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las tirilijir liiln.
Bescbrelbnnii;
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DiitlelalteiiicheD Kunstsch&tze in seinen Kirehen und Sakristeien,
iiiis «tnii Ki'H'it'lic ili-s (M>lils('liiiiii><lr<;nvi'rkr<i iiiiil der
l'iiriiiiii'iitik.
Auf Wunsch des Vorstandes des cbristlicben Kunetvereins der ErzdiOcese Kfiln
herausgegeben von
FBAHZ BOCK.
„Gloriora dicU mnt de te CiritM Hei -
LEIPZIG,
T. O. W E I G E L.
18(8.
/ys: -iL. J2.3.
-\ ^ . "* \
VORWORT.
iJie alte Hansestadt am Rhein, gelegen an der grossen Pulsader des „heiligen
deutsehen römischen Reiches", war das ganze Mittelalter hindurch der vielbewegte
Stapelplatz ftlr Handel, Gewerbe, Industrie; die Metropole Köln war aber auch
unter dem milden Krummstabe kunstsinniger KirchenfÜrsten lange Jahrhunderte
hindurch, als Leuchte auf deutschem Boden für die höheren Interessen der Menschheit,
jener pulsirendc Mittelpunkt, von wo aus, insbesondere für den Nordwesten des
Reiches, Kunst und Wissenschaft ihren anregenden und veredelnden Ausgang genom*
men haben. Wenn auch die Sprache der Urkunden und Schreinsbttcher heute noch
theilweise verstummt ist, so sprechen zur Bewahrheitung des Gesagten desto lauter
die Steine an grossartigen kirchlichen und profanen Monumenten, welchen Höhe-
punkt „das heilige Köln'' vor allen übrigen Städten der deutschen Gauen im
Mittelalter erstiegen hatte.
Aber nicht nur allein auf dem einen Gebiete des künstlerischen Schaffens
und Könnens, der Baukunst, überragte die mächtige Rheinstadt, im Liede dess-
wegen vielfach gefeiert, die übrigen Schwesterstädte des Landes, sondern auch alle
anderen Künste hatten sich zu einer Zeit, als sie noch der Architektur als Lehr-
meisterin und Arbeitgeberin gehorchten, in den lebensfrohen gastlichen Mauern
des alten Kölns gleichmässig eingefunden, um sowohl im Dienste der Religion,
als auch zur Verschönerung des Lebens, Stadt und Land zu einem blttthenreichen
Garten der Kunst umzuschaffen.
Wenn nun Baumeister und Gesellen eine solche Kunstthätigkeit entfaltet
hatten, dass, einer unverbürgten Sage nach, 365 Kirchen der Rheinstadt den Namen
das „deutsche Rom'' zu Wege brachten, so unterliessen zahlreiche Bildhauer und
Bildschnitzer es nicht, die geräumigen inneren und äusseren Hallen dieser Tempel
mit einem Paradies von Heiligen durch die Kunst ihres Mcissels zu bevölkern.
Lange bevor die Mediceer in Florenz nach klassischem Zuschnitt ihre „Akademien"
eröffneten, blühte in Köln am Rhein eine altberühmte praktische Meisterschule, in
welcher schlicht und einfach vor allen andern Künsten namentlich die Malerei
regelrecht gehegt und gepflegt wurde. Die Ehre femer, die Limoges erst seit
2 VORWORT.
dem XII. Jahrhundert für sieh beanspruchen kann, nilmlich allen übrigen Städten
des Abendlandes in der Kunst des Emaillirens, Nigellirens und Schmelzens über-
legen gewesen zu sein, kann in ausgedehntem Masse die alte Römerstadt am Rhein
schon seit den Tagen der Ottonen von sich behaupten, wie das selbst französische
Archäologen in neuester Zeit haben anerkennen müssen.
Zwei Künste aber, denen vorzugsweise der innere Schmuck der Kirchen und
Altäre im Mittelalter anvertraut war, fanden in der alten Erzbischöflichen Metropole
ihre besondere Pflege ; es war das die Kunst des freien Goldschmiedegewerkes und
die Kunst der Bild- und Wappenstickerei. Die erstgenannte „er*yiiÄn7iV" nahm in
Köln schon seit dem X. Jahrh. ciarauf Bedacht, nicht nur die liturgisch kirchlichen
Geräthe und Gefässe des Altars möglichst kostbar und kunstgerecht auszustatten,
sondern auch eine grosse Zahl berühmter Reliquien, deren Besitzes sich die Rhein-
stadt erfreute, erhielt durch sie in kunstvollen Einfassungen und reichen Behältnissen
ihre würdevolle Ruhestätte. Dessgleichen richteten angesehene Zunftmeister der Bild-
und Wappensticker im alten Köln ihre besondere Aufinerksamkeit darauf, die Vor-
hänge und Bedeckungen des Altars, ja selbst das priesterliche Gewand durch kunst-
reiche Nadelmalereieu und Wirkereien i^opera acu picta" gleichsam zu einem lehr-
und bilderreichen Buche auszustatten tür jene, die lesen, noch mehr aber für die-
jenigen, die da nicht lesen konnten.
Der alt« rheinische Clironist Gelen sah noch die vielen Kirchen und Sa-
kristeien seiner berühmten Vaterstadt ausgestattet im Innern mit dem reichsten
Schmucke kostbarer Gefässe und Gewänder, die von der hohen Kunstfertigkeit
kölnischer (Goldschmiede und kölnischer Bildsticker mehrere Jahrhunderte hindurch
lautredendes Zcugniss ablegten. Ein anderer verdienstvoller Kölner der Neuzeit,
Wallraf hatte noch die hohe Freude, unmittelbar vor dem Erlöschen den letzten
Schimmer aller jener unersetzlichen kirchlichen Kunstschätze, die auch auf dem
Gebiete der Goldschmiedekunst aus mehr als einem Grunde seiner Vaterstadt den
Namen des „heiligen Köln'' zugefbhrt hatten, bewundem zu können. Da nahten
mit dem Schlüsse des vorigen Jahrhunderts traurige Zeiten flir die ehemalige Hanse-
stadt, indem der Wellenschlag <ler französischen Staatsumwälzungen unbarmherzig
mit sich fortriss, was der Kunst- und Frommsinn vieler Jahrhunderte in Köln zur
Ehre des Höchsten Grossartiges und Staunenswerthes geschaffen hatte. Prachtvolle
Bauwerke wurden ohne Noth niedergerissen, viele dei*selben entstellt und in Ka-
sernen und Magazine verwandelt. Bei diesem allgemeinen Umsturz suchte Wallraf
und seine Freunde an älteren werthvollen Malereien, Sculpturen und Glasgemälden
das noch zu retten und zu erhalten, was zu retten war. Noch schlimmer ging
es in der Sturm- und Drangperiode zu Anfiuig dieses Jahrhunderts den Meister-
werken der Goldschmiedekunst und den in Gold und Perlen gestickten reichen
kirchlichen Ornaten. Leider boten die letztgedachten Kunstschätze den Aufklärern
und Neuerungshelden eine erwünschte Gelegenheit, ihre meist leeren Taschen mit
dem wohlerworbenen, kunst- und werthvollen Eigenthum der Kirche zu füllen und
das meistens auf den Grund hin: dasselbe würde doch früh oder spät eine Beute
fremder Eindringlinge werden. Was der Ausländer nicht in seinen geräumigen
VORWORT. 3
Schmelztiegel schon vorher gebracht hatte, das verschwand spurlos unter den Händen
von einheimischen Zerstörern, die, bei der allgemeinen Verwirrung der Kechtsbe-
griffe von Mein und Dein, oft um des kleinen Metallwerthes wegen schonungslos
vernichteten, was, in Bezug auf Composition und Form, für den Geschichts- und
Kunstfreund unersetzlich war. So sah die Stadt der drei Weisen innerhalb eines
kurzen Zeitraumes von kaum 25 Jahren bei der unbegreiflichen Gleichgültigkeit der
Menge und der Habsucht Einzelner, die die Gelegenheit gewissenlos benutzten, das
Alles unwiederbringlich verschwinden , was auf dem Gebiete der kirchlichen Gold-
schmiedekunst, der Weberei und Stickerei, mehr als acht lange Jahrhunderte hin-
durch, Kunstreiches und Schönes von frommen Händen zu Gottes Ehre geschaffeu
worden war.
Heute, wo die alte Rheinstadt um so viele prachtvolle kirchliche Kunstschätze,
worüber alte Schatzinventare noch Vieles zu erzählen wissen, ärmer geworden ist,
wird es freilich vielfach bedauert, dass in jenen schönem Tagen, wo die Schränke
der hiesigen Sakristeien mit Kunstschätzen der obengedachten Art noch reich ge-
füllt waren, Köln keinen Mann in seinen Mauern gehabt habe, der, gleich dem be-
kannten Mönch von Aschaffenburg, mit kundiger Hand alle jene bedeutenderen
Kunstwerke aufgezeichnet und abgebildet habe, die, hervorgegangen von Meistern
des heimathlichen Goldschmiedegewerkes, die Zierde der Kirchen und der Stolz der
kunstsinnigen Einwohner des alten Kölns lange Zeit hindurch gewesen waren. Nach
so vielen Verlusten würde man sich heute noch an diesen aufgezeichneten schönen
Formen der Vorzeit erbauen, und die Kunstgeschichte Kölns würde dadurch Belege
in Menge beibringen können, welchen Höhepunkt die Goldschmiedekmist in Köln,
alle übrigen Städte überragend, im Mittelalter erstiegen habe.
Was man im vorigen Jahrhundert, als noch jede Sakristei der grösseren
Kirchen Kölns so zu sagen ein reichhaltiges christliches Kunst -Museum für sich
allein bildete, zu thun unterlassen hat, das wollen wir im vorliegenden Werke,
wenn auch in der eilften Stunde, in kleinerem Umfange nachzuholen nicht ver-
säumen. Allerdings hat die altehrwürdige erzbischöffliche Metropole am Rheine
sehr Vieles von ihrem ursprünglichen Glänze und ihren reichen Kunstschätzen in
Sakristeien und Gerkammem eingebüsst, aber die Menge des Vorfindlichen im
Fache der Groldschmiedekunst, der Weberei und Stickerei war so gross, dass sich
ungekannt und ungeachtet, bei der Ueberstürzung der Ereignisse und durch die
Gunst von Nebenumständen, noch Bedeutendes erhalten hat. Glücklicherweise war
im Mittelalter bei Anfertigung kostbarer Geräthe und Utensilien meistens die schöne,
edle Form und die delikate, fleissige Ausarbeitung Hauptsache, und betrachtete man
zuweilen das edle Material als Nebensache, das durch die hohe Entwickelung der
Formen in Schatten gestellt werden sollte. Und so wurden zu vielen kunstreichen
kirchlichen Ge&ssen und zu umfangreichen Reliquienschreinen Kupfer und Messing
genommen, das man durch eine starke übersolide Feuervergoldung zu idealisiren
und dem Grolde gleich zu stellen suchte. Da nun die Neuerer des 19. Jahrhunderts
nur nach dem werthvollen Materiale suchten, für die Form aber kein Verständniss
mehr hatten, so haben sich in der letztgedachten vandalisehen Zerstörungsperiode
4 VORWORT.
noch eine Meng^ von kuu^treichen Praehtgefässen und kirchliche Gebrauchsgegen-
stände erhalten, die nur allein der allgemeinen Zertörung entgingen, weil sie das
Glück hatten von Kupfer und Messing zu sein und daher das Einschmelzen derselben
keine lohnende Goldemdte versprach. Trotz der grossen Verluste können daher die
kölnischen Kirchen, nach so lang anhaltender systematischer Plttndermig, doch noch von
sich sagen, dass sie reiche Armen geblieben sind. Fasst man nämlich sämmtUche
werthvolle Kunstschätze, die sich bis heute noch in den Sakristeien Kölns gerettet
haben, näher ins Auge, so überzeugt man sich, dass dadurch so ziemlich nach-
geA\iescn werden kann, in welchen Fonnen und Bildungen nicht nur alle vorkom-
menden Gefässe und kostbaren Geräthschaften für kirchlichen Grebrauch im Mittel-
alter angefertigt zu werden pflegten, sondern auch in welchen Gestaltungen alle
jene Paramente und stofflichen Ornate der verschiedensten Gattung für litur-
gische Zwecke ehemals durch Stickereien und Wirkereien ihre künstlerische Aus-
stattung fanden.
Wenn wir nun im Folgenden der lohnenden Aufgabe uns unterziehen, im
Wort und Bild gleichsam ein Schatzinventar der noch vorflndlichen Kunstgegen-
stände sämmtlicher Sakristeien Kölns anzufertigen, wie das in den Zeiten des
Mittelalters, nach strenger kirchlicher Vorschrift, zeitweise von den Verwaltungsvor-
ständen einer jeden Kirche einzeln geschehen musstc, so leitete uns dabei vor-
nehmlich der Gedanke, dass, nachdem endlich nach langer Gleichgültigkeit und
Verkennung das Verständniss der Traditionen unserer eigenen heimathlich ange-
stammten Fonnenwelt der jetzigen Generation wieder näher gerückt ist, es gleich-
sam als eine Ehrenpflicht der kölnischen Kirchen, als die heutigen gewissenhaften
Erben der Hinterlassenschaft einer frommen und kunstsinnigen Vorzeit, betrachtet
werden könne, das genauer zu untersuchen und durch Bild und Schrift zu erläu-
tern, dessen Besitzes sich das altbeiühmte Köln heute noch vor so vielen andern
Städten, die an solchen Schätzen leer ausgegangen sind, rühmen kann. Bei einer
solchen Detailbeschreibung der Meisterwerke kirchlicher Goldschmiedekunst und
zugleich auch der Weberei und Stickerei dürften sich nicht nur für den Archäo-
logen vom Fach eine Menge von Einzelheiten ergeben, die in Bezug auf Ur-
sprung, Form, Composition und technische Beschaffenheit Interesse bieten, son-
dern es möchten auch in symbolischer und liturgisch ritueller Beziehung sich
manche Anhaltspunkte wieder aufflnden lassen, die im Mittelalter bei der Compo-
sition und Ausführung einer Menge von einschlagenden kirchlichen Kunstgegen-
stände bestimmend und massgebend gewesen sind.
Da in jüngster Zeit das Studium der Formen christlicher Kunst nicht nur
eine wissenschaftUche Hinterlage gefimden hat, die für sich allein schon Vielen
einen grossen Beiz zu gewähren scheint, sondern da das Verständniss dieser gehalt-
vollem Bildungen auch noch den practischen Vortheil bringt, dass man vermittelst
derselben einzelne Kunstzwcige für höhere kirchliche Zwecke wieder fruchtbringend
machen kann, um dadurch würdige und ernstere Formen für den heutigen Ge-
brauch wieder erstehen zu sehen; so leitete uns bei Herausgabe des vorliegenden
Sammelwerkes auch noch der mehr praktische Gedanke, nicht nur dem Componi-
VORWOBT. 5
sten, sondern auch dem selbst schaffenden Meister auf dem Gebiete der kirch-
lichen Goldschmiedekunst und der Paramentik unter Vorlage von charakteristi-
schen Original -Zeichnungen mit ausführlichem erläuterndem Texte jene schöneren
Vorbilder wieder nahe zu rttcken und an die Hand zu geben, deren eingehendes
Studium sie nach und nach wieder befähigen dürfte analoge Bildungen ftLr kirch-
liche Kunst- und Gebrauchsgegenstände zu schaffen, die heute ihrem Zwecke und
ihrer Beschaffenheit nach in der katholischen Liturgie dieselben geblieben sind, wie
sie auch im Mittelalter in der Kirche in Gebrauch waren.
Noch beabsichtigten wir bei Abfassung des vorliegenden Werkes in- und
ausländischen Besuchern, welche in grosser Zahl, namentlich in den Reisemonaten,
die hervorragenden kirchlichen Monumente Kölns in Augenschein nehmen, einen
Leitfaden an die Hand zu geben, der besonders Freunde und Verehrer mittel-
alterlicher Kunst genauer darauf hinweise, welche kostbaren Kunstschätze sie in den
Kirchen und Sakristeien Kölns noch zu suchen haben, an denen man jüngst noch
vielfach vorttbereilte, weil man das Vorhandensein derselben nicht vermuthete. Nach
Besichtigung der hier beschriebenen kirchliehen Ornamente mag dann, nach Hause
zurückgekehrt, das vorliegende Buch dazu dienen, unter Beigabe der nöthigen
Zeichnungen die Erinnerung an das Gesehene noch längere Zeit wach zu erhalten.
Vielleicht möchte auch Vielen Vorliegendes als Fingerzeig nicht unwillkommen
sein, wie man auf gleichartige liturgische Gebrauchsgegenstände der eigenen Hei-
math mehr Gewicht legen, sie sorgfältiger aufbewahren und in ähnlichen Be-
schreibungen der Wissenschaft nutzbar machen könne. Da es überhaupt in einer
Zeit der Zerfahrenheit und stylistischen Verwirrung auf dem Gebiete der heutigen
Formen keiner Entschuldigung bedarf, wenn man es unternimmt, mustergültige
Originalbildungen einer grossen Vergangenheit des eigenen Volkes näher ans Licht
zu ziehen und zu erörtern, so war bei vorliegender Beschreibung der kölnischen
Kunstschätze des Mittelalters auf dem Gebiete des Goldschmiedegewerkes und der
Paramentik auch noch der Gedanke leitend: das beste Mittel, kirchliche Kunst-
gegenstände vor dem Verkommen und der allmähligen Vergessenheit zu retten,
bestehe vornehmlich darin, dass man sie in gedruckten Schriften genauer skizzire,
ihren Werth öffentlich bespreche und die Schönheit der Formen derselben in einer
getreuen Zeichnung veranschauliche.
Wir gehören grade nicht zu denjenigen, die scholl die nächste Zukimft durch
eine allzu dunkle Brille zu betrachten gewohnt sind und beftlrchten nicht so sehr, dass,
wie gewisse Propheten es Allen verkündigen, die es gerne hören wollen, wir am
„Vorabende grosser Ereignisse stehen". Sollte jedoch, wider Erwarten, eine spätere
Zeit bei der Nähe eines unruhigen Nachbars, der seine Revolutionsperioden noch
nicht alle durchlaufen zu haben scheint, wieder ähnliche Katastrophen für Köln
eintreten sehen, was Gott verhüten wolle, wie dieselben leider unsere Grosseltem
erlebt haben, dann dürften aus allgemeiner Gleichgültigkeit und Unkenntniss nicht
so sehr jene werthvoUen Kunstschätze Gefahr laufen, um Kleinigkeiten verschleudert
zu werden und verloren zu gehen , deren bleibender Werth durch Schrift und Bild
ausführlicher festgestellt und gesichert worden ist. Wenn aber dennoch im Drange
6 VORWORT.
der Zeitumstände in späteren Jahren einzelne hervorragende Meisterwerke^ die sich
bis auf unsere Tage noch glücklich gerettet haben, für kölnische Kulturgeschichte
wirkHch verloren gehen sollten, so wttrde die vorliegende Schrift fttr den Vater-
landsfireund und Geschichtsforscher wenigstens den Yortheil haben, dass er mit
einem gewissen Hochgefühl, hinzeigend auf die nachfolgenden Zeichnungen jener
Kunstwerke, die seine Vorfahren im Mittelalter zur Ehre Gottes geschaffen haben,
sagen könnte: gegen Mitte des XIX. Jahrhunderts hatte das „heilige Köln^' in
seinen Kirchen und Sakristeien noch solche Kunstschätze aufzuweisen.
Köln, in der Charwoche des Jahres 1858.
Franz Bock.
"ßhä Ö- ÖPrröii .
i
ssfefa
^G'
r<rm
,JIu9 S- 6frnin .
^t 6crcon.
iQttelalterliohe EunstgegenstAnde in St. 6ereo9.
1) Reliqiiienkreuz , aus BergkrysUll, XIV. Jahrhundert. Taf. I. Fig. 1 . .
2) Arabische Büchse aus Eirenbein, XII Jahrhunderl. Taf. I. Fig. 2 . .
3) KussUfelcben , XVI. Jahrhundert. Taf. I. Fig. 3
4) Figuralisch bemalte Reliquienbachse» XV. Jahrhundert. Taf. I. Fig. 4
5) Reliquienküstchen aus beinartiger Substanz, XII. Jahrhundert. Taf. I. Fig. 5
6) Figurirtes Teppichgewebe in Wolle , XII. Jahrhundert. Taf. II. Fig. 6
7) Rehquiar in Form eines Armschenkels mit Hand, XIII. Jahrhundert. Taf. II
8) Reliquiengeftss von derselben Form, wie das vorhergehende, XIII. Jahrb. Taf. II
9) In Seide gestickte Tasche, XIV. Jahrhundert. Taf. II. Fig. 9 ....
1 0) Gothtsche Messkelche , XVI. Jahrhundert. Taf. II. Fig. 10
Ehemaliger Schatz der Stiftskirche von St. Gereon
Fig. 7
Fig. 8
3
4
6
7
9
10
15
17
19
20
22
t.
Reliquien-Krenz
ans einzelnen Krystallstücken zusammengesetzt.
Fuss messing- vergoldet; 40 Cpntimeter HUhe; grUsste Breite der Querbalken 20 Centimeter;
Durchmesser des Fusses 21 Centimeter. XIY. Jahrhundert.
Dieses Reliquien-Gefäss gehört zu jener Rubrik von Altar- und Vorsatz-
kreuzen, deren Kreuzbalken mit Reliquien gefüllt, bei feierlichen Veranlassungen
auf dem Altar zur Verehrung hingestellt wurden.
Dasselbe erinnert noch in einzelnen Theilen an die Formen der romanischen
ICunstepoche, wo bekanntlich der Cristal de Roche angebohrt und mit verschiede-
nen, eingegrabenen Figuren sculptirt, zu Reliquienbehältem und vielen andern
kirchlichen Utensilien häufig verwendet wurde. Auch das vorliegende Reliquiar zeigt
in seiner Kreuzesform fünf grössere Stücke Bergkrystall, wovon drei an dem Quer-
balken und dem Unterbalken , die Form von runden Kugeln erkennen lassen. Diese
Kugeln sind nach mehreren Seiten hin mit schmalen Bandstreifen, Verzierungen in
Filigran enthaltend , omamentirt Die Spitze der Kugel an beiden Kreuzbalken ist
ebenfalls mit Krystallpasten besetzt, die in kräftigen Fassungen (lectula) nach
Aussen zum Vorschein treten.
Der mittlere Bergkrystall ist in seiner Aushöhlung dazu bestimmt, verschie-
dene Reliquien aufzunehmen, und misst derselbe horizontal liegend, 7 Centimeter.
Dieser sechseckig geschliffene Bergkrystall wird auf beiden Seiten mit breiten Rin-
gen, als Kordons eingefasst; in diesen sechseckig geformten Ringen erblickt man
Edelsteine ohne Facetten, Ametisten, Agate etc. Den Oberbalken des Kreuzes bildet
ebenfalls ein ausgehöhlter Bergkrystall zur Aufnahme von Reliquien, und hat
derselbe die Föhn eines Herzens; auch dieser Bergkrystall ist auf beiden Seiten
durch schmale Filigranbände mit dazwischen befindlichen, gefassten kleinen Rubi-
nen verziert, und werden durch diese Ränder der obere und untere Verschluss die-
ses KrystaUgefässes zusammen gehalten. — Auf diesem letzten Bergkrystall zeigt
sich als Abschluss ein kleiner Aufsatz mit Filigran und gefassten Steinen verziert,
der von einem Metallknöpfchen tiberragt ist, auf welchem sich ein kleines Kreuz
befindet, welches auf der platten Rückseite in früh gothischen Majuskelschriften die
4 8T. GEllKON.
Le8ung enthält': „2>e Hyno DommU* Die vordere Seite dieses Kreuzes ist von
einem mit Facetten geschliffenen Bergkrj'stall belegt, der ehemals die Bestimmung
hatte, die früher darin befindliche, kleinere Partikel vom h. Kreuz sichtbar werden
zu lassen. Der Fuss dieses Krystallkreuzes setzt sich vermittelst einer unbedeckten
Schraube von Eisen mit dem obem, eben beschriebenen Theile des Reliquiariums
zusammen. Dieser Fusstheil in Messing vergoldet, bildet im äussern Umriss eine
stemfbrmige, sechseckige Figur; auf dieser breitem Unterlage erhebt sich in Mes-
sing getrieben ein zweiter kleiner, sechseckiger Fuss, der auf einem ansteigenden
Halse einen kleinen Sockel mit profilirten Gliedern trägt, auf welchem der Schaft
des Reliquienkreuzes sich ansetzt. Wir glauben annehmen zu dürfen, dass dieser
einfache, wenngleich formschöne und zierliche Fuss nicht ursprünglich zu dem obem
Theile gehörte, wenigstens fehlt heute das verbindende Mittelglied zwischen Kreuz und
Fussgestell in Form eines Knaufes, das ebenfalls, wie wir glauben, ein Bergkrystall
war. Nach Analogien zu schliessen, dürfte man dtifilr halten, dass der Fuss im
XV. Jahrhundert, hingegen das obere Kreuz mit Filigranbändern gegen Schluss
des Xni. oder Beginn des XIV. Jahrhunderts seine Entstehung gefunden habe.
2.
Reliquieii-Bfichse
aus Elfenbein mit arabischen Inschriften.
Uühe 18 Centimeter ; Durchmesser 12 Centimeter. XII. Jahrhundert.
Vorliegendes Reliquiarium hat vollständig die Form jener Salbbttchse , die
auf altdeutschen Bildern der Maria Magdalena und den weinenden Frauen am
Grabe beigegeben ist. Diese fipyxis ebumea/' in ihrem untem Theile aus einem
Elfenbeinzahne , von vollständig runder Form angefertigt, ist im Innern hohl aus-
gerundet und besteht der Fuss dieses Reliquienbehälters aus einer runden Scheibe
von Elfenbein, die als Boden eingelassen ist. Der mittlere Theil der Seliquien-
bttchse ist an seinem obem und untem Bande mit einem fremdartigen Ornamente
verziert, das in Form eines Bandstreifens in der Breite von 3 Centimeter der
Bttchse als Abschluss dient Das Ornament ist aus geometrischen Gonstructionen
zusammengesetzt, kleinere Kreise , Dreiecke und Vierecke bildend. Diese Orna-
mente sind ziemlich vertieft in Elfenbein ausgegraben und scheinen diese Ver-
tiefungen theilweise mit einer rothen, theilweise mit einer schwarzen Masse ausge-
ftlllt gewesen zu sein, die als fester glänzender Kitt sich zu erkennen gibt, der heute
an den meisten Stellen ausgesprungen ist Der Deckel der merkwürdigen Elfen-
beinbüchse läuft nach oben, wie ein Zeltdach ansteigend, mit einer stumpfen Spitze
aus. Dieselbe Art der Omamentation , wie sie sich an den beiden untem Rändern
der Kapsel befindet, ist auch auf dem obem Deckel innegehalten. Der Deekel
nämlich ist kreisfönnig in schmalem runden Ringen abgetrennt, die mit kleinen
8T. GEREON. 5
Kreisen in rother Masse ausgefüllt, ein ziemlich monotones Ornament bilden. Um
diesen äussern Perlrand , der mit Eierstabverzierungen des alten klassischen Roms
einige Aehnlichkeit besitzt, erhebt sich kreisförmig ein Rand in Elfenbein in Breite
von IVs Centimeter. In diesem Rande befinden sich arabische Schriftzüge, ähn-
lich den in Oold gestickten Inschriften auf der Kaiseralbe im Schatze zu Wien %
die als integrirender Theil zu den Reichskleinodien der ehemaligen deutschen Kai-
ser gezählt wird. Die Inschrift wird gebildet auf eine höchst eigenthümliche Weise,
indem in dünnen Punkten das Elfenbein angebohrt worden ist und diese Vertiefungen
mit einer röthlichen Masse, jetzt meistens ausgesprungen , ausgetttllt sind. Da diese
orientalischen Schriflzeichen mtthsam aus einzelnen eingebohrten Pünktchen, wie eben
bemerkt, sieh zusammensetzen, und dadurch eine gewisse UndeutUchkeit der Ghar
raktere entsteht, so ist es geübten Orientalisten, denen wir eine getreue Copie
der Inschriften einsandten, bisheran nicht gelungen, eine kritisch genaue Lesung
dieser arabischen Monumentalschriften festzustellen. Wir werden nächstens dem
bekannten Orientalisten Prof. Reinaud in Paris eine ähnliche Kopie zuzusenden
nicht unterlassen und leben der Hofihung, dass es uns in der nächsten Lieferung
dieses Werkes gelingen wird, die Deutung dieser merkwürdigen Schriflzeichen end-
gültig mitzutheilen , die vielleicht hinsichtlich der Zeit der Anfertigung sichere Daten
an die Hand geben dürften, lieber dieser Inschrift formiren sich andere kleine Kreise
mit eingelassenen Ornamenten von kleinen rothen Perlen. Zwischen diesen letzten
Kreisbildungen setzen sich, einem Bogenkreise ähnlich, Halbkreise fort, die auf die
obenailgedeutete Weise technisch ausgeflihrt sind. Auf der Spitze des Deckels erblickt
man jetzt noch einen kleinen knaufartigen Ring mit einer runden Oefihung, worin,
wie es uns scheint, ehemals ein kleiner runder Knopf befestigt gewesen ist So-
wohl die Beschaffenheit des Ornaments, die eigenthümliche Technik, als auch die
Inschrift geben deutlich zu erkennen, dass diese Elfenbeinkapsel orientalischen Ur-
sprunges ist Uns will es scheinen, dass dieselbe zur Zeit der Kreuzzüge als Re-
liquienbehälter mit heimgebracht wurde, und dass ihre Entstehungszeit in das
Xn. Jahrhundert anzusetzen sei. Ehemals scheint der obere Theil der Büchse an
zwei einander entgegengesetzten Stellen mit dem Deckel in Verbindung gewesen
zu sein. Man sieht nämlich an dem obem Rande der Büchse vier eingelassene sil-
berne Nägel, die früher vidleicht eine Handhabe (Ohr) befestigten, vermittelst des-
sen die Büchse etwa an einem Riemen oder einer seidenen Schnur getragen und
so leichter transportirt werden konnte. An dieser Stelle haben sich noch ziemlich
vollständig jene rothen eingelassenen Ornamente erhalten, die den aufinerksamen
Beschauer in den Stand setzen, zu urtheilen, wie ehemals diese Büchse in ihren
omamentalen Theilen beschaffen gewesen sein mag.
*) Vgl. unsere Betehreibung der deuUchen Beichskleinodien in den MittheUnngen der K. K. Cen-
trelcommission zur Erhaltung der Baudenkmale, im März-, April- und Maihefte 1857. Wien in der
K. K. Staatsdruckerei.
6 ST. GEBEON.
3.
Knsstäfelchen,
silbervergoldet mit Glasverschluss und dahinter befindlichem Schnitzwerk in
Palmholz.
Hohe 10 Va Centimeter, Breite 9 Centimeter, Tiefe 2"s Gentimeter. XYI. Jahrhandert
Diese Kapsel, welche die Bildungen der Goldschmiedekunst gegen Schluss
des Mittelalters charakteristisch zum Vorschein treten lässt, wurde ehemals in feier-
lichen Messen 9 beim ^^ Agnus Dei** als „osculum paeis** vom Subdiakone allen im
Ornate im Chore befindlichen Geistlichen zum Friedenskusse dargereicht, daher
auch der Name. Das Gefäss ist basirt auf einem schön profilirten Fusse, im läng-
lichen Rechteck angelegt; auf demselben erhebt sich eine kleine durchbrochene
Galerie in Kreisen, die jedesmal durch zwei sogenannte Fischblasen belebt sind.
Ueber dieser durchbrochenen Galerie nimmt man in länglich runder Form einen
Glasverschluss wahr, der mit einer stark gewundenen Profilirung als Cordon ab-
gefasst ist Hinter diesem Verschlusse befindet sich eine Hohlkehle, in welcher
die Kunst des Goldschmiedes eine reich geformte Guirlande angebracht hat, zu-
sammengesetzt aus Blättern und Blttthen, die bereits die Zeiten der Spätgothik
stark zu erkennen geben. Hinter diesem mit grosser Meisterschaft dselirten Laubrand
setzt sich in Rundbogenform eine Kapsel an, die auf der glatten Hinterfläche eine
kleine Handhabe zeigt , zum Anfassen bei Darreichung des Friedenskusses. Diese
Handhabe hat die Form eines geschlungenen Spruchbandes. Die eben beschriebene
kunstreiche Einfassung umschliesst ein bei weitem kunstvolleres niedliches Sculptur-
werk, das in meisterhafter Technik und fast mit minutiöser Zierlichkeit den Mo-
ment der Anbetung der drei Könige zur DarsteUung bringt, das Lieblingsthema
der KtLnstler des Mittelalters, namentlich aber der Maler und Bildhauer im „alten
hilligen Köllen.'^ Die drei Weisen, im Aeussem zugleich auch repräsentirend die
drei Alter des menschlichen Lebens, oder wie andere woUen die drei damals be-
kannten Welttheile, befinden sich als Jttngling, Mann und Greis auf der einen Seite.
Auf der andern Seite kniet Joseph als „o»r justus^; darüber die Gestalten von Ochs
und Esel. In der Mitte sitzt unter einem einfachen Bauwerk die Madonna mit
dem Jesuknaben. Diese ganze Scene Überragt als Hintergrund ein Berg und hat
hier in äusserst delicater Technik, mit der Lupe gearbeitet, der fleissige Künst-
ler im Tiefgrund die Stadt Bethlehem und die Erscheinung der Engel bei den Hir-
ten auf dem Felde zur Anschauung gebracht Composition und Haltung dieser
reichen Scenerie ist äusserst zart und edel. Die technische Ausftlhrung in Buchs-
baumholz zeugt von einer Gewandtheit und Kühnheit in Handhabung des Meisseis,
wie man sie im kleinen Maasstabe angewandt, seltener anzutreffen gewohnt ist
Der Faltenwurf der Gewänder ist bereits sehr geknickt und erinnert an die bevor-
stehende Ausartung des Styles, wie ihn die Compositionen der Dürer'schen Zeit
zeigen. Diese feine Sculptur ist im Innern nochmals umlegt mit einem delicat
ST. OEBEOir. 7
ciseUrten Laubkranz, der mit grttnem und violettem Email ttberkleidet ist Sowohl
die Sculptur, als auch die Detailformen, die in Sflbervergoldung der Goldschmied
bei der Einfassung angebracht hat, besagen deutlich, dass das vorliegende niedliche
Kunstwerk im Beginne des XYL Jahrhunderts seine Entstehung gefunden haben dürfte.
Mit dieser Zeitangabe will jedoch die Inschrift so wie die Form der Wap-
p^ auf der hintern Fläche gar nicht im Einklänge stehen. Es befinden sich
nämlich auf der hintern Abschlussfläche die eingravirten Wappenschilder der alten
Oeschlechter der von Loen und Wulfskhel. In dem untern Bande liest man die
Inschrift in Majuskeln der Benaissance: Anna Maria von Loen D. D. anno 1643
den 25^ Junii. Da die Formen, worin das Ganze ausgeftlhrt ist, wie früher be-
merkt, wenigstens um 130 Jahre älter sind, so lässt sich mit Grund annehmen,
dass das vorliegende ^,o9culatornim** sich bereits länger im Besitz der Familie von
Loen befand und 1 643 der Inschrift zufolge von der obengedachten gleichnamigen
Geschenkgeberin der Kirche zu den „goldnen Heiligen*^ in Köln verehrt wurde.
4.
Reliqnien-Biiclise,
in Holz mit bemalten HeiligenOguren in Tempera.
Höhe 23 Centümter 2 MiUimeter, Dnrebmewer des Fuiset 13 Centimeter 3 Mülimeter. —
XV. Jahrhundert.
Diese interessante Beliquienbttchse, die wir in dieser Form nirgendwo anders
angetroffen haben, ist hinsichtlich ihrer äussern Grestaltung übereinstimmend mit
jenen Salbgefässen, die auf altem Sculpturen und Malereien jene weinenden Frauen,
die zum Grabe gingen, in Händen halten. Eigenthttmlich ist es auch, dass selbst
der Gang der drei Frauen zum Grabe auf dieser zierlichen Bttchse äusserst zart und
delicat auf glatt vergoldetem Grunde zur Darstellung gebracht ist und dtLrfle
daraus die Hypothese hergeleitet werden, dass ehemals Beliquien in dieser originel*
len Bttchse aufbewahrt wurden, die mit dem Grabe des Heilandes vielleicht in Be-
ziehung stehen mochten. Eingangs des geöffneten Grabes erblickt man nämlich,
ttbereinstimmend mit den bezüglichen Worten der h. Schrift;, den Engel in weissen
Gewändern, der auf die leeren Grabtttcher hinweisend, in dem Momente dargestellt ist,
wie er zu den weinenden Frauen die Worte spricht: y,surreant et non est hw."
Maria, Jacobe und Salome sind aufrecht dargestellt an der Langseite des Grabes,
jede ein Salbgefäss haltend. Das Costttm dieser drei weinenden Frauen hat der
Kttnsäer vollständig aus seiner Umgebung gewählt Femer hat er in den drei
Frauen die drei Lebensalter des Menschen wie es uns scheinen will, zur Anschauung
bringen woUen; die eine dieser Matronen veranschaulicht das angehende Alter; die
zweite Figur zeigt eine Frau im mittlem Alter und das dritte Frauenbild stellt eine
verschleierte Jungfrau von jugendlichem Aeussem dar.
8 ST. OEBEOV.
Als weitere Darstellung folgt jetzt das zartgemalte Bild der Kaiserin Helena,
die in der rechten Hand das Kreuz httlt, in der linken die Orabeskirche. — Ihr
Haupt ist geziert mit der Kaiserkrone, die in Weise der byzantinischen Kronen mit
einem doppelten Bttgel geschlossen ist Die Kirche, die die Kaiserin in der Linken
hält, zeigt im Bilde einen Kuppelbau in Rundform. Es ist m(}g^ch, dass dieselbe an-
näherungsweise jene Form imitirt, in welcher sich ehemals die ursprttn^che Kap-
pelkirche von Gereon auszeichnete, von der ältere Chronisten behaupten, dass sie
von der h. Helena erbaut worden sei. Dieser „patrona secundaria^* von St Gereon,
einer Kirche, die ehemals ihrer vielen, auf Gold gemalten Heiligen wegen den aus-
zeichnenden Namen „ad aureos sanetos'* führte, reiht sich das Standbild des ersten
Patrons an, dessen Namen heute noch die Kirche führt, des heiligen Gereons
im ritterlichen Gkwande , als „legionarius.*^ Der Waffenrock desselben ist mit dem
bekannten Gereonskreuz geschmückt, ebenso das Banner, das er mit der Rechten
hält Sämmtliche sechs Darstellungen auf einem glanzgoldenen Grunde bekunden,
was die Composition betrifft, einen tüchtigen Meister, dem es gegeben war, jene
Ideale der Heiligen, die er im frommen Gemüthe erschaute, auch in zarten For-
men und in edler Technik zur Ausführung zu bringen.
Irren wir nicht, so dürften diese Figuren, die einen weichen geübten Pinsel
erkennen lassen, in einer spätem Zeit durch ein anderes Farbpigment stellenweise
ziemlich dicht übermalt worden sein. — Nach der Haltung der Figuren und namentlich
dem trefflich geordneten Faltenwurf zu urtheilen, dürfte das vorliegende interes-
sante Kunstwerk im dritten Viertel des XY. Jahrhunderts seine Entstehung gefun-
den haben. Der obere Theil der Reliquienkapsel, die in der innem Höhlung ein
ziemlich weiches Holz, das nicht von Wurm angefressen ist, erkennen lässt, bildet
einen nach oben hin ausladenden Deckel zum Verschluss, der ebenfalls vergoldet,
in seiner Mitte den Heiland erkennen lässt, mit segnender Rechten und in der
linken Hand die Weltkugel haltend. — Würde man in dieser Darstellung des
Heilandes in seiner Herrlichkeit, die im Mittelalter so oft vorkommende »majestas
Damini*' erkennen, so dürften die unten beschriebenen Heiligenfiguren als jene für-
bittenden Heiligen zu betrachten sein, die mit dem Herrn erscheinen werden, wenn
der Tag des Gerichtes naht
Was nun die Bestimmung dieser merkwürdigen, bemalten Reliquienbfichse
anbelangt, so könnte es in Zweifel gezogen werden, ob die vorliegende Mpyaris Ugnea
dejncta" iu*sprünglich als s»reliqmarium** angefertigt worden ist, oder ob sie etwa als
y,reeeptaculum'* diente und angefertigt wurde zur Aufnahme eines reichen Gefässes
in Silbervergoldung, worin in der Charwoche die Eucharistie beigesetzt wurde,
wodurch dann auch äusserlich, namentlich aber durch die oben angegebene bild-
liche Darstellung, das „seputchrum Dommi** angedeutet werden konnte. Obschon eine
Restauration der zarten Malereien, die vom Zahn der Zeit sehr angenagt sind , zu
wünschen wäre, so würde es doch bezweifelt werden können, ob eine Wieder-
herstellung zu ermöglichen sei, die den primitiven Charakter der schönen Male-
reien nicht beeinträchtigte.
ST. QEREOK.
5.
Reliqnien-Kästchen,
aus einer bcinarügen Substanz.
Länge 40 Centimeter, Hohe II Vi Centimeter, Breite 25 Centimeter. XII. Jahrhundert.
Dieses oblonge „scrinium^^ in sehr eigenthfimlicher, offenbar orientaliseber
Form, liefert, zugleich mit der vorher beschriebenen Elfenbeinbüchse den Beweis,
dass man im Zeitalter der Kreuzztige durch Bitter und Pilger eine Menge Reliquien
aus dem Orient in den Occident überbrachte und zur Aufbewahrung derselben Rell-
quiarien in den mannichfachsten Formationen und den yerschiedenartigsten Materia-
lien grösstentheils aus dem Oriente selbst mit zu tiberbringen pflegte. Daher fin-
det man auch in altern Schatz- und Reliquienverzeichnissen vielfach die Bezeich-
nung: ^^reliqtdae transmttrinaey scrimolum persicum, vasculum Orientale."
Ein sachlicher Beweis, dass auch dieses viereckige Schreinchen im Oriente
seine Entstehung gefunden habe, ist noch darin zu finden, daas dasselbe System der
Omamentatiou , wie es sich auf der durch Neschi-Inschriften beglaubigten arabischen
Büchse der vorhergehenden Nummer vorfindet, auch an dem vorliegenden Beli-
quienkästchen beibehalten ist und zwar ausgeführt in einer ganz ähnlichen Substanz.
Was diis Material betrifft, womit in dünnen Platten die innere Lade aus
einem feinen Holze bekleidet ist, so wagen wir nicht zu behaupten, ob diese
weissliche Masse, die auf den ersten Anblick hin sich wie Belegplatten von Knochen
darbieten , entweder aus Elfenbein, was unwahrscheinlicher ist^ oder aus Wallross-
zahn genommen sei. Die drei aufsteigenden Seiten des Reliquiariums, ebenfalls mit
dünnen knochenartigen Deckplatten belegt, zeigen an den 4 Rändern ein einge-
grabenes Ornament, das sich schlangeniörmig in einander windet und in jeder
Windung kleine Kreise zeigt, in denen Punkte, als Centrum,' sich befinden. In
der Mitte erblickt man ein schmales Panelstück durch rothgebeizte Beinmasse
gebildet, das in der Mitte kleinere Durchbrüche, als Stäbe vertikal neben einander
laufend, zeigt, hinter welchen eine homartige, durchsichtige Platte zum Vorschein
kommt, die auf der hintern Seite Spuren eines Goldlackes erkennen lässt Die ein-
zelnen Stücke des Kästchens sind an den vier Ecken und nach unten zusanunen-
gehalten, von liliemörmigen Ornamenten aus Eisen gebildet, die ehemals ebenfalls
vergoldet gewesen sein mochten. Der grösste Reichthum des Ornamentes entfaltet
sich auf dem obem Deckel dieser „arcula" der etwas ausgerundet zu sein scheint.
Dieser Deckel wird nämlich nach den vier Seiten hin ebenfal s wieder durch schlan-
genfbrmig gewundene Ornamente abgegränzt, die mit dem Stichel einfach in
die elfenbeinartige Masse eingegraben worden sind. Alsdann folgt bandförmig eine
zweite Umrandung, die in der Mitte blos eine Menge rundausgedrehter kleiner
Kreise zeigt, unter welchen eine vergoldete Unterlage wieder zum Vorschein kömmt.
In dem mittleren Quadrate, das auf dem Deckel durch diese beiden Randeinfassun-
gen gebildet wird, zeigt sich offenbar aus rothgebeizter Beinmasse eingelegt
2
1() ST. GEREON.
die Fonii eines griechischen Kreuzes, mit ziemlich gleichhingen Querbalken , dn^ an
beiden Seiten ebenfalls wieder von zwei kleinem Kreuzen aus demselben gerötheten
Materiale formirt, umgeben ist. Die vier breitem Kreuzbalken sind wiedemm
durch kleinere Kreise durchbrochen, damit die unterlegte Vergoldung sich kennt-
lich macht. Der mittlere Querbalken des Kreuzes hat ebenfalls eine Durch-
brechung a jour nach demselben Systeme formirt, wie an den eben beschriebenen
vier Flachseiten, wodurch abermals die unterliegenden Goldplättchen ans Licht
treten. Noch verweisen wir bei der detaillirten Beschreibung dieses orientalischen
Reliquienkästchens auf die acht kleinem Kreuzchen, die in Durchbrechung von
einem kleinen punktirten Kreise umgeben, an den beiden Langseiten des Reliquien-
gefässes und zwar auf dem Deckel desselben ausgeschnitten sind. Die Form dieser
Kreuze ist die der Malteserkreuze und lässt sich die Gestaltung, sowie die Um-
kreisung dieses Ornamentes vollständig als eine namentlich in Byzanz im frühe-
ren Mittelalter sehr beliebte Verzierung erkennen, wie sie sich in Malereien, Sticke-
reien und Webereien des Orientes häufig wiederfindet. Dieses, Jahrhunderte hin-
durch im Oriente, namentlich in der byzantinischen Kunst, stagnirende Ornament
bezeichnet der bekannte päpstliche Biograph Anastasius BibHothecarius an vielen
Stellen seiner „©ito Rom. PorUf." mit dem Ausdmcke ^^cum orbiculis et cruce."
Was nuu die Zeit der Entstehung dieses seltenen Reliquiengetässes angebt,
so glauben wir nach Vergleichung älterer Reliquienbehälter in ähnlicher Fomi an-
nehmen zu sollen, dass dies vorliegende Kunstwerk zur selben Zeit im Oriente
seinen Urspmng gefunden habe mit jenen zwei merkwürdigen Reliquienkästchen von
derselben Gestaltung und verwandter Formbildung, wie wir dieselbe vorlängst in der
Sakristei der ehemaligen Benediktinerabteikirche zu Werden an der Ruhr gefun-
den haben. Wir glauben der Wahrheit nahe zu kommen, wenn wir die Entstehungs-
periode der vorliegenden „arcula quadrata*^ in das XI. oder spätestens in den
Anfang des XU. Jahrhunderts hin verlegen.
6.
Teppichgewebe,
als haute-lififie y in vielfarbiger Wolle und mit nnf urhistorischen Darstellungen
scenerirt.
■
Xn. Jahrhundert.
Die in Zeidmung mitgeheilte seltene Teppichweberei ist von den fielen
und zum Tlieil kostbaren Webereien, womit die hintern Brttstungsmauem der
Chor-Absiden sowie die Chorschranken der Kirche zu den „goldenen Heiligen" an
Festtagen geschmückt sein mochten, die einzige, welche in dieser merkwtlrdigen
Technik und in diesen eigenthUmlichen Mustern aus der frllhromanischen Kunst-
epoche sich bis auf unsere Tage gerettet hat.
ST. GEREON. 13
gleicbmässig imuier wieder zurttekkehreti, an die romHnisirenden Formen, wie sie
inanchnial die Kun^tweise des Oceidentes im 12. Jahrhunderte aufzustellen pflegte;
jedoch scheinen die Verbindungen der einzelnen Laubomamente durch den phan-
tastischen Thierkopf , so wie auch einzelne Ausladungen der Blätter auf orientar
lischen Ursprung hinzudeuten. *
Bei genauerer Besichtigung dieses interessanten Haute-lisse drängen sich zur
Beantwortung zwei Fragen auf, die wir in Folgendem nur in Kttrze zu beantwor-
ten versuchen wollen. Wo und wann ist dieses Gewebe angefertigt worden und
welchem Zwecke war es ehemals bestimmt? Nach sorgfältiger Vergleichung dieses
Stofl'es mit echt orientalischen Geweben haben wir, einem gewissen Stilgettlhle fol-
gend, gleich bei der kttrzlichen Wiederauffindung dieses an abgelegener Stelle in
Vergessenheit gerathenen Zeuges die Ueberzeugung gewonnen, dass dasselbe nicht
dem Occidente, sondern dem Oriente, dem eigentlichen Vaterlande der Weberei, sowohl
fllr Seiden als auch ftür Wollenstoffe, seinen Ursprung zu verdanken habe. Dafür
spricht nicht nur die eigenthttmliche Zusammenstellung, Wahl und Mischung der Farb-
töne in auffallender Aufeinanderfolge, sondern auch die Ausprägung und charak-
teristische Ausbildung der einzelnen Laubomamente, wie sie dem Abendländer in
der romanischen Kunstperiode in dieser Gestaltung nicht eigen waren; am meisten
aber die Wahl und Durchführung der bildlichen Darstellungen , die sich deutlich zu
erkennen geben als Ornamente, die jenen entfernten Gegenden entlehnt sind, wo
nach der Annahme des Mittelalters der fabelhafte Greif seine Heimath und Behau-
sung hatte. Mtfglicli ist es, dass dieser Teppich, den mittelalterliche Schat^ver-
zeicbnisse auch unter der Bezeichnung „pallium transmartnum*% cortina persica'*
oder auch 3,velmn tartaricum^' kennen, entweder an der Küste Kleinasiens, Arabiens
oder in den gewerbfleissigen Städten Alexandrien, Damaskus angefertigt worden
ist Diese unsere Vermuthung scheint uns noch mehr an Wahrscheinlichkeit dar
durch zu gewinnen, da es bekannt ist, welchen ausgedehnten Handel die Schiffe
der Genueser, Pisaner und Venetianer Kaufleute in jener Zeitepoche mit den ebenge-
dachten industriellen Ländern des Orients unterhielten, zu einer Zeit wo das Abend-
land durch die Schaaren seiner Kreuzritter die bisheran verschlossenen Pforten des
Orientes sich zu eröffnen gewusst hatte. Es dürfte schwer fallen eine bestimmte
Jahreszahl zu fixiren, wann das vorliegende Gewebe im Orient seinen Ursprung
gefunden habe. Das jedoch scheint uns ziemlich festzustehen, dass die Anferti-
gung dieses Meisterwerkes orientalischer Weberei v^r der Mitte des 12. Jahrhun-
derts zu suchen sein dürfte.
Es erübrigt nun noch in Kürze darauf hinzuweisen, welchem kirchlichen
Gebrauche ursprünglich diese Wirkerei gewidmet gewesen sein möge. Wir glauben
nicht annehmen zu sollen , dass es als ,^tragulum'* zur Bedeckung des Fussbodens
im engem Chor oder zur Bedeckung der Altarstufen gedient habe. Nicht nur
die delikaten, leicht zu beschmutzenden Farben sondern auch die technische Zu-
sammenttigung und das kleine, fein gemusterte Dessin des (Jewebes scheint mit
dieser letzten Annahme im Widerspruche zu stehen. Wir glauben deshalb mit
mehr Wahrscheinlichkeitsgründen die Hypothese aufstellen zu dürfen, dass das
14 ST. GEREON.
fragliche Teppichwerk entweder als Wandbekleidung ehemals in der Kirche, t,ad
aureos sanctos" an der Stelle im Chor benutzt wurde , die wir bereits im Eingange
andeuteten, oder aber dass dasselbe als theures Gewebe diente, um die Altar-
mensa, vielleicht als Vorhang, nach vier Seiten zu verhüllen, endlich aber auch, um
als schützende Decke benutzt zu werden, zur UebMage über die Leintücher des
Altars, wie dieselben heute noch in vielen ELirchen nach Beendigung des
Morgen -Gottesdienstes als Vesperaltücher, um Staub abzuwehren, im Gebrauch
sind. Nach Durchsicht mehrerer älteren Schatzverzeichnisse von Stifts- und
Kathedralkirchen, die wir im letzten Jahre auf ausgedehnten Reisen zahlreich
anzusammeln und in Abschrift zu nehmen Gelegenheit hatten , ist es uns einleuch-
tend geworden, dass im frühem Mittelalter grössere Kirchen eine Menge solcher
kostbaren historisch figurirten Gewebe besassen , womit an Festtagen die Wände der
Langschiffe, mehr aber die des Chores behängt und ausgeschmückt wurden. Ein be-
sonders inhaltreiches Schatzverzeichniss des St. Yeitsdomes zu Prag vom Jahre
1387 enthält unter der Ueberschrift ,,Rubrica de cortmü" in langer Reihe eine
Aufzählung von solchen altem gewebten oder reichgestickteu Wandteppichen und
Bekleidungen für das innere Hochchor. Unter andern interessanten Angaben
heben wir hier für unsem vorliegenden Zweck folgende Aufzählungen hervor:
„Item cortma minore quae solet suspendi in antiqua ecclesia una cum trtbus prae-
scriptis in festis prmcipaUbus. Item cortina in brunatico cum rotis in quibus
sunt grifones. Item cortina una de duobus aUis factOy una pars cum leonibus et
grifonibus alia de opere graeco. Nach Analogie dieser Wandteppiche und
kunstreichen Behänge mit eingewebten Löwen und Greifen von griechischer Arbeit,
wie sie ehemals der Prager Domschatz aufzuweisen hatte, dürflie auch, mit Um-
gehung der beiden letzten obengedachten G^brauchsangaben, das merkwürdige
orientalische Teppichgewebe „opere graeco" von St Gereon als Festtagsbehang im
innem Chor ehemals benutzt worden sein.
Noch fügen wir hinzu, dass, in Hinsicht von gleichartigen Teppichen, die,
analog mit dem ebenbesprochenen, ehemals die Kirchen des Occidents schmückten,
ausgedehnte Nachforschungen uns die Ueberzeugung beigebracht haben, dass das
in Rede stehende Gewebe heute in ähnlicher Musterung und verwandter Technik
wohl schwerlich mehr seines Gleichen finden dürfte. Es hat dies wohl darin
seinen Grund, dass die beiden letzten Jahrhunderte nicht im Mindesten ein kunst-
historisches Interesse für ähnliche merkwürdige Zeuge sich bewahrt hatten, zu-
mal wenn sie durch den Zahn der Zeit beschädigt und abgenutzt waren, was
besonders bei Geweben von diesem Alter und bei einer Zusammensetzung von
Wolle und Leinen häufig der Fall war. Die meisten gewirkten und gestickten
Teppiche, die uns zu Gesicht gekommen sind, sind jungem Ursprungs und stam-
men meistens aus dem XIV. und XV. Jahrhundert. Die ältesten und, unseres Wis-
sens nach, vollendetsten Tapisserien trifil man bekanntlich in grossartigen Darstel-
limgen zu Bayeux*) und leitet man ihren Ursprung her aus dem XI. Jahrhundert,
*l Vgl. die Beschreibung desselben in der Reviie angto-fi'an^aUe de M, de la FonieneUe de
Fmdori, Poiiiert tom, II, pag. 4^3—437.
ST. QEREON. 15
und zwar von der kunstgeübten Hand der Königin Mathilde, der Gemahlin Wil-
helm des Eroberers. Ein anderes nicht weniger merkwürdiges Teppichgewebe
rühmt sich heute noch der Dom zu Halberstadt zu besitzen , und sind mit diesen
umfangreichen Geweben, enthaltend eine grössere Zahl figürlicher Darstellungen
aus dem alten und neuen Testamente, die innem Absperrungswäude des Hoch-
chors bedeckt. Hinsichtlich der technischen Ausführung haben diese merkwürdi-
gen und seltenen Tappisserien, die ebenfalls im XL Jahrhundert ihre Entstehung
gefunden haben dürften, viele AehnUchkeit mit dem vorliegenden merkwürdigen Ge-
webe aus St. Gereon. Noch fanden wir in der Schatzkammer der ehemaligen
Stiftskirche zu Quedlinburg einige seltene Ueberreste von Teppichen, jedoch mit
tigürlicher Darstellung durchwebt, die hochstehend, ähnlich unsem heutigen Ve-
lourteppichen , fabricirt waren. Diese letztgenannten dürften unseres Daftirhaltens
noch ein höheres Alter ftlr sich beanspruchen. Bei dem grossen Interesse,
das die Mitglieder des Eirchenvorstandes von St Gereon ftir ähnliche Ueber-
bleibsel mittelalterlicher Kunst besitzen , steht es mit Grund zu erwarten , dass von
erfahrener Hand dieser ehrwürdige Bruchtheil einer verloren gegangenen Kunst-
industrie eine zweckmässige Wiederherstellung und eine würdigere Aufbewahrung
an passender Stelle nächstens erfahren werde.
7.
Reliqniengefäss,
in Form eines Armschenkels mit ausgebreiteter Hand; silbervergoldet.
54 Centimeter Höhe; grösste Breite 22 Centimeter. XIIT. Jahrhundert.
Dieses brachium gehört mit dem folgenden unstreitig zu den reichsten Reli-
quiengetässen in dieser Form, die Köln heute noch besitzt und dürfte dasselbe, was die
vielgestaltigen Ausbildungen seiner getriebenenen Ornamente, die feine Entwicke-
lung des Filigrans und die technisch gelungene Darstellung der emaiUirten Halb-
figuren betri£Ft, aus der Blüthezeit der romanischen Goldschmiedekunst, der ersten
HäUte des XHI. Jahrhunderts herrühren. Auf dem untern Fussstück mit zierlich
getriebenen, spät-romanischen Laubomamenten erhebt sich von einer freistehenden
durchbrochenen Verzahnung umgeben, der Unterschenkel eines Annes (tibta.) Der-
selbe ist bekleidet mit einem Gewandstücke, das eine Oeflfhung des weiten Aer-
mels (manica) zum Vorschein treten lässt Das Gewandstück hat die Ausdehnung
und Gestalt eines Aermels, wie derselbe an der Dalmatik des XHI. Jahrhunderts
zu ersehen war; sowohl der untere Saum, als auch die Abfassung an dem obern
Theile sind mit reichen Omamentationen umrandet Der untere Saum „praetexta^
bildet auf glattem silbervergoldeten Grunde einen ziemlich breiten Filigranrand,
der nach kurzen Zwischensätzen mit einzelnen zierlich gefassten Amethisten und
Luxsaphiren verziert ist.
16 ST. GEREON.
Der Gewandtheil Helbnt i^t in getriebenem Silberbleeh durch einzelne kleine
FaltenbrUche angedeutet Die obere Abfassung, unmittelbar ttber dem Fusssockel,
ist verziert mit fUnf Medaillons in Halbkreisform , welche als nigellirte und inkru-
stirte Email in der Mitte den segnenden Heiland , mit dem Alpha und Omega und
dem aufgeschlagenen Buch zur Darstellung bringen. Zur Seite dieser y^majestas
Dommi^ erblickt man die Halbfigur des heiligen Felicissimus und neben diesem
das Bild des Donators, wahrscheinlich des zeitlichen Probstes von St Gereon in
der Stellung, wie er als j^suplex^ die beiden Reliquienarme dem h. Felicissimus
weihend übergibt; die darunter befindliche Inschrift in Gold auf blau emaillirtem
Grunde nennt diesen Geschenkgeber in Abkürzungen: y^Präpositus Amoldus de
Bume." Auf der rechten Seite des Heilandes zeigen sich femer in Halbmedail-
lons die Brustbilder der h. Helena und des h. Gereon. Fast sämmüiche Emailli-
rungen sind als „emavx champlevi^ gehalten; nur die Halbfiguren selbst treten in
Gold hervor und sind die Umrisse derselben in Niello angedeutet
Aus dem obenbeschriebenen Gewandtheile ragt das Handgelenk mit einer
geöflneten Hand in Silber getrieben und vergoldet hervor; dieses Handgelenk selbst
ist umgeben von einem anliegenden Gewandtheile in Form eines Leibrockes, der
oben mit einem schmalen Filigranrand und gefassten Steinen omamentirt ist. Noch
ftagen wir hinzu, das» auf der vordem Seite dieser „hierotheca in brac/uf modum
formata^ in einem Vierpass, von Filigranimngen eingefasst, ein grosser Rauch-
topas sich befindet und zwar trägt dieser an einem beweglichen Chamier ange-
heftete Vierpass die Bestimmung, als Thtlrverschluss zu dienen, um die im Innern
befestigte Reliquie sichtbar werden zu lassen. Der Inschrift zu Folge, wie sich
dieselbe auf der untern kräftig gravirten, vergoldeten Platte befindet, sind in dem
Innern des Reliquienraumes noch mehrere y^ossa sanciorum^ verschlossen, die äus-
serlich nicht sichtbar sind. Diese untere Fussplatte hat eifömiig die Gestalt eines
romanischen Schildes und erblickt man in der 'Mitte ein lateinisches Kreuz, das
ungefähr jene Gestaltung hat, wie dasselbe in dem Wappenschilde des h. Gereon
als Legionspräfect häufig ersichtlich ist. Dieser innere Schild mit dreifacher Um-
randung ist von vier Seiten mit Halbkreisen umgeben, worin in energischer Gra-
virung die Brustbilder von vier Engeln dargestellt sind, die tlbrigen Flächen der
untern reich omamentirten Deckplatte zeigen ziemlich regelmässige Punktirungen,
die mit einem groben Stichel hervorgebracht worden sind. Auf diesem so präpa-
rirten Tiefgrunde befinden sich roma^ische Laubomamente, wie sie die üeber-
gangsperiode vom romanischen in den gothischen Styl charakterisiren. In den ge-
häuften Umkreisungen sind auf dieser Deckplatte die Namen jener vielen Reliquien
in spätromanischen Majuskelinschriften eingegraben, die im Innern des Reliquiars ein-
geschlossen sind. Der Anfang der Lesung ist angedeutet durch ein eingravirtes
griechisches Kreuz. Es folgt alsdann nachstehende Inschrift : „Beüquiae Laurench\
Stephani, Nerei, Achüeiy Domicülae, VincencH, Marü et Marthaey Hermetis,
Anastasii P. P.;" in der zweiten herzförmigen Umkreisung liest man ebenfalls in
spätromanischen Majuskeln das folgende Legendarium: y^de spongia fhn.y Andreae
AposL, de mensa Dni. de cilido Agn. PaulinL^ Femer in der folgenden Umkrei-
ST. GEREON. 17
ftung: y^Metü tietrix MUihtm Thebeormn Martyrum.^ Endlicli in der vierteB und
letzten Umrandung die Bezeichnung: ^^et AgajnH Sixti Felmsthni.** Auch auf dem
untern Pedalstttcke liest man auf einem schmalen Rande unterhalb der durch-
brochenenen Kammverzierung gleichfalls in spätromanischen Miyuskeln folgenden
Leoninischen Vers: yy Helena haec imentrix sanciae erucis ad tmplemt opus lucis
jrio desiderio.^
Sowohl die Inschriften, als auch die figürlichen Darstellungen in Email
besagen es deutlich, dass beide Reliquiengefässe sowohl das vorliegende als dai4
in der Beschreibung nachfolgende zusammengehören und dass sie zu einer und
derselben Zeit ihre Entstehung gefunden haben. Dies geht auch hervor aus der
Darstellung des auf emaillirtem Grunde im Brustbilde ersichtlichen Donators, der
wie oben schon angedeutet als Weihgeschenke dem heiigen Felicissimus beide Be*
liquiengefässe darbietet, und dessen klar bezeichneter Name: Arnold von Born
(Borne) später bei Durchsicht der Reihenfolge der Pröbste zur Feststellung eines
bestimmten Zeitabschnittes fbhren dürfte, innerhalb welcher diese beiden Meister-
weAe mittelalterlich kirchlicher Goldschmiedekunst angefertigt worden sind.
Wir glauben der Wahrheit ziendich nahe zu kommen, wenn wir die Bildungen die-
ser beiden gut erhaltenen Reliquiarien in ihrer Ganzheit und in ihren Detailformen
auffassend, die Hypothese aufzustellen wagen: beide „brachia*' seien von einem
Kölner „aurifaber^^ angefertigt worden grade zu jener Zeit, wo der polygone Kup-
pelbau der Kirche ^ad aureos Sanctos^ eben seine Vollendung erreicht hatte, was
in das zweite oder dritte Jahrzehnt des XUI. Jahrhunderts fallen dürfte.
8.
Reliqniar^
in Form eines Armes, silbervergoldet.
Höhe 53 V* Centimeter, grösster Durolunesser der Fassplatte 20 Va Centimeter. XIIT. Jahrhundert.
Auch dieser reichgeformte Reliquienbehälter ahmt im Aeussem die Form
eines Unterschenkels mit erhobener geöffneter Hand nach. Es kann eine solche
Form eines Reliquiariums gar nicht auffallend erscheinen, da man es im Hittel-
alter liebte die Reliquiengefässe äusserlich so zu gestalten, dass man auf den
ersten Blick hin schon errathen konnte, welchem Körpertheile die darin aufbe-
wahrte Reliquie ehemals angehört hatte. So finden sich z. B. in alten Schatzrerzeich-
nissen Reliquiengeftsse in Form eines Hauptes, Fusses, Beines etc. aufgeführt Durch
diese bildlichen Darstellungen einzelner wesentlichen Körperthefle soll jedoch nicht
immer angedeutet werden, dass der betreffende Theil des Körpers sich in seiner
Ganzheit darin befinden mtlsse, sondern es gentigt auch das Vorhandensein einer
kleinen Partikel, um durch das Reliquiarium das Glied zu yeranschanlichen,
wozu das kleinere r^os^ gehört Auch das vorliegende Reliquiar, ebenfalls ein in
18 ST. GEBEON.
Silber getriebener vergoldeter Armsehenkel erhebt sich aafrechtstehend auf einem mit
romanischen Laubomamenten verzierten Fussgestell als Sockel, welches nach oben hin
mit einer einfachen blattförmigen Verzahnung umgeben ist. Auf der untern Platte,
ebenfalls wieder in Form eines eiförmigen Schildes gehalten, erblickt man, viel ein-
facher omamentirt, als das bei dem vorherbesehriefoenen Reliquiengefäss der Fall ist,
in der Mitte ein Kreuz der thebäischen Legion , von einem Kreise umzogen, worin
folgende Inselirift in romanigchen Majuskeln kräftig eingravirt ist: „ite/. Ä SÄrtf,
S. Agapiti, S. FeUcissimi, Thebaeomm Martf/rum^ de corporibus 5. Nerei et AckiUei/*
Um eine Abwechselung in den Omamentationen des o£fenen und weiten Gewandärmels
zu erzielen, womit der üuterschenkel bekleidet ist, hat der Goldschmied sowohl an
der vertical ansteigenden als auch an der horizontal laufenden Randverzierung und Ein-
fassung statt eines Ornamentes in ]<^ligran, Yerzienmgen in vielftu'bigen Schmelzen zur
Anwendung kommen lassen. An dem untern breiten Saume, womit das Fussstttck
unmittelbar in Verbindung steht, erblickt man eine stärker hervortretende Band-
einfassung, die in drei grossem emaiUirten Halbmedaillons eine reichere Ausstat-
tung erhält. In diesen Rundmedaillons sind im nielirten Email jene Heiligen
dargestellt, deren Reliquien im Innern eingeschlossen sind; so erblickt man auf dem
ersten Medaillon das Brustbild des „S. Agapitus'^ auf dem zweiten das des „S.
Sixtus und S. Lau" (vielleicht Laurentius); in dem dritten und letzten Halbkreis
endlich das Bild eines jugendliehen Heiligen mit der Märtyrerpalme , den die In-
schrift näher bezeichnet als „S. Felicissimus" ; zur Rechten dieses Märtyrers ersieht
man die Abbildungen zweier Donatoren in bittender Stellung, und werden diesel-
ben ebenfalls durch die Inschrift als derzeitige Vorsteher des St. Gereon-Stiftes
bezeichnet, nämlich als „Praepositus Anioldus" und „Hermanricus Decanus."
Zwischen diesen emaiUirten halbkreisfönnigen Schildchen befinden sieh nicht Fili-
granarbeiten, wie an dem vorbeschriebenen Getässe, sondem man erblickt in die-
sen Zwickeln, kunstreich in Silberblech getrieben und vergoldet vier Engelsgestalten
in erhabener Arbeit, die Spruchbänder halten. Auf dem Vordertheile des Reliquia-
riums macht sich ebenfalls eine grosse Vierpassform als Oeffhung bemerklich , die die
Freisicht der eingeschlossenen Reliquien zu vennitteln die Bestimmung hat. Die-
ser Vierpass ist mit Filigranarbeiten und vier grossen kunstreich gefassten Amethista-
gaten geschmückt. Bei Auffindung einer chronologisch geordneten Reihenfolge der
frühem Stiflsprälaten von St. Gereon würde sich, wie oben schon bemerkt, die
Zeit genau bestimmen lassen, wann von Seiten der beiden Geschenkgeber Her-
manrich und Arnold diese „Brachialien" geschenkt worden sind. Beide Reliqiua-
rien bekunden in ihrer technisch sauberen und schönen Ausführung einen kunst-
geübten Goldschmied, der nicht nur die Kunst des Emaillireus, des Filigrans als
Meister verstand, sondem der auch in gleichem Grade mit grosser Geschicklichkeit
zu treiben und zu graviren wusste. Aehnliche Reliquiarien in Form einer Hand
mit Unterschenkel haben sich in ziemlich ähnlicher Ausstattung heute in Köln nur
noch in St. Cunibeii erhalten. Auch der reichhaltige Schatz des Münsters zu Aachen
hat.ein ähnliches y^brachium^, jedoch in kostbarer Fassung aufzuzeigen und wird darin
ehrfurchtsvoll aut bewahrt, der untere Armschenkel des „grossen christlichen Helden
ar. OEREOK. 19
Karl/* Noch in mehrem Kirchen Kölns finden sich, meistens aus dem XTV. und
XV. Jahrhundert herrührend, ähnlich gestaltete Reliquienbehälter, jedoch in der
Regel in Eichenholz gearbeitet und reich vergoldet oder versilbert, mit gothisch durch-
brochenen Thttrverschltlssen, die geöfifhet die darin verschlossenen Reliquien zu er-
kennen geben.
Diese und ähnliche reich verzierten Reliquiarien wurden bei öflFentlichen Bitt-
gängen und Prozessionen ehemals von den Htiftsgeistlichen feierlichst umhergetra-
gen und wurden dieselben auch an Festtagen oder an den kirchlichen Gedächt-
nisstagen der betreffenden Heiligen als reiche Zierde auf die Lichterbank des Haupt-
altares zur Verehrung hingestellt
9.
Reliqnientftsehehen^
iu Weise eines gestickten Beuleis.
Höhe 15 Centimeter; Breite 17 Centimeter. XIV. Jahrhundert
Diese sehr interessante Enveloppe hat sich heute als einzige Reliquientasche
in Köln noch erhalten und repräsentirt hinsichtlicli ihrer Form und Ornameuta-
tionsweise jene Reliquientäschchen, wie sie in alten Schatz Verzeichnissen häufig
vorkommen unter der Bezeichnung „sacculum holosericum, bursa sericea, ope?*e phrij-
gionis confecta,**
Hinsichtlich der interessanten Detailverzierung dieser Reliquientasche ver-
dient bemerkt zu werden, dass diese eingestickten Muster auf Seidenstramin, als
feststehende Reminiscenzen betrachtet werden können, wie die Nadelarbeiten (acu-
piettira) schon seit der frühesten christlichen Zeitreclmung als technische Ueberlie-
ferung aus den Tagen des klassischen Roms herrührend, das ganze Mittelalter hin-
durch geübt worden sind. Diese Nadelmalereien zeigen auf beiden Seiten ab-
weichende Muster, die jedoch im gleichen System gehalten sind. Die eine reicher
verzierte Seite lässt erkennen zwölf kleine Sechsecke, die mit kleinem rhomboiden-
fbrmigen Ornamenten verziert sind. Die Zmschenräume dieser zwölf grossem Com-
partimente sind kreuzf&rmig durch gestickte Omamente ausgefüllt, wodurch diese
Sechsecke wiederum hexagon eingeschlossen werden.
Die Farbtöne wechseln verschieden ab und spielt die rothe, die gelbe, die
grüne und purpur Seide dabei die Hauptrolle. Die Farbenwahl muss in ihrer
Zusammenstellung als eine glückliche bezeichnet werden, die sich von dem zu
Bunten fem gehalten hat. Sämmtliche Stickereien sind, wie es der Augenschein
lehrt, linearisch im Vieleck ausgeftlhrt und hat die Stickerin das vorzüglich deshalb
gethan , weil die Straminstickerei keine mnden Linien zulässt. Die Art und Weise
de« Stickens würde man als eine Arbeit im Flammenstich näher bezeichnen kön-
nen, der auf los gewebtem Leinen über einen bis \ier Fäden fortspringt
Auf der andern Seite der y^capsellu^ zeigen sich übereck gestellte Quadrate
20 ST. QBREON.
in sechs Reiheu geordnet, und zwar ist die eine Reihe dieser Quadraturen in
Roth und Purpur abwechselnd gestickt und mit kleinen weissen Kreuzchen in vier*
eckigen Maschen befindlich, ausgefüllt. Die andern Quadrate zeigen auf rothem
oder grttnem Fond jene, in der mittelalterlichen Straminstickerei so häufig wiedeiv
kehrenden Ornamente, die man heute als Verzienmgen „^ /a Grecque^ bezeichnen
würde, in welcher in der verschiedensten Modification der bekannte altgriechische
Mäander zur Anwendung kömmt Solche Formen, die sich sämmtlich im rechten
Winkel bilden, hat die Kunst des freien Handstickens des Mittelalters, aus den clas-
sischen Zeiten herrührend, immer beibehalten und damit auf die verschiedenste
Weise variirt. Der vorliegende merkwürdige Beutel bietet in seiner äussern Ge-
staltung, wie auch in seiner Omamentation \iele Analogie mit jenen zierlichen
Geldbeutelchen, Almosentäschchen y^aumonieres, escarcelles^ wie sie im Mittelalter
die vornehme Kirchgängerin als Sclmiuck und Zierde am Gürtel trug und wie
solche reich verzierte Täschchen bei dem voUständigen Costüm des Patriziers und
Rathsberm im XIV. und XY. Jahrhundert niemals fehlen durtlen.
Es entsteht die Frage, ob dieses vorliegende zierliche Beutelcheu ebenfalls
früher nicht als y^aumonihre^ gedient habe, und dürfte man wohl dieselbe desswegen
bejahend beantworten, weil die seidenen Schnüre, mit kleinen Quasten und gol-
denen Eichelchen verziert, die sich an demselben befinden, heute noch anzu-
deuten seheinen, dass vermittelst dieser Schnüre diese reichgestickte Börse ehe-
mals an dem Leibgurt befestigt wurde. Dieselben Quasten in grüner Farbe keh-
ren auch mit goldenen Eichelchen versehen an den untern Ecken des Täschchens
wieder. Die Näthe zu beiden Seiten des Reliquiariums sind ebenfalls mit meh-
rem künstlich verschlungenen goldnen Knöpfchen besetzt Eine genaue Besichti-
gung verwandter Analogien, wie wir dieselben in' ähnlicher Stickerei an Stolen,
Sudarien und andern liturgischen Gewandstücken noch häufiger vorfanden, haben
uns die Ueberzeugung beigebracht, dass das vorliegende Kunstwerk, was in seiner
Art heute seltener geworden ist, gegen Schluss des XIV. Jahrhunderts seine Ent-
stehung gefunden haben dürfte.
lU.
Vier godiische Messkelche,
sämmtlich silbervergoldet.
Einige aus dem Schluss des XV., andere aus dem Beginne des XVI. Jahrhunderts herrührend. Höhe
zwischen 30—24 Centimeter.
Unter Figur tO haben wir in verkleinerter Zeichnung den interessantesten
der Messkelcbe aus St Gereon mitgetheilt, der wie gewöhnlich einen sechstheiligen
Fuss in Rosenblattform erkennen lässt. Der sechseckige Ständer sowie auch der
Knauf dieses Kelches zeigen bereits eingravirte Ornamente, wie sie bei der Ausar-
tung der Gothik gang und gäbe waren. Die ^echs vorstehenden Pasten des „nodus'%
8T. QEREOK. 21
ehemals emailErt, lasseii heute noch, erhaben aufstehend, in Oravining die sechs
Buchstaben des Namens Jesus in gothischer Schreibweise mit dem Spiritus „A^
erkennen. Die Kuppe oder Trinkschale des Kelches ist offenbar neueren Ur-
sprungs, wie das ihre moderne Form und Ausbildung des obem Sandes deutlich
eikennen lässt Der vorliegende Kelch bietet sonst nichts Eigenthümliches, als
dass eine Fläche des Fusses mit dem Wappen einer kölner Patrizierfamilie ver-
ziert ist, das wie es scheint, dem Geschlechte der „von den Jttdden'^ angehörte.
Es ist anzunehmen, dass dieses Geschlechtswappen hindeute, auf einen Ge-
schenkgeber, welcher der obengedachten begüterten Familie angehörte und diesen
Kelch dem alten Stifte von St. Gereon verehrt hat. Zu diesem Kelche gehört auch
eine einfach gebildete Patene (Fig. 10. a), die ein „stgnaculum^ in Form eines
Kreuzes, gegenüber dem ebengedachten Patrizierwappen, als einfache Gravirung,
von einem Kreise umschlossen zeigt Man erblickt nämlich auf rothemaillirtem
Felde auf der rechten Halbseite des Wappenschildes drei spitze Judenhüte, wie
sie im Mittelalter zur Bezeichnung des Judenthums immer dargestellt zu werden
pflegten.
Der andere Messkelch mit rundem Fusse hat noch seine alte primitive Trink-
schale vorzuweisen und zeigt derselbe sehr schöne Verhältnisse in seinen einzel-
nen Haupttheilen. Dieser Kelch ist sonst sehr einfach in seinen Gliederungen und
Ornamenten, und gibt er sich dadurch als ^^calix quotidianug" zu erkennen. Das
in Bede stehende Gefäss scheint von einen frommen Stifter in der Absicht geschenkt
worden zu sein, damit an einem bestimmten Yotivaltar sein Kelch täglich bei der
b. Messe in Grebrauch genommen werden solle. Das zeigt auch eine Inschrift
in spätgothischen Majuskeln deutlich an, die sich in dem Spruchbande um das
j^siynaculum^ befindet; diese lautet: y^calix altarü est sanctae Helene regine^
A. 1534. Dieses „signaculum", welches als Merkmal ftlr die Stelle, wo an
der Kuppe bei der Gommunion die y^sumptio ss, sanguinis^ und später die ablutio
vom Priester zu nehmen ist, niemals fehlen darf, ist an dem vorliegenden Kelche
sehr schön in Form eines Maltheserkreuzes kräftig auf dem Fusse eingravirt, und
zwar ist dieses eingravirte Kreuz zur einen Hälfte ornamental, zur andern Hälfte
in architektonischen Formen gebildet.
Der dritte einfache Messkelch, der sich heute in dem stark zusammenge-
schmolzenen Schatze des ehemaligen reichen Stiftes von St. Gereon in sehr ein-
fachen Formen und schönen Verhältnissen vorfindet, repräsentirt wie auch die
beiden vorherbeschriebenen Kelche die Gestalt eines gewöhnlichen Messkelches flir
täglichen Gebrauch, wie sie im XVI. Jahrhundert von den Meistern der Gold-
schmiedezunft in Köln in der Regel angefertigt zu werden pflegten. Dieser dritte
Messkelch, der heute als Mustervorbild bei Anfertigung von einfachen gothischen
Kelchen ftlglich betrachtet werden könnte, zeigt einen Knauf mit sechstheiligen
weit vorstehenden Pasten. Bei diesen über Eck gestellten rhomboidenförmigen
Vorsprüngen ist vom Goldschmiede im Mittelalter jener Uebelstand beseitigt wor-
den, worüber heute bei Anfertigung ähnlicher gothischer Kelche mit Recht Klage
geftlhrt wird, dass nämlich diese Ecken zu scharf und schneidend ausgebildet sind. An
22 8T. GEREON.
den altem Kelchen seheint man jlie Schärfen dieser Pasten vor der Vergoldung mit
der Feile gebrochen und abgerundet zu haben , damit beim Gebrauche in der
h. Messe, namentlich zur Winterzeit, diese scharfen Ecken und Kanten die Fin-
ger des Gelebranten nicht verletzten und die Haut aufritzten.
Wie die Inschrift auf dem Fusse unmittelbar neben dem Kreuzzeichen deut-
lich besagt, ist auch dieser Kelch ein Geschenk eines Mitgliedes der k(>hiischen
Patrizier Familie von den Jttdden. Man liest nämlich daselbst:
yf Jungfer Veronika von den Joeden hait mivhA, 1553 gegeven.^
Auf der andern Seite liest man die zweite Inschrift:
^Jungfer Cathrhia von den Joeden do beide gestaurven.^
Unseres Dafürhaltens nach ist durch die letzte Inschrift angedeutet, daas Jungfer
Cathrina von den JUdden vielleicht in späterer Zeit diese beiden Kelche, die von
ihrer Familie herrührten, hat neu vergolden und restauriren lassen.
Noch besitzt die Sacristei von St Gereon einen vierten Kelch in den For-
men der bereits ausgearteten Gothik, der in der Gesammtanlage mit den eben-
beschriebenen Kelchen übereinstimmt. Auf einem Theile des Fusses eine sechs-
blättrige Böse vorstellend, liest man in einem vielfach verschlungenen Spruchbande
folgende eingravirte Inschrift: y^calix altaris sancti AntonH in capitolio,^ Aus die-
ser Inschrift liesse^ sich folgern, dass der vorliegende Kelch angefertigt worden ist
ftlr den Altar des heiligen Antonius in der ehemaligen Stiftskirche Maria im Ga-
pitol; zugleich aber auch, dass es im Mittelalter Brauch war, dass zu jedem Altar
ein besonderer Kelch gehörte, der von dem Yicarius täglich in Gebrauch genom-
men wurde, dessen Pfründe und Stipendien auf den Titel dieses bestimmten Altar
res lauteten. Auf der Kehrseite des sechstheiligen Fusses zeigt sich in spätgothi-
schen Majuskelbuchstaben folgende Inschrift: „Johannes Hilden^ canonicus sancti
Severiniy vicarius sancti AntonH in Capitoiio, nee non sancti Jacobi me fieri fecit et
dico Antonio dedicavit."^ Diese Inschrift giebt also zu verstehen, dass ein Kölner
Canonicus von St Severin, der zugleich eine Pfründe als adscribirter Vicar des
Altars von St Antonius im Maria Kapitel genoss, als Beneficiat den vorliegenden
Kelch zum beständigen Gebrauch an dem ebengedachten Altar auf seine Kosten
habe anfertigen lassen.
Ehemaliger Schatz der Stiitskirche von St. Gereon.
Unter Beachtimg der betreffenden Hindeutungen der manchmal unkritischen
Angaben älterer kölnischen Chronisten wollen wir es in der Folge, jedesmal zu
Schluss der Beschreibung jener Kunstschätze, wie sie fast jede kölnische
Kirche heute noch zu besitzen sich rühmt, vei-suohen in kurzen Umrissen anzu-
deuten, welche einschlngendcu Kunstwerke nodi zu Zeiten des Gelenius jede Sa-
cristei als ihren Stolz und ihre Zierde aufzuweisen hatte, ehe die officielle Berau-
bung zu Schluss des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts eingetreten war.
ST. GEREON. 23
T
Dass in Köln eine solche Silberablieferung von Seiten der französischen
Comniissarien leider mit vielem Erfolge in grösserem Umfange in einer Zeit noch
betrieben wurde, wo schon vieles durch einheimische Hände vertheilt und unsicht-
bar gemacht worden war, lässt sich entnehmen aus einer mündlichen Angabe eines
befreundeten Kunstkenners, der uns kürzlich ausitthrlioh berichtete: ein vorlängst
als Friedensrichter verstorbener Kölner, der dem französischen Regime zu Anfang
dieses Jahrhunderts sich besonders diensteifrig erzeigen zu müssen glaubte, habe
ihm in seinen Lebzeiten oft mitgetheilt: „wenn er es gewollt hätte, hätte er ein
reicher Mann werden können , indem er als französischer Commissair alles Silber
und Gold der Kirchen Kölns eingetrieben habe. In den Gebäulichkeiten des Non-
nenklosters in der Kupfergasse habe er damals alle Schätze zusammen bringen las-
sen, und wären zu jener Zeit mehr als vier Zimmer daselbst mit den kostbarsten
Gemsen und Kirchen-Utensilien angefüllt gewesen.** Wir glauben begründete
Zweifel hegen zu dürfen , dass der ebengedachte im grossartigen Massstabe ausge-
führte Baub aus den kölnischen Kirchen wohlbehalten in die Hände des damaligen
französischen revolutionären Regiments gekommen ist
Dem Eingangs gedachten Gewährsmanne in seinem Werke „de niagnitudme
Coloniae^ zu Folge, besass gegen Mitte des XVII. Jahrhunderts der Schatz von
St Gereon unter Anderem, abgesehen von der grossen Zahl kostbarer und kunst-
reich gearbeiteter Kelche, Rauchfösser, Messkännchen, Leuchter etc. zehn verschie-
dene „hierothecäe**, die als Behälter für verschiedene Reliquien aus edlem Metall
in den zierlichsten Formen kunstreich gearbeitet waren. Unter diesen befanden
sich auch die unter Nr. 7 u. 8 beschriebeneu Reliquiarien und führt in 3ezug auf das
unter Nr. 8 bezeichnete der ebengedachte köhiische Chronist an, ohne jedoch
seine Quelle namhaft zu machen, dieses eine „brachium^ sei ein Geschenk des
Propstes Amoldus, das er unter der Regierung des h. Engelbertus (von 1216 —
1225) seiner Stiftskirche verehrt habe.
Femer werden noch im Schatze von St Gereon als ehemals daselbst befind-
lich aufgeführt: sieben verschiedene theilweise silbervergoldete „kemia^ Reliquia-
rien, in Form von Brustbildern wie sie vielleicht in ähnlicher Form in der Ab-
bildung von Flg. X veranschaulicht sind. Femer besass der Schatz zwei in edlen
Metallen kunstvoll getriebene Statuen der Madonna. Das eine Bildwerk der Mut-
ter Gottes, wie sie auf dem Throne sitzt, war silbervergoldet, und mochte unse-
rer Ansicht nach, eine ähnliche Gestalt und Grösse gehabt haben, >vie das in Gold-
blech getiiebene, sitzende Bild der Himmelskönigin in dem Schatze zu Essen be-
findlich, herrührend aus dem XL Jahrb.
Die andere „opus ßmle" der Himmelskönigin scheint, als Standbild in
Silber getrieben, ohne Vergoldung, von ziemlicher Grösse gewesen zu sein, im
Innern desselben eine Anzahl Reliquien von verschiedenen Heiligen verborgen.
Im ehemaligen Schatze von St. Gereon befanden sich noch in verwand-
ter Form, wie das abgebildete * Krj'stallkreuz , vier ähnliche „cruces crysta-
linae*' mit Perlen und Edelsteinen reichlich verziert, deren Fassungen sehr
kunstreich gearbeitet, und deren grössere Krystall-Cylinder wertlivoU gewesen sein
24 ST. GEREON.
müssen. Auch einen silbernen Trinkbecker , y^scffphus^ von der h. Elisabeth her-
rührend, hatte das Gereonsstift ehemals unter Beinen Schätzen au&uweisen. Dess-
gleichen fanden sich auch daselbst mehrere Reliquien-Tafeln j^tabulae reliquiarum^
vor, die wahrscheinlich in Weise von tragbaren Alülrchen in ihrer äussern Um-
randung kostbar eingefasst waren.
Ueberdies gewahrte man noch, ebenfalls in demselben Behältnis» ver-
schlossen, wo auch heute der so sehr geplünderte Schatz von St Gereon sich
befindet, zwei kleinere silberne ReHquien-Kasteu, die mit Ueberbleibseln mehrerer
berühmter Heiligen angefllllt waren. Auch sah man ehemals in dem ebengedach-*
ten yjthesaurarium^ ein Reliquiar in Form eines Strausseneies, das als jjOvum stru"
tianis^ auch von Gelen bezeichnet wird. Wir haben auf ausgedehnten Reisen
solche Reliquienbehälter, wie immer kunstreich einge&sst, und mit einem Sländer
und Fusstheile versehen, noch häufiger vorgefunden, welche aus demselben Mate-
riale angefertigt waren. Noch werden in älteren Schatzverzeichnissen mehrere
runde Büchsen von Elfenbein, wahrscheinlich von derselben Form und Be-
schaffenheit , wie wir dieselben in Abbildung gegeben haben , • namhaft ge-
macht. Im Ganzen zählte der Schatz von St Gereon zur Zeit als Gelen sein Werk
schrieb, mehr als neun und zwanzig meist kostbar ausgestattete Reliquienbehäl-
ter. Unter diesen nahmen jedoch zwei grosse, silbervergoldete und mit Perlen und
Edelsteinen reich verzierte Reliquienschreine die erste Stelle ein, deren einer in
der Länge von sechs Fuss und wahrscheinlich in dem verwandten Formen-Reich-
thum der altem Reliquienschreine des XI. und XU Jahrhunderts, die Ueberreste
des h. Gereon, des Anführers der Thebäischen Legion, der andere die Gebeine
des h. Gregor enthielt
Leider hatten diese zwei grossartigen Reliquieubehälter in den Zeiten der
französischen Revolution das Unglück, dass sie von bedeutendem Metallwerth m
den Augen derer befunden \\iirden, welche auf den grossen historischen Eunstwerth,
die äussere Form und Omamention nicht das geringste Gewicht legten. Alle diese
Kunstschätze von Silber, die im Anfange unseres aufgeklärten XIX. Jahrhunderts
unter der sehr naiven Bezeichnung „altfränkische Alterthttmchen" meist in die
Schmelze wanderten, sind heute spurlos verschwunden. . Hingegen haben siehBe-
liquienschreine aus vergoldetem Messing mit getriebenen Figuren und mit reichen
emaillirten Darstellungen geschmückt , da sie ^ keinen klingenden Gewinn ver-
sprachen, heute noch in der kölnischen Erzdiöcese zahlreich erhalten, die ahnen
lassen, von welchem grossen Kunstwerthe die vorhingedachten Reliquienkasten der
beiden Hauptpatrone der ehemaligen Stiftskirche zu den „goldenen Heiligen^' ge-
wesen sein mögen.
jln« ^artd-I^imtnrlfdfirl'.
^toia-^immeffdjrt
(Jesuitenkirche.)
Mittelalterliche Knnstgegenstände in der Sakristei daselbst.
11) Processionskreuz , kupfervergoldet, XIV. Jahrhundert. Taf. III. Fig. 11
12) CaremonieDstab , als Scepter, XV, Jahrhundert. Taf. 111. Fig. 12 .
13) Aitarleuchter in Messingguss, XV. Jahrhundert. Taf. 111. Fig. 13
14) Messkelch, silbervergoldet, XV. Jahrhundert. Taf. III. Fig. 14
15) Messkelch, silbervergoldet, XV. Jahrhundert. Taf. III. Fig. 15 . .
Schlussbemerkungen
Seite
3
5
6
9
11
13
11.
Processionskrenz,
kupfervergoldet, mit getriebenen figuralen und ornamentalen Darstellungen.
Xiy. Jahrhundert. Orösste Länge 50 Centimeter. Breite der Querbalken 37 Centimeter.
Vorliegendes Vortragekreuz erinnert in seineu schönen Gesammtformen und
in seiner Grundanlage an die reichen „cruces processionales\ wie sie die Gold-
schmiedekunst gegen Schluss der romanischen Kunstepoche in Menge entstehen
sah. Als Ausmündung der schmalen Ereuzbalken» in der Breite von zwei Centi-
meter, erhebt sich an den vier Ecken je eine vierblätterige Böse, in Vierpass-
form. An diese rosenförmigen Ausmtlndungen der Kreuzbalken schliessen sich
Formbildungen von Lilien an, wie sie als j,franzisca^ in der Frühgothik zur Zeit
Ludwig des Heiligen, namentlich an französischen Werken der Elleinkunst Überall
ersichtlich sind. Sowohl die Flächen dieser schlanken fjleurs de lis^ bIb auch die
der Vierpässe sind mit dem Laube und den Früchten eines einheimischen Pflanzen-
gewächses, das eine Nachahmung des Pfeilkrautes j^sagittaria^ zu sein scheint, in
getriebener Arbeit belebt Dieses getriebene Laubwerk liegt ziemlich erhaben auf
einem mit der Punze scharrirten Tiefgrunde und verräth diese Technik einen Mei-
ster, der mit der Gravimadel äusserst gewandt umzugehen wusste. Leider fehlen heute
in diesen Medaillons jene bildlichen Darstellungen, womit dieselben vielleicht früher
in Email oder Niello verziert gewesen sein mochten. Auf der vorderen Seite des
Kreuzes, das im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verändert und umgestaltet wor-
den ist, erblickt man aufgesetzte Medaillons mit kalten Glasmalereien, Zuthaten
des XVI. Jahrhunderts, sowie auch eine grössere Zahl von ungeschliffenen Steinen
in primitiver Fassung, die als Glasflüsse mit farbiger Folie hinterlegt sind. Auch
die Figur des Gekreuzigten ist offenbar eine spätere Hinzuf^lgung aus dem Schlüsse
des XV. Jahrhunderts und will dieses ciselirte Bild des Erlösers zu den frühem
Formen des Kreuzes durchaus nicht harmouiren. Unstreitig bietet die hintere
Fagade des Kreuzes für die Archäologie deswegen schon ein grösseres Interesse,
weil hier die Kunst des Goldschmiedes in kräftiger getriebener Arbeit die vier
Evangelisten in sitzender Stellung mit menschlichen Körpern in Verbindung mit den
bezüglichen Häuptern der vierThiere dargestellt hat, was in der deutschen Kunst wohl
4 HARIA-HIMMELFAHRTS-KIRCHE.
seltener vorkommen dürfte. Bei jeder dieser einzelnen Figuren befindet sich als
Halbbild die bekannte symbolische Tliiergestalt, wie sie Ezeehiel am feurigen
Wagen ersah, dennoch angewandt Auch die hintern Flächen der Kreuzbalken
sind durch energische Gravirung mit Lauboniamenten in einer Weise belebt, dass sich
in den Balken ein architektonisches Motiv gleichmässig fortsetzt, welches im Innern
mit Laubomamenten ausgefüllt ist. Die vier geflügelten Evangelisten in einem
schwungvollen und edlen Style gezeichnet, nicht weniger aber auch die eben ge-
dachten eingravirten Laubomaniente sind als sichere Belege daftlr anzuftihren,
dass das in Eede stehende wohl proportionirte ,ycrux procemonalis^ von einem
hervorragenden Meister in dem Begintxe des XTV. Jahrhunderts seine Entstehung
gefunden habe, einer Zeitepoche, in welcher die kölnischen Goldschmiede noch
nicht durch Statuten als Zunft geordnet, sondern mehr als religiöse Bruderschaft
„cofifratemitas aurifabrorum^ die Rechte ihrer Verbindung nach Aussen hin zu
wahren suchten.
Noch fllgen wir hinzu , dass die hintere Vierung auf der Rückseite des Kreu-
zes ein Quadrat zeigt in einem Durchmesser von 6 '/« Centimcter, auf welchem in
trefiTlicher Gravirung ein Goldschmied gegen Schluss des XV. Jahrhunderts den
Heiland nach der Sjreuzabnahme auf dem Schoosse seiner Mutter in äusserst sau-
berer Technik zur Darstellung gebracht hat. Ein nur flüchtiger Vergleich dieses
ebengedachten vortrefflichen Bildwerkes, mit der Composition und Durchfilhrung
der Figur des Gekreuzigten auf der vorderen Seite dürfte es fast zur Gewissheit
erheben, dass diese gegossene und ciselirte Figur durch jene Meisterhand ihre
Entstehung gefunden habe, von der auch die eben belobte Gravirung der „/wVfffl"
herrührt. Aus derselben Periode scheint auch der imtere Knauf mit seinen Pasten
herzustamn^en; ebenso der Stiel mit seinen architektonischen Zuthaten, der unmit-
telbar über der höchst unschönen, stylwidrigen Kugel aufsitzt, die in der Glanz-
periode des Ungeschmackes, im Anfange unseres Jahrhunderts, von jenem kölnischen
Goldschmiede hinzugeftigt und mit getriebenen Ornamenten überladen worden zu
sein scheint, der auch auf eine höchst unglückliche Weise den prachtvollen Schrein
der h. drei Könige zusammengefügt und wiederhergestellt hat. Wenn auch heute
noch in den Pfarrkirchen Kölns sich mehrere Vortragekreuze erhalten haben, die
die romanische und gothische Kunstepoche in ihren verschiedenen Entwickelungs-
phasen ziemlich vollständig repräsentiren, so hat doch Köln heute kein Vortrage-
kreuz von so edeler Form, gelungenen Proportionen, in zarter Behandlung der
Ornamente, mehr vorzuweisen aus jener Kunstepoche, in welcher vorliegendes Mei-
sterwerk der Goldsclimiedekunst seine Entstehung gefunden hat. Bei den vielen
Vorzügen des ebengedachten mustergültigen Kreuzes und dem bedauerlichen Zustande,
worin es sich gegenwärtig befindet, steht es mit Sicherheit zu- erwarten, dass
dasselbe in nächster Zukunft von geschickter Meisterhand eine gründliche, ßtyl-
görechte Wiederherstellung im Sinne des ersten Meisters erfahren werde.
MARU-mMUELFAUBTS-KIRCHE. 5
12.
Cftremonienstab
in Form eines Scepters, Silber mit vergoldeten Ornamenten.
Länge 71 Centimeter. XY. Jahrhundert.
Dieses Scepter, eigenthtlmlich in seiner Art und von origineller Fonn,
dürfte sich heute in kirchlichem Gebrauche nur noch selten vorfinden. In grössern
Kathedralen trug der „magister cantus^ auch „episcopus chori^ genannt , bei be-
sonderen festlichen Veranlassungen einen langen reich verzierten Stab „bacultts^f wo-
durch er in seiner Eigenschaft als Leiter des Gesanges ausgezeichnet wurde. In der
Spätzeit des Mittelalters wurde es auch üblich, dass die y^caeremoniarii^ grösserer
Bruderschaften, ähnlich >vie die Pedells an den Universitäten*), als Zeichen ihrer
Amtsfunction bei feierlichen Bruderschaftsfesten mit einer reich verzierten Ruthe,
Stab (virga, virgula) einherschritteu , und haben sich solche Stäbe in den
Händen der Bruderschaftsmeister, wenn auch meistens in unschöner Form, bis
heute noch bei Processionen und Wallfahrten erhalten. Diese Stäbe der Bedien-
steten einer kirchlichen Confratemität waren in der Regel mit den Abzeichen der
Genossenschaft und auf ihren Spitzen mit dem Standbilde des Patrons der geist-
lichen Bruderschaft versehen, dessen Namen *sie führte. Auch die vorliegende
Ruthe, die, der Tradition nach, der Bruderschaft des h. Joseph angehörte,
welche in der St. Lupuspfarrkirche**) zu Köln bestand, ist auf ihrer Spitze mit
dem Standbilde des Nährvaters Christi verziert. Weil das Mittelalter jedoch sel-
ten den h. Joseph als einzelne Figur darzustellen pflegte, so ist def selbe auch
hier in Begleitung der h. Familie abgebildet; es steht nämlich in der Mitte vor-
tretend der Knabe Jesus, in der rechten Hand einen Apfel haltend, in der linken
ein Spruchband; rechts erblickt man hinter dem Jesusknaben seine Mutter im Ma-
tronengewand, und links den „vtr justm^ dargestellt als Greis. Diese Gruppe in
der Höhe von kaum 5 Centimeter ist in Silber gegossen, vergoldet, jedoch nicht
nachciselirt und deswegen in den äusseren Formen ziemlich roh und unentwickelt.
Das eben gedachte Bildwerk der h. Familie befindet sich auf einer achteckigen Platte
als Piedestal, die auf vier reich in einander verschlmigenen gothischen Laubblättem
ruht. Dieser untere Sockel hat die Form einer Console. Von dem a joUr
durchbrochenen Sockel geht nach unten hin ein Rundstab aus, kaum ein Centi-
meter im Durchmesser, der in der Länge von 48 Centimeter fast in seiner mitt-
*) Die Pedells der Universität Prag, bekanntlich gestiftet von Carl IV., tragen heute noch bei
feierlichen Aufzügen solche „feucei^^ in Form von silbernen Ruthen und haben sich, wie wir uns durch
den Augenschein davon ttberzeug^ haben, noch zwei derselben in mittelalterlicher Form, in Silber
reich verziert an der Prager Hochschale erhalten. Die daran befindlichen Wappenschilder, so wie
sämmtliche Ornamente scheinen anzudeuten, dass diese „virgae'* noch aus der Frllhzeit der Stiftung
der gedachten Universität, der letzten Hälfte des XIV. Jahrhunderts herrühren.
**) Diese St Lupnskirche lag ehemals an der Nordseite des Domchores, in der Nähe des jetzi-
gen Wittgenstoin'schen Hauses auf der Ecke der Johannisstrasse und der Trankgasse.
6 MARU-HIMMEFAHSTS^KIBCHE.
leren Hälfte von einem kleinen silbervergoldeten Knaufe abgefasst wird. Am un-
tern Ende dieses „baculus caerernanialü^ befindet sich eine Handhabe, die auf bei-
den Seiten nach unten und oben mit einem vergoldeten Knopfe abgeschlossen
wird. Diese Handhabe in Form eine? Bohre verdickt sich nach der Mitte hin
unmerklich und ist an dieser Stelle mit einem vergoldeten profilirten Ringe umgeben.
Was nun das Alter des vorliegenden Scepters betrifft, so scheint dasselbe
gegen Schluss des XV. Jahrhunderts oder selbst schon im Beginne des XVI. in
Küln seine Entstehung gefunden zu haben. Ausser den in der Anmerkung ange-
ftlhrten Pedellstäben zu Prag wüssten wir heute keine ähnliche, aus dem Mittel-
alter stammende j^virgulae^ anzuführen, die noch jetzt im kirchlichen Gebrauche
wären. Entfernte Achnlichkeit mit der eben beschriebenen Ruthe haben die beiden
sogenannten Reichsscepter, wie sie, heute noch bei den Kleinodien des ehemaligen
h. römisch-deutschen Reiches aufbewahrt, in dem Schatze der Kaiserburg zu Wien
gefunden werden.*)
Das eine dieser Scepter, dem'XV. Jahrhundert angehörig, ist in seiner Anlage
sehr ähnlich mit dem eben gedachten Stabe und in seinen Formen höchst ein-
fach; das andere wurde ehemals offenbar als „nspergülum^ gebraucht zum
Darreichen des geweihten Wassers, wann der Kaiser zur Krömmg in die Krönungs-
kirche trat. Erst später hat man in den Schatzinventarien diesen Weihwedel als
Scepter namhaft gemacht. Auch ^r Cäremoniar des Münsters zu Aachen trägt
eine ähnliche silberne Ruthe, wie die ebenbeschriebene, nur können wir uns nicht ent-
sinnen, ob dieselbe ebenfalls noch mittelalterliche Omamentationen aufzuweisen hat
13.
Einfacher Altarlenchter
in Messingguss.
XV. Jahrh. Höhe bis zum obem Rand 21 Gentimeter. Durchmesser des Fusses 13 Centimeter.
Wenn auch in den vielen Sakristeien Kölns sich noch die verschiedenen
liturgischen Geräthe fast sämmtlich in einzelnen Exemplaren vertreten finden, wie
sie für den Altardienst das ganze Mittelalter hindurch im Gebrauche waren, so zeigt sich
jedoch heute kaum noch in einiger Forniabwechselung vertreten jenes liturgische
Geräth, das als Leuchter, meistens aus Kupfer oder Messing gearbeitet, die Be-
stimmung hatte, die Lichter auf dem Altare oder in der Kirche aufzunehmen. Aus
der romanischen Kunstepoche herrührend, sucht man- heute merkwürdiger Weise
vergeblich in den kölnischen Kirchen grössere und kleinere Leuchter, wie sie oft im
phantastischen Reichthume der Formen, als eine Verbindung der Thier- und Pflan-
zenwelt, vielfach noch in älteren Kirchen Deutschlands vereinzelt angetroffen werden.
*) ^gl- unsere Beschreibungf der deutschen Reichskleinodien in den ,,Mittheiluiigen der k. k. Com-
mission zur Erhaltung der Baudenkmalc^* in der ersten Httlfte des Jahres 1857.
J
MABIA-HIMBfELFAHBTS-KIBCHE. 7
Auch siebenannige Standleuchter ^arborB.M. F.", sowie grössere hängende Leuchter
yjpolycandelae^, die auch zuweilen ihrer äusseren Form wegen „caronae lummariae^
genannt werden , sind heute nicht mehr in Köln zu finden, obschon die mittelalter-
lichen Metallkttnstler der rheinischen Metropole dieselben, nach Angabe älterer
Autoren und Inventarien, zur Zierde der hiesigen Kirchen in Menge angefertigt
haben. Wie wir das im Verlaufe dieses Werkes sehen werden, befand sich
nach dem Berichte des Gelen in seinem Werke y,de mtignitudme Coloniae^ noch
zu seiner Zeit eine Anzahl grösserer Leuchter und hängender Lichterkronen in den
hiesigen Kirchen, die leider, da der grosse Umfang und das Gewicht derselben auf ge-
wisse Geister zu Anfang dieses Jahrhunderts einen grossen Reiz austlbten, der Schmelze
verfallen sind, und in den napoleonischen Kriegen zum Kanonenguss vielfach verwandt
worden sein dürften. Was einfachere Altarleuchter in gothischem Style betrifil, so
haben sich heute noch eine ziemliche Anzahl solcher Lichtträger in hiesigen Kirchen
erhalten, die alle kein hervorragend formelles Interesse darbieten. Die vorliegende
Abbildung unter Figur 13 veranschaulicht den Grund-Charakter der „Ceroferalien"
wie sie das ganze XIV., XV. und theilweise auch das XVI. Jahrhundert hindurch
kirchlich in Gebrauch waren. Solche y^cereostati^y die sich nur durch ihre grössere
und kleinere Ausdehnung unterscheiden, sind noch in den meisten hiesigen Kirchen
anzutreffen, und haben sich namentlich dieselben im Dom, in St. Martin, in
St Alban, in St Andreas in grösserer Zahl und Formenabwechselung erhalten.
Wie die Leuchter des romanischen Styls, sind auch die Lichtträger in der gothi-
schen Kunstepoche aus drei wesentlichen Haupt-Bestandtheilen zusammengesetzt,
nämlich aus dem Fuss, dem Ständer oder Stiel und dem obem Schttsselchen zum Auf-
£uigen des Wachses. An den gothischen Leuchtern ist der Fuss im Gegensatz zu
dem dreiftlssigen romanischen Lichtträger meistens rund gehalten und besteht derselbe
aus mehreren profilirten Ringen, die allmählig sich verjtlngend mit tiefen Hohlkehlen
nach oben trichterförmig zulaufen. Der glatte, runde Schaft, der auf diesem
Fusssttick unmittelbar ohne Verbindung aufsitzt, wird nach gleichen Zwischenräu-
men durch kräftig vortretende Ringe unterbrochen. Die Mitte dieses Ständers ist
bezeichnet durch einen stark vortretenden Knauf, der ebenfalls wieder aus meh-
reren Ringen zusanmiengesetzt ist Die obere Schüssel zum Auftiehmen des Wachses
hat eine ziemliche Breite und erhält nur durch mehrere ProfiUrungen einige Form-
abwechselung. Dieser Auftanger des Wachses ist an dem vorliegenden Leuchter
nicht, wie das bei andern formreicheren der Fall ist, mit einer Art Zinnenbekrö-
nung verziert, sondern schliesst ohne derartige Bekrönung mit einem einfachen
vorstehenden Rande ab. Aehnliche Leuchter von etwas reicherer Form haben auch
um den hohlen Fuss herum mehrere Durchbrüche in Drei- oder Vierpassform, und
ruht der Fuss meistens auf drei oder vier Ständern, die als Unterlage in der Regel
die Form von kleineren Löwen in liegender Stellung haben. Auch die yjistula^
ist alsdann bei grossem Leuchtern nicht mit einem, sondern mit mehreren grösse-
ren und kleineren „nodus^ vortheilhaft belebt Es mag auftallend erscheinen,
dass die Gothik auf die formelle Ausbildung und Entwickelung der Altarleuch-
ter so wenig Sorgfalt verwendet hat. Das aber dürftie sich durch den Umstand
8 MAKIA-HIMHELFAHBTS-KIBCHE.
erklären lassen, dass man in der Mligothischen Eunstperiode sich mit jenen kunst-
reich ausgestatteten Lichtträgem begnügen mochte, die die romanische Kunst als Ge-
genstand einer besondem Formentwicklung zahlreich angefertigt hatte. Da in der
romanischen Periode der Altar meist, was den Au&atz „retable^ betrifft, sehr ein-
fach und niedrig construirt war, so leuchtet es ein, dass man in dieser Epoche
auf die Leuchter, die man gleichsam als Ornamente auf die „predella^' des Altares
stellte, einen grossem Formreichthum verwandte. Im XIV. und XV. Jalirhundert
jedoch nahm der häufig auf der „mensa'* des Altars befindliche Aufsatz grössere Di-
mensionen an, und verbanden sich zwei Künste, Malerei und Sculptur, um dieses
Centmm der Kirche, die Opferstätte, würdig imd möglichst glanzvoll auszustatten.
An diesen reicheren Altären der Gothik wirkten Leuchter sehr störend, sobald sie
in grösserer Formentwicklung als Hauptsache ftir sich allein auf der Leuchterbank
des Altares gesehen zu werden beanspmchten. Damit nun die Leuchter den dar
huiter befindlichen kunstreich ausgestatteten Altaraufsatz mit seinen vielen bemal-
ten und sculptirten Omamenten nicht in Schatten stellten, oder unpassend ver-
deckten, gestattete die Gothik den Leuchtem keine weiteren Formentwickelungen,
gestaltete sie möglichst einfach mid vergönnte ihnen auch nur eine massige Höhen-
dimension, so dass sie in der Kegel nicht über den Untersatz f^predetla^ des Altar
res herüberragen durften. Diese niedrige Form wurde ihnen auch wohl deswegen
gegeben , damit beim Oeffnen und Schliessen der Altarflügel diese Lichtträger nicht
von der Lichterbank entfernt, sondem die darauf befindlichen Wachskerzen nur eben
hemntergenommen zu werden brauchten. Diese kleinen gothischen Altarleuchter,
aus Ringen und Knäufen gebildet, vne sich dieselben in verwandter Form noch sehr
häufig in rheinischen Kirchen befinden, wurden meistens von den Gelbgiessem Kölns
angefertigt Grössere Lichthalter, die als Standleuchter im Chore neben dem Altare
aufgestellt wurden , pflegten mit mehr Formenflüle in den im Mittelalter berühmten
Gusswerkstätten Belgiens und namentlich zu Dinant und Mästricht angefertigt zu
werden ; daher auch für grössere religiöse Gusswerke des Mittelalters die Bezeich-
nung ^dtnanderie.^ Hinsichtlich dieser grossen Gereostaten, die vor der Revolu-
tion den Presbj'tericn verschiedener Kirchen Kölns als »Kunstwerke des Gusses
zur Zierde gereichten, heben wir hier noch hervor, dass bis in die achtziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts im Hochchore des Kölner Domes, einer mündlichen Tradition
älterer Leute zufolge, sich vier grössere kunstreich gegossene Lichthalter befanden
in Form von Chembinen, die auf einem messingenen üntersockel als Schaft auf-
recht standen und grössere Kerzen trugen. Als unglücklicher Weise im vorigen
Jalirhundert bei dem vollständigen Verschwinden der Kenntniss und des Inter-
esses fllr die schöneren Formen des Mittelalters auch der ursprüngliche Hochaltar
im modernen Neuerungseifer abgerissen und der heutige stylwidrige Marmor-
Altar mit seinen unschönen italienisirenden Formen als Hauptaltar an die Stelle
des zerstörten aufgerichtet wurde, wollten die ebengedachten Meisterwerke des
Gusses, diese vier grossen Engel als Lichtträger, zu der neugeschafienen modernen
Herrlichkeit wenig mehr passen. Dieselben Verschönerer machten daher mit die-
sen stattlichen Gusswerken einfachen Process, Hessen sie leider auf die Schmebse
ItARIA-HIHMELFAHRTS-KIRCHG. 9
bringen und statt derselben jene unförmigen vier colossalen Leuchter in den aus-
gebildetsten Formen des Zopfstyles anfertigen, wie sie heute noch dem innem
Hochchor, unmittelbar vor dem Hochaltar aufgestellt, gewiss nicht zur Empfehlung
und zum Schmucke gereichen.
Hoffentlich ist die Zeit nicht so fem, in welcher nicht nur der einfache pri-
mitive Hauptaltar, wie die herrliche Architektur des Domes ihn mit Nothwendig-
keit erfordert, mit Beseitigung der missverstandenen Formen des heutigen Marmor-
baues, wieder aufgestellt werden wird, sondern auch die ebengedachten unpas-
senden Leuchter des vorigenJahrhunderts beseitigt, und mit den Formen des neuen
styl- und kunstgerechten Hochaltares wieder in formverwandte Harmonie gebracht
werden dürften.
14.
Messkeleh,
silbervergoldet.
XV. Jahrhundert. Höhe 19 Centimeter 7 Milimeter; Durchmesser der Kuppe 10 Centimeter 4 Mili-
' Dieter; Durchmesser des Fusses 15 Centimeter.
Dieser einfache Messkelch in schönen proportionirten Verhältnissen gehört
zu den wenigen altdeutschen Messkelchen, die sich in einiger Entwicke-
lung der Form aus dem verschlingenden Sturme der Revolution zu Anfang dieses
Jahrhunderts bis auf unsere Tage erhalten haben. Einzelne ältere Schatzverzeich-
nisse verschiedener Kirchen Kölns geben Aufschluss über die grosse Zahl von
Messkelchen und die reiche Formation, wodurch sich diese hervorragenden litur-
gischen Getässe in den hiesigen Sakristeien, angefertigt von bedeutenden Mei-
stern der altkölnischen Goldschmiedezunft, vor den übrigen Geräthen auszeichne-
ten. Leider findet sich heute kein Exemplar eines solchen Prachtkelches aus der
gothischen Kunstepoche mehr in den kölnischen Sacristeien vor, das auch nur
einigen Aufschluss gäbe, in welcher Form und in welcher Technik diese reicheren
yycalices festales^ angefertigt worden seien. Der vorliegende Kelch empfiehlt sich
mehr durch seine einfachen schönen Verhältnisse, als durch den Keichthum seiner
Formen. Der Fuss desselben (pedale) gibt sich zu erkennen als eine Rose von
sechs tief eingeschnittenen Blättern. Ueber dem breiten, platten Fussrande erhebt
sich ein schmaler Rand, der bloss eingetriebene, nicht durchbrochene Vierpassfor-
men zeigt. Die Blätter des Fusses steigen, ziemlich tief ausgerundet, nach oben
spitz an, und bilden am Halse des Fusses vertiefte dreieckige Einschnitte. Auf
diesem schlank sich erhebenden Halse hat der Künstler einen architektonisch im
Sechseck mit Widerlagen umgebenen Sockel angebracht, auf welchem sich eine
gleichfalls sechseckige Röhre (ßstula) erhebt, die auf ihren Seiten mit omamen-
talen Gravirungen verziert ist. Der Knauf (pomum, nodus) ist ebenfalls sechs-
10 MARIA-HDOfELFAHRTft-KIRCHE.
theilig gehalten, und ist mit sechs hervorstehenden Pasten umstellt, die auf ihrer
äusseren Plattfläx^he mit einem in Belief ausgearbeiteten Blattomamente verziert
sind« Zwischen diesen scharf hervortretenden Pasten hat der Goldschmied wie
gewöhnlich eine Art von Fensterstellungen mit Maasswerk angebracht, das nicht
wie bei den meisten andern Kelchen dieser Art ä jaur durchbrochen ist. lieber
diesem zweckmässig construirten Knauf, dessen scharfe Ecken vom Künstler abge*
rundet worden sind, damit sie bei dem Gebrauche des Gefässes nicht verletzen,
erhebt sich eine zweite sechseckige Bohre von derselben Höhe, wie die untere, die
oben mit einem runden einfach ausgezackten Deckblatte belegt ist, worin die obere
Trinkschale des Kelches eingreift. Diese Trinkschale (cuppa) zeigt eine geiällige
Form, ist nach unten eiförmig zugespitzt, und steigt nicht geradlinigt nach oben
an, wie bei vielen gothischen Kelchen der Fall ist, sondern hat hier eine kleine
Ausbauchung. Den äusseren Formen nach zu urtheilen, wttrde man diesen Kelch
seiner ganzen Beschaffenheit nach dem Schlüsse des XV. Jahrhunderts zuweisen.
Diese Annahme findet nun ihre Bewahrheitung auch durch eine kleine Inschrift rück-
wärts auf dem Innern Theile des Fusses, deren Lesung wir mit einiger Mtthe fest-
gestellt haben, wie folgt: Anno Domini 1495*" mens, Februarü, Nicolas Presbyter,
cuius anima requiescat in pace; orate pro eo»
Durch diese Inschrift wird unseres Dafürhaltens nach angedeutet, dass in dem
ebenbezeichneten Jahr der Priester Nicolas gestorben sei, der diesen Kelch viel-
leicht testamentarisch der Kirche zum Geschenk vermacht haben mochte. Unserer
Vermuthung nach dürfte also dieser Kelch entweder einige Jahre früher für
den Privat-Gebrauch dieses Geistlichen angefertigt worden sein, und erklärte
sich auch so die unorganische Aufbeftung der eben bezeichneten Inschrift in go-
thischen Minuskeln auf der innem Fläche des Fusses vermittelst eines aufgelö-
theten silbernen Schildchens, oder derselbe ist aus einem Theile des Nach-
lasses des Geschenkgebers gleich nach seinem Tode angefertigt worden. Noch
fügen wir hinzu, dass sich auf dem einen Theile des Fusses als „signacnlum^ ein
gothisch reich verziertes Kreuz von einem runden Medaillon eingefasst, befindet,
das in kräftiger Gravirung ausgeführt worden ist Einer altem Vorschrift gemäss
bezeichnet nämlich dieses Kreuz, das die Goldschmiede der letzten Jahre aus Un*
kenntniss vielfach anzubringen vernachlässigten, jene Stelle, wo der Priester bei
der h. Messe die vorgeschriebenen Segnungen vornimmt, vornehmlich aber auch
jene Stelle, bei welcher der Gelebrans bei der Communion die „sumptio ss. sangui-
nis^ vorzunehmen hat, damit er auch an derselben Stelle gleich darauf die Ablu-
tionen vollziehe. Zu diesem Kelche gehört heute ein interessantes Kelchschttsselchen
„patena.^ Wie bei allen altem Patenen zeigt sich auch an der vorliegenden nach
einem breiten Bande eine tellerförmige Vertiefung, die in ihrem Tiefgrunde in
getriebener Arbeit eine Kleeblattform zum Vorschein treten lässt. Der äussere
breite Band ist an einer Stelle auch mit einem eingravirten Kreuze (signaculum)
versehen, wodurch ebenfalls die Stelle bezeichnet werden soll, wo der Priester
jedesmal beim Gebrauch die Patene anzufassen. habe.
Die schönsten und reichsten altem Messkelche aus der gothischen Kunst^
MABIA-HIUlfELFAHBTS^KIRCHE. 1 1
periode fimden wir auf längern Beisen in der Minderbriiderkirclie zu Braunschweig,
in der katholischen Pfarrkirche zu Wesel, in dem Schalze der Schlosscapelle zu
Harienburg iPreussen), im Schatze des Domes zu GTran und in dem ungarischen
Nationalmuseum zu Pestb. Auch der Domschatz zu Mainz hat noch einen äusserst
reichen Prachtkelch mit Email rerziert aufzuweisen , desgleichen der Dom zu Os-
nabrtlck. So findet sich auch in der reichhaltigen Privatsammlung mittelalterlicher
Kunstschätze Sr. Hoheit des Fürsten Carl Anton von HohenzoOem-Sigmaringen
ein reich ausgestatteter gothischer y^calix epücopaUs^ vor, der mit den beiden
ebengedachten Kelchen zu Mainz und Osnabrück grosse Aehnlichkeit hat.
15.
Hesskeleh,
silbervergoldet.
XV. Jahrhundert Htthe 19 Centineter 2 Milimeter. Dnrehmeaser der Kuppel 11 Gentimeter. Tiefe
der Kuppel 7 Centimeter 8 Milimeter. Durchmesaer des Fuues 15 Centimeter 2 Milimeter.
Der vorliegende sehr einfache Messkelch ist von bester Wirkung durch
seine wohlgeordneten Verhä||pisse. Der Fuss desselben ist nicht sechstheilig, son-
dern, was seltener vorkonunt, achttheilig angelegt, in Form einer achttheiligen
Rose. Auf dem einen Ausschnitte des Pedales ist in gelungener Gravirung als
„iignaeubtm^ ein Malteserkreuz angebracht, durch Ciricelschläge und gothische
Maasswerkformen gebildet. Neben diesem Kreuz-Medaillon erblickt man in Spruch-
bändern gravirt folgende Inschrift: ^fRaymundus Pandt me feeit fieri.^ Wahr-
scheinlich der Name eines GreistUchen, der diesen Kelch fttr seinen eignen Ge-
brauch, wie das im Mittelalter häufig der Fall war, anfertigen liess und denselben
testamentarisch bei seinem Tode einer Kirche als Geschenk überwies. Auch der
Stiel (ßstula) des Kelches ohne Gravuren ist im Achteck angelegt Nur der „nodus"
ist sechstheilig gehalten und durch sechs hervorspringende Pasten verziert, in deren
Tiefgnmd sich vertiefte ausgestochene Füllungen zeigen, die, wie es den Anschein
hat, mit blauem, durchsichtigem Email ehemals überzogen waren. — Die meisten
einfiftchem Kelche für den y^usus guotidianus,^ wie sie im XIV. und XV. Jahrb.
angefertigt zu werden pflegten, haben in der Regel eine Höhe von 1 7 — 22 Centimeter,
und steigt die Kuppe derselben fast geradlinigt an mit nur schwacher Ausbauchung,
wie dieses die vorliegende nach photographischer Aufiiahme copirte Abbildung
unter Nr. 1 5 veranschaulicht Unseres Erachtens nach hat man in der spät gothi-
schen Periode der Trinkschale des Kelches diesen, wir möchten fast sagen, archi-
tectonischen Schnitt gegeben*), damit der Priester nach der Communion die zwei-
*) Bei heutigen Compositionen tou neuen Kelchen in gothiachem Style wird meistens dieser
Aufriss der Kuppe, der, fiut geradlinigt aufsteigend mit weniger Ausladung tou bester Wirkung ist,
12 MAEIA-HIMMELFAHRTS-KIBCHE.
malige „ablutio^ leicht vermittelst einer kleinen Bewegung und Schwenkung yor-
uehmen kann. Lst die Trinkschale des Kelches hingegen von der unschönen
wellenförmigen Äusbiegung, *wie die Renaissance und der spätere Zopfsiyl mit
einem starken, ausladenden Bande dieselbe ausgebildet hat, so lassen sich die
vorgeschriebenen Ausspülungen nur unbequem vornehmen, indem eine starke Bewe-
gung und Schwenkung nicht leicht die j^ablutio^ bis an den obem Rand ansteigen
lässt. Wie die Renaissance den äussern Schnitt der Kuppe unvortheilhaft und
imbequem im Gegensatze zu dem der Gothik umzugestalten sich herausgenommen
hat, so hat sie auch ohne Noth die Schuld auf sich geladen, dass sie, mit Um-
gehung der traditionellen Höhe, die Messkelche hochbeiniger gestaltet hat Längere
Nachforschungen sowie sorgfaltige Ausmessungen einer grossen Anzahl älterer
Kelche in Italien, Deutschland und Frankreich haben uns zu der Annahme geflihrty
dass die Höhe der Kelche fast nach einem bestimmten, feststehenden Gesetze in
den gedachten Ländern im Mittelalter gleichmässig eingehalten worden ist, und
dass dieselbe die obengedachte Dimension selten übersteigt Es hat uns scheinen
wollen, als ob man im Mittelalter diese feststehend überlieferte Dimension aus mehre-
ren wichtigen Gründen unverrückt beizubehalten sich veranlasst sah. Hat nämlich
der Kelch die eben gedachte massige Höhe, so läuft er, wenn die Kuppe dem
breiten Fussgestell näher liegt, nicht so sehr Gefahr, bei einem leichten Anstossen
an die Trinkschale das Gleichgewicht zu verlieren und umzufallen, wie wenn der-
selbe höher gestaltet ist, und die Trinkschale weiter fpn dem Fusse entfernt liegt
Auch lassen sich offenbar die vorgeschriebenen Segnungen über dem Kelche leichter
ausführen, wenn derselbe eine massige Höhe hat, als wenn er eine solche Aus-
dehnung einnimmt, wie sie durch die Renaissance herbeigeführt worden ist Fer-
ner kann der Priester auch jene Gebete von der hinter dem Kelche aufgestellten
Canontafel viel bequemer lesen, wenn derselbe niedrig gehalten ist, als wenn er
die heutige sehr unzweckmässige Höhenausdehnung hat, zumal er einige dieser Gebete
in gebeugter Stellung verrichten muss. Endlich machen wir noch darauf aufmerksam,
dass das Kelchtuch ^velum,^ das heute doch meistens auf ein sehr beschränktes Mini-
nmm von Ausdehnung gebracht worden ist, würdiger und faltenreicher beimZudeckenf
den Kelch verhüllt, wenn derselbe niedriger ist, als wenn er in beträchtlicher Höhe
ansteigt Wir glauben, dass es der spätem Forschung gelingen dürfte nach Ver-
gleich und Ausmessung einer grossen Zahl von heute noch vorfindlichen gothischen
Messkelchen, die stetigen Gesetze ausfindig zu machen und genau festzustellen,
die ohne Zweifel bei Anfertigung derselben von den Meistern der Goldschmiede-
kunst namentlich in Bezug auf die richtigen Dimensionen der einzelnen Haupt-
bestandtheile traditionell beibehalten und in Anwendung gebracht wurden.
Tcrfehlt und geht damit das eigcnthUmlich EchOne Profil der altgothischen Keloho meistens verloren.
Es dauert in der Regel lange, ehe der Componist, sowie der ausAihrende Goldschmiedemeistcr mit
sicherer, kundiger Hand der Trinkschale des Kelches, vorauf Vieles ankommt, den i echten, strengen
Zuschnitt zu geben versteht.
MAmA-KTMMWT.FAHBTfihKIRCHE. 1 3
Hinsichtlich des ehemaligen und theilweise heute noch vorfindlichen Schatzes
an kostbaren Gefässen in der vormaligen Jesuitenkirche mag hier schliesslich
noch einige allgemeine Bemerkungen hinzuzuftigen erlaubt sein.
Die grossartige, schaffende Thätigkeit des Ordens der Gresellschaft Jesu auf
dem Gebiete der Kunst fiel mit Bezug auf den kirchlichen Charakter der auszu-
führenden Formen in eine ungünstige Zeit, in welcher die geflQligeren Bildungen
des neu aufgekommenen Styles mit den ernstem, aber vielfach bereits ausgearte-
ten Formen der alten ererbten Weise im harten Kampfe um Sein oder Nichtsein
begriffen waren. So begann auch der Jesuitenorden in KOln seinen umfangreichen
Kirchbau auszuftlhren zu einer Zeit, als die aus Italien und Frankreich auch an
den Bhein verpflanzte neue classische Kunstweise die viel gepriesene Benais-
sance, sich mit Verdrängung der lang geübten heimathlichen Kunstformen auszu-
dehnen begann. Obschon der Jesuitenorden auf theologischem Felde ftlr die
Wahrheit und ungetheilte Anerkennung der altkatholischen traditionellen Dogmen,
wie sie Jahrhunderte hindurch die Kirche unversehrt bewahrt hatte, als muthiger
und gewandter Kämpfer auftrat und so der Kirche grosse Dienste erwies; so erach-
teten es die Väter der Gesellschaft Jesu doch nicht als ihre Aufgabe auch gegen
die herrschende Kunstströmung der Zeit au&utreten, und auch auf dem Gebiete
der Kunst ihren ganzen Einfluss mit aller Kraft dahin geltend zu machen, dass
die neu aufgewärmten heidnischen, d. h. altgriechischen und römischen Formen,
wie sie der moderne Zeitgeist wollte, als dem Wesen der Kirche nicht entsprechend,
wenigstens von dem Altare und aus dem Tempel femgehalten wtlrden. Der Orden
schien damals nicht zu ahnen, dass mit Hingabe der überlieferten heimathlichen
Kunstformen, die vom specifisch christlichen Geiste gross gezogen und getragen wur-
den, und mit der Einführung der neu wieder zu einem Scheinleben erweckten grä-
cisirenden Formenwelt auch ein ziemlicher Theil von dem altclassischen, d. h. heid-
nischen Geiste, so wie auf dem Gebiete der Literatur desgleichen auch in dem Be-
reiche der Architektur und der übrigen bildenden Künste allmählich miteingebürgert
vnirde. Leider zeigen daher alle Jesuitenbauten das Gepräge jener hochtrabenden
Kunstformen, wie sie von den sogenannten „Ginquecentisten^* in Italien und den
„Humanisten^' in Deutschland und Frankreich als die schöneren Formen eines auf-
geklärten und gelehrten Jahrhunderts gepriesen und allmählich eingeführt wurden. *)
Wir haben also auch in dem Schatze der Jesuitenkirche zu Köln, da die
Goldschmiedekunst und Paramentik der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts,
(wohin der Bau der Kirche zu versetzen ist), sich den Gesetzen der Ar-
*) Von den Tielen Jesuitenkirchen , fast alle in grosser üebereinstimmung und Formenverwandt-
schaft gebaut, wie wir sie auf längeren Reisen in Augenschein zu nehmen Gelegenheit hatten, zeichnet
sich das hiesige grossartige Bauwerk dadurch vortheilhafb aus, dass namentlich im Innern noch mit
einer gewissen ZiUiigkeit die Formbildungen der altdeutschen Bauordnung beibehalten wurden, währeild
an der äussern Fa^ade die spielenden und leichten Formen der Renaissance mit der ernsten Gothik
unschön und missverstanden in störende Verbindung gesetzt worden sind. Die Jesuitenkirche in Köln
ist, namentlich was die innem oonstructiven Theile betrifft, als das letzte unbewusste Wiederaufleben
der antiquirten Formen der Gothik unmittelbar vor ihrem gänzlichen Untergange am Rheine zu be-
trachten.
14 ICABIA-HIMMBLFAHRTS-KmGHB.
ehitektur des Tages unterordnete, keineswegs Kunstwerke zu suchen , die den
Stempel der altem heimatUichen Eunstweise an sich tragen, d. h. aus der gothi-
sehen oder romanischen Kunstepoche herrtlhren. De»3wegen ist ana&unehmen, das«
alle ReUquiengefässe, die Gelenius bei Beschreibung der Schätze der in Rede stehen-
den Kirche aufzählt, in den modernen Formen des damals herrschenden Renaissance-
Styles ausgeführt waren. Viele derselben haben sieh heute noch in der Sakristei
der gedachten Kirche erhalten, deren Beschreibung wir gerne andern überlassen«
da wir in dem voiüegenden Werke uns ausschliesslich mit der Au&ählung und
Abbildung der noch restirenden Kirchenschätze Kölns beschäftigen, insofern sie
ein mittelalterliches Formengepräge haben. Die vorher besprochenen wenigen Ge-
räthschafken im gothischen Style, die sich heute noch in der Jesnit^ikirche befin-
den, bestanden sämmtlich schon, ehe der Bau der heutigen Kirche begonnen
wurde, und sind ohne Zweifel Geschenke von Seiten anderer Kirchen Kölns und
frommer Wohlthäter, die dem Orden ttbergeben wurden, als im Jahre 1629 nach
einem wenige Jahre vorher erfolgten Brande die vollendete Kirche fttr den
Gottesdienst eröffiiet wurde.
Möglich ist es aber auch, dass die auf Tafel HL abgebildeten altdeutschen
Gefdsse der hiesigen Jesuitenkirche erst in neuerer Zeit in die Sakristei derselben
gdangtcfn, als die ehemalige Ordenskirche Anfangs dieses Jahrhunderts zu einer
Pfiurrkirche umgestaltet wurde.
^n« S'OTnltrpflai.
^t ^{nbrcaö
Mittelalterliche Eonstgegenst&nde daselbst.
Seite
1 6) Vier Medaillons mit gestickten figuralcn Darstellungen, XV. Jahrh. Tafel IV. Fig. 1 6 3
17 und IS) Zwei Siegel in Messing gestochen, XIII. Jahrlnindcrl. Taf. IV. Fig. 17u. IS 5
19) Messkelch, silhervergoldet , XV. Jahrhundert. Taf. IV. Fig. 19 7
20) Reliquiengeßlss mit Krystallcylinder. XIV. Jahrhundert, Taf. IV. Fig. 20 9
21) Reliquiarium, messing vergoldet, XV. Jahrhundert. Taf. IV. Fig. 21 II
22) Reliquienkiistchcn aus einem beinartigen Material, XII. Jahrhundert. Taf. IV. Fig. 22 . 1.3
23) Reliquienschrein der siehen machabäischen Brüder, XV. Jahrhundert. Taf. V. Fig. 23 1 5
Ehemaliger Schatz von St. Andreas 25
16.
Vier
in Plattstich gestickt, darstellend: Scenen aus der Lebensgescliichtc des
heiligen Hubertus.
Mitte des XV. Jahrhunderts. Durchmesser 40 Gentimeter.
Von kunstreichen Nadelmalereien, wie sie, von der Zunft der Bild-
sticker des alten Kölns angefertigt, ehemals häufig auf Falraen und Vorhän-
gen als grössere Medaillons ersichtlich waren, haben sich heute verhältnissmässig
nur sehr wenige erhalten. Die ebenbezeichneten Nadelmalereien, welche sich nocli
in der Sacristei von S. Andreas vorfinden, können unzweifelhaft als das Aus-
gezeichnetste betrachtet werden, was in Köln in grösserem Maasstabe gegen
Mitte des XV. Jahrhunderts die Bildstickerei hervorgebracht hat; zugleich dienen
die vorliegenden grossen Medaillons zum Belege, dass die Stickerei in der letzten
Hälfte des XV. Jahrhunderts ebenbürtig mit der Malerei den Wettkampf aufneh-
men konnte, und in vielen Fällen für gewisse Zwecke die Malerei bedeutend hinter
sich zurückliess. Die vorliegenden Bildstickereien, mit grosser Meisterschaft, was
das Technische betrifft, ausgetührt, sind zweifelsohne von einem bedeutenden
Maler der damaligen Zeit wahrscheinlich in Farbenskizze angefertigt worden und
sind alsdann, wie es uns scheinen will, vom Maler selbst mit fester sicherer Hand
alle Conturen auf die grobe Leinwand als Unterlage fllr die Stickerei , hingezeich-
net worden.
Die Composition ist, was anatomisch richtige Behandlung der Körperformen
betrifft, in sämmtlidien Darstellungen äusserst edel und sind sämmtliche Gewand-
parthien mit grosser Sorgfalt ohne stylistische Steifheiten und Härten durchgeführt.
In Hinsicht der treflTIichen technischen Ausführung muss gesagt werden, dass
sämmtliche Incarnationstheile so wie die Untergewänder in einem ruhigen regel-
mässigen Plattstich mit feiner Flachseide von einem geübten Bildsticker, wel-
cher seinem Kunstwerk eine grosse Vollendung der Formen zu geben wusste,
ausgeführt worden sind. Alle faltenreichen Obergevvänder sind in dichten Gold-
fäden, zu 2 und 2 nebeneinander verbunden, so zur Darstellung gebracht, dass
l ST. ANDKEAS.
alle Schattiningen in dunkleren Tönen von feiner Haarseide Über diesem Goldfond
angedeutet und durelig;efUlirt worden sind.
Wie schon oben bemerkt, werden in diesen fünf Medaillons die Haupt-
begebenheiten aus dem Leben des h. Hubertus, dessen Andenken die Kirche
bekanntlich am 3. November feiert, kunstreich zur Anschauung gebracht Auf dem
ersten dieser Medaillons erblickt man die wunderbare Bekehrung des gedach-
ten Heiligen, wie ihm nämlich auf der Jagd der Hirsch erscheint, der zwi-
schen dem Geweih das Bild des Gekreuzigten trägt. Auf dem zweiten Me-
daillon ist die Scene, wie der Neubekehrte von Hause und den Seinigen
als Pilger Abschied nimmt und seine Güter^ unter die Armen vertheilen lässt, aufs
kunstreichste in Stickerei vorgeführt. Auf dem dritten Medaillon wrd dem Hei-
ligen die Erscheinung des Engels, der ihm andeutet, was er in nächster Zukunft
beginnen soll. Auf dem vierten Medaillon erblickt man den h, Hubert, wie er
als Pilger in Rom angekommen ist und beim Papste eine gnädige Aufnahme findet.
Das fünfte und letzte Medaillon endlich stellt den Heiligen dar, >vic er die höhe-
ren Weihen empftingt und zum Bischof consecrirt wird.
Es ist schwer zu bestimmen, welchem Medaillon man, hinsichtlich seiner Coni-
position und technischen Ausführung bei den vielen Vorzügen eines jeden einzel-
nen derscll)en, den Vorzug geben soll. Uns hat es scheinen wollen, als ob
dass eine Medaillon, welches >vir im verkleinerten Maasstabe im Bilde wiederge-
geben haben, nicht nur hinsichtlich seiner Composition, sondern auch deswegen
eine besondere Beachtung verdiene, weil auf demselben der Bildsticker die En-
gelsburg mit der dabei befindlichen Tiberbrücke dargestellt hat, zugleich aber auch
das Bild des Papstes umgeben von Cardinälen und Bischöfen, die sämmtlich mit
reichen liturgischen Gewändern bekleidet sind, welche über Form und Omamcn-
tation der päi)stlichen und Cardinais-Gewänder des XV. Jalirhunderts gewünschten
Aufschluss geben. Einer ziemlich verbürgten Tradition nach rühren diese Bild-
werke aus der früheren Klosterkirche der Karthäuser in Köln her und ist es wahr-
scheinlich, dass dieselben, von gestickten Liiubornamentcn umgeben, einem reichen
Festtagsimtipendium daselbst zur Zierde gedient haben oder aber als Medaillons
von Kiix'heufahneu herrühren.
Da bekanntlich die Karthäuser in Köln neben dem beschaulichen Leben,
wozu sie durch ihre Ordensregel verpflichtet wurden, auch verschiedene Künste,
namentlich aber die Bildschnitzerei und Goldschmiedekunst, als Meister, im grös-
sern Umfange übten, so liegt auch die Vermuthung nahe, dass diese pracht^oU
gestickten fünf Medaillons ebenfalls von der kunstgetibtcn Nadel eines Karthäuser-
mönches in Köln herrühren. Später kamen diese merkwürdigen Bildstickereien
in Privatbesitz und wurden dieselben durch den ehemaligen Präsidenten des Kir-
chenrathes von St. Andreas: Joh. Bapt. Farina, (f 1844) der Sakristei der genann-
ten Kirche als Geschenk überwiesen.
ST. ANDKEAii. 5
17 und 18.
Zwei Kirchensiegely
in Messing gestochen.
Das grössere stammend aus dem Beginne des XIII. Jahrhunderts, das kleinere runde Siegel aus dem
Sehluas des XII. Jahrhunderts.
Unseres Wissens nach haben sich heute, da die meisten grossem Kirchen-
siegel von Silber angefertigt waren und durch ihre Schwere zum Einschmelzen
mllkonimene Veranlassung boten , nur sehr wenige Siegel erhalten, welche von
der Vortrefflichkeit der Kunst des Siegelschneiders im alten Köln heute noch
Kunde geben. Dass Köln in den verschiedenen Jahrhunderten des Mittelalters in
seinen Mauern tüchtige Siegelstecher aufzuweisen hatte, bezeugen heute, wo
die altem Originalsiegel meistens abhanden gekommen sind, noch eine Menge von
prachtvollen Siegelabdrucken in rothem, grünem und gelbem Wachs, wie sie sich
in Kirchen und städtischen Archiven noch in Menge an alten Pergamenturkunden
erhalten haben. Auch J. J. Merlo besitzt einige ältere ausgezeichnete Original-
siegel, offenbar köhiischcn Ursprungs und haben wir von dem kunstsinnigen Kenner
der Kölnischen Localgeschichte die Zusage erhalten, diese Originalsiegel älterer
hiesiger Kirchen in einer sjgätem Liefemng dieses Werkes abbilden und beschrei-
ben zu dürfen. Vergleicht man die vorliegenden Siegelstücke hinsichtlich der gross-
artigen Composition und technisch saubem, äusserst fleissigen Ausführung, so muss
man im Hinblick auf unsere heutigen meist form- und werthlosen Kirchensiegel sich
das Geständniss machen, dass das Mittelalter auch anscheinend kleinere Kunstge-
genstände von geringerem Belange und fbr kirchliche Nebenzwecke angefertigt,
mit demselben Fleisse und derselben Pietät, was Composition und Ausführung
betrifft, zu behandeln gewohnt war, welche es gleichmässig bei der Neuschaffung von
grossem und bedeutendem Kunstgeräthschaften und Gefässen überall an den
Tag legte.
Das grössere dieser beiden Kirchensiegel, deren Wiederauffindung der
grossen Sorg< des jetzigen P&rrers von St Andrea« für Erhaltung alt-
kirchlicher Kunstgegenstäude zu verdanken ist, nusst in seiner grössten
Länge 7 Centimeter bei einer Breite von nur 57« Centimeter und zeigt die
ältere oblonge Form der frühem Kirchensiegel, wie sie im 12, und 13. Jahr-
hundert allgemein als grösseres oder Ceremoniensiegel an altern Codicillen noch
heute angetrofien werden. In dem inncrn Medaillon hat der Siegelstecher mit
grosser tecluiischer Meisterschaft in die Metallfläche das Martyrium des Apostels
Andreas energisch eingravirt. Die körperlichen Formen sind mit vieler Natur-
wabrheit sehr edel gegeben, auch die Darstellung des Kreuzestodes des cbenge-
dachten Apostels ist nicht in jener drastischen, schreckenerregenden und unwür-
digen Weise bildlich veranschaulicht, wie das die naturalistische Malerei und
Sculptur in den Zeiten Kul>ens und der niederländischen Meister sich zur Aufgabe
C ST. ANDREAS.
machte, um in der Regel Effect-Darstellimg zu erzielen, die die Geübtheit der
KttnsÜer damaliger Zeit in der schwierigen Darstellung des Nackten anschaulich be-
kundigen sollten. Das Martyrium, die Kreuzigung des Apostels Andreas ist ähn-
lich wie die des Heilandes selbst dargestellt, jedoch mit dem Unterschiede, dasn
der Apostel nicht wie der Meister am Kreuze angenagelt sich zeigt, sondern mit
Stricken an den Kreuzesbalken angebunden ist Auch ist das Andreaskreuz nicht
abgeplattet, sondern als Baum mit runden Balken auf dem vorliegenden Siegel
abgebildet Es scheint, nach dem ebenerwähnten »Siegel und altem Bildwerken
zu urtheilen, dass diese Darstellung des Kreuzestodes des h. Andreas in der romar
nischen und frühgothischen Kunstepoche gang und gäbe waren, und dass in den
Zeiten der Spätgothik und noch mehr in den Tagen der Renaissance die Kreuzi-
gung dieses Apostels, ausgespannt an einem Kreuze (Andreaskreuz), welches bekannt-
lich die Form eines griechischen X hat, häufiger in Aufiiahme gekommen ist In
den 4 I<k;kflächen , gebildet durch die obenbeschriebene Kreuzigung hat der Kupfer-
stecher in spätromanischen Msguskelschriften folgendes Legendarium angebracht:
yj Plus X PI famulus Andreas,^ Um dieses innere oblonge Medaillon ist eine breite
Randeinfassung herumgeftthrt, worin sich ebenfalls in der Künstlerschrift des
XIII. Jahrhunderts folgende schöne Sentenz befindet, die der Jünger des Heilan-
des selbst auszusprechen scheint, mit Bezug auf die Aehnlichkeit seines Martyr-
thums mit dem des Meisters: „f- Jam diu desideravi te amplecti o bona crua:,^
Hinsichtlich der anatomisch sehr richtig darges|ellten körperlichen Formen,
so wie in Rücksicht auf die Anordnung und Behandlung des Faltenwurfs an dem
Hchttrztuch des Apostels glauben wir die Bemerkung machen zu sollen, dass die
Gravuren fllr die Zeit des XUI. Jahrhunderts sehr edel gehalten sind und dass diese
Behandlung und Durchführung der Formen viele Analogie darbietet mit der Com-
position und Ausführung jenes romanischen Bildwerkes des Gekreuzigten, wie wir
dasselbe an dem Kreuzaltare im Dom gleich beim Eingange der Sakristei aufg'e-
fasst und durchgeführt finden. Diese ebengedachten Formen, nicht weniger auch
die characteristischen Majuskelschriften lassen mit ziemlicher Gewissheit erkennen,
dass das vorliegende Meisterwerk der Siegelstecherkunst im ersten Viertel des
XIU. Jahrhunderts angefertigt worden sein dürfte.
Wurde dieses grosse Ceremoniensiegel in der Regel oflSciellen Actenstücken
und Codicillen von grösserer Bedeutung angeheftet, so bediente man sich zur
Beglaubigung kleinerer Schriftstücken von geringerer Bedeutung „arf causas^
.jenes kleinen Siegels (Nr. 17), welches in einer Grösse von 4V« Centimeter sich
ebenfalls noch im Kirchenarchiv von Andreas erhalten hat und zugleich mit dem
vorhergehenden unlängst wieder aufgefunden worden ist Auf diesem Rundsiegel
für kleinere Amtssachen hat der Kupferstecher die Figur des h. Andreas als Brust^
bild dargestellt und zwar ist er hier als Apostel und Verkündiger des Evangeliums
abgebildet, in Basrelief, wie er in der Rechten das Kreuz hält und in der Linken
den h. Text. Das Halbbild ist motivirt und ragt hervor aus einer Lage von über-
eiuandergeschichteten Wolken. Das Kreuz ist ebenfalls nicht in Form eines X,
sondern wieder als lateinisches Kreuz mit stark verlängerten Unterbalken voran-
ST. ANDREAS. 7
schaulicht. Um den Rand liest man folgende Inschrift: ^f S(iffillum) eeclesiae sei
Andreas coL ad causas.^
Wenn uns ein Stylgeftihl nicht täuscht, so dürfte dieses kleinere Siegel,
hinsichtlieh der conventioneilen Strenge und Steifheit in Behandlung der figür-
lichen Darstellung, dem Schlüsse des Xn. Jahrhunderts zuzuschreiben sein.
19.
Messkelch,
Silber vergoldet, in den Formen der Spalgotbik.
Schluss des XV. Jahrhunderts. Hohe 17'/s Centimeter; Durchmesser des Fusses 13 Ccntimeter
4 Millimeter; Durchmesser der Kuppe 9*/i Centimeter.
Vorliegender Kelch dürfte als einer der interessantesten und formschönsten
spätgothischen Kelche bezeichnet werden, wie sie sich heute in wenigen Exem-
plaren vereinzelt in den Sakristeien der Kirchen Kölns vorfinden. , Welchen
Reichthiun Köln vor der letzten Revolution an heiTorragenden Kelchen besass, geht
nicht nur hervor aus den Berichten älterer Augenzeugen, sondern lässt sich auch
annähernd entnehmen aus dem Vorfinden einer grossen Zahl von kostbaren, reich
ausgestatteten Messkelchen, wie wir sie in jenen, heute meist protestantischen
Pfarr- und ehemaligen Stiftskirchen häufig noch gefunden haben, die den Einflüssen
der politischen und religiösen Stürme in den letzten Jahrhunderten fem lagen.
Wir machen hier im Vorbeigehen, mit Bezug auf das eben Gesagte aufmerksam,
auf die vielen prachtv^ollen Kelche in der protestantischen Petri-Kirche in Soest,
in der Stadtkirche zu fieutiingen (Schwaben), dann in dem Schatz der Marien-
kirche zu Danzig und im Schlosse und der Sakristei zu Marienburg. Der in Rede
stehende Messkelch ist einer Inschrift zufolge zu betrachten als bestehend aus
einem altiti und einem neuem Theile. Es dtLrfte nicht schwer fallen, die primi-
tiven Theile von den im Jahre 1551 hinzugeftigten zu unterscheiden. Die Inschrift
auf dem innem Fusstheil, in Silber eingegraben, ergiebt nämlich in lateininchcn
Majuskelschriften der ausgebildeten Renaissance folgende Lesung:
Tnt Jor 1551 haet Jonfer EUsabet a Ilokirge disen alden Kelch neu gissen lasen.
Kost, eir aen golt Silver und mackloin 52 Gulden.
Aus dieser Inschrift geht also hervor, dass eine bedeutende Verändenmg und Re-
stauration auf Kosten einer gewissen Jungft^au von Hochkirchen, wahrscheinlich
einer Wohlthäterin des Stiftes St Andreas, vorgenommen worden ist.
Auf den ersten Blick hin überzeugt man sich, dass die Gesammtfonn des
Fusses vollständig dem mittelalterlichen Pedalstücke älterer Kelche treu entlehnt
worden ist Jedoch zeugen die Profile an diesem Fussstück schon von bedeuten-
dem Einfluss des neuen Kunststyles. Der Fuss ist nämlich, wie das bei den meisten
gothischen Kelchen der Fall ist, in sechsblättriger Rosenforai angelegt, jedoch sind die
8 ST. ANDREAS.
halbkreiBrunden Blätter nicht sehr tief ausgeschnitten. Auf dem Flachtheile dieses Un-
tersatzes befindet sich ein zweites, engeres Fussstück, das vermittelst eines breiten pro-
filirten Ringes kreisförmig aufliegt. Aus dieser Ueberhfthung des Fusses erheben sich
in starker Gra^drung sechs lancettförmig gebildete Blätter, deren Stiele sich nach
oben hin als Hals des Fusses verjüngen und vom Kreis ins Sechseck ttbersprin-
gen. Die Flachtheile dieses Fusses, die durch Profile nicht belebt sind, hat der
Goldschmied des 1 6. Jahrhunderts durch eingravirt« Laubomamente, vollständig 'im
Geschmacke der eben auflebenden Benaissance gehalten, verziert. Als „signaculum^^
des Kelches erblickt man erhaben auf dem Fusse autliegend den „Mann der Schmer-
zen" wie er mit der Hälfte des Körpers aus dem Grabe sich erhebt und seine
Wundmale zeigt, eine Darstellung, wie sie bekanntlich in der altem Malerschule
Italiens, beidenMemmi, Gaddi, unter der Bezeichnung y^Christo al sepolcro% selte-
ner aber in Deutschland, in dieser Auffassung, zu finden ist. Diesem Kreuze ge-
genüber befindet sich aufgenietet ein in der Weise des 16. Jahrhundert formirtes
Wappenschild, in welchem sehr zart eine Kreuzesabnahme gravirt ist Sowohl das
Pflanzen-Ornament, was in gelungener Gravirung der Goldschmied am Fusse ange-
wandt hat, nicht weniger die Form des Wappensehildes, als auch die quadratisch
länglichen Einschnitte am untern Rande des Fusses zeigen deutlich, dass entweder
der ganze Fuss bei der besagten Wiederherstellung im Jahre 1551 hinzugefügt
worden ist, oder aber dass die eingravirten Laubomamente und der untere Rand
an dem altem vorfindlichen Fusstheile als eine Hinzuthat und Verzierung der eben-
gedachten Epoche zu betrachten ist. Auf dem Halse des Fusses erhebt sich eine
sechstheilige Röhre, die vielleicht als primitiver Bestandtheil des altem Kelches zu
halten sein dürfte. Diese Röhre, die nach aussen die Form von zusammengesetzten
Pfeilerbündeln zeigt, wird in ihrer Mitte von einem Knauf als Handhabe des l^el-
ches umgeben, der eine originelle Ausbildung in seiner Fomi zeigt, wie wir eine
solche ähnliche nicht weiter gefunden haben. Dieser „nodus" von einigen Schrift^
steilem auch „fnanubfium, po?nellum^^ genannt, ist stemtörmig im Sechseck ai^e-
legt. Mit dieser Stemform hat der Goldschmied dadm'ch einen Kreis zu verbinden
gewusst, dass er durch die Spitzen desselben eine starke Kordoninm^ gezogen
hat, die kreisförmig um den Knauf herumgeführt ist und demselben beim Anfassen
praktisch eine grössere Bequemlichkeit verleiht. Auch auf beiden Seiten des platt-
gedrückten Knaufes hat der Goldschmied in kleinerem Durchmesser diese Ringe,
als Kordon gedreht, wiederholt Diese aufliegenden Kreise sind jedoch mit
dem Knauf an sechs Stellen durch ringförmige Umfiissungen in Verbindung gesetzt
Es ist schwer zu sagen, ob dieses ^pomellum^ als zu dem alten Kelch gehörend
aufzufassen ist, oder ob diese interessant« Formation bei der oben angeregten
Restauration hinzugefügt wurde. Die kleinen quadratischen Einschnitte in den
Hohlkehlen des Knaufes, die entschieden ein Renaissance-Gepräge haben, wollen
ftlr die letzte Annahme sprechen. Das jedoch kann man mit Sicherheit behaup-
ten , dass die sonstige Bildung des Knaufes in seiner constmctiven Anlage durchaus
als eine gothische zu betrachten ist, wozu sich zweifelsohne an den zahlreichen
gothischen Kelchen Kölns viele Parallelen und Analogien ehemals vorgefunden
ST. ANDREAS. 9
haben dürfen. Noch machen vnr auf die Verdeckung durch kleinere blattförmig
gebildete Silberbleche aufmerksam, wodurch die Verbindung der Röhre mit dem
Fusse, dem Knauf und der Kuppe angestrebt wird. Die Kuppe rührt unstreitig,
wie das ihre strenge Formation besagt, von dem altem Kelche her und mochte
dieselbe bei der Bestauration mit den übrigen Theilen des Glefässes bloss eine neue
Vergoldung erfahren haben. Offenbar sind auch die sechs gegossenen und ciselir-
ten Laubomamente, die als gothische Blättchen den untern eiförmig sich zuspitzen-
den Theil der Kuppe umgeben, von dem früheren Kelche herübergenommen und
ohne organische Verbindung mit den übrigen Theilen an dieser Stelle aufgelöthet
worden. £s dürfte schwer sein, ein bestimmtes Alter fUr die primitiven Theile
des vorliegenden Kelches anzugeben; jedoch scheinen dieselben kaum 150 Jahre
älter zu sein , als jene Ornamente und Hinzuthaten , die derselbe gegen Mitte des
16. Jahrhundert erfahren hat Bei den vielen Kelchen, die heute im gothischen
Style neu angefertigt werden, wovon der grossere Theil offenbar an einer fast
ausschliesslich constmctiven Auffassung und einer zu strengen architektonischen
Ausbildung der Details leiden, möchten bei Compositionen die praktischen und be-
quemen Formen an dem vorliegenden Kelche als Anhaltspunkte zu empfehlen sein.
Auch die Verhältnisse der einzelnen Theile zu einander, in deren richtigem Zu-
sammenwirken der Hauptvorzug der Kelche, wie überhaupt sämmtlicher kirchlichen
Kunstgeräthe zu suchen ist, dürften bei diesem Kelche in jeder Beziehung als
schön und ebenmässig zu bezeichnen sein.
Die Patene des Kelches, die, wie das an den altem Patenen überall der
Fall ist, eine tellerförmige Vertiefung zeigt, wodurch dem Herunterschieben leich-
ter vorgebeugt wird, scheint uns ebenfalls bei der letzten Wiederherstellung des
Gefässes durch Elisabeth von Hochkirchen neu hinzugefügt worden zu sein, wie
das das eingravirte Kreuz, wodurch die Stelle zum AnfS^ussen bezeichnet werden
soll, mit seinen Strahlen ziemlich deutlich anzeigt. Auch das „ Agnus Dei^, symbo-
lisch dargestellt als Lamm, welches das ,jVeanUum^ als Zeichen der Auferstehung
und des Sieges über Tod und Hölle hält, besagt in seiner AufiSsussung und Styli-
sinmg deutlich, dass der neue über die Berge gekommene Styl auch in Köln um
das Jahr 1551 festen Fuss gefässt hatte.
20.
Schangefäss,
in Form einer zierlichen kleinen Monstranz, Messing vergoldet.
Höhe 37 Cent. ; Durchmesser des Fusses 1 1 Cent. — XIV. Jahrhundert.
Unter den vielen Reliquiengetässen, die heute noch nach so vielfachen Stür-
men die Sacristeien der Kirchen des „heiligen Köln" zieren, finden sich verhält-
nissmässig nur noch sehr wenige vor, die jene interessante Epoche kirchlicher
2
10 8T. ANDREA8.
Groldseliuiiedekunst cliarakteriBiren, wo der „auritaber" fast gezwungeu die reiclieo,
«einem Materiale so sehr zusagendeu Formen der Thier- und Pflanzenwelt aus
Händen legte und in seinem Gewerke die mehr rationaliBtischen , conatructiven
Formen der Architektur mit ihren starren Regeln in Anwendung kommen
Hess. Das vorliegende GelUss in seinen zierlichen, wenn auch einfachen und
schlichten Detailformen bezeichnet grade jene Epoche, wo die Romantik in
der Goldschmiedekunst aufhörte und die Gothik mit ihren architectonischen For-
men den ersten, wenn auch noch unscheinbaren Einfluss gewann. Wie ein Blick
auf die Zeiclmung besagt, tritt die Architectur noch nicht rein und unvermischt auf,
sondern der Künstler bediente sich für seine omamentalen Zwecke einer freiauflie-
genden Laubguirlande, deren Formationen der Natur nachgebildet sind. Das in Rede
stehende Geläss dient heute dazu, einen kleinen runden Krystallcylinder zu umfassen,
der zur Aufiiahme von Reliquien bestimmt ist. Diese Krystallröhre erhebt sich auf
einem runden Sockel, in ihrem grössten Durchmesser von sechs Centimeter, der
ebenfalls mit einem kunstreich ciselirten Geflechte von vielfach gestaltetem Laub-
werk umwunden ist. Dieses Blätterwerk liegt frei auf und zeigt einen platten
Tiefgrund, wodurch diese Ornamente mehr zum Vorschein treten. Unter den
schön stylisirten Blättchen machen sich kenntlich ein scharf markirtes Epheublatt,
eine ftinfblätterige Rose, das Kleebatt und an einer Stelle auch das Laub der Rebe.
Man sieht es diesem delicat gearbeiteten Blätterschmucke an, dass er mit feinem
Formsinn, mit vielem Gefühl und in edler Technik ausgearbeitet worden ist. Dieser
untere Sockel verjüngt sich nach unten hin trichterförmig und mündet ein
vermittelst eines Ringes in die Röhre des Ständers, der in der Mitte durch einen
kunstreich gefonnten Knauf im grössten Durchmesser von 2V2 Centimeter vor-
theilhaft belebt wird. An diesem „pomellum" in getriebener Arbeit erheben sich
stark heiTorspringend sechs kleinere 'Pasten in Rhomboidenform über Eck ge-
stellt, die auf ihrer Fläche eine kleine Silberplatte zeigen. Diese mit Nigello
ausgefüllte Platte lässt in Vergoldung und gravirten Arbeiten ein Reben-
blatt als Ornament erkennen, das theilweise mit einer schön stvlisirten
nfi^ir de Us^ geschmückt« ist. Bei dieser j^francica^ oder ,^franciska^, die
als Lilie schon vor der Zeit Ludwig des Heiligen in das Wappen Frankreichs
aufgenommen >vurde, hat man nicht sofort an ein heraldisches Abzeichen Frank-
reichs zu denken, sondern wie das Didron in seinen j^ Annales archaeologiques^
weitläufiger nachgewiesen hat, war die Muttergotteslilie bereits im 12. und 13.
Jahrhundert ein sehr beliebtes Ornament, dessen sich die Kleinkttnstler des Occi-
dentxis in der Sculptur, Malerei, Goldschmiedekunst und Stickerei \ielfach in den
verschiedensten Modificationen bedienten. Der kreisförmig gebildete Fuss zeigt
keinerlei eingravirte Ornamente und ist glatt mit kleinem ansteigendem Halse ge-
halten. Die ineinander verschlungene Blattverzierung, die an dem Untersatze des
Reliquiariunis vorkommt, kehrt in denselben Formen am obem Deckverschluss als
Guirlande zurück. Das Getäss schliesst oben mit einer glatten Fläche, auf welcher
sich, als Kegel pyramidalfönnig aufsteigend, ein kleiner Helm in Weise einer Be-
dachung ansetzt, dessen platte Flächen oben mit einem Knauf abgeschlossen und
8T. ANDREAS. 1 1
bekrönt wird. Nebeu diesem mittlem Helm hat der Goldschmied vier Thürmcheu
als architektonisches Beiwerk anzubringen gewusst, die iu derselben Weise und
in analogen Formen den mittleren Dachhelm so ilankiren, wie an dem Thurnie
zu St Martin die vorspringenden Nebenthttrmchen den mittlem iiauptcoloss um-
stehen. Zwischen diesen vier Thürmen hat der Goldschmied des Mittelalters, um
die Leere des Raumes auszufüllen , noch vier Wasserspeier anzubringen nicht
unterlassen, die hier ohne besoudera Zweck als schuldlose Ornamente zu betrach-
ten sind. Die vier Thttrmchen sind bedeckt mit kleinen konisch geformten Dach-
helmchen, in welchen in Gravirungen die Schiefer schuppenföraiig angedeutet
sind. Das G^fäss findet seinen Abschluss, wie oben schon angedeutet, in einem
mit tiefen Rippen eingeschnittenen Knopf, der als Sockel imd Unterlage ehemals
diente, auf welchem sich ein Kreuzchen erhob, das ohne Zweifel in seinen Kreuz-
balken die beliebte Lilienform wahmehmen liess. Diesem Knaufe fehlen ebenfalls nicht
auf seinen Flächen kleinere Ornamente ^^i nigello.^ Diese Arbeiten in Schwarzmanier
erinnern noch deutlich an die eben zurückgelegte romanische Periode der Gold-
schmiedekunst, wo der Groldschmied mit Vorliebe aus dem Bereiche des Emails,
des Nigells, der ciselirten und gravirten Arbeiten seine kunstreichen vielgestalti-
gen Bildungen zu entlehnen wusste, \xm grössere und kleinere Flächen damit oma-
mental zu beleben. Leider hat der Ungeschmack des vorigen Jahrhunderts dieses
zierliche, interessante Getäss zu beiden Seiten auf eine grobe Weise mit zwei Fltt-
gelstttcken umgeben, in Rothkupfer versilbert, die den nichtssagenden Zopf in
greller Form zu Tage treten lassen. Hoflfentlich werden diese lächerlichen und
höchst entstellenden Zuthaten nächstens beseitigt werden. Es kann nicht dem
geringsten Zweifel unterliegen, dass das vorliegende Gefäss in Rücksicht auf die
obenbeschriebenen Detailformen als Entstehungszeit den Beginn des 14. Jahrhun-
derts zu beanspmchen habe, wo der Goldschmied von den neuen Bildungen
Kenntniss nahm, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts sich auch in Köln Bahn
gebrochen und wo eben vorher in der Architektur die romanischen Formen sich
zur höchsten Blüthe und Vollendung entfaltet hatten.
21.
ReliqniariniD,
fast in Form eines Kreuzes, aus mehreren der Zeit nach verschiedenen
Bestandtheilen /usammengeselzt.
Der obere Theil aus dem 15. Jahrh. Uühe 38 Centimeter. — Durchmesser des Fusses 13 Ccntimeter
Nach Aulhebung des Stiftes von 8t. Andreas scheinen sämmtliche Kirchen-
schätze in den Wirren zu Anfang dieses Jahrhunderts verschwunden zu sein, und
haben sich nur einzelne wenige solcher Reliquiarien bis zur Stunde erhalten, deren
Fassimg nicht aus edlen Metallen war. Das vorliegende Reliquiar besteht offenbar
12 ST. ANDREAS.
aus 3 StttckeB, die zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Meistern an-
gefertigt worden sind. Der untere Fusstheil mit Stender und Knauf rtlhrt offen-
bar, wie das der Augenschein lehrt» von einem altem Messkelche her. Der Fuss,
wie gewöhnlich, eine sechsblättrige Rose bildend, ist nämlich noch mit dem Sig-
naculum, einem eingravirten Kreuz versehen, das in verwandter Form auf gothi-
schen Kelchflissen niemals fehlt Auf einer daneben befindlichen Ausrundung des
Fusses liest man das eingravirte Legendarium: ora p. D, (pro Domino) Henrice
Balten. R R A. 161 8. Offenbar ist diese Inschrift, mehr als 1 00 Jahre jünger
als dieser Theil eines ehemaligen Kelches, in Bothkupfer vergoldet Auf dem
schlanken Halse dieses Pedale erhebt sich im Sechseck gehalten die ^JUtiäa^^ die
in ihrer Mitte einen kleinen Knauf trägt mit eingravirten Ornamenten, die bei
aller Einfachheit und Derbheit von guter Wirkung sind. Auf dem obem Theile
der Bohre befindet sich als zweite fremdartige HinzuftLgung ein grosserer Knauf
im Durchmesser von 7 Centimeter, der aus Bothkupfer getrieben und vergoldet,
pflanzeniörmige Windungen zeigt und Beweis ablegt, dass der Anfertiger dessel-
ben eine grosse Fertigkeit in Herstellung von getriebenen Arbeiten sich zu eigen
gemacht hatte. Dieser grössere Ejiauf , der nicht im mindesten in organischer
Verbindung mit dem obem und untern Theile des vorliegenden Ostensoriums steht,
scheint uns nach mehreren Analogien zu urtheilen , ehemals als ^pomeäum, nodus^
gedient zu haben, in Weise einer Bekrönung des Kopftheiles an einem schweren
seidenen Quasten, womit an den altem Pluvialen der hintere Schild (capulum) in
der Begel verziert war. Ueber diesen Knauf erblickt man horizontal gelegt einen
runden Crystall-Cylinder in der Länge von lOV^ Centimeter, der an den beiden
Kopftheilen mit einfachen Kapseln verschlossen ist Auf diesen Ein&ssungs-Bin-
gen erheben sich in Messing gegossen, in sehwacher Ciselirung zwei Standbilder
der Apostel, die kenntlich sind durch Spmchbänder, auf welchen die Namen ein-
gravirt sind: R. S. Andreae, R, 5. RaulL Zweifelsohne repräsentiren diese beiden
Statuetten jedes in der Grösse von 8 Centimeter, jene Heiligen, deren Grebeine
ehemals in kleinen Bmchtheilen in dem obengedachten Cylinder verschlossen wa-
ren. Heute noch erblickt man in der vorerwähnten Ciystall-Böhre eine grössere
Zahl von Beliquien, sorgfältig in Seide eingewickelt, deren Inschrift auf Perga-
ment deutlich besagt, dass dieselben in dieser Fassung im 1 7. Jahrhundert hinein-
gefügt worden sind. Es befinden sich, den Inschriften auf diesen „schedulis^ zu-
folge, Ucberbleibsel verschiedener Heiligen, als: ReL S. Barbarae, 5. Simonis,
S. Georgit, 5. Silvestris, De Stola S, Joh. EvangeUstae, In Mitten der eben
gedachten Figuren erhebt sich in vertikaler Bichtung ein zweiter im Achteck ge-
schliffener Bergkrystall in der Länge von 7 Centimeter, der, der primitiven In-
schrift auf Pergament in gothischer Minuskelschrift zufolge, ein grosses Gebein
vom Apostel Andreas enthält In dieser polygonen Krystallröhre befindet sich noch
von einem andern kirchlichen Gefäss, als kleines Medaillon herrührend eine klebe
Scheibe mit dem bekannten Hierogramm des Heilandes „ J. H, S^, das in gothi-
scher Minuskelschrift „en nigello^ eingelassen ist Der Krystall-Cylinder wird ver-
schlossen und überragt in seinem obem Theile von einem kleinen thurmartigen
ST. AJIDSEAS. 13
Helme im Viereck angelegt, der auf seinen vier Seiten mit je 2 kleinen Fenster-
stellungen im Spitzbogen ä Jour durchbrochen ist Uebcr diesen vier. Spitzbogen-
Feldern hat der Goldschmied yier kleine Giebel angebracht, die mit einfachen
Krabben omamentirt sind. Aus der Formation dieser Ornamente lässt sich mit
ziemlicher Sicherheit der Schluss ziehen, dass dieselben der Früh-Gothik, dem
Beginne des 14. Jahrhunderts angehören dürften. Mit dieser Annahme stimmt
auch ttberein die Haltung und die Drappirung der Gewänder an den beiden oben-
gedachten Statuetten, die in ihrer rohen Ausarbeitung doch ein bestimmtes mar-
kirtes Stylgepräge verrathen. Der obere Aufsatz dient ebenfalls als Beliquien-
behälter, jedoch sind die Inschriften bei den engen Durchbrttchen der Fenster-
stellungen nicht lesbar. Das Ganze findet seinen Abschluss in einem Kreuzchen
von Rothkupfer, über dessen Ursprung und Herkommen bei den unbestimmten
Detailformen desselben sich schwerlich eine begründete Hypothese aufstellen lässt
Schliesslich sei noch bemerkt, dass zu diesen 2 Bohren in Bergkrystall ursprüng-
lich noch ein dritter Cylinder sich betunden haben dürfte, der nach unten stei-
gend den Langbalken des Kreuzes formirt hat
22.
Reliqnienbehälter,
mit farbigen Platten eines elfenbeinartigen Materials überlegt.
XII. Jahrhundert Länge 15'/i Centimeter; Höhe 5 Centimeter 8 Millimeter; Breite 9'/s Gentimeter.
Dieses Beliquienkästchen in Schatzverzeichnissen auch „ladula ebumea^,
yfdstttla^ genannt, bildet eine merkwtlrdige Parallele zu den beiden unter Nr. 2 u. 5
beschriebenen höchst merkwürdigen Beliquiarien von St Gereon. Der vorliegende
Behälter ist, was seine Form und seine Details betrifft, nur um etwas einfacher
und anspruchsloser ausgestattet Wie an dem unter Nr. 5 beschriebenen Reliquien-
kästchen von St Gereon, sind auch an dem vorliegenden mehrere Kompartimente
einer Beinmasse ersichtlich, die durch eine röthliche Beitze hellroth gefärbt wor-
den sind; und zwar sind diese rothgefärbten Theile gleich Ornamenten, um eine
Abwechslung im Farbton zu erzielen, als Ftülungen in den Ivfittelstücken angebracht
und von Platten im natürlichen weissen Farbton umgeben. Die vier Seiten- der
kleinen im Rechteck gehaltenen Lade zeigen, kreisförmig nebeneinander stehend,
dasselbe eingravirte Ornament, wie es auch in derselben Weise an dem grossem
Reliquienschrein von St Gereon ersichtlich ist; und zwar ist dieses nicht nur auf
den weisslichen Knochentheilen angewandt, sondern auch in ähnlicher Weise
zurückkehrend auf den rothgebeizten Deckplättchen, womit die innern Flächen die-
ser vier aufrechtstehenden Theile des Kästchens ausgefüllt sind. Die Kreise in
diesen angerötheten Belegplättchen sind a jour durchbrochen und lassen , unseres
Dafürhaltens nach, zu Tage treten dünne Widerlags-Plättchen von durchsichtigem
14 8T. ANDBEAS.
Hom, die auf ihrer Hinterseite ehemals stark verg;oldet gewesen zu sein scheinen.
Man wird sich erinnern , dass dieselben vergoldeten Homplättchen auch hinter den
Durchbrüchen des grossem Reliquienkästchens von S. Gereon wahrnehmbar sind.
Reichere Formen und Durchbrechungen sind angewandt auf der obem Deckplatte,
der eine Länge von 1 1 Centimeter 8 Millimeter hat , bei einer grössten Breite von
ö Centimeter. Auch diese Platte in Farbe angeröthet, zeigt zwei Reihen Oefihun-
gen in runden Kreisen und ist omamentirt in der Mitte durch eine grössere
ujour Durchbrechung, deren originelle treppenförmig zu einem Kreuze ansteigende
Formen beweisen, in welchem Lande und in welcher Zeitepoche vorliegende y^ar-
aila quadrata ^ ihre Entstehung gefunden habe. Es zeigen sich nämlich diese geo-
metrisch construirten Formen frappant übereinstimmend nicht nur mit den herr-
lichen Gk)ldemails (emaux claisotmis), womit äusserst reich die Pontificalge-
wänder an den Säumen aufliegend verziert sind, die zum Krönungsapparate der
deutschen Kaiser ehemals gehörten, sondern dieselben Bildungen kommen auch vor
in den vielfarbigen Emails, womit die beiden reichen Krömmgsschwerter altdeut-
scher Kaiser belegt sind. Diese treppenförmig ansteigende Verzierung stellt sich
in vielfarbigen Emails dar, in mannichfacher Modification und rühren diese eigen-
tbümlich gebildeten Verzierungen her, laut der gestickten Inschriften, (Kufen- oder
Neschi-Schriften) von der geschickten Hand maurischer Künstler in Sicilien. Ein
zweiter Grund, dass auch die vorliegende „/arfw/a" von Orientalen ihre Entstehung
gefunden habe, ist darin zu suchen, dass dieselben Ornamente, wie sie oben beschrie-
ben wurden, auch an der „Pff^ ebumea^ vorkommen, die durch eine Neschi-In-
Schrift auf dem Deckel ihren Ursprung als herübergebracht „(Toutre mer^ hinlänglich
bekundet. (Vergl. die Beschreibung unter Nr. 2 der Reliquienbüchse von S. Gereon.)
Hinsichtlich der Zeit der Anfertigung kann mit Grund behauptet werden, dass
das vorliegende Reliquienkästchen an einem der HauptrStapelplätze der Kreuz-
fahrer in jenem Jahrhundert seinen Ursprung gefunden habe, als unter Ludwig dem
Heiligen die letzten Anstrengungen zur dauernden Besitzergreifung der heiligen
Stätten von Seite der abendländischen Ritter gemacht wurden. Möglich bleibt es
aber auch immerhin, da bckanntlicb die Detailformen im Orient und in Byzanz
stagnirönder und nicht dem beständigen Wechsel unterworfen waren, dass das
vorliegende interessante Schreinchen, vielleicht immittelbar nach dem Falle von
Konstantinopel, im Anfange des 13. Jahrhunderts von abendländischen Kreuzfah-
rern, gefhllt mit Reliquien, heimgeführt worden ist.
ST. ANDREAS. 15
Grosser Reliqnieii-Sehrdii,
bekannt unter dem Namen ,,der Macbabäer-Kasten^ in Messing vergoldet, mit
vielen getriebenen Reliefarbeilen, XV. Jalirbundert.
Grösste Höhe 97 Centimetcr. Breite 57 Centimeter. Grösste Länge l*i Decimeter. Die untere Qua-
drat-Lilnge 17 Centimeter. Breite 15 Centimeter. Jede der 4 Statuetten auf den 4 Ecksäulchen
l5'/s Centimeter.
Wenn auch die luittelalteriiche (jrold8chmiedekun»t heute in den Sacristeien
Kölns nicht repräsentirt wäre durch eine grössere Anzahl von kleineren liturgi-
schen Gegenständen für den täglichen Ältarsgebrauch, so würden allein schon die
wenigen noch in Cöln erhaltenen Reliquienschreine, für sich allein betrachtet, hin-
reichendes Zeugniss ablegen, welche Höhe der Entwickelung und Ausbildung das
Golschmiedegewerk in der Metropole am Rhein, die verschiedenen Jahrhunderte
des Mittelalters hindurch, erstiegen hatte. In diesen meist kostbaren Reliquien-
schreinen lässt sich nicht nur nachweisen die Blttthezeit der Schmelz- und Emaille-
kttnste, wie man dieselben bereits im XI. und XII. Jahrhundert innerhalb der
Mauern Kölns mit grosser Fertigkeit übte, sondern auch die entwickelte Gothik
und sogar die Ausartung der altdeutschen Kunstweise findet in diesen grossen
Schrein- Werken eine ziemlich vollständige Vertretung.
Was flir kunstreich emaillirte Darstellungen das grossartige y^scrmium^ des
heiligen Heribert in der Pfarrkirche zu Deutz, aus dem Beginne des XII. Jahrhun-
derts ist, was femer für die Vollendung der getriebenen figürlichen Arbeiten das
prachtvolle Schrein-Werk der h. 3 Könige im Dome tür den Schluss des XII. Jahr-
hunderts bietet, das zeigt für die letzte Hälfte des XV. Jahrhunderts der vorliegende
unvergleichlich reich gearbeitete Reliquienkasten der sieben machabäischen Brüder,
dessen Besitzes, nach Abbruch der alten Machabäerkirche , sich heute die Pfarr-
kirche von St. Andreas mit Recht rühmen kann. Es beweist nämlich dieser kost-
bare Schrein, welche grosse Leichtigkeit und manuelle Fertigkeit die Meister der
kölnischen Goldschmiedezunft in der schwierigen Kunst des Treibens in Rothku-
pfer, gegen Ausgang des Mittelalters, sich zu eigen gemacht hatten.
In Hinsicht auf Grundriss und äussern Aufbau des „Machabäerkastens'^ kann
gesagt werden, dass die Goldschmiedekunst des XV. Jahrhundert sich in der
äussern Form und Grundanlage strenge an die überlieferte fast typische Form der
grossem Schreinwerke gehalten hat, wie dieselben das 12. und 13. Jahrhundert
mit allem Reichthum der Details aufgestellt hatte. Der vorlieg;ende Reliquienkasten
bildet nämlich ein kunstreiches Mausoleum, in Form eines länglichen architectonisch
constniirten Bauwerkes, das in einem ausgeprägten Style des 15. Jahrhunderts in
seinen mit Maasswerk durchbrochenen Widerlagspfeilem die Ausartung der Gothik
deutlieh wahmehmen lässt. Wenn nun auch der Goldschmied in den Grundfor-
men seines Kunstwerkes eine strenge architektonische Eintheilung der verschiede-
nen Flächen vonvalten Hess, so hat er doch den architektonischen Ernst, den das
IC) ST. ANDREAS.
Schreinwerk in seiner äussern Erscheinung macht, dadurch zu mildem gewusst*
dass er zur Belebung der Flächen, sowie auch in der Ausstattung einzelner con-
structiven Hauptiheile eine Menge getriebener und eiselirter figürlicher Darstellun-
gen zur Anwendung gebracht hat
Als Grundlage des Schreines hat der kölnische Goldschmied einen Sockel
gewählt, den er mit Spitzbogen-Verzierungen und dem 'bekannten gothischen Na-
senWerk ausfüllte und verzierte. Auf dieser Basis hat er an den beiden Lang-
seiten 8 Widerlagspfeiler als Streben grundgelegt, die er auf den vier Ecken je
doppelt zur Verstärkung anbrachte. Die breiteren Sockel, auf welchen diese
mit Maasswerk durchbrochene Streben, nach oben sich wenig verjüngend auf-
steigen, werden in '/4 ihrer Höhe von einem abgeschrägten stark profilirten Sons
auf eine merkwürdige Weise durchschnitten, wodurch sich 5 vertiefte Bäume aiif
jeder Langseite des Schreines bilden, sowie auch zwei vertiefte Flächen an den
Kopfseiten. Diese vertieften Füllungen hat der Künstler {mssend in ä jaur durch-
brochener Arbeit auszustatten gewusst, durch eine Inschrift in spät gothischen
Majuskel-Schriften, welche über das Herkommen der darin enthaltenen Reliquien-
Schätze, sowie über die Anordnung und Zusammenstellung der auf den Flächen
des Schreines zur Anschauung gebrachten Bildwerke nähern Aufschluss gibt Sie
lautet:
„Arckiepücopus ReginaUbu htdc Ursuleo agro attulit anno 1164 saera septem
Maccabaeorum corporoy salvataris nostri poidonem ac dhsae Satomanae matrü earum
beatae Mariae dolore* praeßgurantium.*^
Zwischen den ebengedachten sechs Widerlagspfeilem, befinden sich auf jeder
Langseite des Beliquienschreines, in zwei Reihen geordnet, zehn quadratisch-ge-
formte Bildwerke, die in prachtvoll getriebenen Basreliefs sinnig in der obem
Abtheilung die Hauptscenen aus der Leidensgeschichte des Heilandes und in der
untern Abtheilung als ParaUele, gleichsam als typisches Vorbild im alten Testa-
mente, die Martyrergeschichte der sieben machabäischen Brüder zur Darstellung brin-
gen. Auf diese Weise ist die in Zeichnung abgebildete Langseite des Schreines
mit zehn getriebenen ReliefdarsteDungen verziert, wovon die fiinf obem der Passion
des Heilandes, die' fünf untern Reliefs dem Martyrium der sieben israelitischen
Heldeiyünglinge angehören. Diese sämmtlichen Reliefdarstellungen, im Quadrat
gehalten, sind von einer baldachinförmigen Nische überragt Diese Baldachine
treten an den Reliefs in der oberen Reihe freier heraus, zeigen reiche Durch-
brechungen und schliessen die Spitzgiebel derselben über dem Daehgesims sämmt-
lich* ab mit einer gothischen Kreuzblume. Die Langseiten des Schreines werden
über der Reihe der Relief-Darstellungen mit einem kräftig ausladenden Gesims
abgeschlossen, das oben mit einer Kammbekrönung verziert ist Auf den Wider-
lagspfeilem ist die Kammverzierung gleichmässig fortgeführt, und erheben sich
auf dem Plateau dieser Widerlagen knieende Engelsgestalten, die breite Spruch-
bänder in Händen halten. Gleichwie die beiden Langseiten des Machabäerschreins
mit je zehn Basreliefs geschmückt sind, so hat der Künstier auch die Abschrä-
gungsflächen der Bedachung nicht ohne bildlichen Schmuck gelassen, und zeigen
ST. ANDREAS. 17
«(ich auf jeder derselben gleichfalls wieder zehn Quadraturen in getriebener Arbeit,
die etwas flacher im Relief, als die untern Bildwerke gehalten sind. Die fbnf in
der untern Reihe befindlichen Darstellungen nehmen Bezug auf die feierliche Ueber-
tragung der Ueberbleibsel der vorchristlichen Glaubenshelden nach verschiedenen
Hauptstädten des Orients und Occidents. lieber diesen ebengenannten Darstellun-
gen sind ftonf Reliefs kunstreich ausgefllhrt, welche sinnreich biblische Scenen
veranschaulichen, die sich auf die Verherrlichung des Heilandes im gloriiicirten Leibe
nach seiner Auferstehung beziehen. Auf der entgegenstehenden Bedachungs-
fläche zeigen sich wiederum zehn figurenreiche Basreliefe, wovon fünf in der untern
Reihe Begebenheiten aus dem Martyrium der heldenmttthigen Salomone, Mutter
der Machabäisehen BrOder darstellen. In der obem Abtheilung erblickt man hier
parallel fünf gleich grosse Quadraturen , die, analog mit den ebengedachten Dar-
stellungen, bildlich veranschaulichen fhnf Momente, entnommen aus den sogenann-
ten sieben Schmerzen Maria's, als Mutter desjenigen, der als Heiland fiir das ganze
Menschengeschlecht die Marter und Leiden geduldig erlitten hat, die in den zehn
Quadraturen auf den Langseiten des Schreines im Bildwerke veranschaulicht sind.
Gleichwie nun der geistreiche Componist des vorliegenden Reliquienkastens, d^r
obengedachten Inschrift gemäss, das Leben und Leiden der machabäisehen Brüder
und ihrer Mutter in schöner Parallele mit dem Leben und Leiden des göttlichen
Erlösers und seiner jungfräulichen Mutter typisch durchgeitthrt und veranschau-
licht hat, so hat er auch nicht unterlassen, an den grossen Hauptflächen, die sich
ihm an den beiden schmälern Kopfseiten des Reliquienkastens darboten, gleich-
massig zu benutzen, um hier die Aufnahme und Verherrlichung der machabäisehen
Brüder und ihrer Mutter zu veranschaulichen. Auf der einen Hauptseite sieht
man nämlich auf einer grossen getriebenen Platte in einer Höhe von 84 Centim.
in treffliehen Basreliefs die 1 2 Jünger, wie sie, im Beisein der allerseligsten Jung-
frau, den Oelberg umstehen und ihren Blick zu dem Heimgegangenen emporrich-
ten, den eine lichte Wolke ihren körperlichen Augen entrückt hat. In der darüber
befindlichen mittleren Darstellung thront der Heiland in den Wolken des Himmels,
von adorirenden Engeln umgeben, wie er als Sieger über Tod und Hölle das Ban-
ner der Auferstehung emporhält; über dem triumphirenden Heiland zurückkehrend
zu der Herrlichkeit^ wie er sie von Anbeginn hatte, erblickt man als Basrelief die
beiden anderen Personen der Trinität, den heil. Geist in Gestalt der Taube und
darüber Gott den Vater mit der Thiara; die erhobene Rechte segnet und in der
Linken hält er die Weltkugel.
lieber dem Oelberge , den die Jünger umstehen , zeigt sich als zweite Scene
eine andere Gruppe, darstellend den Heimgang und die Aufnahme jener Helden-
brüder, die für den Glauben gelitten und nach ausgestandener Marter die Palme
der ewigen Vergeltung zu empfangen im Begriffe stehen. Diese Verherrlichung der
sieben Brüder mit ihrer Mutter hat der Künstler schön darzustellen gewusst, wie
sie nämlich in einem faltenreichen Tuche von Engeln gehalten in den Schoos Abrar-
ham's y,m limbum patrum^ getragen werden. An der entgegengesetzten Kopfseite
erblickt man die bei weitem kunstreichste und gelungenste Reliefdarstellung näm-
3
18 ST. ANDBEAS.
lieh den Moment naeli der Aufnahme in den Himmel, die feierliche Krönung. Die
leitende Idee, die den Künstler bei der Composition dieser schönen Scenerie vor*
geschwebt hat, war zweifelsohne die: wie Maria die Gottesmutter, durch sieben-
faches Leiden die Krone des ewigen Lebens nach ihrer Aufnahme in den Himmel
aus den Händen ihres göttlichen Sohnes empfangen hat, so wurde auch der ma-
chabäischen Mutter mit ihren sieben Söhnen, nach muthig ausgerungenem Kampfe,
die Krone der Vergeltung zugleich mit ihren Söhnen tiberreicht In der oberen
Hälfte der grossen Giebelfläche ist nämlich in der bekannten oft yorkommenden
Weise die Krönung Maria's, vollzogen von den drei göttlichen Personen vortrefflich
dargestellt. In der untern Hälfte erblickt man, in der Mitte, die Mutter der Ma*
chabäer, wie ihr von schwebenden Engeln die heldenmttthig verdiente Krone auf»
Haupt niedergelassen wird. Dass in gleicher Weise ihre Söhne an dieser Krönung
Äntheil nehmen, hat der Künstler sinnig zu vermitteln gewusst, dadurch, dass in
dem von Engeln gehaltenen, faltenreichen Mantel die sieben Söhne gleichmässig
umschlungen und vereinigt werden.
Wie wir schon fillher andeuteten, sind die Strebe -Widerlagen an den
vier Ecken des Schreines gedoppelt hingestellt Den Zwischenraum zwischen
diesen beiden Widerlagen hat der Künstler dadurch passend auszuftillen ge-
wusst, dass er auf viereckigen Sockel kleine, gewundene Rund -Säulchen ge-
stellt hat, die auf der oberen sechseckigen Abschrägung über dem Capital die
getriebenen Standbilder von Heiligenbildern tragen, die mit den Reliquien
der sieben Machabäer und ihrer Mutter in Verbindung stehen. An dem einen
Kopftheile erblickt man nämlich unter einem baldachinartigen Vorsprunge die in
Rothkupfer getriebene vergoldete Statuette der ersten christlichen Kaiserin He-
lena,' deren Darstellung dadurch berechtigt ist, gegenüberstehend der Sta-
tuette des h. Makarius, Bischofs von Jerusalem, dass, der Tradition nach
die Gebeine der sieben Machabäischen Märtyrer von der Kaiserin Helena wieder
aufgefunden und vom h. Makarius erhoben worden sein sollen. An der einen Stelle
erblickt man an der entgegengesetzten Kopfseite, gleichfalls auf freistehenden
Rundsäulchen sich erhebend, rechts die Statue des Salvators mit der Welt-
kugel und gegenüberstehend das Standbild der Madonna als Himmelskönigin.
Auf der breiten Abschrägung als Bedachung dieser vier gedoppelten Widerlags-
Pfeiler erheben sich, wie auf einer Console, die sitzenden Bildwerke der vier Evan-
gelisten, die, sämmtlich dabei befindlichen symbolischen Thiere, mit Abfassung
der heiligen Texte beschäftigt, dargestellt sind. Die Giebelschrägen, die die bei-
den Kopftheile des Schreines dachförmig bekränzen, münden nach oben aus
in Darstellung eines Engels mit sechs Flügeln „i'CanT€QOi'* wie solche geflü-
gelte Bilder von Engeln mehr der Kunst des Orientes als der des Occiden-
tes eigen sind. Die Giebelleisten selbst sind nach hintenhin mit den bekann-
ten gothischen Krabbenblättem reich ausgestattet In der vorderen Hohl-
kehle dieser Giebelleisten hat der Künstler in genialer Weise geflügelte En-
gelgestalten angebracht, die erhaben als Ornament aufliegend, kleine Posau-
nen erhoben haben. Der Kamm der oberen Bedachung erhält einen passenden
gT. ANDREAS. \9
'Schmuck durch eine durchbrochene Bekrönung, wie sie die Gothik an dieser Stelle
gewöhnlich anwendet Der auf die ebenbeschriebene Weise prachtvoll ausgestat*
tete Reliquien-Schrein der Machabäer birgt der Tradition zufolge heute noch in
seinem Innern die Gebeine der mehrfach gedachten alttestamentarischen Glaubens-
helden, und zwar erblickt man an der vorderen Kopfseite, hinter dem schiebba-
ren Deckel, worauf die Krönung der Madonna dargestellt ist, durch drei Unter-
schlage geordnet, die sieben Schädel der machabäischen Brüder und einen achten,
der als ^cranium^ der Mutter derselben, Salomone, betrachtet wird. Diese Schä-
del sind sämmtlich in silbervergoldete kleine Kapseln, mit gothischem Masswerk
durchbrochen, eingefasst, worin die Unterkiefer einmünden.
Um die Gebeine der Heiligen vor Verwesung zu schützen, vielleicht aber
^uch um den Wohlgeruch anzudeuten, den ihre Thaten verbreiten, scheint es im
Mittelalter Sitte gewesen zu sein, in grössere Beliquienbehälter die duftenden
Früchte der Moschnspilanze hinein zu legen, die bei dem Eröffnen dieser Schreine
nicht selten einen balsamischen Wohlgeruch ausströmen lassen."^)
Im Vorliegenden hätten wir in kurzen Zügen die äussere formelle Beschaf-
fenheit des Machabäer-Schreins, wie er sich heute in seinen Haupttheilen noch
ziemlich unverletet erhalten hat, angedeutet und es erübrigte noch, etwas Nähe-
res über den grossen Kunstwerth und die hohe Vollendung der vielen plastischen
Bildwerke, womit die vorliegende ,jtumba^ in ihren Flachtheilen verziert ist, an-
zugeben. Wie es scheinen will, sind sämmtliche zweiundvierzig Relicfdarstel-
lungcn nicht von einem Goldschmiede componirt, sondern eigens für den vor-
liegenden Zweck von einem tüchtigen Meister der Kölnischen Malerzunft mit gros-
ser Genialität hingezeichnet worden, oder was wir noch eher anzunehmen geneigt
sind, sämmtliche Gruppen existirten bereits in Tempera-Malerei, etwa an einem
Flügel-Altar in der alten Machabäerkirche, zur Zeit, als man den Gedanken fasste,
die Gebeine der alttestamentarischen Märtyrer, in einen neuen kostbaren Schrein
niederzulegen. Wir haben um so mehr Grund das Letzte anzunehmen, weil sich
in ähnlicher Weise geordnet und dargestellt, in mehr als zwanzig Bildwerken,
die verschiedenen Scenen aus der Martyr-Geschichte der h. Ursula in der gleich-
namigen Pfarrkirche zu Köln heute noch in trefflicher Tempera-Malerei erhalten
haben.**) Bei näherer Betrachtung dieser vielen, mit grosser Bravour getriebenen
Relief-Darstellungen müssen wir eingestehen, dass, was die wohlgeordnete Com-
position der einzelnen Scenen betriflFt, femer die richtige Auffassung der anatonii-
ficlien Fonnen, die nicht zu gehäufte Anordnung des Faltenwurfes und der Ge-
*>) Dieses Faktum steUte sich ebenfalls ein, als wir jungst in Nürnberg, jenen herrlichen Reli-
quienschrein am Gewölbe der h. Geistkirche schwebend, herunter zu lassen und zu eröffnen Erlaubniss
erhielten, in welchem von Jahre 1424 bis zur französischen Invasion 1797, die Reliquien des h. deutschen
römischen Reiches, feierlichst aufbewahrt wurden, die heute gerettet, im kaiserlichen Schatze der Hufburg
zu Wien sieh befinden. Bei Eröffnung desselben entströmte ebenfalls dem Reliquicnschrcin , der voll-
ständig geleert war, ein eigenthUmlicher Wuhlgeruch, der gleichfalls von derMuschuspilanze herrUhrtc.
**) Dem Stadtbaumeister Weier gebührt das Verdienst, dass er auf eigne Kosten diesen schönen
Cyclus von altdeutschen Malereien, das Martyrthum der berühmten Kölnischen Stadtpatronin und ihrer
h. Schaar vorstellend, von kunstgcUbter Hand, getreu im alten Style, wiederherstellen liess.
20 ST. ANDREAS.
wand-Partien, wir nicht ähnliche getriebene Darstellungen in vergoldetem Rothkupfer
auf ausgedehnten Reisen gefunden haben, die mit den eben belobten getriebenen
Reliefs, auch nur im Entfernteren einen Vergleich eingehen könnten.
Wenngleich auch keine Jahreszahl die Zeit der Anfertigung des vorliegenden
grossartigen Kunstwerkes näher angiebt, so deuten nicht nur allein die Füllungen
und das gothische Maasswerk, wodurch die Widerlagspfeiler belebt sind, sondern
auch die charakteristische Gostümirung vieler Figuren mit Sicherheit darauf hin,
dass das vorliegende Schreinwerk in dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts
von der kunstgeübten Hand eines ausgezeichneten Meisters der Kölnischen Grold-
schmiedezunft seine Entstehung gefunden habe.
Den Namen dieses Meisters haben wir in den vielen Bildwerken vergebens
zu finden gesucht, und hat sich auch an demselben kein Monogramm erhalten,
das über diesen Punkt Aufscliluss gäbe. Nur auf dem Sockel der vier Ecksäul-
chen des Schreines erblickt man in einem sich durchkreuzenden Stabwerk vier
Wappen in der Formation, wie mau sie gewöhnlich aus der letzten Hälfte des
15. Jahrhunderts antrifft In diesen kleinen Wappenschildern ersieht man an der
einen Seite, erhaben vorspringend, eine Namenschiffer, wie sie in der Regel eine
Innung, eine Brudei-schaft oder Ordenshaus gegen Schluss des Mittelalters zu führ-
ren pflegten, nämlich die beiden Majuskelbuchstaben zusammen verschlungen: H. M.
An derselben Seite erblickt man an der entsprechenden Stelle dasselbe Wappen-
schild, worin die Sichel des Halbmondes mit der bekannten Gesichtsbildung an-
gebracht ist.
Was nun das Monogramm betrifft, befindlich auf dem entgegengesetzten Wap-
penschilde, so schien uns anfangs durch den verschlungenen Namenszug das Klo-
ster der Machabäer angedeutet zu werden, woraus auch zugleich noch gefolgert
werden durfte, dass theilweise auf Kosten der gedachten, weiblichen Ordensge-
nossenschaft das kunstreiche Schreinwerk angefertigt worden sei. Hinsichtlich des
andern Wappenschildes mit der Mondsichel wurden wir durch die Gefälligkeit des
bekannten kölnischen Geschichtsforschers Merlo auf einen besondem Gönner und
freigebigen Geschenkgeber des Klosters der Machabäer gegen Schluss des XY.
Jahrhunderts aufmerksam gemacht, der aus Jülich gebürtig, Professor der freien
Künste war und den latinisirten Namen Helias Marcaeus führte. Als besonde-
rer Wohlthäter restaurirte er Kirche und Kloster des ebengedachten kölnischen
Gotteshauses und war er als Erzbischöflicher Gommissar zugleich auch „Rector
und Moderator" des Conventes der Machabäer. Was Gelen und Hartzheim über
diesen berühmten Mann des alten Köln zu Ausgang des Mittelalters angeben, findet
sich von Merlo anziehend zusammengestellt in dem Domblatt vom J. 1847 Nr. 30
bei Gelegenheit einer geschichtlichen Mittheilung über Victor von Karben. Bei
weiterer Nachforschung ergab es sich nun, dass dieser reiche Wohlthäter und
kölnische Gelehrte, der auch mit dem bekannten Erasmus von Rotterdam*) in
*) Der obengenannte holländische Humanist, der hinsichtlich der Reliquien der Machabäer an
nnsern Marcaeus ein Anschreiben gerichtet hat, das in Druck noch auf uns gekommen ist, schreibt in
ST. ANDREAS. 21
vertraulichem Briefwechsel stand, nach dem Gebrauche seines Jahrhunderts, wo
namentlich Gelehrte ihren Namen mit Zuthaten des klassischen Zeitalters auszu-
statten bemüht waren, den hochklingenden Beinamen „Helias de Luna'^ sich beigelegt
hatte. Mit diesem adoptirten Namen würde dann auch vollständig übereinstimmen das
entsprechend gewählte Wappenschild mit der Mondsichel; desgleichen würde durch
Anbringung dieses Wappenschildes an jener hervorragenden Stelle nicht undeut-
lich zu erkennen gegeben werden, dass Helias Marcaeus*) mit dem Beinamen
de Luna entweder auf seine eigenen Kosten den vorliegenden Schrein hat anfer-
tigen lassen oder dass er gemeinschaftlich mit dem Gonvente der Machabäer als
Donator des besagten Schreins zu betrachten sei. Geschichtliche Andeutungen
haben uns schliessen lassen, dass das vorliegende Schreinwerk gerade mit dem
Jahre 1 500 vollendet worden sein dürfte, nachdem vielleicht einige Jahre hindurch
die kunstreiche Arbeit sich in die Länge gezogen haben mochte. Zur Geschichte
der im ganzen Mittelalter hochberühmten Reliquien der Machabäer bemerken wir
noch, dass im Laufe der christlichen Jahrhunderte namhafte Kirchenlehrer über
das Martyrium und das Lob dieser Glaubenshelden eigne Abhandlungen geschrie-
ben und die Erinnerung an ihre Reliquien vielfstch gefeiert haben. Unter diesen
nennen wir vornehmlich: Cyprianus, Ambrosius, Chiysostomus, Hieronymus, Pru-
dentius, Usuardus, Leo HI., Rhabanus Maurus, Bemardus, Petrus Gommestor, Al-
eimus, Johannes Beleth, Hugo Gardinalis und Antoninus. **)
Aus dem Berichte dieser Schriftsteller geht zur Genüge ^hervor, dass die
Kaiserin Helena die theuren Ueberreste derselben in Palästina gefunden und sie
ihrem Soljne Constantin mit andern Schätzen in das neue Rom, nach Byzanz, über-
bracht haben soll. Von Konstantinopel brachte diese Reliquien, als Geschenk des Kai-
sers Konstantin, der Bischof Eustorgius nach Mailand, von wo sie, zugleich mit den
Reliquien der drei Könige, Erzbischof Reinald von Dassel mit sich nach Köln
führte. Um eine Streitfrage zwischen dem Stifte St. Ursula und den Benedictiner-
Nonnen in der Blutgasse „ager Ursulanus'* zu schlichten, überwies Erzbischof
Reinald den letztgenannten Benedictinessen die Reliquien der sieben Machabäischen
Brüder und erzielte dadurch insofern eine Einigung, dass die gedachten Bene-
dictinessen, auf diese kostbare Gabe hin, die alte Benennung zu Opfer brachten,
dieselbe dem Ursulastifte überliessen und ihre Eärche fortan benannten „zu den Ma-
chabäem.*^ Nachdem die alte Machabäerkirche zu Anfang dieses Jahrhunderts zer-
stört wurde, fand der hier beschriebene prachtvolle Schrein zeitweise in der hie-
sigen St Gunibertskirche ein Unterkommen; jedoch wurde er durch die besondere
seiner Anrede: „/>. Erasmtu Rotterdamtu integerrimo doclünmoque palri Heliae Marcaeo Macea-
batano honoratitsimi Machabaeorum coUegii inoderatori S. D,*'
*) Auch das obenangeftahrte Monogramm H. M. wQrde alsdann in dem Namen des ,,HeliasMar-
caeus'^ als Donator einfach seine Lösung finden.
**i In einem selten gewordenen Druckwerk mit trefflichen Holzschnitten, einem Incunabel des
XV. Jahrhunderts, gedruckt von Eucharius Cervicornus sind die einschlagenden Abhandlungen der
eben gedachten Kirchenlehrer zusammengestellt und zugleich auch die Abhandlung des Flavius Jose-
phus über das Martyrium seiner berühmten Landslcute.
22 ST. ANDREAS.
Fürsoi^ des Kanonikus Glessen im Jahre 1808 in die hiesige Pfarrkirche von
St Andreas feierlichst übertragen. Derselbe befindet sich heute in der besagten
Kirche leider auf einem Altarcoloss des XYIIL Jahrhunderts , dessen Formen mit
denen des schönen Schreinwerkes im grellsten Contraste stehen » unzweckmässig
aufgesteDt Noch machen wir darauf aufmerksam , dass die in Stein kunstreich
ausgeführte j^mensa^ des ebengedachten Altars der Machabäer ursprünglich ak
Unterlage für den Machabäerkasten in den Formen der Spätgothik angefertigt wor-
den ist und das in der Höhlung dieses Altartisches auch noch zierlich in Stein
gehauen jener Untersockel (predella) des primitiven Altares sich Us heute geret-
tet hat , auf dem ehemals , als auf einem niedem Piedestal der kostbare Schrein
der sieben machabäischen Brüder aufgestellt war. Es wäre dringend zu wünschen,
dass diese ursprüngliche Form des Machabäer-Altares, nach anderweitiger Verwen-
dung des heutigen Altaraufsatzes mit seinen Ueberschwenglichkeiten, in nächster
Zukunft wieder beigestellt werden würde.
Bei Au&ählung der mittelalterlichen Kunstschätze aus dem Bereiche der
Goldschmiedekunsty der Weberei und Stickerei, wie sie sich heute noch vereinzelt
in den Sakristeien Kölns erhalten haben, machen wir hier noch Kenner vom Fach
aufinerksam auf einige liturgische Gewandstücke, die sich, vom alten Andreas-
stift herrührend, heute noch in der Sakristei der gleichnamigen Pfarrkirche vor-
finden, und bedauren wir, dass der Raum auf beifolgenden artistischen Beilagen
es nicht gestattet, die nöthigen Zeichnungen zur Erläuterung hinzuzufügen. Es
ist das nämlich eine Kapelle im Blausammet mit golddurchwirkten Darstellungen
aus dem XV. JaJirhundert
Heute sind ähnliche vollständige Ornate, bestehend aus Messgewand, Dal-
matiken und Zubehör zur Seltenheit geworden, in welchen man Stäbe (aurifrisia)
findet, die von der technischen Vollendung der Werke der Wappenstickerzunft im
XV. Jahrhundert noch Zeugniss ablegen. Der vorliegende Ornat von St Andreas
zeigt in den Stäben der Dalmatiken eines jener im XV. Jahrhundert in Köln bei
der Wappensticker/unft stereotypen Ornamentes, wie wir sie in grösseren und klei-
neren Resten häufig noch angetroffen haben, nämlich auf dunkelroth seidenem
Grunde ein Rankengefleeht von Rosen und Blättern in Gold gewirkt Auf den
verbindenden Dorsal und Pectoralstücken ersieht man in denselben goldenen Laub-
werk-Verschlingungen die gewebten Halbfiguren des Salvators und der Madonna
und auf dem vorderen Theile zwei Brustbilder von kt>lnisGhen Bischöfen. Die
Bildwerke des Salvators und der Madonna sind ebenfalls ein Werk der kölnischen
Bildsticker und Wappenwirker, und zwar sind diese Figuren auf einem kleinen
Uandstuhle in die breite Borde hineingewebt worden. Nur die Incamations-Theile
und Faltenbrüche in den Gewand-Partien sind im Plattstich aus freier Hand beige-
stickt worden. Leider ist das gestickte Kreuz an dem Messgewand nicht von der-
selben Vorzüglichkeit, und zeigt dasselbe eine Stickerei mit kleinen figuralen Me-
daiUons und dazwischen befindlichen Ornamenten von Vasen und daraus hervor-
8T. ANDBEAS. 23
gehendem Laubwerk, wie es der Frtthzeit der Renaigsance eigenthümlich ist, und
wodurch die Spätzeit der Regierung Kaiser Karls V. deutlich charakterisirt wird.
Die kleinen Rundmedaillons in dem Kreuzstabe dieses Messgewandes sind gestickt
mit den Bildern der zwölf Apostel rt^ or battu^ und zeigen die kunstreichen und
äusserst feinen Plattstich-Stickereien noch vollständig die vollendete Technik, wie die-
selbe in den spanischen Niederlanden und namentlich in dem fhr Anfertigung kunstr
reicher und kostbarer Bildstickereien berühmten Arni8 gegen Schluss des XV. und in
der ersten Hälfte des XYL Jahrhunderts angefertigt zu werden pflegten. Auch der dun-
kelblaue Seiden-Sanmiet mit einem in kölnischen Sakristeien noch oft vorkommenden
tief geschnittenen gothischeu Dessin verdient an dieser Kapelle Beachtung. Ge-
schnittene Sammtstoffe in ähnlichen Mustern wurden in der letzten Hälfte des
XV. Jahrhunderts meistens angefertigt und bezogen aus Brttgge in Flandern oder
aus Genua und Florenz.
Leider ist an dieser interessanten Kapelle der Schnitt vollständig nach
neuerer Weise verändert worden, wie das auch das unschöne aufgenähete Bor-
denwerk von weisser Farbe deutlich bekundet Namentlich ist das Messgewand
auf ein Minimum von Form reducirt worden, das sehr im Contraste steht mit der
schönen faltenreichen Casel, wie sie noch im XV. Jahrhundert, den vielen Ab-
bildungen h. Bischöfe auf Tempera -Malereien zufolge, im alten Köln allgemein
im Gebrauche war.
Von den vielen Schätzen prachtvoller Stickereien und Webereien, woran
das ehemalige Kanoniker-Stift von St Andreas so grossen Ueberfluss hatte, haben
sich heute nur noch äusserst wenige Spuren von älteren Paramenten erhalten. Nur
im Vorbeigehen erwähnen wir noch in Kürze zweier Dalmatiken, deren Grund-
stoff ein italienisches Damast-Muster des XV. Jahrhunderts zeigt, wie es sich in Köln
an liturgischen Gewändern noch häufig vorfindet Ein grösseres Interesse beanspru-
chen die Stäbe auf denselben von dunkel violetter Grundfarbe, worauf als Dessin
ersichtlich sind die bildliche Darstellung des bekannten Textes yjsicut cervus desiderat
ad fantes aquarum,^ Von sechseckigen Medaillons eingefasst erblickt man näm-
lich, auf blumigtem Grunde hingestreckt, zwei Hirsche, die den Nacken aufwerfen
nach oben, woher aus den Wolken Thautropfen herunterträufeln. Diese Hirsche,
streng stylisirt, sind in kunstreichem Gewebe durch Goldfäden brochirt Alle übri-
gen Laubomaniente, die sehr an sicilianisch-maurische Mustervorlagen der Weberei
erinnern, sind in weisser Seide durch den Einschlag erzielt Merkwürdig ist es,
dass wir in Palenno einen alten Seiden-Damast aus dem XIV. Jahrhundert von
weisser Farbe gefunden haben, der, vollständig mit dem Vorliegenden übereinstim-
mend, ein und dasselbe Muster erkennen lässt Genau dasselbe Muster fanden
wir auch in der an mittelalterlichen Stoffen und Stickereien so reichhaltigen Sakristei
des Domes zu Halberstadt Dieses, wie es scheint, im Mittelalter so sehr beliebte
und in den verschiedensten Farben dai^ästellte Muster, das in alten Inventa-
ren oft bezeichnet wird als „holoserica cum cervts etflosculU^ scheint im XIV. Jahr-
hundert mit besonderer Vorliebe bei Anfertigung von liturgischen Gewändern ge-
braucht worden zu sein. Auch in unserer Privat-Sammlung, die heute mehr ^s
24 ST. ANDREAS.
1400 mittelalterliche Stickereien und Webereien umfasst, finden sich zwei solcher
Gewebe, wie das obenbeschriebene mit den Hirschen vor*), und ist dieser StoflF
mit den symbolischen Hirschen neuerdings in dem bekannten Institute für Anfer-
tigung kirchlicher Stoffe von Cassaretto in Crefeld mit grosser Präcision und Styl-
Gerechtigkeit in verschiedenen Farben wieder angefertigt worden.
Noch befindet sich im Chore von St Andreas ein grosses Graduale mit
vielen Miniaturen und reich verzierten Initialen. Der Beschlag dieses reich aus-
gestatteten Manuscriptes, das offenbar der letzten Hälfte des XV. Jahrhunderts
angehört und von einem vorzüglichen Meister der Kölnischen Miniatoren herrtth-
ren dürfte, verdient tür vorliegenden Zweck besonders dadurch Beachtung,
weil die vier Ecken des Buches mit ausgezeichnet schönen Beschlägen verziert
sind. Diese Eckbesätze sind unsers DaftLrhaltens nach zu den schönsten zu rech-
nen , die sich heute noch vereinzelt in Kölnischen Kirchen vorfinden. Eigenthttm-
licher Weise sind in diesen Eckblättem nicht, wie das in der Regel der Fall ist,
die vier symbolischen Abzeichen der Evangelisten, sondern in jeder Füllung zu-
rückkehrend ein kräftig stylisirter Adler mit der Krone in Metallguss zur An-
schauung gebracht, der allenfalls der Vermuthung Raum geben könnte, dass durch
dieses Thierzeichen vielleicht angedeutet würde das heraldische Abzeichen des
deutschen Reiches. Vorläufig bleibt es der Untersuchung noch vorbehalten, fest-
zustellen, ob durch dieses Thierzeichen nicht das ältere Abzeichen des Kano-
nikerstifl;es an St. Andreas vorgestellt werden dürfte.
Die vorliegenden Beschläge zeigen in ihren Omamentationen noch viele
Anklänge an die Formen des romanischen Styles, dem auch das Bild des ein-
köpfigen Adlers noch theilweise anzugehören scheint, und liegt die Vermuthung
nahe , dass diese Eckbesätze mit der mittleren Füllung ehemals einem altem Gra-
duale zum Schutze und zur Zierde gedient haben. Für diese Vermuthung schei-
nen auch zu sprechen die zierlichen Verbindungen von Thier und Pflanzen, wie
sie als phantastisches Ornament des XIH. Jahrhunderts der mittleren Füllung zur
Auszeichnung gereichen. Auch die Schlusskrampen entbehren ihres zweckmässi-
gen Ornamentes nicht; jedoch rühren dieselben, wie es den Anschein hat, aus
jener Zeit her, in welcher das Manuscript selbst angefertigt worden ist
Sollte man bei der Neuschaffung ähnlicher Krampen und Ein&ssungen von
Missalien in Köln nach altem schönen Vorbildern sich umsehen, so dürftien bei
Compositionen derselben die ebengedachen Eckbesatze des Graduale von St Andreas
eine sorgfältige Beachtung finden.
Schliesslich machen wir, bei Beschreibung der liturgischen Geräthe aus Metall
angefertigt noch auf vier Hand- oder Tragleuchter auftnerksam, die von Chorknaben
getragen werden und unter der Bezeichnung „Tortschen" in Köln näher bekannt
sind. Diese Lichtträger legen Zeugniss ab, welche grosse Routine die Kupfer-
schläger und Kupferschmiede Kölns in der schwierigen Kunst des Treibens und
*) Vgl. die Abbildung und Beschreibung desselben in der I. Lief, unseres Werkes ,, Geschichte
d^ liturgischen Gewänder" Taf. IX, Seite 54 und 55.
ST. ANDREAS. 25
Schlagens rieh erworben hatten , namenüieh zu jener Zeit, wo die Gothik und
ihr Fonnenreiehthom bereits zum Abschluss gekommen war, und die Renaissance
eben ihren Einzug hielt Die obere Schale an diesen Uchthaltem mit getriebenen
halbkreisförmig ausladenden Ornamenten erinnert deutlich an die analogen getrie*
benen Arbeiten der Ananasbecher und Trinkpokale, wie sie am Schlüsse der go*
thischen Kunstepoche und dem Aufkommen der Renaissance ftbr profiinen Gebrauch
vielfach angefertigt wurden.
Noch besitzt die Sakristei von St Andreas ein Paar altdeutsche kleine Al-
tarieuchter in Messingguss mit mehreren gedrehten Ringen, ähnlich wie die Leuch-
ter aus der Jesuitenkirche. (Vgl. Taf. HL Fig. 13.) Dieselben bieten keine Mo-
dificationen hinsichtlich ihrer Form, und genüge es daher, hier im Vorbeigehen
darauf hingewiesen zu haben.
Ehemaliger Schatz von St Andreas«
Aegidius Gelen, dessen oft citirtes Werk „de magmtudine Colomae^ wir die
folgenden Notizen ttber den leider fast vollständig verschwundenen reichhaltigen
Reliquienschatz des ehemaligen Stiftes von St Andreas verdanken, war als erz-
bischöflicher geistlicher Rath und Historiograph zugleich auch Kanonikus von
St Andreas und hat derselbe in letzter Eigenschaft es nicht versäumt, ausfilhr-
licher in dem obengedachten Werke den reichen Schatz von kostbaren GefiLssen
seiner Stiftskirche, wie er 1 645 noch ersichtlich war, zu beschreiben. Es befanden
sich unter anderen Eunstschätzen vornehmlich daselbst drei tragbare Altftrchen
(aliaria trantpartiäa, gestaiaria), die von grosser Formschönheit und Reichthum
des Materials gewesen sein mögen. Sehr muss man es bedauern, dass auch diese
heute selten gewordenen Kunstgegenstände im Strudel der letzten grossen Staaten-
umwälzung spurlos verschwunden sind. Der erste dieser drei ^ arae maioriae^ die auch
zuweilen genannt werden y^aUaria viatica^ war aus Gold angefertigt und mochte
derselbe vielleicht die Grösse und Gestalt haben jenes tragbaren Altares, der heute
noch in der Sakristei von Maria^Gapitol in Köln befindlich, in der dritten Liefe-
rung dieses Werkes in Abbildung und Beschreibung mitgetheilt werden wird. Die-
ses von G^len angedeutete y^gestatorium^ zeigte folgende leoninische Inschrift:
ff Hoc decws Altarü monumentum dulcu amaris,
Dat tua bella tibi coniunx duof Hugo Juihitta.
Ut memor ejus sis omni quo tempore mvü.^
Der zweite portative Altar war, der Angabe nach, von Elfenbein, d. h. er zeigte
auf der obem Plattfläche einen länglichten consecrirten Stein, der in der Regel
ein lapis Lazuli, ein Porphyr oder ein Serpentin war. An den vier Seiten des
Schreines entlang hatte der Künstler wahrscheinlich mehrere Heiligen-Figuren an-
gebracht, die in Elfenbein geschnitzt waren, woher auch der Name j^altare ebur^
neum^ entstanden zu sein scheint Die Inschrift auf demselben lautete:
4
26 ST- AKDBEAg.
y^Sit datar ae datum tibi Christe pHssime gratum
Claudere dmutra poli d$tm pulsai Wolbero noli
Qui tibi devotiu "
Das dritte Portatile war von Messing, wahrscheinlich vergoldet und mit Figuren
und Ornamenten im vielfarbigen Email ausgestattet. Auf demselben ersah man fol-
gendes Legendarium:
yjHic cum gente pia Dens et sacra virgo Maria
Praesidet et secum per quos dOudicat aequum
Subsidiis quarum laxantur vincla reorum
Suscipit haec dana quae caeca fugit Synagoga
Angeitu aspectu ferit hos has tnnlcet amictu,^*)
Femer befanden sich noch in demselben Schatze sieben grössere Beliquiarien,
meist silbervergoldet, von kunstreicher Arbeit; unter diesen zeichnete sich beson-
ders aus eine j,hierotheca^ von Silber in Form eines Doppelkreuzes, die in der Mitte
eine grössere Partikel vom h. Kreuz enthielt, und in den reichverzierten Ausmttn-
düngen der beiden Elreuzbalken mehrere Keliquien umschloss. Femer besass noch
der gedachte Schatz ein grosses Kiystallgefäss mit silbervergoldeten Einfiissungen
und Verzierungen, das mit Reliquien gelullt war. Besonders bemerkenswerth war
auch daselbst ein silbervergoldetes Reliquiarium in Form einer kleinen Kapelle, das
unser Autor näher bezeichnet als j,saceUum seu thronum , und dabei bemerkt, dass
es höchst kunstreich war. Nach der grossen Anzahl von Reliquien, die darin
verschlossen waren , so wie der Beschreibung des Gelen zufolge will es uns schei-
nen, dass dieser zierliche Kapellenbau im gothischen Style angefertigt war und
möglicher Weise in jener Gonstmction und jenem Formenreichthum imponirte,
wie derselbe heute noch an jenen prachtvollen Reliquiuien ersichtlich ist, wie sie
der äusserst reiche Domschatz in Aachen an zwei kleinen Kapellenbauten in ver-
goldetem Silber noch aufzuweisen hat Auch noch drei Reliquienarme in edlem
Metall und kunstreicher Form ausgeführt, bewahrte ehemals der Schatz von St An-
dreas» die mit den heute noch vorfindlichen Brachialicn aus dem Schatz von St Ge-
reon (vgl. Taf. n, Fig. 7 u. 8) Aehnlichkeit gehabt haben mochten. Noch erblickte man
in dem damaligen Schatze, nach der Angabe unseres Kölnischen Chronisten eine
grosse Anzahl von verschiedenen grösseren und kleinem Reliquiengefässen kunst»
reich ausgelührt in Silber, Kupfer oder Krystall, deren speeielle Aufzählung un-
ser Gewährsmann unterlässt Damnter befanden sich wohl auch jene kleineren
Ueberreste kirchlicher Goldschmiedekunst, die wir auf Tafel IV abgebildet und un
Vorhergehenden beschrieben haben. Noch besitzt heute die Sakristei von St An-
dreas ein merkwürdiges Messgewand aus blauem Seidenplttsch mit goldgewirkten
Stäben im <enreichen Schnitt des Mittelalters, das dem Albertus Magnus zuge-
schrieben wird. Wir werden im Anhange dieses Werkes obige seltene Kasel aus-
führlicher besprechen.
*} Einer Hittheilung zufolge sollen die so eben bezeichneten PortatiY-Altirchen in Dannstadt
sich befinden ; möglich ist es, dass dieselben dorthin gefluchtet und spSter nicht zurückgesandt woi-den sind.
jfiio &I tlrsul'a .
jTna ß; tlruufi .
•^
JhfiP'. Qr^ufa.
^t 'gCrfufa.
Mittelalterliche Kunstgegenstände daselbst«
Seit«
24) Kntininstab einer Aebtissin, in vergoldetem Holz., XV. Jahrhundert. Taf. VI. Fig. 24 3
25) Reliquiarium in Form eines Krystallcylinders , XIV. Jahrhundert. Taf. VI. Fig. 25 . 5
26) Reliquienbehältcr in Seide gestickt , XIII. Jahrhundert. Taf. VI. Fig. 26 . . .5
27) Schmuckkästchen mit Reliefdarstellungen in Elfenbein geschnitzt, XlV.Jahrh. Taf. VI. Fig.27 7
27*) Elfenbeinkästchen mit Sculpturen. XIV. Jahrh. dem Vorhergehenden ahnlich ... 9
28) Grosser Reliquienschrein der h. Ursula, XII. Jahrhundert. Taf. VII. Fig. 28 ... U
Fig. 28 Langseite des Schreines, Fig. 28a Kopfseite desselben 11
29) Reliquiengefliss in Form eines Raldachins, XIV. Jahrh. Taf. VIII. Fig. 29 .... 1 5
30) Sculptur in Rergkrystall , einen liegenden Vicrfüssler vorstellend , XII. Jahrh. Taf. VIII,
Fig. 30 16
31) Kusstafel zum Darreichen beim „ii^iM Dei**, XV. Jahrh. Taf. VIII. Fig. 31 ... 18
32) Pectoralschild, Kupfer vergoldet, XV. Jahrh. Taf. VIII. Fig. 32 19
33) SchaugeHlss in Form einer viereckigen Kapsel mit Krystall verschluss, XIV. Jahrhundert.
Taf. VIll. Fig. 33 21
34) Reliquienskastchen mit getriebenen Silberhlechen verziert, XlV.Jahrh. Taf. VIII. Fig. 34 23
Geschichtliche Nachrichten über den Schatz von St. Ursula 25
24.
Obere insmfindiing und Krftmme eines
oder Prälatenstabes,
aus Eichenholz geschnitzt, mit reicher Vergoldung.
XV. Jahrhundert. GrOaste Länge 4 t Centüneter. GrOnter Durohmesser der Krttmme 15 Centimeter.
Die Toriiegende Erttinme (curvatura), die sich in dieser eigenthttmlichen
Formentwickelung nicht leicht irgend wo anders erhalten haben dürfte , rtthrt aller
Wahrscheinlichkeit nach als obere Bekrönung von einem Prälaten- oder Abtsstabe
her (pedum aiatiale), und diente derselbe, seiner grösseren Leichtigkeit wegen,
zum Grebrauche an kleineren Festen; oder er wurde, was nicht unwahrscheinlich
erscheinen dürfte, aus diesem einfachen, wenig kostbaren Materiale angefertigt, um
als Sepulturstab einem verstorbenen, kirchlichen Würdenträger, wie das heute
noch Gebrauch ist, als Abzeichen seiner hohen Stellung in den Sarg gelegt zu
werden. Eine andere Hypothese, die auch noch zulässig erscheint, wäre die, dass
der vorliegende Stab in seinem einfachen Materiale nicht dem gewöhnlichen Gebrauche
gedient habe, sondern, dass er bei feierlichen Exsequien für einen verstorbenen
Prälaten oder bei Jahrgedächtnissen als Cäremonien- und Insignienstab über den
reich ausgestatteten Katafalk (tumba) nebst entsprechender Miter und Kelch hin-
gelegt worden sei.
Zu der Beschreibung dieses „pedum^ übergehend, bemerken wir, dass auf
einem achteckigen, stark profilirten Knauf, der platt gedrückt ist, sich ein klei-
ner Ständer, Röhre erhebt, die durch vertieflie Fensterblenden auf ihren 8 Seiten
omamental belebt wird. Mit diesem architektonisch gegliederten Ständer steht ein
zweiter achteckiger Knauf mit tiefem Profile in Yerbindimg, der auf seiner Spitze
von einer Zinnen-Krone überragt wird. In diese offenstehende Bekrönung greift
ein kräftiger Blattstiel mit drei hervorstehenden Nerven ein, der Anfangs ge-
radlinig aufsteigt, alsdann rechts tief ausladet und weiter fortgeftlhrt, fast mit
einer kreisförmigen Windung sich dem untern Ausgangspunkte wieder nähert und
in einer kleinen überhöhten Spitze an denselben anschliesst An dem äusseren
Rücken dieses kräftigen Blattstieles hat der Holzschnitzer kunstgerecht an einan-
4 ST. URSULA.
der anschliessend hervorsprossen lassen acht schön stylisirte Krabbenblätter, die in
ihrer Bildung mit dem Kohlblatte (brassica) Verwandtschaft haben. Durch die Unbilden
der Zeiten sind die aui^adenden Krabben an diesen Blättern sämmtlich abgestossen
und beim Fallen verloren gegangen. Der ebengedachte Blattstiel, der die Krümme
bildet, entfaltet sich unten in seiner Ausmttndung zu einem reichen, gothischen
Blattwerke, das ebenfalls heute nur noch zur Hälfte vorhanden ist. Die mittlere
runde Oefihimg, die durch die Ausbiegung des Blattzweiges entsteht, hat der
Künstler theils durch architekturalen, theils durch figuralen Schmuck passend aus-
zufüllen gewusst. Es erhebt sich nämlich auf einem tief profilirten Sockel von
kleiner Dimension als Karyatide auf jeder Seite des Stabes eine kleine Statuette,
in Holz vergoldet, wovon die eine die Mutter Grottes, die andere, unseres Datttr-
haltens nach, die heilige Ursula vorstellt Die heil. Jungfrau ist dargestellt, wie sie
als „mater müen'cordiae^ die Pflegbefohlenen mit ihrem schützenden Mantel bedeckt.
Dasselbe ist der Fall bei der auf der Rückseite befindlichen , heiligen Ursula die
als Patronin die Ordensgenossen unter ihren Schleier versammelt hält Ueber
diesen beiden Gruppen, ä deua; faces gestellt, erhebt sich ein kleiner Baldachin,
dessen Fialen mit einander verbunden sind und durch den oberen Stengel, der die
Krümme bildet, hindurchwachsen. Neben diesen Standbildchen erblickt man noch
innerhalb der Krümme an jeder Seite je zwei kleine Fialen, die früher durch
kleine Strebebogen gegenseitig in Verbindung gesetzt waren. Noch ittgen wir
hinzu, dass die ganze, zierliche Schnitzarbeit heute noch ihre alte primitive Ver-
goldung zeigt, und dass auch die beiden Statuettchen mit ihren Nebenfigürchen
noch deutlich die Spuren der ursprünglichen Polychromie erkennen lassen. Auf
den ersten Blick besagt das in Bede stehende Schnitzwerk deutlich, dass es in
Köln in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts von einem geübten Bildschnitzer
seine Anfertigung gefunden haben dürfte. Was das Material, das Hobs betrifil, worin
dasselbe ausgerührt ist, so ist zweifelsohne in derselben Absicht, wie oben bereits
angedeutet, dasselbe zur Anfertigung des vorliegenden liturgischen Geräthes ge*
wählt worden, damit die Schwere desselben bei dem Gebrauche nicht ^tig sei.
Aus demselben Grunde wurden auch im Mittelalter selbst Monstranzen mit reicher
Vergoldung aus Holz angefertigt, damit bei grösseren Processionen die Umhertra-
gung derselben nicht durch ihr Gewicht erschwert wurde. Wir erinnern uns nicht,
auf ausgedehnten Beisen bischöfliche oder Abatialstäbe, aus ähnlichem Materiale
verfertigt, angetroffen zu haben. Bei den einfacheren Bischofsstäben des Mittel-
alters wurde das Bothkupfer mit reicher Vergoldung und Emaillirung oder das
Elfenbein angewandt Die reicheren bischöflichen ^peda^ waren von vergoldetem
Silber angefertigt und mit edlen Steinen und Perlen reich verziert Interessante
kunsihistorische Mittheilungen über die bischöflichen Stäbe des Mittelalters findet
man in dem trefflichen Werke des Abbö Martin et Cahier, nebst Beigabe vieler
Abbildungen und zwar in dem IV. Bande der „Mölanges dFArchiologie.^
ST. UBBUtiA. 5
25.
Reliqniarram,
in Form eines iiorizontalliegenden Gylinders mit silbervergoldeten Einfassungen.
XIV. Jahrh. Höhe 17 Centimetres. Länge 16 Centimetres.
Wir widmen diesem sehr einfachen Reliquienbehälter deswegen eine nä-
here Beschreibung, weil derselbe eine merkwürdige formelle Einrichtung und
Gestaltung hat, die sich sonst seltener vorfindet. Statt eines Ständers mit darun-
ter befindlichem Fusse, hat der Goldschmied vier einzelne Träger in Form von
sogenannten Greifenklauen angebracht, wodurch der horizontalliegende Cylinder ge-
tragen wird. Diese Fussgestelle, „fulcra^' einfach gehalten, münden auf beiden Seiten
ein in einen Deckel oder Schliesse der Röhre, die als Verzahnung eine Spitzbogen-
stellung zu Tage treten lässt Diese beiden Schliessen sind wiederum durch
verschiedene Ringe und Bandstreifen mit einfachen Profilen in Verbindung gesetzt
Auf dem mittlem Umfassungsring erhebt sich, omamental gehalten, der „Baum des
Lebens", an welchem die Figur des Gekreuzigten befestigt ist Zu beiden Seiten
erblickt man, auf Verästelungen gestellt, die Passionsgruppe Johannes und Maria,
als Standbilder neben dem Kreuze. Die Darstellung der Kreuzigung des Heilan-
des in dieser Ausführung haben wir, ideal aufgefasst, mehrmals an anderen Reli-
quiarien als Krönung und AusmUndung vorgefunden. Die Drapirung der Gewän-
der an den ciselirten Standbildern von Johannes und Maria, nicht weniger die
Darstellung des Gekreuzigten, wobei das im romanischen Style immer wieder
vorkommende „suppedaneum" fehlt, bieten die nöthigen Anhaltspunkte, um mit eini-
ger Sicherheit den nicht gewagten Schluss ziehen zu können, dass der vorstehende
Reliquienbehälter gegen Schluss des XIV. Jahrhunderts angefertigt worden sei.
26.
Reliqnienbehälter^
mit Stickereien überzogen und mit vergoldeten Beschlägen verziert
XUI. Jahrhundert. Länge 20 Va Cent. Breite 15 Cent. Höhe l4'/s Cent.
Dieses interessante Seliquienschreinchen stimmt in seiner Form als vier-
eckiges, längliches Kästchen mit einem dachförmig ansteigenden Deckel ttberein
mit vielen anderen in Metall gearbeiteten Reliquiarien. Die eigenthttmliche, kunst-
reiche Ausstattung, eine Art Straminstickerei, womit das Aeussere dieser „ar-
cula^ überzogen ist, möchte sich jedoch heute nur noch selten vorfinden. Sowohl
die Musterung, als auch die Technik bietet auffallende Analogien mit jenem
gestickten Täschchen im Schatze von St. Gereon, das wir auf Seite 19 näher
6 ST. URSULA.
beschrieben und auf Tafel ü, Nr. 9, in Abbildung mitgetheilt haben. Es stellen
sich nämlich auf einer Grundlage von grobem Leinen viele quadratisch geordnete
Dessins in Weise unserer heutigen Kreuzstickerei dar, die sich zu erkennen ge-
ben in Form und Composition als eigenthümliche überlieferte Fomibildungen, wie
sie bei der Stickerei schon in der klassischen Zeit gang und gäbe waren, und
die mit den romanischen und germanischen Formen des christlichen Mittelalters
nicht die geringste Verwandtschaft haben. Mit einem Gesammtnamen bezeichnet
man diese vielfach variirenden Muster, um ihre Herkunft zu bezeichnen, gewöhn-
lich a la Greque, und zwar deswegen, weil die griechische, bekannte Mäanderform
bei diesen im rechten Winkel gebildeten geometrischen Figuren eine Haupt-
rolle spielt. Diese ebengedachten Ornamente sind nur in 3 Farbtönen ausgeftihrt,
um das zu Bunte und Unruhige fem zu halten. Als Hauptfarbtöne stellen sich
dar, hellrothe, hell- und dunkelgrüne und weisse. Die erfindungsreiche Stickerin
hat es zu erzielen gewusst, dass auf jeder Seite dieses ReUquiariums sinnreich
und gewählt die Muster abwechseln, so dass auf dem merkwürdigen Schreine acht
verschiedene Muster vorkommen, gerade ebensoviele, als auch das „scriniolum^'
Flächen bietet Die Stickerei ist auf dem groben Leinen in losgedrehter Flockseide
ausgeftihrt, und hat die Stickerin die Fäden des unter gelegten Leinenstoffes ge-
zählt und im Plattstich immer acht Fäden der Unterlage übersprungen. Das innere
Kästchen ist aus einem leichten, dünnen Holze gebildet und im Innern mit einem
weissen Leinenstoffe ausgeftlttert. Um diesem Schreinchen nach Aussen mehr Festig-
keit zu geben, und um zugleich die Stickerei vor Friciion zu schützen, hat man
dafür Sorge getragen, dass die einzelnen Seiten des Kästchens mit ankeriörmigen,
Kupfer vergoldeten Stab- und Linienomamenten überzogen wurden, die sämmtlich
die Form der bekannten yjleurs de lü^ oder ,Jrancica^, jedoch in grober nicht
ausgebildeter Weise an den Tag treten lassen. Bei Durchlesung einer grösseren
Anzahl älterer kirchlicher Schatzverzeichnisse des 12., 13. und 14. Jahrhunderts
fiiuden wir viele Bezeichnungen vor, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, .dass
in der angegebenen Epoche des Mittelalters ähnliche Kästchen, durch Nadelarbei-
ten auf eine weniger kostspielige und doch kunstsinnige Weise ausgestattet, in
Menge angefertigt worden sind. In diesen Inventaren der Kirchenschätze führen
gewöhnlich ähnliche Schreine die Bezeichnung „scrmiolum sericum^ oder ^ladula,
opere polymitario confecta.^ Wahrscheinlich ist es, dass dieses kunstreich ge-
stickte Beliquienkästchen von einer Stiftsdame des altberühmten, adeligen Damen-
slifties von St Ursula ftlr den bezeichneten Zweck, und zwar, Analogien unserer
Sammlung nach zu urtheilen, gegen Schluss des 13. Jahrhunderts angefertigt wor-
den ist '
ST. CBSULA. 7
Schmnckkästchen,
in Elfenbein mit vielen scuiptirten^ figürlichen Darstellungen.
XIY. Jahrh. Länge 24 Centimeter. Höhe 9 Centimeter. Breite 12 Centimeter.
•
Dieses merkwürdige seulptirte Seliquienkästchen in Elfenbein gebeint ehe-
malB einem profanen Zwecke gedient zu baben und erst später einem kirchlicben
Gebraueb ttbergeben worden zu sein. Wie die vielen, auf den vier Seiten sculptir-
ten Basreliefs anzeigen, glauben wir aus verwandten Analogien scbliessen zu kön-
nen, dass diese „arcula oblanga^ ebemals als Schmuck- und Juwelkästchen sich
im Besitze einer gräulichen oder fürstlichen Dame beftmden habe. Viele Anzeichen
sprechen dafür, dass dieses Schreinwerk seine Entstehung gefunden habe in der
Blttfhezeit der Troubadour- und Minnesänger, wo bekanntlich der poetische Frauen-
kult des Mittelalters seine höchste Ausbildung erreicht hatte und seiner Ausartung
nahe gekommen war. Damit scheinen auch die vielen scenirten Darstellungen über-
einzustimmen, die der Minne entlehnt, dem vorliegenden Schreine 2um poetischen
Schmucke gereichen. Wir dürfen es nicht wagen, in der vorliegenden kurzen
Beschreibung eine Deutung der vielen naiven und sinnigen Darstellungen versuchen
zu wollen, womit das vorliegende, höchst merkwtlrdige Kästchen auf das reichste
ausgestattet ist und bemerken deshalb in Kürze, dass sämmtliche Darstellun-
gen in einem gewissen Zusammenhange und in einer gewissen Reihenfolge stehen.
Wir glauben mit Sicherheit angeben zu können , dass der Gegenstand, wie er hier
in 13 verschiedenen Scenen zur Darstellung gebracht ist, einem im XIV. Jahrhun-
dert bekannten poetischen Epos irgend eines Meistersängers entnommen ist, das
im Volke einen Nachklang gefunden hatte und im Munde Aller lebte. Es dürfte
schwer halten, bei den vorliegenden Basreliefs zu.bestinunen, in welcher Darstel-
lung der Anfangs- und bei welchem Relief der Ausgangspunkt der vielen bildlichen
Darstellungen zu suchen sei. Eine Deutung des poetisch-geschichtlichen Gegen-
standes einer späteren geübten Feder überlassend, führen wir nur hier kurzweg
an, dass, wie der Augenschein lehrt, in den 13 Basreliefs, eine y,scene amoureuse^
zur Entfaltung kommt. Es ist nämlich auf der hinteren Seite dieses „coffrette^^
zur Anschauung gebracht, wie der von der Frau Venus als geflügelter Genius ge-
sandte „schelmische Amor^' zwei liiebende zusammenführt Daneben erblickt man
in naiver Darstellungsweise dasselbe Paar, das durch einen Gürtel vereinigt und
umschlungen wird. Die dritte Scene gibt bildlich zu erkennen, wie der knieende
Ritter von seiner Dame einen Kranz als Ritterdank empfängt Weitere Darstel-
lungen lassen auf den breiteren Kopftheilen den Ritter und seine Dame erkennen,
wie sie im Schachspiele begriffen sind, und wie dieselben dem Vergnügen der Jagd
obliegen. Auf der vorderen Seite erblickt man an der Stelle, wo die in Silber kunst-
reich gearbeitete Schliesse sich befindet, die beiden Liebenden einander gegen-
ttbergewandt, wie sie mit beiden Händen den kleinen Verschluss des Kästchens
8 ST. ITBSUUl.
ZU halten scheinen, wodurch, wenn wir hier die Hypothese wagen, möglicher
Weise der Bund und die Beschliessung der gegenseitigen Treue figürlich ange-
deutet werden könnte. Zur Seite der Dame hat der Beinschnitzer die Figur eines
sitzenden, kleinen Hundes angebracht, zweifelsohne das Symbol der weiblichen
Treue, und gegenüberstehend an derselben Stelle die Sculptur eines sitzenden
Affen, worin vielleicht eine Anspielung auf die Wandelbarkeit der Männer
gefunden werden könnte. Auf dem Deckel des interessanten Schmuckkästchens
befinden sieh unter vier Kleeblattbogen, von kleinen Giebelfeldern überragt, vier
grössere Darstellungen, unter welchen schuldlose Bildungen aas dem Bereiche
der Minne ebenfalls wieder zur Anschauung gebracht sind. Was nun die Ent-
würfe der vielen Figuren betrifft, so kann nicht in Abrede gestellt werden, dass
sämmtlichen Compositionen ein feststehender, handwerksmässiger Charakter an-
haftet, wodurch diese niedlichen Sculpturen sich zu erkennen geben si» immer
wiederkehrende Bildwerke eines Elfenbeinsehneiders, der sein Eunsthandwerk
nicht anmassend als Künstler, sondern als geschickter und gewandter Bildschnitzer
schlecht und recht nach Zunftgebrauch handhabte. Auch die technische Auslttb*
rung hält sich bei allen diesen scenirten Darstellmigen, in der goldenen Mittel-
strasse, eben so weit von einer übertriebenen Feinheit in der Ausführung fem,
als auch von einer gewissen Derbheit in Handhabung des Stichels, wodurch sich
viele Elfenbeinsculpturen des späteren Mittelalters unvortheilhaft auszeichnen.
Es ist nicht zu verkennen, dass bei aller Einfachheit der Darstellung die Compo-
sition, sowie die Behandlung der Draperien, desgleichen der Ausdruck der Ge-
sichtszüge durchweg als eine edle und gelungene zu bezeichnen ist Was den
Schwung und die Bewegung der Figuren betrifft, so erinnert dieselbe an die reichen
Sculpturwerke, wie wir sie unter den Vorhallen mehrerer nordfranzösischen Käthe«
dralen in Menge aus dem Schlüsse des 13. Jahrhunderts herrührend, zu sehen
Gelegenheit hatten. Auch das Vorkommen der charakteristisch gestatteten nfleurs
de äs^ nn den Ausmündungen der silbernen Beschläge, wodurch das „coffrette^ an
vielen Stellen zusammengehalten und in seinen einzelnen Theilen verbunden >vird,
hat uns, einem gewissen Stylgefühle folgend, zu der Ansicht geftihrt, dass das
vorliegende höchst merkwürdige Beliquienschreinchen in jener interessanten Kunst-
epoche seine Entstehung gefunden haben dürfte, als namentlich unter der Regie-
rung Ludwig des Heiligen, die sogenannte Lilie (francica, francisca) in dem Wap-
penschiide der Könige von Frankreich Aufiiahme fand und als beliebtes Or-
nament alsbald in religiösem und profanem Gebranch, namentlich im nördlichen
Frankreich und in Deutschland, in den mannigfaltigsten Modificationen zur Geltung
kam. Wenn wir veranlasst würden, eine bestimmte abgegrenzte Zeitperiode und
die Gegend und das Land anzugeben, wo im Mittelalter znr Zeit der Meistersän-
ger vorliegendes Schmuckkästchen seine Entstehung geftinden habe, so würden
wir nach vielen Analogien zu urtheilen, die uns auf ausgedehnten Reisen zu Ge-
sicht gekommen sind, die Behauptung auszusprechen wagen, dass die vorliegende
„aticula^ mit ihren vielen Darstellungen aus dem Bereiche der Minne in jenem Lande
zu Schluss des XHL oder gar im Beginn des XIV. Jahrh. ihren Ursprung gefiin-
ST. URSULA. 9
den haben dürfte, wo damals, als dem eigentlichen Sitze der Troubadoure der
Minnedienst des Mittelaltcft« seine reichste Entfaltung gefunden hatte. Dass wirk-
lich das nördliche Frankreich nicht mit Unrecht von anerkannten archäologi-
schen Forschem als die eigentliche Heimath jener vielen, zierlichen Elfenbein-
sculpturen der mittelalterlichen Kleinkunst zu betrachten ist, wie sie sich heute
noch häufig in Kirchen, Sakristeien und Privatsammlungen mit auffallend ähn-
lichen Darstellungen, wie die eben beschriebenen, erhalten haben, scheint auch
aus dem Umstände sich erhärten' zu lassen, dass namentlich in den früheren Lan-
destheilen von Bui^und, Flandern und dem Artois sich eine Menge ähnlicher,
kimstreicher Utensilien heute noch vorfinden. Hierhin sind auch noch zu rechnen jene
vielen verwandten Sculpturwerke in demselben Style und aus derselben Kunstepoche
in der bekannten reichhaltigen Sammlung mittelalterlicher Geräthschaften des
Fürsten Pierre Zoltykoff zu Paris, der interessanten Sammlung des M. Charrand
ebendaselbst und in den reichhaltigen Kunstsammlungen des Louvre und des Hotel
Clyni. Auch in der Sammlung des M. Ghalendon zu Lyon und in dem städti-
schen Museum zu Bheims und zu Dijon fanden wir an ähnlichen Diptychen und
Triptychen sowie an verschiedenen formverwandten coffrettes, desgleichen an der
künstlichen Einfassung der Metallspiegel jene stereotype Stylphysiognomie,
wodurch sich auch das vorliegende Kästchen so eigenthtlmlieh auszeichnet. Die
oben beschriebenen interessanten Reliefs mögen zum Beweise dienen, dass auf dem
eben angeführten Terrain im 13. und 14. Jahrhundert die Elfenbeinschnitzkunst
zur Ausschmückung kleinerer, profanen und religiösen Utensilien eine ausgedehnte
Anwendung gefunden habe.
27%
Elfenbeinkästchen
mit vielen Sculpluren.
XrV. Jahrh. Länge 14 Centimeter. Breite 7 Centimeter. IlOhe 4'/t Gcntimeter
Auch dieses interessante Reliquienkästchen gehört offenbar mit dem unter
Nr. 27 beschriebenen, einer und derselben Kunstepoche an, und ist dasselbe wie
das in der vorigen Nummer besprochene Elfenbeinkästchen ebenfalls mit vielen
figürlichen Darstellungen als Basreliefs verziert, die gleichfalls aus dem Be-
reiche der Minne und nach erotischen Liedern der Meistersänger gehalten, eine
mit der früher erwähnten analoge Darstellung gefunden haben. Auf dem
Deckel des ELästchens zeigen sich unter vier Spitzbogenstellungen vier Darstellun-
gen der „amantes^S wie sie wahrscheinlich in verschiedener Situation entnom-
men sind als Hauptdarstellungen einem bekannten und vielleicht im Munde des
Volkes damals lebenden Minneliede. Diese Basreliefs, die einen sehr charakteri-
2
10 ST. URSULA.
stischen Styl und Typus erkennen lassen, sind jedoch nicht von der Fonnschönheit
und Treff licheit der technischen AustUhrung wie dieselberin derselben Darstellungs-
weise auf dem vorhin beschriebenen Elfenbein-Kästchen abgebildet sind. Viel-
mehr zeigen diese Sculpturen einen gewissen Grad von Unbeholfenheit und Derb-
heit sowohl in der Komposition als in der Ausführung. Auf der hinteren Seite des
Reliquiariums sieht man im mittleren Compartiment eine Jagd zur Anschauung
gebracht. Auf der entgegengesetzten vorderen Seite erblickt man ebenfalls in
drei Compartimenten die vorhin erwähnten Liebenden im Zwiegespräch begriffen
in verschiedenerartiger Auffassung als Basrelief dargestellt Auf dem einen Kopf-
theile zeigt sich die Abbildung des Ritters und seiner Dame, wie sie eben im Schach-
spiele begriffen sind. Ein besonderes Interesse bieten noch die kleinen zierlichen
SUberbeschläge , die den Zweck haben, die emzelnen Theile des Elfenbein-Käst-
chens zusammenzufügen. Man erblickt nämlich hier auf ausgegrabenen Tiefgrunde
verschiedene kleinere Thiergestalten in phantastischer Form, wie sie meistens dem
Geschlechte der Vögel angehören. Möglich ist es, dass die ausgegrabenen Tief-
giUnde dieser verbindenden Bandstreifen ehemals mit blauem Email ausgefüllt
waren. Auf der vorderen Seite des kleinen Kästchens hat der Bilusehnitzer
gleichsam als Wächter für den im Kästchen aufgehobenen Schatz den sagenhaften
Vogel Greif zur Darstellung gebracht Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass
das vorliegende sculptirte Kästchen ebenfalls wie das unter Kr. 27 beschriebene
gegen Schluss des 13. Jahrhunderts seine Anfertigung gefunden habe. Dasselbe hatte
gleichfalls als Schmuck- und Juwelenkästchen ursprünglich in der Hand einer
Edeldame einen profanen Gebrauch , und kam wahrscheinlich erst in späterer Zeit
als Geschenk in den Besitz der Kirche, bei welcher Uebergabe man auf die Wahl
der dargestellten Scenen weniger Gewicht gelegt haben mochte.
28.
ReliqDieiischrein der heil. Ursula^
in Kupfer vergoldet mit vielen Emaillen.
XII. Jahrhundert. Höhe 5 Deoimeter. Breite 4 Deoimetcr. Läpge 12 Deoimetcr.
Von grösseren Reliquienschreinen, die in altem Inventaren, „arca, eütOf
theca^ benannt werden, haben sich heute in den Kölnischen Schätzen noch Gott-
lob mehrere Pracht-Exemplare erhalten , die von der Höhe der Goldschmiede- und
Emaillirkünste des 12. Jahrhunderts beredtes Zeugniss ablegen. Die Errettung dieser
kunstreichen Reliquienschreine vom Untergange ist wohl zunächst dem Umstände zu
verdanken, dass dieselben einen geringen Metallwerth hatten, der bei der Verschleu-
dertmg der Kirchenschätze im Anfang dieses Jahrhunderts sich des Einschmelzens
nicht verlohnte. Die Anlage dieses gi*össeren Reliquienschreines ist sehr eigen-
ST. URSULA. 11
thttmlich und weicht von der Constniction der ttbrif^en Reliquienschreine, wie sie
noch auf uns gekommen sind, bedeutend ab. Sämmtliche grössere „area^* zeigen
insgesammt die Form des Langschiffes 6iner kleinen Kirche , die in ihren Haupt-
theüen constructiv gehalten ist Die meisten Reliquienschreine, die uns zu Gesicht
gekommen sind, werden oben abgeschlossen , von einem spitzen Satteldache, dass
an den beiden Kopftheilen, einen im Dreieck gehaltenen Giebel zeigt. Auch der
vorliegende reich verzierte Reliquienschrein stellt sich dar, als durchaus construc-
tiv gehalten, ähnlich dem Langschiffe einer Kirche ohne Kreuz. Die Bedachung
steigt nicht unter einem spitzen Winkel an, sondern ist im Halbkreis ähnlich einem
Tonnengewölbe angelegt An den beiden schmäleren Kopftheilen erblickt man
auch deswegen überstimmend mit dieser halbkreisförmigen Bedachung zwei Giebel
ebenfalls im Halbkreis gehalten. Diese rundbogigen Giebel wiederholen sich auch
an jedem Theile der Langseite des Reliquienschreines und steht mit diesen Seiten-
giebeln ebenfalls wieder eine rundbogige Bedachung in Verbindung, so dass von
Oben gesehen, der Reliquienschrein ein Kreuz zu formiren scheint Die Kopftheile
dieses Reliquienkajstens sind leider in ihrer heutigen Gestalt sehr entstellt, indem
zur Omamentirung wahrscheinlich die in vergoldetem Silber gearbeiteten Relief-Dar-
stellungen der Flächen in einer aufgeregten 2ieit, vielleicht des geringen Metallwerthes
wegen, davon entfemt'wurden. Ob diese getriebenen Silberbleche figurale oder oma^
mentale Darstellungen enthielten, lässt sich heute nur sehr schwer bestimmen. Jeden-
falls war die Vertiefung des rundbogigen Giebelfeldes (tympan) früher mit einer
Reliefdarstellung in getriebenem Silberblech verziert mit scenirten Bildwerken
entweder aus dem Leben des Heilandes oder der Mutter Gottes oder jener Heili-
gen deren Reliquien in dem Schreine ruheten. So war auch ohne Zweifel jenes
grössere Medaillon an dem hintern Kopftheile des Reliquienschreines mit einer
getriebenen Darstellung einer vierblätterigen Rose als Randverzierung umgeben
und eingefasst, die sich heute, in emaillirten Plättchen erhaben hervorstehend, noch
erhalten hat Auch die vordere Kopfseite des Reliquienkastens als Hauptfagade
entbehrte gewiss nicht des Schmuckes von getriebenen Figuren, wie sie an den
meisten grossem Reliquienschreinen Kölns heute nicht fehlen. Auch an dieser
Stelle ist eine Entstellung eingetreten und erblickt man hier von einem kleeblatt-
iörmigen dreitheiligen Rundbogen umgeben eine platte monotone Metallfläche ohne
Detailschmuck. In diesen Kleeblattbogen liest man in spätromanischen Majuskel-
schriften eine Inschrift in blauem Email, die anzudeuten scheint, welche Gebeine
der Heiligen vorzüglich in diesem prachtvollen Schreine ihre Ruhestätte gefunden
hatten und die, vielleicht auch figürlich unter diesen Bogen und der betreffenden
Inschrift thronend, als Hautrelief ehemals dieser Hauptfronte zum kunstreichen
Schmucke dienten. Die Inschrift lautet nämlich rechts beginnend: Sancta Ursula,
Smicta Maria, Sancta Cordula. Analog mit den übrigen altkölnischen Reliquien-
Hchreinen befand sich zweifelsohne auf der unteni schräg ansteigenden Deckplatte, auf
welcher wie auf einem Piedestal das Schreinwerk sich erhebt, eine ähnliche Inschrift
in Vergoldung auf dunkelblauen emaillirten Grunde, die meist in leoninischen
Versen gewöhnlich einen Lob?*pruch auf jene Ueberbleibsel von Heiligen enthielt,
12 ST. ÜBSULA.
welche in dem Sehreine ehrfurchtsvoll beigesetzt worden waren. Diese untere
Platte ist ebenfalls ergänzt worden und zeigt in Gravirung ein Ornament, welches
dem SchlusB des vorigen Jahrhunderts anzugehören scheint Auf dieser im Recht-
eck gehaltenen untern Platte erheben sich an den vier Ecken kleinere emaillirte
Kundsäulchen mit Bockein und romanischen LaubcapitiÜchen versehen, die hervor-
stehend eine Deckplatte zu tragen scheinen, auf welcher das Dach mit seinen rund-
bogigen Giebeln basirt ist. An jeder der Langseiten dieses Keliquienkastens er*
sieht man eine sechstheilige Bundbogenstellung, deren innere Flächen eine Art
Baldachin formiren, welche ehemals die Bestimmung hatten, die vielleicht in Sil-
ber getriebenen und vergoldeten Standbilder der zwölf Apostel als Basreliefs auf-
zunehmen. Diese zwölf Bogenfelder scheinen gegen Schluss des vorigen Jahrhun-
derts ebenfalls beraubt worden zu sein, und sind später auf eine kunstlose und
stylwidrige Weise mit zwölf weissen Täfelchen ausgefüllt worden, auf welche man
verschiedene Psalmtexte und Symbole des Martcrthums gemalt hat Diese Arca-
den je 6 und 6 auf jeder Seite werden getragen durch vorstehende auf ihren
Flächen emaillirte Pilaster, die von einem sculptirten Capitälchen überragt werden,
auf welchen sich Bogen -Zmckel erheben, die in ihren Flächen mit reichen
vielfarbigen Schmelzen kunstreich verziert sind. Offenbar hat sich die obere Be-
dachung dieses ausgezeichneten Keliquienschreines bei den VerwtUitungen der
grossen Revolution, die ihre verheerenden Wellen bis an den Rhein geschlagen
hat, am besten erhalten, und scheint hier kein wesentliches Stück der ursprttng-
lichan Omamentation zu fehlen. Es ist nämlich die ganze kreisförmige Bedachung
des Kastens in kleinen Quadraturen getheilt, die in ihrer Mitte abwechselnd ein
kunstreich getriebenes I^aubomament in einem scharf ausgesprochenen spätromani-
schen Charakter einfassen. Auf sämmtliehen Ecken dieser Quadraturen hat der
Künstler des Mittelalters erhaben aufliegend, RundmedaiUons befestigt, die die
mannigfaltigsten in Kreuzform emaillirten Pflanzenomamente zeigen. Diese sämmt-
liehen emaillirteu Medaillons haben einen tiefblauen Grund und sind die Pflanzen-
omamente in wachsenden Farbtönen von Blau und Grün mit einfassenden Gold-
linien kenntlich gemacht Auf der Bedachung erhebt sich, ein Kreuz bildend,
eine durchbrochene Kamm-Bekrönung in einem bekannten romanischen Lauboma-
ment, das nach gleichen Zwischenräumen kleine Crj'stallkugeln in sich au&immt
Auf dem Durchkreuzungspunkte dieses Kammaufsatzes, so wie auf den Rundbogen-
giebeln zu beiden Langsciten des Schreines erblickt man grössere Krystallkugeln
von Blätterschmuck umgeben, die in Form von kleinen Aepfelchen nach Einigen die
Früchte der guten Werke versinnbilden sollen, die als Wohlgerüche über dem Grabe
der Heiligen, gleichsam symbolische Ornamente, hier ihre passende Stelle finden mögen.
Diese zierlichen y^pomeHa^ die überhaupt an grösseren romanischen Reliquienschrei-
nen niemals fehlen, ersieht man auch in grösserem Umfange in Messing vergoldet
mit reichen vielfarbigen Schmelzen zu beiden Schmalseiten des vorliegenden Reli-
quienkastens als Abschluss und Bekrönung der Rundbogen-Giebel. Diese Giebel
sowohl an den Kopftheilen, wie auch an jeder Langseite des Schreines sind eben-
falls durch eine durchbrochene Kammbekrönung rierlieh abgeschlossen. Unter
8T. UBSCLA. 13
dieser Kammbekrönung hat die Kunst des Schmelzers hervortretend an jedem der
4 Giebel vier kleine viel&rbig emaillirte Zierplättchen angebracht, die nach glei-
chen Zwischenräumen mit gravirten vergoldeten Kupferblechen abwechseln, auf wel-
chen der Goldschmied, um denOmamentenreichthum des Reliquienkastens zu erhöhen,
jedesmal drei ungeschliffene Halbedelsteine in einfachen Fassungen applicirt hat;
dieses System der Omamentation ist auch beibehalten an dem ziemlich stark vor-
springenden oberen Rande, der wie ein Architrav tLber die vorhin erwähnte Bogen-
stellung bei den Langseitei) des Schreines gelegt ist Die wenigen Halbedelsteine
ohne Schleifung, die sich bis heute an diesem omamentalen Rande noch erhalten
haben, sind zu erkennen als Agate, Saphire, Rubinen, Camiole. Die werthvolleren
sind in der früher erwähnten Katastrophe verloren gegangen, und durch werth-
lose fa^ettirte Glasflüsse mit unterlegter Folie kunstlos ersetzt worden. Es kann
nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass der vorliegende prachtvolle Schrein
von den altkölnischen Emailleurs zu jener Zeit angefertigt worden ist, wo in die-
sem Kunstzweige mit ähnlichen Ornamenten die vielen übrigen grossen Reliquien-
schreine in der Stadt und der Erzdiöcese Cöln in Menge entstanden sind. An
einer anderen Stelle in diesem Werke werden wir darauf hinweisen , dass vor-
nehmlich die Kunst des EmaiUirens und des Schmelzens von den ^Jvotres laid^
in dem altberühmten Benedictinerkloster zu St Fantaleon mit grosser Meisterschaft
geübt worden ist, und dass von dieser religiösen Schule die meisten jener ausge-
zeichneten Reliquienschreine hervorgegangen sein dtbrften, deren Besitz in vielen
prachtvollen Exemplaren die Erzdiöcese Köhi trotz der vielen Stürme, die beim
Ausbruch der französischen Revolution über sie ergangen sind, sich heute noch
bewahrt hat Wir werden bei Beschreibung der Reliquienschreine des heil. Heribert
zu Deutz, sowie des St Albinu»- und St Maurinusschreines, beide Letzgenannten
in der Kirche von St Maria in der Schnurgasse befindlich, auf die grosse Ver-
wandtschaft der getriebenen und eingeschmelzten Arbeiten zurückkommen, die
die eben gedachten drei prachtvollen Reliquienschreine mit dem vorliegenden
Schreine der heiligen Ursula und Kordula geraeinschafUich aufzuweisen haben.
Schliesslich bemerken wir noch, dass auch der in Rede stehende Reliquienschrein
jener produktiven Kunstepoche, der letzten Hälfte des 1 2. Jahrhunderts angehöre,
in welcher überhaupt die meisten grossartigen Goldschmiedewerke im „heil. Köln*'
angefertigt worden sind.
Die Kirche von St Ursula besitzt auch noch in drei verschiedenen Abthei-
lungen eines alten Altaraufbaues aus dem 13. Jahrhundert 2 grössere Reliquien-
kasten in Form der älteren Sarkophage, die ebenfalls fUr die hohe Entwickelung
und Ausbildung der Kölnischen Emaillir- und Goldschmiedekunst des 12. Jahr-
hunderts beredtes Zeugniss ablegen. Diese beiden ehemals reichverzierten Reli-
quienschreine stehen leider heute nur als klägliche Ruinen da, die ftlr die gewalt-
same Bemubung und Zerstörung der kirchlichen Kunstreliquien in den Umwälzun-
gen zu Anfang unseres Jahrhunderts als Zeugen auftreten können. Man er-
kennt an diesen beiden „arca^ heute nur das spärlich vergoldete Gerippe in
Eichenholz, das früher mit emailirten und in Silber getriebenen, figürlichen und
14 ST. URSULA.
ornanientolen Darstellungen umkleidet wtfr. Der mittlere dieser drei Reliquien-
Schreine lägst noch am meisten die kunstreichen Spuren der fiHheren, heute entr
schwundenen Herrlichkeit erkennen. Dieser mittlere Schrein, dem eine unverbürgte
Tradition heute noch den Namen der ,,arca sianctae UrstUae^ beilegt, zeigt jetzt noch
an den beiden Schmalseiten des Kopf- und Hintertheiles eine dreifache Arkaden-
stellung im Rundbogen, die von kunstreichen, reich emaillirten, freistehenden Rimd-
säulchen getragen sind; sowohl die getriebenen Standbilder in dieser dreifachen
Bogenstellung, als auch die als Hauterelief getriebenen^ Darstellungen in dem Gie-
belfelde des gedachten Schreines fehlen heut gänzlich. Zu beiden Langsei-
ten des Reliquienkastens, der früher bei feierlichen Processionen auf einer Trag-
bahre einhergetragen zu werden pflegte, lassen sich heute noch auf jeder Seite je
6 Bogenstellungen erkennen, die auf vorspringenden emaillirten Pilastem mit
reich sculptirten Capitälen und Sockeln basirt sind. Auch die inneren Zwickel
dieser Arkadenstellimgen sind mit zierlichen Laubomamenten auf blauem Emaill-
grunde ausgefbllt Zweifelsohne thronten unter diesen 1 2 Bogenblenden, analog mit
den übrigen grösseren Reliquienschreinen, die sich in der Kölnischen Erzdiöcese
zahlreich heute noch erhalten haben, die sitzenden Standbilder der 12 Apostel als
Basreliefs in getriebener Arbeit Leider mochten dieselben von vergoldetem Silber
gewesen sein, und war dieses geringfügige Material des Silbers die traurige Veran-
lassung, dass diese schönen Kunstwerke unwiederbringlich in den Schmelztiegel
wandern mussten. Auch der reiche omamentale Schmuck in getriebenen ver-
goldeten Silberblechen, der ehemals auf den beiden dachförmigen Flächen des
besagten Reliquienschreins prangte, fehlt heute sämmtlich, und ist derselbe durch
unpassende Ornamente aus vergoldetem Holz aus dem Beginne unseres Jahrhun-
derts ergänzt worden. Als Kammbekrönung des Reliquienkastens zeigt sich heute
noch ein prachtvoll ciselirter Aufsatz in Pflanzen- und Thieromamenten kunstreich
durchbrochen. Unter den ansteigenden Bedachungsflächen erblickt man auf blau
emaillirtem Grunde in spätromanischen Majuskelbuchstaben eine vielfach verstüm-
melte Inschrift, die, wie es uns scheinen will, Bezug nimmt auf die heil. Ursula
und ihre jungfräuliche Begleitung. Der zweite dieser beraubten Reliquienschreine,
beflndlich zur rechten Seite des eben gedachten Schreines der heil. Ursula, bietet
in formeller Beziehung der christlichen Kunstarchäologie nicht jenes Interesse, wie
dies bei dem eben beschriebenen Schreine in hohem Grade der Fall ist Derselbe
gehört auch nicht, wie das früher erwähnte Schreinwerk dem Schlüsse des 1 2. Jahr-
hunderts an, sondern es stammt derselbe aus der frühgothischen Periode, und
dürfte derselbe hinsichtlich seiner Anfertigung in die letzte Hälfte des 13. Jahr-
hunderts zu versetzen sein.
Es hält heute schwer, zu bestimmen, ob derselbe ehemals mit getriebenen
Silberblechen und einzelnen emailirten Platten belegt war. Der dritte Sehrein von
kleinerem Umfang, der sich in der 3. Oefl&iung des merkwürdigen Altaraufsatzes
von St. Ursula befindet, bietet zunächst fllr unseren Zweck ein geringeres In-
teresse, indem derselbe sich in seiner Ganzheit als ein kunstloses Machwerk
aus den barroken Zeiten des vorigen Jahrhunderts herausstellt; nur einige unge-
ST. UfiSULA. 15
schliffene Halbedelsteine in Form von Pasten deuten an» dass sie ehemaligen Be-
liquienschreinen entlehnt sind. Als dritter Sehrein fand sich früher, einer glaub-
würdigen Angabe zufolge, an Stelle des letztgedachten kunstlosen Behälters jener
kostbare emailirte Beliquienschrein, den wir, als im Schatze der heil. Ursula be-
findlich, unter Nr. 28 beschrieben und abgebildet haben. Zu wünschen wäre es,
dass bei der nächsten Wiederherstellung des merkwürdigen Beliquienhalters von
St. Ursula auch dieser fehlende dritte Beliquienschrein, um die Tradition aufrecht
zu erhalten, an seine primitive Stelle wieder hinversetzt würde. Die formelle Be-
schaffenheit dieses ebengedachten seltenen Altarwerkes von St. Ursula, das heute
eine grössere Berühmtheit im Auslande als im Inlande geniesst, werden wir in
getreuer Abbildung veranschaulichen und näher beschreiben bei Gelegenheit, wo
der zu diesem frühgothischen Altarschreine gehörende kostbare Altarvorhang, heute
widerrechtlich und ohne Zweck befindlich in der hiesigen ehemaligen Bathbaus-
kapelle, näher besprochen und erläutert werden wird.
' 29.
Reliqniengefäss,
in Silber vergoldet, einen kleinen Baldachin bildend, mit darunter befindlichem
Krystall-Cylinder.
XrV. Jahrhundert Höhe 17'/s Centimeter. Breite 9 Centimeter.
Vorliegendes interessante Beliquiarium zieht nicht nur wegen seiner origi-
nellen und zierlichen Anlagen, sondern auch wegen der feinen Durchbildimg sei-
ner schönen omamentalen Theile die besondere Aufinerksamkeit des Kunstkenners
auf sich. Es bildet i^mlich dieser Beliquienbehälter in seiner quadratischen An-
lage die Form eines Baldachins nut offener durchbrochener Bedachung, unter wel-
cher der Künstier in horizontaler Lage einen Krystall-Cylinder zur Au&ahme der
Beliquien zweckmässig angebracht hat. Auf einem im Viereck gehaltenen Fussge-
stell, dessen einzelne Ständer nicht wie gewöhnlich Löwentatzen oder Greifenklauen
ähnlich sind, sondern die aus einem schön modellirten Dreiblatt, in Silber ciselirt,
bestehen, erhebt sich eine glatte, silbeiTcrgoldete Platte, die, ebenfalls im Viereck
gehalten, in ihrem vertieften Bande ein sternförmiges Ornament enthält, das, wie
wir früher schon bemerkten, für eine gewisse Periode der Goldschmiedekunst cha-
rakteristisch ist Auf den vier Ecken dieser unteren Platte erheben sich, im Fünf-
eck angelegt, vier Widerlagspfeiler, die, um ihre Schwere zu mildem, im Inneren
nach ihren 4 Seiten mit Durchbrüchen versehen sind. Auf der oberen Wasser-
scluilge dieser 4 Widerlagen setzt sich eine Verjüngung dieser Pfeiler fort, die
nach obenhin in Fialen auslaufen. Als besonders reiches Ornament, streng archi-
tektonisch gebildet , zeigen die schmäleren Kopftheile des Beliquiariums, unter fein
gegliederten Ziergiebeln, verschiedene Zirkelschläge mit Maasswerkfällungen, die der
16 8T. URSULA.
Künstler nach hinten hin, jant kleinen randen Scheiben von blau durchsichtigem lEmskH
hinterlegt hat Aehnliches Haasswerk, mit Email hinterlegt, ist in der Glanzperiode der
rheinischen Gothik an reichem kirchlichen Gef&ssen häufiger anzutreffen sind. — Auf
den Giebeln selbst erheben sich als Krabben einzelne, mit vielem Schwung und Styl-
verständniss gearbeitete Blätter, die die Meisterhand eines besonders geübten Gk)ld-
Schmiedes bekunden, der mit grosser Präcision seinen Detailbildungen Leben und
Ausdruck zu verleihen wusste. — Auch die Bedachung an dem vorliegenden Bal-
dachine ist auf beiden Seiten mit architectonischen Maasswerkveizierungen durch-
b^'ochen, deren Formbildungen vollständig ttbereinstimmend sind mit den reicheren
Detailbildungen, wie sie an dem sttdlichen Thurme des Domes von Köln häufig
vorkommen.
Als Kammbekränung erheben sich auf der zierlichen Bedachung dieses Reli-
quiariums fünf Blätter, mit vielem Schwung und Verständniss gearbeitet, die ver-
mittelst kleiner Stielchen aus der Dachfirste hervorwachsen. In dem Cylinder
erblickt man sorgfältig in Seide eingewickelt verschiedene Beliquien, deren Namen
in gothischen Majuskelschriften auf kleinen Pergamentstreifen beigefügt sind. Diese
Bezeiclmungen lauten übereinstimmend mit denen auf einer grösseren „schedula^'
von Pergament, auf dem unteren Fusssockel angefügt wie folgt: y,de Sancta Maria
Magdalena, de JlageUo quo Christus ßagellatus est, de Casuia Sti. Set^vatü, de
cruore St Virgmum.^ Bei einer aufmerksamen Besichtigung der trefflich gearbei-
teten Detaifformen des vorliegenden Behälters dürfte es sich ergeben, dass derselbe
in Köln seine Entstehung gefunden habe in einer Zeit, wo es der Gothik gelungen
war, ihre Formen als Ornamente sogar in der Hand des Goldschmiedes rein con-
structiv auftreten zu lassen, und dürfte demnach die Anfertigung des vorliegenden
Beliquiariums in die erste Hälfte des XIY. Jahrhunderts zu setzen sein.
Scnlptnr in Bergkrystall
in Form eines liegenden Vierlusslers.
Höhe 4 Centimeter. Grösste Länge 6'/x Gentimeter. XI. Jahrhundert.
So unscheinbar auch die vorliegende phantastische Thierbildung aus Berg-
krystall auftritt, so hat sie doch für archäologische Forschungen eine nicht ge-
ringe Bedeutung. An dem vorliegenden Reliquiengefässe unterscheidet man deutlich
zwei Kunstepochen. Der Gothik gehört der obere Aufsatz in vergoldetem Silber-
blech an, der im Sechseck als Bohre gehalten, ehemals wie das seine zwei
Schamire zeigen, mit einem Aufsatze in Verbindung stand, der ebenfalls als Beli-
quienbehälter früher gedient haben mochte. Die architektonischen Verzierungen
an dieser sechseckigen Röhre zeigen deutlich, dass dieser Au&atz eine sj^tere
Hinzufügung ist und der letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts angehört Das
ST. URSULA. 17
grösste Interesse bietet die darunter befindliche groteske Figur, wie es uns schei-
nen will, eines Löwen in liegender Stellung aus Bergkrystall, der in seiner Detail-
form mehr als Ornament behandelt und durchgeführt ist, wie man solche phanta-
stische Thiergestalten, typisch und nicht naturalistisch aufgefasst, in den orien-
talischen Seidengeweben des XI. und XII. Jahrhunderts als retoumirende Dessins häu-
fig antrifft. — Man darf sich Über die Bohheit der äusseren Form bei dieser Thier-
bildung nicht wundem, wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten sich dem Bild-
schnitzer entgegenstellten, um mit seinen Instrumenten dem äusserst harten Material
des „cristal de rocke*' einzelne Detailformen abzugewinnen. Obschon die Thierbildmig
des liegenden Löwen sich als eine romanische Sculptur fbr den Geübteren
vollständig zu erkennen giebt, so zeigen doch die ziemlich roh gearbeiteten
Pflanzenbildungen, wie dieselben vom Steinschneider auf den breiten Hin-
terschenkeln des liegenden Löwen angebracht sind, als charakteristische Orna-
mente deutlicher die Kunstepoche an, in welcher vorliegender höchst eigen-
thttmliche Reliquienbehälter seine Entstehung gefunden hat Auch die Formation
einer sogenannten 9,palmetie'% die vertieft auf den breiten Theilen der Vorderschen-
kel eingravirt sind, ist für eine gewisse Eunstepoche sehr kennzeichnend. Auf
der Brust des Löwen hat man eine ziemlich breite Röhre eingebohrt, die in Form
eines ausgehöhlten Cylinders zur Auibewahnmg von Reliquien bestimmt war. Nach
vielen Analogien, die uns in ähnlichem Material zu Gesichte gekommen sind, zu
urtheilen, glauben wir unter Betrachtnahme der früher erwähnten omamenta-
len Details mit einiger Sicherheit die Folgerung ziehen zu können, dass die in
Rede stehende merkwürdige Sculptur in Bergkrystall gegen Schluss des XL oder
in der ersten Hälfte des XH. Jahrhunderts angefertigt worden ist Im Vorbeigehen
erinnern wir daran, dass man in der romanischen Kunstepoche für decorative
Zwecke sich häufiger des Bergkrystalls bediente, indem man ihn theils in runder
ovaler Schleifung und kräftiger Fassung als Paste anbrachte, oder ihn in vielge-
staltiger Form an Altar- und Vortragekreuzen, sowie auch an dem Ständer klei-
nerer Leuchter in Anwendung kommen Hess; meistens aber tritt er in Form von
phantastischen Thiergestalten als rohe Sculptur auf, wie wir dergleichen in analo-
ger Weise auf einigen Reliefdarstellungen im Schatze zu Quedlinburg, wahi-schein-
lich aus der Zeit der Ottonen stammend, kürzlich noch in Augenschein genommen
haben. — Auch an einem sehr merkwürdigen altromanischen Altarkreuz zu St Se-
verin in Köln, dessen Beschreibung in der 4. Lieferung dieses Werkes mitgetheilt
werden wird, finden sich in Verbindung mit den Querbalken an kleinen Kettchen
hängend angebohrte Reliquienbehälter in Bergkrystall mit vertieften ausgestochenen
Ornamenten, die mit dem vorliegenden Gefässe wohl eine Entstehungszeit bean-
spmchen dürfen. Auch die kürzlich in Krakau veröffenüichten Abbildungen der
kirchlichen Kunstschätze aus der Kathedrale der ehemaligen polnischen Königs-
stadt *^j veranschaulichen eine charakteristische Copie eines sehr merkwürdigen Trink-
**') Der Schatz der Kathedrale zu Krakaa, mit Abbildung^en herausgegeben von einer archäologi-
schen Gesellschaft. Krakau 1857.
18 ST. URSULA.
becliers iu Bergkrj'stall mit eingravirten romanisohen Ornamenten, die mit den eben
angeflihrten, was teelmiRclie Behandlung betriflft, Aehnliehkeit haben. Wie der zu
eben besagtem Bildwerke gehörige Text angibt, soll diese merkwUnlige Sehaale
in Bergkrystall der heiligen Hedwig, irren wir nicht, als Trinkbecher gedient haben.
Die an der Krvstallsehaale vorkommenden Ornamente stehen mit dieser Tradition
nicht in Widei-spruch.
Knsstafel,
Keiiquiengefäss in Form eines Kussläfelcheiis, in vergoldetem Kupfer.
XVI. Jahrhundert. Höhe 16'/i Centimeter. Breite 9 Vi Centimeter.
Das vorliegende j^osculum pacis^ verräth hinsichtlich seiner einfachen Anlage
eine grosse Uebereinstimmung mit dem Agnus d!^*- Täfelchen aus der Sakristei von
St Martin, das in der 2. Liefr. dieses Werkes ausführlicher beschrieben wenlen wird.
Es erheben sich nämlich auf einem quadratisch länglichen Untersockel, der im
Inneren ausgehöhlt ist und nach Aussen blos einfache Profile zeigt, an den vorde-
ren Ecken zwei Widerlagspfeiler, die vermittelst Wasserschrägen mit der inneren
Vierung des Kusstäfelchens in Verbindung gesetzt sind. Als Sockel zeigen diese
Widerlagspfeiler ein einfaches Blattomament, und finden dieselben nach oben ihren
Abschluss in zwei kleinen Fialen als ausmündende Spitzthürmchen; lieber der mitt-
leren Vierung, die ein getriebenes Bildwerk der Madonna in Rothknpfer enthält, erhebt
sich ein Ziergiebel in Form eines geschwungenen Eselsrticken, der auf seiner Spitze
diu*ch eine Kreuzblume abgeschlossen wird. Auf der hinteren Seite ist eine Hand-
habe, nach Art eines Spruchbandes aufgenietet, auf welchem in spätgothischen Ma-
juskelbuchstaben der Goldschmied folgenden Spruch eingravirt hat:
Helf Ghot unde Maria uns allen.
Bidet Ghot vor Alle Criste Selen.
Die vorliegende „tabula pack^^ die bei den täglichen Stiftsmessen von
St. Ursula ehemals an gewöhnlichen Tagen in Gebrauch gewesen sein mag, ist in
ihrer Anlage und den Detailformen sehr einfach und anspruchslos gehalten. —
Nur das Mittelbild, das die eben beschriebene gothische Einfassimg mngibt, zeigt
die grosse Routine, welche die Goldsehmiedezunft des XVI. Jahrhunderts in Köln
sich in Ausführung von getriebenen Darstellungen erworben hatte. Obschon die
Arbeit nicht mit ängstlicher Sorgfalt im Einzelnen ausgefllhrt ist, so beweist sie
doch ein richtiges Verständniss der körperlichen Formen, und es gibt sich bei die-
ser Madonna schon eine strengere Nachahmung der Natur und ein Anschliessen
au italienische Vorbilder deutlich zu erkennen, wodurch der Einfluss des neu ent-
standenen Styles der Renaissance sich hinlänglich kennzeichnet Auch die Nische,
8T. UB8ULA. 19
worin die Madonna, das Jesuskind haltend, als Brustbild angebracht ist, verräth
schon vollständig den Eintritt der Renaissance auf kölnischem Boden, indem hier
jene bekannte Muschelform als Baldachin angebracht ist, wie dieselbe architek-
tonisch im grösseren Maasstabe auch an der merkwtlrdigen Vorhalle der Süd-
seite des Langschiffes von St. Georg in Köln, vollständig entmckelt als eine
Nachbildung von klassischen und romanischen Bauformen, zu ersehen ist. Stimmt
die Anfertigung dieses getriebenen Bauwerkes mit der gothischen Einfassung der
Zeit nach zusammen, was jedoch mit Grund bezweifelt werden darf, indem diese
getriebene Arbeit einen vollständig italienischen Anstrich hat, so könnte man die
Entstehung dieses Kusstäfelchens, das in einer hinteren Kapsel verschiedene Reli-
quien ohne nähere Bezeichnung enthält, in das zweite Viertel des XVI. Jahrhun-
derts versetzen.
32.
Pectoralschild,
Agraffe als Schliesse eines Ghormantels von vergoldetem Kolhkupfer.
XV. Jahrhundert GrÖsster Durchmesser t6' t Gentimeter.
Die Verzeichnisse der älteren Kirchenschätze geben vielfach Nachricht von dem
Vorfinden reicher Pectoralschilder, die aus edlen Metallen angefertigt und mit dem
Schmucke kostbarer Steine versehen, den reicheren Pluvialeu an Festtagen als Kram-
pen zur auszeichnenden Zierde dienten. Diese Pectoralschilder, die sich heute in
den Sakristeien Kölns nur noch in sehr wenigen Exemplaren vorfinden, hatten im
Mittelalter die Bestimmung, die Schliesse und Zusammenfttgung der Chormäntel
auf der Brust zu verdecken. Gewöhnlich bilden diese Schliessen der Ghorkappe
ein Stück Stoff von der Breite einer Hand, und die Kunst im Mittelalter glaubte
diesen kleinen Stoffrest zum Zusammenhalten des Chormantels, des beschränkten
Raumes wegen, nicht so durch Stickereien heben zu können, dass diese Schliesse,
an hervorragender Stelle befindlich, zu dem tlbrigen Beichthume des Chormantels
passte. Um dem Bedürfnisse nach einem reicheren Schmucke an dieser Stelle
abzuhelfen, nahm man deswegen im Mittelalter häufig die Goldschmiedekunst zu
Hülfe, und liess mit allem Aufwände der Kunst grössere und kleinere Brustschilder
in Form von Medaillons anfertigen, die vermittelst einer kleinen Kette oder auch eines
breiteren Krampens so getragen wurden, dass sie in ihrer Grösse und Ausdehnung
vollständig den unschönen Halter der Chorkappe, als formlosen Stoffrest, zweck-
mässig verdeckten. Die vorliegende Agraffe, die in Schatzverzeichuissen auch häufig
y^manäe, ßbula^ genannt wird, diente ehenuds, sowie auch heute, zu dem obenbe-
zeichneten kirchliehen Gebrauche. Dieses Pectoralschild aus St. Ursula, das zu deu
reicheren gehört, die sich noch in Köln erhalten haben, bildet vollständig die Form
des bekannten Vierpasses oder einer vierblättrigen Rose. Die äusseren Ränder
20 8T. URSULA.
dieses Vierpasses nach Innen zeigen schon ein Stabwerk, die Spätperiode der
Gothik kennzeichnend, das sich durchbricht oder, wie man es gewöhnlich bezeich-
net, das in's Versteck geht und sich verkröppt Um diesen mittleren Vierpass
zieht sich eine tiefe Hohlkehle, in welcher der Künstler einen Rundstab frei auf-
liegend angebracht hat, der, nach regelmässigen Abschnitten, mit kleinen Ringen
und polygonen Knäufen belebt wird. In den vier Ecken oder Einschnitten dieses
Vierpasses hat der Groldschmied ein reicheres gothisches Laubwerk sich ansetzen
lassen, wodurch eine Erweiterung der Hohlkehle nöthig wurde. Auf diese Weise
gestaltete sich die äussere Umringung und Einfassung des vorliegenden Pectoral-
Schildes zu einer achtblättrigen Rose. Auf der inneren Vertiefung des Vierpasses
hat der Ktlnstler auf einer dreitheiligen Karyatide, die von einem zierlichen, schlank
geschlungenen Laubwerke getragen wird, drei Statuettchen angebracht, deren mitt-
leres die Madonna dai*stellt. Zur rechten Seite dieser Statuette erblickt man das
ciselirte Standbildchen eines Apostels, dessen kennzeichnendes Marterwerkzeug heute
fehlt; auf der linken Seite hingegen das Standbild des heil. Franciscus von Assisi,
der mit der einen Hand seine stygmatisirten Wundmahle zeigt. Sofort erkennt
man an der Stylisirung der Gewänder imd dem fleissig gearbeiteten Ausdrucke der
Köpfe, dass diese beiden Nebenstatuettchen , primitiv zu der Agraffe gehörend,
von Meisterhand angefertigt worden sind. Das Standbildchen der Himmelskönigin
in der Mitte ist jedoch erst später hinzugefügt, sehr roh und nicht ciselirt gear-
beitet, ein Product aus der Spätzeit der Renaissance. Diese drei Statuettchen
werden gemeinschaftlich von einem breiten Baldachin überragt, der, ein geschwun-
gener Eselsrücken, die Ausartung der architektonischen Formen deutlich zu Tage
treten lässt, wie sie gegen Schluss des XV. Jahrhunderts, dem wir auch bestimmt die
Entstehung dieses Vorhängeschlosses zuschreiben, gang und gäbe waren. Dafür spre-
chen auch die Maasswerksformen und Zirkelschläge, die in Gravirung in den bei-
den gegenüberstehenden Rosenblättem des Vierpasses als Ornamente ersichtlich sind,
desgleichen auch das ciselirte gothische Laubwerk, das an der ebengedachten
Stelle, frei durchbrochen, aufgenietet ist. Die Glasflüsse mit vielen Facettirungen
und unterlegter Folie, die allein schon für einen modernen Ursprung zeugen, schei-
nen aus dem letzten Jahrhunderte herzurühren und an die Stelle von früheren un-
geschliffenen Edelsteinen gesetzt worden zu sein. Die Krampe auf der Rückseite,
vermittelst welcher die yjibula^ heute auf das Querstück der Chorkappe eingescho-
ben wird, gibt sich ebenfalls als eine spätere Zuthat zu erkennen, und die vier
vorstehenden Verbindungshaken auf der Rückseite der Agraffe scheinen uns andeu-
ten zu wollen, dass dieses „?nonile^ ursprünglich vielleicht als verzierendes Mittel-
stück an einem anderen kirchlichen Kunstgegenstande befestigt gewesen ist
Noch weisen wir darauf hin, dass in der reichhaltigen Privatsammlung
mittelalterlicher Kunstgegenstände von Kaufinann Ruhl in Köln sich ein ausge-
zeichnetes Prachtexemplar einer mittelalterlichen Agraffe von grosser Dimen-
sion und delikater technischer Ausarbeitung befindet, die aus der Kunst-
sammlung des verstorbenen Rentners Leven herrührt und offenbar von der
Meisterhand eines Kölnischen Goldschmiedes gegen Mitte des XV. Jahrhunderts
ST. ÜESULA. 21
ausgeführt worden ist. — Die reichsten Pectoralschilder dieser Art, die uns auf
längeren Reisen zur Kenntniss gelangt sind, befinden sich in dem Schatze der
Sakristei der ehemaligen Stifts- und heutigen Pfarrkirche zu Tongern (in Bel-
gien). Auch der Schatz der Münsterkirche zu Aachen bewahrt noch vier reich
verzierte Agraffen in gothischem Style von grosser Schönheit der Composition und
technischer Vollendung der Ausftlhnmg. In der Sammlung kirchlicher Gebrauchs-
gegenstände aus dem Bereiche der Goldschmiedekunst des Mr. Chalendon zu Lyon
hatten wir Gelegenheit mehrmals verschiedene interessante kleine Pectoralschilder
in vielfarbigem Schmelze in Augenschein zu nehmen, die sämmtlich noch der
romanischen Kunstepoche angehören und aus den Schmelzwerkstätten der EmaUeurs
von Limoges herrühren dürften.
33.
Schangefäss,
Reiiquiengeiass in Form einer viereckigen Kapsel mit Krystallpasten in Kupfer
vergoldet.
Beginn des XIV. Jahrhunderts. Höhe 36 Centimeter. Breite der viereckigen Kapsel 1 1 '/> Centimeter.
Durchmesser des Fusses 15 Centimeter.
Obschon das vorliegende Reliquiengefäss aus einfachem Material anspruchslos
angefertigt ist, so verdient es doch seiner originellen Form und der vielen mit grosser
Kunstfertigkeit gravirten, figuralen und omamentalen Darstellungen wegen von Sei-
ten der Archäologie ein besonderes Interesse. Das Fussstttck des vorliegenden
Reliquiars ist kreisförmig, und nicht, wie die meisten derartigen Gefässe, im sechs-
eckigen Rosenblatt gehalten. Auf dem Fusse, der röhrenförmig zu einer Spitze
heransteigt, erblickt man in 4 fiundmedaillons, von Kreisen umzogen, auf feinem
quadrirten Tiefgrunde die eingravirte Darstellung der 4 geflügelten Wesen, die be-
kannten symbolischen Darstellungen für die Evangelisten. Der „aurijaber*', der als
vollendeter Künstler dieses Gefäss ausgeführt, hat diese Symbole ziemlich vertieft
ausgestochen und so modellirt, dass sie fast als Basrelief eine skulptorische Run-
dung annehmen. Die Zwischenräume zwischen diesen Kreismedaillons hat der Gold-
arbeiter zweckmässig durch die Halbfiguren von vertieft eingravirten Engeln aus-
zufüllen gewusst, die Spruchbänder und Bücher halten. Vom schlanken Halse des
Fusses ausgehend, verzweigt sich ein omamentales Laubwerk mit den Blättem der
Weinrebe. Der Knauf, der als Handhabe des Gefässes auf dem Halse des Fusses
aufsitzt, ist sechstheilig gehalten, und an diesen Theilen treten sechs kleinere
Rundknäufe ziemlich erhaben hervor, die mit vertieft ausgestochenen Köpfen
von Engeln omamental ausgestattet sind, lieber diesem „nodus^^ erhebt sich trich-
terförmig eine Röhre, die sich nach oben in Weise eines Tellers erweitert, um als
22 ST. URSULA.
Sander zur Befestigung der grossen viereckigen E^apsel zu dienen, die die Bestim-
mung Iiat, in ihrem inneren Baume die Reliquien jener Heiligen au&unehmen,
deren Martergescliiehte auf dem dachförmig ansteigenden Deckel des Gelasses bild-
lich dargestellt ist Die 4 Seiten der quadratisch gehaltenen Reliquienkapsel sind
in der Mitte ausgefüllt durch ziemlich hervorspringende Krystallpasten in Halbkugel-
form, die vermittelst stark ausgezahnter Umringungen und Einfassungen (lectu/a)
mit der ausgeschnittenen Metallfläche in Verbindung stehen. Diese 4 Krystallpa-
sten, die die Goldschmiedekunst des Mittelalters häufig als Ornamente anzubringen
pflegt, haben hier noch den besonderen Zweck, dass sie die Besichtigung der im
Inneren eingeschlossenen Reliquien ermöglichen. An der 4. Fläche hat der KUnsfler,
da \ielleicht die nüthige Erystallkugel ihm abging, einen viereckigen glatten Ber;^-
krystall in die vorspringende Fassung eingefügt. Um die EjystaUkugehii hemm
hat der Goldschmied die freien Flächen in den Zwickeln durch gestreckte Halb-
figuren von Engeln kunstreich zu fbllen gewusst, die gleichsam über dem Grabe
der Heiligen mit der Posaime den Tag der Auferstehimg und Verklärung zu ver-
künden scheinen. Wie oben schon bemerkt, sind die 4 fast in gleichseitigem Drei-
eck gehaltenen Felder des verschliessbaren Deckels ebenfalls omamentirt durch
Rimdmedaillons in der grössten Breite von 6 Centimeter 5 Millimeter, welche im Inne-
ren in energischer Gravirung Seenen aus dem Leben und der Leidensgeschichte
der heiligen Jungfrau und Märtyrin Barbara, die in der occidentalischen Kirche in
grosser Verehrung steht, zur Anschauung bringen. In dem einen Medaillon wird
Barbara von den Schergen vor ein Götzenbild geftlhrt, und der königliche Vater
als Richter befiehlt ihr, den heidnischen Göttern zu opfern. Die folgende Scene
stellt dar die Einsperrung der heiligen Barbara in den Thurm, vollzogen durch
ihren Vater. In dem dritten Medaillon erblickt man die Scene, Avie die MärtjTin
von den Schergen zerfleischt wird. Das vierte und letzte Medaillon endlich
veranschaulicht die Enthauptung der Heiligen eigenhändig vorgenommen durch
den grausamen Vater derselben. Die Ecken dieser Bedachungsfelder um diese
Medaillons herum sind ausgefüllt durch zierlich geformten Blätterschmuck. Das
Reliquiarium erhält einen Abschluss durch einen kleinen, glatten Knauf, der,
wie es den Anschein hat, ehemals als Unterlage diente zur Aufiiahme eines klei-
nen Globus in Bergkrystall; darauf möchte auch die runde Oefihung in der
Mitte dieses glatten Knaufes hindeuten. Was die Composition der ebengedach-
ten figuralen Darstellung und des gefälligen Blätterschmuckes betriflft, so muss zu-
gegeben werden, dass sowohl in der Composition, als technischen Ausführung der-
selben sich ein ausgezeichneter Goldschmied bekundet, der mit vielem Schwung und
grosser Meisterschaft dem ungefügigen Material des Rothkupfers so schwungvolle
Formbildungen zu entiocken gewusst hat Dem edlen Faltenwurf der Gewänder
nach zu urtheilen, sowie der Form der mit der grössten Naturwahrheit gebildeten
Laubomamente nach zu schliessen, steht nichts im Wege anzunehmen, dass das
vorstehende Gefäss gegen Anfang des XIV. Jahrhunderts seine Entstehung und
kunstreiche Anfertigung gefunden habe. Vor nicht langer Zeit ist das in Rede
stehende interessante Reliquiengefäss von einem ehemaligen Pfarrgenossen von
8T. URSULA. 23
St. Ursula dem Schatze dieser Kirche geschenkt worden ; dasselbe rührte von dem
letzten, vor wenigen Jahren verstorbenen Stiftsvikar des ehemaligen Kapitels von
St Cunibert her.
Reliqnienkästchen
in Holz mit zierliclien ge[)ressten Ornamenten von dünnem Silberblech
überzogen.
XrV. Jahrhundert. Grösste Länge 24 ■'! Centim. Grdsste Breite IS '/> Centim. Grösste Hohe 2V/t Cent.
Das vorstehende Beliquienkästchen verdient in mehr als einer Beziehung die
Aufmerksamkeit von Seiten der Alterthumsforscher, nicht nur, weil es in formeller
Beziehung Interesse bietet, sondern auch weil die technische Ausarbeitung als eine
eigenthtlmliche und höchst seltene sich herausstellt Der vorliegende Schrein in
sehr origineller Form besteht seinem Stoffe nach aus einem weichen Holze, das in
allen seinen Theilen mit einer gepressten Masse, einem festen Kitt ähnlich,
überlegt ist, unserem DafürbtUten nach eine Mischung von Kreide und' Leim.
Es scheint, dass diese Masse unter Präge gebracht, mit äusserst dUnnen sil-
bernen und goldenen Blechen (Kauschsilber) überlegt und alsdann in trockenem
Zustande vermittelst einer Leimimg auf die Holzflächen des Beliquienkästchens
befestigt wurde. Auf diese Weise hat man die Flächen des Holzes durch ein
einfaches, wenig kostspieliges Material so zu beleben gewusst, dass die ausge-
pressten Ornamente nicht nur nicht einer vielgestaltigen Form ermangelten, sondern
dass auch noch diesen zierlichen Ornamenten in mattem Silber und Vergoldung
ein reicher Farbton verliehen wurde.
Die Form dieser „arcula^ weicht in sofern von den übrigen Beliquien-
schreinen ab, die in Messing oder Silber vergoldet mit Emailverzierung oder sculp-
tirtem Elfenbein vorkommen, dass die äusseren Formen auf Flächen und hervor-
stehende Leisten berechnet sind, um die gestampften Pressungen aufzunehmen.
Auf einem ziemlich breiten Fussrande, der mit reichgebildeten Ornamenten über-
zogen ist, erhebt sich ein kleines, oblonges Kästchen, das an seinen Ecken durch
Widerlagen von schmalen, viereckigen Stäben, wie es uns scheinen will, in polirten
Camiolen flankirt ist. Sowohl an den beiden Langseiten, wie an den Kopfseiten die-
ses Kästchens hat man nicht ohne Absicht viereckige, länglich geschliflFene Bergkiy-
stalle von ziemlicher Dicke anzubringen gewusst, wodurch eine bequeme Besichti-
gung der im Inneren verschlossenen Beliquien ermöglicht wurde, ohne dass eine
Oeifiiung zur Einsicht derselben vorgenommen zu werden brauchte. Zu den
beiden Seiten dieser Krystallflächen erblickt man an den beiden Langseiten der
y,tkeca oblonga" je zwei vielfarbige Thierbilduugen in Email, die von eigenthttm-»
24 ST. URSULA.
lieber Farbenpracht und originell stylstrenger Fomibildung sind. Es wllrde scbwer
fallen, diese kleinen Thierunbolde einer gewissen Tlüergattung überweisen zu
wollen, da sie mehr in der reichen Phantasie eines genialen Künstlers, als in der
Wirklichkeit jemals existirt haben. Dieselben erscheinen als vierfttssige, harm-
lose Thiere, die mit niedergedrücktem Kopf und hervorstehendem Hinterkörper
feindselig gegen eine gegenüberstehende Thierfratze in gleicher Gestalt anrennen
wollen. Frappant ähnliche Thierbilder derselben Gattung fanden wir auch in die-
ser Situation auf der kunstreich in Lederplastik geformten Enveloppe im Kaiser-
schatze zu Wien, worin ehemals die Krone des heiligen römischen deutschen Rei-
ches aulbewahrt wurde, und die nachweislich gegen Mitte des XTV. Jahrhun-
derts unter der Begierung KarFs IV. angefertigt worden ist. Was die Technik dieser
mit grosser Bravour ausgeführten Emailschildchen betrifft, so fügen wir hier hinzu,
dass diese Emailirungen auf einem feinen Silberblech helldurchscheinend als „«na//-
transluctde'^ so aufgeschmelzt worden sind, dass man die in Silberblech eingravirte
und ein wenig modellirte Thierfigur durch den durchsichtigen Schmelz erken-
nen kann. — Die übrigen freistehenden Räume an den beiden Lang-, sowie auch
an den Kopfseiten des kleinen „scrinium** sind mit den eben angedeuteten, in Silber
geprägten Ornamenten so überlegt, dass die Unterlage des Holzes gänzlich dadurch
verdeckt ist Sämmtliche Prägen liegen streifenfbrmig neben einander, und in den-
selben schlängelt sich immer wieder vorkommend eine zierliche Guirlande mit
Rebenlaub hindurch, welche als schön stylisirtes Ornament häufig in der Blttthe-
zeit ^ der rheinischen Gothik erscheint. Dadurch , dass der besagte Schrein auf 4
ausgeschnittenen kleinen Fussstücken ruht und der Boden deswegen keine Fric-
tionen beim Aufstellen erleiden konnte, hat man mit den obengedachten gepress-
ten und mit Silberstaniol überzogenen Ornamenten, die sich hier noch besonders
scharf erhalten haben, den ganzen äussern Fussboden bedeckt Der Deckel dieses
interessanten Reliquienkästchens steigt, ebenfalls nach allen Seiten hin abgeschrägt, in
Dachform an, und diese Abschrägungen sind mit fünfeckig geschliffenen Kiystallgläsem
verschlossen. Auf der oberen viereckig länglichen Fläche der Bedachung erblickt
man eine Art Handhabe in Silber vergoldet, die ehemals die Bestimmung zu haben
schien, sich derselben beim Henuntragen des vorliegenden Reliquienkästchens als
Henkel zu bedienen. Diese Handhabe zeigt sonst keine Ornamente, als 3 Aufsätze
in Kleeblattform. Auch unten, wo diese Handhabe in die Bedachung des Käst-
chens eingreift, hat der Goldarbeiter als Blätterschmuck die Blätter des Weinlaubs
silbervergoldet angebracht, die als eine gelungene, naturalistisch aufgefasste Blatt-
bildung betrachtet werden kann, wie die Gothik in ihrer Glanzepoche solche cha-
rakteristisch zu geben gewohnt war. An dieser Handhabe ist eine ^,sckedula" in
Pergament befestigt, auf welcher man folgende Angabe in mittelalterlicher lateini-
scher Majuskelschrift liest: „Cütula Sanctae Cordulae virg, et martyrist continens ein-
gula et alias reliquias S. S. Virginum item aliquod oscula mfantium qüi cum iisdem
virginibus occisi sunt. Hinsichtlich der äusserst fein stylisirten Laubomamente im
dünnen getriebenen Silberblech, sowie der vielfarbigen Schmelzwerke an den
phen bezeichneten Stellen, nehmen >vir keinen Anstand, hier die Behauptung auf-
^
ST. UBSULA. 25
zustellen, dass das vorliegende interessante Beliquiensclireinchen aus dem Beginne,
spätestens aber aus der Mitte des XIV. Jahrhunderts herrühre.
Der reichhaltige Reliquienschatz von St. Ursula besitzt noch ein zweites Reli-
quienkästchen von ähnlicher technischer Beschaffenheit, dessen artistisch formellerWerth
jedoch bedeutend geringer ist, als der der eben beschriebenen „ctstula". Auch die-
ses Kästchen ist ebenfalls aus leichtem Holz construirt und mit einer dtlnn aufliegen-
den Kittmasse überzogen, in welcher ebenfalls frtthgothische Laubomamentationen
erhaben ausgeprägt sind. Diese haben ihrerseits wieder in einem dünnen Silbersta-
niol einen ziemlich scharfen Ueberzug erhalten. An den aufrecht stehenden Seiten
dieses viereckig länglichen Kästchens sind 4 dicke Krystallgläser angebracht, die' den
Inhalt des Kästchens ersichtlich werden lassen. Oben auf der Deckplatte, die flach
abschliesst, erblickt man den Rest einer Handhabe, und hat der Künstler die Tief-
fläche dieses Deckels mit zwei Perlmutter-Täfelchen ausgefUlt; desgleichen sind zu
beiden Seiten der Handhabe die entsprechenden Flächen mit Schildkrot-Täfelchen
belegt, die auch als kleine quadratische Verzierungen an dem unteren, schräg an-
steigenden Sockel als Ornamente wiederkehren. Auch das vorliegende Reliquien-
schreinchen möchte mit dem vorhin beschriebenen dieselbe Zeit der Entstehung
beanspruchen. —
Geschichtliche Nachrichten
über die Flucht und Rettung des Reliquienschatzes von St. Ursula.
Aus den älteren Stiftern Köhis, die vielfach unter ihren Mitgliedern die Kir-
chenschätze vertheilten, ehe die Franzosen gegen Schluss des vorigen Jahrhun-
derts Köln in Besitz nahmen , haben sich heute in der Schatzkammer der St. Ur-
sulakirche verhältnissmässig nicht nur eine grosse Menge von kostbaren Reliquien
unverletzt erhalten, sondern es befinden sich dieselben auch heute noch in kunst-
reichen und werthvollen Fassungen, deren Formenbildungen noch vielfach aus der
Blttthezeit der Kölnischen Goldschmiedekunst, dem Mittelalter, herrühren. Hier-
hin sind heute noch zu rechnen eine grosse Zahl von kunstvoll in Silber getrie-
benen Brustbildern, die von der grossen Geschicklichkeit Kölnischer Goldschmiede
in der schwierigen Kunst des Treibens zum Beweise dienen können. Aeltere
Schriftsteller bezeichnen diese getriebenen Brustbilder gewöhnlich mit dem Ausdrucke
y,pectorales staiuae argenteae^, und sind dieselben in der Rege] in jener Formaus-
prägung, wie wir eines dieser ,,herma" unter Nr. 42, aus dem Domschatze herrüh-
rend, in Abbildung veranschaulicht haben. In diesen meist silbernen Brustbildern,
deren heute noch die Schatzkammer von St. Ursula, aus dem Mittelalter her-
rührend, eine grosse Anzahl aufeuweisen hat, sind ehrfurchtsvoll aufgehoben
Schädel jener heldenmttthigen englischen Jungfrauen, die in den Mauern Köln's,
26 ST. UBSULA.
auf ihrer Bttckkehr von der Wallfahrt nach Born, von den heidnischen Hun-
nen erschlagen und ihres Glaubens wegen standhaft den Märiyrertod erdul-
det haben. Nur allein der wachsamen Vorsicht der damaligen Vorstände des
St. Ursula -Stiftes hat man es zu danken, dass bei dem gewaltsamen Vordringen
der Sansculotten sämmtliche Reliquien in ihren kunstreichen Fassungen in versie-
gelten Kästen jenseits des Kheines in Sicherheit gebracht wurden.
Es muss beklagt werden, dass damals die anderen reichen Stifter und Kirchen
Kölns nicht dem gleichen Beispiele der Stiftsvorstände von St. Ursula gefolgt sind; wir
würden dann im vorliegenden Werke über bedeutend werthvoUere und kostbarere
Schätze zu berichten haben, als dies heute nach systematischer Plünderung der
altkölnischen Kirchenschätze der Fall ist Mit welcher Sorgfalt und Umsicht man
bei der Einpackung und Flucht der Kunst- und Beliquienschätze von St Ursula gegen
Schluss des vorigen Jahrhunderts verfahren ist, beziehungsweise welchen grossen Werth
man auf Erhaltung der Authenticität des seltenen Beliquienschatzes des altbertthm-
ten Stiftes legte, beweist folgende merkwürdige geschichtliche Urkunde (im hie-
sigen erzbischöflichen Archiv befindlich), deren Abschrift wir der zuvorkommenden
Freundlichkeit des jetzigen Pfarrers von St. Ursula verdanken. Wir iheilen die-
selbe hier ihrem Wortlaute nach mit und bemerken, dass die im Folgenden be-
zeichneten Gegenstände unversehrt im Jahre 1804 wieder in die oftgedachte Stifts-
kirche zurückgeftlhrt worden sind.
„MaximilianusFranciscus, Dei Gratia Archiepiscopus Goloniensis, S. B. J. per
Italiam Archicancellarius et Elector, Icgatus natus S. B. apostolicae Sedis etc. etc.
Omnibus praesentes litteras visuris, lecturis aut legi audituris salutem et
benedictionem in Domino.
Tenore praesentium notam facin^us universis, ad quos haec pagina pervene-
rit, sequentes reliquias Sanctorum huic capsae inclusas videlicet:
l"'* Caput s*** Ursulae, reginae Brittaniae V et M. cinctum diademate marga-
rithis et gemmis omato.
2*° Caput s" Etherii Eegis Angliae et M. sponsi s*** Ursulae reginae pari Dia-
demate margarithis omato cinctum.
S^'* Caput s" Pantali primi Episcopi Basüiensis et M.
4^ Caput s*** Christinae ex societate s**' Ursulae ob Christi fidem Martyrio
coronatae.
5** Caput s**' Benedictae Ducissae ex societate s*" Ursulae.
6*** Caput 8**' Cordulae reginae et Martyris.
jtimo Caput s" Jacobi Episcopi Antiocheni pro fide Christi Martyrium perpessi.
8**"* Caput s"' Barthimiae reginae in terra Siciliae (sie enim inscriptio annexi
pergameni legenda videtur).
9"° Cranium s'** Martyris ciyusdam cum capillis, cujus nomen adscriptum
haud ftut.
10"" Eeliquiarium cum inscriptione de s** Maria Magdalena, de flagello, quo
Christus flagellatus est, de Casula s" Servatii, de cruore etc. XL M. V.
ST. UB8ULA. 27
11 ""^^ Linteae sanguine tinctae inclusae vitro Cylindrico, quod ex superiori et
inferiori parte argento, obseratum ac fulcris argenteis innixum est.
12"" Variae sanctorum Reliquiae una cum linteo sacro Martyrum cruore tincto,
quae ex Reliquiario formam Brachii habente deprompta sunt.
13*'** Os quoddam Martyris superius ac inferius argento inclusum.
I^to iperra sanguine imbuta una cum aliquibus reliquiis sanctorum et schedu-
liSy in quibus hae leguntur, de Tabulis testamenti, Satuminae Yirginis, dens
s^ Hipoliti dens s^' Satumini s^' Benedicti Abbatis, Annae . . . reliqua prae
vetustate legi haud potuere.
15^^ Maxiila argento pro parte cooperta et fulcris argenteis tribus innixa.
16*" Variae Reliquiae e Reliquiario in forma Ostensorii extractae, quibus ailexa
erant pergamena cum inscriptione de s** Greorgio, de Tunica Jesu Christi
inconsutili.
lyümo Reliquiae de s** Cruce, quae inclusae fuere cruci argenteae de anno 1601.
IS""* Capsula ebumea minor nullis figuris decorata habens in se pannos seri-
cos sacro cruore tinctos.
IQ*"" Alia Capsula ebumea major figuris incisis omata cum variis Reliquiis et
rubrica: de vestimentis s" Stephani.
20"*' Alia Capsula ebumea prioribus major figuris incisis decorata varias com-
plexans reliquias et argenteam s*" ürsulae Effigiem.
2t"* Variae Reliquiae, quaram adscriptae Rubricae haec sunt: de s** Vincentio,
s*^ Adriano M. S. Augustino, S. Alexandro, reliquiae S. Alexii, Caeciliae
V. S. Antonii, S. Margarethae V. de panno in quo . . . (reliqua enim de-
trita prae vetustate legi non possunt) quae omnia ex vasculo quodam in
forma Ostensorii constmcto fuere extracta.
22*° De Corona Christi spineae duae, Reliquiae s**" Cmcis et s'' Jacobi Apostoli,
terra item sanguine Mm. imbuta quae fuere inclusae Reliquiario in for-
mam Ostensorii efformato.
23*** Quatuor ossa sanctorum deprompta ex argentea figura virginis, in cujus
pede legebantur haec yerba, Sigismundus Eppus Varadiensis in Hungaria.
24*** Reliquiae Martyris ex argentea quadam s**' ürsulae EfBgie desumptae.
25** Variae Reliquiae, dentes, Capilli et terra fuso Martyrum sanguine tincta,
quae in vasculo in forma Ostensorii condito fuere asservata.
26** Variae reliquiae titulis ac rubricis destitutae inclusae Cylindro vitreo ful-
cris argenteis innixo, cui superposita est Christi cnicifixi EfSgies.
Has omnes supradictas Reliquias esse easdem, quae in Hierophilacio Basili-
cae ad s^" Ursulam sociasque Mss. Coloniae ante hac asservatae, ac piae fidelium
. venerationi publice, expositae fuemnt easque ex variis, in quibus latebant Reli-
quiariis nostra authoritate extractas et praesenti Capsulae archiepiscopali sigillo
nostro obseratae esse inclusas fidem hisce facimus ac attestamur, ac in majorem
28 ST. UB8ULA.
horum authentiam praesentem desaper chartam, manu nostra signatam conscribi,
eamque archiepiscopalis sigilli nostri appressione ac testium, in quorum praesentia
haec acta sunti subscriptione jussimus roborari.
Datum Frankofiirti ad Mönum die 3'^ Augusti 1798.
L. S. Maximilianus Franciscus,
Ärchiepiscopus et Elector Coloniensis.
B. Mylius Eccl. Metrop. et Basilicae ad S. Ursu-
lam Canonicus Capitularis.
Wreden Scr., ac B. Electoris col. Beferendarius
intimuB EcclesiaBticus, canon. Bonn, et ad 88.
Apostolos Goloniae.
^w ^rr pr^nt^Vammtv iti Homtt.
W(tEr*Dt=lrmirth. Coln
-^na itr 3rliaOlidmmrrlr» Damra.
Jlns hrr ÖrB^affltsmintr ftr»t)a>nf» ■
des Kölner Domes.
Mittelalterliche KuiiBtgegeiiBtftiide daselbst
Seltf
35) RomaDisehes Kreuz, kupfervergoldcl , mit oiner Monge vielfarbiger Schmelze.
XII. Jahrlmmlerl. Taf. IX. Fig. 35 ... 3
36 und 37) Erzbischöfliclies Yorlragckreuz, in Silber vergoldet, roil reichen Emaillirungen.
XIV. Jahrhundert. Taf. IX. Fig. 36 u. 37 7
3S) Messkelch für den täglichen Gebrauch, in Silber vergoldet. XV. Jahrb. Taf. IX. Fig. 3S. \\
39) Grosse Monstranz, silbervergoldet. XIV. Jahrhundert. Taf. X. Fig. 39 . . . . 13
40) Reliquienkreuz, silbervergoldel, mit doppelten Kreuzbalken. XV. Jahrb. Taf. X. Fig. 40 17
41) Drei Relirjuiengeßisse , kupfervergoldet, in einfachen Formen. XVI. Jahrhundert.
Taf. X. Fig. 41 18
42) Brustbild in Silber getrieben, vorstellend die Büste des h. Gregorius Spoletanus im
priesterlichen Gewände. XV. Jahrhundert. Taf. X. Fig. 42 19
43) Lichtträger in Form von knieenden Engeln, in Silber getrieben. XV. Jahrhundert.
Taf. X. Fig. 43 20
44) Reliquien-schrein der heU. drei Könige, silbervergoldet, mit einer Menge Emaillirun-
gen verziert. XII. Jahrhundert. Taf. XI. Fig. 44, u. Taf. XII. Fig. 44a . . . 23
45) ErzbischOilicher Krunimslab, in Silber vergoldet, mit reichen durchsichtigen Schmel-
zen. XIV. Jahrhundert. Taf. XII. Fig. 45 44
46) Gaeremonienschwerli silbervergoldet. XV. Jahrhundert. Taf. XII. Fig. 46 . . . 48
I!
35.
Krenz, ^
kupfervergoldet, mit einer Menge vielfarbiger Schmelze.
Xn. Jahrhundert. Grüsste Länge 50 Centimeter, Breite 40 Centimeter.
Dieses Vortragekreuz zeigt in seiner Grundanlage die stereotype Foi-m der
älteren romanischen Kreuze, die sich aus der Blflthezeit mittelalterlicher Goldschmiede-
kunst noch hin und wieder vor den Verwüstungen des vei-flosseneü Jahrhundei-ts bis
auf unsere Tage erhalten haben. Das Kreuz scheint, wie es heute vorliegt, der Zeit
und der Technik nach zwei verschiedenen Perioden anzugehören. Unwiderleglich
rtlhren die aufgelegten Emails aus einer älteren Kunstepoche her, wie dieses nicht
nur die figurativen Darstellungen, sondern auch die eingelassenen Schmelze
deutlich erkennen lassen. Die mittlere ,emaillirte Platte in der Länge von
21 Centimeter und in der grössten Breite der Quertheile von 14 Centimeter zeigt die
Darstellung des Heilandes am Kreuze, nach alter byzantinisirender Auffassung, stehend
und segnend als verklärter Gottmensch. Das „mppedaneum'' bei den Füssen fehlt;
jedoch sind die Füsse nicht über-, sondern nach älterer Darstellungsweise neben-
einander durch zwei Nägel an das Kreuz geheftet. — Die Figur des Gekreuzigten
ist als Basrelief von vergoldetem Messing erhaben auf das emaillirte Kreuz befe-
stigt. Die Emails des Kreuzes sind in den verschiedensten Farbentönen vom
Dunklen bis zum Hellblau gehalten. Das Haupt des Heilandes ist mit einem
gekreuzten Nymbus, die Gottheit andeutend, versehen. Ueber demselben erblickt
man in griechischer Schreibweise das bekannte Hierogramm. Die Emails des Kreuzes
dürften nach den neuesten Forschungen als „emaux champleves^ bezeichnet werden;
d. h. nur die Omamentationen in Metall, die heute in starker Vergoldung ersicht-
lich sind, hat der Emailleur hochstehend gelassen, den übrigen Grund jedoch ver-
tieft ausgestochen und denselben mit vielfarbigem Schmelz so ausgefüllt, dass da-
durch eine glatte Fläche gebildet wurde. An den vier Ecken des Kreuzes befin-
den sich als emaillirte Schildchen ebenfalls vier figurale Darstellungen, die bei
näherer Betrachtung zeigen, dass sie ursprünglich nicht zusammengehört ha-
ben, und gelegentlich hier hinzugefllgt worden sind. Bei älteren byzanti-
4 DOICSCHATZE.
niBchen Kreuzen sind an den vier Ausgangspunkten der Querbalken häufig ent-
weder in getiiebener oder emaillirter Arbeit die symbolischen Darstellungen der vier
Evangelisten angebracht. Auf vorliegendem Kreuze sind aber blos zwei derselben
vorhanden, nsCliilich an dem oberen Theile, dem Kopfbalken, das symbolische
Abzeichen des Evangelisten Johannes, der Adler, eine Spruchrolle haltend,
und an dem unteren Langbalken die yjacies hominis** , das charakteristische Zei-
chen des Evangelisten Matthäus. An Stelle der beiden übrigen Thiersymbole, ani
Querbalken, hat man als Halbiiguren auf emaillirten Schildchen die Darstellung der
Leidensgruppe angebracht, nämlich auf der rechten Seite des Erlösers: Maria, und
auf der linken: den Lieblingsjttnger Johannes. EigenthUmlich ist es, dass bei die-
sen vier letztgenannten Darstellungen nur die Kopfbildung als Basrelief erhaben
hervortritt Die übrigen Körpertheile hat der Künstler in vergoldeten Contouren
ohne Emaillirung so dargestellt, dass er mit einem stumpfen Stichel eine Model-
lirung der Gewandpartieen hervorzubringen gewusst hat. Es dürfte, wie überhaupt
bei den Emails des XII. Jahrhunderts, nicht leicht sein, anzugeben, wie dieses
auch der gelehrte Kenner älterer Schmelzwerke, Abb6 Texier, in seinem Werke:
y^Les emauw de Limoges^ an vielen Stellen durchblicken lässt, ob die den vor-
liegenden ähnlichen Emails in dem alten Stammsitz emaillirter Arbeiten, zu By-
zanz, angefertigt worden seien, oder ob Limoges oder die Schmelzarbeiter zu
Köln im XII. Jahrhundert die vorliegenden Emails ausgeführt haben. Nach der
Angabe des ebengedachten Schriftstellers waren nämlich die ^opißces^ in Köln
längere Zeit vor den SchmelzkUnstlem von Limoges thätig, kirchliche Geräthe
durch emaillii-te Arbeit zu schmücken. Betrachtet man die grosse Menge der pracht-
vollen Emailwerke, die sich heute noch an Reliquienschreinen, tragbaren Altären, Kreu-
zen, in hiesigen Kirchen trotz des französischen Regime in den Tagen der letzten gros-
sen Staatsumwälzung erhalten haben, so muss man eingestehen, dass das vorliegende
Schmelzwerk als ein Glied und integrireuder Theil jener emaillirten Kunstwerke zu
betrachten ist, die dem Kunstfleisse Kölnischer Benedictiner (fratres laici) ihren
Ureprung verdanken. Wir werden im Verlaufe dieses Werkes bei Beschreibung
des St. Heribertschreines zu Deutz und der prachtvollen Reliquienschreine der ehe-
maligen Benedictinerabtei St ^Pantaleon die Beschaffenheit und EigenthUmlichkei-
ten der Kölnischen Emails gegenüber den gleichzeitigen Arbeiten von Byzanz und
Limoges ausführlicher darzustellen Gelegenheit haben. Hinsichtlich der in Rede
stehenden Schmelzwerke fügen wir noch hinzu, dass die charakteristischen Farben-
töne derselben, sowie die Haltung und Drappirung der Figuren es nicht undeutlich
erkennen lassen, dass diese zierliclien Compaiiimente gegen Mitte des XII. Jahr-
hunderts ihre Entstehung gefunden haben dürften. Die übrigen Theile dieses in-
teressanten Vortragekreuzes gehören, unseres Dafürhaltens nach, einer jüngeren
Kunstepoche an, und fällt die Anfertigung derselben in den Anfang des XIE. Jahr-
hunderts, für welche Hypothese wir gleich die näheren Angaben beibringen
wollen.
Die äussere Form des Kreuzes, die lateinische mit verlängerten Unterbal-
keu, muss als eine originelle und äusserst gefallige bezeichnet werden. Die
DOMSCHÄTZE. 5
Kreuzbalken haben, bei einer Breite von 6 Centimeter und einer Tiefe von
fast 2 Centimeter, als AusinUndung nach vier Seiten hin ein doppeltes Ornament.
Es erhebt sich nämlich auf einer horizontalen geraden Abschlusslinie eine soge-
nannte fj*rancica^ oder ^francisca^ in Form einer nfleur de lis^, wie wir sie als
beliebtes Ornament im Xu. Jahrhundert überall anti-effen, und wie sie auch als
Lilie in das Wappenschild von Frankreich übergegangen ist. Dieses schOne Lilien-
omanient an den Endpunkten der Kreuzbalken hat an der Stelle, wo die Lilie in
die Kreuzbalken einmündet, einen geradlinigen Vorsprung, bedeutend breiter, als
die Ausdehnung der Kreuzbalken, die nach beiden Seiten hin ansteigend ausge-
rundet ist Diese omamentalen Theile sind auf der vorderen Seite, wo die Emails sich
befinden, mit reichen Filigranarbeiten bedeckt, auf welchen sich in einfachen und
kräftigen Fassungen je ein als ^capuekofi^ geschliflfener Bergcrystall , nach vier
Seiten von geschli£fenen Halbedelsteinen umgeben, die sich als Amethist-Agate
kenntlich machen, befindet. Die grosseren derselben fehlen heute und sind
durch unächte Steine mit hintergelegter Folie später ergänzt worden. Dasselbe Fili-
granwerk setzt sich mit dazwischen befindlichen kleineren Edelsteinen als Einfas-
sungsrand an der Vorderseite des Kreuzes fort, und erhält dasselbe dadurch als glor-
reiches Siegeszeichen des Christenthums eine ideale Form, so dass es ehemals beim
Vortragen in feierlichen Processionen nicht nur durch den Glanz der Steine und
der zierlichen Filigranarbeit, sondern auch durch den Schmuck der vielfarbigen
Emails einen erhebenden Eindruck machte. Auch die hintere Seite, T^facies dorsa-
Ifs^y entbehrt bei diesem reichen „crua; processionaü'jt^ nicht eines passenden
Schmuckes. Gleichwie die Vorderseite mit Filigran und gefassten Steinen verziert
ist, so hat der ^yaiirtfex'' die hintere Seite mit gravirten Arbeiten aufs reichste aus-
zustatten gewusst, und dadurch den Beweis geliefert, dass er mit der Gravimadel
ebenso meisterhaft umzugehen verstand wie mit den Schmelzen. Der Künstler hat näm-
lich in den \ier Zierlilien, welche die Kreuzbalken bekrönen, in Rundmedaillons die
\ier Thiersymbole der Evangelisten, Spruchbänder haltend, angebracht, worin die ent-
sprechenden Namen der vier Evangelisten in spät romanischen Majuskeln zu lesen
sind. In der mittleren Vierung, wo die Kreuzbalken zusammentreffen, ist die
Krönung der allerseligsten Jungfrau in frUhgothischer Darstellungsweise eingravii-t.
Die \ier Kreuzbalken sind auf ihrer breiten Fläche durch schön geschwungene Laub-
omamente, mit breitem, energisch stylisirtem Blätterwerke ausgestattet, theilweise ein
Eichenlaub mit Früchten, theilweise Blätter und Frucht der Erdbeere vorstellend.
Dieses Laubwerk erhebt sieh kräftig mit einiger Modellirung der Blätter auf einem
quadrirten Tiefgrunde, und das Stylgeiiräge desselben lässt deutlich erkennen, dass
diese Gravirung von einem ausgezeichneten Meister mit grosser technischer Bra-
vour angefertigt worden ist, zu einer Zeit, als in der Goldschmiedekunst ein
neuer Styl, der frühgothisebe, bereits zur Geltung gekommen war und die Reminis-
cenzen des eben überwundenen romanischen Styles noch in starken Nach-
klängen sich benierklich machten. — Es kann diese Periode unwiderruflich als die
Glanzperiode der Goldschmiedekunst angesehen werden. Hinsichtlich der Stylisi-
rung der Gewandpartieen dieser „corotiatio B. M, V/\ verglichen mit den nelen
6 DOMSCHATZE.
Analogien auf den Wandmalereien in der sogenannten Taufcapelle von St Gereon,
düi-fte das vorliegende Kunstwerk hinsichtlich der Ausstattung der Rückseite in das
zweite Viertel des XIII. Jahrhunderts zu verweisen sein. Wollten wir Parallelen mit
dem vorliegenden Kreuze aufsuchen, die sich heute noch in Privatcabinetten und Sakri-
steien hervorragender Kirchen erhalten haben, so ^vird unstreitig die grossartige Samm-
lung des Pursten Pierre Solticoff in Paris die meisten Analogien au&uweisen haben.
Namentlich erinnern wir uns, daselbst eine grössere Anzahl von emaillirten Kreuzen ge-
sehen zu haben, meistens herstammend aus den Schmelzhtttten von Limoges, die eine
frappante Aehulichkeit mit den vorliegenden emaillirten Arbeiten darbieten. Auch be-
wahi-t der Schatz zu Essen, wenngleich aus früherer Zeit, den Tagen der Ottonen, noch
vier Altar- und Processionskreuze, die hinsichtlich der Fonn und Ornamentik einige,
wenn auch entfernte Venvandtschaft mit der Technik und den Formen des vorlie-
genden Kreuzes zeigen. Ebenso besitzt der Domschatz zu Speyer, desgleichen die
ehemalige Benedictiuer -Abteikirche zu Beichenau im Bodensee, sowie auch die
Pfarrkirche von Ueberlingen grössere, reichere Vortragekreuze, die mit dem vor-
liegenden Prachtkieuze in Gomposition imd Anlage einige Aehulichkeit haben.
Schon die Einrichtung des unteren Kreuzbalkens mit der durchgehenden
Spitze in Eisen bekundet deutlich, dass das vorliegende spätromanische Kreuz ehe-
mals sowohl zum Processions-, als zum Altarkreuze benutzt wurde. Leider fehlt
zu demselben die Tragstange (canna, fistula)^ und ist offenbar anch das heute un-
schöne Fussgestell nicht primitiv zum Kreuze gehörend, sondern als Conglomcrat von
verschiedenen Emails in missverstandener Zusammenftigung zu betrachten. In einer
Höhe von 59 Centimeter erhebt sich nämlich dieses unförmliche Piedestal in einer
Breite von 28 Centimeter, und fomiirt eine Rundbogenstellung, welche von reich
emaillirten Säulchen an der vorderen Seite getragen wird. Die übrigen Flächen
der vorderen Seite sind theilweise mit werthvollen alten Emailplatten, theilweise
mit Filigrauplatten belegt, die sich sofort als integrirende Theile des grossen Reli-
quienschreines documentiren, worin heute die Gebeine der heil, drei Könige ruhen.
Der verbürgten Mittheilung eines Augenzeugen zufolge stammen diese kostbaren
Ueberreste aus der für kirchliche Kunst so unheilvollen Periode, wo das her-
vorragendste Meistenverk der mittelalterlichen Goldschmiedekunst, das Europa jetzt
noch besitzt, die j^arca trium reijum^, von ihrer Flucht jenseits des Rheines traurig ent-
stellt, in grösseren Bruchtheilen, in die Mauern Kölns meder zurückgeführt wurde.
Der Tradition nach soll Meister Pollak, der nebst seinen beiden Söhnen mit
AViederhei-stcUung des Schreines beauftragt wurde, unbegreiflicher Weise, da meh-
reres fehlte, das herrliche Schreinwerk um einen kleinen Theil verkürzt haben,
und dürften die vorliegenden Emails die lIcbeiTCste sein, die nach dieser unberech-
tigten Verkürzung übrig blieben. Eine besondere Beachtung verdient auch jenes
kunstreich getriebene Basrelief, das mit den ebenbesagten emaillirten Ueberresten
die vordere Seite des Fussgestelles bekleidet.
Wie der erste Anblick leicht erkennen lässt, gehört diese mit grosser Bra- .
vour und technischer Kenntniss getriebene Arbeit in vergoldetem Silberblech jener
Kunstperiode an, in der nur noch in einzelneu Gewandpartieen sich die Machklänge
DOMSCHATZE. 7
des eben zartlckgelegteu gothischen »Style» zu erkennen geben. Die architektoni-
fi(che Einfassung jedoch, mit Säulen von Laubgewinden im Akanthusblatt umgeben,
sowie die bekannte musebelförmige Verzierung im mittleren Kleeblattbogen bekun-
det deutlich ,, dasR dieses Meisterwerk in getriebener Arbeit bereits der Mitte des
XVI. Jahrhunderts angehört. Ohne weitere Bürgschaften daflir beibringen zu kön-
nen, führen wir hier einfach an, dass, einer mündlichen Angabe zufolge, dieses jce-
triebene figurenreiche Relief, vorstellend die Sendung des heil. Geistes, ehe-
mals in grösserer Reihenfolge in den Quadraturen der oberen ßedaehung des
Dreikönigenschreins eingcfasst gewesen sein soll. Auf der Flucht zur Zeit der
französischen Occupation am Rhein sollen auch diese vielen getriebenen Reliefs
ihres geringen Metallwerthes wegen eingeschmolzen und anderweitig verwendet
worden sein. Sollte diese Ueberlieferung als historisches Factum feststehen, was
noch zu erweisen ist, so dürfte man anzunehmen berechtigt sein, dass diese ge-
triebenen Deckplatten des Obertheils des Dreikönigenschreins später hinzugefügt
worden seien, und dass also der prachtvolle Schrein, wie das auch an dem gleich-
zeitigen Reliquienschreine des heil. Suitbertus zu Kaiserswerth ersichtlich ist, nicht
in einer Periode vollständig im Ornament vollendet wurde, sondern in verschiede-
nen Zeiträumen seine Ausstattung gefunden habe.
36 und 37.
Erzbischofliches Yortragekrenz,
in Silber vergoldet^ mit reichen Eniaillirungen.
XIV. Jahrhundert .GrOsstc Lttngo 34 Centimcter und grOsstc Breite 3 t Ccntmietcr.
Vorliegendes f^cruje processiofialis^ ist in seinen einzelnen Theilen sehr ein-
fach gehalten, verdient aber eine besondere Beachtung seiner ausgezeichnet schö-
nen Schmelzen wegen, die, in Medaillons eingcfasst, die mittlere Vierung des Kreu-
zes, sowie die Ausmtlndung der Balken in Vierpassfonn schmücken. Wie an den
meisten Prachtkreuzen des Mittelalters, sind die Ausmündungen als vierblätterige
Rosen gehalten und im Tiefgmnde verziert mit den bekannten Symbolen der
Evangelisten. Von einer kräftig profilirtcn Randeinfassung umgeben, belebt mit
getriebenen Ornamenten, erhebt sich auf vertieftem Gmnde in schwungvoller Model-
limng bei der Ausmündung des Kopf balkens der geflügelte Mensch (Symbol des
heil. Matthäus) in einem reich drapirten Gewände, einer Albe ähnlich. Der-
selbe hält ein silbernes Spruchband, worauf eigenthümlicher Weise, abweichend
von der heutigen Bezeichnungsweise, der Name des heil. Johannes in gothischer
Majuskelschrift sich befindet. Da bekanntlich die „facles hominis^ nach den mei-
sten Darstellungen das Symbol des Evangelisten Matthäus ist, so haben wir ver-
geblich nach dem Grunde geforscht, warum der Künstler hier mit diesem Symbol
den Namen des heil. Johannes in Verbindung brachte, der in den meisten Darstel-
8 0OMSCHÄTZE.
lungen durch das Bild des Adlers angedeutet wird. Der im Unterbalken befindliehe
Adler aber fttbrt im Spmchbande merkwürdiger Weise den Namen „Sanclm Mar-
fVM" und nicht ,y Johannes.^ Der Löwe dagegen im rechten Kreuzbalken „Sanctus
Mati/tias^ , und die ,Jacies viluli^ die Bezeichnung ^Safictus Lucas^ ttbereinstün-
mend mit der gewöhnlichen Annahme. Wir können nicht gut voraussetzen, dass in
den drei abweichenden Bezeichnungen eine Unkenntniss oder ein Irrthum von Sei-
ten des Künstlers zu suchen sein dürfte, müssen aber doch eingestehen, dass wir
bis jetzt vergeblich zu dieser abweichenden Bezeichnung den Schlüssel gesucht
haben. —
Das mittlere Vierpass-Medaillon zeigt die Darstellung des gekreuzigten Hei-
landes, umgeben von der Passionsgruppe Johannes und Maria, die sich, auf Con-
solen stehend, zu beiden Seiten des Gekreuzigten als y^cmidolmtcs^ befinden. Neben
diesen Statuettchen erscheinen, aus stylisirten Wolken hervorragend, in Halbfiguren
Engel, von welchen der eine ein Wachslicht trägt, der andere das Kauchfa>«s
schwingt. Diese fUnf emaillirten Medaillons tragen deutlich den Charakter von
deutschen Schmelzen und unterscheiden sich in ihrer Composition und technischen
Ausfuhrung von den y^emaux champleves^\ wie sie in der romanischen Kunstepoche,
von Byzanz herrührend, an kirchlichen Geräthen allerwärts vorkommen. Die vor-
liegenden Emails bezeichnen französische Archäologen, die sich gründlicher mit
dem Studium emaillirter mittelalterlicher Arbeiten befasst haben, im Gegensatze
zu den incrustirten , matten Schmelzen der romanischen Kunstepoche, als durch-
sichtiges Schmelz in hell leuchtenden Farben (emaä translucide)^ das die Eigenschaf-
ten hat, vielfarbig nebeneinander aufgetragen, die auf der silbernen Unterlage be-
findlichen modellirten Darstellungen in helleren oder dunkleren Tönen unter der
emaillirten Deckplatte durchschimmern zu lassen. Diese durchsichtigen Schmelze,
die in schöner Composition und Anordnung der Farben grossen Kunstwcrth bean-
spruchen, sind leider durch das häufige Putzen, das sie im letzten Jahrhundert von
ungeschickter Hand erfahren haben, sehr entstellt und beschädigt, so dass die
Zeichnung mehrfach undeutlich geworden ist Der Tiefgrund der vorderen Seite
der vier Kreuzbalken, die eine grösste Breite von 4 Centimeter haben, zeigt auf
einem carrirten Fond ein schwungvolles Laubomament in breitgezogenen gothi-
schen Blättern, wie sie die Epoche der Goldschmiedekunst in der Regierungs-
zeit Kaiser Carl's IV. und seiner beiden Söhne, seinen unmittelbaren Nachfolgern
im Reiche, deutlich charakterisiren. Wir haben öfters dieses schöne Ornament an
vielen mittelalterlichen Gefässen aus den Tagen des letztgenannten Kaisers und sei-
ner Nachfolger, Wenzel und Sigismund, im reichhaltigen Domschatze zu Prag und
dem zu Gran in Ungarn vorgefunden. Sogar die eingepressten kleinen vier-
blätterigen Blümchen in der vertieften Umrandung, wovon das ganze Kreuz einge-
fietsst ist, sprechen offenbar für eine Anfertigung des vorliegenden Kreuzes in
der angegebenen Epoche, der letzten Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Auch die
Composition der Figuren, der edle Faltenwurf der Gewänder, stimmt ndt der an-
gegebenen Epoche vollkonmien überein. Die Hintcrfagade des Kreuzes ist einfach
gehalten und entbehrt jeglichen Ornamentes. Man ist nicht gcnöthigt anzunehmen.
DOMSCHATZß. 9
dass dieses Kreuz auch ehemals als Altarkreuz benutzt worden ist, und also
auch ein bewegliches Fussgestell dazu gehört habe. Das lässt sich aber
mit Gewissheit behaupten, dass die heute dabei befindliche Tragstange das
deutliche Gepräge einer früheren Kunstepoche zeigt, und wahrscheinlich in
einem der letzten Jahrhunderte, wo man nicht mehr genauer die verschiede-
nen Kunstepochen zu scheiden wusste, zu dem vorliegenden Kreuze als Stab
hinzugefügt wurde. Noch sei in Rücksicht der interessanten Bchmelzwerke be-
merkt, daßs dieselben frappante Aehnlichkeit haben mit den äusserst gut er-
haltenen emaillirten Medaillons, womit auf's Reichste jener Kelch ausgestat-
tet ist, der sich in der reichhaltigen Sammlung mittelalterlicher Kunstge-
räthe Sr. Hoheit, des Fürsten Carl Anton von Hohenzollem- Sigmaringen befin-
det Auch die durchsichtigen figuralen Schmelzwerke eines prachtvollen bischöf-
lichen Kelches im heutigen Domschatz zu Mainz können als Parallelen zu den
eben beschriebenen Emails angeführt werden; desgleichen das kostbare email-
lirte FlOgelaltärchen , ein Meisterwerk der mittelalterlichen Schmelz- und Geld-
gchmiedekunst, wie es heute im Gabinet des Grafen von Wolff Mettemich auf
Schloss liblar sich erhalten hat. Was die Grundanlage des vorliegenden Kreuzes
betrifft, so hat es hinsichtlich seiner äusseren Form viele Verwandtschaft mit dem
sogenannten „apostolischen Kreuze'S das sich im Domschatze zu Gran befindet
and beute noch von einem Dom-Capitular des besagten Hochstifles zu Pferde
dem Kaiser von Oesterreich vorgetragen wird, wenn er als König von Ungarn bei
feierlicher Veranlassung dieses Kronland besucht Offenbar gehört die Tragstange
( Ständer), in weldie das eben beschriebene Kreuz behufs des Vortragens eingelas-
sen wird, der romanischen Kunstepoche an, wie das die niellirten imd getriebe-
nen Arbeiten in einem scharf ausgeprägten romanischen Charakter nicht weniger
auch die Majuskelbuchstaben in späti'omanischem Charakter deutlich besagen. Wir
vermögen nicht anzugeben, wann der vorliegende Stab zu dem erzbischöflichen
Vortragekreuz hinzugefügt worden ist Indem wir die Beschreibung dieses kunst-
reich verzierten Stabes hier folgen lassen, fbgen wir einfach die Bemerkung hinzu,
dass dieser Ständer ehemals als „baeulus caeremonialis praeeentorum^ zu dem heut
noch im Domschatze erhaltenen Aufsatze als integrirender Theil gehörte, dessen
Abbildung wir auf Taf. IX. N. 36 veranschaulicht haben. Das Ornament des vor-
liegenden Rundstabes, dessen Anfertigung in die letzte Hälfte des Xn. Jahr-
hunderts fällt, besteht aus einzelnen silbervergoldeten Blechplatten, womit
ein Theil der oberen Hälfte desselben umlegt ist Der Künstler hat auf einem
carrirten Tiefgrunde in kräftigen niellirten Charakteren eine omamentale Inschrift
anzubringen gewusst, wodurch nicht nur der Zweck dieses Stabes, sondern auch
der Name desjenigen bezeichnet wird, auf dessen G^heiss vorliegendes Meister-
werk der NieUirkunst des Mittelalters angefertigt worden ist Der Anfang der
Inschrift ist, wie in der Regel , bezeichnet durch ein griechisches Kreuz, und lesen
wir hierauf in leoninischen Versen folgende Inschrift: „Sum praecentorum baculus
ipeciaHs harum \ in manibug quorum vet^ax m festis baculorum \ Causa mea solemnis et
erit mea fama perennin \ in festis magnis renovanda quibus libet annis \ Hujo deciis
10 DOH8CHATZE.
cleri vir parcere neschis aeri \ me ßeri fecit^ me jumt konore teneri. Anntut mä-
lentis centenus septuagenus octavus Christi primus bacuto ßiit isti.^
Aus dem eben angegebenen Legendarium geht also hervor » dass der vor-
liegende Stab des sogenannten Chorbischofs als Dirigent des Gesanges angefertigt
worden ist wahrscheinlich auf Kosten eines opferwilligen Domherren Hugo im J. 1 1 78.
Die Inschrift giebt nicht an, ob dieser Hugo im Dome zu Köhi selbst die Wtlrde eines
j,magister cantus" oder ,yepiscopiis ckori*' bekleidete; sie deutet Eingangs nur noch an,
dass der Stab an besonders jährlich wiederkehrenden hohen Festen von dem j,prae-
centor^ als auszeichnender Ehrenstab getragen wurde. Noch machen wir auch
aufmerksam auf das interessante, in dttnnem vergoldeten Silberblech getriebene
romanische Ornament, womit der Stab an 2 Stellen umkleidet ist Die omamen-
tirten Goldbleche, quadratisch abgetheilt, an der unteren Hälfte des Stabes in einem
unklaren Ornament, scheinen jüngeren Ursprunges zu sein. Von besonderer Schön-
heit, was die Composition des Ornamentes und seine Ausarbeitung betrifft, ist das
„pamellum", das in der oberen Hälfte die Eintönigkeit des runden Stabes angenehm
unterbricht. Man erblickt nämlich hier auf einem quadrirten vergoldeten Tiefgrunde
ein zierliches Laubgewinde mit romanischem Blätterwerke, und zwar umfassai die
einzelnen Windungen desselben jedesmal eine Thiergestalt, unter denen man das
Bild des Adlers, der Taube und des Strausses erkennen kann. Diese ebengedach-
ten Figurationen sind äusserst kunstreich in der bekannten Schwarzmanier in
Silber eingelassen, und von derselben technischen Beschaffenheit, wie auch heute
die IMlladosen omamental gehalten sind. Die Fortsetzung und Bekrönung dieses
fUr den Chordirigenten bestimmten Caeremonienstabes befindet sich heute leider nicht
mehr auf dem eben beschriebenen Ständer, sondern dieser Aufsatz, in Form eines
Dreizackes auf einer Krystallkugel befestigt, dient heute als Bekrönung eines Vor-
tragestabes, der aus 3 der Zeit nach verschiedenen Compartimenten zusammenge-
ftlgt ist, und der, wenn auch in heterogener Zusammensetzung, den Namen als
„Stab des Vorsängers" sich zu bewahren gewusst hat Von dem alten Stabe, der
obiger Inschrift nach von Hugo als Geschenk aus dem Jahre tt78 herrührt,
erübrigte man an dem vorliegenden Stabe (vergl. Taf. IX. N. 36) blos die bei-
den Kugeln von Bergkiystall , sowie die dreifache Röhre, die auf dem obe-
ren Kiystallknauf sich erhebt. Eine reicl^e Phantasie, in Verbindung mit der
manuellen Geschicklichkeit der Goldschmiedekttnstler aus dem letzten Viertel des
Xn. Jahrhunderts, hat auf den Flächen dieser Röhre in Form eines Dreizackes,
als zierliche Arabesken, Scenen einer Jagd darzustellen verstanden. In beiden
äusseren Stäben ist nämlich ein Bogenschütze, seinen Bogen spannend, dargestellt
das eine Mal, um ein Eichhörnchen, das andere Mal um einen einem Storche ähn-
lichen Vogel zu erlegen. Auf der Kehrseite erblickt man eine Arabeske im niellirten
Email, als geniale Verbindung der Thier- und Pflanzenwelt, wie man solche natur-
historische Ornamente an den Sockeln, Wülsten und Capitälen romanischer Kir-
chen aus dieser Kimstepoche häufiger antrifil. Als Abschluss dieses sogenannten
Dreizackes zeigt sich heute ein kleines Piedestal aus vergoldetem Silber, in einer
Länge von 1 1 Centimeter rechtwinklig angelegt, das auf seinen Langflächen 2 Wap-
DOMSCHÄTZE. 11
penschilder auf jeder Seite erkennen lässi Das eine Wappenschild veranschau-
licht in 4 Feldern vier Instrumente , ähnlieh einer Scheere, die der Vermuthung
Raum gegeben haben , dass der in Rede stehende Aufsatz ehemals dem Caeremo-
nienstabe (ferula) einer Innung als Bekrönungsabschluss gedient hat Auf die-
sem Sockel hat der Goldschmied die scenerirte Darstellung der Anbetung der hei-
ligen drei Könige, in Silber vergoldet, angebracht. Diese sämmüichen Statuettchen
sind ein£Etch gegossen und nur spärlich nachciselirt, sodass die technische Ausar-
beitung bei diesem Bildwerke nicht sonderlich hoch anzuschlagen ist; desto mehr
aber die schöne Composition und der zarte Faltenwurf der Gewänder, der es ein-
leuchtend macht, dass der in Rede stehende Aufsatz gegen die Mitte des XIV. Jahr-
hunderts von geübter Ktinstlerhand seine Entstehung gefunden habe, und dass er
also mehr als 1 50 Jahre jünger anzusetzen ist, als jener Stab des Vorsängers, auf
dessen Obertheil die Gruppe heute basirt ist. Der Rundstab mit Silberblech um-
wunden, als drittes Gompartiment des vorliegenden Gaermonienstabes, gehört nicht-
in die Kunstperiode, der vorliegendes Werk gewidmet ist In Kürze mag die
Angabe genügen, dass derselbe aus dem XVQ. Jahrhundert, der entwickelten
Renaissance -£poche, herrührt und keinen Kunstwerth beanspruchen kann. Da
unseres Erachtens nach in den heutigen Cathedralschätzen Kantorstäbe in dieser
Formenschönheit sich gar nicht mehr vorfinden, so dürfte wohl der Wunsch
begründet erscheinen, dass in nächster Zukunft von geübter Hand der vorhin be-
schriebene kunstvolle Stab zu dem ebengedachten Dreizack als Aufsatz wieder hin-
zugefügt werde, womit er auch früher in Verbindung stand. Mit Ausschluss der
ciselirten Statuetten würde alsdann die ursprüngliche Form dieses „baculus prae^
centoris'* wieder hergestellt sein.
38.
Messkelch,
für den täglichen Gebrauch, in Silber vergoldet.
Xy. Jahrhundert. Höhe 22 Centimeter. Durchmesser des Fusses 19 Centimeter. Durchmesser der
Kuppe 12 Centimeter. Tiefe der Kuppe 8 Centimeter.
Von sämmtlichen einfachen Messkelchen in gothischem Style, wie sich heute
dieselben noch zahlreich in den Sakristeien der Kirchen Kölns erhalten haben,
darf unstreitig der vorliegende Kelch als derjenige bezeichnet werden, der bei
grosser Einfachheit der Detailformen eine treffliche und gelungene Proportion in
den einzelnen Uauptbestandtheilen aufzuweisen hat. Diese harmonisch bemesse-
nen Verhältnisse der einzelnen wesentlichen Theile des Kelches zu einander,
die heute bei der Neuschaffung von sogenannten gothischen Kelchen fast gar
1 2 DOMSCHÄTZE.
nicht berücksichtigt werden, waren überhaupt bei den Kelchen des Mittelalters
wie wir daß häufiger wahrzunehmen Gelegenheit hatten, besonders beobachtet, und
ist es diesem Umstände zuzuschreiben, dass die alten gothischen Messkelche, bei
höchster Einfachheit der Form, dennoch von bester Wirkung sind. Der Fusstheil
des vorliegenden Domkelches, des einzigen, der sich noch von den vielen ehe-
mals in der Sakristei daselbst befindlichen erhalten hat, ist in sechsblätteriger
Bosenform gehalten, und zeigt auf seinen sechs Flächen keinerlei Gravirungen und Or-
namentationen. Auf dem ziemlich schlank ansteigenden Halse des Fnssstückes erhebt
sich als Untersatz ein architektonisch foimirter Sockel, im Sechseck gehalten, mit
kleiner Zinnenbekrönung. Jede der sechs Flächen ist mit je zwei Vierpässen
durchbrochen. Auf diesem Piedestal, das an den Kelchen der Spätgodiik selten
fehlt, erhebt sich ebenfalls eine sechseckige kleine Röhre, die sich in gleicher
Dimension und Form über dem Knaufe fortsetzt und auf ihren Flächen keine
Omamentationen zu erkennen gibt. Das j^pomellum^ ist ebenfalls sechstheilig ge-
halten, und springen an demselben, wie das in der Regel bei spätgothisehen Kel-
chen der Fall ist, gegenüber den sechs Einschnitten des Fusses sechs kleinere über
Eck gestellte Pasten „rotuli^ hervor, die meistens mit den sechs Buchstaben des
Hierogramms nach mittelalterlicher Schreibweise auf emaillirtem Grunde verziert
sind. Bei der jüngsten Vergoldung dieses stattlichen Kelches, dessen Goldfiirbe. unserer
Ansicht nach zu weich und in der modernen Weise der heutigen galvanischen Vergol-
dung gehalten ist, und des monumentalen Ernstes der mittelalterlichen Feuerver-
goldung entbehrt, hat man die sechs Buchstaben des Namens Jesus auf blauem
Emailgrunde wieder ergänzt, und hat der Goldarbeiter, wie es scheint, aus Un-
kenntniss statt des zweiten Buchstaben H unrichtig ein B eingeschoben. Zwischen
diesen stark hervorspringenden Pasten befinden sich an dem „nodus", wie gewöhn-
lich, architektonisch gegliederte Durchbrechungen, die, in Maasswerkfomi gehalten,
ein oft vorkommendes Ornament an Knäufen von gothischen Kelchen abgeben.
Auch die Kuppe dieses Kelches zeigt noch vollständig die alte überlieferte Form
der Trinkschaalen an gothischen Kelchen, die ohne alle Ausbiegimg an dem obe-
ren Rande geradlinigt ansteigt und nur bei der Einmündung in den Ständer eine
kleine halbrunde Ausbauchung zeigt Da bei der heutigen Nachbildung gothischer
Messkelche meistens die Grundformen und Proportionen verfehlt werden, wäre es
dringend den Componisten und ausführenden Meistern solcher Kelche anzurathen,
häufiger die gelungenen Verhältnisse in Augenschein zu nehmen und sorgfaltiger
zu messen, wie sie sieh an dem vorliegenden Kelche und mehreren anderen in
den Sakristeien Kölns vortheilhaft zu erkennen geben. Der eben beschriebene
Mcsskelch stammt, wie es seine Detailformen deutlich erkennen lassen, aus der
Mitte des XV. Jahrhunderts. —
DOMSCUÄTZE. 13
Grosse Monstranz,
silbervergoldet.
Hühe 87 Centimeter ; grösste Breite des Fusses 13 Ccntim.; Breite des oberen Aufsatzes i9 Centim.
XIV. Jahrhundert.
Vergeblich würde man in den heutigen Cathedral-Schätzen, sowie in grös-
seren Privatsammlungen, ein ,,ostensorium'* suchen, das hinsichtlich seiner Grösse,
des Reichthums seiner Form, sowie in BUcksicht der Frühzeit seiner Entstehung
mit der vorliegenden Monstranz einen Vergleich eingehen könnte. Unsere auf
vielfache Anschauung gegründete Ueberzcugung sprechen wir dahin aus, dass das
vorliegende Schaugefäss zu den prachtvollsten gehöre, die sich, aus der Spätzeit
des Mittelalters henUhrend, bis auf den heutigen Tag erhalten haben.
Was nun zunächst die Idee betrifft, die den Künstler bei Entwurf dieser
grossartigen Monstranz geleitet haben mag, so muss angegeben werden, dass die
Gesammtanlage derselben von einem architektonisch- construirten Gezelte (Balda-
chin) hergeleitet worden ist, und dass dieses reiche Monstranzwerk in seiner
Form gleichsam als eine Nachbildung der Sanctuarien (Sakramentshäuschen) be-
trachtet werden könne, wie wir heute dieselben noch in vielen Kirchen des west-
liehen Deutschlands in Augenschein zu nehmen und zu bewundem Gelegenheit
hatten. Dass meistens bei der Anlage von thurmförmig construirten Monstranzen,
in Weise eines tragbaren Tabernakels, der Künstler des Mittelalters sein Gefäss
formell gestaltet habe nach dem bekannten Spruche: „ecce tabemaculum Dei cum
hominibus et habitabit in eis^ ist uns häufiger bei Betrachtung ähnlicher Ostenso-
rien einleuchtend geworden. Auch bei der Construction des vorliegenden Kunstwer-
kes scheint der Componist es nicht gewagt zu haben, von diesem Spruche Abstand
zu nehmen ; jedoch hat er, was sich bei mittelalterlichen Monstranzen seltener vor-
findet, mit der leichten Construction eines baldachinfbmiigen Tabernakels sehr
geschickt eine zweite Grundform in Verbindung zu bringen gewusst, die ebenfells
einem Spruche der heil. Schrift entlehnt zu sein scheint, der da lautet: „£» sole
posuit tabemaculum suum,^ Den Andeutungen dieser letzten Stelle folgend, hat auch
die später auffaretende Renaissance mit Umgehung eines thurmförmigen Baldachins
sich bei der Anlage von ähnlichen liturgischen Gef ässen der Sonnenform, in Weise
einer verschliessbaren Gapsei, zugewandt, wodurch äusserlich das Sonnengezelte als
Tabernakel des in der Eucharistie verborgenen Gottes angedeutet werden sollte.
An diesem Schaugefäss hat also der Componist, von welchem der Entwurf herrührt^
die Vorstellung des thurmfbrmigen Tabernakels und der zeltartigen Sonne zu ver-
einigen gesucht, und zwar in folgender Weise. Auf einer breiten, in länglichem
Viereck gehaltenen Console, die sich nach unten im Sechseck verjüngt, erhebt sich
auf einer Unterlage (Piedestal) eine runde Capsel im grössten Durchmesser von
t2Vi Centimeter, bei einer Tiefe von 8V< Centimeter, die die Bestimmung
14 DOMSCHÄTZE.
hat, unter sorgfältigem Verschluss von Kiystall die j^sacra species^ den Gläubigem
zur Anbetung zu zeigen. Die Einfassung . dieser breiten Capsel ist kreisförmig
gehalten, in der inneren Hohlkehle mit cmaillirten Rosen ausgelegt, und ist um
die äussere Peripherie derselben ein zartes Laubomament in Form von kleinen
Krabben herumgeflihrt, wodurch diese Capsel ein zierliches sonnenförmiges Aeus*
sere gewinnt. Auf dieser Capsel, wie oben angeftlhrt, das Sonnengezelt vorstellend,
hat der Goldschmied als Basis seine Thurmconstruction in Fialenarchitectur so au&u-
bauen gewusst, dass das Ganze als eine leichte, im Sechseck construirte Baldachin-
anlage sich darstellt, in Weise eines Tabernakels ttber dem cisilirten Standbilde der
Mutter Gottes. Dieses mittlere Hauptcompartiment umragen nach sechs Seiten hin
leicht und frei gearbeitete Widerlagspfeiler, die vermittelst kleinerer Streben mit
dem mittleren Hauptkem in Verbindung stehen und denselben zu stützen scheinen.
Auf der Platte des Baldachins, der sich ttber dem Haupte der Madonna wölbt,
zeigt sich, ebenfalls im Sechseck angelegt, ein reich gearbeiteter thurmförmiger
Aufsatz als Lunette, der, von zwei kleineren Lunetten umgeben, in seiner Be-
dachung durch eine doppelte Kreuzblume abgeschlossen wird. Nach Analogie vie-
ler ähnlicher Monstranzen, die uns zu Gesicht gekommen sind, veijttngt sich das
Ganze nach oben in ein kleines Kreuzchen, das heute daselbst nicht mehr vorfind-
lich ist. Zu den beiden Seiten* der ebengedachten verschliessbaren Krystallcapsel
hat der Künstler noch ein reich entwickeltes Strebesystem angebracht, nach oben
in vielen Spitzthürmchen ausmttndend, die durch Strebebogen mit dem ebengedach-
ten, architectonisch entwickelten Aufsätze in Verbindung gebracht sind. Diese letzt-
gedachten Seitenconstructionen, die der Monstranz in der Femsicht eine grössere
Breite verleihen, waren ehemals nochmals umstellt von niedrigen Widerlagspfeilem,
die das ganze Werk flankirten und einen pyramidal ansteigenden Aulbau vor
Fialen zweckmässig herbeiftlhren halfen. Leider fehlen heute diese äusseren
ausladenden Fialen, und würde das Kunstwerk an Zierlichkeit und Formftllle ge-
winnen, wenn dieselben nach einer charakteristischen Zeichnung von geübter
Hand ergänzt würden. Zu beiden Seiten sind die ebengedachten Pfeilercon-
structionen gnmdgelegt auf einer Console im Fünfeek, die von einem gewundenen
Laubomamente mit emaillirten Rosetten getragen wird. Noch fllgen wir hinzu,
dass die viereckige Grundlage, worauf die Rundcapsel wie auf einem PfUhle ruht,
an jeder Seite von einer Strebe mit Bogen flankirt wird. Innerhalb dieser Stre-
ben erheben sich auf kleinen Sockeln ciselirte Figürchen von adorii'enden Engeln, die
auf der Vorderseite Lichter haltend imd auf der Rückseite auf Instrumenten musi-
cirend dargestellt sind. Die oben beschriebene sechseckige Console greift, nach
unten sich zuspitzend, in einen abgeschrägten sechseckigen Knauf ein, in wel-
chen eine ebenfalls im Sechseck gehaltene Röhre einmündet, die als verbin-
dendes Mitglied mit einem reich gearbeiteten „nodus" als Handhabe in Ver-
bindung steht Dieser ELnauf, sechstheilig gehalten, zeigt einen grössten Durch-
messer von 10 Centimeter, und ist derselbe von vorspringenden „rotuä^ über-
ragt, die in der Mitte ausgehöhlt sind und eine kleine frei aufliegende Rose
von Perlenmutter zum Vorschein treten lassen. Um die Peripherie dieses Knau-
DOMSCHÄTZE. 15
fes, sowie um die hervortretenden Pasten, schlängelt sich ein Laubgewinde von klei-
nen ciselirten Laubomamenten, die diesem „pomelbtm" eine reiche Gestaltung geben,
jedoch als unpraktisch und verletzend sich herausstellen. Die unter dem Knaufe
hervorragende Röhre mündet nach unten in einen sechseckig architektonisch geglieder-
ten Untersatz, der oben, wie gewöhnlich, eine Zinnenbekrönung zeigt An den sechs
Seiten erheben sich baldachinartige Nischen, unter welchen ciselirte Heiligen-Sta-
tuettchen thronen, die, wie es den Anschein hat, verschiedene Heilige vorstellen,
wie sie in Köln seit alten Zeiten in Verehrung stehen. Unter diesen sind durch ihre
Symbole besonders kenntlich der heil. Gereon, der heil. Christoph, und als weib-
liche Heiligen, wie sie in der Kölnischen Malerei und Sculptur öfters dargestellt
werden: die heil. Katharina, Barbara und Magdalena. Als sechstes Statuettchen
zeigt sich noch ein Standbildchen, das, wie es den Anschein hat, den heil. Dia-
con Laurentius erkennen lässt, dessen geschlossene Hand ehemals die „craticula"
(Rost) gehalten hat
Eine sehr schöne und selten vorkommende Formation zeigt der breite, wohl-
proportionirte Fusstheil der vorliegenden Monstranz, der in einem länglichen Sechs-
eck angelegt, an jeder Ecke je eine Ausrundung in Form eines Halbkreises zum
Vorschein treten lässt Auf den sechs Feldern dieses Pedälstttckes hat der Künst-
ler eine eigenthümliche Omamentation zur Anwendung gebracht, die sich sonst
seltener vorfindet und als geschrotene Arbeit ,jOpus interrasile^ eine zarte Technik
erkennen lässt Die Zeichnung dieser figürlichen Darstellungen, aus der Passion
des Heilandes entlehnt, wird gebildet durch kleine sich aneinander schliessende
Pünktchen, die durch die Punze eingeschlagen sind.
Auf der vorderen Fläche erblickt man den Anfangs- und Ausgangspunkt
sämmtlicher Darstellungen, nämlich den leidenden Gottmenschen, wie er als „Mann
der Schmerzen" mit gebundenen Händen, zu beiden Seiten die Geisseiwerkzeuge,
aus dem Grabmonumente zur Hälfte hervorragt. Auf den folgenden Flächen sind
in derselben Technik die Leidenswerkzeuge des Heilandes veranschaulicht, unter
anderen : der Hahn nebst Schwamm und Schwert, femer der Judasbeutel mit den Sil-
berlingen, sodann Würfel und Nägel etc. Die drei hinteren Flächen an dem Fuss-
stück dieses Ostensoriums sind mit zierlichen Laubomamenten künstlerisch ausge-
stattet. Die vorliegende Belebung der Flachtheile des Fusses in punktirter Arbeit
hat einige entfernte Aehnlichkeit mit den häufig vorkommenden zarten Gravirungen
auf Kelchflissen; nur ist die Arbeit delicater Natur und dem Auge nicht leicht sicht-
bar. Ein breiter, stark profilirtcr Rand dient dem Fusstücke der Monstranz als Ba-
sis, der, um seine Tragfähigkeit nicht zu schwächen, ohne Durchbrüche gehalten
ist Noch fügen wir hinzu, dass sämmtliche Wasserspeier, die an den Abschrä-
gungen der Widerlagspfeiler zum Vorschein treten, heute dazu dienen, um, an
unschönen Kettengliedern befestigt, mehrere Schaumünzen von geringem Metall-
werthe und noch geringerem Kunstwerthe zu tragen, wodurch die monumentale
Wirkung des stattlichen Monstranzwerkes sehr beeinträchtigt wird. Nach Analo-
gie anderer Ostensorien waren unseres Dafürhaltens nach ehemals an dieser Stelle
kleine Silberglöckchen befestigt, die ebenfalls eine stylschöne Form und Ausprä-
16 DOMSCHÄTZE.
gung zeigten. Gewiss wäre es zu wtinschen, dass bei einer gründlichen Wieder-
herstellung des vorliegenden Sehaugefässes diese kunstlos geprägten SchaumOnzen
entfernt und durch zweckmässige Zierrathen, die dem architectonischen Ganzen
keinen Eintrag thun, ergänzt wtlrden. Bei dieser Gelegenheit würde dann auch die
formlose stylwidrige „lunula'' entfernt und das fehlende Kreuzchen auf die Spitze
gebracht werden.
Zu der Geschichte des vorliegenden Prachtexemplars einer Monstranz be-
merken wir, dass dasselbe als letztes Kunstwerk, noch ans der Blttthezeit mittel-
alterlicher Kimst herrührend y zu den gleichartigen Schätzen des Kölner Domes
durch eine grossmttthige Geschenkgeberin hiesiger Stadt hinzugefügt wurde.
Als nämlich zu Schluss der vierziger Jahre von einem hiesigen Kunsthänd-
ler die in Rede stehende Monstranz zum Verkaufe feilgeboten wurde, war es Frau
Commerzienräthin Schaaffhausen, die das prachtvolle Kunstwerk um hohen Preis
an sich brachte imd es der Schatzkammer des hiesigen Domes zuwandte. Wir
haben nicht in Erfahrung bringen können, woher die Monstranz ursprttngUeh
stammte, und welcher Kirche dieselbe ehemals zugehört habe. Es liegt die Vermu-
thung nahe, dass sie durch die grosse französische Staatsumwälzung aus kirchlichen
in Privatbesitz gelangte, und glauben wir, gestützt auf längere Studien der Formen
Kölnischer Goldschmiede annehmen zu dürfen, dass dieses grossartige Monstranzwerk
ehemals einer Kölnischen Kirche Zugehört habe und von einem vorzüglich befähig-
ten Meister der Kölnischen Groldschmiedezunft angefertigt worden ist Erkennt
man in der einen Statuette einen heil. Laurentius mit dem Roste, so könnte die Ver-
muthung Raum gewinnen, dass die Monstranz vielleicht ehemals dem reichhaltigen
Schatze der früheren Laurentiusklrche angehört habe. In dieser Pfarre hatten ehe-
mals die bedeutendsten Goldschmiede des alten Kölns ihre Wohnhäuser und Kauf-
läden, weswegen auch heute noch der ebengedachte Strassentheil „Unter Gold-
schmidt" heisst.*)
Hinsichtlich der Zeit der Anfertigung erlauben wir uns noch hinzuzufügen,
dass die in Rede stehende prachtvolle Monstranz, die in Hinsicht der Schönheit und
Grossartigkeit der Detailformen schwerlich von gleichartigen liturgischen Gerä-
then in Deutschland heute noch übertrofFen werden dürfte, zweifelsohne als
eines der älteren Monstranzwerke betrachtet werden kann, das nach Einführung
der Frohnleichnamsprocession am Rheine angefertigt worden ist. Wenn nun nach
erhaltener Inschrift das reiche Monstranzwerk zu Ratingen bei Düsseldorf in
dem letzten Viertel des XIV. Jahrhunderts seine Entstehung gefunden hat, so
dürfte das eben beschriebene Schaugefäss hinsichtlich des strengeren architectoni-
schen Ernstes, der sich in sämmtlichen Detailbildungen entfaltet, als ein hervor-
ragendes Product der Goldschmiedekimst aus der Mitte des XIV. Jahrhunderts zu
*) Wir stellen obige Ansieht als gewagte Hypothese hin, wozn wir sonst keine Wahrsoheinliefa-
keitsgrUnde aufweisen können, und möchten wünschen, dass in Folge dieser Andeutung gründlichere
Nachforschungen über das geschichtliche Herkommen und den Ursprung dieser Monstranz, da alle In-
schriften fehlen, angestellt werden mochten.
DOMSCHÄTZE. 1 7
betrachten »ein. Mit dieser Annahme srimmt auch ttberein der Charakter, wie er
sich in den geschrotenen zierlichen Laubomamenten des Fusses zu erkennen gibt.
Auch die figurale Darstellung des ,,8chuierzenreichen Heilandes", die auf dem Fusse
an der vorderen Seite ersichtlich ist, scheint für die obige Annahme Zeugniss
ablegen zu wollen.
40.
Reliquieiikrenzy
silbervergoldet, mit doppelten Kreuzbalken.
Schluss des XY. Jahrhunderts. Grötste Hohe 36 Vs Centimeler. Breite des grüssten Uaerhalkens
13'/s Centimeter.
Das vorliegende Kreuz repräsentirt im heutigen Domschatze jene ^crtices
bipartitae^, die in älteren Verzeichnissen von Kirchensch'ätzen häufig angeführt
werden als „cruces on'entales**, und welche man in Italien meistens als y^croci hye^
rosoleme^ näher bezeichnet Das vorliegende Doppelkreuz in Form eines Patriar-
chalkrenzes ist in seinen Formen platt und einfach gehalten und zeigt an d<)n
Ecken sämmtlicher Kreuzbalken die Fonn der Vierpassrose, die auf der Vor-
derseite als Medaillons mit erhöhtem Rande erscheinen und in ihrer Vertiefung
an den vier Ecken der Querbalken die Abzeichen der vier Evangelisten in den
bekannten geflttgelten Thiergestalten zum Vorschein treten lassen. Diese symboli-
schen Thiere sind als Basrelief gegossen und mit vielem Geschmack ciselirt. In
dem Kopfinedaillon erblickt man als Brustbild, thronend auf dem Mond und um-
geben von der Sonne, die Figur der Mutter Gottes mit dem Jesus-Kindlein. In dem
Medaillon am unteren Langbalken ist im Basrelief ersichtlich die knieende Figur
eines Donators in bischöflichen Gewändern, wodurch aller Wahrscheinlichkeit nach
jener Kirchenfttrst angedeutet wird, der das vorliegende Kreuz vielleicht aus eige-
nen Mitteln hat anfertigen lassen. Eine Inschrift und auch das Geschlechtswappen,
wodurch der erzbisehöfliche Geschenkgeber angedeutet würde, fehlt gänzlich. Die
beiden Querbalken sind in der Mitte verbunden durch eine kleine runde Kapsel
mit Glasverschluss, in welcher eine grössere Partikel, anscheinend vom h. Kreuze,
in besonderer Goldeinfassung ersichtlich ist. — Die untere Ausmündung des Lang-
balkens greift nach einem kleinen Mittelglied unmittelbar in einen achteckig gehal-
tenen architectonisohen Untersatz ein, der auf seinem Sockel von einer viereckigen
Unterlage mit Zinnenbekrönung aufgenommen und umschlossen wird. Dieser
Sockel steht unmittelbar in Verbindung mit einem eigenthümlich geformten Fuss-
theile in Kreuzform, wie wir denselben in dieser Weise bis jetzt selten vorgefun-
den haben. Aus den Detailformen ist nicht schwer zu entnehmen, dass das vor-
liegende Kreuz in dem letzten Viertel des XV. Jahrhunderts angefertigt worden
18 DOMSCUÄTZB.
ist Wie es heute noch in vielen Kirchen des Occidents Sitte ist, werden bei
feierlichen Hochmessen ähnliche Doppelkreuze als Reliquiarien vom Celebrans mit
an d^ Altar genommen und, am Fusse des Altars angekommen, werden dann diese
darin befindlichen Reliquien vom Celebrans gekttsst, der darauf das Kreuz als Pa-
cificale vor dem Staffelgebete den beiden neben ihm befindlichen Diaconen zum
Kusse hinreicht. Nach dem Staffelgebet mtd dann dieses Pacificale seitwärts auf
den Altar nach der Epistelseite hin aufgestellt —
41.
Drei Reliqniengeftsse,
in Kupfer vergoldet und einfach in ihren Formen.
Sämmtlicli herrührend aus dem Beginne des AVI. Jahrhundert«.
Das grössere dieser Beliquiengefässe , welches mehrere Reliquien in einem
einfachen Glascylinder enthält, die durch Inschriften nicht näher bezeichnet sind, zeigt
in seinem äusseren Aufbaue eine Menge von Detailformen, die noch als schwache
Nachklänge an die edleren Formbildungen des (roldschmiedegewerkes aus dem
XIV. Jahrhundert erinnern. Der Knauf aber und die eingravirt^n Maasswerkveizie-
rungen auf dem sechstheiligen Fussstücke lassen deutlich erkennen, dass schon die
Verfallzeit der Gothik vor der Thttre stand, als das vorliegende Beliquiarium seine
Entstehung fand. Auch das kleinere dieser drei Beliquiengefässe, in Messing vergoldet,
ist im Beginne des XVI. Jahrhunderts angefertigt worden, als für die Zunft der Köl-
nischen Goldschmiede die Glanzepoche ihres schöpferischen Könnens schon lange
erloschen war. Nur auf dem Fusse, der eine sechsblätterige Rose bildet, erblickt
man noch in gelungener Gra\irung ein Laubomament, das mit vielem Schwung
und Verständniss ausgearbeitet ist. Noch weisen wir auf die sechs kleineren Pa-
sten des j^tiodus^ hin, auf welchem die Gravinmg der verschiedenen Leidenswerk-
zeuge aus der Passion des Heilandes veranschaulicht ist. Das dritte der zur Auf-
nahme von Reliquien bestimmte Gefässe zeigt jene unschöne Verbindung der For-
men der ausgearteten Gothik in missverstandener unglücklicher Vereinigung mit
den frühesten Bildungen der Renaissance. Dieses Gefäss, dessen Formen sonst
keinen Kunstwerth beanspruchen können, bietet den deutlichen Beleg, dass die
Renaissance bei ihrem Aufkommen in Köln nicht fähig war, in den Hauptconstruc-
tionen neue selbstständige Formen aufzustellen, sondern dass man sich noch eine
Zeit lang ängstlich an die Ueberlieferung der Gothik anschloss und nur im Detail
die neuen, theilweise noch ungeübten Formen des neuen Modestyles annahm.
DOHSCH&TZE. 19
42.
Brustbild,
in Silber getrieben, vorstellend die Büste des heil. Gregorius Spoletanus im
priesterlichen Gewände.
XV. Jahrh. Höhe 46 Centimeter. Grösster Durchmesser des Fussthciles 40 Centimeler.
Von den vielen kostbaren Bildwerken, in Silber getrieben, von kunst-
reicher Arbeit, die der ehemalige Domschatz aufzuweisen hatte, befindet sich heute
noch in der Schatzkammer daselbst die unter Figur 41 abgebildete ,,herma pecto-
raUs'*, in deren Haupte unter einem bewegliehen Verschlusse das f,cranmm" des
Märtyrers Gregor von Spoleto ersichtlich ist. Die Grebeine dieses Heiligen, des-
sen Fest das Kölnische Directorium unter dem 22. December anfuhrt, wurden vom
EIrzbischofe Bruno von Spoleto nach Köln* Übertragen, und ruhen' dessen übrigen
Gebeine zugleich mit denen des heil. Felix und Nabor in dem oberen Reliquien-
sehreine, der sich als grösserer Aufsatz auf dem Drei-Königen-Kasten befindet
Wie es den Anschein hat, wurde vielleicht im XV. Jahrhundert das Haupt des
spoletanischen Märtyrers als eines der Schutzpatrone des hohen Domes von den
übrigen Gebeinen erhoben und in das vorliegende Brustbild eingelassen, damit es
an dem Gedächtnisstage des Heiligen feierlichst auf dem Hochaltare ausgestellt
und den Gläubigen zur Verehrung gezeigt werden könnte. Dieses schöne Brust-
bild, ein Meisterwerk des „opus propulsatum", hat sich vielleicht durch einen glück-
lichen Zufall aus der Verwüstungsepoche am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts bis
auf unsere Tage gerettet, während drei andere prachtvolle Brustbilder, aus dersel-
ben Epoche stammend, verloren gegangen sind, die einzeln die Häupter des Papstes
Sylvester, des heil. Nabor und des heil. Felix umschlossen. Das Bildwerk selbst
lässt mit grosser Naturwahrbeit und fast sogar mit einer anatomischen Strenge die
sehr markirten Gesichtszüge eines Priesters erkennen, der schon im angehenden
Alter befindich dargestellt ist Das Haar ist stark geringelt und slylisirt und zeigt
noch eine solide Feuervergoldung. Das Haupt selbst ist, um die Priesterwürde
anzuzeigen, mit der Tonsur versehen. Das in Rede stehende silbergetriebene Bild-
werk hat bei seinen anderen plastischen Vorzügen namentlich fllr das Studium der
priesterlichen Gewänder des Mittelalters den Vortheil, dass es mit grösster Deul^
lichkeit erkennen lässt, wie der priesterliche Messomat in Köln gegen Schluss des
Mittelalters in seinen wesentlichen Bestandtheilen formell und decorativ beschaf-
fen war.
Das ernste Brustbild des heil. Gregorius, der als Presbyter von Spoleto in der
Christenverfolgung des Diocletian, und zwar unter dem Präfecten Flaccus, nach lieber-
stehung vieler Qualen den Märtyrertod erlitt, hat der Kölnische Goldschmied, dem
Marfyrologium zufolge, richtig dargestellt im Priestergewande, mit der Messcasel ge-
schmückt, wie sie in weiter, faltenreicher Form im alten Köln noch immer das
XV. und XVI. Jahrhundert hindurch im Gebrauche war. Dieses Messgewand, das
20 DOlfSGHÄTZE.
in Silber angedeutet, Brust und Schulter des Pectoralbildes gleichmässig bedeckt,
ist, wie das auch die Abbildung auf Taf. X, Fig. 42 deutlich erkennen lässt, ausgezeich-
net durch ein reiches Ornament, als Stickerei halb erhaben hervortretend, und gibt
sich dasselbe in seiner Form sofort als eine „at/ri/Winia" zu erkennen, die, auf dem
Vorder- und Hintertheile des Messgewandes gabelförmig über die Schultern heran-
steigend, gleichmässig auf beiden Seiten des Grewandes, so zu sagen ein Gktbel- oder
Y-Kreuz mit schräg ansteigenden Querbalken bildet. Es war das die Form eines
gestickten Doppelkreuzes an reicheren Messgewändem in Deutschland das XI\^
und XV. Jahrhundert hindurch. Aus diesem Gabelkreuze bildete sich erst gegen
Schluss des XV. Jahrhunderts, mehr aber noch im XVL Jahrhundert, als die Stoffe
zu den Messgewändem steifer und jEaltenärmer wurden, das Kreuz auf dem Hinter-
theile des Messgewandes mit gerade ausgestreckten Querbalken, wie es heute noeh
auf dem Rttcktheile der Casel gebräuchlich ist Im Vorbeigehen bemerken wir
noch hinsichtlich dieses über die Schultern schräg ansteigenden Caselkreuzes, wo-
mit das vorliegende Brustbild geschmückt ist, dass auf diese Form der Aurifrisien
sich auch jene merkwürdige und wichtige Stelle des Thomas a Kempis bezieht,
der in dem IV. Buche seines berühmten Werkes von der Nachfolge Christi Cap. V.
ni, wo er von dem Messgewande des Priesters spricht, wie es zu seiner Zeit
in Deutschland üblich war, angiebt: ^thabet ante se et retro Dommfoae crucis
Signum." Mit vollem Rechte haben aus dieser interessanten Stelle jene Schriftsteller,
die in neuester Zeit unter andern gewichtigen Beweisgründen die deutsche Abstam-
mung des gottseligen Thomas für die Stadt Kempen am Niederrhein unumstösslich
festgestellt haben, einen Nebenbeweis für ihre Behauptung herzuleiten gewusst, dass
Thomas der deutschen Nation angehöre, indem diese Form des doppelten Gasel-
kreuzes, ansteigend über Schulter und Brust, nicht in Frankreich und Italien, son-
dern in Deutschland an den Messgewändern damals üblich gewesen sei.
43.
Lichtträger
in Form von knieenden Engeln, in Silber getrieben.
XV. Jahrhundert. Höhe 33 Ccntimetcr, Durchmesser des Fusses 15 Centimeter.
Unter den vielen Formen, die der Leuchter im Mittelalter gefunden hat,
dürften die vorliegenden Lichthalter hinsichtlich ihrer Gestalt und technischen
Ausarbeitung wohl am interessantesten und gelungensten erscheinen. Der
Leuchter des Mittelalters hatte in der romanischen Kunstepoche eine vielge-
staltige Durchbildung und Formfülle erhalten. Die Gk)thik fand eine solche
Menge von kunstreichen und we]*tbv()llen Lichtträgeiti vor, dass imserem Er-
achten nach dieselbe den Leuchtern keine neue eigenthümliche Form zuerkannt
DOMSCHATZE. 2 t
hat, und dieselben äui^&erst einfach, meistens in Messing, seltener in Silber, in
jenen einfachen Formen gegossen wurden, wie dieselben an Figur 43 ersichtlich
sind. Bei den reichen Sculpturaltären und gemalten Flttgelbildem, die in der gothi-
schen Eunstepoche auf niedrigem Altarsockel, wie wir das vorhin schon bemerk-
ten, aufgestellt wurden, war man gar nicht gewillt, dem Leuchter eine solche
Grösse und Formentwickelung zu geben, dass er störend und verdeckend vor den
kunstreich ausgestatteten Aufsatz des Altars aufgestellt werden konnte. Man be-
begnfigte sich deshalb damit, denselben a]s Nebensache sehr einfach und niedrig
zu halten, so dass er nicht als Hauptsache den Blick von dem kunstvoll ausgear-*
betteten Altaraufsatz abzulenken im Stande war. Aus diesem Grunde finden sich ver-
h&Itnissmässig nur noch wenige Leuchter vor, die, in Silber ausgeführt, bei einer
ziemlichen Grösse einige Formentwickelung zur Schau tragen. Dem Compouisten
des vorliegenden Lichttiügers ist es gelungen, bei kleiner Ausdehnung an der schwie-
rigen Ausbildung eines Lichtträgers vorbeizukommen und demselben eine solche
originelle Gestaltung zu geben, die von der Alltagsform abwich, und womit zugleich
eine schöne Idee verbunden war. Er hat nämlich einen Cherub in knieender
Stellung componirt, der anbetend beide Hände gefaltet hat, und einen klei-
nen Leuchter zu halten scheint. Diese knieende Engelsgestalt ist angethan mit
einer langen faltenreichen Albe, die um die Lenden mit einem „cmgulum^ gegürtet
ist. Um den Halsausschnitt der ebengedachten y^camisia^ bat der Künstler
das Schultertuch (humerale) in der alten Form so angelegt, dass die gestickte
und darauf befestigte y^parura^ als kleiner Kragen erscheint, indem dieser aufge-
nähte gestickte Rand nach hinten hin sich in Form eines Kragens anlegt und den
Halsausschnitt der Albe zweckmässig überdeckt. Mit besonderer Sorgfalt ist das
Haar der Engel streng stylisirt und geringelt; die einzelnen Locken sind mit grossem
Fleisse behandelt. Das Haar ist als „ckrf/sojfcoma^, wie das die Goldschmiedekunst
im Mittelalter namentlich den jugendlichen Heiligengestalten mittheilte, vergoldet
dargestellt, so auch das ^^ humerale^ und der Sockel. Die Flügel sind durch Haken
beweglich eingesetzt, und sind die einzelnen Federn derselben durch kräftige Gra-
virungen angedeutet. Die kleineren Leuchter, zur Aufnahme des Wachslichtes von
dem Engel gehalten, scheinen nicht mehr primitiv zu sein, sAndem die obere Röhre
ist neu hinzugefügt, und nur noch der Fusstheil stammt aus älterer Zeit. Was nun
die Incamationstheile dieser knieenden Engel betrift't, so kann gesagt werden, dass
dieselben mit grosser Fertigkeit sehr natunvahr behandelt und ausgeführt sind. Das
Gewand selbst zeigt in seinem Faltenbruch, der nicht zu sehr gehäuft und manie-
rirt ist, dass die Anfertigung dieser Figuren noch nicht gerade der Verfall-
zeit der Gothik angehörte. Diese knieenden Enjcel, mit grosser Gewandtheit
aus starkem Silberblech getrieben, hat der Goldschmied auf einem kleinen
Sockel, in Messing vergoldet, befestigt, der im Sechseck augelegt ist. Die Ränder
dieses Sockels sind nach unten und oben stark protilirt mit tiefen Ausladun-
gen. Auf den 6 Flachseiten dieses Sockels liest man in gothischer Minuskel-
schrift eine Inschrift, die zugleich bekundet, welchem Gebrauche diese Lichtträger
gewidmet waren. Man ersieht nämlich auf dem einen Sockel den bekannten Spruch
22 domschXtze.
aus dem ^hymnus angelicus^: „ecce pams Angehrum f actus eibus viatarum.^ Auf
dem anderen Fusse zeigt sich der andere Spruch: „0 memorude mortis Dowäm
panis virms vitam praestans hominL^ Auf der Plattfläche des Sockels, die nicht
durch die Inschriften ausgeftlUt ist, erblickt man in derber Gravirung ein Wappen*
Schild in der Form des XY. Jahrhunderts mit Helmzierde und Laubomamenten.
Dieses geraldische Abzeichen hat 2 Felder, und zeigt sich auf jedem derselben ein
Stern. Vielleicht dürfte es Heraldikem bei einiger Nachforschung gelingen, unter
Beachtung dieses Familienzeichens den Namen des Greschenkgebers ausfindig zu
machen, auf dessen Geheiss und Kosten vorliegende Lichttrilger angefertigt
worden sind. Heute werden diese Lichthalter zu häufig als Akoluthenleuchter,
und zwar von Messknaben, gebraucht, die am allerwenigsten den grossen Kunst-
werth und die originelle Form derselben zu schätzen wissen. Durch häufiges Fal-
len und Stossen sind diese interessanten Lichtträger heute in einem solchen deso-
laten Zustande, dass der Wunsch in jeder Beziehung berechtigt erscheint, diese
ebengedachten werthvollen Arbeiten möchten fortan, den Übrigen Domschätzen zu-
gesellt, eine sorgfältigere Aufbewahrung und einen selteneren Gebrauch finden;
und zwar dürften sie zunächst jenem Gebrauche wieder zurückgegeben wer-
den, wozu sie ursprünglich von dem frommen Greschenkgeber, wie das die
Inschrift andeutet, bestimmt worden sind. Sie hatten nämlich, unserer Ueberzeu-
gung nach, ehemals die Bestimmung, an Festtagen beim sakramentalischen Segen
oder bei der Aussetzung des hochwtlrdigsten Gutes, mit brennenden Wachslichtem
versehen, zu beiden Seiten der Monstranz auf den Altar gestellt zu werden. Alten
Schatzverzeichnissen zufolge scheinen in grösseren Kirchen des Mittelalters ähn^
liehe Lichtträger in Gestalt von anbetenden Engeln, meistens in Silber getrieben,
vielfach vorgekommen zu sein. So viel uns bekannt geworden, haben sich am Rheine
keine derselben mehr erhalten ; es finden sich nur noch zwei solcher Lichthalter in
ähnlicher Grösse, jedoch in reicherer Formentwickelung, in der Sakristei der P&rre
von S. Martin. Dieselben sind aus Lindenholz geschnitten und reich vergoldet.
Auf die Beschreibung derselben werden wir in der nächsten Lieferung zurückkom-
men. Auch in der Sebalduskirche zu Nürnberg sahen wir zwei ausgezeichnet
schöne, in Messing getriebene Leuchter, ebenfalls in Gestalt von Engeln, wenn
wir nicht irren, in aufrechter Stellung, die von der grossen Meisterschaft der Gold-
und Kupferschmiede der alten freien Reichsstadt Nürnberg heute noch beredtes
Zeugniss ablegen. Auch in der Pfarrkirche zu Rottweil (in Schwaben) sahen wir
mehrere Leuchter in Lindenholz geschnitst in Form von stehenden Engehi. Der vor
der französischen Invasion so reichhaltige Schatz des Domes von Köln, welche^
jetzt kaum den sechsten Theil seiner ehemaligen Kunstwerke gerettet hat, rühmte^
sich auch des Besitzes von grossen, in Silber getriebenen Standbildern der zwölf
Apostel, die, sämmtUch Meisterwerke der Treibekunst, an Festtagen auf die nie-
dere „predeUa^ des ehemaligen alten Hochaltars aufgestellt zu werden pflegten.
Einer zuverlässigen Angabe zu Folge sollen diese getriebenen Apostelstatuen eben-
falls in der letzten Hälfte des XY. Jahrhunderts angefertigt worden sein, und zwar
nach jenen Modellen in Eichenholz geschnitzt, die, die 1 2 Apostel vorstellend, sich
DOMSCHATZE. 23
heate noch in der 8t. Albanskirche vorfinden. Es läge nun die Vermufliung nahe,
dass in Anbetracht der grossen Aehnlichkeit dieser Apostelstatuetten mit der gelun-
genen Composition der oben beschriebenen Engel, diese letztgedachten getriebenen
Bildwerke zu derselben Zeit und vielleicht von demselben Meister angefertigt worden
seien, dem auch die untergegangenen silbernen Standbilder der Apostel ihre Entstehung
zu verdanken hatten. Gibt man dieser Hypothese Raum, so dürften dann diese bei-
den sübergetriebenen Bildwerke zu betrachten sein als jene Leuchter, die bei der
Aussetzung des „ Sanctissimum^ auf dem alten Hochaltare unmittelbar neben der
Monstranz ihre Stelle fanden, wenn an grösseren Festen auch die getriebenen
Statuen der zwölf Sendboten den Hauptaltar des Kölner Domes schmückten.
44.
Reliquienschrein der heil, drei Könige,
silbervergoldet, mit vielen getriebenen figürlichen Darstellungen in Gold- und
Silberblech und mit einer Menge Emaillirungen kunstvoll ausgestaltet.
XII. Jahrhundert. 18 Decimeter lang, 9 Centimeier hoch.
Es ist eine bekannte Thatsache, die in archäologischen Schriften durch ge*
schichtliche Belege ausser Zweifel gestellt worden ist, dass die altberllhmte , erz-
bischöfliche Metropole am Rhein bereits gegen das X. Jahrhundert die verschiede-
nen Künste im Dienste der Kirche innerhalb ihrer Mauern in einer Weise sich
entwickeln sah, wie das wenige Bischofsitze um diese Zeit von sich rühmen konn-
ten. Neben der Architectur, die wir heute noch in den grossartigsten Monumenten
anstaunen, gelangten bereits um das XI., mehr aber noch gegen das XII. Jahr-
hundert im „heiligen Köln'^ unter den bildenden Kttnsten zu einer grossen Höhe
der compositorischen und technischen Ausbildung, die Malerei, die Groldschmiede-
kunst und kirchliche Stickkunst. In dem vorliegenden Werke ist es vornehmlich
unsere Aufgabe, wie wir das auch in der Vorrede weiter entwickelt haben, die
grossartigen Ueberreste dieser beiden letzteren im mittelalterlichen Köln mit so
grossem Erfolge geübten Kunstzweige zu beschreiben und durch kleinere Zeich-
nungen zu erläutern.
Gleichwie die Malerei nach langjährigen Vorstudien und Entwickelungspha-
sen erst im XV. Jahrhundert in den Meisterschulen der altkölnischen Malerzunft
ihre Glanzperiode feierte, so hatte die Goldschmiedekunst bereits 250 Jahre früher
die Höhe ihrer ästhetischen und technischen Vollendung im Dienste des Altars
24 " DOMSCHÄTZE.
innerhalb der Mauern Kölns erstiegen. Zum Belege des Letztgesagten verweisen
wir hier auf jenes Prachtwerk der romanischen Goldschnüedekunsty das unter dem
Namen „der Reliquienschrein der heil, drei Könige" eine europäische Berühmtheit
erlangt bat. Nachdem wir die meisten kirchlichen Kunstschätze des westlichen, öst-
lichen und südlichen Europa's auf ausgedehnten Reisen zum Gegenstande einer einge-
henden Forschung gemacht haben, nehmen wir keinen Anstand, hier die Behauptung
aufzustellen, dass jener kostbare und grossartige Reliquienschrein, worin die Lei-
ber der heil, drei Könige, sowie verschiedener anderer Heiligen, ehrfurchtsvoll bei-
gesetzt sind, unbedingt als das vorzüglichste und umfangreichste Meisterwerk der
Goldschmiedekunst bezeichnet werden kann, welches, den Stürmen der Revolutionen
trotzend, sich bis auf unsere Stunde noch ziemlich gut erhalten hat. Als gleich-
artige Mcistenverke , die mit dem vorliegenden Prachtwerke Kölnischer Gold-
schraiedekunst einen Vergleich eingehen können, wüssten wir hier nur noch anzu-
geben die kostbare „/;«//« a/taris^ in der Basilika des heil. Ambrosius zu Mailand
und die bekannte ,jpalla dtoro^ im Marcusdom zu Venedig.
Bei dem beträchtlichen Reichthume desMaterialsundderkünstlerisch vollende-
ten Form, wodurch der Reliquienkasten der heil, drei Könige, abgesehen von der gros-
sen Menge der herrlichsten und seltensten Gemmen und Campen aus dem elassi-
schen Alterthume, sich als einzig in seiner Art dastehend auszeichnet, muss es
gewiss befremden, dass derselbe, trotz der allgemeinen Regsamkeit und Rührigkeit
auf dem Gebiete der Archäologie, in neuester Zeit noch keine eingehende artisti-
sche Beschreibung gefunden hat, wie der historische Kunstwerth des ebengedachten
Reliquiariums in so hohem Grade es beansprucht*)
Im Folgenden wollen wir es versuchen, vom Standpunkte der heutigen
archäologischen Wissenschaft aus, eine genauere Beschreibung dieses unerreichten
Meisterwerkes kirchlicher Goldschmiedekunst der OefFentlichkeit zu übergeben.
Bei Beschreibung des vorliegenden Reliquienschreines ist zweierlei zu beob-
achten, nämlich: Grundanlage und Conception desselben, und technisch gelungene
Ausführung der vielen einzelnen Theile, die sich zu einem grossartigen Ganzen
kunstreich zusammensetzen. Was vornehmlich die Idee betrifft, die bei dem Ent-
würfe der in Rede stehenden y^theca^ leitend gewesen ist, so muss angege-
ben werden, dass Grundlage und Composition rein constructiver Natur ist
Es repräsentirt nämlich dieses Schreinwerk in seiner äusseren Form vollstän-
dig den Bau einer romanischen ELirche, bestehend aus einem Langschiff ohne
Kreuzschiffe mit geradlinigem Abschluss der beiden schmäleren Kopfseiten. Der
Künstler, von dem die geniale Composition des ^scrlnium trium regum^ herrührt,
bat femer den Bau einer Basilika in idealer Weise so nachzubilden gesucht, dass
er das Langhaus ohne Unterbrechung darstellte, mit hochauf ragendem Mittekchiff
*) In neuester Zeit geschah 2war in Besohi-cibungcn des Domes dieses prachtvoUen ReUquien-
Schreines mehrfach Erwähnung, jedoch haben dies» Besprechungen, sowie auch einige Munographien,
die im vorigen Jahrhundert erschienen sind, in den Augen einer strengeren Kunstkritik nicht den ge-
ringsten Werth, da sie blos Allgemeinheiten ohne tieferes Eingehen auf die Eunstformen zur Mitthei-
lung bringen.
" *.
I', •
DOHSCHÄTZE. 25
und kleineren, gleich hohen Nebenschiflfen. Die vordere Hauptfa^ade, der Kopf-
theil des Schreines, bietet daher auch in seinen äusseren Umrissen den Anblick
der Giebelfronte einer „Basilika^' ohne Thurmanlagen , wie wir sie an longobardi-
schen Eirchbauten des XU. Jahrhunderts in verwandter Formation mehrfach zu sehen
Gelegenheit hatten. Die meisten Seliquienschreine, die sich im grösseren Umfange
sonst noch in verschiedenen Kirchen des Occidentes erhalten haben, bestehen einfach
aus vier aufrecht stehenden Abscblusswänden, die von einem Satteldache überdeckt
sind; der vorliegende Sarkophag aus vergoldeten Silberblechen, worin die Gebeine
der drei Weisen aus Morgenland ruhen, ist ausnahmsweise zusammengesetzt aus
zwei Schreinwerken, und zwar erhebt sich auf dem grösseren unteren „scrintum
oblangum^ unmittelbar über den schräg ansteigenden Bedachungsflächen ein zwei-
ter ftlr sich selbstständiger Kasten als Aufsatz. (Vgl. Fig. 44 a.)
Indem wir jetzt zu der Beschreibung der einzelnen Details dieses Pracht-
werkes mittelalterlicher Goldschmiedekunst übergehen, werden wir der Reihe nach
die vordere Hauptfagade, die rechte und linke Langseite nebst ihren Bedachungs-
flächen, die Langseiten der oberen Abtheilung, und endlich die hintere Fa^ade
des vorstehenden Reliquiariums in ihrem omamentalen Beichthume zu skizziren
versuchen.
Wendet man zuerst den aufmerksamen Blick der vorderen B[auptfa^e die-
ses kunstreichen Behältnisses zu, so nimmt man wahr, dass der Goldschmied des
alten Köln das edelste Material und einen Ueberfluss der kostbarsten antiken Gem-
men und Gamöen, desgleichen eine grosse Zahl von kunstreichen Schmelzwerken
nicht geschont hat, um sein Meisterwerk auf's reichste und glanzvollste auszustatten.
An diesem vorderen Haupttheile, der Kopffronte des gedachten Schreines, die eine
grösste Breite von fast 11 Decimeter bei einer grössten Höhe von 15 Decimeter
hat, macht sich vor Allem die grosse Kunstfertigkeit bemerklich, die der ^auri--
faber^ gegen Schluss der romanischen Kunstepoche in der schwierigen Darstel-
lung figürlicher getriebener Arbeiten sich erworben hatte. Diese Hauptfronte be-
steht zum Unterschiede von den vergoldeten Silberflächen der drei anderen Seiten
aus gediegenen Goldblechen. In der unteren Abtheilung des Schreines zeigen sich
unter dreifachen BogensteUungen, die von gedoppelten emaillirten Säulchen getra-
gen werden, drei getrennte Scenen; unter dem mittleren Kleeblattbogen, als Nische
in einer Höhe von 30 Gentimeter, thront die sitzende Statuette der Madonna als
Himmelskönigin auf einem reich ausgestatteten, architectonisch gebildeten „sedile",
das mit einem Ptühl belegt ist Der göttliche Knabe hat die Rechte gleichsam
segnend erhoben und schien ehemals in der geöfiheten linken Hand den „orbis
ierrarum'* zu tragen. Unterhalb dieser Bogenspannung erblickt man kleinere, blau
emaillirte Halbbögen, die in goldenen Majuskehi folgendes Legendarium erkennen
lassen: „Sancta MariOy Mater Domtnl" Offenbar ist die Krone, welche sich heute
auf dem Haupte der jungfiräulichen Mutter befindet, nicht als die primitive zu be-
trachten, sondern die an derselben befindlichen Details lassen sie sofort als eine
Zuthat der Zopfzeit erkennen. Die Himmelskönigin und der Jesusknabe sind nach
der rechten Seite hingewandt, auf welcher unter einem breitgespannten Kleeblatt-
4
26 DOMSCHATZE.
bogen die zweite Gruppe sich zeigt, vorstellend die Anbetung der drei Weisen,
die dem neugeborenen Könige den Tribut der Anbetung zollen und die bekannten
Geschenke in reich verzierten Gefässen darbringen. Der Ktlnstler hat, einer alten
lYadition folgend, in den drei opfernden Weisen die drei verschiedenen LeliensH
alter, desgleichen auch die drei damals bekannten Welttheile zur Anschauung brin-
gen wollen, welche dem Heilande durch Geschenke ihre Huldigimg bezeugen. Der
niederknieende König, der Repräsentant Asiens, mit langem Barte und alternden
Zttgen versinnbildet das Greisenaltcr, und die Email-Inschrift benennt ihn „Caspar."
Nach ihm folgt mit bartloser, jugendlicher Kopf bildung der Inschrift gemäss „Mel-
chior" als Jtlngling, der Vertreter Europa's, der in einem reich verzierten Gefasse
Weihrauch darbringt „Balthasar" in einer mit Filigran verzierten Kapsel Myr-
rhen darreichend, nimmt die letzte Stelle ein und repräsentirt mit kurzem Bart
und markirten Zttgen das kräftige Mannesalter oder den dritten Welttheil: Africa.
Unter der dritten Bogenwölbung folgt noch das kleinere, in Gold getriebene Stand-
bild des Donators, der als vierter der anbetenden Könige in einem kleinen vier-
eckigen Kästchen ebenfalls Gold darzubringen scheint Die Inschrift in der klei-
neren Bogenspannung über dem Haupte dieser Statuette bezeichnet näher dieselbe
als Geschenkgeber: ^,Otto rex^\ Es wäre hieraus der Schluss zu ziehen, dass
dieser ganze Vordertheil zur Zeit des Erzbischofs Adolph von Altona durch die Geld-
mittel Otto's IV. gleich nach seiner Wahl zu Köln im Jahre 1198 angefertigt wor-
den sei.
Noch machen wir darauf aufmerksam, dass sämmtliche Figuren der eben-
gedachten Gruppe ihre Weihegeschenke mit verhüllten Händen, zum Zeichen der
Ehrfurcht, darbringen. Zur linken Seite der Madonna hat der Künstler analog
mit der Gruppe der Anbetung in Scene gesetzt, und zwar ebenfalls in Goldblech
als Hautrelief getrieben, die Taufe des Heilandes im Jordan. In der dreifachen
Bogenlaube liest man die heute unvollständige Inschrift: „JETic baptizifica-
tur." In der Mitte steht der Heiland, dessen Unterkörper von den Wellen des
Jordanstromes umflossen und verhüllt ist; zur Rechten erblickt man, auf einem
Felsen stehend, den Vorläufer Johannes, wie er mit der Muschel die Taufe vor-
nimmt; unter dem dritten Bogen hat die Kunst des Mittelalters einen dienenden
Engel angebracht, der das Gewand des Heilandes darzureichen scheint Leider ist der
Untersockel, worauf das ganze Schreinwerk ruht, und der sich in zwei Abiheilun-
gen in einer Höhe von lOV« Centimeter treppenft5rmig aufbaut, bei der jüngsten
Wiederherstellung von ungeübter Hand, die dem ursprünglichen Style des Schrei-
nes nicht gerecht zu werden verstand, mit getriebenen Blechen belegt worden,
deren Ornamente klägliche Manifestationen aus dem vorigen Jahrhunderte sind, eine
Epoche, in welcher den Goldarbeitem das Verständniss der romanischen Kunstform
vollständig abhanden gekommen war.
Nur an einem Theile des Sockels hat sich noch die primitive kostbare Oma-
mentation in kleinen rechteckigen Platten, abwechselnd in Email und Filigran,
erhalten. Auch das mittlere Compartiment an dieser Hauptfa^e des vorliegen-
den Beliquiariums ist in seinen Haupttheilen als eine Zuthat des Schnörkelstyles,
DOMSCHÄTZE. 27
wie er ohne Gesetz und ohne Regel im vorigen Jahrhunderte sich vollständig
ermüdet hatte, zu betrachten. Es bildet dasselbe nämlich jenen beweglichen, im
Fünfeck gehaltenen Deckelverschluss, der behufs der Besichtigung der Häupter der
h. drei Könige herausgehoben werden kann. Wie dieser Verschluss ursprünglich
durch alle Mittel der Kunst ausgestattet gewesen sein möge, dürfte heute nicht leicht
mehr zu bestimmen sein. Alle Flachtheile dieses Deckels sind auf eine unschöne
Weise mit getriebenen Zuthaten im Rococcogeschmack überlegt; die schöne Styl-
epoche des Xin. Jahrhunderts inmitten dieser barocken Formenhäufung macht sich
nur noch kenntlich an einem kunstreich durchbrochenen Bandstreifen. In den
schwungvoll gearbeiteten Ornamenten desselben hat der Goldschmied mit grosser Mei-
sterschaft in ciselirter und getriebener Arbeit verschiedene Scenen einer Jagd zur
Anschauung gebracht, deren Deutung einer reicher begabten Phantasie nicht schwer
fallen dürfte. Wir unseres Theils erkennen in diesen Ornamenten, anstatt uns in
gewagten Deutungen zu ergehen, jene harmlosen, poetischen Pflanzen- und Thier-
bildungen (Arabeske), wie sie, in den Zeiten der Kreuzzüge aus dem Orient
entlehnt, in der Sculptur des Xu. und Xm^ Jahrhunderts sich allenthalben
geltend machen. Die mittlere Hauptfläche dieses Deckverschiusses zeigt jenes
regellose Schnörkelwerk des ausgearteten Zopfstyles, das mit den übrigen cha-
rakteristischen Ornamenten der romanischen Kunstepoche in grellem Widerspruche
steht Einen hervorragenden Schmuck von bedeutendem Werthe, der dem classi-
Bchen Alterthume angehört, erhält dieser Verschluss durch zwei grosse geschnittene
Steine, von welchen der eine (vgl. 44 c) die Apotheose des Kaisers Augustus,
der andere (vgl. 44b) „Venug victriar", von zwei Cupido's gekrönt, vorstellt.
Diese beiden Gammen, von grösster Ausdehnung, flankiren einen mächtigen Rauch-
topas vom hellsten Wasser, der die seltene Breitenausdehnung von O'/^ Genti-
meter hat In der einen Ecke dieses Deckverschlusses prangt noch ein Sardonix
mit erhaben geschnittenem Kopfe. An der entsprechenden Stelle auf der entgegen-
gesetzten Seite hat ioan zur Omamentation der Fläche eine Gam^e in quadratischer
Form, im Durchmesser von 3 Centimeter, angebracht; dieselbe, ein Karneol (vgl.
44 d), gibt sich zu erkennen als abendländisphes Werk der Steinschneidekunst des
Xn. Jahrhunderts, und stellt als Brustbild den Heiland dar, der in lateinischer Weise
segnet*)
Der obere giebelförmige Aufsatz der „arca trium regum^^ der als umfang-
reicher Reliquienschrein wieder für sich betrachtet werden muss und eine
grösste Breite von 56 Gentimeter bei einer Höhe von 80 Centimeter hat, zeigt
*) Da wir in Torstehendcr Beschreibung vorzugsweiso der Ooldschmiedekunst des XII. Jahrhnn-
derts unser Augenmerk zuwenden, wie sie an dem vorliegenden Prachtschreine zur höchsten Entfal-
tung der Form gelangt ist, so mögen Andere sich der sehr verdienstlichen Arbeit unterziehen, den hohen
Kutostwerth in einer besonderen Monographie nachzuweisen und durch Zeichnungen zu erläutern, der
in der grossen Menge der prachtvollsten und seltensten geschnittenen Steine des olassisohen Griechen-
und Römerthums verborgen liegt. Hinsichtlich der Zahl dieser Campen und Gemmen bemerken
wir hier vorübergehend, dass allein heute noch an der vorderen Kopfseite des Reliquienschreines der
heil, drei Könige mehr als 50 Gemmen und Carnigen prangen, die von der hohen RlUthe der Stein-
schneidekunst im classischen Zeitalter Zeugniss ablegen.
28 DOMSCHÄTZE.
unter einem Kleeblattbogen von breiter Spannung den Heiland mit erhobener seg-
nender Rechten als Weltenrichter, wie er am Ende der Tage wiederkehrt; in der Lin-
ken hält er eine Schriftrolle, worauf, jedoch in modernen Schriftzttgen, die Worte
jyliber vttae'' zu lesen sind.*) Den Herrn der Tage, welcher durch einen, auf dem
rechten Knie befestigten Spruchstreifen mit der Inschrift: „iudea:^, gekennzeichnet wird,
umstehen repräsentirend die 9 Chöre der Engel, die mit dem Heiland beim Weltgerichte
in seiner Glorie erscheinen, jene am meisten in der heil. Schrift genannten Erz-
engel, kenntlich gemacht durch die Umschrift: f^Gabriel, Fortitudo Det\ Raphael,
Medicina Bei.'' Gabriel trägt hier eine Lanze, und Raphael einen grossen Nagel
oder Dom. Es ist immer möglich, dass über dem Kleeblattbogen ehemals eine dritte
Engelsfigur, nämlich die des Erzengels Michael mit dem Kreuze zu ersehen war, denn
man liest hier die Inschrift: „In cruce vita mori voluit, mors ut moreretur.*' —
Unter den breiten Filigranstreifen mit gefassten Edelsteinen, einen Kleeblattbogen
formirend, der baldachinförmig die gedachte Scene überschattet, befindet sich auf blau
emaillirtem Grunde in goldenen Majuskelbuchstaben folgender Leoninische Vers:
Lanceüy Spina^ Calix, Cnuv, Spongia^ Signa dolorum^
Quos tulit Hie dolens^ gui Judex est meritorum.
Durch diese Inschriften werden nicht nur jene ^instrumenta dammicae pas-
sionis^ näher gedeutet, die, wie frtther bemerkt, von den Erzengeln Gabriel, Ra-
phael und Michael getragen werden, sondern auch die Leidenswerkzeuge von den
beiden Engeln gehalten, die als kleinere, in Croldblech getriebene Standbilder neben
der sitzenden Statuette des als Richter wiederkehrendem Heilandes plastisch dar-
gestellt sind. Der eine dieser mit grosser Meisterschaft getriebenen Engel zur
Rechten des Weltrichters scheint den ^calia:^ und die „spangia" zu tragen, die auch
in der obigen Inschrift aufgeftlhrt werden ; der andere die „corana", die hier nicht
realistisch als Domenkrone, sondem ideal als Königsdiadem aufgefasst und künst-
lerisch omamentirt ist. Die Email -Inschrift, die den ganzen inneren Rand des
oberen Reliquienschreines an der vorderen Hauptfronte ausfüllt, zeigt deutlich den
Zweck der zweiten Rückkehr des Herm in seiner Herrlichkeit an und lautet
wie folgt:
„Advenio dignos satvare^ ferire maUgnos
Ergo boni metite felicia gaudia vitae,
Ite rei vos ira Dei transmittit in ignem,
Quisque metit, guod promeruit, sub jndice justo"
In gleicherweise, wie das eben erwähnte ,j legendär ium^ den oberen Giebel
des „serinium trium Magofmm*' einfasst, hatte zweifelsohne der Künstler, dem das vor-
liegende Prachtwerk altkölnischer Goldschmiedekunst seine Entstehung verdankt, auch
den vertieften Rand, der sich im Fünfeck unmittelbar über dem beweglichen Deckver-
schlusse befindet, mit einer Email-Inschrift an analoger Stelle versehen, die leider durch
*) Da bei dieser „mq/ettas Domini" die altromanisohe Kunst niemals in der Hand des Welten-
richters diese ,,schedula'^ fehlen lässt mit ähnHchem Spruch, so ist anssunehmen, dass auch ehemals Tor
der letzten Restanration des Reliquienschreines. dieselbe Inschrifb mit dem Spruche, jedoch sehr beschä-
digt, an derselben Stelle sich befand.
DOMSCHATZE. 29
die Unkenntniss und den Unverstand sogenannter Restaurateurs, wie es uns scheinen
will, zu Anfang des XVIU. Jahrhunderts beseitigt und durch eine Abfassung mit
einem unschönen musehelförmigen Blatt des Rococco verdeckt worden ist. Wir
bedauern in älteren Beschreibungen keine Andeutung mehr vorgefunden zu haben,
welche Inschrift ehemals an dieser Stelle ersichtlich war. Ohne Zweifel nahm die-
selbe ihrem Inhalte nach Bezug auf die darunter befindliche Darstellung des
Opfers der heil, drei Könige , sowie auf die Gebeine derselben , welche von die-
ser Stelle aus nach Entfernung des Deckverschlusses den Gläubigen ersichtlich
wurden.
Sowohl die Abschrägungen des unteren grossen Schreinwerkes, als auch die
des darüber befindlichen Reliquienkastens, sind nach allen Seiten hin durch klei-
nere, quadratisch längliche Bleche in der Breite von 3 Gentimeter abgefasst, die
abwechselnd mit reichen EmalUirungen verziert oder durch den Schmuck von
Edelsteinen auf filigranirtem Tiefgrunde gehoben werden. Diese emaillirten Schild-
chen sind alle in verschiedenen Farbetönen gehalten und zeigen durchweg varii-
rende Muster; dieselben können als undurchsichtige imaux-champleves bezeichnet
werden.
Ueber dem beweglichen Verschluss an der mittleren Fronte des Schreines
erblickt man ebenfalls noch vier emaillirte Deckplättchen in der grössten Länge
von 6 Gentimeter, die ein viel kostbareres und durchsichtiges Email auf Goldgrund
zeigen, welches französische Archäologen als hnaux-cloüavnes allgemein zu benen-
nen ttbereingekonunen sind.
Die äusseren Umrisse des Schreines sind auf der Bedachung desselben, umzo-
gen von einer hjour durchbrochenen Kammverzierung in einem ausgestochenen roma-
nischen Laubwerk, bei welcher immer dasselbe Motiv gleichförmig zurückkehrt. Auf
der Giebelspitze erhält der vorliegende Reliquienschrein eine Bekrönung durch einen
reichen Blätterschmuck, energisch ciselirt, welcher auf seiner Spitze durch einen
runden emaillirten Knauf zu einem kunstreichen Abschluss gelangt
Betrachtet man aufmerksameren Blickes die vielen, in feinstem Goldblech
getriebenen figürlichen Darstellungen an dieser Hauptfronte, so muss man einge-
stehen, dass diese zarten Bildungen aus der Meisterhand eines Goldschmiedes her-
voi^egangen sind, der es im Fache des Treibens zu einer grossen Vollendung in
der Form, was das Technische betrifft, gebracht hatte. Sowohl die körperlichen
Bildungen, als auch die Anordnung der G^wandpartieen lassen es deutlich erra-
then, dass diese Darstellungen als Hautreliefs der Zeitfolge nach unmittelbar dem
Schlüsse des XIL Jahrhunderts angehören, einer Zeit, in welcher auf dem Gebiete
der Malerei, der Sculptur und der figuralen Goldschmiedekunst die erstarrten, vielfach
geistlos und typisch gewordenen Formen von Byzanz für plastische Darstellungen nicht
mehr maassgebend waren, und in welcher das in der Durchbildung begriffene germani-
sche Formengesetz begonnen hatte, basirt auf dasStudium der Natur und des Individuums,
mit den überlieferten orientalischen Typen brechend, selbstschöpferisch neue Ge-
staltungen «u Wege zu bringen. Von hoher Formschönheit und Vollendung sind
namentlich sämmtliche Kopfbildungen der verschiedenen Figuren; es macht sich
30 DOMSCHÄTZE.
in diesen markirten Zügen eine Tiefe des Gettthls, ein hierarchischer Ernst gel*
tend, der, das Ideale anstrebend, von diesen kirchlichen Gebilden alle weichlich
sinnlichen Formen fem zu halten bemüht war.
Schreiten wir fort zur Beschreibung der rechten und linken Langseite des
Beliquienschreins, so begegnet uns hier derselbe Reichthum der figürlichen getrie-
benen Darstellungen, abwechselnd mit der Farbenpracht der vielen Emails und
der zahlreichen, als Cabuchons gefassten Edelsteine. Es zeigen sich heute noch
an der imteren Flachseite des Reliquiariums in einer Höhe von 47 V' Gentimeter sechs
Bogenlauben, jede in einer Spannung von 23 Centufneter, die als Eleeblattbogen
von gedoppelten, reich emaillirten Säulchen getragen werden. Ehemals fUIlten
diese Langseiten die sitzenden Standbilder von 7 Propheten des A. B. aus, und hat
der Goldschmied, dem zu Anfange unseres Jahrhunderts der Auftrag wurde, die-
sen auf der Flucht zur Zeit der französischen Revolution in einzelne Theile zer-
legten Prachtschrein der heil, drei Könige wieder herzustellen, da einzelne Theile
fehlen mochten oder sehr beschädigt waren, sich leider veranlasst gesehen, das
kostbare Schreinwerk um eine Bogenstellung zu verkürzen, so dass heute je eine
Nische mit entsprechender Figur auf jeder der Langseiten weggefallen und somit,
wie es uns scheint, das richtige Verhältniss zwischen Länge, Breite und Höhe des
Schreins merklich gestört worden ist
Als mittlere Hauptfigur auf dieser rechten Seite des Reliquiariums im unte-
ren Fache erblickt man unter einer nischenförmigen Bogenlaube, die sich sechsmal
fortsetzt, das prachtvoll getriebene, sitzende Bildwerk des Königs Salomo, kennt-
lich durch eine Emailinschrift, welche die Worte enthält: „Saloman Reo;." Zur
Linken des weisen Mannes thronen unter emaillirten Kleeblattbogen die ebeimlls
sitzenden Statuen des Propheten Joel und des Hohenpriesters Aaron ; leider ist die
getriebene Statuette des Propheten Habacuc bei der jüngsten Zusanunensetzung
verloren gegangen; zur rechten Seite Salomons hat der Künstler in den vertieften
Kleeblattlauben die Propheten Nahum, Jeheremias und Ezechiel*) angebracht Auf
der linken Langseite des Reliquienschreins sieht man in der Mitte, analog gegen-
überstehend dem Könige Salomon, die sitzende, in vergoldetem Silberblech getrie-
bene Statuette des königlichen Psalmensängers David. Ihm zur Seite folgen unter
Klecblattbogen auf reich verzierten ^scamimHa^ die Bildwerke einzelner Propheten,
die in den Emailinschriften genannt werden: Moyses, Jonas, Daniel, Arnos und
Abdias. lieber diesen Nischen mit den sitzenden Bildwerken der Propheten bildet
nach Oben einen geradlinigen Abschluss folgende emaUUrte Inschrift:
„Canditor orbis mdicat orbem, düt Bona nwjora meritis tarmenta mmanL*'
*) Freunde und Kenner mittelalterlicher Kunst sind dem üochwürdigsten Metropolitandomeapi-
tel eu Dank vcrpfliohtet, das auf unser Ansuchen es zuvorkommend gestattete, dass Herr Modelleur
0. Leers nicht nur sammUiche antiquen Camden und Gemmen sorgfältig abformen dürfe, sondern auch
jene vielen getriebenen Bildwerke des Reliquiensohreines , die in dieser Vollendung der Formen, aus
dem Schlüsse des XII. Jahrhunderts herrührend, wohl schwerlich im Occidente ihres Gleichen finden
mochten. Herr Leers (Stolkgasse — Köln) ist in der Lage, diese Abfurmungen an öffentliche und pri-
rate Museen, auf schriftliche BesteUung hin, einzusenden.
DOMSCHÄTZE. • 31
An derselben Stelle auf der rechten Seite des Schreinwerkes liest man fol-
gendes Inpendarium:
fjQuem nuUa possunt secreta latere, pomas nuUgnü infert dat praemia dignis.^
In den vertieften Bogenzwiekehi über den Gapitälen der doppelten emaillir-
ten Säulchen erblickt man heute auf jeder der Langseiten, erhaben aufliegend,
emaillirte Bundmedaillons, die verschiedenartige Vierpassformen zeigen, welche im
Inneren durch ein Pflanzenomament in Kreuzform gefüllt sind.
Die Abschrägungen der Bedachungsflächen zu beiden Langseiten des Reli-
quiariums sind an den äusseren Firsten abgegrenzt durch zwei reichverzierte Band-
streifen, an welchen ebenfalls wieder viereckige Plättchen von vielfarbigem matten
Email mit kleinen Filigranplatten abwechseln. Die Bedachungsflächen selbst zeigen
heute leider nicht mehr ihren ehemaligen reichen Schmuck von getriebenen Goldblechen,
und sind dieselben unter Eleeblattbogen mit acht kleineren Tafelmalereien belegt, die
keinen besonderen Eunstwerth beanspruchen können, und, aus neuester Zeit her-
rührend, in Oelmalereien einzelne Episoden aus der Geschichte des A. T. veran-
schaulichen, welche mit acht analogen Darstellungen aus der Geschichte der heil,
drei Könige in Bezug gesetzt sind. Wenn dem Berichterstatter Vogel aus dem
Jahre 1781 Glauben beizumessen ist, so waren noch in diesen Flächen in
neun länglich runden Abtheilungen verschiedene Scenen aus dem Leben des
Erlösers ersichtlich, und zwar waren nach Angabe unseres Autors je drei und
drei dieser getriebenen Darstellungen von einem viereckigen emaillirten Bande,
Inschriften enthaltend, abgeschlossen. Jetzt wird diese ganze Bedachung nach den
\ier Seiten auch durch emaillirte Inschriften eingefasst, jedoch zeigen hinzugeftigte
Emailstreifen mit Ornamenten an den beiden Schmalseiten, dass diese Inschriflien
früher eine andere Aufstellung und Einrichtung hatten."^)
Wir sind nicht in der Lage, heute näher anzugeben, von welcher artistischen
Beschaffenheit die in vergoldetem Silberblech getriebenen Basreliefs waren, welche
diese Bedachungsflächen- des unteren Reliquienkastens ausschmückten und heute
leider in französischer Genremalerei nach Baphael'schen Reminiscenzen, von einem
Kölnischen Maler B. Beekenkamb herrührend, ausgeftült worden sind. Es ist wahr-
scheinlich, dass diese Bedachungsflächen mit ähnlichen, kunstreich getriebenen Bas-
reliefs in kleineren quadratischen Flächen ausgestattet waren, wie man dieselben
heute noch an dem prachtvollen Reliquienschreine bewundert, der die Gebeine des
berühmten engelländischen Märtyrers, des heil. Albanus, birgt. Wir werden den-
*) Es möge gestattet sein, die emaillirten Inschriften auf den Umrandungen sowohl der unteren
wie oberen Bedachungsflächen hier mit Stillschweigen lu übergehen , indem dieselben auf Anordnung
von Prof. Wallraff, so gut es damals angehen mochte, nach so vielen Entstellungen und Verkürzungen
wieder zusammengesetzt und nothdürftig ergänzt worden sind. Schon in den Tagen des oft genannton
Vogel, der auf Befehl des vorletzten Churfürsten Maximilian Priederich 1781 in einer unkritischen
Zeit vorliegenden Prachtschrein abzubilden und zu beschreiben versuchte, war bereits die richtige Auf-
einanderfolge und der Zusammenhang dieser Inschriften gestört Vgl. die Lesung der vielen Emailin-
schriften nach Wallraff's Gonjecturen in dem Buche: Historische Beschreibung der berühmten hohen
Erzdomkirche zu Köln am Bhein yon A. E. d'H... bei Heberle 1821.
32 DOHSCHÄTZE.
selben in der III. Lieferung dieees Werkes ausfbhrlieber beschreiben und durch
Zeichnungen veranschaulichen.
Bichten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Langseiten der oberen
Abtheilung des Reliquienschreins in ihren vielen figürlichen getriebenen Darstellun-
gen, so will es scheinen, dass diese beiden oberen Langseiten noch ziem*
lieh in ihrer primitiven Form vorhanden sind, mit Abrechnung der Figuren und
Bogennischen, die bei der Verkürzung des Schreines auf jeder Seite unglücklicher
Weise beseitigt worden sind.
Gleichwie au den unteren Langseiten unter Kleeblattbogen die grossartigen
Bilder der Propheten, als die Vertreter des alten Testamentes, thronen, so hat der
Künstler die oberen Langseiten des Reliquienkastens entsprechend mit den sitzen-
den Bildwerken der Repräsentanten des neuen Bundes, den zwölf Sendboten, figu-
renreich ausgestattet. Dem obengedachten Autor zufolge ersah man ehemals an
diesen oberen Langseiten inmitten von je 6 und 6 Aposteln unter einem Bund-
bogen einen Seraphim mit Ueberschrift:
,ySeraphim ardens Charitate.*'
Diese einzelnen, grossartig componirten und technisch vortrefflich ausgeführ-
ten Bildwerke der Apostel, sitzend auf 12 reichverzierten Stühlen nach dem
Spruche: „iudicantes tribus Israel^ ^ sind durch emaillirte Inschriften kenntlich ge-
macht, die in hinkenden leoninischen Versen zugleich mit dem Namen des betref-
fenden Apostels andeuten, durch welches Marterwerkzeug derselbe die Palme des
Lebens errang; sie lauten:
1. Fert Petrus insigne cruas signum, in cruce passus,
2. Trmusmisit coelo Jacobum tua pertica fullo,
3. Funibus extensum tultt Andream crucis ara,
4. Ense cruentatus Jacobus major gerit ensem,
5. Matthaeum mensis coeiesh'bus addidit etisls.
6. Constantis fidei cutis est nota Bartholomaeu
Auf der linken Langseite erblickt man an der entsprechenden Stelle die
übrigen 6 Apostel, die durch folgende Verse näher gekennzeichnet werden:
1. Elise cadens Paulus necis in signum tenet ensem.
2. Vas olei fervens evasit trirgo Joannnes.
3. Morte crucis Philippe irucis superas scelus hosüs.
4. Thomas ense cadit, sed victor ad aethera vadiL
5. Fuste Simon triplici caesus petit atria coelL
6. Mundi pressuris Judam rapit ista sccuris.
In der Mitte dieser 6 Apostel auf der linken Seite prangte ehemals ein
Cherubim mit der Inschrift:
fj Cherubim plenitudo Scientiae.^*
Ausser diesen Symbolen tragen 9 verschiedene Apostelstatuen in der Lin-
ken noch umfangreichere Bauwerke, wodurch ohne Zweifel die von denselben
gestiftieten Kirchen vorgestellt werden sollen.
DOMSCHÄTZe. 33
In den äusseren Ein&ssungsrändern, die gleichsam als Bänder die ganze
Wandung umgeben , liest man in goldenen Majuskeln auf blauem emaillir-
ten Felde:
yyjudewy quem nulla queunt sect*eta latere,
Poenas itidignis infert, dut praemia dignis.
Hos Dominus nobis Semen patresque reliquit,
Ne mutos fuceret nos asperifas vitiorum.
Ili terrendo minis, miris radiando, pluendo
Voctrinis, mundi sordes lavere proJanas/*
In den Bogenzwickeln über dieser sechsfachen Arkadenstellung ersieht man
als Ausftillung auf jeder Seite flinf Brustbilder von weiblichen Figuren, allegorisch
sinnbildend yerschiedene christliche Tugenden, welche durch Emailschriften im Hin-
tergründe näher benannt sind, und zwar auf der linken Seite: largüas, bofuias,
misericordioj Concor dia^ temperantia, humiätas, sobrietas; und auf der rechten: paa^^
befugnitas, prudentiüj obedientia, sapientia, castitas, parcitas.
Noch fttgeu wir hier hinzu, dass die Würfelcapitälchen auf sämmtlichen frei-
stehenden Säulchen ä Jour durchbrochen sind und abwechselnd eines der Thier-
symbole der vier Evangelisten zeigen. Leider hat die obere schräge Bedachung
des zweiten Gefaches des Reliquienschreines der heil, drei Könige eine gänzliche
Umgestaltung erlitten, so dass von den primitiven Belegplatten in getriebenen Figu-
ren heute nichts mehr zu ersehen ist. Die Armuth der heutigen Omamentation,
die unter Glastafeln eine grünliche Marmorirung erkennen lässt, hat auf dieser
Bedachung von Glas höchst kläglich kleinere Engel in getriebenem Kupferblech
ohne den geringsten Kun^twerth als hinkende Ornamente anzubringen gesucht^
Dem oben citirten P. Vogel zufolge ersah man auf den obersten Absehrägungen
als Deckel auf jeder Seite unter drei Bogenstellungen figürliche Darstellungen, die
auf „die Auferstehung des Fleisches" Bezug hatten; jefloch unterlässt es unser
Gewährsmann, anzuftihrein, ob diese bildlichen Darstellungen in edlem Metall ge-
trieben, oder in Email und Niell ausgeführt waren.
Der obersten Dachfirste entlang erhebt sich als Bekrönung und Abschluss
ein durchbrochenes Laubgesimms mit romanischen Ornamenten; auch erblickt man
in dieser Kammverzienmg vier runde Kugeln mit vielfarbigen emaillirten Ornamen-
ten belebt, wie sie überhaupt auf keinem der grösseren Reliquienschreine, die uns
am Rheine bekannt geworden sind, fehlen, und als „pommes d'amour*' vielleicht an
dieser hervorragenden Stelle eine symbolische Deutung finden mögen. Diese „glo-
bus^ in älteren Inventaren, auch ,,malogranata'* genannt, dürften etwa als Blüthen
und Wohlgerüche aufgefasst und betrachtet werden, die über dem Grabe der Hei-
ligen, welche „in odore suavit(Uis" hier beigesetzt sind, zum Himmel emporsteigen.
Es erübrigte nun noch, die hintere Fa;ade des vorliegenden Prachtwerkes
in Folgendem näher zu skizziren. Die Anordnung und Eintheilung der Ornamente
an dieser schmäleren Rückseite ist durchaus verschieden von den drei übrigen.
Es hat nämlich der Künstler den unteren umfangreicheren Hauptschrein nach hin-
ten hin durch zwei grössere einfassende Giebelfelder abgetheilt. Unter dem brei-
5
34 DOMSCHÄTZE.
ten Giebel zur Rechten erblickt man als Hautrelief die Kreuzigung des Heilandes
dargestellt, und zwar ist der Gekreuzigte hier noch, der älteren Anschauung der
Byzantiner zufolge, am Kreuze abgebildet, stehend auf einem breiten „suppedaneum'*
mit geradlinig ausgestreckten Armen, mehr als verherrlichter Gottmensch, wie er
gleichsam vom Kreuze herunter das Menschengeschlecht segnend umfasst Zu bei-
den Seiten des gekreuzigten Erlösers ist wie gewöhnlich die Passionsgruppe, Johan-
nes und Maria, zur Anschauung gebracht. Das Kreuz selbst, woran der Heiland
gewissermaassen zu thronen scheint, ist ebenfalls durch die Kunst ideal behandelt,
indem die breiten Flächen desselben vollständig mit Filigranarbeiten und edlen
Steinen ausgeschmückt sind. Der breite Kleeblattbogen, dessen oberer Rand reich
mit einer erhaben aufliegenden Filigranverzierung, abwechselnd mit vielfarbigen
Halbedelsteinen, besetzt ist, zeigt noch eine vertieft stehende Nebenumrandung in
blauem Email, worin man die Namen der beiden Standbilder ^ySandu» Joannes^
Sancta Maria*' gewahrt, lieber dem «Haupte des Heilandes liest man folgende
merkwürdige, abgekürzte Inschrift: ,,Mor. Mar, Mor. Mor. Mor.'*, welche vielleicfat
durch den folgenden oder durch einen ähnlichen Spruch : „Mortem mortiferam mari-
turis morte moratur'* zu lösen sein dürfte.
In dem Giebel über diesem Kleeblattbogen hat der Künstler, soweit es der
Raum zuliess, drei Kreissegmente, von breiten Filigraniimdem abgefasst, ange-
bracht, aus welchen als Hautreliefs zu beiden Seiten des Gekreuzigten die allego-
rischen figürlichen Darstellungen von Sonne und Mond sich erheben, die bei dem
Sterben des Heilandes ihren Schein verloren. In einem grösseren Medaillon über
dem Haupte des Heilandes steht eine trauernde Engelsgestalt, die in Form eines
aufgeschlagenen Buches den „titulus cruas" hält, mit der bekannten InscUift:
„Jesus Nazarenus, Rex Judaeorum.'*
Die inneren Abschrägungslinien dieses Giebels geben ebenfalls die erläu-
ternde Emailinschrift zu erkennen:
„In cruce pendebat, solvens quae non rapiehat.**
Da, wo die beiden ebengedacbten Giebel nach unten in einem stumpfen
Winkel sich vereinen, erscheint unter einem Baldachin im Rundbogen das 29 Centi-
meter hohe, getriebene Standbild des Propheten Jeremias, der auf einem Spruch-
streifen in kräftiger Gravirung den bekannten Spruch hält: „Vere languores nostros
ipse portavit, cujus livore sanati sumus.'*
Leider sind bei der jüngsten Wiederherstellung die kunstreich emaiUirten
Säulchen, welche den eben erwähnten Rundbogen trugen, fortgefallen und durch
zwei glatte Säulchen ohne Kunstwerth ersetzt worden.
Auf dem daneben befindlichen Kleeblattbogen unter einem einfassenden brei-
ten Giebel von der Grösse des ebenerwähnten, hat der „aurifiUfer** in drei getrie-
benen Figuren, analog mit den drei Figuren der Kreuzigung, die Geisselung des
Heilandes zur Anschauung gebracht. Unter der mittleren höheren Bogenlaube er-
sieht man nämlich den an die Säule gebundenen Gottmenschen, wie er von den
Kriegsknechten die Geisseihiebe empftlngt; die beiden Schergen sind bekleidet in
orientalischer Art mit spitzem Judenhut. Auch hier liest man wieder in dem
DOHSCHATZE. 35
abschliessenden inneren Rande des Giebels eine Emailinschrift, die den erklären-
den Spruch enthält:
„Vtctima vera Jesus^ consputtts verbere caesus.'*
In der mittleren dreieckigen Vertiefung, welche gebildet wird durch den
Aneinanderschluss der beiden Giebel, sowie durch den Aufsatz des zweiten oberen
Kastens hat der Künstler ein anderes Bildwerk angebracht, welches das Brustbild
eines Erzbischofes zeigt, bekleidet mit der Miter und Casel. Eine Emailinschrift
im Tiefgrunde dieser Statuette besagt deutlich, dass dieses Hautrelief jenen Kir-
chenftlrsten Kölns vorstelle, der die Reliquien der drei Weisen aus dem zerstör-
ten Mailand nach Köln ttberbracht habe, sie lautet:
„Regum translator Reinaldus Episcopus ArchtV
Zu beiden Seiten dieser Halbfigur waren ehemals die Brustbilder zweier
Eugelsgestalten angebracht, welche entweder Sprüche hielten, die auf die lieber-
tragung der Reliquien Bezug hatten, oder ab^r die bischöflichen Insignien trugen.
Der hintere Giebel des oberen Reliquiariums ist ebenfalls wieder mit einem
reichen figuralen Schmuck ausgestattet, und zeigt unter einer dreifachen Rundbo-
genstellung das Standbild des Heilandes als Vergelter, wie er den beiden, durch
Ueberschriften näher bezeichneten christlichen Helden, Felix und Nabor, die Krone
der Glorie reicht und zu denselben die Worte der Belohnung zu sprechen scheint^
welche man in der darüber befindlichen Emailinschrift liest:
f,Sumite pro meritis Regni diadema perhennis."
Durch diese Darstellung hat der Künstler so zu sagen die Apotheose der
beiden Heiligen bildlich darstellen wollen, deren Ueberreste in dem oberen Schrein-
werke enthalten sind.
In drei Rundbogencompartimenten oberhalb dieses Kleeblattbogens erschei-
nen drei Figuren, wovon jedoch zwei, ohne Stylgepräge, neuesten Ursprunges sind,
als Sinnbilder der durch die Emailiuschrift angedeuteten Tugenden:
„Fides vera, Spes ßrma, Charitas perfecta,**
Auch an dieser Stelle erhält das ganze Giebelfeld im Inneren durch eine
emaillirte Inschrift einen sinnreichen Abschluss, welche lautet:
„ Vera fides, perfectus amor, spes firma fu^re
Hü via Martyrio quae Regna poli meru^re.
His tribus armatus Martyr milesque beatus
Frater Naboris pariter cum fratre laboris
Possidet in Coelis felicia praemia Felix.**
Auf der rechten und linken Seite der obersten Verdachung befanden sich
eben&lls auf Metallstreifen ciselirte und vergoldete Inschriften , die jedoch zer-
stückelt und von den Restaurateurs so durcheinander geworfen worden sind, dass
man ihren Sinn nicht mehr herausziifinden vermochte. Dem sei. WallrafT ist es
mit Mühe gelungen, aus den Ueberresten folgende Zusammenstellung zu Stande
zu bringen, die wir hier wiedergeben, ohne jedoch fllr deren Richtigkeit bürgen
zu wollen.
36 DOMSCHÄTZE.
Auf der rechten Seite:
jyjtidicn memores nos haec monet esse statera.
Nee data tunc ßecti poterit sententia vera.
Quidquid eangessit Studium mortale eremabit
Sic doeet esse Deum, quem namen, vita reatus
Oppositum doeet esse Deo, eadit ergo eadentem
• Mors rapit aeterno, justos beat aula supema,"
Auf der linken Seite:
yjMundus ut aetemum forma niteat meliori
In cinet^em coro versa prius mirabile facta.
Hie redit in camem, sie cf*edat quisque fidelis
Ilic coro de cinere putri reparandu docetur.
Articulus ßdei patet hie, quem siquis inanem
Esse putat, mortis tarnen ad tormenta resurget.^
Im Vorstehenden hätten wir in einigen ZUgen den grossartigen Kunstreich-
thum angedeutet, den die frommen Vorfahren mit lobenswerther Opferwilligkeit
aufgeboten haben, um die Ruhestätte derjenigen aufs prachtvollste auszuschuiUckeD»
die als Erstlinge unter den Heiden vom Stenie geleitet wurden, dem neugeborenen
Gottmenschen den Tribut der Verehrung und Anbetung zu zollen.
Die sterblichen Ueberreste dieser drei Weisen ruhen in dem unteren pracht-
vollen Hauptschreine, und bei Wegnahme des mittleren Deck verschlusses an der
vorderen Hauptfa^ade des Reliquiariums sind die drei Häujrter derselben an grösse-
ren Festtagen den Gläubigen zur Verehrung ersichtlich.
Bis zur französischen Revolution ruhte auf jedem dieser ehrwürdigen Soliä-
del eine kostbare Krone von je sechs Pfund Gewicht an Gold und Perlen, und
diese Kronen waren mit einem reichen Schmuck von edelen Steinen auf das herr-
lichste ausgestattet. Die Geschichte gibt die näheren Umstände nicht an, wie es
gekommen ist, dass diese drei Prachtkronen gegen Schluss des vorigen Jahrhun-
derts auf der Flucht spurlos verloren gegangen sind. Wahrscheinlich sahen sieh
diejenigen, deren Händen auf der Flucht so kostbare Pfänder anvertraut waren,
in die traurige Lage versetzt, diese Kronjuwelen zu veräussem, um im Auslande
ihre Lebensexistenz zu gewinnen, da keinerlei Subsidien von der Heimath aus
ihnen femer zugehen konnten. Die heutigen Kronen haben wenig Metallwerth
und noch weniger Kunstwerth.
Wir machen schliesslich noch darauf aufmerksam, dass das einfache Gestell,
worauf die Häupter der drei Weisen mit unterlegten kleinen Seidenkissen ruhen,
mit 1 7 Edelsteinen verziert ist, wovon 9 als sehr werthvolle Genauen und Camien
aus dem classischen Zeitalter anzuführen sind.
Um diese Reliquienhäupter vor unbe>er Berührung sicher zu stellen, hat
man bereits im vorigen Jahrhundert ein kunstloses Gitterwerk in unschöner, J^tjl-
widriger Form hier eingelassen, welches stellenweise mit alten unfa^etrirten Edel-
steinen in primitiver Fassung besetzt ist. Auf demselben erblickt man, ebenfoH^^
DOMSCHÄTZE. 37
unzweckmässig an dieser Stelle angebracht, die Namenszüge der drei Weisen, und
zwar aus Rubinen zusammengesetzt:
yj Caspar 9 Melchior, BaUhasar.^
In der unteren Vertiefung dieses Schreines sind ehrfurchtsvoll die übrigen
Gebeine der heil, drei Könige beigesetzt, welche indessen nicht ersichtlich sind,
und woYon eine Inschrift rühmt, „dass nichts davon entfernt und anders wohin
gebracht worden sei."
In dem oberen Aufsatze, welcher fter sich einen selbstständigen Reliquien-
kasten bildet, sind die Ueberreste der Märtyrer und heil. Krieger Felix und Nabor,
wie vorhin schon angedeutet, eingeschlossen, die dem Martjrrologium zufolge unter
der Regierung des Kaisers Maximilian zu Lodi um des Glaubens willen den Tod
erlitten, und die zugleich mit den Leibern der heil, drei Weisen vom Erzbischof
Reinald von Dassel aus dem zerstörten Mailand nach Köln ttberbracht wurden.
Am Schlüsse unserer Beschreibung angelangt, dürfte es wohl von nicht ge-
ringem Interesse sein, den Ort und die Zeit näher zu ermitteln, wo und wann das in
Rede stehende Prachtwerk mittelalterlicher (}oldschmiedekunst seine Entstehung ge-
funden habe, und zugleich auch auf die Parallelen hinzuweisen, die in der analogen
Technik und in verwandter Form sich heute noch im Occidente erhalten haben.
Dass dieses hervorragende Meisterwerk der Goldschmiedekunst in jener
Stadt von kunstgeübter Hand ausgeführt worden ist, wo sich heute noch, wie in
1" keiner anderen Metropole des Occidentes, die meisten und grossartigsten Ueber-
^ bleibsel kirchlicher Goldschmiedekunst des Mittelalters gerettet haben, kann wohl
-' nicht dem leisesten Zweifel unterliegen. Schon aus dem Umstände, dass sich in
den Mauern Kölns noch bis zur Stunde nach so vielen Stürmen, Verwüstungen
> und Verschleuderungen acht mehr oder weniger in der Composition und Technik
gleichartige hervorragende Reliquienschreine vorfinden; aus dem Umstände femer,
^. dass in der nächsten Umgebung Kölns noch sieben ähnliche „arca^^ von grosser
r Voraüglichkeit und hoher technischer Vollendung sich gerettet haben, die sämmt-
, ' lieh den unläugbaren Tyjms der Kölnischen Formen und der Kölnischen Meister
an der Stirn tragen, glauben wir den naheliegenden Schluss ziehen zu dürfen, dass
auch der kostbarste Reliquienschrein, den Köln aufzuweisen hat, gleich den übri-
gen noch vorfindlichen , von einem ausgezeichneten Meister damaliger Zeit im
alten Köln angefertigt worden ist. Auf Gründe iussend, welche wir später an
anderer Stelle beibringen werden, glauben wir die Ansicht aussprechen zu dürfen,
dass die Gebilde an dem vorliegenden Schreinwerke nicht von einem Laiemnei-
ster der Kölnischen Goldschmiedekunst, die im XII. Jahrhundert noch nicht als
geschlossene Innung sich gebildet hatte, sondern unter Leitung und nach Angabe
eines kunstgeübten Benedictiners vielleicht aus der Abtei von StPantaleon zu Köln aus-
geführt worden ist, deren y^opißces magistri anjentarü^ in allen metallischen Künsten,
desgleichen im Emailliren und Nielliren, beillhmt und sehr gesucht waren. Hin-
sichtlich der Zeit der Anfertigung des Schreines lässt sich eine möglichst eng ab-
geschlossene Periode angeben, in welcher dieses Prachtwerk der Goldschmiede-
*
kunst als ein würdiges y^receptaculum^ zur Auf bewahrung so theuerer Pf ander
38 DOMSCHÄTZE.
angefertigt worden sein dttrfte. Da bekanntlich aus der Kirche des heil. Eustor-
gius nach der Zerstörung von Mailand im Jahre 1163 die Reliquien der heil, drei
Könige, die sterblichen Ueberreste der Märtyrer Felix und Nabor, so wie die Häup-
ter der Macchabäer vom Erzbischofe Reinald von Dassel nach Köln übertragen
wurden, so dürften wohl noch einige Jahre vergangen sein, ehe man mit der An-
fertigung eines prachtvollen Schreines zur Aufbewahrung jener Ueberbleibsel der drei
Weisen, denen Köln nicht nur seinen grossen Ruf im Mittelalter, sondern auch den
Bau seines Riesendomes zu verdanken hat, den Anfang gemacht. Das scheint
uns ziemlich fest zu stehen, dass, da das getriebene Brustbild des Ueberbringers
der oben erwähnten Reliquie aus Mailand, Reinald von Dassel, wie auf Seite 35
bemerkt worden, auf dem einen Kopftheile als freistehende Figur vorkommt, wohl
mit Grund anzunehmen ist, dass bei Anfertigung des Schreines der ebengedachte
gefeierte Begründer der Grösse Kölns bereits mit Tode abgegangen war und der
Geschichte angehörte. Durch die grossen Pilgerzttge, die nach der Ueberbringung
der kostbaren Schätze aus weiter Feme allseitig nach Köln herbeiströmten und
ihre Opfer ungemessen zur Verherrlichung dieser theuren Pfänder beibrachten, ist
es erklärlich, dass vielleicht wenige Jahrzehnte nach der Ueberbringung durch diese
Opfergaben von Pilgern und reichen Privaten theilweise die Mittel zur Anfertigung
eines solchen kostbaren Schreines mit einem Prachtaufwande und einem Umfange,
wie die christliche Welt deren keinen zweiten aufzuweisen hatte, aufgebracht waren.
Es dürfte also die Anfertigung des besagten Reliquienschreines nach unserem Da-
fürhalten in den Beginn der neunziger Jahre des Xn. Jahrhunderts zu setzen sein,
so dass bei der Wahl und Krönung Otto's IV. 1 198 durch den Erzbischof Adolph
von Köln, von Seiten dieses gewählten und gekrönten deutschen Königs, vielleicht
zur Vollendung des goldenen Prachtwerkes ein nicht unbedeutender Beitrag gelei-
stet worden sein mochte. Deswegen ist ihm auch gleichsam als Donator die Ehre
widerfahren, dass er späterhin an der vorderen Hauptfa^ade, wie oben bemerkt,
gleichsam als vierter der anbetenden und opfernden Könige in Relief dargesteUt
wurde, wie er, ein Kästchen mit Gold haltend, sich bestrebt, die Grabesstätte der-
jenigen zu verherrlichen, die in der Fülle der Zeiten mit Gold, Weihrauch und
Myrrhen, dem neugeborenen Heiland als König, Gott und als Mensch in ihren €re-
schenken zu huldigen, aus weiter Ferne gekommen waren. Ob durch diesen rei-
chen Beitrag Otto's IV. vielleicht die vordere Hauptfa^de des Kopftheiles in gedie-
genem Grolde angefertigt worden ist, kann heute nicht mit Sicherheit nachgewie-
sen werden.
üVenn es auch, bei dem Fehlen von genaueren geschichtlichen Daten, heute
schwieriger ist, zu bestimmen, ob der Prachtschrein der heil, drei Könige in dem
engen Zeiträume von wenigen Jahren oder überhaupt in zwei getrennten Zeit-
epochen zur Ausfhhrung gekommen ist, so hat uns doch eine mehrtägige genauere
Besichtigung und ein eingehendes Detailstudium der schönen Fomibildungen des
besagten Schreines die volle Ueberzeugung beigebracht, dass der mehrgemeldete
Reliquieuschrein vollständig in allen seinen Theilen mit dem Schlüsse der romani-
schen Kunstepoche zur Vollendung gekommen ist, und dass in der folgenden
DOMSCHÄTZE. 39
gothischen Eunstperiode kein ergänzender wesenflicher Theil hinzugefügt wurde.
Gleichwie die Kirchen von St. Gereon und St Cunibert zu Köln in ihren charak-
terisüschen Formen theilweise die Hartnäckigkeit der alten ttberlieferten, auf das-
sisehen Grundformen beruhenden architectonischen Bildungen erkennen, theilweiBC
aber auch den unleugbaren allmäligen Einfluss der in Bildung begriffenen Spitz-
bogenformen ziemlich stark durchblicken lassen, so charakterisiren gleichfalls nicht
nur die Grundanlage des vorliegenden goldenen Bauwerkes, sondern vorzüglich
eine Menge von Detailformen jene interessante Periode der Kölnischen Goldschmiede-
kunst, wo die Formen des herrschenden Tagesstyles in ihrer höchsten Entwicke-
lung schon leise das Eindringen eines neuen Kunstsiyles zu erkennen geben, und
man möchte daher nicht mit Unrecht das gelungene Product der Goldschmiede-
kunst im nordwestlichen Europa als ein Meisterwerk des „Uebergangsstyles'^ zu
benennen berechtigt sein. Namentlich verrathen die prachtvoll getriebenen sitzen-
den Statuetten der Apostel und Propheten an den beiden Langseiten des Reliquien-
schreines ein grosses Streben nach Naturwahrheit und Individualisirung , und die
mit grösserem Verständniss der körperlichen Formen behandelten Bildwerke, so-
wie der zierlich nach der Natur behandelte Faltenwurf zeigen , dass der Künst-
ler, von dem die Composition der ebengedachten Bildwerke henrtthrt, vollständig
mit den Ueberlieferungen der typischen byzantinischen Darstellungsweise gebrochen
und Formen zu Wege gebracht hatte, die als Uebergänge zu betrachten sind zu
den zarteren Compositionen und lebensvolleren Darstellungen, wie der Bildhauer
dieselben in der Blttthezeit der Gothik zu gestalten wusste.
Wie schon im Vorhergehenden bemerkt worden ist, hat das ^scrüuum trium
regum^ in verschiedenen Zeitläufen mehrere sogenannte Restaurationen erfahren,
die vom Standpunkte einer auch nur gelinden Kunstkritik eher als De-
vastationen bezeichnet werden müssen. Die erste derartige Wiederherstellung
scheint niach einem Brande im XVI. Jahrhundert erfolgt zu sein, wodurch der
Schrein selbst in einzelnen wesentlichen Theilen beschädigt worden ist.*) Gleich
nach diesem Brandungltlck und als Folge davon scheint man unter dem Kurftü^
sten Maximilian Heinrich aus dem Hause Baiem eine eigene Capelle mit feuer-
fester Wölbung in dem Abschlusschörchen hinter dem Hochaltar, wo sich dieser
Einbau im überladenen Renaissancestyl heute noch befindet, errichtet zu haben. **)
*) Wie der bekannte Forscher der Kölnischen Specialgeschichte, Freiherr von Mering, uns mit-
zutheilen die Gewogenheit hatte, wurden bei diesem Brande die Reliquien der heiligen drei Könige
und einzelne Kleinodien des Schreines in die Wohnung eines seiner Ahnen, des damaligen Domherrn
▼on Mering, gefluchtet, wo sie wahrscheinlich bis zu der gleich darauf erfolgten Wiederherstellung des
Schreines verblieben.
**) Dem Berichte Crombach's zu Folge befand sich ehemals in demselben MuttergotteschOrchen
der Schrein der heil, drei Könige frei aufgesteUt und nach aUen Seiten von einem schweren eisernen
Gitter umgeben, wahrscheinlich in ähnlicher Weise, wie wir heute in der Sakristei der prachtvollen
St. Elisabethenkirche zu Marburg den reichen kostbaren St. Elisabethenschrein aufgestellt und von
einem kunstreich gebildeten Eisengitter nach allen Seiten so verschlossen fanden, dass die Besichtigung
des Schieines nicht erschwert, jedoch auch die sichere Aufbewahrung desselben nicht im Mindesten
gefährdet war.
40 DOMSCHÄTZE.
Wahrscheinlich ist es nun, dass nach diesem Brande eine Wiederher-
stellung der vorderen Hauptseite des Schreines, namentlich aber auf dem beweg-
lichen Deckverschlusse desselben in jenen überladenen Formen des Bococcostyles
erfolgt ist, auf die wir schon vorhin in der Beschreibung vorübergehend aufmerk-
sam gemacht haben. Mit dem Eintritt der grossen französischen Staatsumwälzung,
die die RechtsbegriflFe in so vielen Köpfen damaliger Zeit in Verwirrung gebracht
hatte, wäre auch die kostbare Grabesstätte der Schutzpatrone Kölns ein Baub
der Fremden geworden, wenn nicht im Jahre 1794 das damalige Capitel die Vor-
sorge getroflfen hätte, den Schrein in seine einzelne Theile zerlegen zu lassen.
Diese Bruchtheile wurden zugleich mit den übrigen Schätzen der Sakristei
zuverlässigen Männern anvertraut, die mit denselben nach Westphalen flüchte-
ten und so, fem von der Bheingrenze, auf neutrales Gebiet dieselben in Sicherheit
brachten. Als die Zeiten sich wieder ruhiger gestalteten, da erlebte im Jahre 1 804
die alte Metropole Köln die Freude, dass im festlichen Triuraphzuge die Gebeine
der obengedachten Stadtpatrone, sowie das kostbare Schreinwerk, wenn auch in
viele Theile zerlegt und vielfach beschädigt, in die Halle des Domes wieder zurück-
geführt wurden. Jener patriotische Kölner, den die Geschichte seiner Vaterstadt
als Beschützer und Erretter zahlreicher vaterländischer Kunstdenkmäler fort-
während mit Verehrung nennen wird, erhielt bei Zurückführung der Reliquien-
schätze den ehrenvollen Auftrag, die Aufstellung und Wiederherstellung des vor-
liegenden Reliquienkastens zu leiten und zu überwachen. Wallraff übertrug diese
Wiederherstellungsarbeiten einem damaligen bewährten Meister der Kölnischen
Goldschmiedezunft Pollak und seinen Söhnen. Da aber Wallraff als Sohn sei-
ner Zeit die classische Antike als das Ideal aller Kunst betrachtete und der gan-
zen Zeitrichtung Sinn und Verständniss der romanischen christlichen Kimstformen
dunkel und verschlossen war, so konnte damals an eine gründliche, stylgetreue
Wiederherstellung des Dreikönigenkastens im Sinne seiner ersten Verfertiger nicht
im entferntesten gedacht werden, und ist deswegen die Restauration, die von Mei-
ster Pollak vorgenommen wurde, als eine durchaus misslungene und stylwidrige,
zu beklagen, wie das alle Zuthaten und Detailformen, die von Pollak herrühren,
nur zu deutlich bekunden. Unbegreiflich aber bei dieser sonderbaren Restauration
ist der Umstand, dass man sich bei dieser letzten unglücklichen Zusammensetzung
veranlasst sah, den Schrein der heil, drei Könige in seinen wesentlichen Theilen
zu alteriren, einzelne Compartimente ausfallen zu lassen und in die Proportionen und
Dimensionen desselben störend und ändernd einzugreifen. Man hat nämlich bei die-
ser letzten Zusammenstellung mitten an den Langseiten des Schreines eine Bogenstel-
lung in der ganzen Höhe des Schreines ausfallen lassen, wodurch selbstverständlich
auch vier dazu gehörige Statuetten von sitzenden Heiligenfiguren fortgefallen sind, wie
wir das schon vorhin gerügt haben. Die Gründe zu dieser unverzeihlichen Modification in
den Hauptforraen des prachtvollen Reliquienschreines sind uns unbekannt, und wollen
wir zur Entschuldigung annehmen, dass vielleicht einzelne Figuren auf der Flucht
abhanden gekommen waren, oder so stark beschädigt gewesen sein mochten, dass
man an einer Wiederherstellung derselben zu zweifeln Grund zu haben vermeinte.
DOMSCHÄTZE. 41
Trotz der Vorsorge WallrafiPs Hessen sieh bei dieser Aufstellung auch die vielen
früher angegebenen Emailinschriften nicht so ordnen, wie sie von den ersten An-
fertigem des prachtvollen Schreines aufgestellt und in richtiger Aufeinanderfolge
angeordnet worden sind. Am meisten aber muss beklagt werden, dass die Wieder-
hersteller des Reliquienschreines zu Anfange dieses Jahrhunderts unbegreiflicher
Weise sich veranlasst sahen, auch die getriebenen Bildwerke als Basreliefs, womit,
nach unserem Daftlrhalten, die Quadraturen sämmtlicher Bedachungsflächen des
doppelten Reliquienschreines kunstreich überdeckt und verziert waren, beseitigten
imd durch auf Metallbleche gemalte, reich scenerirte Malereien ergänzen liessen,
die, wenn auch von einem tüchtigen KünsÜer der damaligen Zeit grOsstentheils
nach bekannten Vorbildern von Raphael aus den Logen des Vaticans angefertigt,
dennoch mit den altehrwürdigen Grundformen des besagten Schreines im grellsten
Widerspruch standen. Wir lassen hier die Frage unerörtert, ob an diesen Stellen
ähnliche Bildwerke vielleicht in grossen emaillirten Platten kunstreich dargestellt,
ähnlich wie wir dieselben heute am Reliqiuenschreine des heil. Heribert als grosse
Rundmedaillons noch be wundem, sich ehemals befunden haben, oder ob, was uns
wahrscheinlicher erscheint, nach Analogie der meisten Reliquienschreine aus dieser
Epoche an dieser Stelle, wie wir oben andeuteten, aus dünnem Silberbleeh getrie-
bene Scenerien angebracht waren, wie das die unkritische Beschreibung von Vogel aus
dem vorigen Jahrhunderte anzudeuten scheint. Dass überhaupt diese fraglichen
Theile des Reliquienkastens ehemals anders kunstreich ausgestattet waren und
nach der Wiederherstellung die öffentliche Meinung in Köln sich unvortheilhaft
über diese beliebte Neuerung an dem Schreine ausliess, lässt sich schon aus dem
Umstände entnehmen, dass nach der Aussage eines glaubwürdigen Geschichts- und
Kunstforschers, dem wir diese Notiz verdanken, es nach dieser Wiederherstellung
und Neuerung allgemein in Köln verlautete, „die früheren Darstellungen und Bild-
werke wären doch viel schöner gewesen."
Noch eine dritte gefahrvolle Katastrophe hatte der Schrein der heil drei
Könige in neuerer Zeit zu bestehen. Es war im Jahre 1827, als es ein frecher
Dieb wagte, sich Abends im Dome einschliessen zu lassen, um einen Raub an dem
kostbaren Behälter zu begehen. Wirklich gelang es ihm, durch die damals leider
nicht verschlossenen Gitter der Dreikönigencapelle einzusteigen und den Schrein
mit Gewalt seiner werthvollen Goldbleche und Kleinodien zu entkleiden. Die Kir-
chendiener sahen mit Entsetzen früh Morgens den Frevel, der an heil. Stätte ver-
übt worden war, während es dem Kirchendiebe gelang, bei dem Dunkel der Friihe
mit seinem Raube aus der geöfineten Kirche zu entwischen. Was von Menschen-
händen nicht vorsichtig genug verschlossen und verwahrt worden war, schien von
der wachenden Vorsehung vor seinem gänzlichen Verschwinden beschützt zu wer-
den. Der Frevler hatte nämlich, wir wissen nicht, aus welchen Gründen,
die gestohlenen Gold- und Silberbleche in einem Felde vor Köln, nahe bei Mela-
ten, vergraben, und die später hinzugefügten Kronen, nachdem er sie als unächt
und werthlos erkannt hatte, auf demselben Felde weggeworfen. Diese Kronen
wurden gleich darauf gefunden, und verhalfen auch zur späteren Au£Bn-
6
42 DOMSCHÄTZE.
dung der übrigen gewaltsam entfremdeten Kostbarkeiten. — Durch diesen yertib-
ten Frevel hat in neuester Zeit das prachtvolle Schreinwerk abermals sehr gelitten ;
obschon die abgerissenen Goldbleche und kunstreichen Bekleidungen gleich wie-
der nach ihrer Auffindung hinzugefügt worden sind, so kann man doch noch heute
in der Zusanunenftigung deutliche Spuren dieser Beraubung und Entstellungen
erkennen.
Bei Besprechung der \ielen Vorzüge des in Rede stehenden prachtvollen
Reliquienschreines erübrigt es noch, auf einige Parallelen aufmerksam zu machen,
die in Hinsicht ihrer delicaten technischen Ausfiihrung und Grossartigkeit der Com-
Position einige Aehnlichkeit mit dem vorliegenden Prachtwerke der Kölnischen
Goldschmiedekunst aufzuweisen haben. Anstatt diese Aehnlichkeit an kirchlichen
Kunstschätzen aus weiter Feme, namentlich an den beiden Hauptmeisterwerken
kirchlicher Goldschmiedekunst in Italien, der bekannten Palla d'oro in St Marco
zu Venedig und den in Gold getriebenen ähnlichen Altarbekleidungen von St Am-
brogio in Mailand, nachzuweisen, wollen wir unsere Analogien mehr in der Umge-
bung aufsuchen, und verweisen desw^egen auf die beiden kostbaren Reliquien-
schreine, wie dieselben als hervorragende Meisterwerke der Goldsehmiedekunst
des Xn. Jahrhunderts dem Schatze des Münsters zu Aachen, der alten Krö-
nungskirche deutscher Könige, zur Zierde gereichen, desgleichen auf den pracht-
voll in getriebenen Goldblechen verzierten „amÄö", der heute noch zur Absingung
des Evangeliums an hohen Festtagen in der ebengedachten Stiftskirche benutzt
wird.' Sowohl diese beiden Reliquienschreine, als auch das gedachte ,Jectorium*\
haben von Meisterhand unter der Regierung der letzten Hohenstaufen zweifels-
ohne von Kölnischen Goldschmieden ihre Entstehung gefunden. Auch in dem
nahen Belgien haben sich noch vereinzelt drei grössere Reliquienschreine erhalten,
die ebenfalls aus dem XH. Jahrhundert herrühren und verwandte Formen zeigen
mit denen, die wir an dem eben beschriebenen goldenen Mausoleum der drei Kö-
nige bewundem. Es sind das die grösseren Reliquienschreine in der Cathedrale zu
Toumay, in der vormaligen Stiftskirche zu Huy an der Maas und der reiche Reli-
quienschrein des heil. Servatius in der Kirche des gleichen Namens zu Mastricht
Auch der Reliquienschrein in Siegburg, worin die irdischen Ueberreste des grossen
Anno, dessen Ehre in letzter Zeit durch eingehende Geschichtsforschungen glänzend
gerettet worden ist, sich befinden, hat trotz seiner heutigen Entstellung viele Analo-
gien mit dem Dreikönigenschreine aufzuweisen. Von den Vielen reichen Reliquienschrei-
nen, die Köln noch vor der französischen Revolution aufzuweisen hatte, mögen meh-
rere wohl, aus der gleichen Kunstepoche stammend, von ähnlicher formeller Beschaf-
fenheit mit dem Domschreine gewesen sein. Der reichste und kostbarste dieser Reli-
quienschreine war jedenfalls das grossartige Schreinwerk, worin die Gebeine des
heiligen Severin in der Stiftskirche des gleichen Namens beigesetzt waren. Auch
dieser Schrein, ganz in Goldblech getrieben, ist in den politischen Umwälzungen
zu Anfange dieses Jahrhunderts unwiederbringlich in die Schmelze gewandert
Am meisten Aehnlichkeit mit dem oben beschriebenen j^scrmium trhtm regum^
zeigt der grossartige und prachtvolle Reliquienschrein, worin ehemals die Gebeine
DOMSCHÄTZE. 43
der heil. Elisabeth , Landgräfin von Hessen und Thüringen, geruht haben. Diese
kostbare ,,tumba" wird heute noch von Freunden mittelalterlicher Kunst in der
bekannten Elisabethenkirche zu Marburg vielfach bewundert. *) Der Zeit nach dürfte
derselbe nur um einige Jahrzehente später als der Dreikönigenkasten angefertigt
worden sein. Was den grossartigen Schmuck der vielen, mit höchster Vollendung
getriebenen, silbervergoldeten Statuetten betrifft, die nach vier Seiten den Elisa-
bethenschrein zieren, so nehmen wir keinen Anstand, hier die Behauptung auszu-
sprechen, dass diese kunstreich getriebenen Bildwerke, die 12 Apostel vorstellend,
sowie der reiche Schmuck der ciselirten Laubarbeiten mit den vielen getriebenen
Omamentationen , die wir am Reliquiensehreine der heil, drei Könige bewundem,
in nächste Verwandtschaft zu setzen sind.
Da bei der Grundanlage des heutigen Domes das ebenbeschriebene Reli-
quiar bereits in seiner Vollständigkeit prangte, und die Schätze, die dasselbe barg,
eine grosse Menge von Pilgern von allen Seiten in die Metropole des Rheines hin-
zogen, so entsteht die Frage, die wir hier vorübergehend nur in Kürze berühren
wollen: wo beabsichtigte der Erbauer des Domes bei seiner Grundanlage den Reli-
quienschrein mit den Gebeinen der drei Weisen, das Palladium Kölns, aufzustellen?
Dass er bei der Vollendung des Chores heute in der siebenten Abschlusscapelle,
die gewöhnlich in den älteren verwandten Domen Frankreichs, als Mariencapelle,
der Himmelskönigin geweiht ist, in alter Zeit eine blos vorübergehende, provisori-
sche Aufttellung gefunden habe, mag wohl ziemlich einleuchtend sein. In neue-
ster Zeit haben angesehene in- und ausländische Archäologen betreffs der Aufstel-
lung des obenbeschriebenen, unvergleichlichen Schreinwerkes ihre Ansicht dahin
ausgesprochen, dass es Absicht der ersten Bauherren gewesen sein dtlrfte, den
Reliquienkasten unmittelbar hinter dem Pfarraltare, unter der Wölbung des Lett-
ners, der, wie an allen grösseren Gathedralen des Mittelalters, den Chor als inne-
res Presbyterium vom Langschiffe trennt, so au&ustellen, dass hinter einem wohl-
versicherten und verschlossenen Gitterwerk der kostbare Schrein an Festtagen nach
dem Fortziehen der inneren Vorhänge den Blicken der Gläubigen von allen Sei-
ten zugänglich sein könnte. Wie Einige wollen, sollte es auch beabsichtigt gewe-
sen sein, den Schrein und seinen Inhalt unmittelbar unter dem Kuppelthurme der
Vierung des Kreuzes aufzustellen, und zwar, wie das auch in St. Peter zu Rom
heute an derselben Stelle der Fall ist, in einem unterirdischen Grabgewölbe, dajs
durch brennende Ampeln erleuchtet werden müsste. Unstreitig dürfte nach der
nächstens bevorstehenden Forträumung der störenden Sperrwand sich keine wür-
digere und passendere Stelle in dem vollendeten Dome, als für sich abgeschlosse-
nes und doch allgemein sichtbares „receptaeulam** der heil, drei Könige, ergeben.
*) Leider hat religiöse Undtüdsamkeit in den Tagen der Humanisten die irdischen Ueber-
reste der grossen Ahnfrau der hessisch - thüringischen Fttrstendynastie aus der kostbaren Truhe ent-
fernt und, damit kein Aberglaube mit den Gebeinen seiner ,, lieben Muhme" getrieben wUrde, an un-
bekannter Stelle in der Unterkirche yergraben lassen. Die Geschichte nennt diesen Mann, der den
fraglichen kostbaren Schrein seines werthyolleren Inhaltes beraubte, Landgraf Philipp, mit dem Bei-
namen den Grossmttthigen.
44 domschXtze.
als an ebengedachter Stelle mitten zwischen den beiden Haupteingangsthttren , die
unter dem Lettner den Eingang in das hohe Chor veimitteln. Hoffentlich wird
A^k^djinTi auch bei dieser nothwendigen Uebertragung und wttrdigen Aufstellung des
prachtvollen Reliquienschreines in nicht zu femer Zukunft das Schreinwerk selbst,
welches die irdischen Ueberbleibsel der Patrone des erhabenen Bauwerkes umfasst,
von kunstgettbter Meisterhand in allen seinen Theilen eine solche durchgreifende
Wiederherstellung erfahren, dass dadurch eine harmonische Uebereinstimmung und
Gesammtwirkung in allen seinen einzelnen Theilen im Greiste seines ersten Schöpfers
herbeigetührt werden wird. Durch eine solche styl- und kunstgerechte Wiederher-
stellung dürften dann für immer die Mängel und Entstellungen der zwei letzten so-
genannten Restaurationen beseitigt werden.
45.
Erzbischöflieher Kmmmsftab,
in Silber vergoldet, mit reichen durchsichtigen Schmelzen.
XrV. Jahrhundert. GrOsste Länge 1 Meter 9 Deoimeter. Lllnge der Röhre 1 Meter 4S Centimeter. LKnge
des oberen Aufsatzes mit der Krllmme 43 Centimeter. Orösster Durchmesser der Krflmme 1 1 Centimeter.
Von den reichen Domschätzen, die vor der französischen Invasion die alte
Metropole Kölns in Besitz hatte, sucht man nach dem grossartigen Beliquienschreine
der heil, drei Könige vergeblich, unter den heute noch erhaltenen Schätzen des
Mittelalters, nach einem Kunstwerke aus der Blttthezeit des Kölnischen Goldschmiede-
gewerkes, das hinsichtlich seiner schönen und edlen Composition, sowie in Rücksicht
der ausgezeichnet gelungenen technischen Ausftlhrung mit dem vorliegenden Stabe
der alten Kölnischen Erzbischöfe einen Vergleich eingehen könnte. Nachdem wir
die meisten kirchlichen Kuustschätze des stidwestlichen Europa's aufmerksamer
besichtigt und erforscht haben,, fügen wir zu dem eben Gesagten die Behauptung
hinzu, dass sich heute in Gathedralschätzen, sowie in Privatsammlungen, nicht
ein ähnliches Kunstwerk dieser Gattung mehr vorfindet, das einen Vorrang vor
diesem prachtvoll ausgestatteten Hirtenstabe beanspruchen dtii-fte. Der Krummstab
der ehemaligen Churfbrsten Kölns, wie er sich heute noch trotz der vielen Stürme in
ziemlich gut erhaltenem Zustande vorfindet, stammt aus jener interessanten Periode
der Kölnischen Goldschmiedekunst, wo der ,^aurifaher^ zur Ausstattung seines
Kunstwerkes nicht nur von der Architectur, so viel es seinen Zwecken diente,
die Ornamente entlehnte, sondern wo er auch seine aus der romanischen Kunst-
epoche ererbte manuelle Fertigkeit in Darstellung von vielfarbigen Emails zur
Ausschmückung der flachen Theile ausnehmend gut zu benutzen wusste. Zu
diesen eben genannten technischen Verzierungsweisen brachte der Goldschmied
ausserdem auch noch kunstreich ciselirte, figurale und omamentale Detailbildungcu
DOMSCHÄTZE. 45
zur Ausstattung seines Pracbtwerkes in Anwendung. Der vorliegende Bischofsstab
besteht aus zwei zusammengehörigen Haupttheilen , der oberen Krümme mit dem
Ansätze des Stieles und dem Stender, der Röhre, die vermittelst einer einfachen
Vorkehrung mit dem oberen Aufsatze in Verbindung gebracht werden kann. Bei
der folgenden Beschreibung wollen wir zunächst den Stab (canna^ fistula) näher in
Betracht ziehen. Dieser Stab, der noch vollständig seine primitive Form auch in
der unteren Spitze bewahrt hat, zeigt deutlich an, dass bei Anfertigung dieses Hir-
tenstabes die älteren liturgischen Gesetze vom Groldarbeiter beobachtet und in An-
wendung gebracht worden sind, nach welchen, den Angaben des gelehrten Litur-
g^kers Durandus, Bischofs von Mende zufolge, der Bischofsstab aus drei wesentlichen
Stächen bestehen musste: der unteren Spitze, dem mittleren Stabe und dem obe-
ren Aufsatze der Krttmme. Es sollte nämlich der Bischofsstab in diesen drei ver-
schiedenen Theilen symbolisch die Machtvollkommenheit und die Befugnisse des
bischöflichen Hirtenamtes andeuten. Da er vermöge seines Amtes als Hirt einer
geistigen Heerde bestellt war, so sollte den Anschauungen der älteren Symboliker
zufolge die obere Krttmme des Hirtenstabes dazu dienen, um die Zaudernden und
nicht Wollenden mit der Krttmme, gleichsam mit leiser Gewalt, an sich zu ziehen. Der
Langstab, den der Bischof beim Tragen des Stabes stützend in die Hand nahm,
sollte sein Regiment als Ftthrer und Leiter der ihm untergebenen Heerde kenn-
zeichnen. Die Spitze endlich des Stabes (Stimulus) sollte das Zeichen seines Richteramtes
sein, wodurch er die nicht Wollenden, die Widerspenstigen gleichsam wie mit einem
Sporn zum Gehorsam antriebe. Auf diese mystische Erklärung des Bischofsstabes
scheint auch hinzudeuten jener sinnreiche Spruch, der sich auf älteren bischöflichen
Stäben eingravirt vorfindet und da lautet:
Attrahe per prmum.
Per medium rege,
Pars ultima pungit
Die untere Spitze des vorliegenden Prachtstabes, worauf der Schluss des
vorstehenden Verses anzuwenden ist, hat auch in artistischer Beziehung ihre
formelle Ausbildung und Entwickelung gefunden. Dieselbe ist im Sechseck an-
gelegt und mit schön profilirten Knäufen versehen, in der grössten Länge von
fast 13 Centimeter. Als Strafinstrument entbehrt sie auch nicht an dem oberen
Abschlüsse einer eisernen Spitze, die beim praktischen Gebrauche auch noch den
Zweck hatte, beim Aufsetzen des Stabes einen leichteren Haltpunkt in dem Stein-
gefttge des Bodens zu finden. Der Stab selbst, kreisförmig gehalten, besteht aus
3 Abtheilungen von ziemlich gleicher Länge, die durch einfoche profilirte Ringe
abgetheilt und in Verbindung gesetzt sind. Besonders prachtvoll und kunstreich
ausgestattet stellt sich dieser Stab in seinen einzelnen omamentalen Theilen her-
aus. Den ganzen Stab entlang reihen sich nämlich rhomboidenförmig verbimdene
Quadrate aneinander, erhaben hervorspringend, in deren Ränder emaillirte vier-
eckige Plättchen im grössten Durchmesser von 3V2 Centimeter eingelassen sind.
In jeder Abtheilung dieses Langstabes zählt man auf jeder Seite je 1 0 dieser email-
lirten Schildchen, so dass der ganze Stab mit 60 solcher eingeschmelzten Silberbleche
46 DOMSCHÄTZE.
gleichnütosig belegt ist Die ttbrigen Flächen des Stabes hat der Künstler dareh
in Silber getriebene Laubomamente passend verziert, und zwar erheben sieh in
gleich grossen Quadraten, gleichfalls 60 an der Zahl, auf einem gekörnten Tief-
gininde vier zierliche Blättchen in schöner Bewegung und Stylisirung^ die dem
Laub des Pfeilkrautes* (sagütaria) ähnlich sind. Das Email selbst zeigt ein immer
wiederkehrendes Ornament in Form eines Kreuzes, das mit dem Zirkel gebildet
worden, und in seinen Kreuzbalken mit kleineren Ornamenten und mit vielfarbigen
Emails verziert ist In den vier Bogenzwickeln, die sich zu Seiten der Kreuzbal-
ken bilden, hat die reiche Phantasie des Emailleurs jene harmlosen Thiei^stalten
als zierliche Omamentationen anzubringen gewusst, die Gebilden des Mittelalters in
den Augen des Ungeübten einen eigenthttmlichen originellen Reiz verleihen, worin
aber Tieferblickende in letzten Zeiten eine höhere symbolische Deutung finden
zu müssen geglaubt haben. Indem wir bei dieser kurzen Beschreibung unmöglich
auf die immerhin noch gewagte mystische Deutung dieser phantastisehen Thier-
bildungen eingehen können, wie sie häufig an den Wasserspeiern, Gesim-
sen, Wülsten und Capitälen der Architectur in den spätromanischen und frUhgothi-
schen Bauten ihr anmuthiges Spiel treiben , machen wir hier nur darauf aufmerk-
sam, dass diese zierlichen und lebensvoll stylisirten Thierunholde sowohl dem
Geschlechte der Vögel, als der VierfUssler angehören, und dass besonders zahl-
reich in diesen Phantasiegestalten der geflügelte Drache und der sagenhafle Vogel
Greif seine Darstellung findet. Die 2. Abtheilung des Stabes zeigt unwiderle^ch
die grösste Fülle der Omamentation und ist in ihrer Weise als ein vollendetes
Meisterwerk der Email- und Ciselirkunst des Mittelalters zu betrachten. Auf einer
sechseckigen Röhre in grösster Länge von 1472 Centimeter erhebt sich ein
consolenfbrmiger Sockel, als Untersatz, der, ebenfalls im Sechseck angelegt,
die Bestimmung trägt, als Piedestal eine Menge constructiver, der Architectur
entlehnter Ornamente als Basis aufzunehmen. Die Flächen dieser eben bezeichneten
Röhre sind in vielfarbigem Schmelz in kleinere Quadrate abgetheilt, und in die-
sen kleinen Feldern erblickt man, ebenfalls wieder in Vergoldung auf Emailgrund her-
vortretend, jene harmlosen Thiergestalten, die der Künstler des Mittelalters zu sei-
nen omamentalen Zwecken so vortheilhaft zu benutzen wusste. Der untere Hals
des Knaufes, der ebenfalls im Sechseck ausladet, ist in Weise eines Gapitäles mit rei-
chem Blätterschmuck umlegt, der, wie es scheint, aus freier Hand, mit vielem
Schwung gearbeitet, um den Hals dieses Schaftes stellenweise au%elöthet ist Auf
der Fläche dieses Knaufes erheben sich, einen mittleren Stender im Viereck um-
ragend, 4 architectonisch gegliederte Aufbauten. Zu jeder Seite der breiteren
Fläche zeigt sich je eine constructive capellenibrmige Anlage, die in der unteren Ab-
theilung 3 Fensterstellungen, ajour durchbrochen, zum Vorschein treten lässt Uebo*
diesen spitzbogigen Fenstern, deren mittleres mit Maaswerkverzierungen versehen
ist, eriieben sich kleinere Ziergiebel (Wimberge). Hinter denselben hat derGoMbckmied
ein Zeltdach angebracht, auf welchem sich 3 Fialen erheben, deren mittlere, als
Thünnchen vergrösserf, die beiden übrigen überragt, und mit einem Spitzsänlchen
sammt Kreuzblume abschliesst An den beiden Schmalseiten des inneren verdeck-
DOMSCHATZE. 47
ten Stabes hat der Künstler 2 zierliche Tbttrmchen im Sechseck angelegt, mit Fen-
sterstellungen und Giebelfeldern, die nach oben sich gleichfalls im Sechseck verjün-
gen und auf ihrer Spitze durch eine Kreuzblume gekrönt werden. Die ,4 Ecken
des mittleren Stabes werden auf jeder Seite flankirt durch einen schlanken Wider-
lagspfeiler, der, nach oben sich verjüngend, ansteigt und in Form einer Fiale abgeschlos-
sen wird. Sämmtliche Detailformen an diesen rein architectonischen Verzierungen
sind sehr edel gehalten und zeigen die Gothik in ihrer Blüthe und Reinheit, wie
sie an den Chortheilen des Kölner Domes zu Tage tritt Wie schon früher bemerkt
ist der untere Stab in Form einer Röhre als „tubus^ gehalten. Unter dem poly-
gonen Knaufe tritt diese Röhre in's Sechseck über und erscheint im Rechteck
gehalten als Fortsetzung des Stabes hinter den eben beschriebenen architectoni-
schen Ornamenten. Dieser im Viereck gehaltene Theil des Stabes, theilweise von
diesen Architecturen verdeckt, hat eine Höhe von fast 15 Centimeter. Die breiten
Flächen dieses im Rechteck sich fortsetzenden Stabes sind ebenfalls mit reichen,
vielfarbigen Emaillirungen geschmückt, die, in Quadraten eingefasst, weder der
Thier-, noch der Pflanzenwelt .angehören. Dieser mittlere Theil des Stabes erhält
oben eine frei durchbrochene Abschlussgallerie, durch welche der letzte Aufsatz des
Stabes verdeckt einmündet, der in seiner Fortsetzimg nach obenhin in eine Krümme
ausladet Dieser letzte Aufsatz des Stabes, der dem Schafte einer Pflanze gleicht,
ist ebenfalls länglich viereckig gehalten, und nach aussen hin von einem reichen,
erhaben vorspringenden Blattnerv imischlossen. In diesem äusseren Umfas-
sungsrande erheben sich nach kurzen Zwischenräumen einzelne aufgesetzte Laub-
omamente in Weise eines Kohlblattes, die als bekannte gothische Ornamente
den Namen Krabben führen und in der Blüthezeit der Gothik, in verwandter
Formation, an den Ziergiebeln in der Architectur häufiger zur Anwendung kommen.
Die beiden Flächen dieser Krümme des Stabes sind ebenfalls wieder mit kleine-
ren emaillirten Flächen ausgestattet, die dasselbe System der Omamentation zei-
gen, wie der Emailleur das auch consequent an den übrigen Flachtheilen des
Stabes sinnig angewandt hat Die innere Krümme mtlndet in einen Knauf aus»
der nach oben hin sich als Caryatide erweitert und so einer länglichen Plattfläche
als Untersatz dient, auf welcher als Basis der Künstler eine Gruppe, in Silber cise-
lirt, angebracht hat, vorstellend die Widmung des Stabes von Seiten des Donators
an die Gottesmutter Maria, die den göttlichen Knaben auf dem Schoosse hält Es
kniet nämlich auf diesem Plateau eine kleine bischöfliche Figur, angethan mit der
Albe, der Pluviale und Mitra; die Hände, in denen der bischöfliche Stab lehnt,
hat er zum Gebete erhoben. Da in dieser Weise auf älteren Votivbildem
der Donator gewöhnlich knieend abgebildet ist und sein Greschenk in Händen
hält, so glauben wir nicht ohne Grund in dieser knieenden bischöflichen Figur
den Geschenkgeber des vorliegenden Stabes erkennen zu sollen, indem diese kleine
Donatorgestalt den fraglichen Stab der Gottesmutter zu widmen scheint Die
Letztgenannte sitzt als Himmelskönigin auf einer „selia" mit der Krone geschmückt
und hält nach dem Spruche ,,Ee ostetide nobis filium^ der knieenden Figur das
Jesuskind entgegen. Diese zierliche Gruppe, gegossen und nachciselirt, zeigt in
48 DOMSCHÄTZE.
ihrer Gompositioii einen schönen gefälligen Faltenwiuf und ein richtigefi Verstand-
niss der einzelnen Körpertheile.
Die gelungenste figttrliche Darstellung an dem vorliegenden Prachtexemplare
eines erzbischöflichen ^.pedum** ist unstreitig jene zierliche Engelsgestalty die gleich-
sam die innere „curvalura^ stützend und haltend an der inneren Seite des oberen
Stabes, auf einer Console stehend, von dem Kttnstler mit vielem Glück nach Ana-
logie älterer Elrummstäbe angebracht ist Dieser Engel, mit einer Albe und falten-
reichen Pluviale bekleidet, hat etwa die Grösse von 7 V« Centimeter. Die Drappe-
rie der ebengenannten Gewänder ist äusserst schön und zierlich geordnet, und er-
innert in der Weichheit und Ungezwungenheit des Faltenwurfes an die älteren
Kölnischen Sculpturen aus der Frtlhgothik. Da bei dem knieenden erzbischöflichen
Statuettchen keinerlei Wappenschild oder ein anderes kennzeichnendes Ornament
angebracht ist, wodurch der Name und das Geschlecht des Geschenkgebers auch
nur im entferntesten angedeutet würde, so sind wir hinsichtlich der Entstehungszeit
vorliegenden j^baculus pastoralü^ der altkölnischen Goldschmiedekunst auf das Feld
der Hypothese angewiesen, und wird aus den Detai}formen ein Schluss hinsichtlich
der Entstehungszeit gezogen werden müssen. Wir glauben der Wahrheit ziem-
lieh nahe zu kommen, wenn wir, fussend auf charakteristische Detailformen,
annehmen, dass der in Sede stehende erzbischöfliche Stab in der letzten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts seine Entstehung von Meisterhand in den Mauern Kölns
gefunden habe. Zu der oberen Krümme dieses merkwürdigen Stabes, der heute
vergeblich seines Gleichen sucht, hat sich auch noch eine Capsel als Envelope in
Leder erhalten, die offenbar mit dem kunstreichen Stabe dieselbe Zeit der Ent*
stehung beanspruchen darf. Dieser Lederverschluss zeigt auf seinen Flachtfaeilen
ein zierliches gothisches Laubomament vertieft in das Leder hineingearbeitet, ftist
in denselben Formen und Bildungen, wie auch die reichverzierten Ledercapseln
artistisch ausgestattet sind, worin die Krone des heiligen deutschen römischen Kel-
ches im Kaiserschatze zu Wien und die böhmische Krone aus der Zeit Garl's IV.
in Prag aufbewahrt wird.
46.
Caeremoniensehwert,
silbervergoldet.
XY. Jahrhundert. Länge 1 Meter 43 Centimeter. Grdsste Breite der Farirstange 25 Centimeter.
Breite der Scheide am Mundstück 7 Centimeter.
In dem vorliegenden höchst kunstreichen Schwerte besitzt der Domschatz
die einzige noch existirende Reminiscenz an die Landeshoheit und weltliche Gre-
richtsbarkeit, die die ehemaligen Churfttrsten Kölns über ein ziemlich lunfangreiehes
1 ..
iC
DOM8CHÄTZ£. 49
liUidergebiet am Niederrhein und in Westpbalen besassen. Dieses Majestäts-
sehwert soll bei allen feierlichen Veranlassungen von einem der altkölnischen
Stände dem zeitlichen Churfürsten von Köln vorgetragen worden sein, wenn er
als LandesiUrst erschien; insbesondere aber pflegte ein solches Caeremonien- oder
Insiguienschwert in dem feierlichen Zuge nicht zu fehlen, wenn durch den
Kölner Erzbischof die Krönung des deutschen Königs zu Aachen vorgenom-
men wurde.
Die Grundform des vorliegenden Schwertes ist noch streng mittelalterlich,
indem die Scheide und Klinge senkrecht ansteigt und der Gri£f nebst Parirstange
mit der Scheide ein lateinisches Kreuz bildet. Die ganze Anlage des kostbaren
Sehwertes beweist, dass dasselbe niemals an einem Gürtel, j^batheus^, umgehängt
wurde, sondern blos als Luxus- und Parade waiFe in Gebrauch genommen und
bei den obengedachten öffentlichen Feierlichkeiten von der betreffenden Hof-
charge mit beiden Händen am unteren Griffe gefasst und aufrecht getragen
]gfurde.
Der Künstler, dem das Prachtschwert des Kölner Churfttrsten seine Ent-
stehung verdankt, hat die beiden breiten Flächen der Scheide zu benutzen gewusst,
um hier eine Fülle von ciselirtem Laub- und Rankenwerk anzubringen. Diese äusserst
kuBstreicb^i Guirlanden stellen, willkürlich sich verästelnd, ein Bankenwerk mit
kleinen, fein stylisirten Blättchen dar, die Bosenblättem am ähnlichsten sind und
stellenweise eine kleine fünfblätterige Blume zum Vorschein treten lassen. Die-
ses Laubwerk, fast in Weise eines kräftigen Filigrans, ist nicht gegossen und als-
dann ciselirt worden, sondern das Ganze scheint aus freier Hand von einem her-
vorragenden Meister der Kölnischen Goldschmiedezunft mit dem Stichel und der
Punze gearbeitet worden zu sein. Daher zeigt sich daa Gewinde auch an jeder Stelle
in abwechselnder Weise, immer neue Bildungen anstrebend. Um den Effect der
Arbeit noch zu heben, hat der Meister seine frei durchbrochene Arbeit, d. h. die
Plattseiten der beiden Flächen mit einem starken Genueser Bothsammet hinter-
legt Mitten auf der einen Seitenfläche der Scheide erblickt man in dem eben-
gedaehten zierlichen Laubwerk die Halbfigur eines Engels als Schild- und Wap-
penhalter; jedoch ist an der entsprechenden Stelle ersichtlich, dass das Wappen-
»chald entweder absichtlich entfernt worden, oder sonst verloren gegangen ist Auf
der vorderen Seite des Schwertes an derselben Stelle scheint eine ähnliche £n-
^Isfigur als Sehildhalter befestigt gewesen zu sein; statt derselben befindet sich
jedoch nun ein Wappenschild von spät mittelalterlicher Form, das sich als das
Geschlechtswappen der Grafen von Wied zu erkennen gibt Nach unten wird
das reiche Schwert, in eine Spitze auslaufend, durch einen kleinen gedrehten
Knauf abgeschlossen. Die beiden Eckseiten der ziemlich platten Scheide sind ein-
fach von vergoldetem Silberblech gehalten und schliessen auf beiden Seiten durch
einen hochstehenden Band ab. Oben am Mundstück der Scheide, da, wo die
Klinge eingreift, fehlt das durchbrochene Laubwerk, indem hier zwei halbrunde
Schilder, von der Parirstange ausgehend, den oberen Band der Scheide bedecken.
Im Tie%runde dieser beiden Bundschildchen ist einerseits das Wappen des Dom-
7
50 DOMSCHATJBE.
capitels, ein schwarzes Kreuz auf silbernem Grande, andererseits das heraldische
Abzeichen des alten rheinischen Grafengeschlechtes der „von Wied" angebracht
Dieses letztere Wappen legt die Vemiuthung nahe, dass diese kunstreiche Hoheits-
waffe, wenn auch nicht auf Kosten des Churfttrsten Hermann von Wied, doch unter
seiner Regierung, die vom Jahre 1515 — 1547 reicht, angefertigt worden sei.
Auch noch zu einer zweiten Annahme dürfte man sich veranlasst sehen, dass
nämlich eine Wiederherstellung dieses Caeremonienschwertes stattgefunden habe,
als Hermann von Wied den erzbischöflichen Stuhl eingenommen hatte. Dieser An-
nahme scheint uns jedoch die grosse Formenftllle und der Beichthum des Orna-
mentes zu widersprechen, verbunden mit einer äusserst delicaten Technik, wie
sie für die Spätgothik durchaus bezeichnend ist% Hinsichtlich der Analogien, die das
vorliegende Schwert heute noch mit ähnlichen aufisuweisen hat, entsinnen wir uns
nicht, bei ausgedehnteren Nachsuchungen ein Prachtschwert vorgefunden zu haben,
das, aus der Spätgothik herrührend, einen solchen Reichthnm der Form gellend
macht. Wohl hat die Goldschmiedekunst in der romanischen Kunstepoehe eine
ziemliche Anzahl von Prachtschwertem in einer unglaublichen Ptiye von Omamen-
tationen hervorgebracht, und sind glücklicher Weise noch einige hervorragende
Kunstwerke dieser Art auf uns gekommen, die dafür zum Belege dienen, dass
die Gothik, wie überhaupt bei allen kirchlichen Geräthschaften, die bereits existiren-
den reicheren Vorbilder und Vorlagen der romanischen Kunstepoche zum Vorwurf
und als Anhaltspunkt genommen hat. Von den beute noch vorhandenen roiuuii-
schen Prachtschwertem , die einem ähnlichen Zwecke, wie die vorliegende ehur-
kölnische Majestätswaffe dienten, hat die reichhaltige Schatzkammer zu Essen
ein älmliches Exemplar aufzuweisen, das ebenSedls auf beiden Seiten der
Scheide mit einem äusserst reichen getriebenen Ornament von Tfaierfigurationen
und Laubwerk geschmückt ist. Dasselbe wird hoffentlich in dem U. Bande
des Werkes: „Die Kunstdenkmale des Niederrheines von E. aus dem Werth''
eine getreue Abbildung und eingehende Beschreibung finden. Aus derselben
romanischen Kunstepoche herrührend, findet man auch noch im Schatze der kai-
serlichen Hofburg zu Wien drei prachtvolle ähnliche Schwerter, lut von derselben
GrOsse und äusseren Gestaltung, wie das vorliegende, die zu den ehemaligen Klei-
nodien und Reliquien des heil, deutschen römischen Reiches gehörten. Es sind das das
Schwert des heil. Mauritius und ein anderes Kaiserschwert, womit die vom Papste
gesalbten und gekrönten Kaiser auf der Engelsbui^ in Rom unmittelbar nach dem
Krönungsacte die „equites aurei^ creirten; femer der „adnaces persica^ oder Säbel
Karl's des Grossen, womit die Kaiserleiche des grossen Helden Kaii bei der Eröff-
nung des Grabes im Jahre 1000 durch Otto IH. umgürtet gefunden wurde, und
den er, den Angaben verschiedener Autoren zufolge, von dem Kalifen Harun al
Raschid zum Geschenk erhalten haben soll. Die beiden vorher besagten Pracht^
Schwerter, Meisterwerke der sicilianischen Goldschmiedekunst, sind, was die rei-
chen Filigran- und Emailomamentationen betrifft;, unzweifelhaft zor Zeit der eisten
Hohenstaufen von maurischen Goldschmiedekttnstlem in Sicilien angefertigt wor-
den, wie wir das in der HI. Lieferung unseres Werkes, die „Kleinodien des heiL
DOMSCHÄTZE. 51
deutschen römischen Reiches" ausführlicher nachweisen werden.*) Noch fügen
wir hinzu, dass sich auch im Domschatze zu St. Veit in Prag ein Schwert nebst
Scheide befindet, das vom J)öhniischen Herzog und Landespatron, dem heiligen
Wenzel, herrühren soll. Die Omamentation der Scheide in Silber auf Rothsam-
met rührt ebenfalls aus der spätgothischen Kunstepoche her, ist jedoch äusserlich
sehr einfach in der Formentwickelung gehalten.
Da der Raum der vorliegenden I. Lieferung schon bedeutend überschritten
worden ist, so werden wir als Anhang zu der IV. Lieferung dieses Werkes aus-
führlicher aufzählen, welche grossartigen Kunstschätze ehemals der Dom zu Köln
besass. Wir befinden uns in der Lage, alsdann auch eine annähernde Abbildung
dieser Aufzählung hinzufügen zu können, von welcher formellen Beschaffenheit
nämlich jene Kleinodien gewesen seien, die der Domschatz noch vollständig vor
dem Einbrechen der französischen Staatsumwälzungen besass.
*) YergL unsere Beschreibung dieser drei prachtroUen Schwerter in den Mittheilungen der K.
K. Gommission zur Erhaltung der Baadenkmale in den Sommerheften des Jahres 1S57.
Ki
Druck von J. B. Hirsch feld in Lt'iptig.
\
0
«
Druck von J. B. Hirscbfeld io Leiptlg.
^u? fi' Canibtr*.
^i guniBcri
Mittelalterliche KunstgegenstAnde daselbst
Seite
47 und 48) Weihkessel in Messingguss, XV. Jahrhundert. Tafel XITI. Fig. 47 und 48 . 3
49) Leuchter des XV. Jahrhunderts. Tafel XIII. Fig. 49. Figurale Stickereien, Beschrei-
bung derselben, XV. Jahrhundert 4
50) Runde Kapsel in vergoldetem Silber, mit Filigranverzierungen , XIII. Jahrhundert.
Tafel Xm. Fig. 50 6
51) Beliquiar in Form eines Brustbildes, von Kupfer, vergoldet, XIII. Jahrb. Tafel XIII. Fig. 51 7
52) Wandleuchter, in Messing gegossen, XV. Jahrhundert. Tafel XIII. Fig. 52 .... 10
53) ZweiBeliquiare, vergoldete silberne Arroschenkel darstellend, XIII. Jahrb. Taf.XIIl.Fig.53 11
54) Ftinfarmiger Passionsleuchter, in Messing gegossen, XV. Jahrh. Tafel XIV. Fig. 54 . 13
55) Beliquiengef^ss, von vergoldetem Messing mit Emaillirung, XIV. Jahrh. Tafel XIV. Fig. 55 * 15
56) Reliquiar, von Acoluthen getragen, von vergoldetem Kupfer, XV. Jahrh. Taf. XV. Fig. 56 16
57) Kleine Monstranz, von vergoldetem Silber, XV. Jahrhundert. Tafel XV. Fig. 57 . . . 18
58) Auibewahrungsgefäss f. d. geweihten Oele, von vergoldetem Silber, XVI.Jahrh.Taf.XV.Fig.58 1 9
59) Messingbeschlag eines Antiphonariums, XV. Jahrhundert. Tafel XV. Fig. 59 ... 20
Ehemaliger Schatz von St. Cunibert 22
47 und 48.
Zwei Weihkesselchen
in Messingguss.
Das grössere 22 Centimeter; das kleinere 21 Centhneter hoch, bei einem Durchmesser von 22 '/s Centi-
meter. XY. und XVI. Jahrhundert
Das unter No. 48 abgebildete „vo« tustrale" in einfacher, aber gefiUliger Form
gehört ebenfaUs zur Kategorie jener Gusearbeiten , die ohne höhere kttnsüerische
Entwickelung schlicht und einfach vom Gelbgiesser angefertigt zu werden pflegten.
Das Weihbecken selbst ist, als Gegenstück zu den noch vielfach vorfindlichen gegos*
senen Leuchtern der Spätgothik, in Kreisform am Fusstheil angelegt und durch ein-
zelne Ringe, die relief hervortreten, profilirt Die Bauchung des Gefässes zieht
sich in der Mitte unmerklich zusammen und erweitert sich dann wieder nach oben
hin, wo in der Höhe von iQ'/s Centimeter schräg ansteigend sich ein glatter Band
in der Breite von 3 V> Centimeter ansetzt An diesem Rande durch zwei Nietnägel
angeheftet befinden sich die HalbbUder zweier Engel, die, mit der Albe und dem
Humerale bekleidet, zwei Wappenschilder tragen. Der heraldische Schild dieser
Engel als Wappenhalter zeigt bereits die Formation der SpätgoÜiik; auf jedem der
beiden Wappen sind in einfacher Gravur Familienzeichen , vielleicht die eines edlen
Geschenkgebers der Kirche von St Cunibert, dargestellt, die einem der älteren
Patriziergeschlechter Kölns angehören mochten. Auf dem einen Wappenschilde
ersieht man nämlich in kräftiger Gravur einen Rost (cratieula\ wie er in den älte-
ren Bildwerken als Marterwerkzeug des heiligen Laurentius vorkommt; das andere
zeigt einen eingravirten Bandstreifen, schräg von rechts nach links gezogen, auf
welchem drei Rosen im FOnfblatt eingegraben sind. Als Handhabe und Träger
dieses „Sprengkessels'' ist in den hohlgegossenen Kopf der beiden Engel ein eben-
faUs gegossener Reifen in Hufeisenform eingelassen, an welchem zwei sich win-
dende Schlangen an beiden Seiten befestigt sind, aus deren weit geöfihetem Rachen
ein verbindendes Mittelstttck als Handhabe nach oben ausgeht Es ist wahrschein-
lich, dass das vorliegende massive Gusswerk, das in ähnlicher Form noch in ver-
schiedenen Kirchen des Niederrheins vorkommt (so z. B. in der heutigen Pfiur-
kirche zu Deutz und der ehemaligen Stiftskirche zu Hochelten bei Emmerich), eben-
4 ST. CUKIBERT.
falls in Köln von einem zünftigen Gelbgiesser in den letzten Decennien des fünf-
zehnten Jahrhunderts gegossen worden ist Hinsichtlich des ehemaligen Gebrauches
dieses tragbaren „uf^ceolus" verdient hier eine glaubwürdige Tradition angeftihrt
zu werden, nach welcher dasselbe ehemals schwebend in einer Kurbel oberhalb
jenes Brunnens hing, der im Hochchor vor dem Hauptaltare der St Cunibertskirche
bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts im Gebrauch war, und noch
heute sprüchwörtlich in Erinnerung bei älteren Kölnern steht. Dieser Brunnen,
welcher zu den heute noch im Gebrauch befindlichen Brunnen in den Ciypten zu
Paderborn und zu Kegensburg in Parallele stand, wurde trotz seiner zierlichen
Einfassung und kunstreichen Uebergitterung in den aufgeklärten achtziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts als zwecklos beseitigt
Das zweite unter Fig. 47 au%efükrle Weihbecken zeigt eine einfachere Form,
ist hinsichtlich seines Gewichtes leichter und scheint deshalb ehemals beim Aus-
th eilen des geweihten Wassers vor Beginn der sonntäglichen Stifts- und Hochmesse
von einem Ministranten dem Celebranten behufs der „a^ersio" vorgetragen wur^
den zu sein.
Sowohl die Profilirungen an dem hohlgegossenen Fusse, wie die Ausbauchung
dies eigentlichen Wasserbehälters in Form einer plattgedrückten Kugel , nicht weni-
ger «die ziemlich ausgebogeoe Umrandung lassen deutlich erkennen » dass dieser
Sprengkessd in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhimderts in Kupfer gegossen wor-
den ist, da der alte heimathUcbe Kunststyl seine Abwickelimg erreicht und eine
neue Stylform sich bereits Geltung verschafft hatte.
49.
Messgewand mit zwei Dalmatiken.
Grundstoff violetter Sanimt mit figuralen Stickereien auf Goldgrund
und mit der Jahreszahl 1612.
(Ohne Abbildung.)
Da diese reichgestickte Kapelle der Inschrift zufolge von „Johann Beck^yuivV
doctor^ und SybiUa Söntgens, seiner „H^-usfrau^S als Geschenkgebem wahrschein-
lich dem ehemaligen Stifte S^. Cunibert überwiesen worden ist, und zwar um das
Jahr 1612; so zeigen sämmtliche figurale Darstellungen nicht allein in der Gompo-
aition, sondern auch vornehmlich in der technischen Ausführung, dass die Tra-
ditionen und Keminiscenzen der altem Wappen- und Bildstickerzunft Kölns sogar
bis zu den Tagen der ausartenden Benaissance sich so zu sagen stereotyp und
fitegnirend bei den spätem Meistern der Bildsticker- Innung erhalten haben.
Der Goldgrund auf den Stäben ist noch in älterer Weise „a or baitu" mit
übereinander gelegten Goldfäden in sdiönen Quadraturen aufs Beichste gestickt
Audh der Faltenwurf, sowohl bei den gestickten Figuren des Messgewandes, als
ST. CUNIBERT, 5
auch bei denen der Dalmatiken ist noch durchaus mittelalterlich behandelt. Die
Technik der Stickerei in Plattstich ist dieselbe geblieben, wie sie in den letzten
Tagen der Gk)thik von den geschickten Bildstickem Kölns geübt wurde. Nur
die Incamationstheile der Figuren, Gesicht und Hände, sind nicht wie früher in
Plattstich gestickt, sondern bereits in einem schwereren Seidenatlas aufgeheftet,
auf welchen alsdann blos in Conturen die Umrisse gestickt worden sind.
Wir machen hier auf diesen gestickten Ornat auch noch deswegen vorüber-
gehend aufmerksam, weil auf dem vordem, in Gold gestickten Stabe des Messge-
wandes die beiden Brüder und Märtyrer Ewaldi, Nebenpatrone der Kirche St.
Cunibert, als Standbilder unter Baldachinen in trefflichen Stickereien dargestellt sind,
die, merkwürdiger Weise sogar noch um das Jahr 1612 in gelungener Nadelmalerei
vorkommen, bekleidet mit einem faltenreichen Messgewande, wie dasselbe das
ganze Mittelalter hindurch traditionell in der alten Form und dem überlieferten
Schnitt gebräuchlich war. Vielfache Nachforschungen haben es uns klar gemacht,
dass erst gegen Mitte des XVn. Jahrhunderts zur Zeit, als der Roccocostyl sich
bereits auszubilden begann, in den Kirchen Kölns der ererbte schönere Schnitt
und die malerische Form der Messkasein allmählich verdrängt und leider auf das
Minimum der beutigen so sehr verschnittenen und entstellten Messgewänder redu-
cirt wurde.
Auch die in Bede stehende Adventskapelle zu St. Cunibert scheint um die
angegebene Zeit von einer unbarmherzigen Scheere auf ihre heutige trostlose Form
gebracht worden zu sein, wobei ohne Schonung auch nach unten hin, wie das die
halben , abgeschnittenen Figuren deutlich zeigen , ein Theil der schönen Bildsticke-
reien fortrasirt worden ist
Die Sacristei von St Cunibert bewahrt auch noch einen einfachen gothischen
Messkelch von Silber, vergoldet, der wahrschemlich aus der Zeit des Stiftes herrührt
und zum täglichen Gebrauche bestimmt war. Derselbe hat eine Höhe von nur
I8V2 Centimeter bei einem Durchmesser von UV« Centimeter.
Wie alle gothischen Messkelche , die sich heute noch in köhiischen Sacristeien
erhalten haben, ist derselbe in seinen Formen sehr einfach gehalten; indessen sind
seine Proportionen äusserst edel und gelungen zu nennen, weshalb er trotz seiner
Einfachheit nicht verfehlt, eine gute Wirkung hervorzubringen.
Der Fuss ist sechstheilig in Form einer Sose angelegt und lässt auf dem
einen Blatte ein schönes „^gnaculum'* in energischer Gravur hervortreten. Das
„pomeUum" ist ebenfaUs im Sechseck angelegt, mit sechs stark ausladenden Pasten,
auf welchen in der bekannten älteren Schreibart in sechs Minuskelbuchstaben der
Name Jesus zu lesen ist. Der Schaft, im Sechseck formirt, ist eben£aDs einfach
gegliedert. Von besonderer Wirkung ist die schön gestaltete „cuppa'* (Trinkschale)
des Kelchs, die nach unten eiförmig zu einer kleinen Spitze ohne tiefere Aus-
bauchung sich verjüngt. Die Formation des vorliegenden Kelches kann als die
stereotype betrachtet werden, die bei Kelchen für den täglichen Gebrauch in der
letzten Hälfte des XV. und zu Anfang des XVI. Jahrhunderts nach stetigen Ge-
setzen angewandt wurde.
8T. CUKIBE£T.
50.
Kapsel 9
in vergoldetem Silber mit FiligranvcrzieroDgen.
Huhc 22 Centimeter, grUsster Durchmesser der Kapsel 7 Gentimeter. XIIL Jahriiandert
In den Sacristeien der kölnischen Kirchen werden heute noch in Tiel£acber
Abwechselung so ziemlieh alle jene Gefässe angetroffen, deren sich die Earche zu den
verschiedenen liturgischen Handlungen bedient; jedocli nur noch ein einziges Exem-
plar einer Beliquien • oder Hostienbttchse hat sich in der Kirche von St Cunibert
erhalten, deren Anlage und Form nicht nur höchst eigenthUmlich ist, sondern die
auch hinsichtlich ihres ehemaligen liturgischen Gebrauches manche Hypothese zu-
lässt. Dieses interessante Gefäss, von origineller Form, zeigt ein kreisrundes Fuas-
stück von 7 V2 Centimeter im Durchmesser, dessen grösserer Rand von einer breiten
Filigranverzierung umschlungen wird, in welcher abwechselnd nach kurzen Zwi-
schenräumen vier kleinere gefasste Halbedelsteine einen grossem umstehen. Nach
oben verjüngt sich trichterförmig dieser Fusstheil und mündet in eine spitze Bohre,
die als Ständer eine breitere Rundscheibe aufoimmt und nach aussen hin eben-
falls wieder mit einem breiteren filigranirten Rande umgeben und eingefasst vriid.
In diesen Filigranrand als Fusstheil schiebt euch eine bewegliche Büchse ein,
aus dünnem Holze bestehend, die ehemals, wie das heute noch Ueberreste zeigen,
mit einem dünnen Silbcrblech überzogen und belegt war. Auch der obere
Rand dieser runden Büchse, die eine Höhe von 672 Centimeter hat, ist mit einem
Filigranrande eingefasst, in welchem symmetrisch geordnet mehrere Edelsteine, als
Sapphire, Türkise, Amethyste und kleine Perlen sich befinden. Am obem Rande
bemerkt man zwei ühamiere, die ehemals eine Oeffiiung und Schliessung desGe-
fässes bewerkstelligen Hessen. Dieses zierliche .^vasculum** wird oben abgeschlossen
durch einen Deckverschluss, der auf seiner verjüngten Spitze ein pomellum trägt,
das ebenfalls von einem Filigranrande umgeben ist Auf diesem Knaufe erhebt
sich als Abschluss . und Bekrönung ein Kreismedaillon von 47« Gentimeter im
grössten Durchmesser, das in der Mitte frei durchbrochen ist und „a deux faces^
die Kreuzigung des Heilandes mit den zwei Passionsbildem Johannes und Maria
darstellt. Der Heiland ist am Kreuze mit geradlinig ausgestreckten Annen ab-
gebildet, wie er nach Weise der Byzantiner auf einem „suppedaneum*' nicht so
sehr leidend, sondern fast triumphirend |am Kreuze erhöht ist. Die trefflichen
Filigranarbeiten, mit den gefassten Genmien durchflochten, nicht weniger die Cooi-
position der beiden bei dem Kreuze stehenden Figuren lassen mit ziemlicher
Gewissheit erkennen , dass diese zierliche Pyxis in den Frühzeiten des XIIL Jahr-
hunderts angefertigt worden ist, wo man die romanischen Stylformen noch nicht
verlassen hatte, und doch der neue Styl noch nicht zur Geltung gekommen war.
Es entsteht nun die Frage , welchem kirchlichen Zwecke war die vorliegende Kapsel
ST. CUNIBERT. 7
ehemals bestimmt? Es ist nicht unwahrscheinlich, dass, bei der Yielgestaltigkeit
der Beliquiengefässe, auch der vorliegende Behälter primitiv zu dem Zwecke ange-
fertigt worden ist, um in demselben Reliquien au&ubewahren; jedoch dürfte auch
die andere Annahme zulässig erscheinen, dass das in Bede stehende „vasculum''
dazu benutzt wurde, um in demselben die Eucharistie aufzubewahren, wenn sie
als „maticum** zu den Kranken getragen wurde. Für diese zweite Hypothese scheint
auch der Umstand zu sprechen, dass einestheils der eigentliche Behälter des 6e-
fässes nicht, wie das gewöhnlich der Fall ist, aus einem rundgeschliffenen Berg-
kiystall besteht, um die eingeschlossenen Reliquien sichtbar werden zu lassen,
andemtheils aber der Behälter bei seinem grösseren Formenreichthum auch noch
oben mit einem kreisförmigen Medaillon verziert ist, das bei seiner Aehnlichkeit
mit der „sacra specie^* vielleicht äusserlich darauf hindeuten sollte , welchem er-
habenen Zweck das Innere bestimmt war.
Noch machen wir schliesslich darauf aufmerksam, dass heute noch im Innern
des Gefässes, dessen bewegliche Büchse, in Silber, verschwunden ist, vier reiche
Filigranränder aufgehoben liegen, welche, ehemals vertical stehend, auf dem Silber-
blech des Gefässes aufgeheftet waren und die oberen mit den unteren Filigran-
rändem an vier Stellen in Verbindung brachten.
In älteren Schatzverzeichnissen, die wir in grosser Zahl abschriftlich auf
längeren Reisen angesammelt haben, wird vielfach solcher ,fVascula" Erwähnung
gethan. So werden in einem umfangreichen Inventar der Kirchenschätze von St
Veit in Frag vom Jahre 1387 mehrere solcher Gefässe aufgeführt. Unter der
Rubrik „flfe caUcibus seu vasis sacrtßcn" liest man daselbst: ,yitem vasculum ad
modum pyxidis in quo portatur c/trisma ad ungendos reges"; „item duo vascula
eristalUna cum balsamo et unum viireum" ; „item duae py arides ckristallinae
sine cooperturis". Zwei solcher Gefässe, dem oben beschriebenen hinsichtlich der
Form und Ausstattung sehr ähnlich, fanden wir heute noch in dem reichhaltigen
Schatze von St Veit in Prag vor; auch in der Sacristei zu Kempen am Nieder-
rhein sahen wir noch ein ähnliches y,vasculum*\ das mit denen zu Prag und dem
eben beschriebenen Aehnlichkeit hat
51.
Reliqniariam
in Form eines Brustbildes, aus vergoldetem Kupfer.
Hohe 40 Centiineter, grÖMter Durchmesser des Fusses 45 Centimeter. XIII. Jahrhundert.
Es finden sich heute, soweit uns bekannt geworden ist, in köhiischen Eir^
chen keine Büsten in getriebener Arbeit mehr vor, die von dem entwickelten For-
mensinne kölnischer Qoldschmiede aus der spätromanischen Kunstepoche Zeugniss
8 ST. CUNIBEBT.
ablegen. Als Grund, dass solche Brustbilder, deren die älteren Inventare häufig
Erwähnung thun, heute in kölnischen Schätzen so selten geworden sind, dürfte
wohl angeführt werden, dass die meisten derselben in der romanischen Konstr
epoche aus Silberblech angefertigt zu werden pflegten. Dieses verführerische Mate-
rial bot ohne Zweifel die Veranlassung, dass diese Bildwerke in böser Zeit eine
ähnliche Verwendung erlitten haben, wie das eherne Denkmal Otto's IIL in Aachen,
das auf einer Stoiberger Hütte schonungslos in die Schmelze wandern musste.
Vorliegende „herma", das Bild des heiligen Antonius Einsiedlers vorateOend,
hat ihre Erhaltung wohl nur dem glücklichen Umstände zu verdanken, dass sie
aus Rothkupfer getrieben ist.
Der Vater der Anachoreten, Antonius, ist hier nicht in dem schlichten Gostttm
der Einsiedler dargestellt, sondern die Kunst des Mittelalters hat das Grewand des
Einsiedlers zu idealisiren und mit vielen Ornamenten zu heben gewusst. Antonius
erscheint in dieser Büste mit einer tunica bekleidet; der Halsausschnitt des Gewan-
des ist mit einem Saume von Filigranrändem umlegt ; auf beiden Schultern ist ein
fünf Gentimeter breites Filigranband, mit gefassten ungeschliffenen Steinen ver-
ziert, als stattliches Ornament angebracht. Auf der Brust war das Bildwerk
ehemals wahrscheinlich mit einer prachtvollen Agraffe Uyinanüe'*) verziert, die als
vielblätterige Rose ebenfalls ein kunstreiches filigranirtes Ornament erkennen liess,
wovon heute nur noch ein kleiner Bruchtheil ersichtlich ist Um den untern Rand
der Büste herum ist ebenfalls eine 47^ Gentimeter breite Einfassung herumgelegt»
die gleichfalls eine künstliche Filigranarbeit von schönem Schwünge erkennen lässt
Die eben erwähnten Filigranverzierungen sind allenthalben mit ungeschliffenen
Halbedelsteinen besetzt, bestehend aus Sapphiren, Amethysten, Topasen, und in der
Weise geordnet , dass vier kleinere Steine einen mittlem grösseren umstehen. Die
f,lectula", die diese als „capuckon** behandelten Edelsteine einfassen, sind nach Art
der Acanthusblätter pflanzenartig ausgebildet. Ausser den zwei Umfassungsrändeni,
welche , die Länge des Armes herunterlaufend , ein sehr zierlich getriebenes Omar
ment zeigen, sollen einer mündlichen Angabe zufolge Brust und Schulter dieser
schönen, nur leider sehr in Unstand gerathenen Büste ehemals noch mit anderen
Zierrathen in Silber aufs Reichste ausgestattet gewesen sein. Es will uns scheinen,
als ob diese silbernen Zuthaten späterer Zeit angehört haben und nicht als gleich-
zeitig anzusehen sein dürften. Einen eigenthümlich strengen Ausdmck zeigt das mit
grosser technischer Geschicklichkeit getriebene Haupt dieser Büste, die deutlich
erkennen lässt, dass zur Zeit, als der romanische Kunststyl noch herrschend war,
neben dem Filigran, dem Email, dem Nigello auch das y^opus pr*apüUatum** von
der Gonfratemität köhiischer Goldschmiede mit grosser manueller Fertigkeit geübt
worden ist. Mit besonderer Sorgfalt sind in strenger Stylisimng das Haupthaar und
der Bart dieses Brustbildes zierlich geordnet; der Bart ist nach zwei Seiten getheilt
und mündet auf jeder Seite in eine gedrehte spitz zulaufende Locke aus. ^e wir
das an Reliquienkästen des Mittelalters vielfach bemerkt haben, waren mit einem
„emailpeint" die Augen der vorliegenden „Aerma" so gefärbt, dass der Augapfel in
schwarzer Farbe auf weissem emaülirtem Grunde hervortrat; auch die Lippen scheinen
ST. CUNIBERT. 9
durch eine Schmelzfarbe ehemals angeröthet gewesen zu sein. *) Was nun die Zeit
der Anfertigung der vorliegenden Büste anlangt, so lässt die charakteristische Ausarbei-
tung des FiligranSy nicht weniger das schön stylisirte und gelockte Haar mit Sicherheit
erkennen, dass dieselbe ihre Entstehung einem kölnischen Goldschmiede in jener Eunst-
epoche zu verdanken haben dürfte, als der romanische Styl seine höchste formelle Ent-
wickelung erreieht hatte , und die Gbtbik eben in ihrer Entfaltung begriffen war. Viel-
leicht dtlrfte man aber auch bei einer Beurtheilung der Kunstproducte der spät-
romanischen Zeit die Hypothese zulassen, dass auch noch in der zweiten Hälfte
des Xni. Jahrhunderts ältere Zunftmeister in Köln als ausübende Künstler sesshaft
waren, welche jene Detailformen ihres Gewerkes noch immer beibehielten, die sie in
ihrer Jugend, als die Formen der Bomantik noch gäng und gäbe waren, mit Vor-
liebe geübt hatten. Dem Ebengesagten zufolge dtlrfte man also den Eintritt der
Formen der Gothik auf dem Gebiete der Goldschmiedekunst nicht an ein bestimm-
tes Jahr knüpfen und mithin die Epoche, wo der ältere Styl aufhörte, und der
neuere sich zu entwickeln begann, nicht so haarscharf bestimmen wollen. Sollten
wir hinsichtlich des Alters des vorliegenden Bildwerkes eine Zeitepoche genauer
fisiren , so ginge unsere unmassgebliche Ansicht dahin , dass dieses „caput
pectorale^ angefertigt worden sei in jenen Tagen, als die romanischen Kunstfor-
men noch ihre Herrschaft im heiligen Köln unangefochten behaupteten, mit anderen
Worten, dass dasselbe in den ersten Jahrzehnten des XHI. Jahrhunderts seine Ent-
stehung gefunden habe.
Man muBS es bedauern, dass das vorliegende mit so grosser technischer
Bravour gearbeitete Brustbild durch die Ungunst der Zeiten heute so sehr ent-
stellt und beschädigt ist. Wir wünschen demselben in nächster Zeit eine
gründliche, stylgetreue Wiederherstellung von der kunsterfahrenen Hand jenes
Meisters, der vor wenigen Jahren den sehr zusammengeschmolzenen Schatz der
hiesigen Cunibertskirche mit einem prachtvollen Ciborium bereichert hat, dessen
technisch äusserst saubere und delicate Ausarbeitung der Details fast den Werth
der Gomposition in Schatten zu stellen geeignet ist. Vielleicht dürfte später in
dem neu zu erbauenden Hauptaltar dieser Kirche, und zwar in der „predella*' des-
selben, ein vertiefter Beliquienschrein angebracht werden, in welchem hinter durch-
sichtigem Verschluss die eben beschriebene „herma" nebst den beiden unter No.
53 folgenden Brachialien an grossem Festen ersichtlich wären, wenn man es
nicht vorziehen wollte, in der stylgerecht mit Wandmalereien reichverzierten Chor-
absis, und zwar in dem mit Gitter verschliessbaren ursprünglichen „thesaurarium^,
die sämmüichen kirchlichen Kunstschätze würdig aufzubewahren, deren ausführ-
liche Beschreibung uns hier beschäftigt.
*) Bis vor wenigen Jahren war das schöne Brostbild Karls des Grossen im Schatze zu Aachen
an den Inoamationstheilen mit einem ähnlichen fleischfarbigen ,,gfemalten Email" überzogen, bis ün-
kenntnisB und Willktthr denselben entfernen liess.
2
10 ST. CUNIBERT.
52,
Lichtträger
vor einem Votivbilde befestigt. Kupferguss. *
Höhe 50 Centimeter, Breite der oberen Schale 16 Centimeter. XV. Jahrhundert
Leuchter in Kupferguss in einiger Entwickelung der Formen, wie sie
die Ausgangszeit der Gothik bezeichnen, sind heute in köhiischen Kirchen zur
Seltenheit geworden. Nur die Kirche von St Cunibert hat noch als Wand- oder
Annleuchter vor jenem prachtvollen Sculpturwerke, die Verkündigung Maria's vor-
stellend, zwei Leuchter aufzuweisen, die durch die schöne Ausbildung der Formen
erkennen lassen, dass die Gothik im XY. Jahrhundert die gegossenen Wandleuchter
nicht so ganz unentwickelt gelassen habe. Der eigentliche Arm, in Gelbkupfer ge-
gossen und mit grossem und kleinem Knäufen belebt, windet sich in Halbkreisform
um den grossen reichverzierten Sockel, auf welchem je ein Standbild der Verkün-
digung aufgestellt ist. Unmittelbar vor jedem Bildwerke erhebt sich aufrechtste-
hend ein beweglicher LichttrUger, dessen Ständer von grossem und kleinem Ringen
umfasst wird. Auf dem letzten Binge sitzt ein trichterförmiger Hals, der ein breite-
res Schttsselchen zum Auffangen des herunterträufelnden Wachses trägt. Dieses
Schüsselchen ist nach unten hin durch erhaben gegossene sich anschliessende Or-
namente verziert, in denen nicht mit Unwahrscheinlichkeit die bekannten Bildungen
der ^ewr de lis^ gesucht werden dürften, lieber dieser Ausbauchung des teller-
förmigen Schüsselchens erhebt sich ein profilirter Band, der oben mit einer zin-
nenformig ausgeschnittenen Bekrönung umgeben und abgeschlossen wird. Bei
Gompositionen von Trag- oder Standleuchtem dürfte die eben beschriebene obere
Ausmündung dieser Wand- oder Votivleuchter als willkommenes Motiv zu muster-
gültigen Vorlagen in Betracht gezogen werden können.
Noch im Vorbeigehen machen wir Freunde mittelalterlicher Kunst imd ins-
besondere Kenner kirchlicher GrefUsse auf ein interessantes Bildwerk aufmerksam,
das in der baulich merkwürdigen Sacristei von St. Cunibert, und zwar über der
Eingangsthüre derselben aufgehängt ist und eine jener Darstellungen zeigt, wie sie
im XV. Jahrhundert von der Kölner Malerzunft unter der Bezeichnung „missa St'
Gregorii^ mit besonderer Vorliebe gemalt zu werden pflegten.
Auf diesem Bildwerke, das in Italien meistens den Namen j^missa di Bol-
sena^^) führt, sieht man in der Regel den obengedachten Papst, umgeben von
*) Ein anfmerksamer Forscher nach Malereien dos Mittelalters dtlrfte yieUach fUr die Compo-
sition sttmmtlicher Torkommenden Altargerttthschaften, so wie für Schnitt und omamentale Ausstattong
der litor^schen Gewänder die nOthigen Anhaltspunkte auf Altem Bildein finden, die bei der heutigen
Nachbildung den Meistern des Oewerkes gute Dienste leisten könnten. Sowohl altitalienische als alt-
deutsche Wand- und Tafelmalereien, ähnlich wie die oben besprochene, bieten fUr die angedeuteten Stu-
dien noch eine reiche, bisher unbenutzte Fundgmbe.
ST. CUKIBERT. 11
Mmistranten und Gardkiälen, knieend dargestellt, wie er bei der Gonsecratioii in
Staunen niedersinkt vor dem Wunder, das er auf dem Altar erschaut, indem ihm der
Heiland incorporirt als „ecce homo^ erscheint Der kölnische Maler hat es auf
dem eben bezeichneten Gemälde nicht unterlassen, den ganzen Altarapparat in
seinen einzehien Gefässen in streng richtiger Zeichnung darzustellen. Für unseren
vorliegenden Zweck haben zunächst die schönen Leuchter ein besonderes Interesse,
wie sie gemalt auf jeder Seite des Altars ersichtlich sind. Da solche Leuchter
heute, wie bereits bemerkt, zur grossen Seltenheit geworden sind, so ermangeln
wir nicht, unter Figur 49 eine getreue Abbildung dieser auf dem Altar in Gold
gezeichneten Leuchter beizubringen. Ein breiter runder Fuss ruht auf sechs lie-
genden Löwen. Derselbe wird oben durch einen profilirten Knauf abgeschlossen,
aus dem sich der Ständer erhebt, der in der Mitte von einem grossem y^pomeUum^
als Handhabe unterbrochen wird. Sowohl das Schtlsselchen zum Aufifangen des
Wachses, wie die Ständer entbehren nicht einer omamentalen Ausbildung. Wir
sind der Ueberzeugung, dass der Maler aus der letzten Hälfte des XV. Jahrhun-
derts den eben bezeichneten Leuchter nicht aus eigener Idee erfunden, sondern so
gezeichnet hat, wie man ihn damals häufig auf Altären anzutreffen pflegte. Schliess-
lich machen wir noch darauf aufmerksam, dass die E^che von St. Gunibert heute
noch sechs grössere und zwei kleinere Altarleuchter besitzt, die, als treffliche Guss-
werke aus dem XY. Jahrhundert herrührend, in ihrer Form keine Verschiedenheit
zeigen von jenem Leuchter, den wir in der 1. Lieferung dieses Werkes unter Fig.
13. beschrieben und abgebildet haben.
53.
Zwei Reliqniarien
in Form von reich verzierten Armschenkeln.
Grösstc Höhe 40 Gentimeter, Durchmesser des Fusses 22 Centimeter. Xm. Jahrhundert.
Der heute sehr decimirte Schatz von St. Gunibert hat noch zwei reich ver-
zierte Reliquiarien aufsuweisen, die, was Reichthum der Detailformen betrifft, wohl
mit jenen ähnlichen Reliquienbehäitem in St. Gereon (vergl. Taf. n. Fig. 7 und 8)
kühn den Vergleich eingehen dürfen. Dieselben rühren offenbar von einer und der-
selben Meisterhand her, die auch die oben beschriebene „herma Scti. Antonü^ an-
gefertigt hat, und verdienen nicht nur hinsichtlich des reichen Schmuckes von zier-
lichen Filigranarbeiten eine besondere Aufmerksamkeit, sondern auch in Hinsicht
einzelner emaiUirten Randeinfassungen, die die Yortrefflichkeit der kölnischen
Sehmelzarbeiten am Schlüsse des XII. oder im Beginn des Xm. Jahrb. erkennen
12 «T. CUNIBERT.
lassen. Da hinsichtlich der Anlage und der decorativen Ausstattung die beiden
Reliquienarme gleiche Formen zeigen, so genttge es hier, einen dieser Brachialien
zu beschreiben und durch eine stylgetreue Zeichnung zu veranschaulichen. Auf
einem S'/s Centimeter hohen Fusssockel, um dessen Rand zum Theil heute noch
ein in Metallblech getriebenes Ornament nach hinten herumläuft, erheben sich trep-
penförmig, immer weiter zurücktretend, zwei andere einförmige Umrandungen, die
als Piedestal fbr den darauf befindlichen Armschenkel mit Filigranomamenten
und eingefassten Steinen verziert sind. Auf diesen nach oben hin sich verjüngen-
den Sockel hat der Goldschmied den obem Armschenkel so gestellt, dass die aus
demselben hervorragende Hand die innere, geöfltaete Handfläche zeigt Die Be-
kleidung des Armschenkels ist eine ähnliche, wie die an den „braehia^ von St
Gereon. Es ragt nämlich die Hand aus dem breiten Aermel (manica) vom Hand-
gelenk an hervor, das mit einem enganschliessenden Gewandtheile, ähnlieh einer
Albe, bedeckt ist Diese „manica*^ ^ als integrirender Gewandttheü von einer
Dalmatika od^r Tunicella genommen, ist an dem obem Abschluss, sowie an
den beiden Seitentheilen mit äusserst kunstreich verzierten FiUgranrändem belegt,
die von kleinen Emailplättchen unterbrochen werden. Das Filigran liegt stark er-
haben auf, ist durchbrochen (ä jour)^ und die technische Behandlung desselben
verräth die Hand eines tttchtigen geübten Meisters. Die emaillirten Blättchen
würde man ihrer Technik nach als y^emauw ckampleves^ bezeichnen. Die Farben-
stimmung dieser Emails in blauen und röthlichen Tönen ist eine solche, wie man
sie an Kölner Schmelzwerke immer wieder anzutreffen gewohnt ist Da, wo auf den
mittlem Flächen der Faltenwurf des Gewandes in reicher Drapirung sich bildet,
hat der Künstler ein in Chamieren bewegliches Rundmedaillon in einem Durch-
messer von 8 Centimeter angebracht, das als mittlere Füllung einen ungeschliffe-
nen Bergkrystall zum Vorschein kommen lässt, welcher von einer reich verzierten
Filigranumrandung, mit Halbedelsteinen besetzt, umgeben ist Hinter diesem Kry-
stallverschluss war ehemals in der innem Höhle des Armschenkels jenes yyos^ er-
sichtlich, zu dessen würdiger Aufbewahmng dieses Prachtgefäss war angefertigt
worden. Eine kleine Partikel von den Reliquien des h. Antonius Abbas, die heut
neben der Krystallpaste in modemer Einfassung sich befindet, scheint später
hinzugefügt worden zu sein, indem vielleicht das grössere Gebein, welches ehe-
mals die Höhlung ausfüllte, verloren gegangen ist In dem andern Reliquiarium,
dem Pendant zu dem eben beschriebenen Gefässe, befindet sich heute noch an der
in Rede stehenden Stelle ein grösseres Gebein, das dem h. Servatius, Kschof von
Tongera und Maestricht, zugeschrieben wird. Einer mündlichen Tradition zufolge
sollen diese beiden merkwürdigen und formschönen Gefässe aus der ehemaligen
St Servatius-Pfarrkirche, die in der Nähe von St Cunibert an der Jobannstrasse
gelegen war, herstammen. Diese alte Pfarrkirche ist erst in den zwanziger Jah-
ren dieses Jahrhunderts ungeachtet ihres monumentalen Werthes niedergelegt wor-
den, um einer Oelfabrik Platz zu machen.
Die vollständig identische Behandlung der Filigranarbeiten an diesen Reliqni-
arien mit denen an der vorbeschriebenen ^^herma^* scheint der Annahme das Wort
ST. CUKIBEBT. t3
ZU sprechen, das8 das Brustbild mit den beiden in Rede stehenden Beliquienarmen von
einem und demselben Meister und zu derselben Zeit sei angefertigt worden, und
zwar in der Absicht, dasselbe als Mittelsttick zwischen den beiden Brachialien an
Festtagen auf dem Untersatz des Altares zu exponiren. Wenn die Wiederherstel-
lung dieses interessanten Pectoralbildes in späterer Zeit erfolgen sollte, so dürften
wohl auch die beiden oben beschriebenen jybrachia^ in Silberblech sfylgerecht wie-
der ergänzt werden, indem die Gewinnsucht in den Stttrmen zu An&ng dieses
Jahrhunderts die primitiven in Silber getriebenen Hände gewaltsam fortgenonmien
und durch solche von versilbertem Holze wieder ergänzt hat Glücklicher Weise
finden sich die wesentlichen Theile, ebenfalls in Silber getrieben, noch an den bei-
den formverwandten Beliquiengefässen aus St. Gereon vor, und dürften von diesen
die Modelle und Vorlagen zu entnehmen sein. Als Parallelen zu diesen eben be-
schriebenen yjbrackia^ verweisen wir hier im Vorbeigehen noch auf zwei äusserst
delicat und zierlich gearbeitete Beliquiarien in Form von Armschenkeln, im Schatze
der Stiftskirche zu Essen befindlich, die jedoch um 150 Jahre jünger befunden
werden dürften. Auch der kOnigl. Haus- und Reliquienschatz zu Hannover hat
noch eine grössere Zahl Reliquienge&sse in dieser Form au&uweisen.
54.
Ffinfarmiger Staadlenchter
in Form eines Kreuzes.
Hohe 1 Meter 60 Centimeter, Breite der Arme 1 Meter 10 Centimeter. GelbgOBs des XV. Jahrhanderts.
Wenn von competenter Seite in nicht zu femer Zukunft nachgewiesen
und durch Beispiele veranschaulicht werden wird, von welcher formellen Beschaf-
fenheit im Mittelalter die verschiedenartigen Beleuchtmigsapparate fllr Kirche und
Altäre gewesen sein mögen, so dürfte zur Aufhellung und Feststellung dieser
eben so interessanten, als praktischen Frage auch der vorliegende Lichterhalter
nicht übergangen werden.
Von den vielen mehrarmigen Leuchtern, die ehemals als Meisterwerke des
Metallgusses verschiedenen Kirchen Kölns zur Zierde gereichten, hat sich heute nur
dieser einzige ftlnfarmige Leuchter in St Cunibert noch erhalten, der Anhaltspunkte
bieten dürfte, von welchem Beichthum und welcher Zierlichkeit der Formen jene
grösseren Lichterkronen und umfangreichen Standleuchter ehemals gewesen sind, die
unter dem Namen „poli/candella** oder y,arbores B, M. F." in allgemeinerem Gte-
brauche waren. Gleichwie diese siebenarmigen Leuchter in ihrer Siebenform als
Mutter-Gottes-Leuchter die sieben Freuden oder die sieben Schmerzen Maria's sym-
bolisch andeuten sollten, so scheint der vorliegende mehr als Passionsleuchter in der
Fünfzahl seiner Lichter die fllnf Wundmale des Heilandes mystisch versinnbilden
zu wollen.
14 ST. CUKIBEBT.
Auf einem dreieckigen, ungefähr 50 Gentimeter hohen Sockel von Stein,
der an seinen Ecken abgeschrägt und mit breiten Widerlagen fast zu einem Sechs-
eck umgestaltet ist, erhebt sich ein 34 Gentimeter hohes, nach oben sich yer-
jungendes Piedestal, ebenfalls im Sechseck construirt. Dieser in Messing hohlge*
gossene Sockel ist an drei Seiten umlegt von kleinen gegossenen Löwen in der
Länge von 14 Gentimeter. Auf dem sechseckigen Untersockel ruht ein profilirter
Wulst in Ereisform, aus welchem eine runde Röhre gleichsam herauswächst, die
durch ihre eingelassenen abgesägten Aeste zu beiden Seiten einen Baum als Kreu-
zesstamm veranschaulichen soll, nämlich jenen mystischen tfOrbor vitae, in qua salus
nostra pependit." In massiger Höhe theilt sich der mittlere Hauptstamm seitwärts
in zwei Aeste, die sich wiederum nach oben zweifach theüen.
Da der mittlere Hauptstanun geradlinig durchgeht , so entstehen also durch
diese doppelte Verästelung des Lebensbaumes fllnf Lichthalter, die auf ihren Spitzen
einen breiten Teller zum Auffangen des herunterträufelnden Wachses tragen. Da,
wo der Baumstamm nach beiden Seiten sich in Kreuzesform verästelt, hat der Künst-
ler in vollendetem Guss das Bild des Gekreuzigten angebracht, dessen grösste
Längenausdehnung 83 Gentimeter, wogegen die Spannung der Hände 80 Gentime-
ter beträgt
Das mit vollendetstem Ausdruck des Schmerzes kunstvoll gegossene Haupt
des Erlösers trägt die Domenkrone ; die übrigen körperlichen Formen sind mit ge-
nauer Kenntniss der Anatomie fttr die Zeit der Entstehung dieses Kunstwerkes
richtig gegeben, sogar die gespannten Adern des Körpers sind in dem Gusswerk
angedeutet; auch das Lendentuch ist in edlem Faltenbruch stylgerecht geordnet
Die ziemlich richtige anatomische Durchführung der Körperformen an der Figur
des Gekreuzigten, nicht weniger der Sockel von Stein mit seinen architektonischen
Profilirungen lassen deutlich erkennen, dass der vorliegende Passionsleuchter in
den letzten Decennien des XV. Jahrhunderts angefertigt worden ist Dass das vor-
liegende Gusswerk in Köln entstanden ist, dürfte wohl nicht beanstandet werden,
da bekanntlich alle Kleinkünste im XY. Jahrhundert in dem gewerbe- und industrie-
reichen Köln ihre zunftgerechte Ausübung fanden. Mehrere heute noch erhaltene
Taufbecken des XYI. Jahrhunderts, die in Köba gegossen worden sind, lassen mit
Grund annehmen, dass auch im XY. Jahrhundert der Metallguss in grösserem Um-
fange in den Mauern Kölns von den Meistern der Gelbgiesser-Innung geübt wurde.
Man braucht deswegen bei dem vorliegenden fünfarmigen Leuchter nicht der An-
nahme Raum zu geben, dass derselbe in den bekannten, äusserst betriebsamen
GusBwerkstätten des Mittelalters zu Maestricht oder Dinant angefertigt worden sei.
Was Grossartigkeit der Anlage und Beichthum des Details betrifit, so dürfte der
vorliegende Kreuz-Gandelaber um Yieles übertroffen werden durch das interessante
Lichtgitter, kupfergegossene Sperre zwischen Ghor und Altar im Dome zu Xanten.*)
*) Vgl. die Abbildimg in den Knnstdenkmttlern des chrisÜichen Mittelalten in den Rheinlandea
von £. aos'm Werth I. Band. Taf. XVIII. No. 5.
ST. CUNIBERT. 15
Dieses prachtvolle Gitter als Lichtträger und Chorschranke ist der Inschrift zufolge
t50] zu Maestricbt gegossen worden. Hinsichtlich der Anlage , der Entstehungszeit
und Omamentation dttrfte der dreiarmige Standleuchter, ebenfalls im Xantener
Chore befindlich"^), mit dem fünfarmigen Passionsleuchter zu St. Cunibert die
meiste Verwandtschaft aufzuweisen haben.
55.
Ostensorinm ,
aus Messing, vergoldet, mit emaillirten Ornamenten.
Höhe 45 Gentimeter, grösster Durchmesser des Fasses 18'/s Centimeter. XIY. Jahrhundert.
Fttr das Studium mittelalterlicher kirchlicher Gefässe bildet das vorliegende
Reliquiarium deswegen ein grösseres Interesse, weil es bei sehr einfacher Form er-
kennen lässt, wie auch in der Gothik die gettbten Emailleurs darauf Bedacht nah-
men, bei Anfertigung kirchlicher Gefässe breitere Flächen zu schaffen, die durch
farbigen Schmelz und bildliche Darstellungen gehoben und verziert werden sollten.
Der Fusstheil des vorliegenden Ostensoriums bietet, in Kreisform angelegt, eine
breite Fläche, die der GU)ldschmied durch Anbringung von sechs Emailmedaillons
künstlerisch zu beleben gewusst hat. Man erblickt nämlich, von erhaben aufliegen-
den Rändern eines Vierpasses eingeschlossen, ähnlich geformte Medaillons im gröss-
ten Durchmesser von 4 Centimeter 8 Millimeter, die auf roth und blau emaillirtem
Tiefgrunde in vergoldeten Contouren verschiedene mittelalterliche Thiersymbole zu
erkennen geben. Auf dunkelblauem Email treten nämlich in der oberen Hälfte
dieser Medaillons in zinnoberrothem Email die Oberkörper der bekannten evange-
listischen Thiergestalten hervor, die sämmtlich einen goldenen Spruchstreifen zu
tragen scheinen. Diese Abzeichen der Evangelisten sind mit grosser Bravour imd
Stylstrengheit ausgeführt, und der Emailleur scheint auf eine zarte technische Be-
handlung nicht viel Geweht gelegt zu haben. Die beiden übrigen Medaillons zei-
gen ebenfalls Darstellungen, die der mittelalterlichen Thier-Sjmbolik entlehnt sind.
In dem einen erblickt man nämlich auf emaillirtem Grund, wie er in seinen Far-
bennüancirungen im Vorhergehenden angedeutet wurde, das Bild des Pelikan, der
sich selbst seinen Jungen hingiebt. Die andere Typologie in dem folgenden
Medaillon ist weniger bekannt und stellt einen Löwen dar, wie er seine Jungen
am dritten Tage nach der Geburt anhaucht und ihnen so, nach mittelalterlicher An-
schauungsweise, das Augenlicht verleiht.
Dieses eben beschriebene Fussstttck entbehrt sonst jeglicher Omamentation.
In der Mitte desselben erhebt sich ein Untersatz oder Sockel, in den eine runde
Röhre einmündet, die ungefähr in ihrer Mitte durch einen Elnauf als Handhabe
*) In Abbilduag befindlich auf derselben Tafel XVIII., No. 6.
16 ST. CÜNIBERT.
angenehm unterbrochen wird. Dieser »^nodus" ist sechstheilig angelegt und ttuft
in sechs runde Pasten im Durchmesser von fSäst 2 Gentimetem aus, die abwechsefaid
auf blauem und roihem Grund in vergoldeten Miguskelbuchstaben die Worte ,^Ave
Maria" enthalten.
Zwischen je 2 dieser vorspringenden emaillirten Knäufe hat der Goldschmied
erhaben aufliegend je eine ,Jleur de lü" angebracht, die nach untenhin in die da-
rüber befindliche Röhre einzumünden scheint Diese obere Röhre trägt einen im
Kreise angelegten Aufsatz, der als Piedestal einen Glascylinder zur Aufbewahrung
von Reliquien smfnehmen soll, der aber, früher wahrscheinlich aus Bergkrystall beste-
hend, gegenwärtig fehlt Heute noch umstehen dieses Receptaculum vier Wider-
lagspfeiler in einfacher Form, an deren Sockel vermittelst Kettchen zwei kleinere
emaillirte Wappenschilder, die den Typus der Frühgothik unverkennbar an sich tragen,
aufgehängt sind und auf blauem Grunde zwei sich durchkreuzende Pfeile erkennen
lassen. Die vier Widerlagen tragen als Helm eine kleine Bedachung, die oben
mit einem Knopfe abschliesst Der obere Theil dieses Schaugeftsses bietet in
formeller Beziehung wenig Interesse. Die Composition und die technische Durch-
ftihrung der oben beschriebenen emailiirten Ornamente, desgleichen die charakte*
ristische Form der Majuskelbuchstaben, wie sie als monumentale Künstlersohrift
in der romanischen Kunstepoche g^big und gäbe waren, dürften als Beweise an-
gefbhrt werden, dass das vorliegende Gefäss gegen Mitte des XIV. Jahrhunderts
seine Entstehung gefunden habe, eine Epoche, in der die Zunftmeister der Gold-
schmiede zu Köln durchsichtige Schmelze, ^^imaux iranslucides"^ mit Vorliebe zur
Ausftülung von einfachen und reichen liturgischen Geiässen häufig zur Anwendung
brachten.
56.
Reliqniarinm ,
in Form einer kleinen ,ftuinba^^ von Acoluthen getragen.
Huhe 36 Vs Centimeter, grOsste Anadelmiiiig des Fasses 39 Gentimeter. XV. Jahrhundert
Da dieses Reliquiengefäss eine originelle, von dem beinahe feststehenden
Typus der mittelalterlichen Reliquiarien abweichende Form hat, so dürfte das-
selbe schon seiner eigenthümlichen Anlage wegen eine genauere Betrachtung sei-
ner Detailformen verdienen.
Auf vier liegenden Löwen, in Bothkupfer gegossen und vergoldet, erhebt
sich ein viereckiges längliches Piedestal als Sockel in der Höhe von 4Vs Centime-
ter, das an seinem aufrecht stehenden Seitentheil eine ä jour Durchbrechung in Vier-
passform zeigt Auf der oberen Fläche des Piedestals liegt ein Halbcylinder von
massiger Höhe, der mit gefassten Edelsteinen verziert, in Ghamieren beweglich ist
ST. CCNIBEBT. 17
und zugleich als Deckverschluss dazu dient, die in dem ausgehöhlten Fusstheil
au&unehmenden Beliquien zu verschliessen. Auf den vier Ecken dieses Untersatzes
st^en kleine in Bothkupfer gegossene und ciselirte Statuettchen in der Höhe von
1 1 Centimeter. Dieselben sind mit Humeralen und Alben bekleidet, gleichsam als
Acoluthen, und tragen auf zwei langen Stäben, die auf den Schultern derselben zu
ruhen scheinen, eine Art „tumba^, die ähnlich einem kleinen „scrintum^ formirt
ist. Der kleine Behälter, der auf diesen Tragstangen ruht, ist im Sechseck ge-
halten und aus geschlififenem Bergkrystall angefertigt An den beiden Eopftheilen
wird diesem kleinen Kiystallsarge durch gedoppelte Widerlagspfeiler, die auf
beiden Seiten ein Giebelfeld flankiren, ein architektonischer Abschluss gegeben.
Unter diesen beiden Giebelfeldern stellt das eine auf der danmter liegenden platten
Fläche in erhaben aufliegenden ciselirten Figuren die Elrönung Maria's dar, das
andere die Ej-euzigung Christi.
Auf den inneren Umfangswänden dieses horizontalliegenden Erystallbehälters
erheben sich auf der Spitze kleine thurmförmige Aufbauten, nach unten hin qua-
dratisch angelegt, auf welchen ebenfalls kleinere Erystallröhren im Sechseck ein-
gefügt sind, die als verschliessbare Behälter oben von einem kleinen Helm über-
ragt werden, auf deren Spitze die beiden Figuren der sogenannten Passionsgruppe
Maria und Johannes stehen.
Die auf der oberen Spitze dieser kleinen Erystalltumba horizontal gelegte
Klammverzierung wird in der Mitte unterbrochen durch einen viereckigen thurm-
förmigen Aufsatz. Die obere Erystallröhre desselben nebst verschliessbarem Dach-
helme, die ehemals ohne Zweifel mit einem kleinen Grucifixbilde abschloss, ist
leider verloren gegangen und wird heute auf eine unzweckmässige Weise durch das
kleine Bildniss eines Genius als Engel, der die Posaune bläst, ergänzt. Dieses
eingeschobese figurale Ornament rührt offenbar als Giebelverzierung von dem Ma-
cabäer-Schreine her, der unter Fig. 23 der I. Lieferung eine eingehende Besprechung
gefunden hat.
Betrachtet man die technische Ausführung dieses Mausoleums, so kann frei-
lich nicht behauptet werden, dass dieselbe durch Feinheit der Form und Ausfüh-
rung sonderlich imponire; desto mehr aber fällt die originelle Composition in die
Augen, wodurch die feierliche Erhebung, „translatio^ der Ueberbleibsel der Hei-
ligen von ihrer irdischen Begräbnissstätte angedeutet, und welcher Akt von Dia-
conen oder Ministranten in geistlichen Gewändern vollzogen wird.
Viele kleinere Details, unter andern auch die unentwickelten Blätter, die
als Krabben die beiden Giebelschrägen verzieren, scheinen darauf hinzudeuten, dass
der vorliegende Beliquienbehälter im Beginn des XY. Jahrhunderts seine Entste-
hung gefunden habe.
18 8T. CUNIBEBT.
57.
Schangef&ss,
aus Silber, rergoldet.
Höhe 42 Vi Centimeter, grOsste Breite 11 Centimeter, Darchmesser des Fasses U'/s Centimeter.
XV. Jahrhundert.
Von kleineren Reliquiengefässen, die eine bo delicate Ausarbeitung der De-
tailformen zur Schau tragen, dürfte sich heute in den Sacristeien Köbis wohl kei-
nes mehr erhalten haben, das aus der Yerfallzeit der Grothik eine solche Eleganz
der Formen erkennen lässt, wie man dieselbe an dem vorliegenden Ge&sse wahr-
nimmt. Der Fuss dieses Gefässes, in Yierpassform mit angesetzten Spitzen angelegt»
die dem Flamboyant-Style als sogenannte „Eselsrttcken^* entnommen sind, enthält auf
seinen vier Flächen in äusserst zarter Gravur eine mit vielem Schwung und Ausdruck
eingravirte Darstellung der Symbole der vier Evangelisten. Auf diesem schmalen
Fusse erhebt sich, über Eck gestellt, eine quadratisch gebildete yjistula^, die in
ihrer Mitte ein ^pamellum^ aufnimmt, das ebenfalls im Viereck construirt, auf den
vier Seiten, correspondirend mit den Blättern des Fusses, eine kleine Kreuzblume,
erhaben aufliegend, hervortreten lässt. Auf dieser Röhre erhebt sich über einem
schön profilirten Knaufe ein kleiner Sockel, der, quadratisch gehalten, als Piede-
stal eine kleine Krystallröhre aufnimmt, die als durchsichtiger Behälter eine Re-
liquie lunschliessen soll. Dieser 8 Centimeter hohe Cylinder findet seinen Ab-
schluss in einem reichverzierten schlanken Aufsatz, der gleichsam als schwebender
Baldachin die Reliquie überschattet Dieser* kleine Helm, in Form eines zierlich
construirten Dachreiters, ist ebenfalls im Viereck angelegt, und isU der untere
Sockel dieses Thürmchens mit vier Fialen umstellt, die zwischen sich eine reich
durchbrochene Laubbekrönung, im Charakter eines Ziergiebels aufnehmen. Ueber
dieser omamentalen Grundanlage erhebt sich eine ebenfalls im Viereck construirte
und nach oben sich verjüngende grössere Fiale, die mit Spitzsäulchen, von einer
doppelten Kreuzblume überragt, endigt. Den innem Kern der Fiale umgeben an
den vier Ecken freistehende Widerlagspfeiler, die vermittelst kleiner Streben mit
demselben constructiv verbunden und nach oben ansteigend zweimal in Spitzthttrm-
chen sich verjüngend, zu je zwei auch unter einander mit einem ornamentalen
Ziergiebel über Eck in Verbindung gesetzt sind. Dieser leichte Helmavifsatz wird
gestützt und getragen durch ein doppeltes System von Widerlagspfeilem, zu beiden
Seiten des Cylinders befindlich, die als über Eck gestellte Fialen sich nach oben-
hin in Spitzthürmchen verjüngen und von einem Kreuzblümchen überragt werden.
Um die Leeren zwischen den beiden Seiten des Cylinders und diesen stützenden
Widerlagspfeilem auszufüllen, hat der Goldschmied sehr zweckmässig die äusseren
Fialen auf jeder Seite durch eine Fensterstellung mit einfachen Maasswerkverzie-
mngen verbunden. Die inneren Räume zu beiden Seiten des Cylinders sind durch
ein Astgeflechte kunstreich ausgefüllt, in der Weise ^ wie das erst in der Spät-
ST. CüOTBERT. 19
gothik in der Goldschmiedekimst zur Anwendung kömmt. Wie die Abbildung zeigt,
ist die Gomposition und der Aufbau dieser gefälligen y,manstrantiola^ eine durchaus
glückliche zu nennen; auch tritt die technische Ausfährung bescheiden und an-
spruchslos aufy so dass man nicht leicht Gefahr läuft , ttber der zu sehr gekttnstel-
ten und delicaten technischen Ausführung, wofür nur Fachleute ein getlbtes Auge
haben, den Werth und die Vorzüge der Gomposition, die nicht minder hoch anzu-
schlagen ist, zu vergessen. Auch einem weniger geübten Auge dürfte es bei näherer
Betrachtung der Detailformen dieses wohlproportionirten Gefasses anschaulich wer-
den, dass dasselbe in den beiden letzten Decennien des XY. Jahrhunderts oder
sogar im Anfange des XVI. aus der Werkstätte eines kölnischen Goldschmiedes
hervorgegangen sei, der mit Leichtigkeit in den schwungvollen Formen das „style
flamboiante" sich zurecht zu finden wusste.
58.
Gefilss
zur Aufbewahrung der geweihten Oele, in vergoldetem Silber.
Höhe 29 Centimeter, Darehmesser des Fasses llVs Centimeter. XYI. Jahrhimdert.
Vorliegendes Gef^s, das als Salbbüchse beim Austheilen der heil. Oelung
gebraucht wird, ist in seinen Formen sehr einfach gehalten im Vergleich mit den
reichen Formbildungen, welche sich an jenem altem Salbgefäss entfalten, welches
heute noch in der Pfarre St. Maria Lyskirche in Gebrauch ist*)
Indem wir der Vollständigkeit wegen dieses „vasculum^ hier in möglichst
kurzer Beschreibung nebst Abbildung mittheilen, behalten wir uns vor, bei Gelegen-
heit der Beschreibung des ebengedachten Gefasses Ausführlicheres über die im
Mittelalter gebräuchlichen Salbgefässe zu berichten. Der Fusstheil derselben zeigt, wie
gewöhnlich, eine sechstheilige Rose mit ziemlich tiefen Einschnitten. Auf dem Halse
dieses Fusses erheht sich ein profilirter Aufsatz, aus welchem eine sechseckige kleine
Röhre hervortritt, die sich nach oben fortsetzend, in ihrer Mitte von einem runden
Knauf umfangen wird. Dieser „nodus^ besteht ebenfalls aus sechs Blättern, die
in ihrer Ausbildung die Formen der Spätgothik erkennen lassen. Auf einer zwei-
ten Röhre stützt sich ein ebenfalls im Sechseck construirter Sockel, der als Piede-
stal eine Deckplatte in Elleeblattform aufnimmt, auf welcher in Kleeblattform drei
Gefässe ab kleine Gylinder im Durchmesser von 3 Vz Gentimeter bei einer grössten
Höhe von 6 Gentimeter ruhen. Diese drei runden j^pt/xides^ im Dreieck zusam-
mengefügt, dienen als Behälter zur Aufnahme der geweihten Oele, nämlich 'des
„oleum catechumenorum^^ des „oleum mfirmomm^ und des ^^Chrysma^. Diese drei Be-
*) Die Beschreibang dieser yjpyxit^* aus St. Maria Lyskirche folgt in der IV. Lieferang.
^0 ST. CUNIBEBT.
hälter werden gemeinsam von einem VerschlusB in Kleeblatifonn bedeckt, auf dem
8ieb, im Secheeck angelegt, ein kleiner Helm erhebt, der oben in seiner Spitze
durch einen niedrigen kleinen Knauf abgeschlossen wird. Es dürfte wohl keinem
Zweifel unterliegen, dass dieses einfache Salbgefäss im Beginn des XVI. Jahrhun-
derts angefertigt worden ist. Die schönen Verhältnisse der einzelnen Theile, die
an demselben als gebr gelungen zu bezeichnen sind, dürften dasselbe bei vorkom-
mender Neuschaffung als mustergültiges Vorbild empfehlen.
59.
Beschlag eines antiphonariumsy
<
in Kupfer gegossen.
GnSsstcr Durchmesser des roittleren Beschlages 15 Centimeter, gi^sste Länge der Eckheschläge eben-
faUs 15 Centimeter. XV. Jahrhundert.
Die beweglichen Sängerpulte in den vielen reichen Stiftskirchen des mittel-
alterlichen Köln trugen bis zur Aufhebung derselben noch grosse und schwere
Pergameutcodices als RitualbUcher, in welchen von Miniatoren und Notenschreibem
die zum Chordienste nöthigen Gesangstttcke in kunstvoller Weise eingeschrieben und
mit reichen Initialen und Bildwerken illustrirt wurden. Nur noch wenige Kirchen
Kölns haben aus den Stürmen der Revolutionszeit diese meist prachtvoll ausge-
statteten Eitualbücher bis zur Stunde sich zu bewahren vermocht. Auch dürfte nur noch
eine geringe Zahl derselben mit so reichen Beschlägen verziert sein, wie sich die-
selben an den werthvoUen Chorbüchem von St. Cunibert vorfinden.
Der Beschlag an dem einen Antiphonale, abgebildet unter Fig. 59 u. 59a zeigt
in rohen unentwickelten Formen eine Grossartigkeit der Composition, die heute noch
bei grossem Bitualbüchem, wenigstens der Idee nach, als Mustervorlage maassge-
bend sein dürfte.
Um den schweren Einband auf dem Deckel vor Reibung und Beschädigung
zu schützen, tritt an jedem Eckbeschlage ein starker Knauf in Form einer vier-
blätterigen Rose hervor, wodurch selbst das Gusswerk vor Friction geschützt ist.
In grader Linie neben diesen schützenden Knäufen erheben sich in einer quadrati-
schen Einfassung über Eck gestellt die geflügelten vier Thiersymbole der Evange-
listen, die im rohen Guss ä jour durchbrochen sind. Die beiden zur Spitze an-
steigenden Seiten auf jedem dieser Eckbeschläge sind mit Laubomamenten reich
ausgestattet, die mehr durch ihre Composition als durch feine Ausbildung der Details
imponiren. Die Mitte des Deckels wird auf jeder Seite geschützt durch einen Beschlag
in Form einer runden Scheibe, in deren Mitte frei durchbrochen ein Osterlamm,
das Symbol der Auferstehung, ruht In dem 3 Centimeter breiten um dieses j^agnus
dei^ herumgeftlhrten Rande, schlängelt sich ebenfalls durchbrochen eine zierliche Laub-
guirlande, die ein Pflanzenomament, dem Kleeblatt ähnlich, erkennen lässt Auch die
St. CLNIBERT. 21
Krampen dieses äusserst soliden und stattlichen Codex entbehren durch passende
GraTirungen ihres Schmuckes nicht. Sollte bei vorkommendem Entwurf von Be-
schlägen zur Zierde ftir Messbttcher die Idee der vorliegenden adoptirt werden, do
dürfte darauf Bedacht genommen werden müssen, dass unter Beibehaltung des Mo-
tives sämmtliche Details und Ornamente, an einem kleineren Messbuche angewandt,
eine feinere und delicatere Ausführung zu erfahren hätten. Der in Rede stehende
PergamentrCodex zeigt im Innern eine in Scalen von fünf Linien stehende Nota-
tion in kölnischer Weise. Die schöne Schrift, sowie einzelne Initiale in vielen
Farben ausgeführt, sind Belege dafür, dass das vorliegende umfangreiche Manu-
script gegen Mitte des XV. Jahrhunderts von Klosterschreibem begonnen worden
ist. Die Fortsetzung und der Schluss wurden der Inschrift zufolge von den Mi-
niatoren und Schreibern des Conventes Wydenbach erst im Jahr 1553 hinzugefügt,
so dass das Antiphonale von verschiedenen Händen in seiner jetzigen Gestalt erst
gegen Mitte des XVI. Jahrhunderts vollendet wurde. Die darauf bezügliche inter-
essante Inschrift lautet mit Umgehung der Abkürzungen also:
„/n laudem Dei^ Mariae virghns, Kumberti et aliorum hnjus ecclesiae patro-
norum olim inchoatum est istud antiphonale a fratribus in Wydenbach grandl pecu-
nia per diversarum personarum manus adjutrices anno 1553 perfectum, loeatumque
ante subsellia dominorum vicariorum in totere domini decani ad quortim usum pe?*-
manere perpetuo debet.^
Ein zweites nicht weniger voluminöses Graduale wird in der Sakristei von St. Cuni.
bertausder alten Stiftszeit herrührend, noch aufbewahrt, das in zierlichen Durch-
brechungen in Kupfer gegossene Eckbeschläge aufzuweisen hat, wie sie sich in ähnli-
cher Form ehemals häufiger an solchen schweren Chorbtichem in Pergament vorfinden
mochten.* Diese Beschläge sind schlicht und einfach gehalten, und geben
dieselben in derber Ausführung ein gothisches Laubwerk zu erkennen, das in die-
ser Formation das XV. Jahrhundert hindurch bei kölnischen Gelbgiessem gang
und gäbe zu sein scheint. Als Eigenthümlichkeit dieser Beschläge verdient noch
bemerkt zu werden, dass die Durchbrüche derselben ursprünglich abwechselnd in
roth und blau bemaltem Pergament hinterlegt waren.
Auch die Krampen, Schliesser dieses Chorbuches tragen in derber Gravi-
rung zwei Standbilder des heil. Cunibert und des heil. Clemens.
Das in Rede stehende guterhaltene Chorbuch zeigt auf dem ersten Blatt eine
merkwürdige Inschrift, woraus erhellt, dass die Brüder des Conventes Wydenbach
im XVI. Jahrhundert, alß die Buchdruckerei in Köln schon in grösserem Umfange
blühte, noch immer als Abschreiber und Miniatoren in Thätigkeit waren. Derselbe
lautet:
ff ad laudem Dei omnipotentis, sanctae et indhiduae Trrnitatis, beatae Mariae
semper virginis 9anctorumque Clementis, Ewaldortim et Cumberti patronorum abso-
lutus consummatusgue est liber iste pef* fratres in Wydenbach. Quem scribi cura-
verunt honorabiles et providi ewecutores honorabilis Mychelbach hujus ecclesiae dum
m'ant canonici presbyteris. Anno domini millesimo quingentesrmo XXXIII pro rA
carüs in latere domini praepositi stantibus et canentibus, "
22 ST. CÜNIBERT.
Ebenso befinden sich in der Sacristei von St Cunibert noch zwei pracht-
voll erhaltene ältere Chorbücher, deren zart ausgeführte Miniaturbilder von der
grossen Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit kölnischer Miniatur-Maler aus dem
Beginn des XVI. Jahrhunderts Zeugniss ablegen. Fllr den speciellen Zweck, den
wir uns in diesem Werke gestellt haben, gewähren die massiven Metallbeschläge
dieser letztgedachten Chorbttcher kein besonderes Kunstinteresse, indem sie keine ent-
wickelte Form zeigen, sondern blos auf der, in ihren Deckel hineinragenden Spitze
mit einer fleur de lis verziert sind.
Ehemaliger Schatz der Stiftskirche von St. Cunibert.
Der Beliquienschatz der vormaligen Stiftskirche vom h. Cunibert muss den
Berichten Gehlen's zufolge noch im XYII. Jahrhundert umfangreich gewesen sein.
Man erkennt das aus der reichhaltigen summarischen Aufzählung von Reliquiarien,
die unser Gewährsmann aus einer gedruckten Tafel, die ihm vorlag, aufgestellt hat.
Leider verbreitet sich der ebengedachte Beschreiber der ehemaligen Grösse Kölns
nicht über die Ge^^talt und formelle Beschaffenheit jener kostbaren und kunstrei-
reichen Gefässe, worin diese zahlreichen Reliquien ehrfiirchtsvoU aufbewahrt wur-
den. Der gedachte kölnische Chronist theilt diese Schätze von St. Cunibert ein nach
Rubriken, in welchen die Heiligen in Weise der Litaneien nach den verschiedenen
Cötus aufgezählt werden. Zu der ersten Rubrik gehören Reliquien in kostbaren
und kunstreichen Fassungen, die zu der Person des Heilandes, seiner jungfräulichen
Mutter und zu dem Vorläufer Johann Baptist in directer Beziehung standen.
Unter andern seltenen Reliquien hebt er daselbst hervor: eine grosse bemerkens-
werthe Partikel vom heiligen Kreuze, deren Echtheit durch Feuer erprobt worden
sei. In älteren Schatzverzeichnissen, die wir in grosser Zahl allenthalben abschrift-
lich anzusammeln Gelegenheit hatten, ist oft von solchen durch Feuersgewalt authen-
tisch bewährten Reliquien die Rede. Dem zu Folge hat man an vielen Orten, wie
das im Geiste des Mittelalters lag, gleichsam durch ein Gottesurtheil die Echtheit
solcher Schätze bestätigen lassen wollen.
" Eine weitere Rubrik zählt grössere Reliquien der Apostel auf, unterlässt es
aber, ebenfalls die Reliquienbehälter, worin dieselben aufbewahrt werden, des
Weiteren zu beschreiben. Die folgende Abtheilung führt in langer Reihe eine
grosse Menge von Ueberbleibseln heiliger Märtyrer auf. In einer andern Rubrik
begegnet man der Angabe einer grossen Zahl von Reliquien aus der Reihe der
Bischöfe und Bekenner. Unter diesen heben wir hier hervor Kelch und Stoledes
h. Cunibert, Erzbischofs von Köln und Patrons der besagten Kirche. Da der h.
Cunibert im YHI. Jahrhundert lebte und am austrasischen Hofe bei den firänki-
sehen Königen in hohem Ansehen stand, so wttrde heute dieser authentische Kelch
und diese Stole zur Beurtheilung der Kunstweise der vorkarolingischen Epoche von
grösstem Interesse sein. Unter den zuletzt angeführten Reliquien befand sich auch
ST. CÜNIBERT. 23
in einer koBtbaren Monstranz mit Krystalleylinder eingeschlossen die „barba sancti
ÄnUmh\ monachi et eremitae^. Unser Gewährsmann erzählt davon folgende merk-
würdige Begebenheit. In jedem Jahre, wann die Gottestracht Ton der Stiftskirche
St Cunibert ihren Ausgang genommen und dieselbe den Märtyrerplatz der h. Ur-
sula und ihrer Gesellschaft erreicht habe, so sei aus dieser Reliquie, zu dem grössten
Staunen der Umstehenden, sofort eine Menge Schweiss und Wasser hervorgeträufelt.
Zu der letzten Klasse der Keliquien in zierlichen Gelassen waren in dem ehemaligen
Schatze von St. Cunibert noch zu rechnen verschiedene Gebeine heiliger Jung-
frauen. Unter diesen hebt Gehlen besonders hervor eine Reliquie der h. Katharina
von Älexandrien, deren sterbliche Ueberbleibsel heute noch in dem von der Kaise-
rin Helena auf dem Berge Sinai gegründeten Kloster ruhen. Durch die Kreuz-
züge scheinen mehrere Reliquien dieser berühmten Jungfrau und Märtyrerin in das
christliche Abendland gekommen zu sein. Merkwürdiger Weise finden sich heute
noch zahlreiche Urkunden vor, worin hochgestellte glaubwürdige Männer als Augen-
zeugen bestätigen, dass in ihrem Beisein aus diesen kleinem Gebeinen der h. Ka-
tharina ein feines Oel hervorgetröpfelt sei. Daher auch wohl in so vielen älteren
kirchlichen Schatz Verzeichnissen die Angabe „de oleo sanctae Catharinae^.
Eine solche Reliquie, die dieses Oel emaniren liesse, besass. Gehlen zufolge,
auch der ehemalige Schatz von St. Cunibert.*) Bei den gewaltsamen Silberablie-
ferungen, die die französischen Commissäre im Auftrag ihres Gouvernements am
Schlüsse des vorigen Jahrhunderts bei den reichem Stiften Kölns anzuordnen sich
in der Lage sahen, sind alle diese Kunstgeräthe des Schatzes von St. Cunibert
nebst ihrem ehrwürdigen Inhalte spurlos verschwunden. Zum Beweise, mit welcher
Rohheit und Rücksichtslosigkeit die damaligen fremdländischen Dränger und Sil-
bererpresser bei Eintreibung der Kirchenschätze zu Werke gingen, und wie wenig
diese Leute bei der Sucht und Gier nach Gold und Silber den bei weitem
höher anzuschlagenden historischen Kunstwerth zu schätzen wussten, werden wir,
als Anhang zum Vorliegenden, eine authentische Angabe vom Jahr 1 796 dem Wort-
laute nach mittheilen, woraus zugleich hervorgeht, welche grossartige Kunstschätze
das Stift von St Andreas, damals bei weitem nicht das reichste in Köln, diesen
französischen Commis^ären unwiederbringlich zum Opfer bringen musste.
Wie die meisten älteren und reicheren Stifte Kölns, besass auch der Schatz
von St. Cunibert noch bis zum Anfang dieses Jahrhunderts zwei kostbare gr()3sere
Reliquienschreine in der Länge von 5—6 Fuss, die, unverbürgten mündlichen Mit-
theilungen zu Folge, von einheimischen Zerstörern auf den damals häufig vernehm-
baren Gmnd hin, „was man sich nicht selbst bei Zeiten zu eigen mache, das falle
ja doch später den Franzosen in die Hand'S beraubt und gänzlich entstellt worden
*) Auch die heute noch an Kunntschätzen des Mittelalters reichhaltige Sacristei der ehemaligen
Stiftskirche zu Grefrath im Bergischen besass ehemals eine solche bewährte und vielbesuchte Reliquie
der h. Katharina, an welcher jährlich diese auffallende Erscheinung stattfand. Professor Floss bespricht
dieses merkwürdige Factum ausführlich in seinen ^^geschichtlichen Nachrichten über die Aachener Hei-
lig^htimer*' und bringt zugleich im Anhange eine grosse Zahl Ton Urkunden im Wortlaute bei, wodurch
glaubwürdige Augenzeugen die Richtigkeit dieser Regcbenheit eidlich erhärten.
24 ST. CUNIBEBT.
Bind. Diese beiden ehemals kostbaren Beliquienschreine treten heute dem über solche
Entschuldigungsgrunde erstaunten Kunst- imd Geschichtsforscher als leere nackte Holz-
kasten entgegen. Hinsichtlich ihrer Wiederherstellung scheinen dieselben jener
besseren Zukunft entgegen zu harren, in welcher die Sünden und Verirrungen
der letzten Vergangenheit von den späteren Nachkommen und Urenkeln wieder gut-
gemacht und gesühnet werden sollen. Der ältere dieser „tumbae** verschliesst heute
noch die sterblichen Ueberreste des h. Guniberts, in dem andern werden die Gebeine
der beiden Ewaldi aufgehoben. Di6se beiden Brüder, nach der Farbe der Haare
der „Blonde und der Schwarze Ewald^' genannt, kamen aus Britannien als GUu-
bensboten nach Deutschland, um hier den Brukterem und Sachsen das Eyangelium
zu verkündigen.
Nachdem sie im Anfang des VIU. Jahrhunderts die Palme des Märtyrer-
thums in der treuen Verkündigung des Evangeliums am Niederrhein errungen
hatten wurden ihre Körper in der Gunibertskirche ehrfurchtsvoll beigesetzt
Das eine dieser heute ihres ehemaligen Glanzes völlig entblössten Schrein-
werke scheint dem Schlüsse des XU. Jahrhunderts anzugehören, wie man das
an den in spätromanischem Kleeblattbogen gewölbten Nischen erkennen kann, die,
sich aneinanderschliessend, die beiden Langseiten des Schreines ausfüllen. Unter
diesen baldacbinartigen Wölbungen thronten ehemals, wie das bei sämmtlichen
heute noch erhaltenen Reliquienschreinen der Kölner Erzdiöcese aus dieser Epoche
der Fall ist, die in Silber getriebenen sitzenden Bildwerke der 12 Apostel. Auf
den obem schrägen Bedachungsflächen des Schreines gewahrt man heute noch in
Eichenholz, vertieft eingestochen, je vier leere Medaillons in romanischer Vierpass-
form, die ebenfalls auf dem heute noch erhaltenen kostbaren Schreine des h. Al-
banus in der Pfarrkirche der h. Maria in der Schnurgasse in dieser Gestaltung er-
sichtlich sind.
Vermuthlich waren in diesen Vierpassfüllungen in getriebener Arbeit figuren-
reiche Scenen aus dem Leben des betreffenden Heiligen dargestellt, dessen Ueber-
bleibsel in diesem reichen Mausoleum ruhten.
Der zweite, seines metallischen Schmuckes gänzlich entblösste Reliquienschrein
vom h. Gunibert, scheint der entwickelten Spitzbogenstellung zu beiden Langseiten,
sowie den übrigen Detailformen in Eichenholz nach zu urtheilen, dem Schlüsse des
XUI.» oder dem Beginne des XFV. Jahrhunderts anzugehören. Die kunstlosen
Ueberreste desselben in rohem Holz lassen heute noch deutlich erkennen , dass er
in seiner ehemaligen Pracht und Grossartigkeit eine verwandte formelle Ausbildung
gehabt habe, wie dieäelbe sich heute noch an dem ehemaligen St. Patrociikasten
aus Soest zu erkennen giebt, der, in früherer trauriger Zeit auf die Sclimelze ge-
bracht, einem glücklichen Zufall seine Errettung vor dem Untergange verdankt
Derselbe bildet heute ein Prachtstück unter den vielen Kunstschätzen in dem neuen
königlichen Museum zu Berlin.
,?fu^ ß>i .W«r*in.
Xvß ^JjBarKitt.
$t ^arfin.
Daselbst befindliche Eunstgegenstftnde des Mittelalters.
Seite
3
60) Lichtträger in Form knieender Engel , XV. Jahrhundert. Tafel XVI. Fig. 60 u. 60a .
61} Reliquiengef^ss in Weise einer sechseckigen Monstranz, von Kupfer, vergoldet, XV. Jahr-
hundert. Tafel XVI. Fig. 61 5
62) Schaugefäss in vergoldetem Kupfer, XV. Jahrhundert. Tafel XVI. Fig. 62 ... . 6
63) Ciborium, Silber, vergoldet. XV. Jahrhundert. Tafel XVI. Fig. 63 ....'.. 7
64) Einfacher Messkelch, Silber, vergoldet, XV. Jahrhundert. Tafel XVI. Fig. 64 . . . 9
65) Taufstein iu weissem Marmor, IX. Jahrhundert. Tafel XVII. Fig. 65 10
66) Kusstäfelchen , Kupfer, vergoldet, XV. Jahrhundert. Tafel XVII. Fig. 66 .... 13
67) Antiphonar, mit in Kupfer gegossenen Eckbeschlägen, XVI. Jahrh. Tafel XVII. Fig. 67 14
68) Ehemahger AbbatialsUb mit dem daran befindlichen Tuche, XV. Jahrh. Tafel XVII. Fig. 68 16
Messgewand mit reicher Stabstickerei. Beginn des XVI. Jahrhunderts 17
Ehemaliger Schatz der Benedictinerabtei St. Martin 18
60.
Lichtträger 9
in Form eines knieenden Engels.
Hohe 40 Centimeter. XY. Jahrhundert.
Im Mittelalter hatte der Leuchter eine vielfach variirende Gestalt. Wir er-
innern hier nur im Vorbeigehen an die originellen Formen der Cerogtaten in der
romanischen Eunstepoche. Es hatten nämlich diese Lichthalter bis zum XDI. Jahr-
hundert die Form von Drachen, Bucentauren, Greifen oder anderen sagenhaften
Thieren, die von Riesen oder grotesken menschlichen G^talten geritten und gebän-
digt wurden. *) In der Regel tragen dann diese Reiter die Lichthalter.
Die Gothik hatte für die Leuchter einfachere Formen zur Geltung gebracht.
Entweder erschienen seit dem XIV. Jahrhundert in Messing gegossene Leuchter, ähn-
lich jenem, den wir unter Fig. 1 3 L Lief, unter den Geräthschi^n der Jesuitenkirche
beschrieben haben, oder man nahm zu figuralen Darstellungen in getriebener Arbeit
Zuflucht und formte als Lichtträger knieende Engel , die , in Weise von Chorknaben,
Lichtständer tragen, welche zur Befestigung eines Wachslichtes geeignet erscheinen.
Auch die vorliegenden Lichthalter zeigen die ältere Form von knieenden Engeln,
die als Acoluthen zierlich gearbeitete Armleuchter tragen. Diese knieenden Engels-
gestalten sind nicht, wie die Lichtträger aus dem Schatze des Kölner Domes, die
wir unter Fig. 43 L Lief, näher beschrieben haben, in Silber getrieben, sondern in
Eichenhok sculptirt und glänzend vergoldet. Ftbr unseren vorliegenden Zweck
haben diese interessanten Bildwerke insofern ein näheres Interesse, als die künst-
lich gearbeiteten Armleuchter, die von diesen Sculpturen getragen ~ werden, den
metallischen Künsten des Mittelalters angehören, indem dieselben aus geschmiede-
tem und gravirtem Eisen bestehen und ein Schüsselchen zum AuflFangen des Wach-
ses tragen, dessen Detailformen in Kupfer ausgeführt sind. Was nun die Gompo-
sition und technische Ausführung der Bildwerke in Eichenholz betrifl%, so muss
*) Yergl. ähnliche Lichtträger in den Melanges d^Arehiologie par M. Martin et Cahier.
T. IL pag. 42. HinHichtlich der originellen Form der romanischen Leuchter in Thierbildungen yergl.
unsere Abhandlung ttber den Leuchter des Thassüo im Schatze zu Cremsmünster in den Mittheilungen
der K. K. Oommission zur Erhaltung der Monumente. Februarheft 1859.
4 ST. MARTIN.
heiTorgehoben werden, da«s die Haltung derselben und die Detailausführungen den
Meissel eines tüchtigen altkölnischen Bildschnitzers verrathen, der dem ungeftigigen
Holze liebliche und seelenvolle Gestaltung abzugewinnen gewusst hat. Wir glauben
nicht, dass unter den Bildschnitzereien aus dem Schlüsse des XV. Jahrhundert» bei
Engelfiguien lieblichere und kindlichere Gesichtszüge gefunden werden dürften, als
dieselben an den beiden gedachten Bildwerken zimi Vorschein treten. Die beiden
knieenden Figuren sind, wie das immer bei Engeln der Fall ist, in einem kirch-
lichen Costüme dargestellt, nämlich mit dem Humerale, der Albe und dem Cingn-
lum, jedoch ohne Stole. Dieselben scheinen im Fluge niederzuknieen und halten
einen, auf einem vorspringenden Knie gestützten kleinen Leuchter, der seinem Profil
nach an die Spätgothik erinnert. Auf diesem Untergestell erhebt sich als beweg-
licher Armleuchter in einer Schraube ein Aufsatz, der in dieser origineUen zier-
lichen Anlage selten mehr angetroffen werden dürfte. Wir haben deswegen diesen
oberen Aufsatz unter No. 61a auf Tafel XVI in vergrössertem Massstabe besonders
dargestellt.
In einer viereckigen Kapsel, die nach oben und unten eine ornamentale
Vergoldung zeigt , erhebt sich in Form der lateinischen Majuskel S eine Ausladung,
deren Windung auf beiden Seiten von spätgothischen Laub- und Pflanzenomamen-
ten schwungvoU umgeben ist. Auf der Spitze dieses gevmndenen Armes hat der
geschickte Schmied ein Schüsselchen von Messing angebracht, das die Bestimmung
hat, in seiner breitem Umkreisung das herabträufelnde Wachs aufzufangen. Die-
ses tellerförmige Schüsselchen hat nur nach untenhin ein durchbrochenes Lauboma-
ment, das in ähnlicher Formation an den Gusssachen in Messing häufiger wieder-
kehrt. Es dürfte nicht schwer halten, aus den entwickelten Detailformen der Arm-
leuchter mit einiger Sicherheit die Zeit genau zu bestimmen, wann diese beiden
trefflichen Bildwerke von einem kölnischen Schnitzer angefertigt worden sind. Das
reichgelockte sfylisirte Haupthaar, welches durch ein Stimband befestigt ist, desglei-
chen die charakteristische Draperie der Gewänder mit tiefgehenden zierlich geknick-
ten Faltenbrüchen lassen deutlich erkennen, dass die Ausgangszeit der Gothik
herangenaht war, als die beiden Acoluthenleuchter angefertigt wurden und möchten
wir die Entstehuiigszeit dieser Bildwerke in die letzten Jahrzehnte des XV. Jahr-
hunderts versetzen. Wir erinnern uns nicht, auf grösseren Reisen Lichtträger
in einer so edlen zierlichen Form, wie diese, vorgefunden zu haben. Nur ähn-
liche lichttragende Engel, jedoch als stehende Figuren und auch nicht in einer
solch delicaten Ausfdlunng, sahen wir auf dem Hauptaltar der St. Sebalduskirehe
zu Nürnberg. Dieselben waren, wie es uns damals schien, in Kupfer gegossen
und ciselirt. Auch in der Pfarrkirche zu Rottweil in Schwaben fanden wir mehrere
Engelsgestalten in Lindenholz geschnitzt und reich vergoldet, die als Leuchter
damals noch auf dem Altar in kirchlichem Gebrauch waren.
Da die gothischen Leuchter in Messingguss heute etwas derb und unent-
wickelt erscheinen, so dürfte es ein lohnendes Unternehmen sein, wenn es von
befugter Seite unternommen würde , die oben beschriebenen kunstvollen Lichthalter
galvauoplastisch niederschlagen und auf diese Weise fllr den kirchlichen Gebrauch
ST. KARTIN. 5
yemeUältigen zu lassen. Es verdient alle Anerkennung, dass der jetzige trefiTIiche
Küster von St Martin diese beiden seltenen Lichthalter dadurch vor einem unfreiwil*
ligen Exil ins Ausland rettete, dass er dieselben aus eigenen Mitteln anzukaufen sich
entschloss. Ohne Dazwischenkommen desselben würden heute diese interessanten
Leuchter vielleicht in einem ausländischen Privatmuseum ihre Bewunderer finden.
61.
Reliqaiengeföss
in Form einer kleinen sechseckigen Monstranz, Kupfer, vergoldet.
Höhe 41 Centimeter, Durchmesser des Fasses 16 Centimeter, Durohmesser des oberen Gefässes
S5 Centimeter. ZV. Jahrhundert
I)ieses schlanke, zierlich construirte Reliquiarium dient noch heute dazu,
eine ziemlich grosse Partikel vom heiligen Kreuze in einem engen geschliffenen
Krystallcylinder aufeunehmen, auf welchem sich eine „schedula'' von Pergament be-
findet, die in gothischen Minuskeln eine ziemlich erloschene Inschiift enthält.
Vorliegende „monslrantiola" dürfte heute noch von altem Reliquiengef^sseu
in Köln das einzige sein, das nach oben sich im Sechseck aufbaut. Es zeigen sich
nämlich, den mnem Krystallcylinder umstehend, sechs Widerlag- und Strebepfei-
ler in einer Höhe von 14 Centimeter, welche auf einem iiinden Sockel basiren.
Dieselben sind , um ihnen eine leichtere Construction zu geben , in drei Rundbogen-
stellungen durchbrochen und verjüngen sich nach oben in zwei Fialen. Bei
diesen Spitzsäulchen geht von jeder Strebe aus ein kleiner Strebebogen, der in
eine Hohlkehle einmündet, die sowohl als obere Einfassung des Gylinders, wie
auch als Unterlage des, das ganze Gefäss leicht und zierlich bekrönenden Helmauf-
satzes dient. Dieser Helm, im Sechseck angelegt, ist auf allen Seiten durch ä
jour durchbrochene Maasswerkverzierungen belebt. Auf jeder der sechs Ecken
erheben sich Fialen, die je zwei die giebelförmige Ueberhöhung eines Spitzbogens
flankiren, welche oben durch eine Kreuzblume abgeschlossen wird. Der Helm
wird jetzt durch eine kleine gewundene Hohlkugel überragt, auf welcher als
Piedestal das gegossene und ciselirte Standbildchen eines Märtyrers steht; derselbe
ist im kriegerischen Waffenschmuck dargestellt , rührt offenbar aus der Renaissance
her und ist erst später diesem Reliquiar unzweckmässig eingeftigt worden. Die
enge Krystallröhre basirt auf einer runden Gonsole, die sich nach unten trichter-
förmig in ein Sechseck zusammenzieht und durch einen gleichfaUs sechseckigen
Knauf abgeschlossen wird, der die Verbindung mit einem Ständer vermittelt. Die-
ser Ständer wird in seiner Höhe durch einen Knauf als Handhabe des GefUsses
unterbrochen. Die formeUe Behandlung des Ejiaufes ist eine eigenthümliche, wie
wir sie noch selten gefunden haben, jedoch zum Gebrauche eine sehr bequeme
und daher für die Nachbildung zu empfehlen. Der untere TheU des Ständers ist
6 ST. MABTIK.
mit einem architektonischen, ebenfalls im Sechseck gefonnten Sockel versehen , der
auf dem schlank ansteigenden Halse des Fasses aufsitzt und, wie bei den meisten
Beliquiengefässen des XV. Jahrhunderts, als sechsblätterige Rose mit tiefen Ein-
schnitten construirt ist Dadurch, dass der Band des Fusses schmal gehalten ist,
die einzelnen Blätter im Halbkreis tief eingeschnitten sind, und der ansteigende
Hals des Fusses ziemlich stark ausrundet und nicht flach sich erhebt, hat der
schlanke Oberbau dieser niedlichen Monstranz ebenfalls ein zierlich leichtes Fuss-
stück gewonnen. Sowohl die modellirten Laubomamente an dem ebenerwähnten
Knaufe, als auch die edelgeformten Bildungen des Aufsatzes lassen ziemlich deut-
lich erkennen, dass das vorliegende Beliquiarium gegen Mitt« des XV. Jahrhun-
derts entstanden sein dürfte. Was die im Sechsecke gehaltene constnictive Anlage
des obem Aufsatzes betrifit, so gehört dieselbe wohl zu den selteneren Formationen,
die an ähnlichen Beliquiarien und Monstranzen angetroffen werden. Eine verwandte
Anlage, jedoch im Achteck, findet sich auch ziemlich analog wieder an dem schönen
gothischen Schaugefäss in dem reichhaltigen Schatze der ehemaligen Stiftskirche
St. Victor zu Xanten am Niederrhein , welche in dem prachtvollen Bildwerke von
E. aus'm Werth eine charakteristische Abbildung gefunden hat. *)
62.
Kleine Reliquien -Nonstranz.
Kupfer, vergoldet. XV. Jahrhundert.
Höhe 16 Ccntimeter , grösste Breite 12 Centimeter, Durchmesser des Fusses 15 Ccntimeter 3 Millimeter.
Die Composition der vorliegenden Reliqmenmonstranz ist einfach und edel;
die Ausführung der Detailformen jedoch in einzelnen Theilen ist ziemlich roh und un-
beholfen. Auf dem flachen Fusse, eine sechsblätterige Böse mit ziemlich tiefen Ein-
schnitten vorsteUend, erhebt sich eine runde ROhre mit Bogenstellungen und Zinnen-
bekrönung, die sich ihrer Kürze wegen als Unterfangssockel iUr eine schmälere
Bohre, auf deren Absöhluss oben der Knauf aufsitzen sollte, ankündigt; diese
zweite Bohre fehlt aber gegenwärtig und ist vielleicht schon längere Zeit verloren
gegangen. Unstreitig hatte diese Verbindungsröhre , gleichwie die noch über dem
Knauf befindliche , eine Höhe von zwei Centimeter. Bei dem Abgange dieses Thei-
les des Ständers ist der Untertheil besagten Schaugefässes ziemlich zusammenge-
drückt und unbeholfen geworden. Die den Knauf als Handhabe überragende platte
Bohre trägt einen trichterförmigen Aufsatz , welcher in seiner grössten Erweiterung
durch eine Zinnenbekrönung mit darunter befindlicher Verzahnung im Bundbogen
*) Vgl. Fig. 4. Tafel XVIII, der ersten Lieferung des Werkes „die christlichen Kunstdenk-
male des Niederrheins von £. aus'm Werth ^*, T. 0. Weigel. Leipzig 1853.
ST. MARTIN. 7
abgeschlossen wird. Auf diesem Untersockel erhebt sich, und zwar auf einer an-
steigenden Abschrägung, ein Glascylinder, der nach oben und unten yon einer
durchbrochenen Galerie eingefasst wird. Zu beiden Seiten desselben sind in den
untern trichterförmigen Sockel zwei einander gegenüberstehende Widerlager einge-
fügt, die auf einem scheibenförmigen Sockel basiren. Diese Widerlager sind in
der Mitte durchbrochen und ist diese Durchbrechung von einem Baldachinchen in
ziemlich roher Arbeit überragt, unter dem sich auf jeder Seite je eine kleine Sta-
tuette in Guss ohne Giseliruhg befindet, eine männliche und eine weibliche Hei-
ligenfigur vorstellend. lieber diesen Statuettchen ist eine Abschrägung angebracht,
die nach vorne hin mit einem Ziergiebel, an welchem sich jedes Mal ein kleiner Was-
serspeier befindet, abschliesst. In der Mitte oberhalb der Abschrägung erhebt sich
eine Fiale, und auch die nach oben sich verjüngenden Widerlagspfeiler sind alle
mit einem solchen über Eck gestellten Spitzsäulchen bekrönt.
Der bewegliche Abschluss und die Bedeckung des Cylinders, in welchem
heute Reliquien verschiedener Heiligen aufbewahrt werden, bildet eine ausgehöhlte
Halbkugel , welche in die obere umfassende Bekrönung des Cylinders eingreift. Auf
dieser Halbkugel ist ein rhomboidenfbrmig über Eck angelegter Sockel basirt,
welcher als Redestal das Standbildchen einer Madonna aufnimmt, die von
einem regelrecht construirten Baldachin überragt wird. Dieser ganze baldachin-
artige Aufsatz ist auf beiden Seiten mit Fialen geziert, die nach oben hin in ge-
wöhnliche Spitzsäulchen ausmünden und an ihrer Basis zu beiden Seiten kleine
Ziergiebel einschliessen. Diese letzteren steigen treppenfbrmig nach oben an, wie
solche bei der Profan -Architektur in Backsteinen häufiger angetroffen werden.
Den Baldachin umgeben an den vier Seiten vier Ziergiebel, welche in solcher
Formation bei den Goldschmieden des alten Köln selten angetroffen werden. Als
Abschluss und Bekrönung erhebt sich nach oben ein platter Helm, auf dessen pyrami-
dalisch ansteigender Spitze das Zeichen der Erlösung sich befindet, ideal und oma-
mental gehalten und mit dem ciselirten Bilde des Gekreuzigten. Einem Stylgefühle
folgend, würden wir, den Detailformen nach zu urtheilen, vorliegendes Gefäss dem
Beginne des XV. Jahrhunderts zuzuschreiben uns veranlasst sehen.
63.
Speisekelch (Ciborium)
in Silber, vergoldet. XV. Jahrhundert.
WÜM 4t Centimeter, Darchmesaer des aohteokigen Gefiteses 1 Centimeter, Durehmesser des Fasses
165 Centimeter.
Unter den verschiedenen liturgischen Gef ässen findet man in der Regel nicht
nur an dem Kelche, der seit der frühesten christlichen Zeit zur Gonsecration des
Weines während der Feier der heiligen Messe diente, eine reichere Entwicklung
8 ST. MABTIK.
der Formen , sondern gleichfalls auch an dem Ciborium , in welchem die conse-
crirten Hostien aufbewahrt und bei der Communion den Gläubigen dargereicht werden.
Das in Rede stehende Getäss ist seiner Bestimmung nach ebenfalls als Ciborium zu
betrachten; jedoch bedient man sich desselben, seiner geringen Dimension wegen,
nicht zur Austheilung der heiligen Communion in der Kirche, sondern es wird
dasselbe in Gebrauch genommen, um den Kranken die h. Wegzehrung zu bringen.
Als solches vereinigt es auch noch heute den andern Zweck in sich, als Reposi-
torium zur Aufbewahrung des „oleum infirmorum" zu dienen, und ist dieses ge-
weihte Oel gesondert in einem eigenen Behälter (pyxis) aufgehoben, welcher in dem
oberen Aufsatze in Form eines kleinen architektonischen Aufbaues verschlossen wird
Dieser obere Aufsatz ist im Sechsecke angelegt, und die sechs Fensterstellungen
werden von Ziergiebelchen überragt ,' die auf beiden Seiten von Fialen flankirt sind,
n'n denen gegen Regel und Zweck kleine Wasserspeier angesetzt sind. Aus dieser
stylwidrigen Construction, sowie auch an den Detailformen und deren technischen
Ausarbeitungen sieht man sofort, dass dieser Theil nicht primitiv, sondern in neue-
rer Zeit hinzugefügt worden ist. Den primitiven Theil dieses (retässes bildet die
im Sechseck angelegte Kuppe mit Ständer und Fussgestell. Diesen sechseckigen
Behälter, in welchem in einer besonderen beweglichen Schale die „sacra species"
eingeschlossen ist, umgiebt am äussern Rande eine zierlich gearbeitete Kanunver-
zierung mit gothischem Laubwerk, die zugleich als Bekrönung des beweglichen
Aufsatzes dient, welcher als Deckel das Ciborium verschliesst Der sechseckige
Behälter erhält nach allen Seiten zierliche Widerlagspfeiler, die sämmtlich aufemem
consolartigen Sockel mit Laubomamenten ruhen. Um das Massenhafte dieser Wider-
lager zu heben, hat der geübte Goldschmied den untern Theil derselben mit einer
Bogenstellung durchbrochen und bei der Wasserschräge an dem oberen Theile
dieser Streben zweckmässig kleine Wasserspeier von abwechselnder Form ange-
bracht. Diese Widerlagspfeiler verjtlngen sich nach oben in Spitzsäulchen, die wahr-
scheinlich bei der jüngsten Restauration hinzugefügt worden sind. Die sechs Flä-
chen dieses Behälters sind einfach mit gothischen Masswerkverzierungen belebt, und
zwar zeigen sich nicht auf jedem Felde, wie dies auch sonst wohl vorkommt,
immer anders construirte Formen, sondern es ist überall dasselbe Motiv beibehal-
ten. Es lässt sich nicht verkennen, dass der Groldschmied bei Decorirung seines
G^fässes rein constructiv verfahren ist; sonst hätten sich diese breiten Flächen sehr
dazu geeignet, um figürliche Darstellungen in Gravinmgen anzubringen, wie die-
ses z. B. an dem prachtvollen noch jetzt im Besitze der Pfarrkirche zu Rees am
Niederrhein befindlichen Ciborium der Fall ist, welches in acht Feldern meister-
haft gravirte Figuren mit Spruchbändern zeigt, in denen entsprechende Seligkeits-
preisungen aus der Bergpredigt eingravirt sind. Der Ständer ist sechseckig
gehalten und platt, ohne Verzierung der Felder. Das „tnanubrium** in Mitte dieser
sechseckigen ROhre ist ebenfalls sechstheilig construirt, aus welchem eben so viele
viereckige Pasten stark hervortreten, die rhomboidenförmig über Eck gestellt, wie
das bei sehr vielen Kelchen und Ciborien der Fall ist, die sechs Buchstaben des
Kamen Jesus (kierogramma) in älterer Minuskelschrift glänzend auf carrirtem
ST. MARTIN, 9
Tiefgrande zeigen. Auch das Fussstück giebt die sa oft wiederkehrende seehs-
blätterige Rose mit tiefen Einschnitten zu erkennen.
Der Gk)ldschmied hat den untern Band des Fusses ziemlich breit formirt
und den Hals des Fussstttckes nicht sehr ausgeschweift, sondern etwas schräg an-
steigen lassen. Dadurch hat der Fuss eine etwas schwerfällige Form erhalten, die
jedoch mit der grossem Anlage des obera Behälters in richtiger Harmonie steht.
Das Yorii^ende Geföss dürfte bei Neuschaffung eines Ciboriums besonders ftlr
Landkirchen als mustergültiges Vorbild zu empfehlen sein. Aehnliche Ciborien
haben sich in dieser einfachen Weise noch in vielen Kirchen der Erzdiöcese Köln er-
halten. Die Pfarrkirche zu Marienheide bewahrt heute noch ein Ciborium in ganz ver-
wandten Formen wie das vorliegende. Auch besitzt die Pfarrkirche zu Vallendar bei
Koblenz zwei ausgezeichnet schöne Gefässe in ähnlicher Gonstruction, welche heute
als Beliquiengefässe benutzt werden. Ein besonders reiches Ciborium dieser Art
von verwandter Gonstruction, jedoch etwas reicher gehalten, befindet sich in der
Pfarrkirche zu Kempen bei Crefeld. Wir glauben der Wahrheit ziemlich nahe zu
konmien, wenn wir die Vermuthung aussprechen, dass das vorliegende Gefäss ge-
gen Mitte des XV. Jahrhunderts seme Entstehung gefunden habe.
64.
Messkelch.
Silber, vergoldet. XV. Jahrhundert.
Höhe iS Centimeter 4 lüUimeter, Durohmeaser des Fusses 15 Centimeter. Durchmesser der Kuppel
10 Centimeter.
Der vorliegende schlichte Messkelch gehört in die Kategorie jener einfachen
und bequemen Kelche, wie sie für den alltäglichen Gebrauch in der letzten
Hälfte des XV. Jahrhunderts * von der kölnischen Zunft der Groldschmiede in
ziemlich constanten Formen angefertigt zu werden pflegten. Derselbe hat
in seinen gelungenen Proportionen mehr die Bestimmung, durch seine ein-
fachen schönen Verhältnisse zu wirken, als durch die künstliche Ausbildung
seiner Details die Aufmerksamkeit zu fesseln. Aehnlich wie die einfachen Mess-
kelche von St. Gereon und der Jesuitenkirche, die wir in der 1. Lieferung dieses
Werkes eingehend beschrieben haben, hat auch der vorliegende Kelch einen tief
eingeschnittenen Fuss, eine sechsblätterige Rose bildend, mit stark vorspringendem
Bande. Auf dem schlank ansteigenden Halse des PedalstUckes erhebt sich eine
gleichfalls sechseckige Röhre, deren verschiedene Flachtheile durch eingravirte Fi-
guren belebt sind, die den Verfall der Gothik schon deutlich zu erkennen geben.
Auch- der bequem geformte Knauf ist sechstheilig gehalten; allein die rhomboiden-
fbrmigen Pasten (rötuli) zeigen nicht die Buchstaben des bekannten Hierogramms
„Jesus^i sondern vertieft eingravirte Laubomamente. Da nach unserem DafÜrhal-
10 ST. MARTIN.
ten der vorliegende Kelch erst aus dem Anfange des XVI. Jabrbnnderts her-
rührt, so giebt auch die Kuppe nicht mehr jenen strengen, wir möchten fast sagen
architektonischen Zuschnitt zu erkennen, wodurch meist geradlinig ansteigend sieh
die Kelche des XIY. Jahrhunderts auszeichnen, sondern die „cuppa^ zeigt nach
unten bereits eine kleine Ausbauchung und eine unmerkliche Bandausbildung an
der äusseren Peripherie.
Neben dem Kreuze, dem y,signaculum^, das ebenfalls architektonisch formirt
ist, zeigt sich von Kreisen umzogen ein kleiner Wappenschild in der Spätform der
Gothik, der, wie es uns scheint, das Monogramm einer Zunft oder einer religiösen
Genossenschaft mit den dabei befindlichen Buchstaben B. B. erkennen lässt. Zu diesem
Kelche hat sich auch noch ein kleines tellj^rförmig vertieftes Schüsselchen ^patena^
im Durchmesser von 14 Centimeter erhalten, das ebenfalls primitiv zu sein scheint
65.
Tanfstein^
in achteckiger Form als Monolith aus einem weissen Marmor angefertigt.
Grösste Höhe 1 Meter S Centimeter, grösste Breite 84 Centimeter.
Unstreitig nimmt die vorliegende yjvns baptismalis^ in Bezug auf ihre reiche
Formation unter allen Taufbecken Köln's die hervorragendste Stelle ein. Die Ein-
richtung und Beschaffenheit dieses Taufsteins mit seinem geräumigen Behälter zur
Aufnahme der geweihten Flüssigkeit erinnert an die älteren Taufbecken vor dem
X. Jahrhundert, als die Untertauchung (siibmersio) des Täuflings noch bei Spendung
des Sacraments der Taufe stattfand. Zum Beweise dafllr können auch die
verschiedenen Vertiefungen auf dem oberen Bande iies Taufbeckens ange-
sehen werden, worin, wie dies der Augenschein lehrt, bei seinem primitiven Ge-
brauche eiserne aufrecht stehende Stangen zur Aufnahme von Vorhängen (vela^
pallia) befestigt waren, damit die Taufhandlung mit der gehörigen Decenz vorge-
nommen werden konnte. Das Taufbecken erscheint in seiner äusseren Form
als ein Parallelogramm, dessen vier Winkel abgestumpft sind, wodurch sich, wie
oben angegeben, das Achteck bildet mit acht stumpfen Winkeln. An diesen vier
Seiten, an welchen nämlich die Winkel durch eine gerade Fläche abgeschnitten sind,
laden vier Löwenköpfe ziemlich weit aus, und ein zierliches Bankenwerk, von dem
offenen Bachen derselben ausgehend, verzweigt sich als Laubgeflecht, das in
der Breite von 1 Centimeter den oberen Band des Taufbrunnens nach allen Sei-
ten umgiebt. Dieses zierliche Laubwerk zeigt einen bestimmt ausgeprägten roma-
nischen Charakter in einem dreimal gespaltenen Halbblatte, in der Weise, wie
dasselbe im romanischen Style immer wiederkehrt. An den beiden Langseiten des
Taufbrunnens zeigen sich in einer Höhe von 45 Centimeter je zwei achtblät-
terige Blumen, welche sich in ihrer Form sofort als eine mit Absicht gewollte Imi-
ST. MARTIN. It
tation von Wasserrosen (nymphea alba) zu erkennen geben. Im Innern dieser
Blumenbildungen erheben sich als Knospen ziemlich hervortretende Staubfäden.
Die Nachbildung der „nymphea^f die hier als Sinnbild des Wassers, welches im Innern
des Behälters eingeschlossen wird, treffend von dem Künstler angebracht worden
ist, haben wir in dieser Durchbildung der Form bisher noch nicht vorgefunden,
und wäre es für die Kenntniss der symbolischen Anwendung von Pflanzen interes-
sant, von anderer Seite zu vernehmen, ob diese Wasserrosen auch noch an andern
reicher sculptirten r^f(mte$ bapHsmales^ anderwärts vorkommen. Die altem Tauf-
steine, wie man sie heute noch aus der Frtthzeit des Christenthums vor dem X.
Jahrhundert in der Erzdiöcese Köln hin imd ^p^der antrifft, zeigen meistens in sehr
roher kunstloser Form die Darstellung des Fisches und jener übrigen Thiere, welche
im Wasser leben. Auch sind dieselben nicht achteckig, sondern mehr als j^pü-
cinau rund gehalten, und an vier Stellen derselben ragen ebenfalls Löwenköpfe her-
vor, die häufig als Gapitäle dienen, womit vier freistehende Säulchen gekrönt sind.
An den vier Abschrägungsseiten, wodurch, wie schon vorher bemerkt, die
rechten Winkel abgeschnitten werden, sind die Blätter der Wasserrose nach dieser
Seite hin zur kleinem Hälfte umgebogen; auf diesen zwei schmäleren Kopfseiten
finden sich ebenfalls zwei dieser achtblätterigen Rosen vor , deren kleinere Hälften
nach der andem Schmalseite hin umgebogen sind, so dass die lanzettförmig zu-
gespitzten Blätter sich an diesen abgeschnittenen Seiten unter dem Löwenkopfe
fSftst berühren. Sämmtliche Blätter dieser Wasserrosen haben in der Mitte einen
stark hervortretenden Blattnerv und sind ziemlich energisch und tief ausge-
hauen, so dass sie als Belief plastisch hervortreten. Wir lassen die unverbürgte
Biehtigkeit einer Tradition unangefochten, die da angiebt, dass der vorliegende
Taufbrunnen ein Geschenk Papst Leo's IH. an die Schottenabtei von St Martin
sei, die, ehemals auf einer von einem Rheinarme umflossenen Insel gelegen, ausser
dem Dom allein das ^Jus baptismale^ besessen haben soll. Da sich durch Urkunde
das Alter dieses merkwürdigen Taufbrunnens nicht mit Sicherheit feststellen lässt,
so mag die Annahme ihre Berechtigung finden, dass dieser Tau&tein von Leo Ul.
bei der Gelegenheit, als er, in Paderborn anwesend, die Hülfe des grossen Karl gegen
seine Dränger in Italien erbat, der Schottenabtei von St. Martin zugleich mit dem
Taufrechte verliehen worden sei. Sowohl das Material, aus welchem dieses sel-
tene Sculpturwerk angefertigt ist, als auch seine originellen Detailformen und nicht
weniger die eigenthümliche Anlage derselben bekunden ein hohes Alter und dürf-
ten fast für die Richtigkeit der obigen Ueberlieferung zur Geltung gebracht wer-
den. Wir glauben nämlich dem Umstände ein besonderes Gewicht beilegen zu
müssen, dass der in Rede stehende Taufbrunnen aus demselben Material, einem
weissen Marmorsteine, gearbeitet worden ist, aus welchem der Stuhl Karls des
Grossen, desgleichen auch die korinthisirenden alten Marmorcapitäle auf den Säu-
len im Aachener Octogon angefertigt worden sind. Da nun im frühen Mittelalter
der weisse Marmor meistens aus Italien bezogen wurde, und er sonst auch der Kost-
spieligkeit des Materials und der Härte der Bearbeitung wegen in deutschen Sculp-
turen sehr selten seine Anwendung fand, so dürfte man sich mit Rücksicht auf das
12 ST. MABTIN.
Material und im Hinblick auf die obige Tradition zu der Annahme hinneigen,
dass entweder von Leo III. der Marmorblock den Benedictinem der Schottenabtei
von St. Martin zugleich mit Verleihung des Taufrechtes verehrt worden sei, oder
dass die ebengedachte Abtei von Leo IQ. das vorliegende Taufbecken in derselben
künstlichen Ausstattung, wie es sich heute vorfindet, zum Geschenke erhalten hätte.
Gegen die erste Annahme, Leo III. habe von Italien aus den Marmorblock zu der
vorliegenden reichen Sculptur hergesendet, spricht indessen der Umstand, dass die
sculptirten Ornamente an dieser rj'ons baptismalis^ einen durchaus fremdartigen,
nicht romanisch-deutschen Charakter zur Schau tragen, die, wir möchten fast sagen,
an griechische Detailformen mehr erinnern. Wahrscheinlicher dürfte auch vor dem
Fonim einer strengeren kritischen Beurtheilung die Annahme sich Geltung ver-
schaffen: Leo m. habe, wie ältere Chronisten das angeben sollen, dem Schotten-
kloster zu Köln im Jahr 803 vorliegenden Taufstein in weissem Marmor in seinem
jetzigen Habitus als Geschenk verehrt.*) Es dürfte die Hersendung eines solchen
umfangreichen Monolithen nicht eigenthümlich und befremdend erscheinen, zumal es
geschichtlich begründet ist, dass Karl der Grosse nicht nur aus Ravenna, sondern
auch aus Rom eine grosse Menge von kostbaren Sculpturen zum Baue seiner Pfalz-
kapelle in Aachen mit grosser Mühe über die Berge schaffen liess. So rtlhren
nachweislich jene Porphyrsäulen, die heute theilweise noch das octogone Bauwerk
zu Aachen schmücken, von ravenatischen Bautrümmem her, deren Erbauung in die
Zeit des classischen Roms oder in die der Gothen-Könige fällt Will man in
Rücksicht auf das seltene und fremdländische Material, woraus der Taufbrun-
nen von St. Martin besteht, und nicht weniger im Hinblick auf die originellen höchst
merkwürdigen Formen dieses trefflich sculptirten Taufbrunnens die altehrwürdige
Tradition aufrecht halten, so dürfte vielleicht noch folgende Conjectur zulässig er-
scheinen. Es habe nämlich Leo HI. bei Gelegenheit, wo er aus Italien an den
Kaiserhof Karls des Grossen nach Deutschland kostbare Baumateriale von Ravenna
und Rom eingesendet, auch vorliegendes Taufbecken den Schotten von Köln zum
Geschenke mit beigeftlgt.
Nach der Aussage älterer Bewohner Kölns ist der jetzt unschöne und un-
förmige Deckel erst zur Zeit Wallraffs neu angefertigt worden, nachdem leider auf
Veranlassung des Letztgenannten der alte Verschluss entfernt und mit ihm auch
jenes vielleicht ursprüngliche eiserne Stab- und Gitterwerk beseitigt worden ist,
das den obem Theil des Taufbeckens so abschloss, dass an diesen eisernen Stangen
die oben gedachte Umhüllung vorgenommen werden konnte. Es lohnte sich der
Mühe, wenn gelegentiich von competenter Seite in Italien Nachforschungen ange-
stellt würden, ob in altem Kirchen Italiens, aus der karolingischen Kunstepoche
herrührend, sich heute noch Taufsteine in jenen Formationen aus Marmor sculp-
♦) AuffaUend erscheint es, dass Gclenius in seiner y,Colonia sacra** mit keiner Silbe dieses Tauf-
beckens erwähnt, obschon er ziemlich ausAlhrlich aller Schutze und Monumente der Abteikirche ge-
denkt.
ST. MARTIN. 13
tirt vorfänden, die mit dem vorliegenden verwandtechaftliche Beziehungen aufzu-
weisen hätten.
66.
Reliquiengefäss,
in Form eines ^^osculum pacis". Kupfer, vergoldet. XV. Jahrhundert.
Höhe 22 CeDtimeter, Breite des Fusses 11 Ccntimeter, Tiefe 3 Gentimeter 4 Millimeter.
Aehnliche Beliquiengefässe kommen heute noeh vielfach in den Saeristeien
ehemaliger Stifts- oder Abteikirchen vor, und zwar wurden diese Osculatorien nach
dem Agnus Dei der Hochme^sen, wie früher schon bemerkt, jedem im Chor-
omate anwesenden Kleriker vom Subdiakon zum Friedenskusse dargereicht.
In diesen Gelassen waren in der Regel Reliquien eingeschlossen oder sie enthiel-
ten auch in Silber getriebene oder in Elfenbein geschnitzte Darstellungen meistens
aus der Lebens- oder Leidensgeschichte des Heilandes. Noch heute sind dieselben
bei grossem Stifts- und Kathedralkirchen zu dem angegebenen Zwecke im Ge-
brauch und zwar bestehen sie ftlr die Anwendung an Festtagen gewöhnlich
in reicherer Form und edlem Material. Vorliegendes Gefäss , in französischen Kir-
chen „/a patir" genannt, scheint für den täglichen Gebrauch, vielleicht in der vor-
maligen Abteikirche der Schotten zu St. Martin in Köln, benutzt worden zu sein,
wie aus der einfachen Form und dem Material hervorgeht, das dazu verwen-
det worden ist. Auf einem einfach profilirten länglich viereckigen Fussstücke er-
hebt sich eine rechteckige Umrahmung, die nach drei Seiten mit einem durch-
brochenen schräg abstehenden Rande versehen ist, in welchem sich in einfachen
Fassungen quadratische Glaspasten befinden, die mit rother, grüner oder blauer
Folie unterlegt sind. An diesen abstehenden Rand schliesst sich zu jeder Seite ein
Widerlagspfeiler an, der auf einem consolförmig gebildeten Sockel basirt ist. Zwi-
schen den beiden Abschrägungen der Widerlager erhebt sich als Ornament auf-
liegend ein gewundenes Säulchen, oben von einem kleinen Giebel überragt, hinter
welchem eine Abschlusssäule hervortritt, die unter dem bekrönenden Spitzsäulchen
mit der Kreuzblume ebenfalls einige YRndungen zeigt. Die letzte Wasserschräge
an dem Widerlagspfeiler setzt sich als Strebeverbindung fort und schliesst an den
Fuss eines im sogenannten Eselsrücken überhöhten Spitzbogens an, der im Innern
durch vorspringendes Nasenwerk im Kleeblattbogen zerlegt ist. Auf diesem über-
höhten Bogen erheben sich in Form von Krabben kleinere Blattansätze, an die sich
auf der Spitze eine Art Kreuzblume anschliesst, die ihrerseits wieder von einem
kleinen Crucifixe überragt ist. Noch ist zu bemerken, dass von den beiden Grund-
basen dieses geschweiften Spitzbogens Verbindungslinien gleichsam als Strebewider-
lager nach den bekrönenden Abschlussfialen ausgehen, die mit stellenweise sich
ansetzenden Krabben verziert sind.
14 ST. MABTIN.
Auf dem Fusse des Torliegenden ^jpaix^^ erblickt man heute einen kleinen
Wappenschild mit über's Kreuz gelegten, wie es scheinen will, Marterpalmen und
einem lateinischen Kreuze.
Offenbar waren in diesem ,, asser ad pacem^ im Innern hinter Glas Reliquien
deponirt, welche später durch ein werthloses Bildchen in Kupferstich ersetzt worden
sind. Dass hier Reliquien eingelassen werden konnten, bezeugt eine hintere Deck-
platte, die mit einem Chamier zum Auf- und Zuschluss versehen ist und in Form
eines Spruchbandes eine Handhabe trägt, womit das Gefäss den Einzelnen zum Frie-
denskusse dargereicht werden konnte.
Die Composition dieses Kusstäfelchens ist sehr einfach und anspruchslos, aber
von gefälligen Verhältnissen. Auch ist die technische Ausführung so gehalten, wie
sie dem einfachen Materiale des Kupfers als solchem zukonmit
Das Yorliegende Gefäss dürfte gegen Schluss des XV. Jahrhunderts von einem
schlichten Meister der kölnischen Goldschmiedekunst gefertigt worden sein, als die
Formbildungen der Gothik schon ausarteten und der neue Styl der modernen Zeit
bereits in der Entstehung begriffen war.
Beschlag eines Antiphonarrams ,
in Messing gegossen. XV. Jahrhundert.
Vor der Einführung des Druckes und der beweglichen Typen bestand in Köln,
wo so viele Stifts- und Klosterkirchen mit einem zahlreichen Klerus bltlheten, eine
eigene Corporation der ^^scriptores et fmniatores"*)^ die sich nicht nur mitBUeher-
abschreiben befasste, sondern die auch in grossartigem Massstabe jene vielen Chor-
bflcher und Notationen auf Pergament anfertigte, die bei der Stiftsgeistlichkeit zur
Absingung der kanonischen Tageszeiten in Gebrauch waren. In den Klöstern be-
fassten sich in der Regel einzelne Laienbrüder mit der künstlerischen Anfertigung
und Ausstattung solcher „b'bn. chorales,'' und besonders scheinen die Conventualen
des Hauses Wydenbach in Köln die Abschrift solcher stattlichen Chorbücher viel-
fach auf Bestellung angefertigt zu haben. Auch in Nonnenklöstern fanden sich kunst-
geübte Hände, die der obengedachten Kunst oblagen. Von solchen regelrecht ge-
schriebenen Chorbüchem mit mehr oder weniger reich verzierten Initialbuchstaben
besitzt, als spärliche Ueberreste, fast jede Kirche in Köln noch einige Exemplare.
Auch St. Martin hat noch fünf solcher stattlichen Chorbücher aus der allgemeinen
'^'i Man nannte diese Kunstschreiber deswegen y^miniatores*^^ nicht weil sie „en miniature" kleine
Bildchen und Initialen herstellten, wie irrthttmlich angenommen wird, sondern weil sie ihre Schriften
mit Mennige (rnfnium) anfertigten; deswegen lautet die Erklärung eines älteren Glossars: ,^miniator
qui minio scribiV^
ST. MABTm. 15
Zeretörungs- und YerwttBtuDgsperiode zu Anfang dieses Jahrhunderts sich gerettet,
und zwar rtthren dieselben nicht Tom ehemaligen Schottenstifte der Benedictiner her,
sondern aus der dabei befindlichen Pfarrkirche von St Brigitta und der ehemaligen
Pfarrkirche von St. Laurenz. Einige dieser Chorbttcher sind mit reichen Initialen
und Miniaturen im Innern ausgestattet und lassen in ihrer Omamentationsweise
deutlich erkennen, dass sie in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts von köl-
nischen Miniatoren angefertigt worden sind.
Fast alle diese heute ausser Gebrauch befindlichen „libri chorales^ sind zum
Schutze der Ecken mit reich durchbrochenen, reich gearbeiteten Beschlägen ver-
sehen, die meistens, vom Gelbgiesser angefertigt, einen und denselben Kunststempel
erkennen lassen. Diese sämmtlichen Gesangbücher, wie sie auch in den übrigen
Kirchen Kölns noch gefunden werden, sind in kräftigem, schwerem Schweinsleder
eingebunden, dessen kleine eingepresste Ornamente deutlich erkennen lassen, dass
der Einband in einem der letzten Jahrhunderte aufs Neue vorgenommen worden
ist, jedoch so, dass die alten noch unbeschädigten und formschönen Besehläge bei
dem neuen Einband wieder ihre Anwendung fanden. Auch an dem vorliegenden
grösseren Antiphonarium in der Sacristei von St. Martin ist diese „vestis" im XVII.
Jahrhundert erneuert worden , man hat jedoch zu diesem kräftigen Einbände jene
älteren Eckbesätze vneder benutzt, die, aus dem Beginne des XIV. Jahrhunderts
stammend, ehemals einem älteren Choralbuche zum Schutze und zur Zierde gedient
hatten.
Obschon diese acht Eckstttcke und zwei mittlere Füllungen durch einfachen
rohen Metallguss erzielt worden sind, so entbehren sie hinsichtlich ihrer Stylisirung
nicht jenes charakteristischen Formtypus, wodurch sie sich als Bildungen aus dem
Beginne des XIV. Jahrhunderts sofort zu erkennen geben. Auch die einfachsten
Formen dieser obengedachten Kunstepoche, die einen einheitlichen allgemeingülti-,
gen Kunsttypus besass, tragen eine Entschiedenheit, Klarheit und Originalität
der Formen zur Schau, wodurch sie sich vortheilhaft von den ängstlichen, ver-
worrenen und unklaren Bildungen der heutigen Zeit unterecheiden. In den Eck-
besätzen zeigt sich überall und in gleichmässigen Unterbrechungen ein schön styli-
sirter einköpfiger Adler, mit einer Krone gekrönt, in der Darstellungsweise, wie er
in der Regierungszeit Friedrichs des Schönen und Ludwigs des Bayern häufig in der
Heraldik vorkommt. Das Laubwerk, das in diesen Eckbeschlägen (vergl. Fig. 67)
den Adler als freies Ornament umgiebt, lässt in seinen Gestaltungen noch einige
Nachklänge an romanische Laul)omamente durchblicken.
Der Schutzbeschlag, in Kreisform, auf der Mitte des Deckels lässt, mit Laub-
guirlanden abwechselnd, kleine Thierunholde, nämlich kriechende Salamander er-
kennen, wie diese phantastischen Bildungen in der Elfenbeinsculptur und in der
Miniatur-Malerei aus dem Beginn des XIV. Jahrhunderts häufig angetroffen werden.
Die Schliessen des Buches mit ihren spätgbthischen eingravirten Ornamen-
ten, die auch auf unserer Zeichnung veranschaulicht sind, gehören dem Schlüsse
des XV. Jahrhunderts an, sind also bedeutend jünger, als die obengedachten grös-
seren Beschläge.
16 ST. MARTIN.
Bei Composition von neuen Beschlägen für grössere Chor- und Messbtteher
dürften die ebengedachten Beschläge als Vorbilder und Anhaltspunkte betrachtet
werden.
68.
Abbatialstab,
mit dem daran befindlichen y^pannisellus*^ y ehemals zustehend den infulirten
Aebten der Benedictiner Abtei St. Martin.
Bekanntlich machten sich die Abtstäbe von dem j^pedum epücopale** dadureh
kenntlich, dass von der Krümme der Abtstäbe jenes „sudarium" herunterhing, das
in älteren Schatzverzeichnissen gewöhnlich die Bezeichnung 9,Tttchelchen*^ (pamd-
sellus) ftlhrt Einen solchen Stab mit dem Abbatialtüehelchen trugen bei öffentUcben
Feierlichkeiten im alten Köln ausser dem Abte von St. Martin noch die mitrirten
Prälaten von St. Pantaleon, der Abtei Deutz und der Abtei von Brauweiler.
Dieselben führten, bei öffentlichen Processionen mit Mitren bekleidet, den-
selben kirchlichen Ornat, wie er dem Erzbischof zustand, jedoch sollte der j^panm-
sellus" anzeigen, dass ihnen nur die bischöflichen Insignien als Decorum zugestanden
seien, dass sie aber nicht an der bischöflichen Jurisdiction participirten. Der unter
No. 68 in Abbildung veranschaulichte Abtsstab von St. Martin ist hinsichtlich seiner
Compositioii und technischen Ausführung vollkommen identisch mit jener Krümme
des ,fpedum abbatiale", wie. dieselbe auf Taf. XXTTT dieser Lieferung veranschauhcht
ist. In der Curvatur des Stabes ersieht man, von Baldachinen überragt, den
Patron der Abtei, den heiligen Martin, wie er mit dem Schwerte seinen Mantel
zertheilt. Unterhalb der Krünune erblickt man in zierlich gestalteten Nischen die
ciselirten Standbildchen mehrerer Heiligen. Die untere Röhre des Abtsstabes, in
Silberblech gehalten, war nicht glatt und rund, sondern gedreht.
Bis zum Schlüsse des vorigen Jahrhunderts befand sich dieser schöne Abts-
stab unter den Schätzen und Kleinodien von St. Martin. Leider hatte derselbe das
Unglück, dass er in seinen wesentlichen Theilen in vergoldetem Silber angefertigt
war. Dieses scheint die einzige Ursache gewesen zu sein, weswegen er in den
Augen der französischen Gonunissare in Ungnade fiel und in die Schmelze wan-
dern musste, wohingegen der gleichartige Abtsstab in Kupfer vergoldet zu Deuz bis
zur Stunde aufbewahrt wird.*^) Nach der sehr genauen Abbildung zu urtheilen
hing das „sudarium^ vermöge einer kleinen Schnur beweglich an einem vorspringen-
*) Wir haben uns erlaubt, diesen ehemaligep Stab Ton St. Maitin, da sich dazu noch ein geeig-
neter Raum auf Tafel 17. fand, abzubilden und zu beschreiben, obgleich er, wie oben bemerkt, heute,
wie so viele andere Schätze von St Martin, verschwunden ist. Die Zeichnung haben wir einem alten
Bilde entlehnt^ das den Piraten Libler, f 1652, angethan mit allen Insignien seiner Abtswürde^
darstellt.
J
ST. MAETIN. 17
den Pflanzenornamente der Curvatury und bestand der Originalzeichnang zu-
folge dieser f,panniselltu", was das Stoffliche betrifft, aus zwei Theilen. Mit
dem leinen weissen Tuche umwickelt, hält die Hand des Abtes den obern Theil
der Bohre, damit, wie es den Anschein hat, der Handschuh (cheirotheca) nicht
durchs häufige Anfassen der metallnen Bohre beschmutzt werden oder Schaden
nehmen konnte. Der andere Theil des Tttchelchens, der reich yerziert ist, hängt
für sich, getrennt von der Krümme, geradlinig herunter und ist dieser Theil mit
Ornamenten reich verziert Die obere Ausmttndung dieses ^pannisellus" zeigt die
Form eines Dreiecks mit reicher Perlstickerei an allen drei Seiten. In der Mitte
erblickt man in Stickerei das Brustbild einer Heiligenfigur. An dieses dreieckige
Ornament schliesst sich eine netzförmige Stickerei an, die die obere Hälfte des
Ttlchelehens in seiner Ganzheit umgiebt und umschliesst Die untere Hälfte besteht
aus einem weissen Stoff, der nach unten hin mit einer seidenen Franse abgeschlos-
sen wird. In der Begel bestehen diese alten Stickereien , ihren stofflichen Theilen
nach, aus einem mehr oder weniger feinen Byssusstoff, einem zarten Leinen, das
unserer heutigen Gaze nicht unähnlich ist Ein ähnlich verziertes Sudarium, die
heute zur grössten Seltenheit geworden sind, sahen wir im bischöflichen Museum
zu Münster; auch fehlt an demselben die obengedachte netztörmige Omamenta-
tion nicht
Wir werden in der vierten Lieferung unseres Werkes „Geschichte der litur-
gisöhen Gewänder^' uns tiber das Geschichtliche und die Form dieser Abbatialtttchel-
chen näher verbreiten. Hier nur noch die Angabe, dass wir in einem ausführ-
lichen Inventar der Schätze und kirchlichen Gebrauchsgegenstände des St Veita-
domes zu Prag von 1387 hinsichtlich dieser Sudarien folgende interessante Notiz
yorfanden und zwar unter der Ueberschrift: ^^rubrica de pamsellü":
„Item paniseUus dictus pamyczyl pendens in curvaiura, primus est de perUs
cum nodis argenteis deauratis kabens imagmem Christi.^
„Item secundus paniseUus cum perlis et tribus nodulis perlarum.*^
68.
Messgewand (ohne Zeichnung)
mit reicher Stabstickerei. Beginn des XVI. Jahrhunderts.
Nachdem bereits im ersten Viertel des XVI. Jahrhunderts , von Italien und
Frankreich ausgehend , der Einfluss der neu belebten römisch - griechischen Formen
sich auch am Rhein und namentlich in Köln Eingang verschafft hatte , dauerten in
keinem Eunstzweige die Nachklänge der vorhergegangenen heimathlichen Formen
mit solcher Zähigkeit so lange fort, wie auf dem Gebiete der kirchlichen Stickkunst,
wo solche noch bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts wahrnehmbar sind. Als
Beleg zu dem Gesagten verweisen wir auf den vorliegenden, reich in Gold und
3
18 ST- MARTIN.
Figuren gestickten Messomat, der den vielen charakteristischen Details zufolge
gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts von äusserst kunstgettbten Händen ange-
fertigt sein dürfte. Leider ist namentlich das Messgewand durch den Einfluss
der Renaissance heute in seinen kunstreich gestickten Stäben auf beiden Seiten
nicht unbedeutend verkürzt und zugeschnitten worden, so dass auf jeder Seite des-
selben ein Theil der Bildstickerei fortgeschnitten worden ist. Auf der hintern Seite
des Messgewandes hat die Kunstfertigkeit der Nadel im grössten ßeichthume des
Materials, und zwar in Mitte der Kreuzesvierung, die Himmelfahrt und Krönung
der allerseligsten Jungfrau, umgeben von zartgestickten thuribulirenden Engelsge-
stälten, zur Anschauung gebracht Weiter erblickt man auf diesem goldgestickten
Kreuzstabe, jedes Mal von reich in Gold gestickten Baldachinen überschattet, die
Verkündigung und Verlobung Maria's, äusserst reich und zart gestickte Scenen,
in welchen die Innigkeit und die Würde der bildenden Kunst im Dienste der Kir-
che klar und ansprechend zum vollendeten Ausdruck gekommen ist. Auf der vor-
deren \,aurifrisia** dieses Messgewandes ersieht man, ebenfalls in grösster Perfec-
tion der Technik, drei andere gestickte Scenen aus dem Leben des Heilandes.
Zu diesen kunstvoll gestickten Stäben des Messgewandes, die eine grösste Weite von
2t Centimeter haben, existiren heute noch zwei Dalmatiken nut ihren entsprechen-
den in Gold gestickten Aurifrisien, deren viele figuralen Bildstickereien von der-
selben Hand und aus derselben Kunstepoche mit den Bildstickereien des Messge-
wandes herzurühren scheinen. Die Stäbe der Levitenröcke haben eine Breite von
zehn Centimeter und sind auf einem gestickten Goldgrunde (a or battu) eine grosse
Zähl von stehenden Heiligenbildern in grösster Vollendung des Bilderstiches ange-
bracht, die durchschnittlich eine Grösse von 17 — 18 Centimeter haben.
Im Falle die ebengedachten Figurstickereien an der vorliegenden Kapelle
nicht von den Kunststickem des belgischen Flanderns angefertigt worden sind,
deren Hauptschule gegen Ende des Mittelalters in Arras ihren Sitz hatte , so dürf-
ten diese vielen Bildwerke aus der Hand eines sehr befilhigten Meisters des BU-
derstichs aus der angesehenen Zunft der Wappenwirker zu Köln im zweiten Vier-
tel des XVI. Jahrhunderts hervorgegangen sein. Erst vor wenigen Jahren ist es
der Umsicht und dem Interesse des Kirchenvorstandes von St. Martin zur Erhal-
tung von kölnischen kirchlichen Kunstwerken gelungen, bei einem hiesigen Kunst-
händler, in dessen Händen sich diese merkwürdigen Stickereien zum Verkaufe be-
fanden, die obengedachte Kapelle durch Ankauf wieder zu gewinnen und sie auf
diese Weise für die vaterländische Kunst zu erhalten.
Ehemaliger Schatz der Benedictiner-ibtei St. Martin.
Wir haben in diesem Werke nach Beschreibung der wenigen noch vorfind-
lichen Kirchenschätze die nicht angenehme Aufgabe übernommen, zu constatiren«
was in den verschiedenen Kirchen und Sacristeien Kölns an Kunstzierden noch von
ST- MARTIN. 19
dem ehemaligen „heiligen Köln'^ sich aus den Gräueln der letzten Zerstörungsperiode
gerettet hat. Bei sorgfiUtiger Nachforschung nach dem heute Vorfindlichen stiessen wir
begreiflicher Weise allenthalben auf die theils mündlichen, theils schriftlichen An-
gaben: was noch bis zum Eintritt der französischen Fremdherrschaft in Köln sich an
grossartigen Werken der Goldschmiedekunst erhalten gehabt habe. Und da stellte
es sich denn heraus, dass namentlich die ehemaligen Stifts- und Abteikirchen, nach-
dem durch einen Gewaltstreich ihr wohlerworbenes Eigenthum für vogelfrei erklärt
worden war, fast Alles verloren haben, was die ehemaligen Schatzverzeichnisse in
langer Beihe an dort befindlichen kirchlichen Prachtgeräthen aufzählten.
Wenige Abteikirchen Kölns jedoch sind, ihrer ehemaligen Schätze beraubt,
heute so leer ausgegangen, wie die vormalige reiche Abteikirche der Schotten zu
Gross St. Martin. Die spärlichen Eeste, die, in der Sacristei von St. Martin noch
befindlich, oben beschrieben worden sind, stammen grossentheils noch aus der un-
mittelbar neben St. Martin vormals belegenen Pfarrkirche St. Brigitta her.
Wir versuchen es in Folgendem an der Hand älterer Chronisten ein übersicht-
liches Verzeichniss von den Werken der Goldschmiedekunst zu geben, die der „thesau-
rus sacer*' von St. Martin ehemals vor der öffentlichen Einschmelzung in der Zeit der
niuminanten besass. Besonders machte sich durch seine Grösse, seine Schönheit und
seine vielen Detailformen der grosse silberne Reliquienschrein bemerkbar, der die
Truhe mit den Gebeinen des heiligen Märtyrers Eliphius umschloss. Dieser Schrein
war auf Kosten des kölnischen Erzbischofs Hermann, Landgrafen von Hessen, im
Jahr 1485 angefertigt worden und dürfte derselbe eine analoge Gestalt und Fassung
gehabt haben, Vodurch sich heute der in der ersten Lieferung dieses Werkes be-
schriebene Schrein der machabäischen Brüder kenntlich macht. Nach einer neu-
lichen Mittheilung von sonst bewährter und kundiger Stelle soll der ebengedachte
Eliphiuskasten in St. Martin von denselben Goldschmieden gegen den Schluss des
XVTL Jahrhunderts angefertigt worden sein, durch den auch die heute noch er-
haltene „tumba Sti. Engelberti" im Schatze des Kölner Domes, ein Prachtwerk köl-
nischer Goldschmiede aus den Tagen der Renaissance , seine Entstehung gefunden
hat. Ist dieser Nachricht Gewicht beizulegen, so dürfte der im Jahr 1485 ange-
fertigte Schrein im XVH. Jahrhundert eine vollständige Umgestaltung erfahren
haben. Femer ersah man in dem Schatze zwei Hierotheken, als Brustbilder in
Silber getrieben, die der kölnische Chronist mit dem Ausdruck „herma" bezeich-
net, und welche die Häupter der heiligen Paulina und Pignosa enthielten.
In einem andern Reliquiarium von kunstreicher Fassung wurde ein Stück
vom KreuzesholzQ Christi verwahrt.
In einer weitem kostbaren Einfassung ersah man, dem Gelen zufolge, die
Ueberreste jenes Pingers, womit Johann Baptist auf den Heiland hinzeigte.
Ausserdem bewahrte der vormalige Schatz von St. Martin noch mehr als
zwanzig Gefässe und Behälter in mehr oder minder kunstreicher Ausarbeitung,
worin Ueberbleibsel verschiedener Heiligen aufbewahrt wurden. Unter diesen be-
fand sich eine stoffliche Reliquie , ' von welcher sonst in alten Kircheninventaren
häufiger Erwähnung geschieht, nämlich: „de peplo B. M. V.'' Merkwürdigerweise
20 ST. MARTIN.
bestanden diese Ueberbleibsel , die wir unter der Bezeichnung: y,yon dem Schleier
der allerseligsten Jungfrau^* mehrfach zu sehen Gelegenheit hatten, aus einem
äusserst feinen Gewebe von weissliehgelblicher Farbe, und zwar giebt sich dieser Stoff
nicht als Seidengewebe, sondern als zartes egyptisches Lieinen (Byssus) zu erken-
nen. Eine solche Stofireliquie , in ziemlich grosser Ausdehnung , sahen wir in dem
reichhaltigen Schatze zu Prag, wo sie in einem merkwürdigen Krystallkästchen
mit Sculpturen und zierlichen Fassungen noch heute aufbewahrt wird, wie eine
Inschrift auf der Pergamentschedula das angiebt, als y^pcplum B. M. F.'' Dieser
merkwürdige Stoff im Schatze zu Prag stellt sich ebenfalls als ein Byssusgewebe
dar in einer solchen Feinheit, die wir bis heute noch nirgends in dieser Art ge-
Amden haben. Das Gewebe übertrifft an Feinheit und Dichtigkeit die heutige
analoge Seidengaze um ein Bedeutendes.
Einmal im Jahre wurden , wie das noch jetzt in St. Peter zu Rom der Fall
ist, die ebengedachten yielen Reliquien innerhalb der Kirche von St Martin
dem Volke unter entsprechenden Feierlichkeiten gezeigt. Wir glauben mit Sicher-
heit annehmen zu können, dass diese Zeigung der lüeinodien und Reliquien von
St. Martin von den obem offenen Gallerien (loggia) stattfand, die heute noch in
der herrlichen , leider sehr baufälligen ehemaligen Abteikirche der Schotten zu bei-
den Seiten des Chors ersichtlich sind. An derselben Stelle sind auch behufs der
Zeigung der Reliquien in der heutigen St Peterskirche zu Rom ähnliche offene
Logen angebracht.
Bis zu den Tagen des Chronisten Gelen hatte sich im Chor der heutigen
Martinskirche eine uralte Altarmensa erhalten, deren Form und Beschaffenheit, da
sie aus dem Schlüsse des X. Jahrhunderts herrührte , für die Kunstforschung der
Gegenwart ein grosses Interesse geboten haben würden. Dieselbe scheint grossentheils
von Metall gewesen zu sein und man erblickte damals, in Erz vertieft eingegraben,
auf derselben folgende sehr mutilirte Inschrift in lateinischen Unzialbuchstaben :
„f* Warinus Archiepis. Coloniensis ....
. , . . A. Cmis Loculum sed per,^*
Es scheint dieses seltene Kunstwerk leider zu Anfang dieses Jahrhunderts,
wo die schöne Martinskirche im Innern eine gräcisirende, durchaus stylwidrige
und lächerliche Umänderung erfuhr, unbeachtet entfernt worden zu sein, um an
Stelle des entfernten Monumentes den heutigen unförmigen und unpassenden Altar-
koloss construiren zu können.
^^'^
^^emafige 'glaf^^auöRapefle.
Seite
69) Emaillirtes Anlependium mit auf Goldgrund gemalten Heiligenfiguren, theilweise
aus dem XIL, theilweise aus dem XIV. Jahrhundert herrührend. Tafel XVIII.
Fig. 69 3
Ehemalige kirchliche Geßisse und Kunstgeräthe der Rathhauskapelle 7
69.
latependinm eines ehemaligen Altars,
herriihrend aus St. Ursula. Einfassungsränder in Email. XII. Jahrhundert.
Malerei der Füllungen aus dem XIV. Jahrhundert.
Hohe 1 Meter und 14 Centimeter, Länge 2 Meter und 18 Centimeter.
Zweifelsohne besass Köln, als im Mittelalter seine Sacristeien und Altäre
noch mit dem Schmuck jener reichen Kunstwerke geziert waren, welche die Erzeug-
nisse der alten kirchlichen „canfratemitas aunjabrorum^' bildeten, eine grössere Zahl
jener kostbaren „palla (Foro", wie wir sie heute noch in geringer Zahl als Meisterwerke
der romanischen Goldschmiedekunst diesseits und jenseits der Berge vereinzelt ange-
troffen haben. Von den ehemaligen derartigen Altarantependien mit vergoldeten figu-
ralen Darstellungen und zierlichen Einfassungen in Email ist das in Rede stehende
,Jrontaie", heute befindlich über dem Altar in der ehemaligen Rathhauskapelle, der
letzte Ueberrest, der jedoch trotz seiner Entstellung erkennen lässt, in welcher
Construction und in welch' grossartigem Formenreichthume die Goldschmiedekunst
im alten Köln die Hauptfronte des Altars an Festtagen auszustatten wusste. Der
kölnische Altarvorhang, dessen Beschreibung uns gegenwärtig obliegt, besteht in sei-
ner heutigen Gestaltung und Omamentation , wie schon in der Ueberschrift ange-
deutet wurde , aus zwei der Zeit und der Technik nach ganz verschiedenen Com-
positionen. Sämmtliche Umtassungsränder in vielfarbigen verschieden gestalteten
emaua: champleväs, desgleichen die in vergoldetem Bothkupfer getriebenen Verzie-
rungsleisten, gehören spätestens dem Schlüsse des XU. Jahrhunderts an. Die sie-
benzehn auf glattem Goldgrund in kräftigen Conturen gemalten Heiligenbilder jedoch
gehören offenbar in ihren altem Theilen, die bei der letzten Restauration durch
neue nicht ergänzt worden sind, dem Schlüsse des XIV. Jahrhunderts an. Es ist
heute schwer zu bestimmen, welche primitive Physiognomie das vorliegende höchst
merkwürdige Frontale in seinen später er^nzten Theilen ehemals gehabt habe.
Nach Besichtigung mehrerer älterer „paUa (Toro's^y desgleichen nach genauerer Ein-
sichtnahme ähnlicher grösserer Reliquienschreine in derselben emaillirten Einfassung
und Umrahmung glauben wir annehmen zu können, dass in jenen Bogennischen
und Füllungen, in denen heute die obengedachten „goldenen Heiligen" thronen,
ehemals als Basreliefs getriebene Heiligenfiguren ersichtlich waren, die mit den
4 EHEMALIGE RATHHAUSKAPELLE.
vorliegenden gemalten Figuren der Wahl und Anordnung nach identisch gewesen
sein dürften. Möglich ist es auch, dass in diesen Bogenlauben und Füllungen
ehemals ähnliche Bildwerke angebracht waren, die durch die Farbenpracht des Email»
den Blick des Beschauers fesselten. Wir überlassen es einer spätem Forschung zu
constatiren, fUr welchen Altar und in welcher Technik jene Bildwerke ausgeführt wa-
ren, die ehemals an dieser interessanten „palliotta altaris*' figurirt haben, und
gehen im Folgenden zu der Detailbeschreibung dieses goldenen Altarvorhanges über.
Das vorliegende Antependium ist durch seine verschiedenen Einfassungen
in drei Hauptcompartimente abgetheilt Die mittlere schmälere Abtheilung
in der Breite von 68 Centimeter zeigt in der Mitte ein rosenförmiges Medaillon,
im Vierpass gehalten, das in seiner grösstcn Ausdehnung 67 Centimeter misst
Dieses längliche Vierpassmedaillon springt auf vertieftem Goldgrunde mit sei-
nem Umfassungsrande Vji Centimeter erhaben vor. Der Rand dieses Medaillons
ist nach innen und nach aussen mit einem omamental getriebenen Kupferblech
umlegt. Die äussere platte Fläche dieses Randes zeigt in zwölf kleinem Compar-
timenten von 8 Vi Centimeter vielgestaltige Oraamentmotive in jenem charakteristi-
schen kölnischen „email ckamplevi", wie es sich in verwandter Form und Technik
so vielfach an grossem kirchlichen Kunstwerken des Xu. Jahrhundert erhalten hat
Die übrigen Zwischenräume waren ehemals zweifelsohne durch kleine Comparti-
mente ausgefUllt, entweder wie gewöhnlich in Filigran mit dazwischen befindlichen
Halbedelsteinen, oder es waren hier in Rothkupfer getriebene und vergoldete oma-
mentale Bleche eingesetzt. Auf den vier Bogen dieses Medaillons erheben sieh
ähnliche, erhaben vorspringende gerade Leisten, wodurch diese mittleren Com-
partimente sich zu der Form eines Kreuzes gestalten. In den vier kleinem Ab-
theilungen und Winkeln, die sich in den Ecken der mittleren Vierung ergeben,
herbeigeführt durch die Form des Vierpasses, erblickt man die Gestalten von musi-
cirenden Engeln, die auf Saiteninstmmenten das Lob der Himmelskönigin verkün-
digen, welche in dem mittleren Medaillon bildlich dargestellt ist. Auf einem reich
verzierten „sedile" hat nämlich die h. Jungfrau Platz genommen und hat der Künstler
den göttlichen Knaben auf dem Schosse der Mutter stehend dargestellt, wie er eben,
in der beliebten Weise der altkölner Schule, im Begriffe steht, eine Blume zu
greifen, die die Madonna ihm darreicht. Bios die Incamationstheile und der
Haarschmuck der Figuren ist in Temperafarbe äusserst zart und weich ausgeführt,
und erinnert der sanfte und liebliche Ausdruck der Köpfe, insofem sie noch primi-
tiv sind, an die wunderlieblichen Heiligenköpfe in der tiefen und innigen Auffas-
sungs- und Darstellungsweise der kölnischen Maler, die den Schluss des XIV. und
den Anfang des XV. Jahrhunderts charakterisirt. Zu beiden Seiten dieser mittlem
Viemng ersieht man je eine grössere quadratische Abtheilung in einer Höhe von
41 Centimeter und in einer Länge von 61 Centimeter. In jeder dieser vertieften
Quadraturen erblickt man, reihenfbrmig über einander geordnet, je drei und drei
Nischen im Rundbogen, die auf kleinen mit Capitälchen gekrönten Pilastem ruhen.
Diese Rundbogen nebst Zwickel und den entsprechenden Trägem sind mit
den gchönsten und schwungvollsten spätromanisehen Laubomamenten bedeckt, die
l;
vi
EHEMALIGE BAtHHAUSKAi^ELLE. 5
als „emaua^ champleves*' in weisslichen, bläulichen und grünlichen Farbentönen jene
charakteristisch zarten Emails zu erkennen gaben, wie dieselben an dem Drei-
königsschreine , dem Albinuskasten , sowie den vielen fieliquienschreinen von Sieg-
burg, sämmtlich Meisterwerke der kölnischen Emailleurs, sich kenntlich machen.
Betrachtet man die vielgestaltigen Laubomamente , die auf diesen grossem email-
lirten Platten ersichtlich sind, und vergleicht man dieselben mit den noch vielfach
erhaltenen Initial- und Miniaturwerken romanischen Styles, so überzeugt man sich,
dass die Anfertigung dieser emaillirten Platten nebst den dazu gehörigen getrie-
benen und ciselirten Ornamenten unwiderruflich der letzten Hälfte des Xu. Jahr-
hunderts angehören. Sämmtliche emaillirte Rundbogen mit den entsprechenden
Pilasterpfeilerchen dienen als nischenförmige Einfassungen in einer Höhe von
38 Centimeter bei einer Breite von 18 Centimeter dazu, auf Glanzgold einzelne
Standbilder von Heiligenfiguren aufzunehmen, die, wie die früher beschriebenen
Figuren der mittleren Vierung, als „aurei sancti", in stehender Haltung und in
sichern und starken Conturen angedeutet sind. Bios das Incamat der Köpfe und
Hände ist in Tempera gemalt, und muss es bedauert werden, dass einige dieser
Köpfe vor der letzten Wiederherstellung vielfach verschwunden waren.*) In der
oberen Beihe befinden sich, zu drei und drei geordnet, sechs Standbilder der
Apostel. In der untern Reihe ersieht man auf der einen Seite drei weibliche Hei-
lige und auf der entgegengesetzten Seite drei männliche Heilige, die als Patrone
Kölns sich zu erkennen geben. Das Vorkommen von sechs Apostelbildem in der
obem Reihe lässt mit ziemlicher Sicherheit den Schluss ziehen, dass die y^palla
(Poro'' Kölns, wie das an den übrigen reichen Antependien der Fall ist, ehemals
auch noch zwei schmälere Flügel aufzuweisen hatte, die die Bestimmung trugen,
die beiden Schmalseiten des Altars entsprechend auszustatten. Dürfte sich dieses
bewahrheiten, so haben zweifelsohne die übrigen sechs Apostelbilder, zu drei und
drei in einer Reihe geordnet, die Füllung der schmäleren Kopfseite des Altars
unter einer gleichen architektonischen Einfassung verziert. Noch fügen wir hinzu,
dass das vorliegende Frontale auf den vier Seiten durch einen 14 Centimeter brei-
ten Rand eingefasst vrird. Das Profil dieses Randes ist einfach gegliedert und giebt
sich als primitiv zu dem Antependium gehörend sofort zu erkennen. Die innere
Hohlkehle dieses breiten Randes war ehemals mit dünn getriebenen vergoldeten
Kupferblechen belegt, die oft vorkommende romanische Ornamente, über einer
Stanze getrieben, zu erkennen geben. Der äussere flache Rand in einer Breite von
fUnf Centimeter nimmt stellenweise eine Anzahl von emaillirten Plättchen auf, die mit
getriebenen vergoldeten Kupferblechen vormals abwechselten oder mit grösseren Fili-
granbändem, welche durch den Schmuck von gefassten Edelsteinen gehoben wurden.
Da es einleuchtet, dass das vorliegende Frontale ehemals den Hauptaltar
einer kölnischen Kirche schmückte, so entsteht die Frage, wie kam diese y,paUa
*) Consenrator Ramboux hat mit grosser Sorgfalt in denselben Pigmenten und möglichst streng
im alten Charakter diese Figuren restaurirt und Überhaupt dem seltenen Kunstwerk in seinen übrigen
Thcilen eine gründliche Wiederherstellung zu Theil werden lassen.
iP
G EHEMALIOE RATHUAUSKAPELLE.
fToro'' aus kirchlichem Besitze in den Besitz der Stadt Köln, die dieses Kunstwerk
provisorisch in der heute als Bildergallerie benutzten Kapelle aufstellen Hess. Wir
wollen hier kurzweg die betreffenden Angaben folgen lassen, die uns a1«i
glaubwürdig von mehreren Seiten mitgetheilt worden sind. Das vorliegende Ante-
pendium hat ehemals, wie verlautet, dem Pfarraltar der St. Ursulakirche zur Zierde
gereicht, der nach Aussage von Augenzeugen noch zn Zeiten des ehemaligen Ursu-
lastiftes unmittelbar am Eingange des Hochaltars, von Abschlussgittem umgeben,
errichtet war. Als nun zu Anfang dieses Jahrhunderts die ebengedachte Kirche einer
sogenannten Verschönerung im Innern zu bedürfen schien und die betreffenden
Arbeiten unter Leitung und Führung von Wallraff ausgeführt und vollendet wur-
den, soll Wallraff in Anerkennung für seine desfallsigen Bemühungen die vorlie-
gende „/?ö//a d'orö" von der Kirche als (Jeschenk erhalten haben. Nachdem die
Privatsammlung W^allraff 's nach dem Tode desselben an die Stadt übergegangen ist,
ist auch das vorliegende Antependium in den Besitz der Stadt Köln gekommen.
Was nun die Parallelen betrifft, die die vorliegende Altarbekleidung mit
den heute noch erhaltenen analogen Altarzierden in Form von Frontalien in edlem
Metall aufzuweisen hat, so muss hier angeführt werden, dass solche Vorhänge heute
nur noch in wenigen Exemplaren diesseits und jenseits der Berge anzutreffen sind.
Die zwei kostbarsten, aber auch zugleich ältesten y,palla d^oro^"- besitzt Italien und
stellen dieselben, in dünnem quadratischen Goldblech getrieben , figurenreiche Sei-
nen aus dem Leben und Leiden des Heilandes dar. Die bekannteste derselben
bekleidet die vier Flächen der Mensa des Hauptaltars in S. Marco zu Venedig;
die andere die vier Seiten des Hauptaltars in der altehrwttrdigen Basilika des beil.
Ambrosius zu Mailand. Obgleich die ^^folla foro*' in Venedig sich eines grös-
seren Rufes als die von S. Ambrosio in Mailand erfreut, so müssen wir doch ein-
gestehen, dass ein genaueres Studium dieser beiden Antependien an Ort und Stelle
uns die Ueberzeugung beigebracht hat: die goldene Altarbekleidung zu S. Ambrosio
dürfte in keiner Beziehung hinsichtlich ihres Kunst- und Metallwerthes niedriger
als die zu S. Marco angeschlagen werden. Die reichste y,paUa tforo** diesseits der
Berge in Goldblech, mit vielen figunüen Darstellungen, getrieben, befindet
sich heute noch in dem Münsterschatz zu Aachen und hat dieselbe mit den
ebengedachten norditalienischen Altarbekleidungen viele verwandtschaftliche Be-
ziehungen aufzuweisen. *) Ein zweites grossartiges und reiches Altarfrontale be-
wundert man heute noch im Stifte Klosterneuburg bei Wien. Dasselbe ist vor
einigen Jahren von Arueth in einer besonderen Monographie beschrieben worden
und bezeichnet der Verfasser dieses unvergleichlich reiche Schmelz- und Email-
werk irrthümlich als „Nielloantependium". Ein drittes Meisterwerk der (Jold-
schmiede- und Emaillirkunst ausser der oben beschriebenen palla (Toro in Köln
*) Wir werden dieselbe vor Beendigung des vorliegenden Werkes in einer grössern Heraus-
gabe ausführlicher beschreiben, die unter Beigabe vieler Abbildungen den Titel Alhren wird: .«der
Schatz des ehemaligen KaiRerlich- freien Reichs- und Erönungsstiftes «, Unserer Lieben Frau su
Aachen.'*
EHEMALIGE IUTHHAU8KAPELLE. 7
trifft man heute auf Deutschlands Boden in der Pfarrkirche zu Eomburg*) in
Schwaben an. Dasselbe zeigt hinsichtlich seiner Eintheilung und emaillirten Ar-
beiten viele Analogieen mit unserem goldenen Frontale in der Rathhauskapelle.
Auch lassen die getriebenen Bildwerke auf dem Komburger Antependium einige
Schlüsse ziehen, wie etwa in figürlichen Darstellungen der vorliegende Vorsatz
ehemals, statt der heutigen Malereien, omamentirt gewesen ist. Sowohl der soge-
nannte Verduner Altar zu Klosterneuburg, als auch das merkwürdige Antepen-
dium zu Komburg dürfte mit der eben beschriebenen Altarbekleidung zy Köln eine
und dieselbe Entstehungszeit in der letzten Hälfte des XII. Jahrhunderts beanspru-
chen. Die berühmten Schmelz- und Emailwerkstätten zu Limoges haben zweifels-
ohne ebenfalls im XII. und XITT. Jahrhundert eine grosse Zahl solcher emaillirter
Altarfrontalien hervorgebracht; jedoch hat die französische Revolution, die nicht
nur im Auslande, sondern auch im eigenen Stammlande gründlich aufgeräumt
hat, soviel uns auf ausgedehnten Reisen durch Frankreich zur Kunde geworden
ist, keine dieser palla (Toro mehr existiren lassen. Nur fanden wir im äusser-
sten Süden der Provence, zwischen Montpellier und Cette, eine Kirche, deren
Name uns gegenwärtig entfallen ist, die noch ein kleineres emaillirtes Antepen-
dium, aus dem Beginn des XIII. Jahrhunderts herrührend, aufzuweisen hat.
Ehemalige kirchliche Kunstwerke der Rathhauskapelle.
Wie das an den altern Rathhäusem zu Regensburg, Prag, Nürnberg und
anderswo zu ersehen ist, befand sich auch in der Nähe des Rathhauses zu Köln eine
besondere Kapelle, in welcher bei feierlichen Veranlassungen für die Rathshen-en
der Stadt ein besonderer Gottesdienst stattfand. £ine solche Kapelle, aus dem
XV. Jahrhundert, mit einem ausgezeichnet schönen ,J)achreiter" in den gefälligen
Formen der Spätgothik, hat sich auch heute noch in Köln erhalten. Dieses „sace/-
lum magütratus*', in welchem jetzt provisorisch ein Theil des Archives aufgestellt
ist, war ehemals hinsichtlich seiner kunstreichen Ausstattung und des reichen Mo-
biliars als ein wahres Schatz- und Schmuckkästchen des alten Kölns zu betrachten.
Ausser, der Farbenpracht der gemalten Fenster, die heute leider verschwunden
sind**), war ehemals der Altar jener Kapelle, in welcher vor Beginn der jedes-
maligen Sitzung die Rathsherren der kaiserlichen Freien- Reichsstadt Köln der
Feier einer „rmssa de spiritu sancto" beiwohnten, mit dem berühmten FlUgelbilde,
das die Anbetung der drei Könige, von der Hand des Meister Wilhelm ausgeführt,
*) Vgl. die Abbildang und Beschreibung dieses Antependiums in dem treiHichen Werke von
Dr. Schwaiz und Laib, „Studien Über die Geschichte des christlichen Altars.**
**) Nur in der dabei befindlichen Sacristei haben sich einige schöne üeberreste dieser Glas-
malereien erhalten.
S EHElfALIGE RATHHAUSKAPELLE.
vorBtellt, verziert.*) Dieses Meisterwerk mittelalterlicher Malerei rettete sich bei
dem Einfall der Sansculotten gegen Schluss des Torigen Jahrhunderts nur dadurch,
dass man es längere Zeit imter einem öffentlichen Fahrwege, wie ims mitgetheilt
wurde, versteckt hielt, der zu seinem Schutze mit Balken und anderem Bretter-
werk Oberlegt war. Schlimmer erging es den Prachtgeräthen kirchlicher Gold-
schmiedekunst und Stickerei, von den alten Meistern der entsprechenden kölnischen
Zünfte herrührend, die an Sonn- und Festtagen den Gottesdienst der „Herren vom
Rathe'' ver];ierrlichten. Das nachfolgende urkundliche Verzeichniss, das uns durch die
Zuvorkommenheit des städtischen Archivars Dr. Ennen abschriftlich mitgetheilt
wurde, setzt uns in die Lage, heute noch beurtheilen zu können, wie gross die
Zahl jener reichen Kirchengefässe und Kleinodien war, die den Schatz der ehe-
maligen Bathhauskapelle bildeten. Indem wir hier dieses Verzeichniss, seinem Wort-
laut nach, folgen lassen, machen wir noch darauf aufmerksam, dass diesem ofB-
ciellen Einschmelzungsberichte zufolge das Loth feines Silber damals im geringen
Werthe von 42 Stttber stand, was nach unserem heutigen MttnzAisse etwas mehr
als siebenzehn Silbergroschen betragen würde. Man kann, es zur Beberzigung für
die kommenden Generationen nicht oft genug öffentlich aussprechen, dass nicht nur
in Köln gegen Schluss des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, sondern
allerwärts im westliehen Europa, das von den Fluthen der französischen Revolution
bespült wurde, um des schnöden Gewinnstes von einigen Loth Silbers willen Kunst-
werke auf immer vernichtet wurden, die lange Jahrhunderte hindurch der Stolz
unserer frommen Vorväter waren und die unsere heutige krankhaft-industrielle Zeit,
in ähnlichen Kunstschöpfungen zu ersetzen, sich nicht mehr in der Lage befindet
*) Es ist in jüngster Zeit in der Eunstwelt mit BeifaU vernommen worden, dass dieses be-
rühmte Bild, das im Anfange dieses Jahrhunderts im hiesigen Dome Schuti suchte und hnd durch rich-
terlichen Ausspruch auf immer dem Dome zur Aufbewahmng zuerkannt worden ut ; auf diese Weise
ist das schöne Bildwerk seinem ursprünglichen kirchlichen Zwecke wieder zurückgegeben worden, in-
dem es sonst Gefahr lief, als GaUeriestUck dem Gottesdienste yielleicht für immer entfremdet zu werden.
EHEMAUGE RATHHAUSKAPELLE.
^^Terzeiehmss
über die Kirchengeräthe der ehemaligen Raths-Kapelle^ welche sowohl in der-
selben, als auch in der Behausung des Burgers de G. sich vorgefunden und
unter heutigem Dato in Gegenwart der Bürger S., Präsident, P. und K.,
Municipal-Verwalter, abgewogen worden sind."
Pfd. Loth.
1 Silber übergoldeter Kelch 1 16
1 dto. dto 1 24Vj
1 Monstranz 3 20*/?
1 Tcrgoldetes Ciborium 1 23
1 Paar übergoldete Pollen sammt Teller ... 3 5
1 dto. silberne dto. dto. ... 2 19
1 Rauchfass mit Schiffchen *) 3 10
10 Wandleuchter \
10 Armleuchter ' ^^ ^
1 silberner Weihquast — 297«
1 dto. dto — 22
2 Reliquien-Kasten-Füsse 1 V«
2 Beschläge von Evangelien-Tafeln ').... 2 572
1 Kreuz mit Zubehör 1 17
2 Blumenpott mit Gestell ^) 2 4
1 iflS ^^^ 2 Krönchen — 20
1 Luna-Kasten vergoldete — 1772
1 silberner Weinbecher — 10
1 vergoldeter Kelch, das obere Theil Silber mit
einem Löffelchen, das untere Theil Kupfer . — 9
2 Blumenpött mit den kupfernen Platten ... 2 10
Verschiedene Kleinigkeiten — 28
2 Pfennige und einige Kleinigkeiten .... — 37»
^ Pfd. 42 1378 Loth.
') Eb lässt sich Termutheiif dasB die meisten dieser angegebenen kirchlichen Geräthe aus der
Mitte des XV. Jahrhunderts stammten, nur das Vorkommen des Tellers bei den Pollen durfte die An-
nahme begründen, dass diese Messkännchen in einer jüngeren Epoche angefertigt worden sind.
') Es waren das jedenfalls silberne Ornamente an den Rahmen der drei Kanonestafeln befindlich,
die hier irrthümlich ETangelien tafeln genannt sind.
') Diese Blumenvasen in Silber gehörten offenbar nicht mehr dem Mittelalter an, indem es erst
in der ausartenden Renaissance vorkam, den Altar an Festtagen mit gemachten künstlichen Blumen zu
belasten und zu verunzieren.
*) Die Bezeichnung dieses Oefässes klingt fremd; wahrscheinlich war dieses ein Behälter, worin
der ,,luna** mit der heiligen Hostie im Tabernakel verschlossen war, wenn die Monstranz zur grössern
Sicherheit in der Sacristei deponirt wurde.
2
10 EHEMALIOE BATHHAUSKAPELLE.
Pfd. Loth.
Uebertrag 42 ISV»
Mehrere Kleinigkeiten 4 30
Verschiedenes Silber, vergoldet ') . . . • . . 1 21 V«
Noch mehrere Kleinigkeiten 5 1 V«
Diverses Silber, vergoldet 1 24V2
Von dem silbernen Buch getrennt 5 9
3 sübeme Köpfchen«) — 9V«
6 grosse und 2 kleine Leuchter 33 10
1 Leuchter 13 8
SUber Pfd. 107 317« Loth.
k 42 Stüber per Loth macht Livres 7257 12 Sols.
1 Messbuchgestell mit Silber beschlagen ' j ... 1 6 16
I Messbuch mit 4 silbernen Ecken und zwei dto.
Krampen 33 12
1 in rothem Safian gebundenes Evangelienbuch
mit 2 silbernen Krampen *) 15 —
1 goldenes Herz
2 goldene Augen
1 goldenes Schildchen
1 goldene Kette mit 1 Herzchen '^ » 6"/82 Loth
1 desgl. mit 1 Kreuzchen . . . . '
1 goldenes Kreuzchen
1 ähnliches
1 goldenes Herzchen
2 Krönchen mit Stein und Scepter und L - n i /
1 kleineres Krönchen f
an Gold Ig"/^^ 362 —
Lvrs. '') 7880 —
') £b ist heute schwer zu erratheUf was das für Kleinigkeiten könnten gewesen sein; in den
Aug^n dieser profanen Taxatoren galt in damaliger trauriger Zeit Alles fUr Kleinigkeit, was nicht
schwer an Silbergewicht wog, und so wurden nierkwUrdige und seltene Gegenstände der kirchlichen
Kleinkunst unbarmherzig vernichtet, weil diese Leute nicht mehr in der Lage waren, den grossen hi»
storischen Kunstwerth dieser Kleinigkeiten ahnen und bemessen zu können.
*) Biese Köpfchen werden hi alten luven taren „pomella*^ genannt und scheinen das Aepfelchen
gewesen zu sein, worin die starken seidenen Fransen an der untern Kappe der Pluviale befestigt waren.
^) Rührte aus der Spiitepoche des Zopfes her, wie man noch heute aus dieser Zeit kleinei-e
jypulpita*'^ antrifft, die mit Silber beschlagen sind.
*) Wahrscheinlich ein auf Pergament geschriebener Evangeliencodex, auf welchen die Barger-
meister des alten Köln vereidet wurden.
^) Diese goldenen Zicrrathen waren Weihgeschenke, die der fromme Glaube „ex votix"^ vor
einem Andachts- und Gnadenbildc im Laufe der Zeiten aufgehängt hatte. Diese Votivgeschenke hin-
gen ohne Zweifel vor dem Bilde der Madonna mit dem Jesusknaben, die mit goldenen Kronen und
Scepter geschmückt waren, worauf die Angaben unter ^) hindeuten.
^) Ein Livre gleich einem franz. Franken nach heutigem Geldwerthc.
J
$i mun.
Mittelalterliche Eunatgegenstände daselbst.
Seite
70) Reliquienmonstranz in Form eines Krystallkreuzes, Silber vergoldet, XV. Jahrhundert.
Tafel XIX. Fig. 70 3
7 1 ) Agraffe, Silber vergoldet, XVL Jahrhundert. Tafel XIX. Fig. 71 5
72) Statue des Apostelfürsleu Petrus. XV. Jahrhundert. Tafel XIX. Fig. 72 ... . 6
73) Weihrauchfass in Silber, Beginn des XVI. Jahrhunderts. Tafel XIX. Fig. 73 . . . 8
74) Reliquiengeföss, eine kleine Monstranz formirend, XV. Jahrhundert. Taf. XIX. Fig. 74 12
75) Taufbecken in Messingguss, XVII. Jahrhundert. Taf. XIX. Fig. 75 13
Schaugef^ss, Kupfer vergoldet, XV. Jahrhundert 15
Mittelalterliche Paramenlslickerei, XV. Jahrhundert 16
Ehemaliger Schatz von St. Alban . 18
70.
noDstranz
in Form eines Altarkreuzes. Silber vergoldet.
Höhe 57 Centimeter, gross te Ausdehnung der Querbalken 29 Centimeter. XV. Jahrhundert.
In altera ächatzinyentaren findet man öfters ^^cruces crystallinae'^ verzeichnet,
die zur Aufbewahrung verschiedener Reliquien dienten. Ohne Zweifel hatten vor
der Revolution auch die reichhaltigen Kirchenschätze Kölns eine grössere Zahl
solcher Krystallkreuze aufzuweisen. Von diesen hat sich in besonders schöner
und edler Form in der Pfarrkirche von St. Alban ein y^pacißcale" erhalten, dessen
Kreuzbalken mit vier grösseren KiystaUstücken ausgeschmückt sind.
Der Buss von sehr origineller Form, im Durchmesser von 20 Gentim., ist
unten in Kreistorm gehalten und geht auffallender Weise gleich darauf ins läng-
liche Viereck über. Dieser zweite Fusstheil ist unten mit einem zinnenförmigen
Ornamente umgeben, hinter welchem sich die vier Flächen des Fusses nach oben
ansteigend, verjüngen. Auf dem Halse des Fusses erhebt sich ein verbinden-
des Mittelstück, welches als Handhabe mit einem viertheiligen Knaufe abschliesst.
Dieser Doppelfuss wird in seinen Flächen mit einem kunst- und schwungvollen
Ornamente in kräftiger Gravirung gehoben und belebt, welches Laubwerk sich
auf einem quadratisch carrirten Grunde , fast als Relief modellirt, in starker Mar-
kirung geltend macht. Den unstreitig reichsten und formschönsten Theil bildet
der obere Aufsatz des Gefässes, nämlich das Kry stallkreuz, das vier gleichlange
KreuzbaJken in der grössten Ausdehnung von 11 Centimeter zeigt. Diese Kreuz-
balken setzen sieh gleichmässig an, an ein mittleres Gompartiment in Kreisform, im
grössten Durchmesser von 6V2 Centimeter, das eine verschli^sbare, nach zwei
Seiten hin mit Krystall belegte Kapsel zeigt, welche ehiBmals eine Partikel vom
heil. Kreuze umschloss. Die Kreuzbalken selbst münden an den vier Ecken in
Form eines Halbkreises aus, der noch mit einer Spitze nach Art eines Eselsrückens
überhöhet ist. Auf diesen überhöhten Spitzen erheben sich nach drei Seiten hin
kleinere ornamentale Aufsätze, ähnlich einer' Fruchtbildung, die dem Ganzen,
wie das auch an dem schönen Kreuze zu St. Columba, sowie an einem
ähnlichen Yortragekreuze zu Calcar der Fall ist, einen zierlichen Abschluss
geben. Die mittlere Krystallrundung an der Vierung des Kreuzes ist in den vier
4 ST. ALBAK.
Ecken mit einem durchbrochenen, freistehenden Ornamente verziert, ähnlich einem
Ziergiebel, der auf beiden Seiten eine Blattbildung zum Vorschein treten lässt.
Diese krabbenfbrmigen Ansätze eines omamentalen Blätterschmuckes yerzweigen
sich gleichmässig an beiden Plattseiten der vier Kreuzesbalken, wodurch dem
Ganzen ein belebtes reichgestaltetes Aeussere verliehen wird. Die Umfassungs-
ränder der vier Krystallflächen mit dem obenbeschriebenen Blätterschmuck ver-
ästeln sich, freier hervortretend, an beiden Seiten der Ausmttndung der Kreuz-
balken zu einem schwungvollen Ornamente, das in seinem Innern jedesmal eine
kleine sechsblätterige Böse aufnimmt. Der untere Balken des Kreuzes mündet
an seiner Spitze nicht in Weise der übrigen in eine erdbeerförmige Frucht
aus, sondern es verwächst dieselbe organisch mit dem untern Ständer so zusammen,
dass durch einen viereckigen abgeschrägten Knauf diese Verbindung vermittelt
wird. Auf der vordem Seite des untem Balkens erblickt man noch heute einen
von zwei kleinen schwebenden Engeln gehaltenen Kelch, der als Reliquiar auf
seiner Kuppe eine goldene, mit Diamanten besetzte Kapsel erkennen lässt, die
hinter Glasverschluss eine miraculöse Reliquie birgt. Diese Reliquie war in
der französischen Revolution in einem prachtvollen Behälter, in Form eines grossen
Altarkreuzes mit Fussstück, die damals ohne Schonung eingeschmolzen worden
ist*), ehrfurchtsvoll aufgehoben.
Bis zu Anfang dieses Jahrhunderts war die ebenbesehriebene „<tmj? m/-
stallina" als Reliquien- und Vorsatzkreuz in kirchlichem Gebrauche. Als jedoch
mit dem Jahre t802 die obengedachte merkwürdige Reliquie aus der aufgehobenen
Augustinerkirche nach der St. Albanskirche transferirt wurde, wurde erst später
in dieser Kirche vorliegendes Kreuz als Monstranz für den sacramentaUsehen
Segen in Gebrauch genommen, indem man die consecrirte Hostie vermittelst einer
„/tfwtf/a" in der vorhin gedachten mittleren Rundkapsel aufstellte.
Prüft man aufmerksamer die charakteristische Form und Ausbildung der
auf dem Fusse eingravirten Laubornamente, desgleichen die vielen kleineren Blatt-
ansätze, welche die ganze äussere Umrandung des vorliegenden Gefässes umgeben,
ebenso die Anlage und Formation der Kreuzbalkcn, so überzeugt man sich
leicht, dass vorliegendes auch technisch äusserst delicat gearbeitetes Gefä^s in
den Tagen Kaiser Karls IV., des Luxemburgers, angefertigt worden sein dürfte, und
zwar unsenn Dafürhalten nach im zweiten Viertel des XIV. Jahrhunderts. Bei
Beschreibung des reichhaltigen Domschatzes von St. Veit in Prag, den wir im
Auftrage der k. fe Commission zur Erhaltung der Baudenkmale im vorigen Jahr
aufzunehmen den Auftrag hatten, sind uns aus der Zeit des gebefreudigen Karl IV.
mehrere kirchliche Gefässe noch lebhaft in Erinnerung, die, mit Jahreizahlen ver-
sehen, hinsichtlich der feinen Entwicklung ihrer Detailformen vollständig mit der
oben beschriebenen crua: crystallina übereinstimmen. Besonders muss das gesagt
♦) Von diesem stattlichen ertuc allarü aus dem ehemaligen Schatze der Augustiner i^t heute
noch eine grosse Abbildung, die jedoch sehr incorrect ist, Torhanden.
J
ST. ALBAN. O
werden hinsichtlich der charakteristisch eingravirten Laubomamente in dem Fuss-
theile des oben beschriebenen Beliquiars, die mit den eingravirten Omamentationen
an den vorhin erwähnten Prager Gelassen vollkommen übereinstimmend sind.
71.
Agiraffe,
in vergoldetem Silber, mit figürlichen Darstellungen.
QröBster Darchmesser \0\'i Centimeter. XVI. Jahrhundert
Gleichwie ehemals der Pedall einer kirchlichen Bruderschaft zum Abzeichen
seiner untergeordneten Amtsfimction in der Rechten eine silberne Ruthe, oder
einen Stab trug (wir haben einen solchen in Fig. 12, I. Lief, veranschaulicht), so
trug er auch angeheftet an der linken Seite seines faltenreichen Obergewandes
eine auszeichnende Agraffe (ßbula), wodurch seine Bedienstung als kirchlicher
OfGciant an Festtagen gekennzeichnet wurde. Auch das vorliegende „monile**
gehörte offenbar als auszeichnende Brustkrampe dem Cäremoniarius einer kirch-
lichen Schtitzengilde vom heil. Sebastianus an, wie das die ganze Anlage und
Einrichtung erkennen lägst.
Auf der vordem Hauptseite tritt nämlich auf einer vergoldeten Fläche ein
kräftiges Gewinde von Baumranken stark hervor, das an vielen Stellen kleinere
Knotenansätze zeigt, wie wenn hier Zweige abgeschnitten wären. Dieses gefloch-
tene Rankenwerk dient als Einfassung und Medaillon, um, im Innern vertieft, auf
einer vergoldeten Platte eine zierliche freistehende Sculptut aufzunehmen, welche
die Marterscene des heil. Sebastian darstellt. St. Sebastianus ist nicht, wie die Frtih-
gothik denselben abbildet, als Genturio im leichten Waffenschmuck dargestellt, wie
die tödtlichen Pfeile ihn erreichen, sondern der Ciseleur des XVI. Jahrhundert««
hat ihn abgebildet, wie er entblösst und mit dem Schürztuch umhüllt, an einem
Baumstamme mit Stricken befestigt sein Martyrium erleidet. Auf der rechten Seite
erblickt man die kleine Statuette eines Kriegsknechtes, der den Bogen ge-
spannt hält, um sein Wurfgeschoss auf den Heiligen abzuschnellen. An der
andern Seite steht ein zweiter Kriegsknecht, der eben beschäftigt ist die Arm-
brust zu spannen. Diese drei Figuren sind mit grosser Präcision und vieler
Naturwahrheit ciselirt, so dass man sogar in den Gesichtszügen des Märtyrers die
Freude über das Glück, sein Leben für Christus opfern zu können, lesen kann,
desgleichen in den grinsenden Gesichtern der beiden Schergen dämonischen Hohn
und Schadenfreude. Wie es uns scheinen will, war ehemals der ciselirte Boden,
worauf diese Martergeschichte angebracht ist, mit grünem durchsichtigen Email
überzogen, das heute abgesprungen ist Auf der innem Fläche dieses Pectorale
liest man folgende interessante Inschrift in spätgothischen Majuskelbuchstaben:
0 ST. ALBAN.
Anno, Dmi 1509. Jokain Kesell dedit veieht 12 LOIT.
Ueber dieser Inschrift erblickt man ein in den Formen der Spätgothik ge-
bildetes Wappenschild, das in seinen drei Flächen als Anspielung auf den Namen
des Geschenkgebers drei eingravirte kleine Kessel erkennen lässU HinsichÜidi
der Gewichtsangabe nach altkölnischem Maassstabe diene hier noch die Angabe, dass
das altkOlnisehe Loth im Mittelalter leichter gewesen ist, als das Loth, wie es
heut im Gebrauche ist. Eine genaue Abwägung hat nämlich ergeben, dass oben-
gedachte 12 Loth heut an Gewicht haben 10 Loth 6 Quentchen.
Mit diesem Brustkrampen, wie der eben beschriebene, sind als Analogien
in Verbindung zu setzen jene reichem Pectoralschilde, die als Agraffe die Bestim-
mung tragen, die Pluviale auf der Brust zusammen zu halten und zu befestigen.
Auch jene omamentalen Schilde sind hierhin zu rechnen, die die V^ülotioi und
80genannten „Schützenkönige" kirchlicher Gilden und Innungen ehemals an einer
Kette auf der Bmst zu tragen pflegten. Zwei äusserst reiche y,pectoralia** dieser
Art aus der letzten Hälfte des XV. Jahrhunderts finden sich noch in Kirchen am
Niederrhein, bei Cleve, und ist die Abbildung dieser schönen Decorationen unter
Fig. 7 u. Fig. 9 des Werkes zu ersehen „Kunstdenkmäler des christlichen Mittel-
alters in den Rheinlanden von Dr. aus'm Weerth, L Lief. T. 0. Weigel, Leipzig 1858.
72.
Statne des Apostels Petras.
Hohe 55 Centimeter. XV. Jahrhundert.
Der Altar von St. Alban wird an Festtagen mit 12 Standbildern der Apostel
verziert, die in Eichenholz geschnitzt und in jüngster Zeit neu illuminirt worden
sind. Obgleich dieselben nicht in den Bereich der vorliegenden Beschreibung
gehören, da hier unsere Absicht nur dahingeht, die kirchlichen Kunstschätze in
den Sacristeien Kölns zu beschreiben, insofern sie der Goldschmiedekunst und der
Paramentik des Mittelalters angehören, wohingegen diese Figuren als Meistenverke
der altkölnischen Sculptur sich darstellen, so möge im Vorbeigehen ausnahms-
weise derselben Erwähnung geschehen, da sie mit der Goldschmiedekunst in gewisser
Beziehung im Zusammenhange stehen. Eine unverbürgte Tradition giebt nämlich
an, dass diese 12 Apostel angefertigt worden seien, um als kleine Modelle zu
dienen, nach welchen- im grossem Maasstabe jene in Silber getriebenen Apostel*
Statuen angefertigt worden sind, die ehemals den alten Hochaltar des Kölner
Domes zierten. Diese kostbaren getriebenen Bildwerke sind mit so vielen andern
Schätzen des Domes vom Schlünde der französischen Bevolution verschlungen wor-
den. Es lässt sich jedoch aus mehrem Gründen annehmen, dass die kleinen
Acolutheu- Leuchter, die ebenfalls in Silber getrieben, heute noch im Domschatze
ST. ALBAN. 7
existiren ivergl. No. 42, I. Lieferung), von demselben kölnischen Goldschmiede her-
rühren, der auch die 12 Apostelstatuen ftlr den Hauptaltar des Domes angefertigt
hat. Diese beiden knieenden Engel in Form von Lichthaltem zeigen wirklich,
was als Bewahrheitung der eben angeführten Tradition betrachtet werden dürfte,
viele Analogie hinsichtlich der Composition mit diesen 12 Standbildern. Einer
weitem mündlichen Ueberlieferung zu Folgi^ sollen femer die vorliegenden schönen
Sculpturwerke aus dem ehemaligen Karthäuserkloster Kölns herkommen, und
dürften dieselben alsdann dem Kunstfleisse eines Karthäusermönches zu verdanken
sein, der als Bildhauer in beschaulicher Zurückgezogenheit der ftiedlichen Kloster-
mauer seine Zeit dem Gebete und der kirchlichen Bildschnitzerei gewidmet hatte.
Da, wie eben angedeutet, von diesen 1 2 Apostelstatuen des Kölner Hochaltars, die
ihrer Grossartigkeit wegen im Andenken älterer Kölner noch bis in die letzten
Zeiten sich erhalten haben, heute jegliche Spur verschwunden ist, so würde es
in mehrfacher Beziehung von grossem Interesse sein, wenn es einer weiteren
Nachforschung gelänge, auf haltbarere als die eben vorgebrachten Gründe gestützt,
den Nachweis zu führen, dass diese heut in St Alban befindlichen stylschönen
Bildwerke der 12 Apostel in Eichenholz wirklich die Modelle jener in Silber ge-
triebenen Altarstatuen des Domes gewesen seien. Was nun die Composition dieser
Holzsculpturen betrifft, deren stylistische Eigenthümlichkeiten wir in der unter
No. 72 abgebildeten Statuette des Apostel Petrus veranschaulicht haben, so muss
gesagt werden, dass diese Bildwerke vollständig den Typus und Charakter altköl-
nischer Sculpturen aus dem XV. Jahrhundert zu erkennen geben, wie derselbe
auch auf den gleichzeitigen Tempera -Malereien ersichtlich ist, die sich in dem
städtischen Museum und in der reichhaltigen Sammlung mittelalterlicher Malereien
des Stadtbaumeisters Weyer zahlreich vorfinden. Auffallend erscheint es jedoch,
dass sämmtliche Bildwerke sich nicht durch eine schlanke Haltung auszeichnen,
sondern eher etwas gedrungen und kurz erscheinen, ähnlich den mittelalterlichen
Sculpturen Westphalens, die wir in Soest und anderswo zu sehen Gelegenheit
hatten. Auch der Faltenwurf ist noch nicht so sehr überladen und manirirt, wie
derselbe an den Bildwerken gegen Schluss des XV. Jahrhunderts vorkömmt. Wir
würden deswegen der Ansicht Baum geben, dass diese 12 Statuen der Apostel
gegen Mitte des XV. Jahrhunderts angefertigt worden sind.
Im Verhältnisse zu den vielen werth vollen Tempera -Malereien der altem
Schule, die Köln noch in seinen öffentlichen und Privatsammlungen besitzt, haben
sich hier auffallend sehr wenige illuminirte Sculpturwerke des Mittelalters erhalten,
die davon Zeugniss ablegen könnten, dass zur Zeit, als in Köln die alten rheini-
schen Meisterschulen der Malerei blühten, auch die verwandte Bildschnitzerei nicht
zurückgeblieben war, sondem dass dieselbe, mit der Malerei als Schwesterkunst
Hand in Hand gehend, das Höchste angestrebt habe, um Kirche und Haus, vorzugsweise
aber die Altäre mit kunstreich geschnitzten Heiligenbildern zu bevölkem. Ohne Zweifel
hatten die zahlreichen kölnischen Kirchen ehemals, wie das heute noch manche
Ueberreste beweisen, eine grosse Zahl von geschnitzten Flügel - oder Klappaltären
mit reichen Bildwerken aufzuweisen, die zuerst durch die Renaissance unbarmher-
ö 8T. ALBAN.
zig entfernt und durch jene unschönen hochbeinigen Altarau&ätze ersetzt worden
sind, die heute noch fast sämmtliche Kirchen Eöln's entstellen und mit der schönen
Architektur meistens in Widerspruch bringen. Jedenfalls rühren auch die oben-
erwähnten zwölf Statuetten als ehemals reichvergoldete Bildwerke von einem alten
grösseren Sculpturaltare her. Dergleichen geschnitzte Altäre mit ähnlichen polychro-
mirten Apostelstatuen finden sich nur noch im Dome ; auch St. Cunibert und St Peter,
desgleichen die Kapelle des hiesigen Alexianerklosters haben noch einzelne grössere
Ueberreste von altkölnischen figuralen Sculpturwerken au&uweisen. Die meisten
Schnitzwerke dieser Art, die nicht einem unfreimUigen Untergange durch die
modernen BildersttLrmer zu An&ng dieses Jahrhunderts erlegen sind, wanderten
in Menge in den letzten 10 Jahren in auswärtige Kunstsammlungen, und haben
viele derselben, ohne jemals wiederzukehren, die Reise Über den Kanal angetreten.
Möchten heute doch endlich in der elften Stunde von Seiten der städtischen Be-
hörde die nöthigen Vollmachten ertheilt werden^ dass das an altkölnischen Sculp-
turen des Mittelalters der Stadt und ihrem neuen Museum gerettet werde, was
sich im Privatbesitze noch zerstreut vorfindet und zeitweilig zum Verkaufe ange-
boten wird.
73.
Weihranchfass
in Silber.
Höhe 26 Centinieter, Breite des Fusses 10 "i Centimeter. Beginn des XYl. Jahrhunderts
Auffallend dürfte es uns erscheinen, dass in sämmtlichen Kirchen Kölns
neben der verhältnissmässig grossen Anzahl von verschiedenartigen kirchlichen
Gefässen des Mittelalters kein Bauchfass im romanischen oder gothischen Sfyle
sich mehr vorfindet. Dass die romanischen ,,thuribula" heute aus sämmtlichen
kölnischen Kirchen verschwunden sind, erklärt sich aus dem Umstände, dass die
Gothik die meisten in Kupfer gegossenen, vielfach vergoldeten „thymiamateria'*
der romanischen Kunstepoche beseitigte, um WeihrauchfUsser an die Stelle zu
setzen, die nicht nur umfangreicher waren, sondern auch meistens in edlem Metall
angefertigt zu werden pflegten. Gross dürfte die Zahl der silbernen Bauchfässer
gewesen sein, die in den architektonischen Formen der Gothik gebildet, sich bis
zum vorigen Jahrhunderte in den vielen Kirchen Kölns noch vorfanden.
Die dem Geschmacke der Kococozeit nicht mehr zusagende Form der
älteren Bauchgefässe, die ohnehin in der Hand von Knaben einige Jahrhunderte
hindurch sehr schadhaft geworden sein mochten , nicht weniger das Material des
Silbers selbst, das meistens zur Anfertigung von reichem verwendet wurde, mögen
wohl als Ursache betrachtet werden, dass bereits vor der französischen Revolution
ST. ALBAK. 9
die älteren gothischen Rauchfässer ftlr kirchliehe Zwecke eingeschmolzen oder
umgeformt wurden, bevor bei und nach der Revolution die Hände Vieler nach den
silbernen Schätzen der Kirche sich ausstreckten. So ist es denn gekommen, dass
von den vielen in den Schatzinventaren aufgeführten „thuribula oder thuricremia"
heute nur noch in der Pfarrkirche von St. Alban sich ein Rauchgefäss gerettet hat,
welches in der Ilauptanlage noch altdeutsch gehalten, in seinen Details jedoch
deutlich erkennen lässt, mit welcher Renitenz die Grundformen der lange Jahr-
hunderte hindurch im heil. Köln fast erblich gewordenen Gothik bis zum Schlüsse
des XVI. Jahrhunderts sich fortwährend behaupteten, ehe es den neuen italienisiren-
den Bildungen endlich gelang, mit Verdrängung der heimathlichen Kunstweise eine
neue Norm für die üblichen kirchlichen Gefässe aufzustellen. Die Jabrzahl 1588,
die auf dem innem Fusse des in Rede stehenden Rauchfasses sich eingravirt findet,
und zwar unterhalb eines heraldischen Abzeichens einer älteren Patricierfamilie
Kölns, scheint nämlich anzudeuten, dass nicht nur dieses Rauchfass das Geschenk
eines Wohlthäters der St. Alban -Kirche gewesen ist, sondern dass auch in dem
obengedachten Jahr dasselbe seine Entstehung gefunden hat. Mit dieser Jahr-
zahl stimmt auch vollständig der Charakter der vielen auf den verschiedenen Flach-
theilen des Gefässes eingravirten Laubomamente überein, die bereits vollständig
in den yerworrenen der stylistischen Einheit entbehrenden Formen der Renaissance
ausgeführt sind.
Der Fusstheil des RauchgefÜsses ist in Gestalt einer sechsblätterigen Rose
gehalten, wie das bei älteren verwandten gothischen Gefässen an den Pedalen
eine stereotyp feststehende Form ist. In den Zwickeln dieser Rosenblätter setzen
sich, im Dreieck gehalten, einzelne Spitzen als Blattansätze an, die dem Fussstttck
im Aeussem eine zierliche Gestaltung geben. Unmittelbar über dem Fusse, ohne
verbindendes Mittelstück, erhebt sich der eigentliche Behälter des Gefässes, das ein
kleineres bewegliches Kohlenbecken von Eisen aufnimmt Dieser Untersatz ist,
in Form einer Halbkugel, rund gehalten und zeigt an seinem obern Rande in ge-
triebener Arbeit acht Halbkreise, in eingefurchteten Ringen umgeben, innerhalb
welcher die oben angedeuteten Renaissancegravirungen angebracht sind. Corre-
spondirend mit den sechs Einschnitten des Fusses in Form einer Rose, sind am
äussern Rande des untern Deckels sechs vorspringende Consolen in Kreisform an-
genietet, die zunächst als Befestigungspunkte der drei Ketten des Rauchfasses
dienen. Leider sind durch die Unkenntniss und den Ungeschmack, wie es scheint
der ersten Decennien dieses Jahrhunderts, die schönen Proportionen dieses „tkuri"
kulum'* dadurch vollständig gestört worden, dass man ohne Noth ein 3 Centimeter
hohes Mittelstück in glattem Silberblech zvidschen dem untern Becken und dem
obern Helme als Einsatz eingelassen hat. Den reichsten Theil des Rauchfasses
bildet der obere bewegliche Aufsatz, der auffallender Weise nicht in Kreisform
angelegt ist, wie das untere Beeken, sondern eine polygone Construction im Sechs-
eck zeigt An den sechs Ecken erheben sich hervorspringend kleinere thurmlörmige
Anlagen, durch deren Oeffhung an drei verschiedenen Stellen die Ketten durch-
gehen. Die sechs Seiten dieses Deckels lassen sechs verschiedene Ziergiebel mit
2
10 ST. ALBAN.
reichen DurchbreehuDgen deutlich erkennen, die sämmtlich im überhöhten, ge-
schweiften Spitzbogen gehalten sind, der unter dem Namen „Eselsrttcken'* in den
spätgothischen Formen des sogenannten Flamboyante-Styls häufiger vorkömmt.
Die obengedaehten Durchbrechungen dieser Giebel, sowie deren Maasswerkformen
lassen nur noch wenige Reminiscenzen an die überwundene Gothik erkennen. In
jener Zeit, wo man es unternahm, die schönen Gesammtproportionen des Rauch-
fasses durch das obengertlgte Einschiebsel zu vernichten, hat man es wahrschein-
lich auch für zweckmässig erachtet, die Spitzthtlrmchen und Fialen, die sich in
der Sechszahl zu beiden Seiten dieser Giebel vorfanden, zu beseitigen, so dass
heut nur noch die abgeschnittenen Sockel dieser Fialen ersichtlich sind. Offenbar
waren diese Spitzthttrmchen nach oben durch Strebebogen mit dem thurmförmigen
Aufsatz des Gefässes in Verbindung gesetzt, indem sich noch an den sechs ent-
sprechenden Stellen deutliche Spuren dieser Verbindung erkennen lassen, üeber
den Bedachungsflächen, der obengedachten ä jour durchbrochenen Ziergiebel, erhebt
sich, im Sechseck kugelförmig gehalten, eine kleinere Dachhaube, die auf ihrem
Plateau einen kleinem thurmförmigen Aufsatz in Höhe von 13 Centimeter trägt,
dessen sechs Flächen von Fensterstellungen im Style der Spätgothik durchbrochen
sind, um auch nach oben dem aufsteigenden Weihrauch leichteren Durchzug zu
gestatten. Dieses sechseckige Thttrmchen ist bekrönt durch einen niedem Dach-
heim, der mit hervortretenden Rippen nach oben sich verjüngt und hier durch einen
Knauf abgeschlossen wird, welcher auf beiden Seiten einen phantastischen Löwen-
köpf erkennen lässt. Dieser Löwenkopf hält in seinem Rachen einen Ring, der
die vierte Kette aufnimmt, vermittelst der die Verschiebung des beweglichen
Deckels gehandhäbt werden kann. Auch die Ketten dieses Rauchfasses in Länge
von 78 Centimeter sind primitiv und haben noch ein mittelalterliches Geftige;
desgleichen ist auch, was bei älteren Rauchtässem seltener vorkömmt, die obere
Handhabe noch als die primitive zu erkennen. Dieselbe ist noch vollständig in
ihren äussern Umrissen in mittelalterlicher Form angelegt, und zeigt in ihrem
Grundriss ein gleichseitiges Dreieck, über dessen Seiten in Halbkreisform in be-
kannter Weise ein Kleeblett vorspringt. Oben auf dem Halse dieser Handhabe
befindet sich ein in den Formen der Renaissance profiUrter Knauf, der in einem
kleinen Ringe einen grossem beweglichen Reif als Handhabe aufnimmt Hinsicht-
lich seiner Grundform möchte dieses Rauchfass für neuere Compositionen als
Muster sehr zu empfehlen sein, wogegen ^ämmtliche Detailbildungen den ent-
sprechenden strengern Formen der Gothik entlehnt werden mtissten. Es unterliegt
keinem Zweifel, dass dieses Rauchfass in Köln gegen Schluss des XVL Jahr-
hunderts angefertigt worden ist, zumal auch auf der obem Handhabe, sowie an
einer Stelle auf dem untern Deckel das Aichungszeichen Kölns für die Richtigkeit
der Silberwährung noch deutlich zu erkennen ist. Dieser eingeschlagene Stempel
macht sich nämlich kenntlich als altkölnisches Wappenschild in mittelalterlicher
Form mit den drei Kronen in der obem Hälfte des Wappens. Schliesslich müssen
wir noch bemerken, dass ausser den zwei prachtvollen Rauchfässern romanischen
Styls im Dome zu Trier und dem berühmten „encensow de Lille" romanische
ST. AI^AN. 1 I
Rauchfässer heut zur Seltenheit geworden sind. *) Von den Wenigen, die sich in den
letzten Silberablieferungen bis zur Stunde in kirchlichem Besitze noch erhalten haben,
nennen >vir hier vorztlglich ein reiches, gothisches ßauchfass von Silber in Würz-
burg, andere zu Eltemberg, in der Münsterkirche zu Emmerich, zu Orsoi am
Niederrhein und endlich ein äusserst zierliches Rauchgefäss, ebenfalls aus dem
XYI. Jahrhundert, in den Formen der §pätgothik, im Besitze des Grafen von
Fürstenberg - Herdringen.
Zur Geschichte des Rauchfasses fügen wir hier noch hinzu, dass in der
Kirche seit den Tagen ihrer Befreiung vom drucke des Heidenthums das Rauch-
fass seine Anwendung fand. Bereits zur Zeit Gregorys des Grossen entwickelte
sich die Form dieses f,incensorium" und findet man schon bei Anastasius Biblio-
thec. eine Menge Angaben sowohl von festhängenden Rauchgefässen und auch
solchen die an Ketten getragen wurden. Der ebengedachte päpstliche Biograph
pflegte diese letztgedachten thymiamateria , thuricremia zu benennen. Unstreitig
erreichte das Rauchfass im XHI. Jahrhundert, als noch auf dem Gebiete der Gold-
schmiedekunst das romanische Formenprincip herrschend war, seine reichste Ent-
wickelung und formelle Ausprägung. Die Gothik machte aus einem kleinen Ge-
fässe, das gerundet der Form einer Kugel nahe kam, einen entwickelten architek-
tonischen Aufbau mit Helm und Widerlagspfeilem und Fialen, die beim Gebrauch
noch inuner als sehr praktisch sich herausstellen. Die Renaissance führte dem Rauch-
gefäss neue profane Formen zu und unter dem kalten Drucke der modernen
Industrie wurde heute dem ehemaligen altehrwürdigen Rauchfass vollends seine
kirchliche Physiognomie benommen und ähnlichen modernen Gebrauchsgeräthen
nachgebildet. Die symbolische Bedeutung des Rauchfasses findet man bei Inno-
centius HI. (de sacro attar. myster.)^ desgleichen bei Durandus in seinem rationale
dwin, ojficior.
Ueber die technische Anfertigung und die Form des Rauchfasses verbreitet
sich ausführlich der bekannte Mönch Theophilus in drei Kapiteln seiner ,,schedula
divers, artium"; dasselbe handelt lib. UI. c. 59. de thuribulo ' ductili (getriebene
Arbeit) und c. 60. de thuribulo fusili (gegossene Arbeit) und c. 6 h <fe catenis (von den
Ketten desselben).
*) Noch fügen wir hinzu, dass die kleine Pfarrkirche zu Meone in Westphalen ein ttusserst
zierliches romanisches Rauchfass besitzt; auch in der Sammlung des Herrn Dietz zu Coblenz fanden
wir noch ein Rauchgefäss vor, das dem ZUI. Jahrhundert angehörte und aus Italien herrührte.
12 ST. ALBAN.
74.
ReliqniengeiUss
in Form einer kleinen Monstranz.
Iluhe 3U Centimeter, grüsster Durchmesser des Fusses 16 Centimeter. XY. Jahrhundert.
■
Vorliegende „manstranttola** stimmt in ihrer Anlage und in ihren Verhält-
nisHen überein mit jenen kleinen Schaugefässen , wie sie sich noch häufig in köl-
uischen Saeristeien vorfinden.
Das Fussstück ist im Sechseck angelegt und nicht rosenförmig ausgebildet,
sondern in Weise eines Sterns gehalten. In der Hohlkehle des breiten Fussrandes
koi^men Durchbrechungen in Vierpasform zur Anwendung. Auf dem Halse des
Fusses erhebt sich eine sechskantige Bohre, die in ihrer Mitte ein Aepfelchen als
Handhabe trägt, das ebenfalls wieder in gewöhnlicher Weise im Sechseck angelegt
ist und wahrscheinlich ehemals auf seinen 6 Pasten (rotuH) mit Halbedelsteinen
verziert war. Auf dem obem Stiele baut sich ein Sockel, im Viereck angelegt,
auf, der nach oben sich zu einer runden Scheibe erweitert. Diese Scheibe ist
von einer durchbrochenen Gallerie umgeben und nimmt einen runden Kiystall-
cylinder in sich auf, der in seinem Innern einzelne Reliquien des heil. Quirinus
und der heil. Balbina birgt. Diesen Krj'stallcylinder flankiren zu beiden Seiten
zwei Widerlagspfeiler, die ehemals nach oben in Fialen ausmündeten. Von diesen
Pfeilern gehen heute noch zwei kleinere Streben aus, die diese Widerlagen mit
dem oberen Abschluss und der Bekrönung des Cylinders in Verbindung setzen.
Diese obere Bekrönung des Cylinders besteht aus einem kreisförmigen Rande mit
Durchbrechungen und Profilirungen, der oben mit ausgesägten Zinnen abschliesst.
Der jetzt auf diesem kleinen Schaugefäss befindliche Helm ist hoch gestaltet und
ist offenbar nicht primitiv zu der vorstehenden Reliquienmonstranz angefertigt
worden; Noch machen wir nachträglich darauf aufmerksam, dass der untere
Sockel, worauf der Krystallcylinder ruht, nach beiden Seiten einen kleinen thumi-
förmigen Ausbau, mit Zinnen bekrönt, zum Vorscheine treten lässt, aus welchen
in Brustbildern die Statuetten der Apostel Petrus und Paulus hervorragen. Ein
Blick auf die einzelnen Detailformen des eben beschriebenen Gefässes genügt, mo
einzusehen, dass dieses Reliquiar gegen die Mitte des XV. Jahrhunderts angefertigt
worden ist.
ST. AI^BAN. 13
75.
Tanfbecken,
ein Gusswerk in Messing; der Hebel des Deckels eine reiche Schmiedearbeit.
Hohe 1 Meter 85 Centimeter. Durchmesser des obem Deckels 70 Centimetcr. Der Inschrift
tVL Folge Tom Jahr 1642.
Aus Gründen, die wir im Folgenden näher bezeichnen werden, sind die
mittelalterlichen, kirchlichen GefUsse von St. Alban, insoweit sie aus edlerem
Metall waren, verloren gegangen, so dass wir im rorhergehenden nur einen sehr
geringen Ueberrest jener Kunstwerke beschrieben haben, die vormals die Zierde
des Schatzes der ebengedachten alten PfaiTkirche bildeten. Es sei deswegen im
Nachfolgenden gestattet, bei der geringen Zahl der heute in St. Alban befindlichen
Kunstwerke gleichsam als Entschädigung ein Gusswerk näher zu beschreiben und
in Zeichnung mitzutheilen, das zwar nicht mehr jener Kunstepoche angehört, deren
Producte in vorliegendem Werke ausschliesslich in Betracht gezogen werden sollen,
sondern das innerhalb der Mauern Kölns einer Zeit seine Entstehung verdankt, in
welcher die neuen Stylgebilde der Benaissance mit Beseitigung der älteren Kunst-
formen sich vollständig geltend zu machen gewusst hatten. Auch diese in Rede
stehende ,Jans baptismalis" in edler und schöner Form kann wieder zum Beweise
dienen, dass der neu aufgekommene Styl in Köln nicht im Stande gewesen ist,
ftlr die verschiedenen kirchlichen Gebrauchsgegenstände neue Formen und Bil^
düngen zu erzeugen, die sich durchaus als eigenthttmlich und charakteristisch fUr
die Renaissance von den geringschätzend bei Seite geschobenen Formationen der
•
Gothik unterschieden. Abgesehen von einzelnen Profilen, wie sie der Renaissance
eigenthttmlich sind, bat die Grundform dieses Taufsteines durchaus noch ein alt-
deutsches Gepräge sich zu bewahren gewusst. Derselbe zeigt nicht mehr die
Form eines Beckens, worin in der frühromanischen Zeit noch eine „immersio"
des Täuflings stattfinden konnte, sondern, die Gothik hatte namentlich am
Niederrheine bei ähnlichem Gusswerke für Taufbrunnen mehr die Fonn eines
Kelchs zur Geltung gebracht, die vieUeicht schon der symbolischen Bedeutung
wegen leichter Eingang finden konnte, um das Sacrament der Taufe mit der Er-
lösung durch das Blut des Heilandes in Verbindung zu setzen , das durch den
Kelch des neuen Bundes versinnbildet werden sollte. Das Fussstück dieses Tauf-
beckens in Kelchform ist kreisförmig gehalten und basirt, wie das in der Gothik
an Leuchtern und Weihbecken in der Regel vorkömmt, auf drei gegossenen kleinen
Löwen, dem Symbol der Stärke und der Kraft. Dieses Pedalstück, was nur durch
einige Ringe markirt ist, trägt einen einfachen Ständer in Höhe von 30 Centinu,
der die Stelle der ,Jistula, catma" bei mittelalterlichen Kelchen vertritt.
An Stelle eines weit vorspringenden Eoiaufes, wie er an solchen Kelchen
ersichtlieh ist, hat der Gelbgiesser in der Mitte des Ständers einen einfachen un-
profilirten Ring angebracht, wie er an den Ständern grösserer Lichthalter vor-
14 8T. ALBAK.
kömmt. Das eigentliche Taufbecken in Form einer auBgehöhlten Halbkugel, deren
untere Bauchung glatt gehalten ist, ruht auf diesem Ständer. Der obere Rand
wird umschlossen durch einige profilirte Ringe, unter welchen sich eine schmale
Umrandung befindet, die in der Breite von S^ji Centimeter eine Inschrift in er-
habenen aufstehenden Majuskeln au&immt, wie sie in der Renaissance, anschliessend
an die classischen römischen Schriften ttblich sind. Dieselbe lautet wie folgt:
„Peter Kaufmann guss mich in Cöln anno domini MDCXLIL^'
Der Deckel zeigt in seinem äussern Aufriss eine schöne Profilirung. Es
erhebt sich nämlich auf einem wellenförmig ansteigenden Bedachungshelm eui
kleiner Sockel, der zugleich dem Deckel als Abschluss und Bekrönung dient, zu-
gleich aber auch vom Gelbgiesser als Piedestal intendirt wurde, um das 32Centim.
hohe Standbild des berühmten englischen Glaubensboten und Märtyrers, des heil.
Albanus, zu tragen. Der Giesser hat den Patron der Kirche dargestellt, als Prie-
ster, angethan mit der Albe, dem Messgewand, das noch um das Jahr 1 642 diesem
Bildwerke zufolge den mittelalterlichen Schnitt in Köki bewahrt hatte. Nach
älterer Anschauungsweise ist Albanus als Märtyrer dargestellt, wie er mit der
Rechten das abgeschlagene Haupt trägt, in der Linken dagegen das Schwert, wo-
durch er die Märtyrerkrone erlangt hat, eine im Mittelalter geläufige DarsteOung:^
weise der Märtyrer, die nicht nur bei dem h. Dionysius, sondern auch bei weiblichen
Heiligen schon seit der Frtthzeit des romanischen Styles in der Piastick geläufig
war. Nicht nur die äussere schöne Form imd die deutliche Inschrift dieses Tauf-
beckens als eine adäquate Nachbildung älterer kölnischen Taufbecken dürfte ftr
die kirchliche Alterthumswissenschaft von Interesse sein, sondern es verdient auch
der in der Wand an starken Klammem befestigte und in Angeln sich frei be-
wegende Hebel in seiner reichen Verzierung und kunstvollen Schmiedearbeit eine
nicht geringere Beachtung. Derselbe dient dazu, den schweren gegossenen Deck-
verschluss des Taufbeckens wegzuschieben und zur Seite in schwebender Lage
tragen zu können.
Offenbar befanden sich in der altdeutschen Kunstepoche in kölnischen Kir-
chen ähnliche reiche Schmiedearbeiten als Halter von gegossenen Taufdeckeln
vor, nach welchen dieser meisterhaft gearbeitete Träger gestaltet worden ist Die
Formen der Renaissance, wie sie sich in gefälligem, reichen Schwünge an diesem
Träger erhalten haben, lassen deutlich erkennen, welche grosse manuelle Fertig-
keit die Zunft der Kunstschmiede des alten Kölns in Behandlung des Eisens,
dieses schwer zu bearbeitenden und harten Materials, noch als eine Ueberkoromen-
schaft aus der vorhergehenden Kimstepoche sieh zu bewahren gewusst hatte.
Noch sei an dieser Stelle eines kleinen aus Messing gegossenen Weih-
beckens erwähnt, das beim Eintritt in die Sacristei von St Alban an der Thflre
hängt; dasselbe zeigt die Form jener Weihbeckeu, wie sie ftlr den häudichen
Gebrauch im Mittelalter und der beginnenden Renaissance zahlreich angefertigt
worden sein mögen. Es misst dieses y,vas lustral^' in grösster Höhe 9 Centimeter
bei einem Durchmesser des obem Randes von VVs Centimeter. Der Henkel, die
ST. ALBAK. 15
Handhabe desselben, fast im Kleeblattbogen angelegt, erinnert noch an die Formen
der Gothik. Die starke Bauchung des Gefässes, sowie der Fusstheil desselben
verräth Anklänge an die Fonnbildung des grösseren Beckens, das wir unter No. 47)
als der St. Kuniberts -Kirche angehörig, beschrieben haben. Das in Rede stehende
,,urceolum" dttrfte, wie der vorher beschriebene Taufbrunnen, ebenfalls aus dem
XVII. Jahrhundert herrühren.
Noch haben sich in der Pfarrkirche von St Alban zwei kleinere gegossene
Altarleuchter in Höhe von 30 Gentimeter erhalten, die in Gelbkupfer gegossen und
mit 'Ringen profilirt zu jenen altgothischen Altar -Leuchtern zu rechneu sind, wie
sie das XV. Jahrhundert allenthalben am Rheine entstehen sah.
SchangefUss,
in vergoldetem Kupfer.
Höhe 62 Gentimeter, grösster Durohmesser des Fasses 21 Gentimeter. XV. Jahrhundert.
Gross muss die Zahl von Reliquiengefässen in Form kleinerer Monstranzen
gewesen sein, die im alten Köln vor der Vemichtungsperiode zu Anfang dieses
Jahrhunderts in den zierlichsten Formbildungen angetroffen wurden. Die vielen
heute noch in den Sacristeien Kölns erhaltenen „monstrantiotae" dieser Art lassen
mit Sicherheit auf die ehemals bedeutend grössere Zahl solcher Schaugefässe
schliessen, die meistens aus edlem Materiale kunstreich geformt waren.
Das vorliegende Schaugefäss, das heute Partikel von den Gebeinen des
heil. Sebastianus birgt, scheint ehemals nicht als Reliquiengefäss, sondern als
kleine Monstranz zum Gebrauche an Wocheutagen benutzt worden ^u sein. Da-
für spricht nicht nur der sehr breite Glascylinder, sondern auch eine Vorkehrung
auf dem Boden desselben, worin ehemals noch eine kleine lunula eingelassen wer-
den konnte. Der Fuss der vorliegenden Monstranz bildet eine sechsblätterige
Rose, deren zwei gegenüberstehende Seitenblätter erweitert und stumpf abge-
schnitten sind. Ständer und Knauf sind eben£a,lls im Sechseck glatt gehalten, und
zeigt das „pomellum" in Form eines Kürbisses gebildet, Analogien mit jenen Kelch-
knäüfen, wie die kölnischen Goldschmiede des XV. Jahrhundei-ts sie häufiger an-
wendeten. Leider fehlt heut der ältere Krystallcylinder und ist durch ein ein-
faches Glas ergänzt, das nach oben und unten durch eine reichverzierte Kamm-
bekrönung eingefasst und umrandet ist. Zu beiden Seiten umgeben den breiten
Cylinder architektonisch gegliederte Widerlagen, die untenhin auf einem künstlich
verzierten Sockel in Form eines freien Pflanzenomamentes basirt sind. Die
äussern Widerlagspfeiler, die nicht organisch mit den innem Widerlagen in Ver-
bindung stehen, dürften wohl ftir eine spätere Zuthat gehalten werden. Die Spitz-
thttrmchen, die nach oben diese Widerlage verzierten, fehlen heut noch an ver-
schiedenen Stellen. Auch der obere Aufsatz dieses Gefässes scheint gegenwärtig
16 8T. ALBAN.
in Beiner Zusammensetzung sehr verstümmelt zu sein, indem auf der Bedachung
desselben in Form einer Halbkugel eine Bekrönung aufsitzt, die hinsichüich ihrer
Höhenausdehnung bedeutend modificirt worden ist Das Glänze sehliesst ab mit
einem Crucifix, des Formen gegen Mitte des XV. Jahrhunderts entstanden sein
dürften. Unsere Vermuthung geht dahin, dass die Verkürzung des vorliegenden
Reliquiariums, die demselben ge\vi§is nicht zum Vorzug gereicht, in jenen Tagen
von unberufener Seite vorgenommen worden ist, als der ehemalige mittelalterliche
Hauptaltar von St. Alban dem jetzigen unschönen und hochbeinigen Altarkolosg
hat weichen müssen, bei dem es sich herausgestellt haben dürfte, dass das neue
Tabernakel zur Aufhahme dieser Monstranz zu niedrig ausgefallen war.
In der Sacristei zum St. Alban findet sich auch noch ein spätgothischer
Kelch, in der Form, wie sie noch häufig in den Sacristeien Kölns fllr den täglichen
Gebrauch angetroffen werden. Derselbe stammt gleichfalls, wie das vorbe-
zeichnete Reliquiengefäss, aus der letzten HäUte des XV. Jahrhunderts.
Fuss und Knauf sind im Sechseck angelegt. Auf ersterem findet sich ein
altes Patricierwappen und darüber in einem Spmchbande eine Inschrift eingravirt,
die wahrscheinlich den Namen des Geschenkgebers anzeigt. Heute ist dieselbe
sehr unleserlich geworden; jedoch ist durch die freundliche Beihülfe des städtischen
Archivars Dr. Ennen die Lesung „Herbert Mommersloch" constatirt worden. Die
altkölnische Patrizierfamilie der von Mommersloch war in der St Albanskirche einge-
pfarrt und ist daher der ebenbezeichnete Herbert Mommersloch als Geschenkgeber
des vorliegenden Kelchs zu betrachten. Dieser Herbert starb, der Mittheilung des
obengedachten Archivars zu Folge, im Jahre 1490. Vielleicht dürfte wenige Jahre
vor dieser Zeit vorliegendes Gefäss entstanden, oder auch nach dem Tode des
Geschenkgebers aus einem Theile seines Nachlasses angefertigt worden sein. Das
eingravirte Wappen der^ron Mommersloch zeigt auf goldenem Felde, horizontal
gelegt, eine breite Zickzackverzierung in schwarzen Farben. Die obere Kuppe
ist später hinzugeftlgt worden; dieselbe ist jedoch heut der Art beschädigt, dass
der Kelch unbrauchbar geworden ist. Es steht jedoch mit Grund zu erwarten,
dass bei bevorstehender Restanration desselben streng in der älteren Form eine neue
Kuppe wieder binzugefligt werde.
Mittelalterliche Paramentstickereien ans dem XY. Jahrb.
Die älteste Stickerei, die üch heute noch in den Gewandschränken von
St. Alban erhalten hat, findet sieh vor an einem Stabgewebe in Gold, das in
letzterer Zeit sehr unzweckmässig durch breite unechte Borten entsteDt ^ind auf
ein modernes Messgewand übertragen worden ist. Diese iaurifrisia'^ auf der
Vorderseite des Messgewandes ist ohne Zweifel gefertigt worden von der alten
Zunft der Wappensiicker Kölns und dttrite, nach Analogien zu scbliessen, g^^
ST. ALBAK. 17
Mitte des XV. Jahrhunderts entstanden sein. In einem sehSnen Geflechte von
Laubwerk und Blttthen in grttner Farbe auf Goldgrund sind theilweise durch die
Nadel des Bildstickers die Bilder der tjlegina Coeli'% des heil. Alban, und der
heil. Katharina zur Darstellung gebracht. Auf der Bttckseite im Kreuze der Casul
erblickt man in viereckigen Quadraturen Engel , die Wappenschilder halten» in
welchen die Passionswerkzeuge des Heilandes gestickt und eingewirkt sind. Auch
diese aus verschiedenen Zeiten zu einem Kreuze zusammengesetzten Bruchtheile
rflhren aus dem XV. Jahrhundert her und sind ebenfiedls als Kunsterzeugnisse
jener betriebsamen Innung der Bild- und Wappenwirker Elölns zu betrachten,
deren Leistungen man heute noch an altem liturgischen Gewändern des fihein-
landes häufig vorfindet
Eine andere interessante Bildstickerei findet sich in der mehrfach gedachten
Püurrkirche vor an einem Vorhänge von rothem Sammt. Diese interessante „auri-*
frisia"' misst in grösster Länge 10 Decimet u. 5 Centimeter und hat eine Breite
von 14 Vi Centimeter. Der kölnische Bildsticker hat in der Mitte dieser Bordüre
die im Mittelalter sehr beliebte Darstellung der Krönung Marias auf einer goldge*
wirkten Unteriage so zu sticken gewusst, dass diese Darstellung in Weise eines
lieliefs fast erhaben aufliegt Die architektonisch reich gegliederte Sitzbank um-
stehen musicirende Engel, die den Moment der Krönung mit zu feiern und zu
verherrlichen scheinen. Zu beiden Seiten dieses gestickten Mittelbildes hat der
KtlnsÜer die 12 Apostel gruppenweise zu 2 und 2 geordnet, als Halbbilder unter
architektonisch gebauten Nischen dargestellt Dieselben sind kenntlich durch die ihnen
beigegebenen Attribute. Die Köpfe dieser Apostelbilder sind äusserst charakteristisch
im Plattstich gestickt SämmÜiche Gewänder sind „a ar battu** gearbeitet mit
eingesticktem gothischen Blumenwerk. Auf den äussern Pfeilern, welche die über
den Aposteln befindlichen Baldachine zu tragen scheinen, sind Überall stehende
oder sitzende kleinere Figürchen von musicirenden Engelsgestalten angebracht,
die variirend alle jene Instrmnente spielen, welche im Mittelalter gebiüuchlicli
waren. Glücklicher Weise hat sieh, was selten noch vorkömmt, auf d^n äussern
Rande dieser merkwürdigen „aurffrtsia** die Jahreszahl „1500'^ in alt gothischer
Schreibweise erhalten, wodurch also Conjecturen über die Zeit der Anfertigung
vorliegender Stabstickerei von selbst fortfallen. Uebereinstimmend mit altem An-
tipendien war die reich gestickte obere Randeinfassung ehemals fi-ei und beweg-
lich als herunterhängendes Ornament unmittelbar am obem Rande des Vorhanges
befestigt, und hat durch die jetzige stylwidrige Application an unzweckmässiger
Stelle der Paramentenschneider der Neuzeit zu erkennen gegeben, dass ihm wohl
schwerlich mehr die decorative Beschaffenheit und Einrichtung der älteren schönem
Antipendien bekannt gewesen ist.
Das „testiarütm** zu St Alban besitzt auch noch eine äusserst reich und
kostbar in Gold auf schwerem rothen Sammt gestickte Capelle, die zu dem Vor-
trefflichsten gezählt werden kann, was sich aus der Periode der ' beginnenden
Renaissance und der aUmählicb entarteten Technik heute noeh in den Sacristeien
Kölns vorfindet
3
18 ST. ALBAS.
Die Plattstickerei in dieser Capelle, bestehend aus dem Kreuze und den
Stäben des Messgewandes und zweier Dalmatiken, ist leider, wie uns angegeben
wurde , aus dem reichen goldgestickten Umstoffe in rothem Sammt herausgenom-
men und bereits vor langem Jahren auf einen neuen Rothsammt zu einer zweiten
Capelle applicirt worden. Kattlrlich mussten bei dieser Zurechtsetzung und Yer-
kttrzuDg des ebengedachten Ornates von den Stäben des Messgewandes und der
Dalmatika die untern gestickten Heiligenfiguren zur Hälfte weggeschnitten werden.
Diese Nadelmalereien von grösseren Heiligenfiguren auf reich gesticktem Gold-
grunde, die der Jahreszahl zufolge 1 624 in Köln angefertigt worden sind, beweisen
unzweideutig, dass in der Bildstickerei dieser Periode eine naturalistische, mehr
materielle Auffassung imd Durchführung der Heiligenfiguren sich Bahn gebrochen
hatte, und dass die zartere ideale Composition von Heiligenfiguren nicht mehr mit
dem Geschmacke und der Geftihlsweise der modernen Zeit tibereinstimmte. Auch
die Technik, wie sie an diesen Bildstickereien zu Tage tritt, ist nicht mehr jene
zarte bis ins kleinste Detail delieat durchgeführte, wie wir dieselbe bei kölnischen
Bildstickereien des XV. Jahrhunderts häufig bewundert haben.
Ehemaliger Schatz Ton St. ilban.
Nach den Angaben des Gelen und glaubwürdigen mündlichen Mittheilungen
zufolge, muss der gegenwärtig sehr zusammengeschmolzene Schatz der Pfarrkirche
von St Alban bis zu den verhängnissvollen Tagen der französischen Invasion an
Schätzen der Goldschmiedekunst umfangreich gewesen sein. Die grosse Zahl
werthvoUer und kunstreicher Gefösse in dem ehemaligen Thesaurus von St.
Alban lässt sich heute noch annähernd ermessen aus den vielen und kostbaren
kirchlichen Prachtgewändem von den Tagen des XY. Jahrhunderts bis zu den Glanz*
Zeiten des XYH. Jahrhunderts, die sich heute noch in den dortigen Gewandschränken
vorfinden. Unter den fernem Gründen, die zu der Annahme nöthigen, dass der Schatz
von St. Alban ehemals bedeutend gewesen sein muss, heben wir hier noch den hervor,
dass in dieser Pfarre, einer der vier ältesten und angesehensten des mittelalterlichen
Kölns, deren zeitliche Pastoren auch den Titel „vicarü archiepitcopales" ftübrten,
viele der reichsten und angesehensten Patrizier und Kaufleute ihren Wohnsitz
hatten, deren Familienbegräbnisse sich heute noch in der gedachten Kirche be-
finden.
Die französischen Steuern und Gelderpressungen, durch welche im Anfange
dieses Jahrhunderts die Abtei- und Stiftskirchen von Köln in rascher Aufeinanderfolge
heimgesucht wurden, scheinen sich auch sogar auf die Pfarrkirchen ausgedehnt
zu haben. Einer zuverlässigen Mittheilung zufolge wurden die der Kirche von
St. Alban auferlegten Contributionen und anderen Lasten von einem begüterten
Mitgliede des damaligen Kirchenvorstandes in der löblichen Absicht aus eigenem
8T. ALBAN. 19
Vermögen bestritten, damit später, wenn die Zustände sich wieder geordnet hätten,
ihm diese Vorschüsse von der Kirchenkasse in Baten zurückerstattet würden.
Diese erhofifte bessere Ordnung der Dinge trat aber nicht ein; man sah sich des-
halb in die traurige Lage versetzt, zur Deckung der schwebenden Schulden zum
Aeussersten greifen zu müssen. Die kunstreichen Ejrchengeräthe und prachtvollen
Gefässe, die lange Jahrhunderte hindurch so Viele erbaut und erfreut hatten,
wanderten in die Schmelze. Und so wurden des Metallwerthes wegen Kunstwerke
zerstört, deren Werth nach heutiger Schätzung oft um das Dreissigfache höher an-
zuschlagen sein würde. In dieser unglücklichen Katastrophe verschwanden auch
nebst andern grossem kirchlichen Utensilien, in edlen Metallen getrieben, als
silberne Altarleuchter, silberne Hängelampen u. s. w., jene formschönen Keliquien-
behälter, wovon Gelen zwölf verschiedene, mehr oder weniger kunstreich ausge-
stattete „kierothecae argenteae" namliaft macht. Unter diesen altem meist silber-
vergoldeten Reliquarien von St. Alban, die unser Autor mit ihrem Inhalte einzeln
kennzeichnet, befand sich auch ein Reliquiar, dessen Fonu die Gestalt eines silber-
vergoldeten Dreifusses zeigte, welcher in reicher Fassung die Kinnlade der heil.
Apollonia umschloss. Dass man im Mittelalter diese und andere kunstreich ge-
arbeiteten Reliquienbehälter als passende Omatstücke auf die „predelta" der Haupt-
altäre zu stellen pflegte, geht u. A. deutlich aus einer Stelle hervor, die der oft
genannte Beschreiber der ehemaligen Grösse Kölns bei Au&ählung der Kunst -
und Beliquienschätze von St. Alban anzugeben nicht unterlässt. *) Er spricht näm-
lich unter No. tl und 12 von zwei grossem silbernen „brackia*' die „pro inajore
omatu et splendore altaris" auf den Untersätzen des Altars mit den übrigen Beli-
quienbehältem aufgestellt zu werden pflegten.
*) Heute nehmen leider falsche Blumen als ein unkirchUches und unwürdiges Surrogat in yielen
Kirchen Kölns die SteUe der obengedachten Kunstgeräthe und GefUsse ein, die namentlich in Winters-
seit mit der dann herrschenden Kälte im grellsten Contraste stehen, abgesehen Ton den tändelnden
Künsteleien, womit diese erlogenen Blumen zusammengesetzt sind.
M«?> ^' Qaltttnke
ffuii ^'- QnlumUa.
ytuß 9- qalumlia.
$i gofumBa.
Oegenstftnde der mittelalterlichen Kunst in der dortigen Saoristei.
76) SchaugeHlss, in Silber, XV. Jahrhundert. Tafel XX. Fig. 76
77) Processionskreuz, in vergoldetem Silber, XV. Jahrhundert. Tafel XX. Fig. 77
78) Monstranz in vergoldetem Silber, XV. Jahrhundert. Tafel XX. Fig. 78 . .
79) Lichthalter in Schmiedeeisen, XV. Jährh. Tafel XXI. Fig. 79
80) Grosse Monstranz in vergoldetem Silber, XIV. Jahrh. Tafel XXI. Fig. 80 .
81) Ghorleuchter in Messing gegossen, XV. Jahrh. Tafel XXI. Fig. 81 . . .
82) Messgewänder mit reichen figuralen Bildstickereien, XV. Jahrh. Taf. XXII. Fig
Vormalige Kirchenschätze von St. Columba - . .
82
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I
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76.
Reliqniengef&ss,
in Form einer kleinen Monstranz in Silber, ohne Vergoldung.
Höhe 43 Centimeter, Breite 14Vs Centimeter, grösster Durchmesser des Fusses 13Vs Centimeter.
XV. Jahrhundert.
Dieses Reliquiarium stammt ans jener Zeit der entwickelten Gothik, in der
man Reliquiengeiässe in SUber ausführte ohne Vergoldung, und nur einzehie her-
vorragende Theile derselben durch Vergoldung zu heben suchte. Der Fuss dieser
kleinen Monstranz ist, wie bei den meisten Qefässen dieser Art, in sechsblätteriger
Rosenform gehalten, ohne Durchbrechung des untern Randes und ohne Gravuren
auf den verschiedenen Blättern.
Auf dem ziemlich breit ansteigenden Halse des Fusses erhebt sich ein
architektonisch, im Sechseck geformter Untersatz mit Widerlagspfeilem, Zinnen-
bekröntmg und Durchbrechungen im sogenannten Frauenschuh. Auf diesem Sockel
ruht ein sechseckig gebildeter Ständer, der in der Mitte durch einen Knauf, als
Handhabe, unterbrochen wird. Dieser »^nodus** hat die Form einer Fruchtkapsel,
die platt zusammengedrückt ist, mit starken Profilirungen. Auf dem Ständer
erhebt sich ebenfalls im Sechseck eine Gonsole, die nach oben im Kreide sich er-
weitert und durch eine Zinnenbekrönung abgeschlossen wird. Der Cylinder, wel-
cher die Reliquie einschliesst , ein schöner Bergkrystall, ist correspondirend mit
dem untern Fusstheile im Zwölf eck geschliffen; auf .beiden Seiten flankiren ihn
zierlich entwickelte WiderlagspfeUer von Baldachinen durchbrochen, unter welchen
zu beiden Seiten die kleinen, in Silber ciselirten Standbilder der Apostel Petrus
und Paulus dargestellt sind. lieber diesen Baldachinen erheben sich * kleine
Säulchen als Ständer, die auf jeder Seite eine zweite ciselirte Heiligenfigur tragen,
und zwar auf der einen Seite Johannes den Täufer, auf der andern einen Heiligen
im Rittercostttme, Panzer und Harnisch, der in beiden Händen seine Symbole trägt,
nämlich Ambos und Hammer. Da vorliegendes Reliquiarium wahrscheinlich als
Geschenk von irgend einer Zunft herrührt, so möchte in diesem Heiligen vielleicht
der Schutzpatron der Schmiede oder Goldarbeiter zu erkennen sein. Beide Wider-
lagspfeUer verjüngen sich nach oben in Fialen. Um dem Gylinder noch eine
grössere Consistenz zu geben, hat der Goldschmied zu beiden Seiten desselben
4 ST. COLUHBA.
dttnne Mittelwftnde angebracht, die einfache architektonifiche Durchbrechungen
zeigen und oben mit Zinnen bekrönt sind. Nach obenhin wird der ausgehöhlte
Krystali von einer Art Krone überragt, die auf ihrem obem Rande mit einem
gothischen Blätterwerk als Kanunyerzierung einen zierlichen Abschluss erhält
Der Cylinder selbst ist zur Deckung mit einer halbkreisförmigen Kapsel versehen,
die auf ihrer Oberfläche einen architektonisch, im Sechseck construirten Baldachm
aufiiimmt, was dem ganzen Gefass einen leicht sich veijttngenden Abschluss ^ebt
Unter diesem Baldachinchen, das auf beiden Seiten durch Widerlagspfeiler gestutzt
wird, thront die Patronin der Kirche, die heil. Columba, die Palme haltend and
geschmückt mit der Marterkrone. Diese Statuette ist von andern h. h. Märtyrern,
als Kirchenpatronin durch den zu ihren Füssen befindlichen Bären, der in ihrer Mar-
tyrergeschichte eine wunderbare Rolle spielt, kenntlich gemacht Der überragende
Baldachin wird bekrönt durch einen sechsseitigen 'Helm, der nach oben sich in eine
Spitze verjüngt und zweifelsohne ehemals mit einem kleinen Ejreuzchen verziert
war, welches heute mit noch einigen andern kleinem Ornamenten verschwunden ist
Im Innern des geschliffenen Krystalls erblickt man die knieende Figur eines En-
gels, silbervergoldet, der in seinen Händen eine kleine Röhre hält, einen längern
Dom umschliessend, welcher auf einem dabei befindlichen Pergamentstreifen als
„Spina de Corona Christi^* benannt ist
Was die technische Durchbildung und Entwickelung der DetaOform dieser
zierlichen „monstrantiola** betrifft, somuss bemerkt werden, dass dieselbe in ihrer
Ausarbeitung eine höhere Vollendung der Technik erkennen lässt, als das bei der
unter No. 78 beschriebenen Monstranz der Fall war. Auch dürfte, dem grossem
Formenreichthume nach zu urtheilen, dieses Beliquiengefäsp erst gegen das Ende
des XY. Jahrhunderts in einer Werkslätte entstanden sein, wo man mehr darauf
rechnete, durch das harmonische Ebenmass der einzelnen Theile eine gefällige 6e-
sammtwirkung hervorzubringen, als durch übertriebene Ausbildung untergeordneter
Detailformen.
77.
Grosses Proeessionskreuz^
in Silber, vergoldet.
Or&sste Länge 79 Centimeter, Breite der Kreazarme 50 Centimeter. XV. Jalurhundert
Nicht leicht dürfte am Niederrheine, aus dem Schlüsse des XY. Jahrhunderts
herstammend, ein Vortragekreuz gefunden werden, das hinsichtKch seiner
gefflUigen Gomposition und des Reichthums seiner Detailformen mit dem
Pfarrkreoze yon St. Columba den Vergleich eingehen könnte. Das Kreuz selbst
ist als Baum „des Lebens'S an dem das Heil der Welt hing, nicht naturalistisch,
ST. COLUMBA. 5
sondern ideal aufge&sst; deswegen auch die vielen ciselirten, silbervergoldeten
Ornamente an den Ecken, wie an den beiden Seiten der Kreuzbalken. Dasselbe
ist in seinen vier Balken glatt in Silber gehalten und nur durch einige punktirte
Laubomamente verziert Die Ränder desselben sind schön profilirt, sflbervergol-
det und zeigen in der HohlkeUe erhaben gepressie vierblätterige Ornamente. Die
vier Kreuzbalken durchlaufen nach kurzen Zwischenräumen lang gezogene und
gesch¥ningene Laubomamente mit stylisirten gothischen Blättchen, silberver-
goldet, wodurch die Einförmigkeit der vier Kreuzbalken angenehm unterbrochen
und dem ganzen Prachtstücke ein reiches Ornament verliehen wird. Die Ausmttn-
düngen der Kreuzbalken sind durch quadratisch geformte architektonische Bildungen
bekrönt, deren vier Seiten bogenförmig eingedrückt sind. Darüber setzt ein Halb*
kreisbogen an, welcher im Innern mit einem Kleeblattbogen verziert ist. In Mitte
dieses, über Eck gestellten sogenannten „Ostereies*^ zeigt sich ein Rundmedaillon,
welches als Hautrelief mit je einer Darstellung der Thiersymbole der vier Evan-
gelisten in Vergoldung auf Silbergrund ausgeftült ist Auf den drei Ecken dieses
Ostereiomamentes erheben sich zwei ähnliche Blattbildungen, wie sie auch an den
vier Balken des Kreuzed vorkommen, die in ihrer Mitte eine silbervergoldete Frucht-
bildung in der Form einer Erdbeere einfassen, die auf den vier Seiten von schön
stylisirten Deckblättchen eingeschlossen wird. Unterhalb dieser rosenförmigen Aus-
mündung an dem untern Kreuzbalken tritt eine Verlängerung des Langbalkens ein,
und befindet sich in diesem verlängerten Theile unter einem Baldachine das
kleine ciselirte Standbildchen der heil. Golumba. Ohne weitere Gliederung greift
alsdann unter dem Sockel dieser Statuette der verlängerte Kreuzbalken in einen
breiten Knauf ein, der mit rundbogigen Fensterstellungen ohne Durchbrechungen
-omamentirt ist Dieser runde Knauf ist in seiner Mitte umzogen mit einer stark
hervortretenden Cordonirung, an welcher nach beiden Seiten hin Laubomamente
hervorsprossen, die nach regelmässigen Zwischenräumen sechs zierliche Blttthenbil-
dungen einfassen. Den untern Ständer (stylus^ ßstula) bildet eine architektonische,
im Achteck angelegte leichte Säulenstellung, welche auf kleinen Gapitälchen zier-
liche Giebelfelder tragen, die auf der Spitze mit einer Kreuzblume abgeschlossen
werden. Dieser reich gegliederte Schaft wird überragt von einem helmartigen
Aufsatze, der in halber Höhe von dem ebengedachten breiten „pomeUum" unter-
brochen wird. Die Rückseite dieses stattlichen Vortragekreuzes zeigt dieselbe
Omamentation; jedoch thront in der Kreuzung der Querbalken unter einem freige*
arbeiteten Baldachin das sauber ciselirte Standbildehen der Himmelskönigin. Was
die Bildungen der untern Ränder des Knaufes und der andern Detailformen betrifft,
nicht weniger die Composition und Drapirung der oiselirten silbernen Statuettchen,
so dürfte man aus diesen Formen dea Schluss herleiten, dass das vorliegende
Pfarr- und Vortragekreuz in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts von einem
geübten kölnischen Meister der GoldschmiedezuQft angefertigt worden sei. Da*
gegen kann offenbar die fast 20 Centimeter grosse, in Silber gegossene Figur des
Gekreuzigten kein so hohes Alter beanspruchen, wir haben viehnehr die sichere Ueber-
zeugung, dass dieses kunstreich geformte und fein ciselirte Bild des gekreuzigten
6 ST. COLUMBA.
Erlösers später hinzugefügt worden ist, und zwar erst gegen Beginn des XYL Jahr-
hunderts. Im andern Falle mttsste man annehmen, ein älterer Zunftmeister
habe das Kreuz mit seinem Omamentreichthum und den ciselirten Standbildchen
in jenen Formen nach altem Modellen, wie sie in seiner Jugend üblich waren,
ausgeführt, und ein anderer jüngerer Künstler habe den Christus nach den Ge-
setzen, wie sie, zur Renaissance schon bedeutend hinneigend, in der ersten Hälfte
des XYI. Jahrhunderts zur Geltung gekommen waren, angefertigt Nicht nur lässt
das flatternde Schürztuch des Heilandes, mit seinem vielfach geknitterten, langge-
zogenen Gefälte, sondern noch mehr die bis zu den Adern streng durchgefilhrte
anatomisch ängstliche Behandlung und Durchbildung der einzelnen Körpertheile des
Gekreuzigten, auch, das weniger geübte Auge deutlich erkennen , dass entweder
diese technisch gut ausgeführte Figur von einem jungem Ejreuze herrührt, was
wir eher anzunehmen geneigt sind, oder dass wenigstens hundert Jahre später dieses
Bildwerk für das in fiede stehende Kreuz ist angefertigt worden, was als Vortrage -
oder Fahnenkreuz yielleicht ursprünglich nicht mit dem Bilde des gekreuzigten Er-
lösers versehen war. Leider fehlt gegenwärtig zu diesem reichen Prachtkreuze das
ähnlich construirte und verzierte Fussgestell; das heutige gehört in seinen unschönen
Formen offenbar dem letzten Jahrhundert des Ungeschmackes an. Der Mangel
des Pedalstttckes hat uns zu der Vermuthung geführt, als ob ursprtlnglich das vor-
liegende Pfarrkreuz nicht als ^,crux aUaris*' zum Aufstellen auf dem Altare an Fest-
tagen, sondern als eine „crua? processianaUs'^ zum Vortragen bei feierlichen Proces-
sionen oder auch als Fahnenkreuz angefertigt worden sei. Schliesslich müssen wir
noch bemerken, dass es den Anschein haben vrill, als ob die vier Kreuzbalken
nicht in rechter organischer Verbindung mit den vier reichen Abschluss -Bösen
ständen. Das Aufhören der glatten Ejreuzbalken mit den einfassenden vergoldeten
Profilen ist ein plötzliches, und dürfte man annehmen, da^ dieser Abschnitt ge-
waltsam vorgenonmien worden sei. Die ebengedachten vergoldeten Abschlussstreifen
setzen sich auch nicht gleichmässig in den Umringungen der reichen Eckverzie-
rungen fort, sondern brechen plötzlich ohne alle Verbindung ab.
Ausser den drei Pi*achtkreuzen in Gold und mit künstlichen byzantinischen
Schmelzen (emauw cloisormSs) in dem reichen Schatze zu Essen, Meisterwerke der
Goldschmiedekunst, aus den Zeiten der Ottonen herrührend, wüssten wir aus dem
XV. Jahrhundert heute nur noch wenige Processionskreuze anzuführen, die hin-
sichtlich der Grösse und genialen Composition, nicht weniger in Rücksicht der
Fülle der Detailformen mit unserm Pfarrkreuze von St Golumba wetteifern könnten.
Verwandte Analogien mit dem vorliegenden Ejreuze hat die reiche „ertu: proce^
sionaUs'' der Pfarrkirche zu Calkar am Niederrhein. Auch in der Pfarrkirche zu
Ueberlingen am Bodensee, Gonstanz gegenüber, fanden wir ein ähnliches Altar-
kreuz von reicher Formbildung und ziemlicher Grösse, bei dem sich auch noch
das primitive Pedalstück erhalten hatte.
ST. COLCMBA. 7
78.
Monstranz^
in vergoldetem Silber.
Höhe 70 Centimeter, grösste Breite 20 Centimeter, mittlere Breite des Fusses 18 Centimeter.
XY. Jahrhundert.
Wenn die unter No. 80. beschriebene Monstranz von St. Columba sich mehr
durch das schöne Ebenmaass ihrer schlanken Form und durch den streng construc-
tiven Ernst, der in ihren Detailformen vorwaltet, auszeichnet, so empfiehlt sich das
hier in Rede stehende Schaugefäss mehr durch die Freiheit und Genialität, wodurch es
dem Componisten gelungen ist^ seine Formen in grösserer Leichtigkeit als Ornamente
auftreten zu lassen, welche einen architektonischen Zwang und constructive Gesetz-
mässigkeit nicht zu sehr zur Schau tragen. Die unter No. 80 beschriebene Mon-
stranz charakterisirt jene Eunstepoche, wo auch der Goldschmied sich den archi-
tektonischen Fesseln fast gegen seinen Willen fügen musste. Das vorliegende
Kunstwerk in seinem zierlichen Formenreichthum lässt den Ausgang des Spitz-
bogenslyls bereits deutlich erkennen, wo es dem Goldarbeiter als Omamentalisten
gelungen ist, die strengen architektonischen Gesetze und Formen zu umgehen
und an die Stelle derselben eine leichtere phantasievollere Auffassung und Durch-
ftüirung der constructiven Formen treten zu lassen, wodurch auch das Pflanzen-
omament mehr Geltung gewinnt und dem reichem bildsamen Materiale des Silbers
grössere Zugeständnisse gemacht wurden. Der Fuss der Monstranz zeigt wiederum
die gewöhnlich vorkommende Form einer sechsblätterigen fiose, und sind, da
dieselbe oben nach zwei Seiten ausladet, auch die entsprechenden Einschnitte des
Fusses nach dieser Bichtung hin verlängert und schllessen mit einer stumpfen
Linie ab. Auf den ansteigenden Flächen des Fusses hat der Gk>ldschmied keine
Gravirungen angebracht, sondern erhabene aufgelöthete Maasswerkverzierungen,
wodurch dieses Pedalstück gewisse Aehnlichkeit mit einem reichen künstlichen
Netzgewölbe der Spätgothik erhält, wo auf dem sich durchkreuzenden Rippenwerk
die Gewölbkappen leicht aufliegen. Vielleicht hat der Gomponist auch bei diesen
aufliegenden Maasswerkverzierungen daran gedacht, sich durchkreuzende Fasern
und Wurzeln zur Darstellung zu bringen, indem der Ständer der Monstranz, der
sich auf diesem Fusse aufbaut, fast die Gestalt eines Baumstammes mit tiefem
Einschnitten zeigt, auf welchem nach oben in leichten architektonischen Ver-
zierungen die Krone eines Baumes sich zu verästeln scheint. Auf diese Weise
würde der Künstler dann, wenn unsere Vermuthung sich bewahrheiten sollte, dem
vorliegenden Monstranzwerk vielleicht die Idee des mystischen Baumes der Erkennt-
niss des Guten und Bösen zu Grunde gelegt haben, der da gepflanzt war in Mitte
des Paradieses, oder aber die Vorstellung des Baumes der Kirche, wie derselbe
sich an Monstranzen aus der beginnenden Renaissance häufig vorfindet, und wie
ihn die Augsburger Goldschmiedezunft in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts
8 ST. COLUMRA.
häufiger darzustellen pflegte. Eine solche äusserst prachtvolle Monstranz, an der
der Künstler offenbar der obenbezeichneten Idee den entsprechenden Ausdruck
gegeben hat, befindet sich heute noch im Besitze des königlichen Kammerherm
Baron Ton Maienfisch , Director der fürstlich Sigmaringischen Kunstsammlungen. *)
Der Ständer der vorliegenden Monstranz, der sich auf einer sternförmigen
Unterlage unmittelbar auf dem Halse des Fusses im Sechseck aufbaut, hat aui-
fallender Weise in seiner Mitte keinen Knauf, sondern es befindet sich ein solcher
an dem obem Theile des Schaftes, ebenfalls sechseckig gehalten. Auf diesem
Yorsprunge, der dazu dienen soll, sich auf die ihn umfassende Hand aufzusetzen,
erheben sich auf den sechs Ecken ebenso viele kleine Fialen, die jedesmal kleinere,
als Baldachine geformte Giebelaufsätze flankiren. Ueber dieser architektonischen
Gliederung setzt sich der Ständer fort und trägt einen ebenfidls un Sechseck
construirten Sockel, der auf seiner nach oben hin erweiterten Fläche sechseckig
mit einem hängenden Sims abgeschlossen wird. Nach oben umgiebt auf einer an-
steigenden Erhöhung diesen Consol ein gothisches Blättersims, das den Kiystall-
cylinder nach unten aufzunehmen und einzufassen hat Zu beiden Seiten schliessen
den Cylinder zwei, je im Dreieck construirte Widerlagspfeiler ein , nach oben in
Spitzsäulehen sich verjüngend, welche unter Baldachinen die Standbilder verschie-
dener köhiischen Heiligen aufnehmen. Nach obenhin sind diese beiden Streben
durch omamentirte Bogen verbunden. Die Zwischenräume dieser Streben sind
nach untenhin ausgetUllt durch grössere Baldachine, unter welchen auf der rechten
Seite der Apostel Petrus und auf der linken der heil. Paulus thront. Diese äusserst
fein in Silber ciselirten Standbildchen der Apostel sind auf vergoldeten Säulchen
als Ständer hingestellt. Ueber dem Sanctissimum erhebt sich in Weise eines reich
construirten Baidachines eine Helmbekrönung, die ebenfalls im Sechseck angel^
ist. Dieser Aufsatz, als schlanker Helm sehr reich construirt, venüth eine. reiche
FormenflUle und das Bestreben des Componisten, innerhalb der architektonischen
Gesetze ein zwangloses Sichgehenlassen des Ornamentes zur Greltung zu bringen.
Die sechs Ecken dieses laubartigen Baldaehines sind mit grossem und kleinem
Fialen umstellt, welche durch kleinere, sich durchkreuzende Oiebelbekrönungen
im sogenannten Eselsrttcken mit einander verbunden sind. Ueber diesen Durek-
kreuzungspunkten hat das Genie des Künstlers sechs zierliche, zart ciselirte kleine
Engelsgestalten angebracht, die in sitzender Stellung abermals kleinere Fialen zu
halten scheinen, welche auf kleineren Bogenstellungen basirt sind. Auf der obera
Wölbung des Baldachins tritt als Sockel eine Dreieckform mit dem bekannten
Kleeblatte über den drei Seiten desselben hervor, aus welcher sich im Dreieds
drei Pfeilerbündel erheben, die in ihrer Mitte das in Silber ciselirte Standbild der
Himmelskönigin umstehen. Von diesen drei Pfeilerbündeln getragen, erhebt sich
als Ausläufer des Ganzen ein kurzgedrungener, dmt^rochener Helm und verjüngen
*) Dieses kostbare SchaugefÜss, eben so schön und sinnig in der Composition, als techniBch*
meisterhaft ansgeAlhrt, haben wir in dem Kataloge der Ausstellong im SrzbischlSflichen Muaeani tn
Köln Ton Jahre 1867 in leichten Umriisen besprochen.
ST. COLUMBA. 9
Bich die drei Ständer nach obenhin zu Fialen, die sich, ein Zeichen von spät-
gothischer Formation, oben umbiegen, und sich nach drei Seiten oben durch ein-
ander verkröppen. Das Kreuz, welches die Monstranz ttberragt, scheint uns neue-
sten Ursprungs zu sein, und fehlt an demselben die Figur des Gekreuzigten, die
an altem Monstranzwerken niemals yergessen ist. Dieses Schauge&ss ist aller
Wahrscheinlichkeit nach erst dann angefertigt worden, als in der ersten Hälfte des
XV. Jahrhunderts auch die spätem Anbauten an St Columba in einer bereits aus-
gearteten und ausgestorbenen Gothik ausgeführt worden sind. Jedenfalls aber hat
der Anfertiger, als hervorragender Künstler von Beruf, bei dem vorliegenden „o^
tensorium" ein Meisterwerk nicht nur hinsichtlich der Composition, sondern auch
rttcksichtlich der technischen Ausführung vollendet. Was die präcise Ausführung
der einzelnen Theile in den Bildungen der Spätgothik betrifft, so hat die vor-
liegende zierliche Monstranz von St. Columba viele Analogie mit der schönen
Monstranz, die sich heute in der Pfarrkirche zu Orsbach bei Aachen befindet
Diese gehörte ehemals der hiesigen Antoniter- Kirche an, wie dies ein auf der
Spitze befindliches Antonkreuz und auch eine Inschrift deutlich besagt, und ist,
der Inschrift zu Folge, 1517 von einem Meister der Goldschmiedezunft angefertigt
Um diese Zeit dürfte auch die ebenbeschriebene Monstranz ihre Entstehung gefunden
haben. Auch befindet sich in der ehemaligen Stiftskirche zu Bees am Niederrhein
noch eine prachtvolle Monstranz, die rücksichtlich ihrer Detailformen viele Ver-
wandtschaft mit der ebenbeschriebenen Monstranz zeigt Desgleichen auch eine
andere von verwandter FormbUdung in Moselweis bei Coblenz.
79.
Tersehiedene Halter,
in geschmiedetem Eisen, auf Steinconsolen befestigt, aus der letzten
Hälfte des XV. Jahrhunderts.
Höhe 2 Meter 9 Decimeter.
Diese interessanten Halter dienten vielleicht ehemals dazu, die Votivkerzen
zu tragen, die vor einzelnen Gnadenbildem angezündet wurden ; heute werden zwei
derselben zu Lichtträgem von grossem Kerzen benutzt, welche bei den Exequien
einzelner P&rrmitglieder angezündet werden.
Eine reiche Gliederung zeigen die Ständer als zierliche Sockel mit jenen
architektonischen Formen profilirt, wie man sie gegen Schluss des XV. und den
Beginn des XVf. Jahrhunderts häufig als Sockel an Fensterstäben und Gewänden
der altem kölnischen Wohnhäusern antrifiFt.
Die St Columba- Kirche bewahrt noch einige dieser eisernen Lichtträger
in ähnlicher FormbUdung, wie dieselben sich ebenfalls in verschiedenen Kirchen
2
10 ST. COLUMBA.
Kölns vorfinden. Der in der vorliegenden Zeichnung mitgetheilte Lichttrager,
hinßichüich seiner omamentalen Ausbildung am reichsten gegliedert, liefert
den Beweis, dass das Kunstschmiedegewerk gegen Schluss des XV. Jahrhundem
im alten Köln hinsichtlich seiner Leistungen vor den Kunstschöpfungen der Ter-
wandten Zunftmeister nicht zurückzustehen brauchte.
Der vorliegende Lichthalter, in seinen massiven reichprofilirten Untersockel
von Stein eingesenkt, ist aus Schmiedeeisen angefertigt An der untern gedachten
Mittelßtange springt in einem rechten Winkel ein eiserner Lichthalter vor, der
ehemals die Bestimmung zu tragen schien, vermittelst eines breiteren Aufsatzes
von Holz die untere Höhlung einer grossen Wachs- und Votivkerze bequem
aufzunehmen. Um diese grosse Wachskerze im Gleichgewicht zu erhalten und
ein Ausbiegen derselben nach der einen oder der andern Seite zu verhindern,
war an der obem Stange ein schiebbarer Halter mit einem Ringe angebracht, der
die Votivkerze in gerader Richtung erhielt. An der mittlem Stange erblickt man
an unserm, in Abbildung veranschaulichten Lichtträger zwei Wappenschilder in den
Formationen der Spätgothik, aufweichen, wie es uns scheinen will, ehemals Ib
Temperafarben die heraldischen Abzeichen einer kölnischen Patricier-Familie
gemalt waren.
Das Vorkommen dieser Wappen dttrfte der Hypothese Eingang verschaffen,
dass dieser Funeralleuchter ursprünglich Ober dem Grabe einer Patricier-Familie,
vielleicht vor einem in der St. Columba- Kirche ehemals befindlichen geschnitzten
oder gemalten Epitaphium angebracht war, vor welchem bei Jahrgedäcbtnissen
oder bei sonstigen Trauerfeierlichkeiten der Familie die mächtige Trauerkerze an-
gezündet zu werden pflegte.
An dem obem Theile der AusmUndung dieses künstlich in Eisen ge8cb^li^
deten Lichtträgers gibt sich ein reiches Blattomament zu erkennen, das in seinen
charakteristischen Formen die Ausgangszeit des XV. Jahrhunderts deutlich wahr-
nehmen lässt.
Die im Vorstehenden in kurzen Umrissen beschriebene Schmiedearbeit rührt
gegen Ausgang des Mittelalters von jenen kölnischen Meistern der Schmiedezunft
her, die nicht nur die künstlichen Schlosserarbeiten anfertigten, sondern von denen
jene vielen reicheren Thürbeschläge und Gefüge herrühren, die sich heute noch
als kunstreiche Verzierungen an* verschiedenen Mobiliargegenständen des Mittel-
alters erhalten haben. Aus dieser Blüthezeit der mittelalterlichen Schmiedearbeiten
stammen auch jene reichen Gitterverschläge her, die sich heute in spätgothisehen
Kirchen noch zahlreich vorfinden. In dieselbe Periode dürften ebenfalls zu versetzen
sein jene grossartigen vielarmigen Kirchenleuchter in geschmiedetem Eisen, die
sich heute noch besonders in rheinischen und westphälischen Kirchen häufiger er-
halten haben. Dahin sind zu rechnen die siebenarmigen, kunstreicft geschmiedeten
Hängeleuchter (corona luminaria B, AL V,) in der Pfarrkirche zu Calcar, Kempen,
Erkelenz am Niederrhein, und die reicheren dreifachen Lichterkronen in Schmiede-
eisen im Dome zu Magdeburg und Brandenburg.
4 • al .«
-T ^y.
ST. COLÜMBA. 11
Wir werden später Gelegenheit nehmen, in diesem Werke auf andere ver-
wandte Meisterwerke der mittelalterliehen Kunstschmiede aufmeifcsam zu machen,
die sich beute noch in Köln erhalten haben.
80.
Monstranz,
aus Silber, vergoldet.
Höbe 89 Centim., Breite 2i'/s Gentim., grösste Ausdehnung des Fnsses 3lVx Centim. XIV. Jahih.
Nach der Monstranz im Kölner Dome verdient das vorliegende Gefäss als
das formschönste und hervorragendste bezeichnet zu werden, das sich als ein voll-
endetes Meisterwerk der Kölner Goldschmiedekunst bis auf unsere Zeit erhalten
hat. Was dieses Ostensorium vor vielen andern ähnlichen auszeichnet, die sich
heute noch zalibreich in vielen Kirchen am Rheine vorfinden, sind nicht nur die
schönen Proportionen, die bei der ziemlich hochstrebenden Construction des Ge-
lasses mit der Breitenausdehnung in rechter Harmonie stehen, sondern mehr noch
die trefflichen Gravirungen, die in ihrer Art bei Monstranzen heute kaum ihres
Gleichen finden dtlrften.
Auf einem breiten Fusse, der aus sechs tiefeingezahnten Blättern, eine Rose
bildend, zusammengesetzt ist, erhebt sich als ansteigender Hals ein architektonisch,
in Stemform construirter Untersockel, welcher der Röhre (fistula) mit dem Knaufe
zur Basis zu dienen die Bestimmung trägt Da der obere Aufsatz des Gefässes
sich nach der Breite hin ausdehnt, so hat der geniale Componist auch den Fuss,
correspondirend mit der obem Ausdehnung, nach der Breite hin dadurch erweitert,
dass er an den auf beiden Seiten gegenttberstehenden Rosenblättem noch eine
Spitze angesetzt hat, wodurch diese beiden Theile die Form des sogenannten
Eselsrückens erhalten haben. Der Fuss selbst ist in seinem untern Theile mit einer
Gallerie zierlich durchbrochen, unter welcher ein einfach profilirter Rand angesetzt
ist. Ein besonderes Interesse für die Archäologie bieten unstreitig jene sechs
prachtvollen Gravirungen dar, welche, in Bezug auf Grossartigkeit der Com-
Position und Weichheit in Behandlung des Faltenwurfs, mit Recht als ein
Meisterwerk mittelalterlicher Gravirkunst betrachtet werden können. Bei längerer
Betrachtung dieser, technisch ausgezeichnet durchgeführten Darstellungen haben
wir die Ueberzeugung gewonnen, dass die Gomposition dieser sechs sitzenden
Apostelgestalten unmöglich Erfindungen des Goldschmiedes in seiner Eigenschaft
als Graveur sein kann, und glauben wir daher mit Recht annehmen zu dttrfen,
dass ein bedeutender Maler der alten kölnischen Schule, wie es auch heute noch zu
geschehen pflegt, den Entwurf zu diesen Bilderwerken dem befreundeten Goldschmiede
geliefert hat. Sämmtliche Figuren sind vom Künstler sitzend dargestellt, und
12 ST. COLUMBA.
zwar auf einem ^^sedile, scamnum^j das von einer baldaehinartigen Architektur auf's
Reichste überragt wird. Als ein Vorzug dieser zierlichen Composition verdient
hervorgehoben zu werden, dass sämmtliche Sitzbänke, in einer Art Hochconstrae-
tion, verschiedenartig dargestellt sind und eine grosse Abwechselung in der Form
enthalten. Was die Bilder selbst betriff^ so hat der Künstler hier augenfällig mit
einem Theile das Ganze andeuten wollen. Er hat nämlich die zwölf Sendboten
bildlich wiedergeben wollen, thronend in der Herrlichkeit nach dem Spruche
yyjudicantes tribus Israel''. Die Reihe der Apostel beginnt mit Petrus, dem Sehllissel-
bewahrer, alsdann folgt ihm zur rechten Seite Paulus, als „doctor gentium'% die-
sem zur Rechten sitzt der LieblingsjtLnger Johannes, an diesen reiht sich an die
sitzende Darstellung des Apostels Thomas; weiter erblickt man den heil. Jacobus
und endlich bildet , dem Petrus zunächst, den Schluss die Darstellung des Bartholo-
mäus. Wir haben unter Fig. 80' und Fig. 80"* zwei dieser trefdichen Bildwerke
in verkleinertem Massstabe abgebildet. Wenn gleich schon die einfache Gonstruc-
tion des obem Theiles dieser Monstranz in ihren edlen Formen die Grothik, wie
sie in der ersten Hälfte des XY. Jahrhunderts in Köln zur Entfaltung gekommen
ist, deutlich kennzeichnet, so bieten namentlich diese sechs Apostelbilder willkom-
mene Anhaltspunkte, woraus sich mit einiger Sicherheit ermessen lässt, dass das
vorliegende Geftiss, als Meisterwerk der Goldschmiedekunst im Be^nn des
XY. Jahrhunderts, oder vielleicht noch gegen Schluss des XIY. Jahrhunderts an-
gefertigt worden ist. Es ist nämlich der Entwurf der schönen Figuren für jene
Epoche der Malerei kennzeichnend, wo ein leichter beweglicher Faltenwurf in
ziemlich gehäuften Massen gegen Schluss des XIY. Jahrhunderts m der kölnischen
Schule zur Anwendung kam. In dieser Art findet sich noch eine Menge von
altkölnischen Malereien im hiesigen städtischen Museum und in der bekannten,
reichhaltigen Sammlung des Baumeisters Weyer vor. Hinsichtlich der gelungenen
Technik sei noch bemerkt, dass die Fertigkeit der Gravimadel alle Anerkennung
verdient, die mit Anwendung von tiefen Schatten in den Gewandparthieen fast
eine Art Modellirung als Relief hervorzubringen gewusst hat
Der Ständer, der als sechseckige Röhre das breite Fussstück mit dem obem
Theile, dem eigentlichen Schaugefäss, verbindet, ist in der Mitte durch einen breiten
Knauf (nodos) als Handhabe unterbrochen. Derselbe bildet sich ein&ch aus einem
Ringe, an welchem, in Uebereinstimmung mit den sechs Rosenblättem des Fusses,
ebensoviele runde Pasten herausragen, in deren Höhlung sich, wie gewöhnlich, die
sechs Buchstaben des Namens Jesus nach der älteren griechischen Schreibweise
befinden. Jene Buchstaben waren ehemals in Minuskelschrift auf einem emaillirten
Grunde in Glanzvergoldung angebracht Diese Emaille, wahrscheinlich von blauer
Farbe, fehlt auch an dem ziemlich breiten Bogenstreifen, an welchem diese Pasten
herausragen. Die Ornamente des Knaufes werden durch Bandverschlingungen,
die kreisförmig in einander greifen, gebildet Nach der Sechszahl geordnet smd
gleichviel rundfbrmige Yertiefungen angebracht, welche im Tiefgrunde eine Durch-
brechung in Yierpassform zeigen. Auf dem zweiten Theile der Röhre oberhalb
des Knaufes erhebt sich ein stemfbrmig gebildeter Sockel, der den nach obenhin
ST. COLUHBA. 13
trichterförmig auslaufenden Hals des Schaogeiässes au&ehmen soll. Dieser sechs-
eckig gebildete Sockel erweitert sich nach oben in eine Rundung, die mit einer
kleinen Zinnenbekrönung verziert ist. Hinter derselben befindet sich eine an-
steigende Fläche 9 auf welcher der Goldschmied vierzehn schOne stylisirte rosen-
fbrmige Ornamente angebracht hat. Auf dem ebenbezeichneten Piedestal erhebt
sich der eigentliche Behälter, ein prachtvoller ausgebohrter Bergkrystall von aus-
gezeichneter Schönheit, in einer Höhe von 8 Centimeter. Der Durchmesser des-
selben beträgt &st 5 Millimeter. Die meisten altem Monstranzen zeigen zwar als
ftrecqttaculum" zur Aufnahme der consecrirten Hostie ebenfalls einen cylinder-
fbrmig ausgebohrten Bergkrystall. Wir erinnern uns jedoch nicht, jemals einen
solchen von dem Umfange und der Schönheit, wie bei der vorliegenden Monstranz,
gesehen zu haben. Der ebenbeschriebene Glascylinder mündet nach unten in eine
durchbrochene schmale Gallerie mit einer Verzahnung ein, die in Rundbogenform
nach oben gekehrt ist Dieselbe Einfassung des Cylinders bemerkt man auch
nach obenhin, und steht damit eine breite Hohlkehle in Verbindung, in welcher,
analog mit den aufgeschraubten 14 Ornamenten auf dem untern Rande, ebenfalls
eine gleiche Zahl von fbnfblätterigen Rosen erhaben aufliegend angebracht ist
Dieser obere Fassungsrand erhält als Ausmttndung nach oben ein zierlich, fein
ciselirtes Eammgesims von gothischen Blattbildungen. Zu beiden Seiten des Glas-
cylinders erheben sich zwei breite Widerlagspfeiler, welclie die Bestimmung haben,
dem Cylinder mit seinem obem Aufsatz in Form eines schlanken Baldachins grossem
Halt zu geben. Diese beiden Widerlagspfeiler greifen nach unten in den kreis-
förmigen Sockel eixk und mttnden in eine Konsole aus, über welcher sich, in einer
Hohlkehle als Piedestal, zwei keuchende männliche Figuren befinden, die von der
Last der Strebepfeiler erdrückt zu werden scheinen. Die drei Abstufungen dieser
Widerlagen mttnden in schlanke Fialen aus, die von kräftigen Ejreuzblttmchen Über-
ragt werden. Da, wo an den beiden Strebepfeilern die Strebebogen nach der
obem Bekrönimg des Cylinders hin sich ansetzen, theilt sich jede Strebewiderlage
in zwei schlanke Fialen, welche wiederum durch Sttttzbogen mit einander in Ver-
bindung stehen. Es hat den Anschein, als ob die beiden Spitzthttrmcben, welche
die zwei höchsten Fialen zu beiden Seiten des Cylinders überragen, nicht mehr
primitiv seien. Jedenfalls erscheinen sie uns viel zu gedrückt und mögen früher
eine grössere Höhe gehabt haben. Offenbar befindet sish der zierlichste, und reich
architecktonisch construirte Theil der Monstranz unmittelbar über dem Cylinder
in Form eines kleinen Helmes. Derselbe ist beweglich eingerichtet imd soll zu-
gleich als Deckel einen reich verzierten Verschluss des Cylinders nach obenhin
bilden. Die architektonische Constmction des Baldachins als Auftatz und Be-
krönung der Monstranz ist in Uebereinstimmung mit der Anlage des Fusses und
Knaufes ebenfalls im Sechseck angelegt und zwar erhebt sich dieser von sechs
schlanken Säulchen getragene Baldachin auf einem ausgehöhlten Deckel in Halb-
kreisform. Diesen mitÜeren hexagonen Aufsatz umstellen 4 Widerlagspfeiler, or-
namental gehalten, von welchen nach den gegenüberstehenden Stützpfeilern des
Baldachins zierliche Strebebogen ausgehen. Die vier ausgerandeten Flächen, die
14 ST. COLUMBA.
sich auf der kugelfttrmigen Bedachung des KiystallcylinderB befindeiiy hat der
Künstler durch eingravirte Bildwerke ebenfallB zu beleben gewusst. Man erblickt
hier die vier symbolischen Thierzeichen der vier Evangelisten, und zwar sind
dieselben geflügelt dargestellt, Spruchbänder haltend, auf welchen die Namen der
vier Eyangelisten eingegraben sind. Unter der Wölbung des innem Baldachins
erhebt sich auf einem schlanken Sockel das in Silber gegossene Standbild der
heil. Columba, welches in seiner äussern Form als Guss noch ziemlich roh erscheint
und kaiun eine Nachciselirung er&hren haben dtlrfie. An älteren Monstra^en
befindet sich thronend unter diesem Baldachin, unmittelbar über dem Behälter,
worin die Eucharistie den Gläubigen gezeigt wird, die ciselirte Figur des Heilandes
in glorificirtem Leibe nach der Auferstehung, das Siegesbanner (veanlhnn) in der
Kochten haltend. Seltener erblickt man in dieser Nische das Standbild der Him-
melskönigin, und nur in den wenigsten Fällen ist es ims bekannt, dass hier un-
mittelbar über dem „Sanctissimum^' das Standbild des Kirchenpatrones, wie im
vorliegenden Falle, angebracht ist. Ueber dieser Standfigur erhebt sich als letzte
Verjüngung des Hehnes ein architektonischer Aufsatz im Dreieck angelegt, welcher
nach den drei Seiten vorspringende leichtere Baldachine trägt, unter denen drei
gekrönte weibliche Heiligenfiguren, ebenfSedls in Silber gegossen, mit schwacher
Nachciselirung, thronen. . Das Ganze findet seinen Abschluss durch einen im Drei-
eck angelegten Helm, ohne Durchbrechung, der sich nach oben nur wenig ver-
jüngt, und dessen Spitze gegenwärtig abgebrochen zu sein scheint Auf demselben
sitzt nun ein unförmlicher runder Knopf, in welchen ein plattes ein&ches Kreuz
einmtlndet, das auf den drei Kreuzbalken durch grosse Knop^erlen einen reichen
Abschluss erhält. Die Figur des Gekreuzigten scheint uns primitiv aus der Zeit
der Anlage der Monstranz herzurühren.
Was nun den Ort und die Zeit der Anfertigung betrifft, so dürfte es wohl
keinem Zweifel unterliegen, dass das in Bede stehende SchaugefUss von einem
der hervorragendsten Meister der altberühmten Goldschmiedezunft zu Köln, deren
Mitglieder um St. Laurenz herum wohnten, im Anfange des XV. Jahrhunderts ur-
sprünglich f)lr St Columba, eine der altern und reichem Pfarrkirchen Kölns, ange-
fertigt worden ist. Sowohl der Charakter der Architektur, als auch die Compo-
sition der gravirten Figuren scheint, wie früher schon bemerkt, die ausgesprochene
Ansicht zu bestätigen. Die architektonischen Details sind noch sehr einfach ohne
Uebertreibungen und Ueberladungen ausgeführt, und hat die vorliegende Monstranz
hinsichtlich der Formreinheit und des constructiven Ernstes, der darin vorwaltet,
mit dem schönen Ostensorium viele Aehnliohkeit, welches, einer Inschrift gemäss, in
der letzten Hälfte des XIV. Jahiiiunderts für die Pfarrkirche zu Ratingen ange-
fertigt worden ist, und heute noch dieser Kirche zur Zierde gereicht Hinsichtlich
ihrer Grösse und Anlage zeigt dieses Schaugefites viele Analogien mit der statt-
lichen Monstranz in der P&rrkirche zu Vallendar, femer mit der im Kloster Stein-
feld in der Eifel und mit den beiden Monstranzen zu Brauweiler.
BT. COLUMBA. 15
81.
Grosser Standlenchter^
in Messing gegossen.
Hübe 2 Meter 2 Decimeter, Durchmesser 5 Decüneter. XY. Jahrhusdert.
Wie wir früher schon bei Beschreibung kleinerer gegossener Altarleuchter
in den Spätformen der Gothik zu bemerken Veranlassung nahmen, hat man zu
Ausgang des Mittelalters, besonders in der Gelbgiesserei keinen Bedacht darauf
genommen, den Altarleuchtem eine reichere und entwickeltere Form zu geben;
dasselbe kann auch von den grösseren Standleuchtem gesagt werden, die ehe-
mals im engeren Presbyterium zu beiden Seiten des Hochaltars aufgestellt zu
werden pflegten. Vergleicht man, in Parallele zu dem in der beifolgenden Abbil-
dung veranschaulichten Chorleuchter, jene in gleich grossartigem Massstabe
prachtvoll gegossenen, spät romanischen Standleuchter, die heute noch im Dome von
Bamberg aufbewahrt werden^)« desgleichen die reichentwickelten frttbgothischen
grossen Chorleuchter in der heutigen Magdalenenkirche zu Hildesheim, beide heiv
rührend aus der ehemaligen Benedictiner Abtei -Kirche von St. Michael ebendaselbst,
so muss man zugeben, dass die Spätgothik bei der Bildung grösserer Leuchter
in Kupferguss auf eine sehr einfache, kunstlose und fast stereotype Form festge-
fahren war.
Wie bei dem kleinen Altarleuchter in Gelbguss, wovon wir einige unter
vorbeigehenden No. abgebildet und beschrieben haben,' so bestehen auch die beiden
grossen Chorleuchter von St Columba aus drei wesentlichen, sehr conformen Be-
standtheilen, nämlich aus dem rundgegossenen, einfach profilirten Fuss, dem lang-
gezogenen Schaft oder Ständer, der durch viele Binge und Absätze unterbrochen
und belebt wird, und endlich aus der obem breiten, runden Schüssel zur Aufio^hme
des herunterträufelnden Wachses.
In ganz ähnlicher Formbildung, jedoch von geringerer Ausdehnung, fanden
wir auch in verschiedenen Kirchen des Niederrheins einzelne Gussleuchter vor,
die heute noch dazu dienen, Votivlichter als Träger aufeunehmen, vorzüglich aber
als Ständer gebraucht zu werden, um die Osterkerze »tcereus paschaäs'* darauf
zu stellen.
Wir bemerken hier noch im Vorbeigehen, dass der Dom von Münster, trotz
der vandalischen Zerstörung zur Zeit der Wiedertäufer, heute noch sehr reich ist
an grösseren Werken des Gelbgusses. Unter andern prachtvollen Werken des
Gusses fanden wir noch daselbst zwei stattliche grosse Chorleuchter auf gegossenen
*) Es durften das die schönsten und grossartigsten Lichttrttger sein, die heute in Deutsohland
EU finden sind. Man mnss sieh wundem, dass bis zur Stunde diese Gandelaber eu Bamberg nooh
nicht in Gyps abgeformt worden sind, da sie beim Neuguss Ton tthnlichen grössern Altarleuchtem
trefflich als Vorbilder zu benutzen wären.
16 ST. COLUMBA.
Löwen ruhend, femer einzelne Reste eines Tenebrae- und eines fünf armigen
Leuchters und eine ausgezeichnet in Guss gearbeitete „corana lummaricu'' Auch
im Dome zu Braunschweig, und im Dome zu Xanten finden sich noch grössere
Standleuchter in Guss von ähnlichen Formen, wie dieselben an den ebenbeschrie-
benen beiden Candelabem in St Columba hervorgehoben worden sind.
82.
Messgewand
mit reichen figuraien Stickereien in Platt- und Biiderstich. XV. Jahrhundert.
Es haben sich heute in den Gewandkammem kölnischer Kirchen verhältiÜBs-
mässig nur sehr wenige ausgezeichnete Messgewänder erhalten, die mit kunstreich
gestickten Bildwerken in Kreuz und Stäben verziert sind.
Leider machten zu Anfang dieses Jahrhunderts moderne Vandalen die un-
heilvolle Entdeckung, dass der Fond dieser vorzüglichen liturgischen Gev^der
durchaus in Goldfäden gestickt sei, und dass selbst in den vielen gestickten Hei-
ligenbildern die Goldfäden nicht spärlich angewandt seien. Diese Wahrnehmung
genügte, um den Versuch zu machen, ob durch Einschmelzen und Verbrennen sich
nicht ein baarer Goldgewinn ergäbe. So wanderten in den ersten Decennien
dieses Jahrhunderts eine Menge der prachtvollsten figuraien BUdstickereien in das
Glühfeuer der Schmelze, die heute als vollendete Meisterwerke des nuttelalterlichen
Bilderstichs in hohen Ehren gehalten werden wtbiden. So sind, wie in der ersten
Lieferung dieses Werkes bereits angedeutet wurde, durch die Sucht nach edlem Me-
talle von Seiten der damaligen „Patrioten'^ eine unglaubliche Menge der kostbarsten
Bildstickereien muthwillig verbrannt worden*), wozu wir viele factische Belege
beibringen könnten, und muss man sich in der That wundem, dass in den Ge-
wandschränken zu St Columba sich vor dem Schmelztiegel noch vier prachtvoll
gestickte, mittelalterliche Messgewänder bis zur Stunde erhalten haben.
Leider sind diese kostbaren Kunststickereien, heute sämmtlich als Stäbe auf
MessgewändemvonBothsammet befestigt, nicht ohne Entstellung unter der modifidren-
den Scheere aus den Tagen des XVn. Jahrhunderts geblieben. Nachdem nämlich
im mittelalterlichen Köln das in seiner Form historisch überlieferte Messgewand so
ziemlich bis gegen Schluss des XVL Jahrhunderts in seiner Integrität sich erhidten
*) Die meisten dieser kostbaren, älteren Gewänder waren reichlich mit ächten Perlen gestickt
und Yeniert. Naohdem yiele Hunderte solcher Meisterwerke mittelalterlicher Stickkunst in obeng«-
dachter gewinnsüchtiger Absicht meistens Ton jüdischen Ankäufern Terbrannt worden waren, stasdes
zu Anfang dieeee Jahrhunderts, nach Aussage älterer Leute, die uns nähere Details über diese und
ähnliche Verwüstungen mittheilten, die kleineren Perlen in K5ln in so geringem Werthe, dass idlMt
die Juden dieselben nicht anders ankauften, als wenn sie ihnen in kleinen Behältern ansgemesieii
wurden«
ST. COLUMBA. 17
hatte, da fing man erst mit dem Beginn des XVII. Jahrhunderts, nachdem die
letzten Traditionen der altköhiischen Kunst in der Architektur, wie in den übrigen
untergeordneten Zweigkttnsten, vollständig gewichen waren, mit einem Male an ein-
zusehen, dass das Messgewand in seiner Breite beim Gebrauche nicht mehr bequem
sein dürfte. Die angestammte Würde und den malerischen Faltenwurf bei Seite
setzend begannen nun auch in Köln neuerungs- imd gewinnsüchtige Paiamenten-
schneider, wie sie angaben, aus Bequemlichkeitsrttcksichten, eigentlich aber in Bück-
sicht auf ihren eigenen Vortheil, den über die Arme tief herunterhängenden Stoff
des Messgewandes willkürlich, so weit es ihnen beliebte, abzuschneiden. Nachdem
man so den ersten kühnen Schritt selbstständig, ohne die kirchliche Behörde zu
befragen, gewagt hatte, überzeugte man sich auch gleich darauf, dass mit der so
verkürzten Breite des modificirten und zugestutzten Gewandes auch nicht mehr die
ehemalige Länge desselben harmoniren wolle. Dieselben Neuerer besannen sich des-
wegen nicht lange^ sondern erkühnten sich auch den vorderen und hinteren Theil des
Messgewandes um ein gutes Stück der Länge nach abzuschneiden. Bei diesem Yerkür-
zungsprocesse kümmerten sich diese Leute gar nicht darum, ob sie mit ihrer Scheere
einen nicht unbedeutenden Theil von prachtvollen figuralen Bildstickereien weg-
schnitten und so den Zusammenhang des gestickten Bildercyklus muthwillig stör-
ten. Auch an den verschiedenen Messgewändem in rothem Sammet, wie sie sich
heute noch in den reichgefüllten Gewandschränken von St. Columba in Köln vor-
finden, ist der Einfiuss der Spätrenaissance deutlich ersichtlich, und haben bei der
modernen Zurechtschneidung des Stofflichen dieser Gewänder die reichen Bild-
stickereien in Kreuz und Stäben um ein gutes Theil verkürzt und abgeschnitten
werden müssen, so zwar, dass an jedem Gewände mehr als 1 Fuss Breite der
Stickerei weggefallen ist
Es würde uns zu weit ftlhren, wenn wir an dieser Stelle in erschöpfender
Weise die vielen prachtvollen, in Plattstich gestickten Bildwerke beschreiben und
mit Namen bezeichnen wollten, die sieh in reicher Abwechslung der Farben und
der Technik auf diesen verschiedenen Messgewändem von St. Columba vorfänden.
Es genüge deswegen hier die allgemeine Angabe, dass in den Stäben und Kreuzen dieser
ausgezeichneten Messgewänder, in der edelsten Technik gestickt, ersichtlich sind
die Hauptscenen aus dem Leben des Heilandes und der Allerseeligsten Jungfrau,
so wie eine grössere Zahl von Standbildern verschiedener Heiligen, die als Local-
heilige grösstentheils der kölnischen Erzdiöcese angehören. Im Hinblick auf diese,
wenn wir sagen dürfen, „Köhiischen Heiligen'^ nicht weniger in Betrachtnahme der
eigenthümlichen charakteristischen Dars^Uung und Stylisirung dieser vielen reich-
gestickten Bildwerke lässt sich mit ziemlicher Sicherheit der nicht gewagte Schluss
ziehen, dass die sänunüichen Bildstickereien in Groldfäden und zarter Haarseide
gegen Schluss des XV. Jahrhundjerts und selbst im Beginn des XYI. Jahrhunderts
von sehr geübten und befähigten Meistern der altköhiischen berühmten und reichen
Zunft der Wappen- und Bildsticker angefertigt worden seien. Bei näherer Besich-
tigung dieser vielen äusserst edel- und zartgestickten Bildwerke dürfte es auch
einem weniger geübten Auge einleuchtend werden, dass die Compositionen zu
3
18 ST. COLCMBA.
diesen vollendeten figuralen Stickereien unmöglich von den Meistern der Bild-
Btickerzunf t herrühren dürften ; und es liegt deswegen die Annahme nahe, die wir
auch hei anderen ebenso vollendeten Meisterwerken der höheren Stickkunst ge-
macht haben, dass'der Entwurf zu diesen vielen Bildwerken von einem geübten
und befähigten kölnischen Maler der damaligen Zeit gemacht worden ist, der es
nicht unterliess, wie wir das öfter auf altem, schadhaft gewordenen Stickereien
wahrzunehmen Gelegenheit hatten, mit fester sichrer Hand die Contouren in star-
ken Streifen auf die Leinwand hinzuzeichnen, auf welchen der Eunststieker, an-
statt in Farben, in glänzenden Seidenfäden die vorgezeichnete Nadelstickerei fort-
ftihrte und vollendete. Die ebenbezeichneten, heute noch in St. Columba erhaltenen
Stickereien, die kühn ihres Gleichen am Rhein suchen können, dienen zimi an-
schaulichen Belege, bis zu welcher Höhe sich das Kunsthandwerk im mittelalter-
lichen Köln zu jener Zeit erhoben hatte, als es glücklicher Weise noch keine Aka-
demien gab, und die Werkstatt eines jeden tüchtigen Meisters so zu sagen eine
kleine Akademie ftlr sich allein bildete , in welcher kein Tross von Stümpern heran-
gebildet wurde, sondern in welcher nur der befähigte und berufene KttnsÜer
dauernden Eintritt finden konnte.
Wir werden in der Fortsetzung dieses Wferkes Gelegenheit finden, über
die technische Anfertigungsweise dieser und anderer in kölnischen Sacristeien
vorfindlichen Bildstickereien das Nähere nachzuholen. Schliesslich sei hier noch
die Hinzuftlgung gestattet, dass der thätige und umsichtige Vorstand der Pfarr-
kirche St. Columba in Köln beabsichtigt, die ebengedachten reichen Plattstickereien
auf neu anzufertigende Messgewänder in einem ernsten soliden Kirchenstoff aus der
bekannten Fabrik von Casaretto in Crefeld übertragen zu lassen. Diese wieder-
hergestellten Messgewänder sollen alsdann jenen Faltenreichthum und jene würde-
volle Grösse wieder erhalten, wie dieselben ehemals ihrem Schnitte nach beschaffen
waren, als die ebengedachten Stickereien angefertigt wurden.
Wir haben es uns deswegen erlaubt, in der vorliegenden Abbildung eine
der gedachten figui-alen Kreuzstickereien von St. Columba auf dem Neustoffe
eines Messgewandes darzustellen, wie man dasselbe dem Schnitte nach in näch-
ster Zeit einzurichten gewillt ist.
Der ehemalige Schatz der Pfarrkirche von St. Columba.
Wie schon im Vorhergehenden bemerkt, gehört die Pfarrkirche von St.
Columba zu den vier ältesten Pfarrkirchen der Metropole Köln und nimmt auch
heute noch unter denselben den ersten Rang ein. Schon der Name und die
Widmung der Kirche deutet auf ein hohes Alter hin. Die heil. Jungfrau und
Mai-tyrin Columba, geboren zu Sens, im sennonischen Gfallien, errang um das
ST. COLUMBA. 19
Jahr 270 zur Zeit der Verfolgung des Aurelian die Palme des Marterthums durch
das Schwert, nachdem sie vorher, wie die Legende erzählt, im Amphitheater durch
einen herheieilenden Bären gegen ihre Schergen und Peiniger vertheidigt worden
war. Deswegen fllhrt dieselbe auch in den Abbildungen der altkölnischen Maler-
schule als kennzeichnendes Symbol ausser der Martyrpalme bei sich das Bild
des Bären.
Gleichwie die Pfarre von St. Alban, war auch die Kirche von St Columba,
gelegen im Mittelpunkte der Stadt, vorzugsweise Pfarrkirche der reichen kölnischen
Patricierfamilien, und viele derselben hatten in der geräumigen Kirche ihre Epitaphien
und Familiengrttfte. Da es ehemals löbliche Sitte im alten „heiligen Köln'' war,
mit frommen Gaben und Vermächtnissen im Leben und Sterben jener Pfarrkirche
eingedenk zu sein, wo die Familie seit langen Jahren ansässig war und in deren
Hallen ruhmreiche Ahnen ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, so muss der
Schatz von St. Columba vor der Säcularisation , die nicht einmal das Eigenthum
der Pfarrkirchen schonte, umfangreich und bedeutend, vomelimlich an Meisterwerken
der Goldschmiedekunst und Paramentik gewesen sein.
Leider ist der grössere Theil desselben in den Revolutionssttlrmen zu An-
fang dieses Jahrhunderts verloren gegangen.
Da wir bis zur Stunde nicht so gltlcklich waren, in dem reichhaltigen Ar-
chive der St. Columba-Pfarre ein älteres Schatzverzeichniss vorzufinden, das Kunde
gäbe hinsichtlich jener reichen Schätze an kostbaren Gefässen und Gewändern,
die diese Kirche im Mittelalter besass, so sei es uns gestattet, an der Hand unsers
oft citirten Gewährsmannes Gelen im Folgenden darauf in Kürze hinzuweisen, welche
hervorragende Kunst- und Prachtstttcke der ^ythesaurus sacer" der mehrfach ge-
meldeten Pfarrkirche ehemals besass.
Vor Allem zog im vormaligen Schatze daselbst das Augenmerk auf sich
ein grosses, in Silber kunstreich verfertigtes Standbild der heil. Columba; in einem
Monile auf der Brust desselben waren mehrere Reliquien dieser alten Kirchen-
patronin Kölns eingefasst.
Eine andere kunstreich gearbeitete Hierothek von Silber enthielt ebenfalls
mehrere Ueberbleibsel derselben Jungfrau und Martyrin. In einem weiteren Reli-
quienschreine von Silber^ der mit einem Krj^stall verschlossen war, erblickte man
Ueberbleibsel von der Domenkrone Christi. Femer erwähnt der kölnische Chronist
eines grossen silbervergoldeten Reliquienkastens, der in kunstreicher Ausarbeitung
eine namhafte Zahl von werthvollcn Reliquien enthielt. Demselben Berichterstatter
zufolge müssen noch mehrere Reliquiarien von werthvollem Material und noch
werthvolleren kunstreichen Ausarbeitungen dem ehemaligen Kirchenschatze zu
St. Columba zur Zierde gereicht haben. Das Alles ist zugleich mit einer grossen
Zahl von kostbaren und formschönen liturgischen Gefässen und Gewändern im
Strudel der Revolution verschwunden.
li
>lii^lin''Pfarrliirr(if ;» Dm<; .
>5
und jitai^t Ifarrlurfb zu §tvit
Kittelalterliohe Kunstwerke daselbst
Seite
83) Krumme eines AbUstabes, vergoldetes Kupfer. XV. Jahrh. Tafel XXllI. Fig. 83 . 3
84) Ciborinm, silbenrergoldet mit Deckel. XV. Jahrh. Tafel XXIII. Fig. 84 . . . 5
85) Stab des h. Heribert, Elfenbeinsculptur mit vielen Reliefs. X. Jahrb. Taf. XXIII. Fig. 85 8
86) Grosser Reliquienschrein des h. Heribert mit vielen getriebenen Figuren und emaillirten
Darstellungen. Tafel XXIV. Figur 86 12
Ehemalige Kirchenschütze der Abtei zu Deutz 22
83.
Kmmnistab eines infnlirten Abtes,
Messing vergoldet mit silbernen Zierrathen.
Höhe 36 Vi Centimeter, Durohmesser der Krttmme 19'/» Centimeter. Schlues des XV. Jahrhunderts.
Vorliegende Krümme eines Abbatialstabes bietet ein interessantes Muster
zum Belege dar, bis zu welcher Ueberfülle der Form die Goldschmiedekunst gegen
Schlnss des Mittelalters sich verstiegen hatte. Bios an dem untern Knauf zeigt
sich noch ein höheres architektonisches Ornament An der daraufsitzenden Krümme
dagegen ist ein freies Laubomament ohne allen architektonischen Zwang zur An-
wendung gebracht Der untere Stab besteht aus einer glatten Bohre in ziemlicher
Höhe, deren Monotonie nur durch einige Knäufe und Binge unterbrochen wird.
Da, wo die Bohre endigt , hat der Künstler einen polygonen Knauf gleichsam als
Sockel angebracht, aus dessen Innerm ein Ast mit Laubwerk heraufsteigt und in
einer Bundung ausmündet Dieser Sockel, consolenartig gebildet, zeigt sechs
Flächen von je zwei durchbrochenen und mit Fialen gekrönten Widerlagspfeilem
verziert, welche gleichsam als Nischen, die in Silber ciselirten Statuettchen der
Madonna, der heil. Katharina, des heil. Johannes des Täufers, des heil. Petrus, des
heil. Johannes und der heil. Margaretha aufnehmen. Ueber diesen erhaben
aufliegenden Standfigürchen erhebt sich in Weise eines herüberragenden Baldachins
je ein überhöhter Spitzbogen in Form eines Eselsrückens, welcher durch eine
Kreuzblume seinen Abschluss erhält Der Laubstengel, der aus diesem Untersatz
organisch herauswächst, ist gleichfalls im Sechseck gebildet und zeigt plattgedrückt
im Durchschnitt die Form eines Bhomboids.
Die Ecken, die bei dieser Form des Stengels auf der innem und äussern
Bundung entstehen, hat der Goldschmied durch aufgelöthete und aufgenietete Blatt-
verzierungen, kunstreich omamentirt, welche die Form von Krabben haben, in
ähnlicher Bildung, wie die Spätgothik ihre Ziergiebel durch aufgelegtes Blattwerk
belebte. Der Laubschmuck, welcher sich frei und hoch aufliegend nach Aussen
hin an der Bundung der Krümmung entfaltet, ist durch Fallen vielfach bechädigt
und theilweise abgesprungen. Die Plattheiten der Krümme sind auf beiden Seiten
auf den Ecken mit vier spiralförmig gewundenen Gordons eingefasst. Zwischen
diesen vorstehenden Trennungsstreifen schlängelt sich ein ciselirtes Laubomament
4 KUN0T8CUATZE DER PFABBKIRCHE ZU DEUTZ.
in Silber, in starker, gehäufter Verästelung, das an je fttnf Stellen durch vielfar-
bige Steine in grober Fassung unterbrochen wird, die an diesem schmalen Bande
wie Blumen hervorragen. Die Krümme nimmt eine regelmässige Ausrundung, einen
Kreis bildend, wogegen jener sechskantige Laubstengel in einen Blumenkelch
ausmündet, von reichem Blätterwerk umgeben, aus welchem ein in Silber getrie-
benes sitzendes Standbildchen der Himmelskönigin mit dem göttlichen Sjiaben
hervorragt. Durch einen flammenden Strahlenkranz getrennt, erblickt man an der
entgegengesetzten Seite ein gleich grosses, in Silber gegossenes und ciseUrtes Stand-
bild einer heil. Martyrin, die mit gekröntem Haupte, eine Märtyrer- und Sieges-
pahne haltend, den hintern Raum als Standfigur völlig ausftUlt Die eine Hand
dieser Heiligen ist verloren gegangen, dessgleichen auch das entsprechende Sym-
bol; es lässt sich daher nicht mehr bestimmen, welche Heilige diese Figur dar-
stellen soll. Da am Sockel bereits die heil. Katharina und die heil. Margaretha
vorkömmt, so ist es wahrscheinlich, dass zu diesem Gyklus der weiblichen Heiligen
noch die heil. Agnes hinzuzufügen sein dürfte, welche die altkölnische Kunst
stets mit Vorliebe im Verein mit den eben bezeichneten dargestellt hat
Wie aus der bereits früher angeführten gelehrten Abhandlung unseres seli-
gen Freundes, des Abbö Martin S. J., näher zu ersehen ist, münden die „eumatura"
vieler bischöflichen Krummstäbe meistens aus in einem Drachen- oder Schlangen-
kopf und unterlässt der besagte französische Archäolog es nicht, die symboliachen
Gründe anzugeben weswegen man bei den meisten Krummstäben der romanischen
und gothischen Kunstepoche dieses Thieromament an der schneckenfbrmigen
Krümme solcher Hirtenstäbe anzubringen beliebte. In der spätem Qothik ent-
wickelte sich an dieser Stelle statt des obengedachten Thierbildes häufig ein
Pflanzenomament in Form eines Blumenkelches, auf welchem wie auf einem Piede-
stal, das Standbild einer Heiligen, meistens der Mutter Gottes „i deuaf faces'% als
Relief zum Vorschein tritt. Dieser Blumenkelch, als Basis benutzt, aus welchem
in der Regel Halbfiguren sich erheben, war namentlich in der letzten Hälfte des
XV. Jahrsunderts in der Holzsculptur, in der Miniaturmalerei und in der Kunst-
stickerei ein beliebtes Motiv, um aus solchen Blttthen einen zusammenhängenden
Kreis verschiedener Heiligen hervorsprossen zu lassen. So sieht man auch in
dieser Periode den Stammbaum Josse noch häufig auf diese Weise gebildet, indem
die Ahnen des Heilandes, die Könige Israels, aus pflanzenartig gebildeten Blumen-
kelchen hervorsprossen.
Was die Technik an dem vorliegenden Abtstabe betrifft, so hat der Künstler
mit vielem Schwung und mit grosser Verständniss des Technischen dem Roth-
kupfer die zierlichsten Formen abgezvnmgen, die überhaupt das schwierige Mat^al
nur immer zulässt. Wenn auch die vorhin beschriebenen Statuettchen an dem
polygonen Sockel nicht den Fleiss eines geübten Ciseleurs bekunden,' so verräth
doch das fein ciselirte sitzende Bild der Madonna in der Krümme mit dem reichen,
ängstlich behandelten Faltenbruch der Gewänder und die minutiöse Ausarbeitung
der Incamationstheile , dass die €k>ldschmiedezunft bei Ausgang des Mittelalters
im alten Köln eben so reich in der Gomposition, als auch zierlich und delikat
KUN8T8CSATZB DEE PFABBKIBCHE ZU DEUTZ. 5
bei Ausftftrang der Details in ihren BilduDgen zu Werke ging, wie man das ebenfalls
an den noch erhaltenen Meisterwerken der berühmten Goldschmiedezttnfte der fi'eien
Reichsstädte Augsburg und Nürnberg gegen Schluss des Mittelalters bewundert
Täuscht uns ein gewisses Stylgefühl nicht, so möchten wir die Anfertigung dieses
Kmmmstabes in die letzten Jahrzehnte des XV. Jahrhunderts versetzen. Ob in
früherer Zeit der vorliegende Stab im Gebrauche der infulirten Aebte der altbertthmten
Benedictiner- Abtei zu Deutz, in deren Beihe der bekannte Eirchenschriftsteller und
Gelehrte „Rupertus Tuitiensis" glänzte, sich befunden habe, wagen wir nicht zu
behaupten, indem uns kein mittelalterliches Inventar der Schätze der Abtei Deutz
bekannt geworden ist, worin die vorliegende fpcurvatura** erwähnt wird. Da
derselbe sich jedoch in der Sacristei der ehemaligen Abteikirche heute noch vor-
findet, und di^ Tradition ihn auch als Stab der Aebte von Deutz bezeichnet, so
steht nichts im Wege anzunehmen, dass vorliegendes einfache „pedum** zum ge-
wöhnlichen Gebrauche der Aebte der ehemaligen Benedictiner -Abtei Deutz gedient
habe. Möglich aber nicht wahrscheinlich ist es, dass dieser bischöfliche Stab
bei der grossen französischen Staatsumwälzung zu Ende des vorigen Jahrhunderts
von Emigranten über den Rhein gebracht imd hier der Earche zu Deutz anheim-
gefallen ist, wie dies von einem Reliquienkäst^hen in Email von Limoges (XII.
Jahrhundert) nachgewiesen werden kann, das früher in i der Sacristei der heu-
ligen Pfarrkirche zu Deutz sich vorfand und heute in die reichhaltige Sammlung
mittelalterlicher Kunstwerke Sr. Hoheit des Fürsten Carl Anton von Hohenzollem-
Sigmaringen als Ehrengeschenk übertragen worden ist
84.
Trinkschale des h. Heribert^
in Form eines Ciboriums, in Silber mit vergoldeten
Ornamenten eingefasst.
Höhe 36 Centimeter, Durchmesser der Trinkschale. 14 Centimeter. X. u. XV. Jahrhundert.
Dieses interessante Gefäss besteht seiner Form wie seinem (xchalte nach
aus zwei der Zeit und dem Stoife nach sehr verschiedenen Theilen. Das jetzige
Geftss in den bereits ausartenden Formen der Spätgothik, dient nämlich dazu,
in der tiefen Aushöhlung der Kuppe und des Deckels, die altehrwürdige Trink-
schale, deren sich, der üeberlieferung nach, der heil. Heribert, Erzbischof
von Köln, bedient haben soll, zu bergen. Diese Trinkschale ist, wie es uns
scheinen will, aus Buchsbaum angefertigt und mit dem Ansatz eines kleinen Fusses,
aus einem Stück gedreht. Dieselbe ist heute stark vom Wurm beschädig und
6 SUKSTBCHATZE DEB PFABSKIfiCHB ZU DEUTZ.
macht ihr vermoderter Zustand den Eindruck, als ob sie in dem Grabe des L Erz-
bischotes längere Zeit geruht habe und erst später aus demselben erhoben worden
sei. Dieses einfache Behälter in Holz zeigt sich, sobald man die heutige Trinkschale
in Silber herausnimmt; diese letztere ist von eigenthttmlicherBesehaflfmihdt und hat
es den Anschein, als ob dieselbe, der beweglichen silbernen Koppe zufolge, früher eine
andere Aufbewahrung und Einfassung gehabt habe, zu welcher diese Kuppe als inte-
grirender Theil gehört habe. Dieselbe ist nämlich in ihrer Ausbaudiung glatt gehalten.
Auf dem Boden derselben sieht man au%elöthet eine runde Silber vergoldete Platte,
die eine merkwürdige Darstellung enthält In getriebener Arbeit sieht man hier im
Brustbilde eine bischöfliche Figur, bekleidet mit der Inful, der Casul und dem Pal-
lium, wie sie ein von einer andern Halbfigur dargereichtes ziemlich geräumiges
Trinkgefäss mit einem breiten Fusse und Deckel in Empfang nimpat Es sdieint
uns keinem Zweifel zu unterliegen, dass die Ueberreichung dieses Trinkgeftsses
einen geschichtlichen Grund habe, und wäre es interessant nachzuforschen, inwie-
fern die in diesem ciborienartigen Oefässe eingeschlossene Trinkschale des heil.
Heribert mit der ebenangedeuteten Scene in Verbindung stehe. Es will uns
scheioen, als ob in dem Ueberreicher eine Kaiserfigur zu erkennen sei, angethan
mit dem Kaisermantel, der Kroile und in der Hand den Scepter haltend. Den
•
Empfänger dttrfte man alsdann als den h. Erzbischof Heribert selbst bezeichnen, da er
auch mit dem erKbischöflichen Pallium bekleidet ist und den aus^^&rts gewandten
bischöflichen Krummstab trägt Auffallend ist es, dass wir bei Gelegenheit einer
neulichen sorgfältigen Besichtigung des reichhaltigen Hildesheimer Domschatzes
ein ähnliches schalenförmiges Trinkgefäss des heil. Bemward, bekanntlich eines
Zeitgenossen des heil. Heriberts, vorfanden. Dasselbe besteht im Aeussem aus
zwei schliessbaren Hälften einer Kokusnuss (?) und wird von reichen EinfSeissungs-
streifen im romanischen Style gamirt. Im Innern ist diese Trinkschale zu Hildes-
heim ebenfalls mit vergoldetem Silberblech ausgefüttert und zeigt vollkommen
Übereinstimmend mit dem Trinkbecher des h. Heribert in der Tiefe ein getriebenes
Relief, darstellend in Halbfigur die bekannte »majestas Dommi" nämlich den Erlöser
in seiner Herrlichkeit Bei Besichtigung dieser reichverzierten und wohlerhaltenen
Trinkschale des grossen Bischofs Bemward zu Hildesheim hat es uns im Hinblick
auf das ähnliche Gefäss des heil. Heribert zu Deutz scheinen wollen, als ob im
Mittelalter die Bischöfe im Privalgebrauche, sowie auch auf grossem Beisen sich
solcher Trinkgefässe häufiger bedient hätten.
Was die Composition und Draperie der Gewänder betrifit, so scheint uns
diese getriebene figurale Darstellung, in ziemlich roher Arbeit, dem XL Jidir-
hundert anzugehören. Offenbar ist es , dass dieses auf dem Fusse aufgelötfaete
getriebene Bildwerk ehemals eine andere Bestimmung hatte, und später, ziem-
lich ungeschickt, hier angebracht worden ist
Besondere Aufmerksamkeit verdient der äusserst kunstreich gearbeitete
Rand, eine geniale Verbindung von romanischem Laubwerk, an welchem jene
Perliänder und Fruchtbildungen von Erdbeeren hervortreten, die den reichsten Ge-
staltungen des spätromanischen Styles, in dem ersten Viertel des XIH. Jahrhunderts
KÜN8TS(3üiTZE DER PPABBKIBCHS ZU DEDTZ. 7
von der Archäologie heute allgemem Tindicirt werden. Diese technisch äusserst
gelungen ausgefilhrten Ornamente der spätem Romantik verratben einen fein ge-
bildeten Geschmack, und den gettbten Stichel eines Meisters, wie er uns an den
Detailformen des Dreikönigenschreins entgegentritt. Die Kuppe mit diesem Rande
schiebt sich ein in eine etwas umfiingreichere Trinkschale, im Halbkreise ausge-
rundet, welche dazu dient, die Trinkschale des h. Heribert von Buxus in ihrer Höhlung
airfzuaehmen. Durch das Einschieben der ebengedachten Kuppe in das gothische
Gtofäss, wird natürlich dk eben erwähnte Reliquie unsichtbar gemacht, und yer-
deckt. Um jedoch das im Innern aufbewahrte Trinkgefäss als Reliquie zu Tage
treten zu lassen, hat der Goldschmied des XV. Jahrhunderts die äussere silberne
Tmkschale an vier Seiten kreisförmig durchbrochen. Diese architektonisch ä jour
geformten Durchbrtiche sind heute mit einer rothen ungemusterten Taffetseide
hinterlegt Die silbemvergoldete Einlassungss^^ale ruht auf einer runden Console,
welche nach untenhin mit einem Kamm in gothischem Laubwerke umflochten ist
Aus dieser freistehenden Guirlande ragt nach untenhin, zu einem breiten Fusse
blattweise sich entfaltend, ein Laubstengel hervor, der aus dreieckigen Rippen
von acht verschiedenen Blattnerven kunstreich zusammengesetzt ist, und zwar
entwickeln sich an diesem Ständer sechs Blattstiele in Silber nach untenhin zu
einem breiten Rosenblatte mit aufgesetzter, ausgeschweifter und Überhöhter Spitze.
Die vier andern Blattstiele jedoch, die nach oben kantig hervortreten, und zusam-
men verbunden, den Ständer des Gefässes bilden, sind vergoldet, mit einer kleinen
Gravirung belebt und formiren auf dem Fusstheile ein längliches oben ausgerun-
detes Blättchen, wodurch die vier Rosenblätter auf eine zierliche Weise getrennt
werden und so eine gefällige Vielgestaltigkeit des Pedalstttckes erzielt wird.
Auch der ziemlich breite Rand des Gefässes entbehrt des Ornamentes nicht, und
zeigt sich hier in kleinen Quadraturen das bekannte gothische Nasenwerk. Unter
diesem Rande befindet sich ein zweiter silbervergoldeter Rand, der ziemlich breit
fmd glatt gehdten ist Besonders reich, in den Fonnen der Spätgothik gestaltet,
ist der obere Deckelverschluss des GefUsses, das in Weise einer Halbkugel for-
mirt ist Der äussere Rand im Durchmesser von 15 Centimeter findet nach oben-
hin einen reichen Abschluss durch ein ä jour gehaltenes, gothisches Blattwerk,
welches bereits die Formen der ausartenden Gothik deutlich erkennen lässt. Von
diesem bekrönenden Laubgesims aus eAeben sich vier onamentirte Streifen,
deren Flächen in der Mitte mit einzelnen Perlen besetzt ist. Auf diesen vier
Bändern eiMickt man als Abschluss und Bekrönung des Deckels vier Rundthttnn-
ehen mit einer BekWhiung von Zinnen und spitz ausmündender Bedachung, die
nacii vier Seiten hin, ein Redestal flankiren, das kreisförmig angelegt ist, und auf
i^einer obem platten Fftefae ciselirte ©tatuettchen verschiedener Heiligen zur Ansicht
treten ISsst. Das eine stellt die Madonna mit dem Kinde vor, die beiden andern
fieheisen den h. Erzbischof Heribert von Köln und den Kaiser Heinrich den Hei-
^gem bfidlieh darstellen zu wollen. Das vierte Standbildchen fehlt heute. Es
UnlerKegt keinem Zweifel , dass das vorliegende Gefäss nicht als Ciborium ange-
fBrtigt worden ist, sondern als Geftss zur Aufnahme und Aufbewahrung jener
8 KX7N8T8CHÄTZE DBB PFARBKIRGHE £U DBOIE.
oben erwähnten TrinkBchale von Holz, dessen sich der heil. Heribert wahrseheio-
lieh auf seinen Reisen nach Italien, als Freund und Bathgeber Otto ÜI, bedient
haben mag. Die Hauptbestandtheile des jetsdgen Trinkgefässes in Form eines
CiboriumSy wie sie eben beschrieben worden sind, rühren offenbar aus der zweiten
Hälfte des XY. Jahrhunderts her, wo die kölnischen GoldschmiedemeiBter ihre
Formen schon freier in oramentalem Style zu bilden begannen, und sieh von einem
architektonischen Zwange nicht mehr so sehr beherrschen Hessen. Die ganze An-
lage des Fusses sowie des Deckels in seinem eigenthflmlichen breit gezogenen
Blätterschmuck eri^nert an die ähnlichen Formgebungen der berühmten AugBr
burger Goldschmiedezunft, zu Ende des XY. Jahrhunderts. Bemerkenswerfli ist
es, dass an dem vorliegenden Gefässe, sowie an den meisten kirchlichen Geififli-
schaften aus der Mitte des XY. Jahrhunderts, sämmtliehe Flächen in Silber ange-
fertigt sind, wohingegen alle oniamentale Ansätze und Yemerungen immer ver-
goldet worden sind.
85.
BisehSflieher Hirfteflstab.
Die obere Ausbiegung in Elfenbein. Der Tradition nach herfahrend rom
heiligen Heribert^ Erzbischof zu Köln.
GhrttBite Länge 135 Centimeter, grOsste Ausdehnimg der obem Krttmine 14'/t GentimetBr.
X. Jahrhundert
Unter den bischöflichen Krummsläben, die sich heute noch in Europa er-
halten haben, ninmit unstreitig das YorHegende altehrwttrdige bischtffliche npedum
posturale" eine der heryorragendsten Stellen ein, nicht nur hindchilich seiner
frühmittelalterlichen Form, sondern auch in Bttcksicht auf seine merkwürdige
höchst originelle technische Beschaffenheit Die ganze äussere Fonn und Be-
schaffenheit desselben erinnert deutlich an die früh christlicbe Form der bischjtf-
liehen Hirtenstäbe, die heute noch vielfach in der griechischen Kirche eine dof^te
Krümmung nach beiden Seiten erkennen lassen, und im Aeusseni der Geatalt
eines griechischen T nicht unähnlich sehen. Die trefSiche Abhandlung des ver-
storbenen Abbö Martin in seinen ^Melanges ^archiologie** verbreitet sieh weitläiifg
über die geschichtliche Entwickelung und Ctestalt dieser altem Bischoftatäbe.
Auch werden in den vielen Zeichnungeh mehrere Krümmen in Elfenbein in Abbtt*
düngen nachgewiesen, die mit der vorliegenden Elfenbein -Seulptor Aehnliohkeit
haben. Um nicht bereits Ctesagtes zu wiederholen, verweisen wir hier im Y<M:tiber-
gehen auf die gediegene Auseinandersetzung des gelehrten französiBehenAreUlologeB»
Der eigentliche Stab in einer LAnge von 130 Centimeter hat die Anadeh*
nung, Farbe und Beschaffenheit anscheinend eines Bohres; bei näherer Uateimwkwg
KUNSTSCHÄTZE DER PFARRKIRCHE ZU DEUTZ. 9
Hessen sich aber deutlich Holzmasern erkennen. Wir sind nicht in der Lage genauer
angeben zu können , aus welcher Holzart der vorliegende Stab angefcniagt worden
ist Wie es uns scheinen will, ist derselbe als primitiv zu der obem Krümme
gehörend zu betrachten. Derselbe ist glatt gehalten und unten mit einer Bttchse
als Schluss versehen. In seiner obem Ausmttndung ist dieser Stab von einem
silbernen Abschlüsse umgeben, der in seiner grössten Länge von VJa Centimeter
nach unten hin vier im Dreieck ausgezackte Spitzen zeigt, in denen sich heute
noch in scharfen Oravirungen niellirte Darstellungen deutlich erkennen lassen.
Zwei dieser Ecken des Beschlages sind ausgefttllt mit dem Bilde der drei Frauen
am Grabe, denen der Engel verkündet: „resurrexü et tum est hie**. An der an-
dern Seite, dieser Auferstehungsscene gegenüber, hat der Künstler den Moment
des Herabsteigens in die Unterwelt, in welcher der Herr den Seelen der Gerechten,
der Schrift zufolge, den Absdiluss des Erlösungswerkes ankündigt und die Thore
des verschlossenen Paradieses öffnet, angebracht. Auf dem nur wenig vorspringen-
den silbernen Bande, der den obem Stab kreislörmig abschliesst, liest man in
trtthromanischer Majuskelschrift folgendes Legendarium: „+ Betiquiae Sanetae
Marie et sancti Ckrixtophori^*. Aus dieser eingravirten Inschrift lässt sich al^o
deutlich entnehmen, dass im Innem des bischöflichen Stabes, dem Gebrauche
der Zdt gemäss, Reliquien verschlossen waren. Wahrscheinlich befanden die-
selben sich entweder unter dem sUberoen Beschläge oder in der innem Höhlung
der obem Krümme von Elfenbein, zu deren Beschreibung wir jetzt übergehen
wollen. Dieser obere elfenbeineme Aufsatz des Hirtenstabes besteht, ähnlich
einem Antoniuskreuze, als Nachbildung des griechischen Buchstabens T aus einem
verlängerten Langbalken und einem horizontal darüber gelegten Kreuzbalken ohne
Kopfstück. Diese sculptirte Arbeit in Elfenbein zeigt in ihrer Gomposition und
auch in ihrer technischen Durchführung Spuren eines hohen Alters, wie sie
den Elfenbeinschnitzarbeiten aus der byzantinischen Epoche vor dem X. Jahrb.
eigenthümlich sind. Die bildlichen Darstellungen , welche sich auf beiden Seiten
der Krümme dieses Stabes befinden, der in seiner Form einem Krückenstock
nicht unähnlich sieht, sind füglich im Zusammenhange au&ufassen mit den
figtlrlichen Bildwerken, die auf der silbemen Einfassung des Stabes niellirt,
eben angeführt worden sind. Man erblickt nämlich auf der einen Seite als
Basrelief dargestellt in alter byzantinischer Auflassungsweise die Kreuzigung des
Heilandes. An den beiden Querbalken befinden sich rechts und links Abbildungen
der beiden Hauptgestime, Sonne und Mond, die beim Hinscheiden des Herrn der
Schöpfung ihren Schein verloren. Diese Darstellung der Hauptgestirae des Him-
mels, die als y,plangentes" als allegorische Figuren dargestellt, ihr Gesicht ver-
hüllen, fehlt bekanntlich niemals bei analogen byzantinischen Sculpturen, welche die
Kreuzigung darstellen. An dem Langbalken des Kreuzes zu beiden Seiten des
Gekreuzigten hat der Künstler die beiden Figuren der Passionsgmppe, Johannes
und Maria in Halbfiguren anzubringen gewussl Auf der Kehrseite des Stabes hat
der Sculpteur eine zweite Scene zur Anschauung gebracht, welche bei mittelalter-
lichen kirchlichen Bildwerken sehr häufig wiederkehrt, nämlich das: „ef iterum
2
10 KUN8TSCHÄTZE DER PPASRKIRCHE ZU DEUTZ.
vefiturus est cum gloria**. Man erblickt nämlich hier ebenfalls in halb erhabener
Arbeit den Heiland sitzend auf dem Regenbogen, wie er zum zweiten Male ab
Richter wiederkehrt, umgeben von Engeln. Diese Darstellung, von altem Schrift*
steilem, wie früher schon bemerkt, ^^majesioM Damim** genannt, hat leider durch
den Zahn der Zeiten so sehr gelitten, dass von der Figur des Heilandes nur
noch dunkel die Umrisse ersichtlich sind. Auf dem obera Flachtheile dieses
bischöflichen Pedums zeigt sich abermal euae merkwürdige Sculptur, die sich
auch an dem sogenannten Lotharkreuze in Aachen, desgleichen an älteren byzan-
tinischen Bildwerken häufiger vorfindet. Aus Wolken heraus ragt nämlich, von einem
gekreuzten Nimbus umgeben, hervor die Hand Gottes unmittelbar über dem Haupte
des Gekreuzigten; eine ältere griechische Darstellungsweise. Diese segnende
Rechte galt schon im Frtthmittelalter als Symbol fttr die erste Person der Gottheit,
den Vater. Dieselbe weist hin auf den Sohn mit Bezugnahme auf den Spmoh:
„Ate est filius mens dilectus, in quo mihi eomplacui^*. Die beiden Rundungen
des Stabes auf beiden Seiten lassen auf jeder Seite deutlich den geöffiaeten Rachen
eines schön stylisirten Löwenkopfes erkennen, der zweifelsohne an dieser Stelle,
unserem Erachten nach, einer symbolischen Deutung fähig und in Beziehung zu
setzen ist mit dem königlichen Löwen vom Stamme Juda, dessen Sieg Aber Tod
und Hölle durch die dabei befindliche Kreuzigung angedeutet ist Die Löwen-
köpfe treten zierlich auf beiden Seiten aus einer Laubeinfassung hervor, deren
Blätterwerk in ihrer Formation deutlich an das griechische Acanthusblatt erinnert
Die Mähnen des Löwenkopfes selbst sind als Planzenomamente stylistiseh
reich behandelt und zeigen jene eigenthttmlichen charakteristischen Bandver-
schlingungen, wie man sie in Miniaturwerken der spätkarolingischen Kunstepoche
sehr häufig anzutreffen gewohnt ist Leider hat durch eine starke Friction während
so vieler Jahrhunderte die Elfenbein -Sculptur dieses Stabes bedeutend gelitten,
so dass viele dieser originellen Ornamente undeutlich geworden sind. In Folge
eines Falles in früherer Zeit ist es denn auch gekommen, dass heute leider der
eine Löwenkopf abgebrochen ist und deswegen mit der Doppelkrttmme mittels
eines silbernen Umfassungsringes in loser Verbindung steht Auch scheint nach
untenhin der merkwürdige Stab ziendich verkürzt worden zu sein, so dass man
sich heute wohl schwerlich noch eine richtige Vorstellung von dem ehemaligen
umfange der Elfenbeinsculptur machen kann. Das aber dürfte jedenfalls fest-
stehen, dass die Füsse des Grckreuzigten mit dem s»fuppedaneum'% so wie die
beiden Nebenfiguren Johannes und Maria, die heute nur zur Hälfte ersichtlich
sind, ehemals in ihrer Ganzheit unverletzt zu Tage traten. Noch erübrigt es, ein
Näheres hinsichtlich der Zeit und des Landes anzugeben, dem vorstehende
seltene Sculptur ihre Entstehung zu verdanken habe. Aus allen Details seheint
es als ziemlich begründet hervorzugehen, dass das vorliegende eigenthümliche
Sculpturwerk aus der Zeit des heil. Heribert herrühre. Dafhr legt auch noch
ausser den vorhin angeführten charakteristischen Einzelnheiten die Form der
Buchstaben, um den untem silbernen Rand, deutlich Zeugniss ab. Dieselben sind
nämlich nicht in der ausgeprägten leicht kenntlichen Formation der spätromanischen
KUNSTSCHÄTZE DER PFAKBEIBCHE ZU DEUTZ. tl
Kunstepoche gehalten, sondern sie zeigen noch den Charakter und Typus der
spätrömischen Uncialbuchstaben, die bis in die Spätzeit der Karolinger, vom clas-
sisehen Born ausgehend, sich traditionell erhalten hatten. Was das Land anbelangt,
dem dieses Basrelief in Elfenbein seine Entstehung zu verdanken hat, so därfte
es wohl nicht als eine zu ktthne Hypothese angesehen werden, wenn man annähme,
dass St Heribert, der traute Freund und Rathgeber Otto's HI., des Sohnes der
Theophania, diesen Stab aus dem Lande der griechisch -traditionellen Elfenbein-
sculptur, aus Italien, dem Grossgriechenland des Byzantiners, nüt heimgebracht
habe. Bekanntlich führte der treue Heribert die Leiche des fllr das Beich zu früh
verstorbenen Freundes mit sammt den Beichskleinodien, welche der sterbende
Otto seiner Obhut llbergeben hatte, aus Italien mit ttber die Berge in die deutsche
Heimath und begrub sie an der Seite des grossen Kaiserhelden Karl in der
P&lzkapelle zu Aachen.
Ebenfalls dürfte eine andere Annahme berechtigt erscheinen, dass nämlich
der heil. Heribert dieses fremdartige im Occidente seltener vorkommende Kunst-
werk von der Mutter Otto's HI., der kunstliebenden griechischen Slaisertochter
Theophania, zum Geschenke erhielt, die dasselbe durch griechische Beinschnitzer
habe anfertigen lassen. Dagegen dürfte einer dritten Hypothese weniger Gewicht
beizulegen sein, die dahin ginge, die in Bede stehende „curvatura*' könne vielleicht
als Meisterwerk der Sculptur in Elfenbein betrachtet werden, das aus der Schule
der kunstgeUbten Beinschnitzer herrühre, die der grosse Bischof Bemward von
Hildesheim um sich versammelt hatte. Dass ausser heute noch in Hildesheim
erhaltenen Kunstwerken in edlen Metallen auch Sculpturen in Elfenbein
in den durch den heU. Bemward in Hildesheim gegründeten Kunstwerk-
stätten angefertigt wurden, lässt sich unter Anderm folgern aus dem Vorfinden
eines äusserst reich in Elfenbein geschnitzten Weihkesselchens t^vas lustrale^^ das
kürzlich erst bekannt geworden ist und der Inschrift zufolge dem Kaiser Otto HI.
durch seinen Erzieher, den Bischof Bernward, als Geschenk überwiesen wurde.
In den oben erwähnten Melange* et^Arehiologie ^ Tom. IV. pag. 175 — 256,
werden in Abbildung und Beschreibung eine grössere Zahl älterer bischöflicher Stäbe
mitgetheilt, unter andern auch solche, die nach beiden Seiten eine Krümme zeigen,
wie der vorliegende y^scipio St. Heriberti^*, Eine solche der vorliegenden sehr
ähnliche ^jcurvatura"* fanden wir ebenfalls in Elfenbein geschnitzt, aus dem XI. Jahr-
hundert herrührend, in dem städtischen Museum zu Ronen, und existiren auch von
derselben Abgüsse in Gyps, wovon wir einen besitzen.
12 KÜVSTSCHATZE DER PFARBKIBCHE ZU DEUTZ.
86.
Reliqnienschrein des heiligen Heribertns^
mit reichen getriebeneu und emaillirten Arbeiten.
Lunge 154 Centim., Höhe 63 Centim. 5 Millimet., Breite 42 Oentim. 5 Millinieter. XII. Jthiliaiidert
6ro88 ist die Zahl jener älteren christlichen Mausoleen, die aus der Glanz-
periode der kirchlichen Goldschmiedekunsty dem Xu. Jahrhundert in der Erzdiöcese
Küln sich bis zur Stunde noch erbalten haben. Diese umfangreichen Reliquien-
Schreine zeichnen sich meistens durch einen Reichthum von getriebenen Arbeiten
und Reliefdarstellungen aus. An vielen derselben treten auch zur weiteren Aus-
schmückung emaillirte Arbeiten zu Tage, wodurch diesen kostbaren Schreinwerken
ein leuchtender Farbenreichthum verlieben wird. Einzig aber in seiner Art und
ohne Parallele unter den ttbrigen grösseren Reliquienschreinen der Erzdiöcese
Köln steht jenes unvergleichliche Schreinwerk da, das heute noch, an primitiver
Stelle befindlich, die sterblichen Ueberreste eines der ausgezeichnetsten Köhier Era-
bischöfe, des h. Heribert , des Freundes und Rathgebers Otto's in., birgt Dieser
kostbare Schrein verdient von Seiten der christlichen Kunstarchäologie deswegen
eine besondere Beachtung, weil derselbe mit grossartigen und technisch ge-
lungenen emaillirten Darstellungen aufs Reichste ausgestattet ist, wodurch die
Schmelz- und Emailkttnste des XII. Jahrhunderts auf der Höhe ihrer ästhetischen
und technischen Entwickelung gekennzeichnet werden. Hin^chtlich der Vorzttg-
lichkeit dieser vielen emaillirten Arbeiten, wodurch die Flächen des St Heriberts-
kastens gehoben und belebt werden, tragen wir kein Bedenken hier die Behaup-
tung aufzustellen, dass von allen Schmelzwerken der romanischen Kunstepoche,
die sich dieseits der Alpen aus dem Strudel der Revolutionen gerettet haben, die
emaillirten Platten am St Heribertsschreine zu Deutz unmittelbar die nächste
Stelle einnehmen nach den unvergleichlichen Schmelz- und Kielloarbeiten, die den
sogenannten Verduner Altar zu Klostemeuburg bei Wien, als das grossartigste
und bedeutendste MeiBterwerk der Emailleurs aus dem Schlüsse des XH. Jahr-
hunderts, zieren. Nicht allein die vielen figürlichen Emails, sondern auch
die meisterhaften und zahlreich getriebenen Arbeiten, die die Flächen des Reli-
quienschreines zu Deutz bedecken, würden, fUr sich allein schon betrachtet, der
Ruhestätte des h. Heribert einen bedeutenden Vorrang unter den Monumenten
der religiösen Goldschmiedekuust des Mittelalters sicliem. Es zeigen nämlich die
vielen mit grosser technischer Fertigkeit getriebenen omamentalen und figuralen
Bildungen, dass die Goldschmiede des alten Kölns in jenen Tagen, als die Fabrik
und die kalte Maschine das Pressen, Prägen und Stampfen noch nicbt der freien
Handarbeit als Rivalin entgegengefahrt hatte, das ^^opus productile" mit einer
grossen Leichtigkeit und Sicherheit zu handhaben wussten, wie sie heute nur noch
wenigen Kleistern im Fache des Treibens zu eigen sein durfte.
KUKSTSCHÄTZE DER PFARRKIRCHE ZU DEUTZ. 13
Nach diesen allgemeinen Voraussendongen über den hohen aiÜBtischen und
technischen Werth des gedachten Eeliquienschreines, sei im Vorbeigehen be-
merkty dass die äussere Foim und Grösse desselben sich wesentlich von den
übrigen ähnlichen Schreinen unterscheidet, die in k(5lnischen Kirchen noch mehr-
fach angetroffen werden. Es stellt nämlich der vorliegende Beliquienschrein in
seinem kunstreichen architektonisch gegliederten Aufbaue das Langhaus einer
Basilika vor, die ohne Kreuzanlage an den beiden schmälern Kopftheilen flach
gegliedert abschliesst. Die beiden Langseiten sind abwechselnd mit getriebenen
Bildwerken der Apostel und abwechselnd mit den emaillirten Darstellungen der
Propheten geziert Die Flächen der schräg ansteigenden Bedachung zeigen im
reichsten Farbenschmuck in Jossen Medaillons emaillirte Bildwerke, vorstellend
einzelne Begebenheiten aus dem Leben jenes Erzbisehofs, dem die Pietät der
Vorfahren bei seiner feierlichen Kanonisation diese kostbare Buhestätte anfertigen
Hess. Die beiden schmäleren Kopftheile des Reliquienkastens zeigen in getriebe-
nen Bildwerken den h. Heribert, thronend unter den seligen Himmelsbewohnem
gleichsam in dem Momente, wo der Heiland zu dem verherrlichten Diener das
^,euge serve bone et fidelis*^ auszusprechen scheint
Da uns in den beiden folgenden Lieferungen dieses Werkes noch die Be*
Schreibung ähnlicher Beliquiarien in verwandten Omamentationen und in gleicher
Gestaltung, wie das vorliegende sie aufweist, obliegt, und wir bereits Gesagtes
später nochmals zu wiederholen befürchten, so dttrfte es gerechtfertigt erscheinen,
wenn wir hier die Erklärung der vielen Inschriften und Bildwerke wörtlich folgen
lassen, die von einer andern sachkundigen Feder bereits früher erschienen ist
Es gebührt Dr. Heuser, Professor im hiesigen erzbischöflichen Seminar, das Ver-
dienst, dass er zuerst im Organ fUr christliche Kunst*) die Lesung der
vielen emaillirten Inschriften an dem St Heribertsschreine richtig fixirt und
historisch näher begründet und dargelegt hat. Indem \m den Wortlaut dieser
historischen und sachlichen Erläuterungen folgen lassen, beschränken wir uns
darauf, zum Schluss noch einige allgemeinere technische und artistische Be-
merkungen hinzuzufügen. Die eine vordere Schmalseite zeigt, in hocberhabener
Arbeit, die Mutter Gottes sitzend mit dem Jesuskinde auf dem Schoosse, zu jeder
Seite einen Engel, darunter die Inschrift: „Plena sohlte ave noxam guae däms
Evae*\ So Hess man ihn im Tode zu den Füssen des Bildes der Mutter Gottes
ruhen, der er im Leben so kindlich gedient, der zu Ehren er ein Münster zu Deutz
errichtet und zu Köln die den Aposteln und ihrer Königin geweihte Kirche neu
gegründet hatte. Auf der entgegengesetzten Seite des Schreines ist in gleicher
Arbeit der heilige Heribert selbst dai^estellt ; zu seiner Seite zwei Figuren, welche
die Ueberschrift als die von ihm unzertrennlichen Genossen bezeichnet: .^Has
praesut Christi vitae socias habuisti^\ Diese beiden Figuren sind durch die neben-
bei befindlichen Worte, die eine als „Ckaritas**, die andere als „Humitäas", be-
*) Vcrgl. No. 19 und 20 des ,,0rgan'8 für ohristliohe Kunst'* von Fr. Baudri, im Cot. 1855.
14 KUNSTSCHÄTZE DER PFARRKIRCHE ZU DEUT2.
zeicliiiet, welche Tagenden auch in der That in dem reichen Kranze seiner Hei-
ligkeit besonders heryorstrahlen. Ueber seinem Haupte erblickt man in einem
runden Medaillon das Bild dessen, dem der Heilige mit demttihiger Liebe in
seinen Brtldem gedient hat; die linke Hand trägt ein Buch mit den Worten
„Effo sum, qui mm*\ die rechte ist segnend über St. Heribert ausgestreckt, zum
Zeichen des grossen Lohnes, den der Herr seinem getreuen Knechte auf Ewigkeit
verliehen hat.
An der untern Langseite sind, wie schon bemerkt, die Apostel dargestellt
und zwar in sitzender Stellung; jeder hat ein offenes Buch in der Hand, und die
auf demselben vertheilten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses stellen
sie als diejenigen dar, welche die frohe Botschaft des Heiles zur Erleuchtung und
Beseligung der Welt aller Creatur verktlndet haben; wahrlich ein passender
Schmuck fbr den Schrein eines so apostolischen Bischofes. So folgen sich an
der einen Seite die h. h. Petrus, Andreas, Jacobus, Johannes, Bartholomäus und
Thomas; an der andern Seite: Paulus, Jacobus, Philippus, Matthäus, Simon und
Judas. Ueber den Aposteln zieht sich eine Ueberschrift hin, nämlich goldene
Msyuskelbuchstaben in blauem Email, welche die Wirksamkeit der Apostel, und
somit auch die ihres treuen Nachfolgers, des heiligen Heribertus, nach ihren ver-
schiedenen Richtungen, als erleuchtend und Gnade spendend und die Gläubigen
regierend, in folgenden Versen darstellt:
Wc fantes Helij, sunt hie panes duodeni
Hie qui Jacob species, sie tot lapides radiantes
Ordme bisseno^ virtuOs dogmate pleno^
Fulget apostolicus perfuloa metalla senatus:
Nempe rigans, satians, tenebrarum devia vitans
Iste StfOH sotidat, quam temo robore quadrat^
Sicque Dei trini per bis duo eUmata mpndi
Vera fides per eum longum ßrmatur in aevum.
Die quadratischen Vertiefungen, in denen die Apostel sitzen, sind durch kleine
Pfeiler gebildet, und auf diesen finden sich in Email vierzehn Propheten dai^e-
stellt, an deren Spitze man David und Moses erblickt, vielleicht mit Beziehung
auf die auch in dem h. Heribertus verbundene geistliche und fdrstUche Gewalt
Auf David folgen: Isaias, Zacharias, Ezechiel, Habakuk, Oseas und Sophonias;
auf Moses: Daniel, Jeremias, Malachias, Nahum, Joel und Amos. Jede dieser
vierzehn Figuren hält eine geöfihete Bolle in der Hand, die, nach unten sich ent-
faltend, eine Stelle aus ihren Schriften enthält, welche die Wirksamkeit der Apostel
schildert; zugleich wird gerade dadurch das schönste Lob dem h. Heribert ertheilt
Wir lassen diese Stellen hier folgen, bei einer jeden den Namen dessen anzeigend,
der sie hält.
David: In omnem terram exiüit sonus eorum.
Isaias: Quam speciosi pedes evangeUzantium pacem.
Zacharias: Isti sunt filii olei splendarum, qui assistunt domnatori um-
vef'sae terrae.
KUNSTSCHÄTZE DER PFABRKIBCHE ZU DEUTZ. 15
Ezechiel : Congregabo vos de populü et adunabo de terris,
Habakuk: Justi in fide sua viveni.
Oseas: Tempus requirendi dominum cum venerit gut docebit vos justitiam.
Sophonias: Dabo vos in nomen et in laudem omnibus geniibus.
Auf der andern Seite:
Moses: Sancti eritis, quia et ego sanctus sum,
Daniel: Qui ad justitiam erudiunt multos quasi stellae in perpetuas aeter-
nitates.
Jeremias : Dabo vobis pastorem juxta cor meum.
Malachias : Orietur vobis timentibus nomen meum sol justitiae.
Nahum: Ecce super montibus pedes evangelixantis et annuntiantis pacem,
Joel : Filii Syon, laetamini in domino quia dabit vobis doctores justiliae.
Arnos: Et suscitavi de filiis vestris in prophetas et de juvenibus vestris
naxaraeos.
Aul sie beziehen sieh die Verse , die am untern Rande den Schrein um-
ziehen :
Patres legales, virtute viri speciales^
Legis doctores, justitiae monitores
Nube sub obscura praecognoscendo futura.
Quem praedixerunt, Christi regnum meruerunt.
Quem patriarcharum generosa stirpe creatur,
Ordo prophetarum praesagus vaticinatur
Christum venturum, vitaeque statum reparari,
Hostem casurum, veterem culpam vacuari.
Gehen wir nun zu den zwölf Darstellungen der beiden das Dach bildenden
Langseiten ttber. Sie sind auf runden Medaillons in Email ausgeführt und führen
uns die Hauptereignisse im Leben des h. Heribertus von der Geburt bis zum Tode
vor, und zwar die sechs ersten in der Weise, dass jedes Medaillon, durch seinen
Halbmesser getheilt, zwei Darstellungen enthält; um jedes Bild läuft eine aus
zwei lateinischen Hexametern bestehende erklärende Inschrift:
1) Die Geburt St Heriberfs.
Der h. Heribert, der. von so vielen Tugenden strahlen und so Viele auf
dem Wege des Heils erleuchten sollte, wurde gleich bei seiner Geburt durch
eine besondere Begnadigung ausgezeichnet. Wunderbarer Glanz erfüllte das
Zimmer in der Nacht, als er geboren wurde, und zu gleicher Zeit träumten sein
Vater Hugo und ein Jude, Namens Aaron, der sich Geschäfte halber bei ihm
befand, die Decke des Zimmers, wo die Mutter lag, öfine sich und ein Stern
strahle mit Sonnenhelle auf das Gesicht des Neugebomen. Dieses Ereigniss ist
in dem ersten Bilde dargestellt, in der obem Hälfte ist in der Mitte das Zimmer,
wo, von ihren Frauen umgeben, Thielmidis mit ihrem kleinen Heribertus liegt;
links von demselben schläft der Vater Hugo, rechts der Jude Aaron ; oben erscheint
ein Stern, der seine Strahlen auf das Kind, den^Vate^ und den Juden entsendet;
16 KUNSTSCHATZE DEE PFAJIRKIBCHE ZU DBUTZ.
in der untern Hälfte sitzt der Vater, dem der Jude seinen Traum und einer der
Frauen freudig erzählt, dass der Traum mit der Wirksamkeit, die sie gesehen,
übereinstimme. Die Unterschrift lautet:
Magnificae prolis notat ortvm vtsio solü,
Hoc praevidit ita pater ejus et Israelüa.
2) Studien St. Heribert's.
In dem obem Theile des Bildes ttbergiebt der Vater den kleinen Heribertus
seinem Lehrer. Bezeichnend für den Charakter der Zeit ist die Scene in der
Ecke dieser obem Hälfte ; der kleine Heribertus sitzt auf einem niedrigen Schemel,
beschäftigt, die Buchstaben auf eine Tafel zu schreiben: a, b, c, d, sind schon
fertig; vor ihm steht der Lehrer mit einer grossen Kuthe. In der untern Hälfte
ist Heribertus, schon etwas älter, in einem wissenschaftlichen Gespräche mit seinen
Lehrern begriffen dargestellt. Ein solches Bild durfte nicht fehlen, da seine
Biographen die hohe philosophische und theologische Bildung, die er auf mehrem
der berühmtesten Bildungs -Anstalten seiner Zeit geschöpft, so besonders henror-
heben. Die Umschrift ist:
Doctori natum tradit pater erudiendum,
Disputat atque docet^ quem gratia coelica replet.
3) St. Heribert erhält die Diakonats - Weihe und wird kaiserlicher Kanzler.
Mit der Ausbildung seiner grossen Geistes -Anlagen gingen bei St Heribert
die Fortschritte in der Vollkommenheit Hand in Hand; er dachte daran, sich ganz
von der Welt zurückzuziehen, als er nach seiner Vaterstadt Worms zurückberufen
wurde. Der dortige Bischof Hildebald hatte seinen Werth erkannt, und ernannte
ihn zum Probst seiner Domkirche, nachdem er ihm die Weihe eines Diakons ertheilt
hatte. Der alternde Bischof glaubte in ihm seinen würdigen Nachfolger zu er-
blicken, aber die Fttrsehung hatte ihm einen andern Bischofstuhl zugedacht, dessen
alten Glanz er mit neuer Heiligkeit mehren sollte. Während aber die Demuth
St Heriberf s sich schon damals auf zu hoher Stufe glaubte, ward ihm eine Stelle
zu Theil, die ihm einen hervorragenden Platz im Reiche einiilumte: Otto HI.
machte ihn zu seinem kaiserlichen Kanzler und veranlasste ihn auch die Priester-
weihe zu empfangen, die er zugleich mit Bruno , der später als Gregorius V. den
päpstlichen Thron bestieg, erhielt
Auf diese Züge aus dem Leben unsers Heiligen bezieht sich das dritte
Bild. In der obem Hälfte sieht man den Bischof Hildebald, ihm die Diakonats-
Weihe ertheilend; interessant ist hier die Form des Manipels, welches am untern
Ekide bedeutend breiter ist, als in seiner Länge. In der untern Hälfte sitzt der
Kaiser Otto lU. auf dem Thron und reicht 8t Heribert das Reichs- Siegel. Die
Umschrift lautet:
Hio fit levüa vir ctarus ceb'be vita,
CanceUatupoe rex hune mvesüt hanore.
KUNSTSCHÄTZE DEfi PFARRKIRCHE ZU DEUTZ. 17
4) St. Heribert wird zum Bischof von Köln erwählt und vom Papste bestätigt.
Während St Heribert mit dem Kaiser in Italien weilte, starb Erzbischof
Evergerus von Köln, der grosse Wohlthäter der Abtei St. Martin, wo sein Vor-
gänger Warmus die Mitra und den Fürstenmantel mit dem demüthigen Gewände
des h. Benedict vertauscht hatte. Als Zwiespalt über die Wahl seines Nachfolgers
ausbrach, vereinigte der Domprobst Wezelinus die Gemüther, indem er auf Heri-
bert hindeutete, den eine einstimmige Wahl als Erzbischof bezeichnete. Mit dem
alten Hirtenstabe der kölnischen Kirche zogen die Abgesandten über die Alpen an
das Hoflager des Kaisers, welcher der Wahl freudig beistimmte und dem Ge-
wählten, der sich zur Beruhigung eines Aufstandes in Kavenna befand, die Nach-
richt mit den kurzen Worten schrieb : Otto imperator Heriberto scduiem, CoUmiam
et palUi cubitum tmum. (Kaiser 'Otto wünscht dem Heribert Wohlergehen, Köln
und eine Elle Pallium.) Gar sehr erschrak bei dieser Nachricht Heribert, der in
seiner Demuth schon früher. das Bisthum Würzburg ausgeschlagen hatte; allein
der Wille des Papstes machte seinen Bedenken ein Ende, indem er den Willen
Gottes in dem seines Stellvertreters verehrte. Unser Bild zeigt nun in seiner
obem Hälfte den Kaiser, und zwar wie es eine Zeit lang Brauch war, durch
Ueberreichung des Hirtenstabes unsem Heiligen mit den Regalien des Bis-
thums belehnend; in der untern Hälfte sehen wir zum Zeichen der päpstlichen
Bestätigung den Papst sitzen, vor dem auf einem Tische das Pallium liegt.
Die Umschrift besagt:
Ex regis dono datur hie sacra virga patrano,
Praesulis insigne plenum dat papa benigne.
5) St. Heribert zieht über die Alpen und hält seinen Einzug in Köbi.
Das obere Feld zeigt uns die Heimreise über die Berge, die St Heribert
antrat, sobald er zu Rom vom Papste Sylvester H., den einige als seinen alten
Lehrer bezeichnen, das Pallium erhalten hatte. Das untere Feld zeigt den Einzug
in Köln. Am Tage vor Weihnachten in der Nähe dieser heiligen Stadt ange-
kommen, schickte er das Pallium und die übrigen Insignien seiner Würde voraus
und hielt dann, in frommes Gebet versunken, barfuss, wie ihn auch diese Abbil-
dung in ihrer untern Hälfte zeigt, seinen Einzug in seine bischöfliche Stadt, in
der bittem Kälte von dem Feuer glühend, welches der Herr auf die Welt gesandt,
von Bischöfen, die zur Feier gekommen, geleitet, an der Thtb- des Domes von
dem Klerus mit Kreuz und Weihwasser empfangen und dann zu dem alten stei-
nernen Stuhle der Kölner Erzbischöfe geführt, den er so würdig einnehmen sollte.
Die Freude der Kölner hatte sich auch durch äussern Schmuck gezeigt, nament-
lich war der Dom mit Kränzen und Lichtem aufs Herrlichste geschmückt. Die
Umschrift lautet:
Mong transit montes sparsurus lumme volles,
Suscipit optatum plebs Pantificem sibi gratum.
3
18 KCKSTSCHÄTZE DER PFARRKIRCHE ZU DEUTZ.
6) St. Heribert wird zum Bischof geweiht.
Die Weihe wurde in dem zweiten Hochanite des Weihnachtstages in dem
Dome von den Suffragan -Bischöfen der £rzdiöceße KMn vorgenommen. Mit
einem merkw Urdigen Zusammentreffen öffiiete sich das Evangelienbuch, als es ihm
nach der Vorschrift des Pontüicats aufgelegt wurde, bei den Worten: (Luc 4, 14)
„Spfritys dommi super me; propter quod wiant me; ad evimgeUzandum pauperibm
mtsit me." Worte die so treffend das Wirken unseres Heiligen bezeichnen. Zu
dieser Weihe führt uns das Bild: im obem Felde ist die Prttfung daigesteUt, die
nach alter Vorschrift der Weihe vorher gehen soll; um die Fähigkeit und Wür-
digkeit des zu Weihenden festzustellen; im untern Felde erblickt man die heilige
Handlung selbst, und zwar die Salbung des Hauptes und das Auflegen des Evan-
gelienbuches. Die Umschrift besagt:
Hic subit examen miseris vir juge levamen,
Unctio sancta datur persanaque digna sarrahtr.
7) Die Gründung der Abtei zu Deutz.
Während die bisherigen Dai*stellungen uns bis zur Weihe St. Heriberts im
Dome zu Köln geftilirt haben, geben uns die sechs Darstellungen der andern Seite
drei verschiedene Scenen aus seinem spätem Leben als Erzbischof von Köln.
Ausserdem, dass die Form der Medaillons selbst eine etwas andere ist, enthaüen
dieselben auch nicht mehr jene Abtheilung in zwei Theile.
Die erste Darstellung bezieht sieh auf die Stiftung der Abtei zu Deutz.
Es war ein Lieblingsplan St. Heriberts und seines kaiserlichen Freundes und
Herrn gewesen, zu Ehren unserer lieben Frau und zum Heile ihrer eigenen
Seelen eine Abtei zu gründen, und sie hatten beschlossen, dass, wenn der Tod
einen von ihnen vor der Ausführung dieses Planes überrasche, der andere mit
Hinzuziehung der Güter des Verstorbenen die Gründung vollbringe. Kaum hatte
nun St. Heribert die Leiche Otto 's IH., an dessen Sterbebette er in Italien gestan-
den, nach Aachen geleitet und nach dem Wunsche desselben in dem Chor des
Münsters U. L. F. begi*aben; so schritt er zur Ausftlhrung des frommen Vorhabens.
Ueber den Ort durfte er nicht mehr im Zweifel sein. Die allerseligste Jungfrau
war ihm im Traume erschienen und hatte ihm die Stelle angegeben, an der sieh
jetzt die Deutzer Kirche erhebt. Auf dem Bilde sehen wir nun in der Mitte in
rundem Kranze die allerseligste Jungfrau, rechts ruht der h. Heribcrtus, links sein
Nachfolger Piligrinus, der freigebige Wohlthäter der Deutzer Abtei, beide kenntlich
gemacht durch die neben sie geschriebenen Namen. Oben im Bilde sieht man
die Arbeiter fieissig mit dem Kirchenbau beschäftigt. Die Umschrift sagt:
VisUat ecce, pater, te lummu inclyta mater,
Tempil Vota probatis, formain sigfians^ loca moiistrans.
8) Die Erscheinung des Kreuzes.
Die Fundamente der Kirche waren ausgeworfen, und es galt nun, ein Kreuz
zu bereiten, welches daselbst aufgerichtet werden sollte ; mit aller Mühe kamen die
KUKSTSCllÄTZE DER PFABRKIBCHE ZV DEUTZ. t9
Arbeiter nicht gehörig damit zu Stande, und so manchen schönen Baum sie auch
fällten, sie verwarfen ihn immer wieder als nicht recht passend. Da befand sich
eines Tages St. Heribert auf einem ihm gehörigen Gute. Er liess sich seinen
Mittagstisch in dem Obstgarten desselben bereiten und beim Essen zufällig auf-*
sehend, erblickt er einen Birnbaum vor sich, dessen Aeste ein natürliches Kreuz
bildeten. Er liess den Baum sogleich fällen, behauen, und nachdem er ein Christus-
bild zu demselben hatte anfertigen lassen, war das Kreuz der Deutzer Abtei
fertig. Auf unserem Bilde begegnen wir nun St. Heribert am Tische, verwundert
jenen Baum erblickend; auch sehen wir die Arbeiter schon beschäftigt, den Baum
zu fällen. Die Form desselben ist die des alten Kreuzes in Maria im Capitol:
die beiden Arme erheben sich in stumpfen Winkeln, ein Beweis mehr, dass mau
auch in jener Zeit die Christusbilder nicht immer mit fast rechtwinklig ausge-
breiteten Armen am Kreuze darstellte. Die Umschrift heisst:
In mensa visus extensus in arbore Christus,
Pontifici sanctae fit causa crucis faciendae.
9) Die Procession um Regen.
Dieses Bild versetzt uns wieder in die heilige Stadt Köln. Es war eine
grosse Dürre in den rheinischen Landen, und die Ernte drohte zu Grunde zu
gehen ; da schrieb St. Heribert einen dreitägigen Bittgang aus, um durch die Für-
bitte der Heiligen eine Abwendung dieses göttlichen Strafgerichtes zu erflehen.
Ohne Zweifel war man am ersten Tage vom Dome nach St. Severin gezogen;
denn seit bei der üebertragung der Reliquien des h. Severin von Bordeaux zurück
nach Köln eine lange Dürre plötzlich dem fruchtbarsten Regen gewichen war, ziehen
die Kölner bis zum heutigen Tage bei drohender Trockenheit vor Allem zu dieser
Kirche, um St. Severin, den die Kirchenlieder noch immer den besondem Vater
der Stadt nennen, um seine Fürbitte anzurufen. (Sancte Pater Severine, fnaje-
stati fer divinae preces pro famiiia,) Am zweiten Tage ging der Erzbischof
mit der Procession von St. Severin nach St. Pantaleon, diesen Weg, den seit
St. Severin so viele Kölner Bischöfe betend gewandelt. Beide Kirchen lagen da-
mals noch weit vor der Stadt, und während St. Severin schon seit Jahrhunderten
ein herrliches Münster war, strahlte St. Pantaleon in dem neuen Glänze, den der
h. Erzbischof Bruno ihm verliehen, denn dieser hatte für diese Kirche Reliquien
von dem Leibe des h. Pantaleon erhalten, und noch lebten viele Leute zu Köln,
welche mit der grossen Procession nach Pantaleon gezogen waren, als diese Reli-
quien dahin von Rom übertragen wurden. Zwar stand die alte Kirche nicht mehr,
bei welcher der heilige Reinold gelebt und zu der sich der h. Bruno so gern aus
der Unruhe der Stadt zurückgezogen hatte; aber es war noch immer ein stilles
Plätzchen des Gebetes, wohin der Lärm der gewerbreichen Stadt nicht drang.
Hierhin zog also die Procession von St. Severin. Als der Zug an die Stelle ge-
kommen war, wo einst St. Severin die Freudengesänge der Engel über die Auf-
nahme St. Martinas in den Himmel gehört hatte, sahen die Gläubigen, wie eine
weisse Taube, die schon früher Einige über St Heribert hatten schweben sehen,
20 KUKSTSCHÄTZE DER PFAKEKIRCHE £ü DEITTZ.
dreimal um sein Haupt flog, und Alle glaubten, der heilige Geist habe zeigen
wollen, ein wie lieber und getreuer Arbeiter ihr Erzbischot sei. Unser Bild
zeigt uns die Taube mit der Inschrift: „Spiritus sanctus'*, und auch die Procession
ist dargestellt, wie sie in St. Pantaleon einzieht, wo die Mönche des von dem
seligen Erzbischof Bruno bei dieser Kirche gestifteten Benedictiner- Klosters ihn
mit dem Rauchfasse empfangen. Hier hielt St. Heribert die heilige Messe und
entliess dann die Gläubigen mit dem erzbischOflichen Segen. Er selbst ging auch
nach Hause zurück, von nichts redend, als von der Grösse seiner Sünden, die
diese Dürre auf das Volk herabgezogen hätten. Zu Hause angekommen, legte er,
wie einst St. Scholastica, das Haupt mit den gefalteten Händen auf den Tisch
und betete im Stillen. Als er es wieder erhob, strömte der Begen herab, und das
Jahr wurde ein überaus fruchtbares. Dieses Wunder ist in der Ecke dieses Bildes
dargestellt, wir erblicken St. Heribert, aber das Haupt nicht mehr auf den Tisch
gelegt, sondern dankbar erhoben; denn auch den Regen sehen wir auf dem Bilde
in dichten Strömen herabfliessen. Die Inschrift besagt:
Vota pater dum fert sacer huic se Spiritus infert,
Cumque Deum placat reserans coelos pluviam dat.
tO) Die Heilung des Besessenen.
Es war wieder zu Köln und zwar bei der Bömerfahrt am Palmsonntage,
wo das in diesem Bilde dargestellte Ereigniss Statt fand. Die Römerfahrt war
bis St Maria im Capitol gekommen, der Erzbischof stand auf der Anhöhe und
die Procession um ihn und am Fusse des Hügels, wo jetzt die Häuser stehen.
Er predigte und zwar von dem Falle unserer Stammeltem im Paradiese durch die
Verführung des Teufels, und wie Christus uns von dem Falle wieder erhoben
und den Teufel überwunden habe. In lautloser Stille hörten die Schaaren der
Gläubigen auf die Predigt ihres heiligen Erzbischofs, da erscholl plötzlich gräss-
liches Geheul, das der über die Rede des Bischofs wüthende Teufel einen Be-
sessenen ausstossen liess. Dieser Unglückliche war Allen bekannt; an viele
Gnaden -Orte hatten ihn seine Verwandten geführt, um Heilung flehend, und so
führten sie ihn auch in Ketten, weil er oft gefährliche AnfäUe hatte, der Proces-
sion nach. Als St. Heribert den Unglücklichen vernahm, fing er an zu beten,
und siehe der Besessene wurde plötzlich ruhig und bat seine Wächter in ganz
sanftem Tone, ihm seine Ketten abzunehmen, indem er von der Besessenheit
befreit sei. Und von dem Augenblicke an war er für immer von seiner schreck-
lichen Heimsuchung erlöst Auf unserem Bilde sehen wir den Besessenen, den
man im Hintergrunde noch mit gefesselten Händen erblickt, dankbar vor St
Heribert knieen, vor den Augen zahlreicher, Palmen tragender Zuschauer,
die Zeugen seiner Heilung, wie früher seiner Besessenheit waren. Die Um-
schrift sagt:
Viribus antiqui praesul rapiens ininuci,
Praedam salvamt^ hanc daemone deus spoUavü.
KUNSTSCHÄTZE DER PFABRKIBCHE ZU DEUTZ. 2 t
1 1 ) Versöhnung St. Heriberts mit Heinrich dem Heiligen.
Böse Zungen, deren es zu allen Zeiten gegeben, hatten den heil. Kaiser
Heinrich H. gegen unseren Erzbischof aufgeregt, und mit nicht sehr freundlicher
Gesinnung kam das Haupt des heiligen römischen Reiches im Februar des Jahres
1 020 den Rhein herab nach Köln gezogen , wo Stadt und Bischof ihn mit alter
Treue und gewohnter Ehrfurcht empfingen, ohne seinen, wie er meinte, gerechten
Zorn beschwichtigen zu können. Aber der Himmel selbst ttbemahm es, diese in
der Liebe zu Gott so einigen Herzen zu versöhnen. In der Nacht des 18. Febr.
erschien dem Kaiser ein ehrwürdiger Greis im bischöflichen Gewände (man
meinte, es sei St Petrus selbst gewesen) und sprach : „Hüte Dich, o Kaiser noch
femer gegen den Diener Gottes Heribert zu sündigen." Dadurch von der Grund-
losigkeit seines Verdachtes überzeugt, bat der heil. Kaiser unsem heil. Erzbischof
am anderen Tage demüthig um Verzeihung, und vor Allen umarmten und küssten
sie sich einander dreimal zum Zeichen der Versöhnung. Damit noch nicht zu-
frieden, ging der Kaiser nach Mittemacht, nachdem im Dome die Metten gesungen
waren, in den Palast des Bischofs, der damals noch am Dome stand, und als er
ihn da nicht fand, in die Kirche des h. Johannes am Domhofe (die alte Hof-
kapelle der Kölner Erzbischöfe), wo St. Heribert manche Nacht im Gebete zuzu-
bringen pflegte. Hier fiel er demüthig zu den Füssen unseres heil. Erzbischofes
nieder und bat ihn nochmals um Verzeihung. Lange weilten sie im frommen
Gespräche, und dem Kaiser wurde hier auch kund, dass sie sich in diesem Leben
nicht mehr sehen würden.
Diese Scenen bilden den Gegenstand unseres Bildes. Man sieht den Kaiser
den Bischof umarmen, und an der Seite vor einem Altar, auf dem Kelch und
Leuchter steht, den Kaiser, um Verzeihung bittend, vor dem Bischöfe, der ihn
aufhebt, knieen. Bei St. Heribert liest man die Worte: AmpUus nan videbimus
fadem nostram. Die Umschrift lautet:
Corda cruenta necat venia dum rex bene placat,
Iram pontißcis, ter praebens oscula pacis.
12) Tod St. Heriberts.
St Heribert wusste, dass sein Tod herannahe, und darum machte er sich
noch einmal auf den Weg durch das Erzbisthum, um die Gnadenorte und heiligen
Beliquien zu verehren und die Gläubigen nochmals selbst zu ermahnen, zu be-
lehren und zu segnen. So war er auch nach Neuss, der alten Bömerstadt, gekom-
men. Hier überfiel ihn ein heftiges Fieber, und alsbald schickte er Boten nach
Köln in die Abtei Gross -Martin und liess den Abt Elias zu sich nach Neuss entbieten,
um bei ihm zu beichten und die heiligen Sterbe - Sacramente zeitig zu empfangen.
Dieser ertheilte ihm denn auch die letzte Oelung und reichte ihm die heilige
Communion. Hierauf liess unser heil. Erzbischof sich auf dem Bheine nach Köln
fahren und, sobald das Schiff gelandet, sich sogleich in den Dom tragen, und vor
dem damals schon alten und durch das wenige Jahre vorher vollbrachte Wunder
des Erzbischofs Gero neubertthmten Kreuze sich auf die Erde legen. Hier ver-
22 KUKSrrSCUATZE DER PFARRKIBCHE ZU DEUTZ.
harrte er lange im Gebete, sich und seine Herde Gott und dem h. Petrus em-
pfehlend. Vou da trug man ihn in die alte kaiserliehe Pfalz, die, ein Geschenk
Karls des Grossen an den Bischof Hildebald, noch immer den Kölner Erzbischöfen
zur Wohnung diente. Weinend umstanden ihn die Geistlichen, die er mit der
Hofiiiung auf den Himmel tröstete. Dann verschenkte er AUes, was er noch besass,
Einiges zum Andenken «an seine Verwandten und Freunde, Einiges seiner Diener-
schaft, Einiges an die Kirchen, das Meiste erhielt Christus in den Armen, die er
stets alH seine Brüder, ja, als seine Herren und Fürsprecher bei Gott geehrt hatte.
80 ging er aus diesem Thale der Thränen in die Freuden des Himmels hinüber
am 16. März im Jahre des Herrn 1021, nachdem er länger als 22 Jahre auf
dem Stuhle des h. Matemus gesessen hatte. Unser Bild zeigt uns ihn in zwei
Darstellungen , als Leiche und wie er, lungeben vom Klerus mit Kreuz und Rauch-
fasB und vom Volke, ins Grab gesenkt wird. Die Umschrift ist:
nie pater insignis meritis rutilaris velut ignis,
Fit requie tutus Paradm, carne solutus.
Seinen heiligen Leib fuhr man über den Rhein und setzte ihn in der Kirche
der Deutzer Abtei vor dem Altar bei, unter einem grossen Zusammenlaufe vou
Geistlichen und Gläubigen. Hier ruhte er, von vielen Wundem verherrlicht, bis
zum 30. August des Jahres 1147, wo er feierlich erhoben und in den Reliquien-
schrein übertragen wurde, nachdem er von dem h. Papste Gregor VH. feierlich
in die Zahl der Heiligen aufgenommen worden war.
Nachdem im Vorstehenden in grösseren Umrissen die vielen figiiralen
Darstellungen mit ihren bezüglichen Inschriften historisch gedeutet worden sind,
erübrigt es noch, über den Werth der kunstreich getriebenen Arbeiten, die den
Schrein auf seinen vier Flachtheilen beleben, so wie über den technischen Werth
der iiguralischen und ornamentalen Emaillirungen einige allgemeinere Andeutungen
hinzuzufügen, resp. unsere Venuuthung über die Zeit und den Ort der Entstellung
dieses Prachtschreines schliesslich folgen zu lassen. Wie früher schon angedeutet
worden itst, thronen an den unteren Langseiten des St. Heribertus- Kastens, auf
reich veraeiien Sedilien sitzend, die als Hautreliefs getriebenen, 24 Centimeter
grossen Statuetten der Apostel. Hinsichtlich ihrer Composition tragen dieselben
den strengen Stj'l- Typus und hierarchischen Ernst der von Bj'zanz ererbten Ktmst-
weise noch deutlich zur Schau. Betrachtet man die technische Ausführung dieser,
mit vielem Schwung getriebenen Bildwerke, und erwägt man die Schwierigkeiten,
die im XII. Jahrhundert bei dem y^ojms propulsatum** sich herausstellten, so muss
man unbedingt zugeben, dass auch die Technik, trotz dem dass sich in den ana-
tomischen Körpertheilen noch manche Härten ergeben, als künstlerisch untadelhaft
bezeichnet werden muss. Ein Vergleich dieser sitzenden Bildwerke, mit jenen
getriebenen Apostel- Statuetten an dem im I. Bande des vorliegenden Werkes
be>iehriebenen Dreikönigcnschreine, zeigt zur vollen Evidenz, dass, der Zeitfolge
nach, die Bildwerke am Heribertusschreine fast um ein halbes Jahrhundert älter
sind und die Kunst des Treibens in figüriiefaen Darstellungen gegen Schluss des
KUKSTSCHÄTZE DER PFAKRKIRCHE ZU DEUTZ. 23
Xn. Jahrhunderte jene Höhe erstiegen hatte, die der Goldschmied ftinfzig Jahre
früher schwerlich zu. erreichen vermocht hatte. Einen grösseren artistischen Werth,
nicht nur in compositorischer Beziehung, sondern auch in Hinsicht der technischen
Ausführung, zeigen jene vielen zierlichen Ornamente, theilweise der animalischen,
theilweise der vegetahilischen Schöpfung angehörend, mit welchen die Flachtheile
der Bedachung der in Bede stehenden .,arca" ausgefüllt sind. Es sind nämlich,
wie früher bemerkt, auf jeder Bedachangsfläche sechs grosse Emailmedaillons an-
gebracht, die durch Pilaster in vielfarbigem Schmelz in sechs Felder abgetheilt
werden. Die Zwickel, die durch diese Emaillirungen auf der Bedachung nicht
ausgefüllt werden, sind mit dünnen Blechen belegt, die durch die reichsten Or-
namente in getriebener Arbeit gehoben werden. Jene Bedachungsfläche des Heri-
bertschreines, auf welcher die emaillirten Medaillons angebracht sind, die blos eine
grössere Darstellung auf einer Fläche zeigen, ist an den durch die Medaillons
nicht ausgefüllten Stellen bedeckt mit getriebenen Arabesken in vergoldetem Roth-
kupfer, während die entgegengesetzte Seite des Schreines an den parallelen
Stellen getriebene Ornamente in Silberblech zeigt. Es dürfte schwer sein, die
figürlichen Darstellungen auf diesen dünn getriebenen Blechen mit Sicherheit zu
deuten. Innerhalb jeder Quadratur sind nämlich von reichem Laubwerk mit
Thieromamenten durchflochtene Kreismedaillons ersichtlich, im Durchmesser von
5 Centimeter, innerhalb welcher je zwei und zwei gegenübergestellte sitzende Bild-
werke als Basreliefs dargestellt sind. Wie es den Anschein hat, sind diese Bildwerke,
gegenüberstehend, im Zwiegespräch begriffen, und dürfte als nicht zu kühne
Hypothese der Annahme Zulass gegeben werden, dass jedesmal durch die näm-
liche Figur die verschiedenen Leidenschaften und Kämpfe veranschaulicht werden
sollen, die im Leben des Einzelnen sich geltend machen. Die Arabesken, die
diese Medaillons umgeben, sind mit grossem Schwung und technischer Bravour
in derselben Weise gearbeitet, wie n^an sie in verwandter Form an den spät-
romanischen Capitälen des XH. Jahrhunderts in Menge antrifft. Die getriebene
Arbeit ist mit grösserer Energie und mit hohem Reliefs in dem starkem Roth-
kupfer erzielt worden, als das auf der andern Seite in dem sehr dünnen Silber-
blech der Fall ist. Diese zweite Seite der Bedachung, die die sechs Darstellungen
aus dem Knaben- und Jünglingsalter des heil. Heribert in Email zeigt, lässt in
den Vertiefungen der Quadrate, die diese sechs Rundmedaillons umfassen, das-
selbe System der Omamentation in getriebener Arbeit erkennen, wie dasselbe im
Vorhergehenden beschrieben worden ist Die Medaillons auf dieser Seite sind
von ähnlichen reichstylisirten Laub- und Thieromamenten umzogen und treten
schwach, als Relief, in sehr dünnem Silberblech auf. Geübte Techniker, die
wir zu Rathe gezogen haben, gaben ihre Meinung dahin ab, dass die sämmt-
lichen im dünnen Bleche getriebenen natur- historisch belebten Ornamente auf
beiden Bedachungsflächen nicht aus freier Hand mit dem Punzen getrieben,
sondern dass diese Metallbleche durch Prägung über Metallstanzen hervor-
gerufen worden seien. Als Beleg für diese Annahme kann angeführt werden, dass
'die getriebenen Metallbleche viel zu dünn gehalten sind, als dass eine Treibung
24 KUN8T8CHAT2E DER PPABfiKIBCHE ZU DEUTZ.
aus freier Hand mit Fug angenommen werden könnte. Aueh kehren nach gleichen
Zwischenräumen dieselben Darstellungen und Ornamente gleichfbrmig wieder zu-
rück, was nicht der Fall sein dürfte, wenn diese Basreliefs durch freie Hand-
arbeit erzielt worden wären.
Es würde uns bei Beschreibung des vorliegenden Schreinwerkes zu weit
führen, wenn wir es versuchen wollten, ausführlicher den grossen Kunstwerth zu
beleuchten und auch noch die technische Präparation der vielen emaillirten Bild-
werke zu besprechen, die auf allen Seiten die Flächen des St. Heribert- Schreines
zieren. Es sei deswegen gestattet, nur in grossem Umrissen den eigenthümlichen
Werth der vielen Emails hierorts hervorzuheben, die sich in dieser Vortrefflichkeit
an keinem anderen religiösen Kunstwerke der Erzdiöcese in verwandter Weise
vorfinden. Vor Allem ziehen die Auimerksamkeit des Beschauers auf sich die,
17 Gentimeter 3 Millimeter im Durchmesser grossen Rundmedaillous, die auf
den Flächen der Bedachung angebracht sind. Dieselben scheinen zwar in einer und
derselben Werkstätte, jedoch von zwei verschiedenen Meistern angefertigt worden
zu sein. Sechs Medaillons nämlich, auf welchen mehr die Jugendgeschichte unseres
Heiligen dargestellt ist, sind auf dünnen Platten in Rothkupfer emaillirt, die ziem-
lich flach gehalten sind, wohingegen die sechs übrigen Medaillons auf der andern
Fläche auf starkem Rothkupfer ziemlich hoch gehalten von einer andern Hand
emaillirt zu sein scheinen, und zwar in farbigen Schmelzen, die auch in Hinsicht
der Farbenstimmung von den sechs übrigen Medaillons sich unterscheiden. Diese
emaillirten Medaillons, in grosser Perfection der Technik, sind zu rechnen zu den
,,emaux champUiiSsy" wie sie als charakteristisch für die Emailleurs des alten
Kölns an den vielen noch erhaltenen Sehmelzwerken aus dem XH. Jahrhundert
ersichtlich sind. Indem wir auf das vortreflTliche Werk des M. J. Labarte*) hier
vorübergehend hinweisen, worin das Technische und Geschichtliche der mittelalter-
lichen Schmelzkunst ausführlich behandelt worden ist, bemerken wir nur, dass das
,,ernail ckampleve" dadurch erzielt wird, dass der Emailleur auf einer starken
Kupferplatte mit dem Stichel eine Fläche ausgräbt, innerhalb welcher er seine
Schmelzflüsse anbringen will. Nur die Umrisse seiner figürlichen Darstellungen
lässt er in dünnen Linien erhaben vorstehen, damit durch diese Einfassungslinien
seine vielfarbigen, eingelassenen Schmeke abgegrenzt werden. Charakteristisch
für die Emails der früh -kölnischen Schule ist der Umstand, dass sämmtliche
Incamationstheile der vielen Figuren auf diesen zwölf RundmedaiUons blos in
Contouren auf vergoldeter Fläche angedeutet sind, die in Weise der Niello's an
dem y erduner Altar im Kloster Neuburg mit einem schwarz -bläulichen Email
ausgefüllt sind. Wenn schon diese grossen Rundplatten mit ihren vielen histori-
schen Darstellungen für das Studium der Bekleidung und der Gewandung im
Xn. Jahrhundert sowohl auf kirchlichem als profanem Gebiete von Belang sind,
so haben auch die architektonischen Darstellungen, die sich in grosser Abwech-
*) Jul. Labarte, Recherches sur la peintare en ^maU dans Tantiquit^ et au nioyen a^. F^uris 18^.
KUnBTSCHÄTZB DER VFABXBJBßBE ZU DBCTS. 25
selimg in yielfiirbigem Schmelz auf diesen Hatten dargestellt finden, für die Ar*
chäologie ein besonderes Interesse, und das um so mehr, als auf dem einen Me^
daiUon, auf welchem der Empfang und der Einzug des heil. Heribertus als
neuerwäblter und bestätigter Erzbischof in seine Kathedralkirche zu Köln bildlich
vorgeführt wird, Einige eine adäquate Abbildung und Darstellung der älteren
romanischen Domkirche zu Köln haben erkennen wollen. Wir lassen es dahin
gestellt sein, ob durch diese künstlerisch improvisirte Architektur mit ihren Mauern,
2iinnen und Thttrmen mehr die damalige Stadt Köln mit ihren Thoren und Be-
festigungswerken dargestellt oder ob der Empfang des neuen Erzbischofs von
Seiten seiner Klerisei beim Eintritt in seine Domkirche, was wir weniger glauben,
hat angedeutet werden sollen. Hingegen bietet ein anderes Rundmedaillon im Durch-
messer von kaum 6V2 Centimeter ein grösseres Interesse, indem hier für sich
gesondert ein Kirchbau in vielfarbigem Schmelz dargestellt ist In ziemlich unbe-
holfener Weise hat hier der Emailleur zur Anschauung gebracht eine romanische
Kirche mit doppelten Absiden, wie man sie an den grösseren Kirchen zu Mainz,
Worms, Speier, St. Godehard zu Hildesheim und anderswo häufiger antrifft. Die
eine Choranlage flankiren, wie immer, zwei kleine Thürme, und über dem Mittel-
schiff erhebt sich eine kleine kuppeiförmige Anlage. Wenn man in dieser Dar-
stellung nicht ein willkürliches architektonisches Ornament finden will, sondern die
bildliche Wiedergabe einer in Köhi damals vorfindlichen Eärche, so dürfte man
zu der Annahme sich berechtigt erachten, dass in diesem Emailwerk annähernd
entweder die alt- romanische Domkirche Kölns copirt sei oder aber selbst jene
Abtei -Kirche zu Deutz, die im Vereine mit Kaiser Otto IE. jener grosse Bischof
gebaut und reich dotirt hatte, dessen irdische Ueberreste in diesem Behälter
niedergelegt sind. Ausser den ebengedachten zwölf grossen Emailplatten auf den
Bedachungsflächen des St. Heribertus -Kastens finden sich auch noch auf eben
diesen Bedachungsflächen reich emaillirte PUaster, die auf der einen Seite einfacher
gehalten, mit Gapitälen und Sockel versehen sind, die jedoch auf der andern
Seite sich zu breiten omamentalen Bändern entwickelt haben. Diese 472 Centi-
meter breiten Omamentstreifen auf der einen Fläche des Reliquienkastens zeigen
in der Länge von 7 Centimeter vielfarbige Schmelzwerke in romanisch sfylisirtem
Laub, abwechselnd mit quadratischen bildlichen Darstellungen in Niello's auf
Goldgrund, wodurch offenbar die verschiedenen christlichen Tugenden dargestellt
werden sollen, die in dem Leben des heil. Heribertus besonders hervorieucliten.
Ea sind nämlich in diesen zehn Quadraten in Halbfiguren allegorische Darstellungen
mit rothem Heiligenschein zur Anschauung gebracht, die mit Gewalt das Haupt
einer dabei befindlichen kleineren Figur niederhalten und zu erdrticken scheinen,
bekanntlich die im Mittelalter gebräuchliche symbolische Darstellung der Tugenden,
die das entgegengesetzte Laster mit grosser Kraftanstrengung niederhalten und
beherrschen. Diese sieben Bandstreifen auf der einen Bedachungsfläche werden
nach oben und unten durch kleine Halbmedaillons abgeschlossen im Halbmeaaer
von 5 Centimeter, die in vielfarbigem Schmelz die neun Chöre der Engel veraar
schaulichen sollen, in deren selige Gemeinschaft der Heilige bereits eingegaiigea
4
26 RUIIBTSCHÄTZE DER PFABBKIBCHE Zu DBUTZ.
ist, dessen Gebeine, dem grossen Tage der Auferstehung entgegenharrend , hier
eingesehlossen sind.
Den grössten künstlerischen Werth haben unstreitig jene interessanten
EmaUs, die auf vierzehn 24 Centimeter langen und 5 Centimeter 3 Millimeter
breiten Metallstreifen in höchster Vollendung der Technik dargestellt sind. Auf
diesen breiten Metallstreifen von Bothkupfer, die auf beiden Seiten das sitzende
Bildwerk der Apostel als stützende Pfeiler umgeben, erschaut man stehend die
19 — 20 Centimeter grossen Bildwerke der Propheten, die unbedingt als die vor-
züglichsten figtlrlichen Darstellungen zu betrachten sind, welche überhaupt an
dem Schreine zur Geltung kommen. Es ist nämlich die Composition dieser Patri-
archen und Propheten des alten Bundes in einer grossen Kraft und Würde gehal-
ten, wodurch dieselben als die Säulen und die Träger des neuen Bundes ange-
deutet werden sollen. Diese Eemgestalten, besonders aber die Bildwerke des
Königs David und Moyses, verrathen ein ausgezeichnetes compositorisches Talent,
das es bereits in dieser frühen Zeit verstand, sich möglichst frei und selbstsüln-
dig in figtlrlichen Bildungen zu bewegen, ohne den Einfluss byzantinischer Vor-
bilder ängstlich zuzulassen. Auch die Härten des Styles sind hinsichtlich der
Anatomie bei diesen Darstellungen ziemlich vermieden. Was die technische Aus-
führung dieser meisterhaft componirten Bildwerke betrifft, so muss gesagt werden,
dass diese Schmelzwerke das Werk der Emaillirkunst des XII. Jahrhunderts auf
der Höhe der Entwickelung erscheinen lassen. Dahin sind zu rechnen nicht nur
die wachsenden Farbenschattiningen, wie sie in dem fliessenden Faltenwurf dieser
vierzehn Figuren vorkommen, sondern auch insbesondere die Anwendung eines
fleischfarbigen, schönen Emails, wodurch das Incamat der Köpfe und der Hände
durchgehends mit grosser Meisterschaft wieder gegeben worden ist im Gegensatz
zu den in Gold emaillirten Incamationstheilen der figürlichen Darstellungen der
zwölf obengedachten Rundmedaillöns.
Was die Entstehungszeit des in Rede stehenden Prachtschreines betrifit,
so ist vorerst an der Jahreszahl 1147 festzuhalten, die unser früher belobter Vor-
gänger bei der historischen Beschreibung der vielen Bildwerke des Heriberta-
kasteps als das Jahr der Anfertigung aufgestellt und angegeben hat Leider hat
derselbe es unterlassen die Quelle näher anzugeben, worauf er diese seine Be-
hauptung stützt.
Urtheilt man nach dem Totaleindruok, den . dieses christliche Mausoleum
auf den aufmerksamen Beschauer macht, der sich in den Gebilden romanischer
Qoldschmiedekunst weiter umgesehen hat, so dürfte man fUr die Gesammtanlage
in ihren architektonisch einfach gehaltenen Formen obige Jahreszahl als Entste-
hungszeit des gedachten Prachtschreines unbedingt zulassen. Indessen scheint
sowohl die Composition als die grosse technische Meisterschaft, womit die vielen
Emails und kleinen getriebenen Bildwerke in Silberblech ausgeführt sind, eher
für die Entstehungszeit desselben in dem letzten Viertel des XU. Jahrhunderts
Zengnif« ablegen zu wollen.
KUBSTBCHÄTZE DER PFARRKTRCHE ZU DEÜTZ. 27
Viele Jahrhunderte hindurch haben die Gläubigen der Erzdiöcese KOhi ihre An-
dacht vor dem Prachtschreine verrichtet, der die irdischen Ueberreste des grossen
köhüschen firzbischofs, des h. Heribert birgt. Viele Jahrhunderte haben es nicht
vermocht den unvergleichlich grossartigen Schrein jener reichen Zierrathen zu
entkleiden und zu berauben, die im Vorstehendem weiter beschrieben worden sind.
Selbst die grosse französische Revolution, die mit räuberischer Hand sowohl im
In- als im Auslande sich an den Grabstätten grosser Todten zu vergreifen keine
Scheu hatte, zumal wenn sie von edlem Metall waren, hat glücklicher Weise den
Heribertsschrein unangetastet gelassen, weil ihr wahrscheinlich der geringe
metallische Gewinn nicht bedeutend genug erschien. Nur kleinere Unbilde
vergangener Zeiten, im Bunde mit dem Ungeschmack und dem verschönernden
Unverstand Einzelner, die der Grabstätte des h. Heribert eine sogenannte Restau-
ration angedeihen Hessen, haben dem gedachten Meisterwerke mittelalterlicher Gold-
schmiedekunst nicht nur erheblichen Schaden zugefügt, sondern auch dasselbe
in seinen äussern Flächen mit einem dichten Schmutztimisi^ gänzlich Überstrichen.
So kam es, dass, als in den jüngsten Tagen der Heribertskasten längere Zeit im
erzbischöflichen Museum für Viele wieder zugänglich und sichtbar geworden war,
von mehrem Seiten der Wunsch ausgedrückt wurde, es möchte in nicht zu femer
Zeit sich ein Wohlthäter finden, der die nicht unbedeutenden Kosten für eine
gründliche stylgerechte WiederhersteUung des gedachten Schreinwerkes gross-
müthig bestreite. Dieser Wunsch ist in neuester Zeit dadurch in Erfüllung ge-
gangen, dass Se. Hoheit, der Fürst Carl Anton zu Hohenzollem- Sigmaringen,
Höchstdieselben durch Ankauf ähnlicher Kunstwerke viele Schätze für das Vater-
land bewahrt und gerettet haben, grossmüthig die nicht unbedeutenden Mittel
bewilligt haben, um dui'ch Meisterhand den Schrein genau und streng in jenen
Formen wieder herstellen und verjüngen zu lassen, wie derselbe ursprünglich aus
der Hand der alten „cofifraiermtag aurifabrorum** zu Köln im XH. Jahrhundert
hervorgegangen ist
Auf Wunsch des genannten fürstlichen Geschenkgebers erhielt F. X. Hellner
in Kempen , der als Meister im Treiben und Ciseliren sich in jüngster Zeit auf
dem Gebiete der kirchlichen Goldschmiedekunst einen namhaften Ruf verschafft hat,
den ehrenvoUen Auftrag, die vielen sehr beschädigten Bildwerke und omamentalen
Details des Reliquienschreines, unbeschadet seiner stylistischen Eigenthümlichkeiten,
im Geiste und der Form der kunstsinnigen Anfertiger wieder zu ergänzen und
herzustellen. Unter der überwachenden Leitung eines eigens ernannten Ausschusses
vom Vorstande des christlichen Kunstvereins hat der ebengedachte Meister schon
längere Zeit die Restaurationsarbeiten begonnen und in der schwierigen Technik des
Treibens gegenwärtig sämmtliche figuralen Bildwerke des besagten Reliquienschrei-
nes in einer Weise wieder hergestellt, dass der Vorlage dieser Wiederherstellungs-
arbeiten die überwachende Commission ihren vollen Beifall nicht versagen konnte.
Dank der fürstlichen Grossmuth, wird in wenigen Monaten der trefflich wiederher-
gestellte, kostbare Reliquienschrein der Deutzer Pfarrkirche als dauernde Zierde
wieder zurückgegeben werden und alsdann an einer neuen wohlversicherten Stelle
28 KUNST8CHÄTZE DBB PFABBK0U?HE Zu VBXJTZ.
eine solche Aufstellung erfahren, dass dieses Palladium der ErzdiOeese nicht nur
den frommen Besuchern der Einwohner von Deutz und Köln leichter als seither
zugänglich wird, sondern dass es auch fortan auswärtigen Kennern und Verehrern
mittelalterlicher Kunst bequemer und würdiger vorgezeigt werden kann.
Ehemalige fiirchenschätze der Abtei zu Dentz.
Der Schatz der Liebfrauenkirche jener Abtei, die zufolge einer Ueberein-
kunft zwischen Otto m. und dem heil. Heribert nach dem Tode des Erstgenannten
im Jahre 1003 vom heil. Heribert gestiftet und von ihm und seinem Nachfolger
Piligrin mit reichen Gütern ausgestattet worden, muss ehemals bedeutend gewes^
sein. Indessen trug die Lage der Kirche in dem befestigten Gastell Deutz, Köln
unmittelbar gegenüber, viel dazu bei, dass sie zu verschiedenen Zeiten in bürger-
lichen und religiösen Zwistigkeiten Kölns bedeutende Verluste zu erleiden hatte.
So erlebte die Stiftung des heil. Heribert im Jahre 1376, 1585 und 1632 schwere
Zeiten und wurde in diesen Perioden die gedachte Abtei -Kirche, und deren
reiche Schätze durch feindliche und Feuers -Verheerung hart heimgesucht. Viele
werthvolle Schätze aus alter Zeit scheinen in diesen Katastrophen untergegangen
zu sein, so dass zu Zeiten des kölnischen Chronisten Gelen der damalige
kirchliche Kunst- und Beliquienschatz sehr zusammengeschmolzen gewesen sein
muss, indem derselbe nur wenige Ueberbleibsel in der Deutzer Abtei in seinem
Greschichtswerke namhaft macht
So ftlhrt Gelen in seinem Werke: „de mngnitudine Colomae" an, dass sieh
die Gebeine des Stifters der Abtei -Kirche Unserer lieben Frau zu Dentz in einem
silbernen Sarkophage aufbewahrt fänden. Es ist das unstreitig jener unvergleich-
lich kostbare Schrein, den heute noch die Pfarrkirche zu Deutz besitzt und den
wir unter No. 84. ausführlicher beschrieben und abgebildet haben. Auch des
Stabes (scipio) erwähnt Gelen, dessen wir im Vorhergehenden Erwähnung gethan
haben. Andere werthvoUe Ueberreste und Kleinodien des heiL Heribert in
kunstrdohen und kostbaren Fassungen, wovon ebenfalls der alte Chronist spricht,
scheinen bei Aufhebung der Abtei verloren gegangen zu sein; dahin ist noch zu
rechnen der reiehsculptirte Elfenbeinkamm des h. Heribert
Es pflegte nämlich bei der Consecration des Bischöfe im Mittelalter, nach
der Salbung des Hauptes, das Haupthaar mit einem reichgesehnitzten ,^peeiem
ebumeum** wieder geordnet und gekämmt zu werden. Zur Erinnerung an diese
bischöfliche Salbung und Weihe wurde der Consecrations-Kamm fortwährend in
höben Ehren gehalten. Mit demselben Kamme wurde auch das Haupthaar des
Bisehofs geordnet, wenn er femer nach Anlegung sämmtlieher Gewände als Pon-
tifex cdebrirte. Derselbe Kamm folgte dem verstorbenen Oberhirten in das Grab.
KUNSTSGHÄTZE DER PFABRKIRCHE ZU DEUTZ. 29
Dem Gebrauche des Mittelalters, den verstorbenen Bischof in feierlichen Pontifical-
gewändem zugleich mit dem „pecten cansecrationis^* zu beerdigen, verdankt man
heute noch das Vorfinden von mehreren älteren bischöflichen Kämmen. So
machen wir hier im Vorbeigehen auf den interessanten, heute noch in der Pfarr-
kirche zu Siegburg vorfindlichen mit sculptirten Greifen verzierten Kamm des
grossen Anno aufkaerksam, der sich im Grabe bei den Gebeinen dieses
heil. Erzbischofs vorgefunden hat. Auch zu Iburg im Hannoverschen zeigt man
noch zugleich mit dem alten Messgewande von kostbarem lyrischen Purpur den
Gonsecrations-Eamm des Bischofs Benno von Osnabrück. «
Bei Besichtigung des heute im städtischen Museum zu Köln befindlichen
in Elfenbein sculptirten Kammes mit der bildlichen Darstellung der Kreuzigung
Christi fühlten wir uns zu der Annahme hingezogen, dass dieses in byzantinisiren-
dem Style mit reichen Ornamenten verzierte Geräth jener bischöfliche Kanmi sein
dürfte, der ehemals dem heil. Heribert zugehört habe. Die Sculpturen auf diesem
prachtvollen Kamm zeigen nämlich die grösste Aehnlichkeit mit den in Elfenbein
geschnitzten omamentalen und figuralen Darstellungen, wie sich dieselben auf
dem vorhin beschriebenen Stab des h. Heribert vorfinden.
Gelen unterlässt auch nicht bei der Aufzählung des Schatzes der ehemaligen
Abtei -Kirche zu Deutz auf das Messgewand des heil. Heribert hinzuweisen.
Glücklicher Weise findet sich dasselbe wohlverwahrt daselbst noch vor. Dieses
seltene Gewand, in einem äusserst kostbaren und prachtvollen Cendelstoflfe von
goldfarbiger Seide gehalten, hat dieselbe Form und den gleichen Schnitt, wie
das documentirte Messgewand des h. Willigis zu Mainz, des h. Bemward zu
Hildesheim und des h. Bernhard zu Brauweiler.
Wir werden im Anhange dieses Werkes das ebengedachte seltene Mess-
gewand des heil. Heribert näher besprechen und bei dieser Gelegenheit die Be-
schreibung der casula des grossen Albertus hinzufügen, die sich heute noch in
der St. Andreas -Kirche zu Köln vorfindet, in welcher auch die Gebeine desselben
beigesetzt worden sind.
Unser oftgedachter Gewährsmann unterlässt es nicht, bei der Beschreibung
des Kirchenschatzes der ehemaligen Abtei Deutz auf einige sehr merkwürdige
stoffliche Reliquien aufinerksam zu machen, die daselbst vormals aufbewahrt
wurden. Man zeigte nämlich daselbst noch zu seiner Zeit den Leibgürtel der
h. Ursula und andere Omatstücke derselben berühmten kölnischen Martyrin.
Gelen hebt an dieser Stelle hervor, dass sowohl dieser Gürtel, als auch
die übrigen Gebrauchsgegenstände der h. Ursula den Stempel des höchsten Alter-
thums zur Schau trugen und durch ihre grosse Einfachheit die Entstehung in so
früher Zeit hinlänglich bethätigten.
Druck von 'J. B. Hirsch fei d in Leiptif.
iflüiiOFtfritÄtrr^ , B'initria m A<rfrrg.r» .» ß. (ürgn^ .
|-l-I-V,.NJ4z}i,R HNT
%M
Derfc^iebeneti ^irc^en ^ofc
Mittelalterliche Kunstgegenstände
1. in Iter IHinoriten - XirAe .
' Seile
87) Altarkreuz als Reliquiarium in yergoldetem Kupfer. XIV. Jahrh. Taf. XXV. Fig. 87 3
n. in ^t. !Maria in itt Snpfe rgosse :
88) Kelchlöffelchen in vergoldetem Silher» XIV. Jahrhundert. Taf. XXV. Fig. 88 . . 5
ni. ans ^t. Saroh (ehemals ^t. dSeorg):
89) Kusstäfelchen in Silber» XVI. Jahrhundert. Taf. XXV. Fig. 89 7
87.
Altar -Erenz,
ein Reliquiarium in vergoldetem Kupfer.
Grösate Länge 1 Meter 20 Centimet. ; Breite der Queranne 78 Centimet. ; grösste Länge des
Cnioifixes 64 Centimeter. XIV. Jahrhundert.
Die Minoritenkirche in Köln besitzt heute von ihrer ehemaligen kunst-
reichen Ausstattung keine Gefässe mehr, die von der Höhe der Ent>vickelung kirch-
licher Goldschmiedekunst im XIII. Jahrh. Zeugniss ablegen können. Die Stttrme einer
spätem kunstfeindlichen Zeit haben das Alles zerstört, was der fromme Sinn der
Vorfahren an kostbaren liturgischen Gefässen und Gewändern zur Zierde der hie-
sigen Minoritenkirche geschafft hatte. Glucklicher Weise hat sich unter den übrigen
Gebrauchsgeräthschaften, die sämmtlich aus der Blüthezeit des Zopfes herrühren,
ein Kreuz noch aus der Abtei Brauweiler in die Minoritenkirche durch letztwillige
Schenkung gerettet, das seiner Ausdehnung nach als das grösste Vorsatz- und
Altar-Kreuz betrachtet werden kann, das sich in der Diöcese Köln in edlem Metall
heute noch vorfindet. Das Kreuz selbst, in Bothkupfer gefertigt, hat eine grösste
Breite von 14 Centimeter; der äussere Band desselben, in Breite von 2'/2 Cen-
timeter, tritt, in Bothkupfer gehalten, nach allen Seiten hin stark vor. Als Orna-
mente erblickt man in diesem vorspringenden Bande energisch eingravirt eine
Inschrift, bestehend aus spätromanischen Majuskelbuchstaben, die in leoninischen
Versen folgendes Legendarium enthält:
„nobHis o stipes fructu satis ubere dives
vivificante piagas orbis serva antequam ....*)
ergo benigne Deus in iigno pendens homo
verus hie te guaerentes voveas et vota Jerentes,"
Die breitere Vertiefung des Kreuzes in einer Ausdehnung von 1 0 Centimeter lässt
auf feuervergoldetem Glanzgrunde in Bothkupfer einen Kreuzesstamm in natura-
listischer Auffassung erkennen. Hinter dem Haupte des Gekreuzigten erblickt man
einen grossen Nimbus im Durchmesser von 17 Centimeter, der im Innern mit
einem breiten Malteserkreuze geziert ist. Ueber dem Kreuze selbst erblickt man
als „tituius crucis" eine viereckig längliche Platte in der Länge von 28 Centimeter
bei einer Breite von 14 Centimeter, die in ihren vier Ecken mit grossen Krystall-
pasten verziert ist. In der Mitte dieses Aufsatzes ist ein grösserer Krystall in
runder Schleifung angebracht, der im Durchmesser 8 Centimeter misst. Dasselbe
System der Omamentation mit Krystallpasten ist auch an den obern Kreuzbalken
'*') Das letzte Wort durch Abkürzung undeutlich.
4 AUS VERSCHIEDENEN KIRCHEN KÖLNS.
ZU beiden Seiten des Nimbus beibehalten. Leider fehlt gegenwärtig dieses stattliehe
Ornament an dem untern Fussbalken, und sind daselbst nur noch die Anbohrungen
ersichtlich, in welchen ehemals diese Bergkrystalle mit zierlichen Fassungen be-
festigt waren. Wenn nun schon das ebengedachte Kreuz in seiner idealen Gestal-
tung als Siegeszeichen der Erlösung fllr das Studium der christlichen Kunst von
Interesse ist, so dürfte die figtlrliche Darstellung des Gekreuzigten selbst in mehr
als einer Beziehung ein noch grösseres Interesse von Seiten der Kunstarchäologie
beanspruchen. Der Gekreuzigte selbst ist nicht mehr in jener idealen Weise als
Gott herrschend und regierend vom Kreuze aus aufgefasst und dargestellt; es
ist nicht mehr jener Christus, der, auf dem Suppedaneum mit beiden Füssen
nebeneinander stehend, das ,,stahat benedicens in cruce*' veranschaulicht, sondern
der Körper des Heilands soll in der vorliegenden Situation mehr die leidende
Menschheit im Gekreuzigten veranschaulichen. Deswegen sind bereits die Wund-
male, der berühmten Vision der h. Brigitta zu Folge, mit Nägeln durchbohrt, was
bei der frühem Auffassungsweise nicht der Fall war. Auch der in früherer Periode
noch gebräuchliche Holzblock fehlt unter den Füssen und beide sind über einander
gelegt nur von Einem Nagel durchbohrt. Wahrscheinlich zeigte sich primitiv auf
dem Haupte des Gekreuzigten die Domenkrone, die jedoch in den letzten Jahr-
hunderten beseitigt und durch eine neue Königskrone in der Weise der Renaissance
ersetzt worden ist. Von besonders schöner Entwickelung und Stylisirung ist das
Lendentuch des Gekreuzigten, dessen Draperie frappant an den Faltenwurf der
Sculpturen erinnert, wie derselbe seit dem Beginn des XIV. Jahrh. von den Bild-
hauem Kölns behandelt zu werden pflegte. Dieses „perisomum" liegt in reichem
Gefälte gehäuft zu beiden Seiten des Gekreuzigten, während der Unterkörper
desselben durch ein bis zu den Knieen heruntersteigendes Schürztuch bedeckt
wird. Von grosser technischer Vorzüglichkeit und mit vieler Naturwahrheit ist der
Koj^f des Gekreuzigten in getriebener Arbeit foraiirt Derselbe ist in dem Momente
dargestellt, wie er das Haupt neigt und spricht: „Es ist vollbracht'^ Auch Brust
und Oberkörper des Gekreuzigten sind mit ziemlicher Beachtung der anatomischen
Vorschriften, >vie es der Styl des Jahrhunderts zuliess, aufgefasst und durchgeführt
Damit der ^.corpus*' des Gekreuzigten von ziemlicher Ausdehnung durch
einen starken Dmck keinen Schaden nehme, so ist das Innere desselben mit Holz
ausgefüllt und sind daher die einzelnen getriebenen Silberbleche, welche die ver-
schiedenen Körpertheile formiren , mit kleinem Nägelchen auf der ebengedachten
Unterlage befestigt.
Dass das ebenbeschriebene Christusbild ehemals als Reliquiarium auf einem
Kreuzaltare aufgestellt war, beweist das Vorhandensein einer ausgehöhlten Kapsel
auf der Brust des Crucifixes in Herzform, die unter Glasverschluss, von Perlen
umgeben, Reliquien erkennen lässt, welche der Inschrift zu Folge von den Aposteln
Simon und Juda herrühren. In dem zierlich profilirten Rande, der in vergoldetem
Silber diese herzfbrmige Kapsel umgibt, gewahrt man nach kleinem Zwischen-
räumen, als Füllung in der Hohlkehle, kleinere Vierpassrosen, die wir in ähnlicher
Weise als feststehendes Ornament an den profilirten Randeinfassungen reicherer
AUS VEBSCHIEDENEN KIRCHEN KÖLNS. 5
Gefässe aus der Periode Carls lY. wahrgenommen haben. Hinsichtlich der Ent-
stehungszeit des in R^de stehenden Altarkreuzes» das wohl seiner grossen Aus-
dehnung wegen niemals ein besonderes Fussgestell gehabt hat*), fügen wir hier
noch hinzu, dass nicht nur die noch stark romanisirenden Majuskelbuchstaben der
Inschrift, sondern auch die obenbertthrte Darstellungsweise des Gekreuzigten mit
der stark markirten Draperie des Schtlrztuches zum deutlichen Belege dienen, dass
das vorliegende stattliche Meisterwerk der Goldschmiedekunst in der ersten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts von Kölnischen Goldschmieden Entstehung gefunden habe.
Es gereicht dem jetzigen Rector der Minoritenkirche zum bleibenden Verdienste,
dass er bei dem in den vierziger Jahren erfolgten Absterben eines bejahrten Cano-
nicus dieses nachweislich aus der Abtei Brauweiler herrührende, grossartige Kreuz
erworben und dasselbe einer von den Kölnern bevorzugten Lieblingskirche dauernd
zugeeignet hat, die in neuster Zeit durch die Grossmuth und Gabefreudigkeit eines
ausgezeichneten Kölner Btlrgers, des Rentners Richartz, mit grossem Kostenauf-
wande im Innern und Aeussem stylgerecht, im Geiste des ersten Erbauers wieder
hergestellt werden wird.
Die Minoritenkirche in Köln, in welcher ehemals viele adlichen Familien
ihre Familiengräber besassen und die auch wegen der zahlreich darin aufgehängten
Wappenschilder und Waffen vom Volke „die Ritter-Kirche^' genannt wiu'de, besass
ehemals einen reichen Kirchenschatz, bestehend aus werthvoUen liturgischen Ge-
wändern, Reliquiarien und Kleinodien, die in der geräumigen und schön construirten
Sacristei aufbewahrt wurden. Heute ist das Alles im Strudel politischer Umwäl-
zungen verschwunden und hat Gelen bei der Nachfrage nach den ehemaligen
Kleinodien der Ordenskirche der y^Jratres minores** in einem numerischen Ver-
zeichnisse angegeben, was sich zu seiner Zeit noch vorfand. Ausser reich gear-
beiteten und werthvoUen Reliquienbehältem bewunderte man im Schatze der Mino-
ritenkirche ehemals fbnf verschiedene in Silber getriebene Standbilder, welche die
Reliquien verschiedener Heiligen enthielten. Gelen fügt nicht hinzu, ob unter diesen
jfStatuae argmUeae" Brustbilder oder vollständige Statuetten zu verstehen seien;
das Letztere scheint das Wahrscheinlichere zu sein.
88.
EelchlSffelchen
in vergoldetem Silber.
Länge 8 Vi Centime ter. XTV. Jahrhundert
Der Gebrauch der Löffel im profanen Leben reicht bis ins höchste Alter-
thum und dürfte mit der Bereitung flüssiger Speisen, die in kleinem Quantitäten
*) Der lange eiserne Zapfen Ton dickem Metall, der an dem untern Balken sich als Zunge
zuspitzt, scheint anzudeuten, dass mit diesem Theile das vorliegende Kreuz in die Predella oder die
Lichterbank eines Altares eingeschoben werden konnte.
6 AUS VERSCHIEDEKEN KIBCHEN KÖLNS.
genossen wurden, als gleichzeitig angenommen werden. Auch der Grebrauch der
Löffel in der Kirche bei der Feier des h. Opfers stammt aus frühchristlicher Zeit
wie das bei altern liturgischen Schriftstellern ausführlicher zu ersehen ist Bei der
Feier der h. Messe bediente man sich seit der ältesten Zeit zweier verschieden^
gestalteter Löffel. Der eine grössere derselben, in Form einer Seihe, den die älteren
Schatzverzeichnisse „colum, colatorium" oder auch „Syan" nennen, wurde liturgisch
dazu benutzt, um den dargebrachten Opferwein, ehe man denselben in den Kelch
goss, durch diesen löffelartigen Behälter zu giessen und zu reinigen. Dieser Löffel
hatte deswegen in seinem untern Behälter mehrere feine Löcher. Ein anderer
kleinerer Löffel fand jedoch schon im frtthen Mittelalter in mehrem Kirchen des
Abendlandes bei der Feier der h. Messe seine Anwendung, um mit demselben aus
dem Messkännchen einige Tropfen Wasser zu nehmen, die dem zu consecrirenden
Weine beim „offertonum*' hinzugefügt wurden. Dieses zweite, einfache Löffelchen
führte zum Unterschiede von dem obengedachten KeinigungsgefiLsse in altem Schatz-
verzeichnissen den Namen „cochlear, coclear." Noch eine dritte Abart von Löffel
kommt seit den Tagen des Mittelalters bis zur Stunde noch bei gottesdienstlichen
Verrichtungen vor: es ist das jenes „cochlear,*' womit der Priester den Weihrauch
aus dem Schiffchen (naviculum) in das Feuerbecken des Rauchfasses einlegt
Nur wenige Exemplare von mittelalterlichen Löffelchen, die zu den beiden
letztgenannten kirchlichen Handlungen gebraucht werden, finden sich heute noch
in reicherer Formentwickelung vor. Nicht leicht dürfte in den verschiedenen
Kirchen des Rheines bis zur Stunde, im liturgischen Grcbrauche befindlich, sich
ein Löffelchen in der Ausbildung und eigenthttmlichen Anlage vorfinden, wie unsere
Zeichnung in natürlicher Grösse es veranschaulicht. Dasselbe hat sich heute
noch als einzelnes kircliliches Gebrauchsgeräth des Mittelalters in der Sacristei
von St. Maria in der Kupfergasse erhalten und stammt, da die Ejrche selbst dem
XVII. Jahrhundert angehört, offenbar aus einer altern Kölnischen Kirche her.
Leider fehlt gegenwärtig der reichere mittelalterliche Kelch, wozu dieses „cochlear'*
als integrireuder Theil ehemals gehörte. Die innere Schaale dieses Löffelchens, fast
rund und als Halbkugel gehalten, hat einen Durchmesser von etwas mehr als
2 Centiraeter zur Aufnahme einer kleinen Quantität Wasser. Der Stiel selbst in
einer Länge von kaum 7 Centimeter ist viereckig, glatt gestaltet. Derselbe erwei-
tert sich nach oben zu einem glatten, kleinen Knöpfchen, auf welchem, als
Piedestal, das gegossene Standbildchen der Madonna mit dem Jesusknaben sich
befindet. Dieses Bildchen hat eine Grösse von 2^2 Centimeter und ist als Guss-
werk ziemlich einfach gehalten ohne Nachciselirung. Die schlank gewundene Häu-
tung dieser Statuette, desgleichen der charakteristisch iormirte Faltenwurf derselben
zeigen, dass dieses liturgische Gebrauchsgeräth spätestens aus der letzten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts herrühre.
Der Gebrauch, sogar auf dem Stiele von Löffeln Heiligenbilder anzubringen,
findet sich im Mittelalter häufiger vor und hat sich bis in die Spätzeit der Renais-
sance, namentlich in weiblichen Klöstern, sogar bei den silbernen Esslöffeln, deren
man sich an Festtagen bediente, erhalten. So hatten wir vor einigen Jahren Ge-
AUS VEK8CHIEDENEN KIBCHEN KÖLNS. 7
legenheit, zwölf aus der Renaissance herrührende Esslöffel zu sehen, deren Btiele
mit je einem Standbilde der Apostel verziert waren; auf einem dreizehnten befand
sich das ciselirte Standbild der Madonna mit dem Jesuskinde.
Das eben beschriebene Kelchlöffelchen durfte als geeignetes Vorbild bei
Anfertigung von neuen derartigen Gebrauchsgeräthschaften zu kirchlichen Zwecken
betrachtet werden.
89.
Ensstäfelchen,
enthaltend als Relief die Kreuzigung Christi.
Höhe 17 Centimeter, Breite tO Centimeter. XYI. Jahrhundert.
Vorliegendes „osculum pacts" hat mit dem unter No. 66 beschriebenen 9,Kuss-
täfelchen'^ ehemals dieselbe Bestimmung gehabt, indem es den anwesenden Geist-
lichen des Stiftes St. Georg zu Köln bei der Hochmesse am „Agnus Dei'* zum
Friedenskusse vom Subdiakon hingereicht wurde mit den Worten „Paa? tecum."
Wie das osculatorium von St. Martin hinsichtlich seines Materiales an Wochentagen
bei der Stiftsmesse im Gebrauche gewesen zu sein scheint, so dürfte in Rücksicht
auf die künstlichere Form und reichere Einfassung Vorliegendes an Festtagen in
Gebrauch gewesen sein. Das Fussgestell dieses interessanten G^fässes besteht aus
einem länglichen Viereck mit stark profilirten Hohlkehlen und ist mit demselben
eine nach drei Seiten quadratische Einrahmung von Silber in Verbindung gebracht,
die sich nach beiden Seiten durch zwei Rundsäulchen mit entspriphenden Capi-
tälchen und Sockeln bildet, an welche sich auf beiden Seiten je «ine in Uebereck
gestellte Widerlage anlehnt, welche an drei Stellen mit quadratischen profilirten
Knäufen versehen ist. Diese äussern Widerlagen verjüngen sich nach oben in
leichte Spitzsäulchen, welche von einer Kreuzblume tiberragt sind. Auch auf den
beiden innem Rundsäulchen erheben sich zusammengehäufte Fialen, die mit dem
Ganzen nur in schwacher constructiver Verbindung stehen. Die mittlere Sculptur
wird überragt durch drei Bogenstellungen, die auf ihrem Tiefgrunde schon voll-
ständig die spätere Muschelform und die Ornamente der Renaissance erkennen
lassen. Diese Bogenstellung zeigt überhaupt viel Verwandtschaft mit der Eingangs-
halle an der Nordseite zu St. Georg, wo ebenfalls in den Bauformen der Einfluss
der in Köln autlebenden Renaissance zu erkennen ist Auf diesen drei Rundungen,
als Ziergiebel, erheben sich überhöhete Spitzbogen im sogenannten Eselsrücken,
die jedesmal mit einer Kreuzblume abschliessen. Aus der Mitte dieser Ziergiebel
schlängeln sieh gewundene Fialen heraus, die für sich selbst wiedemm einen Esels-
rüeken bilden. Es sind dies die spielenden Formen der phantastischen Spätgothik,
wie sie gegen Schluss des Mittelalters, namentlich in der Goldschmiedekunst, auf-
traten. Das mittlere Relief ist von einem profilirten Rahmen in Silber eingefasst,
8 AUS VEBSCHIEDENEN KIRCHEN KÖLNS.
der nach oben mit einem dreieckigen Giebel abgeschlossen wird. Um diesen Ab-
schlussrahmen herum zeigen sich in einer tiefen Hohlkehle vierzehn kleinere Vier-
passrosen, deren Blätter mit einem blauen Schmelz überzogen sind. Als der inter-
essanteste Theil dieses „pacfßcale" ist zu betrachten das mittlere Basrelief, welches
auf einem durchbrochenen Hintergründe mit Schwarz belegt die Kreuzigung Christi
zeigt Auf der rechten Seite des gekreuzigten Heilandes ist das t,stabat maier''
zur Ausführung gebracht; die schmerzhafte Mutter hält der hinter ihr stehende
Lieblingsjünger des Herrn, Johannes, aufrecht. Auf der linken Seite des Erlösers
erblickt man die Gruppe der Kriegsknechte, die ihn gekreuzigt haben. Da der
Heiland auf der Schädelstätte gekreuzigt wurde und an dieser Stätte einer alten
Legende nach auch die Gebeine Adams beigesetzt worden sein sollen, so ge-
wahrt man am Fusse des Kreuzes einen Todtenschädel , der in der modernen
Kunst wenig mehr zur Anwendung kommt.
Die ganze Darstellung, die in einem schwer zu bearbeitenden Materiale, in
Perlmutter geschnitten ist, lässt in der Gomposition des Ganzen, sowie in der
Drapiruug der Gewänder den Ausgang der altkOlnischen Malerei erkennen und
erinnert an ähnliche Compositionen des Kölnischen Malers De Bruyn. Auf der
Bückseite bietet das vorliegende Gefäss eine quadratisch geformte Handhabe auf
einem Malteserkreuze, welches, in einem Kreise sich formirend, in getriebener
Arbeit sich kenntlich macht. Auf der hintern Fläche unter diesem Kreuze liest man,
tiefeingravirt, einfach die Jahrzahl 1557. Wir glauben annehmen zu dürfen, dass
diese Jahrzahl nicht etwa später hinzugefügt worden ist, sondern dass sie die
Entstehungszeit des vorliegenden merkwürdigen Gefässes bezeichnet. Ist Letzteres
der Fall, so kann man in der Formation desselben die Hartnäckigkeit erkennen,
mit welcher in dem alten Köln, wo die Gothik seit Jahrhunderten ihre Ausübung
in grossartigvn Maassstabe gefunden hatte, die älteren traditionellen Formen bei-
behalten und noch immer geübt wurden, obschon in Italien und Frankreich schon
längere Zeit die Bildungen des neuen Styls die traditionellen Formen der vorher-
gegangenen Kunstepoche verdrängt hatten. Wie ein Blick auf die beifolgende
Zeichnung darthut, gab es also noch 1557 in der Kölnischen Gk)ldschmiedekunst
Meister, die nach der alten Regel ihre Gefksse constructiv bildeten, während sie
blos ftlr einzelne Detailomamente die Formen der neuen, über die Berge gekom-
menen Kunstweise anwandten. Möglich ist es auch, dass von einem alten Köl-
nischen Meister der Goldschmiedekunst zu einer Zeit, wo die neue moderne Kunst
auch bereits in dem h. Köln eingebürgert war, das in Rede stehende Crefäss noch
in jenen Bildungen ausgeführt worden ist, welche der alte Goldschmied seit seinen
Jüngern Jahren fortwährend geübt hatte , während zur selben Zeit von jtlngem
Meistern des Gewerkes auch die neuen Bildungen geübt und angefertigt wurden,
die von Frankreich ausgehend sich auch in Köln, dem Hauptsitze der Gothik,
Bahn gebrochen hatten.
3=lii? J5'- tt*tr.
■W»l)fffcl)tcli«sTtt6. Cän
§t '^efcr.
Mittelalterliche KunstgegenstAnde daselbst
Seite
90) FlttgelalUr, illuminirtes Sculpturwerk, XV. Jahrhunderl. Taf. XXVI. Fig. 90. . . . 3
'.
90.
Fliigelaltar
mit der Passion des Heilandes, illuminirtes Sculpturwerk des XV. Jahrhunderts.
Grösste Höhe 2 Meter S Decimeter, Länge 2 Meter 3 Decimeter.
JbiS ist ZU beklagen, da,s8 sich bis heute in Köln yerhältnissmässig wenige
Seulpturen erhalten haben, die zum Beweise dienen können, welche Höhe die
Kunst der Bildschnitzer in jenen Tagen des Mittelalters erreicht hatte, als auch
die Malerei im Dienste der Kirche ihre schönsten Triumphe feierte. Die meisten
dieser Kölnischen Bildschnitzer^ien, in einem grossartigen Style componirt und in
trefflicher technischer Ausführung, haben leider in den letzten Decennien eine un-
freiwillige Reise ttber den Kanal antreten müssen, da in der eigenen Heimath der
Sinn und dajs Verständniss für solche bemalte Bildwerke vielfach abhanden gekommen
war. Nach Angabe kundiger Gewährsleute sollen nämlich in den zwanziger und
dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts ganze Schiffsladungen von altem Sculptur-
werken und Bildschnitzereien von Köln aus an englische Kunsthändler verkauft
und über Meer befördert worden sein. Unter diesen befanden sich gewiss auch
sculptirte Altäre mit ihren vielen Bildwerken, wie sie seit den Tagen der Spät-
gothik als Haupt- und Nebenaltäre den meisten Kölnischen Kirchen zur Zierde
gereichten, ehe die heute überall in hiesigen Kirchen vorfindlichen Roc^co-
Altäre ihre Aufstellung fanden. Diese Sculpturaltäre mit ihrem schönen Bildwerk,
die im Munde des unkundigen Volkes meistens „Püppchens-Altäre^^ genannt zu
werden pflegten, sind gegenwärtig in den Kirchen Kölns zur Seltenheit geworden
und es finden sich nur noch zwei derselben im Dome vor, die der Verschleppung
ins Ausland glücklicher Weise entgangen sind. Schöne Bruchtheile solcher altköl-
nischen Seulpturen in Eichenholz als innere Füllung von bemalten Flügel- oder
Klapp -Altären finden sich noch vor in St Cunibert und in der neuerbauten Ka-
pelle der Alexianer hierselbst Ein viertes Meisterwerk der altkölnischen Sculptur
besitzt auch noch die Tauf kapelle der Kirche von St. Peter in Köln.
Obschon es nicht unsere Absicht ist, in diesem Werke die Seulpturen und
illuminirten Bildwerke zu beschreiben, die sich noch vereinzelt in Kölnischen Kir-
chen erhalten haben, so mag hier ausnahmsweise eine kurze Beschreibung und
4 ST. PETER.
Abbildung dieses Schnitzaltärchens eine Stelle finden und das um so mehr, weil
sich beute in der ehemals so reichen Pfarrkirche von St. Peter nur wenige Kir-
chenutensilien von artistischer Bedeutung erhalten haben, die, als zum engem
Schatze gehörend, zu betrachten sind. Die bemalten Fltlgel an dem vorliegenden
Klappaltärchen haben in artistischer Beziehung viel geringeren Werth, als jene
reich scenerirten Gruppen in Eichenholz geschnitzt, die das innere Schreinwerk
ausfüllen. Die Scenen, die im Inneren als Hautreliefs zur Darstellung kommen,
sind der Passion des Heilandes entnommen und vergegenwärtigen drei Haupt-
momente derselben; nämlich: die Ereuztragung, die Kreuzigung und die Kreuz-
abnahme des Herrn. Die letzte Darstellung der Kreuzabnahme wird gewöhnlich
von altern Schriftstellern die „Beweinung Christi'^ genannt und bringt jenen Mo-
ment zur Anschauung, wo der Leichnam des Herrn vom Kreuze abgenommen und
in den Schooss seiner jungfräulichen Mutter gelegt wurde, während die übrigen
weinenden Frauen herbeieilen, um den Leib des Heilandes mit köstlichen Spe-
zereien zu salben, ein Gegenstand, wie er öfters in der Plastik und der Temperar
maierei des Mittelalters anzutreffen ist. Die mittlere Darst^ung, das grössere
Hauptbild des Sculpturaltares, veranschaulicht, wie eben bemerkt, die Kreuzigung
des Heilandes auf dem Calvarienberge in Mitten der beiden Schacher. Der KtUist-
1er hat jenen Moment zur Darstellung gewählt, wo der Kriegshauptmann Longinus
eben im Begriffe steht, mit der Lanze die Seite des Herrn zu öffnen. Wie ge-
wöhnlich bei altkölnischen Bildwerken und Malereien, weist derselbe mit der linken
Hand auf seine Augen hin, um anzudeuten, dass er noch mit geistiger Blindheit
geschlagen ist. Unter dem Kreuze erblickt man eine figurenreiche Gruppe von
acht Reitern, welche die römischen Kriegsleute und Pharisäer darstellen, die den
sterbenden Erlöser verspotten und verhöhnen. Der untere Theil dieses mittleren
Hauptbildwerkes veranschaulicht zwei verschiedene Scenen, nämlich rechts: die
Gruppe der weinenden Frauen, die mit Johannes, dem LieblingsjUnger, die Mutter
des Heilandes wehklagend umstehen; gegenttberstehend links: die Gruppe der
rohen Kriegsknechte, die bei der Theilung der Gewänder des Gekreuzigten in
Streit gerathen und zu Thätlichkeiten gekommen sind. In der dritten kleineren
Darstellung hat der Künstler den Heiland in dem Momente plastisch vorgeführt,
wie er unter der Wucht des ELreuzes niedersinkt, und die Kriegsknechte den vor-
übergehenden Simon von CjTcne nöthigen, dem Erlöser das Kreuz tragen zu hel-
fen. Weiter im Hintergrunde erblickt man eine andere Gruppe von Kriegsknechten,
welche die beiden Schacher gebunden zur Schädelstätte führen.
Diese drei Hauptmomente aus dem Leiden des Heilandes werden er^inzt
durch zwei gemalte Scenen auf den innem Flttgelihüren, wovon die eine darstellt,
wie Christus von Pilatus dem Volke gezeigt wird; auf der entgegengesetzten
Seite erblickt man die Auferstehung des Heilandes am Ostermorgen und den Gang
der drei Frauen zum Grabe.
Was den grossen künstlerischen Werth der eben beschriebenen sculptirten
Gruppen anbelangt, so muss hervorgehoben werden, dass diese Bildwerke unstreitig
zu den bessern zu rechnen sind, die aus den Werkstätten der Bildschniteer
ST. PETER« 5
im alten Köln hervorgegangen sind. Es ist nämlich nicht nur die Composition und
Anordnung dieser Figuren eine durchaus gelungene zu nennen, sondern auch die
technische Ausführung bekundet eine grosse Meisterschaft und Leichtigkeit in der
Behandlung und Anordnung der Draperie, sowie in der Darstellung von anatomisch
richtigen Körperbildungen. Auch ist es dem Bildschnitzer, von dem dieses Meister-
werk der Sculptur herrührt, gelungen, in den Gruppen die verschiedenen Affecte,
welche seine Figuren bewegen, mit vieler Naturwahrheit und mit einer eigen-
thttmlichen Naivetät zum Ausdruck zu bringen.
Auch für das Studium der Profankleidung, wie sie gegen Schluss des Mit-
telalters bei Hoch und Gering im Gebrauch war, bieten die in Rede stehenden
Sculpturen interessante Anhaltspunkte, welche zum Belege dienen können, wie die
naive Einfachheit der Kunst im Mittelalter keinen Anstoss daran nahm, das ma-
lerische Kostüm des Tages bei einer Scene zur Geltung zu bringen, die viele
Jahrhunderte weit entfernt lag. Nicht nur der reiche, manierirte Faltenwurf der
Gewänder, sondern noch mehr die charakteristische Bekleidung der Reiter, die
auf der mittleren, grösseren Sculptur angebracht sind, desgleichen auch das Kostüm
der Kriegsknechte, in welchen man sofort die deutschen Landsknechte wieder-
erkennt, wie sie in den Tagen CarFs V. als gedungene Söldner Deutschland durch-
zogen, können zum Beweise dienen, dass das vorliegende Sculpturwerk in dem
ersten Viertel des XVI. Jahrhunderts von einem ausgezeichneten Kölnischen Bild-
schnitzer angefertigt worden ist. Wie das auch in den reichen Schnitzwerken
Schwabens und denen vom Niederrhein ersichtlich ist, dürfte jedoch die Idee und
der Entwurf zu der ebenbeschriebenen Sculptur nicht von dem Bildhauer selbst
herrühren, sondern der Bildschnitzer, der im Mittelalter, was geistige Ausbildung
betraf, dem Maler untergeordnet war, hat zweifelsohne das plastisch in Eichenholz
wiedergegeben, was von bedeutenden Malern seiner Zeit im Bilde dargestellt
worden war.
Ausser dem ebenbeschriebenen Schnitzwerke und den kostbaren Glas-
malereien aus dem Schlüsse des XV. und Beginn des XVI. Jahrhunderts hat die
Pfarrkirche von St. Peter keine Kunstwerke mehr aufzuzählen, die zum eigent-
lichen Schatz gerechnet werden könnten. Nur hat sich in dieser Kirche noch ein
eigenthümlicher Leuchter aus der Spätgothik, in Zinn geformt, erhalten, der ent-
weder als Bahrleuchter oder als Lichtträger zum Aufstellen der Osterkerze ehemals
gedient hat. Auch findet man in der Sacristei noch eine kleine gothische Mon-
stranz in gewöhnlicher Form und von geringem Kunstwerthe; ferner wird daselbst
noch ein anderes kleineres Reliquiengefäss aus dem XV. Jahrhundert aufbewahrt.
Die vielen liturgischen Gewänder der gedachten Pfarrkirche sind aus reichen und
meistentheils profanen Gold- und Seidenstoffen der beiden letzten Jahrhunderte
angefertigt und haben also ftir eine weitere Besprechung in diesem Werke, das
ausschliesslich Kölnische Kirchenschätze des Mittelalters inventarisiren und illu-
striren soll, kein näheres Interesse. Nur eine jedoch auf ein Minimum von
Form zugeschnittene Casel aus der Mitte des XV. Jahrhunderts hat sich in der
Sacristei von St. Peter noch erhalten, die sowohl hinsichtlich ihres Umstoffes in
2
6 ST. PETEB.
figurirtem vielfarbigen Sammet, Genueser Fabrikation, als auch hinsichtlich ihrer
goldgestickten und gewirkten Stäbe ftlr die Alterthumswissenschaft von Interesse
sein dürfte.
Noch fügen wir hinzu, dass durch fromme Vorsorge Einzelner in den ersten
Decennien dieses Jahrhunderts die an unwürdiger Stelle in der damals aufgehobenen
St. Cäcilienkirche befindliche „tumba Sti Evergisli" in die St Peters -Pfarrkirche
gerettet worden ist. Dieser Schrein, der im Anfang dieses Jahrhunderts sehr
entstellt worden ist, zeigt in seiner Anlage die Formen der entwickelten Grolhik.
Indessen bietet sein Aeusseres der heutigen Kunstforschung deswegen nur ein ge-
ringes Interesse, weil an demselben unlängst eine Wiederherstellung nach heutigen
modernen Principien erfolgt ist, die vollends die primitive Physiognomie dieses
Reliquienschreines durchaus unkenntlich gemacht hat.
g^g £»t ^ofjtUrii
H
acctfiea
Mittelalterliche KnnstgegexiBtftade daselbst.
Seit«
91) Messgewand mit in Figuren gewirktem Kreuze, XV. Jahrb., Taf. XXVU. Fig. 91 . 3
91.
messgewand
mit einem reich gewirkten Kreuze und figürlichen Ornamenten aus der
Mitte des XV. Jahrhunderts.
Bis zu den Tagen CarFs des Grossen war die vom h. Matemus, wie Viele
annehmen, erbaute Kathedralkirche unter dem Titel der h. Eugenia und Gaecilia
an der Stelle errichtet, wo sich die heutige Gäcilienkirche, ein Bauwerk des
XI. Jahrhunderts, in Köln befindet Seit jener Zeit, als im IX. Jahrhundert an der
Stelle des jetzigen Domes unter den Carolingem die zweite Kölnische Kathedrale
gegründet wurde, wurde der alte Dom, die Cäcilienkirche in eine CoUegiatkirche
verwandelt und gelangte durch fromme Schenkungen nach und nach zu umfang-
reichem Gttterbesitz. Auch der Schatz an kostbaren Gelassen und Gewändern
muss der Aufzählung des Gelen zu Folge nicht unbedeutend gewesen sein.
Leider wurde diese Stiftskirche in den gewaltsamen Verheerungen zu Anfang die-
ses Jahrhunderts von Freund und Feind dergestalt ihrer Kostbarkeiten und Schätze
beraubt, dass bei der unerfreulichen Nachlese, die wir zur Stunde in dem ehe-
maligen alten Dome von Köln halten, sich an Kirchengeräthen gar nichts mehr
vorfindet, was in artistischer Beziehung sich der Mühe lohnt, es hier beschrei-
bend hervorzuheben. Unter den modernen Messgewändem, die heute das „ar-
marium*' der Cäcilienkirche füllen, fanden wir nur noch eine ausgezeichnete Casel
vor, die in ihren reichgevrirkten Stäben zum Belege dient, welche Höhe die Pa-
rament- Weberei und Stickerei bei den Zunftwebern und Wappenstickern des alten
Kölns eingenommen hatte. Wie uns von zuverlässiger Seite mitgetheilt wurde,
rührt dieses merkwürdige Messgewand nicht ursprünglich aus Cäcilien her, son-
dern dasselbe ist wahrscheinlich aus einer altem heute aufgehobenen Kirche Kölns
zu der Zeit in die Sacristei von Cäcilien tibertragen worden, als die letztgenannte,
vollständig ausgeleerte Kirche dem Gottesdienste ftir das neuerbaute Bürgerhospital
in Köln überwiesen wurde.
Die „aurifrisiae" des vorliegenden Messgewandes aus St. Cäcilien gehören
zu den schönsten und kunstreichsten Webereien, wie sie sich heute noch in Köl-
nischen Sacristeien erhalten haben. Gleich wie in der Frühzeit des Mittelalters
das „opus anglicafium" sich als eine geniale Verbindung der Weberei mit der
4 ST. CAECILIEN.
Goldschmiedekunst erweist » so können die vorliegenden Stäbe mit Fug vorzugs-
weise als ,i0pu8 coloniense" bezeichnet werden» nämlich als Verbindung der Stickerei
mit der Figurweberei.
Wir erinnern uns nicht, auf vielfachen Reisen ähnliche Kunstwerke in
Weberei mit theilweise gestickten Compartimenten vorgefunden zu haben. Nur
allein der betriebsamen und reichen Zunft der Bild- und Wappenwirker des alten
Kölns gebührt das Verdienst, dass sie an einem und demselben Ornamente zwei
verschiedene künstliche Anfertigungsweisen verbunden haben, w^odurch auf ein-
fache und billige Weise eine grosse Wirkung herbeigeführt wurde. Auf einem
dunkelroth gewebten Grunde hat der Kölnische Wappenwirker ein zierliches Laub-
omament angebracht, ein Kankengeflecht vorstellend, von dem nach jeder Seite
sich goldene Blätter und Blüthchen verästeln. Auf diesem goldgeblümten Grunde
hat der Wappenwirker nach kurzen Zwischeni^umen abwechselnd einzelne Köl-
nische Heiligenfiguren und Patrone durch die Kunst der Webspule so einge^
wirkt, dass sämmtliche Gewandparthieen und Umrisse in vielen Farben durch
Einschlag erzielt worden sind, während sämmtliche Incarnationstheile, d. h. Ge-
sicht und Hände, sowie einzelne Verzierungen der Gewänder durch die Kunst der
Nadel in feinstem Plattstich beigestickt worden sind. In der ebengedachten Tech-
nik ausgeführt erblickt man auf dem breiten Stabe der Rückseite der Casel,
leider zur Hälfte verkürzt, das Bild des h. Laurentius mit dem Roste. Weiter
ersieht man daselbst die berühmte Patronin Kölns St Ursula mit dem Märtyrer-
pfeil, die unter dem weiten blauen Mantel einen Theil der Genossinnen versammelt
hält. Um die traditionelle Zahl der 1 1 ,000 aufrecht zu erhalten , hat der Bild-
wirker hier eilf Jungfrauen in jugendlicher Gestalt angebracht. Als letztes Bild
erblickt man nach oben die Darstellung des Apostels Matthias, kenntlich durch
den Evangelien -Codex und das Märtyrerwerkzeug. Unter dem Bilde des eben-
gedachten Apostels ist das heraldische Abzeichen des Geschenkgebers des vor-
liegenden Kirchenomates angebracht, nämlich: „H. Johann Penynck." Ueber dieser
in gothischen Minuskeln in Goldfaden gewirkten Inschrift erblickt man das Wap-
pen des Geschlechts der Penynck*), nämlich einen rothen Schild mit zwei trans-
versalen weissen Streifen und an der obem rechten Seite ein blaues Quadrat, auf
welchem sich ein Stern in Silber befindet. Ueber dem Haupte des h. Laurentius
befindet sich in Gold eingewebt die Inschrift „Vrouwe agnes^*, ohne Zweifel der
Name der Gattin des obengedachten Patriziers als Geschenkgebers. Das Ge-
schlechtswappen der Frau Agnes erblickt man gleichsam aufgehängt und be-
festigt in dem in Gold gewirkten Ornamente; dasselbe zeigt vier horizontale
weisse Streifen mit drei dazwischen befindlichen blauen Balken. Das Ganze wird
durchschnitten durch einen breiteren horizontalliegenden Balken in rother F&rbe.
Auf dem vordem Stabe ist dargestellt ein Heiliger des Dominikanerordens, ferner
*) Vergl. das Nähere bei Beschreibung der Schätse Ton St. Jacob in dieser Lieferung, was wir
über JToh. Penynk, einen reichen Kölnischen Tuchkaufmann , mitgetheilt haben, der rerschiedene
Male das Amt eines Bttrgermeisters seiner Vaterstadt bekleidete.
ST. CAECILIEK. 5
der h. Franciscus von Assisi mit den Wundmalen und ein h. Erzbischof von Köln,
der in der rechten Hand die von ihm gestiftete Kirche trägt. Diese bischöfliche
Figur, angethan mit den Pontificalgewändem, ist auch deswegen fUr die Kölnische
Kunstgeschichte des Mittelalters von Interesse, weil dieselbe bekleidet ist mit
einem sehr faltenreichen Messgewande in der alten Form, wie in diesem Schnitte
das Messgewand des Albertus Magnus heute noch in St. Andreas anzutreffen ist.
Auch die Albe ist mit einer grossen „plaga", „parura" verziert. In dieser Weise
scheint der bischöfliche Pontificalomat in Köln noch gegen Mitte des XY. Jahr-
hunderts beschaffen gewesen zu sein. Auch die stehenden Figuren, die auf dem
vordem Stabe angebracht sind, sind in den Gewandparthieen und Contouren
durch die Kunst des Webers auf einem kleinen Handstuhle vermittelst Spule und
Einschlag erzielt worden. Nur die Incamationstheile sind wiederum in feinem
Plattstich gearbeitet.
Einer glaubwürdigen Tradition zu Folge rührt das obenbeschriebene Mess-
gewand aus der Sacristei der hiesigen Minoritenkirche her, und es dürfte darum auch
mit diesem Herkommen das gestickte Standbild des h. Franciscus von Assisi auf dem
vordem Stabe der in Rede stehenden Casel in Beziehung stehen. Wie uns versichert
wurde, befanden sich in St. Cäcilien bis noch vor kurzer Zeit zwei Dalmatiken, zu
diesem Messgewande gehörend, die mit höchst interessanten Aurifnsien künstlerisch
verziert und auf welchen ebenfalls Heiligenbilder theilweise in Weberei und durch
die Kunst der Nadel angebracht waren. Leider sind diese schönen Dalmatiken
mit ihren trefflich gewirkten Stäben vor wenigen Jahren von einem Paramenten-
schneider, wir wissen nicht aus welchem Grunde, verschnitten und geti'ennt wor-
den; als Rest der Aurifrisien dieser ehemaligen Dalmatiken befinden sich noch
eine Stole mit unschönen und geschmacklosen Borden vor, die man gewalt-
sam und ohne Geschmack zusammengeflickt hat. Auch das Messgewand, dessen
kunstreich gewirkte Aurifrisien wir im Vorstehenden beschrieben haben, dürfte in
seiner jetzigen Form und unschönen Zusammenstellung wohl der neuem Zeit an-
gehören und ist auch der gemusterte Umstoff nicht als primitiv anzusehen. Ohne
Zweifel bildeten die vorhin beschriebenen Stäbe dieses Messgewandes Aurifrisien
an dem zu einer vollständigen Casel gehörenden Pluviale. Als Belege dafür
ist nicht nur die grosse Breite dieser Stäbe zu betrachten, sondern auch die ziem-
lich ungeschickt angesetzten Querbalken an dem hintem Kreuze, die in ihrer Zu-
sammensetzung augenfällig besagen, dass sie als schmälere Stäbchen ehemals auf
den vorhin gedachten Dalmatiken figurirten.
Obschon die Geschmacklosigkeit in neuester Zeit sich in unverzeihlicher
Weise an den ebenbesprochenen Omatstücken versündigt hat, so muss man sich
dennoch Glück wünschen, dass noch so viel übrig geblieben ist, um sich einen
ungefähren Begriff machen zu können, von welchem Reichthum jener pracht-
volle „omatus integer" gewesen sein mag, den der ehrenfeste Bürgenneister
Penynck und seine Frau Agnes der hiesigen Minoritenkirche im dritten Viertel
des XV. Jahrhunderts zum Geschenk gemacht hat. Es freut uns, hier be-
richten zu können, dass in nächster Zukunft von Seiten des Vorstandes der hie-
2
6 BT. CAECILIEN.
Bigen Armenverwaltung die Mittel geboten und Einleitung getroffen werden sollen,
um die ebengedachten seltenen und äusserst gut erhaltenen Ueberreste altköl-
nischer Wappenwirkerei wieder in eine solche Form bringen zu lassen, daßs aus
diesen werthvollen Ueberresten ein würdiges faltenreiches Messgewand in mittel-
alterlichem Schnitte in gleicher Weise wird hergestellt werden, wie dasselbe in
analoger Form an der Figur eines h. Erzbischofes auf dem vordem Stabe dieses
Messgewandes ersichtlich ist
Wie uns unlängst von sachkundiger Stelle mitgetheilt wurde, befindet sich
in dem Museum zu Darmstadt, wahrscheinlich von der Sammlung des Kölners
von Hübsch herrührend, eine grosse Anzahl ähnlich gewirkter und figurirter Stäbe
vor, die den Stempel der Kölnischen Wappen- und Ornat-Stickerei aus derselben
Periode erkennen lassen, zu welcher auch die ebenbeschriebenen Auriirisien zu
rechnen sind.
Der ehemalige Schatz der CoUegiatkirche von St Cäcilien, der nach den
Berichten früherer Chronisten umfangreich gewesen sein muss, ist heute nach den
Umwälzungen des vorigen Jahrhunderts gänzlich verschwunden. Unter andern
kunstreichen Reliquiarien befanden sich ehemals, nach der Angabe Gelens, im
Schatze der Cäcilienkirche eine grosse silberne Tumba, in welcher die Ueber-
reste des Erzbischofs Evergislus und des h. Paulinus beigesetzt waren. Ausser-
dem sah man daselbst zwei kunstreich verzierte sUbervergoldete Brustbilder
(hermae) mit Keliquien verschiedener Heiligen. In einer andern silbernen Hiero-
thek fand sich ein „os brachit" der h. Gäcilia, der Patronin der Kirche. Endlich
bewahrte der Schatz noch zwei Brachialien mit Keliquien.
^t ^poliefn.
Mittelalterliche Kunstwerke dieser Pfarrkirche.
Seite
92) Reichverzierter Kelch in vergoldetem Silber, XIII. Jahrhundert. Taf. XXVIII. Fig. 92 3
93) Zwölf Slaluetten der Apostel in Eichenholz geschnitzt, XI\. Jahrhundert. Taf. XXVIII.
Fig. 93* und Fig. 93"^ 6
Ehemaliger Schatz der früheren Collegial-Kirche zu den h. Aposteln 9
92.
Reichyerzierter Kelch
in vergoldetem Silber. XIII. Jahrhundert.
Hohe 21 Centimeter. Dorchmesser der Kuppe W/i Centimeter und des Fasses 15 Centimeter.
Vorliegende Copie veranschaulicht ein Messgeräth, das den vollständigen
Typus eines Pontifical- Kelches, jener omamentreichen Periode des romanischen
Styles angehörend, erkennen lässt, in welcher die Goldschmiedekunst in ästhe-
tischer und technischer Hinsicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. Am Schlüsse
des Xn. Jahrhunderts war nicht nur der Architektur, sondern auch allen ver-
wandten Künsten ein neuer Impuls gegeben worden, und es gestalteten sich jetzt
die Elemente, aus denen die Spitzbogenkunst bald hervorgehen sollte. Besonders
machte sich dieser jugendlich frische Aufschwung auf dem Gebiete der Ornamen-
tik geltend, und sowie die Sculptur um diese Zeit mit den Traditionen erstarrter
byzantinischer Vorbilder brach, so erging sich auch der Goldschmied jetzt in einer
Ftille von Ornamenten, in denen ein neues germanisches Bildungsgesetz sich aus-
prägte und die kaum noch orientalische Vorbilder durchblicken Hessen. Es war das
die Zeit der Hohenstaufen, in welcher dieser glückliche Umschwung erfolgte ; in dieser
Zeit fanden auch die unübertreflflichen Meisterwerke der Goldschmiedekunst, die
sich im westlichen Deutschland noch heute erhalten haben, meistens ihr Entstehen.*)
Die kirchlichen Gefässe dieser Glanz -Epoche der romanischen Kunst haben in
Bezug auf Grossartigkeit der Composition und Schwung und Reichthum der tech-
nischen Ausftihrung einen so scharf ausgeprägten Charakter, dass es nicht grade
eines Kennerauges bedarf, um den gemeinsamen Typus herausfinden zu können.
Nach genauer Besichtigung einer Menge der noch erhaltenen kirchlichen Uten-
silien der gedachten Periode, haben wir die volle Ueberzeugung gewonnen, dass
das Prachtexemplar jenes Kelches, wovon vorliegende Abbildung eine getreue Copie
bietet, seine Entstehung in der ersten Hälfte des XUI. Jahrhunderts fand, obschon
*) Hierzu können Tomehmlich gezählt werden die Reliquienschreine der h. drei Könige zu Köln,
der grosse Schrein des h. SuitbertuB zu Kaiserswerth, der Reliquienkasten des h. Serratius zu Ma-
stricht, die prachtroUen Schreine im Schatze zu Aachen und die beiden Reliquienbehälter von St.
Pantaleon zu Köln.
4 ST. APOSTELN.
eine locale Ti*adition, wie das häufig vorkommt, dieses seltene Kunstwerk zwei-
bimdert Jahre älter ansetzen möchte.
Ein sorgfältiger Vergleich der Detailformen dieses Kelches mit den Or-
namenten an dem unvergleichlich schönen Reliquien - Schrein im Schatze zu
Aachen hat ergeben*), dass nicht nur die Composition und Zeichnungen der ge-
triebenen Figuren an dem obengedachten Schreine mit den figurativen Dar-
stellungen der Medaillons auf dem Fusse des Kelches die frappanteste Aehn-
lichkeit haben, sondern daj^s sogar die kugelföimigen durchbrochenen Verzie-
rungen, als Kammbekrönungen auf der Bedachung des gedachten Schreines, mit
den zart cisclirten Durchbrechungen an der Handhabe des Kelches vollkommen
identisch sind. Was nun die Grösse, den Umfang und die reiche Ausschmückung
des Kelches betriflft, so glauben wir, dass er ursprünglich als „calia^ Jvstalis'' zum
Gebrauche der Dignitäre des Apostelstiftes angefertigt worden ist. Die Rund-
formen, welche die romanischen Gefässe im Gegensatze zu den polygonen Bil-
dungen der gothischen Altargeräthschaften charakterisiren, treten scharf markirt
an dem vorliegenden Kelche hervor: der Fuss ist kreisrund, der Durchschnitt des
Ständers ist ebenfalls rund. Der Knauf bildet eine eingedrückte Kugel und auch
die Kuppe hat so ziemlich die Form einer Halbkugel. Die Gothik liebt es in der
Regel nicht, den Fuss der Gefässe, als tragenden Theil, durch reiches Beiwerk
zu überladen; sie wählte als l^edalstück eine zierliche Grundform, entweder eine
sechs- oder achtblätterige Rosen- oder Stemform. Bei den älteren romanischen
Kelchen liegt immer noch die Kreislinie zu Grunde, und man suchte die Monotonie
dieser scheibenförmigen Fläche durch mannigfaltige Ornamente zu heben. So
begnügte der Goldschmied fast bis zum Schlüsse des XHI. Jahrhunderts sich
nicht damit, ciselirte und getriebene Arbeiten auf dem geräumigen Fussstücke
seiner Gefässe anzubringen, sondern bei der grossen Fertigkeit, die er in Anfer-
tigung von Filigran-, Nigell- und Email-Arbeiten sich erworben hatte, war er dar-
auf bedacht, seinen Kunstwerken durch Anwendung der verschiedenartigsten Tech-
nik den Reiz der Abwechselung und Mannigfaltigkeit zu geben.
So findet sich auch zur Belebung des Fusses an dem in Abbildung mitgetheil-
ten Kelche von St. Aposteln in Köln eine verschiedene Art der Technik angewandt.
Es sind nämlich auf punktirtem Grunde, von reichem Laubwerk umgeben, vier
Engel, die Spruchbänder halten, eingravirt. Zwischen diesen schönen Gravuren
befinden sich vier fast zwei Zoll grosse Medaillons. Dieselben liegen erhaben auf
dem Fusse und sind mit einem zierlich cordonuirten Rande eingefasst. Die Dar-
stellungen auf diesen Medaillons sind als Basreliefs gehalten, und zeigen eine
solche Zartheit der Composition und der technischen Ausführung, dass sie mit
den ähnlichen Basreliefs wetteifern können, wie sie als Füllungen auf der Be-
*) Vergleiche hierzu die gelungene Abbildung in den ,,M^nges d'Arch<k)logie", Vol. I. pl. 1—6.
Jn dem Texte dieses vortrefflichen Werkes haben die gelehi-tcn Herausgeber, Abb^ Martin und Cahier,
mit vielem Glück den Beweis su fahren gesucht, dass der gedachte kostbare Reliquienschrein im Schatse
des Aachner Münsters in den Jahren 1220—1237 angefertigt worden sei.
ST. APOSTELN. 5
dachung des oben erwähnten prachtvollen Schreines zur Aufbewahning der grös-
seren Reliquien im Schatze zu Aachen angebracht sind. Gleichwie durch diese
Basreliers auf dem Schreine zu Aachen das ganze Leben des Heilandes in seinen
verschiedenen Momenten repräsentirt wird, so enthalten auch die vier zierlichen
Medaillons auf dem Fusse des in Rede stehenden Kelches die vier Hauptbegeben-
heiten aus dem Leben des Erlösers, nämlich: die Verkündigung, die Geburt, die
Kreuzigung und die Auferstehung. Auf dem glatten, anderthalb Zoll hohen Halse
des Fusses erhebt sich die reich durchbrochene Handhabe, die in der formellen
Ausführung der Technik von den Ornamentationen des Fusses abweicht. Die
Durchbrechungen des Knaufes sind nämlich in einem gröberen Filigran gehalten,
das durch seine Cordonnirungen in verschiedene bogenförmige Compartimente ab-
getheilt wird. Zwischen dieser Art von Filigran-Arbeit befindet sich zart ciselirtes
Laubwerk, aus dem ein kleiner, beerenförmiger Fruchtkolben hervorsprosst. Diese
Fruchtbildung, in Form einer länglichen Erdbeere, kehrt immer wieder als cha-
rakteristisches Vorkommniss des XHL Jahrhunderts zurück. — Auch die äussere
Peripherie der Kuppe hat in einem zehn Centimeter breiten Rande eine zweck-
mässige und technisch gelungene Verzierung. Auf punktirtem Grunde befinden sich
nämlich unter einer fortlaufenden Arkadenstellung im Kleeblattbogen die Halbfiguren
der zwölf Apostel mit ihren verschiedenen Attributen eingravirt. Obgleich die Köpfe
der Apostel nur mit wenigen, kräftigen Strichen angedeutet sind, so liegt doch
in denselben eine so tiefe Auffassung und ein so sichtliches Streben nach Indivi-
dualisirung, dass man es sofort begreift: der Künstler habe sich von den steifen,
Conventionellen Gesichtsbildungen eines stereotyp gewordenen Byzantinismus voll-
ständig loswinden wollen.
Bei der starken Inclination nach edlen Metallen, die sich während der re-
volutionären Umwälzungen zu Anfang unseres Jahrhunderts im Westen Europa's
geltend machte, ist es erklärlich, dass sich in Frankreich und Italien nur äusserst
wenige Exemplare von der Grösse, dem Reichthume und dem historischen Kunst-
werthe des eben beschriebenen Original-Gefässcs erhalten haben. Nur Deutschland
besitzt noch mehrere Kelche aus der Blüthezeit der Goldschmiedekunst, die in Bezug
auf ästhetische Gomposition und meisterhafte Ausführung der Details mit dem
in Rede stehenden wetteifern können. Das ohne Zweifel prachtvollste Exemplar
eines bischöflichen Pontifical- Kelches bewahrt die Sacristei der St. Godehardi-
Kirche zu Hildesheim. Auch in mehrem Kirchen des mittlem Deutschlands fan-
den wir ähnliche Gefässe, so z. B. in Braunschweig, Osnabrück und Halberstadt.
In Belgien hat sich in dem Kloster der Dames fran^aises zu Namur ein schönes
Exemplar eines Kelches des XHI. Jahrhunderts noch erhalten, welches aus einer
alten Cistercienser-Abtei des Hennegau's stammen soU.
6 BT. APOSTELN.
93.
ZwOlf Stotaetten
der Apostel in Eichenholz geschnitzt. XIV. Jahrhundert.
Hohe 46—47 Gentimeter.
Da die Kirchen8chätze des ehemaligen reichen Stiftes von St. Aposteln,
dessen Gründung in die Tage des h. Heribert gesetzt wird, heute bis auf jenen
schönen festtäglichen Kelch, der in der vorhergehenden Nummer besehrieben
worden ist, in den zerstörenden Wirren zu Anfang dieses Jahrhunderts unterge-
gangen sind, so sei es gestattet, hier an Stelle der verschwundenen Schätze
Kunstwerke verwandter Art in Beschreibung und Abbildung einzuschalten.
Es sollen nämlich zum Ersatz 12 Sculpturen der Apostel hervorgehoben werden,
die beredtes Zeugniss ablegen, dass im h. Köln in jenen Tagen, wo die Malerei
und Goldschmiedekunst eine so hohe Stufe in compositoriseher und technischer
Beziehung erstiegen hatte, auch die verwandte Schnitz- und Bildhauerkunst nicht
unbeachtet im Nachtheile geblieben war. Wir nehmen keinen Anstand hier die
Behauptung auszusprechen, dass von allen figürlichen Schnitzarbeiten in Eichen-
holz aus dem XIV. Jahrhundert die vorstehenden Statuen der zwölf Apostel die
grösste Beachtung von Seiten der Kunstarchäologie mit vollem Rechte beanspruchen
dürfen. Wie ein Blick auf die beifolgenden Abbildungen zur Genüge zeigt, rühren
diese zarten Bildwerke aus jener interessanten Kunstepoche her, wo der Bild-
schnitzer mit den todten Ueberlieferungen des Griechenthums gebrochen hatte,
und wo derselbe, den Bildungsgesetzen des germanischen Formenprincips Rechnung
tragend, sich bemühte, im Anschlüsse an die Natur und ihre Gesetze die Charak-
teristik des Individuums in seinen Bildwerken wiederzugeben. Um die leblose
Ruhe jener ascetischen Heiligen -Gestalten des abgethanen romanischen Styles in
geradliniger steifer Haltung zu umgehen, und zugleich, um Leben und Empfindung
seinen Bildwerken einzuhauchen, gefiel sich der herrschende Tagesstyl in jenem
Jahrhundert, das die „lächelnden Heiligen'^ darzustellen beliebte, darin, in oft
etwas zu schlanker und stark gebogener Haltung seine Heiligenbilder in Elfenbein,
Holz und Stein wiederzugeben. Eine solche auffallende Bewegung nach der lin-
ken Seite ausbiegend gibt sich deutlich an der Sculptur unter Fig. 9d\ den heil.
Petrus vorstellend, zu erkennen. Diese Haltung, desgleichen auch die gleichartige
Drapirung der Gewänder, versetzt die vorliegenden interessanten Bildwerke, hin-
sichtlich der Zeit ihrer Anfertigung, in die Stylepoche der ersten Hälfte des
XrV. Jahrhunderts, als auch die gleichartigen grossen Apostelstatuen im Chore
des Kölner Domes von Meisterhand ihre Entstehung und polychromatische Staf-
firung fanden. Hinsichtlich des schönen, mehr wellenförmig als eckig und geknickt
behandelten FaJtenvmrfes bemerken wir hier vorübergehend, dass der dünne und
trefflich geordnete Faltenwurf, ohne Ziererei und Gesuchtheit, noch mehr an
ST. APOSTELN. 7
die rund ausgebogene Draperie des romanischen Styles erinnert und die glückliche
Mitte hält zwischen dem steifen conventioneil geordneten Faltenwurf der roma-
nischen Bildwerke und den ausgearteten und gekünstelten Gewandpartien mit
eckigen y kleinen Faltenbrüchen, wie die Bildhauer dieselben mit dem Ausgange
der (jothik auch in der Kölnischen Schule zur Geltung kommen Hessen. In Rück-
sicht der Köpfe, in einem zarten charakteristischen Ausdrucke, sei nur bemerkt,
dass der Bildhauer die seelenvollen Züge fast aus dem Leben gegriffen zu haben
scheint und dass er nicht dieselben in trockener Monotonie nach einem stereotjT)en
Stylmodell plastisch gebildet hat. Charakteristisch für diese Stylperiode ist auch
noch das schön stylisirte und in seinen Locken fein geringelte Haupthaar, wo-
durch der Eindruck der Köpfe nicht wenig gehoben wird.
Da sich gegenwärtig diese Bildwerke der zwölf Apostel in der gleich-
namigen Kirche, vereinzelt und nicht im Zusammenhange mit einem Altare oder
einem andern grossem Mobiliargegenstande, vorfinden, so dürfte hier die Frage an-
gebracht sein : welche Stelle nahmen ehemals dieselben in der Stiftskirche zu den
h. Aposteln ein? Wie eine glaubwürdige mündliche Tradition von Augenzeugen
herrührend das angibt, befanden sich die ehemaligen Chorstühle, von welchen
ein Rest heute noch in der Chorabsis von St. Aposteln aufgestellt ist, zu bei-
den Seiten als Schranken aufgestellt, wodurch der mittlere Chorraum von den
beiden Nebenabsiden des Chores getrennt wurde. Wie uns angegeben wurde,
dienten nun die eben beschriebenen zwölf Statuetten dazu, gleichsam als obere
Bekrönung dieser reich geschnitzten Chorschranken, wahrscheinlich unter ebenso
reich geschnitzten Baldachinen aufgestellt zu werden. An dieser Stelle und in einer
solchen Situation fanden wir selbst noch in verschiedenen Kirchen kleinere Bild-
werke der Apostel angebracht. Irren wir nicht, so dient eine solche Anordnung
und Aufstellung der Apostel als Bekrönung der reichgeschnitzten Chorstühle in
Calcar am Niederrhein. Mit dieser traditionellen Angabe der ehemaligen Ver-
wendung dieser Statuetten stimmt in der That auch das zierliche und reiche
Schnitzwerk überein, das sich heute noch an den schönen Chorstühlen in der Chor-
rundung von St. Aposteln erhalten hat und dessen Entstehung ebenfalls in den
Beginn des XIV. Jahrhunderts zu setzen ist. Es muss beklagt werden, dass man,
ohne Zweifel in der besten Absicht, vor mehreren Jahren es unternommen hat,
die ebengedachten, höchst werthvoUen Apostelstatuetten mit einem starken üeber-
zuge von Gyps zu grundiren und über das ganze Bildwerk, sogar mit Einschluss
der Incamationstheile, eine monotone Glanzvergoldung zu appliciren. Gewiss
dürfte der Wunsch Beachtung finden, dass später von kundiger Meisterhand wenig-
stens von den Gesichtstheilen diese Vergoldung und Grundirung sorgfältig entfernt
und über der jetzigen Vergoldung der Gewandpartieen eine stylgerechte, poly-
chromatische Ausstattimg in harmonisch gedämpften Farbtönen, in jenen richtig
gewählten Dessins zur Geltung gebracht würde, wie sich dieselben in den reichem
Seidengeweben aus dem Beginne des XIV. Jahrhunderts vorfinden. Hoffen wir,
dass die Zeit nicht fem sein wird, wo das Innere der unvergleichlich schönen
Apostelkirche von der buttergelblichen Oelfarbe wieder befreit und der Quaderstein
8 ST. APOSTELN.
mit seiner natürlichen Färbung wieder zum Vorschein gebracht wird, den ün-
kenntniss in früherer Zeit mit einer kostspieligen Oelfarbe überzogen hat. Wird so
das Innere von St. Aposteln wiederhergestellt, dann dürfte auch der heutige styl-
und formlose Altar, in hinkender gräcisirender Form, durch einen neuen würdigen
in den gleichartigen Formen der Apostelkirche ersetzt werden, und es dürften dann
die eben besprochenen, meisterhaften Statuetten der zwölf Sendboten in den Nischen
der neuen Mensa eine passende und stylgerechte Verwendung finden.
Die Apostelkirche zu Köln hat unter den wenigen noch vorfindlichen Merk-
würdigkeiten des Mittelalters noch ein auf grauer Leinwand in kräftigen Contouren
gemaltes Bildwerk aufzuweisen, das eine unverbürgte Legende als jenes Bahr-
oder Leichentuch bezeichnet, welches von der bekannten Richmodis mit eigener
Hand gesponnen worden sein soll. Wir lassen die Richtigkeit dieses geschichtlichen
Factums hier auf sich beruhen, obschon an dem unteren Rande dieses Bildes eine
weibliche Figur als donntrix kniet, die flehend ihre Hände zu der darüber befind-
lichen Madonna erhoben hat. In dem unteren mit romanischen Laubomamenten
verzierten Abtreunungsstreifen erblickt man auch zu beiden Seiten der knieenden
weiblichen Figur, von Halbkreisen eingeschlossen, die beiden Symbole des Adlers
und des geflügelten Menschen. Die beiden andern symbolischen Thierzeichen der
Evangelisten fehlen gänzlich am obern Rande. In der Mitte dieser interessanten
decorativen Malerei auf grauem Leinen, der ältesten Tableaumalerei, die uns bis
heute in Köln zu Gesichte gekommen ist, ersieht man die stehende Figur der
Madonna, die ehemals auf dem linken Arme den Jesusknaben trug, der aber bei
dem sehr beschädigten Zustande des vorliegenden Bildwerkes unsichtbar ge-
worden ist. Zu beiden Seiten der Gottesmutter gruppiren sich, zu drei und
drei geordnet, Standbilder der zwölf Apostel. Der Faltenwurf dieser 1 Meter
4 Decimeter grossen Bildwerke kann in Rücksicht auf jene fem entlegene
Kunstepoche, der vorliegende Malerei ihre Entstehung verdankt, ziemlich edel und
entwickelt genannt werden. Dem Componisten ist es gelungen, in einfachen^
schlichten Contouren mit Anwendung spärlicher Farbmittel markirte, ascetische
Heiligenfiguren darzustellen, die nicht darauf berechnet sind, dem sinnlichen Auge zu
schmeicheln. Das in Rede stehende Werk stammt aus jener Epoche, in welcher die
Malerei, noch nicht übermüthig geworden, als Decoration sich den architektonischen
Zwecken bescheiden unterzuordnen wusste. Viele Details, sowohl im Ornamente
als auch in der Composition der Figuren, sprechen der Annahme das Wort, dass
das Bild gegen den Schluss des XH. Jahrhunderts angefertigt worden ist, eine
Zeit, in welcher der aus Byzanz durch Vermittelung der Kreuzzüge in den
Occident herübergekommene, langgezogene und gestreckte Habitus bei Heiligen-
figuren allgemeiner in der bildenden Kunst des Abendlandes seine Anwen-
dung fand.
Es dürfte gegenwärtig schwer sein, anzugeben, zu welchen kirchlichen Zwecken
diese beweglichen auf grobem Leinen gemalten Heiligen-Darstellungen gebraudit
ST. APOSTELN. 9
worden seien. Wenn man nicht der Annahme Beifall schenken will» dass dieses Bild
mit andern gleichartigen als bewegliche Wanddecoration auf den innem Flächen der
Apostelkirche verwandt worden sei, so dürfte man vielleicht eher der Annahme
das Wort reden, dass dieses interessante Bruchstück romanischer Malerei
ehemals als Compartiment zu einem grösseren „pallium quadra^esimale" gehört
habe, das als Fasten- oder Hungertuch (drap de faim) am Triumphbogen der
Kirche, als Trennung von Thor und Schiff, aufgehängt zu werden pflegte, wenn
die kirchlichen Trauerzeiten, Advent und Fasten, ihren Anfang nahmen. Gewiss
wäre es zu wünschen, dass auf dieses älteste Yorkommniss einer Malerei auf
Leinwand, wie es sich sonst nirgends am Rheine findet, mehr Gewicht gelegt und
dasselbe, mit einer Hinterwand und einem Schlussrahmen versehen, eine sorgfältigere
Aufbewahrung fände. Der historische Eunstwerth dieses einfachen Bildwerkes
würde zweifelsohne völlig verloren gehen, wenn aus übertriebener Pietät man es in
Zukunft versuchen würde, diesem seltenen Monumente der frühkölnischen Malerei
auf groben Leinen eine Aufbesserung und verschönernde Retouche aufzudrängen.
Ehemaliger Schatz
der früheren CoUegiat- Kirche zu den h. Aposteln.
Bei Beschreibung der Kleinodien der heutigen Kirchen Kölns ist uns im
vorstehenden Werke die Aufgabe gestellt, das Wenige noch zu besprechen, das
aus der allgemeinen Zerstörung gegen Schluss des vorigen Jahrhunderts bis
zur Stunde in den betreffenden Kirchen sich noch gerettet hat, hingegen in lan-
ger Reihe am Schlüsse aufzuzählen, was unser beneidenswerther Vorgänger
Gelenius mit eigenen Augen im Jahre 1645 noch alles wohlverwahrt erschaut hat.
Ausser dem oben beschriebenen prachtvollen Kelche aus spätromanischer
Kunstepoche, der jetzt irrthümlich dem heil. Heribert (t 1026) zugeschrieben
wird, befindet sich in Folge der gründlichen Ausleerung in den Tagen der Hlu-
minaten kein Kleinodienstück zur Stunde in dem verwaisten Schatzbehälter von
St. Aposteln vor, welches dem Mittelalter angehört; sogar ein merkwürdiger gol-
dener Ring, den der h. Heribert getragen haben soll, scheint noch in jüngster
Zeit abhanden gekommen zu sein. Gleichsam als Mahnzeichen an jene flir Kölns
grossartige Kunstschätze so unheilvolle Periode der französischen Invasion erblickt
man noch in unseren Tagen in St. Aposteln einen seiner reichen Zierrathen gänz-
lich entkleideten Reliquienschrein, der ehemals die irdischen Ueberreste der heil.
Märtyrer Felix und Adauctus und anderer Heiligen barg. Gelenius bezeichnet ihn
als silbernen Sarkophag mit Perlen und Edelsteinen verziert und fügt hinzu, dass
in diesen Prachtschrein im Jahre 1225 die Reliquien der ebengedachten Heiligen über-
tragen worden seien. Mit dieser geschichtlichen Angabe stimmen auch vollkom-
men die Detailformen in Eichenholz zusammen, die sich an diesem Rumpf eines
ehemaligen Prachtschreines vorfinden, desgleichen auch die wenigen Ueberreste
10 ST. APOSTELN.
Ton emaillirten Metallblechen, die noch stellenweise an dem Schreine befestigt
sind. Sehr möglich ist es, dass jene vielen üeberreste von emaillirten Plätteben,
Füllungen, Säulchen, Medaillons , die sich heute in den Museen zu Berlin, Dann-
stadt und an anderen Orten noch gerettet haben , als Ornamente von dem eben-
gedachten Reliquienschreine, sowie von den beiden spoliirten Scrinien in St Cunibert
(vergl. St. Cunibert Seite 23 der IL Lief.) herrtthren.
Wie auch ein weniger geübtes Auge auf der Stelle erkennt, sind die eben-
gedachten Üeberreste von Emails durchaus als Kölner Schmelzwerke der spät-
romanischen Kunstepoche zu betrachten. Auch zwei reichverzierte Brustbilder in
edlem Metall, „hermae'^, die die Häupter des heil. Felix und Adauctus enthielten,
sind der gepriesenen Revolution als Opfer gefallen, desgleichen auch zwei andere
capita pectoralitty ebenfalls von vergoldetem Silber, Eben so sind auch zwei silberne
Brachialien mit Reliquien des h. Florinus und des h. Leonardus, die dem Schatze
des Apostelnstiftes zur Zierde gereichten, verschwunden, sowie zwei grössere silberne
Reliquiare in Form von Vorsatz- und Altarkreuzen. Endlich fand sich auch in dem
ehemaligen Schatze des reichen Stiftes von St. Aposteln vor: ein Kelch des heil.
Heribei*t und zwei in Elfenbein sculptirte bischöfliche Pontificalkämme (pectim
ebumea), die ebenfalls der Person des heil. Heribert angehört hatten. Dieser
Kelch in niedriger Form und iu jener charakteristischen, noch unentwickelten
Omamentationsweise, wie sie der Goldschmiedekunst in frühromanischer Epoche,
d. h. im Beginn des XL Jahrhunderts, eigenthümlich war, ist wahrscheinlich in den
Stürmen zu Schluss des vorigen Jahrhunderts verschwimden. Erklärlich ist es, wie
die im Gelen vorfindliche Notiz vom Kelche des heil. Heribert sich auf jenen reich
entwickelten und stattlichen Pontificalkelch unbewusst übertragen hat, der heute
noch als einziges Kleinod dem verödeten Schatze der Stiftung des h. Heribert verblie-
ben ist. Ein Blick auf die Abbildung Taf. XXVffl. Fig. 92 genügt vollständig,
um zu erkennen, dass dieser Kelch in der ersten Hälfte des XHI. Jahrhunderts,
mindestens 200 Jahre nach dem Tode des gedachten heil. Erzbisehofes, von einem
ausgezeichneten Meister der kirchlichen »confratemitas aurifabrorum'' Kölns an-
gefertigt worden ist. Bei der maasslosen Verschleppung der kirchlichen Kunst-
und Reliquienschätze Kölns zur Zeit der firanzösischen Revolution sind wahrschein-
lich die beiden reichverzierten Elfenbeinkämme, von denen ebenfalls Gelen spricht,
mit so vielen andern Kunstwerken aus der Apostelkirche entfernt worden und
dürften vielleicht, wenn hier eine Hypothese zulässig sein sollte, diese beiden
pectina Sti, Ileriberti wieder erkannt werden in jenen reich verzierten Elfenbein-
kämmen, die heute noch im hiesigen städtischen Museum aufbewahrt und be-
wundert werden. Wir werden nicht unterlassen, diese seltenen Kunstwerke in
Elfenbein, die zweifelsohne aus dem ehemaligen Schatze einer Kölnischen Kirche
herrühren, in der letzten Lieferung des vorliegenden Werkes in AbbiMung zu ver-
anschaulichen.
3<lui 1^*- JHaria im ®a|itot.
"WÄtltlDMltfMltrt, CSlll.
^1 "^^axia in gamfof.
Kunstwerke des Mittelalters daselbst.
Seite
94) Tragbares Allärchen mit figarlichen Sclimelzwerken, XII. Jahrb.. Taf. XXIX. Fig. 94
und 94* 3
95) Durcbbrocbene Scbmiedearbeit, XV. Jabrb., Taf. XXIX. Fig. 95 6
96) Reicbe Bildstickerei eines Messgewandes, XV. Jabrh., Taf. XXX. Fig. 96 ... . 7
Der ebemalige Scbatz von St. Maria im Gapitol 10
94.
Tragbares Altftrchen
in mattem Schmelz mit figürlichen Darstellungen. XII. Jahrhundert.
Länge 3 P/s CenUmeter , Breite 20'/* Centimeter, Hohe 13 Centimeter.
Von den vielen kostbaren „aüaria portatHia^\ die Gelen in seinem oft citirten
Werke namhajft macht, hat sich heute nur noch ein interessantes Exemplar in dem
vollständig ausgeleerten Schatze der ehemals so reich dotirten Stiftskirche St Maria
im Capitol erhalten. Dieses einzige noch restirende y^gestatorium^' im heutigen Köln
dürfte zu den einfachem gehört haben, wie sie ehemals die Metropole des Rheines
in grosser Anzahl besass; dasselbe bietet jedoch in seiner äussern Gestalt und
in seiner technischen Ausführung alle nöthigen Anhaltspunkte, um Charakter und
Form der reichem, ehemaligen „aUaria viatica'^ beurtheilen zu können, die gegen-
wärtig sämmüich aus Köln verschwunden sind. Auf einem Sockel mit ansteigender
Abschrägung, dessen Flachtheile theilweise mit eingeschmelzten Omamenten, theil-
weise mit getriebenem Pflanzenwerk umkleidet sind, erheben sich die vier Flach-
seiten dieses tragbaren Altares, die die innere Höhlung von der Form eines Becht-
eekes in Eichenholz zur Aufnahme der Reliquien umkleiden. Auf der einen
Langfiäche, die eine Ausdehnung von 26 V2 Centimeter hat, bei einer grössten
Höhe von 8V2 Centimeter, erblickt man, durch vergoldete, glatte Säulchen getrennt,
die figürlichen Darstellungen von sechs Aposteln, deren Namen durch Inschriften
auf Spruehrollen zu ersehen sind. Diese Apostel umgeben stehend den Heiland,
der als Richter, auf dem Regenbogen sitzend, dargestellt ist; wie gewöhnlich seg-
net die Rechte dieser .fmajestas domim" in lateinischer Weise; die Linke trägt
das geschlossene »liber vitae." Die andere Seite ist ebenfalls durch glatte Säul-
chen in sieben Felder von der Form eines Rechteckes, mit hell- und dunkel-
blauem Email abgetrennt Auf dem mittlem breiten Felde erblickt man thro-
nend auf einem „scamnale'' die Himmelskönigin, die mit der Linken den göttlichen
Knaben hält und in der Rechten das mit der Lilie gekrönte Scepter trägt. Zu
beiden Seiten der Madonna gewahrt man die Standbilder der sechs übrigen
Apostel, kenntlich durch die Spruchrollen mit den bezüglichen Namen. Gleich-
wie die Langseiten dieses tragbaren Altares durch Bilderschnmck belebt sind, so
entbehren auch die nur 15 Centimeter langen Kopfseiten des Fi^^urenschmuckes
4 ST. MARIA IM CAPITOL.
nicht. Im Gegensätze zu den Trägern des neuen Bundes sind hier die Repräsen-
tanten des alten Bundes in sechs Figuren dargestellt. Auf der einen Seite erblickt
man, durch glatte, vergoldete Säulchen getrennt, den König David und zur Seite
die Propheten Jeremias und Isaias. Diesen Figuren gegenüber befinden sich an
dem andern Kopftheile, in gleicher Technik, der König Salomon, umgeben von den
Propheten Habacuc und Jonas. Nur allein die quadratischen Flächen, auf welchen
diese kleinen Standbilder angebracht sind, sind in ihrer Ganzheit mit einem un-
durchsichtigen, matten Schmelz in hell und dunkelblauen Farbtönen ausgefällt Auf
diesen emaillirten Gründen zeichnen sich in Gold die ebengedachten zwanzig
Figuren aus, deren Contouren stark vertieft ausgestochen und mit einem braun-
röthlichen Email, gleichsam als Niell, markirt sind. Man muss es diesen Dar-
stellungen lassen, dass sie mit einem grossen Ernste und fast rigoroser Stylstreng-
heit von einem Emailleur der Kölner Schule ausgeführt worden sind, der es ver-
stand, den historisch überlieferten Typus von Byzanz beizubehalten, ohne jedoch
als selbstständiger Künstler seine eigene individuelle Anschauung zum Opfer zu
bringen. Was diesen Figuren femer noch zum Vorzuge gereicht, ist der Umstand,
dass sie schlicht und recht von einem Kunsthandwerker componirt und ausgeflihrt
worden sind, der seine Bildwerke als Ornamente, ohne alle Prätensionen, kräftig
hingestellt hat.
Auf dem eben beschriebenen viereckig länglichen Kästchen befindet sich
als Deckel und Schliesse eine geradlinige Platte, die nach unten hin dieselben
Abschrägungen und Verzierungen hat, wie die untere Abschlussplatte, worauf sich
das ebenbeschriebene rechteckige „receptaciilutn^^ erhebt
Der grösste Beichthum der figuralen und omamentalen Darstellungen ent-
faltet sich auf der obern Fläche des Deckverschlusses (vergl. 94*). Man erblickt
nämlich von vielfarbigem Schmelz umschlossen, in starker Feuervergoldung,
an den vier Ecken die symbolischen Thierbilder der vier Evangelisten mit den
betreffenden Namen auf kleinem Spruchbändern. In derselben Breite mit die-
sen Thiersymbolen setzen sich, als Rand an den vier Seiten, zierliche Orna-
mente in vielfarbigem Email fort. Diese Laubomamente geben sich als ,^emaux
ckampleves" zu erkennen, die als Füllungs-Email die ausgetieften Flächen dieser
Pflanzenoraamente einnehmen und von einem vergoldeten Fond umgeben sind, im
Gegensatz zu den figürlichen emaillirten Darstellungen, die die vier aufstehen-
den Flächen des tragbaren Altars vielfarbig verzieren. Sämmtliche Omamen-
tationen umgeben als Randeinfassung einen kleinen, rechteckigen Serpentin in
einer Länge von 12^2 Centimeter und einer Breite von 7 Centimeter 7 Millimeter.
Den Serpentinstein, mit dunkel- und hellgrünen Marmorirungen, als consecrirten
Altarstein, umschliessen zu beiden Seiten die zwei Prototypen des Opfers im alten
Bunde für das unblutige Opfer des neuen Bundes; rechts Abel mit seiner Opfer-
gabe und links der König von Salem, Melchisedech. Sowohl unmittelbar um die-
sen Serpentinstein, als auch um das Aeussere der obera Umrandung sind auf
Goldgrund schmale Spmchstreifen herumgeführt, die in romanischer Uncialschrift,
in dunkelblauem Email, folgende schöne Sentenz enthalten:
ST. IKAHIA IM CAFTTOL. 5
„Quidqutd in altari ptmctatur spirituali,
Illud in altari completur materiali.
Ära crucis, tumuli calixy lapidisque patena,
Sindonis officium Candida bissus habet**
Gleichwie der vorhergegangenen Beschreibung zufolge die obere Fläche
dieses Portativaltares mit reichen figürlichen und omamentalen Schmelzwerken
geschmückt ist, so hat man es auch nicht unterlassen , die untere Fläche dieses
Beliquiariums durch ein eigenthümliches Email zu heben und zu decoriren; man
erblickt nämlich hier, von vielen Quadraturen eingefasst, ein Laubornament in
Form eines Kreuzes, das in allen Quadraten gleichmässig als retoumirendes
Dessin zurückkehrt. Französische Archäologen haben in neuester Zeit dieses
bräunliche Email mit goldenen Ornamenten „email brun, imail peint* genannt.
Dieses Email, im einfachen bräunlichen Ton gehalten, ist jedoch wohl zu unter-
scheiden von jenem Schmelz, wie es von den Emailarbeitem zu Limoges seit dem
XVI. Jahrhundert unter dem Namen „email peinf* angefertigt zu werden pflegte.
Um diese untere emaillirte Deckplatte, gleichsam ein bräunlicher Emailfimis, waren
ehemals, als Ständer zu diesem Altärchen, an den vier Ecken kleinere ciselirte
und vergoldete Fussstticke in Form von Löwentatzen oder von kriechenden Sala-
mandern angebracht. Leider fehlen dieselben heute an dem durch die Un-
bilden der Zeiten vielfach beschädigten „altare viaticum."' Da sich die ver-
tieften Stellen erkennen lassen, worin diese vier Pedalstücke ehemals befestigt
waren, so haben wir nicht unterlassen wollen, auf unserer Zeichnung diese Fuss-
Btücke, nach älteren Analogien, anzudeuten. Sowohl die entwickelte Ausbildung
und Belebung der Figuren, die technische Behandlung der vielen verschiedenfarbig
incrustirten Schmelze als auch der Charakter und die Gestaltung der spätroma-
nischen Inschriften legen beredtes Zeugniss dafür ab, dass das in Rede stehende
tragbare Altärchen von einem Mitgliede der Confratemität der Kölnischen Gold-
schmiede gegen den Schluss oder im dritten Viertel des XII. Jahrhunderts angefertigt
worden ist. Obgleich Köln von den vielen Gestatorien seiner ehemaligen reichen
Stifts- und Abtei -Kirchen nur noch den ebenbeschriebenen als alleinigen Re-
präsentanten der vielen verschwundenen aufzuweisen hat, so finden sich doch
in der Erzdiöcese Köln noch einige äusserst reiche und gut erhaltene Exemplare
vor, die zum Belege dienen, mit welcher artistischen Sorgfalt man jenen Reliquien-
behälter im Mittelalter auszustatten pflegte, der, mit einem consecrirten kleinen
Steine auf seiner Oberfläche bedeckt, vornehmlich auf Reisen dazu benutzt zu werden
pflegte, um auf demselben das h. Messopfer „ubique locorum" begehen zu können.
Das bei weitem reichste „altare portatile" in ähnlicher omamentaler Aus-
stattung, wie das ebenbesehriebene, besitzt zur Zeit noch, als letzte Erinnerung an
verschwundene Kunstwerke, die ehemalige Benedictiner- Abteikirche des h. Vitus
zu M. Gladbach. Zwei andere, ebenso kunstreich in Email gearbeitete bewegliche
Altärchen finden sich in dem noch jetzt reichhaltigen Schatze der Pfarrkirche zu
Siegburg vor, welche aus dem Reliquienschatze der Stiftung des h. Anno, der
Abtei gleichen Namens, herrühren.
ST. MARIA m CAPITOL.
95.
Bekleidung eines Tr&gers,
in geschmiedetem Eisen, zur beweglichen Aufhängung des Handtuches.
XV. Jahrhundert.
Üröftste Länge 4t Centimeter , Breite 10 Centimeter, Höhe 24 Centtmeter.
In der am Schlüsse des XV. Jahrhunderts zur nördlichen Seite des Chores
von Maria im Capitol angebauten Nebenkapelle, die dem frommen Sinne eines Köl-
nischen Patriciers ihre Entstehung zu verdanken hat, befindet sich heute noch ein
merkwürdiges Taufbecken in massivem Kupferguss, das bereits fllr den vollen
Eintritt der Renaissance innerhalb der Mauern Eöhis Zeugniss ablegt Das-
selbe ist der Jahreszahl zufolge 1594 vom Meister Weckrath gegossen worden.
In stylistischer Beziehung jedoch sind in derselben Kapelle zwei Utensilien
von grösserem Interesse, nämlich die Thttre eines Sacrariums an der Epistel-
seite des Altares und ausserdem noch ein selten vorkommendes Beispiel eines
reich in Schmiedeeisen verzierten Expositoriums zur Aufnahme einer beweg-
lichen Rolle im Innern, an welcher ehemals das Handtuch (tualia, altdeutsch
twele, Zwehle) zur Abwaschung der Hände aufgehängt zu werden pflegte. Diese
beiden Kunstobjecte, insbesondere aber das letztgenannte, sind gewiss das
Zierlichste und Kunstreichste, was die Kunstfertigkeit der Schmiede und
Schlosser im Bereiche der Eisenschmiederei zu Ausgang des Mittelalters in
Köln hervorgebracht hat. Die reichen eisernen Beschläge und Verzierungen
an der ebengedachten kleinen Thüre in Eichenholz sind bereits anderswo ab-
gebildet und beschrieben worden. Auch hat der hiesige Modelleur C. Leers die
schönen Eisenbeschläge der vorliegenden Thüre abgefonut und sind bei dem-
selben, auf schriftliche Bestellungen hin, Abgüsse davon, sowie überhaupt viele
Kunstwerke, die in diesem Werke beschrieben und abgebildet sind, käuflich
zu beziehen. So weit uns bekannt geworden , ist jedoch von dem in Abbildung
unter Nr. 95 veranschaulichten Träger des Manutergiums keine Erwähnung ge-
schehen. Dieser Träger, der nach zwei Seiten hin vermittelst eiserner Klammem
in die Mauerfläche eingelassen ist, bildet eine viereckige längliche Kammbekrönung
von geschmiedetem Eisen, welche die Bestimmung hat, jenen bewegUchen Rund-
stab von Eichenholz, der im Innern eingelassen ist, zu verdecken, um welchen ehe-
mals ein langes zusammengenähtes Handtuch befestigt hing. Die Laubomamente,
die in dieser zierlichen Bekleidung, in durchbrochener Arbeit, ersichtlich sind, fin-
det man in ähnlicher Formation an stylverwandten Kunstgegenständen aus der-
selben Epoche häufiger vor. Um den Schwung dieser omamentalen Blät-
ter noch zu heben, hat der Kunstschmied es nicht unterlassen, dieselben
durch Treibung von Innen nach Aussen zu erhöhen und die Monotonie die-
ser Verzierungen durch kräftige Gravuren zu beleben. Jetzt ist leider dieser
ST. MARIA ni CAPirOL.
„Zwelilenträger" mit einer unschönen, bedeckenden Oelfarbe überstrichen, wo-
durch seine feinen Einzelheiten vollständig unsichtbar gemacht werden. Derselbe
scheint ehemals an verschiedenen Theilen versilbert gewesen zu sein; auch waren
sämmtliche Durchbrechungen an den drei Seiten dieses eisernen Trägers ehemals
mit einem starken blauen Papiere, wie dies noch einige schwache Ueberreste zei-
gen, hinterlegt. In verschiedenen Sacristeien des Niederrheines haben wir noch
mehrere solcher verzierten Träger von Manutergien vorgefunden. Die meisten
sind in Holz angefertigt und gehören der spätem Benaissance an. Nur in der
Sacristei des Domes von Xanten findet sich, jedoch in Eichenholz geschnitzt, noch
ein ähnlicher Zwehlenträger vor, welcher derselben Kunstepoche, dem Schlüsse
des XV. Jahrhunderts, wie auch der vorliegende, angehört.
96.
Fignrale Stabstickereien,
von einem Messornat herrührend. XV. Jahrhundert.
Länge tt Decimeter, Breite 23 Centimeter.
Als feststehend kann angenommen werden, dass in den Sacristeien jener
Stiftskirchen, die ehemals einem weiblichen Orden zustanden, sich die kostbarsten
Omatstickereien noch zahlreich bis zum vorigen Jahrhundert erhalten hatten,
und dass in der Regel in solchen Stiftskirchen die Zahl derselben grösser befun-
den wurde, als dies in Sacristeien von Pfarrkirchen der Fall war. Es war näm-
lich im Mittelalter die Kunststickerei vorzugsweise den geübten Händen in weiblichen
Orden und Communitäten anvertraut, deren fromme Bewohnerinnen, vom Geräusch
der Welt in den vier Mauern ihres Klosters zurückgezogen, mit grosser Ausdauer
und Hingabe zu Ehren des Höchsten die kunstreichsten Omatstickereien, sowohl fUr
den eigenen kirchlichen Bedarf als auch auf Bestellung hin, anzufertigen pflegten.
Erst als die Zünfte beim Anfange des Mittelalters das Kunsthandwerk für sich
förmlich monopolisirt hatten, fingen auch, gleich den andern Zunftmeistern, die
Vorsteher der Innimg der Bild- und Wappensticker an, eine unbefugte Controle
über jene Nadelarbeiten auszuüben, die käuflich, der Gewohnheit früherer Jahrhun-
derte gemäss, in weiblichen Klöstern für kirchliche Omatszwecke angefertigt wor-
den waren. Die Zunftmeister erinnerten sich nicht mehr daran, dass seit dem
Xni. Jahrhundert bis ins späte Mittelalter hinein die Frauenklöster es waren, die
die Kunstweberei und Stickerei für kirchliche Zwecke vorzugsweise in Pflege ge-
nommen hatten und dass durch Klosterfrauen die kirchliche Stickkunst auf ihre
8 ST. HARU IM CAPnX)L.
Höhe gefördert worden war. ♦} Als endlich im XVII. und vollends im XVIII. Jahr-
hundert die Coneurrenz der kunstreich gestickten Ornate %yeiblicher Orden mit
den überladenen Goldstickereien aufgehört hatte, die von profanen Stickem, Parar
mentenhändlern und Lyoner Grossisten als gesuchte Speculations-Waare auf den
Markt gebracht wurde, verschwanden die Reminiscenzen der altkirchlichen tradi-
tionellen Stickereien auf dem Gebiete der Paramentik vollständig und es begann
jetzt die profane, täglich wechselnde Mode mit überladenen Phantasieformen sich
in kirchlicher Oruatstickerei in breitester Weise geltend zu machen.
Die vorliegende Stickerei, wovon wir auf Blatt XXX einen Bruchtheil veran-
schaulicht haben, gehört noch vollständig jener schöneren Periode an, in welcher
die Zunft der Bild- und Wappensticker des alten Kölns, die Traditionen der altem
kirchlichen Ornat- und Paramentstickerei festhaltend, mit den Leistungen religiöser
Orden zu wetteifern suchte. Wir nehmen keinen Anstand zu behaupten, dass die
in Rede stehenden Stickereien als Meisterwerke jener traditionellen Figurenstickerei
zu betrachten sind, die gegen Schluss des Mittelalters aus der Zunft der Kölni-
schen Wappensticker in l^Ienge hervorgingen und die in ihren Leistungen sich an
die Arbeiten der befreundeten Maler anzulehnen pflegten. Von den vielen kunst-
reichen Figurenstickereien an den Aurifrisien liturgischer Gewänder, an welchen,
einer glaubwürdigen Tradition zu Folge, die Schatzkammer des reichen Damenstiftes
von Maria im Capitol noch bis zur französischen Revolution einen so grossen
Ueberfluss hatte, finden sich heute nur noch die beiden Stäbe vor, zu deren
Beschreibung wir eben übergehen wollen. Leider hat eine bedauemswerthe In-
teresselosigkeit vor mehrem Jahren keinen Anstand genommen, die in Rede stehen-
den gestickten Bildwerke mit der Scheere gewaltsam so zu modificiren, dass aus
Resten durchschnittener Bildstickereien mit genauer Noth ein Kreuz in modemer
Form zu einem Messgewande formirt worden ist.
Ursprünglich scheinen diese Stäbe nicht als Besätze eines Messgewandes,
sondern als reich gestickte Auiifrisien zu den vordem Besatzstücken eines Pluviale
benutzt worden zu sein. Die erste Darstellimg in dem obem Stabe beginnt mit der
Verkündigung, darauf folgt die Geburt, und schliesst sich diesen Mittelstücken die
Anbetung der drei Weisen an. Unter dieser letzten Darstellung befindet sich
jetzt noch als Fortsetzung ein Baldachin. Die reich in Gold gestickte Scenerie,
die zweifelsohne die Beschneidung des Heilandes vorstellt, ist von einer unbarm-
herzigen Scheere vor bereits längerer Zeit ohne Schonung fortgeschnitten worden,
als man diesen Stab eines Pluviale zu dem heutigen Stabe eines Messgewandes
zu verkürzen kein Bedenken tmg.
Was die hohe Vollendung sowohl der Composition als der technischen Aus-
führung betrifTt, so muss gesagt werden, dass mit diesen reichen Figurenstickereien
höchstens noch die gestickten Stäbe einzelner mittelalterlicher Messgewänder in
*) Um Gesagtes nicht zu wiederholen, verweisen wir yorttbergehend anf die 11. Lief, unseres
Werkes: „Geschichte der liturgischen Gewänder im Mittelalter", wo wir weitläufiger über das Aus-
gehen der kirchlichen Stickkunst von weiblichen S^östem im Mittelalter gehandelt haben.
ST MARIA IM CAPITOL. 9
St. Columba einen Vergleich eingehen können. Um den Reichthum und den Glanz
der vorliegenden gestickten Bildwerke, die sich gegenwärtig in sehr traurigem
Zustande befinden, zu kennzeichnen, bemerken wir hier vorübergehend, dass sämmt-
liche figurenreiche Scenen in der Weise der „oeuvres tTArras** über doppelt neben
einander gefügten Goldfäden in Plattstich gestickt sind.*)
Sieht man sich nach verwandten Parallelen zu der in Rede stehenden
Bildstiekerci am Rheine um, so dürften die reich gestickten Stäbe eines pracht-
vollen Messgewandes der Pfarrkirche zu Erkelenz und zu Euskirchen, sowie
einige üeberreste älterer Stickerei im erzbischöflichen Museum zu Köln, die
grösste Verwandtschaft haben. Die hier besprochenen Bildwerke sind, wie auch
die eben angeführten Bildstickereien, ohne Zweifel von äusserst geschickten Bild-
stickern Kölns gegen Ausgang des XV. Jahrhunderts angefertigt worden. Dafür
legen Zeugniss ab die für die altkökiische Malerschule durchaus charakteristische
Auffassupg und Durchführung der schönen Composition, desgleichen auch die eigen-
thümliche Anlage und Construction der in Gold gestickten Baldachine, welche diese
Scenen überragen. In diesen drei Baldachinen erblickt man in je einem ein Rund-
medaillon, jedesmal ein Wappen einschliessend, als Geschlechtszeichen von Patri-
cierfamilien, die in der Nähe von Maria im Capitol wohnhaft waren und wahrschein-
lich in letztgedachter Kirche ihre Familiengrabstätte besassen. Das eine Wappen
an dem obem Stabe, nämlich : drei Raben auf silbernem Felde, gehört der altköl-
nischen Familie „Walraven" an; das darauf folgende: zwei silberne Sprossen auf
schwarzem Felde, ist das Familienwappen der berühmten Kölnischen „Overstolzen",
und das dritte Wappen: drei rothe Judenhtite auf silbernem Felde, ist das Ge-
schlechtszeichen der Patricierfamilie „Jtidden."
Der Kirchenvorstand von Maria im Capitol beabsichtigt in nächster Zeit die
oben beschriebenen seltenen, in Plattstich gestickten Stäbe wieder herstellen und
dieselben zu einem neuen Messgewande verwenden zu lassen. Es wäre dringend
zu wünschen, dass von einer äusserst geschickten Hand, die mit dem Bilderstich
umzugehen wüsste und auf Restauration ähnlicher Arbeiten eingeübt wäre, mit
höchster Vorsicht diese kostbaren Nadelmalereien für kirchlichen Gebrauch stylgetreu
wieder hergestellt würden. Gewiss dürfte auch bei der Instandsetzung dieser
Casel die ältere faltenreiche Form des Messgewandes wieder zu wählen sein, des-
gleichen auch ein schwerer Seidendamast mit mittelalterlichen Musterungen, dessen
gedämpfter Farbton zu der alten Stickerei nicht zu grell abstäche.
*) Yergl. die nähere MittheUung über die „hauies lisses (TArras^^ in dem II. Bande unseres
Werkes „Geschichte der Uturgischen Gewänder des Mittelalters/'
10 ST. MARIA IM CAPrrOL.
Der ehemalige Schatz von Maria im CapitoL
Der alte Chronist Gelen, der in gedehnter Weitläufigkeit die Grösse und
den Vorrang der Schätze seiner Vaterstadt beschreibt, unterlässt es nicht, an der
Stelle, wo er in seinem Werke „i/e magmtudine Colomae'* die Kunstwerke und die
Beliquienschätze von St. Maria im Gapitol ausführlicher aufzählt, hinzuzufügen, dass
durch die Gebefreudigkeit und die Frömmigkeit der adligen Stiftsdamen besagter
Kirche sämmtliche Eeliquien in kostbaren und kunstreichen Behältern zu seiner
Zeit aufbewahrt gewesen seien. Derselbe fügt darauf hinzu, dass sich in ge-
nannter Kirche an Schätzen allein 26 kostbare in Gold und Silber kunstreich ge-
arbeitete Hierotheken mit Reliquien verschiedener Heiligen befanden. Unt^r an-
dern war daselbst in einem silbernen Brustbilde das Haupt des Apostels Judas
Thaddäus aufgehoben. Zwei andere Hierotheken hatten die Form von silbernen
Händen und enthielten die eine ein Gebein vom Apostel Bartholomäus und die
andere einen Armschenkel des h. Leonardus.*) In andern kunstvoll gearbeiteten
Reliquiarien befanden sich Theile vom heil. Kreuze, von den Nägeln, von der Lanze,
von der Donienkrone und von dem Schwämme. Alle diese Gefässe, mit ihrem
theuren Inhalte, die unser Berichterstatter aufzählt, und welche seit den Tagen
der Erbauerin von Maria im Capitol, der frommen Plectrudis, der Gemahlin Pipins
von Heristall, eine Zierde des alt berühmten Gotteshauses bildeten, sind der Geld-
gier der Revolution zum Opfer gefallen. Nur eine interessante stoffliche Reliquie,
die Gelen unter No. 28 als „Cingulum sanctae Elisabethae" anführet, dürfte sich bis
zur Stunde glücklich gerettet haben und befindet sich heute noch im Besitze des
Biographen der h. Elisabeth, des Grafen Montalembert. Als die Kirchenschätee von
Maria im Capitol der Zerstörung preisgegeben wurden, scheint dieser merkwürdige
und kunstreich gewirkte Gürtel in den Besitz einer angesehenen Kölnischen Fa-
milie gelangt zu sein. Später ging diese Reliquie durch Schenkung in den Privat-
besitz eines Kölnischen Pfarrers über, der dieselbe dem ebengedachten berühmten
französischen Gelehrten vor wenigen Jahren als Geschenk übersandte.**)
Sind wir gut imterrichtet, so befand sich ehemals noch in der Basilica von
Maria im Capitol ein gi-osser siebenarmiger Leuchter, der, in Messing gegossen,
in der reichen Omamentation des spätromanischen Styles gestaltet gewesen sein soll
Glücklicher Weise haben sich an dem nördlichen Eingang der Kirche von
Maria im Capitol zwei äusserst meAwürdige und seltene Thorflügel erhalten, die,
weil sie nicht von Metall waren, bei den Stürmen zu Anfang dieses Jahrhunderts
keine Beachtung gefunden haben. Dieselben sind als Hautrelief kräftig in
Eichenholz geschnitzt und veranschaulichen in vielen Quadraten Scenen aus dem
Leben des Heilandes. Besagte Thürflügel, die aus der entwickelten romanischen
Kunstepoche herrühren, dürften in den in Holz geschnitzten Thtiren des Fuy de
Dome in der Auvergne eine schwache Parallele inden.
*» Vergl. die Form dieser Brachialien unter No. 7 u. 8 Taf. II. I. Lief, dieses Werkes Seiteid-
*'*) Vergl. unsere nähere Beschreibimg dieses merkwürdigen „Cingnlum literatttm^^ in dem
III. Bande des „Kirchenschmuckes , ein Archir f\lr weibliche Handarbeit".
Jlu?t5* y«rab (tjm«i. &'• ©fni'g)
^t |acoB
Ohmalijgf j5li|taWrrb vm j5t (Smjg)*
Kunstwerke des Hittelaltera daselbst.
Seile
97) Vollständiger Ornat mit Bildwirkereien und Wappen in den Stäben, XV. Jahrhundert,
Taf. XXXI. Fig. 97 3
Ehemalige Schätze von St. Georg, nach Angabe älterer Inventare 7
»»
97.
Messornat
in weissem Damast mit figuralen in Gold gewirkten Stäben. XY. Jahrhundert.
Vorliegende Capelle, die bei den alten Schriftstellern auch die Benennung
omatus integer" führt, gehört unstreitig zu den merkwürdigsten liturgischen Ge-
wändern, welche sich aus dem Schlüsse des Mittelalters herrührend in den kölni-
schen Kirchen noch erhalten haben. Leider war bei dem Messgewande der primi-
tive alte Schnitt in seiner faltenreichen Ausdehnung, wie es scheint, schon lange
Zeit einem modernen Zuschnitte gewichen, wodurch dasselbe in den golddurch-
wirkten Stäben an Länge bedeutend verkürzt, mid seine Breite hinsichtlich des
Grundstoffes der Art geschnitten worden war, dass noch unlängst dieses Messge-
wand aus zwei knapp zugeschnittenen Theilen bestand, und das so entstellte Ge-
wand kaum mehr seinen Ursprung von der ehemaligen, faltenreich den ganzen
Körper umgebenden ,tcasula campanula" errathen liess.
Der Grundstoff dieses Gewandes bestand ehemals aus einem dunkeln, des-
sinirten Blausammet mit einem Muster, wie dasselbe immer wieder in solchen figurir-
ten Sammetstoffen, so wie in den Seidendamasten des XV. Jahrhunderts zu erkennen
ist. Sämmtliche Muster in diesem Sammet waren von dem Weber mit einem
äusserst feinen Instrument eingeschnitten, so dass der Satinstoff stark hervortrat.
Für die geschichtliche Entwickelung der mittelalterlichen Weberei und Stickerei
bietet unstreitig das mit grosser Kunstfertigkeit in Gold gewirkte Kreuz ein grösseres
Interesse. Dasselbe steigt gabelförmig gegen die Schultern auf und zeigt auf dem
Vorder- und Bücktheile des Messgewandes ein Kreuz. Bis zur Mitte des XV. Jahr-
hunderts waren an den Messgewändern die Ejreuzstäbe (aurifrisia) besonders
an den Festtags -Ornaten meist in ähnlicher Weise gebildet, so dass auf diese
Doppelform des Kreuzes auch gedeutet werden können die Worte bei Thomas a
Kempis, Lib. IV, Cap. 5: ,yAnte se crucem in casula portat, ut Christi vestigin
diligenter inspiciat et post se cruce signatus est, ut adversa quaelibet ab aliis illata
clementer pro Deo toleret.'
tf
4 8T. JACOB.
Wie die ehemals blaue Gnmdfarbe des Gewandes anzeigte, war besagter Mesa-
omat bestimmt, um bei den kirchlichen Trauerzeiten gebraucht zu werden. Diese
f%te$ de dmdl fallen vornehmlich in die Fasten- und Adrentzeit; deswegen zeigen auch
die golddurchwirkten Stäbe des vorliegenden Messgewandes einzelne quadratisch
geordnete Scenerien aus der Leidensgeschichte des Heilandes. Auf dem Gabel-
kreuze, welches den hinteren Theil des Gewandes schmttckt, erblickt man in Gold
gestickt die Darstellung der Dreieinigkeit*), nämlich die Person des Vaters oben
in stylisirten Wolken, darunter von Strahlen umgeben das Symbol des heil.
Geistes, in Gestalt einer Taube, schwebend über der zweiten Person der Crott-
heit, dem Sohn, der als leidender Gottmensch am Kreuze dargestellt ist Den
Heiland umgibt, wie gewöhnlich, die Passionsgruppe Johannes und Maria. Von
diesem Theile des mittleren Stabes ausgehend verzweigen sich ttber die Schultern
ansteigend die beiden Ereuzbalken, die auf der hinteren Seite zwei Medaillons
erkennen lassen von je einer Engelsfigur, mit der Albe bekleidet, gehalten, welche
die Verurtheilung des Heilandes vor Pilatus und gegenttberstehend die Krönung
desselben zur Darstellung bringen. Unter der Hauptdarstellung ist Christus am
Kreuze abgebildet; auf dem mittleren Balken folgen dann noch weiter nach unten
hin zwei quadratische Einfassungen, ebenfalls von Engeln als Schildträgem gehalten,
die Abnahme Christi vom Kreuze und die Grablegung desselben. Zwischen
diesen beiden Passions - Scenen erblickt man in Gold eingewirkt in gothischen
Minuskelschriften in blauer Seide den Namen ^ykeyrich pennyck*'. Wir sind nach
Analogien, die wir an andern Messgewändem angetroffen haben, versucht anzu-
nehmen, dass in diesen Worten nicht der Name desjenigen zu erkennen ist, der
als Wappenwirker dieses Kunstwerk angefertigt hat, sondern der Name jenes kölni-
schen Bürgers, der diesen Ornat als Geschenk hat zur Ausführung bringen lassen. Auf
dem vorderen Balken ersieht man in der Mitte weiter in ähnlichen quadratischen
Medaillons Christus am Oelberge und seine schlafenden Jtlnger; zu beiden Seiten
die Geissei ung und das y^Ecce homo**; femer dann den Yerrath des Heilandes durch
den Kuss des Judas, und als unterste und letzte Darstellung den Heiland vor
dem Hohenpriester, wie letzterer seine Kleider zerreisst. Sämmtliche figurale
Darstellungen sind in einfachen schlichten Contouren und mit Aufwand von weni-
gen Mitteln in den Goldgmnd vielfarbig eingewebt. Nur hat der Bildsticker die
meisten Umrisse der Figuren mit einem dünnen Goldfaden eingefasst und die
Gesichtszüge in wenigen Linien eingestickt
Vorliegender figurirter Goldstab (orfroie) gehört jener interessanten Periode
der kölnischen Bildwirkerei an, in welcher die Innung der Wappenwirker sceneriite
Stäbe anzufertigen verstand, die erst durch die kunstverständige Hand der Bild-
sticker ihre höhere künstlerische Vollendung erhielten. Von ähnlichen Bildwirke-
reien, an denen die Weberei und die Stickerei sich gegenseitig ergänzen, sind
*) Es ist das eine im Mittelalter bei Webereien and Stickereien immer wiederkehrende Dar^
stellang, wodurch auch der Satz des Sjrmbolums Teranschaulicht wird, nämlich das „procedit ab
ufroque".
BT. JACOB. 5
noch jetzt in den Kirchen Kölns und der Erzdiöcese mehrere interessante lieber-
reste anzutreffen. So besitzt die Pfarrkirche zu St Alban ein, leider in jüngster
Zeit sehr modern wiederhergestelltes Messgewand , welches mit treffend ähnlichen
Groldstäben besetzt ist. Auch unsere eigene Sammlung an älteren liturgischen
Stickereien hat noch eine Menge von solchen figurirten Goldstäben au&uweisen.
Die, unserer Ansicht nach, reichste Bortenwirkerei in Gold mit vielen mehrfarbi-
gen scenerirten Darstellungen zeigt ein im Besitze des Grafen Salis-Soglio be-
findliches prachtroUes Messgewand, das äusserst gut erhalten und ebenfalls mit
einem gegen die Schultern ansteigenden Doppelkreuze geziert ist
Zu dem in Rede stehenden interessanten Messgewande von St Jacob ge-
hören auch zwei Levitenröcke , die, mit ähnlichen Goldstäben verziert, vielfarbige
Darstellungen zeigen. Diese Dalmatiken hatten sich in ihrer Form und ihrem
Schnitt noch ziemlich unverletzt und primitiv erhalten; nur glaubten wir anneh-
men zu dttrfen, dass eine modemisirende Scheere einige unbedeutende Modifi-
cationen daran vorgenommen hat. Die goldenen Seitenstäbe zeigen eine Breite
von 6 Centimeter 10 Millimeter. Die horizontalen Verbindungsstäbe auf der
Brust und dem Rücken haben eine Länge von 41 Centimeter bei einer Breite
von 14 Centimeter. Besagte Diakonen -Gewänder, welche sich in ihrer Form
und ihrer Grösse nicht unterscheiden, sind nach hinten verziert mit zwei
gedoppelt hängenden Quasten (fimbriae) von rother Seide, welche durch ein
vergoldetes Messingknöpfchen (pomellum) nach oben einen Abschluss erhalten.
Diese Quasten mit ihren Schnüren bilden an der Halsöflhung eine offenstehende
Schlinge , durch deren Eingriff in den gegenüberstehenden Knopf die Dalmatica
am Halse geschlossen werden konnte. Gleichwie in den Groldstäben der Casel in
scenerirten Darstellungen die Hauptmomente aus dem Leiden des Heilandes ein-
gewirkt sind, so findet dieselbe Darstellung vom Leiden Christi auch ihre Fort-
setzung in jenen Ornamenten, wie sie als Wappenschilder in den schmalen Gold-
stäben dieser Dalmatiken eingewebt sind. Die Kunst des Wappenwirkers hat
nämlich in diesen Goldstäbchen abwechselnd die Namen Jesus und Maria in
blauer Seide, in Minuskelschrift gehalten, horizontal eingewebt. Zwischen diesen
Namen folgen nach regelmässigen Zwischenräumen kleine Wappenschilder in sehr
einfacher Form nach unten in Spitzbogen ausmündend, die als umfassende Medaillons
jene einzelnen Werkzeuge und Geräthschaften, die bei dem Leiden des Heilandes
in näherer oder entfernterer Weise zur Anwendung gekommen sind, enthalten.
Dieser Passionswerkzeuge, von älteren Schriftstellern auch : ,^instrumenta Dommicae
passianis" genannt, befinden sich der Zahl nach 26 auf jeder Dalmatica. Die merk-
würdigsten derselben in diesen Wappenschildern sind ausser den bekannten oft vor-
kommenden unter andern der ungenähte Rock mit den Würfeln, womit die Kriegs-
knechte das Loos geworfen, das Gefäss mit dem Hysopstengel, die dreissig Silberlinge,
der Judaskuss, das Schweisstuch der Veronika, der Leidenskelch am Oelberge, die
Dornenkrone, die Geisselsäule, das GefUss (aquamamle), das Pilatus beim Hände-
waschen gebrauchte etc. Die verbindenden Mittelstücke auf der Brust und auf
dem Rücken zeigen jedesmal die drei Kniestücke von kölnischen Heiligen , unter
6 8T. JACOB.
welchen besonders kenntlich sind die Bilder einiger Apostel, der h. Diakonea
Laurentius und Vincentius, so wie des h. Georg etc. Diese Figuren sind
sämmtlich in den Hauptgewandparthieen durch die Kunst des Webers eingewirkti
nur sind einzelne untergeordnete Theile, als Hände, Haare etc., hineingestickt
Auch die Wappen mit ihren symbolischen Darstellungen sind durch die Weberei
erzielt, und nur einzehie Contouren in Gold und Seide beigestickt Die untere Oeff-
nung der Aermel an diesen „Lesröcken*' ist mit einer etwas schmäleren Goldborte
garnirt, in welcher ebenfalls Wappenschilder angebracht sind. Schon aus diesen
vielen Wappen, enthaltend Werkzeuge des Leidens Christi, lässt sich beweiaen,
dass diese Goldborten angefertigt worden sind von einer Innung, die in dem alten
Köln den Namen der Bild- und Wappenwirker oder Stieker führte. Diese Bild-
und Wappenwirker bewohnten jenen Strassentheil , der bis zum Schluss des vori-
gen Jahrhunderts den Namen führte „unter Wappensticker*' und der auf
der Hochstrasse die Häuserreihe von den Vierwinden bis zur Schildergasse aus-
füllte. Die Blttthezeit dieser Innung der Wappensticker scheint uns von den
ersten Decennien des XV. Jahrhunderts bis zu den ersten Decennien des XYI.
Jahrhunderts hinaufzureichen. Auffallend war es, dass die weiten, tief nach unten
reichenden Aermel nicht, wie bei den älteren Dalmatiken, unter dem Arme mit
einer Naht geschlossen waren, sondern hier eine Oefihung zeigten. Noch fügen wir
hinzu, dass die Aermel an der unteren Bandöflnung mit schmalen Kränzen von
Seide in rother, blauer, grüner Farbe abwechselnd besetzt waren. Nach Analogie
der altkölnischen Wappenwirkerei mit häufig eingewebter Jahreschiffire zu urtbei-
len, dürften auch die vorliegenden beiden Dalmatiken, welche hinsichtlich ihres
Schnittes für neu anzufertigende maassgebend sein könnten, gegen Mitte des
XV. Jahrhunderts in Köln angefertigt worden sein. Auch das Futterzeug (suh-
ductura, foederatura), ein grobes blaues Leinen, schienen uns primitiv aus dieser
Zeit herzustammen.
Wir haben im Vorstehenden die schöne Advents -Capelle in blauem ge-
schnittenen Sammet mit kunstreich gewirkten (xoldstäben beschrieben, als sie noch
im alten desolaten Zustande sich befand, wie das XVH. Jahrhundert sie rücksichts-
los zugeschnitten hatte. Da der UmstofT in Blausammet stellenweise sehr be-
schädigt war, so fasste der Kirchenvorstand von St Jacob kürzlich den lobens-
werthen Beschluss, die reiche Goldwirkerei der besagten Capelle auf einen in
gothischem Style gemusterten UmstoflF von einem schweren Crefelder Seidendamast
in einem gedämpften weisslichen Farbtone übertragen zu lassen, und hinsichtiich
des Schnittes jene faltenreiche Form wieder zu adoptiren, wodurch die liturgischen
Gewänder im Mittelalter so vortheilhaft sich auszeichneten. Wir haben auf
Tafel XXXI das vorhinbesprochene Messgewand von St. Jacob in seiner jetzigen
würdigeren Form zugleich mit der Musterung des neuen Umstoffes aus der Fabrik
von Friedrich Casaretto in Crefeld im Bilde veranschaulicht und bemerken noch
dazu, dass es den Bemühungen des Kirchenvorstandes gelungen ist, zu den gold-
ge^virkten Stäben des Messgewandes und der Dahnatiken ähnliche ältere Stäbe
aus derselben Fabrikations -Epoche nebst der gestickten Cappa eines Pluviale
8T, JACOB,
kftuflich zu erwerben. Durch diese Herstellung eines entsprechenden Pluviale ist
die seither unvoUständige CapeUe der besagten Pfarrkirche gegenwärtig ein
„omaius integer" geworden.
Ehemalige Schätze und Kleinodien
der früheren Stiftskirche von St. Georg (heutigen Pfarrkirche St. Jacob)
in Köln.
Fttr die Eenntniss der liturgischen Gefässe und Gewänder leisten die heute
noch vielfach vorfindlichen mittelalterlichen Schatzverzeichnisse die wesentlichsten
Dienste. An der Hand derselben lernt man nicht nur die ältere Terminologie fttr
die verschiedenen im Mittelalter gebräuchlichen liturgischen Geräthschaften und
Kleinodien kennen, sondern man findet darin auch über die Form, die artistische
und künstlerische Beschaffenheit dieser Gebrauchsgeräthschaften sehr erwünschte
Aufschlüsse.
Einer kirchlichen Vorschrift zufolge, die leider in neuester Zeit nach der
officiellen Plünderung der Kirchenschätze zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht
mehr befolgt worden ist, pflegten diese Inventare von Zeit zu Zeit revidirt oder
aufs Neue angefertigt zu werden. Insbesondere geschah das in bischöflichen und
Stiftskirchen , wenn ein neuer Bischof oder Propst seine Amtsverwaltung antrat,
und in Pfarrkirchen, wenn ein neuer Pfarrer eingeführt wurde.
Bei der Wichtigkeit und dem grossen Interesse, das solche Schatzverzeich-
nisse bieten, haben wir auf ausgedehnten Reisen in letzter Zeit es nicht versäumt,
eine grosse Zahl solcher mittelalterlicher ungedruckter Inventare in Abschrift zu
nehmen. Gelegentlich werden wir das Interessanteste aus diesen mittelalterlichen,
meistens in lateinischer Sprache verfassten Schatzverzeichnissen, die englischen, fran-
zösischen und italienischen Kirchen angehören, veröffentlichen. Leider haben wir noch
verhältnissmässig sehr wenige Schatzverzeichnisse der vielen kölnischen Stifts- und
Pfarrkirchen bis zur Stunde ausfindig machen können. Als Grund hierftlr mag
angegeben werden, dass die meisten Archive der kölnischen Kirchen in den
Stürmen zu Anfang des XIX. Jahrhunderts verschleudert worden sind. Einem
Umstand jedoch ist es zuzuschreiben, dass sich von der ehemaligen Stifts-
kirche St. Georg noch zwei merkwtlrdige ältere Inventare bis auf diesen Tag er-
halten haben.
Um nämlich solche Inventare vor dem Verkommen und der Zerstörung mög-
lichst zu sichern, pflegte man, bei der Seltenheit des Pergamentes und des Papieres,
im frühen Mittelalter dieselben auf die meistens leeren und unbeschriebenen
SchluBsseiten älterer kostbar gebundener Evangeliencodices einzuschreiben. So
haben auch gegen Schluss des XI. und später wieder im XIV. Jahrhundert ein-
8 8T. JACOB.
zelne Sacristanpriester als Schatzmeister der Stiftskirche von St Greoig die za
ihrer Zeit vorfindlichen Kirchenschätze ihres Stiftes mit sicherer Hand auf die
letzten Pergamentblätter zweier älterer Prachtcodices notirt. Das eine dieser
prachtToU geschriebenen und verzierten Evangelistarien, dessen kunstreichen Ein-
band wir auf Tafel XXXV der vorliegenden Lieferung bildlich veranschaulicht haben»
dürfte spätestens aus dem X. Jahrhundert herrühren.*) Von einer späteren Hand,
wie es scheint aus dem Schluss des XL oder dem Beginne des XH. Jahrhunderts,
rührt das Inventar der damaligen Schätze von St Georg her, das wir hier seinem
Wortlaute nach im Urtext folgen lassen mit wenigen Anmerkungen zur Erläute-
rung einzelner unbekannter Ausdrücke.
Haec sunt ornamenta ecclesiae sancti GeorgiL
Undecim cappae*), tria dorsalia^), IUI dalmaJticae% V suptäia*) cum Uli
fanonilnu^)^ XII pallia*), Uli vexilla'), X casulae, III calices cum totidem pate-
nis ex quibus unus est aureus (t)^ alter deauratus, et Ußstulae argenteae,*) Uma*)
argentea et II ereae. Candelabrum argenteum ^^) et ßstula alterius candelabrL II
thuribula **) argentea, XX albae cum totidem amictis ^^) et una absque amicto.
*) Vergl. die Befohreibuog dieses Codex unter Kr. 103 dieser Lieferung.
I) Bauch, Vesper- oder Chormantel, sonst auch ,;pluvial», eappa" genannt
t\ Wandteppiche sur Bekleidung der Chorsttthle an Festtagen, gegen welche die Stiftaherren
mit dem BUcken gewendet standen, daher der Name. Vgl. Durandus, Bationale, lib. I. oap. 3, K. 23.
3) LeTitenH)cke (altkOlnisch auch „LesrOcke"), Utuigisohe Bekleidung für die Diakonen.
4) Ministranten-Gewand fUr den Subdiakon, Ton ähnUcher Form wie die Dalmatica, nur länger
und weniger reich Teraiert; wird auch sp&ter sum Unterchied Ton der „tunica" des Diacons h&ufig
„iunieeii^* genannt
5) Eine lltere Beseiohnung fUr „manipuium** ; diese Beaeiohnang soU naoh Einigen altsäehsi-
sehen Ursprunges und mit dem Ausdrucke „Fahne^* identisch sein. Aus den bei Du Cange an-
geführten Stellen geht klar herror, dass das Wort in seiner allgemeinsten Bedeutung ein Stttck Tuch
Ton Leinen oder Seide bezeichnet
6) Altarbekleidungen, gestickte YorhJlnge, die man heute „aniependia^' nennt; im frtthen
Mittelalter hiessen dieselben „vesies oder vesHmenta äUaritf pallia aliark" und sind su unterscheiden
Ton den „vela aitarü, tetra vela", ron denen Anastasius Bibliotheoarius so oft spricht Es waren diese
letztgenannten „vela" jene Vorhänge, die den von Tier Säulen getragenen Ciborienaltar an den Secret-
theilen der h. Messe TerhttUten.
7) Yortragfahnen , die in älterer Form sehr selten geworden sind; im Sohatie des Domes zu
Halberstadt finden sich noch zwei merkwürdige griechische „vexüla^' des XIL Jahrhunderts Tor.
8) Solche silberne SaugrOhrohen zum Genüsse der h. Gommunion unter der Gestalt des Weines
finden sich in älteren Schatzverzeichnissen häufig angeführt; dieselben werden auch „ealami, eonna^
genannt Ln Schatze ron 8t Peter in Salzbuxg zeigt man heute noch ein solches althistorisches Geräth.
9) Jedenfalls sind unter dieser Bezeichnung „Uma**, da sie uniUittelbar nach den Kdohea
folgen, zu verstehen die Messkännchen, die in anderen luTentaren „amulae, ampuUae, poti, urceoU^
genannt werden ; nach Du Cange bedeutet „uma" Überhaupt ein Gefäss zur Aufnahme Ton Flüssigkeiten.
10) Ein silberner Leuchter und der Ständer, Bohre {fisiuia) eines andern Lichtträgers.
II) Die Bauohfässer führen in anderen älteren SchatsTeneiohnissen auch den Namen ^ythuri-
crmnia, ihymiamaieria".
12) Zu jeder Albe gehörte im Mittelalter ein entsprechendes amieiut (Schultertuch), indem dai
Schultertuch mit demselben gestickten Bande ,^Uiga, parura^^ und Ton der entsprechenden Farbe Ter-
ziert war, wie diese Stickerei auch an Tier Stellen der Alba mehr oder weniger reich angebracht wsr.
ST. JACOB. 9
XII siolae cum totidem fanonibus et una absque fanone, III manutergia, *^) Una
mappula^*), II cingula, II tuniae sericae, Duo ordines^^), III mmales, V missa--
les librit III Gradualia, II vela^^)y IUI iapetia") et IUI scamnalia/^) tria
vascula argentea.*^) Unum plenarium^) auro contextum^^) et I argento contextum
et tertium absque auro et argento ; et II cussinL ^) Unum lectionarium ^) et pars
alterius lectianarü, VII corporalia. '*) IUI cruces duae aureae ") et duae ereae.
13) Diese Handtücher waren mit einem gestickten Sanme verziert und fUr Festtagsgebrauch
reicher als die gewöhnlichen Handtücher der Sacristei, die hier nicht aufgeführt sind.
14) Es Ittsst sich heute nicht mehr genau feststellen, welches liturgische Gewand im Früh-
mittelalter mit der Beieichnung „mappula" benannt wurde. Einige halten die „mappula^* für identisch
mit y^manipulum'% Andere erachten es als ein besonderes Obergewand der Canonici ; das Letzte scheint
in der vorliegenden Bezeichnung der Fall zu sein und dürften als Oewandstücke eines Klerikers auch
die folgenden 11 „cingula^^ und die II „tunicae sericae^' zu betrachten sein, wenn nicht hier-
unter 2 seidene Alben, die auch im Mittelalter diese Bezeichnung führen, mit den entsprechenden
Cingula zu verstehen sind.
15) Unter „ordo" verstand man ein liturgisches Buch, heute auch noch genannt „Ordo
Rotnanut"y worin die Ceremonien der römischen Kirche bei verschiedenen kirchlichen Functionen
nfther verzeichnet standen. „Ordo" nannte man aber auch jenes Buch^ worin die Regeln des
h. Benedict und auch die der „viia eommunii" Air die Ganoniker aufgeschrieben waren.
16) „f^eia", Vorhänge zur Verzierung der Kirchen an Festtagen. Diese Bezeichnung steht zu*
weilen identisch mit den Ausdrücken „auleae, cortinaey pallia".
17) „Tapetia" nannte man im Mittelalter die Fussteppiche zur Bekleidung der Altarstufen und
des Chores an Festtagen; auch findet sich hierfür die Bezeichnung jfMtraguia".
18) „Scamnalia" Bezeichnung für die gestickten Ueberhange und Spreiten der Ghorstühle, der
Sitzbänke; auch die drei f^ediliae" für den Celebrans und die beiden Ministranten wurden bei feier-
lichen Hochmessen mit diesen ,jtcamnalia^' behangen.
19) Diese drei silbernen Qefksse dienten offenbar zur Aufnahme der geweihten Oele, des
oleum eatechumenorumj infirmomm und des chrisma. In andern Inventaren werden dieselben auch
wohl genannt „ampullae oder pyxidet^\
20) „Pfenarium" nannte man im Mittelalter jenen liturgischen Codex, in welchem vollständig
die Evangelien geschrieben waren, deren Lesung im Laufe des Kirchenjahrs bei Feier der h. Messe
vorgezeichnet war. Diese häufig mit goldenen und sUbemen Buchstaben auf purpurgcröthetem Perga-
ment geschriebenen Evangelien-Codices nannte man „plenaria aurea purpurea^'.
21) Der Einband dieser Pracht -Codices „vestis Kbrortim" war vom Goldschmied in der Regel
mit getriebenen Goldblechen „auro contextum" und mit Sculpturen in Elfenbein kunstvoll ausge-
stattet. Dieses mit Gold beschlagene „plenarium", wovon das Inventar spricht, ist aller Wahr-
scheinlichkeit nach jener reich bemalte Codex auf Perg^ament, der heute noch in der Sacristei von
Maria Lyskirchen aufbewahrt wird, und auf dessen letzten Pergamentseiten sich das vorliegende Schatz-
verzeichniss der Kleinodien der Stiftskirche St. Georg vorfindet. Vgl. Taf. XXXV, Nr. 103.
22) Dieser Ausdruck, identisch mit dem gallischen „Coussin", findet sich in frühmittelalterlichen
Inventaren immer gleichbedeutend mit „puivinaria" ; es waren das jene, mehr oder weniger reich ge-
stickten Kissen, auf welchen an Festtagen die „plenaria" und „müsalia" mit ihren reich verzierten
gold- und silberbeschlagenen Einbänden während der Messe gelegt wurden, wie das in einigen Kirchen
heute noch der Fall ist, anstatt der jetzt gebräuchlichen „pulpita" in Holz.
23) Wir lassen es dahin gestellt sein, ob unter „lectionarium" hier zu verstehen sei jener
Codex, der die Episteln enthielt, oder ein liturgisches Buch, in welchem die verschiedenen kirchlichen
„ieeüonet" geschrieben waren.
24) Diese Corporaltüoher waren im Mittelalter grösser und mit vielfarbigen Stickereien als
Randeinfassuug verziert.
25) Zwei silbervergoldete und zwei Kreuze in Messingguss (ereae) zählte der damalige Schatz ;
es ist nicht gesagt, ob dieselben als Altarkreuze mit einem Fusse versehen oder auf einer Stange
(canna) befindlich als Processions- und Vortragekreuze dienten. Unter den goldenen zählte zweifels-
2
10 ST. JACOB.
Duo ctngula^) I de pallio, aliud de serico, Una acerra^) deuurata cum corieari^\
argenteo, unum baccinum *') cum columba deargetitaia. Linteamen^) unum super
feretrum.
In demselben kostbaren Codex vom ehemaligen Stifte St. Georg, worin sieh
auch noch auf den letzten Pergamentblättem, ausser dem obigen merkwürdigen
Inventar, eine interessante „sertes episcoporum" des kölnischen Erzstiftes vorfindet,
hat sich, geschrieben von einer Hand des XIV. Jahrhunderts, unter anderen Eides-
formeln auch noch der Wortlaut eines »Juramentum** erhalten, den der neue
Schatzmeister feierlich ablegen musste, wenn er sein Amt antrat und wenn ihm
bei dieser Gelegenheit der „thesaurus** der Kirche übergeben wurde. Derselbe dürfte
hier, da das vorliegende Werk vorzugsweise über die ehemaligen und heute noch
vorfiudlichen ,,thesauri sacri^* der kölnischen Kirchen handelt, seinem Wortlaute
nach eine Stelle finden:
„Juramentum thesaurarn ecclesiae sancti Georgü: Ego ZI. thesaurarhu eccle-
siae sancti Georgü ab hac hora mantea ero ßdeKs patri et domino dommo
Archiepiscopo Colomensi et ecclesiae nieae sancti Georgü Coloniae. Libros^ oma^
menta, clenodia, res sanctuaria^ bona et Jura ecclesiae meae et ad meam ci^todiam
pertinentia et quae mihi assignata sunt et fuerbU ßdeliter et diligenter custodiens
conservabo. Et si aliqua deperdita extiterit ecclesiae meae recuperabo, —
„Hostias pro missarum celebrationibus ac Imninaria lampadum et candelarum
in dicta ecclesia et personis ac ojßciatis ejus debitis quantitate ac tempore secun-
dum antiquas observantias et consuetudines ac funes campanarum necessarias mini-
ohne jenes seltene altromanische Krem, dM heute noch in Maria Lyskirohen sogleich BÜt dem kost-
baren „plenarium" sich befindet, und einer mündlichen Tradition zu Folge bei Verschleuderung der
Kirchenschätze von St. Georg zu Anfang dieses Jahrhunderts Ton vorsorglicher Hand glücklicherweise
in die Sacristei der Pfarrkirche St Maria Lyskirchen übertragen vorden ist. Vgl. Taf. XXXVI,
Nr. 104.
26) AuiTaUcnd ist es, dass damals das Stift von St. Georg nur zwei Gürtel, „chigult^*, besäst;
der eine war aus Leinenstoff angefertigt (pailium), der andere von Seide (sencum),
27) Das Schiffchen zur Aufnahme des Weihrauchs wird in tüteren Inventaren ,/teerra'^ ge-
nannt; in den spätmittelaltcrlichen Schatzverzeichnissen führt dasselbe die Bezeichnung ^^tmeutt^K
28) Dieses Löffelchen zum Einlegen des Weihrauchs in das Rauehfass unterschied sich wesent-
lich von dem „cochlear calicis'*; das letztere kommt erst im späteren Mittelalter in Ckbrauch und
auch nicht in allen Kirchen.
29) yyßacctnum", ein vertiefter tellerf(>rmiger Behälter, Becken, Schüssel; von einer nicht viel
späteren Hand ist in fast gleichen SchriftzUgen beinotirt worden „ct/m toh$mba deargentatt^*. Durch
diesen Zusatz ist auch das „baccinum" näher erklärt Es befand sich demnach in St Georg ehemals ein
f^iipensorium" an drei Kettchen schwebend unter einem älteren Giborienaltar als Speisegefäas zur
Aufbewahrung der Eucharistie. Dieses „columbaHtim" als verschliessbares Gefte in Form einer
Taube war stehend befestigt auf einem tellerf<>rmigen Becken, „baccinum", in welches die oben ge-
dachten drei Kettchen zum Auf- und Niederlassen unter dem Baldachinaltar eingehängt wurden. Die
reichhaltige Sammlung des Fürsten Pierre Soltykoff in Paris besitzt noch zwei solcher gut erhaltenen
emaiUirten „columbaria" mit den dazu gehörigen „baccina".
30) Leintuch zur Bedeckung einer Tragbahre, „ferclrum".
ST. JACOB. 11
strabo, El omnia et sinffula quae ad officium meum pertinent ßdelüer gubeniaho
et Jaciam. Sic ?ne deus adjuvet et haec sancta dei evangeiia."
An diese Eidesformel, die Aufschlüsse darüber giebt, was für Leistungen
und Verpflichtungen im Mittelalter dem Schatzmeister oblagen, reiht sich auch
noch eine interessante Notiz an, von derselben Hand geschrieben, woraus zu er-
sehen ist, dass der Schatzmeister bei Antritt seiner, jedenfalls einträglichen Pfründe
den Ganonikern des Stiftes eine Oblation von drei Ohm Wein zu persolviren
hatte«, Die Stelle heisst dem Wortlaute nach wie folgt:
„Item sciendum si thesaurarius venerit ad thesauraria per mortem alterius
dabit capitulo tres amas vini, si vero per viam permutationis dabit duas amas
vini,"
Als Gegenstück zu dem im Vorstehenden mitgetheilten Verzeichnisse des
XI. Jahrhunderts, das einen Kirchenschatz aus der Gründungszeit des Ganoniker-
stiftes von St. Georg mittheilt, fanden wir in einem alten Pergamentcodex aus der
ehemaligen von Hüb'schen Sammlung im grossherzoglichen Museum zu Dannstadt
ein umfangreicheres Inventar der Schätze von St. Georg, das, sowohl seinem Inhalte
als der Schriflweise nach zu urtheilen, in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts
angefertigt worden ist. Wir verdanken die Gopirung dieses interessanten Schatz-
verzeichnisses der entgegenkommenden Freundlichkeit des Vorstandes der gross-
herzoglich Hessen -Darmstädtischen Bibliothek und lassen dasselbe seinem Wort-
laute nach hier mit HinzufUgung einzelner Erläuterungen folgen:
Reiiquiae et clenodia spectantes ad ecclesiam sancti Georgii Colo--
niae quas seu quae thesaurarius seu ejus commissarius habet
sub custodia sua.
In primis est ibi crux argentea . deaurata in qua inclusa est de ligno sanctae
crucis.
Item crux magna cuprea cum pede suo cum una parva ara argentea.
Item duae cruces^) argenteae deauratae cum diversis lapidibus pretiosis.
Item brachium *) argenteum cum reliquiis sti, Georgii patroni hujus ecclesiae,
cui appendet clippeus argenteus (cum) armis sti. Georgii.
Item imago parva st. Geo7*gii cum reliquiis ejusdem.
Item cultellus^) et gladius cum suo cingulo*) deargentati spectantes ad ima-
ginem st. Georgii.
\) Eins dieser vergoldeten Kreuze existirt heute noch in Maria Ljskirchon, das ehemals mit
gössen Crystallpasten an den 4 Balken verziert war. Vgl. die nähere Beschreibung und Abbildung
desselben auf Taf. XXXVI, Nr. 104, dieser Lieferung.
2) Dieses „brachium" mit den Reliquien des h. Georg war ein Reliquiarium ähnlich den merk-
würdigen Gefässen, die in der I. Lief, dieses Werkes auf Taf. ü, Nr. 7 u. 8, abgebildet worden sind.
3) Unter dieser Bezeichnung ist eine Waffe in der Grösse eines Dolches oder ein grössere
Messer tu verstehen. Zwei solcher reich verzierter Messer finden sich noch im Schatze zu Aachen.
4) unter „eingulum" wird hier verstanden der Behang des Schwertes, an andexcn SteUen auch
„haltheut^ genannt, vermittelst dessen das Schwert angebunden und getragen werden konnte.
12 ST. JACOB.
Item braehium argenteum cum reliquüs tii. Annanis.
Item, casula^) sancti Atmonis cum stolü et manipulis^) suis.
Item imago lignea'') stL Annonü deaurata cum reliquiis sL Annanis data per
daminum Franckanem cananicum hujus et pastarem sti* Jacabi ecciesiarum.
Item braehium argetUeum cum reliquiis sti. Cesarü,
Itetn reliquiae sti. Cesarii cum argenteis pedibus. •}
Item duae manstranciae argenteae de cristalla^) legatae per daminum Jahannem
Scatum hujus ecclesiae.
Item duae parvae manstranciae argenteae cum reliquiis.
Item duae parvae capsulae argenteae cum reliquiis.
Item adhuc una monstrancia^^) major argentea per dictum dominum Scotum
legata.
Item Caput ligneum deauratum in quo inclusum est capul sti. Theodori.
Item Capsula ^^) de ossibus elephantinis cum reliquiis.
Item unus scrmeus^^) ligneus depictus cum reliquiis.
Item quaedam tabula^*) cum diversis reliquiis in cujus media stat erucifijcus.
Item unus scrineus ligneus in quo reclusi sunt pannuH et corporalia super
quibus sanguis Christi ex negligentia quorundam sacerdotum de caUce est ejffitsus.
Item duo magni calices^*) cum eorum patenis.
5) Diese merkwürdig Casel des h. Anno, des besonderen Wohlthttters des St. Georg - Stiftes,
war in der franxÜBisclien ReTolution nicht geschont worden und gelangte, nachdem die reicheren
Goldstickereien gewaltsam davon losgetrennt nnd eingescbmoUen worden waren, in den Besitz eines
Kulner Bttigers. Nach dem kürzlich erfolgten Tode des letzten Besitzen brachten wir diese« merk-
würdige Gewand käuflich an uns. Diese seltene Casel zeigt noch ziemlich den mittelalterlichen Schnitt
und besteht aus einem prachtvoll gewirkten byzantinischen Seidenpurpur (purpur imperialts). Die
Textur dieser Casel zeigt keine Dessins und ist vollständig von derselben technischen Beschaffenheit
wie das Messgowand des h. Heribert zu Deutz, des h. Bemard zu Brauweiler und des h. Willigis su
St. Stephan in Mainz.
6) Dieses Manipel aus den Tagen des h. Anno ist ebenfalls frtthor von dem Besitzer der St.
Anno-Casel vexäusscrt und von dem königlichen Museum in Berlin angekauft worden.
7) Unter diesem Ausdxuck ist ein Brustbild in Eichenholz mit reicher Bemalung zu verstehen,
wie man solche illuminirte „eapiia pecloralia" als Eeliquiare in kölnischen Sacristeien nocti häofig
antrifft«
S) Wahrscheinlich das Brustbild des h. Caesarius, ruhend auf silbernen Fussgestellen in Fonn
von Greifenklauen oder kleineren Löwen.
9) Der mittlere Cylinder dieser silbernen SchaugefUsse bestand aus einem ausgehöhlten Bexg-
krystall.
10) „Monslranaae'* werden in diesem Inventar überhaupt alle SchaugefiUse zur Aufnahme von
Keliquien genannt, die in anderen Schatzverzeichnissen die Bezeichnung „otlensona, monstrantioia"
fuhren.
11 1 Solche Büchsen von Elfenbein finden sich heute noch in verschiedenen Kirchensch&tzen
häufig vor. Eine grosse Zahl derselben sahen wir im Schatze der St. Servatiuskirehe zu Mästricht,
12) Kleinere vergoldete und mit Heiligenfiguren bemalte Beliquienschreinchen in Holz waren
ehemals in kölnischen Kirohenschätzen häufig anzutreffen. YergL die reichbemalte Boliquienbüchse
von St. Gereon Taf. 1, Nr. 4, I. Lfg.
13) Solche reichverzierte Reliquientafeln haben sich heute in kölnischen Kirchen keine mehr
erhalten. Eine reiche „tabula reliquiarum'^ bewundert man in der Sacristei von St, Maximin in
Trier und dem St. Veits -Dom zu Frag.
14) Diese grossen Kelche rührten jedenfalls aus der romanischen Kunstepoche her und wurden
ST. JACOB. 13
Item tres alii calices cum earum patetus.
Item unus calia:, qui est in armario sub custodia campanarioruM.
Item pixis^^) argentea deaurata pro eucharistia deputata.
Item cclUx parvus argenteus cum pede ligneo quem dictus dominus Francko
legavit pro infirmis visendis. **)
Item una fibula *^) argentea cum capite sti. Annonis.
Item una fibula argentea cum crucifixo signata, ex donis guondam domini
Sandern de
Item quatuor fibulae cupreae.^*)
Item unum thuribulum argenteum.
Item una pelvis argentea.^^)
Item una fistula^) argentea pro concionibus^^) apta.
Item duae ampullae^) argenteae.
Item unum coclear^) argenteum.
Item dua plenaria deargentata cum eorum cussinis.
Item una dota^) argentea pro consecratione hostiarum per dominum Francko-
nem pastorem sti, Jacobi data et in summis Jestis utenda.
vielleicht ehemals alB ealiees ministerialei gebraucht. Dieeelben sind im Gegensatz su den späteren
gothischen Kelchen sehr umfangreich.
15) Ein schalenförmiges Gefäss in Form einer Eelchkuppe mit niedrigem Fuss fllr Aufbewahrung
der Eucharistie. Aus dem Vorkommen dieses kapselfbrmigen Gefllsses lässt sich mit Grund folgern,
dass im Beginne des XIY. Jahrhunderts ein eigenes Geftss als Monstranz (osiensorium) bei Anferti-
gung dieses Inrentars in kölnischen Kirchen noch nicht üblich war; auch im weiteren Verlaufe des
Torliegendcn Schatzverzeichnisses findet man keine Erwähnung einer Monstranz.
16) Nach dem Wortlaute des Inventars bediente man sich eines kleinen Kelches von Silber mit
einem Fusse von Holz, uro mit diesem Gefässe den Kranken die h. Communion zu reichen.
IT) Die Agraffen und Pcctoralschliessen , vermittelst welcher die Ghorkappe zusammen-
gehalten wurde, nennt das vorliegende Inventar „fibula". In anderen Schatzverzeichnissen führen die-
selben den Namen y,monil^'. Solche reich verzierte Agraffen im damaligen Schatze von St. Georg
lassen die Vermuthung zu, dass diese „fibulae^* als Reliquiare dienten und an silbernen Ketten bei
Processionen getragen wurden.
18) Diese kupfernen y^bula^' waren wahrscheinlich mit Emaillirung verziert und dienten nicht
selten auch als Schliessen beim Halsausschnitte des Messgewandes.
19) Es ist schwer zu bestimmen, welchem kirchlichen Zwecke diese silberne Schüssel diente.
Vielleicht dass eic bei der Handwaschnng eine Anwendung fand.
20) Auch noch eine Saugröhre fand sich damals im Schatze von St. Georg, wahrscheinlich aus
jenen Tagen hen-ührend, wo die h. Communion den Laien noch unter beiden Gestalten gereicht wurde,
vor; in dem vorher erwähnten älteren Schatzveizeichnisse sind zwei solcher Communionrohre auf-
geführt.
21) Wahrscheinlich hat der Abschreiber unrichtig statt ,^ro eommwnonibus", „pro coneio-
nibus" geschrieben.
22) Jene Gefässe, die in dem Inventar von St. Georg aus dem XI. Jahrhundert „umae^' ge-
nannt wurden, heissen in dem vorliegenden späteren Inventar „ampullae^K Die Messkännchen wer-
den in englischen und französischen Schatzverzeichnissen häufig auch „amuiae, poHf fiaiae^ ge-
nannt
23) Es lässt sich nicht bestimmen, ob dieser silberne Löffel kirchlich gebraucht wurde und
zur Austheilung des Weihrauches, was nicht wahrscheinlich ist, oder zum Beimischen einiger Tropfen
Wassers in den Wein beim Offertorium diente.
24) Wir müssen eingestehen, dass unter den vielen Copieen älterer Schatzverzeichnisse uns der
14 ST. JACOB.
Folio Ib.
Item duo panni contexti^) et sunt diverse facture.
Item uniis pannus viridis coloris de serico.^)
Item unum par ßalatmm ^) seu tassearum argentearum per quondam dominum
Henricum de Lt/nden hidc ecclesiae leyatarum.
Item ßbula anjentea deaurata cum arfnis quondam domini Henrici de Lange-
houe signata spectans ad cappam^) ipsius sericam blauei coioris de damasto una
cum casula et duabus vestibus tunicalibus^) sericis rubri coioris aureis filis intextis^\
cum armis suis et aliis suis pertinejiciis.
Folio 2 a.
Ilaec sunt omamenta sive indumenta ecclesiae beati Georgii:
Casula de sameto^^) blauii coioris. Item casula purpurea de purpura Ge-
nuetisi ^-) Item casula de balkino. "J Item casula de purpura quam decanus Gerardus
Ausdruck ^,dota" noch nicht begegnet ist. Nach der folgenden Erklärung scheint unter „dota^' ein
geräumiges kapself^irmiges GefUss verslanden zu werden zur Aufnahme und Ycrtheilung der zu conse-
crirenden Hostien, und wäre demnach „dota** gleichbedeutend mit unserem heutigen Ciborium anzusetzen.
25) £s ist nicht angegeben, wozu diese zwei gewebten seidenen Tücher liturgisch benatzt
wurden.
26) Dieser Seidenstoff Ton grUnex Farbe (viridis) scheint zur Bedeckung der Tragbahren be-
nutzt worden zu sein.
27) In alten Schatzverzeichnissen wurden die Messkännchen, „ampnNag'% manchmal jyPkialaf^^
manchmal auch jyfialae^* genannt. Die hier beschriebenen liturgischen GefUsse scheinen eine grosse
Bauchung und breite Oeffnung in Weise unserer heutigen Tassen gehabt zu haben.
26) Der Ohormantel, zuweilen auch Rauch- oder Vespermantel genannt, weil man ihn gewöhn-
lich bei dem Yesperalgottesdienste anzulegen pflegte, wo das Rauchfass häufiger gebraucht wird, ftihrt
dem vorliegenden Schatzverzeichnisse zu Folge die Bezeichnung „cappa*^ und ist von einem Theile
des Gewandes das Ganze benannt. Dieser Mantel war noch bis zum Beginn des XIII. Jahriiunderts
verschen mit einer Art Mtttze (eapuiium, eappa), die von den Cantores bei dem Frtthgottesdienste
im Wintx^r tlber den Kopf gezogen werden konnte. Aus diesem „capuliuntj cappa" bildete sich jener
Bchildit)rmige Ornat, deswegen auch clypeut genannt, der sich heute noch an dem Pluviale befindet.
29) Die Gewänder für Diakonen und Subdiakonen werden hier „vtstes tunieales" genannt; in
anderen Inventaren heissen sie „vctiet leviiarum, vesles diaconatus",
30) Auf den Stäben dieser Dalmatiken (auri/risiajf in Gold gewebt, scheinen die heraldischen
Abzeichen des Geschenkgebers gestickt gewesen zu sciu.
31) Die Et}'mologen sind darüber im Unklaren, ob jenes kostbare Seidengewebe des Mittel-
alters, das bei älteren Schriftstellern y^amitutn, sciamilo" etc. etc. genannt wurde, ein Fabrikat ist,
das wir heute vorzugsweise Sammet nennen und das der Franzose mit „velourt^* (veli*eifnn, vetauum)
bezeichnet. In spätmittelalterlichen Inventaren werden die sammeten Messgewänder durchweg ,;FIau-
weln-Caseln" genannt.
32) Da der Purpur seiner Farbennüancirung nach im Mittelalter eine Scala von dem dunkelsten
Violett bis zum Hochroth durchmachte, so dürfte es schwer halten, hier genauer zu fixiren, .welche
FarbennUan<;e der genuesische Purpur hatte. Nach älteren genuesischen Seidenstoffen unserer Sammlung
zu urtheilen, glauben wir annehmen zu dürfen, dass dieser Purpur fast den hochrothcn Ton des
yycocciis" hatte.
33) Baldokingcwebe nannte man das galfize Mittelalter hindurch einen schweren Damaststoff,
der mit eingewebten Golddessins gemustert war. Die meisten Bezeichnungen der Seidengewebe stammen
aus dem Orient, dem Stammlande der Seidenfabrikation, oder von den Mauren des südlichen Spaniens
und den saraccnischen Seidenfabrikanten Siciliens, also aus dem Arabischen. So ist auch der
Terminus „Baldach" arabischen Ursprungs und bezeichnet einen der vielen rlialcktisch verschiedenen
Kamen der Stadt Bagdad, und dürfte deswegen die adjectiviRche Bezeichnung ,.Baldekin'* uisprUnglich
ST. JACOB. 15
dedit. Item casula alba de serico. Item casula rufa cum cruce de samitlo. Item
casula ci*ocea cum dalmatica et subtUi **) croceo. Item casula de sameto rufo
cum dalmatica et subtili rufo. Item duae dalmat?cae albae de serico. Item unum
subtile de puf^urea , Joederata^) cum albo panno. Item tres cappae corales^') de
rubra sameto. Item duae casulae purpureae. Item cappa coralis de sameto blanco.
Item cappa cum ti/ntinabulis.^) Item cappa antiqua de balkino.
aus einem reichen, za Bagdad fabricirten Seidengewebe herzuleiten sein. Auf ähnliche Weise leitet
sich auch der heute noch bekannte Damast Ton der Stadt Damascus in Syrien her. Weil zu Vor-
hängen und Tiaghimmeln in der Regel der kostbare Baldachinstoff verwendet wurde, deshalb leiten
Einige unser deutsches Baldachin Ton diesem Gewebe her.
34) Bfit der rorstehenden Angabe wird eine safrangelbe Casel mit Dalmatica und Subtile nam-
haft genuusht Das Subtile war demnach das betreffende Gewand für den Subdiakon. Die drei Ge-
wandstücke zusammen werden meist mit dem Ausdruck „Capella^' benannt, zuweilen auch ^^ornalus
integer^*,
35) Dieses Subdiakonatsgewand von Purpurstoff war gefütteit (foederata) mit weissem Leintuch.
Das Fntterzeug liturgischer Gewänder wird in anderen Schatzverzeichnissen auch ,ytubductura" genannt
36) Die Rauch - oder Vespermäntel werden in dem vorliegenden . Schatzverzeichnisse nicht
schlechtweg „cappae^*, sondern y^cappae choraleg" genannt, woher auch die am Rheine übliche
Benennung „Ghorkappe'* herzuleiten sein dürfte.
37 1 In den mittelalterlichen Ornaten gehören leich gestickte Chorkappen von Sammet mit
▼ielen silbernen Schellchen „Uniinnabulae^* , an dem unteren Rande, anstatt der Franzen von Seide,
nicht zur Seltenheit. Der Schatz des Münsters zu Aachen hat noch drei solcher Chorkappen mit sU-
bemen Scheuchen aufzuweisen.
I
i
?lu9 ö'jojisnn.
^üiß ^!^fl(|«nn.
^f. Joßann.
Mittelalterliche Kunstwerke in der dasigen SaoristeL
Seite
98) Reliquienschrein der h. Antonina in Holz geschnitzt und vergoldet, XIV. Jahrhundert.
Taf. XXXIl. Fig. 98 3
99) Vollständiger Ornat mit figuralen goldgeivirklen Stäben, XV. Jahrhundert. Taf. XXXHI.
Fig. 99 . 6
100) Messkelch in Silber mit Vergoldung, XV. Jahrhundert. Taf. XXXIV. Fig. 100 . . 8
101) Oelgef^ss in vergoldetem Silber. XV. Jahrhundert. Taf. XXXIV. Fig. 101 . . 10
102) Ciborium in vergoldetem Silber. XV. Jahrhundert. Taf. XXXIV. Fig. 102 . . . 11
Ehemahge Kleinodien von St. Johann, nach einem Inventar von 1524 . . . . 13
98,
Reliquienschreio der h. Antonina.
Sculplur von Eichenholz mit reicher Vergoldung. XV. Jahrhundert.
Länge 168, Höhe 84, Breite 51 Centimeten.
Das Mittelalter liebte es zur Construction grösserer Reliquienschreine ent-
weder das Material des Silbers zu verwenden, oder dieselben von Kupfer mit
reicher Feuervergoldung und Emaillirungen anzufertigen. Im Spätmittelalter jedoch
wurde zur Anfertigung von umfangreichen Reliquiarien auch das Holz in einer
Weise künstlerisch bearbeitet, dass demselben die verwandten Formen von Kupfer
oder Silber gegeben wurden. Das Holz pflegte man auf diese Weise vermittelst
einer reichen Glanzvergoldung gleichsam zu idealisiren und zu dem Ansehen
und der Pracht des Metalls zu erheben. Auch der St Antonina-Schrein in St. Johann
ist als eine gelungene Imitation ähnlicher metallener Reliquiarien und zwar in
Eichenholz mit Glanzvergöldung zu betrachten. Was nun die Grundform des vor-
liegenden reich sculptirten Reliquienschreines betrifft, so sei hier im Allgemeinen
bemerkt , dass bei diesem Reliquienkasten die Grössenverhältnisse und die äussern
Formgebilde jener Schreine strenge beibehalten worden sind, die aus der romani-
schen Kunstepoche herrührend, sich in Köln noch zahlreich erhalten haben. *) Die
Detailformen des Antonina-Schreines sind streng constructiv gehalten in den Bil-
dungen, die sich in verwandter Art in der Frtthgothik am Rheine und besonders
in den Formen des Kölner Domes wiederfinden. Wie an allen altem „tumbae",
aus der romanischen Kunstepoche herrührend, erblickt man an den Langseiten des
in Rede stehenden Schreines die sitzenden Statuetten der zwölf Apostel, die imter
Spitzbogennischen thronend, eine grösste Höhe von durchschnittlich 29 Centimeter
zeigen. Die Bedachungsflächen des St. Antonina-Schreines sind auf jeder Seite,
ebenfalls entsprechend mit den quadratischen Abtheilungen der untern aufrecht-
stehenden Theile, in 6 Quadrate abgetheilt, innerhalb welcher sich Vierpassme-
daiUons befinden, welche jedesmal mit einem Statuettchen als Basrelief ausgefüllt
sind. Diese 12 verschiedenen Basreliefs in einer edlen Gomposition und zarten
Ausftihrung scheinen 12 Jungfrauen aus der Gresellschaft der h. Ursula zu reprä-
sentiren. Auf der Dachfirste des in Rede stehenden Schreinwerks erhebt sich als
Abschluss und Bekrönung eine durchbrochene Galerie mit Vierpassformen, die nach
*) Vergleiche die Abbildung und Beschreibung des in der Grundanlage ähnlich gestalteten Be-
Uquienfiohreines auf Tafel XXIV der 11. Lieferung No. 86 Seite 12 dieses Werkes.
4 8T. JOHANN.
obenhin mit einem offenen Kamme abschliesst. Die beiden Schmalseiten des ge-
dachten Kastens sind nischenförmig vertieft, und von einem verzierten Spitzbogen
von breiter Spannung überragt, ttber welchen ein kleiner Giebel sich erhebt, der
auf seinen Abschlusslinien schwungvoll gearbeitete Krabbenblätter und auf seiner
Spitze jedesmal eine doppelte Ejreuzblume als Abschluss und Ausmündung zeigt
In den ebengedachten vertieften Nischen, die auf beiden Seiten von über Eck ge-
stellten Widerlagspfeilem flankirt werden, erblickt man, als Basrelief gehalten,
auf der einen Seite das Standbildchen jener Heiligen, deren Gebeine in dem
Schreinwerke aufbewahrt werden. Dieses Standbild der h. Antonina, in einer Höhe von
45 Centimeter, veranschaulicht diese Heilige als eine der Führerinnen aus der Zahl
jener engländischen Jungfrauen, die der alten Tradition zu Folge unmittelbar vor den
Mauern Kölns im VI. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung durch die Hunnen das
Martyrium erlitten hatten. Gleichwie die h. Ursula selbst, ist auch ihre Genossm als
Führerin dargestellt, wie sie unter ihrem Mantel ihre Gespielinnen in schützen-
der Obhut vereinigt hält, gleichsam in dem Momente, in welchem sie, nach Er-
langung der Marter-Palme, als Verherrlichte der Seligkeit theilhafdg geworden ist
Leider ist durch Ungunst der Zeiten die Keliefdarstellung auf der entgegengesetzten
Kopfseite des Schreines verloren gegangen, desgleichen auch einige Apostelsta-
tuetten und mehrere Standbilder der obem Bedachung. Nach Analogien älterer
Schreine fand sich, jenem Kopftheile entgegenstehend, auf welchem in getriebener
Arbeit oder in Sculptur das Standbild jenes Heiligen thront, dessen irdische Ueber-
reste in dem Schreine selbst ehrfurchtsvoll beigesetzt waren, die immerwieder-
kehrende Darstellung der „majestas domini*'. Dieses Bild des Heilandes als Ver-
gelters, wiederkehrend am Ende der Tage, ist immer umgeben, entweder von den
ftirbittenden Heiligen: Maria und Johannes dem Täufer, oder aber, wie das noch
zuweilen vorkommt, von zwei allegorischen Figuren, die die vorzüglichsten Tugen-
den vorstellen, die in dem Leben des betreffenden Heiligen besonders hervor-
leuchteten. Auch andere Schreine sind uns zu Gresicht gekommen, die an dieser
Stelle das sitzende Bild der Madonna mit dem segnenden Christusknaben veran-
schaulichten.
Es erübrigt hier noch, einige Worte hinzuzufügen über den artistischen Werth
der vielen und trefflich geschnitzten Bildwerke, womit der vorliegende Schrein
nach allen Seiten hin verziert ist und hinsichtlich der Zeit, wann diese interessan-
ten und schönen Sculpturen ihre Entstehung gefunden haben. Sowohl die strengen
und ungebrochenen Linien und architektonische Gliederung des AntoninarSchreines
als auch die Stylisirung der Figuren und die charakteristische Behandlung der ge-
häuften Gewandparthien, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass das be-
sagte Reliquiar gegen Mitte des XIV. Jahrhunderts von einem hervorragenden
Bildhauer des alten Kölns angefertigt worden ist
Betrachtet man aufmerksamer die feststehenden Normen, die bei Gomposi-
tion der sitzenden Apostelstatuen sowohl als der kleinem Standbildchen in den
Füllungen der obem Bedachung geltend gewesen sind, so gelangt man zu der
Ueberzeugung, dass diese sämmtlichen Bildwerke von einem schlichten Meister
ST. JOHANN. 5
der kölnischen Bildschnitzer entworfen und ausgeführt worden sind, der als Kunst-
handwerker jenen herrschenden Typus sich durchaus zu eigen gemacht hatte, den
wir heute mit dem Ausdrucke „Styl" zu bezeichnen pflegen. Bei einem ziem-
lich richtigen Verständnisse für charakteristische Auffassung und technisch
schöne Wiedergabe der verschiedenen Individualitäten in den Köpfen der
Apostel findet man eine auffallende Gleichmässigkeit und Leichtigkeit, womit
der Bildhauer gleichsam spielend den herkömmlichen Faltenwurf der Gewänder
zierlich geordnet und technisch wiedergegeben hat. Mit Grund glauben wir hier
die Angabe hinzufügen zu können, dass sich heute unter den einzelnen in Köln
vorfindlichen Holzsculpturen wenige mehr aus der letzten Hälfte des XV. Jahrhunderts
herrührend erhalten haben, die mit den ebenbeschriebenen naiven Bildwerken einen
Vergleich aushalten könnten. Lange Zeit hindurch bis zur Mitte des XIV. Jahrh.
hatte der ebenbeschriebene St. Antonina-Schrein in reicher Glanzvergoldung einen
hervorragenden Platz auf der Predella des Hochaltars der hiesigen Pfarrkirche von
St. Johann eingenommen, da gefiel es der Neuerungssucht im XVH. Jahrhundert
an Statt des althistorischen Hochaltars einen neuen, unpassenden und stylwidrigen
Altarkoloss in den Formen des ausartenden Renaissancestyles aufzuthttrmen. Der
schöne Antonina-Schrein musste deswegen von seiner primitiven Ehrenstelle weichen,
und fand in den letzten Jahren in arger Beschädigung und Entstellung kaum noch
ein geduldetes Plätzchen unter dem obem Thurmgewölbe von St. Johann, während
die Reliquien in einen neuen Schrein im Rococcostyl deponirt wurden. Dem jetzigen
Pfarrer von St. Johann gebtthrt das Verdienst, in letzter Zeit das schöne Schrein-
werk von seiner unwürdigen Stelle entfernt und einem erfahrnen Künstler hiesiger
Stadt, dem Bildhauer Stephan, zur vollständigen Restauration in allen seinen feh-
lenden Theilen übergeben zu haben. Die seitherigen Leistungen des Meister
Stephan berechtigen zu der Annahme, dass die vielen fehlenden Bildwerke ganz
genau in dem alten Stylgepräge so wieder ergänzt werden, dass auch ein geübtes
Auge die neu wieder hinzugefügten Bildwerke von den alten, daneben befindlichen
Originalen nicht untei*scheiden könne.
Wie wir vernehmen, wird Mos provisorisch der bald wiederhergestellte
treffliche Schrein auf einem höchststylwidrigen Nebenaltar einstweilen nur so lange
wieder aufgestellt werden, bis in der gebefreudigen Gemeinde von St Johann
sich die Mittel werden gefunden haben, um den Hauptaltar wieder in seiner alten
ursprünglichen Form, mit Beseitigung des jetzigen unschönen Möbelstücks, so auf-
zustellen, dass der restaurirte Schrein der h. Antonina in stylgerechter Verbindung
mit dem neuen Hauptaltar seine ehemalige Stelle wieder einnehmen kann.
6 8T. JOHANN.
99,
Messgewand
nebst den dazugehörigen Diakonalgewändern mit goldgewirkten und
gestickten Stäben. XV. Jahrhundert.
In den verschiedenen Sacristeien Eöhis, dessgleichen in den Gewandschrän*
ken der Kirche der köhdschen Erzdiöcese, haben sich heute noch eine Menge
figural gestickter Aurifrisien zahh-eich erhalten, die für die Blüthe und Ausdehnung
der Bildstiekereicn von der Hand der alten Zunft der Wappensticker Kölns beredtes
Zeugniss ablegen. Schwerlich aber dürfte man in den Kirchen Kölns noeh einen
y,omatus integer'^ ausfindig machen, von einer so vortrefflichen Erhaltung und
solcher Schönheit der gestickten Bildwerke, wie das bei jener Capelle der Fall ist,
die im Nachfolgenden eine kurzgedrängte Beschreibung finden soU, und wovon vrir
auf Tafel XXXm. die bildliche Darstellung des dazu gehörenden Messgewandes
gegeben haben.
Vornehmlich beansprucht von Seiten der Alterthumswissenschaft ein her-
vorragendes Interesse jenes unvergleichlich schöne goldgewirkte Kreuz, das sich
auf der Rückseite des vorliegenden Messgewandes befindet. Nicht nur ist die
Composition und Anordnung desselben sehr originell und sinnreich, sondern die
Technik, die bei den Bildstickereien dieses Kreuzes zur Anwendung gekommen
ist, dürfte kaum von ähnlichen Nadelmalereien übertroffen werden, die aus dem
Mittelalter auf unsere Tage gekommen sind. Gleichwie die meisten Kreuzstabe aus
dem Schlüsse des XV. und dem Beginne des XVI. Jahrhunderts, die sich heute
noch zahlreich vorfinden, den Heiland am Kreuze in Bildstickerei veranschaulichen
mit der immer dabei befindlichen Paasionsgruppe Johannes und Maria, so hat der
Bildsticker sinnreich in dem in Rede stehenden Messgewande die Abnahme des
Heilandes vom Kreuze und die Niederlegung desselben auf den Schooss der Madonna
so an dem untern Kreuzbalken in feinstem Plattstich wiedergegeben, gleichsam schwe-
bend als Vision, dass am Fusse des Kreuzes die beiden Donatoren knieend auf blu-
migem Grund noch Platz finden konnten. Diese in zartester Nadelmalerei veranschau-
lichten Geschenkgeber gehörten einer reichen Patricierfamilie des alten Köln an, wie
das auch aus den eingewirkten Namen und den dabei befindlichen heraldischen Ab-
zeichen deutlich hervorgeht. Der knieende Donator im faltenreichen Bathsherren-
costüm — an der rechten Seite, der Ehrenseite des Kreuzes — ist der Patricier
Johann Steinkop, welcher im Jahre 1483 in den Urkunden der Pfarrkirche St
Johann als Kirchmeister verzeichnet ist. An der andern Seite des Kreuzes kniet
eine weibliche Figur, die Frau des ebengenannten, Sophia, in der damals üblichen
Matronentracht. Auf dem Mittelstücke der zu dieser Casel ursprünglich gehören-
den Dalmatiken findet sich die erklärende Inschrift: „Joti Steinkop, fygen sjtfn hugs-
fraw." Daneben befinden sich auch, wie auf der Casel, die von quadratischen Me-
ST. JOHANN. 7
daillons eingeÜEtösten Wappenschilde der ebengedachten Eheleute, wovon das eine auf
silbernem Grunde eine rothe Kanne zeigt und dem Manne angehört (Steinkop gleich-
bedeutend mit Steinkrug), das andere auf gleichem Grunde einen grttnen Baum trägt,
und auf den Familiennamen der Frau passt, die, wie die Urkunden ausweisen, von
Boichem (identisch mit Buche) hiess. lieber dem Wappenschilde, auf der Gasel des
Donators, ist auf Goldgrund folgender Spruch in gothischer Minuskelschrifk einge-
wirkt: „0 florens rosa, mater Domini.'* Die Madonna als „pietä** wttrde also
diesem Spruche zufolge als blühende Rose mystisch zu deuten sein. Um die beiden
Querarme dieses Kreuzes bildlich auszufüllen, hat der Wappensticker hier sinnig zwei
adorirende Engel, im feinsten Plattstich ausgeftlhrt, angebracht, die knieend wie ge-
wöhnlich als Ministranten das Rauchfass schwingen. Dieselben sind mit liturgischen
Gewändern, der Albe und dem Pluviale bekleidet. An dem obem Balken des
Kreuzes ist noch der „titulus crucis" ersichtlich. Wenngleich die Composition und
technische Ausführung der beiden, ausgezeichnet gestickten Engelsfiguren, desgleichen
auch die pietä alles Lob verdienen, sowohl hinsichtlich der schönen Composition als
auch des zierlich geordneten Faltenwurfs der Gewänder, so muss doch gesagt werden,
dass bei Weitem die knieenden Bilder der beiden Donatoren, in compositdrischer
wie in technischer Beziehung, als die gelungensten zu betrachten sind. Der Ge-
schenkgeber, anscheinend im kräftigen Greisenalter, kniet, angethan mit einem
schwarzen Rathsherrentalar, der im Innern mit braunem Pelz besetzt ist, am Fusse
des Kreuzes. Seine Frau ist bekleidet mit einem faltenreichen Matronenschleier, dem
im Mittelalter üblichen Kinntuche und einem entsprechenden Untergewande. Von
besonderer Vortrefflichkeit der Technik zeugen die Gesichtszüge dieser beiden
Geschenkgeber, die fast Portraitähnlichkeit zu haben scheinen. Wenn schon im
Xn. und Xm. Jahrhundert, wie das aus mehreren Stellen der Troubadours und
Minnesänger erhellt, vornehme Stickerinnen an Höfen und Schlössern in der Kunst
des Bilderstickens es dahin gebracht hatten , Gesichtszüge nach dem Leben mit
sprechender Aehnlichkeit in Plattstich auszufahren, dann konnte es zweifelsohne
den viel geübteren Bildstickem der kunsterfahrenen Zunft der Wappenwirker im alten
Köln sicherlich nicht schwer werden, bei hervorragenden Arbeiten die Züge der
Bestellgeber mit treffender Naturwahrheit wiederzugeben. Noch bemerken wir,
dass der vordere Stab des in Rede stehenden Messgewandes verziert ist mit den
drei Wappenschilden der Frau und der Verwandten der Seitenlinien. Dieselben
vier ebengedachten heraldischen Abzeichen kommen auch immer wiederkehrend
auf den goldgewirkten schmalen Stäbchen vor, die noch bis vor wenigen Jahren
den zu dem Messgewand gehörenden beiden Dalmatiken in Grünsammet zur Zierde
gereichten. Leider hat man es unbegreiflicher Weise vor nicht langer Zeit, wir
wissen nicht aus welchem zwingenden Grunde, unternommen, den prachtvollen alten
Genueser Grünsammet der beiden Dalmatiken zu zertheilen und eigenmächtig
daraus Kissen zurechtschneiden zu lassen. Durch eine glückliche Fügung haben
sich indessen noch bis zur Stunde die eben gedachten goldgewirkten Aurifrisien
dieser ehemaligen Dalmatiken unverletzt erhalten. Aehnlich wie das an den
schmalen Goldstäben der altem Gapelle von St. Jacob der Fall ist (vergl. die
8 BT. JOHANN.
Beschreibung und Abbildung derselben, Taf. XXXI. S. 3 ff. dieser Lief.), befinden
sich auch auf den vorliegenden Stäben als goldgewirkte Aurifrisien in Wappen-
schilden von spätgothischer Formation die verschiedenen ^^instrumenta dominicae
passionis'S als da siud u. A. der Leidenskelch vom Oelberge, die Geisselsäule,
die Nägel nebst Domenkrone, die Judashand mit den zweiunddreissig Silberlingen
u. B. w. Da in jüngster Zeit der stylverwandte, jedoch nicht so gut erhaltene
Ornat von St. Jacob, sowie eine ähnliche GapeUe in St. Martin und das frtther
beschriebene gleichzeitige Messgewand aus St Gäcilien, eine gründliche Wieder-
herstellung in der Hinzufügung von stylgerechten Umstoffen erfahren haben; so
steht mit Grund zu erwarten, dass in nicht zu femer Zeit sich ein Wohlthäter in
der Pfarre St. Johann in Köln finden werde, der das reiche Greschenk des alt-
kölnischen Patriciers in seiner heutigen Verunstaltung und Zerstückelung wieder zu
Ehren bringen wird, resp. der die Mittel bieten wird, damit von erfahrener Hand
die Bildstickerei mit Sorgfalt und Sachkenntniss wiederhergestellt werden könne. Dann
wäre auch der nöthige Grundstoff in weisslichem oder rothem Damast in jenem Falten-
reichthum wieder zu ergänzen, wie er ehemals dieser Capelle zur Auszeichnung ge-
reicht hat. Hinsichtlich der Zeit der Entstehung des in Rede stehenden Ornates sei
schliesslich noch hinzugefügt, dass, wie die Composition und künstliche Ausführung
der Bildstickereien, ebenso wie die charakteristisch eingewirkten Wappenschilder
es deutlich besagen, der vorliegende Messomat im letzten Viertel des XV. Jahrb.
von einem ausgezeichneten altkölnischen Meister der Bild- und Wappensticker-lnnung
ausgeführt worden ist. Gelegentlich noch die Bemerkung, dass in der ehe-
maligen reich dotirten Pfarrkirche von St. Johann nach einem altem Schatzveraeich-
niss vom Jahre 1506 eine grosse Zahl von reichen liturgischen Gefässen und Ge-
wändern sich vorfand, wovon heute ausser dem oben beschriebenen nur noch
drei Messgewänder mit mittelalterlicher Bildstickerei in den goldgestickten Stäben
übrig geblieben sind. Diese letztgenannten sind mit grosser Sorgfalt und Styl-
strenge von kunstgeübten Händen eines kölnischen Damen- Vereins treffhch wieder
hergestellt worden, die auch bei Anfertigung der Teppiche im Hochchor des hie-
sigen Doms, sowie der Wandtableaux daselbst thätig gewesen sind.
100.
IHesskelch
in den reicheren Formen der ausartenden Spätgotbik, in vergoldetem Silber.
XV. Jahrhundert.
Höhe 2lVa Centimeter, Durchmesser der Kappe It'/s Centimeter, und des Fasses 15 Centimeter.
Vorliegender Kelch dürfte als sprechender Beleg dienen, in welchen gewagten
und originellen Formen die Gothik unmittelbar gegen Schluss des XVL, mehr aber
npch im Anfang des XVH. Jahrhunderts auftrat Man sieht es demselben deutlich
ST. JOHANN. 9
an, dass bei dem Goldschmiede die Häufung neuer und gewagter Formen bereits
Hauptsache geworden wdr, und er sich schon darüber hinweggesetzt hatte, die
traditionellen Proportionen und Dimensionen des altliturgischen Gefässes so in
Ehren zu halten, wie sie ihm von den älteren Meistern der Goldschmiede-
kunst als feststehend überliefert worden waren. Der Fuss dieses Kelches ist, wie
an den meisten mittelalterlichen Kelchen, in Form einer sechsblätterigen Rose ge-
halten. Nur dadurch wird dem Fussstücke ein schwerfälliges, massives Aeussere
verliehen, dass mit demselben ein starker, unterer Band von zu breiter Kehlung
verbunden ist In dieser Auskehlung liest man in spätgothischer Majuskelschrift
die Namen der Geschenkgeber dieses Kelches, nämlich: Heinrich Singdorp, Mar^
greii uxor. lieber dieser Inschrift, in demselben Rande, ist ein Wappenschildchen
aufgenietet, auf welchem sich die Schriftzüge eines bürgerlichen Wappens vorfinden.
In der Nähe dieses Schildes erblickt man in kräftiger Gravirung ein schönes omamen-
tirtes Kreuzchen, das als signaculum von einem doppelten Kreise umzogen ist Die
übrigen schmalen Flächen dieses Fusses sind theils mit eingravirten, schwungvollen
Laubomamenten der Spätgothik, theils mit architektonischen Durchbrechungen und
Zirkelschlägen verziert. Auf dem stumpf ansteigenden Halse des Fussstückes hat
der Goldschmied als Unterlage und Gonsole für den sechstheiligen Ständer in
origineller Weise eine doppelte Stemform angebracht, die mit durchkreuzen-
den Stäbchen oben abgeschlossen wird. Die sechsseitige Röhre ist mit architek-
tonischen Gravirungen belebt, welche in ihren DetaiUormen den Ausgang des
Spitzbogenstyles deutlicb erkennen lassen. Der Knauf ist, wie an den meisten
Kelchen aus dem Schlüsse des XY. Jahrhunderts, in Form einer Fruchtkapsel mit
Btark vorspringenden Pasten ebenfalls sechstheilig gehalten; auf diesen sechs
Pasten erblickt man in starker Gravirung die bekannten sechs Buchstaben des
Hierogramms. Die Einfassung der Kuppe an jener Stelle, wo dieselbe mit dem
Ständer in Verbindung tritt, ist zweckmässig und mit vielem Verständnis so be-
handelt^ dass sie mit den übrigen Formen des Kelches in richtiger Uebereinstim-
mung steht Die Ausbauchung der Kuppe lässt in der untern Rundung schon
deutlich die Zeit durchblicken , < wo die Renaissance bereits im Anzüge begriffen
war. Fasst man die sämmtUchen Details, wie sie eben angedeutet wurden, zu-
sammen, so dürfte man der Annahme Zutritt geben, dass das vorliegende Gefäss
eher dem Beginne des XVL als der letzten Hälfte des XV. Jahrhunderts angehöre.
2
10 ST. JOHANN.
101.
Oelgef&ss
in den Formen der entwickelten Golbik, in Silber mit vergoldeten
Ornamenten. XV. Jahrhundert.
Durchmesser des Salbgeftlsses 5 Centimeter. Darchmesser des Fusses 10 Centimeter.
H5he 27 Centimeter.
Dieses Geftss, das sieh uns in seiner eigenthttmlicben Detailbildung noch
vereinzelt in Köln erhalten hat, darf als feststehende Norm betrachtet werden, io
welchen Formen im alten Köln jene pyxides gehalten waren, die zur Austheilung
der letzten Oelung von dem Priester an das Krankenbett mitgenommen wurden. In
der Regel waren diese Salbgeftsse zu drei in Kleeblattiorm so vereinigt, dass
dieselben drei Thttrmohen formirten, in welchen die drei von der Kirche zum
liturgischen Gebrauche geweihten Oele sich befanden, wie das an den Oelgefässen
von St Gunibert in der zweiten Lieferung dieses Werkes und an den Oelbehältern
angedeutet worden ist, die heute noch in St. Maria Lyskirchen sich vorfinden
(vergl. No. 105 der vorliegenden Lief.) Das in Rede stehende Salbgeftss, bloss zur
Aufnahme des oleum inßrmorum bestimmt, ist ebenfalls, wie die frUher beschrie-
benen Salbgeiässe, thurmfbrmig behandelt. Der Thurm, das Sinnbild der Stärke,
durfte zur Aufbewahrung des eonsecrirten Oeles schon deswegen mit einer sym-
bolischen Beimischung gewählt worden sein, weil durch die Salbung mit dem ge-
weihten Oele die geistige Kraft und Stärke angedeutet wird, die dem Kranken
durch die letzte Oelung verliehen werden soll. Es befindet sich nämlich auf einem
trichterfbrmig, im Sechseck sich ausbreitenden Halse, in Kreisform gehalten, eine
kleine Thurmanlage, in grösster Höhe von 67« Centimeter, die unten mit einer
silber-vergoldeten Zinnenbekrönung umschlossen und eingefasst ist Kach oben
wird diese thurmförmige Büchse mit einem kräftigen Profil als Randeinfaesung
abgeschlossen, an welche sich im Rundbogen ein kleines Sims anschliesst Da^
über erhebt sich, zurücktretend, ein innerer, glatter Rand, der als Fuge dient» um
einen im Sechseck gehaltenen Helm als DeckverscUuss au&unebmen und zu be-
festigen. Dieser kleine Helm ist in seinen sechs Flächen mit vertieften Gravuren
versehen, welche kleine Dachziegel bilden. Um diesen Helm herum ist als Profilirung
ein Kreis geftihrt, auf welchem der Goldschmied einen durchbrochenen Kamm mit
Laubblättem, wie sie der entwickelten Gothik angehören, regelrecht angebracht hat
Wir wagen nicht zu bestimmen, ob das jetzt auf der Spitze des Helmes befind-
liche Kreuz primitiv flir dieses Oelgefäss gearbeitet worden ist, oder ob nicht auf
der Spitze desselben das kleine ciselirte Standbildchen des h. Jacobus ebemal»
angebracht war, in dessen Briefe bekanntlich von der h. Oelung der Kranken au6füh^
lieber die Rede ist. Der Knauf des vorliegenden Salbgefässes ist von eigenthüm-
licher Bildung und zeigt sechs kleinere vorspringende Rundpasten, die von einem
pomellum ausgehen, das durch sechs Bogenstellungen mit dem bekannten, ^pat-
ST. JOHANN. II
gothiBehen Nasenwerk, in kräftiger Gravirung belebt wird. Wie es den Anschein
hat, fehlt nach dem Fussstttcke hin die eine Hälfte einer sechseckigen Röhre, in
derselben Weise, wie sich diese fistula oder canna über dem Aepfelchen er-
bebt. Der Fusstheil dieses vasculum ad canservandum oleum inßrmorum ist
einfach, im Kreise gehalten, ohne Anwendung von Gravirungen; sein Hals steigt
jedoch im Sechsecke schlank empor, um sich mit dem Ständer organisch zu ver-
binden. Wie schon die in Silber gehaltenen Flachtheile mit vergoldeten Orna-
menten, noch mehr aber die ciselirten Blätter als untere Bekrönung des Helmes
deutlich zu erkennen geben, gehört dieses mustergültige Geftlss, das bei Nach-
ahmungen ftlr ähnliche Zwecke sehr zu empfehlen sein därfte, der Eunstepoche
aus der Mitte des XV. Jahrhunderts an, in welcher es, wie schon früher bemerkt,
Brauch geworden war, die Flachtheile einzelner liturgischer Gefdsse in Silber zu
lassen und den profilirten, omamentalen Einzelheiten eine reiche Feuer-Vergoldung
zu geben.
102.
Ciborinm^
in vergoldetem Silber. XV. Jahrhundert.
Höhe 48 Centimeter, Darchmesaer des Fasses 18 Centimeter.
In vielen Kirchen des Niederrheins haben sich bis zu dieser Stunde noch
in ziemlicher Anzahl und in grosser Abwechselung der Formen Gefässe erhalten,
aus welchen in Form von grösseren Speisekelchen die h. Gommunion in der Kirche
den Gläubigen dargereicht wurde, oder die in kleinerer Ausdehnung dazu dienten,^
die letzte Wegzehrung den Kranken und Sterbenden zu bringen. Die unbestreitbar
reichsten Ciborien dieser Art findet man heute noch zu Rees und Eltenberg am
Niederrhein, so wie in der Sacristei zu Vallendar (bei Coblenz); auch der MUn-
sterschatz zu Aachen hat noch einen solchen Speisekelch in zierlicher Formation
aufzuweisen, vermittelst dessen ehemals das viaticum gereicht worden sein dürfte.
Die Kölnischen Sacristeien können sich in ihren sehr geplünderten Kirchenschätzen
nicht mehr des Besitzes reicher Ciborien rühmen, welche mit den ebengedachten
in Vergleich gesetzt werden könnten ; nur die Pfarrkirche von St Johann, welcher
ehemals die reiche Zunft der „WüUenweber und Tuchmacher^' incorporirt war, be-
sitzt noch unter den wenigen in ihrem sehr geschmälerten Schatze befindlichen
h. Gelassen ein interessantes Exemplar eines mittelalterlichen Giboriums, das in
Bciner reichen Formentwickelung ahnen lässt, von welcher Schönheit und Zierlich-
keit der formellen Gestaltung im alten heiligen Köhi jene grösseren und umfang-
reicheren Speisekelche gewesen sein dürften, aus welchen an den Hauptfesttagen
den zahlreichen Communicanten die Eucharistie gereicht wurde.
Das in Rede stehende Ciborium wird getragen von einem Fussstück, wel-
ches als sechsblätterige Böse, die gewöhnliche Form der Kelchgefässe des XV. Jahr-
12 ST. JOHAISN.
hundertd erkennen lässt. Auf diesem Fusstheile, der glatt und ohne Gravur ge-
balten ist, erhebt sich ein kleiner Sockel im Scebseck in der Höhe von vier
Centimeter, der oben von einem Zinnenkranz umgeben ist Mit diesem Unter-
sockel steht in Verbindung eine sechseckige Röhre in grösster Länge von 6'/i
Gentimeter, die in der Mitte von einem sechstheiligen Knaufe in gewöhnlicher
Formbildung unterbrochen wird. Mit diesem Ständer setzt sich weiter in Verbindang
ein ebenfalls im Sechseck construirter Sockel, dessen Hals sich trichterförmig nach
oben ausbreitet, um den eigentlichen Behälter aufzunehmen, der vieleckig geformt,
auf den sechs Ecken mit durchbrochenen WiderlagspfeUem umstellt ist Die reich-
sten Ornamente sind auf den genannten sechs Gentimeter und fünf Millimeter
breiten Flächen dieses Behälters ersichtlich. Durch eine kiilftige Gravirung hat
der Künstler diese glätten Theile mit stehenden Heiligenfiguren zu beleben ge-
wusst, die in ihrer Gomposition und technischen Ausführung die frappanteste
Aehulichkeit mit jenen figürlichen Darstellungen aufweisen, welche auf dem Fusse
jener prachtvollen Monstranz gravirt sind, die auf Tafel XXI. der zweiten Lie-
ferung dieses Werkes veranschaulicht worden ist. Auf der einen Fläche erblickt
man, von einem baldachinfbrmigen Rundbogen Überragt, in stehender Stellung den
Salvator mit erhobener, segnender Rechten, die Linke hält die Weltkugel Auf
dem folgenden Felde rechts, in bittender Stellung, ist die allerseligste Jungfrau^
und auf dem gegenüber befindlichen Felde links der Vorläufer Johannes mit dem
Symbol des Lammes dargestellt. Dem Heilande gegenüber befindet sich auf der
entgegengesetzten Fläche das Standbild der h. Antonina, Jungfrau und Märtyrin,
mit ihrer Gesellschaft. Dass diese Darstellung nicht als das Bild der h. Ursula
mit ihren Genossinnen zu betrachten sein dürfte, sondern als jene königliche Mär-
tyrin aus der Gesellschaft der h. Ursula, deren Reliquien in einem prachtvollen
Schreine ebenfalls in der St. Johanniskirche aufbewahrt und verehrt werden, kanfl
schon daraus entnommen werden, dass unter dem ausgebreiteten Mantel nur secbs
Gefährtinnen figürlich dargestellt sind, also die Elfzahl hier absichtlich vermieden
ist. Die gekrönte Märtyrin trägt auf dem vorliegenden Bilde auch nicht den Pfeil,
sondern die Märtyrerpalme. Zur rechten Seite dieses Bildes der h. Antonina er-
blickt man das Standbild des Apostels Matthias und auf der Fläche links das Bild
der h. Gatharina. Sämmtliche Figuren in einer schlanken beweglichen Gomposition
und in einer edlen Technik ausgeführt, treten in scharfen und tiefen Contouren
auf einem carrirten Tiefgrunde deutlich hervor. Der zierlich behandelte wel-
lenförmig gehaltene Faltenwurf der Gewänder lässt deutlich erkennen, dass das
vorliegende Giborium in dem zweiten Viertel des XY. Jahrhunderts seine Ent-
stehung gefunden hat, einer Periode, in welcher auch die Malerschule des alten
Kölns ihre vorzüglichsten Meisterwerke geliefert hat.
In den sechseckigen und zwar zunächst in die Aushöhlung zweier gegen-
überstehenden Widerlagspfeiler mündet vermittelst silberner Zapfen ein reich ver^
zierter Helm ein, der als beweglicher Deckel das Giborium verschliesst und dem-
selben zugleich nach oben einen reich gegliederten Abschluss verleiht An den
sechs Ecken dieses Au&atzes sind als Fortsetzung und Verjüngung der untern
ST. JOHAKN. 13
Widerlagspfeiler seehs Fialen aDgebracht, die yermittelst kleinerer Strebebögen in
Verbindung treten mit einem sechstheiligen Widerlagssystem, das seinerseits wie-
derum durch kleinere Strebebögen einen sechstheiligen offenen Baldachin stützt
und umstellt Dieser Baldachin schliesst oben mit sechs Oiebelfeldern ab, ttber
welchen sich ein kleiner Dachhelm erhebt, der sich oben zu einer doppelten Kreuz-
blume verjüngt Auf der Spitze dieser Bekrönung thronte zweifelsohne das Bild
des Qekreuzigten ; das jetzt an dieser Stelle befindliche Ejreuz scheint nicht das
ursprüngliche zu sein. Es dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen, dass das vor-
liegende formschöne Gefäss, ehemals wie auch heute, kirchlich dazu benutzt wurde,
um aus demselben den Kranken die h. Wegzehrung zu reichen; darauf deutet
auch die runde bewegliche Schaale hin, die sich im Innern des Gefässes befindet
Ein Umstand jedoch könnte zu mehrem Hypothesen Veranlassung bieten. Man
gewahrt nämlich unter dem sechstheiligen Baldachin, der das ganze Gkfäss über-
ragt, einen ziemlich grossen Einschnitt, der, wenn nicht der Anschein trügt,
im Mittelalter dazu benutzt worden sein dürfte, um vermittelst einer hier einge-
schobenen kleinen Lunula eine consecrirte Hostie zu exponiren, wenn das Viaticum
von den Nachbarn, wie das gewöhnlich zu geschehen pflegte, zu den Kranken
unter einem Baldachin begleitet wurde. Wie das folgende Inventar andeutet,
scheint jedoch hier ein kleines Glöckchen eingeschoben worden zu sein. Gewiss
wäre es zu wünschen, dass sich in nächsten Zeiten ein Wohlthäter der heut mit-
tellosen Pfarrkirche von St Johann fände, der die Kosten bestritte, um das oben
beschriebene sehr beschädigte Gefäss wiederherstellen zu lassen. Der spätere Re-
staurateur desselben würde sich genau an die vorfindliche Form ohne Zuthat von
Neuem zu binden haben und würde vor Allem darauf Rücksicht nehmen müssen,
bei der Vergoldung desselben unbedingt eine Feuervergoldung in einem kaltem
gelblich-grtlnen Tone wieder in Anwendung zu bringen.
.1
Ehemalige Kirehenschfttze nnd Kleinodien der Pfarre
St. Johann.
Unser Gewährsmann Gelen, der uns mit seinen wenn auch dürftigen und
oberflächlichen Notizen bei Schilderung dessen, was die Köhiischen Stifts- und
Pfarrkirchen ehemals an L Gefässen und Gewändern besassen, bei dem fast gänz-
lichen Mangel an älteren Inventaren, häufig gute Dienste geleistet hat, erhält bei
der Pfarrkirche von St Johann Baptist eine willkommene urkundliche Ergänzung
durch ein noch vorfindliches Inventar aus dem Beginne des XV. Jahrhunderts. Im
Archiv der genannten Kirche hat sich nämlich ein im Jahre 1406 von den da-
maligen Eirchenmeistem Wiuand LUdendorp, Heinrich vom Rynn und Peter von
Duitz angelegtes Register aller Renten, Immobilien und Mobilien der besagten
Kirche erhalten. Fol. III ist auch das Schatzverzeichniäs dieser Kirche aus
dem Jahre 1406, leider aber nicht in der Ausftlbrlichkeit, wie wir es wünschten,
14 ST. JOHANN.
aufgezeichnet, jedoch ausführlich genug, um einen allgemeinen Ueberblick ttber
das Mobiliarvermögen einer Kölnischen Pfarrkirche aus jener Zeit gewinnen zu
können. Wir verdanken die genaue Lesung dieses merkwürdigen Inventare der
entgegenkommenden Gefillligkeit des Herrn Pfarrers Stein und lassen es, dem Wort-
laut des Originals gemäss, nach der Entzifferung des ebengedachten Pfarrers von
St. Johann unverändert hier folgen:
„Dyt synt die omament ynd cleynode, die in die Kirche gehörent zu sent Johann
Baptisten. Zum eirsten XXXVIII Caselen. Item XL Alven (alba). Item XXVilll
amyt (amictus, humerale) ynd as manch Manipel. Item in Cappen und
n sylvem Fybelen.') Item \1II Leisröcke') (Leseröcke, Dalmatiken) und II scho-
lärenröcke. ') Item VII Keilghe myt yren patenen.*) Item Xn Corporalen myt
yren Costodien. *) Item XXV Boiche (Bücher) so cleyn ynd grois. Item eyn paar
sylvem poUen.") Item eyn sylvem weyegevesgin (Weihwasser-Behälter). Item epe
monstranz, da man dat heilige Sakrament ynne drait. Item sylveren Buysse, da
man dat heilige Sakrament eynen brenght den Seighen (den Siechen, Kranken)
dareyn gehört eyne sylvem achter Buysse und ein sylveren Schaelgin. ') Item eyn
sylvem Vesgin') da dat heilige Olege ynnen is. Item eyne helpenbeynere') Bn\m
myt eyme sylvem Deckel. Item eynen sylveren arm.'**) Item eyn ßchreyn-
t) Die fJibulaB" werden in andern Inventaren y,monHia^ peeioralta*' genannt. Es sind das
reichverzierte Agraffen, nm die Bänder zu verdecken, welche die Chorkappen auf der Brust zasammcn-
halten.
2) Die Dalmatiken wurden deswegen im AltkOlniBchen „Leisröcke'* genannt, weil mit demselbes
bekleidet yon den Diakonen und Subdiakonen die Lesung des Evangeliums und der Epistel Toigeson-
men wurde.
3) Kirchliche Bekleidungsstneke ftlr die Scholaren {viearioli), unsere heutigen Chorknaben oder
Messknaben. Solche kleinere Dalmatiken für die Messknabipi haben sich in der Pfarrkirche in Uu
am Bheine noch erhalten.
4) Die sieben Kelche mit dazu gehörigen KelchschUsselchen lassen auf eine grösseie Zahl toh
Alt&ren schliessen, die damals in St Johann im Oebrauch waren.
5) Diese Custodien, die in andern Inventaren häufiger Corporaltaschen, Bufsen genannt verdeo.
finden sich heute noch in Köln vereinzelt vor und sind meistens mit figürlichen Stickereien auf deiB
obem Deckel versehen. Die Sacristei hatte ftlr jeden Geistlichen eine solche besondere Custodie, woiio
nach der Messe das Corporale und Purificatorium zum Schutze gegen Beschmutzung aufbewahrt wurde.
6) Am Niederrhein werden die Messkännchen heute noch Pollen genannt, von dem lateinisdieB
Terminus ,fampuUa" herrührend; in der Schweiz nannte man sie „Messstizeli."
7) Ohne Zweifel ist hiermit jenes schöne Ciborium gemeint, welches wir vorhin unter "So. 1U2
abgebildet und Seite 1 1 ff. weiter beschrieben haben. Die „sylverne achter Büysse" ist die im h^t^
des Ciboriuras heute noch befijidliche , bewegliche Kapsel , worin die hh. Eucharistie deponirt wird.
Unter dem Baldachin auf dem obem Deckel scheint dem Wortlaute des vorliegenden Inventars zufolg«
sich ehemals ein kleines, silbernes Glöckchen „Schaelgin'* befunden zu haben, wodurch das EovmeD
des Priesters vernehmbar wurde, wenn er die h. Wegzehrung zu einem Kranken trug.
h) Dieses OelgefUss ist wahrscheinl eh jene Büchse, die wir auf Seite 10 f. beschrieben und unter
No. 101 bildlich veranschuulicht haben.
9) Diese elfenbeinerne Büchse mit silbernem Deckel diente vermuthlich dazu, um die Oblaten
in der Sacristei aufzubewahren, die zu der Feier der h. Messe verwandt wurden.
10) Es war das ein Reliquiar, enthaltend Gebeine von der h. Antonina, vielleicht in tthnlicber
Form, wie wir dieselbe in der I. Lieferung dieses Werkes veranschaulicht haben.
ST. JOHANN. 15
gemach *) von cristalln mit heiltmn. Item eyn ander schryn myt heiltum. Item
II Cruytz') da man de Leyde mit begeit (beerdigt). Item in zinnere Elter
Lechter ynd 11 kuifierne. Item I kuiffern veyveser? (mcensoir, Rauchfass?;.
Item y paar pollen. Item III groisse zinnere Lechter , da man die Lüde mit
begeit (Begräbnissleuchter). Item I paarVanne.') Item UI tapit^) so .... sankt.
Item VII Stoellachen (stolae). Item 1 paar Vleugeln*) und eynen vleugel an
den (hohem Elter. Item XIII Veirhenge*) myt yren twelen. Item IX twelen')
myt . . . lysten. Item XII Elter twelen.*) Item VIII Hanttwelen.') Item eynen
alden seyden balcken.*"} Item eyn gehemele.") Item l kuiflferen Wykessel.
Item eyn kuifieren Wasservas. Item eynen kuifferen kessel da man Wasser
mitheilt."
1) Wahncheinlich ein viereckiges Behälter Ton ErystaU mit silber - vergoldeter Einfassung,
worin verschiedene Reliquien „Heiltum" auAiewahrt wurden.
2) Yortragekreuze, die bei Processionen und Beerdigungen gebraucht wurden.
3) £s ist hier nicht gesagt, ob unter diesen Fahnen kirchliche „vexilla*^ zu verstehen sind,
oder Banner, wie dieselben heute noch bei kirchlichen Bruderschaften in Gebrauch sind.
4) Mit diesen Teppichen wurden die Chorschranken an Festtagen behangen, und nennen andere
Schatzregister sie auch „dorsalia, slragttla"
5) Wahrscheinlich sind unter diesen „Yleugeln" jene beweglichen stofflichen YorhängeflOgel zu
Terstehen, die zur Seite verschiedener Altttre an eisernen Buthen befestigt waren, vermittelst welcher
der celebrirende Priester am Altare von den umstehenden Gläabigen gleichsam wie von einem engem
Chore getrennt wurde, damit er durch das unbefugte Hinttbersehen auf den Altar nicht gestört werden
konnte. Diese FlUgel und Behänge sah man noch bis vor wenigen Jahren an einzelnen Altären im
Dom von Münster. Wir können nicht annehmen, doss unter diesen FlUgeln die gemalten AltarflUgel-
thtlren verstanden worden sind, indem dieselben zu den Immobilien der Kirche gehörten.
6) Unter dem Terminus „Yeirhange** ist offenbar jenes Altarparament zu verstehen, welches
heute Antependium „frontale" genannt wird. Die dazu gehörigen „Twelen** sind das weissleinene
Tuch, das Über den Altar als Untertuch gebreitet wurde, und an welchem der Yorhang ehemals an-
genäht zu werden pflegte. Ueber diesem weissen Untertuch mit daran herunterhängendem gestickten
Frontale breitete man das Altartuch von feinem Leinen „palla altan's" aus.
7) Dieser niederdeutsche Ausdruck „Twele**, gleichbedeutend mit weissem Leintuch^ stammt offen-
bar von dem mittelalterlichen Terminus: „ioallia'* (franz. iouaiUe) her. Yergl. die vielen synonymen
Ausdrücke ad voc, ioallia bei du Cange, Glossarium LatinüatU etc.
8) Diese leinenen AltartUcher werden in andern Schatzverz ichnissen ausser pallia allaris auch
benannt „tnappula, toballia allaris."
9) Diese Handtwelen, die in anderer Mundart auch „Handzweien" genannt werden, hingen
rund zusammen genäht an einem beweglichen Zweiträger in verwandter Form , wie wir ihn von St.
Marien im Capitol auf Taf. XXIX abgebildet und unter No. 95 besprochen haben.
10) £s ist nicht klar, was unter dem Ausdruck „Balken" zu verstehen ist; entweder dürfte da-
runter ein alter gestickter Kreuzbalken eines Messgewandes zu verstehen sein, oder aber ein Bahrtuch
mit darauf gesticktem Kreuzbalken.
W) Ohne Zweifel ein tragbarer Baldachin, auch heute am Niederrhein „Himmel" genannt.
Änp ^i ^ariabilf^flWrrlifn.
Vft'bnrJiSeckcr^IilLCoTB.
3in^ S>'jKl&rin iit Ijehtrciirn .
$t ^aria Jlt;$ßircfien.
Mittelalterliche EunBtBoli&tze dieser Pfarrkirche.
Seite
103) Evangelien-Codex mit vielen Initialen und Miniaturen und reich verziertem Einbände,
X.Jahrhundert. Taf. XXXV. Fig. 103 3
1 04) Vortrage-Kreuz mit daran befindlichem „Christus iogatus", XII. Jahrb. , Taf. XXXVI.
Fig. 104 5
105j Geläss zur Aufbewahrung der h. Oele in vergoldetem Silber, XV. Jahrb., Taf. XXXVI.
Fig. 105 9
106) Kniekissen in vielfarbigem Wollenstramin gestickt, XVI. Jahrb. Taf. XXXVI. Fig. 106. 11
103.
ETangelien - Codex
mit vielen Miniaturen und Initialen und einem kunstvoll verzierten Einbände.
Länge 30, Breite 22 '/i Centimeter. X. Jahrhundert.
In den Staats-Umwälzungen zu Sehluss des vorigen Jahrhunderts sind jene
kostbar geschriebenen und reich eingebundenen Evangelistarien und Plenarien,
die ehemals vor Einführung der beweglichen Typen in keiner grossem Kirche
fehlten, entweder ganz verloren gegangen oder dieselben sind aus kirchlichem Be-
sitze in öffentliche oder Privatbibliotheken gewandert. Von den vielen kostbaren
Evangeliencodices in reicher Fassung , die, Gelen zufolge, noch in seinen Tagen
zahlreich in den damaligen Kirchenschätzen Kölns angetroffen wurden, ist heute
nur noch die Pfarre St Maria in Lyskirchen zu Köln in der Lage, ein seltenes
und äusserst werthvolles Exemplar aufweisen zu können, das nicht nur hinsichtlich
seiner vielen Initialen und Miniaturen die Aufmerksamkeit der Archäologen erregt,
sondern dessen Einband auch in mehr als einer Beziehung Beachtung verdient.
Dieses Evangelistarium umiasst, wie schon der Name besagt, die Evangelien
nach den vier Evangelisten. Auf dem letzten Blatte ist ausserdem noch ein
merkwürdiges Verzeichniss der Kirchenschätze von St Georg aus dem XI. Jahr-
hundert angefllgt. Die Schrift selbst dieser Pergamenthandschrift, die 6V2 Centi-
meter breit ist, gibt sich als Minuskelschrift aus dem Schlüsse des X. Jahrhun-
derts zu erkennen. Die einzelnen Evangelien sind Eingangs geschmückt mit dem
sitzenden Bildwerke der vier Evangelisten in typisch traditioneller Weise. Sowohl
die Composition als auch die technische Ausführung der Miniaturen und Initialen
sind ziemlich roh und derb gehalten und erinnern in ihrer stylistischen Durchfüh-
rung an jene Miniaturen, wie man sie zur Zeit der letzten Karolinger anzufertigen
pflegte.
Für unsem nächsten Zweck ist die eine Seite des Einbandes (vestis libri)
von grösserem Interesse und wollen wir es versuchen, im Nachstehenden dieses
merkwürdige Frontale zu beschreiben, womit der vordere Deckel des Buches
geschmückt ist Offenbar ist der Einband in seiner heutigen Gestalt und Fassung
nicht mehr der primitive und rührt von dem ursprünglichen Einbände gegen-
wärtig nur das seltene Relief her, das die mittlere Füllung des Deckels schmückt.
Dieses Relief stellt in der Länge von 16 und in der Breite von IS'/s Centimeter
4 8T. MABU LT8KIRCHEK.
•
dar die Kreuzigung des Heilandes in jener typisch-traditionenen AuffassungB-
weise, wie sie der byzantinischen Kunst geläufig ist Man erblickt nämlich in
stark hervortretendem Kelief den Heiland am Kreuze , dessen Arme ehemalg
gradlinigt ausgespannt waren und dessen Fttsse auf einem Fussblöckchen ruhten,
unter welchem sich als Thierfratze die Schlange der Verführung abgebildet
findet, deren Macht durch den Sieg des Heilandes am Kreuze fbr immer gebrochen
ward. Zur Rechten und Linken des Erlösers ersieht man die Passionsgruppe Jo-
hannes und Maria als kleinere Randbilder. Unmittelbar zu beiden Seiten des
Kreuzes erblickt man zwei Kriegsknechte , wovon der eine rechts den Longinas
vorstellt, der mit dem Speere die Seite des Heilandes zu öfihen im Begriffe steht;
der andere dieser Kriegsknechte reicht den mit Essig und Myrrhen gcMten
Schwamm dar. Zwei dienende Engel, die in dieser Darstellungsweise seltener vor-
kommen, halten in beiden Händen, von Wolken getragen, die beiden Querbalken
des Kreuzes, lieber diesen beiden Kreuzes-Armen machen sich als kleine Rund-
medaillons kenntlich, wie immer, die allegorisch-figtlrlichen Darstellungen von Sonne
und Mond, die beim Tode des Heilandes ihren Schein verlieren. Die vier Ecken
dieser merkwürdigen Sculptur zeigen die gefltlgelten Bilder der vier Evangelisten.
Diese innere Füllung, die aus drei länglichen Elfenbeinstücken zusammengesetst
ist, wird nach vier Seiten durch ein zart sculptirtes Laubomament abgefasst nnd
eingeschlossen, in welchem sich die bekannte Reminiscenz des altgriechiscben
Acanthusblattes deutlich zu erkennen gibt. Fragt man nach dem kunsthistoiisehen
Werthe und der Entstehungszeit dieser seltenen Sculptur, so muss gesagt werden,
dass der Bildschnitzer, dem dieses Relief seine Entstehung zu verdanken hat, als
Künstler auf ungleich höherer Stufe stand, als jener Miniaturmaler^ von dem die
vielen gemalten Bildwerke und Ornamente im Innern des Codex herrühren. Ob-
schon in der Composition und in dem Faltenwurf dieser Figuren noch der con-
ventioneile Typus der Byzantiner vorwaltet, so muss man doch eingestehen, dass
dieselben mit einer grossen Glemüthstiefe und nicht ohne Verständniss der Natur
aufgefasst und durchgeführt sind. Lren wir nicht, so dürfte dieses Meisterwerk
der Elfenbeinschnitzkunst von einem äusserst befähigten Künstler griechischen Her-
kommens angefertigt worden sein, der auf italienischem Boden ein ergiebiges Feld
für seine Leistungen gefunden hatte. Auch sind wir entschieden der Ansicht, dass
diese Reliefs zur Zeit der Ausführung der Malereien des innem Codex entweder
in den Tagen Kaiser Otto's HI. oder zur Zeit seines unmittelbaren Nachfolgers
Kaiser Heinrichs 11., des Heiligen, angefertigt worden sind. Die Gründe, worauf
diese Annahmen sich stützen, sind zu entnehmen aus der auffallenden Aehnlichkeit
und Uebereinstimmung der vorliegenden Sculpturen mit den Elfeubein-Relie& in
verwandten Sujets, die den vordem Hauptdeckel des prachtvollen Evangelien-Codei
Otto's n. zieren, der aus der alten Reichsabtei Echtemach im Luxembuigischen
stanunt und zu Anfang dieses Jahrhunderts in die Manuscripten- Bibliothek des
herzoglichen Schlosses Friedenstein in Gotha gekommen ist Auch die Aehnlich-
keit dieser Elfenbeinsculptur mit der auf dem Evangelistarium Heinrichs des Hei-
ligen zu Bamberg verdient Beachtung. Von geringerem Werthe ist o£fenbar die
ST. HABIA LTSKIRCHEN. 5
kupfe^-yergoldete Einfassung» die das ebenbeschriebene Belief auf vier Seiten um-
fasst In der Stylweise der letzten Hälfte des XV. Jahrhunderts hat im Bande
dieser Einfassung ein geschickter Kölnischer Graveur, verschiedene Heiligen-»
figuren von reichen Baldachinen ttberragt angebracht, unter andern Madonna
mit dem Kinde und gegenüberstehend einen Kölnischen Bischof. Auf dem obem
Bande erblickt man den Salvator in sitzender Stellung von musicirenden En-
geln umgeben. Auf dem untern Bande ist dargestellt die Heldenthat des Bitters
St. Georg, wie er den Lindwunn erlegt In den vier Ecken dieser Einfassung
erheben sich, um Frictionen von der Elfenbeinsculptur fem zu halten, vier grosse
Kiystallpasten , die von kräftigen zierlichen Fassungen umschlossen sind* Noch
machen wir im Vorbeigehen darauf aufmerksam, dass von einer spätem Hand des
Xn. Jahrhunderts die vier freien Pergamentblätter, die dem Evangelium des heil.
Jobannes folgen, beschrieben worden sind. Es enthalten dieselben den genauen
Catalogus der Kölnischen Erzbischöfe, der mit dem h. Matemus, dem Schüler des h.
Petrus, als erstem Bischof von Köln beginnt und fortgeführt ist bis zum Tode des
Erzbischofs Beinold von Dassel, der aus dem zerstörten Mailand die Gebeine der
h. Drei Könige nach Köln gebracht hat
Wie schon oben bemerkt, befindet sich auf dem letzten Schlussblatt des
vorliegenden Codex ein seltenes Schatzverzeichniss in den Schriflzügen des XI. Jahr-
hunderts, das zum Belege dienen kann, wie einfach und ärmlich es noch im XL
Jahrhundert mit den liturgischen Gebrauchsgegenständen in den grossem Kirchen
Kölns bestellt war; dieses Inventar ist bei Beschreibung der ehemaligen Schätze
von St Georg (heute St Jacob) in dieser Lieferung wörtlich wiedergegeben worden.
104.
Tortragekrenz
mit dem Bilde des Gekreuzigten in vergoldetem Bothkupfer.
AuBdehnung des Langbalkens 67 Centimeter ; grdsste Ausdelmiuig der Qaerbalken 47 Centimeter.
xn. Jahrhundert
Heute haben sich, aus der romanischen Kunstepoche henührend, am zahl-
reichsten noch Yortragekreuze erhalten, äie eine solche Einrichtung und Gestaltung
haben, dass sie zugleich als Vorsatz- und Altarkreuze benutzt werden konnten.
Die meisten dieser romanischen „cruces processtanales'* sind ohne grossen Aufwand
von kunstreicher Ausarbeitung meistentheils sehr einfach in Bothkupfer gehalten
mit reicher Feuervergoldung. Die Figur des gekreuzigten (xottmenschen ist mei-
stentheils gegossen und spärlich nachciselirt. Auch konmien an diesen altem Pro-
cessionskreuzen in der Begel energisch eingravirte Ornamente auf der Btlckseite
vor. Auch der Glanz von Edelsteinen und Kiystallpasten wurde von den Künst-
lern des Mittelalters nicht verschmäht, um das 2ieichen der Erlösung in idealer
Weise kunstreich auszustatten. Die Ursache, dass heute noch eine Menge roma-
6 ST. MARIA LYSKmCHEK.
nischer Vortragkreuze in der eben angegebenen Form sich allenthalben zer-
streut vorfindet, ist wohl darin zu suchen, dass diese Kirchenutensilien meistens
Ton Rothkupfer angefertigt waren und den vandalischen Plünderern der Kirchen-
schätze zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht die gehofifte Ausbeute verhiessen.
Obgleich in- und ausländische Museen und Priyatsammlungen noch eine
grosse Zahl solcher romanischer Vortragekreuze besitzen , so haben sich doch in
den vielen Sacristeien der Kirchen Kölns verhältnissmässig wenig Exempb^e er-
halten, welche die typische Omamentationsweise der romanischen Kreuze im XL
und Xn. Jahrhundert erkennen lassen. Unstreitig besitzt heute die Pfarre Maria
Ljskirchen das merkwürdigste Crucifix als Vortragekreuz, welches sich in Köln
und am Niederrhein , aus dem XII. Jahrhundert herstammend, noch vorfindet, and
ist dieses Vortragekreuz nicht nur hinsichtlich des eigentlichen üjpeuzes mit seinen
vier omamentirten Kreuzbalken von besonderem Interesse, sondern die Figur des
Gekreuzigten selbst dürfte eine noch grössere Aufmerksamkeit von Seiten der
Kunstarchäologie beanspruchen. Das Kreuz selbst zeigt in seinen vier Balken in
höqhst einfacher und wir möchten fast sagen nachlässiger Technik, die stereotype
Gestaltung der Kreuze in frttbromanischer Zeitepoche. Es münden nämlich die
drei obem Kreuzbalken, die eine Breite von 8 Centimeter 7 Millimeter aufweisen,
statt der dreiblätterigen Bosenform der Frühgothik in vorspringenden quadratisch
länglichen Ansätzen aus, die von einem vertieft ausgestochenen Bande umgeben
und eingefasst sind. Um die Monotonie dieser drei viereckigen Ansätze der oben
Balken zu mildem, hat der Goldschmied dieselben in einer Kreisrundung von
4 — 5 Centimeter durchbrochen, damit in diesen Durchbrüchen grosse Kiystallpasten
mit mnder ovaler Schleifung nach beiden Seiten hin hervortreten konnten. Diese
mächtigen Krystallpasten, ein bevorzugtes Ornament an den frUhromanischen kirch-
lichen Geräthschaften, fehlen heute leider. Desgleichen auch die doppelten Ein-
fassungen (lectula). Der obere quadratische Abschluss des Kopf balkens enthält
auf seiner Fläche den bekannten KreuzestiteL Dieser ,stitulus cructs" ist in kräf-
tiger Weise in Majuskelbuchstaben eingravirt, die unverkennbar für eine gewisse
Zeitepoche massgebend und bestimmend sein dürften. Unmittelbar über dem Haupte
des Gekreuzigten, aus stylisirten Wolken hervorragend, erblickt man die Hand Gottes
des Vatera, das Symbol des Frühmittelalters für die erste Person der Gottheit,
Diese Hand ist durch die eingravirte Inschrift: „Dea^tra Dei" hinlänglich gekenn-
zeichnet. An den beiden Querarmen sind ebenfalls in leichter Gravirung die Be-
präsentanten der beiden Himmelslichter dargestellt, die bei dem Hinscheiden des
Heilandes verdunkelt wurden. Rechts ist als allegorische Figur mit brennender
Fackel in der Rechten veranschaulicht der Sonnengott und in der Ecke des lin-
ken Querbalkens die Allegorie der ,,Luna'' als weibliche Halbfigur. Gleichwie
die drei obem Kreuzbalken mit einer nach beiden Seiten halbkreisförmigen ge-
schliffenen Krystallpaste ehemals verziert waren, so entbehrte früher auch der un-
tere Balken dieses reichern Ornamentes nicht.
Dieses stattliche Kreuz, aus einem dicken Blech in Rothkupfer gescbnitteO)
mündet nach unten in ein pflanzenförmiges Ornament aus, das sich fast als sjleur
ST. AIARU LYSKIBCHEK. 7
de &'' zu erkennen gibt und vollständig in seiner Stylisirung den fiUhromanischen
Typus erkennen lässt Von grösserer Bedeutung nicht nur in artistischer Beziehung,
sondern auch in symbolischer Hinsicht, sind die reichen figürlichen Darstellungen,
womit in kräftiger Gravur die hintere Fläche des Kreuzes belebt ist. Man erblickt
nämlich in der Vierung desselben gegenüberstehend die allegorisch weibliche Figur
der Kirche, dieser sichtbaren Stiftung des am Kreuze triumphirenden Heilandes.
Diese weibliche Figur ist sitzend auf einem Schemel dargestellt Die Rechte trägt
das siegreiche Banner der Auferstehung, die Linke hält den Kelch des unblutigen
Opfers. An dem Bande liest man die erklärende Umschrift in frllhromanischen
M^juskelbuchstaben »Saneta Ecclesia.'^ Diese Allegorie umgeben auf den vier Bal-
ken die Prototypen des unblutigen Opfers im neuen Bunde, die vorbildlichen Opfer
des alten Bundes, nämlich über dem Haupte der y,Ecclesia" das Halbbild des Kö*
nigs von Salem, in der Umschrift genannt Melchisedech , der Brod und Wein
opfernd mit beiden Händen darreicht. Eigenthümlicb erscheint es, dass zur Hech-
ten der Kirche auf dem rechten Querarme das Halbbild des Kain seine Dar-
stellung findet, wie er die verschmähten Garben opfert ; auf der Linken, ihm gegen-
tlber, sitzt sein Bruder als „puer justus Abel'% indem er das wohlgefällige Opfer
des Lammes darbringt Im untern Querbalken zeigt sich in einem vierten Kreis-
medaillon, der Inschrift zu Folge, die Halbfigur des Abraham im Begriffe den Isaak
zu opfern. Um den Kaum des Unterbalkens zweckmässig auszufbUen, hat der Gra-
veur unter dem ebengedachten Medaillon auch noch den Widder, vom Dombusch
umfangen, dargestellt Von diesen eben beschriebenen sechs Medaillons aus ver-
ästeln sich auf schrafSrtem Grunde schön stylisirte Laubomamente, die in ihren
Bildungen deutlich jene Ornamentik und Pflanzenbildungen erkennen lassen, wie
sie gegen Anfang des XH. Jahrhunderts den Miniatur-Malern geläufig waren. Für
die eben angegebene Zeit der Anfertigung des vorliegenden Kreuzes sind auch
maassgebend die grossen lateinischen Majuskelscbriften, die auf der vordem Seite
des Kreuzes ersichtlich sind. Dieselben entbehren noch der spätromanischen Aus«-
bildung und Entwickelung und lehnen sich theilweise noch an die ererbten
classisch-römischen Schriftcharaktere an.
Schwieriger jedoch ist es zu bestimmen, welcher Kunstepoche das in Silber
getriebene Bildwerk des Gekreuzigten angehöre und welchem Zwecke es ehemals
gedient habe. Eine nähere Besichtigung ergibt deutlich, dass die Figur des Ge-
kreuzigten nicht ursprünglich zu dem eben beschriebenen Kreuze angefertigt wor-
den ist Dafür zeugt nicht nur das verschiedenartige Material des Rothkupfers am
Kreuze und des Silbers am getriebenen Christusbilde, sondern mehr noch die rohe
und ungeschickte Art und Weise, womit dieses Bildwerk aus dünnem vergoldeten
Silberblech auf dem eben beschriebenen Kreuze befestigt worden ist. Dieses Bild
des Gekreuzigten ist nämlich auf eine unorganische Weise mit dem Kreuze so in
Verbindung gebracht, dass durch diese spätere Hinzuthat die eben besprochenen
figürlichen Darstellungen der Sonne und des Mondes nicht nur zum Tbeil verdeckt
werden, sondern, um die Ghristusfigur zu befestigen, hat man auch keinen Anstand
genommen, durch grosse Schrauben die bildlichen Gravirungen auf dem Hinter-
8 ST. MARIA LYSKIRCHEN.
theile des Kreuzes an vielen Stellen zu durchbrechen und zu entstellen. Obscbon
die anatomisch fortgeschrittene Darstellungsweise des Gekreuzigten, und der edle
Faltenwurf der Toga daftir zum Beweise dienen können i dass dieses getriebene
Bild ebenfalls wie auch das Kreuz mit seinen bildlichen Darstellungen aus dem
Anfange oder der Mitte des Xu. Jahrhunderts herrühren könnte, so sind wir doch
entschieden der Ansicht, dass dieses merkwürdige Bildwerk ursprünglich eine an-
dere Verwendung gefunden habe.
Wie das die innere Höhlung des Grckreuzigten als ein technisch meisterbaft
gearbeitetes ^yopus productüe" andeutet, dtirfte dieses Christusbild ehemals als Be-
liquiarium gedient haben. Die kleinen Reliquien , die sich in dieser Höhlung be-
fanden, stellten alsdann yor die „viseera ChristL** Solche ausgehöhlte Ghristus-
bilder mit Reliquien angefUllt kommen als Reliquiarien im frühen Mittelalter
häufiger Tor. So führt das ekronicon Conradi episc. (ed. Urstitius) an: dass im
XH. Jahrhundert, unter den übrige;i reichen Schätzen der Mainzer Metropole, der
Schatz daselbst ein grosses goldenes Christusbild besass, das in seinen einzeben
Theilen lösbar war und worin eine Menge Reliquien aufbewahrt wurden.
Für das Studium der verschiedenartigen Darstellungsweisen des Gekreuzig-
ten im Mittelalter ist vom höchsten Belange die Auffassung des gekreuzigten Hei-
landes in der Weise, wie er hier bildlich wiedergegeben ist. Derselbe ist offen-
bar hier künstlerisch dargestellt als „Chrütus regnans et triumphans in cruee^';
nach dem Spruche der h. Schrift: „^' ascensus Juero in crucem omnia ad me atrakam"
steht der Gekreuzigte auf einem Untersockel mit geradlinigt ausgespannten Armen.
Die Hände und Füsse sind nicht mit Nägeln durchbohrt Auffallend ist es, dass
hier die symbolische Königskrone auf dem Haupte desjenigen fehlt, der vom Kreuze
hernieder die Welt regiert Der Gekreuzigte trägt überdies eine „^imica inconsu'
tilis^'j die in leichtem Faltenwurf bis zu den Füssen heruntersteigt und deren weite
Aermel nur bis zum Unterarm reichen. Solche Darstellungen des Gekreuzigten
als Christus iogatus oder tunicatus auf eine ideale Weise mit dem Leibrock be-
kleidet, anstatt mit dem Lendentuch (perizanium)^ finden sich seltener vor. Ueber
dieses seltenere Vorkommen gekleideter Christusbilder in einer langem Tunica
oder einem kleinem Leibrock ist das Nähere in der Abhandlung des gelehrten
Jesuiten Charles Cahier zu ersehen: die Darstellung des Gekreuzigten vor dem
X. Jahrhundert*) Ein anderer französischer Gelehrter, J. Lamie, nennt dieses
Gewand in Form einer Tuniceila an alten Christusbildem vor dem X. Jahr-
hundert „yw/iewi" (gonetta). Lamie citirt mehrere solcher bekleideter Crucifixe;
auch M. Guenebald führt an, dass in der Kathedrale von Burgos (Espagne artistiqnt
et monumental) sich ein Gemälde mit einem solchen bekleideten Ghristusbilde ehe-
mals befand. Wir theilen die Ansicht nicht, die von Schaefer in einer kleinen Schrifi:
„der Hülfensberg im Eichsfeld, 1853'* ausgesprochen worden ist, dass nämlich die
Bilder und Darstellungen der h. Kumemus ehemals ältere Cmcifixe gewesen seien,
aus einer Zeit vor dem X. Jahrhundert, wo man den Heiland nicht nackt am
*) Monges d'arch^logie. Tom. I. pag. 23S.
£rr« BiARIA LYSKIRCHEN. 9
Ereaze, sondern mit einem Leibroek bekleidet darzustellen gewohnt war. Bei
dem Aufkommen der Christusbilder mit dem Schürztuche habe man aus diesen
gekleideten Christusbildern eine Heilige gemacht, die man „Oncommera, Wilge-
fortis liberata" genannt habe. Diese ebengedachte gewagte Hypothese würde sich
durch Belege schwerlich erhärten lassen; desgleichen dürfte auch nicht zugegeben
werden, dass in dem vorliegenden Christus tutucatus das Bild der h. Wilgefortis
zu finden sei. Denn nicht nur gehört die Legende, Darstellung und Abbildung
der h. Eumemus*) dem spätem Mittelalter an, sondern das vorliegende Christus-
bild entbehrt auch der Krone und der reichen Fussbekleidung, die bei der Abbil-
dung der Wilgefortis niemals fehlen. Noch fügen wir bei Beschreibung dieses
merkwürdig bekleideten Christusbildes hinzu, dass die t^tuniea", wie das Bildwerk
des Gekreuzigten sie trägt, ehemals am untern Saume, so wie an der Ausmündung
der Aermel und des Halsausschnittes mit kleinen Edelsteinen verziert war, oder
mit schmalen Bändern von Filigran, die abwechselnd kleine Rubinen als Ornamente
zu erkennen gaben. Sowohl das vorliegende merkwürdige Ereuz, als auch das
unter No. 103 beschriebene „evangelistarium" stammen aus der ehemaligen Stifts-
kirche von St. Georg und scheinen in den Umwälzungen zu Anfang dieses Jahr-
hunderts, um sie zu retten, in die Sacristei von Maria Lyskirchen übertragen wor-
den zu sein.
Da dem ebenbeschriebenen Ereuze nebst seinem merkwürdigen Crucifix in
nächster Zeit eine stylgerechte Restauration bevorsteht, so wäre zu wünschen, dass
bei Vornahme einer solchen keine moderne süssliche Vergoldung in kalter Weise
diesem seltenen Vortragekreuze gegeben werde, wodurch demselben der althistorische
Anhauch und somit der Beweis des Alterthums benommen würde, sondern dass,
wenn nun einmal heute Vielen die „(lerugo nohilis*' des alterthümlichen Ereuzes
nicht mehr gefallen will, unbedingt reine Feuervergoldung, ohne zu grellen Glanz
und Schimmer angebracht werde.
105.
Gefäss
zur Aufbewahrung ' der heiligen Oele. Silbervergoldet.
Hohe 27 CeDtimeter, Duichmesser des Fusses 13 Vi Centimeter. XV. Jahrhundert
Von den wenigen „piandes" zur Aufbewahrung der h. Oele, die sich heute
noch in Eölnischen Eirchen erhalten haben, dürften die in Bede stehenden „va^-
(mla" als die zierlichsten und formschönsten betrachtet werden. Der Fuss ist als
sechstheilige Rose gehalten. Auf dem schlank ansteigenden Halse desselben setzt
sich eine glatte Bohre, im Sechseck gehalten, an, die von einem zierlichen Enopfe
*) Vergl. acta Ss, der BoUandisten zum 20. Juli.
10. 8T. ÜARIA LYSKIRCHEN.
als Handhabe unterbrochen wird. Diese Röhre verbreitet sich nach oben za einer
kleinen ConsolCi auf deren Fläche einDreipass aufliegt, der sich über den Seiten
eines gleichschenkeligen Dreieckes entwickelt In den spits&en Winkeb dieses
Dreieckes erblickt man ttbereck gestellt Widerlagspfeiler, die sich nach oben za
zierlichen Fialen yerjüngen. Von diesen Fialen aus yerftsteln sich drei Streben,
die sich in einem Mittelpunkte vereinigen und auf ihrer Spitze eine Laubconsole
tragen» auf welcher das kleine ciselirte Standbild eines Heiligen ersichtlich ist
Offenbar stellt dieses Standbildchen die Figur des Apostels Jacobus vor, der in sei*
nem Briefe von der Spendung des Sacramentes der Oelung bereits im apostolischen
Zeitalter beredtes Zeugniss ablegt Bekanntlich lautet die betreffende Stelle mit
Bezug auf die h. Oelung nach der Yulgata wie folgt: jjnfi$*matur aUqms iniro-
ducat presbyteros JEcclesiae et orent super eum etc." Die h. Oele selbst sind in
thurmartigen kleinen Behältern aufgehoben, die auf der kleeblattfbrmigen Grund-
lage, wie oben angedeutet, halbkreisförmig nach drei Seiten ausladen. Diese
Thurmform zur Aufbewahrung der h. Oele findet sich im ganzen Mittelalter Tor,
und scheint darin eine symbolische Hinterlage zu haben, dass die consecrirten
Oele als Stärkungsmittel gleichsam in festen Bollwerken aufbewahrt werden.
Auf der äussern Umrandung dieser runden Thttrmchen erheben sich kleine dach-
förmige Spitzen, wodurch diese drei Gefässe wie durch Helme abgeschlossen wer-
den. Um diese Dachhelme zu veranschaulichen, sind dieselben mit einer Menge
Ziegel in Gravirungen belebt, die den Schuppen des Fisches nicht unähnlich flber-
einander geordnet sind. Die runden Bauchungen dieser ssVasculu** sind gekenn-
zeichnet durch die eingravirte Bezeichnung jener Oele, die in dem betrefienden
Gefässe aufbewahret werden. So liest man auf dem einen Thttrmchen „ofetoR
mßrmorum", auf dem andern ftsaorum oleum", und auf dem dritten „s. chrima,'^
Wir tragen kein Bedenken, dieses schöne und seltene Gefäss vorkommen-
den Falls als Mustervorlage und Modell jenen anzuempfehlen, die ein neues Gefäss
zu ähnlichen Zwecken anzufertigen beabsichtigen.
Aehnliche Oelgefässe, jedoch nicht in dieser reichen Formentwickelung, be-
finden sich heute noch in einigen Kirchen Westphalens und hat Dr. Giefers in
einem früheren Jahrgange des Organs für christliche Kunst eine Beschreibung und
Abbildung dieser Salbgefässe mitgetheilt
Den kirchlich vorgeschriebenen Gebsauch dieser h. Oele als bekannt vor-
aussetzend, machen wir noch darauf aufmerksam, dass der liturgischen Vorschrift
gemäss diese geweihten Oele unter keiner Bedingung in demselben verschliess-
baren Räume zugleich mit der Eucharistie aufbewahrt werden dürfen. Um aber
dennoch die h. Oele würdig und verschliessbar aufeuheben, pflegte man im Mittel-
alter, dem Sacramentshäuschen gegenüber an der Epistelseite, meist in Nähe der
„Piscina", ein verschKessbares Behälter in die Mauerfläche zu vertiefen, wo das
betreffende Gefäss mit den h. Oelen ehrfurchtsvoll eingeschlossen zu werden pflegte.
ST. MARIA LYSKIRCHEN. II
106.
Kniekissen
in vieirarbigem Wollenstramin gestickt.
Länge 62 Centimeter, Breite 52 Centimeter. XVL Jahxhandert.
In der Pfarrkirche „St Maria in Ktore^' haben sich heute noch mehrere inter-
essante Kniekissen erhalten , die zum Belege dienen , yon welcher artistischen
Beschaffenheit im Mittelalter die „pulvinaria, cussini" gewesen sind, deren
in altem Inventaren so oft Erwähnung geschieht Ein sehr beschädigtes Kissen
daselbst lässt einen „wilden Buschmann^' erkennen, der als Wappenherold zwei
Wappenschilder trägt Dies Haute-lisse-Oewebe ist offenbar aus dem Schlüsse des
XV. Jahrhunderts. Ausserdem befinden sich daselbst noch zwei andere Kniekissen,
die der Zeitfolge nach etwas jünger zu sein scheinen und spätestens aus der Mitte
des XVL Jahrhunderts herrühren dürften. Es scheinen dieselben, nach den darauf
befindlichen, gestickten Wappen zu schliessen, ehemals reichen Patricierfamilien
angehört zu haben, welche auf denselben beim Gottesdienste zu knieen pflegten.
Was die Technik dieser interessanten „plumatia** betrifft, so sei hier bemerkt,
dass dieselben auf einem groben, aber sehr gleichmässig gewebten Leinenstramin
im regelmässigen Kreuzstich gestickt sind, wie man auch heute solche Kniekissen
noch anzufertigen pflegt Die Dessins an dieser interessanten Straminstickerei,
vielleicht der ältesten, die in dieser Technik sich noch in Kölnischen Kirchen Tor-
findet, sind als Reminiseen^en an jene Straminarbeiten zu betrachten, die sich ftlr
Teppiche, Kniekissen und ähnliche Wollenstickereien Jahrhunderte hindurch als
stereotyp feststehende Muster erhalten hatten. Aehnliche Dessins fanden wir, aus
dem Beginne des XIII. Jahrhunderts herrührend, an einem seltenen Messomate
im ehemaligen Benedictinessenstifte Göss bei Leoben in Steiermark.*) Auch an
Teppichen und Ueberzügen des XIV. und XV. Jahrhunderts kommt dies eigen-
thUmlich quadratisch geordnete Muster bei der Straminstickerei in Wolle und Seide
immer wieder zum Vorschein. Wie die betreffende Abbildung das veranschaulicht,
sind in rombenförmgen Einfassungen jedesmal kreuzweise geordnete Dessins so in
Zickzackformen immer wiederkehrend gestickt, dass die Dessins in spitzen und
stumpfen Winkeln sich brechen: Musterungen, die für die Straminstickerei äusserst
geeignet und technisch leicht auszuftlhren sind. Auch die Farbenwahl ist eine
solche, dass bei dem reichen Wechsel derselben sie nicht zu bunt und unruhig
erscheinen. Auf den beiden mittleren Einfassungen ersieht man zwei Wappen-
schilder, mit ihren noch gothisirenden Helmzierden und umfassenden Laubornamen-
ten. Dieselben enthalten im Innern auf Seide gestickt die heraldischen Abzeichen
einzelner Patricier Köbis. Die originelle Form der Wappenschilder dient zum
deutlichen Belege, dass diese Kissen erst im zweiten Viertel des XVI. Jahrhun-
derts gestickt worden sind. Bei Anfertigung ähnlicher Kissen zu demselben kirch-
*) Vgl. unsere Beschreibung und AbbUdung dieser in Seidenstramin gestickten CapeUe im
3. Jahrg. der Mittheilungen der K.K. Centrulcommission zur Erhaltung der Monumente. Wien 1858.
12 ST. MARIA LYSKIBCHEN.
liehen Gebrauche dürften diese schönen Dessins als Mustervorbilder festzuhalten
sein, anstatt jener schwulstigen Stickereien mit naturalistisch überladenen und
yerworrenen Laubomamenten, die man heute nicht nur an Sophakissen, sondern
auch als Kniekissen fUr den Altar zuweilen antrifft.
Ausser den eben besprochenen Kunstwerken werden in der Sacristei von
St. Maria Lyskirchen noch zwei interessante Fahnenkreuze in feuervergoldetem
Bothkupfer aufbewahrt , die auf der einen Seite in energischer Grayirung spat-
romanische Ornamente erkennen lassen, zugleich mit den Emblemen der vier Evan-
gellsten in den Kleeblattbogen der Kreuzbalken, während die Kehrseite des Kreu-
zes mit Ornamenten und Zierrathen aus der Spätgothik ausgestattet ist Diese
beiden romanischen Kreuze aus der ebengedachten Pfarrkirche dtirften die ein-
zigen Fahnenkreuze in Köln sein, die aus der ersten Hälfte des Xm. Jalirhuu-
derts stammend bis heute ihrem primitiven Zwecke erhalten worden sind.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass die hiesige Pfarrkirche Maria Lyskirchen,
die früher „Unserer Lieben Frau am Ufer^* hiess, vor dem Ausbruche der fran-
zösischen Beyolution eine grosse Zahl von Kunstschätzen des Mittelalters im Be-
sitze gehabt habe. Auch Gelen, der unter der Ueberschrift „thesaurus sacer B.
M. F. m liiore" die Kirchenschätze der besagten Kirche der Reihe nach auf-
zählt, spricht nur von zwei silbernen Hierotheken, in denen Reliquien verschiedener
Heiligen deponirt waren. Unter der Rubrik „monumenta in usu ecclesiae^' ftihrt er
ein ausgezeichnetes Gemälde auf, vorstellend die Beweinung Christi nach der
Kreuzabnahme, das hinsichtlich seines Kunstwerthes zahlreiche Beschauer ange-
zogen habe und J524 von dem Kölnischen Senator Gobelin Schmitgen der be-
treffenden Kirche geschenkt worden sei.
Druck Ton J. B. Hlrtchfeld In Leipiig,
'Urs
'S.
&
•SX
•02.
i
§t. "^Kaxia in 6cr ^c^nurgaffe
(Jfam #i |antalMn.)
Mittelalterliche Kunstwerke daselbst
Saite
107J Reliquienschrein des h. Albinus (Protomartyr Angliae) mit getriebenen
Bildwerken und eingeschmelzten Ornamenten. XII. Jahrh. Taf. XXXVIL
Fig. 107 3
108j Reliquienschrein enthaltend die Gebeine des h. Maurinus mit vielen Flach-
gebilden und figuralen und . omamentalen Schmelzwerken. XU. Jahrh.
Taf. XXXVIIL Fig. 108 11
109) Vortragekreuz mit vielfarbigen incrustirten Schmelzen. Xu. Jahrhundert
Taf. XXXIX. Fig. 109 20
110) Altarkreuz in vergoldetem Rothkupfer. XIV. Jahrh. Taf. XXXIX. Fig. HO 22
1 1 1 ) Vorsatzkreuz mit starker Feuervergoldung. XV. Jahrhundert Taf. XXXIX.
Fig. 111 23
112) Getriebene Statuette der Himmelskönigin in vergoldetem Rothkupfer.
XV. Jahrhundert. Taf. XL. Fig. 112 . 24
112a) Drei Messgewänder mit gestickten figuralen Bildwerken. XV. Jahrh. 25
Der ehemalige Schatz der Benedictiner Abtei von St. Pantaleon. 27
107.
Grosser Reliqnienschrein
mit vielen ciselirten und eingeschmelzten Ornamenten^ enthaltend die Gebeine
des h. Märtyrers Albinus.
Länge IV2 Meter; Breite 44 Gentimeter; grOute Höhe 62 Centimeter. XII. Jahrhundert.
Unter den vielen, heute noch erhaltenen Beliquienschreinen der Erzdiöcese
Köln sind wohl mehrere anzutreffen, die hinsichtlich ihrer metallischen Beschaffenheit
und Ausdehnung sowie desReichthums der getriebenen Arbeiten einen grösseren Werth
beanspruchen dürften, als jenes Schreinwerk aus der ehemaligen Abtei von St Pan-
taleon aufzuweisen hat, worin die Gebeine des engländischen Märtyrers Albinus
ruhen. Hinsichtlich der edlen Verhältnisse und der trefflich ausgeführten einge-
schmelzten und ciselirten Arbeiten jedoch durfte der Albinusschrein nicht leicht
von einer andern y^tumba^' des kölnischen Erzstiftes Übertreffen werden.
Hinsichtlich der Construction und äusseren Eintheilung der „orea Sti. Atbim'"
ist anzuführen, dass dieselbe das Langschiff einer Basilica ohne Kreuzanlage mit
geradlinig abschliessenden Schmal- und Kopfthcilen vorstellt. Wir beginnen die
Beschreibung dieses Prachtschreines zunächst an jenem Kopftheile, der ehemals
in getriebener halberhabener Arbeit das Standbild jenes Blutzeugen Christi zeigte,
dessen Ueberreste in dem innern Holzkasten seit dem 1 2. Jahrhundert eine ehrfurchts-
volle Aufbewahrung gefunden haben. Zu beiden Seiten dieses getriebenen Bildwerkes
des hl. Albinus erblickte man bis zu Anfang dieses Jahrhunderts kleinere Bild-
werke, nämlich rechts das des h. Germanus, Bischofs von Auxerre und links jenes
der Kaiserin Theophauia, der Mutter Kaiser Otto's HL Eine kunstfeindliche Zer-
störungssucht, die seit den Tagen der französischen Revolution bis zu den zwan-
ziger Jahren dieses Jahrhunderts den herrlichsten Werken der Goldschmiedekunst
ohne Scheu den Krieg erklärt hatte, ist Ursache, dass nicht nur die eben gedachten
in Silberblech getriebenen Standbilder, sondern auch mehr als zwanzig grössere und
kleinere in edlem Metall getriebene Heiligenfiguren heute an dem Albinus-Kasten
gänzlich verschwunden und verloren gegangen sind. Die unter den vielen Rund-
und Kleeblattbogen in Oel gemalten Heiligengestalten sind auf Kosten einer Bru-
derschaft in Uebereinstimmung mit den betreffenden Inschriften auf den Bogen-
blenden als kunst- und werthlose Surrogate an Stelle der alten Flachgebilde in
neuester Zeit hinzugefügt worden.
4 ST. MARIA m DEB SCHNURGASSE.
Die Eingangs gedachten drei Standbilder, welche den einen Eopftheil zieren,
ftUlten die entsprechenden Räume eines Kleeblattbogens aus, der durch vier mit
reich ciselirten Capitälchen bekrönten Säulchen in drei Felder abgetheilt wird. Das
über diesem Kleeblattbogen befindliche Giebelfeld ist ebenfalls durch drei Halb-
medaillons ausgefüllt und verziert; in der Vertiefung derselben waren ehemals
kleinere, in Silberblech getriebene Halbfiguren angebracht und zwar an den klei-
neren Halbkreisen zur Seite zwei adorirende Engelsgestalten und in der Mitte die
Halbfigur des Heilandes als „mafestas dominL"
Dass diese heut fehlenden Halbbilder früher daselbst ihren Platz gefunden
haben, bezeugt eine goldene Inschrift auf blau emaillirtem Grunde, die folgendes
Legendarium enthält,
Hunc cui se donat^ dilectio vera coronat.
lieber diesem Giebel erhebt sich ein breiter profilirter Abschlussrand, der
mit vielen ciselirten und eingeschmelzten Ornamenten kunstvoll ausgestattet ist.
Der äussere Abschluss dieses Ziergiebels wird gebildet durch einen reich durch-
brochenen und äusserst zart ciselirten Kamm, der ein spätromanisches Laubwerk in
Verbindung mit den phantastischen Gestalten der animalischen Schöpfung erkennen
lässt. Auf der Spitze des Giebels erhebt sieh ein Granatapfel in Gestalt einer
geschliffenen Krystallkugel, die von ciselirten Laubomamenten eingefasst ist.
In den vertieften Bogenblenden zu Häupten der obengedachten Stand-
bilder befinden sich jetzt noch in blauem Schmelz folgende Inschriften: f -^/*a-
nus Protomartf/r Anglorum, femer: Set Germanus und endlich: Theophanu
imperatrix. Unter dem obem Abschlussrand des Giebels, desgleichen auch über
dem untern Fusssockel ist ein schmaler Abfassungsrand in vergoldetem Kupfer-
blech angebracht, der in blau eingeschmelzten Versalbuchstaben folgende Lesung
enthält:
Iste decens locus claudit venerahile corpus
Anglia quod Romae quod Roma rernisit Agrippae,
Primi martyrio florentis in orbe Britatmo
Nobilis Albam, quem sanguis candidat Agni
Eine verwandte omamentale Eintheilung und Ausstattung, wie an dieser
schmäleren Kopfseite des Albinuskastens , ist in ähnlicher Anordnung auch an
den beiden Langseiten unseres Schreines eingehalten worden. Man erblickte näm-
lich ehemals unter sechs Kleeblattbogen, wovon jeder eine Spannung von 20 V«
Centimeter hat, gleichmässig auf beiden Seiten die wahrscheinlfch sitzenden Bildwerke
verschiedener Heiligen, deren Andenken in der Kölner Diöcese schon im 1 2. Jahrhun-
dert in hohen Ehren stand. Die Reihe dieser vorzugsweise kölnischen Kircheupatrone
eröfhete früher auf der einen Langseite, der Statuette des h. Albinus zunächst^
das in Silber getriebene Bildwerk des h. Bischof Martinus, das jetzt wenig künst-
lerisch durch ein gemaltes Bildchen ersetzt wird. In der äussern Umrandung des
darüber befindlichen Kleeblattbogens liest man mit Bezug auf dieses letztgedachte
Bild folgende Inschrift:
Affer Martine coelestis opem medicinae.
ST. MARIA IN DER SCHNUAOASSE. 5
Der Statuette des h. Martinas schloss sich an das sitzende Bild des h. Cunibertus,
Erzbischofs von Köln, dessen Gebeine in der gleichnamigen Kirche in einem gegen-
wärtig seiner reichen Zierrathen gänzlich entblössten Schreine noch aufbewahrt
werden. In dem betreffenden Bogen liest man ebenfalls in Versalien folgende
Inschrift in Gold auf blau emaillirtem Grunde :
Nostra salus per te stat sancte pater Kuniberte.
Als drittes sitzendes Standbildchen reihete sich die Darstellung des h. Bischofs
und kölnischen Stadtpatrones Severinus an; das Legendarium, das sich in dem
einfassenden Kleeblattbogen in eingeschmelzter Arbeit befindet^ lautet:
Praesul Agrippinae rege, pasce gregem Severine.
Alsdann folgte , als vierte Statuette , das Bild der Himmelskönigin y auf die sich
nachstehende Inschrift bezieht:
Praesta virgo pia lucem cum prole Maria,
Die folgende Inschrift an gleicher Stelle:
Ursula ßos urbis es subveniens prece turbis,
besagt, dass unter dem betreffenden Bogen das Bildwerk der h. Ursula thronte.
In der sechsten und letzten Bogenblende, worunter sich ehemals das Bild der
h. Cäcilia befand, liest man folgenden leoninischen Vers:
Audiat ante thorum Caecilia dragrna decorum.
Wir müssten die vorliegende Schilderung zu weit ausdehnen, wollten wir ins Ein-
zelne gehend die reich emaillirten Musterungen beschreiben, welche in Weise von
rechteckig länglichen Plättchen in einer Ausdehnung von 6 — 7 Centimeter den
untern Sockel des vorliegenden Werkes zieren. Mit Bezug auf diese figuralen
Schmelzwerke mit stets wechselnden Musterungen, die nicht nur dem untern und
obem Rande des Schreinwerkes zum Schmucke dienen, sondern die auch die Um-
randung der obem Bedachungsfiächen bilden, bemerken wir nur im Vorbeigehen,
dass in diesen eingeschmelzten Ornamenten sich die Kunst der kölnischen Email-
leurs nicht nur hinsichtlich der Technik, sondern auch der Composition auf der
Höhe der Entwickelung und Ausbildung erkennen lässt.
Noch sei bemerkt, dass die Künstler, aus deren Händen dieses Meisterwerk
der Goldschmiedekunst hervorgegangen ist, alle jene Bogenzwickel, die sich bei
dem Zusammenstossen der verschiedenen Kleeblattbogen der Langseiten ergeben,
mit emaillirten« kreisförmig gebildeten Medaillons ausgeftlUt haben, die auf ver-
tiefl;er Fläche in blauem Schmelz die sieben Gaben des h. Geistes in Gestalt von
stylisirten Tauben veranschaulichen. Dass diese Thiergebilde die ^ydona spiritus
sancti" versinnbilden, geht daraus hervor, dass in dem jedesmaligen darüber be-
findlichen Halbbogen in eingeschmelzten Versalien folgende Inschriften sich
befinden: Spiritus sapientiae, sjh consilii, sp. intellectus, sp. pietatis, sp, scientiae,
sp. fortitudinisy sp. timoris dandni.
Es erübrigt hier noch, auf die in Silber getriebenen Flachgebilde aufmerk-
sam zu machen, die in vier rechteckig länglichen Füllungen auf jeder Seite den
Flächen der Bedachung zum auszeichnenden Schmucke gereichen.
Auf der linken Seite des Schreines, die zunächst unserer Beschreibung vor-
6 ST. MARU IN DER SCUXUBGASSE.
liegt, erblickt man die doppelte Darstellimg der Taufe und des Unterriebts des
h. Märtyrers Albinus. Als Erklärung dieser beiden Scenen sind folgende Hexa-
meter zu betrachten, die oben und unten das betreffende Flachgebilde abfassen
und umranden:
f Hie informatur Christique ßde solidatur
Et baptisatus fit agendo justa beatus.
Das zweite Bas-Relief zeigt den h. Albinus, von Schergen umgeben, vor dem Rich-
ter und hat darauf folgende Inschrift Bezug:
Martyr discussus et nomen dicet*e jussus,
Quaenam sectetur qualis sit et unde Jatetur.
Wahrscheinlich ist früher eine Restauration des Schreines vorgenommen worden,
bei welcher Gelegenheit die Reihenfolge der Inschriften willkührlich gestört wor-
den ist. Wir haben in obiger Aufstellung es versucht, die Inschriften mit den dar-
gestellten Reliefs auszusöhnen.
Die dritte Scene veranschaulicht als Flachgebilde die Geisselung des h. Al-
binus und nimmt darauf Bezug die dabei befindliche Inschrift:
Laetatur caesus fit ei protectio Ihesus
Fert piagas mitis illatas a parasitis.
Das vierte und letzte Relief stellt dar das Ende der Leiden des engländischen
Glaubenshelden und seinen Tod durch das Beil des Henkers. Die darauf Bezog
nehmende Inschrift lautet:
Impius insontem praecepit scandere montem
Ense cruentatur et in aetheris arce locatur.
Eine gleiche omamentale Eintheilung und Ausstattung bemerkte man ehe-
mals an der rechten Langseite des Schreines. Leider hat dieselbe aber in den
Stünnen am Anfang dieses Jahrhunderts sehr gelitten, so dass heute diese gedop-
pelten emaillirten Säulchen*), die früher die sechs Kleeblattbogen trugen, nebst
Gapitälen und Sockel, dessgleichen auch die sechs sitzenden Statuetten in getrie-
benem Silberblech abhanden gekommen sind. Glücklicher Weise haben sich unter
den betreffenden Bogen in eingeschmelzter Arbeit noch sämmtlichc Inschriften er-
halten, die deutlich besagen, welche Heiligenfiguren in diesen Nischen sich in
halberhabener Arbeit befanden. Gleichwie nämlich verschiedene Kirchenpatrcme
des alten heiligen Köln als Statuen die linke Langseite des Schreines schmückten,
so waren auf der rechten Seite folgende sechs Hauptpatrone von köbischen Stifts-
und Pfarrkirchen angebracht, nämlich die h. h. Petrus, Andreas, Gereon, Mauritius,
Pantaleon und Georgius. Die diese Namen enthaltenden sechs Inschriften der
Kleeblattbogen lauten:
1) Pastor ovile rege Petre XPO prednce rege.
2) Te probat Andrea doctrina crucis tropkea.
*) Irren wir nicht, so haben wir in einem grösseren deutschen Museum diese Säulchen wieder
erkannt, die hinsichtlich ihrer Musterung mit den eingeschmelzten Motiven, welche eich an den ver-
schiedenen Säulen der eben beschriebenen Langseite Torfinden, voUkommen übereinstimmen.
ST. MARIA IN DER SCHNUBGA8SE. 7
5) Hanc Gereon serva quae dat tibi vota caterva.
4) Contere Maurici dux bella potens inimici.
5) Victricis potere (?) ßos es Pantaleon alme,
6) Praestet inte mori tua mors pretiosa Georgi.
Sowie der Goldschmied durch die Kunst des Schmelzens die verschiedenen Zwik-
kel, die sich beim Zusammentreffen der Kleeblattbogen auf der einen Langseite
ergeben, durch die symbolische Darstellung der Tauben passend ausgeMlt hat; so
hat er parallel an derselben Stelle auf der entgegengesetzten Langseite des Schrei-
nes in halben Medaillons sieben Halbfiguren in eingelassenen Füllungsschmelzen
zur Anschauung gebracht, die als allegorische Figuren die Haupttugenden reprä-
sentiren sollen, welche den engländischen Erzmärtyrer in seinem Leben besonders
auszeichneten. Die Reihe dieser Tugenden eröfinet die Ckaritas, alsdann folgen die
Humilitasy ContinentiOy Largitas, Castitas, Patientia, Pax»
In Uebereinstimmung mit den vier oben beschriebenen Flachgebilden der einen
Bedachungsfiäche hat der Künstler auch die entgegengesetzte Fläche zu zieren gewusst,
und zwar mit verwandten Scenen aus dem Leiden und der Verherrlichung des
Heilandes. Dem Unterrichte und der Taufe des h. Albinus steht an der andern
Seite parallel gegenüber die Geburt des Heilandes und die andere Scene: der
h. Joseph erhält im Traume die Weisung des Engels. Zur Erklärung finden sich
dabei folgende Inschriften:
Quem sine matre pater genuit non ex patre mater,
Nascendi Jura mutantur in kac geniturcu
Alsdann folgt als zweites Flachgebilde die Kreuzigung des Heilandes mit den
weinenden Frauen auf der linken und Johannes und Maria auf der rechten Seite.
Unten zu den Füssen des Herrn erblickt man in liegender, flehender Haltung mit
aufgehobenen Händen den Donator, nach unserem Dafürhalten den Abt, unter
dessen Amtsführung der vorliegende Schrein angefertigt worden ist. Die einfas-
sende Inschrift lautet:
Demta restaurantur^ dolus^ ars hostis vacuantur.
Dem eben gedachten Relief schliesst sich als drittes ein anderes an, dajs, in Paral-
lele mit dem Martyrium und dem Heimgange des h. Albinus, den Sieg des Hei-
landes über Tod und Hülle darstellt. Als umschliessenden Sinnspruch liest man
zur Seite der Auferstehung des Herrn folgenden Vers:
Vlm reprimens ?nortis XPC surgit leofortis
Nil corruptelae referens sed regna medeiae.
Das letzte Basrelief, das als achtes in der Reihenfolge die linke Bedachungs-
seite ziert, hat zum Gegenstande die Auffahrt des Herrn am Oelberg mit den
zwölf Aposteln und den Herrn in seiner Herrlichkeit, wie er am letzten der Tage
als Richter und Vergelter wiederkehrt. Darauf beziehen sich diese zwei leonini-
schen Verse:
Astra Dens scandit suaque magnalia pandit
Inde reversurus kominumque repensa daturus.
Gleichwie die vordere Hauptgiebelfronte mit einem meisterhaft ciselirten Kamme
8 ST. MARIA IN DER 8CHNURGA8SE.
verziert ist, so gelangt auch die Bedachungsfirste der Länge nach mit einer ähn-
lichen durchbrochenen Bekrönung zum Abschluss, die ebenfalls wieder das conven-
tionelle spätromanische Laubwerk in Verbindung mit den phantastischen Thierge-
stalten der mittelalterlichen Natursymbolik erkennen lässt.
Wie an den meisten Reliquienschreinen des 12. Jahrhunderts erheben sich
auf der Dachfirste unseres Reliquiars jene zierlichen pomella theilweise aus geschlif-
fenen Bergkristallen, theilweise aus den reich emaillirten Knäufen bestehend, die,
wie früher bemerkt, als Sinnbilder der Früchte guter Werke zu betrachten sein
dtlrften, welche als Wohlgerüche aus dem Grabe der Heiligen zum Hinmiel aufeteigen.
Nur noch einige Worte über die ornamentale Ausstattung, die sich ehemals
in der Giehelfläche des hintern Kopftheiles befand. Heute ergiebt sicli an dieser
Stelle nur noch ein Vierpass-Medaillon im grössten Durchmesser von 34 Vs Centi-
meter, das ehemals dazu diente, ein getriebenes Bildwerk aufzunehmen. Es dürfte
im Hinblick auf die übrigen verwandten Schreinwerke der Erzdiöcese nicht schwer
fallen, hier anzudeuten, welche Heiligenfigur in getriebener Arbeit, dieses eben
gedachte Medaillon früher ausgefüllt hat. Es befand sich nämlich in diesem Me-
daillon das Bild des Herrn in seiner Herrlichkeit als Weltrichter, oder aber, was
wir eher anzunehmen geneigt sind, die sitzende Statue der Himmelskönigin mit
dem segnenden göttlichen Knaben.
Schliesslich sei es noch gestattet, über den künstlerischen Werth der Fladi-
gebilde des Albinusschreines uns kurz zu äussern, und die Entstehungszeit des-
selben näher festzustellen. Die Reliefs auf der linken Bedachungsseite, aus dem
Leben und dem Martyrium des Heiligen, dessen Gebeine in dem scrinmm ihre
irdische Ruhestätte gefunden haben, zeigen deutlich jenen charakteristischen For-
mentypus in der Composition, so wie in der technischen Ausführung, welchen wir
an den steinernen Heiligensculpturen in den Vorhallen romanischer Kirchen aus
det letzten Hälfte des 12. Jahrhunderts wahrnehmen. Man sieht es diesen kurz
gedrungenen Figuren mit einem mittelmässigen Verständniss der anatomisch rich-
tigen Körperverhältnisse an, dass sie nach streng hieratischen Gesetzen in jener
stereotyp conventionellen Weise gebildet worden sind, wie die Plastik der Byzan-
tiner sie in ähnlicher Stylisirung schon mehrere Jahrhunderte hindurch zu gestalten
pflegte. Im Gegensatz zu diesen Reliefs auf der linken Seite des Albinuskastens
giebt sich in den Flachgebilden auf der entgegengesetzten Bedachungsseite, welche
einzelne Momente aus dem Leiden und der Verherrlichung des Herrn darstellen,
nicht nur die geläufigere Hand eines andern Künstlers, sondern auch sogar eine
richtigere Auffassung des Natürlichen und eine grössere Leichtigkeit und Zierlich-
keit in Behandlung des Faltenwurfs zu erkennen; namentlich macht sich das an
dem Relief der Kreuzigung des Heilandes und an der Gruppe der drei weinenden
Frauen bemerklich. Aus dieser lebensfrischen Auffassungs- und Darsteliungsweise
im Gegensatze zu den mehr geistig erstorbenen traditionellen Gebilden der byzan-
tinischen Kunstweise, ersieht man es deutlich, dass der Durchbruch einer neuen
Stylepoche, die von einer selbstständigen germanisch-christlichen Auffassung des
natürlich Richtigen bedingt wurde, im Anzüge ist und dass die Zeiten nicht mehr
ST. MABIA IN DEB SCHNURGASSE. 9
fem sind, wo die bildenden Künste die engen, von dem Orient entlehnten Fesseln
brachen und sich mit grösserer Freiheit innerhalb allgemeinerer Stjlgesetze zu
bewegen begannen. Rechnet man zu dieser freieren Composition und Behandlung
der vielen figürlichen Darstellungen noch die reichere Entwicklung und äusserst
feine und technisch gelungene Ausführung der durchbrochenen Kämme und Gräte,
womit der Albinusschrein auf seinen beiden Giebeln und auf der Firste seiner
Bedachung abgeschlossen wird, beachtet man endlich die äusserst zierliche Glie-
derung und Entfaltung der spätromanischen Architektur auf den beiden Lang-
seiten unseres Schreinwerkes un^ den seltenen Schmuck der vielgestaltigen einge-
schmelzten Ornamente; so dürfte man nicht unschwer zu dem Schlüsse gelangen,
dass der Albinusschrein gegen Ende des 12. Jahrhunderts durch die kölnische
confratemitas aurifabrorum Entstehung gefunden habe. Diese Folgerung, die sich
aus der Betrachtung der vielen charakteristischen Einzelnheiten des reichen
Schreiuwerkes ergiebt, wird vollends zur historischen Gewissheit durch die authen-
tischen Angaben einer alten Chronik von St. Pantaleon erhoben, welche die
Reihenfolge der Aebte der oben gedachten Abtei und die wichtigsten Begeben-
heiten unter der Amtsführung derselben enthält Es wurde uns dieses werthvoUe
Manuscript durch das freundliehe Entgegenkommen des zeitigen Pfarrers von
St. Pantaleon, der überhaupt mit der grössten Gefälligkeit und Zuvorkommenheit
bei Beschreibung und Abbildung der Schätze der ehemaligen Abteikirche uns hel-
fend zur Seite stand, zur Benutzung übergeben.
Unter Heinrich von Hüme, der als erster dieses Namens und als 14. Abt
vom Jahre 1169—1196 der gedachten Abtei vorstand, fUhrt nämlich die obenge-
dachte Chronik wörtlich an : „Zur grösseren Ehre dieses Märtyrers (des h. Albinus)
und um die Verehrung desselben zu heben, Hess der gedachte Abt auch den
neuen Schrein [tumba), welcher mit Gold und Edelsteinen reich ausgestattet ist
und in welchem jetzt (zur Zeit des Chronisten) auch der Körper des h. Märtyrers
zum Tröste und zum Schutze unseres Klosters ehrfurchtsvoll bewahret wird, aus
den freiwilligen Opfergaben der Gläubigen herstellen, zugleich mit der silbernen ver-
goldeten Tafel, welche die Bilder, der Apostel darstellt. "*)
Eine Druckschrift, die über das Leben, die Bekehrung, die Marter und die
Wunder des h. Albinus von einem Zöglinge der Benedictiner-Abtei St. Pantaleon
im Jahre 1657 zu Köln („bei den Erben Pitter Overardt unter Sachsenhausen") ver-
öffentlicht wurde, giebt, wahrscheinlich auf ältere Klosterurkunden gestützt, auf
Seite 44 sogar das Jahr an, in welchem unser Schrein fertig geworden und die
Uebertragung der Gebeine des h. Albinus in denselben erfolgt ist. Die hierauf
bezügliche Stelle lassen wir hier ihrem Wortlaute nach folgen: „Nachdem nun die
h. Reliquien mit grossem Verlangen und Andacht beschauet und verehret worden,
*) Die SteUe lautet ihrem Wortlaut nach wie folgt:
Ad majorem etiam ejusdem Martyris honorem et venerationem memoratus Abbas noynm tum-
bam, auro gemmisque non mediocriter excultam, in qua etiaronum corpus ss. Martjris ad Monasterij
noBtri solatium aeque ac munimen debite as&ervatur, una cum argentea et deaurata illa tabula duode-
cim Apostolorum Ima^inee cxhibentc fabricari fecit.
2
10 ST. MABU IN DER SCHNURGASSE.
seindt sie in obgemeltem zierlichen Kasten verschlossen und versiegeU hineinge-
legt worden, welches geschehen im Jahr Christi 1186 unter Philippo von Heins-
berg, Erzbischoffen zu Collen und Henrico dieses Nahmens dem ersten und vier-
zehnten Abbten des Klosters zu St. Pantaleon.^'
Wir wollen die Beschreibung des Albinusschreines nicht zu Ende fiihren,
ohne vorher noch einige geschichtliche Nachrichten über das Martyrium, die Er-
hebung und Uebertragung dieses Blutzeugen hier mitzutheilen. Den ehrwürdigen
Traditionen der St. Pantaleons- Abtei zufolge wurden die Reliquien, welche in dem
gedachten Prachtschreine eingeschlossen sind, sei| den frühesten Zeiten fortwährend
als die irdischen Ueberreste jenes h. Märtyrers Albanus unbezweifelt angenommen
und verehrt^ der zu Verula in England in Hardfordshire zur Zeit Kaiser Diocleüan's
um das Jahr 303 als erster christlicher Glaubensheld und Blutzeuge die Palme
des Martyriums auf englischem Boden errungen hatte.
Sowohl die oben angeführten Inschriften auf Email, als auch ältere Chro-
nisten von St. Pantaleon berichten über die Translation der Reliquien unseres
,,pro(omartf/r Angliae" Folgendes: Der h. Germanus^ Bischof von Auxerre, der auch
in Bild und Inschrift auf unserem Schreine^ vorkommt, habe zur Danksagung für
die grossen Verdienste, die er sich um die Kirche Englands durch die siegreiche
Bekämpfung der dort herrschenden pelagianischen In-lehre erworben hatte, einen
Theil der irdischen Ueberbleibsel des h. Albanus erhalten. Germanus habe später
diese Reliquien mit sich nach Ravenna genommen, wo er 448 im Gerüche
der Heiligkeit gestorben. Von Ravenna seien dieselben nach Rom gelangt
und dort ehrfurchtsvoll hinterlegt worden. Als die griechische Kaisertochter
Theophania, die Gemahlin Otto's II., im Jahre 9S9 das Grab der Apostelfllrsten in
Rom besuchte, sei dieselbe von dem damaligen Papste mit den Reliquien des
h. Albanus beschenkt worden. Theophania habe im darauf folgenden Jahre den
theuien Reliquienschatz glücklich über die Berge bis nach Mainz gebracht; da
erklärte ihr der Mainzer Erzbischof, dass in einer dortigen Abtei-Kirche die Gebeine
eines anderen h. Albanus ruhten und dass in späterer Zeit der Gleichlaut des
Namens zu Irrthümem und Verwechslungen Veranlassung geben dürfte. Um
solchen ftlr alle Zukunft vorzubeugen, habe mit Einwilligung der Kaiserin der
Erzbischof von Mainz die Veränderung des Namens Albanus in Albinus vorge-
nommen. In die Mauern Köln's eingezogen habe die fromme Kaiserin ihren
Schatz, der vom Erzbischofe Bruno, dem Bruder Otto's L, begründeten und ao sehr
bevorzugten Abtei St. Pantaleon tibergeben. So ist es gekommen, dass seit langen
Jahrhimderten den grösseren Theil der irdischen Ueberreste des ereten Glaubens-
helden von England die von den Ottonen begründete und begünstigte Abtei von
St. Pantaleon in prachtvollem Schreine bewahrt, während der kleinere Theil in
der berühmten Albany-Abtei zu England ehemals in hohen Ehren gehalten wurde.
ST. MABIA IN DER SCHNURGASSE. 1 1
108.
Reliqnienschrein
in vergoldetem Rolhkupfer mit getriebenen Basreliefs und vielen einge-
schmelzten und ciselirten Verzierungen.
Grösste Länge 1 Meter 30 Centimeter, Breite 42 Centimeter, Hühe 597* Centimeter. XII. Jahrhundert.
0
Es ist in der That zu verwundem, wie die Metallkünstler im Mittelalter es
verstanden, bei den vielen grossem Reliquienschreinen, die das h. Köln in der
letzten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstehen sah, innerhalb der stetigen gege-
benen Grundformen eine solche Abwechselung und eine solche Fülle von decora-
tiven Einzelnheiten zu erreichen. Auch der Schrein des h. Maurinus, der unserer
Beschreibung vorliegt, zeigt im Ganzen und Grossen jene Form, die bei den Reli-
quienschrcinen der „confratemitas aurtfabrorum^' des alten Kölns feststehend war
und die im Wesentlichen, wie das ein Vergleich der beiderseitigen Abbildungen
ergibt, mit dem Schreinwerke des h. Albinus übereinstimmt. Nur das System
der Omamentation ist bei beiden ein anderes. Die Profilirung an dem Albinus-
kasten zeigt eine reichere Gliedemng und Abwechselung der Formen, als das an
den einzelnen constructivenTheilen des Maurinuskastens der Fall ist, während anderer-
seits bei letzterem die Omamentation in ihrer technischen Durchbildung als eine ge-
lungenere und durchgebildetere erscheint, als dies bei den eingeschmelzten, ciselirten
und getriebenen Omamenten des Albinusschreines der Fall ist. Leider sind durch die
Unbilden einer sturmbewegten Zeit, wie an diesem so auch an der „uma sancti
MauHfii" alle jene getriebenen sitzenden Bildwerke der beiden Kopf- und Lang-
seiten gewaltsam entfernt worden, indem sie das Unglück hatten, von einigem, wenn
auch geringem Silberwerthe zu sein. Glücklicher Weise haben sich jedoch auf
den beiden Bedachungsfiächen der vorliegenden „arca" noch alle jene Flachge-
bilde ziemlich unverletzt erhalten, die in artistischer Beziehung einen Schluss ziehen
lassen, von welcher Formausprägung und Stylisirung jene sitzenden, heute ver-
schwundenen Bildwerke gewesen sind, die ehemals die jetzt in Oel angestrichenen
untern Flächen kunstgerecht ausfüllten.
Be^nnen wir im Folgenden die kurz gedrängte Beschreibung jener Reliefs
des obera Satteldaches und fügen dann schliesslich hieran die Angabe jener Bild-
werke, die ehemals in den Bogenblenden unsere» Schreins thronten. Die Beda-
chungsfläche veranschaulicht plastisch auf der linken Langseite in fünf übereck-
gestellten Vierpassmedaillous das Martyrium verschiedener Heiligen aus der aposto-
lischen und frühchristlichen Zeit. Diese Martyrergeschichten sind zweifelsohne als
Parallelen aufzufassen zu den Leidensmomenten des h. Maurinus, die ebenfalls in
sieben Vierpassmedaillons auf der entgegengesetzten Bedachungsfläche plastisch
wiedergegeben sind, namentlich in einem Relief die Scene, wie er nach der Le-
gende, betend im Vorhofe der Kirche — „m atrio eccle^'ae*' — den Todesslreich
von seineu Verfolgern cmpiängt.
12 ST. MARIA IN DER SCHNÜROA53E.
Wir versuchen es im Folgenden in kurzer Aufzählung die einzelnen Marter-
darstellungen in Ettrze anzudeuten;
1. Das Martyrium des h. Petrus. In den offenen Zwickeln, die sich durch
die beiden anschliessenden Medaillons ergeben, zeigt sich oben in Kupfer das halb
erhabene allegorische Bild der p^temperantia" mit dabei befindlichem energisch ein-
gravirtem Spruchstreifen, der in romanischen Versalien den Namen dieser Cardinal-
tugend enthält. In dem untern Zwickel ersieht man das fiachgetriebene Bild des
Apostels Jacobus mit den Worten aus seinem Briefe (I. 1.) „Beatus vir, qui suf-
fert tentationem. . . .*'
2. Martyrium des h. Bartholomäus. Die zur Rechten dabei befindliche Figur
der ijortiiudo'' hat den Blick zur Marterscene hingewandt; unten sieht man das
Halbbild des Evangelisten Johannes, der da sagt: „Omne quod natiim est ex deo,
vincit mundum" (I. Job. 4.)
3. Die Steinigung des Protomartyrs Stephanus.
Die ihn auszeichnende Tugend der „prudentia'* erblickt man als Flachgebild
oben. In dem untern Zwickel einen Spruchträger als Papst mit der Tiara und dem
Pallium, der da sagt: „JSfcrft' dei camem dominant'^
4. Die Märtyrerscene des h. Laiirentius (in craticula.)
Die auszeichnende allegorische Tugend nennt sich nach der Inschrift
,Jiistitia**. Der untere Spruchträger giebt in der y,sckeda" die Inschrift zu erkennen:
„Si quid patimini propter Justitium beati.** (I. Pet. HI, 14.)
5. Das Martyrium des h. Vincentius (?). In dieser Scene wird plastisch ver-
anschaulicht der Heimgang eines Märtyrers, der durch das Schwert des Renkers
die Palme des Lebens empfängt. Da sich des beengten Raumes wegen die er-
klärenden Legendarien nicht dabei befinden, so haben wir angenommen, das^s in
Uebereinstimmung mit den Marterscenen der bekannten Diakonen Stephanus und
Laurentius hier die Leidensgeschichte des dritten Diakonen Vincentius veran-
schaulicht werde.
Bezugnehmend auf diese ftinf Marterscenen aus dem apostolischen Zeitalter
liest man in dem untern Abfassungsrande folgende Iconinischen Verse:
Exemplo Christi patiendo propensius isti
Indeßnitae captarunt gaudia vitae.
Auf der rechten Seite dem Martyrium des h. Petrus gegenüber:
6. Die Enthauptung des h. Paulus.
7. Die Leidensgeschichte 41es h. Andreas.
8. Das MartjTium des h. Maurinus, der als Abt mit dem Pedum und be-
kleidet mit der GucuUa im Vorhofe der Kirche betend dargestellt ist in dem
Augenblicke, wo er von seinen Verfolgern erreicht wird.
9. Das Martyrium des h. Johannes (in dolio).
10. Die Märtyrergeschichte eines Heiligen, dessen Bestimihung der unge-
wohnten Darstellung wegen mit Schwierigkeit verbunden sein dUrftie. — In den
offenen Zwickelflächen, die sich bei Zusammenftlgung der 5 Medaillons ergeben,
bat der Künstler getriebene Halbfiguren in Gestalt von Engeln und Heiligen,
ST. MARIA m DER SCHNURGASSE. 13
Spruchbänder tragend als Basrelief dargestellt, die in den betreffenden Phylak-
terien keine Inscbriften zum Vorschein treten lassen. Aus diesem Umstände dürfte
schon gefolgert werden, dass dieser weniger verzierte Theil ursprünglich wohl als
Bttekseite des Kastens betrachtet worden sei. Auch diese Flachgebilde finden
eine Deutung in dem Spruche, der als Abfassung des untern Randes folgenden
Wortlaut ergiebt:
Isti sunt sancti Jamulantes rite tonanti
Qui captant vitam preciosa mofte beatam.
Hinsichtlich des künstlerischen Werthes der sämmtlichen ebengedachten
Flachgebilde muss angeführt werden, dass 8 Basreliefs von einer und derselben
Hand herrühren und sowohl in Composition als technischer Durchi\lhrung dasselbe
Stylgepräge zu erkennen geben, welches sich an den Flachgebilden des Albinus-
kastens zeigt. Die letzten Flachgebilde jedoch verrathen ein anderes Stylgepräge
und einen andern ausführenden Künstler, der hinsichtlich der Composition und
der technischen Ausführung eine freiere Durchbildung der Form und einen hohem
Standpunkt in der Plastik eingenommen zu haben scheint, als das bei seinem
Vorgänger der Fall ist. Gehen wir nach dieser flüchtigen Beschreibung der obem
Bedachungsflächen zur Angabe der Ornamente über, die ehemals den beiden
Langseiten unseres Reliquiars zum plastischen Schmucke gereichten, so muss auch
hier wieder gesagt werden, dass der Quasten des Anstreichers in einem erlogenen
Marmor jene Innern Räume ärmlich ausgestattet hat, die ehemals durch getriebene
Bildwerke in dem schwierigen opus propuUatum ausgefüllt waren. Analog mit den
meisten grösseren Reliquiarien der Erzdiöcese Köln thronten innerhalb der Bogen-
blenden auf den beiden Langseiten unseres Maurinuskastens die 12 Apostel, denen,
um die Siebenzahl der Bogen auf jeder Seite auszufüllen, auf der einen Seite noch
das Standbild des h. Johannes des Täufers und auf der andern das des Apostels
Paulus beigefügt war. Auf der linken Seite befanden sich von reich emaillirten
Bogenblenden umschlossen, folgende sitzende Apostelbilder in halb erhabener Ar-
beit, deren Namen im blau emaillirten Abschlussstreifen oberhalb der Bogenwöl-
bung in dieser Reihenfolge zu lesen sind.
Sanctus Johannes Baptista, Sanctus Petrus, Sanctus Andreas, Sanctus Jacobus,
Sanctus Johannes, Sanctus Philippus, Sanctus Thomas,
Parallel mit diesem obem Einfassungsrande läuft auf dem Untersatz, auf
welchem sich die Sockel der Bogenpfeiler erheben, ebenfalls in vergoldeten Ver-
salien auf blau emaillirtem Grund eine Inschrift, die Bezug nimmt auf den h. Mär-
tyrer Maurinus, dessen Gebeine im Innern dieses Prachtschreines eine ehrenvolle
Beisetzung gefunden haben. Dieselbe lautet:
f Eamvias hominis ponens Maurinus in imis
Conditur hac uma cui gloria pax diutuma
Compar eis f actus quos mors decoravit et actus
Lumen Agrippinae decus ac tutor sine fine.
Wir befürchten unserer Beschreibung eine zu weite Ausdehnung zu geben,
wenn wir ausführlicher den grossen Reichthum an eingeschmelzten und ein-
14 ST. MARIA IN DER SCHKUBGASSE.
gravirten YerzieruDgen kennzeichnen wollten. Mit solchen hat das schaffende
Talent des Künstlers nicht nur die Flächen der Pilaster, sondern auch die
Bogenwinkel ausgefüllt, die durch die Arkadenstellung sich auf jeder Seite erge-
ben. Auch ein ungeübtes Auge wird bei Besichtigung dieser vielen Ornamente
zugeben müssen, dass das vorliegende Schreinwerk gleichsam als Mustersammlung
der verschiedenartigen eingeschmelzten Motive zu betrachten sein dürfte, welche
am Schlüsse der romanischen Kunstepoche bei den kölnischen Schmelzwerken
in Gebrauch waren. Namentlich in den Bogenwinkeln kommt ein überaus reiches
Ornament in vielfarbigen Schmelzen zur Entfaltung, welches in den 8 Zwickeln
der Bogenstellung einmal als Pflanzenomament, das andere Mal als figurale Dar-
stellung auftritt. Mit den figuralen Ornamenten abwechselnd ersieht man nämlich
auf der Langseite links als Halbfiguren von stylisirten Wolken getragen die Bil-
der dreier Engelsgestalten, die in breiten Phjlakterien folgende leoninische Verse
zu erkennen geben:
1 . Voce fide vita quasi veste nitent polimita.
2. Portae bis senae gemmae sunt hae duodenal
3. Hae nubes coeli rorantes imbre fideli.
Gleichwie die linke Langseite des Schreines durch den Schmuck getriebener
sitzender Bildwerke gehoben wurde, so fehlten, um die Reihe der Apostel
auszufüllen, diese getriebenen Statuen auch nicht der rechten Langseite unserer
arca. Den in Schmelz eingelassenen Inschriften zufolge ersah man ehemals in
^ den gleichartigen Bogennischen folgende Bilder der Apostel:
St. Paulus, St. Jacobus, St. Matthaeus, St. Siman^ St. Thaddaeus, St. Bartho-
lomaeus, St. Matthias.
Die Legendarien der Engelsgestalten in den betreffenden Bogenansätzen
lauten wie folgt:
4. Quam bene pugnarunt qui camem mortißcarunt.
5. Jam meritis tuti cangaudent came soluti.
6. His honor impensus redditur post funera census.
Auch die rechte Langseite wird durch emaillirte Spruchstreifen in ähn-
licher Weise abgeschlossen, wie das auf der linken der Fall ist. Dieselben be-
ziehen sich dem Anschein nach auf die Verherrlichung jenes MärtjTcrs, dessen
Gebeine der Schrein umschliesst. Leider ist in der Zerstörungsepoche zu Anfang
dieses Jahrhunderts ein Theil dieser einfassenden Legeudarien verloren gegangen,
so dass hier betreffs der Ergänzung*) zu einer Conjectur geschritten wurde. Der
eine leoninische Vers lautet noch wie folgt:
In Domino plaudit quem praesens (arcula cUtudit)
Es fehlt nun weiter der grössere Theil eines Hexameters, der mit folgenden
noch erhaltenen Worten schliesst:
(Linquens serviles sedes) ingressus herilcs.
*) Wir geben diese Ergänzung in Klammer, wie sie von sachkundiger Hand aufgestellt wurde.
ST. MASIA IN DER SCHNUBOASSE. 15
Auf diesen Schlusssatz nehmen Bezug folgende 2 Hexameter, die noch in ihrer Voll-
ständigkeit erhalten sind.
Per cujus merita veniat pax gratia vita
Edituis cincrum per tempora longa dierum.
Auch an den beiden Kopftheilen fehlen heute die in Silber getriebenen Flachge-
bilde, die ehemals dem Maurinusschreine zum auszeichnenden Schmucke gereichten.
Noch haben sich glücklicher Weise in den breiten Kleeblattbogen einzelne Reste
von Inschriften erhalten, welche die figürlichen Darstellungen jener vordem Schmal-
seite, der zunächst das Haupt unseres Märtyrers ruhte, grössten Theils errathen
lassen. In der mittlem breiten Bogenspannung ersieht man nämlich in Schmelz
eingelassen den Schluss des bekannten Hierogramms ASii wenn auch das dazu
gehörige Alpha fehlt, so dürfte jenes Zeichen in der obem Rundung des mittlem
Bogens doch als Beleg zu betrachten sein, dass unter demselben als opus productile
das stehende Bild des Heilandes, die bekannte Majestas Domini thronte, der als
Vergelter zu der zu seiner Rechten befindlichen Statue des h. Maurinus gewandt,
jenes bekannte „Euge serve bone" der Schrift zu sprechen schien. Zur Linken
des Herrn in seiner Herrlichkeit war ehemals ein anderes Flachgebilde ersichtlich,
dessen Bezeichnung in dem darüber befindlichen Bogenabschnitt gegenwärtig fehlt
Die entsprechende Bogenblende, die sich an dem hintern Kopftheile ergibt und die
heute ihres figuralen Schmuckes ebenfalls beraubt ist, dürfte nach Analogie form-
und stylverwandter Reliquienschreine zu urtheilen, mit dem sitzenden Bildnisse
der Himmelskönigin, auf dem Schoosse das göttliche Kind tragend, ausgeftlllt
gewesen sein. Zufolge der noch erhaltenen Inschriften in Email erblickte man
ehemals zu beiden Seiten der ebengedachten Statue die stehenden Bilder des
h. Bruno'*') und des h. Laurentius als Basreliefs.
Wir haben im Eingange schon darauf hingewiesen, dass nicht nur sämmtliche
Emails, sondern auch die vielen getriebenen Arbeiten eine Höhe der technischen
Vollendung erkennen lassen, wie sie an wenigen ähnlichen Reliquiarien aus dem
Schluss des 12. Jahrhunderts vorkommt. Das Gleiche gilt auch hinsichtlich der
ä jour durchbrochenen Kämme, mit welchen nicht nur die beiden Giebelfronten
der Schmalseite, sondern auch die Bedachungsfirste auf das Reichste veraiert sind.
In den Schmuckkämmen auf den beiden Frontgiebeln ersieht man nicht nur eine
äusserst delicat ausgeführte Durchbrechung und Ciselirung jenes conventionell
stylisirten Laubwerkes, welches für die spätromanische Kunstepoche charakteri-
stisch ist, sondern an diesem Kamme wechseln ab, was seltener vorkommt, klei-
nere birnförmige Ornamente nebst eingelassenen vielfarbigen Schmelzen mit jenen
kleineren y,pomella'^ in Krystall, wie sie auch auf der Bekrönung der Firste in grosser
Zahl angebracht sind. Ehemals erhielten die beiden Frontgiebel einen noch rei-
chern Abschluss durch ein heute fehlendes zierliches Pflanzenomament , das in
schöner Stylisirung noch in der Mitte des Kammes sich erhebt und welches ehe-
*) Für die HeUigengeschichte der Erzdiöcese Köln durfte das Vorkommen des „Sanctus Bruno
jirchiepiscoptu" von grossem Interesse sein.
16 ST. MABIA IN DES SCHNUB6ASSE.
mals kleinere Erystallpasten als Aepfelehen auf seinen Spitzen verzierten. Es erübrigt
noch auf die vier grossen eingeschmelzten Bildwerke aufmerksam zu machen, mit
welchen die vier 9 Centimeter breiten und 28 '/» Centimeter langen Pilaster geziert
sindy welche auf den 4 Ecken der Langseite die beiden Bedachungsflächen zu
stützen und zu tragen scheinen. Zu beiden Seiten des Vordertheiles, wo das
Haupt des h. Maurinus ruht, gewahrt man die Reprliscntanten der neun Chöre
der Engel, nämlich den ordo der Seraphim und den der Cherubim. Um die
Geistigkeit ihres Wesens auszudrücken, stellte die lateinische Kunst wie die grie-
chische im AnschluBS an die h. Schrift meistens die Seraphim und Cherubim als
k^antBQOL dar und zwar in der Weise, dass die 6 Flügel den Ober- und Unter-
körper dieser Engelsgestalten so verdecken und umhüllen, dass nur Gesicht, Hände
und Füsse zum Vorschein kommen. Um die Engel als reine geistige Wesen
denen die körperliche Schwere abgeht, anzudeuten, hat die Kunst der Grie-
chen meistens die Seraphim und Cherubim auf geflügelten Rädern dargestellt, ein Sym-
bol, das auch an den vorliegenden eingeschmelzten Figuren in Anwendung gebracht
worden ist. An der untern Seite, in der Gegend wo die Füsse unseres Märtyrers
ruhen, hat der Schmelzkünstler auf den beiden breiten Pilastern die figürlichen
27 Centimeter grossen Darstellungen der beiden Erzengel Michael und Gabriel zur
Anschauung gebracht. Der h. Michael, in lange faltenreiche Gewänder gehüllt,
trägt nach der Anschauungsweise der Byzantiner in der einen Hand als Zeichen
der Macht und der Herrschaft den Globus, während er in der Rechten den Lilien-
scepter hält. Diesen „Gilgen^' trägt auf der entgegengestellten Seite auch der
Erzengel Gabriel, während seine andere Hand eine Spruchrolle mit den An-
fangsworten der Verkündigung ^,Ave Maria gratia plena" hält. Was die Technik
dieser vier grossen Emailbilder betrifft, so fügen wir hier hinzu, dass nicht nur
diese 4 Bildwerke, sondern auch die übrigen eingeschmelzten stylisirten Pflanzen-
und Thieromamente sowohl an dem Maurinuskasten als auch an dem vorhin be-
schriebenen Albinusschreine durchaus der Confratemität der kölnischen Schmelz-
wirker angehören, deren grossartig schaffende Thätigkeit in die letzte Hälfte des
12. Jahrhunderts fUllt. Der Schmelz selbst gibt sich als ein farbig geschwängerter
Glasfluss zu erkennen, der durch Zusatz von Bleioxyd undurchsichtig und matt
gemacht worden ist, während die übrigen Schmelze vor dem 10. Jahrhun-
dert und nach dem 14. Jahrhundert ohne Zusatz von Bleioxyd in der Begel
als durchsichtige farbige Glassflüsse (translucide) zu betrachten sind. Sämmtliche
eingeschmelzte Arbeiten, sowohl figürliche als omamentale an dem Maurinus- wie
an dem Albinusschreine, sind ferner als in eine dicke Kupferfläche vertieft einge-
lassene Füllungsschmelze (emaux champleves) zu betrachten im Gegensatze zu den
älteren und kostbarem Zellenschroelzen (hnavw cloisormes), welche der Kunst
der Byzantiner vorzugsweise angehören. Betreffs der Farbentöne, die den ebenge-
dachten opera smalti zum Schmucke gereichen, ftlgen wir noch hinzu, dass an
diesen beiden Reliquienschreinen jene Farbennüancen sich ergeben, wodurch die kölni-
sche Schule der Schmelzwirker sich charakteristisch auszeichnet. Es finden sich näm-
lich als dominirende Farben vor ein weissliches Blau, das die Scala bis zum dunkel-
ST. MARIA IN DER SCHKURGASSE. 17
blau durchläuft; neben diesem Blau zeigt sich überall ein allmäliges Wach-
sen der Farben vom Dunkelgrün bis zum hellen Seegrün > das bis zum Gelb
gehellt wird. Ausserdem tritt auch zu diesen eben gedachten Farbtönen noch jenes
schöne und seltene Braunroth hinzu, dessen Zubereitung unter allen Smal-
ten die kostspieligste war. Wir dürfen es nicht unterlassen bei Beschreibung des
in Bede stehenden Maurinusschreines noch auf eine merkwtlrdige eingravirte
Arbeit aufmerksam zu machen, die als Ornament auf dem untern breiten Fuss-
sockel des Schreines sich befindet. Der Meister und seine Schule, von denen das
vorliegende Prachtwerk der religiösen Goldschmiedekunst herrührt, verschmähte
es, nicht die eigene Ehre suchend, seinen und seiner Gesellen Namen , wie das erst
seit den modernen Zeiten an ähnlichen Kunstwerken Brauch ist, in dem Sockel
des Fusses auf die Nachwelt zu bringen. Nur die Namen und die Fortraits vielleicht des
zeitlichen Abtes und des Priors, in deren Auftrag das Kunstwerk entstand, hat der
Künstler in zarter Gravur mitten auf der linken Langseite dargestellt. Man erblickt
hier das Brustbild eines Abtes, der mit erhobenen Händen zu dem Schutzpatron
fleht, dessen Bild in der obem Rundbogennische ehemals in halbgetriebener
Arbeit angebracht war. In der Scheda zu Häupten dieses Abtes , als donator,
liest man in romanischen Versalien den Namen: Fridericus. Ihm gegenüber zeigt
sich links das der Länge nach als supplex in flehender Stellung befindliche Bild
des damaligen Priors, den die Inschrift in der Spruchrolle nennt : Herlivus prior.
Mit der Rechten hält dieser einen grossen Spruchstreifen, auf welchem in Abkür-
zung die Worte zu lesen sind: Jok (annes) ora pro me. Wir lassen es dahingestellt
sein, ob unter diesen beiden Gestalten jener Abt und jener Prior veranschaulicht
werden sollen, unter deren Amtsführung der vorliegende Prachtschrein Entstehung
fand. Der fragliche Abt Fridericus und sein Prior Herlivus sind nämlich in der Ordens-
tracht der Benedictiner dargestellt. Herlivus trägt als Obergewand die cuculla
manachojmmj nämlich jenes Ordenskleid der Benedictiner, das oben mit der Kapuze
versehen ist. Herlivus sowohl als Fridericus haben die tonsura monacalis^ wie sie
dem Benedictiner-Orden im 12. Jahrhundert als tonsura sancti Fauä eigenthümlich
war. Es entsteht nun die Frage, die zur chronologischen Feststellung der Anfer-
tigung unseres Reliquiars maassgebend ist: kömmt im 12. Jahrhundert ein Fride-
ricus als Abt in der series abbatum vor und findet sich unter demselben ebenfalls
ein prior Herlivus verzeichnet? Wir müssen den ersten Theil der Frage nach der
Aufzeichnung der Achte von St. Pahtaleon aus dem 12. Jahrhundert, die uns in
einer glaubwürdigen Abschrift vom Jahre 1667 vorliegt, verneinend beantworten ^
in diesem Jahrhundert findet sich kein Abt dieses Namens verzeichnet. Man dürfte
daraufhin zu der Annahme sich veranlasst sehen, die Halbtigur, welche den
Beinamen Fridericus führt, sei demnach der opifex oder der magister aryentarius,
durch welchen das vorliegende Schreinwerk Entstehung gefunden habe. Diese
Vermuthung dürfte dadurch noch einen höbern Grad von Wahrscheinlichkeit
gewinnen, dass Fridericus bescheiden als Halbfigur mit erhobenen Händen sich
eingravirt findet, während gegenüber als eigentlicher Donator das Bild des
Prior Herlivus in flehender Stellung angebracht ist, und ausserdem noch die Inschrift
IS ST. MARIA IN DER SCHNCROASSE.
des Schutzpatrons dieses Priors nämlich S. Johannes und dabei: ara pro me. Fin-
det sich aber der Name des IMor Herlivus in der Reibe der Aebte von St. Panta-
leon vor? Im 12. Jahrhundert wird zweimal in dem voriiegfenden Verzeichnisse
der Name Herlinus angeführt, nämlich unter dem Abte Henricus L, der vom Jahre
1169—1196 der berühmten Abtei von St. Pantaleon vorstand. Herlivus steht aber
dort nicht als Prior, sondern noch als Frater bezeichnet und ist das v des Namens
in n verwandelt, was leicht zu erklären ist und zu keinem Bedenken hinsichtlich
der Identität der Person Veranlassung bieten könnte. Auch der Umstand, dass
Herlinus hier als Frater angefllhrt wird, verschlägt nichts, indem die Annahme
zulässig ist, dass er erst in den letzten Jahren der Amtsführung des Abtes Hein-
rich zum Prior ernannt worden ist, jedoch von den Klosterschreibem As solcher
irrthtimlich nicht namhaft gemacht wurde. Ein Grund mehr, in dem F. Herlinus
unter dem Abte Henricus I. unsem Herlivun als Bcstellgeber des Maurinuskastens
zu erkennen, ist noch darin zu suchen, dass unter der Amtsf)lhrung desselben
„Henricus abbas" auch der Reliquienschrein des h. Albinas, der uns vorliegenden
Angabe einer altem Chronik von Pantaleon zu Folge, angefertigt worden ist. Ein
eingehender Vergleich der beiden Schreine hat uns die Ueberzeugung verschafft,
dass der Maurinusschrein um höchstens ein Jahrzehnt jünger als der Schrein des
h. Albinus anzusetzen sein dürfte. Dass überhaupt unter dem Abte Heinrich ein
reges Kunstinteresse in der Abtei von St. Pantaleon vorgeherrscht habe und unter
ihm Vieles fllr die innere Ausschmückung der Abteikirche im Bereiche der Gold-
schmiedekunst geschehen ist, beweist ebenfalls eine Angabe derselben Chronik, dass
nämlich dieser Abt aus den Opferspenden der Gläubigen zugleich mit dem Albinus-
schrein auch argenteam et doauratam illam Tabutam dvodecim apostoiomm imaginesex-
hibentem habe anfertigen lassen. Unter dieser silbervergoldcten Tafel mit den getrie-
benen Bildwerken der 1 2 Apostel ist zweifelsohne eine Tabula aitans , welche die
Italiener P/i/fo, Paliotta altaris nennen, unser heutiger Altarvorsatz od. Antipendium
zu verstehen. Für die Anfertigung unseres Reliquienschreines in den letz-
ten Decennien des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich noch unter dem Abte Hein-
rich I. spricht femer nicht nur das in grösster Formenfülle und in der zierlichsten
Entwiekelung vorfindliche Pflanzenornament sowohl in getriebener, ciselirter, als
auch in eingeschmelzter Arbeit, sondern mehr noch der freiere und lebensvolle
Schwung in der Composition der Figuren und in der ungezwungenen Be-
handlung des Faltenwurfs an den Gewändern derselben. Auch die Marterscenen
des h. Johannes, der in siedendem Oel die Tortur erleidet, so wie die dabei
befindliche noch unerklärte Marterscene sprechen der letzten Annahme bedeutend
das Wort und dürften diese beiden getriebenen Bildwerke sogar noch im Beginne
des 13. Jahrhunderts angefertigt w^orden sein. Hinsichtlich der irdischen Ueber-
reste des h. Maurinus, die in dem eben beschriebenen kostbaren Sarkophage ihre
irdische Ruhestätte gefunden haben, berichtet der bekannte Chronist Tritheim in
seiner Chronik der Abtei Hirsau Folgendes: Erzbischof Bruno habe bei der Grün-
dung von Pantaleon auf dem Bauplatze, wo sich eine uralte Kapelle zu Ehren
der h. Kosmas uud Damianus befand, bei Vornahme der Grund- und Mauerarbeiten
ST. MARIA IN DER SCHXÜRGASSE. 19
zur neuen Kirche ein wohlvermauertes Grab gefunden mit einem Gedenksteine,
der folgende Inschrift gezeigt habe:
„//iV requiescunt ossa bonae memoriae Maurmi Abbatis qui in atrio ecclesiae
marti/rium pertuUt sub die quarto Idus Junii."
Der ebengedachte Chronist fügt hinsichtlich der Heimath des h. Maurinus
hinzu, dass derselbe ein Schotte gewesen sei, der in den Tagen des Franken-
königs Dagobert seine Heimath verlassen und in Begleitung zweier anderer Schot-
tenmönche im Sachsenlande das Evangelium verkündet habe. Gelen spricht in
seinem Werke de magnitudine Colaniae die Vermuthung aus, dass der h. Maurinus
vielleicht jenem klösterlichen Vereine von Religiösen angehört habe, die durch die
Kaiserin Helena aus dem Oriente berufen, eine vita communis bei der von dieser
grossen Frau gegründeten basilica ad aureos sanctos (St Gereon) zu Köln begrün-
det hätten. Dass bei dem Baue der neuen Abteikirche die Gebeine des h. Mau-
rinus mit der oben citirten Inschrift aufgefunden worden sind, berichtet auch ein
Zeitgenosse und Augenzeuge, nämlich der Benedictiner- Mönch Stephan, der an-
führt, dass Erzbischof Volkmar, der Nachfolger Bruno's in seinem Beisein den Holz-
sarg habe erheben lassen und dass bei Eröfinung desselben sich an den Ueber-
resten noch Spuren des gewaltsamen Martertodes vorgefunden hätten.
Im Vorhergehenden haben wir das Nähere über Alter, Ursprung und
Kunstwerth des Prachtschreines vom h. Maurinus nachzuweisen gesucht und dar-
gethan, dass derselbe spätestens gegen Schluss des XII. Jahrhunderts von Meister-
hand Entstehung gefunden habe. Wie jedoch die Angabe einer handschriftlichen
Chronik von St. Pantaleon vom Jahre 1689 zu deuten ist, die berichtet, dass
unser Schreinwerk vom Abte Heidenricus von Romsdorf zwischen 1366 bis 1373
wiederhergestellt worden sei, vermögen wir nicht zu bestimmen, indem sämmtliche
heute an dem Reliquienkasten vorfindliche Ornamente den Stempel einer und
derselben Kunstepoche erkennen lassen. Vielleicht ist diese geschichtliche Angabe
zu beziehen auf die Anfertigung und Hinzufügung jener in Silber getriebenen
sitzenden Apostelstatuen, die zu Anfang dieses Jahrhunderts der Zerstörung anheim-
gefallen sind. Zur Rechtfertigung dieser Annahme müsste man jedoch die gewagte
Hypothese zulassen, die wir nicht vertreten wollen, dass nämlich gegen Schluss
des Xn. Jahrhunderts unser Maurinusschrein nicht in seiner Ganzheit vollendet
worden sei, so dass also erst das XIV. Jahrhundert an dem figürlichen Schmuck
des Reliquiars das hinzugefügt und ergänzt habe, was das XH. Jahrhundert noch
unfertig gelassen hatte.
20 ' ST. MARIA m DER SCHNURGASSE.
109.
Tortrage-Krenz
in vergoldetem Rolhkupfer mit vielfarbigen Schmelzen.
GröBste Länge 40V> Centimeter; Ansdehnung der Querbalken 22Vs Gentimeter. XII. Jftbiiiandert
Cruces stationcdes mit eingeschmelzten Emails und eingravirten Arbeiten aus
dem Schlüsse des XII. Jahrhunderts sind heute in den Kirchen der Erzdiöcese
Köln zur grossen Seltenheit geworden. Die Sacristei von St. Maria in der Schnur-
gasse hat als Nachfolgerin der ehemaligen Abtei von St. Pantaleon ein solches
Vortrage -Kreuz in ihrem Besitze, das hinsichtlich seiner originellen Form und
reichen Verzierungsweise zu den interessantesten Kreuzen Kölns gezählt werden
kann. Leider ist das heute auf diesem Vorträge-Kreuze befindliche Bild des Ge-
kreuzigten nicht als ursprüngliches zu betrachten, indem das ältere Crucifix bereits
früher verloren gegangen und das jetzt daselbst befindliche Bild erst vor wenigen
Jahren neu hinzugefügt worden ist.*)
Die reichste Ausstattung hat unstreitig die vordere Hauptseite des Kreuzes
erfahren, indem hier der Schmelzer in vertieft eingelassenem, mattem FüÜungs-
schmelz einen Reichthum von vielfarbigen Laubverzierungen angebracht hat Diese
eingelassenen Emails lassen das conventionelle Laubwerk der spätromanischen
Kunstepoche auf der Höhe seiner Entwickelung erkennen. Sowohl die wachsenden
Farbtöne des Emails in vorherrschend bläulicher, grünlich-gelber und weisser
Farbe, als auch die charakteristische Stylisirung der einzelnen Blätter besagen
deutlich, dass diese eingeschmelzten Arbeiten zu jenen sogenannten emaux champ-
leves gehören, die durch die kölnische Schule der Emailleurs in grosser Menge geg:en
Schluss des 12. Jahrhunderts entstanden sind. Ein nicht geringeres Interesse
bietet die Rückseite dieses Kreuzes für die christliche Kunstforschung, indem hier
in strenger Stylisirung und kräftiger Gravur die bekannte majestas dominU umge-
ben von den symbolischen Zeichen der Evangelisten, zur bildlichen Darstellung
gelangt ist. Der Herr, den man in seiner Herrlichkeit zum zweitenmale als Richter
wiederkehrend als Halbfigur in einem Kreismedaillon auf der Vierung des
hintern Kreuzes erblickt, hat die Rechte in lateinischer Weise segnend erhoben.
Der Graveur hat es verstanden, mit wenigen, aber kräftigen Strichen das Antlitz des
Heilandes so wiederzugeben, dass sich darin Erhabenheit, zugleich mit Ernst und Wür-
de paaren. Zu beiden Seiten des Herrn erblickt man nach griechischer Auffassungs-
weise das bekannte A und Si\ die übrigen 4 Flächen der Querbalken sind mit
energisch eingravirten Laubomamenten versehen, wie sie in ähnlicher Stylisirung
*) Unsere Abbildung ▼eranschaulicht an der Stelle des altem, fehlenden Christusbildes eine
Abbildung des Gekreuzigten, welche im Privatbesitze sich vorfindet. Dieses Bildwerk dürfte dem
Schlüsse des 1 2. Jahrhunderts angehören und haben wir in verkleinertem Maassstabe diese Copie genom-
men nach einem Gyps-Abgusse, den Modelleur Leers unmittelbar nach dem Originale nahm.
ST. MARIA m DER SCHXURGASSE. 21
und Motivirung häufig gegen Ausgang des 1 2. Jahrhunderts angetroffen werden.
Die geradlinig abfliessenden Kreuzbalken zeigen in ihrer Ausmttndungy von
, Halbkreisen umgeben, die geflügelten Symbole der Evangelisten. Ehemals ging
von dem untern Langbalken eine zur Spitze verlängerte Zunge in Koth-Kupfer
aus» die in die untere Büchse eingriff und beweglich gehalten, auch in einen
besonderen Fuss, zum Aufstellen auf deioa Altar, eingelassen werden konnte. Leider
ist diese verbindende Zunge oder Spitze durch Fallen abgebrochen und in anderer
Weise ergänzt worden. Die untere Kapsel indessen, worin als Btlchse der Trag-
Stab von Holz heute noch einmündet, ist als ursprüngliche zu erkennen. Merk-
wtlrdiger Weise findet sich auf dieser Einlass-Büchse eine Inschrift in romanischen
Versalien, die deutlich besagt, dass dieses Kreuz ehemals auch Reliquien ent-
hielt Wie so häufig ist der Anfang dieses Legendariums mit einem griechischen
Kreuze bezeichnet Dasselbe lautet wie folgt:
De Signa Sctae Crucis,
De Osse Set BartholomäL
De Omitu sctor. Apostolorum
Pauli, Symonis et Judae atque Matthiae.
De ossibus Sanctorum Martyrum
Stephani Protomartyris, Laurentii,
Vincentii^ Pancratü atque Albini et
Sancti Nicolai Confessoria.
Miserere mei Alberti, Amen.
Wenn dieser Inschrift zufolge die in Rede stehende crua? stationaUs zugleich
als Reliquienbehälter aufzufassen ist, so entsteht die Frage, wo waren diese in
der Inschrift namhaft gemachten Reliquien aufbewahrt? Zwei Hypothesen dürften
hier zulässig erscheinen. Es waren entweder dieselben in dem zu dem Kreuze
gehörenden Fusstheile eingeschlossen, oder aber, was wahrscheinlicher ist, befan-
den sich dieselben in dem ausgehöhlten corpus jener Christusfigur, die heute ab-
handen gekommen ist In diesem letzten Falle wären dann die in diesem Chri-
stusbilde ehemals befindlichen Reliquien aufzufassen als die viscera oder membra
Christi, die gleichsam als mystische Theile des Leibes des Herrn auch in der innem
Höhlung jenes grossen Crucifixes aus purem Golde sich vorfanden , das nach der
Chronik des Conrad bei Urstitius ehemals im Domschatze von Mainz aufbewahrt
wurde. Wenn auch nicht das charakteristische Formgepräge der eingravirten und
eingeschmelzten Laubomamente für die Entstehungszeit des vorliegenden Kreuzes
gegen Schluss des 12. Jahrhunderts Zeugniss ablegte, so dürfte dieselbe hin-
länglich durch den Schluss der oben angeführten Inschrift ausser Zweifel gesetzt
werden, nämlich durch die Worte: Miserere mei Alberti. Dieselben deuten
an, dass ein gewisser Albertus sich der Fürbitte jener Heiligen anbefiehlt,
deren Reliquien in diesem Kreuze ehemals verschlossen waren. Entweder
war nun dieser Albertus der Anfertiger und Meister, dem das in Rede stehende
Kreuz seine Entstehung zu verdanken hat, oder er ist als der Donator aufzufassen, in
dessen Auftrag dasselbe angefertigt worden ist Letzteres scheint uns das Wahrschein-
"12 ST. MARU IN DER SCHNUROASSE.
lichere zu sein. Durch die entgegenkommende Freundlichkeit des gegenwärtigen
Pfarrers wurde uns nämlich Einsicht eines altem Manuscriptes ermöglicht, das
die Reihenfolge der Aebte und Frioren der Abtei von St. Pantaleon zu Köhi eut*
hält. Unter Wichmannus, dem 1 3. Abte der gedachten alt berühmten Abtei, findet
sich bei dem Jahre 1167 als Prior verzeichnet P. Albertus. Unter dem 14. Abte
Heinrich findet sich zum Jahre 1176 abermals angeführt P. Albertus Prior. Nach
dem Jahre 1176 kommt der Name unseres Albertus in der Chronik von St Panta-
leon nicht mehr vor. Mit vielen Wahrscheinlichkeitsgrttnden lässt sich annehmen,
dass das vorliegende Reliquienkreuz auf Anordnung und unter Amtsführung des eben
gedachten Priors Albertus zwischen den Jahren 1 156— 1 176 angefertigt worden ist.
110.
Torsatz- oder Alfarkrenz
in vergoldetem Rothkupfer.
Hohe 46 Gentimeter; grttsste Länge der Querbalken I9*/2 Centimeter. XIV. Jahrhundert.
Die Abbildung unter Nr. 110 veranschaulicht in getreuer Copie ein Altar-
Kreuz, wie es in dieser eigenthttmlichen Form und Verzierungsweise heute selten
mehr angetroffen werden dürfte. Die ganze Anlage desselben ist nämlich von
vorne herein darauf berechnet worden, die Tiefflächen der 4 Ereuzesbalken, die
eine Kapsel bilden, mit Keliquien auszurullen. In dieser Vertiefung sind heute
auf hohlem Metallgrunde in Tempera&rbcn Christus am Kreuze und in den Vier-
passrosen als Ausmündungen der Balken die 4 Symbole der Evangelisten in Tem-
peramalerei ausgefUhrt. Der Fuss des Kreuzes ist sternförmig im Sechseck ange-
legt, auf demselben erhebt sich als Ständer eine runde BUehse, die in ihrem
oberen Theile von einem manubnum unterbrochen wird, das als pomellum in Form
einer Kapsel mit runden Einschnitten gestaltet ist In den obem Theil der
offenen Büchse ist das Kreuz eingelassen, dessen Vierpassrosen nach innen hin
mit ciselirten Ornamenten in Lilienform ausgestattet sind. Unser Kreuz erhält da-
durch einen weiteren auf die Feme wirkenden Schmuck, dass der Goldschmied
sowohl die innere Vierung des Kreuzes, als auch die ausmündenden Vierpassrosen
nach 4 Seiten mit grösseren gefärbten Steinen und Grlaspasten verziert hat, die
jedesmal durch 4 vorspringende ungues auf stark vorspringenden Unterlagen befe-
stigt und emporgehalten werden. Aus den omamentalen Einzelheiten, die das vor-
liegende, zwar einfach verzierte, jedoch durch seine schönen und richtigen Propor-
tionen vortrefflich wirkende Kreuz zeigt, dürfte mit Grund entnommen werden, dass
dasselbe spätestens in der letzten Hälfte des XIV. Jahrhunderts angefertigt worden
ist. Auch diese crua: altaris ist, wie die nachfolgende, durch freiwillige Schen-
kung in den Besitz der Pfarrkirche von St. Pantaleon in der Schnurgasse gekommen,
ST. MARIA IN DER SCHNÜRQASSE. 23
indem dieselbe im Privatbesitz des Stadtbaumeisters a. D. Herrn P. Weyer befind-
lich, erst im Jahre 1854 den 2. Juni der ebengedachten Pfarrkirche als Greschenk
überwiesen wurde. Wir dürfen hier nicht mit Anerkennung hervorzuheben unter-
lassen, dass der ebengedachte kunstsinnige Besitzer einer Sammlung mittelalter-
licher Oemälde, die in Hinsicht der Zahl und ihrem kunsthistorischon Werthe
nach nicht leicht von einer zweiten Bildersammlung in Deutschland übertroffen
wird vor Kurzem seiner Pfarrkirche ebenfalls 2 werthvolle Temperamalereien
der altern kölnischen Schule angehörend, zum Grcschenke verehrt hat, und
dieselben auf seine Kosten in eine solche Fassung hat bringen lassen, dass dar
durch das Tabernakel eines gothis^chen Altaraufsatzes in reicher FormentwickeluDg
gebildet worden ist.
IIL
Torsatz- oder iltarkrenz
in starker Feuervergoldung. XV. Jahrhundert.
Von allen liturgtschea Gefässen und Utensilien sind in den heutigen Kir-
chen Kölns am zahlreichsten noch jene Kreuze vertreten, die zugleich als Altar-
kreuz und als Vortragekreuz benutzt werden konnten. Unter diesen cruces altaris
nimmt das vorliegende zierliche Kreuz nicht die letzte Stelle ein. Aus welcher
Kirche dasselbe ursprünglich herstammt, dürfte sich gegenwärtig kaum erweisen
lassen, indem es erst vor wenigen Jahren aus Privatbesitz dem Inventar der Pfarr-
kirche von St. Pant^leon in der Schnurgasse einverleibt wurde. Der zeitige
Pfarrer der Kirche hatte Gelegenheit bei dem herkömmlichen österlichen Pfarrei-
besuch dieses Kreuz in der Wohnung eines kölner Gärtners in Augenschein zu
nehmen. Kaum hatte derselbe den Wunsch ausgesprochen, das Kreuz für den
Schmuck seiner Kirche zu besitzen, als sofort der opferwillige Gärtner sich bereit
erklärte, dieses schöne Geräth seiner Pfarrkirche als Eigenthum zu überweisen.
Vom Worte schritt man gleich zur That und so befindet sich denn das in Abbildung
beigefügte Kreuz seitdem 15. März 1837 als Weihgeschenk unter den leider gegen-
wärtig sehr decimirten Kunstschätzen der ehemaligen Pantaleonsabtei vor. Wir unter-
lassen hier nicht unter Hinweis, dass in Köln noch eine Anzahl sogenannter verschme-
gener Kirchenschätze sich vorfinden dürfte, den Namen der schlichten Geschenk-
geber im Hinblick auf den Spruch exempla trahunt folgen zu lassen. Es waren
die Eheleute Otto Schmitz und Catharina Schmitz geb. Mai.
Von eigenthümlicher Anlage und Construction, wie es die Zeichnung zeigt, ist
namentlich der glatte Fuss des Kreuzes, der sich in dieser Gestaltung seltener
vorfindet. Auf demselben erhebt sich eine schlanke sechseckige Röhre, die von
einem sechstheiligen Knaufe mit vorepringenden Pasten unterbrochen wird. Auf
dem obem Abschlussknauf der Röhre steht als Reliquiarium ein plattes Kreuz,
24 ST. MABU IN DER SCHNUSOAS8E.
das auf den 4 Querbalken mit den bekannten Vierpassrosen verziert ist h diesen
Vierpässen erblickt man erhaben aufliegend die symboUschen Zeichen der 4 Evan-
gelisten in schöner omamentaler Stylisirung. Seine reichste Zierde erhUt das
Kreuz durch einen frei durchbrochenen Rand, der sich gleichmäsgig auf
Bämmtlichen Balken des Kreuzes fortzieht Derselbe bildet sich durch an-
einanderschliessende spätgothische Blattverzierungen , die sämmtlich von einer
starken Spitze überragt sind. Auf der Rückseite, die neuer zu sein scheint,
ersieht man in der Vierung des Kreuzes eine grosse kreuzförmige Oeffiiung, die
gegenwärtig leer ist, und darüber die Inschrift: de ligno s, crucis. Nicht nnr
sämmtliche spätgothische Ornamente des vorliegenden Kreuzes, sondern auch die
Figur des Grekreuzigten selbst, mit dem grossen faltenreichen Schürztuche dUrfen
als Belege betrachtet werden, dass dieses liturgische Geräth frühestens gegen
Schluss des XV., wenn nicht im Beginne des XVI. Jahrhunderts angefertigt
worden ist.
112.
Getriebenes Bild der HimmelskSiiigiii
in Kupfer mit starker Feuervergoldung.
Hübe mit £inichla»s des Sockeh 40 Vi Centimeter; grösster Durchmesser des Sockels \t Gentiffleter
XV. Jahrhundert.
In altem Kirchenschätzen trifft man häufig in Kupfer oder Silber getriebene
sitzende und stehende Bildwerke verschiedener Heiligen an, die in der Regel „ymi-
gines'* genannt werden; entweder auf der Brust dieser Statuetten oder aber im
hohlen Fusssockel derselben sind kapseiförmige Verschliessungen angebracht, in
welchen Beliquien aufbewahrt wurden. Auch die in Rede stehende Statue ist ab
Reliquiar zu betrachten, da in dem in Achteck gestalteten 10 Centimeter hohen
Piedestal eine verschliessbare und nach aussen mit einem Glasverschluss versehene
Kapsel angebracht ist, in welcher sich eine Reliquie ohne nähere Bezeichnung
findet. Die Flachtheile dieses polygonen Sockels scheinen ehemals mit aufge-
nieteten, rosenförmigen Verzierungen in Silber geschmückt gewesen zu sein, deren
Spuren an den betreffenden Stellen mit ihren Oeffnungen noch deutlich wahr-
nehmbar sind. Das Bild der Himmelskönigin selbst, in einer grOssten Ausdehnung
von 26 Centimeter ohne Einschluss der Krone, ist als ein opus productile von
einem geübten Meister der kölnischen Goldschmiedezunft aus 2 Platten von Kupfer
so getrieben worden, dass die Zusammenlöthungen auf der hintern Seite des Bil-
des kanm wahrgenommen werden.. Sowohl die Gesichtszüge der allerseligsten Jung-
frau als auch die des göttlichen Kindes sind mit grosser Sorgfalt und Meisterschaft
in der schwierigen Kunst des Treibens so ausdrucksvoll und lebensfrisch ausge-
8T. HABIA IN DER SCHNUB6ASSE. 25
ftlhrty wie es sich selten bei getriebenen Arbeiten findet. Von besonderer Schön-
heit und Weichheit in den Faltennindungen ist das Gewand an der Madonna
gebildet, das in seiner Stylisirung deutlich den Einfluss der durchgebildeten Gothik
zu erkennen gibt. Wir nehmen keinen Anstand in Rücksicht auf die reiche Dra*
pirung des Gewandes und die Laubomamente an der Krone der Statuette hier
die Ansicht auszusprechen, dass das vorliegende Bildwerk im Beginne des
XV. Jahrhunderts aus der Hand eines erfahrenen Metalltreibers kunstgerecht her-
vorgegangen ist Auch dieses zierliche ymago B. M, V. befindet sich noch nicht lange
im Besitze der genannten Kirche , indem dasselbe vermöge testamentarischer Ver-
fügung dem Schatze von St Pantaleon in der Schnurgasse durch den am 1 9. Ja-
nuar 1841 verstorbeneu vormaligen apostolischen Protonotar und Generalvicar
J. W. S. Schmitz überwiesen wurde. Derselbe war früher Mitglied der durch
den h. Heribert gestifteten Benedictiner - Abtei Deutz. Vielleicht hat dieses
getriebene Bildwerk als Reliqniar ursprünglich dieser Abtei angehört und dürft»
dasselbe bei der Theilung der dortigen Reliquien bei dem Einrücken der Fran-
zosen dem letztgedachten Benedictiner-Conventual als Eigenthum zugefallen sein.
112*
Drei JHessgewftnder
mit altem in Figuren gestickten Kreuzen und Stäben.
Obschon bei der Umgestaltung der ehemaligen Abteikirche von St Fanta-
leon mehrere noch dort befindliche Kirchenutensilien zugleich mit dem Titel der
frühem Abteikirche auf die in der Nähe befindliche ehemalige Kirche der Discalcea-
tessen f,Sancta Maria in pace" übertragen wurden, so scheinen bei dieser Gelegen-
heit wenige jener älteren gestickten Ornate des Mittelalters nach der neuen
Pfarrkirche übertragen worden zu sein, woran das alte imd reiche Stift von
St. Pantaleon zur Zeit seiner Blüthe gewiss einen grossen Vorrath besessen hat.
Heute finden sich in der Sacristei der letztgedachten Pfarrkirche nur noch drei
Measgewänder, deren Stickereien in den Stäben von Seiten der Kunst-Archäologie
ein Interesse beanspruchen dürften, da sie die figurale Nadelmalerei am Schlüsse
des Mittelalters auf der Höhe ihrer technischen und künstierischen Vollendung
wahrnehmen lassen. Als Beispiel von älteren Stabwirkereien bezeichnen wir hier
die in Bildem gemusterten Stäbe, die sich heute auf einer violettsammtnen Casel
mit geschnittenen Mustemngen befinden. Auf dem hintem Kreuzesbalken erblickt
man, in Plattstich gestickt, die Figur des Heilandes am Kreuz und unten wie
gewöhnlich die Passionsgruppe Johannes und Maria. Sowohl das Kreuz, als auch
die letztgedachte Leidensgruppe sind in dem eigenthtlmlich präparirten Goldfaden
der Wappenwirker Gölns durch Weberei erzielt, nur die Incamationstheile dieser
26 ST. MARIA IN DEB SCUNUKGASSE.
Gruppe sind im Plattstich gestickt. Auf dem vordem Theil derselben Casel er-
sieht man ebenfalls in Goldstoff gewirkt, in grossem Wappenschildern, die instru-
menta dominicae passionü, unter diesen das eingewirkte Standbild des h. Petrus.
Dass diese Stabwirkerei aus dem Schlüsse des XV. Jahrhunderts von der damals
blühenden Zunft der operatrices casularum und Jactrices stolarum, die schlechthin
die Zunft der Wappenwirker und Bildsticker genannt wurde, angefertigt worden
ist, beweist unter anderm auch eine Jahreszahl auf den goldenen Aurifrisien, die
ehemals als schmale Stäbe auf Dalmatiken sich befanden. Auf diesen Wirkereien,
die jetzt als Stole im Gebrauche des zeitigen Pfarrers von St Pantaleon in der
Schnurgasse sich befinden, liest man unten mit Abkürzungen in Minuskelschriften
von blauer Seide die Angabe: anno dm. 1495. In denselben Aurifrisien wechseln
mit schön stylisirten vielfarbigen Laubomamenten ebenfalls in AbktLrzung die be-
kannten Verse aus dem Hymnus der österlichen Zeit ab: Regina coeii laetare
AUsluja. Quin quem met^uisti portare Alleluja* Resurrearit sicu^ dixil ÄlieiujiL
Ora pro nobis Deum Ailetuja,
Das zweite Messgewand in rothem geschnittenem Sammt zeigt gleichfalls
die ebenbeschriebenen figürlichen Darstellungen in den hintern goldgestickten Kreuz-
balken, jedoch ist die Passionsgruppe hier nicht eingewebt, sondern durch die
Kunst der Nadel im Plattstich erzielt, dessgleichen auch die Wappenschilder der
Geschenkgeber in dem vordem Stabe. Ein besonderes Interesse beansprucht die
schöne Mustemng des Sammtstoffes, die durch eine künstliche Abscherung des
aufstehenden Sammts herbeigeführt worden ist und nicht durch heisse Pres-
sungen, wie wohl irrthümlich angenommen wird. Sowohl dieser dessinirte Roth-
sammt, als auch die Figurenstickerei rühren offenbar aus dem letzten Viertel des
XV. Jahrhunderts her.
Noch machen wir auf eine dritte und letzte Casel aufmerksam, deren Unter-
stoff aus blauem Sammt besteht und die auf einem breiten Kreuzesstabe a or
battu, wie die mittelalterlichen Schriftsteller es nennen, gestickt ist In der mitt-
lem Kreuzesvierung erblickt man die Aufnahme der allerseligsten Jungfrau von
dienenden Engeln umgeben im feinsten Plattstich gestickt In dem untern Kreuzes-
balken befindet sich ebenfalls in 2 und 2 zusammengefügten GoldfUden im fein-
sten Plattstich gestickt als figurenreiche Scene die Beschneidung des Heilandes
und unten die Anbetung der h. Dreikönige. Auch der vordere Stab dieses Hess*
gewandes, der heute sehr beschädigt und in seinen figürlichen Darstellungen kaum
mehr erkennbar ist, lässt einige Darstellungen aus der Jugendgeschichte des Heilandes
wahrnehmen. Es lässt sich nicht verkennen, dass die in Rede stehende äusserst
kostbare, aber durch den Zahn der Zeit sehr entstellte Goldstickerei bereits aus
der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts herrührt und dass diese zarten figuralen
Bildwerke zu jenen haut^lisse und Goldstickereien gehören, die in der Hauptstadt
des alten Flanderns zu Arras durch die blühende Zunft der brodeurs d'AfTos an-
gefertigt wurden. Aehnliche Bildstickereien, die wir in italienischen Kathedralen
noch vielfach angetrofifen haben, nennt man heute noch um ihr Herkommen zu
bezeichnen einfach: Arracci.
ST. MARIA IN DER SGHNUROASSE. 27
Verloren gegangene Kleinodien nnd Kunstwerke der ehe-
maligen Abtei Ton St Pantaleon.
Die Stiftung der Benedictiner-Abtei St. Fantaleon, welche unstreitig die
angesehenste und begütertste der Erzdiöcese Göln war, fällt in die Mitte des
X. Jahrhunderts. Diese Abtei, die anfangs noch ausserhalb der Mauerringe des
alten Cöln lag, hatte das Glück in den ersten Jahrhunderten ihrer Gründung
mächtige Förderer und Gönner zu zählen ; ausser dem Bruder Otto's ü., dem Erz-
bischofe Bruno, der auch nach seinem 965 erfolgten Tode in der von ihm erbau-
ten Abteikirche seine irdische Buhestätte fand, ist auch die Gemahlin Otto's U.,
die griechische Frinzessin Theophania, als besondere Gönnerin und Wohlthäterin
von St Fantaleon zu betrachten. Auch mehrere Aebte dieses berühmten Benedic-
tiner-Stiftes zeichneten sich durch hohen Kunstsinn und Gebefreudigkeit vortheil-
haft aus. Es ist also nicht zu verwundern, das» seit der Gründung der Schatz von
8t. Fantaleon durch kunstreiche und werthvolle Geschenke ansehnlich vermehrt wurde.
Nur noch wenige Ueberreste des Reliquienschatzes von St Fantaleon hat die Erbin
der ehemaligen Abteikirche, die jetzige Ffarrkirche von St Maria in der Schnur-
gasse in Besitz genommen; diese wenigen Ueberreste jedoch lassen hinsichtlich der
Form und der artistischen Austattung hinlänglich ermessen, von welcher Bedeutung
der ehemalige Schatz der in Rede stehenden Abteikirche gewesen sein muss, ehe
er den Vandalen des neunzehnten Jahrhunderts zur Zerstörung preisgegeben
wurde. Dank dem emsigen Forscherfleisse unseres Vorgängers Gelenius sind wir
heute in der Lage hier im Anhange berichten zu können, wie gross die Zahl
jener Reliquien- und Kleinodienschätze war, die rfoch in der letzten Hälfte des
XVn., und ohne allen Zweifel bis zum Anfange des XIX. Jahrhunderts der Stif-
tung des grossen Bruno zum auszeichnenden Schmucke gereichten. Wir lassen an
der Hand des gedachten kölnischen Chronisten die numerische Aufzählung der
gegenwärtig verschwundenen Kunstschätze von St. Fantaleon folgen und heben
hier Eingangs hervor, dass der Metallsucht der sogenannten • Fatrioten im
Anfange unseres aufgeklärten Jahrhunderts leider auch jenes Meisterwerk der
Goldschmiedekunst und des Metallgusses unwiederbringlich verfallen ist, das der
IX. Abt von St. Fantaleon Herimanus Graf von Zuepften seiner Kirche als gross-
artiges Geschenk im Beginne des XII. Jahrhunderts verehrt hat; es war das eine
mit Gold, Edelsteinen und Schmelzwerken reich verzierte corona lummaria, die in
Gestalt der Lichterkrone Friedrich Barbarossa's in Aachen, vorstellend das himm-
lische Jerusalem, im Langschiffe von St Fantaleon schwebend befestigt war. Diese
Polycandela des Abtes Herimanus (f 1121) zeigte ähnlich wie die betreffenden
Kronleuchter, die heute noch in Hildesheim und im Münster zu Aachen sich vor-
linden, auf den glatten Flächen ihrer weiten Feripherie Inschriften in leoni-
nischen Versen, worin der Gedanke ausgesprochen ist, dass diese Lichter-
krone das h. Sion mit seinen \2 Thoren von Gemmen und Edelsteinen erbaut
in seinem überirdischen Glänze versinnbildlichen soll.
28 8T. MARIA IN DER SCHNURGASgE.
Diese Inschrift lautet nach Gelen:
Has inter gemmas Hermannus fulgeat ÄhbaSy
Hoc opus Ecelesiae qui mira eontulit arte:
Nam muros» portas et turres atque plateas
Quae dilecta Deo gemmü omatur et auro,
Hinc lapides vivt preMsura^ caede politi
Aptantur merito virtutis ordine certo.
Surgit in excehü urbs inclyta^ vüio paeis
Sorte locis iusta Christus disponit in itla
Tpsaque ptUekra ßde^ dives spe^ fortis amore
Sicut sponsa viro, coelesti fungitur auro.
Hinc stabiles muri, lapides ejus pretiosi
Structurae ratio loquitur, praesentis et ordo:
Haec est illa ßde, quam fundnvere Prophetae,
Quae per ApostoUcas pandit sua moenia gemmas
Hierusalem structam sanctis in montibus Urbem
Hinc super aptantur vigiles, urbemque tuentur.
Im engeren Schatze von St Pantaleon bewunderte man bis zum Tage der
französischen Revolution femer ein grosses griechisches Kreuz, welches mit reichen
Goldblechen und Edelsteinen umkleidet in seinem Innern eine namhafte Partikel
vom h. Kreuze umschloss. Dieses kostbare Reliquiar war bei der Einnahme von
Byzanz im Jahre 1 208 durch die Lateiner von einem Grafen Henricua de Uhnene
in das Abendland ttberbracht worden und gehörte ehemals als kostbares Kleinod
der Justinianischen Basilica der h. Sophia in Gonstantinopel an. Dieses werthvolle
Kreuz war durch den Abi Albertus von Kloster Laach dem Schatze von Pantaleon
mit andern Beliquien ttbersandt worden. Auf diesem griechischen Beliquiar war
zur Erinnerung an seine Uebertragung in das Abendland folgende Inschrift ein-
gravirt worden:
Vir meritis clarus Henricus in Ubnene natus
Contulü hoc lignum nobis veneramine dignum^
Quod Graecis victis advewit partibus istis.
Albertus claustro quo tempore praefuit auro
Sic ea;omamt Dens hoc quod glorißcavit.
Ausser diesem griechischen Beliquienkreuze.aus der Sophienkirche in Gon-
stantinopel ersah man in dem thesaurus sacer von St. Pantaleon 4 verschiedene
in vergoldetem Silber als Brustbilder gestaltete hermae, die wahrscheinlich eine
ähnliche decorative Ausstattung zeigten, wie das Pectoralbild von St Ounibert,
das wir in der II. Lieferung dieses Werkes unter Nr. 51 Tafel XDI. Fig. 51 bild-
lich veranschaulicht und beschrieben haben. In diesen 5 capita pectoraHa waren
Theile von dem Schädel verschiedener Heiligen aufbewahrt
Auch 2 Reliquiarien in vergoldetem Silber in Form eines Unterarms befanden
sich im Schatze von St Pantaleon mit Theilen von den Armschenkeln des h. Bartholo-
maeus, des h. Sebastianus und des h. Vincentius in verwandter kunstreicher Fassung,
ST. »LVKIA IN DER SCHNÜltGASRE. 29
wie* jeue brachialia iin Schatze von St. Gereon, welche wir auf Taf. IL der I. Lie-
ferung Fig. 7 und 8 im Bilde nähier veranschaulicht haben.
Ausser den vorbenannten Eeliquiarien in kunstreicher Ausstattung fanden
sich noch in der Schatzkammer von St. Pantaleon vor : 1 3 in Bezug auf Gestalt,
Form und künstlerische Fassung merkwürdige Reliquienbehälter, die Gelen mit
dem Collectivnamen hierothecae benennt und die in einem alten Manuscript als Hei-
ligthumskasten unter näherer Verzeichnung ihres ehrwürdigen Inhalts namentlich
angefahrt sind.*)
'*' Wir verdanken dieses interessante Manuscript, das als Abschrift eines älteren gegen Anfang
des JCVII. Jahrhunderts angefertigt worden ist, der entgegenkommenden Freundlichkeit des Herrn
Biicli- und Vcrlagshttndlers Eisen, der uns dasselbe zur freien Benutzung zugestellt hat. Die üeber-
schnft dieses Manuscriptes ist folgende: f,Deseriplio Ceieberrimae Meiropolftanae ElectoralU Huju»
Eclexiae Cotoniensit Uli eliam Collegialarum, Abbatiatium Caeierarumque parochiaiium respecHve
Ede^iarum nee non Sanctiuimarum Reliquianim in hac tarn famota vereque Augtuta Agrippina
ct'vi'läite Co/om'a ad Rhenum tila Exütentium.
r
I
jpm ß-' Sfüfrin .
st Seperin.
Kunstwerke des Mittelalters daselbst.
Seit«
113) Crux Stationalis in vergoldetem Kupfer mit geschnittenen Krj'stallen.
XII. Jahrhundert Taf. XL. Fig. 113 3
114) Sitzendes Bild des b. Severinus. Eine Schmelzarbeit in Zellenemail auf
Goldblechen. XII. Jahrhundert. Taf. XLI. Fig. 1 14 5
115) Hörn des h. Cornelius mit kunstreichen Beschlägen. XIV. Jahrhundert
Taf. XLI. Fig. 115 . '. 6
1 1 6) Krümme eines bischöflichen Stabes in Silber. XV. Jahrb. Taf. XLII. Fig. 116 S
117) Ein Reliquiar in vergoldetem Holze. XIV. Jahrb. Taf. XLIL Fig. 117 . 9
118) Thtirbeschlag in Form eines Löwenkopfes. XH. Jahrb. Taf. XLH. Fig. 118 10
1 1 9) Lectorium, ein Messingguss in Gestalt eines Raben. XIV. Jahrhundert.
Taf. XLH. Fig. 119 11
120) Figur- und Omamentstickereien von Dalmatiken herrührend. XIV. Jahrb.
Taf. XLIL Fig. 120 12
Ehemaliger Schatz der Stiftskirche von St Severin 13
113.
Processionskreuz
in vergoldetem Kupfer.
Länge 44 Vx Centimeter; Breite 4V/t Centimeter. XII. Jahrhundert.
W ie wir an anderer Stelle dieses Werkes hervorgehoben haben, finden sieb
in den Saeristeien Kölns alle Formen, die bei den crucas stationales ehemals ge-
bräuchlich waren, so ziemlich vertreten. Nicht leicht aber wird sich am Rheine gegen-
wärtig noch ein solches erhalten haben, das hinsichtlich seiner originellen Anlage mit
dem vorliegenden Kreuz von St. Severin in Vergleich gestellt werden könnte.
Wir glauben annehmen zu dttrfen, dass die Form dieses Kreuzes im Mittelalter
nicht vereinzelt da stand und dass dieselbe sich an eine ältere überlieferte an-
schloss. Wie ein Blick auf die beiliegende Abbildung es klar macht, ist der
innere Theil aus Quadraten und Rechtecken in Weise eines griechischen Kreuzes
mit gleich langen Balken zusammengesetzt Eine grössere Vierung als Mittelstttck
von 10 Centimeter im Quadrat bildet den innem Kern, mit welchem 4 kleinere
Quadrate als Ausmttndnng der Querbalken in Verbindung gesetzt sind. Diese
Verbindung wird durch kleinere Metallstreifen in Form von durchbrochenen Bän-
dern erlangt. Auf diesen 4 Quadraten erheben sich gleichsam als omamentale
Ausmttndnng und Verzierungen, die Fortsetzungen und der erweiterte Abschluss
jener durchbrochenen Bänder, die von der mittlem Viemng ausgehen und nach
einer kleinem Ausladung einen geradlinigen Abschluss finden. Die äussere Um-
randung dieses byzantinisirenden Kreuzes ist auf allen Seiten gleichmässig mit
einem eingravirten spätromanischen Bhittoraament verziert, das mit dem Ausgange
des XII. Jahrhunderts häufig in ähnlichen Metallarbeiten anzutreffen ist Die innere
Fläche der Quadrate, die als Abschluss sich an jedem Querbalken befinden,
zeigt auf der innem Füllung eine mit dem Punzen eingetriebene Kömung, innerhalb
welcher, in starken Contouren eingravirt, die symbolischen Zeichen der 4 Evange-
listen ersichtlich sind. In dem mittlem Quadrat erhebt sich von einer filigranirten
reichen Einfassung in Gold (lectulum) umgeben ein ovallänglicher Krj^stallpasten
in der grössten Länge von 5*/s Centimeter , der im Innem eine nicht unbedeu-
tende Partikel vom h. Kreuz umschliesst. An den eingefassten Steinen des Lothar-
kreuzes zu Aachen, dessgleichen auch an dem reichen Steinschmuck der deutschen
Kaiserkrone findet man eine ähnliche Fassung von Goldfiligranen, die vermittelst
einer rundbogigen kleinen Arcadenstellung auf einer Unterfläche ä jour ange-
4 ST. SEVERIN,
bracht ist. Diese eigenthttmliehe Aulage des lectulum^ die auf eine Fmstellung
und Durchbrechung des Hintergrundes berechnet zu sein scheint , hat in uns die
Vermuthung aufkommen lassen, dass dieser grosse geschliffene Kr^^stall mit seiner
kostbaren Fassung in Goldfiligran ursprünglich nicht dazu bestimmt war, die
Vierung des vorliegenden Kreuzes zu schmücken, sondern dass er als hervorra-
gendes Ornament vielleicht in einem der Giebel des St. Severinusschreines
prangte. Diese Vermuthung wird dadurch noch zu grösserer Gewissheit erho-
ben, da es sich zeigt, dass die Partikel vom h. Kreuze mit der modernen darum
befindlichen Goldkordonirung und der Inschrift de ligno dorn, erst in neuerer Zeit
mit der rothseidenen Unterlage in das vorliegende Kreuz übertragen worden ist
Als selten vorkommendes Ornament erblickt man ausserdem an Kettchen frei-
schwebend und zwar an den beiden Querarmen befestigt 2 kleine Phiolen in Berg-
krystall geschnitzt. Diese Phylakterien in ziemlich roher Sculptur tragen eine
verschiedene Form zur Schau, indem das eine fast die Formbildung eines Fisches zeigt.
das andere jedoch mehr als kleinere* Flasche mit 4 Ständern, wovon gegenwärtig 2
abgebrochen sind, sich zu erkennen gibt. Wir erinnern hier im Vorbeigehen
daran, dass im Schatze zu Quedlinburg mehrere Sculpturen in Krystall als ßeli^
quienbehälter sich vorfinden, die mit den eben gedachten Phylakterien Aehnlieh-
keit haben. In welcher Weise die hintere Seite dieses Kreuzes ehemals kttnst-
lerisch verziert war, lässt sich nicht ermitteln, dessgleichcn auch nicht, ob die
eben beschriebene Seite des Kreuzes ehemals als reichere vordere Seite oder als
Rückseite gedient habe. Der untere Metallzapfen, der als Zunge sich zuspitzt,
scheint anzudeuten, dass unser Kreuz ehemals beweglich gehalten war, nicht nur
zum Einlassen in eine Tragstange, sondern auch zum Einlassen in ein Fussstttck.
Der heute mit demselben in Verbindung gebrachte Fusssockel aus Eichenholz in
Gestalt eines Pelikan gibt sich als ein Werk aus dem Schluss des XVII. Jahrhun-
derts zu erkennen, während jedoch 2 Medaillons in Perlmutter geschnitzt, mit
Darstellungen aus dem Ausgange des Mittelalters sich auf demselben befinden.
Das eine mit Durchbrechungen veranschaulicht die Verkündigung, das andere grös-
sere die Kreuzigung des Heilandes. Schliesslich bemerken vrir, dass das eben
besprochene Kreuz, welches in seinen omamentalen Einzelheiten als ein Werk des
Xn. Jahrhunderts angesehen werden muss, in seiner äussern Anlage und in seinen
Durchbrechungen als eine Parallele aufgefasst werden kann zu jenem merkwür-
digen Kreuz, das als schwebende corona lununaria, wenn auch in grösserer Aus-
dehnung, sich im Dome von St Marcus in Venedig findet.
ST. SEVERIN. 5
114.
Der Reliqnienschrein
mit den Gebeinen des h. Severin.
Länge L Meter 46 Centimeter ; Breite 51 Centimeter; gfösste Höhe 92 Centimeter. XII. Jahrhundert.
Den Berichten älterer Schriftsteller zufolge soll der Beliquienschrein des
h. Severin, aufbewahrt in der Kirche gleichen Namens zu Köln, hinsichtlich seiner
entwickelten Form und des Keichthums des Materials nach dem Dreikönigsschrein
der kostbarste und ansehnlichste unter den vielen h. Schreinen des ehemaligen
Kölns gewesen sein. Obschon in einer aufgeregten Zeit zu Anfang dieses Jahr-
hunderts bei dem Anrücken der Franzosen fast sämmtliche Zierrathen und kost-
baren Umkleidungen der innem hölzernen Truhe gewaltsam entfernt worden sind,
so lassen doch einzelne Ueberreste von eingeschmelzter und filigranirter Arbeit
deutlich erkennen, dass die obengedachte Tradition ihre volle Berechtigung habe.
Namentlich lässt ein prachtvolles rnontle in Email in einem grössten Durch-
messer von 1 1 Centimeter gegenwärtig noch einen nicht gewagten Schluss über die
Technik und die compositorische Beschaffenheit der emaillirten Darstellungen ziehen,
welche ehemals in grösserer Zahl die Flächen des Severinuskasten zierten. Wie
am Schreine der h. 3 Könige, der ebenfalls durch 4 emaillirte Plättchen auf
goldener Unterlage in Zellenschmelz (email cloüanni) verziert ist, so zeigt noch
gegenwärtig der seines Schmuckes vollständig entkleidete Severinusschrein in dem
breiten Ziergiebel an seiner vordem Schmalseite das, in einem Rundmedaillon von
Gold, in Zellenschmelz glänzende Bild des h. Severinus, sitzend auf einer reich
verzierten *e//a, welche mit einem gelb und weiss gemusterten Kissen (pulvinary
cussinupi) bedeckt ist. Die Füsse sind mit dunkel purpurrothen Sandalen bekleidet;
als Untergewand trägt der Heilige eine faltenreiche Albe, auf derselben zeigen
sich, unter der bischöflichen Tunicella heiTorreichend, 2 ausmündende Fusstheile
einer blauen Stola mit einer quadratisch länglichen Erweiterung der Enden.
Darüber befindet sich eine hellblaue Dalmatica, die mit einem gelben breiten
Saume, praetexta, an dem untern Rande, so>vie auch an den Seiteneinschnitten
verziert ist. Ueber der Dalmatica erblickt man die faltenreiche casula oder pla-
neta von dunkelblauer Farbe, die, in der alten Form, ohne Einschnitt, die Beschaf-
fenheit der altem campanvIa zeigt. Ueber der casula befindet sich das erzbischöfliche
Pallium in weisser Farbe, das, in Quadraturen abgetheilt, in jedem einzelnen Vier-
eck ein schwarzes Kreuz ernennen lässt. Die Linke des Heiligen hält ein evan--
geliarium, während er in der Rechten das erzbischöfliche pedum hat, dessen
curvatura vorschriftmässig nach Aussen gewendet ist. Das bärtige Haupt ist mit
einem grossen Heiligenschein umgeben, aber nicht mit der miti^a bedeckt. Zur
rechten Seite des Hauptes der sitzenden bischöflichen Figur liest man in roma-
nischen Versalbuchstaben in eingelassenem dunkelblauen Schmelz die Inschrift:
Sanctus Severinus, und auf der andern' (entgegengesetzten Seite archiepiscopus. •
6 8T. SEVERIN.
Als ausfüllende kreuzförmig gebildete Ornamente befinden sieh unten und oben
noch 4 ebenfalls in durchsichtigem Schmelz vielfarbig eingelassene Verzierungen.
Ausser diesem grossen monile in dem seltenen Zellenschmelz ersieht man
auf dem untern breiten Sockel des Reliquienkastens noch 4 quadratisch läng-
liche Belegplättchen, deren Flächen mit Goldfiligranen und gefassten Edelsteinen
ausgefüllt sind. Femer haben sich noch auf dieser Flinte 2 kleinere eingeschmelzte
Ornamente erhalten, die ein vielfarbiges, mattes Füllungsschmelz (emaü champ-
leve) erkennen lassen, das in seiner Composition und in seinen Farbtonen
deutlich auf seinen Ursprung von kölnischen Schmelzwirkem hinweist. Als letztes
Ueberbleibsel vom ehemaligen Reliquienschrein des h. Severinus findet sieh
endlich noch ein kleines Kreuz aus Goldblech mit Filigranirungen und gefassten
Edelsteinen, das in künstlerischer Beziehung sonst nichts Auffallendes hat^^er
Schrein hat seine heutige kunstlose Zusammensetzung erst am Anfange der zwan-
ziger Jahre gefunden und lässt in seiner verfehlten gothisirenden Form doppelt
das Verschwinden des altem Reliquiars empfinden, welches als ein Meistenverk
der kölnischen Goldschmiede- und Schmelzkunst aus dem Beginne des XII. Jahr-
hunderts, den erhaltenen eben beschriebenen Ueberresten zu Folge, zu betrach-
ten war.
115,
Morn als Reliqniar
I
mit reichen silbervergoldeten Beschlägen und Einfagsungea.
Grösste Spannweite des Homes 28 Centimeter; Durchmesser der obem AusmUndung 10 Ccntiineter.
XrV. Jahrhundert.
In den grossem Kirchenschätzen des christlichen Abendlandes sind gegen-
wärtig noch trotz der Verwüstungen aus dem Schlüsse des vorigen Jahrhunderts
eine Menge reich verzierter Uörner in ähnlicher omamentaler Ausschmückung wie
das vorliegende anzutreffen. Dieselben dienen jetzt sämmtlich zu liturgischem
Gebrauche, mögen aber ursprünglich einem profanen Zwecke gedient haben.
So sahen wir noch kürzlich im Schatze der Kirche des h. Servatius zu Mastricht
mehrere ähnlich verzierte Höraer, die Reliquien enthalten. Auch im Schatze der
Metropolitankirche zu Gran in Ungam fanden wir 3 grössere Höraer, aus der-
selben Epoche wie das vorliegende, die in der Charwoche als vasa chrfsmalia*
benutzt werden. Offenbar hat das vorliegende comu ehemals zu andern Zwecken
als zur Aufhebung von Keliquien gedient, denn nicht nur sind von einer unfähigen
* Hierzu vergleiche unsere Beschreibung des Graner Dumschatzes mit vielen Abbildungen in
4. Bande der MittheUungen der K. K. Commission zur Erhaltung der Baudenkmale Wien, 1859.
ST. SEVERIN. 7
spätern Hand die 2 Fussständer auf eine wenig künstlerische Weise unschön hin-
zugefügt worden, sondern auch der obere silberne Deckversehluss, der in seinen
quadratischen Durchbrechungen einzelne Reliquien sichtlich werden lässt, ist eine
Zuthat des XVI. Jahrhunderts, die mit der primitiven kunstreichen Randverzierung
des Homes durchaus nicht harmonisch im Einklang steht Aehnlich wie die reich-
verzierten Trinkhömer, die ehemals als stattliche Aufsätze auf Schautischen bei Trink-
gelagen aufgestellt zu werden pflegten, und die sich gegenwärtig in der königlichen
Kunstkammer zu Dresden und anderswo noch vorfinden, wird auch das vorliegende
Reliquienhom an 2 verschiedenen Stellen, nämlich in der Mitte und an der obem
Ausrandung mit kunstreich ciselirten silbervergoldeten Bandstreifen eingefasst, die
dem Gefäss zu nicht geringer Zierde gereichen. Die obere breite Randeinfassung
zeigt in einer streifenförmigen Vertiefung gefasste Edelsteine, theils Amethyste
theils Rubinen, die jedesmal mit erhaben aufliegenden Wappenschildern abwech-
seln. Diese heraldischen Schilde, die in ihrer altem strengem Form an die Tage
Kaiser Karls IV. erinnern, geben auf eingeschmelztem Tiefgrund verschiedene
Thierzeichen zu erkennen, welche auf das Herkommen dieses interessanten Homes
aus königlichem und fürstlichem Besitze schliessen lassen. In dem obem breiten
Rande erblickt man auf dem ersten Wappenschilde das heraldische Abzeichen der
Krone Böhmens, nämlich den aufrecht stehenden gekrönten Löwen in Gold mit
doppelt gespaltenem Schweif auf roth eingegossenem Schmelz. Daneben ersieht
man das Wappenschild Bayerns, die rautenförmigen Würfel auf blau emaillirtem
Felde. Auch die goldenen Lilien auf blau emaillirtem Felde, die heraldischen
Abzeichen Frankreichs, kommen in einem Wappenschilde dieser Randvertiefung
vor. Dessgleicheu der einköpfige goldene Adler auf rothem Feld und noch einige
andere frühgothische Wappenschilder, deren Deutung einem erfahrenen Heraldiker
in späterer Zeit überlassen bleiben mag. Wir bemerken nur noch, dass ausser
den '4 ebengedachten näher bezeichneten noch 4 andere Wappen mit Thier-Emble-
men an dem obem Rande vorkommen. Auch der mittlere Theil des Homes,
dessen stoffliche Beschaffenheit sich als ein kurzes Kuh- oder Büffelhom zu erken-
nen gibt, ist mit einem umfassenden ornamentalen Bandstreifen von vergoldetem
Silber umschlungen, der eine ähnliche Verziemng und Ausbildung hat, wie die
obere, reiche Einfassung des Randes. Auffallend und bezeichnend ist es, dass,
wenn auch in kleinerem Umfange sich an diesem mittlem Umfassungsbande in
der Vertiefung des Randes jene Wappen mit denselben heraldischen Thierzeichen
vorfinden, die auch auf dem obem ersichtlich sind. Gleichwie unser comu suffta-
tile mit 2 umfassenden Bandstreifen der Breite nach geschmückt ist, so hat der
(joldschmied es auch der Länge nach mit 3 einfassenden Bandstreifen kunstreich
ausgestattet, die eine einfache Verzahnung zeigen und ebenfalls wieder durch
erhaben aufliegende Wappenschilder verziert sind. Auf der untem Spitze des
Homes erhebt sich in vergoldetem Silber ein kleiner omamentaler Aufsatz, der
auf seinem obem sich verjüngenden Knaufe mit Vierpassröschen ein reich ver-
ziertes Mundstück trägt. Dasselbe ist aus 8 über einander geschobenen Eichen-
blättem gebildet, die eine trichterförmige offene Röhre umfassen. Die Art und
8 ST. SEVEUIN.
Beschaffenheit dieses obern Aufsatzes als Mundstück besagt deutlich, dass das
Hom ehemals nicht einem kirchlichen, sondern einem profanen Zweck bestimmt
war. Im Hinblick auf die vielen Wappen, die hier nicht als bedeutungsloses Onia-
ment vorkommen und in Betrachtnahme des bequem eingerichteten Mundstückes
zum Blasen, machten wir hier die nicht gewagte Hypothese aufstellen, dass dieses
zierliche Blasinstrument als Hifthorn in jenen Tagen des blühenden Ritterthunis be-
nutzt worden ist, als im Äbendlande Fürsten und Grafen mit zahlreicher Dienerschaft
sich am edlen Waidwerk vergnügten und der damals so beliebten Falkenjagd
oblagen. Noch weisen wir darauf hin, dass auf der untern Bauchung des Bornes
ausser den vielen kleinen Wappenschildern sich noch ein grosses Wappen
vorfindet, das, von einem breiten omamentalen Rand umfasst, auf goldenem Fond
ein Pfianzenomament zu erkennen gibt. Neben diesem grossem Hauptwappen
erblickt man ein kleines silben^ergoldetes Spruchband, auf welchem in gothi-
scher Minuskelschrift folgender eingravirter Spmch zu lesen ist: „mix willen^. Ver-
gleicht man dieses formschöne Hom mit dem Jagdhom in geschnitztem Elfenbein,
das sich gegenwärtig in reicher Ausstattung in der herzoglichen Kunstkammer
des Schlosses Friedenstein zu Gotha vorfindet, *) zieht man femer noch in Betracht .
die ähnlich gestalteten Homer zum Gebräuche auf der Falkeiyagd, wie sie gegen-
wärtig noch in öfientlichen und Privatsammlungen vorkommen, so wird man nicht
nur zugeben müssen, dass das vorliegende Blasinstrument in den Tagen Kaiser
Karls IV. des Luxemburgers Entstehung gefunden hat, sondem dass es ursprüng-
lich ftir die ars venandi angefertigt und erst später ftir die Aufbewahrung von
Reliquien in kirchlichen Gebrauch gekommen ist.
116.
Bischofsstab^ als Reliqnienbehälter,
in Silber mit vergoldeten Ornamenten.
Länge 54 Centimeter; grOsste Aiisdehnang der KrUmme 13Vs Centimeter.
XY. Jahrhundert.
Sowohl die einfache Beschaffenheit des in Rede stehenden pedum, als auch
die kleine Dimension desselben, besagt deutlich, dass dasselbe niemals bei bischöf-
lichen Functionen gebraucht wurde, sondern im ehemaligen Stifte von St Se-
verin dazu diente, in seiner untern Abtheilung einen Theil jenes Stabes, des-
sen sich der h. Öeverinus in seinen Lebzeiten bedient hatte, aufeubewah-
ren. Diese Reliquie ist vermittelst einer Oeffhung am untern Theile der
canfia deutlieh zu ersehen. Der Stab des h. kölnischen Erzbischofs ßcbeJBt
*) Vgl. unsere Beschreibung und Abbildung dieses Ilifthomes in dem Organ Hlr christliche Kun.<t
Jahrgang 1859.
ST. SEVERIN. 9
aus einer feinen Holzart mit starker Maserung bestanden zu haben. Das Reli-
quiar mit seiner obem eurvatura ist aus Silberblech glatt und einfach gehalten.
Nur der obere Aufsatz der Krümmung ist achteckig gebildet und zeigt dieselbe in
ihrer Rundung ein verschlungenes Blattornament, wie es dem XY. Jahrhundert
eigenthttmlich ist Auf dem äussern Rücken der Krümmung sind 5 getriebene
Krabben in vergoldetem Silber aufgelöthet, ähnlich wie man sie in der Architek-
tur häufig auf den Ziergiebeln über grossem Fenstern antrifft. Den reichsten
Theil des vorliegenden Reliqniars bildet der mittlere Knauf, der als pomellumf
manubrium die untere glatte Röhre überragt und aus dem die Krümme hervor-
geht Diesen silbervergoldeten Knauf umgeben stark vorspringende Pasten in
rautenförmiger Stellung, die auf ihrer glatten äussern Fläche die Halbbilder ver-
schiedener Heiligen, nämlich der allerseligsten Jungfrau, der h. Cornelius und Severi-
nus, der h. Catharina und Margaretha und des h. Christoph in schwacher Gravirung
erkennen lassen. Auch diese eingravirten Heiligenfiguren besagen, wie die oben-
gedachten spätgothischen Pflanzenomamente, deutlich, dass dieses Werk gegen
Schluss des XV. Jahrhunderts angefertigt worden ist. Sowohl dieser Stab als auch
das vorhin beschriebene Hom, das ausser mehrem andern auch Reliquien der
h. Cornelius und Cyprianus enthält, werden jeden Montag Morgen bei der h. Messe
um 8 Uhr auf den Hauptaltar gelegt (daher auch der Name der Hömchens-Messe),
und werden dann den Andächtigen nach vollendetem Messopfer sowohl die Reli-
quien in dem sogenannten Hom des h. Cornelius, wie auch die vom Stabe des
h. Severin zur Verehrung und zum Kusse dargereicht
k_
Schrein
in vergoldetem Holz, Reliquien mehrerer Heiligen enthaltend.
Länge 27 Centimeter; Breite 19 Oentimeter; Höhe 32 Centimeter. XIV. Jahrh.
Gleichwie sich in kölnischen Kirchen gegenwärtig noch eine grosse Zahl
von capita pectoraUa, brachialia vorfinden, in ähnlicher Form und Gestaltung,
wie sie in der 1. und 2. Lieferung abgebildet sind, so haben sich auch
mehrere kleinere Reliquienschreine in vergoldetem und versilbertem Holz da-
selbst erhalten, die in alten Inventaren meistens den Namen scriniolae
führen. Auch der in Rede stehende Schrein, den wir unter Nr. 117 in
verkleinertem Massstab abgebildet haben, dürfte als Typus betrachtet werden,
in welchen einfachen und doch geschmackvollen Formen aus Holz man
im XIV. und XV. 'Jahrhundert Reliquiarien zu gestalten pflegte. Auf einem
in Spitzbogenform imd einfachem Nasenwerk durchbrochenen Sockel erhebt
sich der eigentliche rechteckig längliehe Behälter, dessen beide Kopftheile durch
2
10 ST. 8EVERIN.
eine dreifache Fensterstellung durclibrocfaen sind, während die Langseite durch 2
durchbrochene Vierpässe belebt wird, deren vergoldetes Hasswerk hinter Glasver-
scbluss die Reliquien zur Anschauung gelangen lässt Bekrönt wird das zierlieh
geformte Schreinchen durch eine durchbrochene Gallerie von gothischem Laub-
werk; hinter^^diesem erhebt sich eine zeltförmige kleine Bedachung, die auf der
obem Firste mit 6 Lilien verziert ist In dem thesaurarium von St. Severin, welches
als geräumiger Wandschrank an der Evangelienseite des Altars angebracht ist,
sind heute ausser dem ebengedachten scriniolum wenige Beliquiarien mehr anzu-
treffen, die ahnen Hessen, von welcher künstlerischen Beschaffenheit die ehemals
hier aufgehobenen Gefässe gewesen sein mügen. Diesem Reliquienschrank
gegenüber befindet sieh an der entgegengesetzten Seite des Chores ein saerü"
rium zur Aulbewahrung der h. h. Eucharistie, das als reicheres Sculpturwerk der
Renaissance erst gegen Schluss des XVL Jahrhunderts angefeiligt worden ist
118^
ThiirTerziernng
in Form eines Löwenkopfes, Gusswerk des XII. Jahrhunderts.
GrOsster Durchmesser 30 Centimeter; Höhe des getriebenen Kopfes 9 Centimeter.
Man liebte es in der romanischen Kunstepoche, nicht ohne symbolische
Bedeutung, auf den Doppel -Thtlren des Haupteinganges, meistens von zierlichen
Beschlägen umgeben, stark vorspringende Löwenköpfe aus kräftigem Messingguss
anzubringen. Diese Thierköpfe mit strenger Stylisirung der Mähneu hatten
in der Regel auch den praktischen Zweck, dass durch den halbgeöfliieten
Rachen bewegliche Ringe von Messing durchgeführt waren, rermittelst deren
als Handhaben die schweren ThUren leichter geschlossen werden konnten.
Zahlreich sind an den primitiven Kirchthtlrcn des XL und XH. Jahrhunderts
heute noch so geformte omamentale Gusswerke anzutreffen. Wir verweisen
im Vorbeigehen hier nur auf die Thieromamente an den karolingischen gegossenen
Thürfiügeln des Domes zu Aachen, an die prachtvollen Löwenköpfe auf den gegen-
wärtig leider moderaisirten ThUren des Domes zu Mainz, auf die ähnlichen Ver-
zierungen an den gegossenen Reliefthttren zu Hildesheim, einem Werke des gros-
sen h. Bischofes Bernward, an die Löwenköpfe der Messingthtlren des Domes zu
Augsburg und die Thürflügel der Kirche von St. Zeno in Verona etc. etc. Zwei-
felsohne fanden sich diese überall vorkommenden Löwenköpfe auch als Thüner-
zierungen an mehreren altern Eingängen romanischer Kirchen Kölns vor. Als
Reminiscenz dieser omamentalen Verzierungen des alten Kölns hatte sich \A^
in die letzten Zeiten an einem Thürflügel von St Severin noch ein solches
ST. REVKKIX. 11
Gus8werk erhalteu, dessen Abbildung >vir hier geben und das bei der Aufstellung
einer neuen glatten Thttr von kunstlosem Aeussem entfernt worden ist und jetzt
in der Saeristei aufbewahrt wird.
119.
Lesepult
in Form eines Adlers, ein Gusswerk in Kupfer mit Spuren ehemaliger
Feuervergoldung.
Orösste Höhe 53 Centimeter; Spannweite der FlUgel 39 Centimetcr. XIV. Jahrhundert.
lu belgischen und rheinischen Kirchen haben sich als grossartige Ousswerke
aus dem Schlüsse des Mittelalters noch mehrere pulpita erhalten, die in alten
Schatzverzeichnissen meistens lecioria genannt werden. So besitzt unter anderen
die Liebfrauenkirche zu Tongern ein solches, zu welchem sich verwandte Analo-
gien im Münster zu Aachen und (aus Altenberg stammend» in der Maxkirche zu
Düsseldorf erhalten haben. Köln hat aus den Tagen des Mittelalters kein gegos-
senes lectorium mehr aufzuweisen, das in einer reichen architektonischen Anlage
oben von einem Adler überragt wird. Allein in der ehemaligen Stiftskirehe von
St. Severin bewahrt man gegenwärtig noch ein pulpituntj das in einfacherer Form
als bescheidene Parallele zu den ebengedachten Lesepulten aufgefasst werden
kann. Es erhebt sich nämlich auf einer Säule, mit einer Abkantung im Sechseck
nach Unten, das hohl in Kupfer gegossene Bild eines Adlers, der mit ausge-
spannten Krallen den capitälartigen obem Aufsatz der Kundsäule gefasst hält. Brust
und Oberkörper desselben sind schuppenförmig gestaltet, um auf diese Weise das
Gefieder anzudeuten. Die FlUgel sind zur Hälfte ausgebreitet, damit Baum für
die Auflegung des Evangelienbuches gewonnen werden kann. Leider ist gegenwärtig
der gallerieartige Vorsprung der ehemals auf den ausgebreiteten Flügeln behufs der
Auflage des lectionariums ruhte, verschwunden. Auch zeigt sich auf dem Kücken
des Vogels eine grosse ovalrunde Oeffnung, vielleicht eine Andeutung, das» ehe-
mals auf diesen Flügeln und auf dem Kücken des Adlers ein reich gefonntes
pulpitum mit Masswerkdurchbrechung ruhte,^ das diese Oeffnung so wie die ziem-
lich unfertig gearbeiteten obem Flügel grösstentheils verdeckte. Dieses pulpitum
war wahrscheinlich durch Schrauben in jenen Oeffuungen befestigt, die
sich an vier verschiedenen Stellen der beiden Flügel gegenwärtig noch vor-
finden. Besonders charakteristisch hinsichtlich seiner Stylisirung ist der Kopf
und der Sehnabel des Adlers und zeigt sich an denselben am deutlichsten
die Reinheit und technische Vollendung des Ousses. Da sich an dem Vogel
keine sonstigen Ornamente zur Bestimmung der Zeitepoche seiner Entstehung
erhalten haben, so düifte es schwer sein mit einiger Sicherheit die Zeit des
Gusses anzugeben. Nimmt man an, dass der untere Ständer von Holz mit seinem
12 ST. SEVERIN.
breiten Dreifuss, der ein einfaches gothisches Nasenwerk zeigt, ursprünglich sei,
und aus der Entstehungszeit des darauf befindlichen Gusswerkes herrühre, so
dürfte das letztgenannte gegen Schluss des XIV. oder im Beginne des XV. Jahr-
hunderts als vollendetes opus fusile durch einen köhiischen Gelbgiesser gebildet
worden sein.
120.
nUtelalterliche Figuren und
Das ehemalige vestiarium des Stiftes von St Severin umfasste gewiss eine
Menge von reich gestickten kirchlichen Ornaten, die von der gerühmten Kunst-
fertigkeit kölnischer Sticker und Wappenwirker Zeugniss abzulegen vermochten.
Nach den Stürmen des letzten Jahrhunderts finden sich gegenwärtig nur noch
wenige Stickereien an liturgischen Ornaten in den Gewandschränken von St Se-
verin vor, und die noch vorhandenen lassen kaum einen Schluss ziehen, welche
Nadelwirkereien hier ehemals aufbewahrt waren. Es haben sich nur einige Figur-
stickereien in Plattstich als Ornamente von Kreuzen in einzelnen Messgewäudem
erhalten, die sowohl in der Composition als in der Ausftihrung hinsichtlich ihres
künstlerischen Weilhes nicht hoch anzuschlagen sind. Ein desto grösseres Inter-
esse beanspmchen jedoch jene goldgestickten Stäbe {aurifrisiae) an zwei altem
Dalmatiken, deren Grundstoff aus figurirtem grünem WoUsammt besteht Die
eingepressten Muster in diesem Stoffe besagen deutlich, dass derselbe dem XVI.
Jahrhundert angehöre, wo hingegen die gestickten Aurifrisien wenigstens um
250 Jahre älter anzusetzen sind. Diese Stabstickereien in Goldfäden sind auf
einem jetzt in der Farbe sehr erloschenen rothen Sammt ausgeftihrt, der durch
das Alter sehr gelitten hat. Die Goldstickerei selbst setzt sich als ein Laubge-
winde in 2 Verästlungen gleichmässig in diesen Aurifrisien fort, und bildet als
immer wiederkehrendes Motiv eine Form, die einer Mandorla sehr nahe kommt
Da wo die Laubeinfassungen sich erweitem, hat die Kunst des Goldstiekers ab-
wechselnd entweder eine ausfüllende Blume in Gold angebracht , oder aber ein
Wappenschild, das die heraldischen Abzeichen eines gräflichen oder filrstlichen
Geschenkgebers wahrnehmen lässt. Auf den breiten MittelstUcken, die die beiden
schmälern Stäbe auf dem vordem und dem hintern Theile der Dalmatica verbinden,
sind ebenfalls durch Kadelmalerei die Halbbilder verschiedener Heiligenfiguren, ein-
gefasst von goldgestickten Laubornamenten, angebracht worden. Betrachtet man
die feine Stylisirung des Blätterwerkes in Verbindung mit der Composition der
Halbfiguren und die charakteristische Ausführung der Gesichtsztige in Plattstich,
so dürfte man zu der Ueberzeugung gelangen, dass diese kölnische Gold- und
Figurenstickerei gegen Mitte des XIV. Jahrhunderts Entstehung gefunden habe.
Diese chronologische Annahme dürfte auch bestätigt werden durch die Gestaltung
k- ,
_ -•
ST. SEVSRIX. 13
Ansbildong der yerschiedeoen Wappen und ihrer henddischeu Eiutheilim^ und
lawdnnng:, die in den schmalen Äurifrisien in grosser Zahl sich vorfinden. Koch
vei^n wir im Vorbeigehen darauf hin» dass in dem armarinm ^on St. Severin
* skfa auch eine ältere bmrm eorporüKiom erhalten hat, die, mit rothem Samnit ttber-
xf^en, auf ihrem obem Deckel in den 4 Ecken als kleinere Ornamente Goldstickereien
lei^; in einem schweren GoldbouUon ausgeflihrt, geben sich diese Verzierungen als
kroderies dEspagne zu erkennen, wie dieselben in der 2. Hälfte des XVI. Jahrhun-
derts allgemein ftblich waren. Auf dem mittlem Deckel dieser CorponUkapsel befin-
det sich ausserdem noch in Gold gestickt ein Wappen, das von 6 goklgestickten
Buchstaben umstellt ist Zu dieser capsella hat sich auch noch eine paHa mit
Goldstickerei erhalten, die auf einem rothen Atlas in mittelalterlicher Schreibweise
das Hierogramm IHS von einem Domenkranz umgeben darstellt. Diese Namen-
chifire war ehemals mit Perlen bestickt, die heute verschwunden sind; das Gleiche
jrilt auch von den 4 Buchstaben, die in den Ecken angebracht sind.
Die Terschwnndenen Kunst- nnd Reliquienschfttze von
St Severin.
Der Schatz von St. Severin theilt mit den übrigen hiesigen Kircbeuscbätzen
das Loos, dass er in jenen traurigen Tagen in die Schmelze zu wandern gen($-
tbigt wurde, als die Sansculotten-Wirthschaft in Frankreich auch die Hegriffe von
Mein und Dein vieler aufgeklärter Kölner damaliger Zeit verwirrt hatte.
Zum Belege, welche grosse Gleichgültigkeit für die Erhaltung kunst- und
werthvoller kirchlicher AlterthUmer selbst unter den Gebildeten der damaligen
traurigen Zeiten sich eingestellt hatte, führen wir hier zur Beherzigimg für kom-
mende Tage folgendes Factum an, das uns als geschichtlich verbürgt von einem
altera Kölner Bürger mitgetheilt worden ist Als gegen Schluss des vorigen Jahr-
hunderts französische Commissäre unter verschiedenen Titeln fortwährend von den
kölnischen Klöstern, Stiften und Pfarrkirchen Summen zu erpressen wussten, traf
es sich, dass man auch den Stiftsherren von St. Severin nach vielen vorherge-
gangenen Zahlungen eine neue Summe zu bezahlen auferlegte. Alles baare Geld
and auch sonstige Kirchenkleinodien waren früher schon veräussert worden. Da
entschlossen sieh bei dem neuen Drängen die Canoniker von St. Severin ihr letz-
tes Kleinod anzugreifen und zu Geld zu machen. Man berief einen kölnischen
Goldschmied M., damit er den werthvollen silbervergoldeten Schrein gegen Erle-
gung einer grossem Summe in die Schmelze nehme. Der berufene Goldschmied
»äumte nicht, sich rasch an die Zerstörungsarbeit zu geben. Aber siehe da, beim
Lostreiben der reich ciselirten und getriebenen Tafeln, die das Schreinwerk des
h. Severin schmückten, stellte sich sofort heraus, dass die meisten Metallbleche
nicht aus vergoldetem Silber, sondern aus purem Golde waren. Der wackere
14 ST. SEVERIN.
Meister gebt desswegen sofoii; zum Propste mit der Anzeige, dass das, was
er als Silber eingekauft babe, sich als Gold herausstelle. Die Canoniker von
St. Severin beschlossen sofort in Anerkennung der Geradheit und Ehrlich-
keit des Meisters, dass nur per Loth eine unbedeutende Erhöhung des stipu-
lirten Kaufpreises eintreten solle. So wurde denn bald darauf der Beliquienschrein
von St. Severin rücksichtslos zerstört, der einer mündlichen Tradition zufolge an
Schönheit der Formen imd an Beichthum des Materials nur allein von dem
Dreikönigs-Kasten des Domes übertroffen wurde. Dass in diesen Tagen der Zer-
störung von historischen Kunstwerken, die im Laufe von 700 Jahren in den Mau-
ern Kölns Entstehung gefunden hatten, ungeschliffene Edelsteine und Perlen fast
keinen Werth mehr hatten und dass die grosse Menge der letzteren nur mit dem
Maasse von Deutzer Juden fllr ein Spottgeld angekauft zu werden pflegten, haben
wir an anderer Stelle dieses Werkes mitgctheilt. Zur Charakterisirung, wie man
damals in Köln mit den grossen incrustirten Schmelzwerken des XI. und XII. Jahr-
hunderts, die auf vergoldetem Kupfer als Grubenschmelz (emm'l champleve) eingelassen
waren, schonungslos verfuhr, diene folgendes Curiosum, das uns von einem alten Grold-
schmiede mitgetheilt wurde. Dieser alte Meister drückte uns einstmals sein
Befremden aus über den fabelhaft hohen Preis, der fllr solche byzantinische
emaillirte Tafeln und kirchliche Utensilien von Seiten reicher Kunstliebhaher gebo-
ten würde. „Zu meiner Jugendzeit," äusserte wörtlich der Meister, „war das
anders, man machte aus diesem emaillirten Kupfer nicht viel Aufhebens; so erin-
nere ich mich noch wohl," fuhr der alte Mann fort, „dass ich als Lehrjunge viele
Monate nichts anders gethan habe, als mit einem grossen Hammer dieses farbige
„Posteling" von den vertieften Kupfertafeln durch Schlagen abzulösen und auf
diese Weise das Metall des Bothkupfers wieder zu gewinnen."
Wenn man auf diese barbarische Weise mit Beseitigung der künstliehen
Schmelzarbeiten darauf ausging, die Grundlagen incrustirter Belegplatten von Reli-
quienschreinen, Antipendien und grossem Kronleuchtern zu gewinnen, so kann
man unbedingt zugeben, dass, in Anbetracht der vielen heute noch erhaltenen
Schmelzwerke, die Zahl der Kunstschätze dieser Art in Köln noch bis zum
Schluss des vorigen Jahrhunderts äusserst bedeutend gewesen sein muss.
Ausser dem kostbaren goldenen Sarkophag, der ehemals die Gebeine des
h. Severin barg imd wovon jetzt nur als letzter Best das auf Taf. XLI. Fig. 1 1 4
beschriebene Bild dieses Heiligen auf goldener Grundlage in durchsichtigem Zellen-
schmelz sich erhalten hat, sah man bis zu Anfang dieses Jahrhunderts in der besag-
ten Stiftskirche zwei Kronleuchter, in der Weise der corona lummaria von St Pan-
taleon, die als Meisterwerke des Gusses, des Schmelzens und Ciselirens länger
als 600 Jahre an Festtagen die alte Basilika des h. Severin mit magischem Licht-
schmucke erleuchteten. Als es jedoch zu Anfang unseres XIX. Jahrhunderts hell
und klar in den Köpfen Vieler zu werden begann, leuchtete es ein, dass man
diese. Lichterkronen wohl füglich entbehren könnte. Und so wurden Kunstwerke
mii dem üammer zerstört, die die vorübergegangenen Geschlechter Jahrhunderte
hindurch erfreut und erbaut hatten die aber von der jüngsten Generation nicht
ST. SEVEBIK. 15
mehr gewürdigt und verstanden wurden. Leider gibt der sonst so umständliche
und ausführliche Gelen weder die Inschrift an, die auf der äussern Umrandung
des kleinen Kronleuchters gravirt war, noch auch die leoninischen Verse auf den
Flächen der grossen Lichterkrone, die nur an Festtagen angezündet zu werden
pflegte. Dr. Heuser, Professor im hiesigen erzbischöflichen Seminar, theilte uns
eine Abschrift jener leoninischen Verse mit, die ehenmls auf den Flacbtheilen der
äussern Peripherie des grossen Kronleuchters von St Severin angebracht waren
und die derselbe in dem Nachlasse von Alfter (museum Alßerianum Vol. \2) in
der hiesigen Gymnasialbibliothek gefunden und copirt hatte. Die Abschrift lautet,
ohne Zweifel nicht ganz correct, bei Alfter wörtlich:
Inscriptio magnae coronae ad S. Sevennum in circuitu, in medio Ecclesiae
pendentiSf quam Stavüo Decanus et Diacanus una cum corona in choro pendente
donavit.
Jure dei nati perkibentur pacificati
Justis per luctum praestant solemnia fructum
Munditie cordis mamfestat se sator orbis
* Ejus (Et?) Jeritas cordis (cordi?) datur his par (paxi) inde referri
Mitibus amplifice sentit possesio terrae
Moris multa polis est pro xpo, reprobatis
Pneumatis sapories homini fit coelica sedes
At sitis atque James saturabit justa fideles.
In i^reriore parte:
Huic (Huc?) et virorum (vivorumf) spes ducat certa bonorum
Atque fide mentis depromunt munera templis
Speravit etemas sibi quis fulgere lucemas
Dispensatori (is?) clemens operisque datoris
Ipsi xpicolis gaudent se subdere votis
Rectis corde probas quia dant benefacta Coronas
Atque St, manes stabüis cole regnis nos stabUistis
Sis tu vere Deus mundi solamine Jesus,
So sah man auch noch in den Tagen des Gelen vor dem Kreuzaltare in
St. Severin einen grossen Candelaber, ebenfalls ein Meisterwerk des Gusses; ob
derselbe als Nachbildung des Salomonischen Leuchters siebenarmig war, wie der
Candelaber in Essen, oder ob derselbe als Passions-Leuchter nur 5 Arme hatte,
ähnlich dem Meisterwerk in St. Cunibert (vgl. IL Lieferung i davon spricht unser
Berichterstatter nicht. Jedenfalls gehörte derselbe, wie die darauf eingegrabenen leoni-
nischen Verse beweisen, der romanischen Kunstperiode an und mochte in reicher Form-
entwicklung in jenen Zeiten Entstehung gefunden haben, als der Stiftsdechant Stavilo
die eben besprochene grössere und kleinere corona luminaria anfertigen Hess. Die
Inschrift auf diesem Candelaber, einem Geschenk des Probstes Arnold (vielleicht
jenes Arnold, dessen Name auf Urkunden von 1080 — 1094 vorkommt», lautete so:
Praesulis Annonis memor Amoldus junioris
Supplicat ut coelis micet ipse lucema fidelis
16 ST. SEMIIRIK.
Et precibus teneat quem Praepositum fadebat
Sit tibi concivts tnter candelabra lucis
Pro queis corde pio miti dat et hoc Severino.
In der arca reliquiarumy die heute noch als tiefes Wandgelass von einem
starken Gitter verschlossen an der Evangelienseite in der Chor-Absis von St. Seveiin
ersichtlich ist, befanden sich bis zu Anfang dieses Jahrhunderts nach dem
Wortlaute des früher citirten Manuscriptes im Besitze des Herrn Hofbachhändlers
Eisen ein silbernes caput pectorale, mit Reliquien von der h. Emerentia; femer ersah
nian in diesem Schatze 3 reichvezierte kostbare Reliquienkreuze, wovon das eine
im Jahre 1388 von dem Canonicus Jacob de Porcheto (Burtscheid?) dem Schatze
von Severin geschenkt worden war. Von demselben Canonicus befanden sich
auch als Geschenke im dortigen receptaeulnm 3 andere reichverzierte silbervergoldete
Reliquienbehälter, welche Ueberbleibsel verschiedener Heiligen enthielten. Dess-
gleichen bewahrte der oft gedachte Schatz 5 verschiedene grössere und kleinere
Reliquien-Monstranzen in kunstreichen Formbildungen, die eingravirten Inschriften
zufolge als Geschenke von einzelnen Canonikem des. besagten Stifl;es herrührten.
Endlich befanden sich dort eine Anzahl Reliquiare von verschiedener Form und
Gestalt, die unser Manuscript einfach „silberne ttberguldene Geschier** oder auch
„Ubersilberne Uberguld Gefäss" benennt Alle diese kunstvollen Gefilsse und heili-
gen Geräthe scheinen in der nämlichen unheilvollen Katastrophe verkauft worden zu
sein, in welcher, wie früher bemerkt, auch der prachtvolle Schrein des h. Severin
in der Schmelze seinen Untergang gefunden hat.
JitilitifAini .1Riir>um .
jStä&tijHjpH JAntrum.
&
;^Nibtirrl;f^. äHlnftttin .
iSt«Mifr|f?Hii(n
jSlÄbtirrfjfii Jfluffam u. ß 6nvj^.
^fdbfifcfeö 'g^lufeum.
Kunstwerke daselbst, die bis zum Anfange dieses
Jahrhunderts sich noch in kölnischen Kirchen befanden.
Seite
121) Kamm des h. Heribert, in Elfenbein geschnitzt, herrührend ans der ehe-
maligen Abtei Deutz. XI. Jahrhundert Taf. XLIII. Fig. 121 .... 3
122) Kamm mit naturhistorischen, sculptirten Ornamenten in Elfenbein.
XI. Jahrhundert Tai. XLIV. Fig. 122 6
1 23) Orientalisches Elfenbeinkästchen mit geschnitzten Ornamenten. XI. Jahrh.
Taf. XLV. Fig. 123 9
124) Flachgebilde in Elfenbein mit verschiedenen Heiligen, herrührend von
einem ehemaligen Buchdeckel eines Evangelistariums. XH. Jahrhundert
Taf. XLVI. Fig. 124 11
1 25) Frontale eines Evangelistariums, mit reichen eingeschmelzten und getrie-
benen Arbeiten. XII. Jahrhundert Taf. XLVH. Fig. 125 13
126) Reliquiar in Goldblech mit getriebenen Bildwerken und Ornamenten.
XH. Jahrhundert Tafel XLVIH. Fig. 126 16
Nachtrag.
127) Pyxis zur Aufbewahrung des h. Chrisma. Eigenthum des kölner Domes.
XV. Jahrhundert. Tafel XLVHI. Fig. 127 .^ 18
128) Das Schwerdt des h. Georg, mit durchsichtigen Schmelzarbeiten (vorfind-
lich im Schatze der gleichnamigen Kirche). XIV. Jahrh. Taf. XLVHI.
Fig. 128 20
181.
m
fiamm
in Elfenbein mit ornamentalen und figuralen Sculptiiren. XI. Jahrh.
Höhe 19V2 Centimeter; Breite 12 Centimeter
in den Schätzen deutscher Kathedral- und Stiftskirchen haben sich bis
heute verhältnissmässig wenige ältere Originale von sculptirten Elfenbeinkämmen
erhalten; über Ursprung und Gebrauch derselben walten verschiedenartige Meinungen
ob. Viele dieser Kämme sind mit phantastischen Thieromamenten mehr oder
weniger reich auf ihrer Handhabe verziert; andere hingegen zeigen auf dem obem
„manubrium*' figurale Flachgebilde, die selten biblischen Inhalts sind. Die
meisten dieser Kämme, namentlich jene mit religiösen Bildwerken, sind nicht als
Profangeräthe für Zwecke des alltäglichen Lebens zu betrachten, sondern diesel-
ben waren ehemals kirchlichen Gebrauches und rühren als bischöfliche Kämme
aus jenen Tagen her, wo es in der Kirche Sitte war, dass der pontifex vor
der Feier des h. Messopfers Bai-t und Haupthaar durch einen solchen „pecten"
ordnen Hess. Da bei der bischöflichen Consecration d. h. bei der Salbung des
Hauptes mit dem geweihten Chrisam ebenfalls im frühern Mittelalter ein reich
verzierter Elfenbeinkamm zur Anwendung kam , um das Haupthaar nach der Sal-
bung wieder zu ordnen; so ist es geschichtlich nachweisbar, dass nach vollzogener
Salbung der zur Anwendung gekommene „pecten consecrationis** dem betreffenden
Bischof verblieb, als Erinnerung der bischöflichen Consecration fortwährend in
Ehren gehalten und nach dem Ableben des Eigenthümei-s dem Verstorbenen
mit ins Grab gegeben wurde. Diesem Gebrauche ist es zuzuschreiben, dass bis
auf diesen Tag noch mehrere bischöfliche Kämme sich erhalten haben. So fand
sich im Grabe des Bischofs Benno von Osnabrück, bei der Eröffnung seiner Gruft
in der Benedictiner-Abteikirche zu Iburg, ein solcher „pccten comecratianis" in
Elfenbein geschnitzt vor, der gegenwärtig noch zu Iburg bei Osnabrück aufbe-
wahrt wird. So auch fand sich bei Eröffnung des Grabes des h. Anno zu Sieg-
burg nebst den andern Pontiflcalien der geschnitzte Elfenbeinkamm desselben,
der jetzt noch in der Pfarrkirche zu Siegburg aufbewahrt wird. Dessgleichen hat sich
auch in Augsburg der geschnitzte Elfenbeinkamm des h. Ulrich noch erhalten. Das
städtische Museum zu Köln besitzt unter vielen andern Elfenbeinsculpturen aus der
romanischen Kunstcpocho noch zwei geschnitzte Elfenbeinkämme, die aller Wahr-
4 STAEDTISCHES MUSEUM.
Bcheinlichkeit nach aus kölnischen Kirchen herrtthren und kölnischen ErzbischOfen
ehemals zugehört haben mögen. Insbesondere dürfte die äussere reiche Form
und die auf demselben befindlichen Flachgebilde den bischöflichen Gebrauch des
einen grossem pecten ausser allen Zweifel stellen. Im Gegensatz zu dem peeten
Si, Atinonü in Siegburg, der in seiner Hälfte ein greifbares Mittelstflck hat, von
welchem aus nach beiden Seiten die Zähne des Kammes sich ansetzen , ist jener
bischöfliche Kamm, der in unserer Abbildung auf Taf. XLIIL in Naturgrösse veran-
schaulicht wird, nur mit einer Reihe feiner Zähne nach unten hin versehen. Diese
Zähne selbst sind ziemlich dicht nebeneinander gestellt und sind dieselben durch
den häufigen Gebrauch schwärzlich angehaucht Als Schutz dieser Zähne
befinden sich zu beiden Seiten zwei starke VorsprOnge, die ebenfalls als Verzah-
nung nach unten hin sich zuspitzen und auf ihrer Fläche ein gräcisirendes vertieft
ausgestochenes Laubomament zeigen. Dieser eine stärkere Zahn als Abschluss
fehlt an der rechten Seite. Die reichste Fülle hat der Elfenbeinschneider an dem
breitem Obertheile des Kammes, der eigentlichen Handhabe, »tanubrium^ zur Ent-
faltung gebracht. Man erblickt nämlich unmittelbar über der Verzahnung als
Flachgebilde die Darstellung des Heilaudes am Kreuze mit der Passionsgnippe.
Der Gekreuzigte selbst steht mit fast geradlinig ausgebreiteten Armen auf einem
suppedaneum; das perizomum ist in einer Weise um die Lenden des Herrn ge-
schürzt, wie wir das in dieser Anlegungsweise vielfach an ähnlichen Cnicifixen
aus den Tagen der Ottonen gesehen haben, lieber dem Haupte des Heilandes
befindet sich der titulus crucix mit der Inschrift: IHS N AZAREN. REX, der
in Versalien in Abkürzung eingravirt ist, die in ihrer charakteristischen Ausbil*
düng fllr den Beginn des XI. Jahrhunderts massgebend sind. Auf der äussersten
Seite erblickt man die Darstellung von Johannes und Maria und unmittelbar neben
dem Gekreuzigten die beiden Schacher mit der Lanze und dem Schwanoune in
ähnlicher Composition, wie man solche an Bildwerken aus den Tagen der Ottoneo
noch häufiger antrifft. Auch die allegorische Darstellung von Sonne und Mond
fehlt nicht zu Häupten des Heilandes, die hier personificirt, als Sol und Lu$ui
nach classischer AuSiEtösungsweise wiedergegeben sind. Unmittelbar oberhalb
dieser Darstellung der Kreuzigung erblickt man en jour durchbrochen ein acht-
blätteriges roseuförmiges Ornament, über welchem, gleichsam als Wolken, sich
zwei Engel befinden, die im Fluge begriffen, dem Momente der Kreuzigung bei-
zuwohnen scheinen. Auf der Rückseite des formschönen, reichverzierten Kammes
sind keinerlei figürliche Darstellungen ersichtlich, sondern hier erblickt man
die sämmtlichen Flächen mit einem stylisirten Laubwerke verziert, das durchaus
an das classische Akanthusblatt der römischen Kaiserzeit erinnert und hinsichtlich
seiner Einzelnheiten viele verwandtschaftliche Analogien aufzuweisen hat mit den
einschlagenden Arbeiten des bekannten kunsterfahrenen Mönches Tutilo von
St. Gallen. Leider ist an dem obem Einlass jener Oeffuung im ausgerundeten
Fttnfblatt, der obere Theil dieses sculptirten Ornamentes abgebrochen, dessgleiehen
auch auf derselben Seite der breite omamontirte Abschlusszahn, den wir mit der
eben gedachten obem Spitze in unserer Abbildung zu ergänzen un» erlaubt haben.
STAEDTISCHES MUSEUM. 5
Betrachtet man aufinerksamen Blickes die Composiiion und den Ausdruck der Fi-
g:ureny den Faltenwurf der Oe wänder, so möchte man die Annahme für zulässig
erachten, dass dieser Kamm in jenen Tagen angefertigt worden sei, als Elfenbein-
sculpturen zu yerschiedenen kirchlichen Zwecken im Abendlande eine ausgedehnte
Anwendung fanden und durch Gründung einer besondem Schule unter der Lei-
tung des kunsterfafarenen Bemward, Bischofs von Hildesheim, eine besondere Pflege
erfuhren. Es waren das die Tage Kaiser Otto's HI., an dessen Hofe durch
den Einfluss seiner Mutter, der griechischen Theophania, die verschiedenen Künste
einen nachhaltigen Aufschwung nahmen. Diesem Einflüsse der kunstsinnigen griechi-
schen Kaisertochter ist es auch zuzuschreiben, dass die Kunstweise der Byzantiner
eine formbestimmende Einwirkung auf die Leistungen der verschiedenen Klein-
künste in Deutschland zu damaliger Zeit genommen hat.
Die auffallende Uebereinstimmung der figürlichen Darstellung der Kreuzigung
auf dem in Rede stehenden pecten ebumeus mit demselben Bildwerke auf dem
Elfenbeinrelief des berühmten codex purpureus aureus in der herzoglichen Biblio-
thek zu Gotha, einem Geschenke Otto's H. und seiner Gemahlin Theophania an die
Benedictiner- Abtei Echtemach im Luxemburgischen, hat uns bewogen die vorlie-
gende Sculptur entweder dem Schluss des X. oder spätestens dem Beginne des
XL Jahrhunderts zu vindiciren. Eben diese Zeit der Anfertigung dieses bischöf-
lichen pecteriy in Verbindung mit einer Angabe des Kölner Chronisten Gelen, hat
zu einer weitem Conjectur Veranlassung geboten. Gelen theilt nämlich in seinem
Werke „de magnitudine Coloniae" bei Beschreibung der Kirchenschätze der vom
Kaiser Otto HI. und dem h. Heribert gestifteten Abtei Deutz mit, dass in dem
thesamrus daselbst sich neben dem scipio, der casula und der cuppa St Heri-
berti auch noch vorfand der pecten ebumeus desselben h. Erzbischofs. Bei
Lesung dieser Angabe stieg in uns die Vermuthung auf, dass bei Auflösung der
Benedictiner-Abtei Deutz und bei Verschleuderung der vielen Kirchenschätze da-
selbst der zierliche Elfenbeinkamm des h. Heribert als kölnische Merkwürdigkeit
in den Besitz eines Kunstkenners gekommen und später, vielleicht durch Schen-
kung oder Ankauf, dem hiesigen städtischen Museum einverleibt worden sei.
Als wir im Begriffe standen die vorliegenden Notizen niederzuschreiben,
besuchte uns Dr. von Mering. Wir hatten nichts Eiligeres zu thun, als die Ori-
ginalzeichnung des Elfenheinkammes in Naturgrösse demselben zur Ansicht vor-
zulegen. Unsere eben ausgesprochene Vermuthung erhielt alsbald ihre volle Bestä-
tigung durch die sofortige Aeusserung des obengedachten Geschichtsforschers,
welche dahin lautete: „er habe diesen Elfenbeinkamm mit der Kreuzigung
Christi in Jüngern Jahren oft in der Pfarrkirche zu Deutz bewundert" Wahr-
scheinlich ist es, dass der h. Heribert, der vertraute Freund und Rathgeber Otto's HI.,
von seinen italienischen Zügen diesen kunstreichen Kamm mit in die rheinische
Heimath gebracht habe. Diese Annahme gewinnt dadurch einen erhöhten Grad
von Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur das reich geschnitzte Laubwerk auffallend
an griechisch italienische Bildschnitzer erinnert, die bei den ikonoklastischen Strei-
tigkeiten in den industriellen Städten des nördlichen Italiens eine zweite Heimatb
6 STAEÜTISGUES HUSEUH.
gefunden hatten, sondern dass auch der h. Heribert, der Kanzler des jüngsten Otto,
bei dem Tode des letztgenannten Kaisers längere Zeit in Italien verweilte und
von dort aus die Leiche desselben in die Kaisergruft nach Aachen geleitete. In
wie fem der Ansieht eines archäologischen Freundes Gewicht beizulegen ist, der
unsern Prachtkamm sogar mit der Person Otto's IIL in Beziehung setzen wollte,
lassen wir dahin gestellt sein. Kur noch auf den einen Punkt machen wir im
Vorbeigehen aufmerksam, dass in der an Kunstschätzen des Mittelalters so reichhal-
tigen Gitter zu Quedlinburg unter andern Schätzen der sogenannte Bartkamm
Kaiser Heinrichs L, des Finklers, sieh heute noch vorfindet, der in for-
meller Beziehung viele Analogien mit dem ebenbeschriebenen pecien aufzu-
weisen hat.*j
122.
Elfenbein-Kamm
mit sculptirten Laub- und Thierfigurationen. Abbildung in natürlicher
Grösse. XL Jalirhuudert.
Höhe 15 Centimeter; Breite 12 Ccntimeter.
Bei Besichtigung der hervorragendsten Kirchenschätze in den vornehmsten
Kathedral-Kirchen diesseits und jenseits der Berge sind uns in den letzten Jahren eine
Anzahl von reich sculptirten Kämmen in Elfenbein meistens in den Formen des
romanischen Styles zur Anschauung gelangt, deren Formengebilde nicht immer
deutlich erkennen Hessen, ob dieselben ehemals einem kirchlichen oder profanen
Zwecke gedient haben möchten. Eine reichhaltige Sammlung von Abschriften mittelal-
terlicher meist ungedruckter Schatzverzeichnisse setzt uns in die Lage, hier weiter
nachweisen zu können, d<ass wohl die meisten dieser heute noch vorfindlichen pectines
im Mittelalter liturgisch zum Ordnen des Haupthaares sowohl der pontificireudeu
Bischöfe als auch der celebrirenden Priester in Gebrauch waren. Von den vielen
Angaben, die sich meistens in Inventaren des XU. und XUI. Jahrhunderts vor-
finden, lassen wir hier im Auszug nur einige interessantere folgen. So iest mau
in dem Testamentum Ricuiß Episcopt Helenensis An. 915 .... Pectinem eburneam
unam, tabulas ebumeas duas, *♦) In einem Inventar der Kirchenschätze und Klei-
nodien der Ecclesia Sarum in England vom Jahre 1222 stehen verzeichnet: Pft?ft-
nes ebumeae Vexceptis bis, quae sunt ad altaria,***) Auch das Schatzveizeichniss
*) Vgl. unsere Bespreohung der kirohliehen Kunstschtttze zu Quedlinburg in Nr. l und 2 des
Domblattes von 1801.
♦*) Diese beiden Elfenbeintafcln scheinen die äussern tJnifas.'<ungsdeckcl von kleinen Metallspiegoln
gewesen zu sein, die zu bischöflichen Elfenbeinkämmen gehörten und die sich als Diptychon zusam-
menlegen Hessen.
***) Diesem Citate zufolge nimmt es den Anschein, dass im Beginne des XIII. Jahrhunderts siehe
in der in Kede stehenden bischöflichen Kirche zu den verschiedenen Altären auch verschiedene Kämme
•Vorfftnden.
STAEDTISCHES MU8EUM. 7
der StiftB- und ErönuDgskirche des h. Johannes von Monza vom Jahre 1229 führt
unter andern Kleinodien an: Itempectines tres de hebore. Das inhaltsreiche Schatz-
verzeichniss der Kleinodien der bischöflichen Kathedrale von St. Paul in London *)
vom Jahre 1295 zählt als im Schatze daselbst befindlich mehrere Kämme auf.
Die Stelle lautet: tres pectines ebumei spissi**) ei magrä et tres tenues et usuales
de ebore. Item unum pecten ebumeum pulchrum de dano Joharniis Ckiskulle. Item
duo pectines ebumei et memorandum, quod ad astam coram Cruce est unu?n
pecten ebumeum. Noch sei hier bemerkt, dass es in der Charta An. 1231 apud
Catelium in hist. occident. pag. 901 heisst: Sunt ibi octo Cingula serica et sex
pectines ebumei.
Wir haben als Einleitung zu der Beschreibung des merkwürdigen Elfenbein-
kammes, der auf Taf. XLIV Fig. 1 22 in natttrlicher Grösse wieder gegeben ist, die Auf-
zählung von altem liturgischen Kämmen hier vorausgeschickt, um die Gegenrede zu
entkräften, dass die jetzt in bischöflichen Sacristeien und öffentlichen Kunst-
sammlungen noch vorfindlichen älteren pectines sämmtlich dem profanen Gebrauche
angehört haben. Wir stellen nicht in Abrede, dass die sculptirten Kämme aus
der Zeit der Troubadoure und Minnesänger, meistens mit erotischen Darstellungen
auf den beiden mittleren Flächen, weltlichen Zwecken dienstbar waren und geben
zu, dass dieselben von der Innung der ymagiers und der epaindures des nördlichen
Frankreichs in Menge fttr den Handel angefertigt wurden; indessen nehmen wir
nicht den mindesten Anstand für den formschönen pecten auf Taf. XLIV. und für den
andern auf Taf. XLIII. ein kirchliches Herkommen zu beanspruchen. Der in Rede
stehende Kamm, der wie auch der vorhin erwähnte gegenwärtig dem städtischen
Museum zu Köln angehört, zeigt die Form und Verzierungsweise jener grossem
bischöflichen Kämme, wie sie sich noch vereinzelt erhalten haben. Es hat der-
selbe in seiner äussern Gestalt fast die Form einer Lyra und bietet durch den
mittlem tiefen Einschnitt der Hand eine bequeme Stelle, vermittelst welcher der
Gebrauch desselben erleichtert wurde. Im Gegensatz des vorher unter Nr. 121 dar-
gestellten pecten mit grobem Zähnen, weist der in Rede stehende Kamm eine
viel feinere Verzahnung auf, die derjenigen sehr nahe kommt, die wir unlängst
an dem sogenannten Bartkamme Kaiser Heinrich's I. zu Quedlinburg vorfanden.
Was die geschnitzte Yerziemng des manubrium unseres Kammes betrifft, so zeigt
sich auf beiden Seiten desselben eine fast gleichartige Anordnung der sculptirten
Omamente, die mit grotesken Tbierbildem in wechselseitiger Verbindung stehen.
Auf beiden Seiten des Kammes werden nämlich die beiden comua der obem
verzierten Handhabe dadurch gebildet, dass der Bildschnitzer an beiden obern
Enden den Kopf und den Vordertheil zweier geflügelten phantastischen Thiere
angebracht hat, deren Kopf bildung mit der des Nilpferdes Aehnlichkeit hat. Ausser
den stylisirten Flügeln dieser vier Unholde erblickt man auf jeder Seite den
♦) Vgl. Monastieum Anglicanum Tom. III. pag. 314.
**) Unter diesen sechs Kämmen zum liturgischen Gebrauche befanden sich drei von Elfenbein
mit weit aoseinanderstehendcn Zähnen, und drei feinere fUr tägliche Benutzung.
8 8TAEDTISCHES MUSEUM.
VorderfuBB nebst dem Hufe eines Bosses. Die Mähnen werden theilweise durch
ein zierliches Laubgewinde ersetzt, das sieh an dieser Stelle nach Oben entwik-
kelt und von einem untern Wurzelstocke aus sieh verästelt Auf der unteren
mittleren Fläche dieser Handhabe hat der Elfenbeinschnitzer verschiedenartige
Laubgewinde als Basreliefs angebracht, die in ihrer äussern Oestalt mit dem Wein-
laube grosse Aehnlichkeit haben.
Fasst man den Charakter dieser Laubverzierungen schärfer ins Auge, so
will es scheinen, dass diese Ornamente auf einen griechischen Ursprung hinweisen
und von byzantinischen Elfenbeinschnitzern gegen Schluss des X. Jahrhunderts
angefertigt worden sind. Was uns zur Aufstellung dieser Hypothese hinsichtlich
der Entstehungszeit dieses pectm veranlasst, ist der Umstand, dass der obener-
wähnte Kamm zu Quedlinburg, der den Tagen Kaiser Heinrichs L zugeschrieben
wird, in auffallender Weise jenes byzantinisirende Fllnfblatt zeigt, das in ver-
wandter Form auch auf den breiten Flächen des vorliegenden Kammes ersicht-
lich ist.
Noch erübrigt es hier auf die eine Frage näher einzugehen, in welcher
Kirche Kölns wurde ehemals dieser merkwürdige Kamm aufbewahrt und mit welchem
der altem Erzbischöfe ist derselbe in Verbindung zu setzen. Ueber das Herkom-
men dieses pecten haben sich gegenwärtig keinerlei Daten mehr erhalten und
dflrfte es überhaupt schwer sein ttber dieses Sculpturwefk jetzt das Nähere
endgültig festzustellen. Nur eine Stelle beim kölnischen Geschichtsschreiber Gelen
in seinem Werk de magnitudme Coloniae könnte zu einer Hypothese Veranlas*
sung bieten. Es wird nämlich bei Beschreibung der Schätze und Kleinodien von
St. Aposteln angeführt, dass im gasopkfflacium daselbst auch der Kamm des h. Heri-
bert aufbewahrt werde. Es befanden sich also unserm Gewährsmanne zufolge ehemals
in den hiesigen Kirchenschätzen 2 Kämme und zwar wurde der eine zu Deutz und der
andere zu Köln aufbewahrt; diese beiden verschiedenen Kämme weist jedoch die
Tradition einem und demselben h. Erzbischofe zu. Wenn von dem in der vorher-
gehenden Nummer beschriebenen Kamme durch Augenzeugen erhärtet werden
kann, dass derselbe aus der ehemaligen Abtei Deutz stamme, so lässt sich dies
nicht von dem in Bede stehenden pecten nachweisen, dass er nämlich aus dem
Schatze der ehemaligen Stiftskirche von St. Aposteln herrühre. Das Letztgesagte
kann nur mit Bücksicht auf die geschichtliche Angabe des Gelen als gewagte
Annahme hingestellt werden, bis der Nachweis geführt ist, dass sich die Angaben
des kölnischen Chronisten nicht auf irgend einen anderen Kamm beziehen, der
in den letzten Stürmen verloren gegangen ist, sondern auf den vorliegenden, der
sich heute noch ins hiesige städtische Museum gerettet hat.
8TAEDTISCUE8 Ml SEUM
123.
Sehmnekkasten
in Elfenbein mit Bculptirten Laub- und Thierfigurationen.
Höhe 12 Centimeter; Breite 8 Ceniimeter; Länge 14 Centimeter. XU. Jahrhundert.
In altern Schatzverzeichnissen finden sich in Menge Schmuckkästchen auf-
geführt, die meistentheils ^^feretra^ scrinia oder arcuia ebumea" benannt werden.
Die meisten dieser ,^crmwla ebumea", die namentlich im XIU. und XTV. Jahr-
hundert von der Confratemität der Elfenbeinschnitzer {ymagiers) im nördlichen
Frankreich zahlreich angefertigt worden sind, geben erotische Darstellungen
zu erkennen, wie sie dem poetischen Sagenkreise des aufblühenden Ritter-
thums angehören. Die geschnitzten Elfenbeinkästchen des X., XI. und XII. Jahr-
hunderts jedoch, die vielfach morgenländischen Beinschnitzem ihren Ursprung ver-
danken, sind häufig' mit Laub- und Thierfigurationen auf ihren Flächen künstlich
verziert, die als geniale Arabesken auf den Orient als ihr Heimaihland deutlich
hinweisen. Wir haben bereits an anderer Stelle dieser Schrift darauf hingedeutet,
dass in den Jahrhunderten der Ereuzzüge, in jener Zeit, als das christliche Abend-
land mit dem Halbmond um den Besitz der h. Stätten im Kampfe lag, ein leb-
hafter Drang nach dem Besitze theurer Reliquien sich allenthalben geltend machte.
Derjenige, der so glücklich war an h. Stätte, in Palästina oder in Byzanz und
Rom in den beneidenswerthen Besitz von Ueberbleibseln gefeierter Heiligen zu
gelangen, nahm auch sofort darauf Bedacht, in mehr oder weniger kunstreichen
und kostbaren Behältern seine gewonnenen heiligen Schätze mit in die Heimath
zu bringen. So gelangten im XIH. Jahrhundert vielfach kunstreiche Behälter in
kirchlichen Besitz, die, von orientalischen Künstlern angefertigt, früher dazu gedient
hatten, aus dem Morgenlande jene ,^reliquiae transmarinae** würdig mit in das
Heimathsland übertragen zu können. Als solche Reliquiarien in Elfenbein, in
einem offenbar orientalischen Formtjrpus, haben wir in der I. Lieferung dieses
Werkes auf Taf. I, Fig. 2 und 5, dessgleichen Taf. IV, Fig. 22, einzelne „reeep-
tacula" im Bilde näher veranschaulicht Der vorliegende auf Taf. XLV. abgebildete
Behälter gehört ebenfalls, wie die obenbezeichneten, dem Oriente an, wie das die
sculptirten Thier- und Pflanzenomamente auf demselben nicht undeutlich zu er-
kennen geben. Dieser formschöne Elfenbeiuschrein ist nämlich im länglichen
Viereck so gestaltet, dass er auf seiner Langseite in quadratischen Füllungen je
drei Flachgebilde enthält, wo hingegen die schmäleren Kopftheile nur von je zwei
figürlichen Darstellungen belebt werden. Auf der einen Langseite, die auf unserer
vorliegenden Abbildung dem Blicke des Beschauers zugewandt ist, erblickt man
als kleinere Panäle drei Reliefdarstellungen, die der Thier- und Pflanzenwelt ent-
nommen sind und aller Wahrscheinlichkeit nach dem Thiermythus des Morgen-
landes angehören dürften. In der mittleren Füllung glauben wir, nach Analogie
2
i
10 STAEDnSCHES MUSKUM.
ähnlicher PflanzeDbildungen, den orientalischen Lebensbaum, den sagenhaften Hom
zu erkennen, der in den bildlich allegorischen Darstellungen sowohl in morgen-
ländischen gemusterten Seidengeweben, als auch in getriebenen Arbeiten und Sculp--
turen eine bevorzugte Rolle spielt. Rechts von diesem Hom, dem h. Baume der
Perser und Chaldäer, erblickt man als durchbrochenes Flachgebilde die Figur des
sagenhaften Greifen, der halb Vogel halb Vierfüssler ebenfalls dem Thierkreise
des Orients angehört.
Dem Greifen entgegengesetzt hat in der betreffenden Füllung der Elfenbein-
schneider die Figur des Elephanten dargestellt, der fbr das Herkommen des vor-
liegenden Behälters aus den femliegenden Ländern ttber Meer zum Belege dienen
kann. Gleichsam von dem mittlem Wurzelstocke aus, worin wir den Hom zu
erkennen glauben, setzt sich dasselbe Pflanzenoraament, abwechselnd als Blatt,
abwechselnd als Frucht wiederkehrend, an säramüichen Eiufassungsrändera des
Elfenbeinschreines fort. Dessgleichen tritt auch an dem obem Rande dieselbe
Verzrerungs weise hervor; über diesem sculptirten Rande erhebt sich in schrä-
ger Fläche ansteigend eine zweite Umrandung, die durch eine ebenfalls dem
Morgenlande eigenthUmliche Bandverschlingung gekennzeichnet wird. Auf der
obem schmalen Abschlussplatte des Deckels befinden sich als Flachgebilde zwei
ausgestochene FtUlungen mit phantastischen Thieren, die, wie auch die übri-
gen animalischen Ornamente, dem orientalischen Thiermythus entlehnt zu sein
scheinen.
Da die Kunst der muselmännischen Orientalen, ähnlich der der Byzantiner,
in ihren stylistisch geregelten Formengebilden Jahrhunderte hindurch stagnirend
war, so dürfte es schwer halten, dem vorliegenden Schreinwerk eine bestimmte
Entstehungsperiode zu vindiciren. Nach Analogie einer grossen Zahl von ähnlich
gemusterten Seidenge weben unserer Privatsammlung zu urth eilen, würden wir
geneigt sein die Anfertigung dieser arcula in die Mitte des XH. Jahrhunderts zu
versetzen. Auch lässt es sich heute nicht ermitteln, aus welcher kölnischen Kirche
dieses feretrum transmarmum herrührt; nur soviel ist als feststehend anzunehmen,
dass der in Rede stehende Reliquienschrein bei der unbegreiflichen Yerschleu-
demngs- und Zerstörungssucht im Anfange dieses Jahrhunderts in die rettenden
Hände des um die Kunstwerke seiner Vaterstadt hochverdienten Professors Wallraf
gelangte und zugleich mit den unter Nr. 121 bis inclus. Nr. 126 abgebildeten
kirchlichen Kunstwerken Kölns nach dem Ableben des eben belobten Kunstkenners
und Sammlers testamentarisch dem städtischen Museum einverleibt worden ist
STAEDTISCHES MUSEUM. 11
124.
Flachgebilde
in Elfenbein, ein Frontalbild eines ehemaligen reichverzierten Buchdeckels.
Länge 17'/s Gentimeter; Breite 9'a Centüneter. XII. Jahrhundert
Was Florenz und Mailand im Mittelalter für Italien, was in Süddeutschland
Augsburg, Nürnberg und Regensburg für die Entwickelung und Pflege der Kunst
bot, das gewährte in jener Zeit fUr die Pflege und Entwickelung der verschie-
denen ZweigkUnste die Metropole der Ubier. Nicht nur fand innerhalb der Mauern
des h. Köln die Architektur zugleich mit den übrigen Monumentalkünsten eine vor-
zügliche Entwickelung, sondern auch die Goldschmiedekunst, die Elfenbeinarbeiten,
Schmelzereien und Bildstickereien erreichten, in besondem Zünften und Genossen-
schaften geübt, seit der Frühzeit des Mittelalters bis zum Ende desselben in der
alten Bischofstadt am Rhein einen ungeahnten Höhepunkt sowohl in artistischer
als technischer Beziehung. Bei diesem raschen Aufblühen der verschiedenen Klein-
künste scheint auch in Köln bereits vom eilften Jahrhundert ab neben der Sculptur
in Stein und Holz auch die Elfenbeinschnitzerei nicht vernachlässigt worden zu
sein. Aehnlich der Confratemität der j/magiers in einzelnen Städten des nördli-
chen Frankreichs waren bereits im zwölften Jahrhundert zu Köln geübte Bild-
schneider thätig, in dem edlen Material des Elfenbein Flachgebildc zu schnitzen,
welche die Bestimmung trugen, die reichen Deckel kostbarer Evangelistarien
und Plenarien zu verzieren oder auch die Seitenflächen und die Bedachung reicher
Reliquienbehälter zu heben und auszuschmücken. Den factischen Beweis, dass im
XII. Jahrhundert schon in Köln ausgezeichnete ymagiers in Elfenbein vornehmlich
für religiöse Zwecke, treffliche Bildwerke anfertigten, liefert das prachtvolle
Reliquiar der kölnischen Schule mit seinen reichen incrustirten Schmelzwerken
und seinen vielen figürlichen Darstellungen in Elfenbein, welches sich in der ehe-
maligen Sammlung des Fürsten P. SoltikoflF in Paris findet.*)
Wir verweisen dessgleichen auf einen merkwürdigen in Elfenbein geschnitzten
Reliquienbehälter im Grossherzoglichen Museum zu Darmstadt, welcher aus der
Sammlung des Baron von Hübsch herrührt und ehemals einer kölnischen Kirche
angehörte. Ein drittes Flachgebilde in Elfenbein, das die untrüglichsten Anzei-
chen seines kölnischen Ursprunges trägt, befindet sich als Frontalverzierung in
einem Deckel, der einst einen Evangelien-Codex schmückte, aber jetzt im städti-
schen Museum zu Köln aufgewahrt wird. Dieser Deckel, der heute des Schmuckes
*) Dieses für die kölnische Kunstgeschichte in mehr als einer Beziehung höchst merkwürdige
Reliquiar hefand sich his vor wenigen Jahren im Besitz des Fürsten Salm zu Anholt, von wo es durch
Verkauf in die reichhaltige Sammlung des ohen gedachten russischen Fürsten nach Paris gelangte.
Dasselbe war bis zum Eintritt der französischen Revolution Eigenthum der ehemaligen Stiftskirche zu
Rees bei Xanten am Rhein.
12 STAEDnsCHES MUSEUM.
der Edelsteine, deren offenstehende leciula noch sichtbar sind, gänzlich entkleidet ist,
zeigt als mittlere Füllung ein trefflich geschnitztes Relief in Elfenbein, eine Darstellung
des Martyriums und der Verherrlichung jener Krieger der thebaischen Legion und ihrer
heiligen Anführer, die vor den Mauern Kölns die Martyrerpalme erhielten. Der
Weltheiland ist vom Bildschnitzer, auf dem Regenbogen sitzend, in jugendlicher
verklärter Gestalt abgebildet. Als Schemel seiner Fttsse erblickt man eine Welt-
kugel, die von einem polygonen Säulenschaft mit reichem Capital getragen wird.
Zu Häupten dieser Majestas Domini hat der Künstler zwei schwebende Engel an-
gebracht, die eine mit vielen eiugravirten und vergoldeten Sternen verzierte elip-
tische Mandorla gefasst halten. Der Herr, der als Weltrichter umgeben von seineu
Heiligen hier bildlich wiedergegeben wird, hält beide Arme ausgestreckt und seine
Rechte ruht segueud auf dem Haupte einer Halbfigur, in deren Nimbus man deutlich die
Worte liesst: Sanctus Get*eon. Die Linke des Herrn berührt das Haupt einer
zweiten jugendlichen Halbfigur, die durch die Inschrift im Nimbus als: Sanetus
Victor näher bezeichnet wird. Unterhalb dieser beiden Bildwerke, die triumphi-
rend die Martyrpalme halten und mit der x^^i^^^* ^^^ römischen Legionäre beklei-
det sind, hat der Bildschnitzer auf jeder Seite von drei zu drei Reihen die Reprä-
sentanten jener thebaischen Legion geordnet, deren Anführer im Bilde und mit
Namen eben bezeichnet worden sind. Um die Legion dieser heiligen Krieger
näher anzudeuten, hat der Künstler auf jeder Seite neun kleinere Halbbilder
angebracht, die mit dem jedesmal darüber befindlichen Patron und Anflihrer die
Zahl Zehn ausfüllen. Diese Legionssoldaten sind ebenfalls, wie ihre heiligen An-
führer, mit dem römischen Kriegermantel bekleidet, und halten die Siegespalme in
Händen. Betrachtet man die scharf ausgeprägte Individualität in den ausdrucks-
vollen Köpfen dieser in Elfenbein sculptirten Heiligenbilder, namentlich aber die
feierliche Würde und die Majestät, welche in der Figur und besonders in den
Gesichtszügen des belohnenden Welterlösers liegt, so muss man eingestehen, dass
nur allein die Technik und einzelne ti*aditionelle Formen, wie sie sich von griechi-
schen ymagiers traditionell fortgeerbt hatten, diesen vielen figürlichen Darstellungen
geblieben ist, dass jedoch sowohl in der Composition, als in der charakteristischen
Auffassung der Köpfe ein neues in Bildung begriffenes germanisches Formen-
gesetz vorwaltet. Dieser offenbare Bruch mit den überlieferten typischen Formen
von Byzanz und dieses theilweise Beibehalten traditioneller üeberliefemngen in
der Behandlung und in dem Faltenwurf der Gewänder bekundet deutlieh, dass
diese Elfenbensehnitzarbeit nicht nur von kölnischen Bildschneidem im Beginne
des XIII. Jahrhunderts angefertigt worden ist, sondern dass dieses Flachgebilde
auch aus der Zeitepoche des sogenannten Uebergangsstyls herrührt, in welcher
der majestätische Kuppelbau von St. Gereon zu Köln eben zur Vollendung gelangt
war, und aus den überlieferten Formen des Rundbogenstyls sich neue Formenge-
bilde nach den germanischen Gesetzen des Spitzbogens zu entwickeln begannen.
Leider hat sich der Evangeliencodex, dessen reich veraierten Deckel ehemals
dieses Flachgebilde schmückte, nicht mehr erhalten. Es dürfte jedoch keinem
Zweifel unterliegen, dass dieses Evaugeliarium oder Plenarium dem reichen Stifte
STAEDTISCHES MUSEUM. 13
ad aureos sanctos zu Köln ehemals angehört habe, zumal auch Gelenius und an-
dere Chronisten der letzten zwei Jahrhunderte von den Kirchenscbätzen und Klei-
nodien vieles zum Ruhme dieses Stiftes angeführt haben.
Vor wenigen Jahren gelangte ein werthvoUes Hanuseript auf Pergament
auf einer kölnischen Auction zum Verkauf, das, aus der ehemaligen Stiftsbibliothek
von St. Gereon herrtthrend, unter andern geschichtlichen Notizen über diese Kirche
auch ein merkwtlrdiges Inventar der Kirchenschätze und Kleinodien des eben
gedachten Stiftes, wie uns mitgetheilt wurde, aus dem XIV. Jahrhundert, enthält.
125.
Evangelien-Codei
auf Pergament mit vielen Mtialien und Miniaturen und einem reichen
Frontal-Einbande in getriebener Arbeit mit eingeschmelzten Ornamenten.
IX. und Xn. Jahrhundert.
Aeltem Schatzverzeichnissen zu Folge fanden sich ehemals in Stifts- und
Kathedralkirchen eine grössere Zahl jener ^^codices aurei purpurei membranacei"
vor, die als ,,plenaria^^ oder ,Jibri missales" nebst den Episteln und Evangelien
sämmtliche Gebete, die bei Darbringung des h. Messopfers vom Priester verrichtet
werden, oder als „evangelistaria" die vier Evangelien zum Gebrauche bei verschie-
denen liturgischen Handlungen, enthielten. Diese „plenarta" und „evangelistaria"
des frühem Mittelalters zeichneten sich nicht nur durch die zierliche kunstreiche
Schrift mit schönen Initialien aus, sondern der Beginn der verschiedenen Haupt-
abschnitte war auch mit grösseren oder kleineren Miniaturbildem aufs reichste
verziert. Mit dieser kunstreichen innem Ausstattung stand bei den liturgischen
Bttchern unmittelbar vor und nach dem X. Jahrhundert harmonisch im Ein-
klang ein kunstreich verzierter Einband, der auf seinem Frontdeckel häufig eine
Fälle von getriebenen ciselirten oder eingravirten Ornamenten zeigte, die nicht
selten mit incrustirten und eingelegten Schmelzen abwechselten. Auf diese pracht-
vollen yjcodices müsales" in ihrer inneren und äusseren omamentalen Ausstattung
bezieht sich ein merkwürdiger Spruch auf dem älteren Einbände eines ,Jtber sacra-
mentarius" in der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien. Derseli)e heisst:
„Quodque Joris pulchrum ckarumque videris habere
Charius intus habet nobis quod litera posmt,"
Auch die reichen kölnischen Stifts- und Abteikirchen hatten ehemals solche
kostbare Codices mit kunstreichen Einbänden aufzuweisen, die leider bei der all-
gemeinen Verwüstung und Beraubung in Folge der französischen Staatsumwälzung
spurlos verschwunden sind. Nur in der Pfarrkirche Maria Lyskirchen zu Köln
hat sich bis zur Stunde ein älteres Evangelistarium erhalten, das sowohl in seiner
14 8TAEDTI8CHE8 HUSEUM.
Innern als äussern Austattong mit den Yorzttglichsten ,Jibri nussafes^' vor dem
X. Jahrhundert wetteifern kann. Ausser diesem werthyollen Manuscripte, das
Mher dem ehemaligen Stifte von St Georg angehörte und das wir in der III. Lie-
ferung dieses Werkes abgebildet und ausAlhrlich beschrieben haben , befin-
det sich heute noch unter den kirchlichen Eunstschätzen im städtischen Museum
zu Köln ein nicht weniger kunstreich ausgestattetes Evangelistarium, das ohne
Zweifel bis zum Umstürze aller bestehenden Verhältnisse gegen Schluss des vorigen
Jahrhunderts, die Zierde einer altem Stifts- oder Abteikirche Kölns war.
Was zunächst die innere Ausstattung dieses Codex betrifft, so wird das
Manuscript, wie auch anden^ärts durch ein Calendariumeröffiiet; dasselbe nimmt die
ersten sechs Blätter ein und enthält unter reich verzierter Kundbogenstellung das
Yerzeichniss der Feste und die Namen der verschiedenen Heiligen des Jahres,
nach Monaten geordnet. Die vier Evangelien, die nach der Uebersetzung der „vul-
gata" jetzt folgen, werden jedesmal durch eine grosse Liitiale eingeleitet, welche
den betreffenden Evangelisten, mit dem entsprechenden symbolischen Zeichen, in
reicher Farbenausstattung sitzend darstellt, wie er eben mit Abfassung des h. Tex-
tes beschäftigt ist. Das gegenüberstehende Blatt enthält in grossen goldenen Ver-
salbuchstaben die Angabe des jedesmaligen Evangeliums mit dem Namen des
Evangelisten. Die dritte Seite füllt der grosse Anfangsbuchstabe des Evangeliums
in reicher Farbenpracht und einige Zeilen Text in goldenen Buchstaben. Die
vierte Seite endlich gibt die weitere Fortsetzung des betreffenden Evangeliums
ganz in goldenen Versalien. Erst auf der fünften Seite beginnt der Text in Minus-
kelbuehstaben, deren Stylisirung dem IX. Jahrhundert angehört. Auch die Cum-
position der vier Evangelisten mit der eigenthttmlichen Drapirung der Gewänder,
dessgleichen die charakteristischen Bandverschlingungen in den Initialien, die
in der Regel in Drachen- oder Schlangenköpfe auslaufen, erinnern deutlich an
angelsächsische Vorbilder der karolingischen Zeit, und leisten der Annahme Vor-
schub, dass der Text mit sammt Initial- und Miniaturverzierungen spätestens dem
Schlüsse des IX. Jahrhunderts angehören dürfte. Ein so hohes Alter kann je-
doch der reichverzierte Frontaleinband nicht beanspruchen und rührt derselbe
offenbar, wie da die Inschriften, die vielen eingeschmelzten Bilder sowie auch die
getriebene Figur besagen, aus der letzten Hälfte des XII. Jahrhunderts her.
Versucheu wir es im Folgenden in kurzen Umrissen diese „vestü libri" zu
beschreiben.
Der äussere Deckel ist von einem breiten, hervortretenden Rande abge-
schlossen, der auf seinen vier Ecken kleine quadratische Belegplatten in vergol-
detem Rothkupfer zeigt. Diese Platten belebte die Kunst des Schmelzers mit alle-
gorischen Engelsgestalten in vielfarbigem Email, merkwürdigerweise eine Darstel-
lung der vier Weltgegenden, wie das aus den mit Inschrift gemusterten Spruch-
bändern in den Händen dieser Engel zu ersehen ist. Oben rechts erblickt man
die Halbfigur des Engels mit der schedula: ^^orims^^ Gegenüberstehend links, eben-
falls in vielfarbigem Schmelz, eine zweite Engelsfigur mit dem Spruchhande ,yaujfter*\
An derselben Seite ersieht man in dem untern Rande die allegorische Figur des
STAEDTISCHES MUSEUM. 15
Occidents und gegenüberstehend den Repräsentanten des ,yAqmlo" Offenbar
nehmen diese vier symbolischen Figuren als Repräsentanten des Erdkreises mit
seinen Himmelsgegenden Bezug auf die Verkündigung des Evangeliums an die
Bewohner des Erdkreises, fussend auf die bekannten Worte des Psalmes, welche
die Kirche auf die Apostel anwendet: „m omnem terram exivit sonns eorum, ei in
fines orbis terrae verba eorum,** In der That folgen nun in der äussern Umran-
dung, deren Vierecke die ebengedachten vier Repräsentanten der Himmelsgegenden
einnehmen, die Bilder der Apostel. Der Figur des „oriens** zunächst erblickt
man ein kleineres Quadrat, in dessen vertieft eingelassenem Rande folgender leo-
ninische Vers in spätromanischen Versalien eingravirt ist: „f Ad petram christum
Petre mundum din'gü istum." Danach folgt als zweites Quadrat eine emaillirte
Platte mit einem vielfarbigen Laubomamente, das kreuzft^rmig gestaltet ist. Diese
Platte ist ebenfalls mit incrustirtem, mattem Schmelze belegt. Das dritte Quadrat
zeigt in der vertieften Umrandung ebenfalls in spätromanischen Versalien folgenden
Spruch: „/* Quot cives Paule cell dux inseris aule.** Als Eckplättchen erblickt
man dem Halbbilde des „oriens** gegenüber, wie schon bemerkt, das Halbbild
eines Engels allegorisch den „auster" darstellend. So wechseln die Inschriften,
jedesmal mit eingeschmelzten, quadratisch länglichen Emailplättchen in jenen in-
crustirten matten Schmelzen, die die französischen Archäologen ^yimaux ckampleves**
nennen. Mit Berücksichtigung der zwei vorausgesendeten Inschriften, lauten
die nachfolgenden Inschriften unmittelbar unter dem Bilde des „auster'* wie
folgt:
Nr. 3, „/• XPS palpatur a Tkoma, nee dubitatur.**
Nr. 4. „f Vinceris in menge, leOy dum Jacobus cadit ense."
Nr. 6. „/• Lampadis os quippe Te nominat Philippe.**
Nr. 6. „/• Cor Tkaddae colis cum came vincere nolis.**
Nr. 7. 99 f Emula vita Dei bene fit Simonis Caananei.**
Nr. 8. 9*f 0 pugil Andrea superata vincis Egea.**
Nr. 9. 9>f Est Deus ipse pater Tibi XPI Jacobe Jrater.
Nr. 10. 9,f Spem tibi demta cutis dat Bartholomee salutis.
Wie waren ehemals diese quadratischen Flächen, die heute leer und sämmt-
lieh mit rothem Sammt ausgeftillt sind, verziert? Offenbar ist dieser genueser
Rothsammt erst in den letzten Jahrhunderten hinzugeftlgt worden, als der in Rede
stehende prachtvolle Codex in seiner Ganzheit einen Einband von rothem Sammt
erhielt Wir sind der Ansicht, dass früher in diesen quadratischen Flächen ent-
weder die emaillirten Halbbilder der in den Inschriften benannten Apostel eingelas-
sen waren, oder aber, dass auf dem Tieffond dieser zehn Quadrate auf vergolde-
tem Pergament diese Apostel in Miniaturbildchen sich befanden, vielleicht jedes-
mal von einem durchsichtigen Homplättcheu überdeckt*)
*\ Wir erinnern uns mehrere Frontaleinbttnde aus der romanischen Kunstepoche gesehen tu
haben, die statt figürlicher Darstellung in incrustirtem Schmelz figurale und Bild- Werke auf Pergament
zeigten, die mit einer durchsichtigen Hornhaut zum Schutze überzogen waren.
16 gTAEDTISCHES MUSEUM.
Die eben beschriebene Umrandung mit ihren eingeschmelzten figOrliefaen
und omamentalen Emails und mit den eingravirten Inschriften schliesst hervor*
stehend eine innere quadratische Fläche ab, die auf ihrem Grunde einen lang
gezogenen Vierpass, durch Filigranränder gebildet, erkennen lässt In di<«em ver-
längerten Vierpass erblickt man in getriebener halberhabener Arbeit das sitzende
Bild des Weltheilandes. Die Rechte segnet in lateinischer Weise» die Linke hält
das geschlossene Buch des Lebens. Die Züge dieser y^majestas dombu*^ veran-
schaulichen nicht, wie die analogen griechischen Darstellungen derselben Zeit, eine
jugendliche bartlose Gestalt, sondern der Goldschmied hat das Haupt des Welten*
erlösers und Richters im Mannesalter aufgefasst, mit kurzem Barte und emstfeaer-
lichen Zügen. Die vier Zwickel des gedachten Vierpasses innerhalb der quadra-
tischen Vertiefungen sind durch die vier symbolischen Zeichen der Evangelisten
in blauem incrustirtem Schmelze ausgefüllt Diese Symbole, deren Vorbilder Eze-
chiel schaute, halten in Spruchbändern die Anfangsworte der vier Evangelien,
nämlich oben links von dem Beschauer die ^Jncies hommis'^ mit der schedula: ,,Liber
generationis". Gegenüber rechts die y Jodes aquilae*' mit dem Spruehbande: „In
prindpio erat verbum." Unten rechts die ,Jacies vituU*^ mit den Worten: nFvii
in diebus HerodU*' und endlich gegenüberstehend links die facies ieanis mit dem
Texte: yfVoa: clamantis in deserto'^ lieber diesen Bildern liest man in dem abge-
schrägten Rande in romanischen Versalien den Namen des betreffenden Evange-
listen, nämlich St Matthäus, St. Johannes, St. Lucas, St. Marcus in Abkürzungen.
Täuschen uns die incrustirten Schmelze und ihre charakteristische Farb-
stimmung nicht, so möchten wir geneigt sein hier die Hypothese au&ustellen, dass
vorliegender reicher Frontaleinband mit seinen interessanten Schmelzwerken ohne
Zweifel in jenen Tagen und fast von derselben Meisterhand Entstehung gefunden
habe, die die beiden vorher beschriebenen Schreine des h. Maurinus und des
h. Albinus, desgleichen auch das unter Fig. 109. Taf. XXXIX abgebildete Email-
kreuz des frater Albertus für die reiche Benedictiner-Abtei von St Pantaleon in
Köln angefertigt hat
126.
Reliquienbehälter
in Form einer kleinen arcula mit der Kreuzigung des Heilandes.
Höhe 16 Centimeter; Länge 15 Centimeter; Tiefe V/i Centimeter. XII. Jahrhundert.
Wie wir an früherer Stelle zu bemerken Gelegenheit nahmen, hatte die
Goldschmiedekunst bereits im XL und XII. Jahrhundert die verschiedenartigsten
Formen für Reliquienbehälter aufgestellt. Die Form jedoch» welche wir aaf
Taf. XLVIII Fig. 126 in verkleinertem Maassstabe wiedergegeben haben, dürfte
STAEDTISCHES MUSEUM. 17
heute nur noch seltener anzutreffen sein. Nur der Schatz der St Wilibrordus
Kirche zu Emmerich hat unseres Wissens noch ein ähnliches Reliquiar aufzuwei-
sen. Das hier abgebildete ist in seiner äussern Form eine Nachahmung jener
kleinem areulae in formam domus redactae, die man, von einem Satteldache ttber-
ragt, häufiger in den kirchlichen Eunstschätzen des Abendlandes antrifft Aus-
nahmsweise zeigt jedoch unser Reliquienbehälter ob der obem schräg ansteigen-
Aea Bedachung einen starken Rundstab, der mit vei^ldetem Blech überzogen ist
Der grösste Formreichthum entfaltet sich bei dem vorliegenden Gefäss auf der
vorderen Fläche, die auf unserer Abbildung veranschaulicht mrd. Man erblickt
nämlich daselbst als Flachgebilde in getriebener halberhabener Arbeit die Darstel-
lung Christi am Kreuz, umgeben von der Passionsgruppe Maria und Johannes.
Leider ist in früherer Zeit das getriebene Bildwerk der mater dolorosa zur Rech-
ten des Kreuzes verloren gegangen, während sich glücklicher Weise die Figur
des Gekreuzigten und das Bild des Lieblings-Jüngers Johannes erhalten hat
Diese beiden Bildwerke bekunden nicht nur die grosse Geschicklichkeit und
Sicherheit, die der betreffende Meister in dem opus elevatum^ propulsaium erworben
hatte, sondern sie verrathen auch in ihren Compositionen, in der bewegten aus-
drucksvollen Haltung, dass sie von kundiger Hand gegen Scbluss des XH. Jahr-
hunderts getrieben worden sind, als die Goldschmiedekunst in den Mauern Kölns
in ästhetischer wie in technischer Beziehung einen Höhepunkt erreicht hatte, der
heute von den meisten Meistern des betreffenden Kunstgewerkes noch immer ver-
geblich angestrebt wird. Die Figur des Gekreuzigten ist in typischer Weise nach
Art der byzantinisirenden Ghristusbilder stehend auf dem suppedaneum mit grad-
linig ausgestreckten Armen dargestellt Sowohl die Bewegung in den Körper-
theilen, als auch die Drapirung des perixomum des Gekreuzigten, dessgleichen
auch der Faltenwurf an der Toga des h. Johannes ist in sämmtlichen Linien in
feiner Stylisirung so geordnet, wie man sie in einem ähnlichen Stylgepräge an
jenen kleinem Reliquiarien in Email aus dem Schlüsse des XH. Jahrhunderts vor-
findet, die sowohl von kölnischen als auch von limousinischen Schmelzwirkem damals
in grosser Zahl angefertigt wurden. Neben der seltenen Form, die das vorliegende Re-
liquiar zeigt, verdienen von Seiten der Kunstforschung auch die verzierten Goldorna-
mente auf einem bräunlichen, von französischen Archäologen in neuester Zeit email
brun genannten Grundton Beachtung. Mit einem deutschen Ausdrucke würden wir die
in Rede stehende Verzierungsweise als Schmelz-Fimiss bezeichnen, der vom Schmel-
zer auf folgende Weise erzielt worden ist Es wurde vorerst das dünne Kupfer-
blech vergoldet und alsdann mit einem bräunlichen eigens fabricirten Glanzfimiss
die ganze Fläche so bemalt, dass man nur jene Stellen aussparte, die als Ornament
in Gold wirken sollten. Dieser aufgemalte braune Lack-Fimiss wurde dann ins Feuer
gebracht und durch Hitze fixirt, so dass er eine glasuiartige Durchsichtigkeit ge-
wann. Dieser braune Fimiss-Schmelz ist charakteristisch für eine gewisse Epoche
der kölnischen Goldschmiede und Schmelzkunst und kommt erst in der zweiten
Hälfte des XH. Jahrhunderts bis gegen die Mitte des XHI. Jahrhunderts an ver-
schiedenen kirchlichen Gerätlien, vorzugsweise der Kölner Schule angehörend, vor.
3
18 . OTAKDTISCHBS MUSBDM.
Die groBsartigBten LaobTenienuigen auf emem auflgospaiten vergoldeten firtuide
in fast durchflichtigeni gla^oraitigem imaä brun jBiiidet man auf der earana Iv-
minaria im Octogon des MOnstera von Aaehen» bekamtfieh einem Gesehenk dea
Kaisers Friedrich Barbarossa. Aach die Deckplatte auf der untern Seite des be-
rühmten aäare portatile^ angefertigt .vpn. einem Kölner Schmelzwii^er mit der inter-
essanten Inschrift: „Eilberius eolamentü me focit/^ das heute mit vielen andern
mittelalterlichen Kleinodien und Reliquiarien im kOnigl. Schlosse zu Hannover ab
kostbare Hinterlassenschaft der Utem weifischen Fürsten aufbewahrt wird, z«gt
ein kreisförmiges Grolddesain auf einem Fond, der mit dem ebengedachten braunen
Schmelzfimiss ttberzogen ist
Zu unserem in Rede stehenden Reliquiar zurttckkehrend, bemerken wir,
dass die ganze Vorderfläche desselben mit Musterungen von romanisirendem
Pflanzen werke überzogen ist» das in starker Feuervergoldung auf dem einge-
schmelzten bräunlichen Grunde effectvoll hervortritt Auch die hintere Seite und
die beiden Seitentheile der vorliegenden capsa sind mit dünnen Blechen von
Bothkupfer glatt überzogen und machen sich auf dem mit bräunlichmi Emaü-Fir-
niss überzogenen Hetallbleche in Vergoldung hervortretend einzelne schwungvolle
Pflanzenomamente geltend, die sich Ober diese Fläche gleichmässig verSsten und
ausdehnen. Wir glauben nicht, dass das vorliegende interessante GeräUi früher
als Reliquiengefftss gedient habe. In diesem Fälle müssten ehemals unter den
grossen Krystallpasten zu beiden Seiten des Gekreuzigten kleinere Reliquien von
Heiligen aufbewahrt worden sein, was bei näherer Untersuchung sich als nicht
wahrscheinlich ergab. Eine andere Hypothese liesse sich jedoch mit mehr Wahr-
scheinlichkeitsgründen aufstellen , dass nändich das in Rede stehende liturgische
Geräth als pacißcale bei der Feier des h. Opfers in Gebrauch war, um nach dem
agnujf dei dem versammelten Stifls-Klerus den pax vermittelst dieses GefÜsses
darreichen zu können. Als Handhabe wäre dann der darauf befindliche Rundstab
mit der darunter liegenden Verjüngung zu betrachten. Auch der Gegenstand
selbst, die Kreuzigung, stimmt zu den Darstellungen» die wir auf romanischen
oscida pacü aus derselben Zeitepoche anderwärts angetroffen haben.
Pyxis
in Silber mit vergoldeten Omameuten zur Aufbewahrung des ge*
weihten Chrisma.
Höhe 9 Centimeter; grOsiter Durchmesser 7 Centimeter 3 Millimeter. XV. Jahrhandert.
In den kirchlichen Schateverzeiehnissen des Mittelalters findet man in langer
Keihe eine Anzahl von j,pya:tdes*' namhaft gemacht, welche Afar verschiedene litur-
8TAEDTISCHES IIUSEUM. 19
gische Zwecke in Gebrauch genommen wurden. Die am meisten vorkommenden
Büchsen dieser Art waren vielfach entweder aus Elfenbein mit Relief-Verzierungen,
oder aus vereidetem Silber und sogar von Holz mit h. Figuren bemalt, die
meistens zur Aufbewahrung von Reliquien dienten. Die erstgenannten „capsae'*
in Elfenbein dienten häufig zur Aufbewahrung von Reliquien.*) Die zweite Art
solcher „pywideä'^ meistens in vergoldetem Silber oder in vergoldetem Kupfer mit
reichen eingelassenen Schmelzen, wurden ehemals dazu benutzt, um in diesen cti-
stadia das vißiieum zu den Sterbenden zu tragen. Als seit dem XIV. Jahrhundert
die Monstranz für die öffentliche Zeigung der h. h. Eucharistie in Aufnahme
kam, fertigte man auch in Silber besondere custodia an, die die Bestimmung
hatten, die consecrirte Hostie so lange geziemend aufzunehmen, bis dieselbe
vorübergehend wieder in der lunula der Monstranz exponirt wurde. Eine dritte
Art solcher Gefässe wurde seit den Tagen des Mittelalters kirchlich dazu ver-
wandt, um in denselben die geweihten Oele, nämlich das oleum catechumeno-
ruMj femer das oleum mfirmorum und endlich das sancium chrisma aufzubewah-
ren. Entweder kommen diese drei Btlchsen zur Aufbewahrung der olea sacra als
drei für sich bestehende Gefässe auf einem Ständer vor**), und zwar so öfter, oder
aber sie erscheinen für sich einzeln getrennt. Ein solches für sich allein bestehendes
vas ckrümale, das heute in dieser Gestalt und formellen Entwicklung seltener an-
zutreffen ist, besitzt der hiesige Dom und wird dasselbe noch jetzt wie im Mit-
telalter dazu benutzt, um das geweihte Oel darin aufzubewahren, das bei
der Austheilung des Sacramentes der Firmung und auch bei der Ertheilung der
verschiedenen kirchlichen ordines vom Bischöfe in Gebrauch genommen wird.
Desswegen findet sich auch dieses Gefäss zumeist in der bischöfiichen Privatka-
pelle und ist es daher gekommen, dass wir bei Beschreibung der Domschätze
dieses vasculum ckrismale übersehen haben. Dasselbe hat hinsichtlich seiner Aus-
stattung eine grosse Aehnlichkeit mit dem vasculum, das wir im Schatze der
Pfarrkirche zu Kempen vorgefunden haben. Jedoch fehlen an dem vorliegenden
Salbgefäss die Ständer von drei kleineren Löwen in liegender Stellung, die an
dem vasculum eucharisiicum zu Kempen ersichtlich sind. Der untere profilirte
Band als Ständer in vergoldetem Silber zeigt Durchbrechungen in Vierpass-Formen^
wie sie an ähnlichen Gefässen des XV. Jahrhunderts häufiger vorkommen. Der
eigentliche Behälter des GtefÜsses in einer Höhe von nur 4'/« Gentimeter ist in
Silber glatt gehalten und lässt an dem vordem Verschluss in modernen Charak-
teren die Inschrift „Chri^tna" erkennen. Der an einem Ghamier bewegliche Dek-
kel ist oben mit einem vergoldeten profiUrten Rande eingefasst, auf welchem sich
ein aufrecht stehender Kranz von ciselirtem spätgothischem Blattwerk befindet,
das als Bekrönung an ähnlichen Gefässen dieser Epoche häufig vorkommt.
Unmittelbar über dem Chamier erhebt sich als Knauf und Handhabe zum leich-
*) Wir haben auf Taf. I. der 1 . Lief, mehrere lolcher pyxiäet sar Aufbewahrung von Reliquien
abgebildet und im betreffenden Texte besohrieben.
••) Vgl. die Abbildung solcher Salbgeftsae auf Taf. XIII. und Taf. XV. der 2. Lieferung.
20 STAEOnSCHES MUSEUM.
teren Oeffnen das ciselirte Köpfchen eines Engels, das innerhalb dieser Laubbe-
krOnung stark hervortritt. Der bewegliche Deckel dieses Salbgefilsses wölbt sich
in Weise einer kleinen Halbkugel und strebt nach oben zu einer kaum merklichen
Spitze hin, auf welcher sich ein kleines Crucifix mit dem Bilde des Grekreuzigten
befindet, das ebenfalls vergoldet dem Ge/ässe zum zierlichen Abschlüsse gereicht
Sowohl dieses Crucifix auf der vorliegenden pyans^ als auch eine Unterschrift auf
dem untern Fusstheile dieses Gefässes scheinen anzudeuten, dass die in Rede
stehende Büchse, die heute zur Aufbewahrung des Chrisams benutzt wird, im
Mittelalter wahrscheinlich als custodia zur Austheilung der Communion der Kran-
ken, oder zur Aufbewahrung der consecrirten Hostie in Gebrauch genommen
worden ist. Die in gothischen Minuskelschriften mit Abkürzungen eingravirte In-
schrift auf der untern Fussplatte lautet: »»Dominus Johannes Moet canonicus pres^
byter dedit nie conventui sororum in boecum."
128.
Zweischneidiges Schwert
nebst reich verziertem Griff und Scheide.
Grössie Lange 1 Meter 5Vs Cenlioieter. XTV. Jahrhundert
Es haben sich bis jetzt in den kirchlichen Schatzkammern häufig mehr
oder weniger reich verzierte Waffen erhalten, die aus zwei Rücksichten kirch-
lich aufgehoben und in Ehren gehalten zu werden pflegten. Dieselben haben
nämlich entweder die Form von kleineren Jagdmessern mit kunstreich ver-
zierter Scheide und Handhabe, oder sie zeigen die Grösse und formelle Ausstat-
tung von Schwertern, wie sie im Mittelalter auch als Schmuck- und Ceremonien-
waffen dienten. Die erst gedachten wurden im Mittelalter häufig als Hoheits-In-
signien bei Uebertragung und Schenkung von Gtltem und Liegenschaften feierlich
auf den Hauptaltar oder sogar in die Reliquienschreine der Heiligen niedergelegt ;
auch dienten solche reichverzierte cultelli als Zeichen der Investitur. *) Die Pracht-
scfawerter jedoch, die sich gegenwärtig noch zahlreich vorfinden, werden aufbewahrt
als Waffen, oder als Gedenkzeichen an das Martyrium, das einzelne Heilige durch
das betreffende Schwert erlitten haben. Bei vielen dieser Waffen ist jedoch nur
das eigentliche Schwert, die Klinge, als Reliquie zu betrachten und ist in den
*) Cfr, Du Cange^ Glos», et eonlinuaior, ^'iu; MohomL JngUean Rer {B'iUieimut U ,\
per eultelhitn ebumeum quod in manu tenuU et abbali (de TavUloe) purrexit^ hoc donvm tmmM-
erium de ff^lurintuna) peregit apud euriam . • . Qui quidetn cultelhu jaeet in (etelro etneü
Rumonu In ct^jus manubrio inserilur talit seriptura: „Ego i^ilHeUnu* rex dedi Deo et emntime
Mariae de TravUtoe lerram ff^lemHam.^
STAEDTISCHES MUSEUM. 21
meisten Fällen die reichverzierte Scheide und die Handhabe eine omamentale Zu-
that späterer Zeit, wodurch die Klinge als Reliquie im Aeussem eine wtlrdige
Form und Aufbewahrung gewinnen sollte. Wir sind nicht in der Lage nach der
äussern Beschaffenheit der zweischneidigen Klinge beurtheilen zu können, in wie
fem dieselbe mit der Tradition übereinstimmt, dass nämlich diese Waffe von dem
h. Georg herrühre; nur das Eine kann mit Sicherheit behauptet werden, dass der
obere Griff dieses Georgschwertes und auch die reichverzierte Scheide offenbar
jungem Ursprungs sind und frühestens gegen Ausgang des XIV. Jahrhunderts
Entstehung gefunden haben dürften. Hinsichtlich des Griffes (manubrium) bemer-
ken wir, dass derselbe mit den Hoheits- und Ceremonienschwertem des XIV. Jahr-
hunderts genau übereinstimmt und mit der Klinge vollständig die Form eines
lateinischen Kreuzes bildet. Zum Schutze des mit Leder überzogenen Handgriffes,
der wie immer von einem filigrauiilen Silberdrahte umwunden ist, erblickt man
eine geradlinige Pariretange von vergoldetem Silber in der Länge von 1 7 tj-i Cen-
timeter, die glatt gehjüten ist und keinerlei Verzierungen 'zeigt. Als Abschluss
und hervorragende Zierde des manubrium befindet sich oben ein glatter, kreis-
förmiger Knauff im grössten Durchmesser von 7 Gentimeter, der auf beiden Sei-
ten als ausfüllendes Ornament eingeschmelzte Darstellungen erkennen lässt Man er-
blickt nämlich in den Vertiefungen dieses Knaufes umgeben von blauem durch-
sichtigem Email auf beiden Seiten das Symbol eines Schmetterlings mit ausge-
breiteten Flügeln. Wir gestehen ein, dass uns in der Thiersymbolik des Mittel-
alters in dieser Gestalt der Schmetterling noch nicht zu Gesicht gekommen ist,
jedoch würde es ein Leichtes sein, seine Bedeutung an dieser Stelle symbolisch
zu begründen.
Einen reicheren Schmuck als die Handhabe hat die Scheide dieses
Schwertes, aus einem gebeizten Rothleder bestehend, dadurch erhalten, dass
oben am Mundstück und am unteren Abschlüsse derselben der Goldschmied
2 Beschläge in vergoldetem Silber angebracht hat, die unter zierlichen Durch-
brechungen ehemals kleinere emaillirte Omamente ersichtlich werden Hessen.
Diese durchbrochenen Cirkelschläge, die in trefflicher technischer Ausftlhrung
mehrere Drei- und Vierpassformen erkennen lassen, können als massgebend für die
Entstehungszeit des vorliegenden Schwertes in der letzten Hälfte des XTV. Jahr-
hunderts betrachtet werden. Als Anhaltspunkt zur Feststellung der Chronologie
sind ebenfalls die, in über Eck gestellten Quadraturen, vertieft ausgestochenen
Namenchiffer des Heilandes in lateinischer Minuskelschrift zu betrachten, die für die
Goldschmiedekunst in den Tagen Kaiser KarFs IV. charakteristisch sind. In dem
zierlichgearbeiteten Mundstück der Scheide liest man den Namen Jesus nach mittel-
alterlicher Schreibweise nämlich \\l^ und als Fortsetzung auf der untern aus-
mündenden Spitze den abgekürzten Namen Christus, nämlich: XPS.
Schliesslich weisen wir darauf hin, da^s dieses Schwert auffallender Weise
an beiden Seiten des obern Mundstückes der Scheide ziemlich stark vor-
springende Oesen wahrnehmen lässt, wodurch die Annahme begriindet erscheint,
dass es ehemals vermittelst eines über Brust und Schulter gelegten Gürtels an
22 STAEOnSCHES MUSEUM.
der Seite getragen werden konnte. Ausser den drei reichen Kaiserschwertern
unter den deutschen Beichskleinodien im Schatze der Kaiserburg zu Wien, dem
prachtFollen Ceremonienschwerte im Schatze der ehemaligen Stiftskirche zu
Essen und dem altem kurfürstlichen Schwerte im Schatze des Kölner Doms,
welches wir in der I. Lieferung dieses Werkes Tafel XIL Figur 46 abgebildet
und auf Seite 48 näher beschrieben haben, erinnern wir uns nicht in einem
andern Eirchenschatze des christlichen Abendlandes eine ähnliche reichverzierte
Waffe des XIV. Jahrhunderts vorgefunden zu haben. *)
*) Einfachere Schwerter ebenfalls als Kcliqnien mit einfacher Verzierung der Scheide and
Handhabe sahen wir mehrfach; so im Schatze von St Veit das Schwert des h. Stephan, KOntgs
von Ungarn. Die Handhabe, eine merkwürdige Sculptur in Elfenbein, dttilte wie auch die zwei-
schneidige Klinge ans den Tagen des h. Stephan herrühren. Die Scheide jedoch und ihre Verzie-
rung ist offenbar gegen Ausgang des XV. Jahrhunderts neu hinzugefügt worden.
.*•»