steht  mit  fast  geradlinig  ausgebreiteten  Armen  auf  einem 
suppedaneum;  das  perizomum  ist  in  einer  Weise  um  die  Lenden  des  Herrn  ge- 
schürzt, wie  wir  das  in  dieser  Anlegungsweise  vielfach  an  ähnlichen  Cnicifixen 
aus  den  Tagen  der  Ottonen  gesehen  haben,  lieber  dem  Haupte  des  Heilandes 
befindet  sich  der  titulus  crucix  mit  der  Inschrift:  IHS  N AZAREN.  REX,  der 
in  Versalien  in  Abkürzung  eingravirt  ist,  die  in  ihrer  charakteristischen  Ausbil* 
düng  fllr  den  Beginn  des  XI.  Jahrhunderts  massgebend  sind.  Auf  der  äussersten 
Seite  erblickt  man  die  Darstellung  von  Johannes  und  Maria  und  unmittelbar  neben 
dem  Gekreuzigten  die  beiden  Schacher  mit  der  Lanze  und  dem  Schwanoune  in 
ähnlicher  Composition,  wie  man  solche  an  Bildwerken  aus  den  Tagen  der  Ottoneo 
noch  häufiger  antrifft.  Auch  die  allegorische  Darstellung  von  Sonne  und  Mond 
fehlt  nicht  zu  Häupten  des  Heilandes,  die  hier  personificirt,  als  Sol  und  Lu$ui 
nach  classischer  AuSiEtösungsweise  wiedergegeben  sind.  Unmittelbar  oberhalb 
dieser  Darstellung  der  Kreuzigung  erblickt  man  en  jour  durchbrochen  ein  acht- 
blätteriges roseuförmiges  Ornament,  über  welchem,  gleichsam  als  Wolken,  sich 
zwei  Engel  befinden,  die  im  Fluge  begriffen,  dem  Momente  der  Kreuzigung  bei- 
zuwohnen scheinen.  Auf  der  Rückseite  des  formschönen,  reichverzierten  Kammes 
sind  keinerlei  figürliche  Darstellungen  ersichtlich,  sondern  hier  erblickt  man 
die  sämmtlichen  Flächen  mit  einem  stylisirten  Laubwerke  verziert,  das  durchaus 
an  das  classische  Akanthusblatt  der  römischen  Kaiserzeit  erinnert  und  hinsichtlich 
seiner  Einzelnheiten  viele  verwandtschaftliche  Analogien  aufzuweisen  hat  mit  den 
einschlagenden  Arbeiten  des  bekannten  kunsterfahrenen  Mönches  Tutilo  von 
St.  Gallen.  Leider  ist  an  dem  obem  Einlass  jener  Oeffuung  im  ausgerundeten 
Fttnfblatt,  der  obere  Theil  dieses  sculptirten  Ornamentes  abgebrochen,  dessgleiehen 
auch  auf  derselben  Seite  der  breite  omamontirte  Abschlusszahn,  den  wir  mit  der 
eben  gedachten  obem  Spitze  in  unserer  Abbildung  zu  ergänzen  un»  erlaubt  haben. 


STAEDTISCHES  MUSEUM.  5 

Betrachtet  man  aufinerksamen  Blickes  die  Composiiion  und  den  Ausdruck  der  Fi- 
g:ureny  den  Faltenwurf  der  Oe wänder,  so  möchte  man  die  Annahme  für  zulässig 
erachten,  dass  dieser  Kamm  in  jenen  Tagen  angefertigt  worden  sei,  als  Elfenbein- 
sculpturen  zu  yerschiedenen  kirchlichen  Zwecken  im  Abendlande  eine  ausgedehnte 
Anwendung  fanden  und  durch  Gründung  einer  besondem  Schule  unter  der  Lei- 
tung des  kunsterfafarenen  Bemward,  Bischofs  von  Hildesheim,  eine  besondere  Pflege 
erfuhren.  Es  waren  das  die  Tage  Kaiser  Otto's  HI.,  an  dessen  Hofe  durch 
den  Einfluss  seiner  Mutter,  der  griechischen  Theophania,  die  verschiedenen  Künste 
einen  nachhaltigen  Aufschwung  nahmen.  Diesem  Einflüsse  der  kunstsinnigen  griechi- 
schen Kaisertochter  ist  es  auch  zuzuschreiben,  dass  die  Kunstweise  der  Byzantiner 
eine  formbestimmende  Einwirkung  auf  die  Leistungen  der  verschiedenen  Klein- 
künste in  Deutschland  zu  damaliger  Zeit  genommen  hat. 

Die  auffallende  Uebereinstimmung  der  figürlichen  Darstellung  der  Kreuzigung 
auf  dem  in  Rede  stehenden  pecten  ebumeus  mit  demselben  Bildwerke  auf  dem 
Elfenbeinrelief  des  berühmten  codex  purpureus  aureus  in  der  herzoglichen  Biblio- 
thek zu  Gotha,  einem  Geschenke  Otto's  H.  und  seiner  Gemahlin  Theophania  an  die 
Benedictiner- Abtei  Echtemach  im  Luxemburgischen,  hat  uns  bewogen  die  vorlie- 
gende Sculptur  entweder  dem  Schluss  des  X.  oder  spätestens  dem  Beginne  des 
XL  Jahrhunderts  zu  vindiciren.  Eben  diese  Zeit  der  Anfertigung  dieses  bischöf- 
lichen pecteriy  in  Verbindung  mit  einer  Angabe  des  Kölner  Chronisten  Gelen,  hat 
zu  einer  weitem  Conjectur  Veranlassung  geboten.  Gelen  theilt  nämlich  in  seinem 
Werke  „de  magnitudine  Coloniae"  bei  Beschreibung  der  Kirchenschätze  der  vom 
Kaiser  Otto  HI.  und  dem  h.  Heribert  gestifteten  Abtei  Deutz  mit,  dass  in  dem 
thesamrus  daselbst  sich  neben  dem  scipio,  der  casula  und  der  cuppa  St  Heri- 
berti  auch  noch  vorfand  der  pecten  ebumeus  desselben  h.  Erzbischofs.  Bei 
Lesung  dieser  Angabe  stieg  in  uns  die  Vermuthung  auf,  dass  bei  Auflösung  der 
Benedictiner-Abtei  Deutz  und  bei  Verschleuderung  der  vielen  Kirchenschätze  da- 
selbst der  zierliche  Elfenbeinkamm  des  h.  Heribert  als  kölnische  Merkwürdigkeit 
in  den  Besitz  eines  Kunstkenners  gekommen  und  später,  vielleicht  durch  Schen- 
kung oder  Ankauf,  dem  hiesigen  städtischen  Museum  einverleibt  worden  sei. 

Als  wir  im  Begriffe  standen  die  vorliegenden  Notizen  niederzuschreiben, 
besuchte  uns  Dr.  von  Mering.  Wir  hatten  nichts  Eiligeres  zu  thun,  als  die  Ori- 
ginalzeichnung des  Elfenheinkammes  in  Naturgrösse  demselben  zur  Ansicht  vor- 
zulegen. Unsere  eben  ausgesprochene  Vermuthung  erhielt  alsbald  ihre  volle  Bestä- 
tigung durch  die  sofortige  Aeusserung  des  obengedachten  Geschichtsforschers, 
welche  dahin  lautete:  „er  habe  diesen  Elfenbeinkamm  mit  der  Kreuzigung 
Christi  in  Jüngern  Jahren  oft  in  der  Pfarrkirche  zu  Deutz  bewundert"  Wahr- 
scheinlich ist  es,  dass  der  h.  Heribert,  der  vertraute  Freund  und  Rathgeber  Otto's  HI., 
von  seinen  italienischen  Zügen  diesen  kunstreichen  Kamm  mit  in  die  rheinische 
Heimath  gebracht  habe.  Diese  Annahme  gewinnt  dadurch  einen  erhöhten  Grad 
von  Wahrscheinlichkeit,  dass  nicht  nur  das  reich  geschnitzte  Laubwerk  auffallend 
an  griechisch  italienische  Bildschnitzer  erinnert,  die  bei  den  ikonoklastischen  Strei- 
tigkeiten in  den  industriellen  Städten  des  nördlichen  Italiens  eine  zweite  Heimatb 


6  STAEÜTISGUES  HUSEUH. 

gefunden  hatten,  sondern  dass  auch  der  h.  Heribert,  der  Kanzler  des  jüngsten  Otto, 
bei  dem  Tode  des  letztgenannten  Kaisers  längere  Zeit  in  Italien  verweilte  und 
von  dort  aus  die  Leiche  desselben  in  die  Kaisergruft  nach  Aachen  geleitete.  In 
wie  fem  der  Ansieht  eines  archäologischen  Freundes  Gewicht  beizulegen  ist,  der 
unsern  Prachtkamm  sogar  mit  der  Person  Otto's  IIL  in  Beziehung  setzen  wollte, 
lassen  wir  dahin  gestellt  sein.  Kur  noch  auf  den  einen  Punkt  machen  wir  im 
Vorbeigehen  aufmerksam,  dass  in  der  an  Kunstschätzen  des  Mittelalters  so  reichhal- 
tigen Gitter  zu  Quedlinburg  unter  andern  Schätzen  der  sogenannte  Bartkamm 
Kaiser  Heinrichs  L,  des  Finklers,  sieh  heute  noch  vorfindet,  der  in  for- 
meller Beziehung  viele  Analogien  mit  dem  ebenbeschriebenen  pecien  aufzu- 
weisen hat.*j 


122. 
Elfenbein-Kamm 

mit  sculptirten  Laub-   und   Thierfigurationen.     Abbildung  in  natürlicher 

Grösse.  XL  Jalirhuudert. 

Höhe  15  Centimeter;    Breite   12  Ccntimeter. 

Bei  Besichtigung  der  hervorragendsten  Kirchenschätze  in  den  vornehmsten 
Kathedral-Kirchen  diesseits  und  jenseits  der  Berge  sind  uns  in  den  letzten  Jahren  eine 
Anzahl  von  reich  sculptirten  Kämmen  in  Elfenbein  meistens  in  den  Formen  des 
romanischen  Styles  zur  Anschauung  gelangt,  deren  Formengebilde  nicht  immer 
deutlich  erkennen  Hessen,  ob  dieselben  ehemals  einem  kirchlichen  oder  profanen 
Zwecke  gedient  haben  möchten.  Eine  reichhaltige  Sammlung  von  Abschriften  mittelal- 
terlicher meist  ungedruckter  Schatzverzeichnisse  setzt  uns  in  die  Lage,  hier  weiter 
nachweisen  zu  können,  d<ass  wohl  die  meisten  dieser  heute  noch  vorfindlichen  pectines 
im  Mittelalter  liturgisch  zum  Ordnen  des  Haupthaares  sowohl  der  pontificireudeu 
Bischöfe  als  auch  der  celebrirenden  Priester  in  Gebrauch  waren.  Von  den  vielen 
Angaben,  die  sich  meistens  in  Inventaren  des  XU.  und  XUI.  Jahrhunderts  vor- 
finden, lassen  wir  hier  im  Auszug  nur  einige  interessantere  folgen.  So  iest  mau 
in  dem  Testamentum  Ricuiß  Episcopt  Helenensis  An.  915  ....  Pectinem  eburneam 
unam,  tabulas  ebumeas  duas,  *♦)  In  einem  Inventar  der  Kirchenschätze  und  Klei- 
nodien der  Ecclesia  Sarum  in  England  vom  Jahre  1222  stehen  verzeichnet:  Pft?ft- 
nes  ebumeae  Vexceptis  bis,  quae  sunt  ad  altaria,***)  Auch  das  Schatzveizeichniss 


*)  Vgl.  unsere  Bespreohung  der  kirohliehen  Kunstschtttze  zu  Quedlinburg  in   Nr.  l  und  2   des 
Domblattes  von  1801. 

♦*)  Diese  beiden  Elfenbeintafcln  scheinen  die  äussern  tJnifas.'<ungsdeckcl  von  kleinen  Metallspiegoln 
gewesen  zu  sein,  die  zu  bischöflichen  Elfenbeinkämmen  gehörten  und  die  sich  als  Diptychon  zusam- 
menlegen Hessen. 

***)  Diesem  Citate  zufolge  nimmt  es  den  Anschein,  dass  im  Beginne  des  XIII.  Jahrhunderts  siehe 
in  der  in  Kede  stehenden  bischöflichen  Kirche  zu  den  verschiedenen  Altären  auch  verschiedene  Kämme 
•Vorfftnden. 


STAEDTISCHES  MU8EUM.  7 

der  StiftB-  und  ErönuDgskirche  des  h.  Johannes  von  Monza  vom  Jahre  1229  führt 
unter  andern  Kleinodien  an:  Itempectines  tres  de  hebore.  Das  inhaltsreiche  Schatz- 
verzeichniss  der  Kleinodien  der  bischöflichen  Kathedrale  von  St.  Paul  in  London  *) 
vom  Jahre  1295  zählt  als  im  Schatze  daselbst  befindlich  mehrere  Kämme  auf. 
Die  Stelle  lautet:  tres  pectines  ebumei  spissi**)  ei  magrä  et  tres  tenues  et  usuales 
de  ebore.     Item  unum  pecten  ebumeum  pulchrum  de  dano  Joharniis  Ckiskulle.    Item 

duo  pectines  ebumei et  memorandum,  quod  ad  astam  coram  Cruce  est  unu?n 

pecten  ebumeum.  Noch  sei  hier  bemerkt,  dass  es  in  der  Charta  An.  1231  apud 
Catelium  in  hist.  occident.  pag.  901  heisst:  Sunt  ibi  octo  Cingula  serica  et  sex 
pectines  ebumei. 

Wir  haben  als  Einleitung  zu  der  Beschreibung  des  merkwürdigen  Elfenbein- 
kammes,  der  auf  Taf.  XLIV  Fig.  1 22  in  natttrlicher  Grösse  wieder  gegeben  ist,  die  Auf- 
zählung von  altem  liturgischen  Kämmen  hier  vorausgeschickt,  um  die  Gegenrede  zu 
entkräften,  dass  die  jetzt  in  bischöflichen  Sacristeien  und  öffentlichen  Kunst- 
sammlungen noch  vorfindlichen  älteren  pectines  sämmtlich  dem  profanen  Gebrauche 
angehört  haben.  Wir  stellen  nicht  in  Abrede,  dass  die  sculptirten  Kämme  aus 
der  Zeit  der  Troubadoure  und  Minnesänger,  meistens  mit  erotischen  Darstellungen 
auf  den  beiden  mittleren  Flächen,  weltlichen  Zwecken  dienstbar  waren  und  geben 
zu,  dass  dieselben  von  der  Innung  der  ymagiers  und  der  epaindures  des  nördlichen 
Frankreichs  in  Menge  fttr  den  Handel  angefertigt  wurden;  indessen  nehmen  wir 
nicht  den  mindesten  Anstand  für  den  formschönen  pecten  auf  Taf.  XLIV.  und  für  den 
andern  auf  Taf.  XLIII.  ein  kirchliches  Herkommen  zu  beanspruchen.  Der  in  Rede 
stehende  Kamm,  der  wie  auch  der  vorhin  erwähnte  gegenwärtig  dem  städtischen 
Museum  zu  Köln  angehört,  zeigt  die  Form  und  Verzierungsweise  jener  grossem 
bischöflichen  Kämme,  wie  sie  sich  noch  vereinzelt  erhalten  haben.  Es  hat  der- 
selbe  in  seiner  äussern  Gestalt  fast  die  Form  einer  Lyra  und  bietet  durch  den 
mittlem  tiefen  Einschnitt  der  Hand  eine  bequeme  Stelle,  vermittelst  welcher  der 
Gebrauch  desselben  erleichtert  wurde.  Im  Gegensatz  des  vorher  unter  Nr.  121  dar- 
gestellten pecten  mit  grobem  Zähnen,  weist  der  in  Rede  stehende  Kamm  eine 
viel  feinere  Verzahnung  auf,  die  derjenigen  sehr  nahe  kommt,  die  wir  unlängst 
an  dem  sogenannten  Bartkamme  Kaiser  Heinrich's  I.  zu  Quedlinburg  vorfanden. 
Was  die  geschnitzte  Yerziemng  des  manubrium  unseres  Kammes  betrifft,  so  zeigt 
sich  auf  beiden  Seiten  desselben  eine  fast  gleichartige  Anordnung  der  sculptirten 
Omamente,  die  mit  grotesken  Tbierbildem  in  wechselseitiger  Verbindung  stehen. 
Auf  beiden  Seiten  des  Kammes  werden  nämlich  die  beiden  comua  der  obem 
verzierten  Handhabe  dadurch  gebildet,  dass  der  Bildschnitzer  an  beiden  obern 
Enden  den  Kopf  und  den  Vordertheil  zweier  geflügelten  phantastischen  Thiere 
angebracht  hat,  deren  Kopf  bildung  mit  der  des  Nilpferdes  Aehnlichkeit  hat.  Ausser 
den   stylisirten  Flügeln   dieser  vier    Unholde    erblickt  man  auf  jeder  Seite  den 


♦)  Vgl.  Monastieum  Anglicanum  Tom.  III.  pag.  314. 

**)  Unter  diesen  sechs  Kämmen   zum   liturgischen   Gebrauche  befanden  sich  drei   von  Elfenbein 
mit  weit  aoseinanderstehendcn  Zähnen,  und  drei  feinere  fUr  tägliche  Benutzung. 


8  8TAEDTISCHES  MUSEUM. 

VorderfuBB  nebst  dem  Hufe  eines  Bosses.  Die  Mähnen  werden  theilweise  durch 
ein  zierliches  Laubgewinde  ersetzt,  das  sieh  an  dieser  Stelle  nach  Oben  entwik- 
kelt  und  von  einem  untern  Wurzelstocke  aus  sieh  verästelt  Auf  der  unteren 
mittleren  Fläche  dieser  Handhabe  hat  der  Elfenbeinschnitzer  verschiedenartige 
Laubgewinde  als  Basreliefs  angebracht,  die  in  ihrer  äussern  Oestalt  mit  dem  Wein- 
laube grosse  Aehnlichkeit  haben. 

Fasst  man  den  Charakter  dieser  Laubverzierungen  schärfer  ins  Auge,  so 
will  es  scheinen,  dass  diese  Ornamente  auf  einen  griechischen  Ursprung  hinweisen 
und  von  byzantinischen  Elfenbeinschnitzern  gegen  Schluss  des  X.  Jahrhunderts 
angefertigt  worden  sind.  Was  uns  zur  Aufstellung  dieser  Hypothese  hinsichtlich 
der  Entstehungszeit  dieses  pectm  veranlasst,  ist  der  Umstand,  dass  der  obener- 
wähnte Kamm  zu  Quedlinburg,  der  den  Tagen  Kaiser  Heinrichs  L  zugeschrieben 
wird,  in  auffallender  Weise  jenes  byzantinisirende  Fllnfblatt  zeigt,  das  in  ver- 
wandter Form  auch  auf  den  breiten  Flächen  des  vorliegenden  Kammes  ersicht- 
lich ist. 

Noch  erübrigt  es  hier  auf  die  eine  Frage  näher  einzugehen,  in  welcher 
Kirche  Kölns  wurde  ehemals  dieser  merkwürdige  Kamm  aufbewahrt  und  mit  welchem 
der  altem  Erzbischöfe  ist  derselbe  in  Verbindung  zu  setzen.  Ueber  das  Herkom- 
men dieses  pecten  haben  sich  gegenwärtig  keinerlei  Daten  mehr  erhalten  und 
dflrfte  es  überhaupt  schwer  sein  ttber  dieses  Sculpturwefk  jetzt  das  Nähere 
endgültig  festzustellen.  Nur  eine  Stelle  beim  kölnischen  Geschichtsschreiber  Gelen 
in  seinem  Werk  de  magnitudme  Coloniae  könnte  zu  einer  Hypothese  Veranlas* 
sung  bieten.  Es  wird  nämlich  bei  Beschreibung  der  Schätze  und  Kleinodien  von 
St.  Aposteln  angeführt,  dass  im  gasopkfflacium  daselbst  auch  der  Kamm  des  h.  Heri- 
bert aufbewahrt  werde.  Es  befanden  sich  also  unserm  Gewährsmanne  zufolge  ehemals 
in  den  hiesigen  Kirchenschätzen  2  Kämme  und  zwar  wurde  der  eine  zu  Deutz  und  der 
andere  zu  Köln  aufbewahrt;  diese  beiden  verschiedenen  Kämme  weist  jedoch  die 
Tradition  einem  und  demselben  h.  Erzbischofe  zu.  Wenn  von  dem  in  der  vorher- 
gehenden Nummer  beschriebenen  Kamme  durch  Augenzeugen  erhärtet  werden 
kann,  dass  derselbe  aus  der  ehemaligen  Abtei  Deutz  stamme,  so  lässt  sich  dies 
nicht  von  dem  in  Bede  stehenden  pecten  nachweisen,  dass  er  nämlich  aus  dem 
Schatze  der  ehemaligen  Stiftskirche  von  St.  Aposteln  herrühre.  Das  Letztgesagte 
kann  nur  mit  Bücksicht  auf  die  geschichtliche  Angabe  des  Gelen  als  gewagte 
Annahme  hingestellt  werden,  bis  der  Nachweis  geführt  ist,  dass  sich  die  Angaben 
des  kölnischen  Chronisten  nicht  auf  irgend  einen  anderen  Kamm  beziehen,  der 
in  den  letzten  Stürmen  verloren  gegangen  ist,  sondern  auf  den  vorliegenden,  der 
sich  heute  noch  ins  hiesige  städtische  Museum  gerettet  hat. 


8TAEDTISCUE8    Ml  SEUM 


123. 
Sehmnekkasten 

in  Elfenbein  mit  Bculptirten  Laub-  und  Thierfigurationen. 

Höhe  12  Centimeter;  Breite  8  Ceniimeter;  Länge    14  Centimeter.  XU.  Jahrhundert. 

In  altern  Schatzverzeichnissen  finden  sich  in  Menge  Schmuckkästchen  auf- 
geführt, die  meistentheils  ^^feretra^  scrinia  oder  arcuia  ebumea"  benannt  werden. 
Die  meisten  dieser  ,^crmwla  ebumea",  die  namentlich  im  XIU.  und  XTV.  Jahr- 
hundert von  der  Confratemität  der  Elfenbeinschnitzer  {ymagiers)  im  nördlichen 
Frankreich  zahlreich  angefertigt  worden  sind,  geben  erotische  Darstellungen 
zu  erkennen,  wie  sie  dem  poetischen  Sagenkreise  des  aufblühenden  Ritter- 
thums  angehören.  Die  geschnitzten  Elfenbeinkästchen  des  X.,  XI.  und  XII.  Jahr- 
hunderts jedoch,  die  vielfach  morgenländischen  Beinschnitzem  ihren  Ursprung  ver- 
danken, sind  häufig'  mit  Laub-  und  Thierfigurationen  auf  ihren  Flächen  künstlich 
verziert,  die  als  geniale  Arabesken  auf  den  Orient  als  ihr  Heimaihland  deutlich 
hinweisen.  Wir  haben  bereits  an  anderer  Stelle  dieser  Schrift  darauf  hingedeutet, 
dass  in  den  Jahrhunderten  der  Ereuzzüge,  in  jener  Zeit,  als  das  christliche  Abend- 
land mit  dem  Halbmond  um  den  Besitz  der  h.  Stätten  im  Kampfe  lag,  ein  leb- 
hafter Drang  nach  dem  Besitze  theurer  Reliquien  sich  allenthalben  geltend  machte. 
Derjenige,  der  so  glücklich  war  an  h.  Stätte,  in  Palästina  oder  in  Byzanz  und 
Rom  in  den  beneidenswerthen  Besitz  von  Ueberbleibseln  gefeierter  Heiligen  zu 
gelangen,  nahm  auch  sofort  darauf  Bedacht,  in  mehr  oder  weniger  kunstreichen 
und  kostbaren  Behältern  seine  gewonnenen  heiligen  Schätze  mit  in  die  Heimath 
zu  bringen.  So  gelangten  im  XIH.  Jahrhundert  vielfach  kunstreiche  Behälter  in 
kirchlichen  Besitz,  die,  von  orientalischen  Künstlern  angefertigt,  früher  dazu  gedient 
hatten,  aus  dem  Morgenlande  jene  ,^reliquiae  transmarinae**  würdig  mit  in  das 
Heimathsland  übertragen  zu  können.  Als  solche  Reliquiarien  in  Elfenbein,  in 
einem  offenbar  orientalischen  Formtjrpus,  haben  wir  in  der  I.  Lieferung  dieses 
Werkes  auf  Taf.  I,  Fig.  2  und  5,  dessgleichen  Taf.  IV,  Fig.  22,  einzelne  „reeep- 
tacula"  im  Bilde  näher  veranschaulicht  Der  vorliegende  auf  Taf.  XLV.  abgebildete 
Behälter  gehört  ebenfalls,  wie  die  obenbezeichneten,  dem  Oriente  an,  wie  das  die 
sculptirten  Thier-  und  Pflanzenomamente  auf  demselben  nicht  undeutlich  zu  er- 
kennen geben.  Dieser  formschöne  Elfenbeiuschrein  ist  nämlich  im  länglichen 
Viereck  so  gestaltet,  dass  er  auf  seiner  Langseite  in  quadratischen  Füllungen  je 
drei  Flachgebilde  enthält,  wo  hingegen  die  schmäleren  Kopftheile  nur  von  je  zwei 
figürlichen  Darstellungen  belebt  werden.  Auf  der  einen  Langseite,  die  auf  unserer 
vorliegenden  Abbildung  dem  Blicke  des  Beschauers  zugewandt  ist,  erblickt  man 
als  kleinere  Panäle  drei  Reliefdarstellungen,  die  der  Thier-  und  Pflanzenwelt  ent- 
nommen sind  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  dem  Thiermythus  des  Morgen- 
landes angehören  dürften.    In  der  mittleren  Füllung  glauben  wir,  nach  Analogie 

2 


i 


10  STAEDnSCHES  MUSKUM. 

ähnlicher  PflanzeDbildungen,  den  orientalischen  Lebensbaum,  den  sagenhaften  Hom 
zu  erkennen,  der  in  den  bildlich  allegorischen  Darstellungen  sowohl  in  morgen- 
ländischen gemusterten  Seidengeweben,  als  auch  in  getriebenen  Arbeiten  und  Sculp-- 
turen  eine  bevorzugte  Rolle  spielt.  Rechts  von  diesem  Hom,  dem  h.  Baume  der 
Perser  und  Chaldäer,  erblickt  man  als  durchbrochenes  Flachgebilde  die  Figur  des 
sagenhaften  Greifen,  der  halb  Vogel  halb  Vierfüssler  ebenfalls  dem  Thierkreise 
des  Orients  angehört. 

Dem  Greifen  entgegengesetzt  hat  in  der  betreffenden  Füllung  der  Elfenbein- 
schneider die  Figur  des  Elephanten  dargestellt,  der  fbr  das  Herkommen  des  vor- 
liegenden Behälters  aus  den  femliegenden  Ländern  ttber  Meer  zum  Belege  dienen 
kann.  Gleichsam  von  dem  mittlem  Wurzelstocke  aus,  worin  wir  den  Hom  zu 
erkennen  glauben,  setzt  sich  dasselbe  Pflanzenoraament,  abwechselnd  als  Blatt, 
abwechselnd  als  Frucht  wiederkehrend,  an  säramüichen  Eiufassungsrändera  des 
Elfenbeinschreines  fort.  Dessgleichen  tritt  auch  an  dem  obem  Rande  dieselbe 
Verzrerungs weise  hervor;  über  diesem  sculptirten  Rande  erhebt  sich  in  schrä- 
ger Fläche  ansteigend  eine  zweite  Umrandung,  die  durch  eine  ebenfalls  dem 
Morgenlande  eigenthUmliche  Bandverschlingung  gekennzeichnet  wird.  Auf  der 
obem  schmalen  Abschlussplatte  des  Deckels  befinden  sich  als  Flachgebilde  zwei 
ausgestochene  FtUlungen  mit  phantastischen  Thieren,  die,  wie  auch  die  übri- 
gen animalischen  Ornamente,  dem  orientalischen  Thiermythus  entlehnt  zu  sein 
scheinen. 

Da  die  Kunst  der  muselmännischen  Orientalen,  ähnlich  der  der  Byzantiner, 
in  ihren  stylistisch  geregelten  Formengebilden  Jahrhunderte  hindurch  stagnirend 
war,  so  dürfte  es  schwer  halten,  dem  vorliegenden  Schreinwerk  eine  bestimmte 
Entstehungsperiode  zu  vindiciren.  Nach  Analogie  einer  grossen  Zahl  von  ähnlich 
gemusterten  Seidenge  weben  unserer  Privatsammlung  zu  urth  eilen,  würden  wir 
geneigt  sein  die  Anfertigung  dieser  arcula  in  die  Mitte  des  XH.  Jahrhunderts  zu 
versetzen.  Auch  lässt  es  sich  heute  nicht  ermitteln,  aus  welcher  kölnischen  Kirche 
dieses  feretrum  transmarmum  herrührt;  nur  soviel  ist  als  feststehend  anzunehmen, 
dass  der  in  Rede  stehende  Reliquienschrein  bei  der  unbegreiflichen  Yerschleu- 
demngs-  und  Zerstörungssucht  im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  in  die  rettenden 
Hände  des  um  die  Kunstwerke  seiner  Vaterstadt  hochverdienten  Professors  Wallraf 
gelangte  und  zugleich  mit  den  unter  Nr.  121  bis  inclus.  Nr.  126  abgebildeten 
kirchlichen  Kunstwerken  Kölns  nach  dem  Ableben  des  eben  belobten  Kunstkenners 
und  Sammlers  testamentarisch  dem  städtischen  Museum  einverleibt  worden  ist 


STAEDTISCHES  MUSEUM.  11 


124. 
Flachgebilde 

in  Elfenbein,  ein  Frontalbild  eines  ehemaligen  reichverzierten  Buchdeckels. 

Länge  17'/s  Gentimeter;  Breite  9'a  Centüneter.   XII.  Jahrhundert 

Was  Florenz  und  Mailand  im  Mittelalter  für  Italien,  was  in  Süddeutschland 
Augsburg,  Nürnberg  und  Regensburg  für  die  Entwickelung  und  Pflege  der  Kunst 
bot,  das  gewährte  in  jener  Zeit  fUr  die  Pflege  und  Entwickelung  der  verschie- 
denen ZweigkUnste  die  Metropole  der  Ubier.  Nicht  nur  fand  innerhalb  der  Mauern 
des  h.  Köln  die  Architektur  zugleich  mit  den  übrigen  Monumentalkünsten  eine  vor- 
zügliche Entwickelung,  sondern  auch  die  Goldschmiedekunst,  die  Elfenbeinarbeiten, 
Schmelzereien  und  Bildstickereien  erreichten,  in  besondem  Zünften  und  Genossen- 
schaften geübt,  seit  der  Frühzeit  des  Mittelalters  bis  zum  Ende  desselben  in  der 
alten  Bischofstadt  am  Rhein  einen  ungeahnten  Höhepunkt  sowohl  in  artistischer 
als  technischer  Beziehung.  Bei  diesem  raschen  Aufblühen  der  verschiedenen  Klein- 
künste scheint  auch  in  Köln  bereits  vom  eilften  Jahrhundert  ab  neben  der  Sculptur 
in  Stein  und  Holz  auch  die  Elfenbeinschnitzerei  nicht  vernachlässigt  worden  zu 
sein.  Aehnlich  der  Confratemität  der  j/magiers  in  einzelnen  Städten  des  nördli- 
chen Frankreichs  waren  bereits  im  zwölften  Jahrhundert  zu  Köln  geübte  Bild- 
schneider thätig,  in  dem  edlen  Material  des  Elfenbein  Flachgebildc  zu  schnitzen, 
welche  die  Bestimmung  trugen,  die  reichen  Deckel  kostbarer  Evangelistarien 
und  Plenarien  zu  verzieren  oder  auch  die  Seitenflächen  und  die  Bedachung  reicher 
Reliquienbehälter  zu  heben  und  auszuschmücken.  Den  factischen  Beweis,  dass  im 
XII.  Jahrhundert  schon  in  Köln  ausgezeichnete  ymagiers  in  Elfenbein  vornehmlich 
für  religiöse  Zwecke,  treffliche  Bildwerke  anfertigten,  liefert  das  prachtvolle 
Reliquiar  der  kölnischen  Schule  mit  seinen  reichen  incrustirten  Schmelzwerken 
und  seinen  vielen  figürlichen  Darstellungen  in  Elfenbein,  welches  sich  in  der  ehe- 
maligen Sammlung  des  Fürsten  P.  SoltikoflF  in  Paris  findet.*) 

Wir  verweisen  dessgleichen  auf  einen  merkwürdigen  in  Elfenbein  geschnitzten 
Reliquienbehälter  im  Grossherzoglichen  Museum  zu  Darmstadt,  welcher  aus  der 
Sammlung  des  Baron  von  Hübsch  herrührt  und  ehemals  einer  kölnischen  Kirche 
angehörte.  Ein  drittes  Flachgebilde  in  Elfenbein,  das  die  untrüglichsten  Anzei- 
chen seines  kölnischen  Ursprunges  trägt,  befindet  sich  als  Frontalverzierung  in 
einem  Deckel,  der  einst  einen  Evangelien-Codex  schmückte,  aber  jetzt  im  städti- 
schen Museum  zu  Köln  aufgewahrt  wird.   Dieser  Deckel,  der  heute  des  Schmuckes 


*)  Dieses  für  die  kölnische  Kunstgeschichte  in  mehr  als  einer  Beziehung  höchst  merkwürdige 
Reliquiar  hefand  sich  his  vor  wenigen  Jahren  im  Besitz  des  Fürsten  Salm  zu  Anholt,  von  wo  es  durch 
Verkauf  in  die  reichhaltige  Sammlung  des  ohen  gedachten  russischen  Fürsten  nach  Paris  gelangte. 
Dasselbe  war  bis  zum  Eintritt  der  französischen  Revolution  Eigenthum  der  ehemaligen  Stiftskirche  zu 
Rees  bei  Xanten  am  Rhein. 


12  STAEDnsCHES    MUSEUM. 

der  Edelsteine,  deren  offenstehende  leciula  noch  sichtbar  sind,  gänzlich  entkleidet  ist, 
zeigt  als  mittlere  Füllung  ein  trefflich  geschnitztes  Relief  in  Elfenbein,  eine  Darstellung 
des  Martyriums  und  der  Verherrlichung  jener  Krieger  der  thebaischen  Legion  und  ihrer 
heiligen  Anführer,  die  vor  den  Mauern  Kölns  die  Martyrerpalme  erhielten.    Der 
Weltheiland  ist  vom  Bildschnitzer,  auf  dem  Regenbogen   sitzend,  in  jugendlicher 
verklärter  Gestalt  abgebildet.    Als  Schemel  seiner  Fttsse  erblickt  man  eine  Welt- 
kugel, die  von  einem  polygonen  Säulenschaft  mit  reichem  Capital  getragen  wird. 
Zu  Häupten  dieser  Majestas  Domini  hat  der  Künstler  zwei  schwebende  Engel  an- 
gebracht, die  eine  mit  vielen  eiugravirten  und  vergoldeten  Sternen  verzierte  elip- 
tische  Mandorla  gefasst  halten.    Der  Herr,  der  als  Weltrichter  umgeben  von  seineu 
Heiligen  hier  bildlich  wiedergegeben  wird,  hält  beide  Arme  ausgestreckt  und  seine 
Rechte  ruht  segueud  auf  dem  Haupte  einer  Halbfigur,  in  deren  Nimbus  man  deutlich  die 
Worte  liesst:  Sanctus  Get*eon.     Die  Linke    des  Herrn  berührt   das  Haupt    einer 
zweiten  jugendlichen  Halbfigur,    die  durch  die  Inschrift  im  Nimbus  als:    Sanetus 
Victor  näher  bezeichnet  wird.    Unterhalb  dieser  beiden  Bildwerke,  die  triumphi- 
rend  die  Martyrpalme  halten  und  mit  der  x^^i^^^*  ^^^  römischen  Legionäre  beklei- 
det sind,  hat  der  Bildschnitzer  auf  jeder  Seite  von  drei  zu  drei  Reihen  die  Reprä- 
sentanten jener  thebaischen  Legion  geordnet,  deren  Anführer  im  Bilde  und  mit 
Namen  eben  bezeichnet  worden  sind.      Um   die   Legion  dieser   heiligen   Krieger 
näher  anzudeuten,    hat  der  Künstler   auf  jeder  Seite   neun  kleinere    Halbbilder 
angebracht,   die  mit  dem  jedesmal  darüber  befindlichen  Patron  und  Anflihrer  die 
Zahl  Zehn  ausfüllen.    Diese  Legionssoldaten  sind  ebenfalls,  wie  ihre  heiligen  An- 
führer, mit  dem  römischen  Kriegermantel  bekleidet,  und  halten  die  Siegespalme  in 
Händen.    Betrachtet  man  die  scharf  ausgeprägte  Individualität  in  den  ausdrucks- 
vollen Köpfen  dieser  in  Elfenbein   sculptirten  Heiligenbilder,  namentlich  aber  die 
feierliche  Würde   und  die  Majestät,   welche  in  der  Figur  und  besonders  in  den 
Gesichtszügen  des  belohnenden  Welterlösers  liegt,  so  muss  man  eingestehen,  dass 
nur  allein  die  Technik  und  einzelne  ti*aditionelle  Formen,  wie  sie  sich  von  griechi- 
schen ymagiers  traditionell  fortgeerbt  hatten,  diesen  vielen  figürlichen  Darstellungen 
geblieben  ist,  dass  jedoch  sowohl  in  der  Composition,  als  in  der  charakteristischen 
Auffassung  der  Köpfe  ein    neues  in  Bildung   begriffenes   germanisches  Formen- 
gesetz vorwaltet.    Dieser  offenbare  Bruch  mit  den  überlieferten  typischen  Formen 
von  Byzanz   und  dieses  theilweise  Beibehalten  traditioneller  üeberliefemngen  in 
der  Behandlung  und  in  dem  Faltenwurf  der  Gewänder  bekundet   deutlieh,  dass 
diese   Elfenbensehnitzarbeit  nicht  nur  von  kölnischen  Bildschneidem   im  Beginne 
des  XIII.  Jahrhunderts  angefertigt  worden  ist,   sondern  dass  dieses  Flachgebilde 
auch  aus  der  Zeitepoche  des  sogenannten  Uebergangsstyls  herrührt,  in  welcher 
der  majestätische  Kuppelbau  von  St.  Gereon  zu  Köln  eben  zur  Vollendung  gelangt 
war,  und  aus  den  überlieferten  Formen  des  Rundbogenstyls   sich  neue  Formenge- 
bilde nach  den  germanischen  Gesetzen  des  Spitzbogens   zu  entwickeln  begannen. 
Leider   hat   sich  der  Evangeliencodex,   dessen   reich   veraierten  Deckel   ehemals 
dieses  Flachgebilde  schmückte,  nicht  mehr  erhalten.    Es  dürfte  jedoch  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  dieses  Evaugeliarium  oder  Plenarium  dem  reichen  Stifte 


STAEDTISCHES  MUSEUM.  13 

ad  aureos  sanctos  zu  Köln  ehemals  angehört  habe,  zumal  auch  Gelenius  und  an- 
dere Chronisten  der  letzten  zwei  Jahrhunderte  von  den  Kirchenscbätzen  und  Klei- 
nodien  vieles  zum  Ruhme  dieses  Stiftes  angeführt  haben. 

Vor  wenigen  Jahren  gelangte  ein  werthvoUes  Hanuseript  auf  Pergament 
auf  einer  kölnischen  Auction  zum  Verkauf,  das,  aus  der  ehemaligen  Stiftsbibliothek 
von  St.  Gereon  herrtthrend,  unter  andern  geschichtlichen  Notizen  über  diese  Kirche 
auch  ein  merkwtlrdiges  Inventar  der  Kirchenschätze  und  Kleinodien  des  eben 
gedachten  Stiftes,  wie  uns  mitgetheilt  wurde,  aus  dem  XIV.  Jahrhundert,   enthält. 


125. 
Evangelien-Codei 

auf  Pergament  mit  vielen  Mtialien  und  Miniaturen  und  einem  reichen 
Frontal-Einbande  in  getriebener  Arbeit  mit  eingeschmelzten  Ornamenten. 

IX.  und  Xn.  Jahrhundert. 

Aeltem  Schatzverzeichnissen  zu  Folge  fanden  sich  ehemals  in  Stifts-  und 
Kathedralkirchen  eine  grössere  Zahl  jener  ^^codices  aurei  purpurei  membranacei" 
vor,  die  als  ,,plenaria^^  oder  ,Jibri  missales"  nebst  den  Episteln  und  Evangelien 
sämmtliche  Gebete,  die  bei  Darbringung  des  h.  Messopfers  vom  Priester  verrichtet 
werden,  oder  als  „evangelistaria"  die  vier  Evangelien  zum  Gebrauche  bei  verschie- 
denen liturgischen  Handlungen,  enthielten.  Diese  „plenarta"  und  „evangelistaria" 
des  frühem  Mittelalters  zeichneten  sich  nicht  nur  durch  die  zierliche  kunstreiche 
Schrift  mit  schönen  Initialien  aus,  sondern  der  Beginn  der  verschiedenen  Haupt- 
abschnitte war  auch  mit  grösseren  oder  kleineren  Miniaturbildem  aufs  reichste 
verziert.  Mit  dieser  kunstreichen  innem  Ausstattung  stand  bei  den  liturgischen 
Bttchern  unmittelbar  vor  und  nach  dem  X.  Jahrhundert  harmonisch  im  Ein- 
klang ein  kunstreich  verzierter  Einband,  der  auf  seinem  Frontdeckel  häufig  eine 
Fälle  von  getriebenen  ciselirten  oder  eingravirten  Ornamenten  zeigte,  die  nicht 
selten  mit  incrustirten  und  eingelegten  Schmelzen  abwechselten.  Auf  diese  pracht- 
vollen yjcodices  müsales"  in  ihrer  inneren  und  äusseren  omamentalen  Ausstattung 
bezieht  sich  ein  merkwürdiger  Spruch  auf  dem  älteren  Einbände  eines  ,Jtber  sacra- 
mentarius"  in  der  kaiserlichen  Hofbibliothek  zu  Wien.    Derseli)e  heisst: 

„Quodque  Joris  pulchrum  ckarumque  videris  habere 

Charius  intus  habet  nobis  quod  litera  posmt," 
Auch  die  reichen  kölnischen  Stifts-  und  Abteikirchen  hatten  ehemals  solche 
kostbare  Codices  mit  kunstreichen  Einbänden  aufzuweisen,  die  leider  bei  der  all- 
gemeinen Verwüstung  und  Beraubung  in  Folge  der  französischen  Staatsumwälzung 
spurlos  verschwunden  sind.  Nur  in  der  Pfarrkirche  Maria  Lyskirchen  zu  Köln 
hat  sich  bis  zur  Stunde  ein  älteres  Evangelistarium  erhalten,  das  sowohl  in  seiner 


14  8TAEDTI8CHE8    HUSEUM. 

Innern  als  äussern  Austattong  mit  den  Yorzttglichsten  ,Jibri  nussafes^'  vor  dem 
X.  Jahrhundert  wetteifern  kann.  Ausser  diesem  werthyollen  Manuscripte,  das 
Mher  dem  ehemaligen  Stifte  von  St  Georg  angehörte  und  das  wir  in  der  III.  Lie- 
ferung dieses  Werkes  abgebildet  und  ausAlhrlich  beschrieben  haben ,  befin- 
det sich  heute  noch  unter  den  kirchlichen  Eunstschätzen  im  städtischen  Museum 
zu  Köln  ein  nicht  weniger  kunstreich  ausgestattetes  Evangelistarium,  das  ohne 
Zweifel  bis  zum  Umstürze  aller  bestehenden  Verhältnisse  gegen  Schluss  des  vorigen 
Jahrhunderts,  die  Zierde  einer  altem  Stifts-  oder  Abteikirche  Kölns  war. 

Was  zunächst  die  innere  Ausstattung  dieses  Codex  betrifft,  so  wird  das 
Manuscript,  wie  auch  anden^ärts  durch  ein  Calendariumeröffiiet;  dasselbe  nimmt  die 
ersten  sechs  Blätter  ein  und  enthält  unter  reich  verzierter  Kundbogenstellung  das 
Yerzeichniss  der  Feste  und  die  Namen  der  verschiedenen  Heiligen  des  Jahres, 
nach  Monaten  geordnet.  Die  vier  Evangelien,  die  nach  der  Uebersetzung  der  „vul- 
gata"  jetzt  folgen,  werden  jedesmal  durch  eine  grosse  Liitiale  eingeleitet,  welche 
den  betreffenden  Evangelisten,  mit  dem  entsprechenden  symbolischen  Zeichen,  in 
reicher  Farbenausstattung  sitzend  darstellt,  wie  er  eben  mit  Abfassung  des  h.  Tex- 
tes beschäftigt  ist.  Das  gegenüberstehende  Blatt  enthält  in  grossen  goldenen  Ver- 
salbuchstaben die  Angabe  des  jedesmaligen  Evangeliums  mit  dem  Namen  des 
Evangelisten.  Die  dritte  Seite  füllt  der  grosse  Anfangsbuchstabe  des  Evangeliums 
in  reicher  Farbenpracht  und  einige  Zeilen  Text  in  goldenen  Buchstaben.  Die 
vierte  Seite  endlich  gibt  die  weitere  Fortsetzung  des  betreffenden  Evangeliums 
ganz  in  goldenen  Versalien.  Erst  auf  der  fünften  Seite  beginnt  der  Text  in  Minus- 
kelbuehstaben,  deren  Stylisirung  dem  IX.  Jahrhundert  angehört.  Auch  die  Cum- 
position  der  vier  Evangelisten  mit  der  eigenthttmlichen  Drapirung  der  Gewänder, 
dessgleichen  die  charakteristischen  Bandverschlingungen  in  den  Initialien,  die 
in  der  Regel  in  Drachen-  oder  Schlangenköpfe  auslaufen,  erinnern  deutlich  an 
angelsächsische  Vorbilder  der  karolingischen  Zeit,  und  leisten  der  Annahme  Vor- 
schub, dass  der  Text  mit  sammt  Initial-  und  Miniaturverzierungen  spätestens  dem 
Schlüsse  des  IX.  Jahrhunderts  angehören  dürfte.  Ein  so  hohes  Alter  kann  je- 
doch der  reichverzierte  Frontaleinband  nicht  beanspruchen  und  rührt  derselbe 
offenbar,  wie  da  die  Inschriften,  die  vielen  eingeschmelzten  Bilder  sowie  auch  die 
getriebene  Figur  besagen,  aus  der  letzten  Hälfte  des  XII.  Jahrhunderts  her. 

Versucheu  wir  es  im  Folgenden  in  kurzen  Umrissen  diese  „vestü  libri"  zu 
beschreiben. 

Der  äussere  Deckel  ist  von  einem  breiten,  hervortretenden  Rande  abge- 
schlossen, der  auf  seinen  vier  Ecken  kleine  quadratische  Belegplatten  in  vergol- 
detem Rothkupfer  zeigt.  Diese  Platten  belebte  die  Kunst  des  Schmelzers  mit  alle- 
gorischen Engelsgestalten  in  vielfarbigem  Email,  merkwürdigerweise  eine  Darstel- 
lung der  vier  Weltgegenden,  wie  das  aus  den  mit  Inschrift  gemusterten  Spruch- 
bändern in  den  Händen  dieser  Engel  zu  ersehen  ist.  Oben  rechts  erblickt  man 
die  Halbfigur  des  Engels  mit  der  schedula:  ^^orims^^  Gegenüberstehend  links,  eben- 
falls in  vielfarbigem  Schmelz,  eine  zweite  Engelsfigur  mit  dem  Spruchhande  ,yaujfter*\ 
An  derselben  Seite  ersieht  man   in  dem  untern  Rande  die   allegorische  Figur  des 


STAEDTISCHES    MUSEUM.  15 

Occidents  und  gegenüberstehend  den  Repräsentanten  des  ,yAqmlo"  Offenbar 
nehmen  diese  vier  symbolischen  Figuren  als  Repräsentanten  des  Erdkreises  mit 
seinen  Himmelsgegenden  Bezug  auf  die  Verkündigung  des  Evangeliums  an  die 
Bewohner  des  Erdkreises,  fussend  auf  die  bekannten  Worte  des  Psalmes,  welche 
die  Kirche  auf  die  Apostel  anwendet:  „m  omnem  terram  exivit  sonns  eorum,  ei  in 
fines  orbis  terrae  verba  eorum,**  In  der  That  folgen  nun  in  der  äussern  Umran- 
dung, deren  Vierecke  die  ebengedachten  vier  Repräsentanten  der  Himmelsgegenden 
einnehmen,  die  Bilder  der  Apostel.  Der  Figur  des  „oriens**  zunächst  erblickt 
man  ein  kleineres  Quadrat,  in  dessen  vertieft  eingelassenem  Rande  folgender  leo- 
ninische  Vers  in  spätromanischen  Versalien  eingravirt  ist:  „f  Ad  petram  christum 
Petre  mundum  din'gü  istum."  Danach  folgt  als  zweites  Quadrat  eine  emaillirte 
Platte  mit  einem  vielfarbigen  Laubomamente,  das  kreuzft^rmig  gestaltet  ist.  Diese 
Platte  ist  ebenfalls  mit  incrustirtem,  mattem  Schmelze  belegt.  Das  dritte  Quadrat 
zeigt  in  der  vertieften  Umrandung  ebenfalls  in  spätromanischen  Versalien  folgenden 
Spruch:  „/*  Quot  cives  Paule  cell  dux  inseris  aule.**  Als  Eckplättchen  erblickt 
man  dem  Halbbilde  des  „oriens**  gegenüber,  wie  schon  bemerkt,  das  Halbbild 
eines  Engels  allegorisch  den  „auster"  darstellend.  So  wechseln  die  Inschriften, 
jedesmal  mit  eingeschmelzten,  quadratisch  länglichen  Emailplättchen  in  jenen  in- 
crustirten  matten  Schmelzen,  die  die  französischen  Archäologen  ^yimaux  ckampleves** 
nennen.  Mit  Berücksichtigung  der  zwei  vorausgesendeten  Inschriften,  lauten 
die  nachfolgenden  Inschriften  unmittelbar  unter  dem  Bilde  des  „auster'*  wie 
folgt: 

Nr.    3,  „/•  XPS  palpatur  a  Tkoma,  nee  dubitatur.** 
Nr.     4.  „f  Vinceris  in  menge,  leOy  dum  Jacobus  cadit  ense." 
Nr.    6.  „/•  Lampadis  os  quippe  Te  nominat  Philippe.** 
Nr.    6.  „/•  Cor  Tkaddae  colis  cum  came  vincere  nolis.** 
Nr.     7.  99 f  Emula  vita  Dei  bene  fit  Simonis  Caananei.** 
Nr.    8.  9*f  0  pugil  Andrea  superata  vincis  Egea.** 
Nr.    9.  9>f  Est  Deus  ipse  pater  Tibi  XPI  Jacobe  Jrater. 
Nr.  10.  9,f  Spem  tibi  demta  cutis  dat  Bartholomee  salutis. 
Wie  waren  ehemals  diese  quadratischen  Flächen,  die  heute  leer  und  sämmt- 
lieh  mit  rothem  Sammt  ausgeftillt  sind,  verziert?    Offenbar  ist  dieser  genueser 
Rothsammt  erst  in  den  letzten  Jahrhunderten  hinzugeftlgt  worden,  als  der  in  Rede 
stehende  prachtvolle  Codex  in  seiner  Ganzheit  einen  Einband  von  rothem  Sammt 
erhielt    Wir  sind  der  Ansicht,  dass  früher  in  diesen  quadratischen  Flächen  ent- 
weder die  emaillirten  Halbbilder  der  in  den  Inschriften  benannten  Apostel  eingelas- 
sen waren,  oder  aber,  dass  auf  dem  Tieffond  dieser  zehn  Quadrate  auf  vergolde- 
tem Pergament  diese  Apostel  in  Miniaturbildchen  sich  befanden,  vielleicht  jedes- 
mal von  einem  durchsichtigen  Homplättcheu  überdeckt*) 


*\  Wir  erinnern  uns  mehrere  Frontaleinbttnde  aus  der  romanischen  Kunstepoche  gesehen  tu 
haben,  die  statt  figürlicher  Darstellung  in  incrustirtem  Schmelz  figurale  und  Bild- Werke  auf  Pergament 
zeigten,  die  mit  einer  durchsichtigen  Hornhaut  zum  Schutze  überzogen  waren. 


16  gTAEDTISCHES    MUSEUM. 

Die  eben  beschriebene  Umrandung  mit  ihren  eingeschmelzten  figOrliefaen 
und  omamentalen  Emails  und  mit  den  eingravirten  Inschriften  schliesst  hervor* 
stehend  eine  innere  quadratische  Fläche  ab,  die  auf  ihrem  Grunde  einen  lang 
gezogenen  Vierpass,  durch  Filigranränder  gebildet,  erkennen  lässt  In  di<«em  ver- 
längerten Vierpass  erblickt  man  in  getriebener  halberhabener  Arbeit  das  sitzende 
Bild  des  Weltheilandes.  Die  Rechte  segnet  in  lateinischer  Weise»  die  Linke  hält 
das  geschlossene  Buch  des  Lebens.  Die  Züge  dieser  y^majestas  dombu*^  veran- 
schaulichen nicht,  wie  die  analogen  griechischen  Darstellungen  derselben  Zeit,  eine 
jugendliche  bartlose  Gestalt,  sondern  der  Goldschmied  hat  das  Haupt  des  Welten* 
erlösers  und  Richters  im  Mannesalter  aufgefasst,  mit  kurzem  Barte  und  emstfeaer- 
lichen  Zügen.  Die  vier  Zwickel  des  gedachten  Vierpasses  innerhalb  der  quadra- 
tischen Vertiefungen  sind  durch  die  vier  symbolischen  Zeichen  der  Evangelisten 
in  blauem  incrustirtem  Schmelze  ausgefüllt  Diese  Symbole,  deren  Vorbilder  Eze- 
chiel  schaute,  halten  in  Spruchbändern  die  Anfangsworte  der  vier  Evangelien, 
nämlich  oben  links  von  dem  Beschauer  die  ^Jncies  hommis'^  mit  der  schedula:  ,,Liber 
generationis".  Gegenüber  rechts  die  y Jodes  aquilae*'  mit  dem  Spruehbande:  „In 
prindpio  erat  verbum."  Unten  rechts  die  ,Jacies  vituU*^  mit  den  Worten:  nFvii 
in  diebus  HerodU*'  und  endlich  gegenüberstehend  links  die  facies  ieanis  mit  dem 
Texte:  yfVoa:  clamantis  in  deserto'^  lieber  diesen  Bildern  liest  man  in  dem  abge- 
schrägten Rande  in  romanischen  Versalien  den  Namen  des  betreffenden  Evange- 
listen, nämlich  St  Matthäus,  St.  Johannes,  St.  Lucas,  St.  Marcus  in  Abkürzungen. 

Täuschen  uns  die  incrustirten  Schmelze  und  ihre  charakteristische  Farb- 
stimmung nicht,  so  möchten  wir  geneigt  sein  hier  die  Hypothese  au&ustellen,  dass 
vorliegender  reicher  Frontaleinband  mit  seinen  interessanten  Schmelzwerken  ohne 
Zweifel  in  jenen  Tagen  und  fast  von  derselben  Meisterhand  Entstehung  gefunden 
habe,  die  die  beiden  vorher  beschriebenen  Schreine  des  h.  Maurinus  und  des 
h.  Albinus,  desgleichen  auch  das  unter  Fig.  109.  Taf.  XXXIX  abgebildete  Email- 
kreuz des  frater  Albertus  für  die  reiche  Benedictiner-Abtei  von  St  Pantaleon  in 
Köln  angefertigt  hat 


126. 
Reliquienbehälter 

in  Form  einer  kleinen  arcula  mit  der  Kreuzigung  des  Heilandes. 

Höhe  16  Centimeter;   Länge  15  Centimeter;   Tiefe  V/i  Centimeter.    XII.  Jahrhundert. 

Wie  wir  an  früherer  Stelle  zu  bemerken  Gelegenheit  nahmen,  hatte  die 
Goldschmiedekunst  bereits  im  XL  und  XII.  Jahrhundert  die  verschiedenartigsten 
Formen  für  Reliquienbehälter  aufgestellt.  Die  Form  jedoch»  welche  wir  aaf 
Taf.  XLVIII  Fig.  126  in  verkleinertem  Maassstabe  wiedergegeben  haben,  dürfte 


STAEDTISCHES  MUSEUM.  17 

heute  nur  noch  seltener  anzutreffen  sein.  Nur  der  Schatz  der  St  Wilibrordus 
Kirche  zu  Emmerich  hat  unseres  Wissens  noch  ein  ähnliches  Reliquiar  aufzuwei- 
sen. Das  hier  abgebildete  ist  in  seiner  äussern  Form  eine  Nachahmung  jener 
kleinem  areulae  in  formam  domus  redactae,  die  man,  von  einem  Satteldache  ttber- 
ragt,  häufiger  in  den  kirchlichen  Eunstschätzen  des  Abendlandes  antrifft  Aus- 
nahmsweise zeigt  jedoch  unser  Reliquienbehälter  ob  der  obem  schräg  ansteigen- 
Aea  Bedachung  einen  starken  Rundstab,  der  mit  vei^ldetem  Blech  überzogen  ist 
Der  grösste  Formreichthum  entfaltet  sich  bei  dem  vorliegenden  Gefäss  auf  der 
vorderen  Fläche,  die  auf  unserer  Abbildung  veranschaulicht  mrd.  Man  erblickt 
nämlich  daselbst  als  Flachgebilde  in  getriebener  halberhabener  Arbeit  die  Darstel- 
lung Christi  am  Kreuz,  umgeben  von  der  Passionsgruppe  Maria  und  Johannes. 
Leider  ist  in  früherer  Zeit  das  getriebene  Bildwerk  der  mater  dolorosa  zur  Rech- 
ten des  Kreuzes  verloren  gegangen,  während  sich  glücklicher  Weise  die  Figur 
des  Gekreuzigten  und  das  Bild  des  Lieblings-Jüngers  Johannes  erhalten  hat 

Diese  beiden  Bildwerke  bekunden  nicht  nur  die  grosse  Geschicklichkeit  und 
Sicherheit,  die  der  betreffende  Meister  in  dem  opus  elevatum^  propulsaium  erworben 
hatte,  sondern  sie  verrathen  auch  in  ihren  Compositionen,  in  der  bewegten  aus- 
drucksvollen Haltung,  dass  sie  von  kundiger  Hand  gegen  Scbluss  des  XH.  Jahr- 
hunderts getrieben  worden  sind,  als  die  Goldschmiedekunst  in  den  Mauern  Kölns 
in  ästhetischer  wie  in  technischer  Beziehung  einen  Höhepunkt  erreicht  hatte,  der 
heute  von  den  meisten  Meistern  des  betreffenden  Kunstgewerkes  noch  immer  ver- 
geblich angestrebt  wird.  Die  Figur  des  Gekreuzigten  ist  in  typischer  Weise  nach 
Art  der  byzantinisirenden  Ghristusbilder  stehend  auf  dem  suppedaneum  mit  grad- 
linig ausgestreckten  Armen  dargestellt  Sowohl  die  Bewegung  in  den  Körper- 
theilen,  als  auch  die  Drapirung  des  perixomum  des  Gekreuzigten,  dessgleichen 
auch  der  Faltenwurf  an  der  Toga  des  h.  Johannes  ist  in  sämmtlichen  Linien  in 
feiner  Stylisirung  so  geordnet,  wie  man  sie  in  einem  ähnlichen  Stylgepräge  an 
jenen  kleinem  Reliquiarien  in  Email  aus  dem  Schlüsse  des  XH.  Jahrhunderts  vor- 
findet, die  sowohl  von  kölnischen  als  auch  von  limousinischen  Schmelzwirkem  damals 
in  grosser  Zahl  angefertigt  wurden.  Neben  der  seltenen  Form,  die  das  vorliegende  Re- 
liquiar zeigt,  verdienen  von  Seiten  der  Kunstforschung  auch  die  verzierten  Goldorna- 
mente auf  einem  bräunlichen,  von  französischen  Archäologen  in  neuester  Zeit  email 
brun  genannten  Grundton  Beachtung.  Mit  einem  deutschen  Ausdrucke  würden  wir  die 
in  Rede  stehende  Verzierungsweise  als  Schmelz-Fimiss  bezeichnen,  der  vom  Schmel- 
zer auf  folgende  Weise  erzielt  worden  ist  Es  wurde  vorerst  das  dünne  Kupfer- 
blech vergoldet  und  alsdann  mit  einem  bräunlichen  eigens  fabricirten  Glanzfimiss 
die  ganze  Fläche  so  bemalt,  dass  man  nur  jene  Stellen  aussparte,  die  als  Ornament 
in  Gold  wirken  sollten.  Dieser  aufgemalte  braune  Lack-Fimiss  wurde  dann  ins  Feuer 
gebracht  und  durch  Hitze  fixirt,  so  dass  er  eine  glasuiartige  Durchsichtigkeit  ge- 
wann. Dieser  braune  Fimiss-Schmelz  ist  charakteristisch  für  eine  gewisse  Epoche 
der  kölnischen  Goldschmiede  und  Schmelzkunst  und  kommt  erst  in  der  zweiten 
Hälfte  des  XH.  Jahrhunderts  bis  gegen  die  Mitte  des  XHI.  Jahrhunderts  an  ver- 
schiedenen kirchlichen  Gerätlien,  vorzugsweise  der  Kölner  Schule  angehörend,  vor. 

3 


18  .      OTAKDTISCHBS  MUSBDM. 

Die  groBsartigBten  LaobTenienuigen  auf  emem  auflgospaiten  vergoldeten  firtuide 
in  fast  durchflichtigeni  gla^oraitigem  imaä  brun  jBiiidet  man  auf  der  earana  Iv- 
minaria  im  Octogon  des  MOnstera  von  Aaehen»  bekamtfieh  einem  Gesehenk  dea 
Kaisers  Friedrich  Barbarossa.  Aach  die  Deckplatte  auf  der  untern  Seite  des  be- 
rühmten aäare  portatile^  angefertigt  .vpn.  einem  Kölner  Schmelzwii^er  mit  der  inter- 
essanten Inschrift:  „Eilberius  eolamentü  me  focit/^  das  heute  mit  vielen  andern 
mittelalterlichen  Kleinodien  und  Reliquiarien  im  kOnigl.  Schlosse  zu  Hannover  ab 
kostbare  Hinterlassenschaft  der  Utem  weifischen  Fürsten  aufbewahrt  wird,  z«gt 
ein  kreisförmiges  Grolddesain  auf  einem  Fond,  der  mit  dem  ebengedachten  braunen 
Schmelzfimiss  ttberzogen  ist 

Zu  unserem  in  Rede  stehenden  Reliquiar  zurttckkehrend,  bemerken  wir, 
dass  die  ganze  Vorderfläche  desselben  mit  Musterungen  von  romanisirendem 
Pflanzen  werke  überzogen  ist»  das  in  starker  Feuervergoldung  auf  dem  einge- 
schmelzten bräunlichen  Grunde  effectvoll  hervortritt  Auch  die  hintere  Seite  und 
die  beiden  Seitentheile  der  vorliegenden  capsa  sind  mit  dünnen  Blechen  von 
Bothkupfer  glatt  überzogen  und  machen  sich  auf  dem  mit  bräunlichmi  Emaü-Fir- 
niss  überzogenen  Hetallbleche  in  Vergoldung  hervortretend  einzelne  schwungvolle 
Pflanzenomamente  geltend,  die  sich  Ober  diese  Fläche  gleichmässig  verSsten  und 
ausdehnen.  Wir  glauben  nicht,  dass  das  vorliegende  interessante  GeräUi  früher 
als  Reliquiengefftss  gedient  habe.  In  diesem  Fälle  müssten  ehemals  unter  den 
grossen  Krystallpasten  zu  beiden  Seiten  des  Gekreuzigten  kleinere  Reliquien  von 
Heiligen  aufbewahrt  worden  sein,  was  bei  näherer  Untersuchung  sich  als  nicht 
wahrscheinlich  ergab.  Eine  andere  Hypothese  liesse  sich  jedoch  mit  mehr  Wahr- 
scheinlichkeitsgründen aufstellen ,  dass  nändich  das  in  Rede  stehende  liturgische 
Geräth  als  pacißcale  bei  der  Feier  des  h.  Opfers  in  Gebrauch  war,  um  nach  dem 
agnujf  dei  dem  versammelten  Stifls-Klerus  den  pax  vermittelst  dieses  GefÜsses 
darreichen  zu  können.  Als  Handhabe  wäre  dann  der  darauf  befindliche  Rundstab 
mit  der  darunter  liegenden  Verjüngung  zu  betrachten.  Auch  der  Gegenstand 
selbst,  die  Kreuzigung,  stimmt  zu  den  Darstellungen»  die  wir  auf  romanischen 
oscida  pacü  aus  derselben  Zeitepoche  anderwärts  angetroffen  haben. 


Pyxis 

in  Silber  mit  vergoldeten  Omameuten  zur  Aufbewahrung  des  ge* 

weihten  Chrisma. 

Höhe  9  Centimeter;  grOsiter  Durchmesser  7  Centimeter  3  Millimeter.    XV.  Jahrhandert. 

In  den  kirchlichen  Schateverzeiehnissen  des  Mittelalters  findet  man  in  langer 
Keihe  eine  Anzahl  von  j,pya:tdes*'  namhaft  gemacht,  welche  Afar  verschiedene  litur- 


8TAEDTISCHES  IIUSEUM.  19 

gische  Zwecke  in  Gebrauch  genommen  wurden.  Die  am  meisten  vorkommenden 
Büchsen  dieser  Art  waren  vielfach  entweder  aus  Elfenbein  mit  Relief-Verzierungen, 
oder  aus  vereidetem  Silber  und  sogar  von  Holz  mit  h.  Figuren  bemalt,  die 
meistens  zur  Aufbewahrung  von  Reliquien  dienten.  Die  erstgenannten  „capsae'* 
in  Elfenbein  dienten  häufig  zur  Aufbewahrung  von  Reliquien.*)  Die  zweite  Art 
solcher  „pywideä'^  meistens  in  vergoldetem  Silber  oder  in  vergoldetem  Kupfer  mit 
reichen  eingelassenen  Schmelzen,  wurden  ehemals  dazu  benutzt,  um  in  diesen  cti- 
stadia  das  vißiieum  zu  den  Sterbenden  zu  tragen.  Als  seit  dem  XIV.  Jahrhundert 
die  Monstranz  für  die  öffentliche  Zeigung  der  h.  h.  Eucharistie  in  Aufnahme 
kam,  fertigte  man  auch  in  Silber  besondere  custodia  an,  die  die  Bestimmung 
hatten,  die  consecrirte  Hostie  so  lange  geziemend  aufzunehmen,  bis  dieselbe 
vorübergehend  wieder  in  der  lunula  der  Monstranz  exponirt  wurde.  Eine  dritte 
Art  solcher  Gefässe  wurde  seit  den  Tagen  des  Mittelalters  kirchlich  dazu  ver- 
wandt, um  in  denselben  die  geweihten  Oele,  nämlich  das  oleum  catechumeno- 
ruMj  femer  das  oleum  mfirmorum  und  endlich  das  sancium  chrisma  aufzubewah- 
ren. Entweder  kommen  diese  drei  Btlchsen  zur  Aufbewahrung  der  olea  sacra  als 
drei  für  sich  bestehende  Gefässe  auf  einem  Ständer  vor**),  und  zwar  so  öfter,  oder 
aber  sie  erscheinen  für  sich  einzeln  getrennt.  Ein  solches  für  sich  allein  bestehendes 
vas  ckrümale,  das  heute  in  dieser  Gestalt  und  formellen  Entwicklung  seltener  an- 
zutreffen ist,  besitzt  der  hiesige  Dom  und  wird  dasselbe  noch  jetzt  wie  im  Mit- 
telalter dazu  benutzt,  um  das  geweihte  Oel  darin  aufzubewahren,  das  bei 
der  Austheilung  des  Sacramentes  der  Firmung  und  auch  bei  der  Ertheilung  der 
verschiedenen  kirchlichen  ordines  vom  Bischöfe  in  Gebrauch  genommen  wird. 
Desswegen  findet  sich  auch  dieses  Gefäss  zumeist  in  der  bischöfiichen  Privatka- 
pelle  und  ist  es  daher  gekommen,  dass  wir  bei  Beschreibung  der  Domschätze 
dieses  vasculum  ckrismale  übersehen  haben.  Dasselbe  hat  hinsichtlich  seiner  Aus- 
stattung eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  vasculum,  das  wir  im  Schatze  der 
Pfarrkirche  zu  Kempen  vorgefunden  haben.  Jedoch  fehlen  an  dem  vorliegenden 
Salbgefäss  die  Ständer  von  drei  kleineren  Löwen  in  liegender  Stellung,  die  an 
dem  vasculum  eucharisiicum  zu  Kempen  ersichtlich  sind.  Der  untere  profilirte 
Band  als  Ständer  in  vergoldetem  Silber  zeigt  Durchbrechungen  in  Vierpass-Formen^ 
wie  sie  an  ähnlichen  Gefässen  des  XV.  Jahrhunderts  häufiger  vorkommen.  Der 
eigentliche  Behälter  des  GtefÜsses  in  einer  Höhe  von  nur  4'/«  Gentimeter  ist  in 
Silber  glatt  gehalten  und  lässt  an  dem  vordem  Verschluss  in  modernen  Charak- 
teren die  Inschrift  „Chri^tna"  erkennen.  Der  an  einem  Ghamier  bewegliche  Dek- 
kel  ist  oben  mit  einem  vergoldeten  profiUrten  Rande  eingefasst,  auf  welchem  sich 
ein  aufrecht  stehender  Kranz  von  ciselirtem  spätgothischem  Blattwerk  befindet, 
das  als  Bekrönung  an  ähnlichen  Gefässen  dieser  Epoche  häufig  vorkommt. 
Unmittelbar  über  dem  Chamier  erhebt  sich  als  Knauf  und  Handhabe  zum  leich- 


*)  Wir  haben  auf  Taf.  I.  der  1 .  Lief,  mehrere  lolcher  pyxiäet  sar  Aufbewahrung  von  Reliquien 
abgebildet  und  im  betreffenden  Texte  besohrieben. 

••)  Vgl.  die  Abbildung  solcher  Salbgeftsae  auf  Taf.  XIII.  und  Taf.  XV.  der  2.  Lieferung. 


20  STAEOnSCHES  MUSEUM. 

teren  Oeffnen  das  ciselirte  Köpfchen  eines  Engels,  das  innerhalb  dieser  Laubbe- 
krOnung  stark  hervortritt.  Der  bewegliche  Deckel  dieses  Salbgefilsses  wölbt  sich 
in  Weise  einer  kleinen  Halbkugel  und  strebt  nach  oben  zu  einer  kaum  merklichen 
Spitze  hin,  auf  welcher  sich  ein  kleines  Crucifix  mit  dem  Bilde  des  Grekreuzigten 
befindet,  das  ebenfalls  vergoldet  dem  Ge/ässe  zum  zierlichen  Abschlüsse  gereicht 
Sowohl  dieses  Crucifix  auf  der  vorliegenden  pyans^  als  auch  eine  Unterschrift  auf 
dem  untern  Fusstheile  dieses  Gefässes  scheinen  anzudeuten,  dass  die  in  Rede 
stehende  Büchse,  die  heute  zur  Aufbewahrung  des  Chrisams  benutzt  wird,  im 
Mittelalter  wahrscheinlich  als  custodia  zur  Austheilung  der  Communion  der  Kran- 
ken, oder  zur  Aufbewahrung  der  consecrirten  Hostie  in  Gebrauch  genommen 
worden  ist.  Die  in  gothischen  Minuskelschriften  mit  Abkürzungen  eingravirte  In- 
schrift auf  der  untern  Fussplatte  lautet:  »»Dominus  Johannes  Moet  canonicus  pres^ 
byter  dedit  nie  conventui  sororum  in  boecum." 


128. 
Zweischneidiges  Schwert 

nebst  reich  verziertem  Griff  und  Scheide. 

Grössie  Lange  1  Meter  5Vs  Cenlioieter.  XTV.  Jahrhundert 

Es  haben  sich  bis  jetzt  in  den  kirchlichen  Schatzkammern  häufig  mehr 
oder  weniger  reich  verzierte  Waffen  erhalten,  die  aus  zwei  Rücksichten  kirch- 
lich aufgehoben  und  in  Ehren  gehalten  zu  werden  pflegten.  Dieselben  haben 
nämlich  entweder  die  Form  von  kleineren  Jagdmessern  mit  kunstreich  ver- 
zierter Scheide  und  Handhabe,  oder  sie  zeigen  die  Grösse  und  formelle  Ausstat- 
tung von  Schwertern,  wie  sie  im  Mittelalter  auch  als  Schmuck-  und  Ceremonien- 
waffen  dienten.  Die  erst  gedachten  wurden  im  Mittelalter  häufig  als  Hoheits-In- 
signien  bei  Uebertragung  und  Schenkung  von  Gtltem  und  Liegenschaften  feierlich 
auf  den  Hauptaltar  oder  sogar  in  die  Reliquienschreine  der  Heiligen  niedergelegt ; 
auch  dienten  solche  reichverzierte  cultelli  als  Zeichen  der  Investitur.  *)  Die  Pracht- 
scfawerter  jedoch,  die  sich  gegenwärtig  noch  zahlreich  vorfinden,  werden  aufbewahrt 
als  Waffen,  oder  als  Gedenkzeichen  an  das  Martyrium,  das  einzelne  Heilige  durch 
das  betreffende  Schwert  erlitten  haben.  Bei  vielen  dieser  Waffen  ist  jedoch  nur 
das  eigentliche  Schwert,  die  Klinge,  als  Reliquie   zu  betrachten   und  ist  in  den 


*)  Cfr,  Du  Cange^  Glos»,  et  eonlinuaior,  ^'iu;  MohomL  JngUean Rer  {B'iUieimut U ,\ 

per  eultelhitn  ebumeum  quod  in  manu  tenuU  et  abbali  (de  TavUloe)  purrexit^  hoc  donvm  tmmM- 
erium  de  ff^lurintuna)  peregit  apud  euriam  .  •  .  Qui  quidetn  cultelhu  jaeet  in  (etelro  etneü 
Rumonu  In  ct^jus  manubrio  inserilur  talit  seriptura:  „Ego  i^ilHeUnu*  rex  dedi  Deo  et  emntime 
Mariae  de  TravUtoe  lerram  ff^lemHam.^ 


STAEDTISCHES  MUSEUM.  21 

meisten  Fällen  die  reichverzierte  Scheide  und  die  Handhabe  eine  omamentale  Zu- 
that  späterer  Zeit,  wodurch  die  Klinge  als  Reliquie  im  Aeussem  eine  wtlrdige 
Form  und  Aufbewahrung  gewinnen  sollte.  Wir  sind  nicht  in  der  Lage  nach  der 
äussern  Beschaffenheit  der  zweischneidigen  Klinge  beurtheilen  zu  können,  in  wie 
fem  dieselbe  mit  der  Tradition  übereinstimmt,  dass  nämlich  diese  Waffe  von  dem 
h.  Georg  herrühre;  nur  das  Eine  kann  mit  Sicherheit  behauptet  werden,  dass  der 
obere  Griff  dieses  Georgschwertes  und  auch  die  reichverzierte  Scheide  offenbar 
jungem  Ursprungs  sind  und  frühestens  gegen  Ausgang  des  XIV.  Jahrhunderts 
Entstehung  gefunden  haben  dürften.  Hinsichtlich  des  Griffes  (manubrium)  bemer- 
ken wir,  dass  derselbe  mit  den  Hoheits-  und  Ceremonienschwertem  des  XIV.  Jahr- 
hunderts genau  übereinstimmt  und  mit  der  Klinge  vollständig  die  Form  eines 
lateinischen  Kreuzes  bildet.  Zum  Schutze  des  mit  Leder  überzogenen  Handgriffes, 
der  wie  immer  von  einem  filigrauiilen  Silberdrahte  umwunden  ist,  erblickt  man 
eine  geradlinige  Pariretange  von  vergoldetem  Silber  in  der  Länge  von  1 7  tj-i  Cen- 
timeter,  die  glatt  gehjüten  ist  und  keinerlei  Verzierungen  'zeigt.  Als  Abschluss 
und  hervorragende  Zierde  des  manubrium  befindet  sich  oben  ein  glatter,  kreis- 
förmiger Knauff  im  grössten  Durchmesser  von  7  Gentimeter,  der  auf  beiden  Sei- 
ten als  ausfüllendes  Ornament  eingeschmelzte  Darstellungen  erkennen  lässt  Man  er- 
blickt nämlich  in  den  Vertiefungen  dieses  Knaufes  umgeben  von  blauem  durch- 
sichtigem Email  auf  beiden  Seiten  das  Symbol  eines  Schmetterlings  mit  ausge- 
breiteten Flügeln.  Wir  gestehen  ein,  dass  uns  in  der  Thiersymbolik  des  Mittel- 
alters in  dieser  Gestalt  der  Schmetterling  noch  nicht  zu  Gesicht  gekommen  ist, 
jedoch  würde  es  ein  Leichtes  sein,  seine  Bedeutung  an  dieser  Stelle  symbolisch 
zu  begründen. 

Einen  reicheren  Schmuck  als  die  Handhabe  hat  die  Scheide  dieses 
Schwertes,  aus  einem  gebeizten  Rothleder  bestehend,  dadurch  erhalten,  dass 
oben  am  Mundstück  und  am  unteren  Abschlüsse  derselben  der  Goldschmied 
2  Beschläge  in  vergoldetem  Silber  angebracht  hat,  die  unter  zierlichen  Durch- 
brechungen ehemals  kleinere  emaillirte  Omamente  ersichtlich  werden  Hessen. 
Diese  durchbrochenen  Cirkelschläge,  die  in  trefflicher  technischer  Ausftlhrung 
mehrere  Drei-  und  Vierpassformen  erkennen  lassen,  können  als  massgebend  für  die 
Entstehungszeit  des  vorliegenden  Schwertes  in  der  letzten  Hälfte  des  XTV.  Jahr- 
hunderts betrachtet  werden.  Als  Anhaltspunkt  zur  Feststellung  der  Chronologie 
sind  ebenfalls  die,  in  über  Eck  gestellten  Quadraturen,  vertieft  ausgestochenen 
Namenchiffer  des  Heilandes  in  lateinischer  Minuskelschrift  zu  betrachten,  die  für  die 
Goldschmiedekunst  in  den  Tagen  Kaiser  KarFs  IV.  charakteristisch  sind.  In  dem 
zierlichgearbeiteten  Mundstück  der  Scheide  liest  man  den  Namen  Jesus  nach  mittel- 
alterlicher Schreibweise  nämlich  \\l^  und  als  Fortsetzung  auf  der  untern  aus- 
mündenden Spitze  den  abgekürzten  Namen  Christus,  nämlich:  XPS. 

Schliesslich  weisen  wir  darauf  hin,  da^s  dieses  Schwert  auffallender  Weise 
an  beiden  Seiten  des  obern  Mundstückes  der  Scheide  ziemlich  stark  vor- 
springende Oesen  wahrnehmen  lässt,  wodurch  die  Annahme  begriindet  erscheint, 
dass  es  ehemals  vermittelst  eines  über  Brust  und  Schulter  gelegten  Gürtels  an 


22  STAEOnSCHES    MUSEUM. 

der  Seite  getragen  werden  konnte.  Ausser  den  drei  reichen  Kaiserschwertern 
unter  den  deutschen  Beichskleinodien  im  Schatze  der  Kaiserburg  zu  Wien,  dem 
prachtFollen  Ceremonienschwerte  im  Schatze  der  ehemaligen  Stiftskirche  zu 
Essen  und  dem  altem  kurfürstlichen  Schwerte  im  Schatze  des  Kölner  Doms, 
welches  wir  in  der  I.  Lieferung  dieses  Werkes  Tafel  XIL  Figur  46  abgebildet 
und  auf  Seite  48  näher  beschrieben  haben,  erinnern  wir  uns  nicht  in  einem 
andern  Eirchenschatze  des  christlichen  Abendlandes  eine  ähnliche  reichverzierte 
Waffe  des  XIV.  Jahrhunderts  vorgefunden  zu  haben.  *) 


*)  Einfachere  Schwerter  ebenfalls  als  Kcliqnien  mit  einfacher  Verzierung  der  Scheide  and 
Handhabe  sahen  wir  mehrfach;  so  im  Schatze  von  St  Veit  das  Schwert  des  h.  Stephan,  KOntgs 
von  Ungarn.  Die  Handhabe,  eine  merkwürdige  Sculptur  in  Elfenbein,  dttilte  wie  auch  die  zwei- 
schneidige Klinge  ans  den  Tagen  des  h.  Stephan  herrühren.  Die  Scheide  jedoch  und  ihre  Verzie- 
rung ist  offenbar  gegen  Ausgang  des  XV.  Jahrhunderts  neu  hinzugefügt  worden. 


.*•»