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Full text of "Das leben Abraham Lincolns, des sechzehnten präsidenten der Vereinigten Staaten. Enthaltend seine frühere geschichte und politische laufbahn, sowie seine reden botschaften, proklamationen und andere mit seiner ereignissreichen administration in verbindung stehende offizielle dokumente"

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UNIVERSITY OF ILLINOIS 
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„Wenn aber das Land nicht gerettet werden Tann, ohne diefes Prinzip der Freiheit aufzugeben, 
dann — möchte ich faft fagen — wollte ich lieber auf der Stelle hier ermordet werden, als es 
opfern.“ (Ans Herrn Lincolnd Rede in der Independence-Hall, Philadelphia, 

22. Februar 1861.) 


„Ih glaube nicht, daß diefe Negierung auf die Dauer Halb frei und halb mit Sklaverei 
beſtehen kann.“ (Springfield, Illinois, Juni 1858.) 


„Es ift mein fehnlichfter Wunſch, daß diefe Unton fammt der Eonftitntion und ber Freiheit 
bes Volkes in Mebereinftimmung mit der urfprünglichen Idee, die zur Revolution Veranlaſſung 
gab, fortbeftehen möge.“ Z,  (Zrenton, New Jerſey, Februar 21, 1861.) 


„Nachdem wir ung nun ohne Arglift und mit reinen Motiven unfern Weg vorgezeichnet haben, 
fo laffet uns unfer Vertrauen auf Gott erneuern und männlichen Herzens und ohne Furcht vor- 
wärts ſchreiten.“ (Botjchaft vom 5. Juli 1861.) 


„Indem wir den Sklaven bie Freiheit geben, fichern wir den Freien ihre Freiheit, und handeln 
fomit ehrensol im Geben und Erhalten.” (Botihaft vom 1. Dezember 1862.) 


„Ich hoffe, der Friede wird bald fommen, und zwar um zu bleiben. Und möge er fo fommen, 
daß er für alle Zukunft des Erhaltens werth iſt.“ (Springfield Brief, 26. Auguft 1863.) 


„Die Welt wird fi wenig um das fümmern, was wir hier fagen, und wird es bald wergeffen ; 
nie aber fann fie vergeffen, was bie tapfern Männer — die Lebenden wie die Todten — bier gethan 
haben.“ (Rede zu Gettyshurg, November 19, 1863.) 


„Ich werde feinen Berfuch machen, die Emancipations-Proffamation zurüdzunehmen ober zu 
modificiren; noch werde ich irgend eine Perfon, die durch jene Proflamation oder irgend eine 
Congreßakte frei geworben ift, wieder in die Sklaverei zurückliefern.“ 

(Amneftie-Proffamation vom 8. Dezember 1863.) 


„Ich rühme mich nicht, die Ereigniffe beherrfcht zu haben, geftehe vielmehr offen, daß die Ereig- 
niſſe mid) beherrſchten.“ (Brief au A. G. Hodges, April 4, 1864.) 


„Mit Haß gegen Niemand, mit Liebe für Alle, mit Standhaftigkeit in dem Rechten, wie Gott 
und das Rechte zu erfennen giebt, laſſet uns ftreben, das begonnene Werk zu Ende zu bringen. 
(Letzte Inaugurations⸗Adreſſe, 4. März 1865. 








Das 


‚Seben Abraham Eincolns, 


des 


ſechzehnten Präſidenten der Vereinigten Staaten. 


Enthaltend 


ſeine frühere Geſchichte und politiſche Laufbahn, ſowie ſeine Reden 
Botſchaften, Proklamationen und andere mit feiner ereigniß- 
reichen Adminiftration in Verbindung ftehende 
offizielle Dokumente, 


Don 


Ftank Crosby, 


Rechtsanwalt zu Philadelphia 


Nach dem Englifhen bearbeitet 


von 


Prof. Carl Theodor Eben. 





„Sei all' dein Streben deinem Land gewidmet, 
Gott und ber Wahrheit; wenn du alsdann fünf, 
Fällſt du als heil’ger Märtyrer. i 





Philadelphia: 


Derlag von Iohn €, Potter, 
No. 617 Sanfomftraße, 


1865, 





Entered according to the Act of Congress, in the year 1865, by 


JOHN E. POTTER, 
In the Clerk’s Office of the District Court of the United States, in and for the Eastern 
District of Pennsylvania. 





PHILADELPHIA: 
STEREOTYPED BY 8. A. GEORGE, 
2. K. COLLINS, PRINTER. 


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SIMMONG 





Gewidmet den 
Buten und GBetreuen 


der Wation, 


die gereinigt, geläutert und veredelt aus der Blut- und 
Feuertaufe hervorging. 


102291 > 





LIBRARY 
. OF THE 
UNIVERSITY OF ILLINOIS 





"WITH MALICE TOWARDS NONE, WITH CHARITY FOR ALL,WITH FIRMNESS IN THE RIGHT, AS GOD GIVES 


5 SEE THE RIGHT, LET US S" ı ON "INIS "HE WORK WE ARE IN." 
USTO SEE THE RIGHT, LET U8 S'TRIVE ON TO FINISH THE WOR EAREIN ALINCOLN. 


Vorrede des Verfaſſers. 





Der Zweck der nachfolgenden Blätter iſt, ein getreues Bild von Abraham 
Lincoln und ſeinen Beziehungen zum Lande während ſeiner ereignißreichen 
Adminiſtration zu entwerfen. 

Dieſen Plan vor Augen haltend, wurde es für unnöthig erachtet, das Werk 
mit umſtändlichen Details aus ſeinem früheren Leben zu füllen. Aus jener 
Periode wurde daher nur ſo viel mitgetheilt, als zu einem zuſammenhängenden 
Ganzen unerläßlich war. Seine Laufbahn im Congreß, ſowie ſeine berühmte 
Campagne mit Senator Douglas ſind in allgemeinen Umriſſen mitgetheilt 
worden, doch — wie wir hoffen — mit genügender Ausführlichkeit, um dem 
Leſer ein klares Bild jener Umſtände ſeines Lebens vor Augen zu ſtellen. 

Eine ganz andere Behandlungsweiſe wurde indeſſen der ſeiner Erwählung 
zum Präſidenten folgenden Periode zu Theil. Von da an bis zum Schluſſe 
ſeines Lebens durfte Nichts unerwähnt bleiben, was dazu beitragen konnte, 
ihn in feiner wahren Geſtalt darzuſtellen — als den conſequenten Staats- 
mann, entſchloſſen, frei von Prahlerei und Anmaßung, ohne Gehäſſigkeit, ohne 
Schadenfreude, vorſichtig in ſeinen Prophezeiungen, ohne Drohungen, ſich 
keinen utopiſchen Träumereien hingebend, ſondern ruhig, gefaßt, gewiſſenhaft, 
aber mit Feſtigkeit dem Ziele entgegenſchreitend, das er klar und unverrückt 
vor Augen hatte. 

Doch ſelbſt von dem ausführlicheren Berichte über ſeine Adminiſtration 
darf nicht allzu viel erwartet werden. So wäre es zum Beiſpiel unmöglich, 
in einem derartigen Werke die Ereigniſſe der großen Rebellion gründlich zu 
analyſiren. Dies lag außer dem Bereiche unſerer Arbeit, Nur die Haupt- 
züge follten gezeichnet werden, und felbft viefe nur, um ven Mann, mit dem 
fich diefe Blätter befchäftigen, deutlich in ven Vordergrund zu ftellen. 

Berfchiedene Reden, Proflamationen und Briefe, die, ohne son wefentlicher 
Michtigfeit für die Einheit des Hauptwerfes zu fein, dennoch werthvolle Auf- 
fohlüffe über ven Mann geben, find in dem Anhange zufammengeftellt worden. 

Ein derartiges Werk muß natürlicherweife dag Gepräge der Unsollfommen- 
heit tragen; doch ift daffelbe von einem tröftenden Gedanfen begleitet: ber 
Gegenftand bedarf Feiner Ausſchmückung. Die Thaten des Mannes jprechen 
für fich felbft. Es genügte daher, eine folche Anordnung zu befolgen, daß die 
allmälige Entwicelung jeder feiner Handlungen, fowie deren Wechfelwirfungen 
Nar zu Tage träten, 

Jene Worte des tiefbetrauerten Todten, die einen fo tiefen Wiederhall in 
Aller Herzen fanden, bevürfen feiner Erflärung, Sie haben tiefe Wurzeln 
unter ung gefchlagen und werden unvergeffen N fo lange die Vernunft 
bei ung aushartt, 

(7) 


8 Vorrede. 

Abraham Lincoln hat dag Intereffe des Volfes nicht bloß für den Augen- 
blick gefeffelt. Die Bluttaufe, aus der die Nation eben erjt hervorging, wird 
fünftigen Nationen noch eingedenf bleiben, Sein Bild wird ung ewig un- 
vergeßlich fein — jenes ftille, ruhige und doch ſtets heitere Antlig, mit dem 
geduldigen, hoffnungsvollen Ausdruck — der fichere, elaftifche Schritt — die 
Hlare, fcharf ausgeprägte Sprache Deffen, der uns mit Hilfe der göttlichen 
Borfehung durch die Dunkeln Tage der Prüfung und Anfechtung hindurch— 
führen follte zu der Ruhe und den Segnungen des Friedens, deſſen Dämme— 
rung, ach! ihm nur zu fehen vergönnt war, 

Wohl wiſſen wir, daß diefes Werk weit hinter dem angeftrebten Ziele zu- 
rüdbleibt und befcheiden ung daher gerne, wenn e8 des erhabenen Gegenftandes 
nicht ganz unmwürdig befunden wird. Als eine reine Liebesarbeit bieten wir 
e3 fomit Allen, die mit dem Patrioten und Helden in den Stunden der Ge- 
fahr ohne Furcht und Wanken an den großen Werke arbeiteten, 





Vorrede Des Ueberſetzers. 





Ki Vergnügen unterzog ich mich auf den Wunſch des Herrn Verlegers der 
Arbeit, meinen Landsleuten das vorliegende Werk in deutfcher Ueberſetzung 
zu bieten, Die Erinnerung an Abraham Lincoln, ven Retter und Märtyrer 
des Landes, ift dem Ioyalen Deutjchen nicht minder heilig ala dem Amerikaner, 
und Viele, die der englifchen Sprache unfundig find, werden fich daher mit 
Freuden diefer meiner Arbeit bedienen, die ihnen die Gefchichte des Lebens 
und Wirkens des großen Todten zugänglich macht. 

Nicht der geringfte Vorzug dieſes Werkes ift die Gedrängtheit und Kürze, 
wemit der Berfaffer alle die wichtigen Ereigniffe ver leßten vier Jahre, die mit 
Herrn Lincolns Adminiftration in Verbindung ftanden, in einem verhältniß- 
mäßig Fleinen Raum angeführt hat. Dadurch allein war es möglich, die 
relativ größte VBollftändigfeit zu erzielen. Schade nur, daß der Berfaffer in 
feinem Streben nad) Kürze nicht noch einen Schritt weiter ging und die vielen 
unerheblichen und unerbaulichen Buß- und Bettags-Proflamationen wegließ; 
dies ift indeffen einmal amerifanifcher Geſchmack, und ich durfte nichts daran 
ändern, 

Möge denn diefes Werf an recht vielen deutfchen Herden gelefen werben, 
und möge befonders die arbeitende Klaffe, die an Abraham Lincoln ihren 
größten Repräfentanten und Vertheidiger verlor, fich gründlich mit feinem 
Leben und Wirken befannt machen und fein Streben für ihr Wohl in ewig 
danfbarem Andenken bewahren. 

Philadelphia, im Auguft 1865, 


Inhalts-Verzeichniß. 





Erſtes Kapitel. 
Kindheit und Eintritt in das Mannesalter. 


Einleitende Bemerfungen— Geburt Abraham Lincolns—Er verläßt Ken- 
tudy— Wird Arbeiter— Selbfterziehung— Perfönliche Charafteriftif— 
Eine zweite en ehe bitecher nach New Drleans— Mird 
ein Eommis— Der Blad Hawf Krieg—Befaßt ſich mit Politi— Seine 
mehrmalige Erwählung in die Legislatur — Antifflaverei - Proteft— 
Praktizirt ald Advokat —Charakterzüge — Seine Verheirathung — Kehrt 
zur Politif acrnaaaannee 


Zweites Kapitel. 
Im Congreß und auf dem Stump. 


Der mexikaniſche Krieg Innere Verbeſſerungen —Sklaverei im Diſtrikt 
Columbia — Deffentliche Ländereien — Zieht ſich ins Privatleben zu- 
rüd — Kanfag-Nebrasfa-Bill— Zieht fih zu Guniten des Senators 
Trumbull zurück — Bildung der republifanifchen Parti— Wird zum 
Ber. St. Senator nominirt— Eröffnungsrede des Herr Lincoln— Die 
Douglas-Campagne — Der Wahlfampf — Ein Tribut für die Unab- 
hängigfeits-Erflärung —Refultat des Wahlkampfes.................... i 


Drittes Kapitel. 
Bor der Nation. 


Reden in Ohio— Auszug aus der Cincinnati Rede—Befucht den Often— 
ri Rede im Eooper-Inftitut in New Vork — Intereffante 
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Viertes Kapitel. 
Wird zum Präſidenten nominirt und erwählt. 


Die republikantſche National-Convention — Die demokratiſche Conven— 
tion— Eonftitutional-Union-Eonvention— Das Ballotiren zu Chicago 
— Refultat — Enthufiaftifche Aufnahme — Ein Beſuch nach Spring- 
field — Adreſſe und Annahmebrief— Der Wahlfampf — Reſultat der 
Wahl — Sud-Eorolina’s Bewegungen — Buchanans Wanfelmüthig- 
feit— Seceflfion mehrerer Staaten — Conftitution der Conföderation — 
Friedens-Eonvention — Amendments zur Eonftitution— Bedingungen 
J.......... 


15 


22 


37 


10 Inhelts-Verzeichniß. 


Fünftes Kapitel. 
Reiſe nah Wafhington. 


Abreife — Abfchiensbemerfungen — Rede zu Toleds— Zu Indianapolis— 
— Teer Eolumbus— Zu Steubenville— Zu Pittsburg— 





Zu Cleveland — Zu Buffalo — Zu Albany — Zu Poughfeepfie — Zu 

ew Jort— Zu Irenton— Zu Philadelphia— In der Unabhäangigfeitg- 
halle — Hilft die Flagge aufziehen — Rede zu Harrisburg — Geheime 
Abreife nach Wafhington — Beurtheilungen.............................. 71 


Sechſtes Kapitel. 
Die nee Adminiſtration. 


Reden zu Wafhington — Die Inaugural-Aodreffe— Deren Wirfungen— 
Das Kabine — Commiſſäre von Montgomery — Auszüge aus A. 9. 
Stephen’s Rede — Virginia Commiffäre— Fall son Fort Sumter... 94 


Siebentes Kapitel. 
Rüſtungen zum Kriege. 


Mirfungen des Falles von Fort Sumter — Aufruf des Präfidenten um 
Truppen — Thätigfeit in den Ioyalen Staaten — In den Grenzitaaten 
— Aufruhr zu Baltimore — Maryland’s Stellung— Brief des Präji- 
denten an die Maryland Autoritäten — Blodade-Proflamation —Wei— 
tere Proflamation—Beurtheilungen im Auslande— Zweites Aufgebot 
von Truppen — Spezielle Drdre für Florida — Militäriiche Bewegungen 113 


Achtes Kapitel. 
Die erite Sitzung des Cougreſſes. 


Eröffnung des Congreffes — Erfte Botfchaft des Prafidenten — Deren 
Natur — Verhandlungen des Eongrefies— Beſchlüſſe über den Zwed 
bes Krieges — Die Schlacht von Bull Run — Deren Wirfung...... 122 


Neuntes Kapitel. 
Ende des Jahres 1861. 


Breude der Rebellen— Davis prahlt — MeElellan wird zum Befehlehabe 
der Potomac-Armee ernannt— Proflamation eines National-Fafttages 
— Der Berfehr mit den Rebellen wird verboten— Flüchtige Sklaven — 
General Butler’s Anfichten — Sefretär Cameron’s Brief an General 
Me&lellan—Afte vom 6. Auguft 1861— General Fremont's Ordre— 
Mopififation derfelben durch den Präſidenten — Inftruftionen an Ge- 
neral Sherman— Ball’s Bluf— General Scott zieht fich zurüd— Die 
SUCHDINRCHEKTRRER ie sun vanes leeren 143 


Zehntes Kapitel. 
Der Cougreß von 1861—62. 

Die militärifche Situation— Gefangennahme von Mafon und Slidell — 
Oppofition gegen die Adminiftration — Botfchaft des Präfidenten— 
Sinanzielle Congreßmaßregeln Committee über die Kriegsführung — 

BIN. : en 66 153 


Inhalts-Verzeichniß. 





Elftes Kapitel. 
Die Stlavereifrage, 


Situation des Präafidenten— Seine Politif— Allmälige Emancipation — 
Botſchaft — Abfchaffung des Sklaverei im Diftrift Columbia — Gene- 
tal Hımters Emancipationg-Drdre wird für ungiltig erflärt — Confe— 
renz mit Congreßmännern aus den Grenz-Sklavenſtaaten — Adreſſe 

an dieſelben — Militärische Ordre — Proflamation in Betreff der Con- 
ſeriptions· Aleee. nennen 1 


Zwölftes Kapitel, 
Der Krieg auf der Halbinfel. 


Kriegssrdre des Prafidenten— Gründe für diefelbe— Refultate im Welten 
und Südweſten — Die Potomae-Armee — Weitere Ordres des Prafi- 
denten — Brief an MeClellan — Ordre für Armee-Corps — Der Aus- 
gang bes Feldzuges — Unglüdliche Vorfälle — Rede des Präfidenten in 
der UnionsyerJammlung— Beurtheilungen— Operationen in Virginien 
und Maryland — Im Welten und Südweſten............................ 1 


Dreizchntes Kapitel. 
Treiheit für die Millionen, 


Reitartifel der „N. I. Iribune‘‘— Brief an Herrn Greey— Anfündigung 
der Emancipations-Proflamation — Sufpenfion der Habens-Eorpns- 
Akte für gewiſſe Falle — Ordre hinfichtlich der Feier des Sonntags — 





Die Emancipations⸗Proklamation........................ 197 


Vierzehntes Kapitel. 
Die letzte Sitzung des ſiebenunddreißigſten Congrefles. 


Situation des Landes — Oppofition gegen die Adminiftration— Botfchaft * 


des Prätſdhäeee 


Fünfzehntes Kapitel. 
Das Blatt wendet ſich. 


Militäriſche Erfolge — Günſtige Wahlreſultate — Emaneipationspolitif— 
Brief an die Arbeiter zu Mancheſter, England — Proklamation eines 
National-Fafttages — Brief an Eraſtus Corning — Brief an eine 
Committee bezüglich der Zurüdberufung Vallandighams................ 


Sechzehntes Kapitel. 


Briefe nnd Reden. 


Rede zu Wafhingten— Brief an General Grant— Proflamation für ein 
Danffelt — Brief in Bezug auf die Emaneipations-Proflamation — 


Proflamation für ein jährliches Dankfeſt — Dedicationsrede zu Get- * 


Henfeeee 


12 Inhalts⸗Verzeichniß. 





Siebenzehntes Kapitel. 
Der achtunddreißigſte Congreß. 


Organiſation des Haufes — Verſchiedene Anſichten in Betreff der Recon— 
uktion —Maßregeln für Begnadigung der Rebellen— Amneſtie⸗Pro⸗ 
klamation — Jahresbotſchaft — Weitere Proklamation.................... 264 


Achtzehntes Kapitel. 
Fortſchritt. 

Rede des Präſidenten zu Waſhington — Anrede an eine New Yorker 
Committee — Rede in Baltimore — Brief an einen Kentudyer — Ber- 
wendung farbiger Truppen — Jeff. Davis! Drohung — General-Drdre 
Dibre De6 PERUDeniEil screen meanssns ass sn ehe cannnn 287 


Neunzehntes Kapitel. 
Abermalige Nomination. 


General-Rientenant Grant — Seine militärifche Laufbahn — Bortgefebte 
Bewegungen — Correjpondenz mit dem Präfidenten — Uebergang über 
den Rapidan — Belagerung von Richmond — Brief des Präfidenten 
an eine Grant-Berfammlung — Die Republifanifche National-Con- 
vention — Deren Plattform — Die Nomination — Herrn Lincolng 
Antwort an die Notififationg-Committee — Anrede an eine Committee 
ber Union-Ligue — Rede bei einer Serenade — Anrede an Ohio— 
2%. 1: VERTRRRRRFRR SPERREN. 2.1 —— 238 


Zwanzigſtes Kapitel. 
Reconſtruktion. 

Rede des Präſidenten zu Philadelphia— Die Philadelphia Ausſtellung — 
Eorrefpondenz mit der Committee der National-Convention — Profla- 
mation des Kriegsgefebes in Kentudy — Die Frage über Reconftruf- 
tion — Proffamation des Präfiventen über diefen Gegenftand — Plan 
bes Congreſſe REDE ehe aaaaarncre ers ende 312 


Einundzwanzigſtes Kapitel. 
Präfidentichafts-Campagne von 1864. 
Proklamation eines Fafttages — Anrede an die Soldaten — Eine andere 
Rede — „Wen es angehen mag’ — Die Chicago Convention — Die 
Berlegenheiten der Oppofition — Beſchluß No. 2 — MeElellans An- 
nahme — Einnahme der Forts von Mobile und der Stadt Atlanta — 
Proflamation Kali eines Dankfeſtes — Bemerkungen über die Ber- 
wendung von Negerfoldaten — Adreffe an loyale Marylander......... 328 


Zweiundzwanzigſtes Kapitel. 
Lincoln: Wiedererwählung. 
Die Präafiventichafts-Sampagne von 1864 —Fremonts Rücktritt Made 
und Davis— Die Friedens- und Kriegsdemofraten — Rebellenfreunde 
— Die Octoberwahl — Refultat der Präſidentenwahl — Rede an die 
Pennfslvanier— Rede bei einer Serenade — Brief an die Mutter eines 
Soldaten — Eröffnung des Congreſſes — Lepte Jahresbotfchaft........ 339 


Inhalts ⸗ Verzeichniß. 18 





Dreiundzwanzigſtes Kapitel. 
Die Kreiſe ziehen ſich enger. 


Rede bei einer Serenade — Antwort auf eine Präſentations-Adreſſe — 
Friedensgerüchte — Rebellen-Commiſſäre — Inſtruktionen an Sekretär 
Seward — Die Conferenz in Hampton Roads — Refultat — Extra— 
ſitzung des Senats— Die militäriſche Situation — Sherman— Char- 
leſton —¶Columbia — Wilmington — Fort Fiſher — Sheridan — Grant 
— Der Rebellen-Congreß — Zweite Inauguration — Jnaugurationg- 
Adreffe—Englifche Urtheile— Proflamation an Deſerteurs............. 365 


Vierundzwanzigftes Kapitel. 
In Richmond. 


Der Präſident beſucht City Point — Lee's Mißgriff — Grant's Bewe— 
gung — Präſident Lincoln in Richmond — Lee s Uebergabe — Rede des 
Präjidenten — Rede in Bezug auf die Reconftruftion — Proflamation 
zur Schließung gewiſſer Hafen — Proflamation über Seerechte — Er- 
ge Proflamation — Ordres vom Kriegsdepartement — Der Re» 

HER - DERBDERE: cne ehe ahnen 377 


Funfundzwanzigftes Kapitel. 
Der letzte Akt. 


Unterredung mit Mr. Eolfar — Kabinet3-Berfammlung — Epifode — 
Abendunterhaltung — Die Möglichkeit eines Meuchelmordes — Her 
Lincoln geht in's Theater — Borlichtsmaßregeln des Mörders — Der 
Piſtolenſchuß — Flucht des Meuchelmörders — Tod des Präfidenten— 

rfüllung feiner Berheißungen — Zuftand des Landes — Wirfung des 
Mordes— Die Objequien zu Wafhingten— Sein letter Zug-—-Trauer 
des Volkes — Er ruhl in eden 390 


Sechsundzwanzigſtes Kapitel. 


Abraham Lincoln als Menſch. 


Gründe für ſeine Wiedererwählung — Was er leiſtete — Wie er ſich auf 
das Volk ftüste— Staatspapiere— Seine Willensfeſtigkeit —Waſhing⸗ 
ton und Lincoln— Der Menſch — Seine Autobiographie — Seine Be- 
ſcheidenheit — Seine chriftliche Gefinnung — Schluß .................... 400 





Anhang. 


Herrn Lincoln's Reden im Congreß und anderwärts, Proklamationen, Briefe, 
u. ſ. w, die nicht dem Werke ſelbſt einverleibt find. 


Rede über den mexikaniſchen Krieg. (Gehalten vor der Committee des 


ganzen Hauſes am 12, Januar 1848) ............................... 407 
ede über innere Verbefferungen. (Gehalten vor einer Committe des 
ganzen DAUEE an 20, Dit 1BEBN ses ssnnecsassenn nase rses anne renn 420 


Rebe über die Präfidentfchaft und die Politif im Allgemeinen. (Gehal- 
ten im Repräfentantenhaus am 27, Juli 1848) .................... — 435 


14 Inhalts-Verzeihniß. 


Rede in Erwiederung auf Mr. Douglas über Kanſas, die Dred Seott 
Entſcheidung und die Utah⸗Frage. (Gehalten zu Springfield, SL, am 
26. Juni 1857)............. 449 
Rede in —— auf Senator Douglas. (Gehalten zu Chicago am 
Re RE ER SR 461 








— aus Mr, Lincoln's Rede zu Freeport .......... 478 
Brief an General MeClellan ......* 483 
Brief an General Schofield in Bezug er die Abſetzung des Gen. Curtis 485 
Dreihunderttaufend Mann werben aufgeboten ................. 486 
Rev. Dr. MePheeters— Des Präfidenten Erwieberung auf ein Gefuch 
Ba ren hbairao sea sdans haare sarenen sn sen anne dee 
Eine Wahl angeordnet im Staat von Arkanſas..... ........................ 489 
Brief an William Fiſhback über die Wahl in Arkanſas..................... 490 
Aufruf von fünfhunderttaufend Mann. 491 
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Der Tenneſſee Teſt⸗ Eid BE EN ERS BEAT IR FRA EN .. 494 
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Das Leben Abraham Lincoln, 





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BR, ! Erftes Kapitel. 


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Kindheit und Eintritt in das Mannesalter. 


Einleitende Bemerkungen — Geburt Abraham Fineolng — Er verläßt Kien- 
tucky — Wird Arbeiter — Selbfterziehung — Perfönliche Charakteriftik — 
Eine zweite Wanderung — Ein Abftecher nad) New Orleans — Wird ein 
Commis — Der Blak Hamk Krieg — Befaht fih mit Politik — Seine 
mehrmalige Erwählung in die SLegislatur — Antiſclaverei-Proteſt — 
Praktiirt als Advokat — Charakterzüge — Seine Derheirathung — Kehrt 
zur Politik zurück — Im Congreß. 


Die Hauptzüge in dem frühern Leben der Männer, die einen 
hervorragenden Einfluß auf das Geſchick unferer Republif ausge- 
ubt haben, bieten eine überrafchende Aehnlichkeit var. Sn den 
Details find diefelben allerdings verfchieden; der allgemeine Um— 
riß ihrer Lebensgefchichte aber ift derſelbe — hier wie dort finden 
wir die „Furzen und einfachen Annalen der Armen,“ 

Bon geringer Herkunft, von zartefter Kindheit an Arbeit ge- 
wöhnt, mit wenig Gelegenheit, fich eine gute Erziehung anzueig- 
nen, kämpften die meiften unahhängig und felbftvertrauend vor- 
wärts, bis fie fich mit eigner Hand den Weg zur Stellung gebahnt 
hatten, zu der ihre individuellen Anlagen und Talente ſie vor— 
zugsmeife befähigten. Als ungefünftelte Kinder der Natur be— 
wahrten fie ftets in ihren fpäteren Jahren unter Sgenen und 
Berhältniffen, die ihnen in ihrer Kindheit und ihrem erften Man- 
nesalter völlig fremd waren, gewiffe Eigenthümlichfeiten, die an 
ihre Herkunft und Erziehung erinnerten. Aus ihrer Sprache 
oder aus ihren Handlungen — oft aus beiden — ließ fich oft ihre 
Heimath errathen. Es ift wahr, es hat ihnen oft an dem Schliff 
des Höflings gemangeltz; diefen Mangel aber erfeste mehr als 
genügend die unwankelhafte sah des Mannes, Erſchien 


16 Das Leben Abraham Lincolns. 





ihre Sprache zumeilen ſchroff und rauf, fo war fie Dagegen offen 
und ließ feinen Zweifel auffommen. Sreund mie Feind mußten 
genau, was ihre Abfichten waren. Unerfahren in den Ränfen 
und Schwänfen des profeffionellen Politifers, gingen fie ſchnur— 
gerade dem Punkte zu, den ihr Urtheil oder ihre Gewiffenhaftig- 
keit bezweckte. Solche Männer haben oft dem Hohn und Spott 
gleißender Europäer zur Zielfcheibe gedient; und Amerikanern 
aber find fie nichts defto weniger theuer, und nichts deſto weniger 
werden fie ihren Rang unter jenen wahrhaft Großen einnehmen, 
deren Namen allen Öuten und Ehrlichen in der ganzen Welt un- 
vergeßlich bleiben. 

Zu diefer Klaffe gehörte vorzugsmeife der Staatsmann, mit 
deffen Leben und Thaten die folgenden Blätter fich befchäftigen. 

Abraham Sincoln, der fechszehnte Präfivent der Vereinigten 
Staaten, der Sohn von Thomas und Nancy Lincoln — Erfterer 
ein Kentudyer, Lebtere eine Birginierin — war am 12, Februar 
1809 nahe Hodgesille, der Hauptftadt des heutigen La Rue 
County, Kentudy, geboren. Er hatte eine zwei Sahre ältere 
Schweſter, die fich früh verheirathete und bald darauf ftarb. Sein 
einziger Bruder, zwei Jahre jünger als er, ftarb in feiner Kind- 
beit. 

Als er neun Jahre alt war, verlor er feine Mutter, nachdem die 
Familie zwei Jahre früher nach dem damaligen Territorium In— 
diana ausgewandert war und fich in dem ſüdlichen Theile deſſel— 
ben, nahe dem Ohiofluffe, halbwegs zwifchen Lonisyille und 
Evansville, angefievelt hatte. Während der dreizehn Jahre, die 
der Jüngling hier verbrachte, gewöhnte er fih an die Strapagen 
und Anftrengungen des Orenzlebens. Er war feinem Vater zur 
Beftellung der Farm behilflich, verfäumte dabei aber Feine Gele» 
genheit, feinen Geift zu Fräftigen und auszubilden. Er las mit 
Begierde alle lehrreichen Werke, die er fich verfchaffen konnte — 
meiftens an Winterabenden und oft bei dem Lichte des flammen- 
den Kaminfeuerd. Als Erfah für eine zufällige Befchädigung 
eines geborgten Eremplares von Weemes’ „Leben Waſhingtons,“ 
— des einzigen in jener Gegend — arbeitete er zwei Tage lang 
bei dem Eigenthümer des Werkes als Tagelöhner, 





⸗ 


Kindheit und Eintritt in das Mannesalter. 17 


—E 


Im Alter von zwanzig Jahren hatte er eine Statur von bei— 
nahe ſechs Fuß und vier Zoll, mit einem verhältnißmäßig ſchlanken, 
aber ungemein ſtarken und muskulöſen Körperbau. Er war in 
der That ein jugendlicher Rieſe unter einem Geſchlechte von 
Rieſen. Dabei war ſeine Ehrlichkeit, Gewiſſenhgftigleit und Auf⸗ 
richtigkeit bereits zum Sprichworte geworden. 

Im Jahre 1830 wanderte ſein Vater abermals aus. Zuerſt 
ließ er ſich ein Jahr lang an dem nördlichen Zweig des Sanga— 
monfluſſes in Illinois nieder, begab ſich dann aber nach Coles 
County, etwa ſiebenzig Meilen weiter öſtlich, an den obern Ge— 
wäſſern des Kaskaskia und Embarraß, wo er 1851 in feinem drei— 
undfiebenzigften Fahre fein ereignißreiches Leben fchloß. Das 
erite Jahr in Illinois brachte der Sohn bei feinem Vater zu; im 
nächſten aber half er ein Flachboot bauen, auf welchem er nebft 
einigen andern Arbeitern eine erfolgreiche Fahrt den Miffiffippi 
hinab nah New Orleans und wieder zurüd machte. Diefe 
Stadt — damals das Eldorado der weftlichen Grenzbemohner — 
hatte der junge Mann früher ſchon, in feinem neunzehnten Jahre, 
befucht. 





Bon diefer Erpedition zurüdgefehrt, diente er ein Jahr tung, 


als Commis bei feinem früheren Brodherrn, der in New Salem, 
zwanzig Meilen unterhalb Springfield, einen Kaufladen hielt 
und dabei eine Mahlmühle betrieb. Während er fo befchäftigt 
war, erhielt er Kunde von dem Eindringen der Indianer an den 
weftlichen Orenzen des Staates. Dies führte zu dem berühmten 
Black Hawk Kriege, benannt nad einem alten Häuptlinge der 
- Sarg, der eine hauptfächliche Rolle in dieſem Kriege führte. Raſch 


F wurde in New Salem und der Umgegend eine Compagnie Frei— 


Williger aufgeboten, die den jungen Lincoln zum Capitän wählte. 
Dies war feine erſte Promotion. Da fi jedoch die Compagnie 
3 bald darauf wieder auflöfte, fo ließ er fich als Gemeiner anwerben, 


und erfüllte während des dreimonatlichen Dienftes in diefer feiner 
erften kurzen militärifchen Campagne getreulich feine Pflichten 
gegen fein Land. 

Mit harakteriftifchem Humor und Sarkasmus erwähnte er 
diefer ROlgBe aus IeinER Leben in einer Rede im Congreß, wäh- 


18 Das Leben Abraham Lincolns, 





rend des Wahlkampfes von 1848, nachdem die Bivgraphen des 
General Caß fi bemüht hatten, ihren Abgott zu einem großen 
Kriegshelden zu machen. 

„Beiläufig erwähnt, Herr Sprecher, wiffen Sie wohl, daß auch 
ich ein Kriegeheßp bin? Ja, in den Tagen des Blad Hawk Krie— 
ges focht auch ich, Klutete und fam heim. Die Erwähnung von 
General Eaß’ Earriere erinnert mich an meine eigene. ch war 
nicht bei Stillman’s Niederlage zugegen, war aber nicht weiter 
davon entfernt, als Caß von Hull’s Kapitulation, und gleich ihm 
ſah ich den Plab bald nachher. Es ift ganz gewiß, Daß ich mein 
Schwert nicht zerbrach, denn ich hatte feines zu zerbrechen; allein 
ich zerbog meine Muskete ganz bedeutend bei einer Gelegenheit. 
Wenn Caß fein Schwert zerbrach, fo ift das fo zu verftehen, daß 
er es aus Verzweiflung zerbrach, während ich meinen Schieß- 
prügel durch Zufall zerbog, Wenn Caß mich im Heidelbeer- 
pflüden übertraf, fo Fam ich ihm im Sturmlauf auf die wilden 
Zwiebeln zuvor, Wenn er wirklich lebendige, fechtende Indianer 
ſah, fo war die mehr als ich von mir rühmen kann; allein ich 
hatte manch' blutigen Kampf mit den Muskiten; und obfchon ich 
nie durch Blutverluft ohnmächtig wurde, fo fann ich doch mit 
Wahrheit fagen, daß ich oft fehr hungrig war. 

„Herr Sprecher, follte es mir jemals in den Sinn fommen, 
meinen Schwarz-Kofarde-Föderalismus abzulegen, deſſen mich 
unfere demofratifchen Freunde befchuldigen, und dann als Kandi- 
dat für die Präfiventfhaft aufzutreten, fo hoffe ich, Daß fie fi 
nicht über mich luſtig machen werden, wie fie es mit General Caß 
thaten, indem fie mich zu einem Kriegshelden machen.” 

Nachdem diefes Heine Abenteuer vorüber war, befchloß Herr 
Lincoln Advokat zu werden, und ließ fich bald darauf in Die Politik 
ein. Er vertrat mit Eifer die Sache Henry Clay's, und das 
zwar in einem Staate, der um jene Zeit dem großen Staatsmann 
und Patrivten auf das Entfchiedenfte opponirte, Zu gleicher 
Zeit erhielt er einen höchſt fchmeichelhaften Beweis feiner eigenen 
Popularität in feiner unmittelbaren Umgebung, indem er faft ein- 
flimmig von feinem Precinet in Sangamon County als Kandidat 
für die Repräfentantfchaft in der Staatslegislatur nominirt 


Kindheit und Eintritt in das Mannesalter. 19 





— — 


wurde, obſchon nur wenig ſpäter in derſelben Wahleampagne 
General Jackſon, der demofratifche Kandidat für die Präfident- 
Schaft, mit einhundert fünfund fünfzig Stimmen über feinen Mit- 
bemwerber Clay fiegte, 

Während er-feinen Rechtsſtudien vbiag vegente er ſich mit 
Landvermeſſen ſeinen Unterhalt. Im Jahre 1834, noch ehe er 
bei Gerichte zugelaſſen war, ein Hinterwäldler in ſeiner ganzen 
Erſcheinung, groß, hager und durchaus nicht von einnehmendem 
Aeußern, wurde er zum erſten Mal in die Legislatur feines Adop- 
tioftantes gewählt, von welcher Berfammlung er, mit einer ein- 
zigen Ausnahme, das jüngfte Mitglied war, Während vdiefer 
Sitzung erhob er ſich felten, um zu reden, fondern zog es vor, den 
ruhigen Beobachter zu fpielen. Um diefe Zeit wurde er mit 
Stephen A. Douglas befannt, der erft fürzlich von Vermont ein- 
gewandert war, und mit dem er fpäter eine fo hervorragende Rolle 
zu fpielen beftimmt war. 

Im Jahre 1836 wurde er zu einem zweiten Termine ermählt, 
Während diefer Sitzung gab er mit einem feiner Collegen am 
3. März 1837 in folgendem Protefte feine Anfichten über vie 
Sklaverei fund : 

„Da von beiden Zweigen der General-Affembly während der 
jesigen Sigung Befchlüffe hinfichtlich der einheimifchen Sklaverei 
pafjirt wurden, fo proteftiren Die Unterzeichneten hiermit gegen die 
Paffirung derfelben. 

„Sie halten dafür, daß das Inſtitut der Sklaverei nicht nur 
auf Ungerechtigkeit, fondern auch auf verderblicher Politif be— 
gründet ift; gleichwohl aber find fie der Anficht, daß die Förderung 
der Abolitionsdoftrinen eher dem Hebel Vorſchub leiſten, als daſ— 
felbe befeitigen würde, 

„Sie halten ferner dafür, daß der Congreß der Vereinigten 
Staaten unter der Eonftitution Feine Macht hat, fich dem Inſti— 
tut der Sklaverei in den einzelnen Staaten entgegenzufeßen. 

„Endlich aber halten fie dafür, daß dem Congreß der Vereinig- 
ten Staaten unter der Conftitution die Macht zufteht, die Skla— 
verei in dem Diftrift Columbia abzufchaffen; daß aber diefe Macht 
nicht eher zur Anwendung gebracht werden folle, bis das Volk des 


0 Das Leben Abraham Lincolns. 





genannten Diftriktes fich felbft zu Gunften eines ſolchen Schrittes 
erklärt.“ 

In den Jahren 1838 und 1840 wurde er abermals erwählt, 
und erhielt die Stimme ſeiner Partei für das Sprecheramt. Er 
war fünfundzwaggig Jahre alt, als er zum erften Mal ermählt 
wurde, und hatte fich während feiner wiederholten Amtstermine 
durch feine Fähigkeit, feine unbeftrittene Rechtſchaffenheit, ſowie 
durch feine liebenswürdigen Manieren fo populär gemacht, daß er 
in feinem dreißigſten Jahre als der Führer feiner Partei in 
Illinois angefehen wurde. Seine Haren, Iogifhen Debatten 
hatten ihm einen bedeutenden Ruf verfchafftz fein ihm angebore- 
nes Rednertalent hatte fich entwidelt; fein ernfter Eifer für feine 
Partei führte ihm täglich neue Freunde zu, während feine allge- 
mein anerkannte Herzensgüte ihn felbft mit Männern befreundete, 
die in der Politik feine Gegner waren. 

Während er ein Mitglied der Legislatur mar, verlegte er ſich 
mit regem Eifer, fomeit es feine andermweitigen Pflichten geftatte- 
ten, auf das Studium der Rechte, wozu ihm ſchon die Nothwen- 
digfeit, fis einen angemeffenen Lebensunterhalt zu fichern, an— 
fpornte. Im Jahre 1836 wurde er zur Praris zugelaffen und 
hatte bald vollauf zu thun, In kurzer Zeit war er als ein tüche 
tiger Rechtsanwalt befannt, der die Sachlage klar zu durchſchauen 
und fih mit Gemwandtheit der günftigen Punkte zu bedienen 
mußte. in gemiffer gutmüthiger Humor, den er ftets mit Erfolg 
anzuwenden verftand, verbunden mit gefundem, praftifchem Sinn, 
der fchnurftrads auf den Grund der Sache drang, machte ihn zu 
einem Original. Die Kniffe des bloßen Rhetorikers verſchmähend, 
fprach er vom Herzen zum Herzen und ward daher von Allen, mit 
denen er in Berührung kam, als ein Mann im beften und meite- 
ften Sinne des Wortas geachtet. Seine Gedanken, feine Manieren 
und feine Sprache waren ihm eigenthümlih. Von den Ränken 
und Schwänfen des Demagogen hielt er fich entfernt, und das 
Volk liebte und ehrte ihn als einen der beften Männer. Die 
Sympathieen feiner Mitbürger waren die feinigen — ihr Wohl 
fein Streben, und ihre Intereffen auf das Engfte mit den feinigen 
verknüpft. 


Kindheit und Eintritt in das Miannesalter. 21 





Nachdem er fich permanent zu Springfield, das er fortan als 
feine Heimath betrachtete, niedergelaffen hatte, widmete er fich 
gänzlich der Praris und verheirathete fih am 4. November 1842 
mit Mary Todd, der Tochter des achtbaren Robert S. Todd, von 
Lerington, Kentudy, einer Dame von vortrefflicher Erziehung und 
gewinnenden Manieren, 

Obſchon es fein Entſchluß gemwefen war, fich gänzlich von der 
politifchen Arena zurüdzuziehen und die Annehmlichkeiten zu ge= 
nießen, die nur ein Familienleben zu gewähren vermag, fo ließ er 
fi Doch endlich von den ernften Bitten der Partei bewegen, die 
feiner feften Ueberzeugung zufolge aufs Innigſte mit den beften 
Sintereffen feines Landes identifizirt war, und durchzog 1844 fei- 
nen Staat, um für Clay zu agitiren. Später begab er fih nach 
Indiana und redete täglich, bis die Wahl herannahte, vor Außerft 
zahlreichen Berfammlungen, Die Niederlage des großen Ken- 
tuckyers erfüllte ihn mit der tiefſten Trauer, die ihn weit ſchmerz⸗ 
licher berührte, als wenn es bloß einer perfünlichen Enttäufchung 
gegolten hätte, 

Zwei Jahre fpäter, im Jahre 1846, ließ fich Herr Lincoln be— 
wegen, die Whig-Nomination für den Congreß im Sangamon 
Diftrift anzunehmen, und wurde mit einer faft beifpiellofen Ma— 
jorität erwählt. Mittlerweile war Teras annerirt worden; der 
merifanifche Krieg war im Fortgang begriffen und der Tarif von 
1842 zurüdgezogen worden. 

Mit der Eröffnung des dreißigften Congreffes, am 6. Dezem- 
ber 1847, nahm Herr Lincoln feinen Sig im untern Haufe ein, 
während Stephan N. Douglas gleichfalls zum erften Mal als 
Mitglied des Senats erfchien, 


Zweites Kapitel. 
Im Congreß und auf dem Stump 


Der merikanifche Krieg — Innere Derbefferungen — Sklaverei im Diftrikt 
Columbia — Deffentliche Ländereien — Bieht fid) in’s Privatleben zurück — 
Sanfas-Uebraska-Bill — Bieht fi zu Gunften des Henators Trumbull 
zurück — Bildung der republikanifhen Partei — Wird zum Ver. St, 
Senator nominirt — Eröffnungsrede des Herrn Lincoln — Die Douglas- 
Campagne — Der Wahlkampf — Ein Tribut für die Unabhängigkeits- 
Erklärung — Befultat des Wahlkampfes. 


Es dauerte nicht lange, bis Herr Lincoln als einer der hervorra— 
gendften weſtlichen Männer im Repräfentantenhaufe anerkannt 
wurde. Er galt in jenen Tagen für einen gründlichen Whig. 
Da er der Anficht war, daß Polk's Adminiftration die Angelegen- 
heiten mit Meriko von Anfang an verdorben habe, fo jtimmte er 
zwar in Gemeinfchaft mit andern Gliedern feiner Partei für Ar» 
mee-Lieferungen und geeignete Belohnungen für unfere tapferen 
Soldaten, weigerte ſich aber auf das Entfchiedenfte, fih zu einer 
unqualifizirten Billigung des Krieges von deffen Anfang bis zu 
feinem Ende nöthigen zu laffen. 

Demgemäß brachte er am 22, December 1847 eine Reihe von 
Beichlüffen ein, bezwedend eine Nachfrage in Bezug auf den Ur- 
fprung des Krieges, fowie definitive offizielle Auskunft hierüber, 
Diefe Beſchlüſſe wurden auf den Tiſch gelegt und fanden feine 
weitere Berüdfichtigung. Bei einer Teftfrage in Bezug auf das 
Aufgeben des Krieges ohne materielle Refultate, ftimmte er mit 
der Minorität zu Öunften des Niederlegens der Befchlüffe. 

An allen auf innere Verbefferungen fich beziehenden Fragen 
nahm er den thätigften Antheil. Hinfichtlich des unbeſchränkten 
Petitiongrechtes faßte er männlichen Grund und begünftigte eine 
liberale Politif dem Bolfe gegenüber in Betreff ver Veräußerung 
öffentlicher Ländereien, Während der Wahl-Campagne von 1848 
wirkte er zu Gunſten des Generals Taylor und hielt verfchiedene 


Reden in Neu-England und im Weiten, 
(22) 


Im Congreß und auf dem Stump. 23 





In der zweiten Sitzung des dreißigften Congreffes beantragte 
er, dag ein Befchluß, der die Committee über den Diftrift Colum- 
bia anmwies, eine Bill einzubringen, die den Sklavenhandel im 
Diſtrikte verbot, auf den Tiſch gelegt würde, und las dann ein 

Subftitut dafür vor. Diefes Subftitut enthielt die Form einer 
Bill, die 5 daß keine nicht bereits im Diſtrikt anſäſſige 
Perſon fortan darin in Sklaverei gehalten werden ſolle, und zu— 
gleich die allmälige Emancipation der im Diftrift gehaltenen 
Sklaven anftrebte, jedoch fo, daß die Eigenthümer derfelben ent— 
ſchädigt würden; mit der mweitern Bedingung, daß eine Mehrheit 
der gejeglichen Stimmgeber im Diftrift bei einer Wahl, die zu die— 
ſem Zwede ftattfinden folle, der Paffirung der Akte beiftimmten. 
Eine Ausnahme jedoch war in dem Subſtitute yorgefehen, hinficht- 
lich der Rechte von Bürgern in Sklavenftaaten, die in öffentlichen 
Angelegenheiten nach dem Diftrift kämen; dieſen follte geftattet 
fein, „ich son der nöthigen Dienerfchaft für fich felbft und ihre 
Familien auf ihrem Wege nad) dem Diftrikt, auf ihrem Wege nach 
Haufe und während ihres Aufenthaltes in dem Diftrikt begleiten 
zu laſſen.“ 

Hinfichtlich der Bergabung von öffentlichen Ländereien an neue 
Staaten, um der Errichtung von Eifenbahnen und Kanälen Bor- 
ſchub zu leiften, begünftigte er die Intereſſen feiner eigenen Con— 
ftituenten, jedoch mit ſolchen Befchränfungen, wie fie Die Tragweite 
diefer Bergabungen erforderte, 

Nachdem er eine abermalige Erwählung abgelehnt hatte, zog er 
fich abermals in das Privatleben zurüd und widmete fich wieder 
feiner Praris, die durch feine Thätigfeit im Congreß unterbrochen 
worden war, So lebte er denn zurüdgezogen von der Politif 
während General Taylor’s Adminiftration, und nahm auch an 
den wichtigen VBorfällen im Jahre 1850 feinen oder nur geringen 
Antheil, 

Die Einführung der Kanfas-Nebrasfa-Bill dur Stephen A. 
Douglas im Jahre 1854 rüttelte ihn jedoch wieder aus feiner 
Ruhe und gebot ihm auf's Neue, fih zum Kampf für das Recht 
bereit zu halten, In der Wahl-Campagne diefes Jahres war er 
einer der thätigften Führer der AntirNebrasfa-Bewegung, Er 


24 Das Leben Abraham Lincolns. 





hielt verfchiedene Reden, alle von feiner charakteriſtiſchen Energie 
gefennzeichnet, und hatte einen bedeutenden Antheil an den merk⸗ 
würdigen politiſchen Veränderungen, die in jenem Jahre in Illi— 
nois ſtattfanden. 

Da die Legislatur in jenem Jahre einen Ver. St. Senator zu 
erwählen hatte, und da zum erften Male in der Gefchichle des 
Staates die Erwählung eines Gegners der Demofratie im Bereiche 
der Mögtichkeit war, fo wandten fih Die Blide der gefammten Op— 
pofition auf Abraham Lincoln. Diefer aber beredete mit charaf- 
teriftifcher Selbftaufopferung feine alten Whigfreunde, en masse 
zu Herrn Trumbull, einem Mann von demofratifchen Anteceden- 
tien, überzugehen, da diefer ſämmtliche Anti-Nebrasfa-Demofraten 
auf feiner Seite hatte. Dies gefhah und Trumbull wurde 
erwählt. Herr Lincoln erhielt fpäter die Nomination zum Gou— 
verneur von Illinois, lehnte aber die Ehre zu Gunften des Col. 
William H. Biffel ab, der denn auch, mit einer entfchiedenen 
Majorität den Sieg davontrug. 


Bei der Bildung der republifanifchen Partei als folche fpielte 
Herr Lincoln eine thätige und einflußreiche Rolle. Sein Name 
wurde bei der erften National-Convention diefer Partei zur Vice 
Präfidentfchaft vorgefchlagen, fiel aber durch. Er arbeitete nun 
raftlos während der Kampagne von 1856 für die Erwählung 
Fremont's, auf deſſen Eleftoral-Tidet fein Name obenan ſtand. 


Nachdem fich Senator Douglas in Bezug auf die fogenannte 
Lecompton-Eonftitution von Kanfas gegen die Adminiftration 
Buchanan's erflärt und dadurd den Beifall der demokratiſchen 
Partei in Flinvis erworben hatte (feine Wiedererwählung zum 
Senator hing lediglich von dem Refultat der Staatswahl in 1858 
ab,) beichloß Die republifanifche Convention jenes Jahres unter 
donnerndem Applaus, dag Abraham Lincoln, „die erfte und ein- 
zige Wahl der Republikaner von Illinois zum Bundes-Senator, 
als Nachfolger von Herrn Douglas fei.” Am Schluffe der Ver— 
handlungen hielt er folgende Rede, die den erften Anftoß zu feinem 
Wahlkampf mit Senator Douglas gab — einem der merfwürdig- 
ften Wahlkämpfe, die je in dieſem Lande ftattgefunden haben. 


Im Congreß und auf dem Stump. 25 





„Meine Herren yon der Convention: 

Wenn wir zuerft wiffen könnten, wo wir find und wohin wir 
ftreben, jo wären wir beffer im Stande, zu beurtheilen, was und 
wie wir handeln follten. Es geht jebt bereits ſtark in’s fünfte 
Jahr, feit eine Politik inaugurirt wurde, deren erklärte Abficht 
und vertrauensvolles Verfprechen es ift, der Sflaverei-Agitation 
ein Ende zu machen. Unter der Wirkung jener Politif hatte dieſe 
Agitation nicht nur nicht aufgehört, fondern beftändig zugenom- 
men. Meiner Anficht nach wird diefelbe nicht eher aufhören, bis 
eine Erifis erreicht und paffirt fein wird. „Ein Haus, das fich 
gegen fich felbft zermwirft, kann nicht beftehen,” Sch glaube, daß 
dieſe Regierung nicht auf die Dauer halb mit Sklaverei, halb frei 
fortbeftehen Tann. Sch erwarte nicht die Auflöfung der Union — 
ich erwarte nicht den Einfturz des Haufes — aber ich erwarte, daß 
die innere Zerworfenheit aufhören wird. Die Union muß ent- 
weder ganz frei werden, oder ganz der Sklaverei anheimfallen, 
Entweder müffen die Gegner der Sklaverei der meitern Ausbrei- 
tung derfelben ein Ziel fteden und fie derart einfchränfen, daß die 
Öffentliche Meinung fich mit dem Glauben an ihr envliches Auf- 
hören beruhigt, oder die Vertheidiger derfelben werden fie vorwärts 
fchieben, bis fie endlich in allen Staaten, ven alten fowohl, wie 
den neuen —im Norden fowohl, wie im Süden — gefeglich wird, 

„Haben wir fein Streben nach der letztern Richtung hin? Be— 
trachte ein Jeder, der Zweifel hegt, jene nun beinahe vollftändige 
Combination — jene Mafchinerie, möchte ich faft fagen — zufam- 
mengefeßt aus der Nebrasfa-Doktrine und der Dred Scott Ent- 
fheidung. Bedenke er nicht nur, welche Art Arbeit diefe Mafchine 
zu leiften vermag, und wie gut fie es vermag, fondern ftudire er 
auch, die Gefchichte ihrer Conftruction, und fuche er, wenn er kann, 
den urfprünglichen Zweck und die beabfichtigte Wirkung bei den 
Meiftern und Operateuren vom Beginne an aufzufpüren, 

„Bis hierher jedoch hat nur der Congreß gehandelt, und eine 
Ratification durch das Volk, fei es eine wahre oder fcheinbare, war 
unerläßlich, um das ſchon Gewonnene zu erhalten und noch mehr 
zu gewinnen. Das Neujahr 1854 fand die Sklaverei aus mehr 
als der Hälfte der Staaten durch Staats-Eonftitutionen ausge» 


26 Das Leben Abraham Lincolns. 


— 


fchloffen; desgleichen auch aus den meiften Natignal-Territorien 
durch ein Congreßverbot. Bier Tage fpäter begann der Kampf, 
der mit dem Widerruf jenes Congreßverbots endete. Dies öffnete 
den Sklavenhaltern ſämmtliche National-Territorien und war der 
erfte gewonnene Punft. 

„Diefe Nothwendigkeit war Feineswegs überfehen, fondern 
mweislich und beftmöglich vorgefehen worden in jenem merkwür— 
digen Argument von der „Squatter-Souveränität,“ anderwärts 
auch das ‚‚geheiligte Recht der Selbftregierung‘‘ genannt; 
welch’ letztere Phrafe, obſchon Die einzig rechtliche Baſis irgend 
einer Regierung ausdrüdend, in der verfuchten Geltendmachung 
fo verdreht wurde, daß fie ungefähr fo viel bedeutet, daß, wenn 
ein Mann einen andern zu Inechten verfucht, Fein Dritter befugt 
fein folle, fi dem zu widerfegen. Diefes Argument wurde der 
Nebraska-Bill felbft mit folgenden Worten einverleibt: „Der 
wahre Sinn und Zwed diefer Akte ift, Die Sklaverei in irgend ein 
Territorium oder irgend einen Staat weder einzuführen, noch fie 
davon auszufchliegen, fondern es dem Volke darin vollfommen 
freizuftellen, ihre häuslichen Inftitute nach eigenem Willen und 
Gutdünken zu bilden und zu reguliren, infofern Dies nicht der 
Conftitution der Vereinigten Staaten widerftrebt.“ 

„Dann erfolgte ein Schwall von nichtsfagenden Worten zu 
Gunſten der „Squatter-Souveränität” und des „geheiligten Rech- 
tes der Selbftregierung.” 


„Aber,“ fagten Oppofitionsmitglieder, „laßt uns fpecififcher 
fein — laßt uns die Bil ſo amendiren, daß darin ausdrüdlich 
erklärt werde, dem Volke der Territorien ſtehe das Recht zu, 
die Sklaverei auszufchließen.” „Nicht doch,” fagten die Freunde 
der Maßregel und flimmten gegen das Amendment, das denn auch 
durchfiel. 

„Während die Nebraska-Bill durch den Congreß ging, paſſirte 
durch das Ver. St. Bezirksgericht für den Diſtrikt Miſſouri ein 
Rechtsfall, in welchem es ſich um die Freiheit eines Negers han— 
delte, deſſen Meiſter ihn zuerſt in einen freien Staat und dann 
in ein Territorium brachte, in welchem jenes Congreßverbot zu 
Rechte beſtand, und ihn in beiden lange Zeit als Sklaven hielt. 





Im Eongreß und auf dem Stump. 97 





Sowohl die Nebrasfa-Bill, wie der Rechtsfal famen in demfelben 
Monat, Mai 1854, zur Entfcheidung. Der Neger hieß „Dred 
Scott,” unter welchem Namen jene Entfcheidung des Oberbundes- 
©erichtes heutzutage bekannt ift.“ 

„Bor der darauf folgenden Präfidentenwahl wurde das Gefes 
vor dem Dberbundesgericht der Ver. Staaten argumentirtz die 
Entfcheidung indeffen wurde bis nach der Wahl verfhoben. Doch 
vor der Wahl bat Senator Trumbull in der Senatshalle den 
Hauptvertheidiger der Nebrasta-Bill, feine Meinung zu äu— 
Bern, ob das Volk eines Territoriums auf conftitutionelle Weiſe 
die Sklaverei von feinen Grenzen ausfchliegen könne, und Diefer 
antwortete: „Das ift eine Frage für das Oberbundesgericht.” 

„Die Wahl kam heran, Herr Buchanan wurde erwählt und 
das “indorsement” war gefichert, Dies war der zweite gewon- 
nene Punkt: Dem Indorfement mangelten indeffen nahezu vier- 
hundert Zaufend Stimmen zu einer Bolfsmajorität, woher es 
denn nicht eben fehr zuverläffig und befriedigend war. Der ab- 
gehende Präfident rief dem Volke in feiner letzten Jahresbotfchaft 
fo nachdrücklich wie möglich das Gewicht und die Autorität des 
Indorfements in das Gedächtniß. 

„Das Oberbundesgericht tagte wieder; es kündigte jedoch die 
Entſcheidung nicht an, fondern begann ein neues Argument. Die 
Inauguration des Präfiventen fam heran, noch aber hielt das 
Gericht mit der Entfcheidung zurüdz; der neue Präfident aber er- 
mahnte das Bolf in feiner Snauguraladreffe, fih der nahen Ent» 
fheidung zu fügen, wie auch diefelbe ausfallen möge, 
Wenige Tage darauf fam die Entſcheidung. 

„Dies war der dritte gewonnene Punkt. 

„Der Autor der Nebrasfa-Bill ergriff bald darauf eine Gelegen- 
beit, in diefem Capitol eine Rede zu halten, in welcher er die Dred 
Scott Entfcheidung indoffirte und alle Opponenten dagegen heftig 
mit Schmähungen überhäufte. Der neue Präfident ergriff ebenfalls 
die erfte Gelegenheit, um in dem Silliman Brief jene Entfcheidung 
zu indoffiren und auszulegen; zu gleicher Zeit drüdte er feine 
Derwunderung aus, daß fich überhaupt mißbilligende Meinungen 
darüber fund gäben. Endlich entftand ein Streit zwifchen dem 


98 Das Leben Abraham Lincolns. 





Präfiventen und dem Urheber der Nebrasfa-Bill über die bloße 
Frage, ob die Lecompton-Eonftitution im eigentlichen Sinne des 
Wortes von dem Volke von Kanfas gemacht worden fei oder nicht; 
und in diefem Streite erflärte Lebterer, daß er nichts Anderes be- 
anfpruche, als einen freien Meinungsausdrud für das Volk, und 
dag es ihm vollkommen gleichgültig fei, ob die Sklaverei einge- 
führt oder ausgefchloffen werde. Diefe lettere Erklärung, daß es 
ihm gleichgültig fei, ob die Sklaverei eingeführt oder ausgefchlof- 
fen werde, kann ich mir nur als eine ſchlaue Definition der Politik 
deuten, die er der öffentlichen Meinung aufoctroyren wollte — das 
Prinzip, für das er, wie er ung fagt, ſchon fo viel gelitten hat und 
bereit ift, bis zu feinem Ende zu leiden. 

„Und wohl mag er fich an diefes Prinzip feftflammern. Wenn 
er, väterliche Gefühle befist, muß er fi daran feftllammern. 
Diefes Prinzip ift der einzige Feben, der ihm von feiner urſprüng— 
lihen Nebrasfa-Doftrine übrig bleibt, Unter der Dred Scott 
Entfcheidung trat die „Squatter-Souveränität” aus der Eriftenz, 
ftürzte zufammen, wie ein temporäres Gerüft, wie die Lehmform 
in der Gießerei, die ihren Zwed erfüllt hat und in den lofen Sand 
zurückfällt; fie half einen Wahlfieg herbeiführen und wurde dann 
den Winden anheim gegeben. Sein letter Kampf, den er gemein 
fam mit den Republifanern gegen die Lecompton-Conftitution 
führte, hatte Nichts von der urfprünglichen Nebrasfa-Doftrine 
zur Grundlage. Sener Kampf wurde über einen gemwiffen Punkt 
geführt — das Recht eines Volkes, fich feine Conftitution felbft zu 
machen — und über diefen Punkt herrfchte nie eine Meinungsver- 
fehiedenheit zwifchen ihm und den Republifanern, 

„Die verfchiedenen Punkte der Dred Scott Entfheidung in Ver— 
bindung mit Senator Douglas’ forglofer Politif bilden die Ma- 
fchine in ihrem gegenwärtigen Fortſchrittszuſtand. Die mwefent- 
lichen Punkte in diefer Mafchine find: 

„Erftens, daß fein Negerfklave, als folcher von Afrifa importirt, 
und fein Abkömmling eines ſolchen jemals Bürger eines Staates 
fein kann in dem Sinne des Wortes, wie die Conftitution der 
Der. Staaten es auslegt. 

„Diefer Punkt wurde ausgehedt, um den Neger in jedem mög— 


Im Congreß und auf dem Stump. 29 





lichen Falle der Wohlthat diefer Beftimmung der Ber. St. Con— 
ftitution zu berauben, welche deutlich erklärt, vaß — „die Bürger 
eines jeden Staates zu allen Privilegien und Rechten eines Bür— 
gers in ſämmtlichen Staaten berechtigt fein follen. 

‚Zweitens, Daß „der Conftitution der Ber, Staaten gemäß” 
weder der Congreß, noch eine Territorial-Legislatur die Sklaverei 
in irgend einem Ber. St, Territorium ausfchließen Tonne, 

„Diefer Punkt wurde ausgehedt, damit Individuen die Terri— 
torien mit Sklaven füllen könnten, ohne Gefahr zu laufen, dies 
ihr Eigenthum zu verlieren, und um auf dieſe Weife den Fortbe— 
ftand des Inftituts für alle Zeiten zu fichern. 

„Drittens, daß die Ber. St. Gerichte es unentfchieden laſſen 
wollten, ob ein in einem freien Staate in der Sklaverei gehaltener 
Neger frei fein ſolle; dag aber die Entfcheidung irgend einem 
Gerichtshofe in irgend einem Sklavenftaate, in den der Neger von 
feinem Meifter gebracht werde, unbenommen bleiben folle. 

-Diefer Punkt wurde ausgehedt, um die Erbitterung zu befänf- 
tigen. Fügte fi das Volk eine Zeit lang und indoffirte es ihn 
anfcheinend bei einer Wahl, fo war die logifche Solge Har: was 
Dred Scott's Meifter rechtens mit Dred Scott in dem freien 
Staate Fllinvis thun fonnte, das fonnte irgend ein anderer 
Meifter rechtens im freien Staate Illinois oder irgend einem ans 
dern freien Staate mit einem Sklaven oder taufend Sklaven 
thbun, 

„Hand in Hand mit alledem wirft die Nebrasfa-Doftrine, oder 
vielmehr die Weberbleibfelderfelben, um die öffentlihe Meinung 
dahin zu bringen, daß es ihr gleichgültig fei, ob die Sklaverei ein» 
geführt oder ausgefchloffen werde. 

„Dies zeigt genau, wo mir uns jetzt befinden und theilweife 
auch, wohin wir ftreben. 

„Um über das Lebtere weiteres Licht zu gewinnen, laßt ung die 
bereits erwähnten hiftorifchen Thatfachen noch einmal in’s Auge 
faffen. Berfchiedene Dinge werden ung jet minder dunkel und 
myfteriös erfcheinen, als zur Zeit ihrer Begebenheit. Das Volf 
follte „sollfommene Freiheit” haben, fo weit es nicht der Conſtitu— 
tion miderftrebte, Was die Conftitution damit zu tbun hatte, 


30 Das Leben Abraham Lincolns. 





vermochten Uneingemweihte nicht zu begreifen. Jetzt ift es Har 
genug; es war eine paffende Nifche, die fpäterhin Die Dred Scott 
Entfcheidung einnehmen fonnte, mit der Erklärung, daß die „solls 
fommene Freiheit” des Volfes fo viel bedeutete, wie gar feine 
Freiheit. | 

„Warum wurde das Amendment nievergeftimmt, welches aus— 
drüdlich Das Recht des Volkes, die Sklaverei auszufhließen er- 
Härt? Ganz einfach, weil die Annahme deffelben die hübſche Nifche 
für die Dred Scott Entfcheidung verdorben haben würde, 

„Barum wurde die Entſcheidung des Gerichtes verſchoben? 
Warum hielt fogar ein Senator mit feiner individuellen Anficht 
bis nach der Präfidentenwahl zurüd? Ganz einfach, weil eine 
offene Sprache dem „volllommen freien” Argumente gefchadet 
hätte, das den Wahlfieg herbeiführen follte, 

„Weshalb die Beglüdwüunfhung des austretenden Präfidenten 
über das Indorſement? Weshalb die Verzögerung des neuen Ar- 
gumentes? Weshalb des eintretenden Präfiventen voreilige Er— 
mahnung zu Gunſten der Entfeheidung? Diefe Dinge fehen faft 
fo aus, wie das vorfichtige Streicheln und Schmeicheln eines feu- 
rigen Pferdes, ehe der Reiter es befteigt, aus Furcht, zu Boden 
geworfen zu werden. Und warum das haftige Nach-Fndorfement 
der Entiheidung Durch den Präfivdenten und Andere? 

„Dir können nicht mit Beftimmtheit behaupten, daß alle diefe 
genau zufammenpaffenden Umftände das Nefultat eines vorherge- 
gangenen Einverftändniffes find. Wenn wir aber einen Haufen 
gezimmerten Bauholzes fehen und wiffen, daß vernhiedene Theile 
beffelben zu verfchiedenen Zeiten, an verfchiedenen Orten und son 
verschiedenen Arbeitsleuten — Stephen, Franklin, Roger und 
James zum Beifpiel — hergerüftet wurden; und wenn wir Diefe 
Stüde Bauholz zufammengefügt fehen und bemerken, wie genau 
fie das Gerippe eines Haufes oder einer Mühle machen, wie alle 
Winkel und Kanten fo genau an einander paffen, wie alle Propor- 
tionen den betreffenden Plätzen fo exakt angemeffen find, nicht ein 
Stüd zu wenig oder zu viel — felbft das Baugerüft nicht ausge- 
nommen — oder, follte ein Stüd fehlen, wenn wir dann im Ge— 
bälfe die Stelle zur Einfügung diefes Stüdes genau angepaßt 


Im Congreß und auf dem Stump. sl 





und vorbereitet fehen — müßten wir nicht in einem folchen Falle 
nicht fchlechterdings glauben, dag Stephen und Franklin und 
Roger und James einander von Anfang an wohl verjtanden, und 
dag Alle nach einem gemeinfamen Plan oder Bauriß arbeiteten, 
der vorgezeichnet worden war, ehe der erfte Schlag gethan wurde? 

„Es follte nicht überfehen werden, daß, der Nebrasfa-Bill zu— 
folge, das Volk eines Staates fowohl wie Territoriums „voll 
fommene Freiheit” haben follte, „fo weit dieſes der 
Conftitution nit widerftreitet.‘ Weshalb wurde das 
Wort „Staat” erwahnt? Es handelte fi ja nur um Territorien 
und nicht um Staaten. Gewiß ift das Volk eines Staates durch 
die Conftitution der Vereinigten Staaten gebunden, und mit 
Recht; weshalb aber wurde diefes in ein reines Territorial-Gefet 
eingefchaltet 2 Weshalb find das Volk eines Territoriums und 
das Volk eines Staates darin zufammengewürfelt, als ob ihre 
Beziehungen zu der Eonftitution genau diefelben wären ? 

„Während die Anficht des Bundesgerichtes durch den Ober— 
richter TZaney in dem Dred Scott Falle, fowie die Separat-Ans 
fichten der beiftimmenden Richter ausprüdlich erflären, daß die 
Conftitution der Vereinigten Staaten weder dem Congreß, noch 
einer Territorial-Legislatur Befugniß ertheile, die Sklaverei in 
irgend einem Bereinigten Staaten Territorium auszufchliegen, 
unterlaffen fie Alle zu erklären, ob diefelbe Conftitution einem 
Staate, oder dem Volke eines Staates Befugniß gebe, die Skla— 
verei auszufchliegen. Es ift möglich, daß diefes ein bloßes 
Verſäumniß war; wer aber fann mwiffen, ob Metean oder 
Eurtig verfucht hatten, der „Anſicht“ eine Erflärung unbegrenzter 
Macht feitens des Volkes eines Staates beizufügen, um die Skla— 
verei aus ihren Örenzen zu vefbannen, gerade wie Chafe und Mace 
verfucht hatten, eine folche Erklärung zu Öunften des Volfes eines 
Territoriums in die Nebraska-Bill einzufhalten? Wer, frage 
ich, kann wiffen, daß eine foldhe Erklärung nicht umgeftoßen wor— 
den wäre, gerade wie es im andern Falle gefchah ? 

„Der annäherndfte Berfuch, einem Staate Machtbefugnig hin- 
fichtlich der Sklaverei zu geben, wurde vom Richter Nelfon ge- 
macht, Er näherte fi dem Gegenftande mehr als einmal, und 


32 Das Leben Abraham Lincolns. 





zwar ftets mit der genauen dee (und faft auch der Sprache) der 
Nebraska-Akte. Bei einer Gelegenheit gebraucht er genau die 
folgenden Worte: „Mit Ausnahme son Fällen, in denen die 
Macht dur die Eonftitution der Vereinigten Staaten befchränft 
ijt, bleibt das Staatsgefeß fuprem in Bezug auf die Sklaverei 
innerhalb der Jurisdiction des Staates.” 

„In welchen Fällen die Macht des Staates von der Eonftitu- 
tion der Bereinigten Staaten befchränft wird, blieb eine unent- 
Ichiedene Frage, gerade wie diefelbe Frage in Bezug auf die 
Beſchränkung der Territorial-Gewalt in der Nebrasfa-Alte un 
entfchieden blieb. Fügen wir num Diefes und Jenes zufammen, 
fo haben wir eine andere hübfche Heine Nifche, die wir über Furz 
oder lang durch eine fernere Dberbundesgerichts-Entjcheidung 
ausgefüllt fehen werden, durch welche erklärt wird, daß die Con— 
ftitution der Vereinigten Staaten einem Staate nicht geftattet, Die 
Sklaverei innerhalb feiner Grenzen zu verbieten. Und dies fteht 
hauptfächlich zu erwarten, wenn die Douglas'ſche „Sleichgültig- 
feitsdoftrine” in der öffentlichen Meinung hinreichend Grund 
gewinnt, um eine foldhe Entfcheidung rathfam oder gefahrlos er- 
fcheinen zu laffen. 

„Nur eine folche Entfeheidung fehlt noch, um die Sklaverei in 
ſämmtlichen Staaten gefeglich zu machen. Wie wir uns aud 
Dagegen ſtemmen mögen, dieſe Entjcheidung wird wahrfcheinlich 
fommen, und vielleicht bald fommen, wenn nicht die Macht der 
gegenwärtigen politifchen Dynaftie gebrochen und umgeftürzt 
wird, Wir legen uns gemüthlich nieder und träumen, daß das 
Bolf von Miffouri demnächft feinen Staat frei machen werde, um 
beim Erwachen zu finden, daß das Oberbundesgericht Illinois zu 
einem Sklavenſtaat gemacht hat. 

„Die Macht dieſer Dynaftie zu brechen und umzuftürzen, ift 
jest das Werk Aller, die den Endzwed der gegenwärtigen Macht- 
haber zu vereiteln wünfchen. Das ift es, was wir zu thun haben, 
Wie aber fünnen wir es am beften thun ? 

„Es giebt Leute, die uns ihren Freunden gegenüber offen 
fhmähen, dabei aber leife andeuten, daß Senator Douglas das 
geeignetfte Werkzeug zur Erreihung Ddiefes Zwedes fei. Gie 


Im Congreß und auf dem Stump. 33 





fagen uns indeffen nicht, noch hat er uns gefagt, daß er irgend 
einen ſolchen Zwed erreichen möchte. Sie wünfchen, daß wir 
von felbft auf diefen Schluß kämen, da er einen Heinen Streit 
mit dem gegenwärtigen Haupt der Dynaftie hat, und da er regel- 
mäßig mit ung in einer einzigen Angelegenheit ftimmte, in welcher 
er und wir niemals abmweichente Meinungen hegten. 

„Sie erinnern und daran, daß er ein [ehr großer Mann 
fei, und daß die Größten unter ung nur winzige Gefchöpfe feien. 
Wir können dies getroft zugeben. Jedoch ift ein lebendiger 
Hund beffer als eintodter Löwe. Richter Douglas ift, wenn 
nicht ein todter Löwe für diefes Werk, fo Doch ein gefeffelter 
und zahnlofer Wie kann er ſich dem VBorfchreiten der Skla— 
verei entgegenftemmen? Es ift ihm ja Alles gleichgültig. Es ift 
ja feine offen erklärte Miffton, die öffentliche Meinung dafür 
gleichgültig zu machen. 

„Ein hervorragendes Douglas-demofratifches Blatt glaubt, es 
bedürfe des Riefengeiftes diefes Douglas, um die Wiederbelebung 
des afrifanifchen Sklavenhandels zu verhindern. Glaubt Douglas, 
daß ein Verfuch, diefen Handel wieder in das Leben zu rufen, auf 
dem Programm ift? Er hat ung Dies nicht gefagt. Glaubt er ee 
in der That? Und wenn fo, wie fann er es verhindern? Seit 
Jahren hat er ſich unabläfjig bemüht zu bemeifen, daß es ein 
heiliges Recht des weißen Mannes fei, Negerfflaven mit in 
die neuen Territorien zu nehmen. Sft es ihm möglich zu bemei- 
fen, daß es ein minter heiliges Necht fei, diefelben zu Faufen, mo 
fie am billigften zu kaufen find? Und zweifelsohne können fie in 
Afrika billiger gefauft werden als in Virginien. 

„Er hat alle feine Macht aufgeboten, um die ganze Sklaverei— 
frage zu einer bloßen Eigenthumsfrage zu reduziren; und wie 
kann er von diefem Standpunfte aus dem auswärtigen Sklaven— 
handel opponiren? Wie fann er dem Handel mit jenem „Eigen- 
thum“ die fchon erwähnte „sollfommene Freiheit“ entziehen ? 
Bielleicht wohl, um die einheimifche Produktion zu ſchützen? Da 
nun aber die einheimifhen Produzenten diefen Schutz 
nicht begehren, ſo verliert er allen Grund zur Oppoſition. 

Sen Douglas behauptet, daß ein Menſch das Recht habe, 


34 Das Leben Abraham Lincolns, 





heute mweifer zu fein, als er geftern war — daß er das Recht habe, 
fein Thun und Treiben zu ändern, fo bald er fich im Unrechte 
finde. Können wir aber deshalb der Zufunft vorgreifen und 
daraus Schließen, Daß Diefe oder jene Aenderung in feiner Hand- 
Iungsmweife eintreten werde, von der er ung felbft nicht die mindeſte 
Undeutung gegeben hat? Können wir unferm Handeln irgend 
einen ſolchen wagen Schluß zur Orundlage geben? 

„Es ift nicht im mindeften meine Abficht, Senator Douglas’ 
Pofition zu verdächtigen, feine Motive in Zweifel zu ftellen, oder 
ihn auf irgend eine Weiſe perfünlich zu beleidigen. Sollte er 
fich jemals über ein Prinzip mit uns vereinigen, fo daß unferer 
Sache durch feine großen Talente Nutzen erfprießen mag, fo hoffe 
ich Fein Hinderniß in ven Weg gelegt zu haben. 

„Eines jedoch ift Har: jetzt ift er nicht mit ung — er will «8 
nicht fein — er verfpricht nicht, daß er es jemals fein wolle. Un— 
fere Sache muß fomit durch ihre eigenen, unbezweifelten Sreunde 
geführt und vertheidigt werden — durch Männer, deren Hände 
frei, deren Herzen in dem Werke find — dur Männer, denen das 
Refultat nicht gleichgültig if. 

„Bor zwei Jahren zählte die republifanifche Parthei über drei— 
zehn hunderttaufend Mann. Es trieb ung ein einziger Impuls: 
der Widerftand gegen die gemeinfame Gefahr. Alle äußern Um— 
fände waren gegen uns. Aus fremdartigen, widerftrebenden, 
ja fogar feindfeligen Elementen zufammengefest, gleichfam von 
den vier Winden hergemweht, bildeten wir uns und kämpften Die 
Schlacht unter dem beftändigen Kreuzfeuer eines erfahrenen, 
ftolgen und fieggewohnten Feindes. Wagten wir damals Alles, 
um jebt zu wanfen? — jegt, da derfelbe Feind mit fich felbft im 
Widerſpruch fteht? 

„Das Refultat ift keineswegs zweifelhaft. Wir fünnen nicht 
fallen, wenn wir feftftehen. Weife Rathſchläge mögen den 
Sieg befhleunigen, Mifgriffe mögen ihn verzögern; 
allein früher oder fpäter muß er kommen.“ 

In diefem äußerſt lebhaft betriebenen Mahlfampf wurde der 
Staat Illinois feiner ganzen Länge und Breite nad von den 


Im Congreß und auf dem Stump. 35 





beiven Kandidaten und ihren Anhängern „durchſtumpt,“ und das 
ganze Land nahm den regiten Antheil an dem Wettringen. Bon 
County zu Eounty, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf reiften 
die beiden Kämpen, häufig in demfelben Eifenbahnwagen oder in 
demfelben Omnibus, und argumentirten von Angeficht zu Ange- 
ficht im Beiſein einer ungemeinen Menfchenmenge die Haupt- 
punkte ihrer politifhen Ueberzeugung, und kämpften wader um 
die Meifterfchaft. 

In einer feiner Reden während jener merkwürdigen Kampagne 
zollte er der Unabhängigfeits-Erklärung den folgenden Tribut: 


„Diefe Communen (die dreizehn Colonien) fprachen durch ihre 
Repräfentanten in der alten Unabhängigfeits-Halle zu der ganzen 
Welt: „Solgende Wahrheiten halten wir für felbftverftändlich, 
nämlich: Daß alle Menfchen gleich geboren find; daß fie von 
ihrem Schöpfer mit unveräußerlihen Rechten begabt wurden; 
dag zu diefen Rechten Leben, Freiheit und das Streben nad 
Glüdfeligfeit gehöre.” Dies war ihre majeftätifche Interpreta— 
tion der Defonomie des Univerfums. Dies war ihr edles, weifes 
und erhabenes Berftändniß der Gerechtigkeit des Schöpfers gegen 
alle feine Gefchöpfe, Sa, meine Herren, ich fage, gegen alle feine 
Geſchöpfe und gegen die ganze große Menfchenfamilie. Ihrem 
erleuchteten Glauben gemäß wurde Nichts, was mit dem Abbild 
“ Gottes geftempelt war, auf die Welt gefandt, um von feinen Mit- 
geihöpfen in den Staub getreten, gefnechtet und verthiert zu wer— 
den. Ihr Wort bezog fich nicht nur auf das damals lebende 
Menfchengefchlecht, fondern es galt felbft ver fpäteften Nachwelt. 
Sie fchufen einen Leuchtthurm, der ihre Kinder und Kindeskinder 
und die zahllofen Myriaden, die in kommenden Jahrhunderten 
die Erde bewohnen follten, Ienfen und leiten möchte. Als weifen 
Staatsmännern war ihnen fehr wohl befannt, dag die Wohlfahrt 
leicht ITyrannen erzeugt, und fo ftellten fie denn jene großen, 
jelbftverftändlichen Wahrheiten feit, damit, wenn in ferner Zu— 
Funft irgend ein Mann oder eine Faktion die Doftrine ausheden 
follte, daß nur reiche Leute, nur weiße Leute, oder nur weiße Leute 
angelfächfifher Abkunft ein Anrecht auf Leben, Freiheit und das 
Streben nach Glückſeligkeit habe, ihre Nachtommen auf die Unab— 


36 Das Leben Abraham Lincolns. 





hängigfeits-Erflärung bliden und daraus Muth ſchöpfen möchten, 
den Kampf zu erneuern, den ihre Väter begonnen; damit nicht 
Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und alle menſchlichen 
und chriftlihen Tugenden aus dem Lande vertilgt würden, — 
damit fein Menfch in Zufunft es wage, die großen Prinzipien, 
auf denen der Tempel der Freiheit erbaut wurde, zu befchränfen. 

„Run, meine Landsleute, wenn ihr Doftrinen gelernt habt, die 
mit der Unabhängigfeits-Erflärung im Widerfpruch ſtehen; wenn 
ihr Eingebungen Gehör ſchenktet, die ihre Größe beeinträchtigen 
und die Symmetrie ihrer Proportionen zerftören würden; wenn 
ihr geneigt waret zu glauben, daß nicht alle Menfchen gleich und 
mit jenen unveräußerlihen Rechten begabt wurden, wie die 
Magna Charta unferer Sreiheiten ung lehrt: — fo beſchwöre ich 
euch, zurüdzufehren zu der Quelle, die dicht neben dem Blutſtrome 
der Nevolution ihren Urfprung hat. Denfet nicht an mid; 
denfet nicht an das politifche Gefchid irgend eines Mannes, wer 
er auch fein „möge, fondern fehret zurüd zu den Mahrheiten, die 
in der Unabhängigfeits- Erklärung enthalten find. 

„Shut mit mir, was ihr wollt; nur wahret jene heiligen Prin- 
zipien. Ihr möget meine Erwin in den Senat yereiteln — 
ja, ihr möget mich auf der Stelle ergreifen und tödten. Ich will 
nicht behaupten, daß ich für irdifche Ehren unempfänglich bin; 
aber ih darf behaupten, daß mich etwas Höheres als die bloße 
Sudt nad) Ehren und Würden in diefem Kampfe befeelt. Ich 
beſchwöre euch, jeden Heinlichen und unbedeutenden Gedanken für 
den Erfolg irgend eines Mannes aufzugeben. Sch bin nichts — 
Nichter Douglas ift nichts. Allein zerftäret nicht jenes un- 
fterbliche Emblem der Humanität — die Erflärung der Un⸗ 
abhangigfeit Amerifn’s !“ 


Bei der bald darauf folgenden Wahl erhielt der republifanifche 
Kandidat 126,084 Stimmen; die Douglas-Demofraten zogen 
121,940 und die Lecompton-Demofraten 5,091 Stimmen, Herr. 
Douglas wurde indeffen wieder erwählt in den Senat durch die 
Legislatur, in welcher, einer eigenthümlichen Bertheilung der 
legislativen Dijtrikte zufolge, feine Anhänger eine Majorität von 
acht Stimmen im Geſammtballott hatten, 


Drittes Kapitel, 
Vor der Yatiom 


Reden in Ohio — Auszug aus der Cinrinnati Rede — Sefucht den Often — 
Serühmte Rede im Tooper Inftitut in New York — Intereflante Epifode. 


Das Refultat feines Wahlfampfes mit Douglas war zwar an- 
fheinend eine Niederlage, follte fich aber in nicht allzuferner Zeit 
als ein entfhiedener Triumph erweifen. Herrn Lincoln’s Ruf 
als ein gewandter Debattirer und Meifter des politifchen Argu— 
mentes war jet gefichert und im ganzen Lande anerfannt. m 
folgenden Jahre widmete er fich wieder ausschließlich feinen Be— 
rufspflichten; doch hielt er, den Bitten der Republifaner in Ohio 
nachgebend, in der Wahlcampagne von 1859 zwei feiner gediegen- 
ften Reden in jenem Staate — die eine An Columbus und die 
andere zu Cincinnati. 

In feiner Rede in lesterer Stadt fpielte Herr Eincoln auf die 
Gewißheit eines baldigen republifanifchen Triumphes an, und 
ließ fich folgendermaßen über die unausbleiblichen Refultate eines 
folchen Sieges vernehmen : i 


„Ich will euch fagen, foweit ich autorifirt bin, für die Oppofition 
zu fprechen, was wir mit euch zu thun gedenken. Wir gedenken 
euch möglichft genau ebenfo zu behandeln, wie Wafhington, Jef- 
ferfon und Madiſon euch behandelten. Wir find gefonnen, euch 
unbeläftigt zu laffen und ung auf feine Weife in eure Inſtitu— 
tionen zu miſchen; wir find aefonnen, alle und jede Compromiſſe 
der Konftitution zu achten; kurzum — um wieder darauf zurüd- 
zulommen — euch zu behandeln wie Wafhington, Jefferfon und 
Madiſon euch behandelt haben, foweit nämlich entartete Menfchen 
(wenn wir wirklich entartet find) die Kraft haben, das Beifpiel 
jener edlen Väter naczuahmen. Wir werden ung zu erinnern 
fuchen, daß ihr jo gut feid wie wir, daß feine andere Verſchieden— 
heit zwifchen ung befteht als die VBerfchiedenheit der Verhältniſſe. 
Wir werden nie vergeffen, > y" eben fo gute Herzen in euch 

(87 


38 Das leben Abrabam Lincolns. 





tragt wie andere Leute, und euch demgemäß behandeln. Wir ges 
denken eure Mädchen zu heirathen — die weißen, meine ich — 
wenn wir Gelegenheit dazu haben, und ich habe die Ehre, euch 
mitzutheilen, daß ich felbft einft eine derartige Gelegenheit wahr- 
nahm. 

„Ich habe euch nun geſagt, was wir zu thun gedenken. Ich 
möchte jetzt wiſſen, was ihr alsdann zu thun gedenket. Ich hörte 
oft die Andeutung, daß ihr die Union aufzulöſen entſchloſſen 
wäret, wenn ein Republikaner, oder irgend Einer, der einem ſolchen 
gleichſieht, zum Präſidenten der Vereinigten Staaten gewählt 
würde. (Eine Stimme: „So iſt's!“) „Sp iſt's!“ ſagt Jemand 
unter euh. Ob es wohl ein Kentudier ift? (Eine Stimme: „Es 
it ein Douglas-Mann). Nun, dann möchte ich gerne wiffen, 
was ihr mit eurer Hälfte zu thun gedenfet. Wollt ihr den Ohio 
zerfpalten und eure Hälfte eine Strede von uns megfchieben ? 
Oder wollt ihr fie dicht neben ung unartigen Leuten liegen laffen ? 
Oder wolltihr eine Mauer zwifchen eurem Lande und dem unfern 
errichten, damit euer bewegliches Eigenthbum nicht mehr zu ung 
herüberfommen kann? Glaubt ihr eure Lage in Bezug auf diefe 
Sorte Eigenthum dadurch zu verbeffern, daß ihr ung aller ferneren 
Verbindlichkeit entbindet, euch dieſe Ausreißer zurüdzuftellen ? 
Ihr wollt die Union zerfpalten, weil ihr glaubt, wir hätten in 
diefem Punkte nicht recht mit euch gehandelt; um wie viel befjer 
glaubt ihr daran zu fein, wenn alle Berbindlichkeiten unfererfeits 
aufhören? Wollt ihr ung Krieg erklären und ung Alle tödten ? 
Meine Herren, ich glaube, daß ihr fo tapfere und muthige Männer 
ſeid, als man irgendwo finden kann; daß ihr in einer guten Sache 
Mann gegen Mann fo tapfer fechten Fünnt, als irgend ein Volk 
der Erde; ich weiß, daß ihr dies bei verfchiedenen Gelegenheiten 
bewiefen habt; allein Mann gegen Mann feid ihr nicht beffer als 
wir find, und außerdem feid ihr minder zahlreich als wir. Es 
würde euch nie gelingen, uns zu befiegen. Wenn wir in der 
Minderzahl wären, möchte es fein; wenn wir gleich ftarf wären, 
bliebe der Kampf unentfchieden; da ihr aber in der Minderzapl 
feid, fo kann euch der Verfuch, uns zu meijtern, feinen Nutzen 
bringen. 


Vor der — 39 





„Ich wiederhole, daß wir uns nicht in das Inftitut der Skla— 
verei mifchen Dürfen in den Staaten, in welchen es befteht, weil’ 
die Conftitution es verbietet, und weil es nicht zum allgemeinen 
Wohl erforderli if, Wir dürfen ung nicht gegen ein Geſetz für 
Auslieferung flüchtiger Sklaven auflehnen, weil meines Wiſſens 
die Conftitution ung ermahnt, ung nicht dagegen aufzulehnen; 
allein wir müſſen der Ausbreitung der Sklaverei entgegenarbeiten, 
da weder die Conftitution, noch das allgemeine Wohl die Aus- 
breitung berfelben erheifcht. Wir müffen der Wiederaufnahme 
des afrifanifchen Sklavenhandels, fowie der Erlaſſung eines 
Territorial-Sklaven-Geſetzes durch den Kongreß entgegen arbei- 
ten. Wir müffen dafür Sorge tragen, daß weder der Congreß, 
noch tie Gerichtshöfe Das Eine oder das Andere thun. Das 
Bolf der Vereinigten Staaten ift der rechtmäßige Herr über 
den Congreß und die Gerichtshöfe; ihm fteht die Befugniß 
zu, nicht fowohl die Conftitution umzuftürzen, als vielmehr die 
Männer, welche diefe Eonftitution verdrehen.” 


Im Frühling 1860 gab er den vielen vom Dften an ihn er- 
gangenen Aufforderungen nach und befchloß, dem Außerft Iebhaf- 
ten Wahlbetrieb der Republifaner in jenem Theil des Landes 
feine Hülfe angedeihen zu laffen. Er hielt daher Reden in Con- 
necticut, New Hampfhire und Rhode Island, desgleichen auch in 
der Stadt New York, und wurde allerwärts von einem Außerft 
zahlreichen Auditorium begrüßt. 

Eine der größten Reden feines Lebens war ohne Zweifel die, 
welche er am 27. Februar 1860 im Cooper Inſtitut zu New York 
hielt und zwar vor einer ungemein großen Berfammlung, die ihn 
mit enthuflaftifchen Demonftrationen bewillkommte. Wir theilen 
diefe meijterhafte Rede unverfürzt mit. Nachdem der ehrwürdige 
William Eullen Bryant, der als Vorfiter fungirte, den Redner 
mit einigen höchft fchmeichelhaften Bemerkungen den Anwefenden 
vorgeftellt hatte, begann Herr Lincoln wie folgt: 


„Herr Prafident und Mitbürger von Vew York: 


„Die Ihatfachen, die ich Ihnen diefen Abend vor Augen führen ' 
werde, find meiftens alt und wohl bekannt; auch bietet die An- 


in“ 


40° Das Leben Abraham Lincolns. 





wendung, die ich im Allgemeinen davon machen werde, nichts 
Neues dar. Wenn ih Ihnen überhaupt etwas Neues bieten 
werde, fo ift es die Art und Weife der Darftellung diefer That- 
fachen und der Schlüffe und Bemerkungen, die ich an dieſe Dar- 
ftellung zu knüpfen gevenfe. 

„Senator Douglas fagte in feiner Rede zu Columbus, Ohio, 
vorigen Herbft, wie fie die New York Times mittheilte : 


„Unfere Bäter, welche die Regierung gründeten, unter welcher 
wir leben, verftanden diefe Frage ebenfo gut und vielleicht befjer 
als wir.” 


„Ich indoffire dieſe Worte vollfommen und wähle fie als den 
Tert für diefen meinen Vortrag. Sch wähle fie, weil fie eine 
Klare und unbeftrittene Bafis liefern für die Diskuffion zwifchen 
den Republifanern und jenem Flügel der Demokratie, an deren 
Spibe Senator Douglas ſteht. Sie laffen ung nur die Trage 
übrig: „Wie verftanden jene Väter die erwähnte Frage 2 

„Was ift die Grundlage der Reung, unter welcher wir 
leben ? 

„Die Antwort ift einfach: „Die Eonftitution der Vereinigten 
Staaten. Diefe Eonftitution befteht aus dem Original, das im 
Jahre 1787 entworfen wurde und unter welchem die gegenwärtige 
Regierung zuerft in Operation trat, und zwölf fpäter hinzuge- 
fügten Amendments, wovon die zehn erften im Jahr 1789 ent- 
worfen wurden. 


„Wer aber waren die Väter, die jene Conſtitution entwarfen 2 
Ich glaube, daß die „Neun und dreißig,” welche das Driginal- 
Inftrument unterzeichneten, mit Necht die Begründer unferer 
gegenwärtigen Regierung genannt werden fünnen. Es ift faft 
buchſtäblich wahr, daß fie die Conftitution entwarfen ; vollfommen 
wahr aber ift es, daß fie die Anfichten und Gefinnungens»der 
ganzen Nation zu jener Zeit repräfentirten. Da ihre Namen den 
Meiſten wohlbefannt und Allen zugänglich find, fo va ich nicht 
nöthig, diefelben anzuführen. 

„Ich betrachte alfo diefe „Neun und dreißig“ als die Väter, 
welche die Regierung gründeten, unter welcher wir leben. 


Dor der Wation, 41 





„Das nun aber ift die Frage, welche jene Väter ebenfo gut 
und vielleicht befjer als wir verftanden ? 

„Es ift einfach dieſe: „Entzieht die Trennung der lofalen von 
der füderalen Autorität, oder irgend ein anderer Artikel der Con— 
ftitution, der Bundesregierung die Controlle über die Sklaverei 
in unfern Bundesterritorien 2” 

„Diefe Frage wird von Douglas bejaht, während die Republi- 
Taner fie verneinen. Bejahung und Verneinung bilden nun den 
Streitpunkt; diefe Frage ift es gerade, was, wie der Tert erklärt, 
unfere Bäter beffer verftanden als wir. 

„Fragen wir nun, ob jene „Neun und dreißig,“ oder irgend ein 
Einzelner von ihnen diefe Frage jemals praftifch behandelten, und 
wenn fo, wie ſie diefelbe behandelten, welchen Ausdrud fie jenem 
befjeren Berftändniß gaben. 

„Im Jahre 1784 — drei Jahre vor der Conftitution — (die 
Vereinigten Staaten eigneten damals das Nordweft-Territorium 
und fein anderes) hatte der Congreß der Conföderation die Frage 
über das Berbot der Sklaverei in jenem Territorium vor fi. 
Bier jener „Neun und dreißig,” die fpäter die Conftitution grün- 
deten, waren in jenem Congreß und flimmten über jene Frage. 
Don diefen ftimmten Roger Sherman, Thomas Mifflin und Hugh 
Williamfon für das Verbot, und zeigten dadurch, daß ihrem Ver— 
ftändniffe gemäß feine Grenzlinie, welche die lofale von der föde— 
ralen Autorität trennt, noch irgend ein anderer Grund der 
Bundesregierung die Controlle über die Sklaverei in ven Bun- 
desterritorien entzieht. Der Andere jener Biere, James MeHenry, 
ftimmte gegen dag Verbot und zeigte dadurd, Daß er es aus 
irgend einem Grunde für unangemeffen hielt, dafür zu ſtimmen. 

„sm Fahre 1787, noch immer vor der Conftitution, allein 
während die mit dem Entwurfe derfelben betraute Convention in 
Sitzung war, und während die Vereinigten Staaten aufer jenem 
Nortweft-Territorium fein anderes Territorium befaßen, fam die- 
felbe Trage hinfichtlich des Berbotes der Sklaverei in dem Terri- 
torium abermals vor den Congreß der Conföderation. Drei . 
andere Mitglieder jener „Neun und dreißig,” die fpäter die Con— 
fitution unterzeichneten, waren in jenem Congreß und fimmten 


42 Das Leben Abraham Lincolns. 





über die Frage. Dies waren William Blount, William Few und 
Abraham Baldwin, und fie Alle flimmten für das Berbot und 
zeigten dadurch, daß ihrem Verſtändniſſe gemäß feine Grenzlinie, 
die die lokale von der füderalen Autorität trennt, noch irgend 
etwas Anderes, der Bundesregierung die Controlle über die 
Sklaverei in einem Foderal-Territorium entzieht. Diefes Mal 
wurde das Verbot zum Gefeb und bildet einen Theil Defjen, was 
jest als die Drdinanz von '87 befannt ift. 

„Die Frage hinfichtlich der Föderal-Controlle über die Sklaverei 
in den Territorien fcheint den mit dem Entwurfe der Driginal- 
Conftitution Betrauten nicht direkt unterbreitet gewefen zu fein ; 
daher findet fich aucy Feine Andeutung, ob jene „Neun und dreißig“ 
oder ein Theil derfelben, während fie mit der Ausarbeitung jenes 
Inſtrumentes beſchäftigt waren, irgend eine Meinung über dieſe 
ſpezielle Frage äußerten. 

„Im Jahre 1789 paſſirte der erſte Eangrefi, welcher fich unter 
der Eonftitution organifirte, eine Akte zur Geltendmachung der 
Ordinanz von ’87, woburd die Sklaverei in dem Nordweſt⸗-Ter— 
ritorium verboten wurde. Die Bill für diefe Alte wurde durch 
einen jener „Neun und dreißig‘ angelündigt, nämlich durch Tho⸗ 
mas Fitzſimmons, damaligem Mitglied des Repräſentantenhauſes 
von Pennſylvanien. Sie paſſirte alle Grade, ohne ein Wort der 
Oppoſition, und paſſirte endlich beide Zweige ohne Ja und Nein, 
was mit einer einſtimmigen Annahme gleichbedeutend iſt. In 
dieſem Congreß ſaßen ſechszehn jener „Neun und dreißig“ Väter, 
welche die urſprüngliche Conſtitution entwarfen. Dieſe waren: 
John Langdon, Nicholas Gilman, Win. ©. Johnſon, Roger Sher— 
man, Robert Morris, Thomas Fitzſimmons, William Few, Abra— 
ham Baldwin, Rufus King, William Patterſon, George Clymer, 
Richard Baſſet, George Read, Pierce Butler, Daniel Carrol und 
James Madiſon. 

„Dies beweiſt, daß ihrem Verſtändniſſe gemäß keine Scheideli— 
nie, die die lofale von der föderalen Autorität trennt, noch irgend 
ein anderer Punkt in der Conftitution dem Kongreß die Macht 
entzieht, die Eflayerei in dem Bundes-Territorium zu verbieten; 
denn im andern Halle hätte fie ihre Grundfäglichkeit fowohl, wie 


Vor der Wation. 43 





ihr Eid, die Eonftitution zu unterftügen, zur Oppofition gegen das 
Berbot genötbigt. ' | 

„George Wafhington, ein Anderer jener „Neun und dreißig,” 
war damals Präfident der Vereinigten Staaten, und als folder 
billigte und unterzeichnete er die Bill und machte fie fomit zum 
Gefege. Hierdurch bewies er, daß feinem Berftändniffe gemäß 
feine Scheidelinie, welche die lofale von der füderalen Auto- 
rität trennt, noch irgend ein anderer Punkt in der Conftitution 
der Bundesregierung Die Controlle über die Sklaverei in einem 
Söderal-Territorium entzieht. 

„Richt lange nach der Annahme der urfprünglichen Conftitution 
cedirte Nord Carolina der Föderal-Regierung den Landftrich, der 
jest den Staat Tenneffee bildet, und einige Jahre fpäter cevirte 
Georgia Die Landftriche, welche jebt die Staaten Miffiffippi und 
Alabama ausmachen. In beiden Gefjionsurfunden wurde es 
von den cedirenden Staaten zur Bedingung gemacht, daß die 
Bundesregierung die Sklaverei in den cedirten Ländertheilen nicht 
verbieten folle, Ueberdies beftand die Sklaverei bereits in den- 
felben. Unter diefen Umftänden verbot der Congreß bei Ueber- 
nahme der Länderftriche die Sklaverei nicht abfolut. Allein felbft 
dort fand der Congreß für gut, die Controlle bis zu einem gemif- 
fen Grade auszuüben. Im Jahre 1798 organifirte der Congreß 
das Territorium Miffiffippi. In der Organiſations-Akte verbot 
er das Einführen von Sklaven in dag Territorium von irgend 
einem Lande außerhalb der Vereinigten Staaten; die Uebertre— 
tung des Berbotes follte mit Geldſtrafe gebüßt werden, und über- 
dies follten die fo eingeführten Sklaven die Freiheit erhalten. 
Diefe Akte pafjirte beive Zweige des Congreffes ohne Ja und 
Nein. In jenem Congreſſe befanden fich drei der „Neun und drei= 
Big,” welche die urſprüngliche onftitution entwarfen. Gie 
biegen: Sohn Langdon, George Read und Abraham Baldwin, 
Sie ftimmten wahrfcheinlich Alle dafür. Sicherlich hätten Diefe 
opponirt, wenn ihrem Verſtändniſſe nach eine Scheidelinie, welche 
die Iofale von der füderalen Autorität trennt, oder irgend ein an- 
derer Artikel der Eonftitution der Bundesregierung die Controlle 
über die Eflaverei in den Föderal-Territorien entzogen hätte, 


+4 Das Leben Abraham Lincolns. 





— — 


„Im Jahre 1803 kaufte die Bundesregierung den Louiſiana 
Landſtrich. Unſere früheren Territorial-Acquiſitionen kamen von 
etlichen unſerer eigenen Staaten; dieſer Louifiana Landſtrich aber 
wurde von einer fremden Nation angekauft. In 1804 gab der 
Congreß jenem Theile davon, der jetzt den Staat Louiſiana bildet, 
eine Territorial-Organiſation. New Orleans, welches in dieſem 
Theile liegt, war eine alte und verhältnißmäßig große Stadt. 
Auch andere beträchtliche Städte und Anſiedelungen fanden ſich 
daſelbſt, und die Sklaverei hatte daſelbſt längſt ſchon feſten Fuß ge— 
faßt. Der Congreß verbot in der Territorial-Akte die Sklaverei 
nicht, allein er nahm dennoch die Controlle darüber in die Hand, 
und zmar in nachdrüdlicherer und ausgedehnterer Weife, als in 
Miſſiſſippi. Die Subftanz der in Bezug auf die Sklaven getrof- 
fenen Beftimmungen war, wie folgt: 

„Erſtens, dag fein Sklave vom Ausland in das Territorium 
gebracht werden folle, 

„Zweitens, daß fein Sklave dahin gebracht werden folle, der 
feit dem erften Mai 1798 in die Vereinigten Staaten importirt 
wurde, | 
„Drittens, daß Fein Sflave dahin gebracht werden folle, aus- 
genommen durch den Eigenthümer und für feinen eigenen Gebrand) 
als Anfiedler. In allen Fällen follte der Mebertreter des Geſetzes 
einer Gelpftrafe verfallen und der Sklave in Freiheit geſetzt 
werden. 

„Diefe Akte wurde ebenfalls ohne Ja und Nein paflirt. In 
den Congreß, der diefelbe paffirte, befanden fich zwei von jenen 
„Neun und dreißig.” Diefelben waren Abraham Baldwin und 
Jonathan Dayton. Es ift wahrfcheinlich, daß Beide dafür ſtimm— 
ten, wie in dem Falle von Miffiffippi. Gewiß hätten fie ihre 
Stimmen dagegen erhoben, wenn die Bill ihrem Verſtändniſſe nach 
entweder die Orenzlinie zmwifchen der lolalen und der föderalen 
Autorität oder irgend einen Arrifel der Conftitution verlegt hätte, 

„Sm Sabre 1819—20 fam und paffirte die Mifjourisfrage. 
Viele Abftimmungen durch Ja und Nein wurden in beiden Zwei- 
gen des Eongreffes in Bezug auf die verfchiedenen Phafen der 
Frage gehalten. Zwei von den „Neun und dreißig“ — Rufus 


Vor der Nation. 45 





King und Charles Pindney — waren Mitglieder jenes Congreſſes. 
Herr King ftimmte beharrlich für das Verbot der Sklaverei und 
gegen alle Compromiffe, während Herr Pindney ebenfo behart= 
lih gegen alle Sklavereiverbote und gegen alle Compromiffe 
ftimmte, Herr King zeigte hierdurch, daß nach feinem Verſtänd— 
niffe feine Grenzlinie zwifchen der lofalen und füderalen Autorität, 
noch irgend ein anderer Artikel in der Conftitution vom Congreß 
durch ein Verbot der Sklaverei in einem Bundes-Territorium ver— 
legt würde; während Herr Pindney durch feine Stimme zeigte, 
daß nach feinem Berftändniffe hinreichende Urfache vorhanden 
wäre, um diesfalls der Prohibition zu opponiren, 

„Die hier angeführten Fälle find die einzigen Afte jener „Neun 
und dreißig,“ oder eines Theiles derſelben, die direkt auf dieſe Frage 
Bezug haben; wenigftens find es die einzigen, die ich zu entdeden 
im Stanoe war, 

„Zählen wir die Perfonen, die alfo handelten, fo finden wir im 
Ganzen ein und dreißig, nämlich: Vier im Jahre 1784, drei in 
17837, fiebzehn in 1789, drei in 1798, zwei in 1804 und zwei in 
1819—20. Damit aber wären John Langdon, Roger Sherman, 
William Tem, Rufus King und George Read je zwei Mal und 
Abraham Baldwin vier Mal gerechnet. Die wahre Anzahl der 
Mitglieder von den „Neun und dreißig,‘ die, wie ich zeigte, in diefer 
Frage, die fie dem Terte gemäß beſſer verftanden, als wir, gehan⸗ 
delt haben, beträgt drei und zwanzig; es bleiben mithin fechszehn 
übrig, die foweit befannt ift, gar feinen thätigen Antheil an der 
Sache nahmen, 

„Hier alfo haben wir drei und zwanzig von unfern „Neun und 
dreißig“ Vätern, die die Negierung gründeten, unter welcher wir 
leben, welche auf ihre offizielle VBerantwortlichkeit und ihre Eide 
bin diefelbe Frage behandelten, von welcher der Text fagt, „daß fie 
diefelben ebenfo gut und vielleicht beifer verftanden, als wir;“ und 
ein und zwanzig von ihnen—eine klare Majorität unter. den 
„Neun und dreißig, behandelten diejelbe fo, daß fie fich der gröb— 
ften Pflichtverlegung und des vorſätzlichen Meineids fchuldig 
machten, wenn ihrem Verſtändniß gemäß irgend eine Scheibelinie 
zwifchen der Iofalen und füderalen Autorität, oder irgend ein Ar- 


46 Das Leben Abrabam Lincolns. 





tifel der Konftitution, die fie felbft gemacht und zu unterftügen 
gefchworen hatten, der Bundesregierung die Controlle über die 
Sklaverei in den BundessTerritorien entzog. So handelten die 
ein und zwanzig, und wenn es wahr ift, daß Thaten lauter fprechen, 
als alle Worte, jo ſprechen Thaten unter ſolcher Berantwortlichkeit 
noch viel lauter. 

„Zwei von den drei und zwanzig fimmten gegen dag Congreß— 
verbot der Sklaverei in den Bundes-Territorien in den Fällen, in 
denen fie diefe Frage behandelten. Weshalb fie fo ftimmten, ift 
nicht befannt, Sie mochten es gethan haben, weil fie glaubten, 
daß eine Scheitelinie zwifchen der Iofalen und füderalen Autori— 
tät, oder irgend ein Artikel oder ein Prinzip der Eonftitution im 
Wege ſtünde; oder fie mochten, ohne irgend ſolche Skrupel, gegen 
die Prohibition geftimmt haben, da ihnen hinreichende Zweckmä— 
igfeitsgründe für ein folches Verfahren vorzuliegen ſchienen. 
Niemand, der die Eonftitution zu unterftügen gefchworen hat, 
fann mit gutem Gewiffen für seine Maßregel flimmen, die er für 
unconftitutionell hält, wie zweckmäßig ihm dieſelbe auch erfcheinen 
mag; allein er fann und darf gegen eine Maßregel ftimmen, die 
er für conftitutionell hält, wenn fie ihm anders unzweckmäßig 
erjcheint. Es wäre Daher unrathfam, den Zweien, die gegen die 
Prohibition ftimmten, das Motiv unterzufchieben, daß fie Dagegen 
geftimmt haben, weil ihrem Verſtändniß gemäß eine Sceidelinie 
zwifchen der Iofalen und füderalen Autorität, oder irgend ein Ar— 
tifel der Eonftitution der Bundesregierung die Eontrolle über die 
Sklaverei in Foderal-Territorien entzöge. 

„Die übrigen fechszehn von den „Neun und dreißig” haben, fo- 
weit mir bekannt, Feine Kunde ihres Verſtändniſſes der direkten 
Frage hinſichtlich der Föderal-Controlle über die Sklaverei in den 
Bundes-Territorien hinterlaffen. Wir haben indeffen Feine Urfache 
zu bezweifeln, daß ihr Verſtändniß jener Frage von dem ihrer drei 
und zwanzig Collegen abgewichen wäre, wenn fie demfelben über- 
haupt Ausprud verliehen hätten. 

„uUm mich ftrenge an den gewählten Tert zu halten, überging ich 
abjichtlich jedes Verftandnig anderer, wenn auch noch fo hervorra— 
gender Perfonen, die nicht zu den „Neun und dreißig Vätern” ges 


Vor der Wation. 47 





hörten, die die urfprüngliche Eonftitution gründeten. Aus dem— 
jelben Grunde überging ich jedes Verſtändniß, das felbft der Eine 
oder der Andere jener „Neun und dreißig‘ in Bezug auf irgend eine 
andere Phafe der Sklavereifrage im Allgemeinen haben mochte. 
Prüften wir ihre Handlungen oder Erklärung in Betreff jener an» 
dern Phafen, wie 3. B. des auswärtigen Sklavenhandels, oder der 
Moral und Politif der Sklaverei im Allgemeinen, fo würde es ung, 
glaubwürdig erfcheinen, daß in Bezug auf die Frage hinfichtlich 
der Bundes-Eontrolle über die Sklaverei in den Föderal-Territo— 
vien jene fechszehn — wenn fie überhaupt gehandelt hätten — 
wahrfcheinlich ‚genau ebenfo gehandelt haben würden, wie ihre 
drei und zwanzig Collegen. Unter jenen ſechszehn befanden fich 
mehrere der hervorragendften Antifflavegeimänner jener Periode, 
wie 3. B. Dr. Franklin, Merander Hamilton und Gouverneur 
Morris — während von feinem einzigen das Gegentheil befannt 
ist, fei e3 denn etwa von John Nutledge von Süd Carolina. 

„Die Summe des Ganzen ift alfo, dag von unfern „Neun und 
dreißig‘ Vätern, welche die urfprüngliche Conftitution gründeten, 
ein und zwanzig — eine klare Majorität der Gefammtzahl — die 
Zertfrage deutlich dahin verftanden, daß feine Scheidelinie zwifchen 
lofaler und föderaler Autorität, noch irgend ein Paragraph der 
Conftitution der Bundesregierung die Controlle über die Sklave— 
vei in den Höderal-Territorien benahm, während die Uebrigen ins— 
gefammt die Sache ebenfo verſtanden. Dergeftalt alfo war zwei- 
felsohne das Verſtändniß unferer Väter, welche die urfprüngliche 
Gonftitution gründeten, und der Text behauptet, daß fie die Frage 
beſſer verftanden, als wir. 

„So weit befprach ich das Verſtändniß dieſer Frage ſeitens der 
Gründer der urfprünglichen Conftitution. In dem Originals 
Inſtrumente war aber zugleich ein Modus vorgeſehen, um dieſelbe 
zu amendiren; und, wie ich bereits erwähnte, befteht Die gegen— 
wärtige Regierungsform, unter welcher wir leben, aus jenem Ori— 
ginal und zwölf feither adoptirten Amendments, Diejenigen nun, 
welche darauf beftehen, daß die Föderal-Controlle über die Sfla- 
verei in Ben Foderal-Territorien die Conftitution verlege, vermei- 
fen ung auf die Proyifos, die, wie fie glauben, dadurch verlegt 


48 Das Leben Abraham Lincolns. 





würden; und, wie ich verftehe, verweifen fie Alle auf die Provifos 
jener Amendments und nicht auf die des Driginal-nftrumentes. 
Das Dberbundesgericht ftügt fih im Dred Scott Falle auf das 
fünfie Amendment, welches erklärt, daß „Niemand ohne gericht- 
liches Verfahren feines Eigenthums beraubt werden folle;“ wäh— 
rend Senator Douglas und feine Parteiganger fih auf das zehnte 
Amendment ftügen, welches fagt, daß „die nicht durch die Conſti— 
tution verliehene Macht den einzelnen Staaten und dem Bolfe 
vorbehalten fein ſolle.“ 

„Zufälligerweife nun wurden diefe Amendments Durch den erften 
Congreß, der ſich unter der Eonftitution organifirte, erlaffen — dem 
iventifchen Congreß, der die bereits erwähnte Akte pafjirte, Fraft 
welcher das Verbot dee Sklaverei im Nordmweft-Territorium in’s 
Leben trat. Und nicht nur war es derfelbe Congreß, fondern es 
waren aud die identifchen Individuen, die zur felben Zeit wäh— 
rend der Sitzung diefe Amendments zur Conftitution und jene 
Akte, welche die Sklaverei in allen damals der Nation gehörigen 
Territorien verbot, in Berathung und nahezu zur Reife gebracht 
hatten, Jene Amendments zur Gonftitution wurden vor der 
Drdinanz von ’87 vorgelegt, allein nach verfelben erft pafjirt, fo 
daß, während die Alte zur Geltendmahung der Drdinanz in 
Schwebe hing, ebenfalld Die berührten Amendments unpaffirt 
blieben. 

„Jener Congreß, im Ganzen aus fehs und fiebzig Mitgliedern 
beftehend, worunter die ſchon erwähnten fechszehn Grünvder der 
urſprünglichen Conftitution, enthielt alfo vorzugsweiſe unfere 
Väter, welche den Theil der Regierung, unter welchem wir leben, 
begründeten, und von denen jebt behauptet wird, daß fie der Bun: 
desregierung die Macht entzogen hätten, die Sklaverei in den Fö— 
deral⸗Territorien zu controlliren. 

„Verräth es nicht eine ziemliche Anmaßung bei Denjenigen, 
welche heutzutage behaupten, daß die beiden Dinge, welche jener 
Congreß mit weifer Ueberlegung entwarf und zu gleicher Zeit zur 
Reife brachte, einander durchaus widerſprächen? Und wird eine 
folche Behauptung nicht unverfhämt und abfurd, wenn fie fich zu 
der meitern Behauptung aus demfelsen Munde gefellt, daß Die- 


Dor der Wation. 49 





jenigen, welche jene inconfequent fein follenden zwei Dinge begin 
gen, befjer ala wir — beſſer als der Behaupter der Sneonfequenz — 
verſtanden, ob fie wirklich inconſequent wären? 

„Wir dürfen mit Sicherheit annehmen, daß die „Neun und 
dreißig“ Gründer der urſprünglichen Conſtitution und die ſechs 
und ſiebzig Mitglieder des Congreſſes, welche die Amendments 
dazu entwarfen, zuſammen genommen Diejenigen ausmachen, die 
man wahrheitsgetreu „unſere Väter, welche die Regierung grün— 
deten, unter der wir leben,“ nennen darf. Und hiermit fordere 
ich Jeden auf, zu beweiſen, daß irgend Einer derſelben während 
ſeines ganzen Lebens erklärte, daß ſeinem Verſtändniß gemäß eine 
Scheidelinie zwiſchen der lokalen und föderalen Autorität, oder 
irgend ein Theil der Conſtitution der Födelll-Regierung die Eon= 
trolle über die Sklaverei in den Föderal-Territorien verbiete. Ich 
gehe noch einen Schritt weiter. Sch fordere Jeden auf, zu bewei— 
fen, daß irgend ein Menfch in der ganzen Welt vor dem Beginne 
des gegenwärtigen Jahrhunderts (und ich möchte faft fagen, vor 
dem Beginne der legten Hälfteves gegenwärtigen Sahrhunderts,) 
jemals behauptet hätte, daß feinem Berftändniffe gemäß eine 
Scheidelinie zwifchen der Iofalen und der föderalen Autorität, 
oder irgend ein Theil der Eonftitution, der Föderal-Regierung die 
Controlle über die Sklaverei in den Föderal-Territorien entziehe. 
Diejenigen, die dies behaupten, vermeife ich nicht nur auf „unfere 
Väter, die die Regierung gründeten, unter welcher wir leben,“ 
fondern auf alle andere Männer innerhalb des Jahrhunderts, in 
welchem diefelbe gegründet wurde; dort laßt fie fuchen, und ich 
behaupte mit Zuserficht, daß fie auch nicht einen einzigen Mann 
finden werden, deffen Anfichten mit den ihrigen übereinftimmen. 

„Doch muß ich mich hier gegen ein Mifverftändniß wahren. 
Es fommt mir nicht in den Sinn, zu behaupten, daß wir verpflich- 
tet feien, unfern Vätern auf allen ihren Schritten zu folgen 
Dies thum hieße alle Erfahrung verfchmähen, allem Fortfchritt, 
aller Verbefferung entfagen. Was ich behaupte, ift einfach das: 
Wenn wir in irgend einem Fall von den Anfichten und der Poli- 
tif unferer Väter abweichen wollen, follte es mit fo tiefer Ueber— 
zeugung, bus ſolch' Harem Argumente gefihehen, daß felbt ihre 


50 Tas Leben Abrabam Lincolns. 





große Autorität, veiflich überlegt und erwogen, dagegen nicht 
Stand halten kann; am allerwenigften aber folte es in einem 
Falle gefchehen, in welchem wir felbft zugeben müffen, daß fie die 
Frage beffer verftanden, als wir 

„Denn irgend ein Menfch heuzutage aufrichtig glaubt, daß eine 
Scheidelinie zwifchen lokaler und füderaler Autorität, oder irgend 
ein Paragraph der Konftitution, der Bundesregierung die Con— 
troße über die Sklaverei in den Bundes-Territorien entziehe, fo 
fteht ihm das Recht zu, Dies zu behaupten und feine Meinung mit 
allen wahrheitsgetreuen Gründen und Argumenten, die ihm zu 
Gebote ftehen, zu vertheidigen. Allein er hat Fein Recht, Andere 
irre zu führen, die nicht fo leicht Zugang zur Gefchichte haben, 
als er, oder weniger At, diefelbe zu fludiren. Er hat fein Recht, 
fie zu tem falfchen Glauben zu verleiten, daß „unfere Bäter, welche 
die Regierung gründeten, unter welcher wir leben,‘ derſelben An- 
ficht gemwefen feien, und auf diefe Weife Falfchheit und Trug an die 
Stelle der Wahrheit und des redlichen Argumentes zu fegen. Wenn 
irgend ein Menſch heutzutage aufritig glaubt, daß „unfere Väter, 
welche die Regierung gründeten, unter der wir leben, in andern 
Fällen Prinzipe anmendeten, durch die fie zum Verſtändniß gekom— 
men wären, daß eine Scheidelinie zwifchen lokaler und föderaler 
Autorität, oder irgend ein Theil der Conftitution, der Bundesre- 
gierung die Controlle über die Sklaverei in den Föderal-Territo— 
rien entziehe, fo hat er unbeftritten das Recht, Dies zu behaupten. 
Allein er follte zu gleicher Zeit die Verantwortlichkeit auf ſich neh— 
men und erklären, daß er ihre Prinzipe beffer verftehe, als fie ſelbſt 
fie verftanden hätten; vor Allem aber follte er fich dieſer Berant- 
wortlichkeit nicht Durch Die Angabe zu entziehen fuchen, daß „ſie 
diefe Frage ebenfo gut und vielleicht beffer verſtanden hätten, als 
wir jetzt.“ 

„Doch genug hiervon. Möchten alle Diejenigen, welche glau— 
ben, daß „unfere Väter, welche die Regierung gründeten, unter 
der wir leben, diefe Frage ebenfo gut, und vielleicht beſſer verftan- 
den, als wir,“ fprechen, wie fie fprachen und handeln, wie fie han— 
delten. Dies ift Alles, was die Republifaner verlangen, Alles, 
" was die Nepublilaner wünfchen, fo weit es fich um die Sklaverei 


Vor der Wation. 51 





handelt. Wie jene Väter fie betrachteten, fo möge fie wieder be- 
trachtet werden — als ein Uebel, das nicht ausgebreitet werben 
darf, jondern nur zu dulden und zu befchügen ift, weil und inſo— 
fern fein Beſtehen unter uns die Duldung und den Schutz zur 
Nothwendigkeit macht. Achten wir alle Garantien, die unſere 
Väter dem Inſtitut verliehen, nicht mit Groll, ſondern ehrlich und 
aufrichtig. Dies iſt es, was die Republikaner bezwecken und wo— 
mit ſie — wie ich feſt glaube — ſich begnügen werden. 

„Und jetzt möchte ich noch einige Worte an das Volk des Sü— 
dens richten, obſchon ich vermuthe, daß es dieſelben nicht zu hören 
begehrt. 

„Ich wünſchte ihm zu ſagen: Ihr haltet euch für ein vernünf— 
tiges und gerechtes Volk, und auch ich glaube, daß ihr im Allge- 
meinen an Vernunft und Gerechtigkeit feinem andern Volke nach— 
fteht. Jedoch, fommt ihr auf uns Nepublifaner zu fprechen, ſo 
ſchmäht und verwünfcht ihr ung, ald ob wir Reptilien, oder im 
beiten Falle nichts Anderes als Banditen wären. Ihr gemwähret 
dem Piraten oder Mörder ein Verhör; uns „Schwarz-Republifa- 
ner” aber verdammt ihr ungehört. Wie verfchieden eure Anfichten 
auc in andern Dingen von einander fein mögen, darin ftimmt 
ihr Alle überein, daß die unbedingte Verdammniß des „Schwarz- 
Republifanismug” die erfte aller Pflichten fei. In der That fcheint 
eine folche Berdammniß die erfte Bedingung — sine qua non — 
zu fein, um überhaupt in eure Gefellfhaft aufgenommen zu wer— 
den und das Recht zum Reden zu erhalten. 

„Könnt ihr nun dazu bewogen werden, einen Augenblid einzu- 
halten und zu überlegen, ob ein folches Benehmen gegen ung oder 
ſelbſt gegen euch gerecht fei? 

„Bringt eure Klagen und Anfchultigungen vor und gönnt ung 
Beit, diefelben zu verneinen oder zu rechtfertigen. 

„Ihr behauptet, wir feien feftionel. Wir verneinen es. Dies 
ift der Streitpunft, und euch liegt der Beweis ob, Ihr führt 
euren Beweis an; nun, welcher Art ift derfelbe? Ihr fagt, unfere 
Partei habe feinen Beftand in eurer Sektion — erhalte feine 
Stimmen in derfelben. Diefe Behauptung ift allerdings wahr, 
liefert fie aber einen Beweis in ver Sache? Gefebt, es ſei; wenn 


52 Das Leben Abraham Lincolns. 





wir nun ohne die geringfte Aenderung unferes Prinzips beginnen 
würden, in eurer Sektion Stimmen zu fammeln, fo würden wir 
damit aufhören, fektionell zu fein. Ihr könnt diefem Schluffe 
nicht ausweichen; wollt ihr euch aber demfelben fügen? Nun, 
dann werdet ihr wahrfcheinlich bald finden, dag wir aufgehört ha= 
ben, feftionell zu fein, denn wir werden in diefem Jahre noch 
Stimmen in eurer Sektion erhalten. Ihr werdet dann klar und 
deutlich fehen, daß euer Beweis nicht ftichhaltig if. Daß wir in 
eurer Sektion feine Stimmen erhalten, daran feid ihr Schuld und 
nicht wir. Und wenn ein Unrecht in der Sache ift, ſo ift es auf 
eurer Seite und bleibt eg, bis ihr bemweift, dag wir mit einem 
fchlechten Prinzip oder mit ſchlechten Handlungen euch zurüds 
ichreden. Wenn wir euch nun durch ein fchlechtes Prinzip oder 
durch Schlechte Handlungen zurüdjchreden, fo ift die Schuld unfer; 
dies aber bringt ung zu dem Punkt, von dem ihr hättet ausgehen 
follen — zu einer Diseufjion über das Recht oder Unrecht unferes 
Prinzips. Wenn unfer Prinzip, in Anwendung gebracht, eure 
Seltion zum Bortheil der unfrigen, oder für irgend einen andern 
Gegenftand beeinträchtigt, dann ift unfer Prinzip, und wir damit, 
jeftionell, und ihr habt ein gutes Recht, demfelben mit all’ euren 
Kräften zu opponiren. Argumentirt Daher mit ung die Frage, ob 
unfer Prinzip, wenn in Anwendung gebracht, das eurige beein- 
trächtige; und argumentirt fo, daß au ung die Sprache unver- 
fürzt bleibt. Nehmt ihr die Herausforderung an? Nicht? Nun, 
dann glaubt ihr wirklich, daß das Prinzip, welches unfere Väter, 
die die Regierung gründeten, unter welcher wir leben, für fo ge» 
recht hielten, daß fie e8 adoptirten und zu wiederholten Malen 
unter ihren offiziellen Eiden indoffirten, in der That fo unrecht 
fei, daß ihr es ohne Weiteres geradezu verdammen Dürftet. 
„Einige unter euch machten fich ein Vergnügen daraus, ung 
unabläffig die Warnung vor feltionellen Parteien, die ung Wafh- 
ington in feiner Abfchiedsadreffe hinterließ, vor Augen zu halten. 
Weniger als acht Jahre, ehe Wafhington diefe Warnung nie- 
derfchrieb, hatte, er als Präfident der Vereinigten Staaten eine 
Congreßakte hinfichtlich des Verbotes der Sklaverei in dem Nord— 
weit-Territorium gutgeheigen und unterzeichnet. Jene Alte ent- 


Dor der Yation. 53 





hielt die Politif der Regierung über diefen Gegenftand von An— 
fang an bis zu dem Augenblid, in welchem Wafhington diefe 
Warnung niederfährieb. Etwa ein Jahr, nachdem er fie erlaſſen 
hatte, drüdte er fich in einem Briefe an Lafayette dahin aus, daß 
er jene Prohibition als eine weife Mafregel betrachte, und hoffe, 
daß wir dereinft eine Conföderation freier Staaten fein möchten. 

„Denn wir dies vor Augen halten und bedenken, daß feither 
der Sektionalismus über diefen felben Gegenftand entitand, ift 
dann diefe Warnung eine Waffe in euren Händen gegen ung, 
oder eine Waffe in unfern Händen gegen euh? Wenn Wafhing- 
ton heute felbft fprechen fünnte, würde er den Vorwurf des Sek— 
tionalismug ung machen, die feine Politik befolgen, oder euch, die 
ihr diefelbe repudiirt? Wir achten jene Warnung Vafhington’s, 
und wir empfehlen fie euch zur Beachtung, fowie auch fein eige- 
nes Beiſpiel zur richtigen Anwendung derjelben, 

„Allein ihr fagt, ihr wäret confervatio — höchſt conſervativ — 
während ihr ung revolutionär, deſtruktiv und weiß der Himmel 
was noch fonft nennt. Was ift der Confervatismus? Iſt es 
nicht die Anhänglichkeit an das Alte und Erprobte gegen das 
Neue und Nichterprobte? Wir halten uns an, und kämpfen für 
Die identifche alte Politif in Bezug auf diefen Punkt; die Politik, 
die durch unfere Väter adoptirt wurde, welche die Regierung 
gründeten, unter welcher wir leben; während ihr einftimmig diefe 
alte Politik Höhnt, vermerft, auf fie fpeit und an deren Stelle eine 
neue feßen wollt. Es ift wahr, ihr feid unter euch feldft nicht 
darüber einig, was ihr für diefelbe fubftituiren wollt. Ihr habt 
eine beträchtliche Anzahl neuer Propofitionen und Pläne; allein 
im Berwerfen und Schmähen der alten Politik der Väter feid ihr 
einig. Einige von euch wünſchen den auswärtigen Sklaven— 
handel wieder ins Leben zu rufen; einige wünfchen ein congref- 
fionelles Sflavengejeb für die Territorien; einige wollen den 
Territorien die Macht rauben, die Sklaverei innerhalb ihrer 
Grenzen zu verbieten ; einige find dafür, daß das Oberbundesge- 
richt Die Sklaverei in den Territorien aufrecht erhalte; einige 
find für das „große Prinzip,” daß, „wenn ein Mann den andern 
zum Sklaven zu machen wünfche, Fein Dritter das Recht habe, ihn 


54 Das Leben Abraham Lincolns. 





daran zu verhindern,“ was man phantaftifchermweife „Volksſou— 
veränität” genannt hatz Keiner unter euch war aber je zu Gun= 
ften eines Föderal-Verbotes der Sklaverei in den Bundesterritg- 
rien nad) der Auffaffung der Väter, welche die Regierung grün— 
beten, unter welcher wir leben. Nicht für einen einzigen von all’ 
euren verfchiedenen Plänen könnt ihr einen Präcedenzfall in dem 
Jahrhunderte aufweifen, in welchem unfere Regierung gegründet 
wurde. Bedenket denn, ob euer Anſpruch auf Conſervatismus 
für euch felbft, fowie die Beſchuldigung veftruftiver Tendenzen 
unferfeits auf fiherer Grundlage beruhen. 

„Weiter fagt ihr, wir hätten die Sklavereifrage prominenter 

gemacht als fie je gewefen. Wir leugnen dies. Wir geben zu, 
daß diefelbe prominenter ift, allein wir ftellen poſitiv in Abrede, 
daß wir fie prominenter gemadt. Nicht wir gingen von der - 
alten Politif der Väter ab, fondern ihr. Wir widerftrebten 
ftet3 und widerftreben heute noch euren Neuerungen, und daher 
eben kommt die größere Prominenz der Frage, Wollt ihr die 
Frage auf ihre alten Proportionen zurüdführen? Gut, fo kehrt 
zu der alten Politif zurüd. Was da war, wird unter gleichen 
Bedingungen wieder fein, Wünſcht ihr euch den Frieden alter 
Zeiten zurüd, fo adoptirt wiederum die Vorfchriften und die Po- 
litif jener Zeit. 
„Ihr befchuldigt und, dag wir eure Sklaven zum Aufftand 
verleiten. Wir leugnen es. Wo ift euer Beweis? Harper's 
Ferry! Hohn Brown! Sohn Brown war fein Republikaner, 
und es gelang euch nicht, auch nur einen einzigen Republikaner 
in feinem Harper’s Ferry= Unternehmen zu impliziren. War 
irgend ein Glied unferer Partei im jener Angelegenheit ver- 
wicdelt, jo wiſſet ihr es, oder ihr wiſſet es nicht. Wiffet ihr es, fo 
ift esnicht zu entfchuldigen, dag ihr den Mann nicht nennt und 
die Thatſache beweiſet. Wiſſet ihr es aber nicht, fo bleibt die Be— 
hauptung ohne Entſchuldigung, befonders wenn ihr darauf be= 
harret, nachdem es euch mißlungen, den Beweis dafür zu liefern. 
Ich brauche euch wohl kaum zu fagen, daß das Beharren auf 
einer Befchuldigung, die man für unwahr erfannt hat, einfach 
zur böswilligen Verläumdung wird, 


Dor der Nation. 95 





„Einige von euch geben zu, daß Fein Republikaner abfichtlich 
die Harper’s Ferry Angelegenheit unterftüste oder ermuthigte; 
dennoch aber beftehen fie darauf, daß unfere Doftrinen und Er— 
Härungen nothwendigerweife zu ſolchen Refultaten führen müß— 
ten. Wir glauben es nicht, Wir mwiffen, daß wir feine Doftrine 
begen, feine Erklärung geben, die nicht ſchon von unfern Vätern, 
welche die Regierung gründeten, unter der wir leben, gehegt und 
gegeben wurden. Ihr fommt ung in diefer Angelegenheit nie 
offen entgegen. So oft die Frage angeregt wurde, war irgent 
eine wichtige Staatswahl vor der Thür, und ihr frohlodtet in 
dem Glauben, daß ihr in der Wahl einen Bortheil erringen fünn- 
tet, wenn ihr ung mit Befchuldigungen überhäuftet. Die Wahl 
fam, eure Erwartungen aber wurden nicht ganz erfüllt. Jeder 
Republifaner wußte, daß eure Beihuldigung eine Verläumdung 
war, wenigſtens ſoweit fie ihn ſelbſt anging, und ficherlich machte 
ihn dies nicht fehr geneigt, feine Stimme zu euren Gunſten ab— 
zugeben. Republikaniſche Doktrinen und Erllärungen waren 
ftet3 von einem Proteft gegen alle Einmifhung in eure Sklaven— 
Angelegenheiten begleitet. Dies war ficherlich nicht geeignet, fie 
zum Aufftand zu verleiten. Es ift wahr, wir erklären in Ge— 
meinfchaft mit unfern Bätern, welche die Regierung gründeten, 
unter mwelcher wir leben, daß unferer Heberzeugung gemäß die 
Sklaverei ein Unrecht ſei; allein die Sklaven hören nicht einmal 
diefe unfere Erklärung. Wir thun Nichts, was die Sklaven auch 
nur von der Eriftenz der republifanischen Partei in Kenntniß 
ſetzen könnte. Ich glaube, daß fie im Allgemeinen gar nichts 
davon wüßten, wenn ihr nicht ftets in ihrer Anmwefenheit ung 
fhmähtet. In euren politifchen Zänfereien unter euch felbft be— 
fhuldigt jede Faktion die andere der Sympathie mit den Schwarz> 
Nepublifanern; und um der Befchuldigung Gewicht zu geben, 
wird der Schwarz-Republifanismus als gleichbedeutend mit In— 
furreftion und Empörung unter den Sklaven dargeftellt. 

„Sflavenaufftände find heutzutage nicht häufiger, als fie vor 
der Organifation der republifanifchen Partei waren. Was ver- 
anlafte vor acht und zwanzig Jahren die Southampton Infur- 
rektion, welche mindefteng dreimal mehr Menfchenleben foftete, ale 


56 Das Leben Abraham Zincolns. 





die Harper’s Terry Affaire? Selbſt eure höchſt elaftifche Phantaſie 
wird ſich kaum zu dem Schluffe verfteigen, daß der Southampton« 
Aufſtand den Schwarz-Republifanern in die Schuhe zu fchieben 
fei. Bei dem gegenwärtigen Zuftand der Dinge in den Bereinig- 
ten Staaten glaube ich nicht an die Möglichkeit eines allgemeinen, 
oder auch nur eines ziemlich ausgedehnten Sklavenaufſtandes. 
Die hierzu unerläßlihe Einheit der Handlung fann nicht ing 
Spiel fommen. Die Sklaven befigen feine rafchen Communica- 
tiongmittel; noch können aufrühreriiche Freie, Schwarze oder 
Weiße, diefelben befchaffen. Das Zündmaterial ift allerdings 
überall vorhanden; allein die nöthigen Verbindungsketten fehlen. 

„Das ſüdliche Volk fpricht gerne von der Anhänglichkeit der 
Sklaven an ihre Gebieter und Gebieterinnen, und ich gebe zu, 
daß viel Wahres daran ift. Eine Berfhwörung zum Aufftand 
könnte kaum zwanzig Individuen mitgetheilt werden, ohne daß 
eine Perſon diejelbe verriethe, um das Leben eines Lieblingsherren 
oder einer Lieblingsherrin zu retten, Dies ift Die Regel, und die 
Sflavenrevolution zu Hayti war feine Ausnahme davon, fondern 
nur ein Fall, der fih unter fehr eigenthümlichen Umftänden zu= 
trug. Die Pulververfhwörung in der brittifhen Gefchichte Hatte 
zwar nichts mit Sklaverei zu thun, paßt aber beffer zu einem Ver— 
gleih. In jenem Fall waren nur etwa zwanzig in das Geheim- 
niß eingeweiht, und doch verrieth einer dafjelbe einem Freund, den 
er zu retten wünfchte, und auf dieſe Weife wurde die Kataftrophe 
abgewendet. Gelegentlihe Vergiftungen, offene oder heimliche 
Ermordungen auf dem Felde, oder Lofalrevolten, bei denen viel- 
leicht einige Dugend Neger betheiligt find, werden wohl als die 
natürlichen Refultate der Sklaverei auch Fünftighin vorkommen ; 
allein feine allgemeine Sklaven-Inſurrektion kann meiner Anficht 
nah in diefem Lande ftattfinden. Diejenigen, welche in diefer 
Beziehung, allzuviel befürchten, werden fich eben fo fehr getäufcht 
finden wie Diejenigen, welche allzuviel hoffen. 

„on den Worten Sefferfong, die vor vielen Jahren ſchon ge— 
äußert wurden, „ift es noch immer in unferer Macht, ven Prozeß 
der Emaneipation und Deportation friedlich und ftufenmeife zu 
reguliren, jo daß das Hebel allmälig und unbemerklih abnimmt; 


Dor dcr Wation. 57 





die Stelle der Sklaven würde dann, pari passu, durch freie, weiße 
Arbeiter eingenommen werden, Wenn aber die Emancipation 
gewaltjam heraufbefhworen wird, jo mag die menjchliche Natur 
vor dem Profpekte ſchaudern.“ 

„Herr Jefferſon fagte nicht, noch fage ich, Daß die Bundes- 
regierung die Macht zur Emancipation habe, Er ſprach von 
Virginien, und in Bezug auf die Macht zur Emaneipation fpreche 
ich von den Sflavenftaaten nur. 

„Die Bundesregierung hat indeffen das Recht, die Ausbreitung 
des Inſtituts zu verhindern — das Recht, dafür zu forgen, daß 
feine Sklaven-Inſurrektion jemals auf amerifanifchem Boden, der 
jest frei von Sklaverei ift, ftattfinde. 

„Sohn Brown's Verſuch war eigenthümlicher Art. Es war 
fein Sflaven-Aufftand. Es war ein Berfuch, den weiße Männer 
machten, eine Revolte unter den Sklaven anzuregen, und die 
Sklaven weigerten fih, daran Theil zu nehmen. Und in der 
Ihat war der Plan fo abfurd, daß die Sklaven trotz all’ ihrer 
Ignoranz deutlich einfahen, daß derſelbe nicht gelingen konnte. 
Jene Affaire entfpricht in ihrer Philofophie den vielen in der 
Gefchichte erwähnten Verfuchen, Könige und Kaifer zu ermorden. 
Ein Enthufiaft brütet über die Unterdrüdung eines Bolfes nach, 
big er fich einbildet, vom Himmel zur Befreiung deffelben erforen 
zu fein. Er wagt den Verſuch, der denn mit feiner Hinrichtung 
endigt. Orſini's Mordanfchlag auf Louis Napoleon und John 
Brown’s Angriff auf Harper’s Ferry glichen fich in ihrer Philo- 
fophie auf das Haar. Auch wird die Aehnlichkeit der beiden Fälle 
dadurch nicht gehoben, daß man im einen Fall dem alten Eng- 
land, im andern Neu-England die Schuld aufzubürden fuchte, 

„Und was würde es euch helfen, wenn ihr vermittelft John 
Brown, Helper’s Buch und dergleichen die republifanifche Orga— 
nifation auflöfen könntet? Menfchlihe Handlungen laffen fich 
big zu einem gewiffen Grade modifiziren, die menfchliche Natur 
aber Laßt fich nicht ändern. Es liegt ein Urtheil und eine Ge— 
finnung gegen die Sklaverei in diefer Nation, die fi) durch min— 
deſtene anderthalb Millionen Stimmen Ausdrud verfchaffen. 
Ihr vermögt diefes Urtheil, dieſe Gefinnung nicht zu zerftören, 


53 Des Leben Abrabam Lincolns. 





indem ihr die politifche Organifation fprengt, die ſich um diefel- 
ben fchaart. Ihr vermöget wohl faum eine Armee zu zerftreuen, 
die fich in der Fronte vor euren tödtlichften Batterien in Schlacht- 
ordnung formirt hatz doch gefeßt, ihr vermüchtet es, was hättet 
ihr dadurch gewonnen, daß ihr die Gefinnungen, die diefe Armeen 
ins Leben riefen, aus dem friedlichen Kanal des Stimmfajtens in 
irgend einen andern Kanal lenktet? Und was würde diefer an— 
dere Kanal wahrfcheinlich fein? Würde die Anzahl der John 
Browns durch die Operation vermehrt oder vermindert werden ? 

„Alein ihr fagt, ihr wolltet eher die Union zertrümmern, als 
euch einer Bermweigerung eurer conftitutionellen Rechte fügen. 

„Diefe Worte Klingen hart; doch würden fie bedeutend gemil- 
dert, wenn nicht völlig gerechtfertigt werden, verfuchten wir durch 
bloße Heberzahl euch der Rechte zu berauben, die euch durch die 
Conftitution garantirt find. Allein wir führen nichts Derartiges 
im Schilde. 

„Wenn ihr diefe Erklärungen abgebt, macht ihr eine fpezififche 
und mwohlverftandene Anfpielung auf euer angebliches conftitu= 
tionelles Recht, eure Sklaven nach den Bundesterritorien zu 
bringen und fie dort als Eigenthum zu halten; allein kein folches 
Recht hat die Eonftitution fpeziftfch befchrieben. Jenes Juftrus 
ment ſchweigt ganzlich in Bezug auf ein foldyes Recht. Wir da— 
gegen leugnen, daß ein ſolches Recht in der Conftitution auch 
nur angedeutet fei. 

„Eure Abfiht denn reduzirt fich einfach darauf, daß ihr die 
Regierung zerirümmern wollt, wenn man euch nicht geftattet, in 
allen ftreitigen Punkten die Eonftitution nach eurem eigenen . 
Sinne auszulegen und in Anwendung zu bringen, Ihr wollt 
herrſchen oder zertrümmern, fomme was da wolle, 

„Dies tft der Sinn eurer Sprache. Vielleicht werdet ihr fagen, 
das Dberbundesgericht habe die beftrittene Frage zu euren Gun— 
ften entfchieden. Nicht ganz jo. Abgefehen von dem Unter- 
fehtede, den ein Advokat zwifchen einem Diktum und einer Ent- 
fcheidung (deeision) macht, will ich zugeben, daß das Gericht die 
Trage in einem gewiffen Sinne für euch entfchieden habe, Das 
Gericht bat thatfächlich entſchieden, daß es euer conſtitutionelles 


Vor der Nation. Bi 59 





Recht jet, eure Sklaven in die Bundesterritorien: zu bringen und 
fie dort als Eigenthbum zu halten. 

„Denn ich fage, die Entfcheidung fei in einem gewiffen Sinne 
gegeben worden, fo meine ich damit, daß fie von einem getheilten 
Gerichte, durch eine knappe Majorität der Richter gegeben worden 
fei, und daß felbft diefe nicht ganz in ihren Gründen mit einander 
übereinftimmten; daß fie fo abgegeben ward, daß felbit ihre offe- 
nen Anhänger fich nicht über den wahren Sinn derfelben zu ver> 
ftändigen vermögen, und daß fie hauptfächlich auf einer irrthüm- 
lichen Angabe bafirt ift — auf der Angabe, dag „das Eigenthums— 
recht in Sklaven deutlih und ausdrüdlich in der Conftitution 
angegeben fei.“ 

„Ein Blid auf die Conftitution zeigt uns Dagegen, taß das 
Eigenthumsrecht in Sklaven darin nicht deutlich und ausdrücklich 
angegeben if. Man beachte wohl, dag die Richter ihre richters 
liche Anficht nicht dahin abgeben, daß ein ſolches Recht an de u— 
tungsmweife durch die Conftitution ausgedrückt ſei; fondern fie 
geben uns ihre Wahrheitsliebe zum Pfande, daß dafjelbedarin 
deutlich und ausdrücklich angegeben fei :— „deutlich,“ dag 
heißt, nicht mit andern Dingen vermifcht — „ausdrüdlich,” das 
heißt, in Worten, die gerade das bedeuten, ohne die Hülfe irgend 
eines Schluffes, und Feine andere Deutung zulaffend. 

„Denn fie nur ihre richterliche Anficht verpfändet hätten, daß 
ein folches Recht in der Conftitution andeutungsmweife aug- 
gedrückt fei, fo vermöchten Andere zu zeigen, daß in der Conſtitu— 
tion weder das Wort „Sklave,“ noch „Sklaverei“ zu finden ift, 
ja nicht einmal das Wort „Eigenthum“ in irgend einer Berbin- 
bindung mit den Dingen Sklave und Sklaverei, und daß überall, 
wo im Inftrumente auf den Sklaven angefpielt wird, derfelbe 
eine „Perfon” genannt iftz und wo das Inſtrument auf feines 
Meifters gefegliches Anrecht auf ihn anfpielt, die Phrafen „ſchul— 
diger Dienjt oder fehuldige Arbeit,“ fowie auch „eine Schuld, 
zahlbar mit Dienft oder Arbeit“ gebraucht werden. Ebenſo ließe 
es fidy zeigen, Daß dieſe Art, auf die Sklaven oder Sklaverei an- 
zufpielen, anftatt son ihnen zu fprechen, abfichtlich angewandt 
wurde, um die Idee aus der Conftitution ferne zu halten, daß es 
ein menſchliches Eigenthum geben könne. 


60 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Es wäre ein Leichtes, Alles dies zu bemweijen. 

„Wenn diefer augenfcheinliche Irrthum der Nichter zu ihrer 
Kenntniß gebracht werden wird, ift es dann nicht billig zu erwarten, 
daf fie die irrthümliche Angabe zurüdnehmen und die darauf bafir- 
ten Schlüffe einer neuen Betrachtung unterwerfen werben ? 

„Und dann ift nicht zu vergeffen, daß „unfere Väter, welche die 
Regierung gründeten, unter welcher wir leben,’ — die Männer, 
welche die Eonftitution machten, diefe Conftitution vor langer Zeit 
fchon zu unfern Gunften entfchieden — fie ohne Widerfpruc un— 
ter fich ſelbſt entſchieden; ohne Widerfprud unter fich ſelbſt in 
Bezug auf die Bedeutung, und, ſoweit und irgend ein Zeugniß 
aus jener Zeit verbleibt, ohne die Entfcheidung auf eine irrthüm— 
liche Darlegung der Thatfachen zu bafiren. 

„Haltet ihr euch unter all? diefen Umftänden wirklich für gerecht- 
fertigt, diefe Regierung zu zertrummern, wenn die Nation fich 
nicht eine ſolche vichterliche Entſcheidung, wie die eurige, zur end- 
giltigen Vorſchrift in allen politifhen Handlungen gefallen läßt? 

„Aber ihr wollt euch der Erwählung eines republifanijchen 
Präfiventen nicht fügen. In diefem Falle, fagt ihr, wollt ihr die 
Union zerftören, und dann — fagt ihr ferner — fällt die Schuld 
des großen Verbrechens auf uns. 

„Das iſt kühl. Ein Straßenräuber hält mir das Piſtol an's 
Ohr und murmelt zwiſchen den Zähnen: „Das Geld her, oder Bi 
tödte dich, und dann bift du ein Mörder !” 

„Was der Räuber von mir verlangte — mein Geld — war 
mein eigen; ich hatte ein unbeftrittenes Necht, es zu behalten; 
allein es war nicht mehr mein eigen, als meine Wahlftimme mein 
eigen ift, und eine Drohung, mich zu tödten, um mir mein Gelv 
zu entreißen, und eine Drohung, die Union zu zertrummern, um 
mich meiner Stimme zu berauben, bafiren fi auf das nämliche 
Prinzip. | 

„Noch einige Worte an die Republikaner. Es ift äußerſt wün— 
ſchenswerth, daß alle Theile diefer großen Conföderation in Friede 
und Eintracht mit einander leben. Laßt-uns Republikaner uns 
fern Theil dazu beitragen, Obſchon wir ftarf provozirt werden, 
laßt uns Nichts in der Leidenfchaft und Gersiztheit thun, 


Vor der Nation. 61 





Obſchon die Südländer uns nicht einmal anhören wollen, laßt 
ung ihre Forderungen ruhig überlegen und ihnen nachgeben, wo 
nur unfere Pflicht es ung geftattet. Laßt ung genau prüfen, was 
fie befriedigen mag, indem wir Alles wohl in Erwägung ziehen, 
was fie fügen und thun. 

„Werden fie befriedigt fein, wenn wir ihnen die Territorien un- 
bedingt überlaffen? Wir wiffen, daß fie fih nicht damit begnügen 
werden, In al’ ihren gegenwärtigen Klagen gegen ung wird 
der Territorien faum erwähnt. Invaſion und Infurreftion find 
jest auf dem Tapet. Wird e3 fie befriedigen, wenn wir in der 
Zukunft Nichts mit Invafionen und Inſurrektionen zu thun 
haben, Wir wilfen, daß fie fich Damit nicht zufrieden geben wer— 
den. Wir wiffen es, weil wir wifjen, daß wir nie Etwas mit In— 
safionen und Inſurrektionen zu thun hatten; dennoch erimirt 
uns diefe Enthaltfamfeit nicht von Befhuldigungen und Anklagen, 

„Ih komme daher wiederum zu der Frage: Was wird fie be- 
friedigen? Einfach dies: Wir müffen fie nicht nur unbeläftigt 
laffen, fondern wir müffen fie auf irgend eine Art überzeugen, 
daß wir fie unbeläftigt lafjen, Dies ift, wie wir aus Erfahrung 
wiffen, Feine leichte Aufgabe. Wir haben fie vom Anfang unferer 
Drganifation davon zu überzeugen gefucht, jedoch ohne Erfolg. 
In unfern ſämmtlichen Platformen und Reden haben wir beftän- 
dig unfere Abficht erklärt, fie unbeläftigt zu laffen, doch Alles um— 
fonft. Ebenfo wenig vermochten fie, fi durch die Thatfache zu 
überzeugen, daß fie niemals ein Mitglied unferer Partei bei dem 
Berfuche ertappten, fie zu beläftigen. 

„Nachdem diefe natürlichen und anfcheinend hinreichenden Mit- 
tel insgefammt fehljchlugen, fo fommt die Frage wiederum: Was 
vermag fie zu überzeugen? Dies und dies allein: Hört auf, die 
Sklaverei ein Unrecht zu nennen, und nennt fie mit ihnen ein 
Recht. Und dies muß gründlich gethan werden — mit Thaten 
ſowohl, wie mit Worten. Unfer Schweigen wird nicht geduldet 
werden, wir müjfen ung ihnen offen und rückhaltlos anfchließen. 
Douglas’ neues Seditionsgeſetz (welches alle Erklärungen, daß 
die Sklaverei ein Unrecht fei, ob num in der Politik, in der Preffe, 
auf der Kanzel, oder im Privatleben abgegeben, unterdrüdt,) muß 


62 Das Leben Abraham Lincolns. 





paflirt und zur Ausführung gebracht werden. Wir müffen mit un» 
begrenztem Vergnügen ihre flüchtigen Sklaven verhaften und ihnen 
zurüdliefern. Wir müffen unfere Freiftaats-Conftitutionen auf- 
geben. Die ganze Atmofphäre muß von allem Dunft von Oppo— 
fition gegen die Sklaverei gereinigt werden, ehe fie den Glauben 
fahren lajfen werden, daß wir die Urheber aller ihrer Anfechtun- 
gen find. 

„Wohl weiß ich, daß fie ihre Sache nicht genau auf diefe Weife 
angeben, Die Meiften von ihnen würden mwahrfcheinlich fagen: 
„Laßt ung allein, thut ung Nichts, und ſchwatzt fo viel ihr wollt 
über die Sklaverei,” Doc wir laffen fie ja allein; wir haben fie 
nie beläftigt — fomit ift es lediglich, mas wir fagen, worüber fie 
mißvergnügt find. Sie werden fortfahren, uns des Handelns zu 
befchuldigen, bis wir mit dem Reden aufhören, 

„Sch weiß ebenfo gut, daß ſie bis jegt den Umfturz unferer Frei- 
ftaaten-Conftitutionen noch nicht verlangt haben. Allein dieſe 
Eonftitutionen erklären das Unrecht der Sklaverei mit ftärferen 
Ausprüden, als alle andern Reden; und wenn alle diefe andern 
Reden zum Schweigen gebracht find, fo werben fie den Umfturz die— 
fer Conftitutionen begehren, und was bleibt uns alsdann noch 
übrig? Es hat wenig zu bedeuten, daß fie das Ganze nicht jebt 
fhon verlangen. Wenn wir überlegen, was fie jet ſchon verlan- 
gen, und aus welchem Grunde fie es verlangen, fo müffen wir die 
Veberzeugung gewinnen, daß fie nie einhalten werden, bis fie am 
Biel ihrer Wünfce find. Da fie die Sklaverei für ein moralifches 
Recht und für ein fociales Bildungsmittel halten, fo können fie nicht 
aufhören, eine volle nationale Anerfennung für dieſes „gefeßliche 
Necht und diefen focialen Segen” zu verlangen. 

„Auch können wir uns diefem Verlangen auf feinen Grund hin 
rechtmäßig miderfegen, fei e8 denn auf unfere Heberzeugung, daß 
die Sklaverei ein Unrecht iſt. Iſt die Sklaverei recht, fo find alle 
Worte, Ihaten, Gefete und Eonftitutionen in ſich felbft ein Unrecht, 
das gründlich ausgerottet werden follte. Iſt die Sklaverei recht, ſo 
Dürfen wir ung ihrer Nationalität, ihrer Univerfalität nicht wider— 
ſetzen; ift fie unrecht, fo dürfen die Vertheidiger derfelben ihrer Aus— 
dehnung nicht das Wort reden, Wir könnten ung al’ ihrem Ver— 


Vor der Wation. 63 





langen bereitwillig fügen, wenn wir die Sklaverei für recht hielten; 
fie könnten fich mit gleicher Bereitwilligfeit unferm Berlangen fügen, 
wenn fie dieſelbe für unrecht hielten, Sie halten vdiefelbe für recht 
und wir halten fie für unrecht, und auf dieſer Thatfache beruht der 
ganze Streit. Da fie das Inftitut für recht halten, fo können wir 
fie nicht tadeln, daß fie volle Anerkennung dafür verlangen; fünnen 
wir ung aber ihrem Berlangen fügen, da wir es für unrecht halten? 
Können wir unfere Stimmen zu Öunften ihrer Anficht und der 
unfrigen zuwider abgeben? Können wir dies angefichts unferer 
moralijchen, foeialen und politifchen Berantwortlichkeit thun? 

„Dir halten die Sklaverei für ein Unrecht; dennoch geziemt es 
ung, diefelbe unbeläftigt zu laffen, wo fie befteht, weil fie nun ein— 
mal in der Nation vorhanden iſt; Dürfen wir aber, während unfere 
Stimmen es verhindern können, geftatten, daß fie fih in die Natio— 
nal-Territorien eindränge und am Ende gar über die freien Staa- 
ten verbreite? | 

„Denn unfer Pflichtgefühl uns dies verbietet, fo laßt ung furdht- 
los und ftandhaft unfere Pflicht erfüllen, Laffen wir ung durch 
feine jener fophijtiichen Machinationen übertölpeln, womit man ung 
beftändig zu umgarnen fucht — Machinationen, wie z. B. das Aus— 
heden irgend einer Mittelftraße zwifchen Recht und Unrecht; ebenfo 
leicht vermöchten wir einen Menfchen zu finden, der weder lebenvig, 
noch todt iſt; — Machinationen, wie die „Öleichgültigkeitspolitif 
in einer Frage, die feinem rechtfchaffenen Manne gleichgültig iſt; — 
Macinationen, wie Unionsaufrufe an treue Unionsmänner, den 
Disunitoniften nachzugeben, mit andern Worten, die Verkehrung 
der Regel Gottes, und ſtatt der Sünder die Gerechten zur Buße 
aufzufordern; — Machinationen, wie die Berufung auf Wafhing- 
ton, darin das Volk aufgefordert wird, dem Reden und Handeln 
Waſhington's zuwider zu handeln. 

„Roc laffen wir uns durch Verleumdungen und falfche Befchul- 
digungen von unferer Pflicht abbringenz; ebenfo wenig durch Nro- 
bungen, daß diefe Regierung zerftört und wir felbft unferer Freiheit 
beraubt werden follten, Laßt ung dem Rechte vertrauen und in 
diejem unjere Stärke fuchen ; und alfo vertrauend laßt ung bis zum 
Ende unfere Pflicht erfüllen, wie wir fie verſtehen.“ 


64 Das Leben Abraham Oincolns. 





Während diefes Befuches zu New York ereignete fich die folgende 
feine Epijode, die ung von einem Lehrer an dem Five Points In— 
duftriehaus in jener Stadt mitgetheilt wurde: 


‚„Unfere Sonntagefchule in den Five Points war eines Sonntag 
Morgens vor etlichen Monaten serfammelt, als ein großer Mann 
von merfwürdigem Ausfehen hereintrat und einen Gig unter ung 
“ einnahm. Er folgte unfern Uebungen mit gefpannter Aufmerkfam- 
feit, und der Ausdrud feines Gefichtes verrieth ein ſolches Intereſſe, 
daß ich mich ihm näherte und ihn frug, ob er vielleicht einige Morte 
an die Kinder richten wollte. Er nahm die Einladung mit augen- 
ſcheinlichem Vergnügen an, trat vor und hielt eine einfache Anrede, 
die jedem Heinen Zuhörer tief zu Herzen ging. Das tiefite Schwei- 
gen herrfchte im Zimmer, während er redete. Seine Sprache mar 
vol wunderbarer Schönheit und voll des tiefften Gefühles. Die 
Kleinen Gefichter um ihn her nahmen einen traurigen Ausdrud an, 
wenn Worte der Warnung von feinen Lippen ftrömten, und erhei- 
terten fich zum hellſten Sonnenfchein, wenn er tröftende, aufmun— 
ternde Bemerkungen machte. in oder zwei Mal verfuchte er feine 
Rede zu ſchließen, allein der Beifallruf und die Bitten der Kleinen 
bewegten ihn, diefelbe fortzufegen. Als ich auf die hagere, fehnige 
Geſtalt des Fremden blidte und den merkwürdigen Kopf und die 
entjchloffenen Gefichtszüge betrachtete, die durch die Feierlichkeit des 
Augenblids einen weichen Ausdruck erhalten hatten, fühlte icy eine 
unmwiderftehliche Neugierde, zu erfahren, wer dies wäre, und als er 
fich ruhig anfchidte, das Zimmer zu verlaffen, bat ich ihn um feinen 
Namen. Er antwortete höflich: „Abraham Lincoln von Illinois.“ 


Viertes Kapitel, 
Wird zum Präfidenten nominirt und erwählt. 


Die republikanifche National-Convention — Die demokratifche Convention — 
Conftitutional-Union-Tonvention — Das Kallottiren zu Chicago — Re- 
fultat — Enthufiafifhe Aufnahme — Ein Kefud nad) Springfield — " 
Adreffe und Annahmebrief — Der Wahlkampf — Refultat der Wahl — 
Süd-Jarolinas Bewegungen — Budhanan’s Wankelmüthigkeit — Sereflion 
mehrerer Staaten — Conftitution der Conföderation — Friedens-Conven- 
tion — Amendments zur Conftitution — Bedingungen der Rebellen. 


Am 16. Mat 1860 verfammelte ſich die republifanifche National- 
Convention zu Chicago, um Candidaten für die Präſidenſchaft und 
Bice-Präfivdentfchaft aufzuftellen. Die demofratifhe Convention 
hatte fich nach einer ftürmifchen Sibung von zwei Wochen vertagt, 
nachdem es Far geworden war, daß, wenn Douglas’ Freunde auf 
feiner Nomination beharrten, der feinen eigenthümlichen Anfichten 
über die Sklavereifrage opponirende Flügel einen andern Candida— 
ten aufftellen und dadurch die große Partei entzweien würde, Eine 
andere Convention, welche auf eine befondere und individuelle Weife 
eine Partei zu repräfentiren beanfpruchte, die fich zur Aufrechterhal- 
tung der Eonftitution und Union erklärt hatte, tagte zu Baltimore 
und nominirte John Bell von Tenneffee und Edward Everett von 
Maffachufetts. 

Die Ausfihlen auf den Sieg der republifanifchen Candidaten 
ſchienen günſtig, und nachdem die Convention einen Tag mit der 
Organiſation und einen zweiten mit dem Entwurf der Plattform 
zugebracht hatte, fchritt fie am Morgen des 18. Mai unter der größ- 
ten Aufregung von zwölf Taufend Zufchauern innerhalb des „Wig— 
wams,“ (wie das Situngegebäude genannt wurde,) fofort zum 
Ballot für einen Präſidentſchafts-Candidaten. 

Sieben Namen wurden in folgender Ordnung formell präfentirt, 
nämlich: William H. Seward, von New York; Abraham Lincoln, 
von Illinois; William L. Dayton, von New Jerſey; Simon Ca— 
meran, von Pennſylvanien; Salmon P. Chaje, von Ohio; Edwarf 
Bates, von Miffouri, und John Mekean, von Ohio, 

5 (65) 


66 Das Leben Abraham Lincolns. 


a 


Beim erften Ballot erhielt Seward 173 Stimmen, Lincoln 102, 
Cameron 50, Chafe 49, Bates 48, Dayton I4 und Mekean 12; 
außerdem wurden 16 Stimmen für andere, nicht in Nomination 
gebrachte Candidaten abgegeben. Zur Wahl bevurfte es 233 
Stimmen, 

Beim zweiten Ballot (nachdem Herrn Cameron's Name zurüd- 
gezogen worden war) fielen die Stimmen, wie folgt: Seward 184, 
Lincoln 181, Chafe 42, Bates 35, Dayton 10 und Mekean 8, zer- 
ftreute Stimmen 4, 

Das dritte Ballot wurde fofort vorgenommen und ergab folgen- 
des Refultat: Lincoln 231, Seward 180, Chaſe 24, Bates 22, vie 
übrigen 7. Unmittelbar ehe das Refultat angefündigt wurde, än⸗ 
derten vier Ohio Delegaten ihre Stimmen zu Gunften Lincoln 
und verhalfen ihm hierdurch zur erforderlichen Majorität. 

Eine ſolche Scene, wie die, welche jest erfolgte — der tobende, 
fait fieberhafte Ausbruch des allgemeinen Beifalls innerhalb und 
außerhalb des Gebäudes, die Gratulationen, das Handſchütteln, 
die verfchiedenartigften Kundgebungen der Freude, die ohne Unter- 
brechung faft dreiviertel Stunden fortdauerten — hatte wahrfchein- 
lich nie zuvor bei einer Bolfsverfammlung ftattgefunden. 


Nachdem die Nomination einftimmig gemacht worden war, wurde 
das Tidet dur die Wahl des Senators Hannibal Hamlin von 
Maine zum Vice-Präfiventen vervollſtändigt. 

Das Land fühlte jest, daß endlich einmal der rechte Mann für 
die rechte Stelle gewählt worden war. Als ein Mann des Bolfes, 
in herzlicher Sympathie mit den Maffen, genoß Herr Lincoln das 
unbegrenzte Vertrauen fümmtlicher wahren Freunde freier Arbeit, 
ohne Rüdjicht auf Parteiftelung. Seine erprobte Rechtichaffenheit 
und unbeftechliche Ehrlichkeit ließen eine Rückkehr zu den beffern Ta- 
gen der Republik hoffen. jeder, der für das Wohl feiner Mitmen- 
fhen wirkte, fühlte, daß die Humanität, unbefümmert um Racen- 
oder Standesunterfchiede, einen erprobten und treuen Freund an 
ihm hatte, 

Die Committee, welche ernannt worden war, um ihn von feiner . 
Nomination in Kenntniß zu feßen, fand ihn in feiner Heimath zu 
Springfield, einem einfachen zweiftödigen Haufe von etwa fünf und 





Wird zum Präfidenten nominiert und erwählt. 67 
= 





dreißig bis vierzig Fuß Quadrat, das an der Ede zweier Straßen 
fand. Nachdem fie den einfach, aber gefhmadvoll möblirten Par- 
lor betreten hatte, hielt der Vorfiger der Convention eine furze An— 
rede, Bei den erften Worten derfelben fpielte ein Lächeln um 
Herrn Lincoln's großen, energifchen Mund, feine Augen leuchteten 
und der ganze Ausdrud feines Gefichtes überzeugte Diejenigen, die 
ihn jegt zum erften Male fahen, von jener aufrichtigen, liebenswür— 
digen Natur, die Andere, die ihn längft ſchon kannten, fo ſehr 
[häßen und achten gelernt hatten, 
In Erwiederung auf diefe Anrede fagte Herr Lincoln: 


„Herr Porfitzer und meine Herren von der Committee: 

„Ich fage Ihnen, und durch Sie der republifanifhhen National- 
Convention und dem durch diefelbe repräfentirten Bolfe, meinen 
tiefgefühlten Dank für die mir erwiefene hohe Ehre, welche Sie mir 
jest formell anfündigen. Tief und fogar peinlich durchdrungen 
von der großen Verantwortlichkeit, die von diefer hohen Ehre un- 
zertrennlich ift — faft möchte ich wünfchen, fie wäre einem jener 
weit berühmteren und erfahreneren Staatsmänner, deren geehrte 
Namen der Convention vorlagen, zu Theil geworden — werde ich 
mit Ihrer Genehmigung die in der Plattform niedergelegten Be— 
fchlüffe der Convention genauer erwägen und ohne unnöthigen 
und unbilligen Auffhub Ihnen, Herr Vorſitzer, ſchriftlich darauf 
antworten, feinen Zweifel hegend, daß ich die Plattform völlig be— 
friedigend finden werde und die Nomination dankbar annehmen 
fann. Und nug will ic mir das Vergnügen nicht länger verfagen, 
jevem von Ihnen, meine Herren, perfönlich die Hand zu bieten,” 

Als Antwort auf den formellen Brief des Vorfigers der Conven- 
tion, worin Herr Lincoln von feiner Nomination in Kenntniß ge— 
fegt wurde, adrefjirte der Lebtere folgendes Schreiben an die Er- 
fteren : | 
„Springfield, Illinois, den 23, Mai 1860. 
„An den achtbaren George Aſhman, Porfitzer der republikanifchen 

Convention, 

„Geehrter Herr: ch acceptire Die mir von der Convention, bei 
welcher fie präfivirten, angebotene Nomination, von der ih in 
einem Briefe von Ihnen und Undern, die zu diefem Zwede von der 


68 Das Leben Abraham Lincolne. 





Convention ald Committee ernannt wurden, formell in Kenntniß 
gefegt wurde. : 

„Die Erklärung der Shren Brief begleitenden Prinzipe und Ge- 
finnungen hat meinen Beifall, und werde ich e8 mir angelegen fein 
laffen, diefelben in feiner Hinficht zu verlegen und außer Acht zu 
laſſen. 

„Mit Anflehung des göttlichen Beiſtandes, mit gebührender 
Rückſicht auf die Anſichten und Gefühle Aller, die durch die Con— 
vention repräſentirt wurden; mit Berüdjichtigung der Rechte aller 
Staaten und Territorien, ſowie des ganzen Volkes; mit Berüd- 
fihtigung der Umverleglichkeit der Eonftitution, der beftändigen 
Union, der Harmonie und Wohlfahrt Aller, foll es mir zum größten 
Vergnügen gereichen, zum praftifchen Erfolge der durch die Con— 
vention erflärten Prinzipe mitzuwirken, 

„Ihr ergebenfter Freund und Mitbürger, 
„Abraham Fincoln.“ 


Der Bruch in der demofratifchen Partei, der ſchon zu Charlefton 
drohte, wurde fpäter Durch Die Nomination von Stephen A. Douglas 
und Herrfchel V. Johnſon von Georgia durch den einen Flügel, 
und John C. Bredenrivge von Kentudy und Joſeph Lane von 
Dregon durch den andern Flügel zur Thatfache, 

Obwohl nun die Erwählung Lincolns unter folden Umftänden 
faft mit Gewißheit zu erwarten fland, wurde dennoch, der Wahl- 
fampf von Seiten der Demokratie mit der heftigften und bitterften 
Leidenfchaftlichkeit betrieben, und ulle Schimpf- und Schmähmorte, 
die in ihrem Wörterbuche zu finden waren, wurden über Herrn 
Lincoln und feine Anhänger ausgegoffen. 

Endlich fam der Tag der Präfidentenwahl, der verhängnißvolle 
fechite November 1860 heran, Herr Lincoln erhielt 1,866,452 
Stimmen und ficherte fih die Eleftoralftimmen von Maine, New 
Hampfhire, Vermont, Mafjachufetts, Rhode Island, Connecticut, 
New York, Pennfyloanien, Ohio, Indiana, Illinois, Michigan, 
Jowa, Wisconfin, Minnefota, Californien, Oregon und 4 Stim- 
men von New Jerfey, im Ganzen 1805 Pouglas erhielt 1,375,157 
Stimmen und die Eleftoralftimmen von Miffourt und 3 von New 
Jerſey, im Ganzen 125 Bresienridge erhielt 847,953 Stimmen 





Wird zum Präfidenten nominiert und erwählt. 69 





und die Eleftoralftimmen von Maryland, Delaware, Nord-Caro- 
lina, Sud-Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Louifiana, Miſ— 
fiffippt, Arkanfas und Teras, 72 im Ganzen; und Bell erhielt 
590,631 Stimmen und die Elektoralftimmen von Virginien, Ken- 
tudy und Tenneffee, 39 im Ganzen. 

Jetzt follte es fih erproben, ob Worte zu Thaten reifen, ob 
Drohungen zur Ausführung fommen follten; kurzum ob in irgend 
einem Staat Tollheit genug vorhanden wäre, einen Verſuch zur 
Bertrümmerung der Republik zu machen. Leider wurden in kurzer 
Frift alle Zweifel hierüber gelöft. Bald fanden fih Männer — 
nicht in einem Staate, fondern in faft allen; nicht Dubende oder 
Hunderte, fondern Taufende und Zehntaufende — die bereit waren, 
ihre mörderifchen Hände an die Union zu legen, an die Arche des 
NRuhmes und der Stärke unferer Nation, 

Dem Staat Süd-Carolina gebührt die Feineswegs beneideng- 
werthe Ehre, in diefer Verſchwörung gegen die Intereſſen der Hu- 
manität die Initiative ergriffen zu haben. Während diefer Staat 
(deſſen Schande Jahrhunderte der aufrichtigften Loyalität nicht zu 
tilgen vermögen) die erforderlichen Schritte zur Seceſſion that, gab 
der damalige Präfivent, James Buchanan, mit einer Wantel- 
müthigfeit — um ung eines gelinden Augdrudes zu bedienen — die 
in der Gefchichte der Neuzeit Feine Parallele findet, in feiner Jah— 
resbotfchaft, unmittelbar nachdem er die Unconftitutionalität diefes 
Verfahrens ausdrüdlich berührt hatte, die merfwürdige Erklärung, 
dag ihm Feine conftitutionele Macht zu Gebote ftehe, um dem 
erfolgreichen Sortjchreiten jener Seceſſionsbewegungen Einhalt zu 
thun. Selbſt fpäterhin, als der greife Chef der Armee ihn auf- 
forderte, die Staaten an der Südküſte zu befegen, fonnte er fein 
Recht, das Nationaleigenthum zu befhügen und vertheidigen, in 
der Conftitution finden. 

Mehr als dies konnten felbft die Verſchwörer nicht wünſchen. 
Am 20. Dezember 1860 paſſirte die Legislatur von Süd-Carolina 
die ſogenannte Seceſſions-Ordinanz. Die Regierungsforts, ſowie 
die Arſenale wurden ergriffen und unter den Schuß der Staats— 
flagge geftelt. Am 3. Januar 1861 legte der Gouverneur von 
Georgia Hand an die Forts der Negierung an der Küfte jenes 


70 Das Leben Abraham Lincolns., 





Staates, Der Gouverneur von Alabama folgte am nächſten Tage 
jeinem Beifpiel. 

Raſch entwidelte fih nun das traurige Panorama. Am 9. Ja— 
nuar trafen feindliche Geſchoſſe ein Schiff, welches — faumfelig 
genug — Berftärfungen für das Fort Sumter brachte; an dem— 
felben Tage maßregelte ſich Miffiffivpi aus der Union heraus, 
Alabama, Florida und Georgia blieben nicht zurück; Texas und 
Louifiana ſäumten auch nicht lange. Einige Kabinetsminifter 
aus den Sklavenftaaten refignirten, nachdem fie alle ihre Kräfte 
aufgeboten hatten, das fatanifche Werk vorzubereiten; Andere 
blieben zurüd, um demfelben ferner Vorſchub zu leiften. Eine 
neue, „temporäre“ Conftitution wurde in aller Eile von den De- 
legaten der fieben damaligen Rebellenftaaten entworfen und ein 
Präfident und Vice- -Präfident — ebenfalls temporär — ernannt. 

Mittlerweile verfuchte zu Wafhington eine Convention von 
Delegaten aus den meiften Freiftaaten und fümmtlichen Grenz- 
Sklavenftaaten die beftehenden Schwierigkeiten durch Compro— 
miffe zu entfernen, Einige Mitglieder diefer Convention handel- 
ten mit ehrlichen Abfichten; andere fuchten dadurch den Staaten, 
die fich bereits in offener Rebellion befanden, in die Hände zu 
arbeiten. Es kam indefjen eine Reihe von Befchlüffen zu Stande, 
alle die Erhaltung des Friedens auf der Bafis einer unzertheilten 
Union bezwedend, worauf fich die Berfammlung am 1. Dar ent- 
fernte. 

Außerdem adoptirte das Repräfentantenhaugs des Congreſſes 
am 11. Februar einſtimmig einen Beſchluß, den kurz nachher auch 
der Senat indoſſirte; dieſer Beſchluß bezweckte ein Amendment 
zur Conſtitution, demzufolge dem Congreß alle Einmiſchung in 
die Sklaverei in irgend einem Staate für immer verboten wurde. 
Auch fehlte es nicht an Individuen, die alle Forderungen bewil— 
ligen und felbft die lang beftrittene Frage über die Sklaverei in 
den Territorien mittelft Annahme der fogenannten Erittenden- 
Befchlüffe fallen laſſen wollten; all’ diefem Treiben machte in— 
defien der hartnädige Widerftand der ſüdlichen Senatoren ein 
Ende. 

Keinerlei Zugeftändniffe, die hinter vollftändiger nationaler 


Reife nad) Waſhington. 71 





Degradation zurüdblieben, genügten den Infurgenten, Jefferfon 
Davis, das Haupt der „Conföderation,“ der fih am 18. Februar 
zu Montgomery, Mabama, an die Spige der Rebellion ftellte, 
definirte feinen Standpunkt und den feiner Spießgefellen in fol- 
genden befcheidenen Worten : 

„Denn ein richtiges Verſtändniß neutraler Intereffen ung ge- 
ftattet, unfere feparate politifche Laufbahn frieplich zu verfolgen, 
fo ijt mein fehnlichfter Wunſch erfüllt. Wenn dies uns aber 
verfagt und die Integrität unferes Territoriums und unferer 
Jurisdiktion angegriffen werden follte, fo bleibt uns Nichts übrig, 
als mit fefter Entjchloffenheit die Waffen zu ergreifen und den 
Gegen der Borfehung für eine gerechte Sache anzuflehen.‘ 

Diefer Rhetorik folgte auf dem Fuß die Empfehlung, daß „eine 
wohlgefchulte, Disciplinirte Armee, zahlreicher als fie font in 
Friedengzeiten erforderlich wäre,” fofort organifirt und für jeden 
Nothfall dienftbereit gehalten werden folle, 





Fünftes Kapitel, 
Reife nad) Waſhington. 


Abreife — Abfchiedsbemerkungen — Rede zu Toledo — Bu Indianapolis — 
Fu Cincinnati — Bu Columbus — Bu Steubenville — Bu Pittsburg — Bu 
Cleveland — Bu Buffalo — Zu Albany — Bu Poughkeepfie — Zu Mem 
York — Bu Trenton — Zu Philadelphia — In der Unabhängiakeits- 
halle — Hilft die Flagge aufziehen — Rede zu Harrisburg — Geheime 
Abreife nad Waſhington — Geurtheilungen. 


So ftanden die Angelegenheiten, als am Morgen des 11. Fe- 
bruar 1861 der neuerwählte Präfivent mit feiner Familie feiner 
Prairienheimath Lebemohl fagte — ad), um fie nimmer wieder zu 
erbliden ! 

Eine große Menfchenmenge hatte fich bei feiner Abreife am 
Bahnhof eingefunden, Er richtete an fie folgende Worte voll 
von dem Pathos einer wahrhaft männlichen Seele: 


72 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Seine Freunde! Niemand vermag die Trauer zu fchäben, 
die mich bei diefem Abſchied erfüllt. Diefem Volke verdanfe ich 
Alles, was ich bin. Hier habe ich über ein Bierteljahrhundert 
gelebt; hier find meine Kinder geboren, und hier liegt eines der— 
felben begraben. Ich weiß nicht, wann ich euch wiederjehen 
werde. Mir wurde eine Pflicht zu Theil, größer vielleicht als fie 
irgend einem Sterblichen feit Wafhington zu Theil wurde. Er 
hätte nie fertig werden können ohne die Hülfe Gottes, auf die er 
fich jederzeit fügte. Sch fühle, daß ich nicht fertig werden könnte 
ohne diefelbe göttliche Hülfe, die ihm durchhalf; und auf dieſelbe 
Allmacht fege ich mein DVertrauen und hoffe, daß ihr, meine 
Freunde, beten werdet, damit mir jene göttliche Hülfe zu Theil 
werde, ohne welche ich nicht erfolgreich fein kann, mit welcher aber 
der Erfolg gewiß ift. Und fo fage ich euch denn nochmals ein 
herzliches Lebewohl!“ 


An jedem Bahnhof auf der Route fand ſich eine Menfchen- 
menge ein, um ihn zu begrüßen. Zu Toledo, Ohio, erſchien er 
auf wiederholtes Verlangen auf der Plattform des Wagens und 
fagte: 

„Ich verlafe euch, um eine Miffion von nationaler Bedeutung. 
und — wie ihr wißt — von beträchtlichen Schwierigkeiten auszu— 
führen. Laßt uns glauben, was der Dichter fagte: „Noch fcheint 
die Sonne hinter der Wolfe.“ Ich fage euch ein aufrichtiges 
Lebewohl!“ 


Zu Indianapolis gab er am Abend deſſelben Tages in Erwie— 
derung auf eine offizielle Bewilllommnungs-Adreſſe die erſte 
öffentliche Andeutung feiner Anfichten in Bezug auf die herrfchende 
Ingesfrage. Seine Rede lautete wie folgt: 


„Mitbürger des Staates Indiana: — Ich danke euch für die- 
fen fchmeichelhaften Empfang und mehr noch für die warme Un— 
terftüßung, die euer Staat jenem politifchen Prinzip zu Theil 
werden ließ, dag, wie ich glaube, Das wahre und gerechte Prinzip 
bes ganzen Landes und der ganzen Welt ift. Salomo fagt: „es 
giebt eine Zeit zum Schweigen,” und wenn Menfchen mit dem 
Munde ftreiten und wenn es zweifelhaft ift, ob fie Daffelbe Ding 


Reife nah) Waſ bington. 73 





meinen, während fie dafjelbe Wort 5 ſo ſtünde ihnen 
das Schweigen vielleicht beſſer in. 

„Die Ausdrüde „Coercion“ und ur werden gegen 
wärtig viel gebraucht, und oft mit Leidenfchaftlichkeit und heigem 
Blut. Laßt uns daher Sorge tragen, daß wir den Sinn Derer, 
die diefe Worte gebrauchen, nicht mißverftehen. Laßt ung die 
genaue Definition diefer Wörter ſuchen — nicht in Wörterbüchern, 
fondern bei Jenen, die Die Dinge, welche fie mit diefen Worten 
bezeichnen, haſſen und verachten, 

„Ras alfo ift Eoereion? Was ift Invaſion? Gefebt, es mars 
fchirte eine Armee nad Süd-Carolina, ohne die Einwilligung der 
Einwohner dieſes Staates und mit feindlichen Abfichten gegen 
diefelben — wäre das Invaſion? Ganz gewiß, meine ich, und e3 
wäre ebenfalls Eoercion, wenn die Süd-Carolinier gezwungen 
würden, fich zu unterwerfen. Wenn aber die Vereinigten Staa- 
ten bloß ihre eigenen Forts befegten und wiedereroberten, die 
Zölle auf auswärtige Importationsartifel colleetirten, oder ſelbſt 
die Poftämter an folden Orten. fchlöffen, wo diefelben beftändig 
mißbraucht und verlegt werden — wären diefe Dinge im Ganzen 
oder Einzelnen Invaſion oder Coereion? Glauben unfere an- 
geblichen Freunde der Union, melde fo trogig drohen, fich der 
Coercion und Invaſion zu widerfegen, daß ſolche Maßregeln von 
Seiten der Vereinigten Staaten Coercion und Invaſion - eines 
Staates wären? In diefem Falle find ihre Anfichten über die 
Mittel, den Gegenftand ihrer großen Liebe zu erhalten, Außerft 
dünner und luftiger Natur. Selbſt die Heinen Pillen der Ho- 
möopathen wären ihnen viel zu groß zum Berfchluden.  Shrer 
Meinung nach wäre alfo die Union, im Lichte eines Familienver- 
hältniſſes betrachtet, feine regelmäßige Ehe, fondern nur eine Art 
Concubinat, das lediglich für die Dauer gegenfeitiger Anzietung 

beſteht. | 
Worin beſteht denn eigentlich die fpezielle Unverlegbarkeit 
eines Staates? ch rede hier nicht von der Stellung, die einem 
Staate in der Union durd die Conftitution angewiefen wurde, 
denn das ift ein Band, welches wir Alle anerkennen. Ich fpreche 
von jenem angeblichen primären Rechte eines Staates, alles Ge— 


74 Das Leben Abraham Lincolns. 





ringere zu beherrfchen und alles Größere zu zerftören. Wenn ein 
Staat und ein County 3. B. einander an Einwohnerzahl gleich 
wären, inwiefern denn ift der Staat dem Prinzipe nach beffer als 
das Eounty? Würde ein Namenstaufch ein Austaufch von Rech— 
ten fein? Auf welches rechtmäßige Prinzip hin darf ein Staat, 
der an Umfang und Bevölkerung faum ein Fünfzigſtel der Nation 
ausmacht, die Nation zerſtückeln, und alsdann die despotiſchſte 
Coercion über eine verhältnißmäßig große Unterabtheilung ſeiner 
ſelbſt ausüben? Welches myſteriöſe Recht, den Tyrannen zu 
ſpielen, wird einem Diſtrikt oder County dadurch zu Theil, daß 
man ihn einen Staat nennt? Mitbürger, ich werfe keine Be— 
hauptungen auf; ich lege euch nur Fragen zur Ueberlegung vor. 
Und nun ſage ich euch Allen Lebewohl!“ 


In Cincinnati wurde er auf das Enthuſiaſtiſchſte aufgenem— 
men. Nachdem er von dem Mayor der Stadt begrüßt und durch 
eine bürgerliche und militärifche Eskorte nach dem Burnet-Houfe 
eskortirt worden war, hielt er folgende Anrede an die verfammelte 
Menge: 


„Mitbürger! Ich habe erft ein einziges Mal vor dem heutigen 
Zage in diefer Stadt gefprochen. Das. war ein Fahr vor ber 
legten Präfiventenwahl. Bei jener Gelegenheit galten manche 
meiner feherzenden, nichts defto weniger aber aufrichtigen Bemer- 
tungen den Kentudyern. Ach gab meine Meinung dahin ab, daß 
wir Republikaner endlich über fie, die Demokraten, fiegen würden, 
daß fie aber diefes Refultat durch die Nomination des Senators 
Douglas für die Präſidentſchaft länger verzögern könnten, als 
durch irgend ein anderes Mittel. Im eigentlichen Sinn des 
Wortes haben fie Douglas nicht numinirt, und das Refultat kam 
daher früher als ich es felbit erwartete. 

„sh fagte ihnen damals auch, welche Behandlung fie nad 
ihrer Niederlage zu erwarten hätten und wünfche nun, chnen 
meine damaligen Bemerkungen in das Gedächtniß zurüdzurufen. 
Ich fagte nämlich: 

„Denn wir euch befiegen, was wir mit Zuverſicht erwarten, fo 
wollt ihr vielleicht wiffen, was wir mit euch zu thun gedenken. 


Reife nach Wafbinston. 75 





Ich will es euch fagen, fo weit mir das Recht zufteht, im Namen 
der Oppofition zu fprechen. Wir gedenken euch möglichft genau 
ebenfo zu behandeln, wie Wafhington, Zefferfon und Madiſon 
euch behandelten, Wir gedenken euch allein zu laffen und ung 
in feiner Weife in eure Angelegenheiten zu miſchen. Wir ge- 
denken, alle Compromiffe der Eonftitution aufrecht zu erhalten. 
Mit einem Wort, um wieder zum Ausgangspunkt zurüdzufom- 
men, wir gedenfen euch nach dem Beifpiel jener edlen Männer, 
Waſhington, Zefferfon und Madifon zu behandeln, foweit ent- 
artete Männer — wenn wir wirklich entartet find — es vermöger® 
Wir werden ung erinnern, daß ihr fo gut feid wie wir; daß feine 
andere Verfchiedenheit zwifchen ung obwaltet, als die Verfchieden- 
heit der Umftände. Wir werden nicht vergeffen, daß ihr ebenfo 
gute Herzen im Bufen habt, wie wir oder Andere, und wir werden 
euch demgemäß behandeln. 

„Mitbürger von Kentudy, Freunde, Brüder! Darf ich euch fo 
nennen? Sn meiner neuen Stellung fehe ich Feine Veranlaffung 
und fühle ich Feine Neigung, auch nur ein Wort davon zurüdzu- 
nehmen. Wenn meine Berheißungen nicht zur Ausführung 
fommen, fo feid verfichert, daß die Schuld nicht an mir liegen 
wird.” 


Am andern Morgen verließ Herr Lincoln Eineinnati und kam 
in Columbus an, wo er mit größtem Enthufiasmus empfangen 
wurde. Er befuchte den Gouverneur in der Erecutiv-Halle und 
wurde dann den Mitgliedern der Legislatur, die fich in gemeinfa- 
mer Situng verfammelt hatten, vorgeftellt und durch den Lieute- 
nant-Gouverneur formell bewilllommt, worauf Herr Lincoln mit 
folgenden Worten antwortete: 


„Es ift wahr, was der Vorſitzer des Senats fagte, daß mich eine 
fehr große Berantwortlichfeit zu der Stellung begleitet, zu welcher 
die Stimme des amerifanifchen Bolfes mich berufen, Ich bin 
mir diefer gewichtigen Berantwortlichkeit fehr wohl bewußt. Wohl 
weiß ich, wie auch ihr Alle wißt, dag ohne einen Namen — viel- 
leicht ohne ein Anrecht auf einen Namen — mir eine Aufgabe zu 
Theil wurde, wie fie felbft vem Vater des Vaterlandes nicht wurde, 


76 Das Lehen Abraham Lincolns. 





Und mit diefer Heberzeugung muß ich auf die Unterftügung hoffen, 
ohne welche es mir unmöglich ift, dieſe Aufgabe zu erfüllen. Und 
fo wende ich mich denn an das amerifanifche Volk und an Gott, 
der daffelbe nie verlaſſen hat. 

„Es ift auf das Intereſſe angefpielt worden, das man in Bezug 
auf die Politif ver neuen Regierung fühlt. Bon Einigen bin ich 
gelobt, von Andern getadelt worden, weil ich hierüber ſchwieg. 
Ich glaube noch immer, daß ich Recht hatte. Bei den veränderli- 
chen und ftets wechfelnden Scenen der Gegenwart, die an und für 
ſich keinen Präücedenzfall haben, fhien es mir geeignet, erft einen 
eberblid über das ganze Feld zu gewinnen, ehe ich es wagte, von 
den Schwierigkeiten des Landes zu fprechen. Allerdings bliebe 
mir die Freiheit unbenommen, meine Politif im Laufe der Zeit fo 
zu modifiziren und zu verändern, wie die Fünftigen Ereigniffe es 
wünſchenswerth oder nothwendig erfcheinen laffen würden. 

„Mein Schweigen entfprang nicht dem Mangel einer wirklichen 
Beſorgniß. Es ift gut, daß big jegt Alles nur Beforgniß ift, denn 
e3 geht Alles noch recht. Es ift ein tröftender Umftand, daß wir 
beim Umberbliden Nichts gewahren, was irgend Jemand beein- 
trächtigen fünnte, Wir hegen verfchiedene Anfihten über poli= 
tifche Gegenftände, allein Niemand leidet dadurd. Dies ift ein 
höchſt tröftlicher Umftand/ und ich fchließe daraus, daß Alles, was 
wir nöthig haben, Zeit und Geduld ift, fowie Vertrauen auf Gott, 
ber dieſes Bolf noch nie verlaffen hat.” 


Am 14, Februar feste Herr Lincoln die Reife nach Pittsburg 
fort. In Steubenville angefommen, fagte er in Erwiederung auf 
eine Anrede: 


„Ich fürchte, das große Vertrauen, das man auf meine Fähig- 
feiten fest, ift unbegründet. Ich bin mir deffen ſchmerzlich be- 
mußt. Bon unabfehlichen Schwierigkeiten umringt, wie ich bin, 
blide ih auf Gott und das amerifanifhe Rolf um Unterftüßung. 
Ich glaube, daß die Anhänglichkeit an die Conftitution auf beiden 
Seiten des Fluffes gleich groß ift. Es ift nur das verfchiedene 
Verſtändniß jenes Inftrumentes, was Schwierigkeiten verurfacht. 
Die einzige Streitfrage ift: „Was find ihre Rechte?” Wenn die 


Reife nach Wat bington. 77 





Majorität nicht herrfchen foll, wer fol dann Richter fein? Wir 
Alle folten durch die Majorität des amerikanischen Volkes gebun- 
den fein, denn fonft würde die Minorität herrſchen. Wäre das 
gerecht und edelmüthig? Sicherlich nicht. Ich wiederhole Daher, 
die Majorität follte herrfchen. Wenn ich eine falſche Politif ver- 
folge, fo habt ihr in vier Jahren Gelegenheit, diefelbe zu verdam- 
men. Dann fönnt ihr mich hinausjchieben und einen bejjern 
Mann mit beffern Anfihten an meine Stelle fegen.” 


In Pittsburg war fein Empfang nicht minder enthufiaftifch, als 
an den bisher berührten Orten. Bor feiner Abreife nad Clevt⸗ 
land hielt er die folgende Rede: 


„In jeder kurzen Anrede, die ich an das Volk Jill, wurde auf 
die gegenwärtige verwickelte Lage des Landes angeſpielt. Es 
wird natürlich von mir erwartet, daß ich irgend Etwas über dieſen 
Gegenſtand ſage; denſelben aber auch nur berühren, hieße ein 
tieferes Eingehen auf eine große Menge Fragen und Umſtände 
herbeiführen, wozu mir gegenwärtig keine Zeit vergönnt iſt, und 
außerdem müßte ich über manche Punkte ſprechen, die ſich noch 
nicht vollſtändig entwickelt haben. 

„Der Zuſtand des Landes, Mitbürger, iſt ein außerordentlicher 
und erfüllt das Herz eines jeden Patrioten mit Angſt und Be— 
ſorgniß. Es iſt meine Abſicht, dieſem Gegenſtande die möglichſt 
vollſtändige Ueberlegung zu widmen, ehe ich mich deutlich darüber 
ausſpreche, ſo daß, wenn ich darüber ſpreche, ich dem Rechten ſo 
nahe wie möglich ſei. Und wenn ich dereinſt ſpreche, Mitbürger, 
ſo hoffe ich Nichts zu ſagen, was dem Geiſte der Conſtitution oder 
der Integrität der Union zumider ift, oder ſich den Freiheiten des 
Bolfes oder dem Frieden des Landes feindlich erweifen möchte. 
Und weiter, wenn die Zeit für mich berannaht, um über diefen 
großen Gegenftand zu fprechen, fo hoffe ich Nichts zu fagen, was 
die billigen Erwartungen irgend eines Mannes oder des Volkes 
im Allgemeinen täufchen könnte, befonders wenn ihre Erwartun— 
gen fih auf irgend Etwas gründeten, was ich früher fchon fagte. 

„Ungeachtet der Berwidlungen jenfeits des Fluſſes (der Redner 
deutete hier lächelnd fünlich nach dem Monongahela-Zluffe hin,) 


78 Das Leben Abraham Lincolns. 





droht in Wirklichkeit von Seite der Regierung felbft Feine Krifis, 
Mit andern Worten, es ift wirklich Feine Krifis vorhanden, fei es 
denn eine Fünftliche. Was rechtfertigt nun das Berfahren unfe- 
rer Freunde jenfeits des Fluffes? Verſetzen wir uns felbft auf 
ihren eigenen Standpunkt bezüglich jener Streitfragen, fo können 
wir feinen Grund zur Rechtfertigung ihres Verfahrens finden, 
Ich wiederhole daher, es ift in Wirklichkeit feine Krifis vorhanden, 
ausgenommen eine folche, wie fie jeder Zeit von leidenfchaftlichen 
Männern, unterftügt von fchlauen Politikern, in dag Dafein ge— 
fen werden kann. Unter ſolchen Umftänden rathe ich euch denn 
zur Mäßigung. Wenn das große amerifanifche Volk auf beiden 
Seiten der Linie feine Leidenfchaftlichfeit beherrfchen wollte, fo 
wird der Streit, der jest das Land durchwühlt, ebenfo fiher und 
befriedigend gefchlichtet werden, wie alle andern Streitigkeiten die— 
fer Art durch die Regierung beigelegt wurden. Möge nur das 
Volk auf beiden Seiten ein wentg Selbftbeherrfhung ausüben, und 
diefe Wolfe wird fich zertheilen, wie andere Wolfen fich zertheilt 
haben, und diefe große Nation wird auch Fünftig blühen und ge= 
deihen, wie fie in der Vergangenheit blühte und gedieh.“ 


In Bezug auf den Tarif ließ fih Herr Lincoln folgendermaßen 
vernehmen: 


„Meiner politifchem Erziehung gemäß bin ich zu glauben geneigt, 
daß das Volk in den verfchiedenen Theilen des Landes feine An- 
fichten durdy feine Repräfentanten im Congreß zur Ausführung 
bringen laſſen ſollte. Die Erwägung der Tarif-Bill follte nicht 
bis zur nächften Sigung der Narivnal-Legislatur verfchoben wer— 
den. Kein Gegenftand follte euren Repräfentanten vog größerer 
MWichtigfeit fein, als diefer Tarif. Wenn es mir zufänke, irgend 
eine Maßregel anzuempfehlen, fo wäre es die, daß ein Seder, der 
berufen ift, fein Volk zu repräfentiren, den ganzen Gegenftand 
gründlich ftudire, wie ich es felbjt zu thun gedenfe, indem er zu— 
gleich alle die verfchiedenen ntereffen des gemeinfamen Bater- 
landes berüdjichtigt, fo daß, wenn die Zeit zum Handeln fommt, 
das Eifen und die Kohlen Pennſylvaniens und das Öetreide von 
Illinois beiderfeits hinreichenden Schuß finden. Geftatten Cie 


Reife nach) Waſ hington. 79 





mir, die Hoffnung auszudrüden, daß Ihre Repräfentanten diejen 
wichtigen Gegenftand reiflich erwägen mögen, damit das ntereffe 
feines Iheiles des Landes überfehen werde, fondern daß alle 
Theile die Wohlthat eines gerechten und billigen Tarifg genießen 
dürfen,“ 

Det feiner Ankunft in Cleveland hielt Herr Lincoln folgende 
Anrede: 


„Euch, dem Bolfe, fommt es zn, die große Sache der Union und 
der Conftitution zu fördern, nicht aber irgend einem einzelnen 
Manne. Euch allein ift es beſchieden. Diefe Thatſache drängt 
fih hier meinem Geifte befonders ftarf auf. In einer Commune, 
wie diefe, deren äußere Erfcheinung ſchon die höchfte Intelli— 
genz befundet, fann die Sache der Freiheit und; Union nie in 
Gefahr fein. Häufig hört man Anfpielungen auf die Aufregung, 
die gegenwärtig in Bezug auf die nationale Politif herrſcht. 
Meiner Anfiht nach gibt es feine Urfache zu einer ſolchen Auf- 
regung. Die Krifis, von der man fpricht, ift ganz und gar 
eine fünftlihe. In allen Theilen der Nation findet man Mei— 
nungsverfchiedenheit in der Politik. Selbſt hier findet fich dieſe 
Meinungsyerfchiedenheit. Ihr habt eure Stimmen nicht Alle für 
die Perfon abgegeben, die jest die Ehre hat, euch anzureden. Und 
wie fteht es mit Denjenigen, welche nicht hier find? Haben fie 
nicht Alle die Rechte, die fie jemals hatten? Liefert man ihnen 
nicht ihre flüchtigen Sklaven zurüd, wie zuvor? Haben fie nicht 
diefelbe Conftitution, unter der fie mehr als fiebzig Jahre lebten? 
Haben fie nicht ihre bürgerliche Stellung in diefem unferm gemein- 
famen Baterlande, und fteht uns irgend eine Macht zu, fie aug 
diefer Stellung zu verdrängen? Worüber Hagen fie denn? Wes- 
halb diefe Aufregung? Wie ich ſchon bemerkte, diefe Krifis ift ganz 
und gar eine Fünftliche, Sie beruht feineswegs auf Thatfachen. 
Sie wurde „heraufbeſchwatzt,“ um mich dieſes Ausdrudes zu be- 
dienen, und kann nicht hinunterbefhwagt werden. Man Iaffe fie | 
nur allein, fo wird fie von felbft aufhören.” 

Am Samftag reifte er nach Buffalo weiter, wo er Abends an- 
kam und von einer großen Anzahl Bürger in Empfang genommen 
wurde, an deren Spike der Er-Prüfivent Fillmore ftand, 


80 Das Leben Abraham Lincolns. 





Bei feiner Anfunft im Hotel wurde er vom Haupt-Magiftrat 
der Stadt mit einer Furzen Anrede begrüßt, worauf er — 
erwiederte: 


„Herr Mayor und Mitbürger: — Ich ſtatte Ihnen hiermit 
meinen Dank ab für die äußerſt fehmeichelhafte Aufnahme, die 
Sie mir — nicht der Perfon, fondern dem Repräfentanten unfe= 
res großen und geliebten Baterlandes — bereitet haben. hr 
würdiger Mayor fpielte in feiner Rede auf die glüdliche und an— 
genehme Reife an, die ich hatte, feit ich meine Heimath verlieg — 
obſchon mein Weg von dort bis zur Bundeshauptftadt ein ziem- 
licher Ummeg ift. Und wohl durfte er mir zu diefer Thatfache 
gratuliren, denn bis jebt wurde das Vergnügen der Reife durch 
Nichts geftört. Nicht nur Diejenigen, deren Stimmen mir zu 
meiner Erwählung verhalfen, kamen mir entgegen, fondern bie 
ganze Bevölkerung des Landes, das wir durcreiften, Dies ift 
ganz, wie es fein ſollte. Wäre die Wahl unter den gegenmärti- 
gen eigenthümlichen Umftänden auf irgend einen andern Kandi- 
daten gefallen, fo hätte es fich allen Bürgern geziemt, ihn ebenfo 
zu begrüßen, wie ich allerwärts begrüßt werde, Es ift mir dies 
ein Beweis der Anhänglichfeit des ganzen Volkes an die Confti- 
tution, die Union und das Fortbeftehen der Freiheiten dieſes 
Landes. Ich bin nicht mwillens, auch nur einen Augenblid zu 
glauben, daß diefe Demonftrationen mir perfünlich gelten. Gie 
werden dem Lande dargebracht, den Inſtitutionen des Landes und 
dem Fortbeftehen der Freiheiten des Landes, für welche diefe In— 
ftitutionen gefchaffen wurden. Ihr würdiger Mayor hielt es für 
angemeffen, die Hoffnung auszufprechen, daß ich im Stande fein 
möge, das Land aus den gegenwärtigen, oder vielmehr drohenden 
Schwierigkeiten zu erlöſen. Ich darf fagen, daß ich wenigfteng 
ein treueg Herz zu der Arbeit bringe. Was die hierzu erforder- 
lihen Fähigkeiten anbelangt, fo vertraue ich auf den Höchften, der 
diefes begünftigte Land noch nie verlaffen hat, ſowie auf den Bei- 
ftand Diefes großen und intelligenten Bolfes. Ohne diefen Bei- 
ſtand könnte es mir nie gelingen; mit dieſem Beiftend muß es 
mir gelingen. Da wir von ten Gefahren reden, die unferem 
Lande drohen, fo wird man natürlich son mir erwarten, daß ich 


Reife nah) Wafhington. 81 





mich über gewiſſe Maßregeln verlauten laſſe. Bei reiferer Ueber— 
legung indeſſen glaube ich — und Andere werden mir beiſtimmen 
— daß angeſichts dieſer Gefahren, die keinen Präcedenzfall haben 
und ſich noch nie einem Individuum in meiner Stellung dar— 
boten, es am geeignetſten für mich iſt, zu warten, die Entwickelung 
der Umſtände zu beobachten und mir möglichſt viel Licht darüber 
zu verſchaffen, ſo daß, wenn ich autoritativ rede, ich dem Rechten 
fo nahe wie möglich komme. Und wenn ich einſt autoritativ 
ſpreche, ſo hoffe ich Nichts zu ſagen, was der Conſtitution, der 
Union, den Rechten ſämmtlicher Staaten, jedes einzelnen Staates 
und jedes Theiles des Landes zuwider läuft; ebenſo wenig aber 
hoffe ich die billigen Erwartungen Derer zu täuſchen, die mir ihre 
Stimmen anvertraut haben. Und hier geſtatten Sie mir die 
Bemerkung, daß Sie, als ein Theil des großen amerikaniſchen 
Volkes, Nichts zu thun haben, als Ihre Geiſtesgegenwärtigkeit zu 
behaupten, Ihre nüchterne Ueberzeugung zu vertheidigen, Ihren 
Pflichten gegen die Conſtitution nachzukommen und Ihren Ueber— 
zeugungen gemäß zu handeln. Thun Sie das, und die Wolken, 
die jetzt den Horizont umdüſtern, werden ſich zerſtreuen, und wir 
werden wiederum eine helle und glorreiche Zukunft vor uns 
haben; und wenn dieſe Generation dahingeſchwunden ſein wird, 
werden Zehntauſende dieſes Land bewohnen, wo jetzt nur Tau— 
ſende leben. Es iſt übrigens nicht meine Abſicht, mich weiter 
darüber auszuſprechen; die Zeit mahnt mich zum Schluſſe. Noch— 
mals danke ich Ihnen für dieſen herzlichen IHApINEB und fage 
Ihnen Lebewohl.“ 


Bon Buffalo begab fich Herr Lincoln nach Albany. Hier wurde 
er durch den Mayor, den Stadtrath und die Committees der Legig- 
latur empfangen und nach dem Capitol geleitet, mo er von Gou— 
verneur Morgan feierlich begrüßt wurde, deffen Anrede er mit 
folgenden kurzen Bemerfungen erwiederte : 


„Öouverneur Morgan: — Höchſt erfreulich kam mir die Ein- 
latung, die Hauptftadt des großen „Empire Staates‘ diefer Na- 
tion zu befuchen, während ich mich auf meinem Weg nad) der 
— befand. Ich danke nun Ihnen, ſowie dem 


82 Das Leben Abrabam Lincolns. 





Bolfe der Hauptitadt des Staates New VYork für diefen herzlichen 
und glänzenden Empfang. Der große Empire Staat enthält 
gegenwärtig, wenn ich nicht irre, eine größere Einwohnerzahl als 
die gefammten Vereinigten Staaten zur Zeit ihrer Unabhängig- 
keits-Erklärung; und ich hege gerechten Stolz darauf, zu einem 
Beſuch in feiner Hauptftadt eingeladen worden zu fein und die 
Ehre zu haben, ihre Bürger zu begrüßen. Mitbürger und 
Freunde, Euer Gouverneur fündigt mir an, daß diefer Empfang 
von fämmtlichen Bürgern ohne Rüdficht auf Parteiftellung ange- 
ordnet wurde, Um fo freudiger nehme ich die Ehre an. In 
diefem Lande und in irgend einem Lande, wo Freiheit einiger- 
maßen geduldet wird, ſchließen fich die Bürger irgend einer poli- 
tifchen Partei an. Indem fich nun Feder, fei es dieſer, fei es 
jener Partei, anfchließt, thut er lediglich, was er für das Beſte des 
ganzen Landes hält. Und wenn eine Wahl vorüber ift, fo geziemt 
es ſich einem freien Bolfe, bis zur nächſten Wahl ein Volk zu 
fein. Der Empfang, der mir heute von Ihnen zu Theil wurde, 
gilt mir nicht perfönlich, fondern er gilt, wie es fich gebührt, dem 
Repräfentanten der Majorität der Nation, Wäre die Wahl auf 
einen der hervorragenden Bürger gefallen, die die Unterftügung 
des Volkes erhielten, fo wäre er mit denfelben Ehrenbezeigungen 
begrüßt worden, die mir zu Theil wurden, als Zeugniß der ein— 
müthigen Hingebung des ganzen Volkes für die Conſtitütion, die 
Union und die fortwährende Freiheit diefer und fünftiger Gene- 


rationen. Die Zeit geftattet mir indeſſen nicht, eine längere Rede 


zu halten. Empfangen Sie daher wiederholt meinen gefühlteften 
Danf für Ihre offenfuntige Hingebung — nicht für mich, fondern 
für die Inftitutionen diefes großen und glorreichen Landes.“ 


Herr Lincoln wurde nun nach den Hallen der Legislatur geführt, 
wo er als Antwort auf eine Willkommens-Adreſſe folgende Be— 
merkungen über die verwidelten Angelegenheiten des Landes 
machte: 

„Herr Prafident und meine Herren von Ver Segislatur des Staa- 
tes Uew York :— Mit Zaghaftigfeit, ja fogar mit Bangigfeit, grö- 
Ber, als ich fie bisher empfunden, nahe ich mich Ihnen hier an diefem 


# 


u a ED u ud * 








Keife nad) Wafhington. 83 





Drte. Die Gefchichte diefeg großen Staates, der Ruhm feiner gro— 
fen Männer, die in dieser Halle geftanden und ihre Gedanken hier 
auggefprochen haben, find mir im Geifte gegenwärtig und fchreden 
mich faft vor einem Berfuch zum Reden zurüd, Dennod flößt mir 
Ihre gütige Einladung und der noch gütigere Empfang, der mir 
von Ihnen zu Theil wurde, einiges Vertrauen ein. Sie haben 
mich ohne Rüdficht auf Parteiftellung eingeladen und aufgenom- 
men. Nicht einen Augenblid gebe ich mich dem Gedanken hin, 
daß all’ diefe Ehre meinem perfünlichen Selbfte galt. Auch ift es 
mir weit angenähmer, daß diefe Einladung und diefer Empfang 
dem NRepräfentanten eines freien. Volkes galten, als hätte ich fie 
als die Hingebung für ein Individuum betrachten müffen. Wahr 
{ft es, daß ich, der unbedeutendfte von al’ den Männern, die 
jemals zum Präfidenten der Vereinigten Staaten erwählt wurden, 
eine fehwierigere Aufgabe vor mir habe, als irgend einer meiner 
Borgänger. Sie haben mir hier in edelmüthiger Weife die Un— 
terftüßung, die vereinigte Unterftügung des aroßen Empire Staa- 
tes zugefagt. Dafür ftatte ih Ihnen im Namen der Nation, im 
Namen des Präfiventen, im Namen der bürgerlichen Freiheit aller 
Zeiten meinen Dank ab. ch will mich hier nicht auf die Politik 
einlaffen, die die neue Adminiftration unter fo fehwierigen Ver— 
hältniffen einfchlagen wird. Die Billigkeit gegen das Land, gegen 
mich felbft und gegen Sie erheifcht, daß ich Alles fehe, Alles höre 
und mir in jeder Beziehung volllommene Klarheit verfchaffe, ehe 
ich offiziell rede, fo daß, wenn die Zeit zum Reden kommt, ich wo— 
möglih im Stande fei, richtigen und wahren Grund zu faffen, 
Aus diefem Grunde unterlaffe ich es, irgend Etwas in Bezug auf 
die Politik der neuen Adminiftration zu fagen. Wenn nad) dem 
Gebrauche der Regierung die Zeit kommt, werde ich reden, und 
nad Kräften reden zum Wohle der Gegenwart und der Zukunft 
diefes Landes — zum Wohle des Nordens, wie des Südens, zum 
Wohle fammtlicher Sectionen. Mittlerweile laßt ung Geduld 
und Gleichmuth haben, obſchon ſich einige von der Leidenſchaft 
binreigen laffen mögen, und ich glaube mit Zuverjicht, daß der 
allmächtige Beherrfcher des Weltals ung durch den Beiftand die- 
ſes großen und intelligenten Volkes unverlegt durch dieſe Gefahr 


84 Das Leben Abraham Lincolns. 





führen wird, wie er uns fchon zuvor durch alle Gefahren des Lan- 
des führte, Und nun danke ich Ihnen nochmals für Diefen fchmei- 
chelhaften Empfang und fage Ihnen ein herzliches Lebewohl.“ 


Zu Albany kamen ihm Delegaten von den Stadtbehörden von 
New York entgegen, und am 19, reifte er nach diefer Stadt ab. 
Zu Poughfeepfie wurde er von dem Mayor mit einer Anrede be= 
grüßt, worauf er antwortete: 


„Ih danke Ihnen für diefen herzlichen Empfang, und es freut 
mich, daß diefe große Menfchenmenge fich verfammelte, nicht ſowohl 
um ein Individuum zu begrüßen, als vielmehr den Mann, der 
eine Zeit lang die Majeftät der Nation repräfentiren wird. Wie. 
an andern Orten, fo wird mir auch hier der Empfang von Män- 
nern fümmtlicher Parteien und nicht son einer Partei allein zu 
Theil, Es zeigt dies ein ernites Bemühen Aller, nicht das Land 
zu retten, denn dies ift felbjt im Stande, fich zu retten, fondern 
jene Snftitutionen zu retten, unten denen wir feit mehr als drei 
Vierteljahrhunderten das größte, das intelligentefte und das glüd- 
lichfte Volk der Welt geworden find. Diefe Manifeftationen be- 
weifen, daß das Wohl des Landes uns Allen am Herzen liegt; 
daß, wenn Einige bei einer Wahl erfolgreich find und die Andern 
gefchlagen werden, die Gefchlagenen nicht in Folge ihrer Nieder- 
lage das Schiff in den Grund bohren, fondern mit ernftem Ent- 
ſchluſſe es ficher durd die Stürme lenken und, wenn fie glauben, 
daß bei der Wahl ein Sehlgriff ftattgefunden habe, ſich mit der 
Gelegenheit vertröften, die Sache bei der nächften Wahl zu berich- 
tigen. Sch glaube nicht, daß diefes Mal eine fehr weife Wahl in 
Bezug auf das gewählte Fndividuum gemacht wurde, Sin den 
erflärten Abfichten und Prinzipien wurde ih zum Werkzeug ge- 
wählt, um die Angelegenheiten der Regierung zu lenken. Ich kann 
mich auf Sie und das Volk des Landes verlaffen, und mit folcher 
Hilfe glaube felbft ich im Stande zu fein, das Schiff des Staates 
fiher Durch den Sturm zu führen.“ 


Der Empfang des Präfidenten Lincoln zu New York war eine 
außerft impofante Demonftration, Die meiften Gefchäftslofale 
waren geſchloſſen und Hunderttaufende von Menfchen wogten in 





Keife nad) Wafhington. 85 





den Straßen umher, Am andern Tage wurde er öffentlich von 
Mayor Wood bewilllommt, und antwortete, wie folgt: 


„Herr Mayor: — Mit Gefühlen tiefer Dankbarkeit blicke ich 
auf diefen glänzenden Empfang in der großen Handelsftadt New 
York, Ich kann nicht umhin, mich hierbei zu erinnern, daß mir 
diefer Empfang von einem Bolfe zu Theil wird, deffen bei weitem 
größere Hälfte in der Politif nicht mit mir übereinftimmt. Dies 
ift mir um fo angenehmer, als ich daraus erfehe, daß das Bolf 
beinahe einftiminig für die Aufrechterhaltung der großen Prin- 
zipien unferer Regierung ift, Hinfichtlich der Gefahren, die ung 
im gegenwärtigen Augenblide drohen, und auf die Euer Ehren 
fo taktvoll und paffend anfpielten, kann ich nur fagen, daß ich mit 
den Öefinnungen, die Sie ausdrüdten, vollftändig übereinftimme, 
In meiner Hingebung für die Union hoffe ich hinter Feinem 
Mann der Nation zurüdzuftehen. Was indeffen die Weisheit 
anbetrifft, die eine zur Erhalting der Union erforderliche Leitung 
der öffentlichen Angelegenheiten erheifcht, fo fürchte ich, daß man 
allzugroßes Vertrauen auf mich gefebt hat; allein ich darf wenig- 
ftens fagen, daß ich ein redliches und williges Herz zur Arbeit 
mitbringe. Nichts könnte mich jemals beftimmen, freiwillig in 
eine Zerftörung der Union zu willigen, unter welcher nicht nur 
die große Handelsſtadt New York, fondern das ganze Land feine 
Größe erreichte; fei es denn der Zwed, für welchen die Union 
felbft gegründet wurde. Meiner Anfiht nach wurde das Schiff 
dazu gebaut, um die Ladung zu führen und zu erhalten, und fo 
lange das Schiff mit der Ladung gerettet werden kann, follte es 
nicht aufgegeben werden, ausgenommen wenn die Erhaltung der 
Ladung zur Unmöglichkeit wird. Meberhaupt follte das Schiff 
erit dann aufgegeben werden, wenn es nicht anders gerettet wer— 
den Fann, fei es denn, daß man ſowohl Ladung als Paffagiere 
über Bord würfe. So lange daher eine Möglichkeit zur Erhal- 
tung der Freiheit und Wohlfahrt des Volkes in der Union vorhan— 
den ift, wird es mein unabläffiges Streben fein, den Fortbeftand 
der Union zu fihern. Nehmen Sie meinen wiederholten Danl 
an für die mir erwiefene Ehre und erlauben Eie mir, damit meine 
Rede zu ſchließen.“ 


86 Das Leben Abraham Lincolns. 





Am nächſten Tage feste Herr Lincoln feine Reife nach Phila- 
delphia weiter, In Trenton hielt er fich einige Stunden auf 
und befuchte die beiden Häufer der Legislatur. In der Senats- 
halle hielt er folgende Anrede: 


„Herr Prafident und meine Herren vom Senat des Staates 
Hew Ierfey:— Ich bin Ihnen fehr zu Dank verpflichtet für den 
ehrenvollen Empfang, den Sie mir zugedacht haben. Ich kann 
nicht umhin, der Stellung zu gedenken, die New Jerſey in unferer 
frübern Gefchichte einnahm. Während des Revolutionsfrieges 
hatten wenige Staaten unter den alten „Dreizehn“ fo viele 
Schlacdhtfelder innerhalb ihrer. Grenzen, als der Staat New 
Serfey. _ Sei es mir bei diefer Gelegenheit geftattet, einer Fleinen 
Epifode aus meiner früheften Kinpheit zu gedenken. Kurz nach— 
dem ich lefen gelernt hatte, fiel mir ein Eleines Buch in die Hände, 
das jest wohl ſehr felten zu treffen iftz e8 war „das Leben 
Waſhington's, von Weemes.“ Scy erinnere mich aller der Be— 


fhreibungen der Freiheitsfämpfe und der Schlachtfelder, und 


feines jener Bilder prägte fich meiner Phantafie fo tief ein, wie 
die Schlacht zu Trenton, New Jerſey. Der Hebergang über den 
Sluß, der Kampf mit den Heffen, die unfäglichen Drangfale und 
Entbehrungen, denen ſich die Revolutionsfoldaten zu unterziehen 
hatten — alles Dies machte einen lebhafteren Eindrudf auf mein 
Gemüth, ald irgend ein anderes Ereigniß der Revolution, und 
Sie wiffen Alle, meine Herren — denn Sie Alle waren einft 
Knaben — daß die früheften Eindrüde am längften anhalten. 
Ich erinnere mich deutlich, wie ich Damals als Knabe ſchon dachte, 
daß es etwas Außergewöhnliches gewefen fein mußte, wofür Diefe 
Männer kämpften. Es ift mein fehnlichfter Wunſch, daß jene 
Sache, wofür fie kämpften — jenes Etwas, das felbft die natio- 
nale Unabhängigkeit aufwog — jenes Etwas, das allen Völkern 
der Welt für alle Zufunft fo große Verheißungen bot — es ift 
mein fehnlichiter Wunfch, daß diefe Union, die Konftitution und 
die Freiheit des Volkes, ver Driginalivee gemäß, für welche der 
Kampf unternommen wurde, fortleben ſollen, und höchſt glücklich 
würde ich mich fhäben, wenn ich das geringe Werkzeug in der 
Hand des Allmächtigen und dieſes, feines erwählten Bolfes fein 


a en Du Ze ee — 


Reife nad) Wafhington. 87 





dürfte, um den Fortbeſtand jenes großen Kampfes zu fihern. Sie 
bereiteten mir diefen Empfang, wie ich höre, ohne Anſehung der 
Partei. Diefer gefeggebende Körper befteht, wenn ich nicht irre, 
der Mehrzahl nach aus Herren, die in der Ausübung ihrer Ge- 
wiffenspflichten bei der Präfivdentenwahl mir opponirten. Den- 
noch begrüßen Sie mich jest als den conftitutionellen Präſidenten 
der Vereinigten Staaten. Als Bürger der Vereinigten Staaten 
bewillfommen Sie einen Mann, der eine Zeit. lang der Repräfen- 
tant der Nation fein wird — der Nation, vereinigt, um den Fort- 
beftand der Union und der Freiheiten des Volkes zu fihern. Als 
folcher nehme ich diefen Empfang weit dankbarer an, als wenn er 
mir perfünlich gegolten hätte.“ 


Sodann begab er fi in die Kammer der Affembly, mo er von 
pem Sprecher vorgeftellt wurde. Hier hielt er folgende Rede: 


„Herr Sprecher und meine Herren :— Soeben ward mir die 
Ehre eines Empfanges Durch den andern Zweig diefer Legislatur 
zu Theil, und wie jenem Körper fage ich auch Ihnen meinen 
Danf für die Aufnahme, Die das Bolf von New Jerſey durch ihre 
erwählten Repräfentanten mir, dem zeitweiligen Repräfentanten 
der Majeftät des Volkes der Vereinigten Staaten, bereitete. Ich 
beziehe fehr wenig von den mir erwiefenen Achtungsbezeigungen 
auf mich felbft. Meiner Meinung nad follte man mit Indivi— 
ouen wenig Aufſehen machen; als eine Manifeſtation der An— 
hänglichkeit an die Union und Conſtitution aber iſt die Sache 
lobenswerth. Ich wurde hier durch die Vertreter des Volkes von 
New Serfey bewilllommt, deren größere Zahl in der Politif mir 
und meiner Partei opponirte. Dieſe Manifeftation habe ich alfo 
als den Ausdruck ihrer Hingebung für die Union, die Conftitution 
und die Freiheit des Volfes zu betrachten. Sie, Herr Sprecher, 
haben die paffende Bemerkung gemacht, daß dies eine Zeit fei, in 
welcher die Tapferften und Weifeften mit Zmeifel und Beforgnig 
auf den Zuftand unferer nationalen Angelegenheiten blidten. 
Unter fo bewandten Umftänden werden Sie wohl einfehen, daß 
es mir jeßt nicht geziemt, ausführlich den Weg zu bezeichnen, den 
ich für gut finden werde, einzufchlegen. Wohl aber ziemt es ſich 


88 | Das Leben Abraham Lincolns. 


mir, alle meine Zeit zum Beobachten und Sammeln nüslicher 
Auskunft zu verwenden, fo daß, wenn die Zeit fommt und jch 
offiziell zu fprechen habe, ich im Stande fein möge, den beiten und 
ficherften Grund zu faffen, von welchem mid, Nichts abbringen 
fann. Sch werde mich bemühen, folchen Grund zu faffen, daß ich 
dem Norden, dem Dften, dem Weiten und dem Süden, furzum 
dem ganzen Lande damit gerecht werde. Sch faffe diefen Grund 
mit Wohlwollen — fiherlich nicht mit Haß gegen irgend eine 
Sektion. Sch werde alle meine Kräfte aufbieten, um eine fried- 
lihe Schlichtung aller unferer Schwierigkeiten herbeizuführen. 
Es lebt fein Menfch, der zum Frieden geneigter ift als ich — der 
mehr opfern würde, ihn zu bewahren. Allein es mag nothwendig 
werden, den Fuß feit aufzufegen. Und wenn ich meine Pflicht 
erfülle und das Rechte thue, fo darf ich wohl auf Ihre Unter- 
ftüßung hoffen? Diefer Empfang feitens einer Zegislatur, deren 
Majorität in der Politif nicht mit mir übereinftimmt, läßt mich 
hoffen, daß diefelbe Hand in Hand mit mir arbeiten wird, um das 
Schiff des Staates durch alle Stürme und Gefahren in den 
fichern Port zu lenken; denn follte es jebt Schiffbruch leiden, fo 
bedürfte es Feines andern Piloten mehr zu einer weitern Reife.‘ 





In Philadelphia wurde Herr Lincoln mit ungeheurem Enthu- 
fiasmus empfangen. Sämmtliche Straßen, die er durchzog, wa— 
ren mit einer unabfehbaren Menfchenmenge gefüllt. Der Jubel 
und das Hurrahrufen der Menge wollten fein Ende nehmen und 
allerwärts wurde der erwählte Präfivdent mit Blumen und Krän- 
zen überhäuft. Nachdem Mayor Henry ihn offiziell begrüßt hatte, 
hielt er folgende Rede: 


„Herr Mayor und Mitbürger von Philadelphia: — Ich 
erfcheine vor ihnen, nicht um eine lange Anrede zu halten, 
fondern um Ihnen für diefen großartigen Empfang zu danken, 
Diefer Empfang gilt nicht mir, dem Individuum, fondern dem 
Manne, welcher zeitweilig die Majeftät der Nation repräfentirt, 
oder mindefteng repräfentiren follte. Es ift wahr, wie Ihr wür— 
diger Mayor fagte, daß gegenwärtig eine große Beforgniß die 
Bürger der Bereinigten Staaten erfülle, Ich halte es indeffen 


Reife na) Waſhington. 89 





für einen glüdlichen Umftand, daß jener unzufriedene Theil unfe= 
ver. Mitbürger nicht im Stande ift, einen einzigen Punkt aufzu= 
weifen, in welchem er beeinträchtigt wurde oder im Begriffe fteht, 
beeinträchtigt zu werden; und aus diefem Grunde hielt ich mich 
ftets zu dem Schluffe gerechtfertigt, daß die Krifis und der panifche 
Schreden, der gegenwärtig das Land erfüllt, durchaus Fünfilich 
find. Wenn es Leute giebt, die in diefem Punkte nicht mit mir 
übereinftimmen, fo haben fie bis jegt noch nicht gezeigt, worin die 
Schwierigkeit befteht. Ich will damit nicht fagen, daß ein Fünft- 
licher Panic Fein. Unheil anzurichten vermöge; ich leugne nicht, 
daß derſelbe ſchon Unheil geftiftet hat. Die Hoffnung, die hr 
Mayor ausfprach, daß ich im Stande fein werde, Friede, Eintracht 
und Wohlfahrt in dem Lande zu erhalten, ift feiner vollfommen 
würdig, und höchſt glüdlich werde ich mich fchägen, wenn es mir 
gelingt, diefe Hoffnung zu erfüllen. Ich gebe Ihnen die aufrich- 
tige Verſicherung, daß ich ein redliches und williges Herz zur Ar« 
beit bringe. Ob die Fähigkeit des Kopfes dem Willen des Her—⸗ 
zens entfpricht, darüber foll die Zukunft richten. Es wäre nußlos, 
jest über Details und Pläne zu fprechen. Nächten Montag über 
acht Tage kowmmt die Zeit für mich, offiziell zu reden, wenn die 
Zeit überhaupt fommt. Sollte ih dann nicht reden, fo wäre e3 
nutzlos für mich, es jegt zu thun. Rede ich dann, fo ift es nutz⸗— 
los, es jebt zu thun. Wenn ich fpreche, werde ich folchen Grund 
faffen, wie mir am geeignetften erfcheint, um dem Lande Frieden, 
Eintracht und Wohlfahrt zu erhalten und den Fortbeftand der 
Nation und der Freiheit diefer Staaten zu fihern. Ihr würdiger 
Mayor wünfchte, daß ich lange genug in Ihrer Stadt verweilen 
könnte, um die Wünfche Ihrer Kaufleute und Fabrikanten zu hö— 
ren, oder gleihfam dem Gemurmel zu laufchen, das fich innerhalb 
jener geheiligten Mauern erhebt, hinter welchen die Eonftitution 
der Vereinigten Staaten und ebenfalls die Unabhängigfeits-Er- 
Härung entworfen und adoptirt wurden. Ich verfichere Ihnen 
und Ihrem Mayor, daß ich während meines ganzen Lebens Nichts 
zu thun hoffe, was nicht mit den Lehren jener geheiligten Räume 
vereinbar iſt. All mein politifches Kämpfen und Ringen war zu 
Gunſten der Lehren, die son jenen geheiligten Mauern kamen, 


90 Das Leben Abraham Zincolns. 





Möge meine rechte Hand erfahmen und meine Zunge an dem 
Gaumen feſtkleben, wenn ich jenen Lehren je ungetreu werde, Und 
nun, Mitbürger, erlaubt mir, Euch gute Nacht zu wünfchen.“ 


Am nächften Morgen befuchte Herr Lincoln die alte „Unab— 
hängigkeits-Halle,“ um beim Aufziehen der National-Flagge be- 
bilflich zu fein. Hier wurde er mit großem Jubel empfangen und 
hielt darauf die folgende Anrede: 


„Tiefe Rührung erfüllt mein Herz, dieweil ich hier ftehe an die⸗ 
fem Drte, wo alle Weisheit, aller Patriotismus und alle Hinge- 
bung für ein Prinzip verfammelt waren, dem die Inftitutionen 
entjprangen, unter welchen wir leben. Sie haben gütig ange- 
deutet, dag meinen Händen die Aufgabe anvertraut fei, unferm 
bedrohten und umdüfterten Lande den Frieden wiederzugeben, 
Hierauf kann icy nur erwiedern, daß ich alle meine politifchen 
Gefinnungen, fo weit es mir möglich war, aus den Gefinnungen 
fchöpfke, die in diefer Halle ihren Urfprung hatten und von hier 
aus in die Welt hinausdrangen. ch hegte nie eine politifche 
Ueberzeugung, die nicht mit den in der Unabhängigfeits-Erflärung 
ausgefprochenen Grundſätzen übereinftimmte. Dftmals habe ich 
über die Gefahren nachgedacht, denen die Männer ausgefebt wa— 
ren, welche hier verfammelt waren und die Unabhängigfetts-Er- 
klärung entwarfen und adoptirten. Oftmals dachte ich an die 
Strapagen, welche die Offiziere und Soldaten der Armee zu er— 
dulden hatten, die dem Lande jene Unabhängigkeit erfämpften. 
Dftmals legte ich mir ſelbſt die Frage vor, welches große Prinzip, 
welche Idee es wäre, wodurch dieſe Conföderation fo lange zuſam— 
mengehalten wurde. Es war nicht die bloße Trennung der Co— 
Ionien son dem Mutterlande, fondern vielmehr die Gefinnung 
ver Unabhängigfeits-Erflärung, was nicht allein dem Volke diefes 
Landes, fondern, wie ich hoffe, der ganzen Welt für alle Zufunft 
Freiheit gab. Es war eine Berheifung, daß feiner Zeit die Laft 
von den Schultern aller Menfchen genommen werden ſolle. Dies 
ift ein der Unabhängigfeits-Erflärung einverleibtes Prinzip. Nun, 
meine Sreunde, fann das Land auf dieſe Bafis hin gerettet wer= 
den? Wenn fo, dann werde ih mich für den glüdligten Men- 


Reife nady Wafbington. 91 





Shen halten, wenn ich zu der Rettung beitragen fann. Kann es 
nicht auf diefes Prinzip hin gerettet werden, dann ift die Lage in 
der That entfeglih. Wenn aber diefes Land nicht gerettet wer» 
den kann, ohne jenes Prinzip aufzugeben, dann — ih war im 
Begriffe zu jagen — dann wollte ich lieber auf diefer Stelle er- 
mordet werden, als daß ich es aufgäbe, Nach der gegenwärtigen 
Lage der Dinge zu urtheilen, bedarf es Feines Blutvergießeng, 
eines Krieges. Es ift feine Urfache dazu vorhanden. Ich bin 
nicht zu Gunſten eines folchen Verfahrens und kann daher im 
Voraus fagen, daß es zu feinem Blutvergießen fommen wird, es 
fei denn, daß man die Regierung dazu nöthigt; in diefem Falle 
würde fie aus Selbitvertheidigung handeln. 

„Meine Freunde, dies ift eine unvorbereitete Rede; ich glaubte 
nicht ein Wort fprechen zu müffen, als ich hierher fam. Sch 
glaubte, ich follte bloß beim Aufziehen einer Flagge behilflich fein. 
Sch mag daher etwas unvorfichtig ‘geredet haben. Sch habe in- 
deffen Nichts gefagt, was ich nicht mit meinem Leben bethätigen 
und — wenn es der Wille des Allmächtigen ift — mit meinem 
Tode befiegeln will,“ 


Die Partie begab fih nun nach einer Plattform, die in der Fronte 
des Stadthaufes errichtet worden war, wo der Präfident eingeladen 
wurde, die Flagge aufzuhiſſen. Herr xıncoın antwortete in einer 
furzen Rede, daß er mit Freuden diefem Ruf gehorche, und fpielte 
dann auf die urfprüngliche Flagge mit den dreizehn Sternen an. 
Die Anzahl, fagte er, habe fich ım Laufe der Zeit vermehrt und 
wir feien ein glüdliches und mächtiges Volk geworden. ever 
neue Stern habe zur Wohlfahrt des Ganzen beigetragen. „Die 
Zukunft,“ fagte er, „ift in den Händen des Volkes. Bei einer 
folhen Gelegenheit, wie der heutigen, Ffünnen wir gemeinfam 
überlegen und unfere Hingebung für das Land und die Prinzipien 
der Unabhängigkeits-Erflärung auf's Neue bethätigen. Sei es 
daher unfer Entſchluß, daß, fo oft wir unferm Banner einen neuen 
Stern hinzufügen, es ein Sirftern fein jolle, der nie von den 
Greueln des Krieges getrübt, fondern durch die Segnungen des ' 
A ak Zug zn Tag glänzender werde. Sahren wir fort, 


92 Das Leben Abraham Lincolns. 





das Nevier unferer Nüplichkeit auszudehnen; laßt und Stern um 
Stern hinzufügen, bis ihr Licht auf fünfhundert Millionen freier 
und glüdlicher Menſchen fcheint.“ 


Der Präfivent hißte dann die Flagge bis zum Gipfel des 
Slaggenftabes empor, Um halb zehn Uhr reifte er nad) Harris— 
burg weiter. Dort angelangt, befuchte er beide Häufer der Legis— 
latur und erwiederte auf eine Willkommens-Adreſſe Folgendes: 


„sch erfcheine vor Ihnen, meine Herren, um einige wenige Ber 
merfungen über das zu machen, was ich eben gehört habe. Ich 
danke Ihnen aufrichtig für diefen Empfang und für die edelmü- 
thigen Worte, mit denen Sie mir Ihre Unterftüsung zugefagt 
haben. ch danfe Ihrem großen Staate für die überwältigende 
Majorität, die er bei der Testen Wahl — nicht mir perſönlich, 
fondern der Sache, gab, die ich für eine gerechte halte, -Es wurde 
eine Anjpielung auf die Thatjache gemacht — auf die intereffante 
Ihatfache, darf ich fagen — daß mein erfter Beſuch in der Haupt- 
ftadt des großen Staates Penniylvanien gerade auf den Geburts— 
tag des Vaters des Vaterlandes fallt. Ich habe diefen Morgen 
bereits in Philadelphia einer Außerft intereffanten Ceremonie bei= 
gewohnt. Zum erften Male war es mir vergönnt, in der alten 
Unabhängigfeit3-Halle zu ftehen, dort einigen an mich gerichteten 
Worte zu laufchen und darauf zu antworten, wobei ich nur be— 
dauerte, daß ich Feine Zeit gehabt, meinen Gefühlen einen einiger- 
maßen paffenden Ausprud zu verleihen, der mit meinen Gefin- 
nungen harmonirte., Außerdem hatten unfere dortigen Freunde 
eine prächtige Nationalsdlagge in Bereitfchaft. Sie hatten mir 
die Ehre zugedacht, diefelbe aufzuziehen. Und als fie empor- 
fchmwebte, freute ich mich, daß mein ſchwacher Arm fie zu ihrem 
Plabe erhob. Als ich das Seil anzog und fie glorreich im Teiche 
ten Winde, von der glühenden Morgenfonne gefüßt, ohne Hinder— 
niß aufftieg, da fonnte ich mich der Hoffnung nicht erwehren, daß: 
der gänzliche Erfolg diefer fhönen Ceremonie ein Omen fein möge 
für das, was da fommen foll. Auch konnte ich mich des oft ſchon 
‚ empfundenen Gefühls nicht erwehren, daß ich nur ein geringes 
Werkzeug ſei. Ich hatte die Flagge nicht in Bereitfchaft gehalten; 


Reiſe nad) Wafbinston. | 93 





ich hatte nicht Die Vorkehrungen getroffen, fie an den Ort ihrer 
Beftimmung zu erheben. Während des ganzen Vorganges war 
ich in den Händen der Leute, die die Vorkehrungen getroffen hatten. 
Ich hatte nur einen Heinen Theil meiner geringen Stärfe ange- 
wandt, um die Flagge emporzubeben. Wenn mir nun derfelbe 
unverfürzte Beiftand dieſer Nation zu Theil wird, fo glaube ich, 
daß die Flagge unferes Landes glorreich aufrecht erhalten werden 
kann. Sch wiederhole hier einige Worte, die ich im Hotel hörte. 
. Es handelte ſich nämlich um die militärifche Unterftüßung, die der 
Staat Pennfylvanien im Falle der Noth der General-Regierung 
zufommen laffen würde. Um irgend einem möglichen Irrthum 
vorzubeugen, komme ich auf diefe Worte zurüd. Es gewährt mir 
fein Vergnügen, an die Möglichkeit zu denken, daß in diefem Lande 
die Nothwendigkeit militärifcher Rüftungen kommen fünnte. Wäh— 
rend es mich außerordentlich freut, die Manifeftation eurer militä- 
rifchen Force auf euren Straßen zu gewahren; während ich mich 
außerordentlich über euer Berfprechen freue, diefe Force im Falle 
der Noth zu gebrauchen — fo wiederhole ich, um jedem möglichen 
Mißverftändniffe vorzubeugen, daß ich aufrichtig Hoffe, wir werden 
derfelben nicht benöthigt fein; es möge nie ihre Pflicht werden, 
Blut — und befonderd Bruderblut — zu vergießen. Soweit 
meine Weisheit reicht, verfpreche ich, daß, wenn je dieſes traurige 
Ereignig eintritt, es nicht durch meine Schuld gefchehen foll. 
Desgleichen hörte ich einen eurer geehrten Redner auf eine Be- 
merkung anfpielen, die ich neulich in Pittsburg machte, und zwar 

in Bezug auf das fpezielle Intereffe dDiefes großen Staates Penn- 
folvanien. Ich will hier nur fo viel darüber fagen, daß meine 
Bemerkungen bei jener Gelegenheit forgfältig überlegt und wohl 
erwogen waren, Sch babe feither Feine Beranlaffung gefehen, 
diefelben zu modifiziren. Ich laſſe fie daher gerade ftehen, wo fie 
find, und füge nur hinzu, daß es mich freut, meine Herren von 
Pennfylvanien, daß Sie diefelben befriedigend fanden. Und num, 
meine Herren von der General-Affembly des Staates Pennſylva— 
nien, erlauben Sie mir nochmals, Ihnen meinen verbindlichiten 
Dank für Ihre Güte zu fagen.“ 

Es waren Arrangements zu feiner Abreife von Harrisburg am 


94 Das Leben Abraham Lincolns. 





folgenden Morgen getroffen worden; allein die rechtzeitige Ent- 
defung einer Verſchwörung, ihn auf feinem Wege durch Balti- 
more zu ermorden (man glaubt, daß verfchiedene hervorragende 
Bürger von Baltimore in der Verſchwörung waren, obfchon die— 
felbe durch andere Hände zur Ausführung gebracht werden follte,) 
machte eine Abänderung des Reife-Programmes nöthig, und fo 
ging er denn am Abend des 22, Februar mit einem Spezialzug 
nach Philadelphia zurüd und begab ſich von dort in einem Schlaf- 
wagen des regelmäßigen Mitternachtszuges nach Wafhington, mo 
er in früher Morgenftunde am 23. Februar anlangte, 

Als ein Beweis, wie wenig man zu jener Zeit Die ganze Ver— 
worfenheit einer gewiffen Klaffe son Leuten verftand, diene die 
Mittheilung, daß nicht Wenige fih über dieſe Mitternachtsreife 
luftig machten — daß fogar eine hervorragende illuftrirte Zeit- 
fohrift ein Carrifaturbild über jene Affaire brachte. Jetzt, vier 
Jahre fpäter, nachdem ein Eingeborener jener Stadt die Haupt- 
rolle in der neulichen Tragödie fpielte, wird es wohl Keinem eins 
fallen, jene einfache VBorfichtsmaßregel zu verlachen und zu ver- 
fpotten, 





Sechſtes Kapitel. 
Die neue Adminiſtration. 


Reden zu Wafhington — Die Inaugural-Adreffe — Deren Wirkungen — 
Das Kabinet — Commilfäre von Montgomery — Auszüge aus A, 9. 
Stephen’s Rede — Virginia Commiffäre — Fall von Fort Sumter. 


Einige Tage nach der Ankunft des neuen Präfiventen in Wafhing- 
ton machten ihm der Mayor und andere Munieipal-Beamte ihre 
offizielle Aufwartung, bei welcher Gelegenheit er folgende Rede 
bielt: 

„Herr Mayor: — Sch danke Ihnen und den Municipal-Be- 
hörden diefer Stadt für diefe Bewillkommung. Und da ich hier 
zum erſten Male in meinem Leben, feit der gegenwärtigen Geſtal— 


Tie neue Adminiſtration. 95 





tung der Politif in dieſem Lande, öffentlich in einer Sektion re- 
dete, wo das Inſtitut der Sklaverei befteht, fo ergreife- ich dieſe 
Gelegenheit, um zu fagen, daß meiner Anfiht nach ein großer 
Theil der Mißftimmung, die zwifchen dem Bolfe des Landftriches, 
aus welchem ich komme, und dem Volke hier herrfcht, auf gegen- 
feitigem Mißverſtändniß beruht, Ich verfichere daher Ihnen, 
Herr Mayor und diefen Herren hier, daß ich gegen Sie ftets die— 
jelben wohlmwollenden Gefinnungen hegte, wie gegen das Bolf mei= 
ner eigenen Sektion, Es lag nie in meiner Abficht, Sie anders 
zu behandeln, als ich meine eigenen Nachbarn behandelte, Es ift 
nicht meine Abficht, Sie unter den beftehenden Umftänden irgend 
einer Wohlthat der Eonftitution zu berauben, die ich meinen eige- 
nen Nachbarn nicht vorenthalten würde; und ich hoffe zuverficht- 
lich, daß wir einander bald befjer fennen werden, und daß damit 
auch unfer gegenfeitiges Vertrauen von Tag zu Tag wachſen wird, 
Ich danfe Ihnen für diefen gütigen Empfang.“ 


Am folgenden Abend, nachdem ihm die republifanifche Aſſocia— 
tion eine Serenade gebracht hatte, hielt er folgende Anrede an die 
Menge: 


„Seine Freunde: — Ich glaube, daß ich dies als ein mir 
geltendes Compliment betrachten darf, und bitte Sie, meinen herz- 
lihen Danf dafür anzunehmen. ch gelangte nad, diefer Stadt 
Waſhington unter Umftänden, unter denen fein anderer Mann je 
hierher gelangte. Sch Fam hierher, um eine offizielle Stellung 
bei einem Bolfe einzunehmen, das mir faft einftimmig politifch 
feintlich war und wohl noch iſt. Es liegt feineswegs in meiner 
Abſicht, Diefen Abend eine lange Rede zu halten. Ich wünſche 
nur zu fagen, was ich geftern eurem würdigen Mayor und dem 
Board der Aldermen fagte, daß meiner Anficht nad ein großer 
Theil der Mißſtimmung zwifchen dem Bolfe hier und dem Volke 
in meiner Gegend auf einem Mißverftändniß beruhe. 

„Ich hoffe, dag, wenn Alles feinen ruhigen Gang geht, wie wir 
insgefammt wünfcen, es in meiner Macht liegen möge, diefes 
Mißverſtändniß einigermaßen zu befeitigen; daß es mir gelingen 
möge, euch und das Volk diefer Sektion zu überzeugen, daß wir 


96 Das Leben Abraham Lincolns. 





euch in allen Dingen als Unferesgleichen betrachten und euch der- 
felben Achtung würdig halten, die wir felbft beanſpruchen; daß 
wir keineswegs geneigt find, felbft wenn dies in unferer Macht 
läge, euch zu unterdrüden oder euch eurer conftitutionellen Nechte 
zu berauben, noch felbft einen Heinlichen Hader wegen diefer Rechte 
auffommen zu laffen; daß wir im Gegentheil entjchloffen find, 
euch, foweit es in unferer Macht fteht, alle eure conftitutionellen 
Rechte zu laſſen — nicht mit Groll und Murren, fondern willig 
und mit Freuden. ine ſolche Behandlung wird uns hoffentlich 
einander mehr und mehr befreunden. Und nun, meine Freunde, 
geftatten Sie mir, nochmals meinen Dank für diefes Compliment 
abzuftatten und zugleich den Wunſch auszudrüden, diefe fchöne 
Muſik noch ein wenig länger hören zu dürfen.“ 

Nie in der Gefchichte diefes Landes wurde die Inaugural— 
Adreffe irgend eines Präfidenten mit folder Spannung erwartet, 
wie die Herrn Lincoln’s. Die meiften feiner Landsleute, felbft in 
Staaten, deren Loyalität über allen Verdacht erhaben war, follten 
fich ficher getäufcht fehen, welcher Art auch der Inhalt ver Inau— 
gural-Adreffe fein mochte. Es herrfchte die allgemeine Annahme, 
für die fich jedoch Feine triftigen Gründe anführen ließen, daß 
dieſe Adreffe gleich einer Panacee die Wunden der Nation heilen 
würde, Eine Klaſſe indeffen, die den Mann nicht Fannte, hoffte 
faſt gegen alle Hoffnung, daß den Rebellen ſolche Eoncefjionen 
gemacht werden würden, daß dadurd alle Schwierigfeiten ver- 
ſchwinden müßten, und daß die alte gute Zeit im Begriffe ftände, 
wiederzufehren. Andere wollten ſich nur mit der pofitivften, un— 
zweideutigften Verdammung der Rebellen zufrieden geben und 
verlangten im Voraus alle Details der Behandlung zu wiffen, die 
denfelben zugedadht wäre. Noch Andere waren neugierig zu er— 
fahren, was überhaupt gefagt werden könne. Hier und dort hörte 
man auch ein leifes Munkeln von einer gewaltfamen Verhindes 
rung der Fnauguration, ja felbft von Mordanfchlägen und ders 
gleichen. 

Es wurden jedoch alle möglichen Borfichtsmaßregeln getroffen, der— 
artige Pläne zu vereiteln, und fo erfchien denn Herr Lincoln am 4, 
März 1861 an der Oftfronte des Capitols, wo ihm zur feftgefegten 


Die neue Adminiſtration. 97 





— —— 


Stunde Oberrichter Taney den Amtseid abnahm. Dann verlas 
er mit klarer, feſter Stimme, im Beiſein von Zehntauſenden ſeiner 
Mitbürger, die Inaugural-Adreſſe: 

„Mitbürger der Vereinigten Staaten: — Einem Gebrauche 
gemäß, der ſo alt iſt, wie die Regierung ſelbſt, erſcheine ich 
hier, um euch anzureden und in eurer Anweſenheit den Eid 
abzulegen, den die Conſtitution der Vereinigten Staaten dem 
Präſidenten vorſchreibt, ehe er zur Verwaltung ſeines Amtes 
ſchreitet. 

„Ich erachte es gegenwärtig für unnöthig, jene Angelegenheiten 
der Adminiſtration zu berühren, die kein ſpezielles Intereſſe dar— 
bieten. Das Volk der ſüdlichen Staaten ſcheint ſich Befürchtun— 
gen zu überlaſſen, daß durch den Eintritt einer republikaniſchen 
Adminiſtration ihr Eigenthum, ihr Friede und ihre perſönliche 
Sicherheit gefährdet würde. Niemals jedoch war eine vernünftige 
Urſache zu einer ſolchen Befürchtung vorhanden. Der vollſtän— 
digſte Beweis des Gegentheils lag ihnen ſtets vor Augen. Er fin— 
det ſich in beinahe allen veröffentlichten Reden Deſſen, der euch 
jetzt anredet. Ich citire nur eine Stelle aus einer dieſer Reden, 
indem ich erkläre, „daß ich weder direkt noch indirekt die Abſicht 
hege, mich in das Inſtitut der Sklaverei zu miſchen in den Staa— 
ten, wo dieſelbe beſteht.“ Ich glaube, daß mir kein geſetzliches 
Recht zuſteht, dies zu thun, und ebenſo wenig habe ich die Nei— 
gung, dies zu thun. Diejenigen, welche mich nominirten und er— 
wählten, thaten dies mit dem vollen Bewußtſein, daß ich dieſe und 
viele Ahnliche Erklärungen abgegeben und dieſelben nie widerru— 
fen hatte. Mehr noch als dies, fie nahmen in ihrer Plattform 
zu meiner Genehmigung und als Gefes für fich felbft und für mich 
folgenden Haren und emphatifchen Befchluß auf, den ich hier vor= 
leſen will: 

„Befhloffen, daß die unverleglihe Wahrung der Rechte 
der Staaten, insbeſondere des Rechtes jedes einzelnen Staates, 
feine eigenen häuslichen Snftitutionen ausschließlich nad, eigenem 
Ermeffen und Gutdünken zu reguliren und. controlliren, uner— 
Täglich ift für jene Machtbefugniß, worauf die Perfection und 
— unſeres politiſchen Baues beruht; und wir de— 





98 Das Leben Abraham Lincolns. 





nunziven die gefeglofe, bewaffnete Invaſion irgend eines Staates 
oder Territoriums, gleichviel unter welchem Borwande, als eines 
- der jchwerften Verbrechen.‘ 

„Ich wiederhole nun diefe Grundſätze, und indem ich Dies thue, 
liefere ich der öffentlihen Meinung den fchlagenpften Beweis, den 
der Fall zuläßt, daß das Eigenthum, der Friede und die Sicher- 
heit feiner Seftion im mindeften durch die neue Apminiftration 
gefährdet werden. 

„Und überdies füge ich hinzu, daß jeder Schub, der in Heber- 
einftimmung mit der Conftitution und den Geſetzen gegeben wer— 
ven kann, bereitwillig allen Staaten auf gefegliches Anfuchen 
gegeben werden foll, fei die Urfache, welche fie wolle; und zwar 
foll diefer Schuß allen Sektionen mit derfelben Bereitwilligfeit 
zu Theil werden. 

„Es herrſcht eine bedeutende Controverfe Hinfichtlich der Aus— 
lieferung flüchtiger Arbeiter oder Dienftfchuldenden, Die Klaufel, 
die ich jet verlefen werde, ift fo klar und deutlich in der Eonfti» 
tution niedergefchrieben, als irgend eine andere ihrer Beftim- 
mungen: | 

„seine Perfon, die in irgend einem Staate unter den Geſetzen 
defjelben in Dienft oder Arbeit gehalten wird und in einen andern 
Staat entflieht, fol in Folge irgend eines Gefeges oder einer 
Regulation dafelbft folhen Dienftes oder folcher Arbeit entbunden 
fein, fondern fol auf, Verlangen der Perfon, der folder Dienft 
oder folche Arbeit fchuldig ift, zurüdgeliefert werden.’ 

„Ss ift kaum zu bezweifeln, daß dieſe Beftimmung son den 
jenigen, welche dieſelbe trafen, in Bezug auf folche Perfonen 
getroffen wurde, die wir flüchtige Sklaven nennen, und die Ab- 
ficht des Geſetzgebers ift das Geſetz. 

„Ale Mitglieder des Congreffes ſchwören, die ganze Conſtitu— 
tien zu unterftügen — folglich diefe Beftimmung fo gut wie irgend 
eine andere, In Beziehung auf den Sag, daß Sklaven, deren 
Fall in den Bereich der Worte dieſer Klaufel: „füllen zurüdge- 
liefert werden,” kommt, ift ihr Eid daher einftimmig. Wenn fle 
nun mit gutem Willen den Verſuch machen wollten, könnten fie 
nicht mit faft gleicher Einftimmigfeit ein Geſetz entwerfen und 


Die neue Adminiſtration. 99 





paſſiren, durch welches jener einftimmige Eid zur feften Beachtung. 
und Wahrung käme? 

Es herrſcht einige Meinungsverfchiedenheit darüber, ob diefe - 

Klaufel dur die National-Autorität oder durch die Staats» 
Autorität zur Ausführung gebracht werden folle. Sicherlich ift 
diefe Frage von feinem materiellen Belang. Wenn der Sklave 
ausgeliefert werden fol, fann es weder ihm noch Andern von 
großer Wichtigkeit fein, auf welche Autorität hin dies gefchieht; 
und follte irgend Jemand in irgend einem Falle feinen Eid un 
bewahrt Iaffen wollen auf Die unerhebliche Controverſe bin, wie 
berfelbe zu halten ji? t 

„Doc weiter, Sollten nicht in irgend einem Gefe über die— 
fen Gegenſtand alle Garantien der Freiheit, die fich in der civili— 
firten und Inmanen Jurisprudenz vorfinden, in's Spiel gebracht 
werden, damit nicht in irgend einem Fall ein freier Mann als 
Sklave ausgeliefert werde? Und wäre e8 nicht zu gleicher Zeit 
gut, durch ein Geſetz jene Klaufel in der Eonftitution zur praf- 
tischen Ausführung zu bringen, welche garantirt, daß die „Bürger 
eines jeden Staates zu allen Privilegien und Rechten der Bürger 
in den einzelnen Staaten berechtigt fein ſollen?“ 

„Sch leifte heute den offiziellen Eid ohne geheimen Vorbehalt 
und ohne die Abficht, die Conftitution oder die Geſetze durch irgend 
welche byperfritifche Regeln zu deuten; und während ich es für 
jest unterlaffe, befondere Congreßakte zur praftifchen Geltend- 
machung zu fpezifiziren, erkläre ich, daß es viel ficherer für Alle 
ift, fet es in offizieller Stellung oder im Privatleben, fih allen 
jenen Alten, die nicht widerrufen find, unbedingt zu fügen, als 
irgehd eine derfelben zu verlegen, in der Hoffnung, ungeftraft 
dafür zu bleiben, dieweil fie diefelben für unconftitutionell hielten. 

„Zwei und fiebenzig Jahre find nun feit der erſten Inaugura— 
tion eines Präfidenten unter unferer National-Eonftitution ver- 
floffen. Während diefer Periode haben fünfzehn verfchiedene und 
fehr ausgezeichnete Bürger nach einander den Exekutivzweig der 

Regierung verwaltet. Sie haben ihrem Amte durch viele Ge— 
fahren und meijteng mit großem Erfolge vorgeftanden. Dennod, 
mit all? diefen reichlichen Präcedenzfüllen, unterziche ich mich num 


100 Das Leben Abraham Lincolns. 





.für den furzen conftitutionellen Termin von vier Jahren derfelben 
Aufgabe unter großen und eigenthümlichen Schwierigkeiten. 

„Fine Zergliederung der füderalen Union, bisher nur ange— 
droht, wird jegt mit erftaunlicher Kühnheit verfucht. Sch halte 
dafür, daß in Anbetracht des Univerfalgefeges und der Conftitu= 
tion die Union diefer Staaten eine fortdauernde if, In dem 
Grundgefege aller National-Regierungen ift die Fortdauer ange- 
deutet, wenn nicht deutlich ausgedrüdt. Es läßt ſich mit Sicher- 
heit behaupten, daß feine Regierung jemals in ihrem organifchen 
Geſetze eine Beftimmung für ihr eigenes Aufhören traf, Fahret 
fort, alle auedrücklichen Beſtimmungen unferer National-Confti- 
tution auszuüben, und die Union wird für ewig beftehen, da es 
unmöglich ift, diefelbe zu zerftören, ausgenommen durch eine 
Handlung, die nicht in dem Inftrumente felbft vorgefehen ift. 

„Diederum, wenn die Vereinigten Staaten nicht eine wirk- 
liche Regierung find, fondern nur eine Affveiation von Staaten 
nad Art eines bloßen Contraftes, fönnen fie dann, als ein Con— 
traft, friedlich aufgelöft werden, ohne die Einwilligung ſämmt— 
licher Partien, die denfelben fchloffen? Eine Partie bei einem 
Contrakte kann denfelben verlegen — denfelben brechen, um mich 
diefes Ausdrucks zu bedienen; bedarf es indeſſen nicht füämmt- 
licher Partien, um ihn gefeglich aufzuheben? Bon diefen allge- 
meinen Grundſätzen ausgehend, gelangen wir zu dem Schluffe, 
daß in gefeglicher Hinficht die Union fortdauernd ift, wie Dies die 
Gefchichte der Union ſelbſt beftätigt. 

„Die Union ift viel Alter als die Conftitution. Es ift That- 
fache, daß fie durch die Artikel der Aſſociation von 1774 gegründet 
wurde. Durch die Unabhängigfeits-Erklärung im Jahre 1976 
wurde fie gereift und fortgefeßt. Durd die Artifel der Conföde— 
ration im Jahre 1778 wurde fie weiter gereift und die Treue 
fämmtlicher damaligen dreizehn Staaten ward ausdrücklich für 
ihre Fortdauer verpfändet, und endlich war im Jahre 1737 die 
Bildung einer vollkommneren Union einer der erflärten Zwede für 
den Entwurf und die Gründung der Union. Wenn aber die 
Zerftörung der Union dur einen Staat oder etliche Sfaaten 
auf gefegliche Weife möglich it, dann ift die Union mangelhafter 


\ 


Die neue Adminiſtration. 101 


als zuvor, da die Konftitution das Lebenselement der Fortdauer 
verloren hat, | 

„Es folgt fomit aus diefen Betrachtungen, daß Fein Staat auf 
feine eigene bloße Willkür hin gefeglich aus der Union fcheiden 
kann; daß Befchlüffe und Ordinanzen, die dahin zielen, geſetzlich 
null und nichtig find; und daß Gewaltthaten innerhalb eines 
Staates oder einzelner Staaten gegen die Autorität ver Bereinig- 
ten Staaten je nah Umſtänden infurreetionär oder revolutio- 
när find. 

„Sch halte deshalb dafür, daß angefichts der Conftitution und 
der Geſetze, die Union unzertheilt ift, und werde nach beften Kräf- 
ten, wie mir die Conftitution ausdrüdlich vorfchreibt, dafür for- 
gen, daß die Geſetze der Union in füämmtlichen Staaten getreulicy 
ausgeführt werden. Ich halte dies für eine einfache Pflicht mei- 
nerfeits und werde fie deshalb möglichft vollftändig ausüben, wo— 
fern nicht meine rechtmäßigen Gebieter, das amerifanifche Volf, 
mir in irgend einer autoritativen Weife das Gegentheil anbe- 
fehlen. | | 

„Sch hoffe, man wird mir dies nicht als Drohung auslegen, 
fondern es als die erklärte Abficht der Union betrachten, daß fie 
fih auf conftitutionelle Weife vertheidigen und erhalten werde. 

„Um dies zu erzielen, bedarf es Feines Blutvergießeng, Feiner 
Gewaltthat; und nichts ‚dergleichen wird ftattfinden, wenn es 
nicht der National-Autorität aufgezwungen wird, 

Ich werde die mir anvertraute Gewalt gebrauchen, um das 

Eigenthum und die Orte, die der Regierung ge- 
bögen, zu halten, zu befegen und im Befig zu 
halten, wie auch, um die Zölle zu collectiren ; weiter aber, ala 
für diefe Zwede nothwendig ift, wird feine Invaſion ftattfinden, 
‚feine Gewalt gegen das Volk irgendwo angewendet werden, 

„Wo die Feindfeligfeit gegen die Vereinigten Staaten fo groß 
und fo allgemein fein wird, daß competente dort wohnende Bürger 

es für unmöglich finden, Bundesämter zu verwalten, wird fein 
Verſuch gemacht werden, dem ſich weigernten Bolfe mißliebige 
Sremdlinge aufzudrängen, Wäbhrend der Regierung das ftrenge 
legale Recht zuftehen mag, die Ausübung jener Aemter zu erzwins 


102 Das Leben Abraham Lincolns. 








gen, würde ein Verſuch, dies zu thun, fo aufreizend wirken und da— 
bei faft fo unausführbar fein, daß ich es für das Beſte halte, Die 
Berwaltung ſolcher Aemter zeitweilig einzuftellen. 

„Die Poftämter werden in allen Theilen der Union auch ferner- 
bin verwaltet werben, fo lange dies thunlich ift. 

„So weit als möglich fol das Volk überall jenes Gefühl voll— 
tommmen®& Sicherheit haben, welches am geeignetiten ift, dem 
ruhigen Denfen und der Ueberlegung Vorſchub zu leiſten. 

„Der bier angezeigte Weg wird befolgt werben, bis die Erfah- 
tung oder der Lauf der Greigniffe eine Modification oder einen 
Wechfel für geeignet erfcheinen laffenz in jedem Fall und für jedes 
Vorkommniß werde ich mit befter Einficht und Befonnenheit han- 
deln, flets in der Hoffnung auf eine friedliche Beilegung der natio— 
nalen Wirren und die Wiederherftellung brüderlicher Sympathien 
und Geſinnungen. 

„Daß es in der einen oder in der andern Sektion Perfonen 
giebt, welche die Union auf alle Fälle zu zerftören fuchen und be= 
gierig nach jedem Vorwand hierzu hafchen, will ich weder behaup- 
ten noch leugnen, Wenn es folche Perfonen giebt, fo halte ich es 
für unnöthig, auch nur ein Wort an fie zu richten. 

„Darf ich aber nicht zu Denjenigen reden, welche die Union 
wirklich lieben, ehe ich weiter auf ein fo ernftes Thema eingehe mie 
die Zerftörung unferes nationalen Baues mit al’ feinen Wohl- 
‚thaten, feinen Erinnerungen und Hoffnungen, Wäre e3 nicht 
wohl, erft die Urfache ins Auge zu faffen? Wollt ihr einen fo ver- 
zweifelten Schritt wagen, wenn die Hebel, denen ihr zu entfliehen 
fucht, feine wirkliche Eriftenz haben? Wollt ihr ihn wagen, 
die gewiffen Uebel, denen ihr entgegen geht, größer find als alle die 
vermeintlichen, denen ihr zu entfliehen fucht? Schaudert ihr nicht 
vor dem Begehen eines fo fehredlichen Irrthums zurüd? Alle 
geben vor, mit der Union zufrieden zu fein, wenn alle conftitutio- 
nelien Rechte garantirt werden. Iſt es denn wahr, daß irgend ein 
ausdrücklich in der Conftitution bezeichnetes Necht mißachtet wurde ? 
Ich glaube es nicht. Glücklicherweiſe ift der menfchliche Geift fo 
organifirt, daß fich feine Partei erbreiften würde, dies zu thun. 

„Nennt ung, wenn ihr könnt, einen einzigen al, in welchem 


Die neue Adminiſtration. 103 





eine ausdrüdliche Beftimmung der Conftitution verweigert wurde. 
Wenn eine Majorität durch ein bloßes Uebergewicht an Zahl eine 
Minorität irgend eines conftitutionellen Rechtes berauben würde, 
fo möchte dies, von einem moralifchen Gefichtspunfte aus betrachtet, 
eine Resolution rechtfertigen; unftreitig wäre dies der Fall, wenn 
ein folches Recht ein Lebensprinzip enthielte, Dies aber ift hier 
nicht der Fall. . 

„Alle wefentlichen Rechte der Minoritäten und Individuen find 
in der Conftitution fo deutlich durch Bejahungen und Berneinun- 
gen, Sarantien und Verbote bezeichnet, daß nie eine Controverfe 
darüber entitehen fann. Unmöglich aber ift das Aufitellen eines 
organifchen Geſetzes mit einem Provifo, das auf jedwede Frage, die 
in der praftifchen Ausübung vorkommen mag, fpezifijch anwendbar 
wäre. Keine menſchliche Vorſicht, fein Dofument, fei es auch noch 
fo ausführlich, kann Beftimmungen für alle möglichen Fragen 
treffen, Sollen flüchtige Dienftfchuldende durch die Nationalbe- 
hörden oder durch die Staatsbehörden ausgeliefert werden? Die 
Eonftitution giebt Feine ausdrüdliche Erklärung hierüber, Muß 
‘der Congreß die Sklaverei in den Territorien befhüsen? Die 
Eonftitution giebt feine ausprüdliche Erklärung hierüber. Aus 
ragen diefer Art entfpringen alle unfere Controyerfen, und mir 
zerfallen darüber in Majoritäten und Minoritäten. 

„Wenn die Minprität nicht nachgeben will, fü muß die Majori- 
tät es thun, oder die Regierung hört auf. Es giebt Feine andere 
Alternative für den Fortbeftand der Regierung, als das Nachgeben 
der einen oder der andern Seite, Wenn die Minorität in einem 
folchen Falle eher fecediren als nachgeben will, fo ftellt fie einen 
Průcedenzfall auf, der ſie dereinſt ruiniren und zerſpalten wird, denn 
eine Minorität in ihr ſelbſt wird von ihr ſecediren, ſobald eine Ma— 
jorität ſich weigern wird, ſich von einer ſolchen Minorität controlli— 
ren zu laſſen. Warum ſollte zum Beiſpiel nicht irgend ein Theil 
einer neuen Conföderation in einem oder zwei Jahren wiederum 
willfürlich fecediren, gerade wie Theile der gegenwärtigen Union 
jest von derjelben fecediven wollen? Alle Diejenigen, welche Dis— 
unionsgelinnungen hegen, bereiten fich jett zu folchem Verfahren 
vor. Herrfiht eine ſolche Identität der Intereffen bei ten Staaten, 


104 Das Leben Abrabam Lincolne. 





die eine neue Union gründen wollen, daß daraus nur Harmonie 
entipringen fann und eine erneuerte Secrflion von vornherein aus» 
geihloffen würde? Wahrlich, die Gentralivee der Secefjion ijt die 
Eſſenz der Anarchie. 

„Eine Majorität, die durch die Conftitution in den Schranken 
gehalten wird und fich ftets mit dem MWechfel in der öffentlichen 
Meinung und Gefinnung verändert, ift der einzige wahre Sou- 
verain eines freien Volkes, Wer fich ihr widerfegt, flieht nothwen- 
digerweiſe in die Arme der Anarchie oder des Defpotismus. Ein— 
müthigfeit ift unmöglich; die Herrfchaft einer Majorität ift, als 
permanentes Arrangement, ganz und gar unftatthaft. Wenn wir 
daher das Majoritäts-Prinzip verwerfen, fo ift Anarchie oder 
Defpotismus in irgend einer Geftalt Alles, was uns übrig bleibt. 

„Es ift wahr, Einige behaupten, daß conftitutionelle Fragen 
durd das Dberbundesgericht zu entfcheiden ſeien; auch leugne ich 
nicht, daß folche Entfcheidungen für die betreffenden Parteien in 
einer Rechtsklage in Bezug auf den Gegenftand dieſer Klage bin- 
dend find; daß fie ferner in allen Parallelfüllen zu einer fehr hohen 
Achtung und Erwägung feitens aller übrigen Departements der Re— 
. gierung berechtigt find; und während dies feineswegs die Möglich- 
feit ausfchließt, vaß eine folche Entfcheidung in einem gegebenen 
Fall irrtümlich fein kann, ift die Daraus entfpringende üble Wir- 
fung, da fie fih auf diefen befondern Fall befhränft, mit der Mög- 
lichkeit, daß die Entfcheidung zurüdgenommen werde und damit 
aufhöre, ein Präcedenzfall zu fein, leichter zu ertragen, als die 
übeln Folgen einer verfchiedenen Praris fein würden. 

„Hier nun aber muß jeder aufrichtige Bürger zugeben, daß, wenn 
die Politik der Regierung binfichtlich der Lebensfrage, die ein gäh- 
zes Volk betrifft, unmwiderruflih an die Entjcheitungen des Ober- 
bundesgerichts gebunden fein folle, das Volk von dem Augenblid 
der Entfcheidung an, wie bei einer gewöhnlichen Litigation zwifchen 
Parteien in Perfonalflagen, aufhört, fein eigener Herr zu fein, es 
fei denn, daß es feine Regierung bis zu diefem Grade praftifch in 
die Hände dieſes hohen Gerichtshofes niedergelegt habe. 

„Auch ift dies nicht als ein Angriff auf das Gericht oder die Rich 
ter zu betrachten. Es ift eine Pflicht, der fie ſich nicht entziehen 


Die neue Abminiftration. 105 





dürfen, Falle zu entfcheiden, die ihnen vorfchriftsgemäß vorgelegt 
werden; und es ift nicht ihre Schuld, wenn Andere ihre Entjchei- 
dungen zu politifchen Zweden zu gebrauchen fuchen. Eine Sektion 
unferes Landes hält die Sklaverei für recht und befürwortet ihre 
Ausbreitung; die andere Sektion hält fie für unrecht und wehrt fich 
gegen ihre Ausbreitung. Dies ift der einzige fubftantielle Streit. 
Die Klaufel in der Eonftitution in Betreff der flüchtigen Sklaven 
und das Gefeb zur Unterdrüdfung des fremden Sklavenhandels 
werden vielleicht beide fo vollftändig ausgeführt, als dies bei irgend 
einem Geſetze möglich ift in einem Staate, in welchem das mora- 
lifche Gefühl des Volkes das Gefeg felbft unvollkommen unterftüßt. 
Die große Maffe des Volkes Hält fich in beiden Fällen an die 
trodene gefegliche Obligation, während einige Wenige das Geſetz 
übertreten. Dem läßt fich nicht fo ganz abhelfen, und das Uebel 
würde in beiden Fällen nach der Trennung der Sektionen größer 
fein, ala zuvor. Der auswärtige Sklavenhandel, der jebt unvoll- 
fommen unterdrüdt ift, würde am Ende in der einen Seftion ohne 
Befchränfung wieder aufleben; während die flüchtigen Sklaven, die 
jest nur theilweife ausgeliefert werden, gar nicht mehr’von der an— 
dern Sektion ausgeliefert werden würden, 

„Phyſiſch können wir ung nicht trennen; wir Fünnen unfere be- 
treffenden Sektionen nicht von einander entfernen, noch einen un— 
überfteiglichen Wall zwifchen denfelben errichten. Ehegatten können 
jich fcheiden Faffen und fich von einander entfernen; allein die ver- 
fhiedenen Theile unferes Landes können dies nicht tbun. Gie 
wüſſen einander gleichfam in's Antlig fohauen, und der Verkehr — 
fei es ein freundlicher oder ein feindliher — muß zwifchen ihnen 
fortbeftehen. Iſt es daher möglich, diefen Verkehr nach der Tren- 
nung vortheilhafter und befriedigender zu machen, als er zuvor war? 
Können Ausländer leichter Verträge fchließen, als Freunde Gefebe 
machen können? Gefebt, ihr beginnt den Krieg — ihr könnt niche 
ewig fümpfen; und wenn ihr nach großem Berlufte beiderfeits und 
feinem Gewinne endlich die Waffen niederlegt, fo fommen die iden- 
tifhen Fragen binfichtlich der Verfehrsbedingungen wiederum auf’s 
Tapet. 

„Dieſes Land mit ſeinen Inſtitutionen gehört dem Volke, von 


x 


106 Tas Leben Abraham Lincolns. 





dem ed bewohnt wird. Wenn es der beftehenden Regierung müde 
wird, kann es fein conftitutionelles Recht anwenden, diefelbe zu 
amendiren, oder aber fein revolutionäres Recht, diefelbe zu zerglies 
dern und zu flürzen, Sch bin mir der Thatfache wohlbewußt, daß 
viele würdige und patriotifche Bürger die Amendirung der Natigs 
nal-Conftitution wünfchen. Ich unterlaffe es, ein Amendment an— 
zuempfehlen, erfenne aber bereitwillig die volle Autorität des Volkes 
über diefen Gegenftand an, der ſich Durch den einen oder den andern 
in dem Inſtrumente felbft vorgefchriebenen Modus ausführen läßt, 
und würde unter den obwaltenden Umftänden eine günftige Gele— 
genheit für das Volk, die Sache in die Hand zu nehmen, eher * 
günftigen, als mich derfelben widerfegen. 

„Es fei mir geftattet, hinzuzufügen, daß ich dem Conventions— 
Modus den Vorzug geben würde, weil dadurch dem Volke Gelegen- 
heit gegeben wird, Die Amendments felbft zu machen, anftatt nur 
das Recht zu haben, Propofitionen anzunehmen oder zu verwerfen, 
die von Andern, nicht befonders zu diefem Zwede Ernannten, ge— 
macht wurden, und die vielleicht der Art wären, daß fie das Volk we— 
der annehmen, noch verwerfen möchte, MWie ich höre, hat ein vor- 
gefchlagenes Amendment zur Eonftitution (das mir jedoch nicht zu 
Gejichte Fam) den Congreß paffict, demzufolge fih die Bundesre- 
gierung fünftighin aller Einmiſchung in die häuslichen Jnftitutio- 
nen eines Staates — das Inſtitut der in Dienftbarfeit gehaltenen 
Perfonen eingerechnet — enthalten folle. Um einer Mißdeutung 
des Obengefagten vorzubeugen, gehe ich von meiner Abficht, von 
feinem befondern Amendment zu fpredhen, ab und fage, daß ich 
Nichts dagegen habe, daß dieſe Beſtimmung, die jetzt ein angedeu— 
tetes conftitutionelles Geſetz ift, ausdrücklich und unwiderruflich ge— 
macht werde, 

„Der Präſident erhält alle feine Autorität von dem Volke, und 
dieſes hat ihm Feine Autorität verliehen, die Bedingungen für eine 
Trennung der Staaten feftzufegen. Das Bol ſelbſt fann auch 
dies thun, wenn es ihm beliebt, allein die Exekutive hat Nichts da- 
mit zu Schaffen. Die Pflicht des Präfidenten ift es, Die Regierung 
zu verwalten, wie fie in feine Hände fam, und fie unaugetaftet fei- 
nem Nachfolger zu überliefern. Warum follte nicht ein geduldiges 


Die neue Adminiftration. 107 





Bertrauen in die endliche Gerechtigkeit des Volkes vorhanden fein? 
Giebt es eine beffere oder auch nur eine Ähnliche Hoffnung in der 
Welt? Wenn der allmächtige Lenker der Nationen mit feiner ewigen 
Wahrheit und Gerechtigkeit auf Seiten des Nordens oder auf Sei— 
ten des Südens ift, fo wird dieſe Wahrheit und Gerechtigkeit ficher- 
lich durch das Urtheil diefes großen Tribunals, des amerifanifchen 
Bolfes, die Oberhand gewinnen. Durd die Gründung der Regie- 
rung, unter welcher wir leben, hat diefes Volk weislich feinen öffent- 
lihen Dienern nur wenig Macht gegeben, Unheil zu ftiften, und 
hat mit gleicher Weisheit dafür geforgt, daß felbft dies Wenige nach 
kurzer Friſt ftets wieder in feine eigenen Hände zurüdfalle. So lange 
die Nation Tugend und Wachfamkeit ausübt, kann Feine Admini— 
ftration binnen der furzen vier Jahre durch Bosheit oder Thorheit 
der Regierung erheblichen Eintrag thun. 

„Meine Landsleute, Einer und Alle, denkt mit Ruhe und Befon- 
nenheit über diefen Gegenftand nad. Nichts Werthuolles Kann 
euch dadurch entgehen, daß ihr euch Zeit Taffet. 

„Denn irgend ein Zwed euch antreibt, voreilig einen Schritt zu 
thun, den ihr niemals Taltblütig thun würdet, fo feid überzeugt, 
daß diefer Zwed durch mäßige Ueberlegung vereitelt werden wird; 
fein guter Zwed aber kann dadurch vereitelt werden. 

„Ihr, die ihr jest unzufrieden feid, habt noch immer die alte 
Conftitution unangetaftet, fowie die Geſetze, die ihr felbit gefchaffen 
habt, während die neue Adminiftration feine Macht hat, viefelben 
fofort zu ändern, felbft wenn fie dies wollte, 

„Selbit angenommen, daß ihr Unzufrievenen in diefem Streite 
Recht hättet, fo ift noch nicht ein einziger Grund zum voreiligen 
Handeln vorhanden. Intelligenz, Patriotismug, Chriſtenthum, 
fowie ein unwanfelhaftes Vertrauen auf Gott, der diefes fein hoch— 
begünftigtes Land noch nie verlaffen hat, find noch immer im 
Stande, alle unfere gegenwärtigen Wirren auf das Befte zu be- 
feitigen. 

„In euren Händen, meine unzufriedenen Landsleute, und nicht 
in den meinigen, liegt die furchtbare Snitiative zum Bürgerkriege. 
Die Regierung wird euch nicht angreifen. . 

„Es kann Fein Kampf ftattfinden, ohne dag ihr felbft die Angreifer 


108 Das Leben Abraham Lincolns. 





feid. Ihr habt dem Himmel feinen Eid gefihworen, Die Regierung 
zu zerftören, während ich den feierlichften Eid ſchwur, dieſelbe „zu 
erhalten, zu befhügen und zu vertheidigen.“ 

„Ich fliege ungern, Wir find nicht Feinde, fondern Freunde, 
Mir dürfen nicht Feinde fein. Ob auch die Leidenfchaft das Band 
unferer Liebe ftraff gezogen hat, fie darf es nicht brechen. 

„Die myſtiſchen Saiten der Erinnerung, die fi von jedem 
Schlachtfelde und Patriotengrabe zu jedem lebendigen Herzen und 
zu jedem häuslichen Herde über diefes ganze weite Land erftreden, 
werden aufs Neue in den großen Chor der Union einftimmen, 
wenn fie wiederum, was ficher zu erwarten fteht, von den — 
Engeln unſerer Natur berührt werden.“ 


Ein Punkt wenigſtens ward durch dieſe Inauguration feſtge— 
ftellt, wie ungewiß manches Andere auch fein mochte: „Wir hatten 
endlich eine Regierung. Kein Buchanan faß mehr am Ruder, 
Die Ioyalen Männer jeder Scattirung athmeten freier. Zu 
gleicher Zeit zielte Alles darauf hin, wo möglich eine ehrenvolle 
Verföhnung zu bewerfftelligen. Wenn nad dieſer flaren und 
mäßigen Darlegung der Pläne und Abfichten der neuen Admini- 
ftration der Schlag fommen mußte, den Alle abzulenken wünfchten, 
fo war es wenigftens beruhigend, zu fühlen — wie Jeder, der Herrn 
Lincoln an jenem venfwürdigen Tage gehört hatte, gefühlt haben 
mußte — daß ein Mann das,Steuer lenkte, der volllommenes Ver— 
trauen hatte, daß das organifche Gefeb, weit entfernt, der Auflöfung 
der Union Vorfchub zu leiften, hinlängliche Lebenskraft und Stärke 
in fih barg, um die Nation gegen Gefahren von Innen ſowohl wie 
von Außen zu vertheidigen. 

Die Ankündigung des Kabinets, das der Präfivent aus den 
fähigften Männern feiner eigenen Partei .zufammengefebt hatte, 
deren größere Anzahl zur Nomination als Kandidaten für das hohe 
Amt, das er begleitete, würdig befunden worden waren, flößte allen 
Freunden des Landes weiteres Vertrauen ein. Die fähige Feder 
des Staatöfefretärs wurde fofort in Requifition gefeßt, um durch 
die neu ernannten Gefandten im Auslande den europäifchen Mäch- 
ten den wahren Stand der Dinge mitzutheilen. So raſch es fich 
thun ließ, wurden die Departements von disloyalen Beamten ges 


Die neue Adıniniftration. 109 





füubert, obſchon Lug und Trug, die einen bedeutenden Stapelartifel 
in der Rebellion ausmachten, dieſes Werk — vorwärts 
ſchreiten ließen, als Manchem lieb war. 

Nachdem die Davis-Dynaſtie zu Montgomery am 9. März 
eine Akte zur Gründung einer confüderirten Armee paffirt hatte, 
meldeten fich drei Tage fpäter zwei Individuen — das eine von 
Alabama, das andere von Georgia — als „Conföderirte Commifs 
färe,“ zum Zwed einer Unterhandlung accreditirt. Der Präfident 
weigerte fich, diefe „Eommifjäre' anzuerkennen, und verwies fie zur 
Auskunft über feine Anfichten und Abfichten auf feine Inaugural- 
Adreſſe. 

Am 21. März brachte Alexander H. Stephens von Georgia 
Vice-Präſident der Montgomery Verräther, der bisher für einen 
der mäßigſten, ſowohl wie für einen der fähigſten der Verſchwörer 
gegolten hatte, alle Zweifel hinſichtlich ſeiner ſelbſt und ſeiner 
Spießgeſellen zum Schweigen. 


Er ſagte bei dieſer Gelegenheit: 


„Die neue Conſtitution (die zu Montgomery adoptirte) hat alle 
die aufregenden Fragen hinſichtlich unſerer einheimiſchen Inſtitu— 
tionen — wie z. B. der afrikaniſchen Sklaverei, wie fie bei uns 
beteht ; den geeigneten Status des Negers in unferer Civilifationg- 
form und dergleihen — für immer erledigt. Dies war die un 
mittelbare Urfache des neulihen Bruches und der gegenwärtigen 
Revolution. Der weitjehende Jefferfon hatte dieſes Inſtitut als 
die Klippe bezeichnet, an welcher die alte Union foheitern würde, 
Er hatte Recht. Was bei ihm Muthmaßung war, ift jebt zur 
vollendeten Thatjache geworden. Ob er aber die große Wahrheit, 
auf welcher diefe Klippe ftand und noch fteht, völlig begriff, if zu \ 
bezweifeln. Die vorherrſchenden Ideen, die er in Gemeinfchaft 
mit den hervorragendften Staatsmännern zur Zeit der Öründung 
der Eonititution hegte, waren die, daß die afrifanifche Sklaverei 
die Gefebe der Natur verlete, daß fie dem Prinzip nad), wie in 
foeialer, moralifcher und politifcher Hinficht ein Unrecht fei. Die 
Sklaverei war ein Uebel, das fie nicht zu behandeln verſtanden; 
die allgemeine Anficht der Männer jener Zeit aber war, daß dem 


110 Das Leben —T Lincolns. 





Rath der — gemäß das Inſtitut ephemeriſcher Natur ſei 
und allmälig verfhwinden würde. * * * * * 

„Unſere neue Regierung iſt auf gänzlich entgegengeſetzte Ideen 
begründet. Ihr Fundament iſt gelegt; ihr Eckſtein beruht auf 
der großen Wahrheit, daß der Neger dem weißen Manne nicht 
ebenbürtig, und daß die Sklaverei, die Subordination unter die 
höhere Race, ſein natürlicher und normaler Zuſtand iſt. Dieſe 
unſere neue Regierung iſt die erſte in der Geſchichte der Welt, die 
auf dieſe große phyſiſche, philoſophiſche und moraliſche Wahrheit 
baſirt iſt. * * * Hierauf, wie ich bereits bemerkte, iſt unſer 
ſocialer Bau feſt begründet, und ich zweifle keineswegs an dem 
endlichen Erfolg einer vollen Anerkennung dieſes Grundſatzes in 
der ganzen civiliſirten und aufgeklärten Welt. * * * * Diefer 
Stein, der von den erften Baumeiftern verworfen wurde, ift zum 
Edjtein unferes neuen Baues geworben.‘ | 


Am 13, April empfing der Präfivent eine Committee der Con- 
vention des Staates Virginien. Diefe Convention agitirte die 
Trage, ob ſich Virginien den bereits in Rebellion befindlichen 
Staaten anfchließen, oder ob es in der Union bleiben folle, um 
dadurch die Pläne der Nebellen zu fürdern. Der Zmed dieſes 
Befuches, fowie das Nefultat defjelben, laffen fi) am beften aus 
Herrn Lincoln’s Antwort erfehen: 


„Seine Herren: — Als eine Committee der jebt in Sitzung 
befindlichen Convention von Birginien legten Sie mir eine Prä- 
ambel und einen Beſchluß vor, die in folgende Worte gekleidet find: 

„Sintemalen nad der Anficht diefer Convention die Un— 
gewißheit in der öffentlichen Meinung über die Politik, welche die 
Föderal-Executive gegen die fecevirten Staaten zu verfolgen bes 
abjichtigt, den induftriellen und commerziellen Intereſſen des 
Landes höchſt nachtheilig ift, eine für die Schlichtung der ſchwe— 
benden Wirren ungünftige Aufregung verurfacht und eine Stö- 
rung des Öffentlichen Friedens bedroht; deshalb wird” 

„Beſchloſſen, daß eine Committee von drei Delegaten er— 
nannt werde, um dem Präfiventen der Vereinigten Staaten aufe 
zuwarten, ihm diefe Präambel vorzulegen, und ihn achtungsvoll 


Die neue Adminiftration. 111 





au erfuchen, diefer Convention die Politik anzuzeigen, die die Fö— 
deral-Ereeutive gegen die Confüderirten Staaten zu verfolgen 
beabſichtigt.“ | | 

„Als Erwiederung hierauf wünfche ich zu jagen, daß, nachdem 
Ich beim Beginn meines Amtstermins meine beabfichtigte Politik 
möglichft deutlich ausgefprochen habe, ich nun zu meinem tiefen 
Bedauern und Berdruffe erfahren muß, daß eine grpße und nad» 
theilige Ungewißheit darüber herrfche, welcher Art dieſe Politik jet 
und welchen Weg ich einzufchlagen gedenke. Da ich big jetzt noch 
feinen Grund zu einer Aenderung finden fonnte, fo ijt es meine 
Abficht, den in der Jnaugural-Adreffe vorgezeichneten Weg zu 
geben. Als den beften Ausprud, den ich meinen Abfichten geben 
fann, empfehle ich Ihnen das ganze Dokument zur forgfältigen 
Erwägung. Was ich darin fagte, wiederhole ich jebt: „Die mir 
anyertraute Gewalt wird angewendet werden, um alles Eigen- 
thum und alle der Regierung gehörigen Plätze zu halten, zu be» 
fegen und im Befig zu halten, wie auch um die Zölle zu collectiren ; 
weiter aber, als für diefen Zwed nothwendig ift, wird feine In— 
vaſion ftattfinden, feine Gewalt gegen das Volk angewendet wer- 
den.” Unter den Worten „Eigenthum und der Regierung ge— 
hörige Pläße” verftehe ich hauptſächlich die militärifchen Poften 
und das Eigenthum, das fich im Beſitz der Regierung befand, als 
diefelbe in meine Hände gelangte. Wenn nun aber, wie es in 
der That zu fein fiheint, in der Abficht, die Autorität der Ver— 
einigten Staaten von diefen Pläßen zu vertreiben, gin unprovo⸗ 
zirter Angriff auf das Fort Sumter gemacht worden iſt, ſo werde 
ich es für meine Pflicht halten, daſſelbe, wenn ich kann, wieder zu 
erobern, wie auch alle andern Plätze, die ergriffen worden waren, 
ehe ich zur Regierung gelangte; jedenfalls aber werde ich nach 
beſtem Vermögen Gewalt mit Gewalt vertreiben. Sollte ſich das 
Gerücht von dem Angriff auf Fort Sumter als wahr erweiſen, ſo 
werde ich vielleicht die Vereinigten Staaten Poſt in ſämmtlichen 
angeblich ſecedirten Staaten einſtellen laſſen, überzeugt, daß der 
Beginn des thätlichen Krieges gegen die Regierung eine ſolche 
Maßregel rechtfertigt und möglicherweiſe erheiſcht. Ich brauche 
wohl kaum zu ſagen, daß ich die militäriſchen Forts und das 


ı12 Das Leben Abraham Lincolns. 





Eigenthum, innerhalb der angeblich fecedirten Staaten gelegen, 
noch immer als der Vereinigten Staaten Regierung gehörig be= 
trachte, fo gut als, diefelben vor der fogenannten Seceſſion der 
Regierung gehörten. Was ich auch fonft zu dem Zmede thun 
mag, ich werde nicht verfuchen, die Zölle mittelft bewaffneter In— 
vafion in irgend einem Theile des Landes zu erheben — jedoch 
will ich nicht, damit fagen, daß ich nicht eine Truppenmacht landen 
werde, wenn dies zur Verftärfung eines Forts an den Grenzen 
des Landes für nothwendig erachtet wird. Bon der Thatfache, 
daß ich eine Stelle aus der Inaugural-Adreffe citirte, darf nicht 
geichloffen werden, daß ich irgend einen andern Theil repudiire ; 
ich beftätige vielmehr das Ganze, das ausgenommen, was-ich in 
Bezug auf die Poftämter fagte — dies mag als eine Mopification 
betrachtet werden.” 


Fort Sumter fiel am Tag nach dem Empfang diefer Commiffäre, 
nachdem jeder in der Macht der Regierung ſtehende Verſuch ge- 
macht worden war, um diefer Kataftrophe vorzubeugen. Diefe 
hat ließ nmr eine Auslegung zu. An eine friedliche Bei» 
legung des Streites war nicht mehr zu denken. Die Rebellen 
hatten an das Schwert appellirt. Die Macht und Autorität der 
Vereinigten Staaten war verhöhnt und infultirt worden. Kein 
Ioyaler Mann durfte jebt zögern. Wenn es indeffen felbft jegt 
noch Leute gab, die fich der trügerifchen Hoffnung auf eine Ret— 
tung dur Compromiffe überließen, fo ftand Eines feit: Abraham 
Lincoln gehörte nicht zu ihrer Zahl. 


Siebentes Kapitel. 
Rüftungen zum Kriege. 


Wirkungen des Falles von Fort Sumter— Aufruf des Präfidenten um Trup- 
pen — Thätigkeit in den loyalen Staaten — In den Grenzftaaten — Auf- 
ruhr zu Baltimore — Maryland’s Stellung— Brief des Präfidenten an die 
Maryland Autoritäten — Slockade-Proclamation — Weitere Proclama- 
tion— SBeurtheilungen im Auslande — Bweites Aufgebot von Truppen— 
Spezielle Ordre für Florida— Militärifche Bewegungen. 


Sumter fiel, aber die Nation erhob fih. Einftimmig beſchloſſen die 
freien Staaten, daß die Rebellion unterdrüdt werden müffe. Das 
patriotifche Feuer hatte Alle ergriffen. Die geheimen Berräther, 
die fih in den loyalen Staaten aufhielten, fanden es für gut, mit 
dem Strome zu ſchwimmen. Die Klügeren unter ihnen begriffen 
wohl, dag ein folches Verfahren ihnen bedeutende Bortheile ver- 
fhaffen mußte, wenn die Reaction eintreten würde, auf die fie 
hofften und für die fie im Geheimen arbeiteten. Die große Maſſe 
des Bolfes aber glaubte nicht an die Möglichkeit einer Reaction— 
Action follte an der Tagesordnung bleiben, bis das begonnene Ge- 
ſchäft vollendet wäre, 


Am 15. April 1861 erließ der Präfivent feine erfte Proclama- 
tion. Sie lautete wie folgt: 


„Sintemalen den Gefeben der Vereinigten Staaten jest 
und feit einiger Zeit opponirt und die Ausübung derfelben verhin- 
dert wird in den Staaten Süd-Carolina, Georgia, Alabama, Flo— 
rida, Miffiffippi, Louifiana und Teras, und zwar durch Combina- 
tionen, die zu mächtig find, als daß fie durch das gewöhnliche ge- 
richtliche Verfahren oder durch, die den Marfchällen durch das Geſetz 
verliehene Macht unterdrüdt werden fönnten:— Deshalb halte ich, 
Abraham Lincoln, Präfivent der Vereinigten Staaten, kraft 
der mir durch die Conftitution und die Gefege verliehenen Gewalt 
es für angemeffen, die Miliz der einzelnen Staaten der Union, wie 
hiermit gefchieht, bis zur Geſammtzahl von fünf und fiebzig taufend 
Mann aufzubieten, um befagte Combinationen zu unterbrüden und 
die volle Ausübung der Gefete zu bewerkſtelligen. 

8 (113) 


114 Das Leben Abraham Lincolns. 





‚Die Details für diefen Zwed werden den Staatsbehörden fofort 
durch Das Kriegsdepartement mitgetheilt werden, ch erfuche alle 
loyalen Bürger, diefem Beftreben, die Ehre, die Integrität und die 
Eriftenz unferer National-Union und den Fortbeftand einer volks— 
thümlichen Regierung zu wahren, fowie den fchon lange genug. er= 
duldeten Unbilden ein Ende zu machen, ihre Unterftügung und Hilfe 
angedeihen zu laſſen. Ich halte es für geziemend zu fagen, daß der 
erſte den hiermit aufgebotenen Truppen angewieſene Dienſt wahr— 
fcheinlich darin beftehen mird, die der Union entriffenen Forts, 
Plätze und anderes Eigenthum wieder in Befig zu nehmen; in je- 
dem Fall wird, ſoweit es mit dem oben angefündigten Zwed verein« 
bar ift, Die größte Sorge getragen werden, um jede Verheerung, 
jede Zerftörung, jede Beläftigung von Eigenthum, ſowie jede Stö- 
rung friedlicher Bürger in irgend einem Theile des Landes zu ver- 
meiden; und ich befehle hiermit allen Perfonen, die obenerwähnte 
Sombinationen bilden, fi binnen zwanzig Tagen von diefem Da— 
tum an zu zerftreuen und fich friedlich nach ihren refpeftiven Wohn- 
orten zurüdzuziehen. 

„Da meines Erachtens der gegenwärtige Zuftand der öffentlichen 
Angelegenheiten eine außergewöhnliche Beranlaffung giebt, fo ke- 
rufe ich, Eraft der mir durch die Eonftitution verliehenen Gewalt, 
beide Häuſer des Eongreffes zufammen. Die Senatoren und Re- 
prajentanten werden deshalb aufgefordert, ſich am Donnerstag, den 
sierten Juli diefes Jahres, um zwölf Uhr Mittags, in ihren tefpef- 
tiven Kammern einzufinden, um dann iind dort folche Maßregeln 
zu erwägen und zu beſchließen, wie fie in ihrer Weisheit für dus 
Öffentliche Intereffe und die öffentliche Sicherheit für zwedmäßig er⸗ 
achten mögen. 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Unterſchrift beigeſetzt 
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen. 

„Geſchehen in der Stadt Wafhingten, diefen fünfzehnten Tag im 
April, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und einund- 
fechzig, und im fünf und achtzigften der Unabhängigkeit der Ver— 
einigten Staaten.. 

„Auf Befehl des Präfiventen: Abraham FKincoln. 
„William 9 Seward, Staatsſekretär.“ 


Küftungen zum Reiege, A 





Als Antwort auf dieſe Proclamation wurden in fünmtlichen . 
Ioyalen Staaten enthufiaftifche öffentliche Berfammlungen gehalten. 
Ale Parteigrenzen fihienen verwifcht zu fein; Die Anwerbungen 
wurden mit dem tegften Eifer betrieben ; die Stadt Wafhingten, 
die eine Zeit lang in größter Gefahr war, erſchien nun hinlänglich 
vertheidigt. Der größte Theil des Volkes hegte feinen Zweifel, daß 
mit den unter Waffen gerufenen Truppen die Rebellion im Keim 
erſtickt werden würde; die Weiterfehenven aber fchüttelten die Köpfe 
und Viele wünfchten, daß eine Million aufgeboten worden wäre. *) 


Eine vortreffliche Gelegenheit bot fih nun den Grenz-Sflaven- 
ftaaten, um ihre Wahl zu verfündigen—ob fie die Regierung unter- 
fügen, oder aber den Nebellen Hilfe und Vorfchub leiften wollten. 
Magoffin, ver Gouverneur von Kentucky, ließ fich bald vernehmen: 
„Kentuchy,“ fagte er, „liefert feine Truppen zu dem gottlofen Zwede, 
die ſüdlichen Schwefterftanten zu unterjochen.” Gouverneur Letcher 
von Virginien antwortete: „Die Miliz von Virginien wird den 
Machthabern zu Wafhington zu feinem folchen Zwede zur Verfü— 
gung geftellt werden.“ Am 17, April paffirte die Legislatur dieſes 
Staates in geheimer Sitzung die Secefliong-Drdinanz, und fofort 
wurden dafelbft jene Friegerifchen Rüftungen begonnen, deren böfe 
Früchte der Staat fo bald und in fo reihem Maße ernten follte. 
Die Gouverneure von Tenneffee und Nord-Carolina verweigerten 
ebenfalls ihren Beiſtand, und bald gingen diefe Staaten nebft Ar- 
kanſas zur „Conföderation” über, 


Wie aber wurde diefes Truppenaufgebot von dem Rebellen-Eon- 
elave in Montgomery aufgenommen? Diefe Herren lachten dar- 
über. 





*) Diefen Wunſch hörte man damals Häufig äußern, und felbft jebt, nach Be⸗ 
endigung des Krieges, beharren Manche noch darauf. Das Alberne eines ſolchen 
Wunſches geht fchon daraus hervor, daß die Regierung jo unvorbereitet auf den 
Krieg war, daß es einer geraumen Zeit bedurfte, um biefe geringe Force zu bewaff⸗ 
nen, equipiren und feldtüchtig zu machen, Ueberdies darf man nicht vergeffen, daß 
dem Präfidenten nur die Miliz der einzelnen Staaten zu Gebote ftand, und daß ed 
der Ermächtigung des Eongteffes bedurfte, um ein Aufgebot für eine größere Streits 
macht zu erlaffen, (Anmerkung des Ueberſetzers.) 


116 Das Leben Abraham Lincolns. 





Das erſte Dlutvergießen in diefem Kriege fand am 19. April in 

den Straßen zu Baltimore ftatt. Maffachufetts Truppen, Die zur 
Bertheidigung von Wafhington durch jene Stadt pafjirten, wurden 
von einem Pöbelhaufen angegriffen, der durch Männer von Reich- 
thum und focialer Stellung aufgereizt und ermuntert worden war, 
Der Staat Maryland ſchwebte wanfend in der Wagfchale zwifchen 
Loyalität und Verrath. Wäre feine geographifche Lage eine andere 
gemwefen, fo hätte er fich ohne Weiteres dem Süden angefdloffen. 
Der Gouverneur indeffen war fehr geneigt, die Regierung zu unter- 
ftügen, obſchon die eigenthümliche Lage, in der er fich befand, Takt 
und Umficht erforderte. Es wurde der ernftliche Borfchlag gemacht, 
feine weiteren Truppen durch Baltimore zu ſenden. 


Den Tag nad diefem Angriff fandte der Präfivent folgenden 
Brief als Ermwiederung auf eine Mittheilung von Gouverneur Hide 
von Maryland und Mayor Brown von Baltimore ab, welche den 
obigen befcheidenen Borfchlag gemacht hatten: 


„Bafhington, den 20. April, 1861. 
„Gouverneur Hics und Mayor Bromn: 


„Meine Herren: — hr Brief wurde mir dur) die Herren 
Bond, Dobbin und Brune zugeftellt. Ich fage Ihnen Beiden mei- 
nen aufrichtigen Dank für Ihre Bemühungen, in der peinlichen 
Lage, in der Sie ſich befinden, den Frieden aufrecht zu erhalten. Für 
die Zufunft müffen Truppen hierher gebracht werden; ich beftehe 
übrigens nicht darauf, fie durch Baltimore zu bringen. 

„Da ich felbft feine militärifchen Kenntniffe befite, fo muß ich 
natürlich die Details General Scott überlaffen. Diefer warf die- 
fen Morgen im Beifein jener Herren die haftige Bemerkung bin: 
„Laßt die Truppen um und nit durch Baltimore marfchiren.“ 

„sch hoffe, daß der General bei reiflicher Ueberlegung diefen Plan 
für praftifch und geeignet finden wird, und daß Sie fich demfelben 
nicht widerfegen werden. Dadurch würde eine Collifion der Leute 
von Baltimore mit den Truppen vermieden werden, wenn Erftere 
nicht mit Gewalt eine folche herbeizuführen fuchen. Ich hoffe, Sie 
werden allen Ihren Einfluß geltend machen, um dies zu verhindern. 
Mas mic anbetrifft, fo werde ich alle meine Kräfte aufbieten, um 


Ruͤſtungen zum Rriege. 117 





den Frieden zu erhalten, foweit dies mit der Erhaltung der Regie 
rung vereinbar ift, 


„Ihr ergebener Diener, ' 
A. Sincoln. 


Einer Delegation Rebellenfreunde aus demfelben Staate, welche 
eine Einftellung der Feindfeligfeiten bis nach erfolgter Zufammen- 
kunft des Congrefjes verlangte, und ihr Verlangen mit der Erflä- 
rung begleitete, daß fünf und fiebzig taufend Maryländer ſich dem 
Durchmarfch weiterer Vereinigten Staaten Truppen auf dem Boden 
Maryland’s widerfegen würden, entgegnete er gelaffen, er glaube, 
der Staat habe Raum genug, jene Anzahl zu begraben; weigerte 
fich übrigens entfchieden, auf ihren Vorjchlag einzugehen. 

Das Maryland Imbroglio wurde indefjen in kurzer Zeit ge- 
fohlicätet und hinreichende Vorkehrungen getroffen, ferneren derar- 
tigen Störnngen dafelbft vorzubeugen. 


Am 19, April wurde jeder Hafen der rebelliiyen Staaten durch 
folgende Proclamation in Blodadezuftand erklärt: 


„Sintemalen eine Infurrection gegen die Regierung der 
Vereinigten Staaten ausbrad in den Staaten Süd-Carolina, 
Georgia, Alabama, Florida, Mifiiffippi, Rouifiana und Terag, und 
da die Revenuen dafelbft nicht erfolgreich erhoben werden können in 
Mebereinftimmung mit der Conftitution, welche erklärt, daß die Zölle 
in den gefammten Vereinigten Staaten einförmig fein follen : 

„Und fintemalen eine Comkination von Perfonen, die 
in befagter Inſurrektion begriffen find, gedroht hat, angebliche 
Kaperbriefe zu verleihen und die Inhaber derfelben zu ermäch— 
tigen, Angriffe auf das Leben, die Schiffe und das Eigenihum 
guter Bürger diefes Landes zu begehen, die in rechtmäßigem Han» 
del zur offenen See und in den Gewäſſern der Vereinigten Staa— 
ten begriffen find: x | 

„Und fintemalen bereits durch die Erefutive eine Prokla— 
mation erlaffen wurde, worin die an jenem unordentlichen Treis 
ben betheiligten Perfonen aufgefordert worden find, davon abzu— 
laſſen; und worin ferner eine Milizforce aufgeboten wurde, zum 
were, die befagte Infurreftion zu unterdrüden; und worin , 


118 Das Leben Abraham Lincolns. 





ferner der Eongreß zu einer außeroroentlichen Sitzung zuſammen— 
berufen wurde, um hierüber zu berathen und zu bejchließen : 

„Deshalb habe ich, Abraham Lincoln, Präfivdent der Ber- 
einigten Staaten, mit Rüdjicht auf die oben erwähnten Zwecke — 
die Beſchützung des öffentlichen Friedens, forsie des Lebens und 
Eigenthums ruhiger und ordentlicher Bürger, die ihren gefeglichen 
Gefchäften nachgehen — e8 weiterhin für nöthig erachter, bis der 
Congreß fih verfammelt und über befagtes ungefegliches Treiben 
berathen haben wird, oder bis daſſelbe aufgehört haben wird, in 
Uebereinftimmung mit den Gefegen der Vereinigten Staaten und 
dem Bölkerrechte für ſolche Fälle die Seehäfen innerhalb befagter 
Staaten in Blodadezuftand zu erflären, Zu dieſem Zwede wird 
eine genügende Seemacht detachirt werden, um alle Schiffe von 
der Ein- und Ausfahrt in befagten Häfen zu verhindern. Wenn 
nun irgend ein Schiff mit der Abficht, befagte Blodade zu brechen, 
fich irgend einem der befagten Häfen zu nähern oder denfelben zu 
verlaffen fuchen follte, fo wird daffelbe dur den Commandeur 
eines der Blodadefchiffe gebührende Warnung erhalten. Diefer 
Commandeur wird das Datum ſolcher Warnung in das Regiſter 
des Schiffes eintragen, und wenn dann daſſelbe Schiff abermals 
verſuchen ſollte, in den blockirten Hafen einzulaufen oder denſelben 
zu verlaſſen, ſo wird es in Beſchlag genommen und nach dem 
nächſt gelegenen Hafen geſandt werden, um ſammt der Ladung als 
gerechte Priſe den betreffenden Gerichten übergeben zu werden. 

„Und ich proklamire und erkläre hiermit, daß, wenn irgend eine 
Perſon unter der angeblichen Autorität beſagter Staaten oder un— 
ter irgend einem andern Vorwand irgend ein Schiff der Vereinig— 
ten Staaten, oder die Perfonen oder die Ladung an Bord defjelben 
beläftigen follte, folche Perfon nad den Geſetzen der Vereinigten 
Staaten als Pirat überführt und beftraft werden wird, 

„Auf Befehl des Präfiventen : Abraham Lincoln. 


„William 9 Seward, Staatsfefretär.” 


Am 27. April erfchien folgende weitere Proflamation: 


„Sintemalen aus Gründen, die ich in meiner Proflamation 
‚som 19. d. Mts. angegeben, eine Blockade der Seehäfen der 


Küftunzen zum Kriege. | 119 





Staaten Süd-Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Louifiana, 
Miſſiſſippi und Texas angeordnet und befohlen wurde; 

„Und fintemalen feit jenem Datum von Perfonen, die un- 
ter der Autorität der Staaten Virginien und Nord-Carolina zu 
handeln vorgaben, öffentliches Eigenthum der Vereinigten Staa— 
ten ergriffen, die Erhebung der Revenuen verhindert und commif- 
fionirte Beamte der Bereinigten Staaten, die in der Ausführung 
der Befehle ihrer Obern begriffen waren, ohne rechtmäßiges, ge- 
fegliches Verfahren verhaftet, in Gefangenfchaft gehalten oder an 
der Ausübung ihrer Amtspflichten verhindert wurden: 

„Deshalb wird der Blodadezuftand hiermit audy über die Ha= 
fen jener beiden Staaten verfügt und angeordnet. 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Unterfchrift beigefegt 
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Gegeben in der Stadt Waſhington am 27, Tage des April, 
im Jahre unferes Herrn Eintaufend achthundert und einunpjcchzig, 
und im fünf und achtzigften der Unabhängigkeit der Vereinigten 
Staaten. 


„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Sincoln. 
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“ 


Tiefe Proflamationen hatten großen Einfluß Auf die commer- 
zellen Intereſſen der europäifchen Mächte, Die denn auch feine Zeit 
verloren, uns anzufündigen, daß die Blodade effektiv fein müſſe, 
um vefpektirt zu werden. Wahrfsheinlich Hofften fie in Öemein- 
Schaft mit den Rebellen, daß fich dies als eine Unmöglichkeit erwei- 
fen würde. Daß fie mit diefer Anficht entjchieden im Irrthum 
waren, ift allgemein befannt und liefert nur einen weitern Fall zu 
der Lifte der bedeutenden Irrthümer, die während des ganzen 
Krieges von den zwei europäifchen Nationen, bie am meilten dabei 
betbeiligt waren, begangen wurden. 

Das Bedürfniß einer größern Armee ftellte ſich bald heraus, 
als Davis in einer Botfchaft an feinen Congreß vorfchlug, „in 
Anbetracht der gefährdeten Stellung des Landes eine Armee von 
fehshunderttaufend Mann zu organifiren und jeden Augenblid 
fampfbereit zu halten.” Am 3. Mai erfolgte Daher ein zweites 


120 Das Leben Abraham Lincolns. 





Aufgebot, da wohl zu erwarten ftand, daß der Congreß unter fol- 
chen Umftänden feine Ratififation nicht verweigern würde ; welche 
Ratifilation denn auch ohne Oppofition erfolgte. Die Proflama- 
tion lautete wie folgt: 


„Sintemalen der Stand der Dinge fofortige und angemef- 
jene Maßregeln erheifcht zum Schuß der National-Conftitution 
und zur Erhaltung der National-Union vermittelft der Unter- 
drückung der infurreftionären Combinationen, die gegenwärtig in 
mehreren Staaten beftehen, um den Gefegen der Union zu wider- 
ftreben und die Ausübung vderfelben zu verhindern; zu welchem 
Zwede eine militärifche Macht außer jener, die durch meine Pro- 
Hamation vom fünfzehnten April diefes Jahres aufgeboten wurde, 
unumgänglich nothwendig erfcheintz deshalbe rufe ich, Abraham 
Lincoln, Präfivent der Vereinigten Staaten und Oberbefehls- 
haber der Armee und Flotte derfelben, fowie der Miliz der ver- 
fhiedenen Staaten, wenn in aktiven Dienft gerufen, hiermit zwei 
und vierzig Taufend und vier und dreißig VBoluntäre in den Dienft 
der Vereinigten Staaten, um für drei Jahre zu dienen, wenn 
nicht früher verabfchiedet, und um als Infanterie und Cavallerie 
in den Dienft gemuftert zu werden. Die Proportionen jeder 
MWaffengattung und die Details der Enrollirung und Organifa- 
tion werden dur) das Kriegsdepartement befannt gemacht werden. 
Auch verfüge ich hiermit, Daß die reguläre Armee der Vereinigten 
Staaten um acht Regimenter Infanterie, ein Regiment Cavallerie 
und ein Regiment Artillerie vermehrt werde, welche Vermehrung 
ein Marimum-Nggregat von zwei und zwanzig Taufend fieben- 
hundert und vierzehn Offizieren und angemorbenen Leuten aus— 
macht. Die Details diefer Vermehrung werden ebenfalls durch 
das Kriegsdepartement befannt gemacht werden. Ferner verfüge 
ich Die Anwerbung von achtzehn Taufend Marinefoldaten für nicht 
weniger als ein Jahr und nicht mehr als drei Jahre. Diefe fol- 
len der gegenwärtigen Marinemannfchaft im Dienft der Berei- 
nigten Staaten hinzugefügt werden. Die Details der Anwerbung 
und Organifation werden durch das Marinedepartement befannt 
gemacht werden. Diefes Aufgebot von Boluntären, ſowie die 
Verfügung der Verſtärkung der regelmäßigen Armee und der 


Rüftungen zum Kriege. 121 





Anwerbung von Seeleuten werden fammt dem hiermit autorifirten 
Plane der Organifation für die Boluntäre und die regelmäßigen 
Truppen dem Congreß vorgelegt werden, fobald fich derfelbe ver- 
fammelt haben wird. 

„Mittlerweile fordere ich alle guten Bürger auf, die zur effefti- 
ven Unterdrüfung der ungefeglichen Gewaltanmaßung, fowie zur 
unparteiifchen Ausübung der conftitutionellen Gefege und zur 
möglichit fchleunigen Wiederherftellung der Ruhe und Ordnung 
und damit des Glüdes und der Wohlfahrt des ganzes Landes 
adoptirten Mafregeln nach Kräften zu unterflüßen. 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensuniterfchrift 
beigefest und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington am dritten Tage des Mo- 
nats Mai, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
einundfechzig, und im fünf und achtzigften der Unabhängigkeit der 
Vereinigten Staaten. 

„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Sincoln. 


„William 9 Semward, Staatsſekretär.“ 


Am 10. Mai 1861 erſchien folgende Proflamation : 


„Sintemalen im Staate Florida eine Inſurrektion beftcht, 
durch welche das Leben, die Freiheit und das Eigenthum loyaler 
Bürger der Vereinigten Staaten gefährdet werden, 

„Und fintemalen es angemeffen erfcheint, alle nöthigen 
Mafregeln zum Schuße folcher Bürger und fümmtlicher Beamten 
der Vereinigten Staaten in der Ausübung ihrer öffentlichen Pflich- 
ten in befagtem Staate zu ergreifen: 

„Deshalb fei es bekannt, daß ich, Abraham Lincoln, Prä- 
fivent der Vereinigten Staaten, ven Kommandanten der Ber, Staa- 
ten Truppen an der Florida Küflg anmeife, feiner Perfon zu ge— 
ftatten, irgend ein Amt oder eine Autorität auf den Infeln Key 
Weſt, ven Tortugas und Santa Rofa zu befleiden, wenn dies mir ' 
den Geſetzen und der Conftitution der Vereinigten Staaten un- 
vereinbar if. Zu gleicher Zeit autorifire ich ihn, falls er es 
nothwendig finden follte, den Habeas Corpus Writ dafelbft zu 


192 Das Leben Abraham Lincolns. 





fuspendiren, fowie alle gefährlichen „oder verdächtigen Perſonen 
aus der Nähe der Vereinigten Staaten Forts zu entfernen. 

„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterſchrift 
beigefügt und das Siegel der Vereinigten Staaten beiſetzen laſſen. 

„Gegeben in der Stadt Waſhington am zehnten Tage des Mo— 
nats Mai, im Jahre unſeres Herrn eintauſend achthundert und 
einundſechzig, und im fünf und achtzigſten der Unabhängigkeit der 
Vereinigten Staaten. 

„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Fincoln. 
„William H. Seward, Staatsſekretär.“ 


Mittlerweile ſtrömten die Voluntäre zur Vertheidigung des 
Landes in fo großer Anzahl herbei, daß fie unmöglich Alle ange- 
nommen werden konnten. Cs entftand dadurch ein edler Streit, 
wer der Ehre eines Bürgerfoldaten theilhaftig werden folle. Man 
fah einer frühen Bewegung gegen die Rebellenarmee in Virginien 
entgegen, und Manche waren der Anficht, daß es des bloßen Vor— 
rüdens unferer Truppen bedürfe, um die Feinde der Regierung in 
die Flucht zu Olngem. 





Achtes Kapitel, 
Die erfte Sitzung des Congreſſes. 


Eröffnung des Congreſſes —Erſte Kotfchaft des Präfidenten— Deren Natur— 
Derhandlungen des Congreffes— Befchlüffe über den Zweck des Krieges — 
Die Schlacht von Bull Run— Deren Wirkung. 


Die erfte Sigung des Congreffes während Herrn Lincolns Ad- 
miniftration begann, dem Aufruf des Präfidenten gemäß, am 4, 
Juli 1861. Nachdem beide Huuſer fich organifirt hatten, lief fol- 
gende Botfchaft von der Executive ein : 

„Mitbürger vom Senat und vom Beprafentantenhaus: — 

„Da Sie auf Autorität der Conftitution hin zu einer außeror- 
dentlihen Sitzung zufammenberufen wurden, fo ift es fein gewöhn— 
licher Gegenftand der Legislation, der jet Ihre Aufmerkſamkeit in 


Die erfte Sigung des Congreſſes. 123 





Anfpruch nimmt. Zu Unfang des gegenwärtigen Präſidentſchafts— 
termins vor vier Monaten berrfchte eine allgemeine Sufpenfion der 
Functionen der Bundesregierung in den Staaten Süd-Carolina, 
Georgia, Alabama, Mifjifjippi, Louiſiana und Florida; ausgenom— 
men Davon waren nur die Functionen des Poft-Departements. 

„Innerhalb dieſer Staaten waren alle Forts, Arfenale, Schiff— 
bauböfe, Zollämter und dergleichen, einfchlieglich des in und un 
denfelben befindlichen beweglichen und unbeweglichen Eigenthumg, 
in offener Feindfeligkeit gegen diefe Regierung ergriffen und befegt 
worden, mit Ausnahme nur der Forts Pidens, Taylor und Seffer- 
fon, an und nahe der Küfte von Florida, und Fort Sumter, im 
Hafen von Charlefton, Süd-Barolina. Die fo ergriffenen Forts 
waren in befferen Vertheidigungszuftand gefebt, neue Forts waren 
errichtet und bewaffnete Truppen organifirt worden, oder waren im 
Begriffe, ſich zu organifiren—all’ Diefes eingeftandener Weile zu 
demjelben feindlichen Zwecke. 

„Die im Beſitze der Bundesregierung verbliebenen Forts inner 
halb oder in der Nähe jener Staaten wurden entweder belagert 
oder fonft durch Friegerifhe Rüftungen bedroht; befonders wurde 
Sort Sumter faft von allen Seiten mit wohlbefhüsten feindlichen 
Batterien umringt, deren Geſchütze an Qualität den beiten des 
Forts gleichlamen und den leßteren an Zahl wohl zehnmal über- 
legen waren. Außerdem hatte ein unverhältnigmäßiger Antheil 
der diefer Regierung gehörigen Musfeten und Büchfen auf irgend 
eine Art feinen Weg nad) jenen Staaten gefunden und war dazu 
ergriffen worden, um gegen die Regierung gebraucht zu werben, 

„Zu demfelben Zwecke find die Revenuen, die fich innerhalb jener 
Staaten angehäuft hatten, ergriffen worden. Die Marine war in 
entfernten Meeren zerftreut, und nur ein Fleiner Theil derfelben be— 
fand fi) im unmittelbaren Bereich der Negierung. 

„Dffiztere der Bundesarmee hatken in großer Anzahl refignirt 
und ein großer Theil derfelben hatte die Waffen gegen die — 
rung ergriffen. 

„Gleichzeitig und in Verbindung mit alledem ward die Abſicht, 
die Union zu trennen, öffentlich angekündigt. In Uebereinſtim— 
mung mit dieſer Abſicht hatte jeder dieſer Staaten eine Ordinanz 


124 Das Leben Abraham Lincolns. 





paffirt, wodurch die Trennung diefer refpektiven Staaten von der 
National-Union erlärt wurde, Eine Formel zur Errichtung einer 
Gefammtregierung für jene Staaten wurde veröffentlicht, und be= 
reits hat diefe ungefegliche Organifation unter dem angenommenen 
Titel: „Conföderirte Staaten“ um die Anerfennung, Unterftügung 
und Intervention auswärtiger Mächte nachgefucht. 

„Bei diefem Zuftand der Dinge, und da der neuen Erefutive die 
gebieterijche Pflicht oblag, wo möglich die Ausführung dieſes Ver- 
fuches zur Zerftörung der Föderal-Union zu verhindern, wurde eine 
Wahl der Maßregel unerläßlich. Diefe Wahl wurde getroffen und 
in der Inaugural-Adreſſe angekündigt. 

„Der adoptirten Politif gemäß ließ ich es mir angelegen fein, 
alle friedlichen Maßregeln zu erfchöpfen, ehe die Anwendung ftren- 
gerer nothwendig würde. ch fuchte lediglich die Plätze und das 
Eigenthum zu halten, die nicht bereits der Regierung entriffen wor- 
den waren, fowie die Nevenuen zu erheben, und vertraute alles Ue— 
brige der Zeit, der Ueberlegung und dem Stimmfalten an. Ich 
verfprach demfelben Volke, das ſich der Negierung widerſetzte, die 
fernere Verwaltung der Poftämter auf Regierungsfoften und gab 
wiederholte Berfprechungen, daß das Volk in Feiner Weife beläftigt 
oder feiner Rechte beraubt werden follte. Kurzum, Alles wurde ge— 
than, was der Präfident auf conftitutionelle und rechtliche Weife 
thun konnte; und Alles wurde unterlafjen, was zur Erhaltung der 
Regierung nicht unumgänglich nothwendig war. 

„Am 5. März, dem erften vollen Amtstage nach meiner Inaugu— 
ration, wurde mir vom Kriegsdepartement ein Brief yon Major 
Anderfon, dem Commandanten von Fort Sumter, zugeftellt. Diefer 
Brief datirte fih vom 28. Februar und gelangte am 4. März an 
das Kriegsdepartement. Der Schreiber drückte darin feine pro— 
feffionelle Anficht aus, daß es unmöglich fei, in der hierzu nöthigen 
Zeit dem Fort Verftärkungen duzuſenden; daß der fehr befchränfte 
Borrath an Lebensmitteln das Aufgeben deffelben in Kurzem zur 
Nothwendigfeit machen würde, und daß e8 einer Force von nicht 
weniger als zwanzigtaufend tüchtiger und gutdisciplinirter Truppen 
bedürfe, um daffelbe fernerhin in Befis zu halten. Tiefer Anficht 
ftimmten alle Offiziere feines Gommandos bei, und ihre Memoranda 


Die erſte Sigung des Congreſſes. 125 





über den Gegenſtand waren dem Briefe des Major Anderfon bei- 
geichloffen. Der Brief wurde unverzüglich General-Lieutenant 
Scott mitgetheilt, der denn auch fofort der Anficht Major Ander- 
fon’s beipflichtete. Bei reiferer Ueberlegung ließ er fich indeffen 
hinreichende Zeit, um fih mit andern Offizieren der Armee und 
Marine zu berathen, und fam nach vier Tagen widerftrebend aber 
entjchieden zu demfelben Entfchluffe zurüd wie zuvor. Zu gleicher 
Zeit aber erklärte er, daß Feine folche Force der Regierung zur Ver— 
fügung ftehe; daß eine ſolche auch nicht aufgeboten und an Ort 
und Stelle gebracht werden könne, ehe die Borräthe in dem Fort er— 
fchöpft wären. Bon einem rein militärifchen Gefichtspunfte aus 
betrachtet, reduzirte dies die Pflicht der Adminiftration in dieſem 
Falle dahin, die Garnifon ficher aus dem Fort zu entfernen. 

„Es wurde indefjen erachtet, daß das Aufgeben jener Pofition 
unter folhen Umftänden äußerſt verderblich wäre; daß die Noth- 
wendigfeit, die dieſen Schritt herbeiführte, nicht gehörig verftanden 
werden möchte; dag Viele ihn für eine freiwillige Politik halten 
würden; daß er die Freunde der Union entmuthigen, die Feinde 
derfelben anfpornen und Letzteren leicht zu einer Anerkennung feiteng 
der europäifchen Mächte verhelfen möchte; furzum, daß unfer natio— 
naler Umfturz dadurch herbeigeführt würde. Dies durfte nicht fein, 
Die Oarnifon war noch nicht am Verhungern, und ehe es fo weit 
kam, mochte Fort Pidens verftärkt werden. Lebteres war eine Hare 
Andeutung der Politif und beffer geeignet, dem Lande die Räumung 
von Fort Sumter ala eine militärifche Nothwendigfeit erjcheinen zu 
lafien. Es wurde daher fofort eine Drdre erlaffen zu dem Zwede, 
die Truppen von dem Dampfſchiff Brooklyn nach Fort Pidens zu 
bringen. Diefe Ordre konnte indefjen nicht zu Land abgehen, fon- 
dern mußte den weiteren und langfameren Weg zur See machen. 
Die erfte Nachricht in Erwiederung auf die Drdre traf gerade eine 
Woche vor dem Fall von Fort Eumter hier ein. Die Nachricht 
felbft beftand darin, daß der Commandeur der Sabine, nad) wel— 
chem Schiffe die Truppen von dem Dampfer Brooklyn gebracht 
worden waren, auf Grund eines quasi Waffenftillftandes von der 
legten Adminiftration hin, von deren Eriftenz die gegenwärtige Ad- 
miniftration bis zur Zeit der Abfendung obiger Ordre nur ganz 


| 126 Das Leben Abraham Lincolns. 





vage und — Kunde hatte—ſich geweigert habe, die Truppen 
zu landen, Die Berftärfung von Fort Pidens, ehe zu Fort Sumter 
eine Krifis eintrat, war jegt unmöglich, da der Proviant im legtern 
Fort nahezu erfchöpft war. Um einer ſolchen Conjunctur vorzu— 
beugen, hatte die Regierung einige Tage zuvor begonnen, eine Er- 
pedition auszurüften, um Fort Sumter zu verftärfen, welche Expe— 
dition je nach Umftänden abgehen follte oder nicht. Der Augen» 
blid zum Handeln war jetzt gefommen, und es wurde befchloffen, fie 
abgehen zu laffen. Zugleich wurde befchloffen, den Gouverneur 
son Eüd- Carolina zu benachrichtigen, daß ein Verſuch gemacht 
werden würde, das Fort mit Lebensmitteln zu verfehenz; wenn man 
dies ungehindert gefchehen laffen wolle, ſo würde fein Berfuch ge— 
macht werden, ohne fernere Notiz das Fort mit Mannfchaft, Waffen 
und Munition zu verftärken, ausgenomnten für den Fall eines Ans 
griffs. Diefe Notiz wurde gegeben, worauf das Fort ohne Weiteres 
angegriffen und bis zu feinem Fall bombardirt wurde, ohne aud) 
nur die Ankunft der Provianterpedition abzuwarten. 

„Hieraus erhellt, dag der Angriff auf Fort Sumter und deffen 
Einnahme in Feiner Weife ein Akt der Selbftvertheivigung von 
Seiten der Angreifenden war. Sie wußten wohl, daß die Gar- 
nifon des Forts unmöglich einen Angriff auf fie machen konnte; 
fie waren ausdrücklich in Kenntniß gefebt worden, daß nichts 
Anderes beabfichtigt fei, als den wenigen tapfer und hungrigen 
Männern der Garnifon” jenes Forts Brod zu geben, und daß 
weiter Nichts verfucht werden würde, es fei denn, daß fie jelbft 
durch ihren MWiderftand mehr herausforderten. Sie wußten, daß 
diefe Regierung die Garnifon im Fort zu behalten wünfchte, nicht 
um fie anzugreifen, foridern blos um fichtbaren Befig zu behaup- 
ten und dadurch, die Union vor wirklicher und unmittelbarer Auf— 
löfung zu retten, ftets mit der bereits erwähnten Hoffnung, daß 
die Zeit, die Heberlegung und der Stimmfaften alle Wirren bei- 
legen würden. Sie aber griffen das Fort an und brachten es 
zum Fall, gerade zum entgegengefeßten Zwecke, um die fichtbare 
Autorität der Foderal-Union auszutreiben und damit die fofortige 
Auflöfung der letztern herbeizuführen. Daß dies ihre Abficht 
war, wußte ich wohl, denn ich fagte in der Jnaugural-Wodreffe zu 





Die erfte Sigung des Congreffes. 127 





ihnen: „Es kann fein Kampf ftattfinden, es fei denn, daß ihr 
jelbft die Angreifer feid.“ Ich gab mir Mühe, nicht nur diefe 
Erklärung zu bewahrheiten, fondern auch, alle Sophifterei von 
dem Falle fern zu halten, damit die Welt nicht hierüber im Zweifel 
fei. Mit der Affaire von Fort Sumter und den begleitenden 
Umftänden ward diefer Punkt erreicht. Damit begannen die 
Angreifer der Regierung den Waffenfampf. Keine Kanone war 
innerhalb Sicht oder in Erwartung, um ihr Feuer zu erwiedern, 
mit Ausnahme jener wenigen Geſchütze in dem Fort, die Jahre 
zuvor zu ihrem eigenen Schuge nad) jenem Hafen gejandt wur- 
den und noch immer bereit waren, ihnen jeden rechtmäßigen 
Schuß zu verleihen. Alle anderen Rüdfichten bei Seite ſetzend. 
nöthigten fie durch dieſen Akt dem Lande die Wahl auf — die 
entjchiedene unzmweideutige Wahl zwifchen augenblidlicher Auf- 
Iöjung over Blut, und diefe Wahl begreift mehr als das Schickſal 
der Vereinigten Staaten in fih. Sie legt der ganzen Menfchen- 
familie die Frage vor, ob eine conftitutionelle Republik oder Des 
mofratie, eine Volfzregierung, durch dieſes felbe Volk die Inte- 
grität ihres Gebietes gegen ihre eigenen einheimifchen Feinde 
wahren könne, oder nicht. Sie legt die Frage vor, ob unzufries 
dene Individuen, zu gering an Zahl, um die Adminiftration in 
irgend einem Falle dem organifchen Gefege gemäß zu controlliren, 
auf die Borwände in diefem Falle hin, oder auf irgend einen an— 
dern Vorwand, oder willfürlich ohue irgend einen Vorwand ihre 
Regierung zerfiören und damit praftifch ver freien Regierung auf 
Erden ein Ende machen könnten. Es zwingt uns dies die Frage 
auf: „Iſt allen Republifen viefe unglüdfelige Schwäche anges 
boren? Muß eine Regierung nothwendigerweiſe zu ftarf für die 
Freiheiten ihres eigenen Volkes, oder zu ſchwach zur Erhaltung 
ihrer eigenen Eriftenz fein?” Die Sache von diefem Stand— 
punfte aus betrachtend blieb Feine andere Wahl übrig, als die 
Kriegsmacht der Regierung herauszurufen und der zu ihrer Ber- 
ftörung angewandten Macht mit einer Macht zu ihrer Erhaltung 
zu begegnen. Der Aufruf erging und die Antwort des Landes 
war höchft erfreulich, da fie an Eifer und Einmüthigkeit die kühn— 
ften Erwartungen übertraf, Keiner der Sklavenftanten jedoch, 


128 Das Leben Abraham Lincolns, 





mit Ausnahme von Delaware, gab aud nur ein einziges Negi- 
ment durch die regelmäßige Staatsorganifation. Einige wenige 
Negimenter wurden Durch Privatunternehmungen in einigen an= 
dern diefer Staaten organifirt und in den Dienft der Regierung 
aufgenommen. Selbftverftändlich lieferten die fogenannten fece- 
dirten Staaten, denen ſich Teras um die Zeit der Jnauguration 
angejchloffen hatte, Feine Truppen für die Sache der Union. Die 
fogenannten Grenzſtaaten waren in ihrem Verfahren nicht ein- 
müthigz; einige von ihnen waren faft gänzlich für die Union, 
während in andern, wie z. B. in Virginien, Nord-Carolina, Ten- 
nejjee und Arkanfas die Unionsftiimmung faft ganz unterdrüdt 
und zum Schweigen gebracht worden war, Der von Birginien 
eingefchlagene Weg war. der merfwürbigfte, vielleicht der bedeu— 
tungsvollfte. Eine Convention, die vom Volke jenes Staates zur 
Berathung diefer felben Frage über die Auflöfung der Union 
erwählt worden, befand fih im Capitol von Birginien in Sitzung, 
als Fort Sumter fiel. 

„Zu diefem berathenden Körper hatte das Volk eine große 
Majorität angeblicher Unionsmänner gewählt. Beinahe augen- 
blidlich nach dem Fall von Sumter gingen viele Mitglieder jener 
Majorität zu der unfprünglichen Disuniong-Minorität über und 
adoptirten mit derfelben eine Ordinanz, um den Staat von der 
Union zu trennen, Ob ihre große Billigung des Angriffs auf 
Sumter, oder ihre große Exrbitterung über den Widerftand der 
Regierung gegen jenen Angriff dieſen Wechſel bewirkte, bleibt 
ungewiß. Obſchon fie diefe Ordinanz dem Volke zur Ratification 
durch eine Abftimmung vorlegten, die erft nach mehr als einem 
Monat ftattfinden follte, begannen die Convention und die Legis— 
latur, welch’ Teßtere gleichfalls zur felben Zeit und am felben 
Drte in Siung war, nebft andern einflußreichen Männern des 
Staates, die weder der einen noch der andern Berfammlung 
angehörten, gerade fo zu verfahren, ale ob der Staat bereits 
außerhalb der Union wäre, Militärifche Rüftungen wurden mit 
großer Energie im ganzen Staate betrieben. Cie ergriffen das 
Vereinigte Staaten Arfenal zu Harper’s Ferry und die Navy— 
Yard zu Gosport, nahe Norfoll. Sie nahmen große Truppen» 


Die erfte Sitzung des Congreiles. 120 





körper mit ihrer Rüftung aus den fogenannten fecedirten Staaten 
in ihrem Staate auf, wenn fie diefelben nicht gar felbft einluden, 

„Sie ſchloſſen auf formelle Weife ein temporäres Schuß- und 
Trugbündniß mit den fogenannten Confüderirten Staaten, ſchick— 
ten Mitglieder zu deren Congreffe in Montgomery und erlaubten 
endlich der Snfurgenten-Regierung, Richmond zu ihrer Haupt- 
ftadt zu machen. Auf diefe Art geftattete das Volf yon Virgi— 
nien diefer gigantifchen Inſurrektion, ihr Neft innerhalb feiner 
Grenzen aufzuſchlagen, und bleibt daher dieſer Regierung feine 
andere Wahl übrig, als diefelbe anzugreifen, wo fie zu finden ift, 
und thut dies mit um fo weniger Bedauern, als die loyalen Bür- 
ger jenes Staates förmlich den Schuß diefer Regierung anriefen. 
Diefe Ioyalen Bürger ift die Regierung anzuerkennen und zu be- 
fhügen verpflichtet. In den Grenzftaaten, richtiger die Mittel- 
ftaaten genannt, giebt es Leute, welche eine Politik begünjtigen, 
‚die fie bewaffnete Neutralität nennen, das heißt, eine Bewaffnung. 
jener Staaten, um fowohl die Unionstruppen wie die Disunions- 
truppen am Durchmarfch durch ihr Gebiet zu verhindern. Dies 
hieße die Disunion vervollftändigen. Um mich eines bildlichen 
Ausdrudes zu bedienen, käme dies der Errichtung eines unpaffir- 
baren Wales an der Scheidelinie entlang gleih; und dennoch 
wäre diefer Wall nicht fo ganz unpaffirbar, denn unter der Maske 
der Neutralität würde er den Unionstruppen die Hände binden, 
während er den Infurgenten freigebig Hülfe und Beiftand leiftete, 
was er als offener Feind nicht thun fünnte. Mit einem Schlag 
würde er alle Hinderniffe befreien, die der Serefjion im Wege , 
ftehen, mit Ausnahme der Hinderniffe, die die Blodade in den 
Weg ftellt. Er würde den Disunioniften geben, was diefe am 
meiften begehren, würde fie füttern und ihnen zur Disunion ver- 
helfen, ohne daß fie dafür zu kämpfen brauchten. Er erfennt 
feine Treue gegen die Conftitution an, feine Verpflichtung, die 
Union aufrecht zu erhalten, und obfchon fehr Viele, die diefen 
Pan begünftigen, ohne Zweifel loyale Bürger find, ift derfelde 
nichtsdeftomweniger fehr nachtheilig in feinen Folgen. 

„Um auf vie Thätigfeit der Regierung zurüdzufommen, erlaube 
ich mir mitzutheilen, daß zuerft ein Aufgebot um fünf und fieben- 

9 


130 Das Leben Abraham Lincolne. 





zig taufend Mann Miliz erging; Diefem auf den Ferfen folgte 
eine Proflamation, die fümmtliche Seehäfen der infurreetionären 
Diftrikte in den Blodadezuftand erklärte. Soweit hielt ich Alles 
für ftreng legal. 

„etzt aber Fündigten die Infurgenten ihre Abfichten an, 
Kaperfchiffe auszurüften. 

„Ein zweiter Aufruf erging nun um Boluntäre zu dreijährigem 
Dienfte, wenn nicht früher verabſchiedet; desgleichen um bedeu- 
tende Berftärfungen der regulären Armee und der Marine, 
Diefe Mafregeln, ob fie nun ftreng legal waren oder nicht, wagte 
ich, da das Verlangen des Volkes und die öffentliche Nothwendig- 
feit fie zu rechtfertigen fehienen ; nicht zweifelnd, daß der Congreß 
fie ratifiziren würde. 

„Meiner Anficht nach habe ich Nichts gethan, was mit der con- 
fitutionellen Competenz des Eongreffes unvereinbar wäre. Bald 
nach dem erften Aufgebot der Miliz hielt ich es für meine Pflicht, 
den commandirenden General zu autorijiven, in gewiffen Fällen 
nad) feinem Ermefjen den Habeas Corpus Writ zu fuspendiren; 
oder, mit andern Worten, Individuen, die für die öffentliche 
Sicherheit gefährlich erachtet werden möchten, ohne die gewöhn- 
liche Sormalität des Geſetzes zu verhaften und feftzuhalten. 
Diefe Autorität ift abfichtlich, jedoch nur in feltenen Fällen aus— 
geübt worden. Dennoch wurde die Legalität und Statthaftigfeit 
diefer Mafregel in Zmeifel gezogen und die Aufmerkfamfeit des 
Landes auf den Satz gelenkt, daß Jemand, der geſchworen habe, 
für die getreuliche Ausübung der Gefege zu forgen, diefelben 
nicht felbft verlegen follte. Natürlich wurde die Frage über vie 
Machtbefugniß und Statthaftigkeit gebührend erwogen, ehe in der 
Sache gehandelt ward. Sämmtliche Gefege, für deren getreuliche 
Ausübung ich zu forgen hatte, wurden beinahe in einem Drittel 
der Staaten mißachtet und famen nicht zur Ausübung. Sollte 
die Ausübung derfelben unterbleiben, weil dur die Anwendung 
der Mittel zu ihrer Erzwingung irgend ein einziges Gefeb, das 
mit jo ungemein großer Rüdficht auf die Freiheit eines Bürgers 
gemacht wurde, daß es praftiich dem Schuldigen mehr zu Staiten 
kommt, als dem Unfchuldigen, einigermaßen dadurch verlegt wird? 


Die erfte Sigung des Congreifes. 131 





Um die Frage direkter zu ftellen: follten alle Gefege mit Aus— 
nahme eines einzigen mißachtet bleiben und die Regierung felbft 
zertrümmert werben, bloß damit diefes einzige Geſetz unverlegt 
bleibe? Müßte es nicht felbft in einem ſolchen Fall als eine Ver- 
letzuug des Amtseides betrachtet werden, wenn der Umfturz der 
Regierung erfolgen follte, da die Umgehung dieſes einzigen Ge- 
ſetzes dieſelbe retten konnte? 

„Allein ich glaubte nicht, daß ſich diefe Frage erheben würde. 
Ih glaubte nicht, daß irgend ein Gefeg verlegt wurde, Die Be- 
fimmung der Conftitution, daß das Privilegium der Habeas 
Corpus Akte nicht fuspendirt werden folle, ausgenommen in 
Fällen von Rebellion und Invafion, wenn die öffentliche Sicher— 
heit e8 erfordert, ift gleichbedeutend mit einer Beftimmung, daß 
dieſes Privilegiumg ſuspendirt werden darf, in Fallen von Rebel—⸗ 
lion und Invaſion, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert, 
Es lag klar vor Augen, daß wir einen Fall von Rebellion haben, 
und daß die öffentliche Sicherheit die qualifizirte Suspenfion der 
Alte erforderte, die denn aud=erfolgte, Man befteht indeffen 
darauf, daß ſolche Macht dem Kongreß und nicht der Erefutive 
verliehen fei. Die Conftitution felbft fchweigt darüber, von wen 
diefe Machtbefugnig ausgeübt werden folle;z da indeſſen die Be- 
ftimmung augenscheinlich für irgend einen dringenden Fall der 
Noth getroffen wurde, fo laßt fih unmöglich annehmen, daß die 
‚Urheber der Conftitution beabfichtigten, daß die Gefahr ungehin- 
dert ihren Lauf haben folle, bis der Congreß zufammenberufen 
werden könne, deffen Zufammentreten felbft verhindert werden 
möchte, wie es in diefem Falle durch die Rebellion beabfichtigt 
war. Sch unterlaffe es, auf ein längeres Argument hierüber ein 
zugehen, da wahrfcheinlich der General-Staatsanwalt feine An- 
ficht darüber ausführlich fund geben wird. Ob über diefen Ge- 
genftand irgend eine Legislation ftattfinden fol, muß dem Urtheil 
des Eongrefjes überlafjen werden. Die Nachficht Diefer Regierung 
war fo außerordentlich und fo langmüthig, dag fich einige aus» 
wärtige Nationen veranlaßt fahen, fo zu handeln, als ob fie 
glaubten, daß die Zertrümmerung der National-Union nahe bes 
vorſtünde. Während diefe Entdeckung mir einige Beſorgniß ein» 


132 Tas Decken Abraham Lincolns. 





flößte, freut es mich jegt, fagen zu Fünnen, daß die Souveränität 
und die Rechte der Bereinigten Staaten jest allenthalben von den 
auswärtigen Mächten praftifch refpeftirt werden, und daß fi in 
der ganzen Welt eine allgemeine Sympathie mit Diefem Lande 
fund giebt. 

„Die Berichte der Sefretäre des Schakamts, des Kriegsdeparte- 
ments und der Marine werden die zu Ihrer Erwägung und Be— 
rathung nothwendig und geeignet erachteten Berichte der Details 
geben, während die Erefutive und fümmtliche Departements bereit 
fein werden, etwaige zufällige Auslaffungen zu ergänzen, fowie 
neue Thatfachen von Wichtigkeit und Bedeutung mitzutheilen. 

„Ich empfehle Ihnen nun an, die gefeglichen Mittel zu bewilligen 
um diefen Kampf zu einem furzen und entfcheidenden zu machen; 
daß Sie der Regierung zu diefem Zwede zum Mindeſten 400,000 
Mann und $400,000,000 zur Berfügung ftellen. Jene Anzahl 
von Truppen beträgt etwa ein Zehntel aller Männer von militär- 
pflihtigem Alter innerhalb der Regionen, wo anjcheinend Alle 
willig find, fi dem Dienfte des Vaterlandes zu widmen; und 
jene Summe macht etwa ein Dreiundzwangigftel des ganzen Geld— 
befiges jener Männer aus, die bereit find, ihre ganze Habe zu 
opfern. Eine Schuld von $600,000,000 ift heutzutage weniger per 
Kopf, als unfere Revolutionsfhuld am Ende jenes Krieges war, 
und der Geldbefig im Lande macht heutzutage eine größere Pro- 
portion gegen damals aus, als felbft die Bevölkerung. Und 
ficherlich ift das Motiv zur Erhaltung unferer Freiheiten bei ung 
ebenfo ftark, als es bei unfern Vorfahren zur Gründung derſel— 
ben war, 

„Ein fiheres Refultat in diefem Kampfe wird der Welt von 
größerem Werthe fein, als eine zehnfache Anzahl von Truppen 
und ein zehnfacher Betrag des Geldes. Die Nachrichten, die ung 
allenthalben vom Lande zufommen, laffen feinen Zweifel auffom- 
men, daß veichliches Material zu dem Werke vorhanden ift, und 
daß es nur der Hand der Legislative bedarf, um dem Werke Sanc- 
tion zu verleihen, und der Hand der Erefutive, um dafjelbe praf- 
tifch in Ausführung zu bringen, Eine der größten Berlegenhei- 
ten der Regierung ift, daß die Truppen fich Schneller einfinten, als 


Die erfte Sigung des Congreifes. 123 





es möglich ift, diejelben auszurüften. Mit einem Worte, das 
Volk ift bereit, die Regierung zu retten, wenn die Regierung ihre 
Schuldigfeit nur einigermaßen erfüllen will. Es möchte auf den 
erften Anblick faft gleichgültig erfcheinen, ob man die gegenwärti= 
gen Bewegungen im Süden mit dem Namen Seceffion oder Re— 
bellion belegt. Die Rädelsführer jener Bewegungen verftehen 
indeffen den Unterfchied fehr wohl. Sie begriffen von Anfang 
an, daß fie durch Feinen Namen, der an und für fich eine Ver— 
legung des Geſetzes ausdrückt, ihrem Verrathe einen anfehnlichen 
Umfang verfchaffen könnten; fie mußten, daß ihr Volk ebenfo viel 
moralifches Gefühl, ebenfo viel Anhänglichkeit an Gefeb und 
Drdnung, ebenfo viel Stolz für die Gefchichte und Ehrfurdt für 
die Regierung des gemeinfamen Baterlandes befaß, wie irgend ein 
civilifirtes und patlotifches Volk. Sie wußten, daß fie angefichts 
diefer ftarfen und edeln Gefinnungen feine Fortfchritte machen 
fonnten. Deshalb begannen fie mit einer hinterliftigen Corruption 
der öffentlichen Stimmung; fie erfanden fcharffinnige Sophismen, 
und wurden diefe zugegeben, fo folgten vollkommen logifcher 
Weiſe alle Schritte, die zu einer vollftändigen Zerftörung der 
Union führen mußten, Diefe Sophismen beftanden darin, daß 
irgend ein Staat der Union in Uebereinftimmung mit der Conſti— 
tution und fomit gefeglich und friedlich aus der Union ausfcheiden 
dürfe, und zwar ohne Einwilligung der Union oder irgend eines 
andern Staates. 

„Die geringe Maske, daß diefes angebliche Recht nur für eine 
gerechte Sache anzuwenden fei — fie felbft werfen fich zu den ein— 
zigen Richtern über die Gerechtigkeit ihrer Sache auf — it zu 
durchfichtig, um irgend eine Beachtung zu verdienen. Auf diefe 
Weiſe haben fie feit mehr als dreißig Jahren die öffentliche Stim- 
mung ihrer Sektion vorbereitet, bis fie endlich viele guten Männer 
bereitwillig fanden, die Waffen gegen die Regierung zu ergreifen, 
fobald eine Verſammlung von Individuen die Farce gefpielt hät- 
ten, ihren Staat von der Union zu trennen, Diefer Sophismus 
beruht faft gänzlich auf der Behauptung, daß jeder einzelne Staat 
unferer Föderal-Union eine Art allmächtiger und geheiligter Su- 
prematie befite. Unfere Staaten haben weder mehr noch weniger 


134 Das Leben Abraham Lincolns. 





Gewalt, als ihnen in der Union durch die Eonftitution vorbehal- 
ten wurde, da feiner von ihnen jemals ein Staat außerhalb der 
Union war, Die urfprünglihen Staaten traten in die Union 
ein unmittelbar ehe fie ihre Abhängigkeit als brittifche Colonien 
abmwarfen, und die neuen famen direkt von einem Zuftand der Ab- 
bängigfeit in die Union, mit Ausnahme von Texas, und felbft 
Teras war während feiner temporären Abhängigkeit niemals als 
ein Staat bezeichnet. Die neuen erhielten die Benennung 
„Staat“ erſt bei ihrem Eintritt in die Union, während diefer Name 
in der Unabhängigfeits-Erflärung zuerft für die alten adoptirt 
wurde. In diefem Dokumente wurden die Vereinigten Eolonien 
zu freien und unabhängigen Siaaten erklärt. Allein 
felbft hier war der Zweck augenfcheinlich nicht, ihre Unabhängig- 
feit von einander oder von der Union zu erflären, fondern gerade 
das Gegentheil, wie ihre gegenfeitigen Gelobniffe und ihr gegen 
feitiges Handeln vor, während und nach jener Zeit zur Genüge 
zeigt. Höchſt überzeugend und der fchlagendfte Beweis hiefür ift 
das ausdrüdliche gegenfeitige Treugelobniß der urfprünglichen 
dreizehn Staaten in den Artikeln der Conföderation zwei Jahre 
fpäter, dag die Union fortvauernd fein ſolle. Da es nun niemals 
dem Namen oder der Sache nach außerhalb der Union Staaten 
gab, woher denn dieſe magijche Allmacht der Staatsrechte, die eine 
Macht beanfpruchen, die Union felbft zerftören zu dürfen? Auch 
hört man viel von der Souveränität der Staaten reden; fein ful- 
ches Wort findet fich indeffen in der National-Eonftitution, noch, 
wie ich glaube, in irgend einer der Staats-Conftitutionen. Was 
bedeutet Souveränität im politifhen Sinne des Wortes? Etwa 
eine politifche Commune, die feine politifche Guperiorität aner- 
fennt? Bon diefem Maßftab ausgehend, finden wir, daß fein ein— 
ziger unferer Staaten, Teras ausgenommen, eine Souveränität 
war, und felbft Teras entfagte dieſem Charakter bei feinem Eintritt 
in die Union, durch welchen Aft es die Eonftitution der Bereinig- 
ten Staaten anerkannte; und die Gefege und Verträge der Ber- 
einigten Staaten, die der Staaten halber gemacht wurden, haben 
ihren Status in der Union der Conftitution gemäß, die in ihr alg 
oberftes und höchites Gejeg gilt. Die Staaten haben ihren Sta— 


Die evfie Sinung des Congreſſes. 185 





tus in der Union und haben feinen andern geſetzlichen Status. 
Wenn fie fih von ihr logreißen, fo Fünnen fie es nur gegen dag 
Geſetz und durch Revolution thun. Die Union verlieh ihnen 
ihre Unabhängigfeit und Freiheit durch Eroberung oder Kauf; 
fie errangen ſich diefelbe nicht einzeln. Die Union gab jedem von 
ihnen alle Unabhängigkeit und Freiheit, die er befist. Die Union 
ift alter, als irgend einer der Staaten und hat fie thatfüchlich erft 
als Staaten gefchaffen. Urfprünglich machten einige abhängige 
Eolonien die Union; dieſe befreite fie dagegen von ihrer alten 
Abhängigkeit und machte fie zu Staaten, was fie jest find. Keiner 
von ihnen hatte je eine von der Union unabhängige Staats Con: 
fitution. Es darf natürlich nicht vergeſſen werden, daß alle 
neuen Staaten ihre Conftitution gründeten, ehe fie in die Union 
eintraten ; nichtödeftoweniger waren fie von der Union abhängig. 
Unzweifelhaft befigen die Staaten die ihnen vorbehaltenen mat 
und Privilegien Durch die National-Eonftitution. 

„Darin jedoch find ſicherlich nicht alle denkbaren Rechte einbe- 
griffen, gleichviel wie unheilvoll und verderblich, fondern höchſtens 
folche, die zu jener Zeit der Welt als NRegierungsrechte befannt 
waren; gewiß aber ift feine Macht, die Regierung ſelbſt zu zerſtö— 
ren, jemals als ein Regierungsrecht, oder auch nur als ein admi- 
niftratives Recht befannt gewefen. Diefe relative Frage in Bezyg 
auf Nationafgewalt und Staatsrechte im Prinzip ift nichts Ande- 
res, ala das Prinzip der Generalität und Rofalität. Alles, was 
das Ganze anbetrifft, follte der General-Regierung anheim ge- 
ftellt fein; mas dagegen nur den Staat betrifft, follte ausſchließ— 
lich dem Staate überlaffen werden. Dies ift das ganze urjprüng- 
liche Prinzip der Sache. Ob die National-Conftitution bei der 
Beftimmung der Grenzlinie zwifchen Beiden das Prinzip mit 
außerfter Genauigfeit angewandt, darüber kommt ung nicht zu, 
ung zu ftreiten. Wir find Alle ohne Streit an jene Beſtimmung 
gebunden. Was jeht beftritten wird, ijt der Sab, daß die Seceſ— 
fion mit der Conftitution im Einklang ftehe, daher gefeglich und 
recht fei. Es wird nicht behauptet, dag ein ausdrückliches Geſetz 
dafür beftehe, und Nichts fullte je als Gefeb gedeutet werden, mag 
zu ungerechten oder abfurden Confequenzen leitet, Die Nation 


136 Das Leben Abrabam Lincolns. 





erfaufte mit Geld die Ländereien, aus denen verfchiedene dieſer 
Staaten gebildet wurden. Sit es gerecht, daß fie ohne Erlaubniß 
und ohne das Geld zu erftatten fih von der Union losſagen wol- 
len? Die Nation bezahlte eine große Summe, ich glaube, nahezu 
einhundert Millionen Dollars, um Florida von den feindlichen 
Indianerſtämmen zu befreien. Iſt es gerecht, daß dieſer Staat 
fich jest ohne Erlaubnig und ohne Erfag von uns losſage? Die 
Nation fchuldet jet noch Geld, das zum Nuben und Frommen 
jener fogenannten fecedirten Staaten fo gut wie der übrigen ver- 
wendet wurde. ft es gerecht, daß die Gläubiger unbezahlt blei- 
ben, oder daß die übrigen Staaten das Ganze zahlen? Ein Theil 
der gegenwärtigen Natiorlalfhuld wurde gemacht, um die alte 
* Schuld von Texas zu bezahlen. Iſt es gerecht, daß diefer Staat 
fich jest von ung trenne, ohne einen Theil diefer Schuld felbit zu 
bezahlen? Doc mehr noh: Wenn ein Staat fecediren darf, fo 
fteht dies Necht einem andern ebenfalls zu, und wenn alle fecedirt 
haben werden, fo bleibt feiner mehr vorhanden, um die Schulden 
zu bezahlen. Iſt dies gerecht gegen die Gläubiger? Setzten wir 
fie von diefer weifen Abficht in Kenntniß, als wir ihr Geld borg— 
ten? Wenn wir nun diefe Doktrine anerkennen, indem wir die 
Sereffioniften in Frieden gehen laffen, fo läßt es fich ſchwer vor— 
berjehen, wag wir thun follten, wenn es den übrigen in den Sinn 
käme, zu fecediren, oder Bedingungen zu erpreffen, auf welche hin 
fie einwilligen würden, in der Union zu bleiben, Die Secefjioni- 
ften beftehen darauf, daß unfere Eonftitution die Seceffion geftatte. 
Sie haben fih angemaßt, eine neue National-Conftitution für fich 
felbft zu machen, in welcher fie nothwendigerweife dieſes Secej- 
fiongrecht, von dem fie behaupten, daß es in der unfrigen beftebe, 
- aufgegeben oder aber es beibehalten haben müffen. Haben fie es 
aufgegeben, fo gefteyen fie damit ein, Daß es recktmäßigerweife 
nicht in der unfrigen beftehen ſollte; haben fie es beibehalten, jo 
müfjen fie ihrer eigenen Auslegung unferer Conftitution gemäß 
eonfequenterweife von einander fecediren, fobald fie dies für den 
leichteften Weg halten, ihre Schulden zu bezahlen oder irgend 
einen andern eigennügigen und ungerechten Zwed zu erreichen. 
“Das Prinzip felbft ift ein Prinzip der Disintegration, nach wel» 


Die erſte Sigung des Congreifes. 137 





chem feine Regierung für die Dauer beftehen fann. Wenn alle 
Staaten mit Ausnahme eines einzigen die Macht beanfpruchten, 
diefen einzigen aus der Union zu vertreiben, fo würde die ganze 
Klaffe der Secefjions-Politifer fofort diefe Macht leugnen und 
den Alt als die gröblichfte Verlegung der Staatsrechte brand- 
marfen. Geſetzt nun aber, man behaupte von ein und demfelben 
Akte, anftatt daß der eine Staat ausgetrieben worden fei, hätten 
alle die übrigen von dem einen fecedirt, fo wäre dies genau, mas 
die Seceffioniften zu thun beanspruchen; es fei denn, daß fie die 
Behauptung aufftellen, vaß ein Staat, weil eine Minorität, recht» 
mäßig thun fünne, was den übrigen, als einer Majorität, recht- 
mäßig nicht geftattet fei. Diefe Politiker find fpibfindig mit ihren 
Minvritätsrechten. Sie find jener Macht nicht fehr gewogen, 
welche die Conftitution ſchuf und in der Präambel von fich felbit 
ſpricht: „Wir, das Volk.“ Esift fehr zu bezweifeln, ob heu- 
tigen Tages in irgend einem Staate, mit Ausnahme von Süd— 
Carolina vielleicht, eine Majorität gefeblich berechtigter Stimm- 
geber eriftirt, die zu Gunſten der Disunion if. Wir haben alle 
Urfache zu vermuthen, daß in vielen, wenn nicht in allen der ſo— 
genannten fecedirten Staaten die Unionsmänner in der Majori- 
tät find. In feinem einzigen hat fich bis jetzt das Gegentheil 
berausgeftellt. 

„Es läßt fich dies felbft von Virginien und Tenneffee behaupten, 
denn das Refultat einer in militärifchen Feldlagern abgehaltenen 
Wahl, wo die Bajonette alle auf der einen Seite der Frage find, 
fann wohl faum als ein Ausdruck der VBolfsgefinnung betrachtet 
werden. Bei einer folhen Wahl würde jene große Klaffe, welche 
zu gleicher Zeit für die Union, aber gegen Eovercion ift, durch Ge— 
walt gezwungen werden, ihre Stimmen gegen die Union abzugeben. 
Es darf wohl ohne Uebeftreibung behauptet werden, daß die freien 
Inftitutionen, die wir genießen, die Macht unferes Volles ent- 
widelt und den Zuftand deffelben verbeffert haben wie feine andere 
politifche Inftitutionen der Welt. Dafür haben wir jegt einen 
fchlagenden und nachdrücklichen Beweis, Nie zuvor fah die Welt 
eine fo große Armee, wie die Regierung fie jebt fchlagfertig daftehen 
bat, in der jeder Soldat aus eigener freier Wahl feinen Plaß ein- 






138 Das Leben Abraham Lincolns. 





nahm, Doch mehr noch als dies; wir haben viele einzelne Regi— 
menter, deren Mitglieder, Einer und Alle, volle praftifche Kennt- 
niffe aller Künfte, Wiffenfchaften und Profefionen befigen, fowie 
alles deſſen, was für nüslich oder zierlich in der ganzen Welt ge— 
halten wird; faum ein Regiment fteht da, aus welchem nicht ein 
Präfivdent, ein Kabinet, ein Congreß und vielleicht ein Gericht ge- 
wählt werden könnte, hinreichend fähig, Die Regierung felbft zu 
verwalten. Auch gilt daſſelbe, wie ich gern einräume, von ber 
Armee unferer ehemaligen Freunde, jebt unferer Gegner. Um fo 
mehr aber ergiebt fich der Grund, daß die Regierung, die ihnen wie 
uns ſolche Wohlthaten erwiefen, nicht muthwillig zertrümmert wer— 
den follte. Wenn in irgend einer Seftion ein Mann lebt, der den 
Umfturz diefer Regierung befürwortet, fo möge er wohl überlegen, 
auf welches Prinzip hin er es thut, Was Befferes kann er dafür 
befommen? Welcher Erfab dafür kann dem Volke ebenfo viel 
Gutes thun? Wir haben: bereits etliche Andeutungen hierüber. 
Unfere Gegner haben eine Unabhängigfeits-Erflärung adoptirt, in 
welcher, im Gegenfag zu unferer guten alten, die von Jefferfon 
entworfen wurde, die Worte „alle Menfchen wurden gleich ge- 
ſchaffen“ ausgelaffen find. Warum? Sie haben eine temporäre 
National-Conftitution adoptirt, in deren Präambel, im Gegenfab 
zw unferer guten alten, die von Wafhington unterzeichnet wurde, 
fie die Worte auglaffen: „Wir, das Volk,“ und dafür fegen: „Wir, 
die Deputirten der fouveränen und unabhängigen Staaten.‘ Wa— 
rum? Weshalb diefe abfichtliche und gefliffentliche Hintanſetzung 
der Menfchentechte und der Autorität des Volkes? Diefer Kampf 
iſt mwefentlich ein Volkskampf. Auf Seiten der Union ift es ein 
Kampf für vie Aufrechterhaltung jener Form und Subftanz einer 
Regierung, deren Hauptzwed ift, den Zuſtand der Menfchheit zu 
verbeffern, die unnatürliche Bürde von allen Schultern zu nehmen, 
Allen den Weg zu lobenswerthem Fortfchritt zu bahnen, Allen eine 
gleiche Chance zum großen Wettlaufe des Lebens zu geben und nur 
im äußerften Nothfalle theilmeife und temporäre Ausnahmen von 
den Regeln eintreten zu laffen. Dies ift der Hauptzwed der Re— 
gierung, für deren Eriftenz wir kämpfen, 

„Höchſt glüdlih bin ich in dem Glauben, daß das ſchlichte und 





Die erfte Sitzung ses Congreſſes. 139 





einfache Bolf Dies verjteht und würdigt. Es ift beachtenswerth, 
daß während in diefer Stunde der Prüfung eine große Anzahl von 
Offizieren in der Armee und Marine refignirte und dem Lande 
treulos wurde, das fie begünftigt und ausgezeichnet hatte, Fein ein- 
ziger gemeiner Soldat oder gemeiner Matrofe freiwillig von feiner 
Flagge defertirte, Große Ehre gebührt jenen Offizieren, die troß 
dem verrätherifchen Beifpiel ihrer Collegen treu blieben; die größte 
Ehre und die mwichtigfte Thatfache aber ift die einmüthige Stand- 
haftigfeit der gemeinen Soldaten und Matrofen. Wie ein Mann 
widerftanden fie, ſoweit befannt ift, den verrätherifchen Lockungen 
Derjenigen, deren Commando fie eine Stunde zuvor als ein abfo- 
Iutes Geſetz betrachtet und befolgt hatten, Dies ift der patriotifche 
Inſtinkt fchlichter Leute, „Sie verftehen ohne Argument, daß die 
Zerftörung der Regierung, die Waſhington fhuf, nichts Gutes für 
fie bedeutet. Man hat unfere volfsthümliche Regierung oft ein 
Erperiment genannt. Zwei Punkte verfelben wurden von unferem 
Bolfe feitgeftellt, nämlich die erfolgreiche Gründung und die erfolg- 
reiche Verwaltung derfelben. Nur noch Eines bleibt übrig. Sch 
meine, die erfolgreiche Behauptung derfelben gegen einen formi— 
dabeln innern Verfuch zu ihrem Umfturze. Dem Volke fommt es 
jest zu, der Welt zu beweiſen, daß Diejenigen, welche einen redlichen 
Wahlſteg erlangen Fünnen, auch im Stande find, eine Rebellion zu 
unterbrüden ; daß der Stimmfaften der vechtmäßige und friedliche 
Nachfolger des Krieges ift, und daß, wenn der Stimmfaften redlich 
und conftitulionell entfchieden hat, Fein anderer gefeglicher Apella- 
tionsweg offen fteht als wiederum an den Stimmfaften bei der 
nächſten Wahl. Dies wird eine große Friedenslehre fein, die allen 
Menfchen fagen wird, daß fie durch Krieg Nichts erlangen können, 
was fie nicht Durch die Wahl zu erlangen vermochten, und welche 
Thorheit es iſt, den Krieg zu beginnen, 

„Um aller Beforgnig in den Gemüthern aufrichtiger Männer 
hinfichtlich des Verfahrens der Regierung gegen die ſüdlichen Staa- 
ten nach erfolgter Unterdrüdfung der Rebellion vorzubeugen, halte 
ich es für angemeffen zu fagen, Daß es dann wie immer meine Ab- 
ficht fein wird, mich von der Conftitution und den Geſetzen leiten 
zu laffen, und daß ich wahrfcheinlich Fein anderes Verſtändniß der 


140 Das Leben Abraham Lincolne. 





Macht und Pflichten der Bundesregierung hinſichtlich der Rechte 
der DBereinigten Staaten und des Volkes unter der Conftitution 
hegen werde, als dasjenige, welches ich bereits in der Inaugural— 
Adreſſe ausgedrüdt habe. Mein Wunſch ift, die Regierung zu er- 
halten, damit fie für Alle verwaltet werden möchte, wie fie von ihren 
Urhebern und Gründern verwaltet wurde. Loyale Bürger aller- 
wärts haben ein Recht, Dies von der Regierung zu verlangen, und 
die Regierung hat Fein Recht, es zu verweigern oder zu vernach— 
läffigen. Sch fehe nicht ein, daß in der Erfüllung diefes Verlan- 
gens irgend eine Coercion, Eroberung oder Unterjcchung in irgend 
einem Sinne des Wortes liegt. 

„Die Conftitution beftimmte, und ſämmtliche Staaten acceptirten 
die Beftimmung, „daß die Vereinigten Staaten jedem Staate der 
Union eine republifanifche Regierungsform garantiren folle. Wenn 
nun aber ein Staat gefeglich aus der Union ſcheiden darf, fo darf 
er, wenn ausgefchieden, ebenfalls die republifanifche Regierungs- 
form verwerfen. Hieraus folgt, daß die Verhinderung feines Aus— 
trittes ein unerläßliches Mittel zum Zwede der Erhaltung jener 
Öarantie iftz und wenn der Zwed gefeglich und recht ift, fo find 
damit auch die zur Erreichung diefes Zweckes unerläßlichen Mittel 
gefeglich und recht. 

„Mit tiefitem Bedauern ſah ich mich zur Anwendung der Kriegs» 
macht genöthigt. Da mir die Bertheidigung der Regierung auf- 
gezwungen wurde, fo blieb mir Feine andere Wahl, als diefe Pflicht 
zu erfüllen, oder die Eriftenz der Regierung zu opfern. - Kein Com— 
promiß durch öffentliche Diener konnte in diefem Falle von Nugen 
fein; nicht als ob Compromiffe nicht häufig von Nugen wären, 
fondern weil feine volksthümliche Regierung lange einen fo ſtark 
markirten Präcedenzfall überleben könnte, nach welchem Diejenigen, 
welche bei einer Wahl den Sieg davon tragen, die Regierung nur 
dadurch vor dem unmittelbaren Umfturz zu retten vermochten, daß 
fie den Hauptpunft opferten, der ihnen zum Wahlfieg verhalf. Das 
Bolt felbjt kann mit Sicherheit feine eigene Entfcheidung zurüd- 
nehmen; feine Diener aber fünnen pas nicht thun, 

„Als Privatbürger hätte ich nie meine Einwilligung zum Umfturz 
diefer Inftitutionen gegeben; viel weniger noch durfte ich es thun, 


Die erfte Sigung des Congreifes. 141: 





indem ich an dem hohen und heiligen Amte, das diefes freie Volk 
mir anvertraute, Berrath beging. Ich fühlte, daß ich fein mora— 
lifches Recht zu wanken hatte, noch) felbft an die Öefahren zu denken, 
die in der Erfüllung meiner Pflicht meinem eigenen Leben drohten, 

„Angefichts dieſer meiner großen Verantwortlichkeit that ich bis 
jest, was ich für meine Pflicht hielt. Sie werden jest, nach Ihrem 
eigenen Ermeffen, die Ihrige erfüllen. Ich hoffe aufrichtig, daß 
Ihre Anfichten und Handlungen mit den meinigen übereinftimmen 
möchten, um dadurch alle getreuen Bürger, die in dem Genuſſe ihrer 
Rechte geftört worden find, einer baldigen und fihern Wiederher- 
ftellung derfelben unter der Eonftitution und den Geſetzen zu ver- 
fihern. Und nachdem wir nun unfern Pfad ohne Arglift und mit 
reiner Abficht erwählt haben, laßt uns unfer Vertrauen auf Gott 
erneuern und ohne Furcht und männlichen Herzens vorwärts 
gehen. 

„Juli 4,, 1861, 

Abraham Lincoln.” 


Diefes Dokument Tegt, wie man bemerken wird, in gemäßigter 
Sprache die Thatfachen in Bezug auf die Rebellion in ihrem dama— 
ligen Stadium dar, und zwar fo, daß felbft das gewöhnliche Volf 
ohne Mühe daraus den genauen Stand der Dinge erkennen fonnte, 
Einerfolchen klaren und deutlichen Adreſſe bedurfte es nie dringen— 
der als in einem Augenblid, wo—wie Vielen nicht ganz unwahr- 
ſcheinlich erſchien wiederholte Aufrufe an das Volk um Truppen 
und Geld bevorftanden, um die Einheit der Nation zu bewahren, 
Man darf wohl behaupten, daß die Botfchaften Feines unferer Prä— 
fiventen fo allgemein gelefen und fo durchgängig von dem Volfe 
verſtanden wurden, wie die des Herren Lincoln, der felbit der Tribun 
des Bolfes war, 


Der Congreß bewilligte fünfhundert Millionen Dollars und ord- 
nete ein Aufgebot von fünfhunderttaufend VBoluntären für die Ar— 
mee an, traf Beflimmungen für eine volfsthümliche National-An- 
leihe, revidirte den Tarif, pafjirte eine direkte Bejteuerungsbill, adop⸗ 
tirte mäßige Maßregeln binfichtlich der Confiskation des NRebellen- 
eigenthumg, Tegalifirte die offiziellen Akte des Präfidenten während 


142 Das Leben Abrabam Lincolns. 





der Krifis, in der fi das Land befand, und das Repräfentanten> 
haus paffirte mit nur zwei abweichenden Stimmen — Be⸗ 
ſchluß: 

„Veſchloſſen durch das Haus der a des Congrefles 
der Pereinigten Staaten, daß der gegenwärtige bedauernswerthe 
Bürgerkrieg dem Lande aufgedrungen wurde durch die Die- 
unioniften der ſüdlichen Staaten, die jebt in der Empörung gegen 
die conftitutionelle Regierung begriffen find und bewaffnet die 
Hauptftadt umgeben; daß in diefer Stunde der Nationalgefahr der 
Congreß, alle Gefühle bloßer Leidenschaft oder Rache außer Acht 
laffend, nur feiner Pflichten gegen das ganze Land eingedenf fein 
will; daß dieſer Krieg unfrerfeits nicht zur Berrüdung, nicht zur 
Eroberung und Unterfohung, nicht zur Einmifchung in die Rechte 
und beftehenden Inftitutionen der Staaten geführt werde, fondern 
zur Bertheidigung und Aufrechterhaltung der Suprematie der Con— 
ftitution und zur Erhaltung der Union, wobei die Würde, die 
Gleichheit und die Rechte ſämmtlicher Staaten unverlegt bleiben 
follen; und daß der dan aufhören fol, fobald Diefe Zwede er> 
reicht fein werden.’ 

Am 21, Zuli erlitt die Armee der Union unter direktem Commando 
des Generald MeDowell, und unter allgemeiner Aufficht des greifen 
Scott — von deffen Bewegung gegen die Rebellen in Birginien man 
fu viel erwartet hatte—eine ſchwere Niederlage bei Bull Run. Sie 
rücte fiegesgewiß vor und fam in milder Flucht zurüd, Eine Zeit 
lang bemädtigte fi die größte Niedergefchlagenheit jedes Ioyalen 
Herzens; eine unerflärliche Angft bemeifterte fich des Volkes. Man 
fürchtete, daß Wafhington eingenommen würde und Dann—war es 
um unfere Sache gejchehen. 

Dies dauerte jedoch nur einen Augenblick. Die Rüdwirkung 
kam. Die Stadt Wafhington, die fehr leicht hätte eingenommen 
und geplündert werden fünnen, wenn nur die Rebellen ihren Er- 
folg zu benügen verftanden hätten, wurde ftarf befeftigt und garni— 
fonirt. Man begriff damals nicht, was jet die Meiften zugeben, 
dag Bull Run eine nothmendige Dieciplin war, eine Echule, in 
welcher Alle Etwas lernten—leider freilich nicht Alle fo viel als ſie 
ſollten. Erſt die Zukunft ſollte fie weiſer machen. 


Neuntes Kapitel, 
Ende des Jahres 1861. 


Freude der Rebellen — Davis prahlt — AcClellan wird zum Befehlshaber 
der Potomar-Armee ernannt — Prorlamation eines National-Safttages — 
Der Verkehr mit den Rebellen wird verboten — Flüchtige Sklaven — Ge- 
neral Sutler’s Anfichten — Sekretär Cameron’s Brief an General 
Meclellan — Akte vom 6. Auguft 1861 — General Sremont’s Ordre — 
Modifikation derfelben durd den Präfidenten — Inftruktionen an Gene- 
ral Sherman — Ball’s Sluf — General Scott zieht ſich zurück — Die 
Potomar-Armee. 


Der Sieg der Rebellen zu Bull Run erfüllte fie, wie zu erwarten 
ftand, mit nicht geringer Freude. hr Präfident ſchlug in feiner 
Botfchaft einen hochmüthigen und prahlerifhen Ton an. Er be— 
lobte den Muth und die Entfchloffenheit feiner Truppen und fagte: 

„Bon der Unterjochung eines fo einmüthigen und entfchloffenen 
Bolfes fprechen, heißt eine Sprache reden, die ihm unverftändlich 
iſt. Es ift fein Inftinkt, jedem Angriff auf feine Rechte oder 
Freiheiten zu, widerftehen, Ob diefer Krieg ein Jahr, oder drei 
oder fünf Jahre dauern foll, ift ein Problem, deffen Löfung wir 
dem Feinde überlafjen. Er wird fo lange dauern, bis fich der 
Feind von unfern Grenzen zurüdzteht, bis unfere politifchen 
Rechte, unfere Altäre und unfere häuslichen Herde von der In— 
vaſion befreit find, Dann, und dann erft werden wir von diefem 
Kampfe ruhen und in Frieden die Segnungen genießen, die un- 
jere ftandhaften Herzen und ftarfen Arme uns mit Hülfe der gött— 
lichen Vorfehung errungen haben.“ 


Am 25, Juli wurde der Potomac-Armee ein neuer Comman— 
deur angemwiefen; auf die warme Empfehlung des General Scott 
erhielt George B. MeElellan, der fich bei feinem Feldzug in Weft- 
Pirginien günftig ausgezeichnet hatte, das Commando, Mit der 
dem amerikanischen Volke fo charakteriftifchen Hebertreibungsfucht 
wurde diefer General, der fich feine Lorbeeren erft noch zu ermwer- 
ben hatte, als ein junger Napoleon begrüßt, bis zu den Sternen 

| (143) 


144 Das Leben Abraham Lincolns. 





erhoben und der Erfolg unter ihm als eine ausgemachte Ehat- 
fache auf das Beftimmtefte prophezeit, 

Der Beneral machte fich fofort an's Werk, feine Armee, die von 
Woche zu Woche große Berftärkungen erhielt, zu organifiren, dis— 
eipliniren und equipiren. 

Am 12, Auguft erfchien folgende Proflamation : 


„Sintemalen eine gemeinfhaftlihe Committee beider Häu— 
fer des Congreffes dem Präfidenten der Vereinigten Staaten auf- 
wartete, und ihn erfuchte, „einen üffentlihen Demüthigungs-, 
Bet- und Fafttag anzuempfehlen, der vom Volke der Vereinigten 
Staaten mit religiöfen Feierlichkeiten gehalten werde, um den 
allmächtigen Gott um Sicherheit und Wohlfahrt für diefe Staa— 
ten, fowie um feinen Segen für unfere Waffen und eine baldige 
Wiederherftellung des Friedens anzuflehen: 

„Und ſintemalen es ſich allen Menfchen zu allen Zeiten 
geziemt, die Herrfchaft des höchſten Gottes anzuerkennen und zu 
verehren ; fich in Demuth feiner Züchtigung zu unterwerfen; ihre 
Sünden und Miffethaten zu befennen und zu bereuen, mit der 
vollen Weberzeugung, daß die Furcht des Herren aller Weisheit 
Anfang iftz und mit Inbrunft und Zerfnirfhung um Vergebung 
ihrer begangenen Sünden und um Segen für * — ——— 
und künftiges Thun zu flehen: 

„Und ſintemalen der durch Bürgerkrieg zerrüttete Zu— 
ftand unferes einft durch Gottes Segen vereinigten, blühenven 
und glüdlichen Landes uns die befondere Pflicht auferlegt, vie 
Hand Gottes in diefer fchredlichen Heimfuchung anzuerkennen, 
ung in fummervoller Erinnerung unferer eigenen Irrthümer und 
Berbrehen als Nation und als Individuen vor ihm zu beugen 
und ihn um Gnade anzuflehen — zu bitten, daß uns fernere 
Züchtigung erlaffen werde, obfchon wir Diefelbe reichlich verdienen; 
daß fein Segen unfere Waffen begleite und ung die Wiederher- 
ftellung des Geſetzes und der Ordnung, fowie des Friedens in 
diefem ganzen weiten Lande ermögliche, und daß die unfchäbbare 
Wohlthat bürgerlicher und religiöfer Freiheit, Die unfere Väter 
nach Mühen und Leiden unter feinem Segen errungen, ung in 
al’ ihrer urfprünglichen Fülle wiederum zu Theil werde: 


Ende des Jahres 1861. 145 





„Deshalb beftimme ich, Abraham Lincoln, Präfident der 
Vereinigten Staaten, den legten Donnerftag im kommenden Sep- 
tember als einen Buß-, Bet- und Faſttag für das ganze Bolf der 
Union. Und ich empfehle ernftlich allem Volke, "insbefondere 
allen Predigern und Religionslehrern fümmtlicher Sekten, ſowie 
allen Familienhäuptern, dieſen Tag ihren Religiong- und Cul— 
tusgebräuchen gemäß in aller Demuth und mit allen religiöfen 
Feierlichkeiten zu halten, damit das vereinigte Gebet der Nation 
zum Thron der Gnade emporfteigen und reichlichen Segen über 
unfer Land bringen möge, 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefegt und das Siegel der Bereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Segeben in der Stadt Wafhington am 12, Tage des Monats 
Auguft, Anno Domini eintaufend achthundert und einundfechzig, 
und im ſechs und achtzigften der Unabhängigkeit der Vereinigten 
Staaten von Amerika. 

„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Sincoln. 


„Billiam 9. Seward, Staatsſekretär.“ 
Bier Tage fpäter erfchien folgende weitere Proklamation: 


„Sintemalen am 15, April der Präfivent der Vereinigten 
Staaten in Anbetracht einer Inſurrektion gegen bie Gefebe, die 
Eonftitution und die Regierung der Bereinigten Staaten, die in 
den Staaten Süd: Carolina, Georgia, Alabama, Florida, Miffif- 
ſippi, Louiſiana und Teras ausgebrochen war, und in Gemäßheit 
der Beitimmungen einer Alte, benannt: Eine Akte, bezüglich des 
Aufgebotes der Miliz, um die Gefebe der Union auszuführen, 
Sinfurrektionen zu unterdrüden, Invaſionen zurüdzutreiben und 
die jegt zu diefem Zwecke beftehende, am 28, Februar 1795 gut- 
geheißene Alte aufzuheben, die Miliz zur Unterdrückung befagter 
Snfurreftion und zur vollen Ausübung der Gefege der Union 
aufgeboten hat und die Inſurgenten fich geweigert haben, fich in- 
nerhalb der dazu vom Präfidenten beftimmten Zeit zu zerftreuen : 

„Und fintemalen feither eine Inſurrektion ausgebrochen 
ift und noch befteht innerhalb der Staaten Virginien, Nord⸗Ca⸗ 
rolina, und Arkanſas: 


146 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Und fintemalen die Infurgenten in fänmtlichen ge= 
nannten Staaten unter der Autorität derfelben zu handeln vor— 
geben, und foldhe Anmaßung von den in Ddiefen Staaten oder 
Iheilen derfelben, wo folche Combinationen beftehen, die Funk— 
tionen der Negierung verwaltenden Perfonen nicht verworfen 
oder Tepudiirt wurde, noch befagte Infurreftion yon bejugten 
Staaten unterdrüdt worden ift: 

„Zeshalb erkläre hiermit ih, Abraham Lincoln, Prä— 
fivent der Vereinigten Staaten, in Gemäßheit einer Congreßakte 
vom 13. Juli 1861, daß die Bewohner befagter Staaten: Geor— 
gia, Süd-Carolina, ‚Tennefjee, Alabama, Lonifiana, Teras, Ar- 
kanſas, Miffiffippi und Florida, mit Ausnahme jenes Theiles des 
Staates Birginien, der weſtlich von den Alleghany-Gebirgen 
liegt, fowie anderer Theile diefes Staates und der übrigen oben— 
benannten Staaten, die eine loyale Anhänglichfeit an die Union 
und Conftitution bewahren oder von Zeit zu Zeit von den Trup- 
pen der Vereinigten Staaten, die mit der Zerftreuung befagter 
Inſurgenten betraut find, oeeupirt und controllirt werden — ſich 
in einem Zuftand der Inſurrektion gegen die Vereinigten Staaten 
befinden, und daß aller Handelsverfeyr zmwifchen den Bewohnern 
genannter Staaten, mit obenerwähnter Ausnahme, und andern 
Theilen der Vereinigten Staaten ungefeglich ift und ungefeglich 
bleiben wird, bis beſagte Infurreftion aufgehört hat oder unter- 
drückt iftz daß alle Güter, Waaren und Handelsartifel, die ohne 
fyezielle Lizens und Erlaubniß des Präfidenten durch den Schab- 
fefretär von irgend einem der erwähnten Staaten, obengenannte 
Ausnahmen nicht eingerechnet, nach andern Theilen der Vereinig- 
ten Staaten gelangen oder nach irgend einem der befagten Staa— 
ten, jene Ausnahmen abgerechnet, pafliren, fei es nun zu Land 
oder Waſſer, fammt dem Fuhrwerk oder Schiff, das die Waaren 
oder auch Perfonen, von und nach bejagten Staaten, befagte 
Ausnahmen nicht eingerechnet, befördert, eonfiscirt werden und 
den Vereinigten Staaten anheimfallen follen; und ich ermahne 
hiermit fümmtlihe Diftriftanwälte, Marfchälle und Revenuen— 
offiziere der Militär- und Marineforcen der Vereinigten Staaten, 
wachfam zu fein in der Ausführung befagter Alte und in der 


Ende des Jahres 1861. 147 





durch diefelbe auferlegten und erklärten Bollftrefung der Strafen 
und Confiscationen, wobei es jeder Perfon, die fich dadurch beein- 
trächtigt glauben mag, unbenommen bleiben fol, ſich wegen Er— 
laffung oder Rüderftattung irgend einer Strafe oder Eonfiscation 
an den Schabfefretär zu wenden, der gejeglich autorijirt ift, dieſes 
Berlangen zu gewähren, wenn feinem Urtheil nach die fpeziellen 
Umftände in irgend einem Falle eine ſolche Erlaffung over Rüd- 
erftattung erfordern, 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen. 

„Geſchehen in der Stadt Waſhingion, diefen 16. Tag des Mo- 
nats Auguft, im Jahre unferes Herren eintaufend achthundert 
und einundfechzig und im fechgundachtzigften der Unabhängigkeit 
der Vereinigten Staaten von Amerifa. 

„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Sincoln, 


„William 9. Seward, Staatsſekretär.“ 


Die Frage hinfichtlich der Verfügung über die Sklaven der 
Nebellenmeifter Fam ſchon in jener frühen Periode des Krieges 
zur Discuſſion und es war leicht vorherzufehen, daß die Entſchei— 
dung derfelben nicht wenig Schwierigkeiten bereiten würde, 

Schon am 27. Mai 1861 hatte General Butler, damals Com» 
mandant der Feftung Monroe, dem Kriegsdepartement feine An- 
fihten in Betreff der flüchtigen Sklaven mitgetheilt, die dahin 
ging, daß man diefelben als „Kriegs-Contrebande“ zu betrachten 
habe, und Sekretär Cameron hatte jenen Commandanten amt 
30, Mai inftruirt, feinem feiner Untergebenen eine Einmifchung 
in die Berhältniffe der unter den Gefeten irgend eines Staates 
in Dienft gehaltenen Perfonen zu geftatten, noch andrerfeits, jo 
lange ſolche Staaten in der Rebellion verharrten, dieſe Perfonen 
ihren Meiftern zurüdzuliefern, fondern diefelben zu möglichft vor— 
theilhaften Dienften zu verwenden, ſowie über den Werth ihrer 
Arbeit und die Koften ihres Unterhaltes Rechnung zu führen; 
die Frage hinfichtlich der endlichen Verfügung über diefelben 
müßte einem fünftigen Befchluffe vorbehalten bleiben, 

Ungefähr zu derfelben Zeit fagte General MeClellan, ale er 


148 Das Leben Abrabam Lincolns. 





zur Hülfe der loyalen Bürger nach Weft-Virginien fam, in feiner 
Anrede an das Volk: 


„Was auch von den Verräthern gefagt wurde, um euch zu dem 
Glauben zu verleiten, daß unfere Ankunft hier das Signal zur 
Einmifchung in die Sklaverei fein würde, jo bitte ich euch, ein 
Ding deutlich zu verftehen: — nicht nur werden wir uns aller 
Einmifhung enthalten, fondern wir werden im Gegentheil jeden 
Inſurrektions-Verſuch eurer Sklaven mit eiferner Hand unter- 
drücken.“ 


Am 8. Auguſt ſagte Sekretär Cameron in Erwiederung auf 
einen zweiten Brief von General Butler über denſelben Gegen- 
ftand: | 


„General: — Die wichtige Frage hinfichtlich der Verfügung 
über die Flüchtlinge vom Dienfte in den Staaten, die ſich in In— 
furreftion gegen die Bundesregierung befinden, worauf Sie in 
Ihrem Briefe vom 20. Juli meine Aufmerkfamfeit lenkten, ift von 
mir auf das Sorgfältigfte erwogen worden. Es ift der Wunſch 
des Präfidenten, daß alle beftehenden Rechte in füänmtlichen Staa— 
ten vollftändig refpektirt und aufrecht erhalten werden. Der jest 
von Seiten der Bundesregierung geführte Krieg ift ein Krieg für 
die Union, für die Erhaltung aller conftitutionellen Rechte der 
‚Staaten und der Bürger der Staaten in der Union; deshalb 
kann feine Frage entftehen bezüglich der Flüchtlinge vom Dienfte 
innerhalb der Staaten und Territorien, in welchen die Autorität 
der Bundesregierung vollig anerfannt ift. Die gewöhnliche Form 
des gerichtlichen Berfahreng muß von Militär- und Eivil-Behör- 
den für die Nusübung legaler Formen refpektirt werden. Allein 
in den Staaten, die fich ganz oder theilweife unter der Controlle 
der Infurgenten befinden, wo die Geſetze der Vereinigten Staaten 
einen folchen Widerſtand finden, daß die erfolgreiche Vollſtreckung 
derfelben unmöglich wird, ift es augenfcheinlich, daß die von der 
Vollſtreckung diefer Geſetze abhängenden Rechte zeitweilig unbe» 
achtet bleiben müſſen; ebenfo augenfcheinlich ift es, daß die von 
den Geſetzen der Staaten, in welchen militärifche Operationen 
betrieben werden, abhängenden Nechte den durch die Inſurrektion 


Ente des Jahres 1861. 149 





bervorgerufenen militärifchen Maßregeln fubordinirt werden müſ— 
fen, wenn die diefelben beänfpruchenden Perfonen durch ihre ver— 
rätherifhe Aufführung derfelben nicht ganz und gar verluftig 
werden. Eine Ausnahme macht die allgemeine Regel in Bezug 
auf das Dienftreht. Die am 6. Auguft 1861 approbirte Con— 
greßafte erklärt, daß, wenn dienftpflichtige Perfonen zu feindlichen 
Dienfte gegen die Vereinigten Staaten verwendet werden, der 
Anſpruch anf ihre Dienfte aufhören fol. Hieraus ergiebt fich von 
felbft, daß die militärifche Autorität der Union feinen Anſpruch 
auf die Dienfte folcher Flüchtlinge anerkennen kann. 

„Det weiten fchmwieriger ift die Frage binfichtlich der Perfonen, 
die aus dem Dienfte loyaler Meifter entfliehen. Es ift Har, daß 
die Geſetze des Staates, unter denen allein der Dienft folder 
Slüchtlinge beanfprucht werden fann, durch die Inſurrektion und 
die Durch diefelbe nothwendig gewordenen militärifchen Maßregeln 
gänzlich oder beinahe gänzlich aufgehoben fein müſſen; ebenfo 
Har ift es, daß die Subftitution militärifcher für richterliche Maß— 
regeln zur Grmährleiftung folder Anfprüche große Unannehm- 
lichkeiten, Verlegenheiten und Beeinträchtigungen im Gefolge ha— 
ben müffen. Unter folden Umftänden unterliegt es feinem Zwei— 
fel, daß die fubftantiellen Rechte loyaler Meifter fih am beften 
dadurch bejhügen laffen, daß man foldhe Flüchtlinge fowohl, wie 
Flüchtlinge von illoyalen Meiftern in den Dienft der Vereinigten 
Staaten aufnimmt und fie unter ſolchen Organifationen zu fol- 
hen Beihäftigungen anhält, als es die Umftände rathfam oder 
erforderlich erfcheinen laffen. Natürlich follte ein Regifter gehal- 
ten werden, das die Namen und Perfonalbefchreibungen diefer 
Slüchtlinge, die Namen und Charaktere ihrer Meifter, loyal oder 
illoyal, nebſt ſolchen Thatfachen, die zum genauen Verſtändniß der 
Umftände in jedem Falle nothwendig find, verzeichnet. 

„Nach Wiederherjtelung des Friedens und der Ruhe wird der 
Congreß ohne Zweifel über alle auf diefe Art in den Dienjt der 
Union aufgenommenen Perfonen und über eine billige Entfchä- 
digung loyaler Meifter entfcheiden. Auf diefe Weife nur, mie 
mir fcheint, läßt fich die Pflicht und Sicherheit der Regierung mit 
den billigen Rechten Aller in Einklang bringen, Sie werden fi 


150 Das Leben Abraham Lincolns. 





daher bei Ihren Fünftigen Handlungen in Bezug auf Flüchtlinge 
vom Dienfte von obigen Vorſchriften leiten laffen und von Ihren 
Handlungen von Zeit zu Zeit, mindeftend zwei Mal jeden Monat, 
diefem Departement Bericht erftatten. Sie werden indeffen unter 
feinen Umftänden die Truppen unter Ihrem Commando autori- 
firen oder denfelben geftatten, fich auf irgend eine Weife mit den 
Dienern friedlicher Bürger in Haus oder Feld einzulaffen, oder 
folche Perfonen auf irgend eine Weije ermuthigen, den Dienft 
ihrer Meifter zu verlaffen; noch werden Sie, ausgenommen wenn 
die öffentliche Sicherheit es erfordert, die freiwillige Rückkehr 
irgend eines Flüchtlings in den Dienft, dem er entlaufen ift, ver- 
hindern.“ 


Die bereits erwähnte Congreßakte, welche für die Confiskation 
der Güter foldher Perfonen, die in offener Rebellion gegen die 
Regierung ftanden, Beftimmung traf, befchränfte die Strafe auf 
folches Eigenthun, das mit Wiffen und Willen der Eigenthümer 
zum Dienfte der Rebellion verwendet wurde; anftatt aber die fo 
verwendeten Sklaven zu emancipiren, überließ fie die Verfügung 
über diefelben den Vereinigten Staaten Gerichten oder irgend 
einer fpätern Legislation hierüber, 

General Fremont, damals im Commando des Departements 
von Miffouri, gebrauchte im einer Order vom 30, Auguft, worin 
er für den ganzen Staat das Kriegsgefeg erklärte, die folgenden 
Worte: 


„Das Örund- und Perfonal-Eigenthum folcher Perfonen, welche 

die Waffen gegen die Vereinigten Staaten ergreifen, oder für 
fhuldig befunden werden, gemeinfchaftlihe Sache mit den im 
Felde ftehenden Feinden gemacht zu haben, wird hiermit zum öf- 
fentlihen Nuten für confiscirt erklärt, und deren Sklaven, wenn 
fie folche befigen, follen fortan frei fein.“ 

Diefe Order verlegte obengenannte Alte und konnte nur auf 
den Grund dringender militärischer Nothwendigfeit hin gerecht- 
fertigt werden. ine Correfpondenz, die zwifchen dem Präfiden- 
ten und General Fremont über diefen Gegenſtand gewechfelt wurde, 
endigte mit folgendem offiziellen Brief, datirt Waſhington, D. C., 
ven 11. Sevtember 1861: 


Ende des Jahres 1861. 151 





„Öeneral- SRajor John C. Fremont. 


„Generals — Ihr Schreiben vom 8., in Erwiederung des mei- 
nigen vom 2, d. Mts., fam mir eben zu Händen. Ueberzeugt, 
dag Sie an Drt und Stelle beffer über die Nothwendigfeiten ihrer 
Poſition zu urtheilen vermögen, als ich in diefer Entfernung, hatte 
ich feinen allgemeinen Einwand gegen Ihre Proflamation vom 
30. Auguft zu machen. Die befondere Klaufel inveffen, in Bezug 
auf die Confiskation des Eigenthums und die Befreiung der Skla— 
ven ſchien mir unftatthaft, da fie nicht mit der am 6. Auguft paf- 
firten Congreßakte hinſichtlich deffelben Gegenftanvdes überein- 
ftimmte, und deshalb fchrieb ich Ihnen und drüdte meinem Wunſch 
aus, daß jene Klaufel we werden möchte. In Ihrem fo: 
eben erhaltenen Briefe Außern Sie den Wunſch, daß ich eine 
öffentliche Order betreffs diefer Modifikation erlaffe, was ich mit 
Freuden thue. 

„Es wird fomit beordert, daß befagte Klaufel befagter Profla- 
mation dahin modifizirt und conftruirt fei, daß diefelbe mit den 
Beftimmungen einer Congreßalte, betitelt: „Eine Afte zur Con— 
fisfation des zu infurreftionären Zweden verwendeten Eigenthums,“ 
approbirt am 6. Auguft 1861, übereinftimme und viefelben nicht 
überfchreite, und daß befagte Alte vollftändig mit diefer Order 
publicirt werde. 


„Ihr ergebener Diener 
Abraham Siycoln.” 


In den Inſtruktionen vom Kriegsdepartement an General 
Sherman, damals im Commando der Landmächte, zur Operation 
an der Küfte von Süd-Carolina beftimmt, wurde diefer Comman- 
deur angemiefen, fih in Bezug auf dieſe Klaffe von Perfonen bon 
den an General Butler ergangenen Vorfchriften leiten zu laffen, 
wobei ihm jedoch unbenommen fein folle, in fpeziellen Fällen fei- 
nem eigenen Ermefjen nach zu handeln. Wenn befondere Um— 
ftände es erforderten, follten Diefe Perfonen in irgend einer Eigen- 
Schaft, in Schwadronen, Compagnien oder anderweitig organifirt, 
verwendet werden, wie er es am Einträglichiten für den Dienft 
balten möge. Darunter aber follte feine allgemeine Bewaffnung 
derjelben zu militärifchem Dienfte verftanden werden. Alle loyr- 


152 Das Leben Abrabam Lincolns. 





len Meifter follten die BVerficherung erhalten, daß der Congreß 
ihnen für den Berluft der Dienfte fo befchäftigter Perfonen eine 
billige Entſchädigung zuerfennen würde. 

Dergeftalt veränderlich und unbeftimmt war um jene Zeit die 
Phafe, diefer Frage, welche fpäter erft unter der feften Hand des 
Prüfiventen eine klare, beftimmte und unzweideutige Geftalt an- 
nehmen follte. 


Die Schlacht von Bal’s Bluff — die erfte unter der Leitung 
des neuen Oberbefehlshabers der Potomac-Armee — fand am 
21. Oktober ftatt und war nur eine Repelition von Bull Run, 
glüdlicherweife jedoch in Hleinerem Maßftabe. Zum Sundenbod, 
dem die ganze VBerantwortlichkeit aufgeladen wurde, mußte Gene- 
ral Stone dienen, worauf denn die Jfdignation des Landes in 
Etwas nachließ. | 

Unmittelbar nach diefer Affaire bat der greife Scott, des aktiven 
Dienftes enthoben zu werden, welches Gefuch in folgender, höchſt 
jchmeichelhafter Order bewilligt wurde: 


„Waſhington, den 1. November 1861. 

„Drevet-General-Lieutenant. Winfteld Scott wird hiermit 
am heutigen erften Tage des Monats November 1861 auf fein 
eigenes GErfuchen bei dem Präfidenten der Vereinigten Staaten 
auf die Lifte der penfionirten Offiziere der Vereinigten Staaten 
Armee gefest, ohne Abzug an feinem laufenden Gehalt, feinen 
Einkünften und Gebühren. 

„Das amerifanifche Volk wird mit tiefer Rührung und Trauer 
vernehmen, daß General Scott fih yon der aktiven Controlle der 
Armee zurückgezogen hat, während der Präfivent und das Cabinet 
einftimmig ihre Sympathie und die der Nation für feinen gegen- 
wärtigen leidenden Zuftand ausdrüden, fowie auch ihre dankbare 
Anerkennung für die wichtigen Öffentlichen Dienfte, die er während 
feiner Tangen und glänzenden Laufbahn feinem Lande leitete, 
wobei feine treue Anhänglichkeit an die Konftitution, die Union 
und die Flagge, als diefelben von einer vatermörderifchen Rebel» 
(ion angegriffen wurden, ftets rühmlich anerkannt werden fol, 


Abraham Lincoln.“ 


Der Congreß von 1861—62. 153 





‚ Dem General MiElellan, nunmehr dem Senior-Dffizier der 
Armee, wurden jest vom Präfidenten die Pflichten des Obergene— 
rals übertragen, 

Sp verftrichen nun die prächtigen und goldenen Herbittage, die 
wie zum Kämpfen gemacht fchienen; allein es gab feinen Kampf 
für die Potomac-Armee — hie und da ein unbedeutendes Schar- 
mützel — meiftens aber Paraden. 

Die Wintermonate famen — die trodene Jahreszeit war dahin, 
Die große Armee, die jest vollftändig organifirt, digciplinirt und 
equipirf mar, zog — in den Kampf? — nicht —1 ſie zog in die 
Winterquartiere ein. 

Und das Volk — ſtets geduldig und langmüthig — vergaß 
Ball's Bluff, vergaß ſein Hoffnungen, vertraute auf die kluge 
Umſicht des Ober-Generals und wartete auf den Frühling. 





Zehntes Kapitel. 
Der Congreß von 1861—62. 


Die militärifche Situation — Gefangennahme von Mafon und Slidell— Pppo- 
fition gegen die Adminiftration — Kotfihaft des Präfidenten — Finanzielle 
Tongrefmaßregeln— Committee über die Kriegsführung —Lonfiskations- 


Bill. 


Bur Zeit der Wiedereröffnung des Congreſſes, am 2. Dezember 
1861, war die militärifche Situation Feineswegs fo verfprechend, 
als die verſchwenderiſche Ausgabe von Geld und die erntlichen Be- 
mühungen der Apminiftration zu einer energifchen Betreibung des 
Krieges das Volk erwarten ließen. Es ift wahr, die Bundeshaupt- 
ftadt war befhüst und Maryland, Weft-Virginien, Kentudy und 
Miffouri waren nicht von den Rebellen erobert worden. Mehr als 
dies jedoch war im Oſten nicht vollbracht worden—obfchon dies für 
nichts Unbedeutendes gehalten worden wäre, wenn das Volk nicht 
gar zu fanguinifch auf fofortige große Nefultate gewartet hätte; im 
Weiten bedrohten große Nebellentruppen Kentudy und Miſſouri, 


154 Das Leben Abraham Lincolne. 





und der Miffijfippiftrom war von feiner Mündung faft bis zur 
Mündung des Ohio in ihrer Gewalt. 

Eine zu jener Zeit äußerſt unwünfchenswerthe Verwidelung mit 
den auswärtigen Mächten drohte und aus der Ergreifung der 
Emiffüre Mafon und Slidell zu erwachfen; doch wurde diefe Affaire 
fpäter von der Regierung zur Befriedigung jener Nationen— wenn 
auch nicht gerade zur Befriedigung der großen Maffe unferes Vol⸗ 
kes—beigelegt. Es herrſchte die allgemeine Anficht, daß England 
und Frankreich nur eine oberflächliche Neutralität bewahrten, wäh— 
rend fie in Wirklichkeit den Rebellen alle mögliche materielle Hilfe 
leifteten, und daß die commerziellen Intereſſen unferes Landes ſehr 
beeinträchtigt würden durch die Auslegung, die jene Mächte von 
den Neutralitätspflichten zu geben für Mit fanden. 

Ueberdies war die Organijation einer gefährlichen Oppofitiong- 
partei im Werfe, die den Auswurf jeder Sorte von Malcontents in 
ſich ſchloß. Sie umfaßte Leute, die fich ftets gegen den Krieg er- 
Härt hatten, obfchon fie bei der Aufregung, die auf den Fall von 
Sumter folgte, einige Zeit Heinlaut geworden waren; Leute, die mit 
Dem geringen Fortfchritt unferer Sache unzufrieden waren; Leute, die 
fich jeder Maßregel widerfegten, die die Adminiftration unter irgend 
welchen Umſtänden ergriff; Leute, die anfingen, des Krieges müde zu 
werden und bereit waren, die Sache auf irgend eine Weife beizulegen, 
und Leute, die ftet3 auf eine Gelegenheit harıten, wodurch ſie politifch 
oder pecuniär für ihr eigenes theures Ich Kapital machen könnten. 

Kurzum, der Zuftand der Dinge bot bei der Eröffnung diefer 
Sitzung durdaus feinen erheiternden Anblid dar. 

Daß der Präfivent ſich des wahren Sachverhaltes volllommen 
bewußt war, geht aus folgender Jahresbotſchaft Har hervor: 

„Mitbürger vom Senat und Beprafentantenhaus :——Mitten 
unter den gegenwärtigen beifpiellofen politifchen Wirren haben wir 
alle Urfache, Gott für den ungewöhnlich guten Gefundheitszuftand 
des Landes und für eine reichliche Ernte zu danken, 

„Es wird Sie nicht verwundern, daß bei diefen eigenthümlichen 
Zuftänden unfer Verkehr mit fremden Nationen große Schwierig- 
keiten darbot — Schwierigkeiten, die fih hauptfächlich auf unfere 
eigenen häuslichen Angelegenheiten bezogen, 


Der Congreß von 1861—62. 155 





„Ein illoyaler Theil des amerifanifchen Bolfes war während 
eines ganzen Jahres in dem Berfuch begriffen, die Union zu zer— 
theilen und zu zerftören. Cine Nation, welche eine innere Zer- 
fplitterung erleidet, ift der Mißachtung von außen ausgefegt, und 
es Fann nicht ausbleiben, daß früher oder fpäter die eine Partei, 
wenn nicht beide, fremde Intervention herbeirufen. 

„Nationen, die auf folche Weife zur Einmifchung eingeladen 
werden, find nicht immer im Stande, den Rathichlägen anfcheinen- 
der Zweckmäßigkeit oder ungeneröfer Ehrfucht zu widerſtehen, ob— 
ſchon ſelten Maßregeln, die unter folchen Einflüffen ergriffen wer— 
den, Denjenigen, die diefelben adoptiren, zum Nuben und Frewmen 
gedeihen, 

„Die illoyalen Bürger der Vereinigten Staaten, welche den Ruin 
unſeres Landes herbeizuführen ſuchten, erhielten weniger Patronage 
und Ermunterung für ihre Bemühung, Hilfe und Unterſtützung von 
außen zu erlangen, als ſie wahrſcheinlich erwarteten. Wenn es 
billig wäre, anzunehmen, wie die Inſurgenten anzunehmen ſchie— 
nen, daß fremde Nationen in dieſem Falle, alle moraliſchen, ſocialen 
und Vertrags-Verpflichtungen bei Seite ſetzend, einzig und ſelbſt— 
füchtig zu dem Zwede handeln würden, die möglicht baldige Wie- 
berherftellung des Handels, insbefondere der Acquifition von Baum- 
wolle herbeizuführen, fo fcheinen jene Nationen bis jet noch nicht 
eingefehen zu haben, daß durch die Zerftörung der Union jene 
Zwecke ſchneller und beffer erreicht würden als durch die Erhaltung 
derfelben. Wenn wir glauben dürften, daß fremde Nationen durch 
fein höheres Prinzip als diefes befeelt würden, fo bin ich feft über- 
zeugt, daß ihnen durch unmwiderlegbare Argumente gezeigt werden 
könnte, daß fie ihr Ziel rafcher und leichter dadurch erreichen wür- 
den, daß fie ung bei der Unterbrüdung diefer Rebellion behilflich 
wären, als durch eine Ermunterung und Unterftüßung derfelben. 

„Der Haupthebel, deffen fich die Infurgenten bedienen, um fremde 
Nationen zur Feindſeligkeit gegen ung aufzuheben, ift, wie bereits 
angedeutet, die theilmweife Studung des Handelsverkehrs. Es ift 
indeffen nicht unmwahrfcheinlich, daß jene Nationen von Anfang an 
einfahen, daß die Union die Grundbedingung unferes auswärtigen, 
ſowohl wie unferes einheimiſchen Handels ſei. Es Fonnte ihnen 


156 Das Leben Abraham Lincolns. 





unmöglich entgangen fein, daß der Berfuch zur Tisunion die ge> 
genwärtigen Schwierigkeiten herbeiführte, und daß eine ftarfe Na— 
tion einen dauerhafteren Frieden und ausgedehnteren, werthoolleren 
und zuverläfjigeren Handel garantirt als diefelbe Nation, wenn fie 
in feindliche Bruchftüde zerfplittert ift. 

„Es ift nicht meine Abficht, näher auf unfere Discuffionen mit 
fremden Staaten einzugehen, denn was auch ihre Wünfche und Ge- 
finnungen fein mögen, die Integrität unferes Landes und die Sta- 
bilität unferer Regierung hängen nicht von ihnen ab, fondern 
hauptfächlich von der Loyalität, der Tugend, dem Patriotismug und 
der Intelligenz des amerifanifchen Bolfes. Die Correfpondenz felbft 
wird, mit den üblichen Refervationen, dem Congreſſe hiermit unter- 
breitet. ” 

„Die Durchficht derfelben wird bemweifen, daß mir mit Umficht 
und Liberalität gegen die fremden Nationen gehandelt, alle Urfachen 
zur Jrritation vermieden und dabei mit Feftigfeit unfere eigene Ehre 
und Rechte gewahrt haben, ' 

‚Da es indeffen vor Augen liegt, daß hier, wie in jedem andern. 
Staate, häusliche Wirren leicht fremde Gefahren im Gefolge ha- 
ben, fo empfehle ich die Adoptirung angemeffener und hinlänglicher 
Mafregeln zur öffentlichen BVertheitigung allerfeits. Während 
nun unter diefer allgemeinen Anempfehlung die Vertheidigung un- 
ferer Seefüfte von felbft in’s Auge fällt, erlaube ich mir zu gleicher 
Zeit die Aufmerkfamfeit des Congreffis auf unfere großen Binnen- 
feen und Slüffe zu Ienfen. Ich glaube, daß einige Befeftigungen 
und Depots für Waffen und Munition, nebft Hafen- und Schiff- 
fahrtsverbefferungen an wohlgemählten Drten, von großer Wichtig— 
feit für die Vertheidigung und Erhaltung der Nation find, und 
bitte, den Anfichten des Kriegsſekretärs, die er hinfichtlich dieſes all» 
gemeinen Gegenftandes in feinem Berichte niederlegte, gebührende 
Berüdfichtigung zu widmen. 

„Ich halte es für wichtig, daß die Ioyalen Regionen von Oft- 
Tenneſſee und vom weftlichen Nord- Carolina mit Kentudy und an= 
dern loyalen Theilen der Union durch Eifenbahnen verbunden 
werden. Ich empfehle daher als eine militärifche Maßregel an, 
daß der Congreß möglichit bald für die Errichtung folcher Eifen- 


Der Congreß von 1361-62. 157 





bahnen Beftimmungen treffe. Kentucky wird ohne Zweifel zu die— 
fem Zwede mitwirfen und durch feine Legislatur die hierzu geeig- 
nette Linie wählen. Der nördliche Ausgangspunft muß fich irgend 
einer beftehenden Eifenbahn anjchliegen; ob die Route nun von 
Lerington oder Nicholasville nach dem Cumberland Gap, oder von 
Lebanon nach der Tennefjee Linie in der Richtung von Knorville, 
oder in irgend einer andern Linie gehen foll, läßt ſich leicht beſtim— 
men. Bei dem Zufammenwirfen Kentudy’s3 mit der General- 
regierung läßt ſich, das Werk in furzer Zeit vollenden, Wenn es 
nun vollendet, wird es nicht mur für die Gegenwart von unbe- 
rechenbarem Nutzen, fondern für alle Zufunft eine permanente 
werthvolle Einrichtung fein, gegen deren Vortheile die Koften der 
Erbauung nicht in Anfchlag zu bringen find, ; 

„Einige Verträge, hauptfächlich für das Intereſſe des Handels 
beftimmt und von feiner befondern politifchen Wichtigkeit, wurden 
negotiirt und werden dem Senat zur Erwägung vorgelegt werden. 

„Dbihon es uns nicht gelang, einige der Handelsmächte zu 
bewegen, eine mwünfchenswerthbe Amelioration der Strenge des 
Seefrieges zu adoptiren, fo haben wir dennoch alle Schwierigfei- 
ten aus dem Wege diefer humanen Reform entfernt, mit Aus— 
nahme folcher, die nur zeitweilig und zufällig vorfommen. 

„Ich lenke Ihre Aufmerkfamfeit auf die Correfpondenz zwifchen 
dem Minifter ihrer brittanifchen Majeftät, bei diefer Regierung 
acereditirt, und dem Staatsfekretär, in Bezug auf die Beichlag- 
nahme des brittifchen Schiffes Pertfhire legten Juni durch den 
Ber. Staaten Dampfer Maffachufetts, wegen eines angeblichen 
Blockadebruches. Da diefe Beichlagnahme durch ein augenfchein- 
liches Mißverftändnig der TIhatfachen veranlaßt wurde, und da 
die Gerechtigkeit erfordert, daß wir feinen Friegerijchen Akt bege- 
ben, der nicht auf firengem Rechte und in Uebereinftimmung mit 
dem Bölferrechte beruht, jo empfehle ich an, daß eine Bewilligung 
gemacht werde, um die billigen Anfprüche der Eigner dieſes Schif- 
fes wegen Fefthaltung deſſelben zu befriedigen, 

„sch wiederhole die Empfehlung meines Vorgängers in feiner 
Jahresbotſchaft an den Congreß im legten December, hinfichtlich 
der Berfügung über den Ueberfchuß, der wahrfcheinlich verbleiben 


158 Das Leben Abraham Lincolns. 





wird, nachdem die Anfprüche amerifanifcher Bürger an China, die 
ihnen durch fehiedgrichterlichen Augfpruch unter der Akte vom 
3. März 1859 zuerfannt wurden, befriedigt fein werden. Sollte 
es indefjen für rathfam befunden werden, jene Anempfehlung nicht 
in Wirkung zu bringen, fo möchte ich vorfchlagen, daß Vollmacht 
gegeben würde, das Kapital jenes Meberfchuffes gegen guie Sicher- 
heit auszuleihen, um dereinſt damit andere gerechte Ansprüche 
unferer Bürger an China zu befriedigen, die bei unjerm ausge— 
dehnten Verkehr mit jenem Lande wohl nicht ausbleiben werten. 

„Dur die Akte vom 5. Auguft autorifirte der Congreß den 
Prafidenten, die Commandanten geeigneter Schiffe zu inftruiren, 
fi) gegen Piraten zu vertheidigen und diefelben einzufangen, 
Diefe Autorität wurde nur in einem einzigen Falle ausgeübt. 
. Zum wirkungsvolleren Schuge unferes ausgedehnten und werth- 
vollen Handels, befonders in den Hftlichen Meeren, feheint es mir 
rathſam, die Commandanten der Schiffe zu autorifiren, irgend 
eine von Piraten aus Bereinigten Staaten Schiffen und deren 
Ladung gemachte Prife wiederzuerobern, fowie den jet geſetzlich 
im Orient errichteten Confular-Gerichten Bollmacht zu ertheilen, 
derartige Fälle abzuurtheilen, wenn die Lofal-Behörden feine 
Einfprache Dagegen erheben. 

„Wenn irgend ein guter Grund vorhanden ift, aus dem wir der 
Unabhängigkeit und Souveränität Haytis und Liberias ferner 
unfere Anerkennung verweigern follten, fo bin ich nicht im Stande, 
denfelben einzufehen. Unwillens jedoch, in Betreff derfelben eine 
neue Politif ohne die Approbation des Congreffes zu inauguriren, 
empfehle ich Ihrer Erwägung die Zweckmäßigkeit einer Verwil— 
ligung, um bei jedem diefer neuen Staaten einen Charge 
d’affaires zu unterhalten. Es unterliegt feinem Zweifel, daß 
günftigen Verträgen mit denfelben bedeutende commerzielle Vor— 
tyeile entfprießen würden. 

„Die Operationen des Schabamtes wurden während der feit 
Ihrer Vertagung verftrichenen Periode mit vollfommenem Erfolg. 
betrieben. Der Patriotismug des Volkes hat der Regierung die 
von der Nothwendigfeit geforderten bedeutenden Mittel zur Ver— 
fügung geftellt. Ein großer Theil der National-Anlehe wurde 


® 


Der Connreß von 1861—62. 159 





von den Bürgern der induftriellen Klaffen gezeichnet, deren Ver— 
trauen in die Zuverläffigkeit ihres Landes und Eifer für die 
Rettung deffelben aus der gegenwärtigen Gefahr fie antrieb, ihre 
fämmtlichen befchränften Mittel zur Unterftügung der Regierung 
beizutragen. Dieſe Thatfache legt uns die befondere Berflichtung 
zur Delonomie in den Ausgaben und zur Energie im Han— 
deln auf, 

„Die NRevenuen aus fümmtlihen Quellen, einfchlieglich der 
Anlehen, betrug für das mit dem 30. Juni 1861 endigende Fi- 
nanzjahr ſechs und achtzig Millionen, achthundert und fünf und 
dreißig Tauſend, neunhundert Dollars und fieben und zwanzig 
Cents, und die Ausgaben während derfelben- Periode, einjchließ- 
lich der Abfchlagszahlungen an der öffentlichen Schuld, beliefen 
fich auf vier und achtzig Millionen, fünf hundert und acht und 
fiebzig Taufend, achthundert und vier und dreißig Dollars und 
fieben und vierzig Cents; verbleibt fomit am 1. Zuli der Schab- 
fammer eine Bilanz von zwei Millonen, zweihundert und fieben 
und fünfzig Taufend und fünf und fechszig Dollars und achtzig 
Cents, Für das erfte, mit dem 30, September 1861 endigende 
Duartal des laufenden Finanziahres betrugen die Einnahmen aus 
fänmtlichen Quellen, einfchließlich der Bilanz vom 1. Zuli, ein- 
hundert und zwei Millionen, fünfhundert und zwei und dreißig 
Tauſend, fünfhundert und neun Dollars und fieben und zwanzig 
Cents — die Ausgaben acht und neunzig Millionen, zweihundert 
und neun und dreißig Taufend, fiebenhundert und drei und dreis 
fig Dollars und neun Cents; verbleibt ſomit der Schagfammer 
für den 1. Oktober 1861 eind Bilanz von vier Millionen, zwei— 
hundert und zwei und neunzig Taufend, fiebenhundert und fechs 
und fiebzig Dollars und achtzehn Cents. 

„Aeftimate für die übrigen drei Duartale des Jahres und für 
das Finanzjahr 1863 werden dem Kongreß vom Sekretär des 
Schatzamtes vorgelegt werden, desgleihen auch feine Anfichten 
über die Mittel und Wege, um die nöthigen Erforderniffe zu be- 
fhaffen. Erfreulich ift e8, daß die durch die Rebellion verurfach- 
ten Ausgaben die Hilfsquellen des loyalen Volkes nicht überſtei— 
gen, und zu glauben, daß derfelbe Patrivtismus, der die Regie— 


160 Das Leben Abraham Lincolns. 





rung fo weit unterftügt hat, diefelbe auch ferner unterftügen wird, 
big Friede und Union wiederum bergeftellt fein werden. 

„Ich verweife achtungsvoll auf ven Bericht des Kriegsſekretärs 
in Bezug auf die numerifche Stärke der Armee; desgleichen auf 
feine Anempfehlungen rüdfichtlih der ferneren Zunahme ihrer 
Wirkſamkeit und des Gedeihens der verfchiedenen feiner Obhut 
anvertrauten Zweige. Es ift befriedigend, zu fehen, daß der Pa— 
triotismug des Volkes auch in diefer Hinficht die gehegten Erwar- 
tungen übertraf, und daß die Anzahl der angebotenen Truppen Die 
Force bedeutend überftieg, die der Congreß mich in das Feld zu 
rufen autorijirte, 

„Es-gereicht mir zum Vergnügen, auf denjenigen Theil feines 
Berichtes hinzumeifen, der auf die mufterhafte Disciplin unferer 
Truppen und den vortrefflichen Sanitätszuftand der ganzen Armee 
anfpielt. 

„Die Recommendation des Sefretärs für die Organifation der 
Miliz auf eine uniforme Bafis hin ift ein Gegenftand von mwefent- 
licher Bedeutung für die fünftige Sicherheit des Landes und wird 
der ernftlihen Aufmerkfamfeit des Congreffes dringend anem— 
pfohlen. 

„Die bedeutende Vermehrung der regulären Armee in Verbin— 
dung mit dem Umſtande, der die Anzahl ihrer Offiziere fo beträcht- 
lich verringerte, macht feine Empfehlung zur Vergrößerung des Ka— 
detten-Eorps, foweit es nur der Umfang der Militär-Afademie ge- 
ftatten will, höchſt gemichtig. 

„Durd ein bloßes Verſehen, wie ich vermuthe, hat der Congreß 
verfäumt, Kaplane für die Hofpitäler für Voluntäre zu ernennen, 
Diefer Gegenftand wurde zu meiner Kenntnig gebracht, und ich fah 
mich veranlaßt, das Formular eines Briefes zu entwerfen, von wel⸗ 
chem eine Copie, paffend adrefjirt, jeder der Perfonen überliefert 
wurde, nebjt einer Schedule, ebenfalls das Formular eines Briefeg 
enthaltend. Diefes Dokument folgt, mit “A” bezeichnet, hier bei. 

„Diefe Herren traten die ihnen angemwiefenen Pflichten zu den 
im Schedulum angegebenen Zeiten an und haben diefelben feither 
getreulich und fleißig verwaltet. Sch empfehle daher an, daß ihnen 
derfelbe Gehalt bewilligt werde, wie den Kaplanen der Armee, 


Der Congreß von 1861-62. 161 





Ferner empfehle ich eine allgemeine Beftimmung für Kaplane in 
den Hofpitälern fowohl, wie bei den Negimentern, 

„Der Bericht des Marineſekretäes erklärt im Detail die Opera- 
tionen in jenem Theil des Dienftes, die Thätigfeit und Energie, 
welche deffen Adminiftration charakterifirten und die Refultate der 
Maßregeln, die getroffen wurden, um die Macht und Wirkfamfeit 
deffelben zu vermehren. So groß waren die VBerftärfungen durch 
Bau und Kauf, daß ſich faft fagen läßt, eine Marine fei feit dem 
Beginne des Krieges gefchaffen und dienfttüchtig gemacht worden. 

„Abgefehen von der Blodade unferer ausgedehnten Seeküſte ver- 
fünimelten fi) größere Geſchwader, als je zuvor, unter unferer 
Slagge und verrichteten Thaten, die unfern Seeruhm bedeutend ver- 
mehrten. 

„Ich lenke die beſondere Aufmerkſamkeit des Congreſſes auf die 
Empfehlung des Sekretärs für eine vollkommenere Organiſation 
der Marine durch Einführung höherer Nangftufen in dem Dienfte, 

„Die gegenwärtige Organifation ift mangelhaft und ungenügend, 
und die Adoptirung beifolgender Rathichläge von dem Departement 
werden ohne Zweifel die beftehenden Schwierigkeiten hinwegräumen, 
Harmonie befördern und die Wirkfamkeit der Marine überhaupt 
erhöhen. 

„In dem DOberbundesgerichtshof find gegenwärtig drei Vacan— 
zen — zwei durch Das Ableben der Richter Daniel und MeLean 
und eine durch die Refignation des Richters Campbell verurſacht. 
Sch habe es bis jegt unterlaffen, Nominationen für die Ausfül- 
lung diefer Bacanzen zu machen, und zwar aus Gründen, die ich 
bier angeben will. Zwei dieſer Richter refidirten innerhalb der 
Staaten, die fih jebt in Inſurrektion befinden; fo dag, wenn 
Nachfolger in denfelben Lofalitäten ernannt würden, diefe ihren 
Dienft in den betreffenden Gerichten nicht verwalten fünnten; 
viele der competenteften Männer würden mwahrfcheinlich das per— 
ſönliche Wagnif des Dienftes nicht einmal hier im Obergerichts— 
bof angenommen haben. Herner war ich nicht Willens, nur 
nördliche Männer zu ernennen und mir dadurd die Möglichkeit 
zu benehmen, bei der Wiederkehr des Friedens det Süden Gr- 
— NEN zu laſſen; obfchon ich bemerken darf, dag 


162 Das L.ben Abraham Lincolns. 





die Wahl eines Mannes aus dem Norden, der früher durch 
einen ſüdlichen Mann erfest war, mit Rückſicht auf das Gebiet 
und die Besölferung nicht ungerecht wäre. 

„Während der langen und glänzenden richterlichen Laufbahn 
des Richters MeLean wuchs fein Bezirk zu einem Reihe an — 
viel zu groß für einen Richter, um den Oerichtshöfen darin 
mehr als eine nominelle Aufmerkſamkeit zu widmen. Die Bevöl— 
ferung wuchs von einer Million, vierhundert und flebenzig taujend 
und achtzehn im Jahre 1830 bis zu fehs Millionen, ein hundert 
und einundfünfzig taufend vierhundert und fünf im Jahre 1860. 

„Ueberdies ift das Land längft für unfer gegenwärtiges Gerichts— 
foitem zu groß geworden, Wenn je eine Uniformität beabfichtigt 
war, jo erfordert das Syſtem, daß alle Staaten Bezirkägerichtshöfe 
erhalten, die von Dberrichtern verwaltet werden, während Wiscon- 
fin, Minnefota, Jowa, Kanfas, Florida, Teras, Californien und 
Oregon niemals ſolche Gerichtshöfe hatten, Auch läßt fich dieſem 
Uebelftande nicht Teicht ohne eine Abänderung des Syſtems abhel- 
fen; denn vermehrten wir die Anzahl der Richter des Oberbundes— 
gericht, um allen Theilen des Landes Bezirkögerichte zu verfchaffen, 
fo erhielten wir dadurch einen Gerichtshof, der für ein richterliches 
Corps irgend einer Art viel zu zahlreich wäre, Ind das Uebel 
würde zudem mit jedem neuen Staate, der in die Union eintritt, 
zunehmen. Bezirksgerichtshöfe find entweder nüglich, oder fie find 
nicht nützlich; find fie nützlich, jo follten fie feinem Staate verwei— 
gert werden; find fie nicht nüglich, fo follte kin Staat fie haben. 
Laßt fie für alle Staaten eingerichtet oder für alle abgefchafft 
werden, 

„Drei Modififationen drängen fich meinem Geifte auf, von denen 
jede, wie ich glaube, eine Verbeſſerung unferes gegenwärtigen 
Syſtems wäre. Laßt dag Obergericht in jedem Falle aus einer 
angemefjenen Zahl Richter beftehen. Dann theilt eritens das 
Land in Bezirke von paffendem Umfang einz in einer Auzahl der» 
felben mögen die Oberrichter ihrer eigenen Anzahl nach dienen, 
und fir alle übrigen können unabhängigige Bezirksrichter ernannt 
werden, Oder, zweitens, enthebet die Oberrichter ſämmtlicher Be- 
zirköpflichten und ernennet Bezirksrichter für alle Bezirke, Oder 


- Der Congreß von 1861—62. 163 





drittens endlich, hebt die Bezirfsgerichte ganz und gar auf und 
überlaffet die richterlichen Functionen den Diftriktsgerichten und 
einem unabhängigen Obergericht. 

„Sch empfehle der Erwägung des Eongreffes den gegenwärtigen 
BZuftand der Statutengefege an in der Hoffnung, daß der Kongreß 
im Stande fein werde, eine Abhilfe für manche Inconvenienzen 
und Uebel zu finden, die fich beftändig den mit der praftifchen Ad» 
miniftration derfelben Betrauten entgegenftellen, Seit der Orga— 
nifation der Regierung hat der Congreß etliche fünftaufend Akte und 
Gefammtbefchlüffe paflirt, die mehr als fechs taufend eng gedrudte 
Seiten füllen und in vielen Bänden zerftreut liegen. Manche die- 
fer Alten find vilig und ohne gehörige Vorficht entworfen worden, 
fo daß mande ihrer Beitimmungen dunkel in fich felbft find, oder 
einander mwiderftreiten, oder wenigitens fo zweifelhaft find, daß es 
ſelbſt für die Beftunterrichteten oft fehr fchwer wird, die wahre Be— 
deutung des Statutengejeßes zu ermitteln. 

„Es feheint mir von großer Wichtigkeit zu fein, daß die Statuten- 
gefege fo deutlich und verftändlicy wie möglich gemacht und auf 
einen fo geringen Raum reduzirt werden, als dies mit der Voll— 
ftändigfeit und Präcifion der Abſicht der Legislatur und der Klar- 
heit der Sprache vereinbar ift. Diefes richtig gethan, würde, wie 
ich glaube, die Arbeit Derer fehr erleichtern, Deren Pflicht es ift, bei 
der Adminiftration der Gefege mitzuwirken, und wäre eine bleibende 
Wohlthat für das Volk, indem ihm dadurch die Gefebe, die in fo 
enger Beziehung zu feinen Intereffen und feinen Pflichten ftehen, 
in einer zugänglicheren und verftändlicheren Form vor Augen ge= 
gelegt würden, 

„Sachverftändige, auf deren Anfichten ich Gewicht lege, theilten 
mir mit, daß alle jest in Kraft beftehenden Congreßaften von per- 
manenter und allgemeiner Natur revidirt und umgefchrieben wer— 
den könnten, fo daß fie einen Band (oder höchſtens zwei Bünde) 
von gewöhnlichen und mäßigem Umfang füllen würden. Sch em- 
pfehle dem Congreß achtungsvoll an, diefen Gegenftand in Erwä- 
gung zu ziehen, und, wenn für gut befunden, den zur Erreichung 
des Zwedes geeignetiten Plan dafür zu entwerfen. 

„Eine der unvermeiplichen Folgen der gegenwärtigen Inſurrek— 


164 Das Leben Abraham Lincolns. 





tion ift an vielen Orten die gänzliche Unterdrüdung aller gewöhn- 
lichen Mittel, um die Civil-Zuftiz durch die Beamten und in den 
Formen des beftehenden Geſetzes verwalten zu laſſen. Dies ift in 
fammtlichen Infurgenten-Staaten gänzlich) oder theilweiſe der Hall, 
und wo nur unfere Armeen vorrüden und von Theilen jener 
Staaten Befib ergreifen, da wird dieſes praftifche Hebel erft recht 
augenfcheinlih. Es giebt daſelbſt Feine Gerichtshöfe oder Beamte, 
an welche die Bürger anderer Staaten fi in ihren gefeglichen An- 
fprüchen an die Bürger der Infurgenten-Staaten wenden Fünnten, 
und diefe Anſprüche machen einen ganz bedeutenden Schulvbetrag 
aus. Einige ſchätzten den Betrag auf zweihundert Millionen 
Dollars, und diefe Summe fchulden meiftens die Infurgenten in 
offener Rebellion den Ioyalen Bürgern, die jebt fo große Opfer 
bringen, um durch die Ausübung ihrer patriotifchen Fit die 
Regierung zu unterftügen. 

„Unter diefen Umftänden wurde ich Dringend angegangen, durch 
militärifhe Macht Gerichtshöfe zu errichten, um in folden Fallen 
fummarifche Zuftiz handhaben zu laffen. Ich weigerte mich bieher, 
dies zu thun, nicht weil ich Zweifel hegte, daß der angeftrebte Zweck 
— die Eintreibung diefer Schulden — recht und billig an und für 
ſich felbft fei, fondern weil ich nicht Willens war, in der Ausübung 
ungewöhnlicher Gewalt die Örenzen abfjoluter Nothwendigfeit zu 
überfchreiten. Dem Congreß aber fteht, wie ich glaube, alle hierzu 
erforderliche Gemalt zu, und deshalb vermweife ich dieſe ganze Ange- 
legenheit an ven Congreß in der Hoffnung, daß fih ein Plan zur 
Adminiftration der Gefege in allen foldhen Iheilen von Inſurgen— 
ten-Staaten oder Territorien entwerfen laffe, die unter der Con— 
trolle der Regierung ftehen mögen, fei es durch eine freiwillige 
Rückkehr zur Treue und Ordnung, oder dur die Macht unferer 
Waffen. Dies follte indeffen kein permanentes Inſtitut fein, ſon— 
dern nur ein temporäres Subftitut, und follte aufhören, ſobald 
die gewöhnlichen Gerichtshöfe im Frieden wieder eröffnet werden 
können. 

„Bon großer Wichtigkeit iſt es, daß wo möglich geeignetere Mittel, 
zur Berichtigung der Anfprüche an die Regierung vorgefehen wür— 
ben, befonders in Anbetracht der durch den Krieg bedeutend größer 


Der Congreß von 1861-62. 165 





gewordenen Anzahl derſelben. Es ift ebenso fehr die Pflicht der 
Regierung, zu Öunften der Bürger prompte Zuftiz gegen fich ſelbſt 
zu handhaben, als diefelbe zwifchen Privatindividuen walten zu 
laffen. Die Unterfuhung der Anfprüche und die Aburtheilung 
derjelben gehören ihrer Natur nad dem Juftizdepartement anz 
außerdem ift es augenfcheinlich, daß die Aufmerkfamfeit des Con— 
greffes für die nächfte Zukunft mehr als gewöhnlich auf große 
Nationalfragen gelenkt werden wird. Der Zwed der Organifation 
des Gerichtshofes für Anfprüche und Forderungen (Court of Claims) 
war hauptfächlich, diefen Zweig des Gefchäftes aus den Hallen des 
Congreffes zu entfernen; während aber der Gerichtshof fich als ein 
fehr wirkfames und werthvolles Unterfuchungsmittel erwies, erreicht 
er dennoch den Zwed feiner Gründung nicht, da es ihm an Macht 
gebricht, fein Entſcheidungen endgültig zu machen. 

„Sch bin mir der Zartheit, wo nicht gar der Gefährlichkeit dieſes 
Gegenſtandes wohl bewußt, und empfehle daher Ihrer reifen Er- 
wägung an, ob es nicht zwedmäßig wäre, diefem Gerichtshofe 
Macht zu verleihen, feine Entjcheidungen endgültig zu machen, 
jedoch vorbehaltlich des Rechtes der Appellation an das Oberbun- 
desgericht über Gefeßfragen, nebjt andern folchen Beſtimmungen, 
wie die Erfahrung fie ala nothwendig erwies. 

„Ich lenke Ihre Aufmerkfamfeit auf den Bericht des General- 
Poftmeifters. Folgendes ift eine ſummariſche Ueberſicht über den 
Zuſtand des Departements: | — 

„Die Revenuen von allen Quellen während des mit dem 30. Juni 
endigenden Fiscaljahres, einſchließlich der jährlichen permanenten 
Verwilligung von ſiebenhundert tauſend Dollars für den Transport 
„freier Poſtſachen“ (free mail matter) beliefen ſich auf neun Mil- 
lionen, neunundvierzig taufend, zwei hundert und neunundfechzig 
Dollars und vierzig Cents; etwa zwei Prozent weniger als die 
Revenuen von 1860, 

Die Ausgaben betrugen dreizehn Millionen, fechs hundert und 
ſechs taufend, fieben hundert und neunundfünfzig Dollars und elf 
Cents; woraus fich eine Abnahme von mehr als acht Prozent, mit 
denen des vorigen Jahres verglichen, ergiebt. Es verbleibt fomit 
ein Deficit von vier Millionen, fünfhundert und fiebenundfünfzig 


» 
166 Das Leben Abraham Lincolns. 





tauyend, vierhundert und zweiundfechzig Dollars und einundfieben- 
zig Cents über die Revenuen des legten Fiscaljahres. 

„Die Gefammtrevenuen des mit dem 30. Juni 1863 endigenden 
Jahres werden auf eine Zunahme von vier Prozent über die von 
1861 veranfchlagt, was eine Summe von acht Millionen, ſechshun— 
dert und dreiundachtzig taufend Dollars ergiebt, wozu die Einkünfte 
des Departements von dem Transport der „freien Poſtſachen“ zu 
rechnen find, nämlich: fiebenhundert taufend Dollars; fomit im 
Ganzen neun Millionen, dreihundert und dreiundachtzig taufend 
Dollars, 

„Die Oefammt-Ausgaben für das Jahr 1863 werden veran- 
fhlagt auf zwölf Millionen, fünfhundert und achtundzwanzig 
taufend Dollars; verbliebe alfo ein Deficit von drei Millionen, 
einhundert und fünfundvierzig taufend Dollars, das nebjt der per- 
manenten Berwilligung durch das Schabumt zu deden wäre. 

„Die gegenwärtige Inſurrektion zeigt, wie ich glaube, daß die 
Ausdehnung diefes Diftriftes über den Potomac-Fluß zur Zeit der 
Gründung diefer Bundeshauptftadt eine äußerſt weife Maßregel, 
und folglich das Aufgeben jenes Theiles davon, der innerhalb des 
Staates Virginien liegt, durchaus unmeife und gefährlich war. 
Sch empfehle Ihrer Erwägung die Nothwendigkeit, jenen Theil des 
Diftriktes wieder zu erlangen und die urfprünglichen Grenzen durch 
Unterbandlungen mit dem Staate Virginien wieder herzuftellen, 

„Der Bericht des Sefretärs des Innern zeigt, wie auch die be- 
gleitenden Dokumente, den Zuftand der verfchiedenen zu dieſem 
Departement gehörigen Zweige der öffentlichen Verwaltung. Der 
unbheilvolle Einfluß der Inſurrektion wurde befonders in den Ope— 
rationen der Patent-Dffice und der General-Land-Dffice gefühlt. 
Die baaren Einnahmen aus den Verkäufen öffentlicher Ländereien 
überftiegen während des lebten Jahres die Ausgaben unferes Land— 
foitems nur um etwa zweihundert taufend Dollars. Namentlich 
wurden die Verkäufe in den ſüdlichen Staaten gänzlich fuspendirt, 
während die Gefchäftsftodungen im Lande, fowie der Eintritt fo 
vieler Leute aus den arbeitenden Klaffen in den Militärdienft die 
Anfiedlungen in den neuen Staaten und Territorien im Norpweften 
ebenfalls unterbrochen haben. 


u. 
Der Congreß von 1861—52, 167 





„Die Einkünfte der Patent-Dffice haben in neun Monaten um 
einhundert tauſend Dollars abgenommen, was eine große Reduzi— 
rung der dafelbit Angeftellten nothwendig machte, 


„Die Forderungen an die Penjiong-Dffie werden durch die In— 
furreftion bedeutend vermehrt werden. Bereits find zahlreiche Ge— 
fuche um Penfionen, durch die Cafualitäten des gegenwärtigen Kries 
ges veranlaßt, eingegangen. Es läßt fich mit Grund annehmen, 
daß Viele, die jegt auf den Penfiongliften ftehen und Unterftügung 
von der Regierung erhalten, fich in den Reihen der Inſurgenten— 
armee befinden oder derfelben Hilfe und Vorſchub leiften. Der 
Sekretär des Innern bat angeordnet, daß die Auszahlung der 
Penfionen folcher Perfonen auf den Beweis ihrer Illoyalität hin 
fuspendirt werde. Sch empfehle dem Congreß an, den Sefretär zu 
autorifiren, die Namen folcher Perfonen von der Penfionglifte zu 


ftreichen. 


„Die freundlichen Beziehungen der Regierung zu den Indianer- 
ftämmen wurden fehr durch die Infurreftion beinträchtigt, nament- 
lih in der ſüdlichen Superintendenz und in der von Neu-Merifo. 
Das Indianer-Land füdlih von Kanfas ift im Befiß der Inſur— 
genten von Teras und Arkanfas. Die am 4. März für diefe Su— 
perintendenz ernannten Agenten der Vereinigten Staaten waren 
nicht im Stande, ihre Poften zu erreichen, während die meiften® 
jener Beamten, die vor diefer Zeit im Amte waren, die Sache der 
Sinfurrektion ergriffen haben und nun vorgeben, ihre Macht ala 
Agenten laut Commiffionen von den Infurgenten zu verwalten. 
Es wurde von der öffentlichen Preffe gemeldet, daß ein Theil jener 
Indianer zu einer militärischen Force organifirt und der Inſur— 
gentenarmee einverleibt wurde. Die Regierung hat jedoch bis jebt 
noch feine offizielle Nachricht hiervon ; im Gegentheil erhielt ver Com— 
miſſär der indianischen Angelegenheiten Briefe von verfchiedenen 
hervorragenden Häuptlingen, worin diefe den Vereinigten Staaten 
ihre Loyalität verfichern und ven Wunſch ausdrücken, dur die An— 
wejenheit der Bundestruppen befchügt zu werden. Man darf an- 
nehmen, daß bei der MWiederbefegung des Landes durch die Bundes- 
truppen die Indianer bereitwillig alle feindlichen Demonftrationen 


® 
168 Das Leben Abraham Lincolns. 











aufgeben und zu ihren früheren Beziehungen zu der Regierung zu— 
rückkehren werden. 

„Der Agrikultur, zugeftandenerweife dem größten Intereſſe der 
Nation, ift fein Departement, fein Bureau, fondern nur ein un- 
tergeordnetes Amt (clerkship) bei der Regierung angewiefen 
worden. Während es nun ein glüdlicher Umſtand ift, daß diefes 
Interefje feiner Natur nah fo unabhängig ift, daß es meiter 

Nichts von der Regierung forderte oder erzwang, lege ich dennoch 
dem Congrefje die Frage vor, ob fich nicht freiwillig und mit großem 
Bortheil etwas Weiteres dafür thun ließe. 

„Sahresberichte, die den Zuftand unferer Agrifultur, unferes 
Handels und unferer Manufaktur darftellen, würden Belehrungen 
und Auskunft verfchaffen, die von ungemein großem praftifchen 
Werthe für das Land wären. Ich unterlaffe es, Andeutungen 
über Details zu geben, wage indeffen meine Anficht dahin zu 
äußern, daß fih mit großem Vortheil ein Agrifultur- und ftati- 
ſtiſches Bureau organifiren ließe. 

„Die Ausführung der Gefege zur Unterdrüdung des afrifanifchen 
Sklavenhandels ift vem Departement des Innern anvertraut wor- 
den. Es ift ein Gegenftand großer Befriedigung, daß die Bemü- 
bungen, diefen unmenfhlichen Schacher zu unterdrüden, feit Kur⸗ 
zem von ungewöhnlichem Erfolg gekrönt wurden. Fünf zum 

Sklavenhandel ausgerüſtete Schiffe wurden ergriffen und confis— 
zirt. Zwei Steuermänner der zu dem Handel beftimmten Schiffe, 
jowie eine Perfon, die ein Schiff zum Sklavenhandel ausrüftete, 
wurden überführt und zu einer Geld- und Gefängnißftrafe ver- 
urtheilt, und ein Capitän, ter mit einer Fracht Afrikaner an Bord 
feines Schiffes ergriffen wurde, ward des höchiten Verbrechens 
unter unfern Geſetzen ſchuldig befunden und erlitt die Todes— 
ftrafe. Ä 

„Die vom legten Congreß gefchaffenen Territorien Colorado, 
Difota und Nevada find organijirt worden, und die Civiladmini- 
ſtration wurde in denfelben unter Außerft günftigen und erfreu- 
lichen Aufpizien begonnen, wenn man bevenft, daß der Sauerteig 
des Verrathes fich bereits in einigen jener neuen Länder vorfand, 

als die Bundesbeamten dafelbit anlangten, 


Der Congreß von 1861—62. 169 





„Die reichen natürlichen Hilfsquellen dieſer Territorien werden 
nebft der Sicherheit und dem Schube, den die organifirte Regierung 
garantirt, eine große Einwanderung nach denfelben lenken, wann 
der Friede die Gefchäfte des Landes wieder in die gewohnten Ka— 
näle lenkt. Sch unterbreite hiermit dem Congreffe die Beſchlüſſe 
der Legislatur von Colorado, aus denen der patriotifche Geiſt des 
Bolfes jenes Territoriums deutlich hervorgeht, Bis jest iſt die 
Autorität der Vereinigten Staaten in ſämmtlichen Territorien auf- 
recht erhalten worden, und ich hoffe, daß dies auch in Zufunft ge- 
fhehen wird. Ich empfehle deren Intereſſen und Vertheidigung 
der erleuchteten und großherzigen Sorgfalt des Congreſſes. 

„Desgleichen empfehle ich die Sntereffen des Diſtrikts Columbia 
der günjtigen Erwägung des Eongreffes. Die Inſurrektion ver- 
urfachte den Bewohnern defjelben viele Leiden und Opfer, und da 
fie feinen Repräfentanten im Congreß haben, fo follte diefer ihre 
gerechten Anfprüche an die Regierung nicht überfehen. 

„Bei Ihrer legten Sitzung wurde ein Gefammtbefchluß adoptirt, 
der den Präfidenten ermächtigt, Anftalten zu treffen, um eine geeig- 
nete Vertretung der induftriellen Intereffen der Vereinigten Staa— 
ten bei der Induſtrie-Ausſtellung aller Nationen zu erleichtern, 
welche im Jahr 1862 zu London abgehalten werden fol. Sch be- 
daure, daß es mir unmöglich war, diefem Gegenftand meine per- _ 
fünliche Aufmerffamfeit zu widmen — einem Gegenftand, an und 
für fich felbit fo intereffant und fo innig und ausgedehnt mit ver 
materiellen Wohlfahrt der Welt verfnüpft. Durch den Staats— 
fefretär und den Sefretär des Innern wurde ein Plan oder Syftem 
entworfen und theilweife gereift; diefer folgt hiermit zur Einficht 
der Legislative bei. 

„Unter und kraft der Congreßalte, betitelt: „Eine Alte zur Con- 
fisfation des zu infurreftionären Zweden verwendeten Eigenthumg,” 
approbirt am 6. Auguft 1861, gingen gewiſſe Perfonen ihrer gejeh- 
lichen Anfprüche auf die Arbeit und den Dienft gewiffer anderer 
Perfonen verluftig. Eine Anzahl der Lestern, die auf diefe Art be- 
freit wurden, find bereits von den Vereinigten Staaten abhängig 
und müffen auf irgend eine Weife verforgt werden. Es ift über» 
dies nicht unmöglich, daß einige Staaten ähnliche Gefege zu ihrem 


170 Das Leben Abraham Lincolns. 





eigenen Nuten und Frommen paffiren werden, wodurd ihnen Die 
Verfügung über diefelbe Klaffe von Perfonen zur Pflicht wird. 
Für diefen Fall empfehle ich dem Congreffe an, Beftimmungen zu 
treffen, um folche Perfonen von ſolchen Staaten⸗nach irgend einen 
Abfindungsmodus in Empfang zu nehmen, wie z. B. anftatt, pro 
tanto, direkter Taren, oder auf irgend einen andern mit folden 
Staaten entworfenen Plan hin; daß folche Perfonen bei ihrer Auf- 
nahme durch die Öeneralregierung fofort ala frei betrachtet werden ; 
und dag für jeden Fall Schritte gethan werden, um beide Kkaffen 
(oder die erfigenannte allein, wenn die andere nicht zur Eriftenz 
fommen follte) an irgeud einem Ort und in irgend einem ihnen 
angemefjenen Klima zu colonijiren. Es wäre wohl der Erwägung 
werth, ob das in den Vereinigten Staaten bereits befindliche freie 
farbige Volk, foweit Individuen es wünfchen möchten, in ſolche Co— 
lonifation eingefchloffen werden könnte. 

„Die Ausführung diefes Colonifationsplanes möchte vielleicht 
die Acquifition eines Gebietes, ſowie Geldverwilligungen zu noch 
andern Zweden nöthig machen. Nachdem wir die Gebietsacquiſi— 
tion feit nahezu fechzig Jahren praftifch betrieben haben, kann Feine 
Frage mehr über das conftitutionelle Recht dazu aufgeworfen wer— 
den. Die Frage wurde zuerft durch Präfident Zefferfon aufge- 
worfen, der jedoch bei dem Ankauf von Louiſiana feine Skrupel an- 
gefihts der großen Zwedmäßigfeit aufgab., Wenn man fagt, der 
einzige legitime Zwed der Arquifition von Territorium beftehe darin, 
eine Heimath für weiße Leute zu gründen, fo erzielt diefe Maßregel 
den Zwed, denn die Emigration der Farbigen läßt weitern Raum 
für die weißen Leute, die bier bleiben oder noch hierher fommen. 
Präfivent Zefferfon indeffen hatte für den Anfauf von Louifiana 
weniger den Zwed, für die Bevölkerung Raum zu machen, als viel- 
mehr politifhe und commerzielle Rüdjfichten im Auge. 

„Hafen wir den ganzen Vorſchlag, einfchließlich der Berwilligung 
von Geld und der Acquifition von Territorium, nochmals in's Auge, 
fo werden wir finden, daß fich die Zwedmäßigfeit fogar zur abfo- 
luten Nothwendigfeit fteigert, die felbft den Fortbeftand der Regie- 
rung bedingt. 

„Der Krieg dauert noch immer fort. Bei Erwägung der zur 





Der Tongreß von 1861-61. 171 





Unterdrüdfung der Infurrektion anzumendenden Politif war es mein 
eifrigfteg Streben, daß der unabweisbare Kampf zu dieſem Zwede 
nicht in einen heftigen und rüdjichtslofen Revolutionskrieg ausarte. 
Es fchien mir deshalb in jedem Falle zweckmäßig, die Integrität der 
Union als den Hauptzwed des Kampfes auf unferer Geite feitzu- 
halten und alle Fragen, die nicht von wefentlicher militärifcher 
Bedeutung find, der Legislatur zur reiflichen Ueberlegung zu über- 
laffen, 

„In der Ausübung meiner beften Einficht beharrte ich auf der 
Blockade der von den Infurgenten befesten Häfen, anftatt durch 
Proflamation das vom Congreß in der legten Sitzung erlaffene Ge— 
fe zur Schließung derfelben in Ansführung zu bringen, 

„Desgleichen habe ich, den Diktaten der Klugheit, fowie den Ver— 
pflihtungen des Geſetzes Folge leiftend, mich ftrenge an die Congreß- 
akte hinfichtlich der Confiskation des zu infurreftionären Zweden 
verwendeten Eigenthbums gehalten. Sollte ein neues Geſetz über 
denjelben Gegenftand zum Vorſchlag fommen, fo ift die Zweckmäßig— 
feit deffelben wohl in Leberlegung zu ziehen. Die Union muß er— 
halten werden, und zur Erhaltung derfelben müfjen wir alle uner= 
läßlichen Mittel anwenden. Wir follten indefjen nicht allzu voreilig 
zu dem Schluffe gelangen, daß radikale und ertreme Maßregeln 
unerläßlich find, denn diefe Fönnten ebenfo gut die loyalen wie die 
illoyalen Bürger treffen. 

„Die Inaugural-Adreſſe beim Beginn der Adminiftration und 
die Botfchaft an den Kongreß bei der lebten Spezialfigung waren 
beide, hauptfächlich der EControverfe gewidmet, der die Inſurrektion 
und der nachfolgende Krieg entfprangen. Es befteht feine Urfache, 
die in jenen Dokumenten ausgedrüdten Prinzipe und allgemeinen 
Zwede im Wefentlichen abzuändern. 

„Der lebte Strahl der Hoffnung auf eine friedliche Erhaltung 
der Union verfchwand mit dem Angriff auf Fort Sumter, und eine 
allgemeine Ueberſicht der feitherigen Ereigniffe wäre vielleicht nicht 
ganz am unrechten Plate, Was damals eine peinliche Ungewiß— 
heit war, ift jet Har und deutlich geworden, und der Lauf der Er— 
eigniffe deutet unverkennbar nach der rechten Richtung. Die In— 
furgenten bofften zuverfichtlich auf eine ftarfe Unterftügung von der 


172 Das Leben Abraham Lincolns. 





Nordfeite der Mafon’s Diron’s Linie, und die Freunde der Union 
waren nicht frei von Befürchtungen über diefen Punkt, Bald ins 
deffen follte fich Ddiefe Frage entfcheiden und zwar auf der rechten 
Seite. Südlich von der Linie blieb das edle Heine Delaware von 
Anfang an der Union treu. Maryland war fheinbar gegen die 
Union. Unſere Soldaten wurden angegriffen, Brüden wurden 
verbrannt und Eifenbahnen zerftört, und ed war ung viele Tage 
lang unmöglich, auch nur ein einziges Regiment durch jenen Staat 
nach der Hauptftadt zu bringen. est find die Brüden und Eifen- 
bahnen wieder hergeftellt und ftehen der Regierung zu Gebote; be» 
reits hat der Staat fieben Regimenter für die Unionsarmee geliefert, 
fein einziges noch dem Feinde; das Volk aber hat bei einer regel- 
mäßigen Wahl die Union durch eine größere Majorität und eine 
größere Gefammtjtimmenzahl unterftügt, als daſelbſt je zuvor einem 
Kandidaten in irgend einer Trage zu Theil wurde. Kentudy, das 
ebenfalls einige Zeit zweifelhaft fchien, fteht jest entfchieden und, 
wie ich glaube, unwanfelhaft auf Seiten der Union. Mifjourt ift 
verhältnigmäßig ruhig und kann wahrfcheinlic nimmermehr von 
den Inſurrektioniſten überfluthet werden, Diefe drei Staaten, 
Maryland, Kentudy und Miffouri, von denen anfangs feiner auch 
nur einen einzigen Soldaten liefern wollte, haben jest ein Aggregat 
von nicht weniger als vierzigtaufend Mann für die Union im Felde, 
während von ihren Bürgern ficher nicht mehr als ein Drittel diefer 
Anzahl, und diefe von fehr zweifelhafter Eriftenz, die Waffen gegen 
die Regierung ergriffen haben. Nach einem ziemlich blutigen 
Kampfe von mehreren Monaten fand der herannahende Winter 
das loyale Bolf von Weft-Virginien im Befige ihres eigenen 
Landes, 

„Eine Snfurgentenforce von etwa fünfzehuhundert Mann, Die 
mehrere Monate lang auf der engen Halbinfel dominirt hatte, 
welche die Eounties Accomac und Northampton bildet und als das 
‚öftliche Ufer von Virginien“ befannt ift, desgleichen in einigen 
angrenzenden Theilen von Maryland, hat die Waffen geftrect, und 
das Volk ift zur Treue zurückgekehrt und hat den Schuß der alten 
Waffe angenommen, Somit verbleibt fein bewaffneter Inſurrek— 
tionift nördlicy vom Potomac und öſtlich von der Cheſapeake-Bai. 


Der Congreß von 1861-62, | 173 





„Desgleichen haben wir Fuß gefaßt an jedem der ifolirten Punfte 
an der Südküſte, zu Hatteras, Port Royal, Tybee Infel, nahe Sa _ 
vannah, und Ship Island; ebenfalls find wir im Beige einiger 
allgemeinen Nachrichten von Volksbewegungen zu Gunſten der 
Union in Nord-Carolina und Tenneffee. 

„Diefe Dinge bemeifen, dag die Sache der Unton ftandhaft und 
gewiß füdwärts vorzufchreiten im Begriff ift. 

„Seit Ihrer legten Bertagung hat ſich General-Lientenant Scott 
von der Spige der Armee zurüdgezugen. Die Nation war während 
feiner langen Laufbahn feiner Verdienfte nicht uneingedenf; den- 
noch, wenn ich mir in's Gedächtniß rufe, welche treue, erfolgreiche 
und glänzende Dienfte er feinem Lande leiftete, und das von einer 
Zeit an, als Wenige, die jet leben, geboren waren, bis herab auf 
die jeßigen Tage, fo will mich bevünfen, daß wir immer noch feine 
Schuldner find. Ich überlaffe es daher Ihnen, zu erwägen, welches 
fernere Zeichen der Anerkennung ihm gebührt und ung, als einem 
dankbaren Volke, obliegen mag. 

„Mit dem Rüdtritt des General Scott fam es der Erefutive zu, 
einen neuen Dbergeneral an feiner Stelle für die Armee zu ernen- 
nen. Es iſt ein glüdlicher Umftand, daß weder im Rath, noch im 
Lande, foweit mir befannt, eine Meinungsverſchiedenheit hinfichtlich 
der zu ernennenden Perfon herrſchte. Der zurüdtretende Chef 
fprach fich wiederholt zu Ounften des Generals MeClellan aus, 
und diefen Wunſch fhien die Nation faft einftimmig zu unterſtützen. 
Die Ernennung des General MeElellan ift fomit in einem bedeu— 
tenden Grade die Wahl des Landes ſowohl wie der Erefutive, und 
läßt fich daher erwarten, daß ihm das volle Bertrauen und die herz- 
liche Unterftügung zu Theil werde, ohne die er feinem Lande nicht 
mit voller Wirkfamfeit Denen kann. 

„Es ift gefagt worden, daß ein fehlechter General beffer fei, als 
zwei gute, Dies ift wahr, wenn e3 nichts Anderes bedeutet, als 
daß fich eine Armee beffer von einem, wenn auch untergeordneten, 
Geifte dirigiren laffe, als von zweit vorzüglichen, die ftets im Wi- 
berfpruch mit einander find, 

„Und dies ift ebenfalls wahr bei allen Gefammtoperationen, mo» 
bei die daran Betheiligten nur einen gemeinfamen Endzwed haben 


174 Das Leben Abraham Lincolns. 





fönnen und nur in der Wahl der Mittel von einander abweichen 
können. Bei einem Sturm zur See fann Niemand den Unter- 
gang des Schiffes wünfchen, und dennoch gehen nicht felten Alle 
mit einander unter, weil zu Biele befehlen wollen unde einem Ein— 
zigen nicht die Controlle geſtattet iſt. 

„Es ſtellt ſich immer deutlicher heraus, daß die Inſurrektion 
großentheils, wenn nicht ausſchließlich, ein Krieg über das Haupt— 
prinzip. der vollsthümlichen Regierung— die Rechte des Volkes — 
ift. Der fchlagende Beweis hiervon findet fich in den ernften und 
reiflich überlegten Dokumenten, wie überhaupt in dem Ton der In— 
. furgenten,. Wir finden in diefen Dofumenten die Verkürzung des 
beitehenden Stimmrechtes und die Beraubung des Volfes um allen 
Antheil an der Wahl der öffentlichen Beamten, mit Ausnahme der 
Legislative, fühn vertheidigt mit fpisfindigen Argumenten, um zu 
beweifen, daß eine zu große Controllirung der Regierung feiteng 
des Volkes Die Duelle aller politifchen Uebel fei. Selbft die Mo— 


narchie wird hie und da als eine mögliche Zuflucht vor der Macht 


des Volfes angedeutet. 

„In meiner gegenwärtigen Stellung wäre es faum zu rechtfer- 
tigen, wenn ich unterließe, meine Warnungsftimme gegen diefe An- 
näherung zum wiederfehrenden Defpotismug zu erheben. 

„Es ift weder nothwendig noch pafjend, dag ich mich hier auf ein 
allgemeines Argument zu Gunſten volksthümlicher Snftitutionen 
einlaffe; auf einen Punkt jedoch, der noch nicht fo abgedrofchen ift 
wie die meiften andern, erlaube ich mir in Kürze hinzumeifen. Cs 
iit das Bemühen, im Bau der Regierung das Kapital auf gleichen 
Fuß mit der Arbeit, wenn nicht über diefelbe zu ftellen. Es wird 
behauptet, daß die Arbeit nur in Verbindung mit dem Kapital von 
Bortheil fei—-dag Niemand arbeite, wenn nicht Jemand anders, der 
Kapital befike, ihn auf irgend eine Art duch die Anwendung des— 
felben zu arbeiten veranlaffe. Nach diefer Behauptung kommt zu- 
nächſt die Frage, ob es am beften fei, daß das Kapital die Arbeiter 
dinge und fie fo veranlaffe, aus freiem Willen zu arbeiten, oder die- 
felben kaufe und fie ohne ihren Willen zur Arbeit treibe. So weit 
angelangt, folgt der Schluß von felbft, daß alle Arbeiter entweder 
gedungene Arbeiter oder Sklaven find, Weiter wird dann bes 


Br 


Der Congreß von 1861-62. 175 





bauptet, daß Seder, der einmal ein gedungener Arbeiter if, fein 
Leben lang in diefem Zuftand verbleibe. 


„Es befteht indefjen Feine foldhe Beziehung zwifchen dem Kapital 
und der Arbeit, wie behauptet wird; noch eriftirt irgend ein der» 
artiges Ding, daß ein freier Mann fein Leben lang in dem Zus 
ftande eines gedungenen Arbeiters verbleiben müſſe. Beide Be— 
hauptungen find falfeh, mithin alle davon abgeleiteten Schlüffe 
grundlos. 


„Die Arbeit geht dem Kapital vor und iſt unabhängig von dem— 
ſelben. Das Kapital iſt nur die Frucht der Arbeit und könnte nie 
eriftirt haben, wenn die Arbeit nicht zuerft eriftirt hätte, Die Ar- 
beit fteht über dem Kapital und verdient bei weitem mehr Achtung. 
Das Kapital hat feine Rechte, die des Schuges fo würdig find, wie 
alle andern Rechte, Auch wird Niemand leugnen, daß eine Be- 
ziehung zwifchen der Arbeit und dem Kapital befteht, und ftets be— 
ftanden hat, der gegenfeitige Vortheile entfpringen. Der Irrthum 
befteht nur in der Behauptung, daß alle Arbeit innerhalb dieſer 
Wechſelbeziehung beruhe. Einige Wenige heſitzen Kapital, und 
dieſe Wenigen arbeiten nicht ſelbſt, ſondern dingen oder kaufen mit 
ihrem Kapital Andere, die ſie für ſich arbeiten laſſen. Die große 
Majorität aber gehört zu feiner der beiden Klaffen—fie arbeitet 
weder für Andere, noch läßt fie Andere für fih arbeiten. In den 
meiften ſüdlichen Staaten befteht eine Majorität des ganzen Volkes 
weder aus Sklaven, noch aus Meiftern; während in den nördlichen 
Staaten eine große Majorität weder aus Miethern, noch aus 
Miethlingen befteht, Männer mit ihren Samilien— Frauen, Söh— 
nen, Töchtern— arbeiten für fich felbft auf ihren Farmen, in ihren 
Häufern und ihren Werkftätten; genießen die Frucht ihrer Arbeit 
felbft und betteln nicht um die Gunft des Kapitals einerfeits, noch 
um die Gunft gedungener Arbeiter oder Sklaven andrerfeits. Da— 
bei ift nicht zu vergeffen, daß eine beträchtliche Anzahl Perfonen 
ihre eigene Arbeit mit Kapital vereinigen—das heißt, fie arbeiten 
mit ihren eigenen Händen und fuufen oder Dingen zu gleicher Zeit 
Andere, die für fie zu arbeiten haben. Dies ift jedoch nur eine 
vermifchte und nicht eine gefonderte Klaſſe. Kein hier angegebeneg 


176 Das Leben Abrabam Lincolns. 





Prinzip wird dur die Eriftenz dieſer gemifchten Klaffe beein» 
trächtigt. 

„Ich wiederhole nun, daß der freie gedungene Arbeiter nicht 
nothwendigermweife fein ganzes. Leben in diefem Zuftand verbleiben 
muß. Es giebt allenthalben in diefen Staaten viele unabhängige 
Männer, die vor wenigen Jahren noch gedungene Arbeiter waren, 


„Der arme, aber Euge Anfänger in der Welt arbeitet eine Zeit 
lang für Lohn, erübrigt fich eine Sumnte, mit der er fich feine eige- 
nen Werkzeuge oder fein eigenes Land kauft; dann arbeitet er eine 
Zeit lang auf eigene Rechnung und am Ende dingt er einen andern 
Anfänger in der Welt, der ihm bei feiner Arbeit helfe. Dies ift 
das gerechte, das großherzige, Das gedeihliche Syitem, das Allen den 
Weg öffnet, Allen Hoffnung und damit auch Allen Energie, Fort» 
fhritt und Berbefferung ihres Zuftandes verleiht. Kein lebender 
Menfch ift vertrauenswürdiger als derjenige, der fich aus der Ar— 
muth emporarbeitet—feiner weniger geneigt, Etwas zu nehmen 
oder zu berühren, was. er fich nicht ehrlich erworben hat. Möge 
diefe Klafje fich hüten, irgend eine politifche Macht aufzugeben, die 
fie befigt, und deren Aufgeben ficherlich benußt werden wird, ihnen 
und ihresgleichen das Thor zum Fortfchritt zu verfchließen und 
ihnen neue Schwierigfeiten und Laften aufzubürden, big endlich alle 
Freiheit verloren ift, 


„Seit der erften Aufnahme unferes National-Genfus bis zur 
legten find fiebzig Fahre verfloffen, und wir finden am Ende diefer 
Periode unfere Bevölkerung achtmal fo groß, als fie am Anfang 
war. Die Zunahme anderer Dinge, die man gewöhnlich für wün— 
fehenswerth hält, war fogar noch größer. Wir fehen fomit auf 
einen Blid, was das volksthümliche Prinzip, durch die Mafchinerie 
der Staaten und der Union auf die Regierung angewandt, in einer 
beftimmten Zeit hervorgebracht hat, und auch was es, wenn ftand- 
haft bewahrt, für die Zufunft verfpricht. Es leben jest ſchon Per- 
fonen unter ung, die, wenn die Union erhalten wird, eine Bevöl- 
ferung von zweihundert und fünfzig Millionen in ihr fehen werden. 
Der Kampf von heute ift nicht allein für heute; er ift für eine weite 
Zufunft. Mit Bertrauen auf die Borfehung, mit Ernft und Stand» 


Die Sklavereifrage. 177 





baftigfeit laßt uns das große Werk fortfegen, das die Umftände ung 
auferlegt haben, ; 

Abraham Lincoln. 
„Waſhington, am 3, Dezember 1861, 


Während diefer Congreffisung wurden Beflimmungen für Die 
Ausgabe gefeglichen Papiergeldes (legal tender notes) getroffen ; 
desgleichen wurde eine Bill für innere Revenuen (internal revenues) 
entworfen, um die Einkünfte des Schakamtes bedeutend zu ver— 
. mehren und eine Bafis für die Zahlung der Intereſſen auf autori- 
firte Anlehen zu begründen und das Vertrauen auf das Papiergeld 
aufrecht zu erhalten. 

Auch wurde eine Congreß-Committee über die Kriegsführung er⸗ 
nannt, deren Arbeiten dem Präſidenten zu feiner Erwägung unter- 
breitet und fchließlich der Deffentlichkeit übergeben werden follten. 

Endlich wurde eine Confiskationsbill paffirt, die fpezielle Beftim- 
mungen über bedingungsmweife Begnadigung und Amneftie enthielt 
und den Berluft des Grundbeſitzes der PEN RE auf 
deren Lebzeiten befchränfte, 





Elftes Kapitel. 
Die SFlavereifrage, 


Situatien des Präfidenten — Seine Politik — Allmälige Emanripation — 
Kotfhaft — Abfhaffung der Sklaverei im Diftrikt Columbia — General 
Hunters Emancipations-Nrdre wird für ungiltig erklärt — Conferenz 
mit Tongreßmännern aus den Grem-Sklavenftaaten — Adreſſe an die- 
felben— Militärifche Ordre— Proklamation in Betreff der Confcriptions- 
Akte, 


Di endliche Verfügung über die Sflavereifrage ftellte fich nach- 
gerade als ein unabweisbares Erfordernig heraus. Die innige 
Verbindung diefes Fuftitutes mit unfern militärifchen Operatio— 


nen drängte diefelbe der Beachtung der Nation auf. Diefer 
12 


178 Das Leben Abraham Lincolns. 





Gegenftand hatte Herrn Lincoln ftets vor Augen geſchwebt, ſeit— 
dem es Allen Har geworden war, daß der Krieg, in dem wir ung 
befanden, fein bloßes Spiel, fondern ein Kampf auf Leben und 
Tod mit einem entjchloffenen und defperaten Feinde ſei. Ver— 
ſchiedene Hinderniffe ftellten fich indeffen feinem Handeln entgegen. 
Hätte er kühn die Initiative ergreifen fünnen, überzeugt, daß er 
die große Maffe des Volkes auf feiner Seite hätte, fo wäre er im 
Stande geweſen, ganz anders zu handeln, als er zu handeln ge— 
zwungen war in Anbetracht der eigenthümlichen Natur der Frage, 
des gänzlihen Mangels an Präcevenzfällen, der Berwidelung Ter 
verfchiedenen Intereſſen, der einem einzigen faljchen Schritte ent- 
fpringenden Gefahren, der getheilten Anfichten, die über dieſen 
- Punkt felbft in den Reihen feiner eigenen politifchen Anhänger 
herrichten, fowie der Meinungsverfchiedenheit, die im Allgemeinen 
unter den Männern beftand, deren Loyalität und Hingebung für 
dus Land außer allem Zweifel waren. 


Er zug e8 vor, den Kundgebungen der Hffentlihen Meinang 
nicht vorzugreifen, und hielt e8 bei dem Zuftand der Dinge für 
die weiſere Politik, feinen Weg gleichjam zu fühlen und langſam 
aber ſicher vorwärts zu fchreiten. Daß viele feiner politifchen 
Freunde damit unzufrieden fein würden, wußte er wohl; allein 
nach reiflicher Erwägung fam er zu der Heberzeugung, daß diejer 
Plan den Intereſſen des Landes am beften entfpreihe und daß alle 
andern Rüdfichten diefer einen weichen müßten. 


Am 6. März 1862 fandte er folgende Botfchaft in Betreff die— 
jer Frage an den Congreß. Beide Häufer defjelben Pan den 
diefem Dofumente einverleibten Beſchluß: 


„Mitbürger vom Senat und Reprafentantenhaus: — Ic er— 
laube mir, Ihnen die Annahme eines Gefammtbefchluffes anzu— 
empfehlen, der weſentlich dahin lauten foll: 

„Beſchloſſen, daß die Vereinigten Staaten in Gemäßheit 
mit irgend einem Staate wirken follten, der die allmälige Abfchaf- 
fung der Sklaverei bejchliegen mag, und daß jedem folchen Staate 
pecuniäre Unterftügung zu Theil werde, die derfelbe feinem Er— 
mejjen nach gebrauchen mag, um für die durch einen folden 


Die SFlavereifrage. | 179 


Spyitemmechfel veranlaßten öffentlichen oder privaten Inconve— 
nienzen Erfag zu leiften 

„Denn der in diefem Befchluffe enthaltene Vorſchlag vom 
Congreß und der Nation nicht gebilligt wird, fo ift der Sache da- 
mit ein Ende gemacht ; follte er aber gebilligt werden, fo halte ich 
es für wichtig, daß die dabei unmittelbar intereffirten Staaten 
und das Volk fofort deutlich davon in Kenntniß geſetzt werden, 
damit diefelben überlegen fünnen, ob der Vorſchlag anzunehmen 
oder zu verwerfen fei. Für die Bundesregierung wäre eine folche 
Mapregel als eines der wirkfamften Mittel zur Selbfterhaltung 
vom höchiten Intereffe. Die Führer der gegenwärtigen Inſur— 
reftion geben fi der Hoffnung hin, daß fich dieſe Regierung 
Schließlich gezwungen fehen werde, die Unabhängigkeit irgend 
eines Iheiles der unzufriedenen Regionen anzuerkennen, und daß 
dann alle übrigen Sklavenftaaten nördlich davon fagen würden: 
„da die Union, für welche wir gekämpft haben, jest dahin ijt, fo 
wollen auch wir mit der füdlichen Sektion gehen.” Dadurd, daß 
wir ihnen diefe Hoffnung benehmen, fegen wir wefentlich der Re— 
bellion ein Ende, und der Beginn der Emancipation zerftört diefe 
ihre Hoffnung vollMndig in Bezug auf alle Staaten, die den 
Beginn dazu machen. Es handelt fih nicht darum, dag alle 
Staaten, die jest die Sklaverei dulden, fofort — wenn über- 
haupt — den Beginn zur Emancipation machen werden, fondern 
vielmehr darum, daß, während das Anerbieten Allen gleichmäßig 
gemacht wird, die nördlichen Sklavenftaaten durch ſolchen Beginn 
den füdlicheren die Heberzeugung beibringen, daß fie fich nie und 
nimmermehr der beabfichtigten Conföderation der Letzteren an— 
fhliegen wollen. Ich gebrauche den Ausdruck „Beginn,“ weil 
meiner Anficht nach die allmälige Emancipation einer plöglichen 
vorzuziehen ift. In rein finanzieller oder pecuniärer Hinficht 
kann fich jedes Congrefmitglied durch die Cenfustabellen und 
Berichte des Schatzamtes überzeugen, wie bald die laufenden 
Ausgaben für diefen Krieg fümmtliche Sklaven irgend eines 
Staates für eine billige Vergütung erfaufen würden. Ein 
folcher Vorfchlag von Seiten der General-Regierung beanfprucht 
fein Recht für die Höderal-Autorität, fich in die Sklaverei inner» 





180 Das det en Abraham Lincolns. 





halb * 7* eines Staates einzumiſchen, da die abſolute 
Controlle über den Gegenſtand in allen Fällen dem daran un— 
mittelbar betheiligten Staate und deffen Bürgern überlaffen wird. 
Es ift Tediglich ein Vorſchlag, hinfichtlich deſſen die einzelnen 
Staaten vollfommen freie Wahl haben. 

„In meiner Jahresbotfchaft vom lebten Dezember hielt ich es 
für angemeffen, zu fagen: „Die Union muß erhalten werden und 
zu ihrer Erhaltung müffen wir alle unerläßlichen Mittel anwen- 
den. Ich fagte dies nicht unüberlegt, fondern mit Borbedacht. 
Der Krieg begann und wird noch jest unfererjeits als ein uner- 
Tägliches Mittel gu jenem Zwede fortgefeßt. ine praftifche 
-Wiederanerfennung der nationalen Autorität würde den Krieg 
unnöthig machen, und diefer würde fofort aufhören. Wenn aber 
der Widerftand fortdauert, fo muß auch der Krieg fortdauern, und 
es ift unmöglich, all’ den Ruin und all’ das Elend vorherzufehen, 
das derfelbe im Gefolge hat. Solche Mafregeln, die unerläßlich 
fheinen oder große Wirkfamfeit des Kampfes verfprechen, müffen 
und werden ergriffen werden, 

„Der oben gemachte Vorfchlag ift nur ein Anerbieten, und ich 
hoffe, man wird es nicht als ungeziemend befrachten, wenn ic) die 
Frage aufitellte, ob Die angebotene pecuniäre Hilfe den betreffen- 
den Staaten und Privatperfonen nicht von größerem Werthe ſei, 
als das Inſtitut der Sklaverei bei dem gegenwärtigen Zuftand 
der Dinge. 

„Ss ift wahr, die Adoplion des vorgefchlagenen Befchluffes 
wäre nur eine initiative, Feine an und für fich praftifche Maß— 
regel; allein ich befürworte diefelbe in der Hoffnung, daß fie in 
Bälde zu bedeutenden praftifchen Refultaten führen werde. An— 
gefichts der großen Berantwortlichkeit, die ich meinem Gott und 
meinem Lande fchulde, Tenfe ich ernftlich die Aufmerkſamkeit des 
Eongreffes und der Nation auf diefen Gegenſtand. 

„März 6, 1862, 
Abraham Fincoln.“ 


In den erften Tagen des April paffirten beide Häufer des Con— 
greſſes eine Bill für die Abfchaffung der Sklaverei im Diftrift 


Tie Sflavereifrage. 181 





Columbia, Der Präfident unterzeichnete dieſelbe und fandte fie 
mit folgender Botjihaft zurüd: 


„Mitbürger vom Senat und Beprafentantenhaus ;— Die Alte 
betitelt: „Eine Alte zur Befreiung gemwilfer Perfonen, die im 
Diftrift Columbia in Dienft und Arbeit gehalten werden,” wurde 
unter heutigem Datum approbirt und unterzeichnet. 

„sch habe nie die conftitutionelle Autorität des Congrefjes zur 
Abfhaffung der Sklaverei in diefem Diftrifte bezweifelt, fondern 
ftet3 gewünfcht, die Hauptitadt der Nation auf irgend eine befrie- 
digende Art von dieſem Inſtitut befreit zu fehen. Deshalb hegte 
ich nie einen andern Zweifel in der Sache als den der Zweck— 
mäßigfeit in Anbetracht aller Umftände. Wenn irgend eine Be- 
fiimmung diefer Akte meinem Urtheil nach hätte befriedigender 
ausfallen können, jo halte ich es nicht für angemeffen, mich Gier 
näher darüber auszusprechen. Es genügt mir, daß die Prinzipe 
der Entfhädigung und Colonifation beide in dieſer Afte aner« 
fannt und praftifch behandelt wurden, 

„In Bezug auf die Entfhädigung wurde die Beflimmung ge- 
troffen, daß Anfprüge binnen neunzig Tagen vom Erlaß diefer 
Akte an geltend gemacht werden müffen, „nicht aber fpäter ;” ferner 
ift Nichts von Minderjährigen, verheiratheten Frauen (femes 
covert), ©eiftesfranfen und Abwefenden gefagt worden. Ber- 
- muthlich ift dies eine Auslaffung aus Ueberjehen, und empfehle 
ich daher die Ergänzung derfelben mittelft einer Amendments— 
oder Supplements-Afte, 


April 16, 1862, Abraham Jincoln.“ 


Der fchlagendfte Beweis, daß. der Präfivent entfchloffen war, die 
Controlle diefer vielbefprochenen Frage in feiner eigenen Hand zu 
behalten und feinem Milittär-Commandanten zu geftatten, Jurig- 
diction darin auszuüben, ift folgende Proflamation, in der er 
eine Emancipations-Drdre des General Hunter desavouirt: 

„Sintemalen in der öffentlichen Preffe eine angebliche Pro> 


Hamation des Generalmajors Hunter in folgenden Worten und 
Ausdrücken erfchien: 


182 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Hauptquartier, Departement des Südens, 
„Hilton Head, S.-E., Mai 9, 1862. 
[„Seneral-Drdre No, 11.] 

„Da die drei Staaten Georgia, Florida und Süd-Carolina, 
welche das Militärdepartement des Südens ausmachen, ausdrüd- 
lich erklärten, daß fie nicht mehr unter dem Schuß der Vereinigten 
Staaten von Amerika ftünden, und da jie die Waffen gegen befagte 
Vereinigte Staaten ergriffen haben, fo ward es eine militärijche 
Nothwendigkeit, fie in Kriegszuftand zu erklären. Dies geſchah denn 
auch am fünfundzwanzigften April 1862. Sklaverei und Kriegs- 
gefes find in einem freien Lande völlig unvereinbar. Die Per- 
fonen in diefen drei Staaten, Georgia, Florida, und Süd-Caro— 
lina, die bisher als Sklaven gehalten wurden, werden fomit auf 
immer für frei erklärt. 

„Pavid Hunter, commandirender General-Major. 
„Offiziell: | 
„Ed. W. Smith, ftellvertretender General-Adjutant.” 

„Und fintemalen diefe angeblihe Proflamation Auf- 
regung und Mißverftändniffe veranlaßt, 

„Deshalb proflamire und erkläre ih, Abkaham Lincoln, 
Präfivent der Vereinigten Staaten, daß die Regierung der Ver— 
einigten Staaten feine Kenntniß von der Abficht des Generals 
Hunter, eine folhe Proflamation zu erlaffen, befaß und bis auf 
gegenwärtigen Augenblid ohne authentifche Information hin— 
fichtlich der Aechtheit des Dokumentes iftz ferner, daß weder Ge— 
neral Hunter, noch irgend ein anderer Commandant, oder eine 
andere Perfon von der Regierung der Vereinigten Staaten auto= 
rifirt wurde, die Sklaven in irgend einem Staate Durch eine Pro- 
Hamation in Freiheit zu feben, und daß die fragliche Proflamation, 
ob nun Acht oder falfch, null und nichtig ift, fo weit es eine folche 
“ Erklärung anbetrifft. 

„Ferner mache ich bekannt, daß, ob es mir ala Oberbefehlshaber 
der Armee und Flotte zuftehe, die Sklaven in irgend einem Staate 
frei zu erflären, oder ob es zu irgend einer Zeit, oder in irgend 
einem Falle zu einer für die Erhaltung der Regierung unerläß- 
lihen Nothiwendigfeit werde, eine derartige Gewalt auszuüben — 


"Die SElavereifrage. 183 





Fragen find, die ich mir unter meiner Verantwortlichfeit felbft 
sorbehalte, und die ich der Entfcheidung feines Feldeommandan— 
ten zu überlaffen mich gerechtfertigt fehe. Diefe Fragen find ganz 
und gar verfchieden von denen der Polizeiregulationen in Armeen _ 
und Feldlagern: 

„Am 6. März empfahl ich in einer Spezialbotfchaft dem Con: 
greife die Adoption eines Gefammtbefchluffes an, ver im Wefent- 
lichen dahin lautete: 

„Beſchloſſen, daß die Vereinigten Staaten in Gemeinſchaft 
mit irgend einem Staate wirken follten, der die allmälige Ab— 
fhaffung der Sklaverei bejchließen mag, und daß jedem folchen 
Staate pecuniäre Unterftügung zu Theil werde, die derfelbe nach 
feinem Ermeffen gebrauchen mag, um für die durch einen folchen 
Syſtemwechſel veranlaßten öffentlihen oder privaten Inconve— 
nienzen Erfaß zu leiſten.“ 

„Diefer Beihluß wurde än den citirten Worten von einer 
großen Majorität beider Häufer des Congreſſes adoptirt und ift 
nunmehr ein authentifcher, beftimmter und feierlicher Vorjchlag 
der Nation an die unmittelbar an der Sache betheiligten Staaten 
und deren Bürger. An das Volk diefer Staaten wende ich mich 
nun allen Ernftes. Ich argumentire nicht; ich bitte euch, das 
Argument ſelbſt zu machen. Ihr könnt eure Augen den Zeichen 
der Zeit nicht verſchließen, ſelbſt wenn ihr wolltet. Ich bitte 
euch, dieſelben ruhig und gefaßt zu überlegen und euch über per— 
ſönliche oder Parteifragen zu erheben. Dieſer Vorſchlag macht 
gemeinſame Sache für einen gemeinſamen Zweck und kann Nie— 
manden zum Vorwurf gereichen. Er ſpielt nicht den Phariſäer. 
Der beabſichtigte Zweck würde ſacht und milde kommen wie der 
Thau des Himmels und Nichis zerreißen, Nichts zertrümmern. 
Wollt ihr ihn nicht annehmen? Keine einzelne Bemühung in 
der ganzen Vergangenheit hat je fo viel Gutes geftiftet, als durch 
die Vorfehung Gottes jest euer hohes Privilegium zu ftiften ift. 
Möge die unabfehbare Zukunft nie zu beflagen haben, daß ihr die 
Gelegenheit ungenügt vorübergehen ließet ! 

„Zum Zeugniß dejfen babe ich bier meine Namensunterfchrift 
beigefügt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifegen laffen. 


184 Das Leben Abrabam Lincolns. 





„Segeben in der Stadt Waſhington am neungehnten Tage des 
Monats Mai, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
zweiundfechzig, und im fechs und achtzigften der Unabhängigkeit der 
. Vereinigten Staaten, 

„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Lincoln.” 

„William 9. Seward, Staatsſekretär.“ 


Kurze Zeit vor der Vertagung des Congreffes, während das 
Land über den unglüdlihen Ausgang des Feldzuges auf der Halb- 
infel in der größten Niedergefchlagenheit war, lud der Präfident 
(welcher wohl wußte, daß welche Maßregeln der Lauf der Ereig- 
niffe zur Unterdrüdung der Rebellion als nothwendig erfcheinen 
lieg, adoptirt werden müßten, und wohl vorherfah, dag wahr- 
fcheinlich in Furzer Zeit dem ganzen Inſtitut der Sklaverei der 
Todesftoß verfegt werden mußte,) die Senatoren und Repräfen- 
tanten der Grenz-Sflavenftaaten zu einer Conferenz ein, um fie 
auf irgend einen derartigen Fall vorzubereiten. Bei diefer Gele- 
genheit verlas er ihnen folgende forgfältig vorbereitete Adreffe, 
auf welche er nur neun einwilligende Stimmen von fümmtlichen 
neun und zwanzig erhielt: 


„Seine Herren: — Nach der jebt nahe bevorftehenden Ver— 
tagung des Congrefjes wird e8 mir mehrere Monate lang nicht 
vergönnt fein, Sie zu fehen. In dem Glauben, daß Sie, die 
Bertreter der Orenzftaaten, mehr Gelegenheit haben, Gutes zu 
ftiften, als irgend eine gleiche Anzahl von Congreßmitgliedern aus 
andern Theilen des Landes, halte ich es für meine unabweisbare 
Pflicht, Ihnen eine dringende Angelegenheit an dag Herz zu 
legen. 

„Ich beabfichtige feinen Tadel, Feine Klage, wenn ih Ihnen 
verfichere, daß der Krieg jest im Wefentlichen beendigt wäre, 
wenn Sie Alle Testen März für den in meiner Spezialbot« 
Schaft enthaltenen Befhluß in Betreff ver allmäligen Emancipa— 
tion geftimmt hätten, Der darin vorgefchlagene Plan ift jebt 
noch eines der mächtigften und fchnelliten Mittel, den Krieg zu 
beenden. Zeigen Sie den rebellifchen Staaten auf das Deutlichfte 
und Beftimmtefte, daß die Staaten, die Sie repräjentiren, fich 


Die Sklavereifrage. 185 


J 





unter keinen Umſtänden der beabſichtigten Conföderation der erſte— 
ren anſchließen werden, ſo werden jene nicht viel länger im Stande 
ſein, den Kampf fortzuſetzen. So lange Sie ſich aber entſchloſſen 
zeigen, das Inſtitut der Sklaverei in Ihren eigenen Staaten zu 
verewigen, werden die Inſurgenten die Hoffnung nicht aufgeben, 
Sie am Ende zu den ihrigen zu zählen. Sie mögen dieſelben 
mit noch ſo überwältigender Majorität bei der Wahl beſiegen, wie 
Sie es bereits gethan haben, fo werden fie dennoch fortfahren, 
Ihre Staaten als einen Theil ihrer Conföderation zu betrachten. 
Sie, meine Herren, fennen den Hebel ihrer Macht fo gut, wie ich. 
Zerbrechen Sie diefen Hebel vor ihren Augen, und fie werben 
Ihnen Nichts mehr anhaben können. 

„Die meiften von Ihnen famen mir ftets mit Güte und Wohl— 
mollen entgegen, und ich hoffe, Sie werden es mir jegt nicht ala 
eine ungeziemende Einmiſchung in Ihre eigenen ausſchließlichen 
Ungelegenheiten deuten, wenn ich Sie im Intereſſe des ganzen 
Landes frage, ob Sie etwas Befferes für Ihre Staaten thun kön— 
nen, gls den Plan zu verfolgen, den ich vorgefchlagen habe? Alle 
Heinlichen Rüdfichten und Marimen, die fich bejfer für ruhigere 
Zeiten fchiden, bei Seite fegend und nur den unerbittlich ftrengen 
TIhatfachen in’s Auge fohauend, frage ih Sie: Können Sie in 
irgend einem Falle etwas Befferes thun? Sie möchten lieber, daß 
die conftitutionellen Beziehungen der Staaten zur Union praftijch, 
ohne eine Antaftung jenes Inſtituts, hergeftellt würden; wenn 
Dies gefchehen, fagen Sie, fei meine ganze Pflicht in diefer Hinficht 
der Conftitution und meinem Amtseide gemäß erfüllt. Dies ift 
jedoch nicht gefchehen, und wir fuchen es erft durch den Krieg zu— 
wege zu bringen. Die Folgen des Krieges laffen fich nicht ver— 
meiden. Wenn der Krieg lange dauert, was nicht anders fein 
fann, wenn der angeftrebte Zwed nicht früher erreicht wird, fo 
wird das Inſtitut in Ihren Staaten durch die bloße Reibung, die 
bloßen Folgen des Krieges ausgetilgt werden. Es wird verſchwin— 
den und Ihnen bleibt nichts Werthvolles an feiner Stelle. Ein 
großer Theil feines Werthes ift bereits dahin. Wie viel beffer 
wäre es für Sie und Ihr Volk, den Schritt zu thun, der den Krieg 
plößlich abkürzt und Ihnen einen materiellen Erfag für Das ge— 


186 Das Leben Abrabam Lincolns. 





währt, was in jedem andern Fall ficherlich ganz verloren geht! 
Wie viel beffer wäre es, auf diefe Weife das Geld zu fparen, dag 
fonft der Krieg für immer verfhlingt! Wie viel beffer wäre es, 
dies jeßt zu thun, da es in unferer Macht ftebt, ehe der fortgeſetzte 
Krieg es ung in pecuniärer Hinficht zur Unmöglichkeit macht! Wie 
viel beffer wäre es für Sie, die Verfäufer, und die Nation, den 
Käufer, die Orundurfache des Krieges zu faufen und verkaufen, 
als den zu verfaufenden Gegenftand fowohl, wie den Preis — 
zum gegenſeitigen Halsabſchneiden zu verwenden! 

„Ich ſpreche nicht von ſofortiger Emancipation, ſondern nur 
von einem ſofortigen Entſchluß zu allmäliger Emancipation. In 
Südamerika iſt reichliches Gebiet und um billigen Preis zur Colo— 
niſation zu erhalten, und wenn ſich erſt eine hinlängliche Anzahl 
zu gegenſeitiger Ermunterung gefunden hat, werden die befreiten 
Farbigen ohne vieles Zögern bereit ſein, dahin zu gehen. 

„Eine noch nicht erwähnte Schwierigkeit drängt ſich mir auf — 
eine Schwierigkeit, welche Diejenigen mit einer Spaltung bedroht, 
die ſelbſt vereinigt keineswegs zu ſtark ſind. Ein Beiſpiel davon 
iſt Ihnen bekannt. General Hunter iſt ein rechtſchaffener Mann, 
Er war mein Freund, und ich hoffe, er iſt es noch. Ich ſchätzte 
ihn, da er mit mir in dem allgemeinen Wunſche übereinſtimmte, 
daß alle Menſchen allerwärts frei ſein möchten. Er proklamirte 
alle Menſchen in gewiſſen Staaten frei, und ich desavouirte ſeine 
Proklamation. Er verſprach ſich mehr Gutes und weniger Schlim- 
mes von der Maßregel, als ich mir davon verfprechen Fonnte, 
Dennoh war meine Repudiation Manchen, deren Unterftügung 
das Land nicht entbehren fann, fehr ärgerlich und anftößig. Und 
dies ift noch nicht das Ende der Sache. Der Drud von diefer 
Richtung her ruht noch immer auf mir und ift im Zunehmen be— 
griffen. Durch die Gewährung meiner Bitte fünnen Sie mid) 
und, was noch mehr ift, können Sie das Land großer Unannehm— 
lichkeiten entheben. 

„Sn Anbetracht deffen Ienfe ich Ihre Aufmerkfamfeit wiederholt 
auf meine Botfchaft vom vergangenen März. Erwägen und be 
ſprechen Sie diefelbe unter fich felbft, ehe Ste das Capitol ver— 
laffen. Sie find Patrioten und Stantsmänner, und als foldhe 


Die Sflavereifrage. 187 





bitte ich Sie, diefen Vorſchlag wohl zu überlegen und ihn wenig- 
ftens Shren Staaten und Ihrem Volke zur Erwägung anzuems 
pfehlen. ch beſchwöre Sie, dies nicht zu unterlaffen, wenn e3 
anders Ihr Wunſch ift, der volfethümlichen Regierung des beiten. 
Volkes der Welt den Fortbeftand zu fihern. Unfer gemeinfames 
Baterland ift in großer Gefahr und bedarf der uneigennüßigiten 
Motive und des rafchen Handelns zu feiner baldigen Rettung. 
Mit feiner Rettung ift die Form der Regierung für die Welt 9 
rettet, feine ruhmvolle Gefchichte und feine theuren Erinnerungen 
find gefichert, feine glüdliche und herrliche Zukunft garantirt. 
Ihnen, meine Herren, wird vor allen Andern das hohe Privile- 
gium zugTheil, jenes Glück zu fichern, jene Herrlichkeit herbeizu— 
führen und Ihre Namen auf ewig mit der Größe Ihres Vater- 
landes zu verflechten.“ 


Am 22, Juli erfchien folgende Ordre: 


Kriegsdepartement, Wafhington, den 22. Juli 1862. 
„Es wird hiermit anbefohlen: 

„Erfteng, daß die Militär-Commandanten innerhalb der 
Staaten Birginien, Nord-Carvlina, Georgia, Florida, Alabama, 
Mifiiffippi, Louiſiana, Teras und Arkanfas auf gewöhnliche Weife 
alles Real» oder Perfonal-Eigenthum, das für ihre ‚refpektiven 
Commandos nothwendig oder zwedmäßig erfcheinen mag, zu mil’- 
tärifchen Zweden ergreifen und benugen follen; ferner, dag Ei— 
genthum aus militärifhen Rüdfichten, aber nicht aus Matgwillen 
oder Bosheit zerftört werden darf. 

„Zweitens, daß Militär- und Marine-Commandanten fo 
viele Perfonen von afrifanifcher Abkunft innerhalb jener Staaten 
als Arbeiter befchäftigen follen, als zu Militär oder Marine- 
zweden vortheilhaft erfcheinen mag, und daß folche Perfonen einen 
billigen Lohn für ihre Arbeit erhalten follen. 

„Dritteng,daß ſowohl hinfichtlich des Eigenthums, wie der 
Derfonen afrikaniſcher Abkunft hinreichend genaue Regifter ge- 
führt werden follen, aus denen die Details der Duantitäten und 
Beträge zu erfehen ift, fowie auch, woher das Eigentfum und die 
Perfonen famen, Damit auf diefe Art eine Bafis gewonnen werde, 


188 Das Leben Abraham Lincolns. 





auf welche bin geeignetenfalls Entfehätigungen gewährt werden 
können. 
„Die verſchiedenen Departements werden für die getreue Aus— 
führung dieſer Ordres gehörig Sorge tragen. 
„Auf Ren: des Präſidenten: 
Erwin SM. Stanton, Kriegsſekretär.“ 


Am 25. Juli ermahnte der Präfident vermittelft einer Profla- 
Mation alle Perfonen, der Rebellion nicht länger Unterftügung, 
Hilfe und Vorſchub zu leiften, fondern zu ihrer Treue zurüdzufeh- 
ren, unter Androhung der Eonfisfationsftrafen, vorgefehen durch 
eine Afte, betitelt: „Eine Akte zur Unterdrüdung der Snfurrektion, 
zur Beftrafung des Verraths und der Rebellion, zur Ehgreifung 
und Confiskation des Eigenthums der Rebellen und zu andern 
Zweden,“ approbirt am 17. Zuli 1862, 





Zwölftes Kapitel. 
Der Krieg auf der Galbinfel. 


Kriegsordre des Präfidenten — Gründe für diefelbe — Befultate im Weften 
und Südweften— Die Potomac Armee— Weitere Ordres des Präfidenten— 
Krief an MeLlellan—Drdre für Armer-Corps— Der Ausgang des Feld- 
zuges — Unglükliche Vorfälle — Rede des Präfidenten in der Anionsver- 
fammlung—Beurtheilungen— Hperationen in Virginien und Maryland— 
Im Welten und Südweſten. 


Zu Anfang des Jahres 1862 erfchien folgende Ordre: 


„Waſhington, Januar 27., 1862. 
[General-Sriegsordre des Präfidenten, No, 1.] 

„Beordert, daß der 22fte Tag des Monats Februar 1862 
der Tag einer allgemeinen Bewegung der Land- und Marinemacht 
der Vereinigten Staaten gegen die Infurgentenmacht fet. 

„Daß insbefondere die Armee in und um Fortreß Monroe, die 
Potomac Armee, die Armee von Weftyirginien, die Armer nahe 


Der Rrieg auf der Zalbinfel. . 189 








Mumfordssille, Kentudy, die Armee und Flotille zu Cairo und die 
Marineforce im Golf von Mexiko fich zu einer Bewegung an PM 
Tage bereit halten. 

„Daß alle andern Forcen, zu Waſſer und zu Land, mit ihren 
reſpektiven Commandanten den beſtehenden Ordres für die Zeit 
Gehorſam leiſten und ſich bereit halten, weiteren rechtzeitig gege— 
benen Ordres zu gehorchen. 

„Daß die Departements-Chefs, insbeſondere der Kriegs- und 
der Marineſekretär, mit all’ ihren Subordinirten und der Ober— 
general mit allen andern Commandanten und Subprdinirten der 
Land» und Marineforcen, Jeder einzeln, zu ftrenger und voller 
Berantigprtlichfeit für die prompte Ausführung diefer Ordre ges 
halten werden follen. 

Abraham Fincoln.” 


Indem der Präfivent auf diefe Weife alle feine eonftitutionellen 
Pflichten als Oberbefehlshaber der Armee und Marine ausübte, 
wie viel davon auch temporär Andern übertragen gewefen fein 
mochte, und direkt und energifch die Dffenfive ergriff, handelte er 
nur als der Erponent der öffentlichen Stimmung, die längſt ſchon 
ihre Unzufrievenheit über die anfcheinend nicht zu entjchuldigende 
Ihatlofigkeit in den militärischen Angelegenheiten zu erkennen ge- 
geben hatte. ' | 

Im Weften und Südweſten erfolgte die fiegreiche Schlacht zu 
Mill Spring, Kentudy; die Einnahme der Forts Henry und Do— 
nelfon, wodurch die Räumung von Nafhville nothwendig gemacht 
und Kentudy von organifirten Rebellentruppen gefäubert wurde; 
die hartnädige, aber erfolgreiche Schlacht von Pea Ridge, Arkanſas, 
in der fich der deutfche General Sigel ruhmvoll auszeichnete und 
durch die Miffourt großentheils von den Infurgenten befreit ward; 
ferner ein Sieg für unfere Waffen, der felbft der Niederlage zu 
Shilo entpreßt wurde, und endlich die Einnahme von New-Drleang, 
wodurd wir die Controlle über die Mündung des Mifjijjippi er- 
langten. 

Was aber im Dften —Roanofe Island. 


In Betreff der Bewegungen der Potomac Arnıee, von welchen 


120 | Das Leben Abraham Lincolns. 





das Land fo zuverfichtlich große Refultate hoffte, bei diefer Armee — 
fo gründlich digciplinirt, fo prächtig equipirt und mit fo ausgezeich— 
neten Offizieren verfehen, wie man allgemein glaubte—mwar die 
erfte Schwierigkeit, fich über einen Plan zu verfländigen. Um die 
Aufmerkfamfeit des Obergenerals auf irgend Etwas, das einem 
beftimmten Entfchluffe ähnlich fah, zu lenken, folgte der Drdre vom 
27, Januar die folgende meitere: 


Bi Ä „Waſhington, 31. Januar 1862, 

„Beordert, daß die gefammte disponible Force der Potomac 
Armee, nachdem für die genügende Vertheidigung der Stadt Wafh- 
ington geforgt ift, fich zu einer Erpedition formire, deren unmittel- 
barer Zwed die Einnahme und Befebung eines Punktes an der 
Eifenbahn füdweftlih von Manaffas Junction if. 

Sämmtliche Details follen dem Gutachten des Dbergenerals an- 
bheimgeftellt fein. Die Erpedition hat fi) vor oder an dem zwei— 
undzwanzigften Tag des Februar in Bewegung zu feßen. 

Abraham Sincoln.” 


General MeClellan opponirte gegen Diefe Bewegung und beftand 
ernftlih auf einem Plan, am untern Rappahannod, mit Urbana 
als Bafie, auf Richmond vorzurüden. Der Präfident ermwiederte 
ihm wie folgt: | 
„Wafhington, 3. Februar 1862, 

„Geehrter Herr:—Unfere beiden Pläne für die Bewegung 
der Potomac Armee find durchaus verſchieden. Ihrem Plane zu- 
folge fol diefelbe per Chefapeafe, ven Rappahannock hinauf nach 
Urbana und überland nach dem Terminus der Eifenbahn am York- 
fluffe ftattfinden; dem meinigen gemäß direft nach einem Punfte 
an der Eifenbahn, füdweftlih von Manaffas. 

„Denn Sie mir die folgenden Fragen befriedigend beantworten 
wollen, jo will ich mit Freuden meinen Plan dem Ihrigen auf- 
opfern : | 

1. Fordert Ihr Plan nicht mehr Zeit und Geld als der mei- 
nige? 

2. Inwiefern iſt bei Ihrem Plane der Sieg gewiſſer als 
bei meinem? 


Der Krieg auf der Salbinfel. 191 





3, Inwiefern ift ein Sieg bei Ihrem Plane werthvoller als 
bei meinem ? 

4. Wäre er nicht in der That weniger werthvoll, da derfelbe 
eine bedeutend geringere feindliche Communifationslinie durchbre— 
hen würde als der meinige ? 

5. Wäre im Fall einer Niederlage der Rüdzug bei Ihrem Plane 
nicht weit fchwieriger als bei dem meinigen ? 


* „Aufrichtig der Ihrige, 


“An General-Major MeClellan.” 


Diefe einfachen praftifchen Fragen wurden von dem Obergeneral 
nie direkt, beantwortet. | 

Da diefe Armee nicht in Armee-Eorps organifirt war, fd erließ 
der Präfivent am 8, März, als die Bewegung auf Manaffas be- 
ginnen follte, die peremtorifche Drdre an den commandirenden Ge— 
neral, fofort etne folche Organifation vorzunehmen und die Corps— 
commandanten nad der Seniorität des Ranges zu ernennen. 

An demfelben Tage erließ der Präſident, der gegen fein eigenes 
befferes Urtheil den Plan zum VBorrüden auf Richmond, nach mel- 
chem Wafhington zu gleicher Zeit gedeckt würde, aufgegeben hatte, 
durch die Erfahrung Hug gemacht, folgende Ordre: 


„Waſhington, 8. März 1862, 

„Beordert, daß Feine Aenderung der Operationsbafis der 
Potomac Armee gemacht werden full, ohne in und um Wafhington 
eine folche Force zu laſſen, wie es nach der Anficht des Obergenerals 
und der Chefs der Armee- Corps nöthig ift, um genannte Stadt in 
vollfommener Sicherheit zu laffen. 

„Daß nicht mehr als zwei Armee-Corps (etwa fünfzigtaufend 
Mann) befagter Potomac Armee en route nach einer neuen Opera— 
tionsbafis bewegt werden follen, big die Schifffahrt auf dem Poto- 
mac, von Wafhington bis zur Chefapeafe Bai, von fämmtlichen 
feindlichen Batterien und fonftigen Hemmniffen befreit fein wird, 
oder bis der Präfident hierzu ausdrückliche Erlaubniß giebt. 

„Daß irgend eine Bewegung en route nad) einer neuen Opera= 
tionsbafis, die vom DObergeneral angeorönet werden mag und welche 


Abraham Sincoln.” 


192 Das Leben Abrabam Lincolns. 





die Chefapeafe Bai hinaufzugehen beabfichtigt ift, am 18. März bes 
ginnen ſoll. Der Obergeneral wird dafür verantwortlich gehakten, 
daß die Bewegung an jenem Tage beginnt. 

„Beordert, daß die Armee und Flotte in Gemeinfchaft einen 
Berfuch zur fofortigen Einnahme der feindlichen Batterien am Po— 
tomae zwifchen Wafhington und der Chefapeafe Bai machen. 

Abraham Lincoln.” 
„2. Thomas, General-Adjutant,“ | 


Endlich —nach Verzögerungen aller möglichen Art, nach volumis 
nöſen hitzigen Correfpondenzen, und nachdem die Geduld des Prä— 
fiventen und des Landes den Außerften Punkt erreicht hatte und ein 
plöglicher Bruch dDrohte—begann jene militärifche Bewegung, die 
als die „amerifanifche Peninfular-Campagne” gefchichtlich geworden 
it. Um die Mitte des März 1862 ging eine große Armee prächtig 
disciplinirter Truppen— deren Anzahl nach verfhievenen Berichten 
zwijchen hundert Zaufend und hundert und zwanzig Taufend Mann 
betrug— von Alerandria via Yorktown nah Richmond ab und 
kehrte (wie viele von ihnen ?—ſchweigt die Gefchichte ?) nach blu- 
tigen Schlachten, Sumpfepidemien, fchredlichen Anftrengungen und 
Strapagen um die Mitte des Monats Auguft 1862 via Harrifon’s 
Landing nach Alerandria zurüd, 

Diefe Campagne war die unheilvollſte Affaire während des gan- 
zen Krieges, nicht nur in Bezug auf den entfeglichen Verluſt an 
Truppen, nicht nur in Bezug auf das Fehlfchlagen der reiflich be— 
dachten Pläne, fondern hauptfächlich wegen des entmuthigenden 
Einfluffes, den fie auf die Unterftüger der Regierung ausübte, Es 
war eine Wiederholung von Bull Run, nur in gigantifcherem 
Maßſtabe und von unendlich längerer Dauer. Wohl durfte Prä- 
fivent Lincoln, als er die Trümmer der prächtigen Potomac Armee 
zurückkehren fah, verzweifelnd ausrufen : „MeClellan, MeClellan ! 
gieb mir meine Legionen wieder!" 

Es wäre nutzlos, bier näher auf Die Details diefer Unglüdscam- 
pagne einzugehen. Jeder Schulfnabe weiß fie auswendig—mwenig- 
ftens fo weit als fie je in die Deffentlichkeit gelangten. Ebenſo 
fruchtlos wäre ein Verfuch, diefelbe von einem militärifchen Ges 


Der Krieg auf der Galbinfel. 193 





fichtspunfte aus zu Fritifiren. Dies ift bereit usque ad nauseam 
gefchehen und wird wahrfcheinlich fortfahren zu gefchehen, fo lange 
unſere Lefer leben, 

Keine Details, Feine militärifch-kritifchen Bemerkungen follen 
daher hier Raum finden. Damit aber Präfident Lincoln in feinen 
Beziehungen zu diefer Campagne richtig beurtheilt werde, bedarf es 
einiger Bemerkungen. Und hier gerade ift der geeignete Plab für 
dieſelben. 

Selbſt wenn wir dem General MecClellan alle Fähigkeiten, 
allen Patriotismus und alle Tapferkeit zugefteyen, die feine wärm— 
ften Bewunderer für ihn beanfpruchen, fo verbleiben doch noch 
viele ungünftige Umftände in Bezug aufihn, unter welchen — 
felbft wenn er perfünlich für feinen derfelben verantwortlich wäre — 
al’ die Fähigkeit, der Patriotismug und die Tapferkeit eines Na- 
poleon, Tell und Bayard zufammen genommen die Ausrottung 
der großen Rebellion durch ihn nicht hätte bemwerkftelligt werden 
können. 

Es war ein Unglück für ihn, daß vom erſten Anfang an — als 
er noch ſo wenig bekannt war, als er noch ſo wenig geleiſtet hatte — 
ſykophantiſche Schmeichler ihn ſofort zu einem großen militäriſchen 
Genie machten. Um ſo unglücklicher war dieſer Umſtand für ihn, 
wenn man bedenkt, daß das wankelmüthige amerikaniſche Volk 
über ihn und ſeine Thaten richten ſollte — dieſes Volk, das in 
Bezug auf ſeine hervorragenden Männer ſtets heute mit ſeinem 
„Hoſianna!“ und morgen mit feinem „Kreuzige ihn!’ bereit iſt. 

Es war ein Unglück für ihn, daß nach dem Urtheile vieler un- 
parteiifchen und eompetenten Richter die BVorficht bei ihm die 
Grenzen aller Klugheit überfchritt und faft zur Tollheit wurde. 
Es gibt Augenblide, in denen Alles gewagt werden muß, damit 
Nichts verloren gehe. 

Es war ein Unglüd für ihn, daß er der befondere Favorit jener 
Individuen war, welche fih am Tauteften gegen die Regierung 
vernehmen ließen, die, welche Mißgriffe fie begangen haben 
mochte, wenigfteng ernftlich Darauf bemüht war, den Krieg auf die 
einzige Bafis hin zu beendigen, die ihrem Urtheil nach allein zu 


einem fihern und dauernden Frieden führen Ffonnte. Wenn ein 
13 


194 Das Leben Abraham Lincolns. 





jubordinirter General fich mit feinen Vorgeſetzten nicht verftändis 
gen oder fich nicht mit rein militärifchen Angelegenheiten zufrie- 
den geben fann, fo ift e3 feine Pflicht, zu refigniren, was Me- 
Clellan unterließ. 

Es war ein Unglüd für ihn, daß feine eifrigften Anhänger 
durch Die Preffe, die öffentliche Rede und in der Privat-Eonverfa- 
tion dem Volke den Ölauben beizubringen fuchten, daß der Prä- 
fivent den Erfolg MeClellan's nicht wünfchte, aus Furcht, bei ver 
nächſten Präfidentenwahl einen gefährlichen Concurrenten in ihm 
zu finden. Befonders unglüdlich war dies für MeElellan, wenn 
man bedenkt, daß der Präjident beim Ausbruch Des Krieges drei fei- 
ner entfchiedenften politifchen Opponenten — Patterfon, Butler und 
MeClellan—an die Spige von drei wichtigen militärifchen Departe- 
ments geftellt und daß feit Wafhington kein Mann den Präfiden- 
tenftuhl eingenommen hatte, der weniger Egoismus befaß, als 
Prüfident Lincoln. 

Es war ein Unglüd für ihn, daß feine Anhänger fo verzweifelte 
Anftrengungen machten, die Berantwortlichkeit für feine zugeftan- 
denen Hehlgriffe Andern aufzubürden. Dies gefhah zu Ball’s 
Bluff, wie ſchon oben bemerkt. In Bezug auf die Peninfular- 
Campagne mußten der Kriegsfefretär und felbft der Präfivent 
herhalten, Hinfichtlich der letzteren Affaire wüßten wir nichts 
Paffenderes anzuführen, als die Worte eines Mannes, deffen Ehr- 
lichfeit und Wahrhaftigkeit allerwärts befannt waren — die Worte 
Abraham Lincoln’s in einer Rede, die er bei einer Unions-Ber- 
ſammlung zu Bafhington am 6. Auguft 1862 hielt, als der Aus- 
gang der Campagne bereits befannt war. 

„Mitbürger: — Ich glaube, es eriftirt Fein Präcedenzfall für 
mein Erfcheinen vor Ihnen bei diefer Gelegenheit; ebenfo wenig 
eriftirt eine Präcedenz für Ihre eigene Anmefenheit hier; und zu 
meiner, wie zu Ihrer Rechtfertigung, kann ich fagen, daß ich bei 
genauer Unterfuchung der Eonftitution feinen Einwand Dagegen 
fand. Es will mich jedoch bevünfen, daß jüngere Herren hier 
anwesend find, die beffer im Stande fein werden, Sie zu unter- 
halten oder zu belehren, als ich zu thun vermöchte, und deshalb 
will ich Ihre Geduld nur einige Augenblide in Anspruch nehmen, 


Der Krieg auf der Salbinfel. 195 





„Ich bin nicht geneigt, bei irgend einer Gelegenheit Etwas zu 
fagen, wenn ich nicht hoffen fann, irgend etwas Gutes dadurch 
zu bewirken, Das Einzige, was mir in diefem Augenblid beifällt, 
und das einem Andern minder zu fagen geziemt, als mir, ift eine 
Angelegenheit, in welcher Andere für Das getadelt wurden, was 
ich jelbft that. Es wurde ein großer Verfuh gemacht, General 
MeClellan und den Kriegsfelretär in einen Streit zu verwideln. 
BZufälligerweife nun befleive ich eine Stellung, die mich beobach— 
ten ließ, daß die beiden Herren bei Weitem weniger im Streite 
mit einander find, als Diegenigen, die fich ihre Freunde nennen. 
General MeElellan’s Stellung ift derart, daß er, wäre es aus 
rein egoiftifchen Motiven, erfolgreich zu fein wünfhen muß — 
und ich hoffe, daß er es noch fein wird — während der Kriegsfe- 
kretär fich genau in derſelben Lage befindet. Wenn die Militär- 
Eommandanten im Felde nicht erfolgreich fein können, fo müffen 
nothwendigermweife der Kriegsſekretär und ich felbft, der Gebieter 
über fie Alle, ebenfalls erfolglos fein. Sch weiß, daß General 
MeClellan erfolgreich zu fein wünfcht, und ich weiß, daß er es 
nicht mehr wünfcht, als der Kriegsfelretär für ihn, und daß fie 
Beide zufammen es nicht mehr wünfchen, als ih. Wir hören zu= 
weilen einen Streit über die Anzahl der Truppen, die General 
MeElellan hatte, Diejenigen, die ihn herabzuſetzen fuchen, be> 
haupten, er habe eine fehr große Anzahl gehabt; während Dieje- 
nigen, die den Kriegsſekretär herabzufegen fuchen, behaupten, Ge— 
neral MeClellan habe eine fehr Feine Anzahl gehabt. Die Bafis 
hiefür ift nun die, daß immer eine große — in diefem Fall viel- 
leicht eine Doppelt große — Berfchiedenheit ftattfindet zwiſchen 
MiElellan’s Gefammt-Mufterrollen und der Anzahl wirklich feld- 
tüchtiger Leute, Diejenigen nun, die ihn herabzufegen wünfchen, 
fprechen von der großen Gefammtanzahl auf dem Papier; während 
Diejenigen, die den Kriegsfefretär herabzufegen wünfchen, von 
der Anzahl der Feldtüchtigen reden, General MeElellan hat zu— 
weilen Dinge gefordert, die der Kriegsfefretär ihm nicht gab. 
MeElellan ift nicht zu tadeln, daß er Das forderte, was er brauchte 
und nöthig hatte, und der Kriegsfefretär ift nicht zu tadeln, daß 
er nicht gab, wenn er Nichts zu geben hatte, Und ich will hier 


196 Das Leben Abraham Lincolns. 





fagen, daß der Kriegsfefretär nie Etwas verweigerte, was in ſei— 
ner Macht ftand, zu geben. Sch habe feine Befchuldigungen gegen 
ihn zu erheben. Ich halte ihn für einen tapfern und fähigen 
Mann und ich nehme hier, wie die Gerechtigkeit es erfordert, auf 
mich felbft, was man dem Kriegsfefretär aufgebürdet hat. — Doch 
ich habe bereits länger gefprochen, als es meine Abficht war, und 
ich nehme nun mein Privilegium in Anfpruc, nichts mehr zu 
ſagen.“ 

Es war ein Unglück für MeClellan, daß ſchon zu wiederholten 
Malen in diefem Lande erfolgreiche Generäle zur Präfivdentfchaft 
erwählt wurden, Diefer Umftand muß ihm nicht wenig zu fchaf- 
fen gemacht haben und hat ihn wahrfcheinlich zu jener Correſpon— 
denz verleitet, die er fonft wohl vermieden haben würde, Hätten 
ihn diefe fatale Präcedenzfälle nicht beeinflußt, fo hätte er fich 
ficherlich nicht gemüßigt gefunden, fich zu Harrifon’s Landing in 
aller Gemüthsruhe hinzufegen und dem Präfidenten eine lange 
Homilie über Staats-Angelegenheiten zu fehreiben, und das in 
einem Augenblid, als es höchft zweifelhaft war, ob ihm noch lange 
eine Armee verbleiben würde, die er commandiren konnte. 

Ein Unglüd endlich war es für ihn, daß er über dem Comman— 
diren das Gehorchen vergaß. Dies würde ibm, ſowie dem Lande 
und unferer Sache verfchiedene überflüffige Zuchtigungen erfpart 
haben, | 

Ein Jeder, der Präfivdent Lincoln’s Beziehungen zu der Penin— 
fular-Campagne richtig zu würdigen wünfcht, muß diefe Thatfa- 
chen vor Augen behalten, Bon allen andern Rüdfichten rein 
militärifcher Natur abgefehen, find diefelben zu einem unpar« 
teiifchen Urtheil unumgänglich nothwendig. 

Es genüge, einen furzen Blid auf den Epilog zu dieſem trau- 
rigen Feldzug zu werfen. General Pope’3 bombaftifhe Ordres 
find Allen noch im beiten Angedenfen. Seine Mottog waren: 
„Hauptquartier im Sattel!” „Keine Retirade!” und dergleichen. 
Ob fein jämmerliches Fiasco feinem Mangel an Berftand oder 
böswilliger Vernachläſſigung der Cooperation zuzufchreiben ift, 
mag unentfchieden bleiben. Genug, es folgte eine Rebellen: In- 
vafion in Maryland; die unter MeClellan gewonnene Schlacht 


Freiheit für die Millionen. 197 





zu South Mountain; der fruchtlofe Sieg zu Antietam, über den 
fo viel unnöthiges Auffehen gemacht wurde; der Rückzug der 
Rebellen ; die Bemühungen der Regierung, MeElellan zur Ber- 
folgung anzufpornenz; die endliche Entfernung defjelben som 
Commando dur den Präfidenten, der ihm noch gewogen war, 
nachdem Das ganze Kabinet fich gegen ihn erflärt hatte; die Er- 
nennung Burnfide’s gegen deffen Wunſch; eine andere Nieder- 
lage zu Srederidsburg, worauf endlich die Potomac Armee Win- 
terquartiere bezog. 

Dies ift eine kurze Heberficht der militärifchen Operationen im 
Dften, Anno Domini 1862, 

Im Weften ſchloß das Jahr mit der Eröffnung der Schlacht 
von Murfreesboro. Vicksburg bot noch immer allen unfern Be- 
mühungen trogigen Widerftand, 





Dreizehntes Kapitel. 
Sreiheit für die Millionen. 


$eitartikel der HN. 9. Tribune“ — Srief an Herrn Greely — Ankündigung 
der Emanripations-Proklamation — Suspenfion der Habeas-Torpus- 
Akte für gewiffe Säle — Prdre hinfichtlic der Seier des Sonntags — 
Die Emanripations-Proklamation. 


Da im Monat Auguſt 1862 in der „New York Tribune“ ein in 
der Form eines Briefes an den Präfidenten gedrudter Leitartikel 
erfchienen war, in welchem die Handlungen defjelben in Bezug 
auf die Sflaverei ftrenge Fritifirt worden (der Schreiber des Ar- 
tifels wußte wohl nicht, daß Die Regierung fich bereits über eine 
beftimmte Politif verftändigt hatte, die im geeigneten Augenblid 
befannt gemacht werden follte), fo erließ Herr Lincoln folgende 
Antwort: 
Wafhington, den 22, Auguft 1862. 
„An den achtbaren Horace Greeley. 

„Werther Herr: — Soeben las ich Shren in der „New York 

Tribune“ veröffentlichten Brief an mich, datirt den I9ten d. Mis, 


198 Das Leben Abraham Lincolns. 





Wenn derfelbe irgend welche Behauptungen oder Angaben ent— 
hält, die mir als irrtümlich befannt find, fo unterlaffe ich es, die— 
felben jest und hier zu widerlegen. Wenn derfelbe irgend welche 
nach meinem Erachten falfche Schlüffe enthält, fo unterlaife ich 
e8, fie jebt und hier zu argumentiren, Wenn irgend ein reizba- 
rer oder diktatorifcher Ton in demfelben zu bemerken ift, fo über- 
fehe ih ihn aus Achtung für einen alten Freund, deffen Herz ich 
Sftets für vedlich gehalten habe, 

„Das die Politif anbelangt, „die ich zu verfolgen fcheine,‘ wie 
Sie fagen, fo war es nie meine Abficht, irgend Jemanden Darüber 
in Zweifel zu laffen. 

„Ich wünfche die Union zu retten. Ich wünfche fie auf dem 
Fürzeften mit der Conftitution vereinbaren Wege zu retten. Se 
eher die National-Autorität wieder hergeftellt werden kann, deſto 
näher ift die „Union, wie fie war.” Wenn es Leute giebt, die die 
Union nicht retten wollen, e8 fei denn, Daß fie zu gleicher Zeit die 
Sklaverei retten fünnen, fo ſtimme ich nicht mit ihnen überein, 
Wenn e8 Leute giebt, die die Union nicht retten wollen, es fei 
denn, Daß fie zu gleicher Zeit die Sklaverei vernichten fünnen, 
fo ftimme ich nicht mit ihnen überein. Mein Hauptzweck bei die- 
ſem Kampfe ift die Rettung der Union und weder die Rettung 
noch die Bernichtung der Sklaverei. Wenn ich die Union retten 
könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, fo würde 
ich es thun; wenn ich fie retten könnte mittelft der Befreiung 
aller Sklaven, fo würde ich es thun; und wenn ich fie dadurch 
retten könnte, dag ich einige Sklaven befreite und andere 
in der Sflaverei ließe, fo würde ich Dies ebenfalls thun, Was 
ich in Bezug auf die Sklaverei und die farbige Race thue, das 
thue ich, weil ich glaube, daß es die Rettung der Union befördert, 
und was ich unterlaffe, das unterlaffe ich, weil ich nicht glaube, 
daß es die Rettung der Union befördern würde. Sch werde we= - 
niger thun, fo bald ich zur Ueberzeugung gelange, daß, was ich 
thue, unferer Sache fchädlich fei, und ich werde mehr thun, fo 
bald ich zur Ueberzeugung gelange, daß dies unferer Sache für- 
derlich fein werde. Sch werde mich bemühen, Srrtbümer zu ver- 
beffern, fo bald meine Mapregeln fi als Irrthümer erweifen, 


Sreiheit für die Millionen. 199 





und ich werde neue Anfichten adoptiren, fo bald fie fich als richtige 
Anfichten erweifen. Sch habe hier meine Abfichten vom Stand— 
punkt meiner offiziellen Pflicht aus dargelegt und beabfich- 
tige damit feine Modification meines oft ausgefprochenen per— 
ſönlichen Wunſches, dag alle Menfhen allerorten frei fein 
möchten, 


„Aufrichtig der Fhrige, 
Abraham Lincoln.“ 


Worin jene angedeutete Politik beftand, das erfuhr jedes männ- 
liche Herz mit Wonne, als folgende Proflamation erfchien — das 
mwichtigfte Stantspapier, das je von einem amerifanifchen Präfi- 
denten erlaffen wurde: 


„Ih, Abraham Lincoln, Präafivent der Vereinigten Staa— 
ten von Amerifa und Oberbefehlshaber der Armee und Flotte 
derfelben, proflamire und erfläre hiermit, daß hiernach wie hier- 
zuvor der Krieg zum Zwed der praftifchen Wiederherftellung des 
Berhältniffes zwifchen den Vereinigten Staaten und dem Volke 
derfelben in jenen Staaten, in welchen diefes Verhältniß fuspen- 
dirt oder geftört ift, oder werben mag, geführt werden wird, daß 
es meine Abficht ift, bei der nächften Congrefverfammlung wieder 
die Adoption einer praftifchen Maßregel anzuempfehlen, wodurch 
ſämmtlichen fogenannten Sflavenftaaten, deren Volk fich nicht in 
Rebellion gegen die Vereinigten Staaten befindet, und die big 
dahin die fofortige oder allmälige Abfchaffung der Sklaverei in- 
nerhalb ihrer refpeftiven Grenzen freiwillig befchloffen haben 
werden, oder fpäter noch freiwillig befchließen mögen, pecuniäre 
Unterftügung angeboten werde, welche ſolche Staaten nach Be- 
lieben annehmen oder ausfchlagen mögen, und daß das Bemühen, 
Perfonen afritanifcher Abkunft mit ihrer Einwilligung auf diefem 
Continente oder fonftwo zu eolonifiren, fortgefegt werden foll, 
nachdem zusor die Einwilligung der dafelbft beftehenden Megie- 
rung eingeholt worden ift; dag am erften Tage des Monats Ja— 
nuar im Fahre unferes Herrn eintaufend achihundert und drei- 
undjechzig ſämmtliche als Sklaven gehaltenen Perfonen innerhalb 
irgend eines Staates, oder irgend eines beftimmten Theiles eines 


200 Das Leben Abraham Lincolns. 





Staates, deffen Bürger fih an jenem Tage in Rebellion gegen die 
Vereinigten Staaten befinden werden, Dann, fortan und für 
immer frei jein jollen, und daß die Erefutin-Regierung der 
Vereinigten Staaten, einfchließlih der Militär- und Marinebe- 
hörden derfelben, die Freiheit folcher Perfonen anerkennen und 
aufrecht erhalten werden, und dag auf Feinerlei Weife irgend ein 
Verſuch folcher Perfonen, oder irgend einer einzelnen Perfon, ihre 
Freiheit thatfächlich zu erlangen, unterdrückt und verhindert wer⸗ 
den wird; daß die Erefutive am erften Tage des Sanuar, wie 
oben befagt, durch eine Proflamation die Staaten, oder Theile 
derjelben bezeichnen wird, in denen das Volk fih in Rebellion 
gegen die Vereinigten Staaten befindet; und die Thatfache, daß 
irgend ein Staat oder das Volk deffelben an jenem Tage recht- 
mäßig im Congreß der Vereinigten Staaten vertreten fein wird 
durch Mitglieder, die durch Wahlen, an welchen eine Majorität 
der qualifizirten Stimmgeber eines folcyen Staates Theil genom- 
men bat, dahin erwählt wurden, foll in der Abwefenheit ftarfen 
und überzeugenden Gegenbeweifes als giltiger Beweis erachtet 
werden, daß foldher Staat oder das Volk deffelben nicht in Rebel- 
lion gegen die Vereinigten Staaten geftanden hat. 

„Daß hiermit auf eine Congreßakte aufmerkffam gemacht wird, 
betitelt: „Eine Akte zur Aufftellung eines weiteren Kriegsartifels,” 
approbirt am 13, März 1862, welche Akte in den folgenden Wor— 
ten und Ausdrüden erlaffen wurde: 

„Befhloffen Ddurh den Senat und das Reprä- 
fentantenhbaus der Bereinigten Staaten son 
Amerifa, im Congreß verfammelt, daß fortan Folgen- 
des als ein weiterer Kriegsartifel für die Leitung der Armee der 
Vereinigten Staaten befannt gemacht und als folcher beachtet und 
befolgt werden folle, 

„Artifel—. Allen Offizieren und Perfonen im Militär- 
und Marinedienft der Vereinigten Staaten ift ed verboten, die 
Truppen unter ihrem refpeftiven Commando zu der Zurüdliefe- 
rung der Flüchtlinge von Dienft oder Arbeit zu verwenden, Die 
folchen Perfonen entflohen find, denen diefer Dienft oder dieſe 
Arbeit angeblich gebührt; und jeter Offizier, der von einem 


Sreiheit für die Millionen. 201 





Kriegsgericht der Verletzung dieſes Artifels ſchuldig befunden 
wird, fol aus dem Dienfte entlaffen werben, 

„Paragraph 2, Und weiter befhloffen, daß diefe 
Akte von und nach der Zeit ihrer Erlaffung an in Kraft treten 
ſolle.“ 

„Desgleichen auf den neunten und zehnten Paragraphen einer 
Akte, betitelt: „Eine Akte zur Unterdrückung der Inſurrektion, 
zur Beitrafung des Berrathes und der Rebellion, zur Eonfiscation 
des Eigenthumes der Rebellen und zu andern Zwecken,“ approbirt 
am 17. Zuli 1862, welche Paragraphen in folgenden Worten und 
Ausdrüden angegeben find: 

„Paragraph 9. Und fei es weiter beſchloſſen, 
daß alle Sklaven folcher Perfonen, die fortan in Rebellion gegen 
die Regierung der Vereinigten Staaten ftehen oder befagter Re— 
bellion auf irgend eine Art Hilfe und Vorſchub leiſten, folchen 
Perſonen entfliehen und innerhalb der Linien der Armee Schuß 
ſuchen; und alle Sklaven, die folchen Perfonen abgenommen oder 
von denfelben im Stich gelaffen wurden und unter die Eontrolle 
der Regierung der Vereinigten Staaten kommen; fowie endlich alle 
Sflaven, die an irgend einem von Rebellentruppen befesten und 
fpäter von den Truppen der Vereinigten Staaten eroberten Plate 
gefunden werden (oder fih an demfelben befinden), als Kriegs- 
gefangene betrachtet werden, ihrer Knechtſchaft für immer frei und 
ledig fein und nie wieder als Sklaven gehalten werden ſollen.“ 

„Paragraph 10. Und fei es weiter beſchloſſen, 
daß fein Sklave, der aus irgend einem der Staaten nad) irgend 
einem Staate, Territorium oder dem Diftrift Columbia entflieht, 
zurüdgeliefert oder in irgend einer Weife in feiner Freiheit gehin- 
dert oder geftört werden folle, ausgenommen wegen eines Ver— 
brechens oder einer Hebertretung der Gefebe; es fei denn, daß die 
Perfon, die ſolchen Flüchtling beanfprucht, zuerft eidlich darthut, 
dag die Perfon, der die Arbeit oder der Dienft eines folchen 
Flüchtlings angeblich gebührt, fein rechtmäßiger Eigenthümer fei 
und während der gegenwärtigen Rebellion nicht in Waffen gegen 
die Bereinigten Staaten geftanden, noch auf irgend eine Art be= 
fagter Rebellion Hilfe und Vorſchub geleiftet Habe; und daß Feine 


202 Das Leben Abraham Lincolns. 





Perfon im Militär- oder Marinedienft der Vereinigten Staaten 
bei Strafe der Entlaffung aus dem Dienft fi unter irgend einem 
Vorwande anmaßen folle, über die Oiltigfeit der Anfprüche irgend 
einer Perfon auf den Dienft oder die Arbeit irgend einer andern 
Derfon zu entfcheiden oder folche Perfon dem Anfpruchmachenden 
zu überliefern, ; 

„Und ich ermahne und gebiete hiermit allen Perfonen in Mili- 
tär- oder Marinedienft der Vereinigten Staaten, innerhalb ihres 
refpeftiven Dienftlreifes der obenangeführten Akte und den erwähn- 
ten Paragraphen Gehorfam zu leiften und diefelben in Ausfüh- 
rung zu bringen. 

„Die Exekutive wird zu gehöriger Zeit anempfehlen, daß alle 
Bürger der Vereinigten Staaten, die während der ganzen Rebellion 
Ioyal geblieben find, (nach Wiederherftelung der conftitutionellen 
Beziehungen der Vereinigten Staaten zu ihren refpeftiven Staaten 
und deren Bolf, wenn diefe Beziehungen fufpendirt oder geftört 
worden find), für alle durch Vereinigte Staaten Akten verurfachten 
Berlufte, einfchließlich des-Verluftes an Sflaven, entfchädigt wer— 
den follen. 

„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefegt und das Giegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Segeben in der Stadt Wafhington, am zweiundzwanzigften 
Tag des Monats September, im Jahre unferes Herrn eintaufend 
achthundert und zweiundfechzig, und im fiebenundachtzigften ver 
Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten, 


Abraham Sincoln.” 

„Auf Befehl des Präfiventen: 

„Billtam 9 Seward, Staatsfefretär,” 

Diefer Herold der Freiheit für Millionen gab natürlich Denje- 
nigen, die feine Gelegenheit unbenüst ließen, die Regierung zu 
ſchmähen, großes Aergerniß. Da große Anftrengungen—und nicht 
ganz ohne Erfolg —gemacht wurden, der Adminiftration die Con— 
feription für die Armee zu erfchiweren, und da gewiſſe Individuen 
der verächtlichiten Klaffe bereit waren, ſich das bittere Vorurtheil, 
das bei einem großen Theil des Volkes gegen die Neger unter und 
herrfihte, zu ihren Zweden zu benußen, fo erſchien zwei Tage nach 


Freiheit für die Millionen. 203 





dem Dbigen folgende weitere Proclamation, damit fich Niemand 
mit Unmwifjenheil entfchuldigen könne, wenn auf folchem verräthe- 
rifchen Treiben beharrt würde: 

„Sintemalen es nothwendig geworden ift, nicht nur Volun— 
täre, fondern auch einen Theil der Miliz der Staaten mittelft der 
Confeription in den Dienft zu rufen, um die in den Vereinigten 
Staaten beftehende Inſurrektion zu unterdrüden; und da illoyale 
Perfonen durch das gewöhnliche Gefegverfahren nicht hinlänglich 
verhindert werden, diefer Maßregel hemmend in den Weg zu treten 
und der Inſurreltion auf verfehiedene Art Hilfe und Vorſchub zu 
leiſten: 

„Deshalb ſei hiermit verordnet: 

„Erftens, daß während der beſtehenden Inſurrektion als noth— 
wendige Maßregel zur Unterdrückung derſelben alle Rebellen und 
Inſurgenten, ihre Helfer und Helfershelfer innerhalb der Vereinig⸗ 
ten Staaten, die andere Perfonen von freiwilliger Anwerbung ab- 
rathen, ſich der Miliz-Eonfeription widerfegen, oder fich fonftiger 
illoyalen Handlungen fehuldig machen, wodurch den Rebellen gegen 
die Autorität der Vereinigten Staaten Hilfe und Vorſchub geleiftet 
wird, dem Kriegsgefebe anheimfallen und durch ein Kriegsgericht 
oder eine milikärifche Commiſſion verhört und beftraft werden follen. 

„Zweitens, daß ter Habeas Eorpus-Writ hiermit 
fufpendirt wird in Bezug auf alle verhafteten Perfonen, die, jo 
lange die Rebellion dauert, durch irgend eine militärifche Autorität 
oder durch das Urtheil irgend eines Kriegsgerichts oder einer mili- 
tärifchen Commiffion in irgend einem Fort, Teldlager, Arfenal, mi> 
litärifchem Gefängniß oder irgend einem andern Kerfer jebt einge- 
fperrt find oder künftig eingefperrt werben, 

„Zum BZeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lajfen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington, am vierundzwanzigften Tag 
des Monats September, im Jahre unferes Herrn eintaufend acht- 
hundert und zweiundfechzig, und im fiebenundachtzigften der Unab⸗ 
bängigfeit der Vereinigten Staaten. 

„Auf Befehl des Präfivdenten : Abraham Sincoln.” 
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“ 


204 Das Leben Abraham Lincolns. 





Es hieße der Klugheit, die diefe Proflamation eingab, ein arm— 
feliges Compliment darbringen, wenn man nicht genöthigt wäre, 
zu fagen, daß diefelbe Vielen außerordentlich bitter ſchmeckte. Zur 
Steuer der Wahrheit müffen wir indeffen hinzufügen, daß das 
Hebel fofort nach der Erfcheinung derfelben in ganz bedeutendem 
Maße nachließ. 

Folgende am 16. November 1862 erlaſſene Ordre iſt nur einer 
der zahlreichen Beweiſe der tiefen und ernſten Ehrfurcht vor der 
chriſtlichen Religion, die einen ſo hervorragenden Zug in Herrn 
Lincoln's offiziellen Papieren nicht minder als in feinem Privat- 
charakter bildet: 


„Der Präfivent und Oberbefehlshaber der Armee und Flotte 
wünſcht und befiehlt die ordentliche Beobachtung des Sonntags 
von Seiten der Offiziere und Mannfchaften im Militär- und Ma- 
rinedienſt. Die Wichtigkeit der vorgefchriebenen wöchentlichen 
Ruhe für Menfchen und Vieh, die heiligen Rechte hriftlicher Sol- 
daten und Matrofen, die geziemende Achtung vor den edelften Ge— 
finnungen eines chriftlichen Volkes, fowie die gebührende Ehrfurcht 
vor dem Willen Gottes gebieten, daß die Sonntagsarbeiten in der 
Armee und Marine auf das Maß der ftrengften Nothwendigfeit be= 
ſchränkt werben. 

„Die Disciplin und der Charakter der Nationaltruppen follten 
nicht leiden, noch die Sache, die fie vertheidigen, gefährdet werden 
durch eine Profanation des Tages und Namens des Höchften. „Sn 
diefer Zeit der öffentlichen Noth,“ um mich der von Wafhington im 
Sabre 1776 gefprochenen Worte zu bedienen, „haben die Leute ge- 
nug zu thun im Dienfte Gottes und ihres Landes, ohne fich dem 
Zafter und der Jmmoralität zu überlaffen.” Die erfte vom Vater 
feines Landes erlaffene Ordre, kurz nach der Unabhängigfeits-Er- 
Härung, zeigt deutlich den Geift an, in welchem unfere Snftitutionen 
begründet wurden und in welchem fie ftets vertheidigt werden foll- 
ten. „Der General hofft zuverfichtlich, daß jeder Offizier und 
Mann fi bemühen wird, fo zu leben und zu handeln, wie es fi 
einem chriftlichen Soldaten geziemt, der die theuerften Rechte und 


Freiheiten feines Landes vertheidigt.“ 
Abraham Sincoln. 


Freiheit für die Millionen. 205 





Am 1, Januar 1863 erfchien jene Proflamation, die zu der vom 
22, September 1862 dag Supplement bildete, das große Werf vol» 
lendete und ihm Leben und Gedeihen gab: 


„Sintemalen am zweiundzwanzigften Tage des Monats Sep- 
tember, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert und zwei— 
undfechzig, vom Präfiventen der Vereinigten Staaten eine Profla- 
mation erlaffen wurde, die unter andern Dingen Folgendes ent- 
bielt, nämlich : 

„Daß am erften Tage des Monats Januar, im Jahre unferes 
Herrn eintaufend achthundert und dreiundſechzig, ſämmliche als 
Sklaven gehaltene Perfonen irgend eines Staates, oder irgend eines 
beftimmten Theiles eines Staates, deffen Bürger fih an jenem Tage 
in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten befinden werden, dann, 
fortan und für immer frei fein follen, und daß die Erefutiv-Regie- 
rung der Vereinigten Staaten, einfchlieglich der Militär- und Ma- 
rinebehörden derfelben, die Freiheit folcher Perfonen anerkennen 
und aufrecht erhalten werde, und daß auf feinerlei Weife irgend ein 
Verſuch folcher Perfonen, oder irgend einer einzelnen Perfon, ihre 
Freiheit thatfächlich zu erlangen, unterdrüdt und verhindert werden 
wird. 

„Daß die Erefutive am erften Tage des Januar, wie obenbefagt, 
durch eine Proflamation die Staaten, oder Theile derfelben, bezeich- 
nen wird, in denen das Volk fich in Rebellion gegen die Vereinigten 
Staaten befindet; und die Thatfache, Daß irgend ein Staat, oder 
das Bolf defjelben, an jenem Tage rechtmäßig im Kongreß der Ver— 
einigten Staaten vertreten fein wird durch Mitglieder, die durch 
Mahlen, an welchen eine Majorität der qualifizirten Stimmgeber 
eines foldhen Staates Theil genommen hat, dahin erwählt wurden, 
fol in der Abweſenheit ftarfen und überzeugenden Gegenbemeifes alg 
giltiger Beweis erachtet werden, daß folcher Staat, oder das Volk 
defjelben, nicht in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten geftan- 
den hat, 

„Deshalb erfläre und bezeichne ich, Abraham Lincoln, Präfivent 
der Dereinigten Staaten, kraft der mir verliehenen Gewalt als 
Oberbefehlshaber der Armee und Flotte der Vereinigten Staaten, 
zur Zeit einer wirklichen bewaffneten Rebellion gegen die Autorität 


266 Ta8 Leben Abraham Lincolns. 





und die Regierung der Vereinigten Staaten als paffende und noth— 
wendige Kriegsmaßregel zur Unterdrüdfung befagter Rebellion, heute, 
am erften Tage des Monats Januar, im Fahre unferes Herrn ein- 
taufend achthundert und dreiundfechzig, und in Gemäßheit meiner 
Abficht, Dies zu thun, die eine volle Periode von einhundert Tagen 
vom Datum der erften obenerwähnten Ordre an proflamirt war — 
folgende als die Staaten und Theile von Staaten, deren Bolf am 
heutigen Tage in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten ſteht; 
nämlich: Arkanfas, Teras, Louifiana—mit Ausnahme der Parifhes: 
St. Bernard, Plaquemines, Sefferfon, St. Sohn, St. Charles, St. 
James, Ascenfion, Affumption, Terre Bonne, Lafourche, St. Mary, 
St. Martin, und Orleans, einfchlieglich der Stadt New-DOrleans— 
Miffiffippi, Alabama, Florida, Georgia, Süd-Carolina, Nord⸗Ca— 
rolina und Birginien—mit Ausnahme der achtundvierzig Countieg, 
die als Weft-Virginien befannt find, desgleichen der Counties Ber- 
feley, Accomac, Nortbampton, Elifabeth Eity, York, Princeß Ann 
und Norfolk, einfchlieglih der Städte Norfolf und Portsmouth; 
diefe ausgenommenen Theile follen vor der Hand betrachtet werden, 
als wäre diefe Proflamation nicht erlaffen worden. 

„Und kraft der mir übertragenen Gewalt und in Gemäßheit dı3 
obenamgefündigsen Zwedes befehle und erkläre ich, daß fämmtliche 
innerhalb der obenbezeichneten Staaten und Theile von Staaten 
als Sklaven gehaltenen Perfonen frei find und fortan und 
fürimmer frei fein ſollen; und daß die Erefutin-Regierung 
der Vereinigten Staaten, einfchlieglich der Militär- und Marine- 
behörden vderfelben, die Freiheit befagter Perfonen anerkennen und 
aufrecht erhalten wird, 

„Und ich ermahne hiermit die fo für frei erklärten Perfonen, fich 
aller Gewaltthätigfeit, ausgenommen zur nothwendigen Selbftver- 
theidigung, zu enthalten und empfehle ihnen an, in allen Fällen, 
wo es ihnen geftattet wird, getreulich für billigen Lohn zu arbeiten, 
„Und ferner erkläre und verfünde ich, daß ſolche Perfonen von 
tauglichem Zuftand in den bewaffneten Dienft der Vereinigten 
Staaten aufgenommen werben follen, um Forts, Pofitionen, Sta— 
tionen und andere Plätze zu garnifoniren und Schiffe aller Art in 
befagtem Dienjte zu bemannen, 


Dre legte Sigung des 37. Congreifes. 207 





„Und auf dag Dbige, was ich aufrichtig für einen durch die Con— 
ftitution garantirten und durdy militärifche Nothwendigfeit gebo— 
tenen Akt der Gerechtigkeit halte, erflehe ich Das gewogene Urtheil 
der Menfchheit und den gnädigen Segen des allmächtigen Gottes, 

„zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefett und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington, am erften Tage des Mo— 
nats Januar, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
dreiundfechzig, und im fiebenundachtzigften der Unabhängigkeit der 


Bereinigten Staaten, 
Abraham Sincoln.” 
„Auf Befehl des Präfidenten: 


„Willtam 9 Seward, Staatsfefretär,‘ 





Bierzehntes Kapitel, 
Die legte Sigung des fiebenunddreißiuften Congreifes. 


Situation des Landes — Pppofition gegen die Adminiftration — Kotfchaft 
des Präfidenten. 


Dunkle Tage für die Freunde der Freiheit waren es, jene letzten 
Tage von 1862. Vor dem Herbſte jenes Jahres hatte das Volk 
bei den Wahlen ſeine Billigung der Handlungen der Adminiſtra— 
tion kundgegeben. Dann kam ein Wechſel. Die drei bedeutend— 
ſten Staaten — New York, Pennſylvanien und Ohio — hatten 
fih durch allerlei Intriguen, auf die wir nicht näher eingehen 
mollen, verleiten laffen, große Majoritäten gegen die Regierung 
abzugeben, Nicht der unbedeutendfte unter den vielen merfwür- 
digen Fällen von Ineonfequenz in den politifchen Annalen dieſes 
Landes ift der Umftand, daß der erfigenannte jener drei Staaten 
einen „Friedens-Demokraten“ auf die Plattform für „Eräftigere 
Derfolgung des Krieges“ hin zum Gouverneur erwählt hatte, 
Das Miflingen der Peninfular-Campagne wurde dem Präſi— 
denten in die Schuhe gefchoben. Der Krieg, fagte man, fei von 


208 Das Leben Abrabam Lincolns. 





feinem urfprünglichen Zwede abgelenkt worden, Es wäre nicht 
länger mehr ein Krieg für die Erhaltung der Union, fondern für 
die Befreiung der Sklaven; oder, um die gewählte Phrafeologie 
jener Menfchen zu gebrauchen, es war ein „Niggerfrieg‘ ge- 
worden. Bei den Unwiffenden und Gedankenlofen fanden der- 
artige Behauptungen leicht Glauben. 

Die Anzahl Derjenigen, die, ohne je in dieſem Kampfe ein 
Prinzip auf dem Spiel gehabt zu haben, des Krieges müde gewor— 
den waren, hatte bedeutend zugenommen. Die Ausſicht auf eine 
Conſcription — Die bei der nächſten Sitzung des Congreſſes 
beſchloſſen wurde — ließ Viele, die bisher lau geweſen waren, 
völlig erkalten. 

Zeitungen und Stumpredner hatten die Frechheit, Frieden auf 
jede Bedingung hin zu fordern. Es wurde ſogar behauptet, daß 
die Oppoſition im untern Hauſe des nächſten Congreſſes eine 
Majorität haben würde. Die Repräſentanten derſelben im Con— 
greß von 1862 fingen bereits wieder an, jenen trotzigen und über— 
müthigen Ton anzuſtimmen, den ſie einige Zeit bei Seite zu legen 
für gut befunden hatten. 

Dunkle Tage waren es in der That, als der ſiebenunddreißigſte 
Congreß ſich am 1. December 1862 zu feiner lebten Sitzung ber- 
fammelte, 

Dennoch lebte Einer, der nie in feinem Vorhaben wanfte, wie 
entmuthigend die Ausfichten auch fein mochten; Einer, der, über= 
zeugt, daß er Recht hatte, entfchloffen war, Das Rechte zu verfolgen, 
wohin es ihn auch führen mochte. Und ob der beforgte und matte 
Ausdruck feines Gefichtes auch Deutlich zeigte, mie ſchwer Die 
furchtbare VBerantwortlichkest feines Amtes auf ihm Taftete, fo hatte 
er doch ſtets ein heiteres Wort, ein gütiges Lächeln oder einen 
Blick der Sympathie für Alle, die mit ihm in Berührung kamen. 


Mir geben nachftehend die mefentlichen Theile feiner Jahres— 
Botſchaft an den Congreß: 


„Mitbürger vom Senat und Bepräfentantenhaus: — Seit 
Shrer Testen jährlichen VBerfammlung ift abermals ein Jahr be— 
friedigender Gefundheit und reichlicher Ernten verfloffen. Da es 


Die letzte Sigung des 37. Congreſſes. 209 





dem Allmächtigen noch nicht gefallen hat, uns mit der Wiederkehr 
des Friedens zu fegnen, fo bleibt ung Nichts übrig, als, von fei- 
nem Lichte erleuchtet, fortzufahren und Vertrauen zu hegen, daß 
Er zu feiner Zeit und nach feinem en Rathſchluſſe Alles wohl 
machen werde, - + 


„Wenn auch unfere Beziehungen zu andern Nationen minder 
befriedigend find, als es in früheren Zeiten der Fall war, fo find 
diefelben gewiß tröftlicher, als eine fo zerriffene Nation, wie wir 
find, billigermeife erwarten durfte. Lebten Juni hatten wir eini- 
gen Grund, anzunehmen, daß die Seemächte, die beim Beginne 
unferer inneren Wirren fo unmweife und unnöthig, wie wir glau- 
ben, die Inſurgenten als eine friegführende Macht anerkannten 
fih bald von diefer Pofition zurüdziehen würden, die ich ihnen 
faum weniger nachtheilig als ung felbft erwies. Die temporären 
Unfälle jedoch, die fpäter unfere Waffen erlitten, und die von un— 
fern eigenen disloyalen Bürgern im Auslande fo übertrieben dar— 
geftellt wurden, haben big jet diefen einfachen Alt der Gerechtig- 
feit verzögert, 


„Der Bürgerkrieg, welcher den gewohnten Gefchäflsgang des 
amerifanifchen Volkes zu gründlich veränderte, hat natürlich auch 
die foeialen Berhältniffe und die Wohlfahrt der Nationen be— 
trächtlich berührt, mit denen wir feit mehr als einem halben Jahr— 
hundert einen ſtets zunehmenden Handel gepflogen haben. 
Zu gleicher Zeit hat er politifche Gefinnungen und Befürchtungen 
erregt, Die in der ganzen civilifirten Welt eine tiefe Agitation ver- 
urfachten. Während diefer ungewöhnlichen Agitation unterließen 
wir es, und in irgend eine Controverſe zmwifchen fremden Staaten 
oder zwifchen Theilen und Faktionen in ſolchen Staaten einzu- 
laffen. Wir haben feine Propaganda zu machen gefucht und Feine 
Revolution anerkannt. Wir überließen jeder Nation die aus- 
fchliegliche Leitung und Controlle ihrer eigenen Angelegenheiten. 
Unfer Kampf wurde natürlich von fremden Nationen weniger mit 
Nüdficht auf feine eigenen Berdienfte, als vielmehr auf die ver- 
mutheten und oft fehr übertriebenen Wirkungen und Folgen, die 
jenen Nationen felbft daraus entfpringen würden, betrachtet. 

14 


210 Das Leben Abraham Lincolns, 





Dennoch würden Klagen hierüber son Seiten diefer Regierung 
unmeife fein, felbft wenn fie noch fo gerecht wären. 

„Der Bertrag mit Groß-Brittanien zur Unterdrüfung des 
Sklavenhandels wurde zur Ausführung gebracht und verfpricht 
vollftändigen Erfolg. Es greicht mir zum befondern Vergnügen, 
die Mittheilung machen zu können, daß die Ausübung dieſes Ver— 
trages feiteng der Regierung ihrer Majeftät mit größter Achtung 
für die Autorität der Vereinigten Staaten und der Rechte der mo— 
ralifchen und Ioyalen Bürger derfelben sollführt wurde. . . » 

„Ich wurde von vielen freien Amerikanern afrifanifcher Ab- 
funft angegangen, ihre Auswanderung zu begünftigen zum Zwecke 
einer Colonifation, wie fie in neulichen Congreßakten beabfichtigt 
wurde. Andere Parteien im In- und Auslande haben ähnliche 
Mafregeln zum Vorſchlag gebracht; Einige aus interefjirten Mo- 
tiven, Andere aus patriotifchen Nüdfichten, und noch Andere von 
philanthropifchen Gefinnungen angetrieben; während andererfeits 
mehrere fpanifch-amerifanifche Republifen gegen folche Colonien 
in ihren refpeftiven Gebieten proteftirten. Unter ſolchen Umſtän— 
den mußte ich es unterlaffen, derartige Colonien in irgend einem 
Staate zu errichten, ohne erft die Einwilligung der betreffenden 
Regierung einzuholen, nebit der Garantie, daß ſolchen Emigran- 
ten der Schuß und fämmtliche Rechte freier Bürger zu Theil 
würden. Zu gleicher Zeit machte ich mehreren Staaten in den 
TIropengegenden, oder Staaten, die dafelbft Colonien befiten, das 
Unerbieten einer Unterhandlung mit ihnen, vorbehaltlich der Ein— 
willigung des Senats, um die freiwillige Einwanderung diefer 
Klaffe von Perfonen nach ihren Gebieten zu begünftigen, und 
zwar auf gerechte, billige und humane Bedingungen hin. Liberia 
und Hayti find bis jeht die einzigen Länder, wohin Coloniften 
afrifanifcher Abkunft von Hier fich mit der Verficherung begeben 
fünnten, daß fie fofort als Bürger empfangen und adoptirt wür- 
den. ch bedauere indeffen, fagen zu müffen, daß folche Perfonen, 
welche fich zur Colonifation verftehen, durchaus nicht fo willig 
Scheinen, nach jenen Ländern zu gehen, als nach einigen andern, 
oder fo willig, mie e8 meiner Anficht nach ihr Intereſſe erfordert. 
Ich glaube übrigens, daß fie nach und nach zu befjerer Einficht 


Die legte Sigung des 37. Congreifes. 211 





gelangen werden, und daß über Kurzem die Auswanderung von 
den Vereinigten Staaten nad) diefen beiden Ländern in bedeuten- 
dem Maße zunehmen wird. 

„Sch begünftigte das Projekt, die Vereinigten Staaten mittelft 
eines atlantifchen Telegraphen mit Europa zu verknüpfen; des— 
gleichen ein ähnliches Projekt, ven Telegraphen bis nad San 
Francisco auszudehnen, um denfelben durch einen Pacific-Telegra- 
phen mit einer Linie in Verbindung zu fegen, die jet durch Das 
ganze ruffifche Reich errichtet wird, 

„Die Territorien der Vereinigten Staaten find mit wenigen 
Ausnahmen von dem Bürgerkrieg ungeftört geblieben und befin- 
den fich in einem folch’ gedeihlichen Zuftand, daß einige derfelben 
in nicht gar ferner Zufunft bereit fein werden, ſich als Staaten 
zu organifiren und unter der Conftitution in die Vereinigten 
Staaten einzutreten. 

„Die ungeheuren mineralifchen Hilfsquellen einiger diefer Ter— 
ritorien follten fo raſch wie möglich entwidelt werden. jeder 
Schritt in diefer Richtung hin würde die Revenuen der Regierung 
vermehren und die Laften des Volkes verringern, Es ift Ihrer 
ernten Erwägung werth, ob fich nicht einige außerordentliche Maß— 
regeln zur Erreichung jenes Zweckes ergreifen ließen. Das Mittel, 
das mir hierzu am geeignetften erfcheint, wäre eine wifjenfchaftliche 
Erploration der Mineral-Regionen jener Territorien und die Ver⸗ 
öffentlichung der Refultate derfelben im In- und Auslande, 

„Der Zuftand der Finanzen wird Ihre ernftlichfte Beachtung in 
Anſpruch nehmen, Die ungeheuren Ausgaben für die Militär- 
und Marine-Operationen zur Unterdrüdung der Rebellion find 
bisher mit einer unter folchen Umftänden erftaunlichen Schnellig- 
feit und Sicherheit befchafft worden, während der öffentliche Credit 
vollkoͤmmen aufrecht erhalten wurde. Die Fortdauer des Krieges 
indeſſen, ſowie die vermehrten Ausgaben, die durch die Verſtärkung 
der Truppen im Felde nothwendig gemacht wurden, legen Ihnen 
die größte Sorgfalt in Bezug auf die Beſchaffung der nöthigen Re— 
venuen auf, ſo daß weder der Geſchäftsverkehr beeinträchtigt, noch 
der Arbeit eine allzu große Bürde dadurch auferlegt werde. 

„Die Suspenfion der Baarzahlungen der Banken, die bald nach 


212 Das Leben Abrabam Lincolns. 





dem Beginne Ihrer legten Sigung eintrat, machte eine große Aus— 
gabe von Bereinigten Staaten Noten unvermeidlich. Auf Feine 
andere Weife ließ fich die Zahlung der Truppen und die Befrie- 
digung anderer gerechter Forderungen fo öfonomifch und leicht be= 
werfitelligen. Die mweife Legislation des Congreffes, wodurch dieſe 
Noten für Anlehen und innere Zölle annehmbar und zu einem ge— 
feslihen Zahlungsmitiel (legal tender) für andere Schulden er- 
Härt wurden, machte fie zu einem allgemeinen Verkehrsmittel und 
befeitigte dadurch, wenigftens theilweife und für die Zeit, den längſt 
gefühlten Mangel eines einförmigen Cirfulationsmediums, durch 
welches dem Bolfe große Summen an Disconto und Wechfeln 
erfpart wurden. 

„Eine Rüdfehr zu Baarzahlungen, fobald fich dies mit den allge- 
meinen Intereſſen vereinbaren läßt, follte ftete im Auge behalten 
werden. Das Steigen und Fallen im Werthe des Papiergeldes 
bat immer nachtheilige Folgen, und e8 follte daher ftets das Augen- 
merf weislicher Legislation fein, dergleichen Sluctuativnen auf den 
möglichjt niedern Punkt zu reduciren. Prompte und fichere Ver— 
taufhbarfeit des Papiergeldes gegen Elingende Münze wird allge- 
mein als die befte und ficherfte Garantie gegen ſolche Fluctuationen 
anerkannt; ob fich aber eine Cirkulation von Vereinigten Staaten 
Noten, zahlbar in klingender Münze und hinlänglich groß für die 
Bedürfniſſe des Volkes, für die Dauer mit Nuten und Sicherheit 
herftellen läßt, ift Außerft zweifelhaft. 

„Giebt es nun irgend ein anderes Mittel, wodurch dem öffent- 
lihen Bedürfnig Rechnung getragen und zugleich der große Vor— 
theil eines fihern und einförmigen Papier-Courrants erzielt werden 
fann? 

„Sch wüßte feines, das fo fichere Reſultate verfpricht und dabei 
fo unanftößig ift, wie die Organifation von Bank-Afforiationen 
unter einer allgemeinen Congreßafte mit forgfältig erwogenen 
Beftimmungen. Solchen Affveiationen könnte die Regierung 
Cireulationsnoten liefern, und zwar auf die Sicherheit der im 
Schabamt deponirten Bereinigten Staaten Bonds. Da diefe 
Noten unter der Aufficht geeigneter Beamten angefertigt würden, 
einförmig an Ausfehen und Sicherheit und ftets gegen Münze 


Die legte Sitzung des 37. Congreſſes. 213 





vertaufchbar wären, fo würden fie die Arbeit vor den Uebeln eines 
verfchiedenartigen und entwertheten Papiereourrants ſchützen und 
den Handel durch billige und fichere Wechfel erleichtern. 

„Ein mäßiger Abzug von den Intereſſen auf die Bonds würde 
die Vereinigten Staaten für die Anfertigung und Bertheilung 
der Noten und die allgemeine Beauffichtigung des Syſtems ent- 
fhädigen und die Bürde des zu Sicherheiten verwandten Theiles 
der öffentlichen Schuld erleichtern. Der öffentliche Credit würde 
überdies bedeutend gehoben und die Negotiation neuer Anlehen 
bedeutend erleichtert werden Durch die beftändige Marktnachfrage 
nach Regierungs-Bonds, die durch Die Adoption des vorgefchlage- 
nen Syſtems hervorgerufen werden würde. 

„Ein weiterer großer VBortheil würde meines Erachtens dadurch 
erzielt werden, daß alle beftehenden Intereſſen Berüdfichtigung 
fanden, da nämlich den eriftirenden Bank-Inſtituten eine Gele- 
genheit geboten würde, fich unter der Alte zu reorganifiren., Da— 
durch würde lediglich die geficherte, einförmige National-Circula— 
tion gegen die jest von diefen Banken ausgegebene Iofale und 
verfchiedenartige, geficherte oder nicht geficherte Cirkulation, ver— 
taufcht werden. 

„Die Einnahmen des Schakamtes von ſämmtlichen Quellen, 
einfchlieglich der Anlehen und der Bilanz vom vorigen Jahre be= 
trugen für das mit dem 30, Juni 1862 endigende Fisfaljahr 
$583,885,247 06. Bon diefer Summe fommen $49,056,397 62 
auf Zölle; $1,795,331 73 auf direfte Taxen; $152,203 77 auf 
öffentliche Ländereien; $931,787 64 auf verfchiedene Quellen 
und $529,692,460 50 auf Anlehen aller Art. Der Reft mit 
$2,257,065 80 war die Bilanz vom legten Jahr. 

„Die Ausgaben während derfelben Periode waren für congref- 
fionelle, erefutive und richterliche Zwecke $5,939,009 29; für ven 
auswärtigen Verkehr $1,339,710 355 für verfchiedene Ausgaben, 
einfchlieglich der Münzämter, Anlehen, Poftamtsveficits, Erhebung 
der Revenuen und dergleichen, $14,129,771 50; für Ausgaben 
im Departement des Innern $3,102,985 52; im Kriegsdeparte- 
ment $394,368,407 36; im Marinedepartement $42,674,569 69; 
für die Intereffen an der öffentlichen Schul $13,190,324 45; 


214 Das Leben Abraham Lincolns. 





für Zahlungen an der öffentlichen Schuld, einfchlieglich der Rück— 
zahlung temporärer Anlehen, Einlöfungen ꝛc. $96,096,922 09, 
Es ergiebt fich fomit eine Gefammtausgabe von $570,841,700 25 
und verblieb am 1. Zuli 1862 der Schaßfammer eine Bilanz von 
$13,043,546 81, 

„Nicht zu überfehen ift der Umftand, daß die zur Rückzahlung 
und Einlöfung der öffentlichen Schuld verwendeten $96,096,922 09 
ebenfalls in den Anlehen eingerechnet und fomit füglich von den 
Einnahmen wie von den Ausgaben abzuziehen find; es belaufen 
fich daher die wirklichen Einnahmen des Jahres auf $487, Er 
324 97 und die Ausgaben auf $474,744,778 16. . . . . 

Am 22, September hatte die Erefutive eine Proflamation er- 
laffen, von der eine Copie hier mitfolgt. 

„sn Öemäßheit der im zweiten Paragraphen jenes Papieres 
ausgefprochenen Abficht erlaube ich mir nun, Ihre Aufmerkfam- 
feit auf die „eompenfirte Emancipation“ zu lenken, 

„Eine Nation befteht aus ihrem Gebiet, ihrem Volk und ihren 
Geſetzen. Das Gebiet ift der einzige Theil derfelben, ver beftän- 
dige Fortdauer befitt. in Gefchlecht verfchwindet, ein anderes 
Gefchlecht Fommt, aber die Erve bleibt für immer, Es ift von 
größter Wichtigkeit, Diefen fortvauernden Theil gehörig ins Auge 
zu faffen. Derjenige Theil der Erdoberfläche, ver von dem Volk 
der Vereinigten Staaten bewohnt wird, ift wie dazu gefchaffen, 
die Heimath einer Nationalfamilie zu fein, eignet fich aber nicht 
für zwei oder mehrere, Der große Umfang, die Verfchiedenheit 
des Klimas und der Produkte find in unferem Zeitalter nur für 
ein Volk von Bortheil, was auch in frühern Zeitaltern der Fall 
gemwefen fein mochte. Der Dampf, die Telegraphen und die Sn- 
telligenz machten alle dieſe Bortheile zu einer günftigen Combina— 
tion für ein vereinigtes Volk. 

„In meiner Snaugural-Adreffe wies ich furz darauf hin, welch’ 
gänzlich ungeeignetes Mittel die Disunion für die Schlichtung 
der zwifchen dem Volke beider Sektionen beftehenden Streitig- 
feiten tft. Ich that dies in Worten, die ich jet nicht beffer aus— 
zudrüden wüßte und die ich mir daher zu wiederholen erlaube: 

„Eine Sektion unferes Landes hält die Sklaverei für recht und 


Die legte Sigung des 37. Congrefles. 215 





befürwortet ihre Ausbreitung; die andere Sektion hält fie für 
unrecht und wehrt fich gegen ihre Ausbreitung. Dies ift der ein— 
zige fubftantielle Streit. Die Klaufel in der Conftitution in 
Betreff der flüchtigen Sklaven und das Geſetz zur Untervrüdung 
des fremden Sklavenhandels werden vielleicht beide fo vollftändig 
ausgeführt, als dies bei irgend einem Geſetze möglich ift in einem 
Staate, in welchem dag moralifche Gefühl des Volkes das Gefes 
ſelbſt unvollfommen unterftüßt. Die große Mafje des Volkes 
hält fih in beiden Fällen an die trodene gefeßliche Obligation, 
während einige Wenige das Geſetz übertreten. Dem läßt fi 
nicht fo ganz abhelfen, und das Hebel würde in beiden Fallen 
nach der Trennung der Sektionen größer fein als zuvor, Der 
‚auswärtige Sklavenhandel, der jebt unvollflommen unterdrückt ift, 
würde am Ende in der einen Sektion ohne Beſchränkung wieder 
aufleben; während die flüchtigen Sklaven, die jet nur theilmweife 
ausgeliefert werden, gar nicht mehr yon der andern Sektion aus— 
geliefert werden würden. 

„Phyſiſch können wir ung nicht trennen; wir fünnen unfere 
betreffenden Sektionen nicht yon einander entfernen, noch einen 
unüberfteiglichen Mal zwifchen denfelben errichten. Ehegatten 
können fich fcheiden laffen und ſich von einander entfernen; allein 
die verfchiedenen Theile unferes Landes können dies nicht thun. 
Sie müffen einander gleichfam ins Antlit fhauen, und der Ver- 
kehr — fei es ein freundlicher oder ein feindlicher — muß zwifchen 
ihnen fortbeftehen. Iſt es daher möglich, diefen Verkehr nach der 
Trennung vortheilhafter und befriedigender zu machen, als er 
zusor war? Gefebt, ihr beginnt den Krieg — ihr fünnt nicht 
ewig kämpfen; und wenn ihr nad großem Berlufte beiderfeits 
und feinem Gewinn endlich die Waffen niederleget, fo fommen 
die identifchen Fragen hinfichtlich der Verkehrsbedingungen wie— 
derum auf das Tapet.‘ 

„Es giebt Feine Linie, weder eine grade noch eine Frumme, die 
fich zu einer Nationalgrenze eignet und die wir als Scheidelinie 
annehmen könnten. Bliden wir von Often nach Weften auf die 
Grenzlinie zwifchen den freien und den Sflavenftaaten, fo werden 
wir finden, dag über ein Drittel ihrer Länge aus Flüſſen befteht, 


216 Das Leben Abraham Lincolns. 





die fich leicht Freuzen Taffen und die auf beiden Seiten dicht be= 
völfert find oder es bald fein werden; während beinahe die ganze 
übrige Länge der Grenzlinie nichts weiter ift als eine bloße geo- 
metrifche Linie, über die man beftändig hin und her fehreiten 
kann, ohne ihre Anmwefenheit auch nur zu ahnen. Kein Theil 
diefer Linie laßt fich Dadurch fehmwieriger zu paffiren machen, daß 
man fie auf Papier oder Pergament als eine Nationalgrenze be= 
zeichnet. Die Thatfache der Trennung, wenn fie eintreten follte, 
bedingt die Aufgabe ver Klaufel über flüchtige Sklaven nebft allen 
andern conftitutionellen Verpflichtungen feitens der Zurüdblei- 
benden, während ich nicht glaube, daß irgend eine andere Ver— 
tragsftipulation deren Stelle erfegen würde, 

„Es befteht indeffen noch eine andere Schwierigkeit. Die große 
innere Region—öftlih von den Alleghanies begrenzt, nördlich von 
den brittifchen Provinzen, weftlich von den Felfengebirgen und ſüd— 
lih von der Linie, wo die Getreide- und die Baummwollefultur an 
einander ftoßen, und die einen Theil von Virginien, einen Theil 
von Tenneffee, das ganze Kentudy, Ohio, Indiana, Michigan, 
Wisconfin, Illinois, Miffouri, Kanfas, Jowa, Minnefota und die 
Zerritorien Dakota, Nebraska und einen Theil von Colorado in fich 
begreift —hat bereits über zehn Millionen Einwohner und wird in- 
nerhalb fünfzig Jahren fünfzig Millionen haben, wenn nicht poli— 
tifche Thorheiten oder Mißgriffe hemmend in den Weg treten. Sie 
umfaßt mehr als ein Drittel des den Vereinigten Staaten gehöri- 
gen Gebieles— gewiß mehr als eine Million (englifche) Quadrat» 
meilen. Käme ihre Bevölferungsdichtigfeit der jetigen von Maffa- 
chufetts auch nur zur Hälfte gleich, fo hätte fie mehr als fünf und 
fiebzig Millionen Einwohner, Ein Blid auf die Karte zeigt ung, 
dag diefe Region hinfichtlich des Gebietes der eigentliche Körper der 
Republik iftz alle übrigen Theile, worunter namentlich das präch- 
tige Gebiet, das fich mit feinen unerfchöpflichen und unentwidelten 
Hilfsquellen von den Felfengebirgen zum Pacific hinab erftredt, bil- 
den gleichfam nur die Einfaffung oder den Rahmen dazu. An Ges 
treideproduftion ift dieſe große innere Region natürlich eine der 
wichtigften der Welt. Belehren wir und durch die ftatiftifchen Ta— 
bellen über die Heine Proportion jener Gegend, tie bis jebt cultivirt 


7 


Die legte Sigung des 37. Congreifes. 217 





worden, fowie über den großen und reißend zunehmenden Betrag 
ihrer Produkte, fo wird ung die Größe des dargebotenen Profpeftes 
überwältigen. Und dennoch hat diefe Region Feine Seefüfte; fie 
ftößt nirgends an den Ocean. Als ein Theil einer Nation findet 
die Bevölkerung jest ihren Weg nach Europa über New York, nad) 
Süd-Amerifa und Afrita über New-Drleans und nach Aften über 
San Francisco. Theilet aber unfer gemeinfames Vaterland in 
zwei Nationen, wie die gegenwärtige Rebellion es beabfichtigt, fo 
wird jeder Bewohner diefer großen innern Region dadurch von 
einem oder mehreren diefer Ausgangsorte abgefchnitten, nicht etwa 
durch eine phyfifche Schranke, fondern durch läftige und erfchwerende 
Berfehrsregulationen. 

„Und dies wäre der Fall, wo nur eine Scheide- oder Grenzlinie 
feftgeftellt würde. Zieht fie zwifchen den freien und den Sklaven— 
ftaaten, oder zieht fie ſüdlich von Kentudy, oder nördlich von Obio, 
fo bleibt dennoch die Schwierigkeit, daß die nördlich von der Linie 
MWohnenden mit feinem Hafen oder Platz ſüdlich davon, oder die 
füdlich von derfelben Wohnenden mit feinem Hafen oder Pla nörd⸗ 
li davon verkehren fünnen, ausgenommen auf Bedingungen hin, 
die eine ihnen fremde Regierung diktirt. Diefe Ausgangsorte öft- 
lich, weftlich oder füdlich find zur Wohlfahrt der gegenwärtigen und 
fünftigen Bevölkerung diefer ungeheuren innern Region unerläß- 
lich. Welcher von den dreien der befte fei, mag unbeantwortet 
bleiben, Alle find beffer ala einer, und alle gehören recht— 
mäßig dem Volke und deffen Nachkommen für immer. Sic, felbft 
getreu bleibend wird das Volk nie fragen, mo die Scheidelinie ge- 
zogen, fondern fich vielmehr geloben, daß feine gezogen werden fol, 
Nicht minder interreffirt find die Küftenregionen an diefen Communi- 
kationspunkten, und durch fie mit der großen Außenwelt. Auch fie müf- 
fen zu diefem Egypten des Weftens Zugang haben, ohne genöthigt zu 
fein, beim Ueberfchreiten irgend einer Nationalgrenze Zoll zu zahlen. 

„Unfer Nationalftreit entipringt nicht unferem fortdauernden 
Theil; nicht dem Lande, dag wir bewohnen, nicht unferer National— 
heimſtätte. Wir konnen diefe nicht zertheilen, ohne die Uebel unter 
uns zu vervielfältigen, anftatt diefelben zu befeitigen. Seiner gan 
zen Anlage nach erheifcht unfer Land die Union und verfehmäht die 


218 Das Leben Abraham Lincolns. 





Trennung. Es würde ung in der That nach kurzer Zeit die Wie— 
Dervereinigung aufzwingen, wie viel Blut und Geld und auch die 
Trennung gefoftet hätte, 

„Unfer Streit gehört uns felbft an —den dahinſchwindenden Ge— 
nerationen—und fann mit dem Dabinfchwinden einer Generation 
ohne Gefahr für immer zum Schweigen gebracht werden, 

„Mit dieſem Zweck vor Augen empfehle ich Ihnen die Adoption 
folgender Befchlüffe und Amendmentsartifel zur Eonftitution der 
Bereinigten Staaten: 

„Befchlofen durch den Senat und das Vepräfentantenhaus der 
Pereinigten Staaten von Amerika, im Congreß verfammelt (mit 
einer Majorität von zwei Dritteln beider Häufer), daß die folgen- 
den Artifel den Legislaturen (oder Conventionen) der verfchiedenen 
Staaten als Amendments zur Eonftitution der Vereinigten Staaten 
vorgefchlagen werden, und daß ſämmtliche Artikel, oder irgend einer 
derfelben, fobald von drei Viertheilen befagter Legislaturen (oder 
Conventionen) ratifizirt, als ein Theil oder als Theile befagter 
Eonftitution gelten fol oder follen. 

„Artifel —. Feder Staat, in dem die Sklaverei jebt befteht 
und der diefelbe zu irgend einer Zeit vor dem erften Tage des Mo— 
nats Januar, im Jahre unſeres Herrn eintauſend neunhundert, 
innerhalb ſeiner Grenzen abſchaffen wird, ſoll von den Vereinigten 
Staaten folgendermaßen entſchädigt werden, nämlich: 

„Der Präſident der Vereinigten Staaten ſoll einem jeden ſolchen 
Staate Vereinigte Staaten Bonds, die — Prozent Intereſſen per 
Jahr bringen, im Geſammtbetrage von überliefern für jeden 
Sklaven, der nach dem achten Cenſus der Vereinigten Staaten in 
ſolchem Staate lebte. Beſagte Bonds ſollen ſolchem Staate in 
Stückzahlungen oder auf einmal überliefert werden nach beendigter 
Abſchaffung der Sklaverei, je nachdem dieſelbe allmälig oder auf 
einmal ſtattgefunden haben wird, und die Intereſſen von ſolchen 
Bonds ſollen von der Zeit der Ueberlieferung derſelben beginnen. 
Irgend ein Staat, der nach Empfang beſagter Bonds die Sklaverei 
wieder einführt oder innerhalb ſeiner Grenzen duldet, ſoll den Ver— 
einigten Staaten die ſo erhaltenen Bonds, oder deren Werth, 
ſammt allen darauf bezahlten Intereſſen zurückerſtatten. 





Die letzte Sigung des 37. Congreifes. 219 





„Artifel — Alle Sklaven, die vor dem Ende der Rebellion 
durch die Zufälle des Krieges ihre Freiheit erlangten, follen für 
immer frei fein; folche Eigenthümer aber, die nicht illoyal waren, 
follen für den Berluft ihrer Sklaven entfchädigt werben und zwar 
nach denfelben Raten, die für Staaten, welche die Sklaverei frei- 
willig abjchaffen, feitgeftellt wurden ; doch fo, daß fein Sklave zwei- 
mal in Rechnung gebracht werde. 

„Artikel —. Der Congreß mag Geld verwilligen oder fon- 
ftige Beftimmungen treffen, um freie farbige Perfonen mit ihrer 
Einwilligung an irgend einem Plate außerhalb der Vereinigten 
Staaten zu colonifiren, 

„Es ſei mir geftattet, etwas näher auf diefe vorgefchlagenen Ar— 
tifel einzugehen, Ohne Sklaverei könnte die Rebellion nicht ftatt- 
gefunden haben; ohne Sklaverei könnte fie nicht fortdauern, 

„Unter den Freunden der Union herrfcht eine große Gefinnungs- 
verfchiedenheit hinfichtlich der Sklaverei und der afrifanifchen Race 
unter und, Einige wünfchen den Fortbeftand der Sklaverei; An— 
dere wünfchen ihre fofortige Abfchaffung ohne Entſchädigung; noch 
Andere wünfchen ihre allmälige Abfchaffung mit Entſchädigung. 
Einige wünfchen die befreiten Farbigen von ung entfernt zu ſehen; 
Andere wünfchen fie hier zu behalten. Außerdem finden fich noch 
viele andere minder bebeutende Meinungsverfchiedenheiten, Und 
gerade mit diefen Meinungsverfchtevenheiten vergeuden wir fo viel 
Kraft in Streitigkeiten unter ung felbft. Durch gegenfeitige Zu— 
geſtändniſſe follten wir harmonifiren und zufammen wirken. Dies 
wäre ein Compromiß, aber es wäre ein Compromiß unter Freunden 
und nicht mit den Feinden der Union, Die obigen Artifel nun be- 
zweden einen Plan, um derartige gegenfeitige Zugeftändniffe her- 
beizuführen, Sollte der Plan adoptirt werden, fo fteht die Eman- 
eipation mindeftens in einigen der Staaten mit Sicherheit zu er— 
warten, 

„Bas den erften Artikel anbelangt, fo find die Hauptpunfte Diefe: 
Erftens die Emancipationz zweitens die Länge der Zeit zur Be— 
werfitelligung derfelben—fiebenunddreißig Jahre; und drittens die 
Entfchädigung. 

„Die Emaneipation wird den Bertheidigern der ewigen Sklaverei 


220 Das Leben Abraham Lincolns. 





anftögig fein; die Länge der Zeit aber wird den Anftoß in einem 
milderen Lichte erfcheinen laffen. Die Zeit erfpart beiden Racen 
die übeln Folgen einer plöglichen Nenderung—oder beffer gejagt, 
erfpart ihnen die Nothiwendigfeit irgend einer Nenderung— während 
die Meiften, die nur ungerne an Emancipation überhaupt denken, 
vor Beendigung derfelben das Zeitliche gefegnet haben werden. 
Sie werden diefes Ereigniß nie erleben, Eine andere Klafje wird 
den Profpeft der Emancipation mit Freuden begrüßen, dagegen 
aber die Länge der Zeit verwünſchen. Ihrer Anficht nach giebt 
diefer Plan den jebt lebenden Sklaven zu wenig. Allein er giebt 
ihnen in der That viel. Er erfpart ihnen den Mangel und die 
Entbehrungen, die nothwendigerweife einer plößlichen Emancipa= 
tion an folden Orten folgen müßten, wo ihre Anzahl fehr groß ift; 
ung er giebt ihnen die ermunternde Zuverficht, daß ihre Nachkom— 
menfchaft auf ewig frei fein wird. Der Plan ftellt es jevem Staate 
frei, die Sklaverei jebt, oder am Ende des Jahrhunderts, oder wäh— 
rend der Zwifchenzeit, oder allmälig und ftufenweife während der 
ganzen Periode abzufchaffen, und er nöthigt Feine zwei Staaten, 
gleichförmig zu handeln, Er trifft Vorkehrungen für die Entſchä— 
digung, fowie im Allgemeinen für die Art und Weife verfelben. 
Dies muß die Unzufriedenheit Derer, die für den ewigen Fortbe- 
ftand der Sklaverei find, und insbefondere Derjenigen, die Entfchä- 
digung erhalten follen, ficherlich bedeutend mäßigen, Ohne Zweifel 
werden Einige, die zahlen follen und Nichts erhalten, Einwendun- 
gen gegen den Plan machen, Dennoch ift derfelbe Beiden gerecht 
und außerdem ökonomiſch. In einem gewiffen Sinne läßt ſich die 
Befreiung der Sklaven als eine Zerftörung von Eigenthum betrach- 
ten— von Eigenthum, das durch Erbe oder Kauf erworben wurde, 
gleich jeder andern Art von Eigenthum. Es iſt zwar fchon oft ge- 
fagt worden, doch bleibt es nichts defto weniger wahr, daß das Bolf 
des Südens für die urfprüngliche Einführung diefer Art von Ei- 
genthum nicht mehr und nicht weniger verantwortlich ift als das 
Bolk des Nordens, und wenn man bevenft, daß wir alle ohne Ge- 
wiffensbiffe Baumwolle und Zuder gebrauchen und den Profit des 
Handels mit diefen Produkten theilen, fo hat man faum das Recht, 
zu fagen, daß der Süden für die Fortdauer des Inftituts verant- 


Die legte Sitzung des 37. Congreſſes. 221 





wortlicher fei als der Norden, Wenn daher diefes Eigenthum zu 
einem gemeinfamen Zwede geopfert werben fol, ift es nicht billig, 
Daß dies auf gemeinfame Koften gefchehe? 

„Und wenn wir mit weniger Geld, oder mit Geld, das fich leichter 
bezahlen läßt, zugleich die VBortheile ver Union wahren, als wir es 
durch den Krieg allein zu thun vermöchten, ift es dann nicht eben= 
falls ökonomiſch, es zu thun? Laßt ung die Sache näher betrach- 
ten, Laßt ung zuerft Die Summe ermitteln, die wir für den Krieg 
verausgabten, feit im letzten März die compenfirte Emancipation 
vorgefhlagen wurde, und laßt uns dann überlegen, ob viefelbe 
Summe nicht mehr als alles Andere beigetragen haben würde, 
wenn diefe Maßregel, wenn auch nur von einigen der Sklaven— 
ftaaten, prompt angenommen worden wäre, Wenn dies der Fall 
ift, fo würde die Maßregel viel Geld erfparen, und in diefer Hin- 
ficht wäre e8 eine kluge und öfonomifche Maßregel. Sicherlich ift 
es nicht fo leicht, Etwas zu bezahlen als Nichts zu bezahlen; 
allein es ift leichter, eine große Summe zu bezahlen, als eine noch 
größere, Und überdies ift es leichter, irgend eine Summe zu be= 
zahlen, wann wir es vermögen, als dieſelbe zu zahlen, ehe wir e3 
vermögen. Der Krieg erfordert große Summen und erfordert fie 
fest. Die Öefammtfumme für compenfirte Emaneipation wäre 
natürlich groß, Allein es bedürfte nicht des baaren Geldes; nicht 
einmal der Bonds fehneller als die Emaneipation fortfchreitet, 
Diefe würde wahrfcheinlich nicht vor dem Ende diefer fiebenund- 
dreißig Jahre beendigt fein. Um jene Zeit hätten wir wahrfchein- 
lich einhundert Millionen Einwohner, um diefe Laft zu theilen, an- 
ftatt der jebigen einunddreißig Millionen, Und mehr noch, die 
Zunahme unferer Bevölkerung fteht noch lange nach jener Periode 
in demfelbeu rafchen Maßſtabe wie früher zu erwarten, weil unfer 
Gebiet bis dahin noch nicht voll fein wird, Ich fage dies nicht 
ohne forgfältige Ueberlegung. Nach demfelben Zunahmeverhältniß, 
das wir durchfchnittlich von unferem erften National-Genfus an im 
Sabre 1790 bis zu dem von 1860 beobachteten, würden wir im 
Sabre 1890 eine Bevölkerung von einhundert und drei Millionen, 
zweihundert und achttaufend, vierhundert und fünfzehn Köpfen 
haben. Und warum follten wir nicht weit über jene Periode hinaus 


222 Das Leben Abraham Lincolns. 





in diefem Berhältniß zunehmen? Unſer reichlicher Raum—unfere 
weite nationale Heimftätte rechtfertigen die Erwartung. Wäre 
unfer Gebiet fo befchränft, wie das der britifchen Inſeln, fo könnte 
allerdings unfere Bevölkerung nicht in dem obigen Verhältniffe zu- 
nehmen, Anftatt die Fremden bei und aufzunehmen, wie wir jebt 
thun, würden wir ung genöthigt fehen, einen Theil unferer Einge— 
borenen fortzufenden. Dies ift jedoch nicht unfer Zuftand. Wir 
haben zwei Millionen neunhundert und dreiundfechzigtaufend Qua— 
dratmeilen, Europa hat drei Millionen und achthunderttaufend, 
mit einer Bevölferung von durchfchnittlich dreiundfiebzig und ein 
Drittel auf die Quadratmeile. Warum follte nicht unfer Land 
eines Tages eine ähnliche Durchfchnittsbenälferung haben? Iſt es 
minder fruchtbar? Hat es mehr unbebaubare Oberfläche an Ge— 
birgen, Slüffen, Seen, Wüften, oder aus andern Urfachen? Steht 
e3 an irgend einem Naturvortheil hinter Europa zurüd? Nun 
denn, wenn unfere Bevölferung dereinft verhältnigmäßig ebenfo 
groß fein fol, mie die von Europa, mie lange wird es anftehen ? 
Wann dies Ereigniß eintreffen kann, läßt fich leicht durch die 
Vergangenheit und die Gegenwart berechnen ; wann e3 eintreffen 
wird, hängt fehr von der Erhaltung der Union ab. Mehrere 
unferer Staaten ftehen bereits über der Durchſchnittsbevölkerung 
von Europa, welche dreiundſiebzig und ein Drittel auf die Duadrat- 
meile beträgt. Mafjachufetts hat einhundert und fiebenundfünfzig, 
Rhode Island einhundert und dreiunddreißig, Connecticut neun- 
undneunzig, New York und New Jerſey je achtzig. Auch unfere 
beiden großen Staaten Pennfyloanien und Ohio ftehen nicht weit 
hinter der europäifchen Durchſchnittszahl; der erftere hat dreiund— 
fechzig, der legtere neunundfünfzig Perfonen per Duadratmeile, 
Die fchon über dem europäifchen Durchſchnitt ftehenden Staaten 
haben, mit Ausnahme von New York, feit fie dieſe Zahl erreichten, 
in demfelben rafchen Berhältniffe zugenommen wie zuwor, während 
feiner derfelben einigen andern Theilen unferes Landes an natür- 
licher Begünftigung zur Ernährung einer Dichten Bevölferung gleich- 
fommt, 

„Die Nation als ein Aggregat betrachtend, finden wir die Bes 


Die letzte Sitzung des 37. Congreſſes. "293 











sölferung und das Zunahmeverhältniß während der verfloffenen 
Decennien, wie folgt: 

1790, „ . 3,929,827 

1800. . „  5,305,937 35.02 Prozent Zunahmeverhältniß. 


1810. . . 7239814 36.45 „ i 
69688131 818 , 
1830 . . . 12,866,020 88.40 — 
1840 , . . 17,069,453 82.67 „ N 
1850 , . . 23,191,876 35.87 „ Ä 
1860 . . . 81,443,790 35.58 „ F 


„Dies zeigt eine durchfchnittliche Zunahme von 34,60 Prozent 
per Decennium in der Bevölferung unferes Landes während der 
fiebzig Jahre von unferm erften Cenſus bis herab auf unfern 
legten. Es ift daraus zu fehen, daß das Zunahmeverhältniß zu 
einer jener fieben Perioden entweder zwei Prozent unter, oder 
zwei Prozent über dem Durchfchnitt fteht, woraus hervorgeht, wie 
unwandelbar, und mithin wie zuverläffig das Geſetz der Zunahme 
in unferm Falle if. Angenommen nun, daß diejelbe in dem 
gleichen Verhältniß fortfahre, befommen wir folgende Refultate: 
1870 2 aus ee ee ae a A A 
1880; lee ee DA RAU 
1890. u. 0 ru rasen er: RL 
1.0 een ar 20820845 
1810. oo wre! 66818426 
1920ꝰ004z4686684 835 
1983808 ee ee, LA 


„Diefe Zahlen zeigen, daß unfer Land zu irgend einer Periode 
zwifchen 1920 und 1930 — etwa um 1925 — fo volfreich fein 
fann, wie Europa jest ift, da unfer Gebiet bei einer Bevölkerung 
von 733 auf die Quadratmeile für 217,186,000 Menfchen Raum 
hat, 

„Und wir werden dies erreichen, wenn wir nicht felbft die 
Gelegenheit vereiteln, fei es Durch die TIhorheit der Disunion 
oder durch einen langen und erfchöpfenden Krieg, der dem einzi= 
gen großen Element nationaler Zwietracht unter uns entfpringt, 


224 Tas Leben Abraham Lincolns. 





Zwar läßt es fich nicht genau vorherfehen, in wie weit ein unge— 
heures Beifpiel von Seceſſion, dag mehrere fleinere im Gefolge 
haben würde, den Hortfchritt der Bevölkerung, Eisilifation und 
Profperität verzögern und hemmen würde; Niemand aber wird 
bezweifeln, daß die Daraus entfpringenden Hebel und Nachtheile 
außerordentlich groß fein würden, 

„Die vorgefihlagene Emancipation würde den Krieg abfürzen, 
den Frieden feft und dauerhaft machen, die Zunahme der Bevöl— 
ferung und damit des Wohlftandes unferes Landes ſichern. Mit 
diefen Bortheilen würden wir Alles bezahlen, was die Emancipa= 
tion Eoftet, nebft unferer andern Schuld, und würden es viel leich- 
ter zahlen, als unfere andere Schuld ohne diefe Vortheile. Hätten 
wir unfere alte Nationalfchuld vom Ende des Revolutionsfrieges 
an bis zum heutigen Tage mit 6 Prozent einfacher Sintereffen per 
Jahr fortlaufen laffen, ohne auch nur einen Gent an Kapital oder 
Intereffen zu zahlen, fo würde heutigen Tages von jener Schuld 
weniger per Kopf auf ung fallen, ald damals per Kopf auf die 
Bevölkerung fiel. Dies rührt einfach daher, daß unfere Bevöl- 
ferungszunahme während der ganzen Periode mehr als fechs Pro- 
zent augmachte und ſchneller anwuchs, als die Intereſſen jener 
Schuld. Die Zeit allein erleichtert einer fehuldenden Nation 
ihre Bürde, fo lange die Bevölkerung fchneller zunimmt, als die 
unbezahlten Intereſſen einer Schuld ſich anhäufen. 

„Dennoch wäre dieſe Thatfache Feine Entfhuldigung für die 
Berzögerung der Zahlung deffen, mas wir rechtens fchulden ; 
fie zeigt ung nur die große Wichtigkeit der Zeit — den großen 
Bortheil einer Politik, bei welcher wir erft zu bezahlen haben, 
wenn wir einhundert Millionen zählen, was wir bei einer ver— 
fchiedenen Politif jebt zu zahlen haben würden, da mir erft ein 
und dreißig Millionen zählen. Mit andern Worten, wir erfehen 
hieraus, daß es uns viel fchwerer fein wird, einen Dollar für 
den Krieg zu bezahlen, als es fein würde, nach dem vorgefchlage- 
nen Plan einen Dollar für die Emancipation zu zahlen, Und 
dann koſtet leßtere Fein Blut, fein foftbares Leben. Es wäre fomit 
eine Erfparniß an beiden. 

„Was den zweiten Artikel anbelangt, fo glaube ich, es wäre 


Die legte Sigung des 37. Congreffes. 229 





unausführbar, die darin befchriebene Klaffe von Perfonen wie- 
derum in die Sklaverei zurüdzuliefern. Einige von ihnen gehö- 
ven ohne Zweifel, was die Befisfrage anbelangt, loyalen Meiftern ; 
daher denn auch diefer Artikel für die Entſchädigung derfelben 
Beftimmungen trifft. 

Der dritte Artikel bezieht fih auf die Zufunft der befreiten 
Sarbigen. Er legt dem Congreß feine Verpflichtung auf, fondern 
autorifirt ihn nur, folche freie Farbige, die darein willigen, zu co- 
loniſiren. Dies folte nicht als unftatthaft betrachtet werden, da 
der Borfchlag nur durch die gegenfeitige Einftimmung der zu Co- 
Ionifirenden und des amerifanifchen Volkes durch feine Bertreter 
im Kongreß zur Ausführung fommen fann. 

„Ich kann es nicht beffer befannt machen, als es ſchon befannt 
ift, daß ich ftarf zu Gunften der Eolonifation bin. Dennoch aber 
fage ich, daß der Einwand, dem man häufig gegen das Berbleiben 
freier Farbiger in diefem Lande begegnet, fehr imaginärer, wenn 
nicht mandymal böswilliger Natur ift. 

„Es wird behauptet, daß ihre Anwefenheit die Arbeit der Wei- 
fen beeinträchtigen und Lebtere brodlos machen würde. Wenn 
es je eine Zeit für Fleinliche Argumente gibt, fo ift jet ficherlich 
feine Zeit dazu. In Zeiten, wie den gegenwärtigen, follte fein 
Menfch Etwas behaupten, wofür er nicht völlig die Verantwort— 
Tichfeit auf fiy nehmen will. Sit es denn wahr, daß farbige Leute 
in der Freiheit leichter die Meißen brodlos machen können, als in 
der Sklaverei? Wenn fie an ihren alten Orten bleiben, fo ver- 
drängen fie feine weißen Arbeiter; wenn fie ihre alten Orte ver- 
laffen, fo machen fie damit für weiße Arbeiter Platz. Vom logi— 
fhen Standpunkte aus betrachtet, läßt fich nicht mehr und nicht 
weniger hierüber fagen. Die Emancipation würde wahrfcheinlich, 
felbft ohne Colonifation, den Lohn weißer Arbeiter erhöhen; 
fiherlich würde fie ihn nicht herunterdrüden. Der gewöhnliche 
Betrag der Arbeit wird auch ferner verrichtet werden müjfen; die 
befreiten Farbigen würden gewiß nicht mehr als ihren früheren 
Theil derfelben verrichten, und es ift fogar mwahrfcheinlich, daß fie 
einige Zeit lang weniger thun würden, wodurd die Arbeit weißer 
Leute mehr in Nachfrage Fame und in Folge deffen deren Lohn 

15 


226 Das Leben Abraham Lincolns. 





fteigen würde. Mit der Deportation der Farbigen, ſelbſt wenn 
fie nur in geringem Maßftabe ftattfände, würde die Lohnerhöhung 
für die Arbeit der Weißen zur mathematifchen Gewißheit. Die 
Arbeit ift ganz wie irgend ein anderer Artikel im Markte — fobald 
die Nachfrage fteigt, fteigt auch der Preis. Reduciren wir den 
Betrag der Arbeit fchwarzer Leute, indem mwir diefelben außerhalb 
des Landes colonifiren, fo fteigern wir Damit genau in demfelben 
Berhältnig die Nachfrage nach weißen Arbeitern und erhöhen 
gleichzeitig deren Lohn. 

„Einige befürchten, def die befreiten Sarbigen das ganze Land 
überfluthen würden. Sind fie denn nicht bereits in dem Lande? 
Wird die Freiheit ihre Zahl vermehren? Wenn wir fie gleichmäßig 
mit den Weißen über das ganze Land vertheilen, fo fommt nur 
etwa ein Farbiger auf fieben Weiße. Könnte diefer Eine jene Sie— 
ben irgendwie beeinträchtigen? Es gibt viele Orte und felbft Staa= 
ten in unferm Rande, in welchen die freien Farbigen im Verhältniß 
zu den Weißen zahlreicher find, als eins gegen fiebenz; mir find 
indeffen nicht im Stande, nachtheilige Folgen diefes Umftandes 
zu erbliden, Dies ift im Diftrift Columbia und in den Staaten 
Maryland und Delaware der Fall. Der Diftrift hat mehr als 
einen Farbigen auf fechs Weiße, und dennoch hat er in feinen 
häufigen Petitionen an den Congreß, wie ich glaube, niemals 
gegen die Anmwefenheit freier farbiger Leute Einfprache erhoben, 
Warum aber follte die Emancipation im Süden die befreiten Far— 
bigen nach dem Norden fenden? Leute irgend einer Farbe laufen 
felten, es fei denn, daß fie dabei einen Zweck vor Augen haben, 
Früher entliefen einige Farbige der Knechtfchaft und kamen nach 
dem Norden; jest entlaufen fie vielleicht dem Hunger ſowohl, 
wie der Knechtfehaft. Adoptiren wir aber die allmälige Emanci— 
pation und Deportation, fo haben fie gar Feine Urfache zu ent— 
fliehen. Ihre alten Meifter werden ihnen Lohn geben, wenigſtens 
bis fie fich neue Arbeiter verſchaffen fünnen, und die befreiten 
Farbigen werden ihrerfeits gern für Lohn arbeiten, bis fich eine 
neue Heimath in einem angemefjen Klima und bei Leuten ihres 
eigenen Geblütes und Gefclechtes für fie findet, Diefer Vor— 
ſchlag wird den beiderfeitigen Intereffen gerecht. In jedem Falle 


Die legte Sitzung des 37. Congreffes. 227 





bliebe e8 dem Norden freigeftellt, ven freien Farbigen den — — 
halt innerhalb feiner Grenzen zu verwehren. 


„Diederum, da die Praxis in allen Fällen mehr bemeift, als die 
Theorie, merfe ich die Frage auf: Hat in Folge der Abfchaffung 
der Sflaverei in diefem Diftrifte legten Frühling eine Maffen- 
wanderung freier Harbiger nach dem Norden ftattgefunden ? 


„Ras ich über das Verpältniß der freien farbigen Perjonen in 
diefem Diftrikt zu den Weißen fagte, ift dem Genfus von 1860 ent- 
nommen und hat feinen Bezug auf die fogenannten „Contra= 
bands,‘ noch auf jene Perfonen, die durch die Abjchaffung der 
Sflayerei in diefem Diftrifte durch die Congreßakte frei wurden. 

„Indem ich Ihnen diefen Plan anempfehle, fei damit durchaus 
nicht gefagt, daß die Wiederherftellung der National-Autorität 
ohne die Adoption deffelben nicht annehmbar wäre, 

„Weder der Krieg, noch die in der Proflamation vom 22, Sep=- 
tember 1862 angekündigten Mafregeln werden in Folge der 
Unempfehlung diefes Planes fuspendirt werden. Die zei— 
tige Annahme deffelben dagegen würde ohne Zweifel die Wie- 
derherftellung der, National-Autorität bewirken und fomit beiden 
ein Ende machen. 

„Und ungeachtet diefes Planes wird die Anempfehlung eines 
Sefetes zur Compenfation irgend eines Staates, der die Eman- 
eipation vor der Annahme des Planes befchliegen mag, hiermit 
ernftlich wiederholt. Dies wäre nur ein Vorläufer des Planes, 
und diefelben Argumente finden auf Beide Anwendung. 


„Diefer Plan wird ala ein Mittel zur Wiederherftellung und 
Erhaltung der National-Autorität in den ganzen Bereinigten 
Staaten anempfohlen; jedoch ift der Ausschluß Feines andern 
Mittels zu demfelben Zwed damit beabfichtigt. Der Gegenftand 
wird lediglich von feinem. ökonomiſchen Standpunkte aus darge- 
ftellt. Sch bin überzeugt, daß Diefer Plan uns den Frieden 
fchneller herbeiführen und dauernder befeftigen würde, als bloße 
Gewalt; während die ganzen Koften derfelben fich leichter zahlen 
ließen, als die ferneren Koften des Krieges, wenn wir und einzig 
und allein auf Gewalt verlaffen. Ein großer Bortheil — ein 


228 Das Leben Abraham Lincolns. 





unermeßlicher VBortheil läge darin, dag er feinen Tropfen koſtba— 
ren Blutes foften würde, 

„Der Plan wird als ein permanentes conftitutionelles Geſetz 
sorgefhlagen. Ein folches fann er nicht werden ohne vie vor— 
läufige Beftimmung son zwei Dritteln fämmtlicher Congreßmit- 
glieder und die nachfolgende Ratififation durch drei Biertel 
fämmtlicher Staaten. Deren Einwilligung würde ung die Ver— 
fiherung geben, daß fie in nicht allzu ferner Zeit ſammt und fon- 
ders die Emancipation auf die conftitutionellen Bedingungen bin 
adoptiren würden. Diefe Verfiherung würde dem Kampf ein 
Ende machen und die Union für immer retten. 

„Sch bin Feineswegs des Ernftes uneingedenl, der ein vom 
oberften Beamten der Nation an den Congreß derfelben adrefjir- 
tes Dofument charafterifiren follte. Noch bin ich der Thatfache 
uneingedenf, daß Einige von Ihnen Alter find als ich, und daß 
Manche von Ihnen mehr Erfahrung in der Leitung öffentlicher 
Angelegenheiten befigen als ich. Dennoch hoffe ich, daß ange- 
fiht8 der großen Berantwortlichkeit, die auf mir ruht, meine 
Sprache feinen Mangel fehuldiger Achtung vor Ihnen verrathen 
oder ungebührenden Ernſt zur Schau tragen werde. 

„Kann es wohl bezweifelt werden, daß die Annahme des von 
mir vorgeſchlagenen Planes dem Krieg ein Ende machen und ſo— 
mit der ferneren Verſchwendung von Geld und Blut ein Ziel 
ſtecken würde? Kann es bezweifelt werden, daß dadurch die Au— 
torität und Wohlfahrt der Nation wiederhergeftellt und für eine 
unabfehbare Zukunft gefichert werden würden? Knnn es bezmweis 
felt werden, daß wir — der Congreß und die Erefutive — die 
Annahme des Planes zur Thatfache machen fünnen? Wird nicht 
das gute Volf diefer Staaten einem vereinigten und ernten Auf- 
ruf von ung Folge leiften? Können wir, kann das Bolf durch 
irgend ein anderes Mittel jene großen Zwede fo ficher und fo 
rajch erreihen? Nur dur Einmüthigfeit kann es ung gelingen. 
Die Frage ift nicht: „Kann Jemand von uns etwas Befferes 
erfinnen?“ fondern: „Können wir Alle beffer handeln?” 
Man wende ein, was man wolle, die Frage drängt fich ftets aufs 
Neue auf: „Können wir etwas Beſſeres thun?“ Die Dogmen 


Die legte Sigung des 37. Congreifes. 229 





der ruhigen Bergangenheit eignen fih nicht für die ftürmifche 
Gegenwart, Die Schwierigkeiten thürmen fich hoch auf, und wir 
müffen ung denfelben gewachfen zeigen. Da unfer Fall ein nie 
dageweſener ift, jo müffen wir ihm gemäß denfen und handeln, 
Wir müffen erft unfere eigenen Fefjeln abftreifen und dann wer— 
den wir unfer Land retten. 

„Mitbürger! wir können der Gefchichte nicht ausweichen, 
Ung, die Mitglieder des Congreffes und der Adminiftration, wird 
man zur Rechenfchaft ziehen, mögen wir uns dagegen fträuben 
wie wir wollen. Keine perfünliche Bedeutſamkeit oder Unbedeut- 
famfeit wird irgend Einen von ung fohirmen. Die Feuerprobe, 
die wir pafliren, wird unfere Namen in Ehren oder Schanden den 
fpäteften Generationen überliefern, Wir fagen, daß wir für 
die Union find. Die Welt wird nicht vergeffen, daß mir dies 
fagen, Wir wiffen, wie wir die Union retten können. Die Welt 
weiß, daß wir es wiffen. Wir — ja, wir hier — haben: die Macht 
Dazu und tragen die VBerantwortlichkeit. Indem wir den Sklaven 
die Freiheit geben, fichern wir den Freien ihre Freiheit und 
handeln fomit ehrenvoll im Geben und Erhalten. An uns liegt 
es jest, die legte befte Hoffnung auf Erden auf edle Weife zu ret- 
ten, oder diefelbe auf fehändliche Weife verloren gehen zu laſſen. 
Andere Mittel mögen Erfolg haben — die ſes kann nicht fehl- 
fhlagen. Der Weg ift einfach, friedlich, großmüthig, gerecht ;— 
es ift ein Weg, den, wenn wir ihn einfchlagen, die Welt für immer 
preifen und Gott für immer fegnen wird, 

„Dezember 1, 1862, Abraham Sincoln, * 


Fünfzehntes Kapitel. 
Das Blatt wendet fid. 


Militärifche Erfolge — Günftige Wahlrefultate — Emanripationspolitik — 
Brief an die Arbeiter zu Mandefter, England — Proklamation eines 
National-Fafttages — Brief an Eraftus Corning — Brief an eine Com- 
mittee bezüglich der Burücberufung Dallandighams. 


Es war im Rath der Vorſehung befchloffen, daß mit dem Jahr 
1863 die faft ununterbrochene Kette von Unfällen, mit denen feit 
einiger Zeit die Unions-Armee betroffen worden war, plöglich zu 
Ende gelangen follte. 

Allerdings hatte General Hoofer, dem nach Burnfide das Ober- 
commando über die Potomac Armee übertragen worden war, eine 
totale Niederlage bei Chancellorsville erlitten; dieſelbe wurde 
aber mehr als ausgeglichen durch den glänzenden und entfchiede- 
nen Sieg, den die nämlichen Truppen unter General Meade in 
der mörderifchen Schlacht von Gettysburg über die Rebellen er— 
fochten. Diefe Schlacht fand am erften, zweiten und dritten Juli 
ftatt, und am 4. trat General Lee mit den Trümmern feiner Ar- 
mee den Rüdzug an. An demfelben Tage zog der fiegreiche Ge— 
neral Grant in Vidsburg ein; die unausbleiblihe Folge dieſes 
Vegteren Ereigniffes mar die Kapitulation von Port Hudfon, 
Jetzt war der Miffiffippi bis zu feiner Mündung offen und die 
Baftırd-Conföderation vollftändig in zwei Bruchtheile zerftüdelt. 
Außerdem ward Ofttenneffee gefichert und durch die Siege bei 
Lookout Mountain und Miffionary Ridge der Weg zu einer Of- 
fenfiobewegung nach dem Herzen von Georgia gebahnt. 

Die große Mafje des Volkes war mittlerweile ebenfalls zur 
Einfiht gefommen. Ballandighbam von Ohio, der. feiner ver- 
rätherifchen Reden halber auf Burnfide’s Ordre verhört, über- 
führt und zu feinen Freunden im Süden gefchidt worden war, 
der endlich die Erlaubniß erhalten hatte, via Canada zurüdzu- 
kehren und dann als der Erponent der „Demokratie von Ohio 

(230) 


Das Blatt wendet ſich. 231 


De 


zum Gouverneurgs-Amte nominirt worden war, unterlag bei der 
Wahl einer republifanifhen Majvrität von über hunderttaufend 
Stimmen. Auch Pennfylvanien fühnte feinen Rüdfchritt im vor— 
bergehenden Jahre mehr als genügend. In der That gab jeder 
Ioyale Staat, mit Ausnahme von New Jerſey, bedeutende Majv- 
ritäten für die Adminiſtration. 

Nicht zu vergeffen ift der Umftand, daß bei diefen Wahlen die 
Emaneipationg-Politif des Präfivdenten zu lebhafter Discuffion 
Beranlaffung gegeben hatte; um fo erfreulicher waren daher die 
Refultate, da es ſich nun klar berausjitellte, daß der große Puls 
des Bolfes in Harmonie mit der allgemeinen Freiheit des Men- 
fchengefchlechtes fchlug, "wie ungünftig auch früher die Anzeigen 
erjcheinen mochten, Wenn in einem Kampfe, wie derjenige, in 
welchem die Nation begriffen war, alle felbftfüchtigen Rüdjichten 
zurüudgedrängt, tiefgewurzelte Vorurtheile bemeiftert und lang 
sorenthaltene Rechte freudig gewährt werden fonnten, dann war 
gewiß hinreichender Grund zur Hoffnung auf den Fortſchritt un— 
ferer Race vorhanden. 

Zu Anfang des Jahres erhielt der Präfident einen fehr fehmei- 
helhaften Beweis der Anerkennung, die feine Bemühungen für 
die Sache der Freiheit fanden, in einem Briefe der Sympathie und 
des Vertrauens von den Arbeitern zu Manchefter in England. 
Er beantwortete ihre Adreſſe in folgendem Briefe: 


„Sreentiv-Gebäude, Wafhington, den 19, Januar 1863. 
„An die Arbeiter von Mancheſter. 


„Meine Herren: — Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang 
der Adreffe und der Befchlüffe, die Sie mir am Schluffe des alten 
Jahres überfandten, zu melden. 

„Als ich am 4. März 1861 durch eine freie und conftitutionelle 
Wahl an die Spige der Regierung der Vereinigten Staaten ge- 
langte, befand fich diefes Land am Rande des Bürgerfrieges. 
Was au die Urfache, und weſſen die Schuld auch fein mochte, 
eine Pflicht, die ale andern überragte, lag vor mir, nämlich die 
Erhaltung der Conftitution und der Integrität der Bundes-Ne- 
vublif. Das gemwiffenhafte Vorhaben, diefe Pflicht zu erfüllen, ift 





232 DaB Leben Abraham Lincolns. 





der Schlüffel zu ſämmtlichen Mafregeln, welche die Aominiftration 
ergriffen hat oder für die Zukunft ergreifen wird. Im Hinblid 
auf unfere Regierungsform und eingedenf meines Amtgeides 
könnte ich nicht von diefem Vorhaben abweichen, felbft wenn ich 
es wollte. Es liegt nicht immer in der Macht einer Regierung, 
den Umfang der moralifchen Refultate der für die öffentliche 
Sicherheit ala nothwendig erachteten Politif zu erweitern oder zu 
befchränfen, 

„Es konnte mir nicht entgehen, daß dem amerifanifchen Volke 
einzig und allein die Pflicht feiner Selbfterhaltung oblag. Nichts— 
deftomeniger war ich mir wohl bewußt, daß die Gunft oder Un- 
gunft fremder Nationen einen materiellen Einfluß auf die Länge 
und Dauer des Kampfes mit illoyalen Bürgern, in welchem un- 
fer Land gegenwärtig begriffen ift, ausüben würde. Ein prüfen- 
der Blid auf die Gefchichte fehien den Glauben zu rechtfertigen, 
daß die Bergangenheit der Bereinigten Staaten im Allgemeinen 
einen wohlthätigen Einfluß auf die Menfchheit gehabt habe. Aus 
diefem Grunde rechnete ich auf die Nachſicht auswärtiger Natio- 
nen. Gewiffe Umftände, auf die Sie gütig anfpielten, verleiteten 
mich befonders zu der Annahme, daß die Vereinigten Staaten bei 
fortgefegter Ausübung der Gerechtigkeit auf feine Feindfeligfeit 
von Seiten Großbrittaniens flogen würden. Es ift daher jebt 
eine angenehme Pflicht für mich, die Kundgebung Ihres Wun- 
fches anzuerkennen, daß ein Geift des Friedens und der Freund- 
fchaft gegen diefes Land herrfchen möge im Rath Ihrer Königin, 
die in Ihrem eigenen Lande kaum mehr geachtet und gefchäßt wer- 
den fann, ald von der verwandten Nation, deren Heimath auf 
diefer Seite des atlantifchen Oceans ift. 

„Die Leiden der Arbeiter von Manchefter und von ganz Europa 
während diefer Krifis find mir wohlbefannt und werden tief von 
mir bedauert, Es ift ſchon häufig und gefliffentlich behauptet 
worden, daß der Berfuch, diefe auf die Grundlage der Menfchen- 
rechte gegründete Regierung zu ftürzen und dafür eine andere zu 
errichten, die ausfchliegli auf der Bafis menfchlicher Sklaverei 
beruhen follte, in Europa mit günftigen Augen betrachtet werden 
würde, Durch das Thun und Treiven unferer illoyalen Bürger 


Das Blatt wendet fid). 233 





find die Arbeiter Europas einer firengen Prüfung unterworfen 
worden, um ihnen ihre Sanction jenes Vorhabens zu entpreſſen. 
Unter ſolchen Umftänden fann ich nicht umhin, Ihre entfchiedenen 
Aeußerungen in Bezug auf diefe Frage als ein Beifpiel von erha= 
benem chriftlichen Heroismus zu betrachten — als ein Beifpiel, 
das noch in feinem Zeitalter und in feinem Lande übertroffen 
wurde. Esift in der That eine energifche und ermuthigende Ber- 
fiherung der angeborenen Macht der Wahrheit und des endlichen, 
allgemeinen Triumphes der Gerechtigkeit, Humanität und Freiheit, 
Sch bezweifle nicht, Daß die Oefinnungen, die Sie ausdrüden, die 
Billigung Ihrer großen Nation erlangen werden, während ich 
andererfeits nicht anftehe, Ihnen zu verfichern, daß dag amerifa- 
nifche Volk diefelben mit Bewunderung, Achtung und Gefühlen 
aufrichtiger Freundfchaft aufnehmen wird, Sch begrüße daher 
diefen Sefinnungsaustaufh als eine Vorbedeutung, daß, was 
auch die Zukunft bringen mag, welches Unglüd Ihrem Lande oder 
dem meinigen bevorftehe, der Friede und Die Freundfchaft zwifchen 
den beiden Nationen ewig beftehen werden, welchen Ziele all’ mein 
Streben gewidmet fein foll, 
„Mit Hochachtung der Fhrige, 
Abraham Fincoln.” 


Auf Erfuchen des Senats wurde am 30. März 1863 folgende 
Proflamation erlaffen: ® 


„Sintemalen der Senat der Bereinigten Staaten, in demü- 
thiger Anerkennung der höchften Autorität und gerechten Herr- 
fchaft des allmächtigen Gottes und feines Waltens in allen Ange- 
legenheiten der Menfchen und Nationen, in einem Befchluffe den 
Präfidenten erfuchte, einen allgemeinen Buß- und Bettag für die 
Nation zu beftimmen ; 

„Und fintemalen es die Pflicht der Nationen ſowohl, wie 
der Individuen ift, ihre Abhängigkeit von der Allgewalt Gottes 
anzuerkennen, ihre Sünden und Miffethaten in fummervoller 
Reue, doch aber mit der zuverfichtlichen Hoffnung zu befennen, 
daß aufrichtige Bereuung derfelben ihnen Gnade und Vergebung 
bringen werde, fowie die in der heiligen Schrift angefündigte und 


234 Das Leben Abraham Lincolns. 





überall in der Gefchichte bewiefene erhabene Wahrheit einzufe- 
ben, daß diejenigen Nationen nur gefegnet find, deren Gott der 
Herr ift; 

„And fintemalen wir wiffen, daß dem göttlichen Rathſchluß 
zufolge Nationen wie Individuen Strafen und Züchtigungen in 
diefer Welt unterworfen find, und daß wir volle Urfache haben, zu 
befürchten, daß die fchredliche Heimfuchung des Bürgerfrieges, der 
jest unfer Land verheert, ung als Strafe für unfere übermüthigen 
Sünden auferlegt wurde, um dadurch unfere nationale Beiferung 
als ein ganzes Volk herbeizuführen. Wir wurden voem Him— 
mel mit dem reichten Segen bedacht. Wir wurden feit vielen 
Jahren in Friede und Wohlfahrt erhalten. Wir haben an Be- 
völferung, Reichthum und Macht zugenommen, wie feine andere 
Nation jemals zugenommen bat. Aber wir hatten Gott vergeffen. 
Wir hatten die gnädige Hand vergeffen, die uns in Frieden erhielt, 
ung vermehrte, bereicherte und ftärkte; und wir hatten uns in der 
Eitelkeit und Thorheit unferer Herzen eingebildet, daß all’ diefer 
Segen und diefes Gedeihen die Frucht unferer eigenen höheren 
Weisheit und Tugend feien. Beraufht von ununterbrochenem 
Erfolg waren wir zu felbftzufrievden geworden, um die Nothwen- 
digkeit der rettenden und erhaltenen Gnade zu empfinden, und zu 
ftolz, um zu dem Gotte zu beten, der ung ſchuf! 

„Wohl geziemt es fich ung daher, ung vor der beleidigten Macht 
Gottes zu beugen, hfere Nationalfünden zu befennen und um 
Gnade und Vergebung zu flehen. 

„Deshalb beftimme und bezeichne ich, in Uebereinftimmung 
und mit voller Billigung des Gefuches und der Anfichten des Se- 
nats, kraft diefer meiner Proflamation Donnerftag, den dreizehn- 
ten April, A. D. 1863, als einen nationalen Buß-, Bet- und 
Faſttag. Und ich erfuche hiermit Alle, jih an diefem Tage ihrer 
gewöhnlichen weltlichen Befchäftigungen zu enthalten, fich Dagegen 
in ihren verfchiedenen Gotteshäuſern oder in ihren Heimftätten 
zu verfammeln, um den Tag dem Herrn zu heiligen mit religiöfen 
Ceremonien, wie fie fich für die feierliche Gelegenheit ſchicken. 

„Und nachdem dies Alles in Aufrichtigfeit und Wahrheit ge- 
heben, laffet und demüthig der göttlichen Lehre gemäß hoffen, daß 


Das Blatt wender ſich. 239 





das vereinigte Gebet der Nation am Thron der Gnade erhört 
werde und ung Vergebung für unfere Nationalfünden, fowie die 
Miederherftellung unferes zerriffenen und blutenden Landes zu 
feinem früheren glüdlichen Zuftande in Friede und Eintracht er- 
wirfen möge. 

„zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigejegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lafjen. 

„Geſchehen in der Stadt Wafhingion, am dreißigften Tage des 
Monats März, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert 
und dreiundfechzig und im fiebenundachtzigften der Unabhängigkeit 
der Vereinigten Staaten von Amerifa, 

„Auf Befehl des Präfiventen : Abraham Sincoln.” 
„Billiam 9. Seward, Staatsfefretär.” 


Der folgende hierher gehörige Brief wird fich ſelbſt erklären: 
„Erecutiv-Gebäude, Wafhington, den 13, Juni 1863, 
„An den achtbaren Eraftus Corning und Andere. 


„Heine Herren: — Ihr Brief vom 19. Mai gelangte nebft 
den Befchlüffen einer am 16, defjelben Monats zu Albany, N. Y., 
abgehaltenen öffentlihen Verfammlung vor etlichen Tagen in 
meine Hände, 

„Die Befchlüffe laffen fich, wenn ich fie richtig verftehe, in zwei 
Propofitionen auflöfen: — Erſtens, in die Erklärung der Abficht, 
die Sache der Union zu unterftügen, dur Sieg Frieden herbei= 
zuführen und der Adminiftration in allen conftitutionellen und 
gefeglihen Maßregeln zur Unterdrüdung der Rebellion beizufie- 
ben; zmweiteng, in einen Tadel der Adminiftration wegen an— 
geblicher unconftitutioneller Handlungen, wie 3. B. der Vornahme 
militärifcher Berhaftungen. Und aus diefen beiden Propofitionen 
laßt fich eine dritte ableiten, nämlich die, daß die Herren, welche 
diefe Derfammlung bildeten, entjchloffen find, unfere gemeinfame 
Regierung und unfer gemeinfames Vaterland zu unterftügen und 
zwar troß der Thorheit oder Bosheit, deren fich ihrer Anficht nach 
die Adminiftration fchuldig machen mag. Diefe Pofition ijt eine 
Auferft patriotifche und macht es mir zur angenehmen Pflicht, ber 
Verfammlung dafür zu danken und der Nation dazu zu gratus 


236 Das Leben Abraham Lincolns. 





liren, Meine eigene Abficht ift ganz diefelbe, fo daß die Ver— 
fammlung und ich einen gemeinfamen Zwed haben und daß Feine 
Meinungsverfchiedenheit ftattfinden kann, ausgenommen etwa 
bhinfichtlich der Wahl der Mittel und Maßregeln zur Erreichung 
diefes Zweckes. 

„Und hiermit könnte ich diefes Schreiben ſchließen und würde es 
fhließen, wenn ich nicht zu befürchten hätte, daß der ſyſtematiſch 
gegen mich ausgefprochene Tadel, weil ich that, mag ich meiner An- 
ficht nach nicht unterlaffen durfte, Feine nachtheiligeren Folgen hätte, 
als die, welche nur mich perfünlich betreffen. Die Befchlüffe ver- 
fprechen, mich in allen conftitutionellen und gefeglichen Maßregeln 
zur Unterdrüdung der Rebellion zu unterftügen, Wiffentlich habe 
ich feine andern angewandt, und wiffentlich werde ich feine andern 
anwenden. Durch ihre Befchlüffe aber erklärt und argumentirt die 
Derfammlung, dag gemiffe militärifche Verhaftungen und darauf 
folgende Verhöre, für die ich verantwortlich bin, unconftitutionell 
feien. Ich halte fie nicht dafür. Die Befchlüffe eitiren aus der 
Conftitution die Definition des Wortes „Berrath,” ſowie auch die 
befchränfenden Garantien, die darin vorgefehen find für Bürger, 
die ihr Berhör wegen Berrath erwarten, oder auch wegen Mordes 
oder fonftiger fehweren Verbrechen; desgleichen auch in Criminal- 
fällen ihr Recht auf ein baldiges und öffentliches Verhör vor einem 
unparteiifchen Gefchwornengericht. Sodann erflären die Befchlüffe, 
„daß diefe Garantien der Rechte des Bürgers gegen die Anmaßung 
willfürlicher Gewalt befonders zu feinem Schutze in Zeiten bürger- 
licher Wirren beftimmt wäre.” 

„Und weiter fahren die Beichlüffe fort, anfcheinend um dieſen 
Sat zu beweifen: „Sie wurden dem englifchen Bolfe nach Jahren 
eines langen Bürgerfrieges zugefichert und zu Ende der Revolu- 
tion in unfere Conftitution aufgenommen.” Wäre der Bemeis 
nicht beffer, wenn es fich mit Wahrheit hätte fagen laffen, daß dieſe 
Garantien während der Bürgerfriege und während unferer 
Revolution adoptirt und angewandt worden feien, ald nach den er- 
fteren und zu Ende des letztern? Auch ich bin fehr zu Gunften 
derfelben nad) dem Bürgerkrieg, vor dem Bürgerfrieg und zu 
allen Zeiten, „ausgenommen wenn in Fällen von Rebellion oder 


Das Blatt wendet fich. 237 





Invaſion die öffentliche Sicherheit ihre Sufpenfion erfordern mag.” 
Die Befchlüffe fagen ung weiter, daß diefe Garantien „unter unfe- 
rem republifanifchen Syſtem eine Probe von fehsundfiebzig Jahren 
beftanden haben, und zwar unter Berhältniffen, welche bemweifen, 
dag während fie die Grundlage einer freien Regierung bilden, fie 
gleichzeitig die Elemente der dauernden Stabilität der Regierung 
find.‘ Niemand wird leugnen, daß fie bis zum Beginn der gegen=- 
wärtigen Rebellion die Probe beftanden, mit Ausnahme eines ge- 
wiſſen Ereigniffes in New-Drleang; noch wird irgend Jemand be- 
zweifeln, daß fie Diefelbe Probe noch viel länger beftehen werben, 
nachdem die Rebellion zu Ende fein wird, Allein diefe Beſtimmun— 
gen der Conftitution finden feine Anwendung auf den fraglichen 
Gall, weil die Denunzirten Berhaftungen nicht wegen Verrath ge— 
macht wurden—das heißt, nicht wegen dem in der Eonftitution de> 
finirten Berrathe, auf welchen bei Ueberführung die Todesftrafe ge- 
fest iſ —auch wurden fie nicht gemacht, um die verhafteten Perfonen 
zum Verhöre wegen Mordes oder irgend eines andern infamen Ver— 
brechens feſtzuhalten. Ebenſo wenig laffen ſich die auf die Verhaf— 
tungen gefolgten Verhöre in irgend einem conftitutionellen oder 
legalen Sinne zu „Eriminalfällen” machen. Die Berhaftungen 
wurden auf gänzlich verfchiedene Gründe hin vorgenommen, und 
die darauf folgenden Berhöre ftimmten mit den Gründen der Ver— 
baftung überein. Betrachten wir einmal den wirklichen Fall in 
Frage und wenden wir ihn auf diejenigen Theile der Eonftitution 
an, die gerade für folche Fälle gemacht wurden. 

„Bor meiner Snauguration war die Anficht verbreitet worden, 
daß irgend ein Staat ein gefehliches Necht hätte, von der National- 
Union zu fecediren, und daß es zweckmäßig wäre, Diefes Recht in 
Anwendung zu bringen, fobald es den Anhängern diefer Doftrine 
mißlänge, einen Präfiventen nah ihrem Gefchmad zu erwählen, 
Shrem Gefchmade zuwider wurde ich nun erwählt und daher hatten 
fie, ſoweit dies gefeglich möglich war, fieben Staaten aus der Union 
genommen, hatten viele der Vereinigten Staaten Forts ergriffen 
und hatten auf die Vereinigten Staaten Flagge gefeuert—all’ 
Diefes, ehe ich inaugurirt war und natürlich, ehe ich irgend eine 
amtliche Handlung begangen hatte, Die fo begonnene Rebellion 


238 Das Leben Abrabam Lincolns. 





führte bald zum gegenwärtigen Bürgerfriege, und in mancher Be— 
ziehung begann dieſer mit fehr ungleichen Chancen zwifchen den be— 
treffenden Partien. Die Infurgenten hatten ſich feit mehr als 
dreißig Jahren darauf vorbereitet, während die Regierung Feine 
Anftalten getroffen hatte, fich ihnen zu widerſetzen. Erftere hatten 
alle Mittel reiflich in Betracht gezogen, die fie zu ihrem Wortheil 
verwenden konnten, Unzmeifelhaft hatten fie fich allzufehr darauf 
verlaffen, daß bei ihrem ungezügelten Beftreben, die Union, die Con— 
ftitution und die Gefege insgefammt zu zerftören, die Regierung in 
großem Maße durch diefelbe Konftitution und Geſetze gehemmt 
werden würde, ihrem Zreiben Einhalt zu thun. Die mit ihner 
fompathifirenden Freunde waren im Befite fämmtlicher Departe- 
ments der Regierung und befanden fich faft aller Orten, Aus die- 
fem Material und unter dem Schuß der „Redefreiheit,“ der „Preß- 
freiheit” und der „Habeas Corpus Akte” hofften fie ein höchſt wirf- 
fames Corps von Spionen, Schleichern, Helfern und Helfershelfern 
jeder möglichen Art unter uns im Gange zu erhalten. Sie wuß— 
ten, daß in folchen Zeiten, wie fie felbft fie heraufbefchworen, die 
„Habeas Corpus Alte” fufpendirt werden könne; allein fie wußten 
auch, daß fie Freunde hatten, die die Frage aufitellen würden, wer 
diefelbe fufpendiren folle, und daß mittlerweile ihre Spione und 
Helfershelfer frei umher gehen könnten, um ihrer Sache Vorfchub 
zu leiften. Oder wenn, was wirklich gefchah, die Erefutive ohne 
verderblichen Zeitverluft die Akte ſusſpendiren follte, fo mochte es 
vorkommen, daß unfchuldige Leute verhaftet würden, mas in folchen 
Fällen nicht immer zu vermeiden ift, und dann würde darüber ein 
folches Geheul erhoben werden, daß es menigfteng einigermaßen 
der Snfurgentenfadhe zu Statten Fame, Es bedurfte Feines fehr 
großen Scharffinns, um diefen Theil im Programm des Feindes zu 
entdeden, fobald einmal feine Mafchinerie mittelft offener Feindſe— 
ligkeiten in Bewegung gefegt war. Bon tiefer Achtung für die ga— 
rantirten Rechte der Fndividuen durchdrungen, Fam ich langfam 
und zögernd zu dem Entfchluß, die ſtrengen Maßregeln zu ergrei- 
fen, die ich allmälig als die zur öffentlichen Sicherheit erforderlichen 
Ausnahmen der Eonftitution zu betrachten gezwungen ward, Nichts 
ift der Gefchichte beffer befannt, als daß Gerichtshöfe in folchen Fällen 


Das Blatt wendet fid). | 239 





ineompetent find. Bürgerliche Gerichtshöfe find Hauptfächlich zum 
Berhör einzelner Individuen organifirt, oder höchftens zum Verhör 
einiger weniger Individuen, die in Gemeinfchaft Handelten, und 
das in ruhigen Zeiten und auf Anflagen hin, die im Gefege deut- 
Yich definirt find. Selbit in Friedengzeiten werden Banden von 
Pferdedieben und Räubern nicht felten zu zahlreih und mächtig 
für die gewöhnlichen Gerichtehöfe. Aber welchen Vergleich nume- 
rifcher Stärke geftatteten folhe Banden mit den Infurgentenfreun- 
den felbft in vielen der Ioyalen Staaten? Doc, weiter. Wie 
häufig findet fich in einer Jury wenigftend ein Mitglied, das be- 
reitwilliger wäre, das ganze Gericht zu hängen, als den Berräther? 
Und doc ſchwächt Derjenige, welcher einem Manne abräth, fich als 
Boluntär anwerben zu laffen, oder einen Soldaten zum Defertiren 
verleitet, Die Sache der Union nicht minder als Der, welcher einen 
Unionsfoldaten in der Schlacht tödtet. Dennoch fann diefes Ab- 
rathen oder dieſes Verleiten fo betrieben werden, daß es fih un— 
möglich als ein beftimmtes Verbrechen definiren läßt, worüber ir- 
gend ein Civilgericht zu entfcheiden vermüchte, 

„Unfer Fall nun ift ein Fall der Rebellion, wie ihn der mir vor— 
Itegende Beſchluß nennt—in der That ein deutlicher, flagranter 
und gigantifcher Fall von Rebellion; und die Beftimmung der 
Conftitution, „daß das Privilegium des Habeas Corpus Writ nicht 
fufpendirt werden folle, ausgenommen in Fällen von Rebellion und 
Invaſion, wenn’ die öffentliche Sicherheit es erfordern mag,“ ift ge= 
rade die Beftimmung, welche ſich fpeziell auf unfern gegenwärtigen 
Fall bezieht. Diefe Beftimmung befundet deutlich das Verftändnif 
jener Männer, welche die Conftitution gründeten, daß nämlich ge- 
mwöhnliche Gerichtshöfe in „Fallen von Rebellion“ unzureichend 
find; befundet ihre Abficht, daß in ſolchen Fällen Individuen im 
Gewahrſam gehalten werden dürfen, welche unter gewöhnlichen 
Umftänden von den Gerichtshöfen freigefprochen werden würden. 
Die Habeas Corpus Akte fpricht Kelnen frei, der eines definirten 
Verbrechens ſchuldig befunden wird, und die Suſpenſion derſelben 
wird von der Conſtitution geſtattet, damit Individuen verhaftet 
und in Gewahrſam gehalten werden, die keines definirten Verbre— 
chens ſchuldig befunden werden können, „wenn in Fällen von Re— 


240 Das Leben Abraham Lincolns. 





bellion und Invaſion die öffentliche Sicherheit es erfordern mag.” 
Dies nun ift genau unfer Fall; ein Fall von Rebellion, mo die 
öffentliche Sicherheit Die Sufpenfion erfordert. In der That finden 
Berhaftungen auf gerichtliches Berfahren hin und Verhaftungen 
in Fällen von Rebellion nicht auf diefelbe Bafis Hin ſtatt. Erftere 
erftreden fih auf eine geringe Anzahl gewöhnlicher und ftets vor- 
fommender Berbrechen, während Rebtere für plögliche und umfang- 
reiche Empörungen gegen die Regierung beftimmt find, die in fur- 
zer Zeit gelingen oder mißlingen müffen, Im letztern Fall werden 
Berhaftungen vorgenommen, nicht fowohl megen deffen, was ge- 
fchehen ift, als vielmehr wegen deffen, was mwahrfcheinlich gejchehen 
würde, Lebteres ift mehr eine Präventive und meniger eine 
Strafe als Erfteres. In ſolchen Fällen find die Abfichten der In— 
dividuen viel leichter zu verftehen als in Fällen gewöhnlicher Ver- 
brechen. Der Mann, welcher ruhig dafteht und Nichts fagt, wenn 
die gefährliche Stellung feiner Regierung befprochen wird, kann 
nicht mißverftanden werden, Wenn man ihn nicht verhindert, 
wird er ficherlich dem Feinde helfen, Um fo mehr ift dies der Fall, 
wenn er zweideutig redet— wenn er mit „Wenn“ und „Aber“ für 
fein Land redet. Wie wenig Werth die berührten conftitutionellen 
Beftimmungen haben, wenn Verhaftungen erft nach dem Begehen 
definirter Verbrechen ftattfinden follen, laßt fih aus einigen merf- 
würdigen Beifpielen erfehen. General John C. Bredinridge, Ge— 
neral Robert E. Lee, General Joſeph E. Johnſton, General John 
B. Magruder, General William B. Prefton, General Simon B. 
Bedner und Commodore Franklin Buchanan, welche jebt Die höch- 
ften Stellungen im Kriegsdienft der Rebellen einnehmen, waren 
Alle in der Gewalt der Regierung, als die Rebellion begann, und 
waren damals faft ebenfo gut als Verräther befannt wie jegt. Un— 
zweifelhaft würde die Infurgentenfache viel ſchwächer ftehen, wenn 
wir jene Individuen ergriffen und feftgehalten hätten. Allein 
feiner von ihnen hatte zu jener Zeit irgend ein durch Das Geſetz 
befinirtes Verbrechen begangen. Jeder von ihnen würde, wenn 
verhaftet, auf einen Habeas Corpus Befehl freigefprochen worden 
fein, hätte man den Writ operiren laffen. Angefichts Diefer und 
ähnlicher Fälle halte ich es nicht für unwahrfcheinlich, daß eine Zeit 


Des Blatt wender ih. 241 





fommen mag, wann es mir eher zum Vorwurf gemacht werden wird, 
daß ich zu wenig, als daß ich zu viele Verhaftungen vorgenommen 
habe. 

„Dur den dritten Befhluß Außert die Berfammlung ihre An- 
fiht dahin, daß militärifche Berhaftungen conftitutionell fein mögen 
in Zofalitäten, wo die Rebellion oder Inſurrektion wirklich eriftirt ; 
daß folche VBerhaftungen aber unconftitutionell feien an Zofalitäten, 
wo Rebellion und Snfurrektion nicht wirklich.eriftiren. Sie befteht 
darauf, daß ſolche Verhaftungen nicht ftattfinden follen „außerhalb 
der Grenzen nothiwendiger militärifcher Decupation und des Schau- 
plates der Inſurrektion.“ Inſofern aber die Conftitution felbft 
feinen folchen Unterfchied macht, bin ich nicht im Stande zu glau— 
ben, daß irgend ein folcher conftitutioneller Unterfchied vorhanden 
ift. Ich gebe zu, daß derartige VBerhaftungen nur dann conftitu- 
tionell fein können, wenn in Fällen von Rebellion oder Invafion 
die öffentliche Sicherheit fie erfordern mag; und ich behaupte, daß 
fie in ſolchen Fällen überall conftitutionell find, wo die öffentliche 
Sicherheit fie erfordert—fowohl an ſolchen Orten, wo fie die Aus- 
dehnung der Rebellion verhindern, als an folchen, wo diefelbe be— 
reits befteht; fowohl da, wo fie böswillige Hemmungen der Trup- 
penanwerbung zur Unterdrüdung der Rebellion vereiteln, als da, 
wo die Rebellion bereits ausgebrochen iſt; ſowohl da, wo fie die 
Aufmunterung der Soldaten zum Defertiren verhindern, als da, 
wo fie Meutereien in der Armee unterdrüden; ich halte fie für 
gleich eonftitutionel an allen Drten, wo fie die öffentliche Sicher» 
heit befördern, wie da, wo fie die Gefahren der Rebellion oder In— 
vafion abwenden. Betrachten wir einmal den fpeziellen Fall, deſſen 
die Berfammlung Erwähnung that. Es wird behauptet, daß Mr. 
Ballandigham dur einen Militär-Commandanten verhaftet und 
verhört wurde und zwar „auf feinen andern Grund hin, als mweil 
er in einer Anrede an eine öffentliche Berfammlung die Politik der 
Adminiftration Fritifirte und die militärifchen Drdres des Generals 
verdammte.“ Nun, wenn bier fein Irrthum obmwaltete, wenn diefe 
Behauptung Nichts als die reine, lautere Wahrheit enthielte, wenn 
fein anderer Grund für feine Verhaftung vorlag, fo würde ich zu— 
geben, daß leßtere unrecht war, Allein die Berhaftung wurde, 

6 


242 Das Leben Abeaham Lincolne. 





wenn ich nicht irre, auf ganz andere Gründe hin vorgenommen, 
Mr. Ballandigham erflärt offen feine Feindfeligfeit gegen den Krieg, 
den die Vereinigten Staaten führen, und feine Verhaftung wurde 
vorgenommen, weil er ih —und nicht ohne Erfolg— bemüht hatte, 
das Anmwerben von Truppen zu verhindern, die Soldaten zum De— 
fertiren zu verleiten und Die Regierung ohne eine hinreichende mili- 
tärifche Force zur Unterdrüdung der Rebellion zu laffen. Er wurde 
nicht verhaftet, weil er die politifchen Profpekte der Adininiftration 
oder die perfünlichen Intereffen des commandirenden Generals be- 
einträchtigte, fondern weil er der Armee fehadete, auf deren Eriftenz 
und Energie das Leben der Nation beruft. Er führte Krieg gegen 
das Militär, und dies gab dem Militär conftitutionelle Jurisdiktion, 
Hand an ihn zu legen, Hat Mr. Ballandigham der Militärmacht 
des Landes nicht gefchadet, fo beruhte feine Verhaftung auf einem 
Irrthum, den ich mit Freuden berichtigen werde, fobald ich genü- 
gende Beweiſe feiner Unfchuld erhalte, 

Die Derfammlung, deren Befchlüffe mir unterbreitet wurden, 
ift, wie ich fehe, zu Gunften der Untervrüdung der Rebellion durch 
militärifhe Gewalt — durd Armeen. Eine lange Erfahrung 
bat gezeigt, Daß Armeen nicht aufrecht erhalten werden können, 
wenn nicht Deferteurs mit dem ZTode- beftraft werden. Diefe 
Strafe erfordert der Fall, und die EConftitution, fowie die Geſetze 
fanktioniren diefelbe., Muß ich nun einen einfältigen Soldaten 
erfchießen laſſen, welcher defertirte, während ich dem binterliftigen 
Agitator, der ihn zum Defertiren verleitete, fein Haar Frümmen 
fol? Die Bemühungen deffelben find nichtsdeſtoweniger nach— 
theilig, wenn fie dadurdy zur Ausführung fommen, daß man einen 
Vater, Bruder oder Freund zum Befuch einer öffentlichen Ber- 
ſammlung beſchwatzt und dort fo lange feine Gefühle manövrirt, 
bis er fich überreden läßt, dem Soldaten zu fihreiben, daß er für 
eine fchlechte Sache, eine gottlofe Adminiftration einer veräct- 
lichen Regierung kämpfe, die zu ſchwach fei, ihn zu verhaften und 
zu beitrafen, wenn er defertire. Sch bin der Anficht, daß es in 
einem folchen Falle nicht nur conftitutionell, fondern fogar ein 
Alt der Barmberzigfeit ift, den Agitator zum Schweigen zu brin» 
gen und Dadurch den Soldaten zu retten, 


Das Blatt wendet ſich. 245 





„Wenn ich in diefer Frage über eonftitutionelle Gewalt Unrecht 
babe, fo. liegt mein Irrthum in der Annahme, daß gewiffe Hand- 
lungen conftituttonell find, wenn in Fällen von Rebellion oder 
Invaſion die öffentliche Sicherheit fie erfordert; während fie un- 
eonftitutionell fein würden, wenn im Nichtvorhandenfein einer 
Rebellion oder Invaſion die öffentliche Sicherheit fie nicht er- 
forderte. Mit andern Worten ausgedrüdt ift meine Anficht die, 
daß die Eonftitution in ihrer Anwendung nicht in allen Fällen 
diefelbe it — daß fie in Fällen von Rebellion oder Invaſion, wenn 
die öffentliche Sicherheit gefährdet iſt, nicht dieſelbe ift, wie in 
Zeiten des tiefften Friedens und der öffentlichen Sicherheit. Die 
Conftitution felbft macht diefen Unterſchied; und ich kann ebenfo 
wenig überzeugt werden, daß die Regierung zur Zeit einer Re— 
bellion conftitutionsmäßig Feine firengen Maßregeln. ergreifen 
dürfe, weil fie es in Sriedengzeiten nicht gefeglich thun kann, als 
ich überzeugt werden fann, daß ein befonderes Präparat feine 
gute Arznei für einen Franken Mann fei, weil fie Feine geeignete 
Nahrung für einen Gefunden ift. Ebenfo wenig bin ih im 
Stande, die von der Berfammlung befürchtete Gefahr einzufehen, 
daß durch dieſe militärifchen Verhaftungen während der Rebellion 
das amerifanifche Volk für die ganze unbegrenzte friedliche Zu— 
funft, die, wie ich hoffe, vor ung liegt, feine Rede» und Preffrei- 
heit, feine Gefchwornengerichte und Zeugenverhöre und die Wohl- 
thaten der Habeas Corpus Alte verlieren werde, Ebenſo leicht - 
möchte ich glauben, daß ein Mann während einer Furzen Kranl- 
heit einen fo ftarfen Appetit zu Brechmitteln befäme, daß er jich 
nach hergeftellter Gefundheit fein ganzes Leben lang davon nähe 
ren wollte, 

„Indem ich Ihren Befchlüffen die ernfte Erwägung gebe, um bie 
Sie mich erfuchen, kann ich die Thatfache nicht überfehen, daß die 
Mitglieder der Verfammlung ale „Demokraten“ fprehen. Noch 
kann ich mit gebührender Achtung vor ihrer befannten Intelligenz 
und der reiflichen Heberlegung, mit der fie dieſe Befchlüffe faßten, 
annehmen, daß dies durch bloßen Zufall gejchah, oder daß fie es 
überhaupt vorzogen, fich „Demofraten” zu nennen, anftatt „ame— 
vifanifche Bürger.” Zu diefer Zeit nationaler Gefahr hätte ich 


244 Das Leben Abraham Lincolne. 





Sie lieber eine Stufe über jede Parteiplattform erhaben begrüßt, 
weil ich überzeugt bin, daß wir von diefer erhabeneren Stellung 
aus beffer für das Vaterland, das wir Alle lieben, kämpfen fünn- 
ten, als von jenen niedrigeren Stellungen aus, wo wir Durch Die 
Macht der Gewohnheit, die VBorurtheile der Vergangenheit und 
die felbftfüchtigen Hoffnungen auf die Zukunft fo viel Scharfiinn 
und Kraft vergeuden, um ung gegenfeitig zu tadeln und zu be= 
kämpfen. Sie haben mir diefes Vergnügen verfagt, dennoch aber 
bin ic) um meines Landes willen dankbar, daß nicht alle Demo- 
traten fo gehandelt haben. Der Mann, auf defjen Befehl Mr. 
Ballandigham verhaftet und verhört wurde, ift ein Demokrat, den 
feine alte Parteigenofjenfchaft mit mir verband; und der Richter, 
der die in Ihren Beſchlüſſen ausgedrüdte Anficht über die Con— 
ftitution verwarf und fich weigerte, Mr. Ballandigham auf einen 
Habeas Corpus Befehl freizulaffen, ift ein Demokrat aus beffern 
Tagen und empfing feinen richterlichen Mantel aus den Händen 
des Präfiventen Jadfon. Ja, mehr noch als dies, von allen 
jenen Demofraten, die edelmüthig ihr Leben wagten und ihr Blut 
auf dem Schlachtfelde vergoffen, haben, wie ich pofitiv weiß, Viele 
das gegen Mr, Ballandigham eingefchlagene Verfahren gebilligt, 
während ich nicht hörte, daß auch nur ein Einziger — ver⸗ 
dammte. 

„Die Erwähnung des Präſidenten Jackſon erinnert mich an 
eine Epiſode aus der Geſchichte jener Zeit. Nach der Schlacht 
von New Orleans, als die Thatſache des Friedensabſchluſſes wohl 
in der Stadt bekannt war, jedoch ehe die offizielle Nachricht davon 
angelangt, hielt General Jackſon das Kriegs- oder Militärgeſetz 
noch immer aufrecht. Sebt, da der Krieg vorüber war, wurde 
das Geſchrei über das Kriegsgefeb, das fih von Anfang an erho- 
ben hatte, nachgerade wüthend. Unter Anderem veröffentlichte 
ein gemwiffer Mr, Louiallier einen fcharfen Zeitungsartikel da— 
gegen. General Fadfon ließ ihn verhaften. Ein Advokat, Na— 
mens Morrell, verfchaffte fich vom Vereinigten Staaten Richter 
Hall einen Habeas Corpus Writ, um Mr. Louiallier dadurch zu 
befreien. General Jadfon ließ darauf den Advokaten und den 
Richter verhaften. Ein gewiffer Mr. Hollander nahm ſich her— 


Das Blatt wendet fid. 245 





aus, über die Angelegenheit zu Außern, „es wire eine faule 
Affaire,” General Jackſon ließ ihn ebenfalls verhaften. Als der 
Beamte ihm den Habeas Corpus Writ ferpirte, nahm der General 
denfelben, gab ihm eine Copie davon und fchidte ihn fort. Nach— 
dem er den Richter einige Tage im Gewahrfam gehalten hatte, 
fandte er ihn über die Grenzen feines Lagers hinaus, feste ihn 
in Freiheit und verbot ihm die Rüdfehr, bis die Ratififation des 
Friedens offiziell angekündigt wäre, oder bis die Brittifchen die 
ſüdliche Küfte verlaffen hätten. Es vergingen noch ein paar 
Tage, dann wurde die Ratififation des Friedensabfchluffes offiziell 
verfündigt, und der Richter fammt den übrigen Individuen er» 
bielten ihre völlige Freiheit. Einige Tage darauf ließ der Richter 
General Jackſon vor Gericht laden und erlegte ihm eine Geldbuße 
von 81000 auf, weil er ihn und die Andern verhaftet hatte, Der 
General bezahlte die Strafe, und damit ruhte die Sache faft drei— 
fig Jahre lang, als der Congreß ihm das Kapital jener Summe 
fammt den Intereſſen zurüdzahlte. Der kürzlich verftorbene 
Senator Douglas, damals ein Mitglied des Nepräfentanten- 
hauſes, nahm eifrigen Antheil an den Debatten über diefe Frage 
hinfichtlic der Eonftitutionalität der Suspenfion des Habeas 
Corpus Write, Die Namen Derjenigen, die den Zeitungsberich- 
ten gemäß für die Mafregel ftimmten, find mir gegenwärtig nicht 
im Gedächtniß. 

„Es ließe ſich dabei bemerken: Erfteng, dag wir damals diefelbe 
Conftitution hatten, die wir jet haben; zweitens, daß wir da= 
mals einen Fall von Invafion hatten, während wir jest einen 
Fall von Rebellion haben ; dritteng endlich, Daß das permanente 
Anrecht des Volles auf Die Freiheit der Rede wie der Preffe, auf 
Gejchwornengerichte und Zeugenverhöre, fowie auf die Wohl» 
thaten der Habeas Corpus Akte keineswegs durch das Verfahren 
des General Jackſon oder die nachfolgende Billigung deffelben 
durch den Congreß beeinträchtigt wurde. 

„Irog alledem weiß ich nicht, Ob ich felbft die Verhaftung des 
Mr. Ballandigham angeordnet haben würde oder nicht, Wäh— 
vend ich die Berantwortlichkeit dafür nicht von meinen Schultern 
werfen kann, darf ich wohl behaupten, daß der Commandeur im 


246 Das Leben Abraham Lincolns. 





Felde im Allgemeinen der befte Richter über die Nothwendigfeit 
oder Dringlichkeit irgend eines Falles ſei. Selbſtverſtändlich 
bleibt mir die allgemeine Direktion und Revifionsgewalt in allen 
Fällen vorbehalten. 

„In einem der Beſchlüſſe drückt die Verſammlung die Anſicht 
aus, daß willkürliche Verhaftungen die Wirkung haben werden, 
Diejenigen zu zerſpalten und zu entzweien, welche vereinigt ſein 
ſollten, um die Rebellion zu unterdrücken, und ich werde insbe— 
ſondere darin aufgefordert, Mr. Vallandigham in Freiheit zu 
ſetzen. Ich betrachte dieſes als einen perſönlichen Aufruf an 
mich über die Zweckmäßigkeit der Anwendung einer conſtitutio— 
nellen Macht, die, wie ich glaube, wirklich exiſtirt. Als Erwiede— 
rung auf dieſen Aufruf habe ich zu ſagen, daß ich die Verhaftung 
von Mr. Vallandigham bedauerte — d. h. daß ich die Nothwen— 
digkeit ſeiner Verhaftung bedauerte — und daß es mir großes 
Vergnügen machen wird, ihn in Freiheit zu ſetzen, ſobald ich glau— 
ben darf, daß die öffentliche Sicherheit nicht darunter leide. Und 
ferner ſage ich, daß im Verlauf des Krieges, wie mir ſcheint, die 
Anſichten und Handlungen, die anfangs in großer Verwirrung 
waren, deutliche Geſtalten annehmen und in regelmäßigere 
Kanäle fallen, wodurch die Nothwendigkeit ihrer ſtrengen Be— 
handlung allmälig abnehmen wird. Mein Wunſch iſt, daß dieſe 
Nothwendigkeit ganz und gar aufhören möchte, und nicht gering 
iſt meine Achtung vor den Anſichten und Wünſchen Derjenigen, 
welche gleich den Mitgliedern der Verſammlung zu Albany ihre 
Abſicht erklären, die Regierung in allen conſtitutionellen und ge— 
ſetzlichen Maßregeln zur Unterdrückung der Rebellion zu unter— 
ſtützen. Dennoch muß ich fortfahren zu thun, was ich zur öffent— 
lichen Sicherheit für nothwendig erachten werde, 

Genehmigen Sie ꝛc. 
Abraham Sincoln.” 


Einige Tage fpäter wartete eine Committee von Ohio „Demo— 
kraten“ dem Präfiventen auf und erfuchte ihn um die Zurüdbe- 
rufung Vallandigham’s, den fie zu einem „Märtyrer der Volks— 
rechte” zu erheben fuchten, Herr Lincoln antwortete ihnen mit 


Tas Blatt wendet ſich. 247 





folgender Adreffe, deren ruhiger Sarkasmus nicht der geringfte 
der vielen vortrefflichen Punkte derfelben ift: 


„Waſhington, den 29, Juni 1863. 

„Seine Herren : — Die Befhlüffe der demofratifchen Staats— 
Convention von Ohio, die Sie mir fammt Ihren einleitenden und 
Schlußbemerfungen vorlegten, find ihrem Wefen und Inhalte 
nach beinahe diefelben, wie die Befchlüffe der demofratifchen Ver— 
fammlung zu Albany, New York, und verweife ich Sie daher auf 
meine Beantwortung der legtern hinfichtlich der meiften darin ent« 
baltenen Punfte. 

„Diefe Antwort haben Sie FERN bei dem Entmwurfe 
Shrer Bemerkungen benust, und ich wünſche weiter Nichts, als 
daß diefelbe mit Genauigkeit benußt werde. Bei flüchtiger Durch— 
lefung Ihrer Bemerkungen entdedte ich nur eine einzige Unge— 
nauigfeit in einem Punkte, den Sie, wie ich vermuthe, jenem Pa- 
piere entnahmen. Sie befindet fih an der Stelle, wo Sie fagen: 
„Die Unterzeichneten fünnen nicht mit der von Ihnen ausgefuro- 
chenen Anficht übereinftimmen, daß die Conftitution zur Zeit einer 
Infurrektion oder Invaſion von dem verfchieden fei, was fie zur 
Zeit des Friedens und der Hffentlihen Sicherheit iſt.“ 

„Sin nochmaliger Blif auf jenes Papier wird Ihnen zeigen, 
dag ich feine ſolche Anficht ausdrückte. Ich ſprach die Anſicht 
aus, daß die Conſtitution in ihrer Anwendung in Fällen 
von Rebellion oder Invaſion, die die öffentliche Sicherheit gefähr- 
den, verfchieden fei von dem, was fie zu Zeiten des tiefiten Frie— 
dens und der Hffentlichen Sicherheit ift. Und auf diefer Anficht 
beharre ich, und zwar darum, weil laut der Eonftitution felbft, im 
einen Falle Dinge gethan werden können, die im andern nicht 
ftattfinden Dürfen. 

„Nur ungerne verfchwende ich Worte über einen rein perfünli- 
hen Punkt; allein ich muß Ihnen achtungsvoll verfichern, daß 
Sie ſchlechten Erfolg haben würden, follten Sie fi je um Be- 
weiſe umfehen für Ihre Behauptung, daß ich mich in „öffent- 
lihen Reden der Politif des merifanifchen Krieges widerſetzt 
habe,“ 


248 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Sie fagen: „Selbft wenn diefe Befchränfung der Macht des 
Congreffes, den Habeas Corpus Writ zu fufpendiren, aus der 
Eonftitution geftrichen würde, blieben noch die andern Öarantien 
perfönlicher Freiheit unverändert.“ Ohne Zweifel würden die 
andern Garantien diefelben bleiben, wenn dieſe Klaufel der 
Eonftitution, die Sie, wie mich dünft, unpafjend eine Befchrän- 
tung der Macht des Congreſſes nennen, geftrichen würde. Allein 
es handelt fich nicht darum, wie jene Garantien mit jener Klaujel 
außer der Conftitution ftehen würden, fondern vielmehr, wie fie 
mit der Klaufel in derfelben ftünden im Fall einer Rebellion oder 
Invafion, wodurch die öffentliche Sicherheit gefährdet würde, 
Wenn mit der Austilgung jener Klaufel, dem Buchftaben wie 
dem Geifte nach, die perfünliche Freiheit unangetaftet bliebe, fo 
glaube ich in der That, daß Sie das conjtitutionelle Argument auf 
Shrer Seite hätten. 

„Ich habe meine allgemeinen Anfichten über diefen Punkt in 
meiner Antwort auf die Befchlüffe der Albany Verfammlung aus- 
geſprochen und will fie daher jest nicht wiederholen. Ich will 
nur noch hinzufügen, daß meines Erachtens nah die Wohlthat 
des Habeas Corpus Writs das Hauptmittel ift, wodurch die Ga— 
rantien perfünlicher Freiheit in letzter Inſtanz zur Ausführung 
und Anwendung gebracht werden können. Zur Beftätigung die- 
fer Airficht mag die Thatfache dienen, dag Mr. Ballandigham ge- 
vade im fraglichen Falle, von fähigen Advokaten unterftüßt, nichts 
Anderes wußte, worauf er fich berufen fonnte, als die Habeas 
Corpus Alte. Laut der Conftitution aber kann der Habeas Cor— 
pus Writ felbft fufpendirt werden, wenn in Fällen von Rebellion 
oder Invaſion die öffentliche Sicherheit es erfordern mag. 

„Sie fragen mich indirekt, ob ich wirklich glaube, daß ich fanmt- 
liche garantirten Rechte der Individuen auf den Vorwand, die 
öffentliche Sicherheit zu wahren, mit Füßen treten dürfe, fo oft es 
mir beliebe zu fagen, daß die Hffentliche Sicherheit es erfordere. 
Diefe Frage, all’ der Phrafeologie entkleidet, die darauf berechnet 
ift, mich als einen Mann darzuftellen, der nach willfürlichen per- 
ſönlichen Prärogativen firebt, ift entweder einfach eine Frage, wer 
entfcheiden foll, oder eine Behauptung, daß Niemand entfcheiden 


Das Blatt wendet fid). 249 





— 


fell, was die öffentliche Sicherheit in Fällen von Rebellion oder 
Invaſion erfordere, Die Conftitution betrachtet dies als eine 
Srage, die möglicherweife zur Entfcheidung fommen fünnte, erklärt 
aber nicht ausdrücklich, wer Diefelbe zu entfcheiden habe. Ga er- 
giebt fich von felbft, daß die Entſcheidung von Zeit zu Zeit gege- 
ben werden muß, je nachdem Rebellion oder Invaſion kommt; 
und ich glaube, daß der Mann, den das Volk der Eonftitution 
gemäß zeitweilig zum Oberbefehlshaber feiner Armee und Flotte 
gemacht hat, der Mann ift, welcher die Gewalt ſowohl, wie die 
Berantwortlichfeit hat, die Entjcheidung abzugeben. Wenn er 
dieſe Gewalt auf gerechte Weife ausübt, fo ift es höchſt wahr- 
Icheinlich, daß daffelbe Volk ihn rechtfertigen wird; mißbraucht er 
fie, fo ift er in den Händen des Volkes, dag mit ihm nach der in 
der Eonftitution vorgefehenen Weiſe verfahren kann. 
Der Ernft, mit dem Sie behaupten, daß Individuen zur Zeit 
einer Rebellion nur nach den Regeln des Eriminalverfahrens 
in Friedenszeiten progeffirt werden dürften, veranlaßt mich, der 
Antwort, die ich der Albany Verfammlung über venjelben Punkt 
gab, noch ein weiteres Wort hinzuzufügen. Sie beanfprucen, 
daß übelgefinnte Individuen nach Belieben Denjenigen, deren 
Pflicht «8 ift, eine riefenhafte Rebellion zu befämpfen, Hinverniffe 
in den Weg ftellen dürfen, und daß fie dann gerade fo zu behan- 
dein wären, als eriftirte gar Feine Rebellion. Die Conftitutior 
ſelbſt verwirft diefe Anfiht. Die militärifchen Verhaftungen und 
Einkerkerungen, die vorgenommen wurden, einfchließlich der des 
Mr. Ballandigham, und die dem Prinzip nach von den andern 
nicht verfchieden find, wurden zur Verhütung und nicht als 
Strafe vorgenommen — als Maßregeln, Schaden zu vermeiden 
und den Frieden zu bewahren — daher waren fie, gleich dem an— 
dern Verfahren in ſolchen Fällen und aus ähnlichen Gründen, 
von feiner öffentlichen Anklage (indietment,) feinem Gefchwore- 
nenverhör begleitet; auch folgte in feinem einzigen Falle irgend 
eine Strafe mit Ausnahme der zur Verhütung notbwendigen 
Mafregeln. Das urfprüngliche Urtheil in Mr. Ballandigham’s 
Fall lautete auf Einkerkerung, und dies geſchah Lediglich, um ihn 
zu verhindern, Tem Militirdienft Schaden zuzufügen; die Modi— 


250 Das Leben Abrabam Lincolne. 





fifation diejes Urtheils aber wurde vorgenommen, um ihm die Art 
und Weife der Erzielung diefes Zwedes weniger perſönlich unan— 
genehm zu machen. 

„sch vermag in dem Falle des Mr. Ballandigham Feine dem 
Staate Ohio gebotene Beleidigung zu erbliden. Sicherlich war 
und ift nichts Derartiges beabfichtigt. Ich war der Thatſache 
völlig unfundig, dag Mr. VBallandigham zur Zeit feiner Verhaf— 
tung ein Candidat für die demofratifche Nominarion zum Gou— 
verneursamte war, und erfuhr es erft, als Sie mir die Bejchlüffe 
der Convention vorlafen. Sch bin dem Staate Ohio für Man— 
ches dankbar, namentlich für die tapfern Soldaten und Offiziere, 
die er den Armeen der Union in der gegenwärtigen — der 
Nation gegeben hat. 

„Sie behaupten, wenn ich Sie nicht mißverſtehe, daß ich meinen 
eigenen in meiner Antwort an die Albany Veſammlung geäußer— 
ten Worten gemäß Herrn Vallandigham in Freiheit ſetzen ſollte, 
und zwar weil er, wie Sie ſagen, dem Militärdienſt keinen Scha— 
den zufügte durch Abrathen von freiwilligem Anwerben, oder durch 
Verleitung zum Deſertiren, oder auf irgend eine andere Art; und 
ferner behaupten Sie, daß er laut der jüngſt erlaſſenen — 
akte den Civilbehörden überantwortet werden müßte, wenn er dieſe 
Dinge gethan hätte. Allerdings weiß ich nicht, ob Mr. Val— 
landigham ſpezifiſch und in direkter Sprache von dem freiwilligen 
Anwerben abrieth, oder zum Deſertiren und zum Widerſtand ge— 
gen die Conſcription anrieth. Wir Alle wiſſen, daß vor einigen 
Monaten Combinationen — zum Theil bewaffnete, gebildet wur— 
den, um die Ziehung zu verhindern; daß vor Kurzem erſt ähnliche 
Combinationen entſtanden, um die der Ziehung vorhergehende 
Enrollirung zu vereiteln, und daß derſelbe animus zu einer be— 
trächtlichen Anzahl von Meuchelmorden Veranlaſſung gab. Die— 
ſen Combinationen mußte militäriſche Gewalt entgegen geſetzt 
werden, und dies gab auf's Neue Anlaß zu Blutvergießen und 
Tod, Mit dem Gefühl einer Verantwortlichkeit, die noch gewich- 
tiger auf mir laftet, als die bloße amtliche, erfläre ich nun feierlich 
meinen Ölauben, daß diefe Berhinderung des Militärs, einfchließ- 
lich der Morde und Derfrüppelungen, mehr ala irgend einer an 


Das Blatt wenter ſich. 251 





dern Urfache den Grundſätzen entſprang, die Mr. Vallandigham 
vertheidigte und durchzuführen ſuchte; und daß er perſönlich da— 
für verantwortlicher iſt, als irgend ein anderer Mann. 

„Dieſe Dinge waren Allen bekannt, mithin auch Mr. Vallan— 
digham. Vielleicht habe ich nicht Unrecht, wenn ich behaupte, daß 
ſie von ſeinen ſpeziellen Freunden und Anhängern ausgingen. 
Derſelben vollkommen bewußt, hat er häufig, wenn nicht beſtändig, 
im Congreß und vor Volksverſammlungen Reden gehalten; und 
wenn es bewiefen werden kann, daß er mit diefen Dingen vor 
Augen jemals ein Wort des Tadels über diefelben äußerte, ſo wird 
es in mir fehr günftige Öefinnungen gegen ihn erweden; bis jest 
aber liegt mir nicht der geringfte Beweis davon vor. Da es nun 
befannt ift, daß alle feine Reden dahin zielten, das Volk gegen die 
Führung des Krieges aufzumwiegeln, und daß er angefichts aller 
Hemmungen, die demfelben in den Weg gelegt wurden, auch mit 
feinem Worte von ſolchem Widerftand abrieth, fo ift es faſt un- 
möglich, fich des Schluffes zu enthalten, daß er direlt zu demjelben 
anrieth. 

„Mit allen diefen Dingen vor Augen hat die Convention, die 
Sie repräfentiren, Mr. Ballandigham zum Gouverneur von Ohio 
nominirt, und Sie haben erklärt, daß es Ihre Abficht fei, die Na— 
tional-Union in allen conftitutionellen Maßregeln zu unterftügen ; 
dennoch aber behalten Sie fich felbft die Entſcheidung vor, was con— 
ftitutionelle Maßregeln feien; und ungleich der Albany Verfamm- 
lung unterlaffen Sie anzugeben oder anzudeuten, daß Ihrer Anficht 
nach eine Armee ein conftitutionelles Mittel zur Rettung der Union 
gegen eine Rebellion fei, oder auch nur anzudeuten, daß Sie über- 
haupt von der Eriftenz einer Rebellion, deren erflärter Zweck die 
Zerftörung diefer felben Union ift, Kenntniß haben. Zu gleicher 
Zeit ift Ihr Kandidat für das Gouverneursamt Ihnen und der 
ganzen Welt als ein Gegner des Krieges zum Zwed der Unter- 
drüdung der Rebellion bekannt. Ihre eigene Haltung ermuntert 
daher zum Defertiren, zum MWiderftand gegen die Confeription und 
dergleichen, weil diefelbe Diejenigen, die zum Defertiren oder zum 
Widerſtand gegen die Eonfeription geneigt find, zu dem Glauben 


252 Das Leben Abraham Lincolns. 





verleitet, daß Sie ihnen Schuß gewähren, und zu der Hoffnung, 
daß Sie ſtark genug dazu fein würden, 

„Nach der perfönlichen Unterhaltung, die ich mil Fhnen hatte, 
meine Herren von der Committee, kann ich kaum annehmen, daß 
Sie diefe Wirkung Ihrer gegenwärtigen Haltung wünſchen; allein 
ich verfichere Shnen, daß fowohl die Freunde wie die Feinde der 
Union diefelbe in diefem Lichte betrachten. Sie gewährt dem Feinde 
eine weſentliche Hoffnung und fomit eine wirkliche Stärke. Wenn 
es eine falfche Hoffnung ift, und wenn Sie felbft Willens find, die- 
felbe zu vernichten, fo will ich Fhnen den Weg hierzu außerordent- 
lich leicht machen. Ich fende Ihnen Duplifate diefes Briefes, da⸗ 
mit Sie, oder eine Majorität von Ihnen, wenn dies Ihnen beliebt, 
eines diefer Duplifate mit Ihren Namensunterfihriften indofjirt 
mir zurüdfenden fünnen, wobei ich wohl zu verftehen bitte, daß die 
Unterzeichner fich zu folgenden Propofitionen und zu nichts Anderem 
verpflichten : 

„L. Daß gegenwärtig eine Rebellion in den Vereinigten Staa- 
ten befteht, deren Zwed und Abficht es ift, die National-Union zu 
zerftören, und dag Ihrer Anficht nach eine Armee und eine Flotte 
conftitutionelle Mittel zur Unterdrüdung diefer Rebellion find. 

„2. Daß feiner von Ihnen irgend Etwas thun will, was feinem 
eigenen Urtheil nach die Verſtärkung der Armee und Flotte während 
ihrer Bemühungen zur Unterdrüdung befagter Rebellion verhin— 
dern, deren Schwächung begünftigen und deren Wirkſamkeit irgend- 
wie verringern könnte; und — 

„3. Daß jeder von Ihnen in feinem Wirkungskreiſe fein Mög- 
lichjtes thun will, um die Offiziere, Soldaten und Ceeleute befagter 
Armee und Flotte, fo lange fie mit der Unterdrüdung der Rebellion 
befchäftigt find, zu bezahlen, füttern, kleiden und anderweitig zu ver- 
forgen und unterftügen, 

„Ferner bitte ich Sie zu verftehen, daß ich nach Empfang des 
alfo von Ihnen indoffirten Briefes denfelben veröffentlichen werde, 
welche Beröffentlihung an und für fich felbft eine Zurüdnahme der 
bezüglich Mr. VBallandigham’s erlaffenen Ordre fein fol. 

„Es wird Ihren Bliden nicht entgehen, daß ich die Freilaffung 
Mr, Ballandigham’s auf Bedingungen hin gewähre, die feine Ber- 





Briefe und Reden. 258 





pflichtung von ihm felbft on& Andern enthalten hinfichtlich deſſen, 
was er thun oder nicht thun will. Sch thue Dies, weil er nicht ge— 
genwärtig ift, um für fich felbft zu fprechen oder Andere zu autori- 
firen, für ihn zu fprechen; und ich erwarte Daher, daß er bei feiner 
Rückkehr Feine der Stellung feiner Freunde feindliche Haltung an- 
nehmen wird. Hauptſächlich aber thue ich eg, um andere einfluß- 
reiche Männer von Ohio dadurch zu veranlaffen, ihre Stellung fo 
zu erklären, daß es von ungemeinem Werthe für die Armee fein 
würde —und um auf diefe Art die Folgen eines etwaigen Fehl- 
griffes zu vermeiden, im Falle die Mr. Vallandigham gegebene Er- 
laubniß zur Rückkehr fich als ein folcher erweiſen follte; fo daß, im 
Ganzen genommen, die öffentliche Sicherheit nicht darunter leiden 
wird. Dennoch muß ich in Bezug auf Mr. Ballandigham und 
alle Andern in Zukunft wie in der Vergangenheit thun, was der 
öffentliche Dienft meiner Anficht nach erheifchen mag. 
„Hochachtungsvoll der Shrige, 
| Abraham Fincoln.“ 





Sechzehntes Kapitel. 
Briefe und Reden, 


Rede zu Wafhington — Brief an General Grant — Proklamation für ein 
Dankfeſt — Brief in Bezug auf die Emanripations-Proklamation — Pro- 
klamation für ein jährlihes Dankfet —Dedicationsrede zu Gettysburg. 


Am Abend des 4, Zuli 1863, nachdem viele Bürger von Wafh- 
ington, hocherfreut über die Niederlage der Rebellen zu Gettysburg, 
dem Präfiventen eine Serenade gebracht hatten, drüdte derfelbe 
feine Erfenntlichkeit für das Compliment in folgenden Worten 
„aus: 

„Mitbürger :——€3 freut mich von Herzen, Sie heute Abend hier 
zu fehen, und dennoch will ich nicht fagen, daß ich Ihnen für diefen 
Beſuch danke; allein ich danke von ganzer Seele dem allmächtigen 
Gott für die Beranlafjung, die mir das Vergnügen verfchafft, Sie 
bier zu fehen. Wie lange her ift es—ctliche achtzig Jahre—ſeit 


254 Das Leben Abraham Lincolns. 





am 4. Zuli zum erftenmal in der Rfchichte der Welt eine Nation 
durch ihre Nepräfentanten fih verfammelte und als felbftverftänd- 
liche Wahrheit erflärte, „daß alle Menfchen gleich und frei ge- 
ſchaffen wurden?” Dies war der Tag der Geburt der Vereinigten 
Staaten von Amerifa. Seit jenem Tage fanden verfchiedene eigen— 
thümliche Ereigniffe am 4. Juli ftatt. Die beiden hervorragenditen 
Männer bei dem Entwurf und der Unterftügung der Unabhängig- 
feits-Erflärung waren Thomas Fefferfon und John Adams; der 
Eine hatte fie entworfen, der Andere auf's Eifrigfte bei der Debatte 
unterftügt — fie waren die beiden einzigen jener fünfundfünfzig 
Männer, die das glorreiche Dofument unterzeichneten, welche fpäter- 
hin zu Präfiventen der Vereinigten Staaten erwählt wurden. Ge— 
nau fünfzig Jahre, nachdem fie das Papier unterzeichnet, gefiel es 
dem Allmächtigen, fie an ein und demfelben Tage und faft zu Der- 
felben Stunde von dem Schauplab ihres irdifchen Wirkens hinmeg- 
zunehmen. Dies war in der Ihat ein außerordentliche und merl- 
würdiges Ereigniß in unferer Gefhichte. in anderer Präfivent 
wurde fünf Jahre fpäter an demfelben Tag und Monat hinmegge- 
rufen; und jest, an dieſem legten 4, Juli, inmitten einer gigan- 
tiichen Nebellion, deren Fundamentalbeftreben der Umfturz des 
Prinzips ift, daß alle Menfchen frei und gleich gefchaffen find, haben 
‚ wir die Niederlage einer mächtigen Armee. Und nicht nur das, 
fondern nach einer Reihe von Schlachten, die in Pennfylvanien, fo 
nahe bei ung, und fo raſch hinter einander an drei Tagen gefochten 
wurden, daß man fie eine große Schlacht nennen könnte, nämlich 
am 1., 2. und 3, Juli, fehrten ung die Horden der Gegner jener 
Erklärung, dag alle Menfchen frei und gleich gefchaffen wurden, 
am 4. Zuli den Rüden und flohen. Meine Herren, dies ift ein 
glorreiches Thema und eignet fich trefflich zu einer Rede; allein ich 
bin nicht vorbereitet, eine der Gelegenheit würdige zu halten. ch 
möchte gern zum wohlverdienten Lobe der vielen tapfern Offiziere 
und Soldaten reden, die vom Beginn des Krieges an für Die Sadıe 
der Union und die Freiheit ihres Landes kämpften. Dies find Zei- 
ten der Prüfung—wir hatten Glück und Unglüd. Ich will den 
Namen feines einzigen Offiziers nennen, damit ich Denjenigen nicht 
Unrecht thue, die ich etwa vergeffen möchte, Die Ereigniffe der 





Briefe und Reden. ? 255 





legten Tage haben ung glorreiche Namen, Außerft hervorragende 
Namen gebracht; ich will fie aber nicht nennen. ch vermag nicht 
weiter zu fprechen und will mich noch ein wenig an der Muſik er- 
götzen.“ 

Der folgende, nach der Einnahme von Vicksburg an General 
Grant adreſſirte Brief geſtattet uns einen tiefen Blick in die kry— 
ſtallhelle Offenheit und Aufrichtigkeit des Präſidenten: 

„Exekutiv-Gebäude, Waſhington, den 13. Juli 1863. 
„An Öeneral- Major U. S. Grant. | 

„Mein werthber General: — Ich erinnere mich nicht, daß 
wir ung je perfünlich begegneten. Ich fehreibe Ihnen Diefes aus 
dankbarer Anerkennung des unſchätzbaren Dienftes, den Sie dem 
Zande erwiefen haben. Doc außerdem habe ich ein Wort weiter 
zu fagen. Ale Sie zuerft die Gegend von Vicksburg erreichten, 
dachte ih, dag Sie thun follten, was Sie endlich thaten — mit den 
Truppen um die Landzunge marfchiren, die Batterien mit den 
Transports befördern und anf diefe Art hinabfteigen. Ich hatte 
nie ein großes Vertrauen — höchfteng eine vage Hoffnung, daß Sie 
die Sache beffer verftünden als ich — auf den Erfolg der Yazoo 
Pas Expedition und dergleichen. Als Sie nun hinabfamen und 
Port Gibfon, Grand Gulf und die Umgegend einnahmen, dachte 
ih, Sie follten den Fluß hinabgehen und zu General Banks 
ſtoßen; als Sie dagegen nördlich zogen und üftlich von dem Big 
Black, befürchtete ich, daß Sie einen Irrthum begangen hätten, 
Jetzt wünfche ich Ihnen perfünliche Genugthuung zu geben und 
erkläre unummwunden, daß Sie Recht hatten und daß ich im Un— 


RR „Aufrihtigeper Ihrige, Abraham Fincoln.“ 
Folgende Proklamation erſchien zur Feier der Siege von Vicks— 
burg, Port Hudſon und Gettysburg: 


„Proklamation des Präſidenten der Vereinigten Staaten von 
Amerika, 
„Es bat Gott dem Allmächtigen gefallen, das Gebet und 
Anrufen eines fchwer geprüften Volfes zu erhören und der Armee 
und Flotte der Vereinigten Staaten zu Waſſer und zu Land jo ent- 


256 Das Leben Abraham Lincolns. 





ſchiedene und wirkſame Siege zu verleihen, daß. reichliche Urfache zu 
einer erneuten Hoffnung vorhanden ift, daß die Union diefer- Staa- 
ten gerettet, ihre Konftitution erhalten und Glüd und Gedeihen 
auf die Dauer gefichert werden follen. Allein diefe Siege wurden 
ung nicht ohne große Opfer, ohne zahlreiche Verlufte an tapfern, 
patriotifchen und Ioyalen Bürgern verliehen. Häuslicher Kummer 
folgt in allen Theilen des Landes auf den Spuren diefer furchtba— 
ven Opfer, Es geziemt fih daher, das Walten des Allmächtigen 
anzuerkennen und die Macht feiner Hand in diefen Triumphen ſo— 
wohl wie in diefer Trauer zu verehren. 

„Sei es deshalb Jedermann befannt, daß ich Donnerftag, den 
fechften Tag des Monats Auguft fetfege zu einem Nationaltag des 
Danffageng, Lobpreifens und Gebetes. Und ich erfuche hiermit 
das Volk der Vereinigten Staaten, fih an diefem Zage in feinen 
gewohnten Gotteshäufern einzufinden und dort den Gebräucen 
feiner Religion gemäß der Majeftät des Höchften feine Huldigung 
darzubringen für die wunderbaren Dinge, die er für die Nation 
gethan hat, und feinen Heiligen Geift anzuflehen, die Berftociheit 
zu rühren, die dieſe nutzloſe und graufame Rebellion hervorgerufen 
und fo lange aufrecht erhalten hat; die Herzen der Inſurgenten 
zu ändern; dem Rath der Regierung die Weisheit einzuflößen, die 
für diefe große Nationalprüfung vonnöthen ift; der ganzen Länge 
und Breite unferes Landes nad, allen Denen, die unter den Wech— 
ſelfällen beſchwerlicher Märfche, Seereifen, Schlachten und Belage- 
rungen an Geift und Körper gelitten haben, mit milder Hilfe und 
Troſt zu nahen; und endlich die ganze Nation auf dem Pfad ver 
Neue und Unterwerfung unter den göttlichen Willen zur vollkom— 
menen Union und zum brüderlichen Frieden zurüdzuführen. 

„zum Zeugniß deifen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington, am fünfzehnten Tage des 
Monats Juli, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
dreiundfechzig, und im achtundachtzigften der Unabhängigkeit der 
Dereinigten Staaten von Amerika, 

„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Sincoln.” 
„William 9. Seward, Staatsfekretär.” 


Briefe und Reden. | 257 





Folgender Brief, der im Auguft 1863 als Antwort auf eine 
Einladung zu einer Bolfsverfammlung unbedingter Unionsmänner 
in Illinois gefchrieben wurde, zeigt ung deutlich die Anfichten, Die 
der Präfident zu jener Zeit über feine Emancipations-Proflama- 
tion hegte: 
Wafhington, ven 26, Auguft 1863. 

„Werther Herr:— Ihr Schreiben, worin Sie mich zum 
Beſuch einer am 3. September in der Hauptftadt von Illinois ab» 
zuhaltenden Maffenverfammlung unbedingter Uniongmänner ein» 
Iuden, gelangte in meine Hände. Es würde mir höchſt angenehm 
fein, meine alten Freunde in meiner eigenen Heimath miederzu- 
ſehen; allein es ift mir unmöglich, in dieſen Zeiten fo lange von 
diefer Stadt abwefend zu fein, als ein Befuch bei Ihnen erfordern 
würde, Die Verfammlung fol, wie Sie mir melden, ganz aus 
Männern beftehen, die eine unbedingte Hingebung für die Union 
bewahren, und ich bin verfichert, daß meine alten politifchen Freunde 
e3 mir danken werden, wenn ich den Dank der Nation jenen andern 
edlen Männern darbringe, die fein Parteihaß und feine Parteifucht 
dem Leben der Nation treulos machen kann. Es giebt Leute, Die 
mit mir unzufrieden find. Zu diefen will ich fagen: — Ihr wün— 
fchet Frieden und tadelt mich darum, dag wir ihn nicht haben? 
Wie aber können wir ihn erlangen? Es giebt nur drei denkbare 
Wege hierzu. Der erfte ift, die Rebellion mit Waffengewalt zu 
unterdrüden. Dies verfuche ich zu thun. Seid ihr damit einver- 
ftanden? Wenn fo, dann ftimmen wir überein, Wenn nicht, fo 
giebt es einen zweiten Weg, nämlich die Union aufzugeben, Ich 
bin dagegen, Wenn ihr dafür feid, fo folltet ihr es offen fagen. 
Seid ihr nicht für die Gewalt und auch nicht für die Auflöfung, fo 
bleibt nur noch irgend ein Compromiß übrig, Sch glaube nicht, 
daß irgend ein Compromiß jetzt die Erhaltung der Union herbei- 
führen könnte, Alles was ich höre und fehe, beftärkt mich in diefem 
meinem Unglauben, Die Stärke der Rebellion liegt in ihrem Mi- 
litär, in ihrer Armee. Diefe Armee beherrfcht das ganze Land und 
alle Leute darin. Irgend ein Anerbieten von Bedingungen von 
Männern innerhalb des Gebietes der Rebellen würde fich gegen- 
wärtig * Nichts belaufen, weil ſie nicht die Macht hätten, ihren 


258 Das Leben Abraham Lincolns. 





Theil des Eompromiffes — würde ein folches gemacht — in Ausfüh— 
rung zu bringen. Denkt euch zum Beifpiel, dag Flüchtlinge vom 
Süden und Friedensleute vom Norden fich zu einer Eonvention 
verfammelten, um ein Compromiß zu entwerfen und zu proflami- 
ven, das die Wiederherftellung der Union bezwedte. Wie vermöchte 
dies Compromiß General Lee’s Armee von Pennſylvanien fernzu— 
halten? General Meade’s Armee kann Lee's Armee aus Penn- 
ſylvanien fernhalten und, wie ich glaube, dieſelbe fchließlich ihrer 
ganzen Eriftenz berauben, Kein Papier-Compromiß aber, womit 
Diejenigen, welche General Lee’s Armee controlliven, nicht einver- 
ftanden find, fann diefe Armee auch nur im mindeften beeinfluffen. 
Mit dem Beftreben, ein folches Compromiß zu Stande zu bringen, 
würden wir nur Zeit verſchwenden, die der Feind zu unferem Nach- 
theil benugen würde, und das mwäre Alles. Ein Eompromiß, das 
wirkſam fein fol, müßte entweder mit Denjenigen gefchloffen wer- 
den, welche Die Nebellenarmee controlliren, oder mit dem Volke, das 
erit durch den Erfolg unferer Armee von der Herrfchaft jener Ar- 
mee befreit werden müßte. Sch kann Ihnen nun verfichern, daß 
fein Wort und feine Andeutung von der Rebellenarmee oder den 
Männern, die diefelbe controlliren, hinfichtlich eines Friedens-Com— 
promifjes jemals zu meinen Ohren gelangte. Alle Behauptungen 
oder Andeutungen, daß fie zu einem Compromiß geneigt wären, 
find grundlog und erdichtet, Und ich verfpreche euch, daß, wenn 
je folche Anträge von denfelben gemacht werden follten, ich fie nicht 
verwerfen und vor euch geheim halten werde, Sch erkenne frei an, 
daß ich laut der Conftitution der Vereinigten Staaten der Diener 
des Bolfes bin und daß ich als folcher ihm Rechenſchaft ſchulde. 
Doch laffet uns offen reden. hr feid unzufrieden mit mir wegen 
dem Neger. Ich gebe zu, daß über dieſen Gegenftand eine Mei- 
nungsverfchiedenheit zwifchen euch und mir herrfchen mag. Sch 
wünfche, dag alle Menfchen frei fein möchten, während ihr das 
nicht wünfcht, wie ich vermuthe. Dennoch habe ich noch Feine ein- 
zige Maßregel vorgefchlagen oder adoptirt, Die nicht mit euren eige- 
nen Anfichten übereinftimmt, wenn ihr in der That für die Union 
ſeid. Ich fohlug die compenfirte Emancipation vor, worauf ihr 
antwortetet, dag ihr nicht zum Anfauf ver Neger tarirt zu werden 


Briefe und Reden. 259 





wünfchet. Allein ich wollte nicht, Daß ihr zum Ankauf der Neger 
tarirt würdet, ausgenommen in fo fern, als es euch viel größere 
Taxen erfparen würde, die zur Rettung der Union durch andere 
Mittel unumgänglich nothwendig wären. 

„Euch mißfällt die Emaneipations-Proflamation, und ihr wünfcht 
vielleicht, Daß ich dieſelbe zurücknehme. Ihr fagt, fie ſei uncon- 
ftitutionell,. Sch denke anders darüber. Sch halte dafür, daß die 
Eonftitution dem Oberbefehlshaber in Kriegszeiten das Kriegsgeſetz 
zur Verfügung ftellt. Was ſich nun über die Sache fagen läßt, ift 
einfach Dies, daß die Sklaven Eigenthum find. Herrfchte jemals 
eine Frage darüber, daß nad) dem Kriegsgefeb das Eigenthum des 
Veindes wie des Freundes genommen werden darf, wenn ed von- 
nöthen ift? Und iftes nicht vonnöthen, wenn die Hinwegnahme 
deffelben uns hilft oder dem Feinde ſchadet? Die Armeen aller 
Nationen der Welt zerftören das Eigenthum des Feindes, wenn fie 
es nicht gebrauchen können, und zerfiören fogar ihr eigenes, Damit 
es nicht dem Feind in die Hände fallen möge, Die civilifirten 
Kriegsführenden thun Alles, was in ihrer Macht fteht, um fich ſelbſt 
zu nützen oder dem Feinde zu ſchaden, mit Ausnahme einiger 
Dinge, die als barbarifch oder graufam betrachtet werden. Zu 
diefen Ausnahmen gehört das Niedermegeln befiegter Feinde und 
wehrlofer Männer, Frauen und Kinder, Die Emaneipationg- 
Proffamation nun ift als Geſetz entweder giltig, oder fie ift nicht 
giltig. Iſt fie nicht giltig, fo bedarf fie Feiner Beſchränkung. Iſt 
fie giltig, fo fann fie nicht zurüdgenommen werden, ebenfo wenig 
als ein Todter ind Leben zurüdgerufen werden fann, Einige von 
euch meinen, Die Zurüdnahme derfelben würde günftig für vie 
Union wirken. Warum? Wir hatten über anderthalb Jahre ver- 
fucht, die Rebellion zu unterdrüden, ehe die Proflamation erlaffen 
wurde, und die legten hundert Tage verftrichen unter der ausdrüd- 
lichen Ankündigung, daß diefelbe in Kraft treten würde, wenn bie 
Inſurgenten es nicht Durch ihre Rückkehr zur Pflicht verhinderten, 
Gewiß waren die Refultate des Krieges fo günftig für ung, feit die 
Proflamation erlaffen wurde, als zuvor. Sch weiß, fo gut als 
irgend Jemand die Anjichten Anderer wiffen fann, daß einige der 
Commandanten unferer Armee, denen wir unfere wichtigften Siege 


260 Das Leben Abrabam Lincolns. 





verdanfen, glauben, daß die Emancipationspolitif und die Verwen— 
dung farbiger Truppen der Rebellion die ſchwerſten Schläge verfeg- 
ten, die fie noch erhalten, und Daß wenigfteng einer jener bedeutenden 
Siege nicht hätte gewonnen werden fünnen, wenn wir die ſchwar— 
zen Soldaten nicht gehabt hätten. Einige von den Comman- 
danten, die dieſe Anficht hegen, ftanden nie zuvor in irgend einer 
Beziehung zu den fogenannten Abolitioniften und hatten nie 
mit der Politif der „Schwarz-Republifaner” gemeinfame Sache 
gemacht. Ihre Anfichten find daher rein militärifcher Natur, 
Ich erwähne diefelben hauptfächlich als gewichtige Erwiederungen 
auf die oft erhobenen Einwürfe, daß die Emancipation und Bes 
waffnung der Schwarzen als militärifche Maßregeln fehr unmweife 
amd eigentlich nie als folche vorgenommen worden feien. hr 
fagt, ihr wollet nicht Fampfen, um die Neger zu befreien. Viele 
der Legteren fcheinen willig zu fein, für euch zu kämpfen — doch 
fohweigen wir davon. Kämpfet ihr denn ausfchlieglid, um die 
Union zu retten. Ich erließ die Proflamation, um euch die Ret- 
tung der Union zu erleichtern, Sobald ihr allen Wiverftand ge- 
gen die Union überwunden habt, wird es für euch an der Zeit 
fein, zu erflären, dag ihr nicht kämpfen wollt, um die Neger zu 
befreien — das heißt, wenn ich euch zu fernerem Kampfe anhalten 
follte. In diefem eurem Kampfe für die Union glaubte ich, daß 
in dem Maße, als die Neger aufhörten, dem Feinde zu helfen, der 
MWiderftand der Feinde gegen euch gefchmwächt werden würde. 
Denkt ihr anders? Ich glaubte, je mehr die Neger als Soldaten 
thun würden, defto weniger hätten die weißen Soldaten bei der 
Rettung der Union zu thun. Erfcheint es euch anders? Allein 
die Neger handeln fo gut wie andere Menfchen nah Motiven, 
Warum follten fie irgend Etwas für uns thun, wenn wir nichts 
für fie thun wollen? Wenn fie ihr Leben für uns auf das Spiel 
fegen, fo müffen fie durch das ftärffte Motiv — das Berfprechen 
ihrer Freiheit — dazu angetrieben werden. Und wenn das 
Berfprechen gegeben wird, jo muß es auch gehalten werden. Die 
Zeichen der Zeit bieten indeffen jetzt einen weit günftigeren An- 
blid dar, Der Vater der Gewäſſer rollt unbeläftigt wieder dem 
Meere zu. Dank dafür dem großen Nordweſten. Doc nicht 


Briefe und Reden. 261 





diefem allein, Dreihundert Meilen hinauf finden wir Neu-Eng- 
land, New York, Pennſylvanien und New Jerſey ihren Weg rechts 
und links hauen. Auch ver fonnige Süden lieh ung feine Hand, 
Die Schwarzen fowohl, wie die Weißen halfen dieſen wichtigen 
Erfolg herbeiführen. Es war ein großer National-Triumph, und 
Keiner Darf zurüdgefegt werden, der einen ehrenvollen Antheil 
daran hatte, Wohl dürfen Diejenigen, die den großen Strom 
von den Kebellenhorden fauberten, ftolz auf diefe That fein; doch 
ift Dies noch nicht Alles, Wer kann fagen, daß die Thaten unfe- 
rer Truppen zu Antietam, Murfreesboro, Gettysburg und auf 
andern minder hersorragenden Schlachtfeldern an Tapferkeit 
übertroffen wurden? Auch dürfen Onkel Sam's Schwimmvögel 
nicht vergeffen bleiben. Auf allen Gewäffern waren fie zu finden — 
nicht nur auf der weiten See, der ftattlichen Bat und den reißen- 
den Strömen, fondern auch auf den engen, ſchmutzigen Kanälen — 
und wo fie nur waren, haben fie ihre Spuren zurüdgelaffen, 
Allen ſei Dank für das Geleiſtete. Im Namen der großen Re- 
publif — im Namen der Prinzipien, auf denen fie beruht — im 
Namen zufünftiger Gefchlechter danke ich Allen dafür, Der 
Friede ift nicht mehr fo ferne, wie es ſchien. ch Hoffe, er wird 
bald kommen, und zwar fommen, um zu bleiben; und möge er 
fo fommen, daß er für alle Zufunft des Erhaltens merth ift. 
Dann werden wir bewiefen haben, daß bei freien Männern feine 
erfolgreiche Appellation vom Stimmkaſten an den Krieg ftattfinden 
fann, und daß Diejenigen, welche zu einer folchen Appellation ihre 
Zuflucht nehmen, ihre Sache verlieren werden und obendrein die 
Koften zu bezahlen Haben, Und dann wird es einige ſchwarze 
Männer geben, die fich erinnern werden, daß fie mit ſtummem 
Munde, feſtem Blid und geftedtem Bayonnet der Menfchheit die- 
fen großen Sieg erringen halfen; obwohlich fürchte, daß es weiße 
Leute geben wird, die nicht vergeffen werden, daß fie mit böswil— 
ligem Herzen und gleifnerifcher Rede es zu verhindern fuchten, 
Dennod laßt uns nicht allzu fanguinifh in unfern Hoffnungen 
fein, Laßt uns vielmehr alle Mittel anwenden und unfere ganze 
Kraft aufbieten, um das große Werk zu Ende zu bringen, und 


262 Das Leben Abraham Lincolns. 





hoffen, daß der gerechte Gott zur rechten Zeit unfere Bemühungen 
mit Erfolg krönen werde. 
„Aufrichtig der Ihrige, 
Abraham Fincoln.“ 
Mit der Abficht, die Sitte einzuführen, jedes Jahr einen allge- 
meinen Danf- und Bettag für die ganze Nation feftzufegen, erließ 
Herr Lincoln folgende Proflamation: 


„Proklamation des Prafidenten der Wereinigten Staaten von 
Amerika. 


„Das Jahr, welches fich jebt dem Ende zuneigt, brachte ung 
Gefundheit und reichlihe Ernten. Außer diefen Segnungen, 
deren wir ung fo beftändig erfreuen, dag wir gar leicht die Quelle 
vergeifen, von der fie fommen, wurden ung noch andere befcheert, 
die von fo außerordentlicher Natur waren, daß fie felbft das här- 
tefte und verftoctefte Herz rühren und erweichen mußten. Mitten 
in einem Bürgerkrieg von unerhörtem Umfang, der zumeilen die 
Einmifhung fremder Staaten herbeizuführen drohte, wurde der 
Friede mit allen Nationen erhalten, wurden die Gefete geachtet 
und befolgt, und allenthalben Herrfchte Ordnung und Eintracht, 
ausgenommen auf dem Schauplab des militärifchen Kampfes, 
Während diefer Schauplab Durch die überall vorrüdenden Armeen 
und Slotten der Union bedeutend verringert wurde; während fo 
viele unferer Bürger. Die gewohnten Befchäftigungen frieplicher 
Snduftrie verließen und zur DVertheidigung der Nation herbei 
eilten, wurden die Agrifultur, die Manufaktur und der Handel 
nicht vernachläffigt. Die Art hat die Grenzen unferer Anfied- 
lungen erweitert und die Minen haben ung eine reichlichere Ernte 
an Eifen, Kohlen und Eoftbaren Metallen geliefert, als je, Die 
Bevölkerung hat troß der ungeheuren Kriegsopfer im gewohnten 
Maßſtabe zugenommen und das Land darf, feiner vermehrten 
Kraft und Stärfe bewußt, einer beffern Zufunft entgegen ſchauen. 
Keines Menfchen Geift hat diefe großen Dinge erfonnen; feines 
Menfhen Hand hat fie zu Stande gebracht. Sie find die gnädi— 
gen Geſchenke des höchſten Gottes, der, ob er ung auch um unferer 


Briefe und Reden. 263 





Sünden willen heimfuchte, dennoch mit Barmherzigkeit unfer ges 
dacht hat. 

„Es fcheint mir geziemend, dag das ganze amerikanifche Volk 
mit einem Herzen und einer Stimme diefe großen Wohlthaten 
feierlich, inbrünftig und dankbar anerfenne. Sch erfuche daher 
meine Mitbürger in allen Theilen der Vereinigten Staaten, wie 
auch Diejenigen, welche zur See find oder fich in fremden Landen 
aufhalten, den legten Donnerftag im kommenden November zu 
feiern, um unferm gütigen Vater im Himmel Gebete und Dank— 
fagungen darzubringen. Und ich erfuche fie ferner, daß fie dem 
Höchſten nicht nur für feine gnädige Rettung und feine mannig- 
faltigen Segnungen danken, fondern auch in aufrichtiger Neue ihn 
um Vergebung für unfere Sünden und unfern Ungehorfam an- 
flehen; ſowie auch feiner barmberzigen Fürforge alle Diejenigen 
anempfehlen, die im Laufe des beflagenswerthen Bürgerkrieges zu 
Wittwen, Waifen, Leidenden, Krüppeln und Kranken gemacht 
wurden, und endlich, den Allmächtigen anzuflehen, feine väterliche 
Hand auszuftreden, um die Wunden der Nation zu heilen und 
ung, fobald es feinem göttlichen Willen angenehm ift, zum Frie- 
den, zur Eintracht und Ruhe zurüdzuführen. 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefeßt und das Siegel der Bereinigten Staaten beifügen laffen, 

„Segeben in der Stadt Wafhington am dritten Tage des 
Monats Dftober, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert 
und dreiundfechzig, und im achtundachtzigften der Unabhängigkeit 
der Vereinigten Staaten, 


„Auf Befehl des Präfivdenten: Abraham Fincoln.” 
„Billiam 9 Seward, Staatsſekretär.“ 


Am 19. November 1863 hielt Präfident Lincoln folgende De- 
difationsrede bei der Einweihung eines Nativnal-Gottesaders zu 
Gettysburg, in welchem die Gebeine der tapfern Soldaten beige- 
fett wurden, die während der dreitägigen Schlacht auf dieſer 
Stelle dem Lande ihr Leben zum Opfer gebracht hatten: 


„Bor fiebenundachtzig Jahren gründeten unfere Väter eine 
neue Nation auf diefem Eontinente, die der Freiheit gewidmet fein 


264 Das Leben Abraham Lincolns. 





folle und dem Prinzip, daß alle Menfchen gleich gefchaffen wurden. 
Wir befinden uns jet in einem großen Bürgerfriege, um zu 
erproben, ob diefe Nation oder irgend eine Nation, Die auf dieſem 
Grundſatze ankert, für die Dauer beftehen fann, Wir famen auf 
einem großen Schlachtfelde zufammen. Wir find hier, um einen 
Theil deffelben zur letzten Ruheſtätte Derer einzumeihen, die ihr 
Leben opferten, damit die Nation leben möge, Und wohl geziemt 
es fich, daß wir ihnen diefen legten Dienft erweiſen. 

„Im erhabenften Sinne des Wortes vermögen wir nicht, dieſen 
Grund zu heiligen und einzumweihen. Die tapfern Lebenden und 
Todten, die hier fochten, haben ihn geheiligt und geweiht, und wir 
Tonnen Nichts davon oder Dazu thun, Die Welt wird fih wenig 
um das fümmern, was wir hier fagen, und wird es bald vergeſſen; 
nie aber wird fie vergeffen, was jene Tapfern hier thaten, Es ift 
vielmehr unfere Pflicht, ung felbft zu weihen — nämlich dem un- 
beendigten Werke, das fie bis jest fo edelmüthig fortführten. 
Uns fommt es zu, ung der großen Aufgabe zu widmen, die vor 
und liegt; ung fommt es zu, von den Gräbern der theuren 
Todten bier erneuten Eifer heimzubringen für die Sache, der fie 
ihr Xeben opferten; ung fommt es zu, auf diefer Stätte den hei- 
ligen Eid zu ſchwören, daß diefe Todten nicht umfonft gefallen fein 
follen — daß die Nation mit der Hilfe Gottes die Wiedergeburt 
der Freiheit feiern und Daß diefe volksthümliche Regierung nicht 
untergehen fol.” 





Siebenzehntes Kapitel. 
Der achtunddreißigſte Congref. 


Drganifation des Haufes — Derfchiedene Anfihten in Betreff der Reronftruk- 
tion — Maßregeln für Begnadigung der Rebellen — Amneftie-Prokla- 
mation — 3ahresbotfchaft — Weitere Proklamation. 


Dei der Berfammlung des achtunddreißigften Congreffes am 7. De— 
zember 1863 (jenem Congreß, in deſſen Unterhaufe die Oppofition 
auf eine Majorität gerechnet hatte) fanden die Unterftüger der 


Der achtunddreißigſte Congreß. 265 





Regierung feine Schwierigkeit, ihren Kandidaten zum Sprecher zu 
wählen; ebenfo leicht wurde ihnen die Wahl eines Anti-Sflaverei- 
mannes zum Kaplan, obſchon die Oppofition einen Bifchof der 
Episcopalfirche für Diefes Amt zu nominiren fuchte, der von An— 
fang des Krieges an die Frechheit gehabt hatte, fich zum öffentlichen 
Bertheidiger des fluchwürdigen Zuftitutes der Sklaverei aufzumer- 
fen, das, wie er behauptete, durch Die Grundfäße der chriftlichen 
Religion geheiligt werde, 

Es wurden um jene Zeit Verfuche zur Organifation von Lofal- 
regierungen in den Staaten Tennefjee, Louifiana und Arkanfas 
gemacht. Mit dem Erfolg unferer Waffen fam nun die fehwierige 
Frage hinfichtlich der Principe, nach welchen eine ſolche Reorgani— 
fation ftattfinden follte, 

Einige behaupteten, daß die illoyalen Staaten durch ihre Re— 
bellion zu bloßen ZTerritorial-Drganifationen herabgefunfen feien 
und in diefem Zuftand verbleiben follten, bis fie wiederum in die 
Union aufgenommen würden, 

Andere entgegneten, daß Dies eine faktifche Anerfennung der Se- 
ceffion wäre und behaupteten, daß, was auch die Bewohner eines 
Staates gethan hätten, der Staat felbft, als folcher, ein integriren- 
des Glied der Union bilde und zu allen Privilegien eines folchen 
berechtigt fei, fobald eine genügende Anzahl Ioyaler Bürger das 
Wahlrecht auszuüben verlange, und daß der General-Regierung 
die eonftitutionelle Pflicht obliege, Darauf zu fehen, daß dem Staate 
eine republifanifche Form garantirt werde, Hinfichtlich der hierzu 
genügenden Anzahl Ioyaler Bürger hörte man verfchiedene An— 
fichten, 

Der Congreß hatte durch eine am 17. Juli 1862 approbirte Afte 
beſtimmt: 

„Daß der Präſident hiermit autoriſirt ſei, zu irgend einer Zeit 
durch eine Proklamation ſolchen Perſonen, die in irgend einem 
Staate oder Bezirke deſſelben an der beſtehenden Rebellion Theil 
genommen hatten, Begnadigung und Amneſtie anzubieten, mit 
ſolchen Ausnahmen, zu ſolcher Zeit und auf ſolche Bedingungen 
hin, wie er es für das öffentliche Wohl für zweckmäßig halten mag.“ 

Dieſer Vollmacht gemäß hatte Präſident Lincoln folgende Pro— 


266 Das Leben Abraham Lincolns., 





Hamation erlaffen, aus welcher hervorgeht, daß er fich vor der Welt 
und den unmittelbar betheiligten Perfonen für verpflichtet hielt, 
ftandhaft bei der son ihm inaugurirten Emancipationspolitif zu 
verharren und diefelbe jedem Akt ver Milde als unerläßliche Be— 
dingung vorangehen zu laffen: 

„Sintemalen in und durd die Eonftitution der Vereinigten 
Staaten vorgefehen ift, daß der Präfident „die Macht haben folle 
Degnadigungen für Berbrechen gegen die Vereinigten Staaten zu 
gewähren, ausgenommen in Fällen von Anklagen wegen Hochver- 
raths (impeachment) ;“ 

„Und fintemalen gegenwärtig eine Rebellion befteht, wo— 
durch die Ioyalen Stantsregierungen verfchiedener Staaten auf 
lange Zeit geftürzt wurden, und viele Perfonen fich des Verratheg 
gegen die Vereinigten Staaten ſchuldig ‚gemacht haben; 

„And fintemalen in Bezug auf befagte Rebellion und be- 
fagten Berrath vom Congreß Geſetze gemacht wurden, durch welche 
nach den darin angegebenen Bedingungen die Conftscation des 
Eigenthums und die Befreiung der Sklaven erklärt wurden; und 
durch welche ebenfalls der Präfivent autorifirt wurde, zu irgend 
einer Zeit durch eine Proflamation folchen Perfonen, die in irgend 
einem Staat oder Bezirk deffelben an ver beftehenvden Rebellion 
Theil genommen haben, Begnadigung und Amneftie anzubieten, 
mit folhen Ausnahmen, zu folcher Zeit, und auf ſolche Bedingun- 
gen hin, wie er es für das öffentliche Wohl für zweckmäßig erach- 
ten mag; 

„And fintemalen die congreffionelle Erklärung befchränfter 
und bedingungsmweifer Begnadigung mit der längftbegründeten 
juridifchen Auslegung der Begnadigungsgewalt im Einklang fteht ; 

„And fintemalen der Präfivdent der Vereinigten Staaten 
in Bezug auf befagte Rebellion ſchon verfchiedene Proflamationen 
hinfichtlich der Befreiung der Sklaven erlaffen hat; 

„And fintemalen endlich verſchiedene bisher an befagter 
Rebellion betheiligte Perfonen jet zu ihrer Treue gegen die Ver— 
einigten Staaten zurüdzufehren und miederum loyale Staats— 
cegierungen innerhalb ihrer betreffenden Staaten zu errichten wün— 


ſchen: — 


Der achtunddreißigſte Congreß. 267 





„Deshalb proflamire und erfläre ih, Abraham Lincoln, 
Präfivent der Vereinigten Staaten, füämmtlichen Perfonen, die direkt 
oder indireft an der beftehenden Rebellion Theil genommen haben, 
mit nacherwähnten Ausnahmen, daß ihnen und Jedem von ihnen 
hiermit eine volle Begnadigung gewährt wird, mit Wiedereinfebung 
in alle ihre Eigenthumsrechte, mit Ausnahme der Sflaven und 
folden Eigenthumsrechten, wobei die Rechte dritter Partieen Schuß 
verlangen, und auf die Bedingung hin, daß jede hierdurch begna- 
digte Perfon einen Eid leifte und unterzeichne, und denfelben fortan 
unverlet halte und wahre; welcher Eid zur permanenten Aufbe- 
wahrung regiftrirt werden und folgendermaßen lauten fol, nämlich : 

„Ich, — — ſchwöre hiermit feierlich in der Gegenwart 
des allmächtigen Gottes, daß ich hinfortan die Conſtitution der 
Vereinigten Staaten und die Union der Staaten unter derſelben 
getreulich unterſtützen, beſchützen und vertheidigen will; daß ich 
auf gleiche Weiſe ſämmtliche Congreßakten, die während der be— 
ſtehenden Rebellion in Bezug auf Sklaven paſſirt wurden, aner— 
kennen und getreulich unterſtützen will, ſo lange und inſofern ſie 
nicht durch den Congreß oder durch die Entſcheidung des Ober— 
bundesgerichts zurüdgenommen, modificirt oder annullirt werden; 
und daß ich auf gleiche Weife alle Proflamationen des Präſiden— 
ten, die während der beftehenden Rebellion in Bezug auf die 
Sklaven erlaffen wurden, anerkennen und getreulich unterftügen 
will, fo lange oder infofern dieſelben nicht Durch die Entfcheidung 
des Dberbundesgerichts modifteirt oder annullirt werden. So 
helfe mir Gott !“ 

„Die von den Wohlthaten der vorhergehenden Brake 
ausgefchloffenen Perfonen find alle Diejenigen, welche Eivil- oder 
diplomatifche Beamte oder Agenten der fogenannten Conföderir— 
ten Regierung find oder waren; — alle Diejenigen, welche richter- 
liche Stellungen unter den Vereinigten Staaten verlaffen haben, 
um der Rebellion zu helfen; — alle Diejenigen, welche Militär- 
oder Marineoffiziere der fogenannten Conföderirten Regierung 
über dem Rang eines Oberften in der Armee oder eines Lieute- 
nants in der Marine find oder waren; — alle Diejenigen, welche 
ihre Commiffionen in der Armee oder Marine der Vereinigten 


l 


268 Tas Leben Abraham Lincolns. 





Staaten aufgaben und fpäter die Rebellion unterftüßten; — und 
alle Diejenigen, welche auf irgend eine Weife farbige Perfonen, 
oder weiße Perfonen, die folche unter fich hatten, anders behan- 
delten als rechtmäßige Kriegsgefangene, wenn folche Perfonen als 
Soldaten, Matrofen oder in irgend einer Eigenfchaft im Dienft 
der Bereinigten Staaten geftanden haben, 

„Und ferner proflamire, erkläre und thue ich fund und zu wiffen, 
daß, jobald in irgend einem der Staaten Arkanfas, Teras, Loui- 
fiana, Miffiffippi, Tenneffee, Alabama, Georgia, Florida, Süd- 
Carolina und Nord-Carolina eine Anzahl son Perfonen, nicht 
geringer als ein Zehntel der Anzahl von Stimmen, die in ſolchem 
Staate bei der Präfidentenwahl im Jahre unferes Herrn 1860 
abgegeben wurden, nachdem Jeder den obenerwähnten Eid ge- 
leiftet und denfelben nachher nicht verlegt hat, und von welcher 
Anzahl Jeder ein qualificirter Stimmgeber ift laut des Wahlge- 
feßes, dag unmittelbar vor der fogenannten Seceſſionsakte in dem 
Staate beftanden bat, ausfchlieglich aller andern, eine Staats— 
regierung wiederherftellen wird, die eine republifanifche fein und 
feineswegs dem befagten Eide zumider laufen foll — diefe als die 
wahre Regierung des Staates anerfannt werden und der Staat 
unter derjelben die Wohlthaten der Conftitutionsbeftimmung em— 
pfangen wird, welche erklärt, daß „Die Vereinigten Staaten jedem 
Staate in diefer Union eine republifanifche Regierungsform 
garantiren und jeden derfelben gegen Invaſion beſchützen follen ; 
deegleichen auf Anfuchen bei der Legislatur oder der Erecutive, 
(wenn die Legislatur nicht zufammenberufen werden fann,) gegen 
innere Gemaltthätigfeiten.‘ 

„Und ferner proflamire, erfläre und thue ich Fund und zu wiffen, 
daß irgend eine Beftimmung, die von einer folchen Staatsregierung 
in Bezug auf die, befreiten Farbigen in ſolchem Staate adoptirt 
werden mag, wodurd ihre permanente Freiheit erklärt und aner- 
fannt und für ihre Erziehung geforgt wird, und die dennoch als 
temporäres Arrangement mit deren gegenwärtigem Zuftand als eine 
arbeitende, landlofe und heimathlofe Klafje nicht unvereinbar ift — 
feinen Einwand von Seiten der National-Erekutive finden foll. 
Und es wird hiermit als nicht ungeeignet vorgefchlagen, daß bei der 


Der achtunddreißinfte Congreß. 269 





Errihtung einer loyalen Staatsregierung in irgend einem Staate 
der Name des Staates, deffen Grenzen, Unterabtheilungen, Eon 
ftitution und allgemeines Geſetzbuch beibehalten werden, wie vor 
der Rebellion; vorbehaltlich ſolcher Modifikationen nur, wie fie bei 
den obenerwähnten Bedingungen nothwendig erfcheinen, und fol- 
chen andern, wie fie den mit der Bildung der neuen Stanteregierung 
Betrauten zwedmäßig erfcheinen mögen, fofern fie befagten Be— 
dingungen nicht zumiderlaufen. 

„Am Mißverftändniffen vorzubeugen, mag es geeignet fein zu 
fagen, daß dieſe Proflamation, fomeit fie fich auf Staatöregierungen 
bezieht, feine Anwendung auf diejenigen Staaten hat, in welchen 
bisher ftets loyale Staatsregierungen beftanden haben. Aus dem- 
felben runde mag es geeignet fein, weiter zu fagen, daß die Ent- 
fheidung, ob Mitglieder, die von irgend einem Staate zum Con— 
greß gefandt werden, conftitutionell zu Siten berechtigt find, aus— 
fchlieglich den betreffenden Häufern des Congreffes, keineswegs aber 
der Erefutive zufteht. Ferner, daß durch dieſe Proflamation beab- 
fichtigt wird, dem Volke der Staaten, in welchen die National- 
Autorität fufpendirt war und die Ioyalen Staatsregierungen ge— 
ftürzt worden waren, einen Plan vorzufchlagen, nach welchem die 
National-Autoriät und die Ioyalen Staatsregierungen innerhalb 
der befagten Staaten oder irgend einem derfelben wieder hergeftellt 
werden können; und während der vorgefchlagene Plan der befte ift, 
den der Präfident gegenwärtig vorzufchlagen weiß, es keineswegs 
fo zu verftehen ift, als ob fein anderer Plan annehmbar wäre. 

„Öegeben unter meiner Hand in der Stadt Wafhington am 
achten Tage des Monats Dezember, A. D. 1863, und im acht— 
undactzigften der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von 


Amerila. Abraham Fincoln.“ 


Am 9. Dezember überſandte der Präſident dem Congreß ſeine 
Jahresbotſchaft, die wir mit Auslaſſung einiger Stellen yon ge— 
ringem und nur temporärem Intereſſe nachftehend mittheilen: 

„Mitbürger vom Senat und Veprafentantenhaus der Pereinig- 
ten Staaten: — Abermals ift ein Jahr der Gefundheit und reich» 
licher Ernten verfloſſen. Dafür, insbefondere aber für den beſ— 


270 Das Leben Abraham Lincolns. 





fern Zuftand unferer National-Angelegenheiten, gebührt unfere 
erneute und tiefe Dankbarkeit dem allgütigen Gott. 

„Mit den auswärtigen Mächten verblieben wir in Frieden und 
Freundſchaft. 

„Die Bemühungen illoyaler Bürger der Vereinigten Staaten, 
ung in auswärtige Kriege zu verwickeln, um ihrer nichtzuentſchul— 
digenden Inſurrektion dadurch Borfchub zu leiſten, haben fich 
erfolglos erwiefen., Die Regierung ihrer brittanifchen Majeftät 
hat, wie billig zu erwarten ftand, ihre Autorität angewendet, um 
den Abgang einer neuen feindlichen Erpedition aus brittifchen 
Häfen zu verhindern. Auch der Kaifer der Franzofen hat durch 
ein gleiches Verfahren die Neutralität, die er zu Anfang des Krie- 
ges proflamirte, prompt aufrecht erhalten. Sehr gemwichtige und 
fchwierige Fragen entitanden in Betreff der Blodade und anderer 
friegerifcher Operationen zwifchen diefer Regierung und einigen 
jener Seemächte; fie wurden jedoch mit Aufrichtigfeit, Gerechtig- 
teit und gegenfeitigem Wohlwollen beiprochen und fo weit mie 
möglich beigelegt. Befonders befriedigend ift es, daß unfere 
Prifengerichte fich durch die Unparteilichkeit ihres Verfahrens die 
Achtung und das Vertrauen der Seemächte erwarben. 

„Der Supplementaryertrag zwifchen den Vereinigten Staaten 
und Großbrittanien zur Unterdrüdung des afrilanifchen Sklaven- 
handels, der am 17. Februar dieſes Jahres gefchloffen wurde, ift 
ratifieirt und in Ausführung gebracht worden. Man darfanneh- 
men, daß jenem unmenfchlichen und abfcheulichen Schacher ein 
Ende gemacht worden ift, wenigftens fo weit es amerifanifche Hä— 
fen und amerifanifche Bürger anbelangt. . : » .» 

„Gewiſſe Vorkommniſſe während des gegenwärtigen Bürgerfrie- 
ges lenkten meine Aufmerkffamfeit auf den unfihern Zuftand in- 
ternationaler Fragen in Bezug auf die Rechte der Ausländer in 
diefem Lande und die Rechte der DBereinigten Staaten Bürger 
im Auslande. Einigen Regierungen gegenüber find diefe Rechte 
wenigftens theilmeife durch Verträge deſtnirt. In keinem derfel- 
ben indeffen ift es ausdrücklich ftipulirt, daß im Falle eines Bür— 
gerfrieges ein Ausländer, der in diefem Lande innerhalb der Linien 
der Fnfurgenten wohnt, erimirt fein folle von der Regel, die ihr 


Der ahtunddreißigfte Congreß. 271 





zu einem Kriegführenden (belligerent) macht, zu deſſen Gunſten 
die Regierung ſeines Landes keine Privilegien oder Immunitäten 
beanſpruchen kann. Ich bedaure indeſſen, ſagen zu müſſen, daß 
ſolche Anſprüche wirklich gemacht worden ſind, und zwar in meh— 
reren Fällen zu Gunſten ſolcher Ausländer, die den größern Theil 
ihres Lebens in den Vereinigten Staaten zugebracht haben. 

„Es läßt ſich mit Grund annehmen, daß viele im Auslande ge— 
borene Perſonen, die ihre Abſicht erklärt haben, Bürger zu werden, 
oder bereits völlig naturaliſirt worden ſind, ſich dem ſchuldigen 
Militärdienſt entzogen, indem ſie die Thatſache leugneten und da— 
durch der Regierung die Nothwendigkeit auferlegten, den Beweis 
zu liefern. Aus Mangel an den nöthigen Auskunftsmitteln 
wurde es ſehr ſchwer, wo nicht gar unmöglich, den Beweis zu 
liefern. Dieſem Uebelſtande ließe ſich vielleicht dadurch abhelfen, 
daß die Clerks der Gerichtshöfe, in welchen die Erklärung abgege— 
ben oder die Naturaliſation vorgenommen wird, angehalten wür— 
den, eine periodiſche Liſte der Namen naturaliſirter Perſonen oder 
ſolcher, die ihre Erklärung abgaben, Bürger werden zu wollen, an 
den Sekretär der innern Angelegenheiten zu ſenden, in deſſen De— 
partement dieſe Namen arrangirt und zur allgemeinen Auskunft 
gedruckt werden könnten. 

„Desgleichen läßt es ſich mit Grund vermuthen, daß Auslän— 
der häufig Bürger der Vereinigten Staaten werden mit der ein— 
zigen Abſicht, ſich den ihnen durch die Geſetze ihrer Geburtsſtaaten 
auferlegten Pflichten zu entziehen, wohin ſie ſofort nach erfolgter 
Naturaliſation zurückkehren, und obſchon ſie nie wieder nach den 
Vereinigten Staaten kommen, dennoch als Bürger den Schutz 
dieſer Regierung in Anſpruch nehmen. Aus dieſem Mißbrauche 
ſind ſchon viele Streitigkeiten entſtanden, daher ich denn den Ge— 
genſtand Ihrer ernſten Betrachtung empfehle. Es dürfte vielleicht 
rathſam erſcheinen, eine Periode feſtzuſetzen, nach deren Verlauf 
kein im Auslande wohnender Bürger der Vereinigten Staaten 
auf den Schutz ſeiner Regierung Anſpruch machen kann. 

„Das Stimmrecht wurde häufig von Ausländern in Anſpruch 
genommen und ausgeübt, und zwar unter Vorgabe der Naturali— 
fation, die ſie ſpäter leugneten, als fie zum Militärdienſt conſeri— 


272 Das Leben Abraham Lincolns. 





birt wurden, Sch empfehle Ihnen die Zweckmäßigkeit eines fol- 
chen Amendments des Gefehes, dag dadurch die Thatfache des 
Stimmgebens jeden Anſpruch auf Eremption vom Militärvienfte 
oder andern Bürgerspflichten auf Grund ausmwärtiger Geburt 
(alienage) hin prompt befeitigen würde, . . . » 

„Der Zuftand der verfchiedenen organifirten Territorien ift im 
Allgemeinen befriedigend, obfehon die Störungen durch Indianer 
in Neu-Meriko noch nicht gänzlich unterdrüdt worden find. Die 
mineralifchen Schäße von Colorado, Nevada, Idaho, Neu-Meriko 
und Arizona ermweifen fich bei Weiten reicher, als bisher angenom- 
men wurde. Sch unterbreite Ihnen eine Mittheilung über diefen 
Gegenftand von dem Gouverneur von Neu-Mexiko. Wiederholt 
empfehle ich Ihrer Betrachtung die Zwedmäßigfeit der Annahme 
eines Syſtems zur Aufmunterung der Einwanderung, Obſchon 
diefe Duelle des Nationalreichtbums und der Stärke ergiebiger 
und freier fließt, ala mehrere Jahre vor der Inſurrektion, fo zeigt 
fich dennoch dafelbft ein großer Mangel an Arbeitern in jenem 
Felde der Induftrie, namentlich aber in ver Agrifultur und in 
unfern Minen — fowohl den Kohlen- und Eifen-Minen, wie 
denjenigen, die ung edle Metalle fpenden. Während fih nun der 
Bedarf an Arbeitern mit jedem Tage bedeutend fteigert, drängen 
fih Zehntaufende von armen Perfonen, die ohne lohnende Be— 
fhäftigung find, um unfere auswärtigen Confulate und erbieten 
fich zur Auswanderung nach den Vereinigten Staaten, falls ihnen 
eine mefentliche, allein fehr billige Unterftügung dazu geboten 
würde. Es ift leicht zu fehen, daß unter der fcharfen Disciplin 
des Bürgerfrieges Die Nation ein neues Leben beginnt, Diefes 
edle Streben verlangt Hilfe und follte die Aufmerkfamfeit und 
Unterftüßung der Regierung erhalten, 

„Es mag vorgefommen fein, daß ohne Wiffen und Willen der 
Regierung in einigen Fallen den Unterthanen oder Bürgern aus— 
wärtiger Länder von Perfonen im Dienfte der Vereinigten Staa- 
ten zu Waffer oder zu Land ein Unrecht zugefügt worden if. Da 
diefe Regierung von andern Mächten Genugthuung verlangt, 
wenn Bürgern der Vereinigten Staaten von Perfonen in ihrem 
Dienste auf ähnliche Art ein Unrecht zugefügt wird, fo müjfen wir 


Der achtunddreißigſte Congreß. 273 





bereit ſein, Ausländern Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. Wenn 
die beſtehenden Gerichtshöfe zu dieſem Zwecke unzureichend ſind, 
ſo könnte ein Spezialgericht autoriſirt werden, derartige Anſprüche, 
die unter den beſtehenden Verträgen und dem Völkerrechte erhoben 
werden, zu unterſuchen und zu entſcheiden. Conventionen zur 
Aburtheilung über Anſprüche durch eine gemeinſame Commiſſion 
wurden einigen Regierungen vorgeſchlagen; bis jetzt aber iſt von 
keiner derſelben eine definitive Antwort hierüber eingegangen. 

„Wahrſcheinlich werde ich mich im Laufe dieſer Sitzung veran— 
laßt ſehen, Sie zu erſuchen, für die Entſchädigung ſolcher An— 
ſpruchmachenden Beſtimmung zu treffen, denen durch Admirali— 
tätsgerichte Schadenerſatz zuerkannt wurde; desgleichen in andern 
Fällen, wo dieſe Regierung haftbar geworden ſein mag und wo 
der Betrag dieſer Haftbarkeit durch nichtformellen ſchiedsrichterli— 
chen Ausſpruch feſtgeſtellt wurde. 

„Die betreffenden Beamten des Schatzamtes ſahen ſich veran— 
laßt, dem Geſetz der Vereinigten Staaten über dieſen Gegenſtand 
gemäß, dem Einkommen auswärtiger Conſuln in dieſem Lande 
eine Taxe aufzuerlegen. Während dies im ſtrengen Sinne des 
Wortes keine Verletzung des öffentlichen Geſetzes oder irgend 
eines beſtehendes Vertrages zwiſchen den Vereinigten Staaten 
und einer fremden Nation ſein mag, wird die Zweckmäßigkeit einer 
Modifikation der Akte inſofern, als dadurch das Einkommen ſol— 
cher Conſuln von der Taxe eximirt würde, welche nicht Bürger 
der Vereinigten Staaten ſind und deren Einkünfte von den Emo— 
lumenten ihrer Aemter oder ihres nicht innerhalb der Vereinigten 
Staaten gelegenen Eigenthums herrühren, Ihrer ernſten Erwä— 
gung empfohlen. Ich mache dieſen Vorſchlag auf den Grund 
hin, daß eine Comität, die erwiedert werden ſollte, unſere Conſuln 
in allen Ländern bis zu oben erwähntem Umfang von der Taxation 
eximirt. Die Vereinigten Staaten ſollten, meine ich, nicht aus— 
nahmsweiſe illiberal fein gegen den internationalen Verkehr und 
Handel, 

„Die Operationen des Schabamtes wurden während des lebten 
Jahres äußerſt erfolgreich betrieben, Die Paffirung eines Na- 
ar ii durch den Congreß hat ſich ala eine werthvolle 


274 Das Leben Abraham Lincolns. 





Aufrechterhaltung des Hffentlichen Credits erwiefen; und die all— 
gemeine Legislation in Bezug auf Anlehen entfprach vollfommen 
allen gehegten Erwartungen. Es bedarf vielleicht einiger Amend— 
ments zur Vervollkommnung beftehender Geſetze; Doc, ift Feine 
Aenderung in den Örundfähen oder der allgemeinen Tragweite 
derfelben erforderlich. 

„Seit diefe Maßregeln in Operation getreten find, wurde fammt- 
lichen Anforderungen an das Schabamt, einfchlieglich der Bezah— 
lung der Armee und Marine, auf das Promptefte Genüge geleiftet. 
Keine beträchtliche Truppenanzahl wurde je hinreichender verforgt 
und liberaler und pünflicher bezahlt; und ich darf wohl hinzufü- 
gen, daß fein Volk jemals die Bürden eines großen Krieges wil- 
liger getragen hat. 

„Die Einnahmen von fämmtlichen Quellen, einfchließlich der 
Unlehen und der Bilanz vom lebten Jahre beliefen ſich während 
des Jahres auf $901,125,674.86, und die Gefammt-Ausgaben 
auf 8895,796,630.65; verblieb fomit am 1. Zuli 1863 eine Bi- 
lan; von $5,329,044,21.— Bon den Einnahmen famen auf Zölle 
$69,059,642.40; auf innere Revenuen $37,640,787.95 5; auf di- 
vefte Taren $1,485,103.61; auf Ländereien $167,617.17; auf 
verfchiedene Quellen $3,046,615.35 5; und auf Anlehen $776,682,- 
361.575 woraus fich das Aggregat ergiebt von $901,125,674,86, 
Bon den Ausgaben famen auf den Civildienſt $23,253,922,08; 
auf Penfionen und Indianer $4,216,520.79;5 auf die Intereffen 
der öffentlichen Schuld $24,729,846.51; auf das Kriegsdeparte- 
ment $599,298,600,83 5; auf das Marine-Departement $63,211,- 
105,27; auf die Bezahlung fundirter und temporärer Schulden 
$181,086,635.07 5; woraus fich das Aggregat ergiebt von 8895, 
796,630.65 und der Schablammer eine Bilanz verbleibt son 
85,329,044. 21. — Die Zahlung fundirter und temporärer Schul- 
den indeffen muß als rein nominelle Zahlung betrachtet werden, 
da fie mit Geldern gemacht wurden, die während des Jahres ge— 
borgt worden waren; desgleichen find die zu dDiefem Zwede erborg- 
ten Gelder als rein nominelle Einnahmen zu betrachten; der 
Betrag derfelben von $181,086,685.07 muß fomit von den Ein- 
nahmen wie von den Ausgaben abgezogen werden, Und damit 


Der achtunddreißigſte Congreß. 275 


beliefen ſich die wirklichen Einnahmen auf 8720,089,039,79 und 
die wirklichen Ausgaben auf $714,709,995,58; die Bilanz bliebe, 
wie oben erwähnt, 

„Die wirklichen Einnahmen und Ausgaben für das erfte Quar- 
tal und die veranfchlagten Einnahmen und Ausgaben für die 
übrigen drei Quartale des gegenwärtigen Siscaljahres 1864 wer— 
den Sie im Detail aus dem Berichte des Schatzſekretärs erfehen, 
auf den ich mir Ihre Aufmerkfamkeit zu lenken erlaube. Es ge- 
nüge hier zu fagen, daß nach meinem Ermeffen die wirklichen 
Refultate dem Lande den Zuftand der Finanzen nicht minder 
günftig erfcheinen laffen werden, als die früher veröffentlichten 
Aeftimate jenes Beamten; während ich mit Zuverfiht behaupten 
darf, dag am Ende des Jahres ſowohl die Ausgaben, wie die 
Schuld fich beträchtlich geringer ermeifen werden, als gewöhnlich 
angenommen wird. 

„Der Bericht des Kriegsfefretärs ift ein Dokument von großem 
Intereſſe. Er enthält: | 

„I. Die militärifchen Operationen während des Jahres, nach 
dem Berichte des Ober-Generals. 

„2. Die Organtfation farbiger Perfonen für den Kriegsdienft, 

„3. Die Auswechslung der Gefangenen nach dem Briefe des 
General Hitcheod. 

„4. Die Operationen unter der Alte zum Enrolliren und Auf- 
gebot der National-Truppen, nach dem Berichte des General— 
Profog-Marfchalls. 

„d+ Die Drganifation des Invaliden-Corps; und 

„6. Die Operationen der verfchiedenen Departements des Ge- 
neral-Duartiermeifters, des General-Commiffärs, des General- 
Zahlmeifters, des Ingenieur-Chefs, des Ordinanz-Chefs und des 
Seneral-Wundarztes, 

„Es erwies ſich als unmöglich, einen werthvollen Auszug aus 
diefem Berichte zu machen, ausgenommen einen ſolchen, der für 
dieſe Botfchaft allzu umfangreich fein würde, und deshalb begnüge 
ich mich damit, Ihre Aufmerkfamfeit auf den Bericht felbft zu 
lenken. 

„Die Pflichten, die während des Jahres und in der That wäh— 





276 Das Leben Abraham Lincolns. 





rend des ganzen unglüdfeligen Krieges dem Marinezweig des 
Dienftes oblagen, wurden getreulich und höchft erfolgreich ausge— 
übt, Die ausgedehnte Blodade hat ftets an Wirkſamkeit zuge» 
nommen, und die Flotte wurde bedeutend vermehrt; dennoch war 
es bei dem ungeheuren Umfang unferer Küfte unmöglich, den 
ungeſetzlichen Handel gänzlich zu unterdrücken. Aus den im 
Marinedepartement eingegangenen Berichten ergiebt es fich, daß 
feit dem Beginne der Blodade mehr als eintaufend Schiffe einge» 
fangen wurden, und daß der Werth der jetzt fchon zur Abur- 
theilung eingefandten Prifen über dreizehn Millionen Dollars 
beträgt. 

„Die Marine-Force der Vereinigten Staaten befteht gegenmwär- 
tig aus fünfhundert und adhtundadhtzig Schiffen, theils vollftändig, 
theils der Vollendung nahe, und von diefen find fünfundfiebzig 
Eiſen- oder Panzerſchiffe. Die Ereigniffe des Krieges geben der 
Marine ein erhöhtes Intereffe und eine Bedeutung, die fie wahr- 
fheinlich für immer behalten wird. 

„Die Panzerfchiffe unferer Marine, die bereits vollendet und im 
Dienfte find, oder fich im Contraft befinden und der Vollendung 
entgegen ſehen, überfteigen an Zahl, wie ich glaube, die irgend 
einer andern Nation, Während wir ung nun aber in Bezug auf 
Hafenvertheidigung und Küftendienft auf diefe verlaffen dürfen, 
werden andere von größerer Stärke und Capacität nothwendig 
fein, um unfere Stellung auf dem Meere zu behaupten. 

„Die Aenderung, die die Einführung des Dampfes als Beweg- 
fraft für Kriegsfchiffe in den Marinefchiffen und im Marine- 
Kriegsdienft bewirkt hat, verlangt entweder eine entfprechende 
Aenderung unferer beftehenden Marine» Schiffsbauhöfe (Navy 
Yards,) oder die Etablirung neuer, um die Erbauung und noth— 
wendige Reparatur moderner Marinefchiffe zu erleichtern. Nicht 
geringe Verzögerung, Berlegenheit und öffentlicher Nachtheil ent- 
fprangen dem Mangel an folden RegierungssEtabliffements, 
Die Nothwendigfeit eines ſolchen Schiffbauhofs an einem geeig- 
neten Plage an der atlantifchen Seefüfte wurde dem Congreß 
fhon zu wiederholten Malen vom Marinedepartement vorgeftellt 
und wird in dem hier beifolgenden Berichte des Sekretärs auf's 


Der achtunddreißigſte Congreß. 277 





Neue Fhrer.ernftlihen Beachtung anempfohlen. Ich erachte es 
für meine Pflicht, Ihre befondere Aufmerkfamfeit auf diefen Punkt 
zu lenken, wie auch auf die Wichtigkeit der Etablirung einer Navy 
Yard und eines Depots für Marinezwede an einem der weftlichen 
Flüſſe. Innerhalb weniger als zwei Jahren wurde unter vielen 
Schwierigkeiten auf diefen Inlandgewäſſern eine Marine-Force 
gefchaffen, die an Anzahl die gefammte Seemacht des Landes beim 
Beginn der gegenwärtigen Aominiftration überfteigt. So befrie- 
Digend und wichtig die Thaten der heroifchen Männer unferer 
Marine während Diefer intereffanten Periode waren, find fie kaum 
mehr wunderbar, als die Erfolge unferer Mechaniker in der Pro- 
duftion von Kriegsfchiffen, die im Marinedienft Epoche machten, 

„Bir haben einen bedeutenden Vortheil vor andern Nationen 
in unfern Reffourcen an Eifen und Bauholz, nebft unerfchöpflichen 
Lagern von Brennmaterial in der unmittelbaren Nähe Beider, 
und dies Alles in der Nachbarſchaft fchiffbarer Flüffe. Ohne den 
Bortheil öffentlicher Anftalten wurden die Hilfsquellen der Nation 
entwidelt und ihre Macht in der Schöpfung einer fo umfangreichen 
Marine entfaltet, die faft im Augenblid ihres Entſtehens der 
Union fo bedeutende Dienfte leiftete. 

„Die Vermehrung der Anzahl von Seeleuten im öffentlichen 
Dienfte von fiebentaufend fünfhundert Mann im Frühjahr 1861 
bis zu ungefähr vierunddreißig Taufend im gegenwärtigen Au— 
genblid gefhah ohne befondere Legislation oder außerordentliche 
MWerbegelder (bounties) zur Beförderung diefes Zweckes. Es hat 
fich indeffen herausgeftellt, daß die Operation der Eonfeription 
nebft den hohen Summen son Werbegeldern, die den Armee-Re- 
fruten ausbezahlt werden, bereits anfangen, einen fehr nachtheili« 
gen Einfluß auf den Marinedienft auszuüben und, wenn dem 
Mebelftande nicht abgeholfen wird, die Wirkfamfeit deffelben be— 
deutend fchwächen werden, indem die Seeleute ihren geeigneten 
Dienft verlaffen und fih für die Armee anmwerben laffen. Ich 
fhlage daher vor, daß der Eongreß fowohl den Armee- wie den 
Marinedienft durch eine befondere Beftimmung über diefen Ge- 
genftand unterftüge und dadurch den fpeziell betheiligten Commu— 
nen gerecht werde, 


278 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Sch empfehle Ihrer Beachtung die Vorfchläge des Marinefe- 
fretärs in Bezug auf die Politik der Heranbildung von Seeleuten, 
fowte der Erziehung von Offizieren und Ingenieurs für den Ma— 
rinedienſt. Die Marine-Akademie leiftet wichtige Dienfte, indem 
fie Midſhipmen für die äußerft verantwortlichen Pflichten vorbe— 
reitet, die fie fpäter in ihrem Leben zu verrichten haben. Damit 
das Land der geeigneten Quota gebilveter Offiziere nicht beraubt 
werde, wofür in der Marine-Afademie gefebliche Beftimmung ge— 
troffen ward, wurden die durch Bernachläffigung oder Verſäumniß 
der in Inſurrektion befindlichen Staaten verurfachten Bacanzen 
durch den Marinefefretär ausgefüllt. Diefe Schule ift jebt zahl- 
reicher und vollftändiger, als zu irgend einer früheren Periode, 
und in jeder Hinficht zu der günftigen Berüdfichtigung feiteng des 
Congreſſes berechtigt. 

„Während des verfloffenen Fisfaljahres war der finanzielle Zu— 
ftand des Poftamtdepartements ein äußerſt erfreulicher, und es ge- 
reicht mir zum Vergnügen, fagen zu können, daß die wirklichen 
Poftrevenuen beinahe die gefammten Ausgaben dedten. Lebtere 
beliefen fich auf $11,314,206.84, und erftere auf $11,163,789.59; 
verblieb fomit ein Defteit von nur $150,417.25. Im Jahr 1860, 
dem der Rebellion unmittelbar vorhergehenden Jahre, betrug das 
Defieit $5,656,705.49; die Pofteinnahmen jenes Jahres waren 
$2,645,722,19 weniger als die von 1863. Die Abnahme in dem 
jährlichen Transportbetrag feit 1860 machte nur etwa fünfund- 
zwanzig Prozent aus, während die jährlichen Ausgaben um fünf« 
unddreißig Prozent verringert wurden. Hieraus erhellt, daß das 
Poftamtvepartement in wenig Jahren, felbft nach Wiederherftellung 
des gefammten Dienftes, fich felbft zu erhalten im Stande fein wird. 

„Die Quantität der während des lebten Fisfaljahres und des 
erften Quartals des laufenden veräußerten Ländereien, mar 
3,841,549 Ader, wovon 161,911 Ader gegen Baar verfauft, 
1,456,514 Ader unter dem Heimftätte-Gefeg in Empfang genom- 
men und der Reft weggegeben wurden nach den Gefeben, die Län— 
dereien als „Bounties“ für Rekruten beftimmten, desgleichen für 
Eifenbahnen und zu andern Zwecken. Auch der Berfauf öffent» 
Ticher Ländereien feheint im Zunehmen begriffen zu fein, 


Der achtunddreißigſte Congreß. | 279 





„Es war feit langer Zeit die Anſicht mancher unferer meifeften 
Staatömänner, das das Volk der Vereinigten Staaten ein höheres 
und dauernderes Intereſſe an der frühen Anfievlung und fubftan- 
tiellen Eultivation der öffentlichen Ländereien habe, als an dem 
Betrag der direkten Nevenuen, die aus dem Verkauf derfelben er- 
zielt würden, Diefe Anfichten hatten einen herrſchenden Einfluß 
auf die Legislation in Betreff unferer National-Domänen. Als 
Beleg hierzu erinnere ich nur an die liberalen Maßregeln, die hin- 
fichtlich der wirklichen Anfievler adoptirt wurden; an die Schen- 
tungen überfchwemmter Ländereien an Staaten innerhalb ihrer 
Grenzen, damit diefelben troden gelegt und zur Eultivation faug- 
lich gemacht werden möchten; an die Schenkungen von Landftrichen, 
welche Eifenbahn-Eompagnien an den beabfichtigten Linien entlang 
gewährt wurden, deren Vollendung die Communifation mit unfern 
entfernten Befigungen fo ungemein erleichtern wird, und dergleichen 
mehr. Diefe Politif wurde unlängft durch die Paffirung des Ge- 
feßes, wodurch wirklichen Anfiedlern Heimftätten gefchenkt wurden, 
auf das Nachdrücklichſte und Wohlthätigſte illuſtrirt. Seit dem 1, 
Januar diefes Jahres wurden die obenerwähnten 1,456,414 Ader 
Land unter den Beftimmungen diefes Gefebes in Befib genommen, 
Diefe Thatſache und der Betrag der Verkäufe liefern einen erfreu- 
lichen Beweis der zunehmenden Anfievlung der öffentlichen Lände— 
reien, ungeachtet des riefigen Kampfes, der die Energie der Nation 
in Anfpruch nimmt und eine fo große Anzahl unferer Bürger ihren 
gewohnten Befchäftigungen entriffen hat. 

„Die während Shrer legten Sitzung vorgefehenen Maßlegeln 
zur Hinwegſchaffung gewiſſer Indianerftämme find zur Ausführung 
gekommen. Berfchiedene Verträge find negotiirt worden, die zu ge— 
eigneter Zeit dem Senat zur conftitutionellen Ratififation unter- 
breitet werden follen. Diefelben enthalten Stipulationen zur Til- 
gung des. Befitrechtes der Indianer auf große und werthoolfe 
Landſtriche. Hoffentlich werden diefe Verträge zur Herftellung 
dauernder frievlicher Beziehungen zu foldhen von jenen Stämmen 
führen, die häufig in blutige Collifion mit unfern entfernten An- 
fiedlern und Emigranten geriethen. ine weiſe Politif, ſowie un- 
fere gebieterifche Pflicht gegen diefe Schugbefohlenen der Regierung 


280 Das Leben Abraham Lincolns. 





erfordern unfere ernfte und beftändige Sorge für ihr materielles 
Wohl, ihren Fortſchritt in den Künften der Civilifation und vor 
Allem die moralifche Heranbildung, die ihnen unter dem Segen der 
göttlihen Vorfehung den erhabenen und heiligenden Einfluß der 
Hoffnungen und Tröftungen des chriftlichen Glaubens gewähren 
wird, 

„Als fich der Kongreß im vorigen Jahre verfammelte, hatte der 
Krieg ſchon nahezu zwanzig Monate gedauert und viele Kämpfe 
hatten zu Land und zur See mit verfchiedenem Erfolge flattgefun- 
den. Die Rebellion war in engere Grenzen zufammengedrängt 
worden; dennoch aber war der Ton der öffentlichen Stimmung bier 
und im Auslande keineswegs befriedigend, Die damals eben be- 
endigten Bollswahlen deuteten auf Unruhen unter ung ſelbſt; wäh- 
rend außer manchem Falten und drohenden Hohn felbft die freund- 
lichten Worte, die von Europa zu uns herüberfamen, in Tönen 
des Mitleids bedauerten, daß wir zu blind wären, eine hoffnungs- 
Iofe Sache aufzugeben. Unfer Handel wurde fehr benachtheiligt 
durch einige bewaffnete Schiffe, diesin fremden Häfen gebaut und 
ausgerüftet wurden, und außerdem war uns von demfelben BVier- 
tel eine Vermehrung jener bewaffneten Schiffe angedroht worden, 
‚die unfern Handel von der See fegen und die Blodade heben follte, 
Es war uns nicht gelungen, über diefen Gegenftand auch nur die 
gerinfte Genugthuung von den europäifchen Nationen zu erhalten, 
Die im September erlaffene vorläufige Emaneipationg-Proflama= 
tion lief ihre beftimmte Periode bis zum neuen Jahre, Einen Mo- 
nat fpäter kam die Proflamation, welche unter Anderem anfündigte, 
daß taugliche Farbige zum SKriegsdienft verwendet werden ſollten. 
Die Politif der Emarcipation und der Verwendung ſchwarzer Sol— 
daten verlieh der Zukunft eine neue Geftaltung, worüber Hoffnung, 
Furcht und Zweifel um die Oberhand ftritten. Unferem politifchen 
Spfteme gemäß hatte die Oeneralregierung feine gefebliche Macht, 
als eine Angelegenheit der Eivil-Adminiftration die Emancipation 
in irgend einem Staate in Ausführung zu bringen, und lange hatte 
man fi der Hoffnung hingegeben, daß die Rebellion unter- 
drüdt werden könnte, ohne diefelbe als militärifche Maßregel in 
Anfpruch zu nehmen. Dennoch hielt man es für möglich, daß die 


Der achtunddreißigſte Congreß. 281 





Nothwendigfeit fommen könnte, und glaubte, daß, wenn fie Füme, 
die Krifis des Kampfes mit ihr kommen würde, Gie fam und— 
wie man vermuthet hatte—brachte fie dunkle und zweifelhafte Tage 
mit fich im Gefolge. Jetzt, da elf Monate darüber verftrichen find, 
dürfen wir abermals eine Prüfung vornehmen, Die Rebellen- 
grenzen find noch enger zufammengefchrumpft, und durch die Eröff- 
nung des Miffiffippi wurde das von den Inſurgenten dominirte 
Land in zwei getrennte Theile gefchnitten, denen Fein praftifcher 
Communikationsweg übrig bleibt. Tenneſſee und Arkanfas wur— 
den von den Rebellen gefäubert, und in jedem diefer Staaten er- 
flärten fich einflußreiche Bürger, die beim Beginn der Rebellion 
Eigner von Sklaven und Bertheidiger der Sklaverei waren, offen 
für die Emancipation in ihren Staaten, Bon den nicht in der 
Emaneipationd- Proclamation eingefchloffenen Staaten zögerten 
Maryland und Miffouri—die beide vor drei Jahren fein Hinder- 
niß für Die Ausbreitung der Sklaverei in die neuen Territorien 
dulden wollten—jetzt nur noch über die befte Art, fie aus ihren 
Grenzen zu entfernen, 


„Bon Denjenigen, die zu Anfang der Rebellion Sklaven waren, 
find jest mehr als einhunderttaufend Mann im Militärdienft der 
Bereinigten Staaten, und die Hälfte von diefer Anzahl fteht wirklich 
bewaffnet im Felde. Dies giebt uns den doppelten Vortheil, daß 
wir die Inſurgenten der Arbeit diefer Perfonen berauben, und daß 
wir mit denfelben die Pläbe ausfüllen, die fonft durch weiße Män- 
ner ausgefüllt werden müßten, So weit fie fich bis jetzt erprobt 
haben, läßt es fich kaum fagen, daß fie nicht ebenso gute Soldaten 
machen wie die andern. Kein Aufftand, Fein Alt der Gewaltthä— 
tigfeit oder Graufamfeit entfprang aus den Maßregeln der Eman- 
eipation und Bewaffnung der Schwarzen, - Diefe Maßregeln wur- 
den im Auslande viel befprochen und die öffentliche Stimmung 
darüber fcheint fehr günftig zu fein. Im unferem eigenen Lande 
wurden diefelben Maßregeln ausführlich befprochen, unterftüßt, 
Fritifirt und verdammt, und die darauf erfolgten jährlichen Wahlen 
waren fehr ermuthigend für Diejenigen, deren vffizielle Pflicht es 
ift, diefes Land durch die große Prüfung hindurchzuführen. Auf 


282 Das Leben Abraham Lincolns. 





diefe Weife alfo beginnen wir die neue Rechnung, Die Krifis, 
welche die Freunde der Union zu fpalten bedrohte, ift vorüber, 

„Sn Anbetracht der Gegenwart und Zukunft und mit Rüdficht 
auf die Wiederherftellung der National-Autorität innerhalb der 
Staaten, wo diefe Autorität fufpendirt gewefen, hielt ich es für an— 
gemeffen, eine Proflamation zu erlaffen, von der eine Copie hier 
beifolgt. Eine Unterfuchung diefer Proflamation wird, hoffe ich, 
darthun, dag Nichts verfucht wurde, mas nicht reichlich Durch die 
Eonftitution gerechtfertigt tft. Allerdings tft die Form eines Eides 
vorgefchrieben worden; allein fein Menfch ift gezwungen, venfelben 
zu leiften. Es wird bloß einem Manne Begnadigung verfprochen 
für den Fall, daß er den Eid freiwillig leiftet. Die Conftitution 
autorifirt die Erefutive, nach ihrem eigenen abfoluten Belieben die 
Degnadigung zu gewähren oder zu verfagen, und dies fchlieft na- 
türlich die Macht in fich, Die Begnadigung auf Bedingungen hin 
zu gewähren, wie es Durch richterliche und andere Autoritäten zur 
Genüge dargethan wird, 

„Deögleichen enthielt die Proflamation das Berfprechen, daß 
wenn in irgend einem der genannten Staaten eine Staatsregie- 
rung nach der vorgefchriebenen Weife etablirt werden follte, die 
Dereinigten Staaten folche Regierung anerkennen und garantiren 
würden, und daß folder Staat auf die conftitutionellen Bedin- 
gungen gegen Invafion und innere Gemaltthätigfeit Schub er- 
halten folle. Die conftitutionelle Verpflichtung der Vereinigten 
Staaten, jedem Staate in der Union eine republifanifche Regie- 
rungsform zu garantiren und den Staat in den erwähnten Fällen 
zu befchügen, ift Har und deutlich. Warum aber follten wir die 
Wohlthaten diefer Beftimmung nur einer auf dieſe befondere Art 
errichteten Staatsregierung zu Theil werden lafjen? Diefer Para- 
graph der Eonftitution fest einen Fall voraus, wo das in einem 
Staate einer republifanifchen Regierung günftige Element zu 
ſchwach fein mag einem entgegengefebten und feindlichen Elemente 
außerhalb oder felbft innerhalb des Staates gegenüber; und derart 
ift gerade der Fall, mit dem wir es zu thun haben. 

„Ein Berfuch, eine wieder in's Leben getretene Staatsregierung 
zu garantiren und beſchützen, die ganz oder überwiegend aus den- 


Der adytunddreißigfte Congreß. 283 





felben Elementen zufammengefebt ift, gegen deren Yeindfeligfeit 
und Gewalt fie beſchützt werden fol, wäre geradehin abfurd. Es 
muß eine Probe ftattfinden, durch welche die feindlichen Elemente 
gefchieden werden, fo daß nur auf die gefunden Elemente gebaut 
werde; und jene Probe ift liberal genug, die als gefund annimmt, 
was fich zu einer befchworenen Abwerfung feiner früheren Unge— 
fundheit verftehen will, 

„Denn e8 nun aber angemeffen tft, als Probe für die Zulaf- 
fung zu einem politifchen Körper einen Eid der Treue gegen die 
Eonftitution der Vereinigten Staaten und gegen die Union unter 
derfelben vorzufchreiben, weshalb denn auch gegen die Geſetze und 
Proflamation in Betreff der Sklaverei? Jene Gefebe und Pro- 
Hamationen wurden erlaffen, um bei der Unterdrüdung der Re— 
bellion behilflich zu fein. Um ihnen solle Wirkfamfeit zu ver- 
fchaffen, bedurfte eg eines Pfanves zu ihrer Erhaltung. Meines 
Erachtens haben fie der Sache genügt, für welche fie beftimmt 
waren, und werden ihr auch ferner nützen. Sie jebt aufgeben, 
biege nicht nur einen Hebel der Macht aufgeben, fondern wäre zu 
gleicher Zeit ein graufamer und entſetzlicher Treubruch. Sch darf 
bier hinzufügen, daß ich, fo lange ich in meiner gegenwärtigen 
Stellung verharre, feinen Berfuch machen werde, die Emancipa- 
tiong-Proflamation zurüdzunehmen oder zu modificiren; ebenfo 
wenig werde ich irgend eine Perfon, die Durch jene Proflamation 
oder irgend eine der Congreßakten frei wurde, wieder der Sklave— 
rei überantworten, Aus diefen und andern Gründen halte ich 
e3 für das Befte, daß die Unterftügung dieſer Maßregeln jenem 
Eide einverleibt werde; und ich glaube, daß ich ſie geſetzlich for— 
dern darf als Bedingung für die Begnadigung und Wiederein— 
ſetzung in die verfallenen Rechte, — eine Milde, die ich laut der 
Conſtitution ganz und gar verſagen, oder auf Bedingungen hin 
gewähren kann, wie ſie mir für das öffentliche Intereſſe am weiſe— 
ſten erſcheinen. Auch iſt nicht zu vergeſſen, daß dieſer Theil des 
Eides der Modifications- und Abrogationsgewalt des Congreſſes, 
ſowie der oberbundesgerichtlichen Entſcheidung unterworfen iſt. 

„Die verſprochene Einwilligung der National-Executive zu 
irgend einem billigen Staats-Arrangement für die befreiten Far— 


284 Das Leben Abraham Lincolns. 





bigen wurde eingefchaltet, um möglichermweife der Verwirrung und 

dem Mangel Abhilfe zu leiften, die nothwendigermweife bei einer 

radikalen Revolution in dem Arbeitsfyftem ganzer Staaten alle* 
Klaſſen betreffen müffen. Ich hoffe, daß das ſchon allzufehr lei— 

dende Volk jener Staaten fich etwas bereitwilliger zeigen wird, 

die Urfache feines Leidens aufzugeben, wenn die Lebensfrage ihm 

felbft überlaffen wird, Die Macht der National-Erefutive, irgend 

einem Mißbrauch zu fteuern, wird durch diefen Vorſchlag keines⸗ 

wegs verfümmert. 

„Der in der Proflamation enthaltene Rath zur Beibehaltung 
des politifchen Gerüſtes der Staaten bei der fogenannten Recon 
ftruftion wurde in der Hoffnung gegeben, daß er Gutes wirfen 
möge, ohne die Gefahr eines Nachtheils mit fich zu führen, Er 
würde Zeit fparen und großer Verwirrung vorbeugen. 

„Weshalb aber irgend eine Proflamation zu diefer Zeit über 
den Gegenftand? Um diefe Frage drängen fich die widerftreben- 
den Anfichten, daß der Schritt zu lange verzögert oder zu früh 
gethban werden könnte. In einigen Staaten feheinen die Ele— 
mente zum Beginne der Reconftruftion bereit zu fein, bleiben aber 
unthätig, anfcheinend aus Mangel an einem Mittelpunkt —einem 
Plan zum Handeln. Warum follte A den Plan des B adoptiren 
und nicht B den Plan des A? Und follten ih A und B über 
einen Plan verftändigen, wie fünnen fie wiffen, ob die General- 
regierung denfelben nicht verwerfen wird? Durch die Proklama— 
tion wurde ein Plan vorgefchlagen, den fie alle als Mittelpunkt 
annehmen können, und von dem fie im Voraus wiffen, daß er 
nicht verworfen werden würde. Dies brächte fie eher zum Han— 
deln als irgend etwas Anderes, 

„Der Einwurf gegen die voreilige Anempfehlung eines Planes 
durch die National-Erefutive befteht darin, dag dadurd Punkte 
berührt würden, die man mit größerer Sicherheit der ferneren 
Entwidelung überlaffen fünnte, Sch ließ es mir indeffen ange- 
legen fein, das Dofument fo zu geftalten, damit Berlegenheiten 
aus dieſer Duelle vermieden würden. Wenn ich fagte, daß auf 
gewiffe Bedingungen hin gewiffe Klaffen begnadigt und wieder in 
ihre Rechte eingefegt werden follen, fo ift damit keineswegs ge— 


Der achtunddreißigſte Congref. 285 





fagt, daß niemals andere Bedingungen oder andere Klaffen ein- 
gefchloffen werden follten, Wenn id) fagte, Daß die Reconftruf- 
*tion, wenn nach einem fpezififchen Plane ausgeführt, angenom- 
men werde, fo ift Damit nicht gefagt, daß fie nie auf einen andern 
Plan hin Annahme finden würde, 

„Die nicht in der Emanecipationg-Proflamation eingefchloffenen 
Bewegungen einiger Staaten zur Emancipation durch Handeln 
des Staates, find höchſt erfreuliche Umftände, Während ich hier 
nicht im Detail wiederholen will, was ich fo oft und fo dringend 
über diefen Gegenftand anempfohlen habe, will ich nur fo viel 
fagen, daß meine Anfichten und Gefinnungen unverändert blei- 
benz; und ich hoffe, daß der Congreß feine günftige Gelegenheit 
verfäumen wird, diefe nöthigen Schritte zur großen Vollendung 
zu bringen, 

„Inmitten anderer Dinge, wie wichtig Diefelben auch fein mö— 
gen, müffen wir die Thatfache nicht außer Acht Iaffen, daß die 
Kriegsmacht noch immer unfere Hauptflüße iſt. Diefer Macht 
müffen wir alle unfere Sorgfalt widmen, um dem Volfe der be- 
ftrittenen Regionen Vertrauen einzuflößen, daß es nicht wieder 
von der Infurgentenmacht unterbrüdt werden fol. Bis wir die- 
fes Vertrauen befeftigt haben, fünnen wir wenig für Reconftruf- 
tion thun. Deshalb muß unfere größte Sorgfalt nach wie vor 
der Armee und Marine gefchenkt werden, die ihren Theil — den 
Haupttheil — der Arbeit fo tapfer und fo wohl verrichtet haben. 
Und es darf als ein Glück betrachtet werden, daß wir, indem wir 
diefen unumgänglich nothwendigen Mitteln die größte Wirkfam- 
feit geben, zugleich den tapfern Männern vom Befehlshaber big 
zur Schildwache herab, ehrenvolle Anerkennung zu Theil werden 
laffen ; denn ihnen verdankt die Welt mehr als allen Andern die 
Rettung, Wiedergeburt und Berewigung des Landes des Freiheit. 


Dezember 8, 1863, Abraham Sincoln,” 


Am 26. März 1864 erfchien folgende Proffamation als Er- 
Härung zu der am 8. Dezember 1863 erlaffenen : 


„Sintemalen es nothwendig geworden ift, die Falle zu de— 
finiren, in welchen Infurgenten zu den Wohlthaten der vom Prä- 


286 Das Leben Abraham Lincolns. 





fiventen der Bereinigten Staaten am 8. Dezember 1863 erlaffenen 
Proflamation berechtigt find, fowie auch Die Art und Weife, wie fie 
zu verfahren haben, um diefer Wohlthaten theilhaftig zu werden; 

„Und fintemalen der Zwed jener Proflamation war, Die 
Snfurreftion zu unterdrüden und die Autgrität der Vereinigten 
Staaten wiederherzuftellen ; 

„And fintemalen die darin vom Präfidenten angebotene 
Amneſtie fich einzig und allein auf jene Zwede bezog: 

„Deshalb proflamire und erkläre ih, Abraham Lincoln, 
Präafivent der Vereinigten Staaten, daß befagte Proflamation fich 
nicht auf die Fälle der Perfonen bezieht, welche zur Zeit, wann fie 
die Wohlthaten derfelben zu erhalten fuchen, indem fie den darin 
vorgefchriebenen Eid leiften, fich in militärifcher, Marine- oder 
Civilhaft befinden, oder unter Bürgfchaft oder Parole der Eivil-, 
Militär oder Marinebehörden oder Agenten der Bereinigten 
Staaten als Kriegsgefangene oder Perfonen, die wegen irgend 
eines Vergehens vor oder nach der Heberführung in Haft gehalten 
werden; Daß fie fih im Gegentheil nur auf ſolche Perfonen be= 
zieht, die frei von Haft oder Einkerferung aus eigenem Antrieb 
lommen, und befagten Eid leiſten werden, mit der Abficht, den 
Frieden und die National-Autorität mwiederherzuftellen. 

„perfonen, die in befagter Proflamation von der Amneftie aus— 
gefhloffen find, können fich gleich allen andern Berbrechern an 
den Präfidenten um Milde wenden, und ihr Gefuch wird gebüh- 
rende Erwägung erhalten, 

„Ferner erkläre und proflamire ich, daß der in befagter Pro- 
klamation vom 8. Dezember 1863 vorgefchriebene Eid vor irgend 
einem commandirenden Offizier im Militär- oder Marinedienft, 
oder vor irgend einem Livilbeamten im Dienft der Vereinigten 
Staaten geleiftet und unterzeichnet werden kann; desgleichen vor 
irgend einem Civilbeamten oder Militär-Commandanten irgend 
eines nicht in Inſurrektion befindlichen Staates oder Territo- 
riums, der nach den dortigen Geſetzen qualifieirt ift, Eide abzu- 
nehmen. 

„Ale Beamten und Offiziere, die ſolche Eide abnehmen, find 
hiermit autorifirt, den Perfonen, von welchen dieſelben geleiftet 


Fortſchritt. 287 





wurden, Gertififate Darüber zu geben, und werden folde Beamte 
hiermit aufgefordert, die Driginalurfunden folder Eide möglichft 
bald dem Staatsdepartement zu überfenden, wo diefelben in den 
Archiven der Regierung deponirt und aufbewahrt werden follen. 

„Der Staatsfefretär wird ein Negifter darüber führen und in 
geeigneten Fällen auf Anfuchen Certififate folcher Urkunden in 
der gewöhnlichen Form amtlicher Eertififate ausſtellen. 

„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington, am ſechsundzwanzigſten 
Tage des Monats März, im Jahre unferes Herrn eintaufend acht- 
hundert und vierundfechzig, und im achtundachtzigften der Unab— 
hängigfeit der Vereinigten Staaten. 

„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Fincoln 
„William 9 Seward, Staatsſekretär.“ 





Achtzehntes Kapitel. 
Fortſchritt. 


Rede des Präfidenten zu Waſhington — Anrede an eine New Yorker Com- 
mittee — Rede in Baltimore — Brief an einen Kentuckyer — Verwendung 
farbiger Truppen — Beff. Davis’ Drohung — General-Nrdre — Nrdre 
des Präfidenten. 


Auf Anfuchen der Menge, die fich bei der in der Patent-Dffice zu 
Waſhington abgehaltenen Ausftelung zur Unterftügung der 
Union-Soldaten eingefunden hatte, hielt Präfident Lincoln am 
Abend des 18. März 1864 folgende kurze Anrede: 


„Seine Damen und Herren: — Ich erfiheine vor Ihnen, um 
einige wenige Worte zu fagen. Diefer außerordentliche Krieg, in 
welchem wir begriffen find, fallt ſchwer auf ſämmtliche Volksklaſ— 
ſen, am ſchwerſten aber auf den Soldaten. Es ftehet gefchrieben : 
„Alles, was ein Menſch hat, wird er für fein Leben geben;“ wäh- 


288 Das Leben Abraham Lincolns. 





rend nun aber Ale aus ihrem Vermögen beifteuern, ſetzt der 
Soldat fein Leben aufs Spiel und opfert es gar oft feinem 
Lande. Dem Soldaten gebührt daher die erfte und höchſte Aner- 
fennung. 

„Sn diefem außerordentlichen Kriege haben fich außerordentliche 
Dinge entwidelt, wie fie in früheren Kriegen nie gefehen wurden, 
und unter diefen Dingen gab es nichts Merfwürdigeres, als dieſe 
Ausftellungen zur Unterftüsung leidender Soldaten und ihrer 
Familien. Und die thätigften Agenten bei dieſen Ausftellungen 
find die Frauen von Amerifa. Sch bin der Schmeicheleien und 
Lobreden unfundigz ich habe nie die Kunft fludirt, dem weiblichen 
Geſchlechte Huldigungen darzubringen; allein fo viel will ich ſa— 
gen, daß, wenn Alles, was feit der Schöpfung der Welt von 
Dichtern und Rednern zum Lobe des MWeibes gefagt wurde, auf 
die Frauen von Amerika angewendet wird, es ihrem Benehmen 
während des Krieges nur ſchwache Oerechtigfeit widerfahren läßt, 
Gott fegne die Frauen von Amerika !“ 


Drei Tage fpäter wartete eine von der demofratifch-republifa- 
nifchen Arbeiter-Affociation zu New York ernannte Committee dem 
Präfiventen auf und präfentirte ihm eine Adreffe, in welcher er 
benachrichtigt wurde, Daß er zum Mitglied jener Organifation er- 
nannt worden fei. Nachdem der Borfiger der Committee den Zweck 
des Beſuches angegeben hatte, erwiederte Präfident Lincoln, wie 
folgt: 

„Meine Herren von der Committee: — Ich nehme die mir 
gütigft angebotene Ehrenmitglienfchaft Ihrer Affoctation dankbar 
an. Sie begreifen, wie Ihre Adreffe zeigt, daß die gegenwärtige 
"Rebellion mehr bezweckt, als die bloße Verewigung der afrikani— 
fhen Sklaverei — daß fie in Wirklichkeit ein Krieg gegen die 
Rechte der ganzen arbeitenden Klaffe ift. Theils um Ihnen zu 
bemeifen, daß diefer Zwed meiner Aufmerkſamkeit nicht entgangen 
ift, theils weil ich meinen Geſinnungen feinen beffern Ausdrud zu 
geben vermag, will ich Ihnen eine Stelle aus meiner Botfchaft 
an den Congreß im Dezember 1861 vorlefen: 

„„Es ftellt fich immer deutlicher heraus, daß die Inſurrektion 


Fortſchritt. 289 





großentheils, wenn nicht ausfchlieglich, ein Krieg gegen das 
Hauptprinzip der volksthümlichen Negierung — die Rechte des 
Volkes — ift. Der fohlagende Beweis hiervon findet fich in den 
ernften und reiflich überlegten Dokumenten, wie überhaupt in dem 
Zon der Inſurgenten. Wir finden in dieſen Dokumenten die 
Verkürzung des beftehenden Stimmrechtes und die Beraubung des 
Volkes um allen Antheil an der Wahl der öffentlichen Beamten, 
mit Ausnahme der Legislative, kühn vertheidigt mit fpisfindigen 
Argumenten, um zu beweifen, daß eine zu große Eontrollirung der 
Regierung feitens des Volkes die Quelle aller politifchen Uebel fei. 
Selbft die Monarchie wird hie und da als eine mögliche Zuflucht 
vor der Macht des Volkes angedeutet. 

„„In meiner gegenwärtigen Stellung wäre es faum zu recht- 
fertigen, wenn ich unterließe, meine Warnungsftimme gegen dieſe 
Annäherung zum wiederkehrenden Defpotismug zu erheben. 

„„Es tft weder nothwendig noch paffend, daß ich mich hier auf 
ein allgemeines Argument zu Gunften volfsthümlicher Snftitutio- 
nen einlaffe; auf einen Punkt jedoch, der noch nicht fo abgedro— 
ſchen ift, wie die meiften andern, erlaube ich mir in Kürze hinzu— 
weifen. Es ift das Bemühen, im Bau der Regierung das 
Kapital auf gleichen Fuß mit der Arbeit, wenn nicht über 
diefelbe, zu ftellen. Es wird behauptet, daß die Arbeit nur in 
Derbindung mit dem Kapital von Bortheil fei — daß Niemand 
arbeite, wenn nicht Jemand anders, der Kapital befite, ihn auf 
irgend eine Art durch die Anwendung defjelben zu arbeiten ver- 
anlaffe. Nach diefer Behauptung kommt zunächft die Frage, ob 
es am beiten fei, daß das Kapital die Arbeiter dinge und fie fo 
seranlaffe, aus freiem Willen zu arbeiten, oder dieſelben faufe 
und fie ohne ihren Willen zur Arbeit treibe. Someit angelangt, 
folgt der Schluß von felbft, daß alle Arbeiter entweder gedun- 
gene Arbeiter oder Sklaven find. Weiter wird dann behaup- 
tet, daß Jeder, der einmal ein gedungener Arbeiter ift, fein Leben 
lang in diefem Zuftand verbleibe. 

„„Es befteht indeffen feine folche Beziehung zwifchen dem Ka— 
pital und der Arbeit, wie behauptet wird; noch eriftirt irgend ein 
— daß ein freier Mann ſein Leben lang in dem 


290 Das Leben Abraham Lincolne. 





Zuftande eines gedungenen Arbeiters verbleiben müſſe. Beide 
Behauptungen find falfch, mithin alle davon abgeleiteten Schlüffe 
grundlos. 

„„Die Arbeit geht dem Kapital vor und iſt unabhängig von 
demſelben. Das Kapital iſt nur die Frucht der Arbeit und könnte 
nie exiſtirt haben, wenn die Arbeit nicht zuerſt exiſtirt hätte. Die 
Arbeit ſteht über dem Kapital und verdient bei weitem mehr Ach— 
tung. Das Kapital hat ſeine Rechte, die des Schutzes ſo würdig 
ſind, wie alle andern Rechte. Auch wird Niemand leugnen, daß 
eine Beziehung zwiſchen der Arbeit und dem Kapital beſteht, und 
ftets beftanden hat, der gegenſeitige Vortheile entſpringen. Der 
Irrthum befteht nur in der Behauptung, daß alle Arbeit innerhalb 
diefer Wechfelbeziehung beruhe. Einige Wenige eignen Kapital 
und diefe Wenige arbeiten nicht felbft, fondern Dingen oder faufen 
mit ihrem Kapital Andere, die fie für fich arbeiten laffen. Die 
große Majorität aber gehört zu feiner der beiden Klaffen — fie 
arbeitet weder für Andere, noch läßt fie Andere für fich arbeiten. 
In den. meiften füplichen Staaten befteht eine Majorität des gan— 
zen Bolfes weder aus Sklaven, noch aus Meiftern; während in 
den nördlichen Staaten eine große Majorität weder aus Miethern, 
nod aus Miethlingen beftehbt. Männer mit ihren Familien — 
Frauen, Söhnen, Töchtern — arbeiten für fich felbft auf ihren 
Farmen, in ihren Hänfern und ihren Werfftätten; genießen die 
Frucht ihrer Arbeit felbft und betteln weder um die Gunft des 
Kapitals einerfeits, noch um die Gunft gedungener Arbeiter over 
Sklaven andererfeits. Dabei ift nicht zu vergeffen, daß eine be— 
trächtliche Anzahl Perfonen ihre eigene Arbeit mit Kapital verei— 
nigen — das heißt, fie arbeiten mit ihren eigenen Händen und 
faufen oder Dingen zu gleicher Zeit Andere, die für fie zu arbeiten 
haben. Dies ift jedoch nur eine vermifchte und nicht eine gefon- 
derte Klaffe. Kein hier angegebenes Prinzip wird Durch die 
Eriftenz diefer gemifchten Klaffe beeinträchtigt. 

„„Ich wiederhole nun, daß der freie gedungene Arbeiter nicht 
nothwendigermweife fein ganzes Leben in dieſem Zuftande verblei- 
ben muß. Es giebt allenthalben in diefen Staaten viele unab- 


Fortſchritt. 291 





hängige Männer, die vor wenigen Jahren noch gedungene Arbeiter 
waren. 

„„Der arme, aber kluge Anfänger in der Welt arbeitet eine Zeit 
lang für Lohn, erübrigt ſich eine Summe, mit der er ſich ſeine eige— 
nen Werkzeuge oder ſein eigenes Land kauft; dann arbeitet er eine 
Zeit lang auf eigene Rechnung und am Ende dingt er einen andern 
Anfänger in der Welt, der ihm bei ſeiner Arbeit helfe. Dies iſt 
das gerechte, das großherzige, das gedeihliche Syſtem, das Allen den 
Weg öffnet, Allen Hoffnung und damit auch Energie, Fortſchritt 
und Verbeſſerung ihres Zuſtandes verleiht. Kein lebender Menſch 
iſt vertrauenswürdiger, als Derjenige, der ſich aus der Armuth em— 
porarbeitet — keiner weniger geneigt, Etwas zu nehmen oder zu 
berühren, was er ſich nicht ehrlich erworben hat. Möge dieſe Klaſſe 
ſich hüten, irgend eine politiſche Macht aufzugeben, die ſie beſitzt, 
und deren Aufgeben ſicherlich benutzt werden wird, ihnen und ih— 
resgleichen das Thor zum Fortſchritt zu verſchließen und ihnen neue 
Schwierigkeiten und Laſten aufzubürden, bis endlich alle Freiheit 
verloren iſt.““ 

„Dieſe Anſichten hege ich unverändert heute noch und habe den— 
ſelben nicht viel Neues hinzuzufügen. Keine Volksklaſſe hat ein ſo 
tiefes Intereſſe an der Unterdrückung der gegenwärtigen Rebellion, 
wie die Klaffe der Arbeiter. Mögen diefe fih vor allen Borurtheiz . 
len bewahren, die Uneinigfeit und Feindfchaft in ihren eigenen 
Reihen erzeugen. Das merfwürdigfte Ereigniß während des Auf- 
ruhrs in Ihrer Stadt legten Sommer war das Aufhängen einiger 
Arbeiter durch andere Arbeiter. Dies follte nie vorfommen. Das 
ftärkite Band menschlicher Sympathien follte, nächft dem der Fami— 
lienbande, die Vereinigung fümmtlicher Arbeiter aller Nationen 
und Zungen fein. Auch follte dies zu feinem Krieg gegen das Ei- 
genthum oder die Befiger von Eigenthum führen. Das Eigenthum 
ift die Frucht der Arbeitz es ift ein wünfchenswerthes Ding; es ift 
ein pofitives Gut in der Welt. Der Umftand, daß Einige reich 
find, zeigt, daß Andere reich werden fünnen und ijt daher eine 
gerechte Ermuthigung der Indufirie und des Unternehmungsgeiftes. 
Laßt Keinen, der hauslos ift, das Haus eines Andern niederreißen, 
fondern laßt ihn emfig arbeiten und fich felbft eines bauen und fi 


292 Das Leben Abraham Lincolns. 





damit durch fein eigenes Beifpiel Sicherheit verfchaffen, daß fein 
Haus, wenn e3 gebaut ift, vor Gemwaltthätigfeit verfchont bleiben 
fol.“ 


Sn Baltimore — jenem Baltimore, durch welches er im Februar 
1861 heimlich durchzufchleichen gezwungen war, um auf feinem 
Wege zur Inauguration den Meuchelmördern zu entgehen — 
ſprach Präfident Lincoln bet einer ähnlichen Ausftellung, wie der zu 
Waſhington am 13, April 1864, am Borabend des Jahrestages 
der Ermordung Ioyaler Bürger, die zur Bertheidigung der bedroh— 
ten Bundeshauptftadt herbeieilten, “ Er fpielte auf die Sklaverei, 
als ein in Maryland praftifch vernichtetes Inſtitut an. 

Wahrlich, das Land hatte Fortfchritte gemacht während jener er- 
eignißſchwangern drei Jahre! 


Folgendes ift der Inhalt feiner im Maryland-Inftitut gehaltenen 
Rede: 


„Seine Damen und Herren: — Wenn wir bedenten, daß wir 
uns in Baltimore befinden, fo fünnen wir nicht umhin, zu bemer- 
fen, daß Die Welt fich wirklich bewegt. Indem ich auf Die vielen 
Perfonen blide, die ich hier verfammelt fehe, um nach ihren beften 
Kräften den Streitern der Union zu helfen, fällt eg mir bei, daß vor 
drei Fahren diefe Streiter nicht durch Baltimore paffiren fonnten, 
Gott fegne die Männer, die dieſen Wechfel bewirkten, und die 
Frauen, die ihnen dabei halfen. Der Wechfel, der in der Stadt 
Baltimore ftattgefunden hat, ift ein Theil nur eines weit größeren 
MWechfels, der im ganzen weiten Lande vor fich geht. 

„Bor drei Fahren, als der Krieg begann, hätte Niemand gedacht, 
daß er fo lange dauern würde, und Niemand hätte vermuthet, daß 
er eine materielle Wirkung auf das Inſtitut der Sklaverei ausüben 
fönnte, Allein bier find wir. Der Krieg ift noch nicht zu Ende, 
und die Sklaverei hat einen bedeutenden Stoß erhalten, Wahr- 

Lich, der Menfch denkt und Gott Ienft! 
Der Welt mangelt e8 an einer guten Definition des Wortes 
„Freiheit.“ Wir erklären uns Alle für die Freiheit, allein wir ver— 
ftehen nicht Alle dafjelbe Ding darunter, Einige glauben, die Frei- 
beit beftehe darin, daß ein Menfch mit fich felbft und mit feinem 


Fortſchritt. 293 





Eigenthum thun könne, was er wolle. Bei Andern bedeutet fie fo 
viel, Daß ein Menfch nach Belieben über andere Menfchen und 
deren Arbeit verfügen dürfe, Jedes von dieſen Dingen wird Frei- 
heit genannt, obfchon beide ganz und gar von einander verfchieden 
find. Es fei mir geftattet, einen bildlichen Fall anzuführen: Ein 
Schäfer rettet ein Schaf aus dem Rachen des Wolfes; das Schaf 
ift dem Schäfer natürlich für die Rettung feines Lebens dankbar; 
der Wolf aber ſchmäht ihn, daß er dem Schafe feine Freiheit 
raube— namentlich wenn es ein fehwarzes Schaf iſt. 

„Die nämliche Meinungsverfchiedenheit herrfcht unter einem 
Theil des nördlichen Volfes, Das Volk von Maryland aber hat 
vor Kurzem Etwas gethan, um die Bedeutung des Wortes richtig 
zu definiren, und ich danke ihm von Grund meines Herzens für 
das, was e8 gethan hat und noch thut. 

„Es geziemt fich nicht für einen Präfiventen, eine lange Rede zu 
halten, allein es ift ein peinliches Gerücht im Umlauf, über welches 
ich einige Worte zu fprechen wünfche, Es wird berichtet, daß eine 
graufame Mebelei einiger Hunderte farbiger Truppen zu Fort Pil- 
low, Tennefjee, während eines fürzlich dort ftattgehabten Kampfes 
sorgefommen fei, und es geziemt fich, einige Thatfachen in Bezug 
auf diefe Angelegenheit zu erflären. Manche Perfonen find der 
Anficht, daß die Regierung ihre Pflicht in diefer Sache nicht gethan 
habe. Zu Anfang des Krieges war es zweifelhaft, ob farbige Män- 
ner als Soldaten verwendet werden würden oder nicht, Die Sache 
wurde forgfältig erwogen, und nach reiflicher Meberlegung gelangte 
ich zu dem Entfchluffe, fie zum Kriegsdienft zu verwenden. 

„Ich war für diefe Handlung dem amerifanifchen Volke, einer 
hriftlichen Nation, den künftigen Gefchichtsfchreibern, vor Allem 
aber meinem Gotte verantwortlich, dem ich eines Tages von mei— 
nen Thaten Rechenfchaft abzulegen habe, ch will jest nur fo viel 
fagen, daß meiner Anficht nach der ſchwarze Soldat zu demfelben 
Schutze berechtigt ift, wie der weiße, und daß er ihn erhalten foll. 
Diejenigen befanden ſich im Irrthum, welche fagten, daß die Re- 
gierung ihre Pflicht in der Sache vernacdhläffige. Die Negierung 
ift bis jest noch nicht im Befiß direkter Beweife in Bezug auf jene 
Mebelei; allein ich felbft glaube, dag jene Gerüchte nur zu wahr 


294 Das Leben Abraham Lincolns. 





find. Sobald der Regierung offizielle Berichte zugehen, die Das 
Gerücht beftätigen, fol ftrenge Wiedervergeltung auf dem Fuße 
folgen.“ 

Präfivent Lincoln’s Politif in der Stlävereifrage geht deutlich 
aus folgendem Briefe an einen Kentudyer hervor, den er im April 
1864 fchrieb: 

„Exekntiv-Gebäude, Wafhington, 4, April 1864, 
„Herrn A. ©. Hodges, Frankfort, Kentudy. 

„Werther Herr:— Sie bitten mich, Ihnen fchriftlich zu geben, 
was ich neulich in Ihrer Gegenwart mündlich zu Gouverneur 
Bramlette und Senator Diron fagte. Es war ungefähr wie folgt: 

„sh bin von Natur aus ein Antifflavereimann, Wenn die 
Sklaverei fein Unrecht ift, fo giebt es fein Unrecht, ch erinnere 
mich nicht, daß ich jemals anders dachte oder fühlte, Dennoch aber 
war ich nie der Anficht, dag das Präfidentenamt mir ein unbe- 
grenztes Recht verleihe, meinen Gefinnungen und Gefühlen gemäß 
offiziell zu Handeln. Der von mir geleiftete Eid lautete dahin, daß 
ich nad, beften Kräften die Conftitution der Vereinigten Staaten 
aufrecht halten, befhüsen und vertheidigen wolle. Sch fonnte das 
Amt nicht antreten, ohne den Eid zu leiften. Auch war es feines- 
wegs meine Abficht, einen Eid zu leiften, um zur Macht zu gelan- 
gen und dann durd Ausübung der Macht den Eid zu brechen, 
Auch weiß ich wohl, daß bei der gewöhnlichen Civil-Adminiſtration 
diefer Eid mir fogar verbot, meine urfprünglichen abftraften An- 
fichten über die moralifche Frage der Sklaverei praftifch geltend zu 
machen. ch hatte dies zu verfchiedenen Zeiten und auf verfchie- 
dene Weife öffentlich erklärt. Und ich darf behaupten, daß ich bis 
auf den heutigen Tag feinen einzigen offiziellen Aft begangen habe, 
zu dem ich mich Durch meine abftraften Urtheile und Gefinnungen 
über die Sklaverei verleiten ließ. 

„Wohl aber verftand ich, daß mein Eid, Die Conſtitution nach 
beſten Kräften zu erhalten, beſchützen und vertheidigen, mir die 
Pflicht auferlegte, durch Anwendung aller unerläßlichen Mittel die 
Regierung zu erhalten und damit auch die Nation, deren orga— 
niſches Geſetz eben jene Conſtitution iſt. War es möglich, die Na— 
tion zu verlieren und dennoch die Conſtitution zu bewahren? 


Fortſchritt. 295 





„Dem Naturgeſetze gemäß müſſen Leben und Gliedmaßen be— 
ſchützt werden; zur Rettung des Lebens nun iſt häufig die Ampu— 
tation eines Gliedes nothwendig, nie aber opfert man das Leben, 
um ein Glied zu retten. Ich bin mir bewußt, daß gewiſſe Maß— 
regeln, die unter andern Umſtänden unconſtitutionell ſein würden, 
geſetzlich werden, wenn ſie zur Erhaltung der Nation ſowohl wie 
zur Erhaltung der Conſtitution unerläßlich ſind. Recht oder Un— 
recht, ich ging von dieſem Standpunkte aus und behaupte ihn jetzt 
noch. Ich könnte nicht überzeugt ſein, daß ich alle meine Kräfte 
aufgeboten hätte, um die Conſtitution zu erhalten, wenn ich den 
Untergang der Regierung, des Landes und der Conſtitution insge— 
ſammt zugegeben hätte, um die Sklaverei oder irgend eine andere 
untergeordnete Sache zu retten. Als General Fremont zu einer 
frühern Periode des Krieges die militäriſche Emancipation ver— 
ſuchte, verbot ich es ihm, weil ich dieſelbe damals nicht für eine un— 
erläßliche Maßregel hielt. Noch fpäter, als General Hunter einen 
Berfuch zu militärifcher Emaneipation machte, verbot ich es wie— 
derum, weil ich glaubte, daß die unabmweisbare Nothwendigkeit noch 
nicht gefommen fet. 

„als ich im März, Mai und Juli 1862 ernfte und wiederholte 
Aufrufe an die Grenzſtaaten erließ und fie ermahnte, die compen- 
firte Emaneipation zu begünftigen, glaubte ich, Daß die unabweis— 
bare Nothwendigfeit zur militärifchen Emanerpation und Bewaff- 
nung der Schwarzen fommen würde, wenn jene Maßregel fie nicht 
abhielte. Sie lehnten den Vorfchlag ab und ich war damit auf die 
Alternative verwiefen, entweder die Union und mit ihr die Confti- 
tution verloren gehen zu -laffen, oder aber die ftarfe Hand auf das 
farbige Element zu legen. Ich wählte das Lebtere, und indem ich 
es wählte, hoffte ich auf größeren Gewinn als Verluft. Dennoch 
war ich des Gewinnes nicht fo ganz verfichert. Die Erfahrung 
son mehr als einem Jahre hat indeffen gezeigt, daß der Schritt 
feinen Berluft im Gefolge hatte, weder in unfern Beziehungen zu 
auswärtigen Nationen, noch in der öffentlichen Stimmung unferes 
eigenen Volkes, noch auch in unferer weißen Militärmacht— feinen 
Berluft in irgend einer Weife oder an irgend einem Orte. Wohl 
aber zeigte fich ein Gewinn von einhundert und dreißigtaufend 


296 Das Leben Abraham Lincolns. 





Soldaten, Matrofen und Arbeitern. Dies find Thatfachen, über 
die Fein Widerfpruch flattfinden Tann, Wir haben die Leute und 
wir Fönnten fie ohne jene Maßregel nicht haben, 

„Und nun laßt jeden Unionsmann, der fich über die Mafregel 
beflagt, niederfchreiben, daß er zu Gunften der Unterdrüdung der 
Rebellion durch Waffengemalt ift, und daneben, daß er Diefe hun— 
dertunddreißig taufend Mann von der Seite der Union zu neh 
men und fie dahin zu ſetzen wünfcht, wo fie ohne die Maßregel, 
die er verdammt, fein würden. Will er dies nicht thun, fo ift eg, 
weil er der Wahrheit nicht ing Geficht zu ſchauen vermag. 

„Sch will hier noch einige Worte hinzufügen, die nicht in der 
mündlichen Unterhaltung begriffen waren, Indem ich das Obige 
niederfchrieb, beabjichtigte ich feineswegs, meinem eigenen Scharf- 
finn ein Lob zu fpenden. Ich mache feinen Anfpruch auf die 
Ehre, die Ereigniffe beherrfcht zu haben, fondern geftehe vielmehr 
offen, daß bie Ereigniffe mich beherrſchten. Jetzt, nachdem der 
Krieg drei Jahre gedauert, ift der Zuftand der Nation Feineswegs 
fo, wie irgend ein Menſch oder eine Partei wünfchte oder erwar- 
tete. Gott allein vermag dem Lauf der Ereigniffe zu gebieten. 
Das Biel aber fteht ung jet deutlich vor Augen. Wenn es nun 
Gottes Wille ift, daß ein großes Unrecht aufhören fol, und wenn 
es ferner fein Wille ift, Daß wir vom Norden fowohl wie ihr vom 
Süden redlich für unfern Antheil an diefem Unrecht fühnen fol- 
len, fo wird der unparteiifche Gefchichtsfchreiber dereinft neue Ur- 
fache finden, die Gerechtigkeit und Güte Öottes anzuerkennen und 


zu verehren. 
„Aufrichtig der Ihrige, 
Abraham Sincoln,” 


Die Refultate der Verwendung von Negerfoldaten — einer 
Maßregel, die zur Zeit ihrer erften Ankündigung nicht wenig Be— 
ftürzung und Entrüftung unter den Superflugen in den loyalen 
Staaten verurfachte und felbft von vielen weißen Soldaten mit 
scheelen Blicden angefehen wurde — machten alle ferneren Argu= 
mente über diefe Trage überflüffig, wie deutlich aus obigem Briefe 
hervorgeht. - 

Da Jeff. Davis, der Infurgenten-Chef, angelündigt hatte, daß 


Sorefheitt, 297 


feine der von den Kriegsgeſetzen anerkannten Rechte und Privile- 
gien unfern farbigen Soldaten und deren Offizieren im Fall ihrer 
Gefangennahme gewährt werden folle, fo war am 24, April 1863 
eine vom Präfidenten approbirte General-Ordre [No. 100] erlaf- 
fen worden, die Folgendes enthielt: 

„Das Völkerrecht erfennt feinen Unterfchied der Farbe an, und 
wenn ein Feind der Vereinigten Staaten irgend einen Kriegsge- 
fangenen unferer Armee verkaufen und zum Sklaven machen 
follte, fo wäre Dadurch die ftrengfte Wiedervergeltung gerechtfer- 
tigt, wenn nach erfolgter Klage das Unrecht nicht gut gemacht 
würde, Die Vereinigten Staaten können nun aber nicht dadurch 
Miedervergeltung ausüben, daß fie die in ihren Händen befind- 
lihen Feinde zu Sklaven machen; deshalb muß diefes Verbrechen 
gegen das Völkerrecht mit dem Tode beftraft werden. 

„Ale Truppen des Feindes, die unfern Truppen oder irgend 
einem Theil derfelben feine Schonung ermeifen, follen ebenfalls 
feine Schonung erhalten.” 


Folgende Ordre des Präfiventen, die er als Oberbefehlshaber 
erließ und der ganzen Armee befannt machte, bezieht fich einzig 
und allein auf dieſen Gegenſtand: 


„Bafhington, den 30. Juli 1863. 

„Es iſt die Pflicht einer jeden Regierung, ihren Bürgern ſämmt— 
licher Klaffen und Farben Schub angedeihen zu laffen, ingbefon- 
dere aber Deajenigen, die ald Soldaten im Milttärdienft organi=- 
firt find. Das Völkerrecht, fowie die Gebräuche und Sitten der 
eivilifirten Kriegsführung geftatten in der Behandlung der 
Kriegsgefangenen feinen Unterfehien der Hautfarbe. Das Ber- 
faufen irgend einer gefangenen Perfon in die Sklaverei wegen 
ihrer Hautfarbe und wegen feinerlei Vergehen gegen die Kriegs- 
gefete ift ein Rüdfchritt zum Barbarismus und ein Verbrechen 
gegen die Civiliſation unferer Zeit. 

„Die Regierung der DVereinigten Staaten wird allen ihren 
Soldaten den gleihen Schu gewähren, und wenn der Feind 
irgend einen derfelben wegen feiner Hautfarbe verfaufen und zum 
Sklaven machen wird, fo foll das Verbrechen durch Retaliation 





298 Das Leben Abraham Lincolns. 





an den in unfern Händen befindlichen feindlichen Gefangenen 
beftraft werden. 

„Es wird daher anbeordert, dag für jeden Soldaten der Ver— 
einigten Staaten, der den Kriegsgefegen zumider getödtet wird, 
ein Rebellenfoldat hingerichtet werden fol; und daf für jeden 
Unionsfoldaten, der von dem Feinde verfauft und zum Sklaven 
gemacht wird, ein Nebellenfoldat zu ſchwerer Arbeit an den öffent- 
lihen Werken angehalten werden fol, und zwar fo lange, big der 
Unionsfoldat der Sklaverei entlaffen und der einem Kriegsgefan- 
genen gebührenden Behandlung theilhaftig werden wird,” 

„Abraham Fincoln.“ 





Neunzehntes Kapitel. 
Abermaline Womination. 


General-Fientenant Grant — Seine militärifche Laufbahn — Fortgefehte Be- 
wegungen — Correfpondenz mit dem Präfidenten — Uebergang über den 

, Bapidan — Selagerung von Richmond — Krief des Präfidenten an eine 
Grant-Derfammlung— Die Republikanifche National-Tonvention — Deren 
Plattform — Die Homination — Herrn £incolns Antwort an die Noti- 
fikations-Committee — Anrede an eine Committee der Union-Ligue — 
Rede bei einer Serenade — Anrede an Dhio-Truppen, 


Im Frühjahr 1864 wurden jene großartigen militärifchen Com— 
binationen entworfen und begonnen, die jener gigantifchen Re— 
bellion den Todesftoß verfegen follten, die — wie die auswärtigen 
und einheimifchen Feinde der Republik ung beftändig verficherten— 
nie unterdrüdt werden könnte, und der die Vereinigten Staaten 
fchlieglich unterliegen müßten. 

Am 26. Februar hatte der Congreß eine Bill pafjirt, durch 
welche der Rang eines General>Lieutenants der Armee wieder ins 
Leben gerufen wurde. Der Präfident unterzeichnete diefelbe am 
2. März und nominirte fofort den General-Major Ulyſſes ©. 
Grant für diefe Stelle, welche Nomination fofort einftimmig durch 
den Senat beftätigt wurde, 


Xbermalise Nomination. 299 





Wie der Präfident war auch General Grant von „niedriger 
Herkunft.” Er konnte ſich nicht jener Geburtsvortheile, Familien- 
eonnectionen oder Güterbefisthümer rühmen, die fchon fo Man- 
chem zu Rang und Anſehen verholfen hatten. Er betrat vie 
Armee als Dberft eines Fllinois-Regimentes, dem er binnen eines 
Monats eine foldhe Disziplin gab, daß es fich mit den beiten Illi— 
nois-Negimentern meffen fonnte; avancirte dann zum Brigade- 
General; verhinderte durch die Schlacht von Belmont die Ver- 
ftärfung der Rebellen im ſüdlichen Miffouri durch Truppen von 
Columbus, wofür ihm nie die gebührende Anerkennung wurde; 
eroberte durch einen urplöglichen Angriff faft zu gleicher Zeit die 
Forts Henry und Donelfon, und brachte eine ftarke feindliche 
Truppenzahl, die er bei Smithland unverhofft angegriffen hatte, 
zur Uebergabe; trieb dann die zuvor fo troßig prahlenden Re— 
bellen vor ſich her durch Kentudy und Tennefjfee und ließ ihnen 
feine Ruhe, bis fie endlich Corinth erreichten; focht dann in 
einem Fritifchen Augenblid des Krieges mit feinem erften Gehilfen 
Sherman die Schladht von Shilo. Am Abende des erften Tages 
fhien Alles verloren, er aber blieb gefaßt und fagte zu feinen 
Leuten: „Rauhe Arbeit dies, morgen aber werden wir fie klopfen!“ 
— und fie wurden geflopft; ließ dann Buell im Commando zu- 
ruf und feste fich geduldig zur langwierigen Belagerung von 
Corinth hin, bis er endlich nach Vicksburg gefandt wurde, das fich 
ihm nad) langem Widerftande mit einer großen Armee und un- 
geheuren Kriegssorräthen übergab. Es war am 4. Juli 1863, 
als er mit feiner fiegreichen Armee in die durch Natur und Kunft 
faft uneinnehmbar gemachte Stadt einzog. Jetzt war der Bater 
der Gemwäffer, der majeftätifhe Miffiffippiftrom, der Schifffahrt 
wieder geöffnet, die fo lange durch feindliche Batterien und Horden 
unterbrochen gemwefen. Dann wandte fih Grant nad Chatta- 
nooga, wo er Thomas mit dem Befehle hinterließ, es feftzuhalten 
und nicht aufzugeben, felbjt wenn er verhungern müßte. Es 
wurde nicht aufgegeben und Dfttenneffee ward von den Rebellen 
befreit. Dies waren die Hauptpunfte in Grant’s militärifcher 
Laufbahn, bis ihm endlich das Ober-Commando über ſämmtliche 
Truppen der Bereinigten Staaten übertragen wurde, 


800 Das Leben Atrabam Lincolns. 








Am 9, März befuchte der General den Palaft des Präfidenten, 
wo ihm Herr Lincoln die Commiffion feines neuen Ranges über- 
trug und ihn mit folgenden Worten anrebete: 


„General Grant: — Die dankbare Anerkennung der Nation 
für Das, was Sie bereits in diefem großen Kampfe gethan haben, 
und ihr Vertrauen auf Sie hinfichtlich Deffen, was noch zu thun 
ift, find in diefer Commiffion ausgedrüdt, durch welche Sie zum 
General-Lieutenant der Bereinigten Staaten Armee ernannt 
werden. 

„Mit diefer hohen Ehre fallt eine weitere Berantiwortlichkeit 
auf Shre Schultern. Wie das Land Ihnen vertraut, fo wird es 
Sie mit Gottes Hilfe unterftüben. Ich brauche kaum zu fagen, 
daß was ich hier im Namen des Landes rede, zugleich meine eigene 
aufrichtige Gefinnung ausdrüdt.” 


Sherman, dem Grant das Commando im Südmweften übertragen 
hatte mit der Inftruftion, Atlanta, den Hauptpunkt in Georgia, zu 
erobern, begann nun jene Serte yon Flankenbewegungen, die eine - 
Zeit lang den Rebellen fo großes Vergnügen zu machen fchienz 
während Grant — fchweigjelig und kaltblütig, wie immer, ohne ge= 
zierte Reden und eitle Paraden — fih an die fehmwierige Aufgabe 
machte, die er fich gefest hatte, nämlich die Vernichtung oder Ge— 
fangennahme son Lee’s Armee, und die Einnahme von Richmond, 


Am 30, April fchrieb der Präfident dem neuen Ober-eneral 
folgenden Brief: 


„An General-Sieutenant Grant. 


„Beneral: — Da ich Sie vor der Eröffnung der Frühjahrs— 
Campagne wahrfcheinlich nicht mehr fehen merde, fo wünfche ich 
mit kurzen Worten meine völlige Befriedigung über das auszu- 
drüden, was Sie bisher gethan haben. Die Einzelheiten Ihres 
Planes weiß ich nicht und verlange fie auch nicht zu wiffen. Sie 
find wachſam und umfichtig, und Damit zufrieden, untererlaffe ich, 
Ihnen meine Anfichten aufzudrängen, Diemweilich nun fehr wünfche, 
daß irgend eine bedeutende Niederlage oder ein großer Verluft an 
Truppen vermieden werden möge, bin ich überzeugt, daß Diefe 


Abermalige Nomination. 801 





Punkte Ihrer Aufmerkfamfeit weniger entgehen würden, als der 
meinigen, 

„Sollten Sie irgend Etwas bedürfen, was ich zu geben vermag, 
fo laffen Sie es mich fofort wiffen. Und nun, mit einer tapfern 
Armee und einer gerechten Sache, möge Gott Ihnen Sieg ver- 


leihen ! 
„Aufrichtig der Ihrige, 
Abraham Lincoln.” 


Diefer Brief wurde vom General folgendermaßen beantwortet : 


„Anden Prafidenten: — Soeben gelangte ich in den Bells 
Ihres gütigen Schreibens, Das Vertrauen, das Sie auf meine 
fünftige militärifche Adminiftration hegen, fowie Ihre Befriedigung 
mit meiner Vergangenheit, erfüllte mich mit gerechtem Stolz. Es 
wird mein ernftes Beftreben fein, Sie und das Land nicht zu ent» 
täufchen. i 

„Seit meinem Eintritt in den Boluntärdienft bis auf den heuti- 
gen Tag habe ich nie Urfache gehabt, der Adminiftration oder dem 
Kriegsfefretär den Vorwurf zu machen, daß fie mich Durch irgend 
welche Hinderniffe an der energifchen Ausführung meiner Pflicht 
gehemmt hätten. Im Oegentheil war ich feit meiner Berufung 
zum Ober-Commando über fämmtliche Armeen der Union, und an- 
gefichts meiner großen Verantwortlichfeit und der Wichtigkeit des 
Erfolges erftaunt über die Bereitwilligkeit, mit der alles Verlangte 
gewährt wurde, ohne daß man auch nur Gründe und Aufflärungen 
von mir verlangt hätte, Sollte mein Erfolg geringer fein, als ich 
wünfche und erwarte, fo kann ich mwenigftens fo viel fagen, Daß die 
Schuld nicht an Ihnen liegt. 

„Mit Hohachtung Ihr ergebener Diener, 
U. S. Grant, General-Lientenant.” 
„Eulpepper Court Houfe, Ba., den 1, Mat 1864," 


Ohne die Zeit mit eitlen Paraden zu vergeuden, und durch die 
Erfahrungen Anderer gewitzigt, machte fih der General-Lieutenant 
zuvörderſt an's Werk, die Cliquen und Kabalen zu vernichten, die 
fo lange der Wirffamkeit der Potomac Armee im Wege geftanden 
hatten. Damit fertig, febte er urplöglich über den Rapidan, mo er 


302 Das Leben Abraham Lincolns. 





von Lee’s ganzer Armee mit Ungeftüm angegriffen wurde, noch ehe 
er Zeit hatte, feine eigene gehörig in Schlachtordnung zu ftellen, 
„Jeder andere General,” fagte Präfivent Lincoln, „wäre nach den 
erften drei Tagen des Kampfes wieder über den Rapidan zurüdge- 
fallen.“ Grant aber Fampfte weiter, machte eine Slanfenbewegung 
zur Linken, kämpfte fort und telegraphirte, nachdem die Schlacht 
ſechs Tage gedauert hatte, an den Präfidenten, „daß er es auf die— 
fer Linie ausfechten wollte, und wenn er den ganzen Sommer dazu 
brauchte.” Bei Spottfylvania Court Houfe fam es abermals zu 
einer Mordſchlacht — Grant überliftete Lee und ficherte fich feine 
Pofition, die er feftzuhalten befchloß, bis die beabfichtigten Bewe— 
gungen in andern Gegenden ihm die Hauptftadt der Rebellen in die 
Hände liefern würden. 


Hier feste er fich feft, ohne fich auch nur im Mindeften durch den 
Ausfall beirren zu laffen, den die Rebellen im Juli gegen Wafhing- 
ton und nad) Maryland machten. Kaltblütig und geduldig ver- 
harrte er auf feiner Pofition, und felbft die verzweifeltſten Anftren- 
gungen feines verfchmigten Gegners vermochten ihm nicht zu 
veranlaffen, feinen eifernen Griff Ioszulaffen. Die Zeitungen in 
Richmond wütheten, ftürmten, höhnten und fpotteten abmwechfelnd ; 
fuchten ihn zu belehren, daß er ganz anders hätte handeln follen; 
behaupteten, er fei fein Strategift, fondern einfach ein glüdlicher 
TIappingfeld, ein gewiffenlofer Schlächter in einem ungeheuren 
Mafftabe, und dergleichen mehr. Die Rebellen- Freunde im Nor— 
den dagegen rührten den alten Brei wieter auf und waren höchft 
entrüftet, daß man nicht fofort Gen, MeClellan zurüdberufe, damit 
er die Bundeshauptftadt rette oder gar Richmond einnehme. Der 
General-Lieutenant indeffen fah diefem Gebahren mit ftoifcher 
Kaltblütigkeit zu und blieb unbeweglic, wo er war, 


Während dieſe Campagne vor fich ging, fehrieb der Präfident 
folgenden Brief an die Arrangements-Committee einer Mafjen- 
Berfammlung in New York, die veranftaltet worden war, um 
General Grant eine Bertrauens-Adreffe zu überfenden und ihm 
zu dem großen Erfolg feiner bisherigen Bemühungen zu gratu= 
liren: 


Abermalige Nomination. 308 





„Sreeutiv-Gebände, Wafhington, den 3, Juni 1864. 

„Seine Herren :— Geſtern gelangte ih in Empfang Shrer 
Einladung zu der am 4, d. M. in New York abzuhaltenden Maf- 
fenverfammlung loyaler Bürger zum Zwed, dem General-Lieute- 
nant Grant eine Dank-Adreſſe für feine glänzenden Dienfte zu 
votiren, Sch bedaure, daß es mir unmöglich ift, der Berfammlung 
beizumohnen. Sch billige indeffen jede Maßregel, die dazu bei- 
tragen mag, General Grant und die tapfern Armeen unter ihm 
zu ftärfen und zu unterftüßen. Meine frühere hohe Achtung vor 
General Grant wurde durch die legten Ereignijfe der merkwürdigen 
Eampagne, in der er jebt begriffen ift, bedeutend erhöht; während 
die Größe und die Schwierigfeiten feines Unternehmens meine 
Erwartungen bei Weitem übertrafen, Er und feine tapferen 
Soldaten ftehen jegt mitten in der Yeuerprobe, und ich hoffe, daß 
die Reden bei Fhrer Verſammlung einen praftifchen Nuben haben 
werden, nämlich den, ihn und feine Armee mit Mannfchaft und 
Waffen zu unterftüßen. | 

„Genehmigen Sie ꝛc. 
Abraham Sincoln.“ 


Am 7, Juni verfammelte ſich die republifanifche National-Eon- 
vention zu Baltimore, um Kandidaten für die Präfiventfchaft und 
Bice-Präfidentfchaft zu nominiren, 

Schon geraume Zeit vor der Berfammlung diefer Konvention 
hatte ſich die öffentliche Stimmung entfchieven zu Gunſten der 
abermaligen Nomination Herrn Lincoln’s erklärt. Staats-Le— 
gislaturen, Staats-Conventionen, Maffenverfammlungen, fowie 
die große Majorität der loyalen Preffe verlangten, daß der Mann, 
deffen conftitutioneller Erwählung die Rebellen fich zu unterwer- 
fen geweigert hatten, und der während drei Jahren der ange 
ftrengteften Arbeit feinen Patrivtismus, feine Fähigkeit und Recht- 
fhaffenheit auf das Glänzendſte bewiefen hatte, die Genugthuung 
haben follte, das Werf, das er felbft als Präfivent begonnen, als 
Inhaber deffelben hohen Amtes zu einem glüdlihen Ende zu 
bringen. 

Dennoch gab es felbft in den Reihen der Ioyalen Patrioten 


04 Das Leben Abraham Lincolns. 





Manche, die der Anficht waren, Daß das gute Werk, deffen Vollen— 
dung fie fo fehnlich und fogar ungeduldig herbeiwünſchten, nicht 
mit dem Ernfte und der Energie betrieben worden fei, wie es 
vielleicht unter andern Aufpicien betrieben worden wäre. Cinige 
von diefen befürmworteten den Auffchub der Convention bis nad 
dem vierten Juli, in der Erwartung, daß bis dahin das Land 
beffer im Stande fein würde, zu urtheilen, ob Herr Lincoln wirk— 
lich der befte Mann für das Amt wäre. Ein anderer Theil diefer 
mißvergnügten Loyalen hatte fich bereits in einer Convention zu 
Chicago verfammelt und General Fremont zur Präfidentfchaft 
und General Cochrane zur Vice-Präfidentichaft nominirt, Ihre 
Plattform enthielt eine feharfe Kritif der Adminiftration Herrn 
Lincoln’s, ohne jedoch einen praktifcheren und beffern Plan anzu— 
deuten. General Fremont, der fchon feit einiger Zeit außer afti- 
vem Dienft geftanden, hatte darauf feine Refignation eingereicht 
und die Nomination unter der Bedingung acceptirt, von derfelben 
zurüdzuftehen, im Fall irgend ein anderer Mann, als Herr Lin- 
eoln, von der Baltimore Convention nominirt werden follte.*) 





*) Folgende Stelle aus General Fremont's Annahmebrief wird feinen Stand- 
punkt hinreichend bezeichnens - 


„Splte die Baltimore Convention irgend einen Dann nominiren, deffen Ver— 
gangenheit eine Gewähr ift für feine Treue gegen unfere Hauptprinzipien, fo fiele 
jeder Grund zu einer Spaltung unter den wahrhaften Patrioten des Landes hinweg. 
Don ganzem Herzen würde ich einem folchen Kandidaten meine energifche Unter— 
ſtützung zukommen laſſen und würde es entfchteden vorziehen, in dieſer Beziehung 
mitzumirfen, als ſelbſt Kandidat zu fein, Sollte aber Herr Lincoln wieder no- 
minirt werden — und meiner Anficht nach wäre es verberblich für das Land, eine 
Politik gutzuheißen und eine Macht zu erneuern, die und Taufende von Menichen- 
leben gefoftet und das Land an den Rand ded Banferstted gebracht hat — nun, 
dann bliebe und Nichts übrig, als ſämmtliche Elemente redlicher Oppoſition zu orga— 
niftren, um dem Nebel feiner Wtedererwählung vorzubeugen.‘ 


In diefem Briefe, wie auch in dem fpätern, in welchem er fi von der Kandida- 
tur znrüczog, wimmelt es von Befchuldigungen gegen die Adminiftration Lincoln’s. 
Es wurden Lebterem Unfähigkeit, Rath- und Thatlofigfeit, Corruption und ber 
Himmel weiß was zum Vorwurf gemacht. Nun ja, Fremont konnte es Herrn 
Lincoln nte verzeihen, daß er feine unautorifirte Emancipationd-Ordre desavouirte 
und ihn fpäter von jenem Commando abberief, Die Stimme des Volkes — und 


Abermalige Nomination 305 


Diefe Oppofition war jedoch mehr eine feheinbare, als eine 
wirkliche. Allenthalben im Lande gab fich unter den Ioyalen 
Greunden der Union der Entfchluß Fund, demjenigen Manne die 
berzlichfte Unterftügung angedeihen zu laffen, der von der repu— 
blilanifchen Convention nominirt werden würde, und zwar mit 
Hintanſetzung aller perfönlichen und unmefentlichen Rüdfichten. 





Um zweiten Tage adoptirte die Convention unter Beifallrufen 
folgende Plattform: 


„Befhloffen, daß es die höchfte Pflicht eines jeden amerifa- 
nifchen Bürgers ift, die Integrität der Union und die oberfte Au- 
torität der Conftitution und der Gefebe der Vereinigten Staaten 
gegen alle Feinde zu vertheidigen, und daß wir mit Hintanfebung 
fänmtlicher politifchen Meinungsverfchiedenheiten ung verpflichten, 
als Unionsmänner, von einem gemeinfamen Gefühle dDurchdrungen 
und nad einem gemeinfamen Ziele ftrebend, alle unfere Kräfte auf- 
zubieten, um die Regierung bei der Unterdrüdung der jetzt gegen 
ihre Autorität beftehenden Rebellion durch Waffengewalt und bei 
der gebührenden Beftrafung der Rebellen und Berräther zu unter- 
ſtützen. 

„Beſchloſſen, daß wir den Entſchluß der Regierung der 
Vereinigten Staaten billigen, kein Compromiß mit Rebellen ein— 
zugehen, noch denſelben andere Friedensbedingungen zu gewähren 
als eine Uebergabe auf Gnade oder Ungnade, eine Einſtellung der 





vox populi vox Dei — hat über Beide gerichtet, und Beide werden in der Ge— 
Schtehte den ihnen gebührenden Plag einnehmen, Zu bedauern ift es indeffen, daß 
der mit großen Geiftesgaben ausgeftattete „Pfadfinder,“ der erfte eigentliche Stif- 
ter der republifanifchen Partet, der befondere Abgott der Deutſchen im Welten von 
Amerika, fih, von Heinlicher Rachſucht befeelt, herbeilaffen mochte, Angeſichts der 
drohenden Stellung des Landes und der unheilverfündenden Organifation ber 
„Copperhead““Faktion in eine Spaltung des Ioyalen Theiles der Nation zu willigen 
und fogar in mehreren Stellen feines Annahmebriefed in das Geheul der Ballan- 
digham⸗ MeClellan⸗Wood⸗ Partei einzuftimmen (vide feine Bemerkungen über Lin- 
coln's militäriſche Diktatur, willkürliche Verhaftungen — namentlich aber feine 
Mißbilligung der Confiskationsmaßregel, die doch feine eigene Partei im 13. Be— 
ſchluß ihrer Plattform ausdrüdlich für eine gerechte Maßregel erklärte), 
0 Anmerkung des Ueberſetzers. 


306 Das Leben Abraham Lincolns. 





Veindfeligfeiten und die Rüdfehr zur Treue gegen die Conftitution 
und Gefege der Vereinigten Staaten; und daß wir die Negierung 
erfuchen, dieſe Pofition zu behaupten und den Krieg mit Außerfter 
Strenge bis zur vollftändigen Unterdrüdung ver Rebellion zu be= 
treiben, im vollen Bertrauen auf die Opferbereitwilligfeit, den 
Patrivtismus, den Heldenmuth und die unbegrenzte Hingebung 
des amerifanifchen Volkes für fein Land und feine freien Inſtitu— 
tionen. 

„Befhloffen, da die Sklaverei die Urſache dieſer Rebellion 
war und jet die Stärfe derfelben iſt, und da diefelbe ſich allent- 
halben und jederzeit den Prinzipien einer republifanifchen Regie- 
rung feindlich ermeifen muß, — daß die Gerechtigkeit wie auch die 
Sicherheit der Nation die gänzlihe und vollftändige Vertilgung 
derfelben vom amerifanifchen Boden erfordern; daß mir Die Ge— 
feße und Proflamationen billigen und unterftüßen, wodurch Die 
Regierung zu ihrer Selbftvertheidigung dieſem gigantifchen Uebel 
den Todesftoß verfegte; und daß wir zu Gunften eines Amende- 
ments zur Conftitution find, welches, den Beftimmungen der lebtern 
gemäß vom Volke ausgehend, die Sklaverei innerhalb der Juris— 
diftion der Vereinigten Staaten für immer abfchafft und verbietet, 

„Beſchloſſen, daß der Dank des amerifanifchen Volkes den 
Soldaten und Matrofen der Armee und Marine gebührt, die ihr 
Leben zur Bertheidigung ihres Landes und zur Vindication der 
Ehre unferer Flagge auf’s Spiel fetten; daß die Nation ihnen eine 
ewige Anerfennung ihres Patriotismus und ihrer Tapferkeit fchul- 
det, fowie reichliche und beftändige Vorforge für Diejenigen, welche 
ebrenvolle Wunden oder Berftümanelungen im Dienfte ihres Landes 
davon trugen; und daß wir Derer, die in der Vertheitigung der 
Nation gefallen find, jebt und immerdar mit Dankbarkeit gedenken 
wollen, 

„Beſchloſſen, daß unfere Billigung und unfer Beifall der 
praftifchen Weisheit, dem uneigennübigen Patrivtismug und der 
unmwanfelhaften Treue gegen die Eonftitution und die Grundfäbe 
der amerifanifchen Freiheit gebührt, womit Abraham Lincoln unter 
unerhörten Schwierigfeiten die großen Pflichten und Berantwort- 
lichfeiten des Präfidentenamtes ausübte; daß wir die Durch Die 


Abermalige Yrominatiork 307 





Nothwendigkeit gebotenen, zur Rettung der Nation unerläßlichen 
und von der Eonftitution fanktionirten Maßregeln billigen und in— 
dofliren, die er adoptirt hat, um die Nation gegen ihre offenen und 
geheimen Feinde zu vertheidigen; daß wir insbefondere die Eman- 
eipationg-Proflamation und die Verwendung farbiger Männer, die 
früher in der Sklaverei gehalten wurden, zum Militärdienft der 
Union billigen, und daß wir volllommenes Vertrauen in feine Ent- 
fchloffenheit haben, dieſe und alle andern zur Rettung des Landes 
erforderlichen conftitutionellen Maßregeln vollftändig und gründlich 
durchzuführen, 

„Beſchloſſen, daß wir es im Intereſſe der öffentlichen Wohl- 
fahrt für mwefentlich halten, daß Einheit im Rathe der Nation 
bherrfche, und daß wir nur Diejenigen des Vertrauens und öffent- 
licher Aemter für würdig erachten, die den in diefen Befchlüffen 
dargelegten Prinzipien, welche die Apminiftration der Regierung 
charakterifiren follten, ihre unbedingte und aufrichtige Unterftügung 
geloben. 

„Beſchloſſen, daß es die Pflicht der Regierung iſt, allen 
ihren Soldaten, ohne Rückſicht auf deren Hautfarbe, den vollen 
Schub der Kriegsgeſetze zukommen zu laſſen, und daß jede Ver— 
letzung dieſer Gefebe, oder der Kriegsgebräuche civilifirter Na— 
tionen, feitens der Rebellen prompt und fireng geahndet werden 
follen, 

„Beſchloſſen, daß die Einwanderung von Ausländern, die 
in vergangenen Jahren fo viel zum Reichthum, zur Entwidelung 
der Hilfsquellen und zur Entfaltung der Macht diefer Nation—deg 
Aſyls der Bedrückten aller Nationen—beigetragen hat, auch ferner- 
hin durch eine liberale und gerechte Politif begüunftigt und ermuthigt 
werden folle, 

„Beihloffen, daß wir zu Gunften einer baldigen Herftel- 
lung der Eifenbahn nach der Küfte des ftillen Meeres find, 

„Befhloffen, daß der zur Einlöfung der öffentlichen Schuld 
verpfändete Eredit der Nation unverlebt aufrecht erhalten werden 
muß, und daß mir zu diefem Zwed Sparfamkeit und ſtrenge Ver— 
antwortlichfeit in den öffentlichen Ausgaben, fowie auch ein ener- 
gifches und gerechtes Befteuerungsiyftem anempfehlen ; ferner, daß 


308 Tas Leben Abraham Lincolns. 





es die Pflicht eines jeden Ioyalen Staates ift, den Eredit des Na— 
tionalpapiergeldes aufrecht zu erhalten und den Gebrauch deffelben 
zu befördern, 

„Beihloffen, daß wir die von der Regierung angenommene 
Pofition billigen, dag nämlich das Volk der Vereinigten Staaten 
nicht mit Öleichgiltigfeit dem Verſuch irgend einer enropäifchen 
Macht zuſchauen kann, die Inftitution irgend einer republifanifchen 
Regierung auf dem weftlichen Kontinent durch Waffengewalt oder 
durch Betrug zu flürzen; und daß wir mit größter Eiferfucht die 
den Frieden und die Unabhängigkeit dieſes unferes Landes bedro— 
benden Bemühungen irgend einer folchen Macht betrachten, die da— 
hin zielen, in der unmittelbaren Nähe der Vereinigten Staaten 
mittelft einer fremden militärifchen Gewalt eine monarchiſche Re— 
gierung zu errichten.“ 


Beim erften Ballot für einen Präfiventichaftsfandidaten erhielt 
Abraham Sincoln die Stimme eines jeden Staates, mit Ausnahme 
von Miffouri, deffen Delegaten für General Grant ſtimmten. Nach— 
dem indeffen auf Antrag eines Miffouriers die Nomination ein» 
flimmig gemacht worden war, erfolgte eine höchſt enthufiaftifche 
Scene, bei welcher die ganze Convention fich erhob, indeffen die Mu— 
filbande “ Hail Columbia” fpielte, 


Folgende Namen wurden für die Bice-Präfiventfchaft vorgefchla- 
gen: Andrew Johnſon von Tenneſſee; Hannibal Hamlin von 
Maine; General 2. H. Rouffeau von Kentudy und Daniel ©, 
Dikinfon von New York, 

Bald zeigte es fich indeffen, daß Andrew Johnſon die Nomina- 
tion erhalten würde, und noch, ehe das Refultat angefündigt war, 
begannen die Delegaten der verfchiedenen Staaten, die zu Gunften 
irgend eines andern Kandidaten gewefen waren, ihre Stimmen zu 
ändern und erflärten ſich unter enthufiaftifchem Beifallruf einftim- 
mig für Andrew Johnſon. 


Am 9, Juni empfing Präfivent Lincoln eine Committee der Con— 
vention, die ihn von feiner Nomination in Kenntniß febte, und 
deren Vorſitzer, Er-Gouverneur Dennifon von Ohio, unter Ande- 
rem folgende Worte in feiner Anrede Außerte: 


Abermelige Nomination 309 





„Ich brauche Ihnen wohl kaum zu fagen, daß die Convention, 
indem fie Ihnen ihre einftimmige Nomination gab, nur der faft all- 
gemeinen Stimme des Ioyalen Volkes Ausdrud verlieh. Den fieg- 
reichen Erfolg der Wahl zu bezweifeln wäre fast gleichbedeutend mit 
dem Aufgeben der Hoffnung auf die Unterdrüdung der Rebellion 
und der Wiederherftellung der Regierung in den nfurgenten- 
ftanten. Weder die Convention, noch das Volk, das durch diefelbe 
vertreten wird, zweifeln an dem endlichen Erfolg unter Ihrer Ad— 
miniftration, unterftüßt von dem Ioyalen Bolfe und der tapfern 
Armee und Flotte. Ebenſo wenig zweifelt die Convention, oder 
diefe Committee, an der baldigen Unterdrüdung diefer gottlofen und 
ungerechtfertigten Rebellion.“ 


Der Präjident erwiederte hierauf: 


„Herr Vorfitzer und meine Herren von der Committe :— Ich 
will weder meine Freude verhehlen, noch meine Gefühle der Dank— 
barfeit unterdrüden, daß das Volk der Union durch feine Conven— 
tion bei dem fortgefesten Streben zur Rettung der Nation mich 
nicht für unwürdig hielt, in meiner gegenwärtigen Stellung zu 
verbleiben. Sch zweifle nicht, daß ich die mir angebotene Nomi- 
nation annehmen werde; dennoch follte ich vielleicht nicht meinen 
definitiven Entſchluß erklären, ehe ich die Plattform gelefen und er— 
wogen habe. 

„Eines jedoch will ich jebt fagen, namlich, daß ich jenen Be— 
ſchluß gutheiße, der fich zu Gunften eines Amendments zur Con— 
ftitution erklärt, wonach die Sklaverei aus der Nation vertilgt 
werden fol. Da der rebellifche Theil des Volkes nach einer aus- 
drüdlichen Anfündigung von hundert Tagen, daß ihm innerhalb 
diefer Frift ohne den Umfturz feiner Inſtitutionen die Rückkehr 
zur Treue offen ftehe, auf der Rebellion verharrte, ift das vorge— 
fhlagene Amendment zur Eonftitution zum endlichen Sieg der 
Unionsſache unentbehrlich und nothwendig geworden, 

„Hierdurch nur fünnen wir alle Einwürfe zum Schweigen 
bringen. Sch begreife fest die Wichtigkeit einer folhen Maßregel 
und befürworte fie. Im Namen der Freiheit und der Union 


310 Das Leben Abraham Lincolns. 





laßt ung gemeinfam arbeiten, um derfelben gefegliche Form und 
praftifche Wirkſamkeit zu verſchaffen.“ 


Am folgenden Tag überreichte eine Deputation der National- 
Union-Ligue dem Präfiventen eine Beglüdwünfhungs-Aoreffe, 
worauf diefer antwortete: 


„Seine Herren: — Auf die Bemerkungen Ihres Vorſitzers 
fann ich nur fo viel ermwiedern, daß ich für diefen wiederholten 
Beweis des Vertrauens, der mir ſowohl von der Convention, wie 
son der National-Ligue zu Theil wurde, höchft dankbar bin, 
Zwar bin ich nicht unempfindlich für das perfünliche Compliment, 
das mir durch dieſe Nomination dargebracht wird; dennoch weiß 
ich nur zu wohl, daß ich daſſelbe keineswegs auf meine Berbienfte 
beziehen darf. 

„Ih bin überzeugt, daß die Convention und das Volk von 
höheren Gefinnungen befeelt find — von einer Würdigung der 
Intereſſen des Landes für die Gegenwart und die große Zukunft; 
und was ich als perfünliches Compliment für mich felbft betrach- 
ten darf, ift lediglich die Anficht der Convention und der Ligue, 
daß ich nicht ganz unmwürdig fei, das Amt auch ferner zu verwal- 
ten, dag ich feit drei Fahren befleive, 

„Ich bilde mir durchaus nicht ein, meine PEN daß ich der 
beite Mann im Lande für diefes Amt ſei; allein die gegenwärtigen 
Umftände erinnern mic an einen alten holländifchen Farmer, der 
einft zu feinen Kameraden bemerkte: „es fei nicht gerathen, mitten 
im Strom die Pferde umzutaufchen.” 


Ein langes und lautes Gelächter folgte dieſer letzten charaf- 
teriftifchen Bemerkung, die nur von Denjenigen gewirrdigt werden 
fann, welche Herrn Lincoln in Stunden der Erholung gekannt 
hatten, 


Um Abend des 9. Juni brachte ihm eine Delegation von Ohio 
eine Serenade, worauf er Die Berfammlung in folgenden Worten 
anredete: 

„Meine Herren: — Meinen verbindlichften Dank für diefes 
Complimeut. Ich habe ſoeben gefagt und will es hier wieder- 


Abermalige Wominatior. 311 





holen, daß die ſchwerſten aller Reden diejenigen für mich ſind, die 
ich als Erwiederung auf Serenaden zu halten habe. Ich wußte 
nie recht, was ich bei ſolchen Gelegenheiten zu ſagen hätte. 

„Ich vermuthe, daß ich dieſes Compliment der Nomination zu 
verdanken habe, womit die Baltimore Conveution mich beehrte, 
und worüber ich natürlich ſehr erfreut bin. Was uns jedoch mehr 
Noth thut als Baltimore Conventionen oder Präſidentenwahlen, 
iſt Erfolg unter General Grant. 

„Ich erſuche Sie, ſtets im Gedächtniß zu behalteu, daß die Un— 
terftüßung der tapfern Offiziere und Soldaten im Felde von der 
größten Wichtigleit ift, und daß wir daher alle unfere Energie 
diefem Punkte zuwenden follten, 

„Zum Schluffe bitte ich Sie, drei donnernde Hurrahs für Ge- 
neral Grant und die Offiziere und Soldaten unter feinem Com- 
mando Darzubringen.‘ 

Dies gefhah mit ftürmifchem Enthufiasmus. Der Präfident 
felbft ging mit feinem Beifpiel voran und ſchwenkte feinen Hut 
unter dem betäubenden Beifallsgefehrei der Menge, die fich darauf 
jubelnd zerftreute, 

Am 11, Juni wartete ihm ein Regiment Obiotruppen auf, die 
für einhundert Tage voluntirt hatten, Herr Lincoln richtete fol- 
gende Worte an fie: 


„Soldaten: — Ihr feid, wie ich höre, foeben son Ohio gefom- 
men, um ung in diefer Stunde der Gefahr wie auch der Hoffnung 
zu helfen. ch danke euch, daß ihr meinem Aufgebot von Trup- 
pen fo prompt entfprochen habt. Nie bedurfte das Land eures 
Dienftes mehr als jebt, Sch weiß nicht, wohin ihr gehet. Es 
mag fein, daß ihr bier bleiben und die Stelle Derer annehmen 
follet, die nach der Fronte gefandt werden; vielleicht auch werdet 
ihr felbft dahin gefandt. Ich bin indefjen überzeugt, daß ihr eure 
Pflicht thun werdet, wo es immer fein mag. Nochmals fage ich 
euch meinen Dank, Lebet wohl!” 


Zwanzigſtes Kapitel. 
Reconfiruftion. 


Rede des Präfidenten zu Philadelphia — Die Philadelphia Ausftellung — 
Eorrefpondenz mit der Committee der National-Lonvention — Prokla- 
mation des Ariegsgefeßes in Kentuky — Die Frage über Reronftruktion 
— Proklamation des Präfidenten über diefen Gegenfland — Plan des 
Congreſſes. 


Am 16. Juni 1864 beſuchte der Präſident die in Philadelphia 
abgehaltene Ausſtellung zur Unterſtützung der Vereinigten Staa— 
ten Sanitäts-Commiſſion — jener edlen Organiſation, die wäh— 
rend des ganzen Krieges ſo viel Gutes wirkte, indem ſie für die 
Bedürfniſſe unferer Soldaten im Felde und die Pflege der Kran— 
fen und Berwundeten in den Hofpitälern forgte, wie feine andere 
Nation, felbft Frankreich und England mit al’ ihren Kriegserfah- 
rungen nicht ausgenommen, je gethan hatte. 

Eine ungeheure Bollsmenge hatte fih an jenem Tage in Phi— 

ladelphia eingefunden. Alles drängte fich herbei, um den verehr- 
ten Präfidenten zu fehen, und Taufende und aber Taufende muß— 
ten unbefriedigt hinmwegziehen, fo groß war der Andrang. 
Nach dem üblihen Handfchütteln, dem fich Herr Lincoln mit 
gutmüthigem Humor unterzog, wurde eine Mahlzeit aufgetifcht, 
bei deren Ende ſämmtliche Anwefenden dem Präfiventen einen 
enthufiaftifhen Toaſt brachten, worauf dieſer ermwiederte : 


„Diefer Toaft fol mir, wie mich dünkt, ven Weg bahnen, um 
einige Worte zu fagen. Der Krieg ift ftets ein fchredliches 
Ding; unfer Krieg aber ift, was Größe und Dauer anbelangt, 
einer der fohredlichiten, den die Welt je gefehen. Er hat an vie- 
len Orten, vielleicht an allen, die Gefchäfte ing Stoden gebracht. 
Sr hat Eigenthum zerftört, Menfchenleben gekoftet und Städte 
und Dörfer in Schutt und Aſche gelegt. Er hat uns eine Na— 
tionalfhuld und eine Steuerbürde aufgeladen, wie fie in der Ge— 
fchichte dDiefes Landes unerhört waren, Er hat Trauer unter ung 

(312) 


Reconfruftion., 813 





verbreitet, big man faft jagen durfte, daß der Himmel mit Schwarz 
behangen fei: Und er dauert noch immer fort. Allein er hat 
auch Dinge im Gefolge gehabt, wie fie die Welt nie gefehen. 

„Ich rede hier von den Sanitäts- und hriftlichen Commiſſionen 
mit ihren Bemühungen zur Unterftügung der Soldaten; des— 
gleichen von den Voluntär-Erfrifchungsfalong und diefen Aus— 
ftellungen, die zuerft in Chicago begannen und dann in Bofton, 
Cincinnati und andern Städten abgehalten wurden. 

„Der Zwed, der allen diefen Anftalten zu Grunde liegt, ift ein 
edler und würdiger, und wohl geziemt es ung, Alles zu thun, was 
in unfern Kräften fteht, um die Soldaten zu unterſtützen, die Die 
Schlachten unferes Landes fechten. Biel, unendlich viel thun 
dabei die fchönen, zarten Hände der Frauen, und dies erinnert den 
Soldaten, daß man daheim feiner gedenkt und für ihn forgt. Und 
diefer Gedanke, dag man feiner nicht vergißt, muß feinem Herzen 
unendlich wohl thun. 

„In der That find dieſe Anftalten einer nähern Betrachtung 
werth. Diefe freiwilligen Beiträge bemeifen, daß die Hülfsquel- 
len der Nation noch lange nicht erfchöpft find, und daß der Pa- 
triotismug des Volkes uns bis zum Ende unterfügen wird. 

„Mancher wird die Frage aufwerfen: Wann wird der Krieg zu 
Ende fein? — Ich will den Tag nicht beftimmen, damit nicht das 
Refultat meine Weiffagung Lügen ftrafe. Wir nahmen ven 
Krieg an, allein wir haben ihn nicht begonnen. Wir nahmen 
ihn zu einem Zwede an, und wenn diefer Zwed erreicht ift, dann 
wird der Krieg endigen, Ich hoffe indeffen zu Gott, daß er nicht 
endigen wird, big jener Zweck erreicht ift. 

„Dir werden fortfahren in unferem Werke und follte es ung 
noch weitere drei Jahre in Anfpruch nehmen — wenigitens fo weit 
es mich betrifft. Ich hatte nie die Gewohnheit, Prophezeiungen 
zu machen; jest aber fühle ich mich faft geneigt, eine zu wagen. 
Ich will es thun. Sie befteht darin, daß Grant mit Meade und 
Hancock von Pennfylsanien diefen Abend eine Pofition einneh- 
men werden, von welcher fie nie vertrieben werden fünnen, bis 
Richmond unfer ift. 

„Denn 23 fih mir nun berausftellt, daß die Einnahme von 


314 Tas Leben Abraham Lincolns. 





Richmond dadurch erleichtert und befchleunigt würde, daß General 
Grant in fürzefter Frift bedeutende Verſtärkungen erhielte, wollt 
ihr dann gehen? [Geſchrei: „Ja!“] Wollt ihr mit ihm marfchi- 
ven? [Wiederholtes Rufen: „Sal ja!“] 

„Nun, dann werde ich euch auffordern, wenn es nothwendig iſt!“ 


Folgende Correfpondenz wurde zwifchen Herrn Lincoln und 
einer Committe der National-Convention bezüglich feiner Nomi- 
nation gewechfelt: 

„New York, ven 14, Juni 1864. 


„Seiner Ercellenz, Abraham SFincoln, Prafident der Vereinigten 
Staaten. 


„Herr Präafident:— Die National-Union- Convention, die 
ſich am 7. Juni in Baltimore verfammelte, hat uns aufgetragen, 
Sie in Kenntniß zu fesen, daß Sie mit enthufiaftifcher Einftimmig- 
feit für die nächften vier Jahre, vom 4. März 1865 an gerechnet, 
zur Präfiventfchaft nominirt wurden, 

„Die Befchlüffe der Convention, die wir bereits die Ehre hat— 
ten, Ihrer Einficht zu unterbreiten, enthalten eine vollftändige und 
klare Darlegung der Prinzipien, nach denen jene Berfammlung 
handelte, und die, wie wir glauben, von der großen Maffe der 
Unionsmänner im ganzen Lande gebilligt werden. Ob nun jene 
Befchlüffe die unfern Soldaten und Matrofen gebührende Danf- 
barfeit der Nation, oder die Berfhmähung eines unehrenhaften 
Compromifjes mit Rebellen ausdrüden ; — ob fie Die patriotifchen 
Pflichten der Unionsbürger bezeichnen; — ob fie die Emancipa= 
tiong-Proflamation billigen, das Amendment zur Conftitution 
befürworten, der Verwendung früherer Sklaven zu Unionsſolda— 
ten Lob fpenden, oder der Regierung die heilige Pflicht ans Herz 
legen, die jedem Unionsfoldaten widerfahrenen Unbilden zu ahn— 
den, welcher Hautfarbe oder Race er auch fein möge; — ob fie die 
Unverlegbarkeit des National-Kredits erklären, oder den Bedrüd- 
ten aller Nationen die Gaftfreundfchaft dieſes Landes anbieten, 
oder die Verbindung des atlantifchen Meeres mit dem Pacific 
mittelft einer Eifenbahn begünftigen; ob fie öffentliche Spar- 
famfeit und ein energifches Tarationsfyftem anempfehlen oder Die 


Reconftruktion. N 815 





entfchloffene Oppofition des Volkes gegen die Errichtung fremder 
Monarchien mittelft Waffengewalt in der unmittelbaren Nähe der 
Bereinigten Staaten ansdrüden; — ob fie erflären, daß Diejeni- 
gen nur des öffentlichen Vertrauens und der Aemter würdig feien, 
die ohne Vorbehalt die in dieſen Befchlüffen ausgefprochenen 
Grundſätze billigen und die Politik derſelben unterftüßen: — 
überall wurden fie von dem loyalen Volke in allen Punkten mit 
gleichem Beifall aufgenommen, 

„Da wir mit Ihnen der Anficht find, daß dies ein Volkskrieg 
zur Erhaltung der Regierung ift, die, wie Sie fo richtig bemerkten, 
„in dem Bolfe, durch das Volk und für das Volk befteht,“ fo find 
wir überzeugt, daß Sie mit Freuden erfehen werden — nicht nur 
aus den Befchlüffen, felbft, fondern auch aus der merkwürdigen 
Einftimmigfeit und dem Enthuſiasmus, womit diefelben ange— 
nommen wurden — wie warm die öffentliche Meinung jede Maf- 
regel zur Führung des Krieges begrüßt, der fo energifch, unzwei— 
deutig und wankellos ift, wie die Entfchloffenheit der Nation felbft. 
Kein Recht z. B. ift dem amerifanifchen Herzen fo heilig und 
theuer wie Das Recht der perfönlichen Freiheit. Jede Verlegung 
deffelben wird allenthalben mit gerechter und allgemeiner Eifer- 
fucht betrachtet. Dennoch räumt jeder getreue Bürger in dieſer 
Stunde der Gefahr ein, dag um des Beſtehens der Nation und 
der allgemeinen Wohlfahrt willen die individuelle Freiheit nach 
den Beftimmungen der Conftitution für den Fall einer Rebellion 
zuweilen fummarifch entzogen werden dürfe und verlangt weiter 
nichts, als daß in folchen Fällen diefe notwendige extreme Ge— 
walt nicht voreilig oder unmeife ausgeübt werde. 

„Bir glauben, daß der ehrliche Wille der Unionsmänner im 
Lande nie getreuer repräfentirt war, als in diefer Convention. 
Sie alle wünfchen die Unterdrüdung der Rebellion durch Waffen 
gewalt und die Sicherung eines dauernden Friedens, ſowie die 
MWiederherftellung der Union, Freiheit und Gerechtigkeit unter der 
Conftitution, Daß fich diefen Refultaten unendliche Schwierig- 
feiten in den Weg ftellen, wiffen wir Alle. Daß fie nur durch 
Eintracht und Zuſammenwirkung erreicht werden Fönnen, tft un— 
beftreitbar. Daß gute Männer zuweilen felbjt hinfichtlich der 


316 Das Leben Abraham Lincolns. 





geeigneten Mittel oder des richtigen Zeitpunktes verfchiedene An— 
fichten hegen mögen, ift uns befannt, Daß in der Ausführung 
aller menschlichen Angelegenheiten die höchfte Pflicht die ift, Die 
Leidenfchaften zu bändigen und nur das praftifch Ausführbare zu 
erwägen, Davon find wir überzeugt. Die loyalen Bürger haben 
deshalb Ihre Amtsverwaltung mit gefpannter Aufmerkfamfeit 
bewacht, und mitten unter dem bittern Spott allzu eifriger Freunde 
und den wüthenden Schmähungen der Feinde — unter ten Be— 
fhuldigungen Einiger, daß Sie zu voreilig, und der Ungeduld 
Anderer, daß Sie zu langfam handelten — erwiefen Sie fi in 
allen Phafen diefes furchtbaren Krieges weife, geduldig, treu und 
gerecht, und ſtützten fich auf das Herz der großen Maffe des Volkes, 
ftets willig und zufrieden, fich von dem mächtigen Pulsjchlage def- 
felben leiten zu laffen. 

„Aus diefem Grunde hatte der Inſtinkt des Volkes ſchon lange 
vor dem Zufammentritt der Convention Sie als feinen Candi— 
daten bezeichnet und die Convention verlieh daher blos dem 
Bolkswillen Ausdrud, Ihr Charakter und Zhre Laufbahn be— 
weifen Ihre unmwanfelhafte Treue für die Jundamentalprinzipien 
der amerifanifchen Freiheit und der amerifanifchen Conftitution, 
Gm Namen diefer Freiheit und Conftitution erfuchen wir Gie 
nun ernftlich, diefe Nomination anzunehmen; und indem wir 
unfer theures Vaterland und Sie, das würdige Oberhaupt deffel- 
ben, fowie alle feine tapfern Söhne, die zu Waffer und Land 
den amerifanifchen Grundſatz der Freiheit und Gleichheit verfech- 
ten, dem Segen des Allmächtigen anempfehlen, verharren wir 

Hochachtungsvoll 
Ihre aufrichtigen und getreuen Mitbürger. 
„William Denniſon von Ohio, Vorſitzer. 
„Folgen die Unterſchriften ſämmtlicher Mitglieder der Committee.“ 


Auf dieſe Adreſſe antwortete Präſident Lincoln wie folgt: 
„Erxekntiv-Gebäude, Waſhington, ven 27. Juni 1864. 
„An den achtbaren William Dennifon, Vorſitzer, und an die übri— 
gen Mitglieder der Committee der National-Unionsconvention, 
„Meine Herren:— hr Schreiben vom 14, dieſes Monats, 
in welchem Sie mich formell in Kenntniß feßen, daß ich von der 


Reconſtruktion. 317 





Convention, die Sie repräſentiren, für die nächſten vier Jahre, vom 
4. März 1865 an gerechnet, zum Präſidenten der Vereinigten 
Staaten nominirt worden ſei, iſt mir zu Händen gekommen. Ich 
nehme die Nomination dankbar an und billige die Beſchlüſſe der 
Convention von ganzem Herzen. 

„Während ich dem Beſchluſſe hinſichtlich des Umſturzes einer re— 
publikaniſchen Regierung auf dem weſtlichen Continente vollkom— 
men beiſtimme, ſehe ich mich veranlaßt, zur Vermeidung eines Miß— 
verſtändniſſes zu ſagen, daß die Stellung der Regierung in Bezug 
auf das Verfahren Frankreich's in Mexiko getreulich aufrecht er— 
halten werden ſoll, wie ſie durch das Staatsdepartement angekün— 
digt und von der Convention indoſſirt wurde, ſo lange der Sach— 
verhalt jene Stellung als rathſam und praktiſch erſcheinen läßt. 

„Zum beſonderen Vergnügen gereicht es mir, daß die Soldaten 
und Matroſen von der Convention nicht vergeſſen wurden; denn 
wohl geziemt es ſich einem dankbaren Lande, mit ewiger Liebe der 
tapferen Söhne zu gedenken, die zu ſeiner Rettung ihr Leben auf's 
Spiel ſetzten. 

„Indem ich Ihnen für die gütigen und ſchmeichelhaften Aus— 
drücke danke, mit welchen Sie mir die Nomination, ſowie die 
übrigen Verhandlungen der Convention angekündigt haben, ver- 


barre ich 
„Ihr ergebener Diener, Abraham Fincoln.“ 


Am 5, Juli erſchien folgende Proflamation, in welcher das 
Kriegsgefeb über Kentudy verhängt wurde: 

„Sintemalen der Präfident der Vereinigten Staaten in einer 
am 15. April 1861 erlaffenen Proflamation anfündigte und er- 
Härte, daß die Ausführung der Gefebe der Vereinigten Staaten 
feit einiger Zeit in gemwiffen dafelbft angegebenen Staaten durch 
Eombinationen verhindert wurden, die zu mächtig wären, als daß 
fie durch das gewöhnliche Gerichtsverfahren oder die den Mar- 
fhällen durch das Geſetz verliehene Gewalt unterbrüdt werden 
fönnten; und 

„Sintemalen fofort nad dem Erlaß befagter Proflamation 
die Land⸗ und Seemacht der Vereinigten Staaten zur Unterbrüdung 


818 Das Leben Abrabam Lincolns. 





befagter Infurreftion und Rebellion in Thätigfeit verfebt wurde; 
und 

„Sintemalen der Congreß der Vereinigten Staaten in einer 
am 3. März 1863 genehmigten Alte den Präfivdenten der Verei— 
nigten Staaten autorifirte, das Privilegium des Habeas Corpus 
Writs in den ganzen Bereinigten Staaten oder in irgend einem 
Theile derfelben zu fufpendiren, wenn während befagter Rebellion 
feinem Urtheile nach die öffentliche Sicherheit e8 erfordere; und 

„Sintemalen befagte Infurreftion und Rebellion noch immer 
fortdauert und dadurch die Eriftenz der Conftitution und der Re— 
gierung der Vereinigten Staaten gefährdet; und 

„Sintemalen die Militärmacht der Vereinigten Staaten ge— 
genwärtig damit befchäftigt ift, befagte Inſurrektion und Rebellion 
in verfchiedenen Theilen der Staaten zu unterdrüden, in denen be- 
fagte Rebellion den Geſetzen und den öffentlichen Behörden erfolg- 
reichen Widerftand leiftete, namentlich in den Staaten Virginien 
und Georgia; und 

„Sintemalen der Präfivent der Bereinigten Staaten am 15. 
September 1863 eine Proflamation erließ, in welcher er erklärte, 
daß das Privilegium des Habeas Corpus Writs in den ganzen 
Bereinigten Staaten fufpendirt fein folle in Fällen, wenn auf Voll- 
macht vom Präfivdenten der Vereinigten Staaten hin die Militär-, 
Marine» und Livilbeamten der Vereinigten Staaten, oder irgend 
einer derfelben, Perfonen unter ihrem Commando oder in ihrem 
Gewahrfam entweder als Kriegsgefangene, Spione, Helfer oder 
Helfershelfer des Feindes fefthalten; desgleichen Offiziere, Soldaten 
und Seeleute, die fich freiwillig anmwerben ließen oder conferibirt 
und eingemuftert wurden und zur Land» oder Seemacht der Ver- 
einigten Staaten gehören; ferner Deferteurs und andere Perfonen, 
die den Kriegsartifeln oder den vom Präfiventen der Vereinigten 
Staaten vorgefchriebenen Regulationen für den Militär- und Ma— 
rinebienft anheimfallen; endlich folche Perfonen, die ſich der Con— 
feription widerſetzen, oder fich fonftiger Vergehen wider den Militär- 
und Marinedienft fhuldig machen; und 

„Sintemalen viele Bürger des Staates Kentudy fih den 
Infurgententruppen angefchloffen haben und bei mehreren Gele- 


Reconftruftion, 319 





genheiten in ftarker Anzahl in befagten Staat Keritudy eingefallen 
find, wobei ihnen von illoyalen Bürgern daſelbſt Hilfe und Vor— 
ſchub geleiftet wurde; und da diefelben nicht nur den öffentlichen 
Frieden bedeutend geftört, fondern auch die Civilbehörden geftürzt, 
flagranten Bürgerkrieg geführt und in verfchiedenen Theilen befag- 
ten Staates Leben und Eigenthum zerftört haben; und 

„Sintemalen dem Präfiventen der Vereinigten Staaten von 
den Befehlshabern der Rativnal-Armeen mitgetheilt wurde, Daß 
fich in befagtem Staat Kentudy Combinationen gebildet haben zum 
Zwede, die Rebellentruppen zu veranlaffen, befagte Bürgerkriegs— 
operationen in befagtem Staate zu wiederholen und dadurch die 
jest in den Staaten Virginien und Georgia operirenden Vereinigte 
Staaten Armeen zu hemmen, oder gar deren Sicherheit zu ge= 
fährden: 

„Deshalb erkläre ich, Abraham Lincoln, Präfident der Verei— 
nigten Staaten, kraft der mir durch die Eonftitution derfelben über- 
tragenen Autorität, daß meinem Urtheile nach die öffentliche Sicher— 
heit ausprüdlich erfordert, daß die in befagter Proflamation vom 
15. September 1863 angefündigte Sufpenfion des Habeas Corpus 
MWrits im ganzen Staate Kentudy in Wirkfamfeit treten und aus— 
geführt werden fol, und daß für jetzt Das Kriegsgefe über den— 
felben verhängt ift. Sch verlange deshalb von den militärifchen 
Dffizieren in befagtem Staate, daß das Privilegium des Habeas 
Corpus Writs in Wirklichkeit innerhalb dieſes Staates obener- 
wähnter Proflamation gemäß fufpendirt und das Kriegsgeſetz da— 
felbft in Kraft gefebt werde, und zwar vom Datum diefer Profla- 
mation anz und daß befagte Sufpenfion und befagtes Kriegsgefeb 
fortdauern follen, bis dieſe Proflamation zurüdgenommen oder 
modificirt wird; jedoch nicht langer als bis befagte Rebellion unter- 
drüdt oder beendigt ift. Und ferner gebiete und befehle ich ſämmt— 
lichen Militäroffizieren und Civilbeamten innerhalb des befagten 
Staates Kentudy, dieſe Proflamation zu beachten und derfelben 
volle Wirkſamkeit zu verſchaffen. Das hiermit proflamirte Kriegs— 
gejeb nebft den andern hiermit beorderten Dingen follen nicht zur 
Einmifhung in die Wahlen oder in die Verhandlungen der confti- 
tutionellen Zegislatur von Kentudy benutzt werden, noch zur Ein» 


320 Das Leben Abraham Lincolns. 





mifchung in die Juſtizverwaltung der dafelbft beftehenden Gerichtshöfe 
in Fällen zwifchen Bürgern der Vereinigten Staaten, fofern folche 
Fälle Nichts mit den militärifchen Operationen oder den zu— 
ftändigen Behörden der Vereinigten Staaten Regierung zu thun 
haben, 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Unterfchrift beigeſetzt 
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lafjen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington, am fünften Tage des 
Monats Zuli, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
vierundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit der 
Vereinigten Staaten. | 

„Auf Befehl des Präfiventen : Abraham Fincoln.“ 
„William 9 Seward, Staatsfekretär.” 

Die Frage hinfichtlich der Grundſätze, nach welchen die Rebellen- 
Staaten reconftruirt werden follten, wenn die Snfurreftion inner- 
halb ihrer Grenzen unterdrüdt fein würde, hatte fich bereits ſchon, 
wie in einem früheren Kapitel erwähnt wurde, zur Erwägung und 
Entfcheidung dargeboten. Nachdem der Congreß faft im legten 
Moment feiner Situng eine fih auf diefen Gegenftand beziehende 
Bill paffirt hatte, erließ der Präfivent am 9. Zuli folgende Pro- 
Hamation, worin er diefelbe im Wefentlichen billigte und geneh- 
migte, jedoch mit Louiſiana und Arkanfas eine Ausnahme machte, 
da diefe Staaten dem ©eift und Inhalt einer früheren Proflama- 
tion gemäß, wodurch der Wille eines Zehntels der Stimmgeber 
des Staates zu deſſen Rückkehr zur Treue genügte, reorganifirt 
worden waren, während die Gongrefbill die Stimmen einer Ma- 
jorität erforderte: 

„Sintemalen bei der legten Sitzung des Congreffes eine Bill 
paffirt wurde, um gewiffen Staaten, deren Regierungen ufurpirt 
oder umgeftürzt worden waren, eine republifanifche Regierungs- 
form zu garantiren, — von welcher Bill eine Copie beifolgt —; 
und 

 „Sintemalen befagte Bill dem Präfiventen der Vereinigten 

Staaten weniger als eine Stunde vor der sine die Vertagung be- 
fagter Sitzung zur Genehmigung überfandt und von ihm nicht 
unterzeichnet wurde; und 


Reconfiruftion. 321 





„Sintemalen beſagte Bill unter Anderm einen Plan zur 
Wiederherſtellung der in Rebellion befindlichen Staaten zu ihrer 
praftifchen Beziehung zur Union enthält, welcher Plan die Gefin- 
nung des Congrefjfes über diefen Gegenſtand ausdrückt, und der 
hiermit dem Volke zur Erwägung vorgelegt wird: 


„Deshalb proflamire und erkläre ich, Abraham Lincoln, 
Präſident der Vereinigten Staaten, daß ich, wie im lebten Dezem- 
ber, als ich durch eine Proflamation einen Plan zur Reftoration 
vorſchlug, noch jeßt unvorbereitet bin, mich durch formelle Geneh- 
migung diefer Bill unwiderruflich an einen einzigen Reftorationg- 
plan zu binden; Daß ich gleichfalls unvorbereitet bin, zu erflären, 
daß die bereits in Arkanfas und Louifiana adoptirten und inftal- 
lirten Sretftants-Conftitutionen und Regierungen für null und 
nichtig erklärt und die Ioyalen Bürger, die dieſelben gegründet, 
dadurch von ferneren Bemühungen abgefchredt und entmuthigt 
werden follen; ferner, daß ich nicht Willens bin, dem Congreß die 
eonftitutionelle Befugniß einzuräumen, in irgend einem Staate 
die Sklaverei einzuführen; daß ich vielmehr aufrichtig die An- 
nahme eines Amendments zur Conftitution hoffe und erwarte, 
wodurch die Sklaverei in der ganzen Nation bewirkt würde; daß 
ich trogdem mit dem in der Bill enthaltenen Reſtorationsſyſtem 
völlig einverftanden bin, da es einen fehr geeigneten Plan für die 
Bürger irgend eines Staates bietet, die denfelben zu adoptiren 
wünſchen; und daß ich ftets bereit fein werde, irgend einem fol- 
hen Bolfe erefutive Hilfe und Unterftügung zu gewähren, fobald 
der bewaffnete Widerftand gegen Die Vereinigten Staaten in irgend 
einem ſolchen Staate unterdrüdt und das Volk zum Gehorfam 
gegen die Eonftitution und die Geſetze der Vereinigten Staaten 
zurüdgefehrt ift, in welchem Falle militärifche Gouverneurs mit 
Inftruftionen, nad befagter Bill zu verfahren, ernannt werden 
follen. 


„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterfchrift 

beigefest und dag Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Begeben in der Stadt Wafhington am achten Tage des 

Monats Juli, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert 
21 


322 Das Leben Abraham Lincolns. 





und vierundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit 
der Vereinigten Staaten. 

„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Fincoln.“ 
„Billiam 9. Seward, Staatsfefretär.” 


Folgendes tft die Bill, deren Eopie der Proflamation beigefügt 
war: 


„Eine Bill, um gewiffen Staaten, deren Regierungen ufurpirt 
oder geftürzt worden waren, eine republifanifche Regierungsform 
zu garantiren, 

„BDefchloffen durdy den Senat und das Veprafentantenhaus der 
Vereinigten Staaten von Amerika, im Congreß verfammelt: — 
Daß in den Staaten, die fi in Rebellion gegen die Vereinigten 
Staaten befinden, der Präfident auf den Rath und mit der Zu- 
fimmung des Senats für jeden derfelben einen proviforifchen 
Gouverneur ernennen foll, deffen Einkünfte und Emolumente die 
eines VBoluntär-Brigade-Generals nicht überfteigen dürfen, und 
dem die Ciyil-Adminiftration eines ſolchen Staates obliegen fol, 
bis in demfelben nach folgenden Beftimmungen eine Staats-Re— 
gierung anerkannt fein wird. 

„Paragraph 2. Berner befhloffen, daß, fobald der 
bewaffnete Widerſtand gegen die Vereinigten Staaten in irgend 
einem folchen Staate unterdrüdt und das Volk veffelben zum Ge- 
horſam gegen die Conftitution und die Geſetze der Vereinigten 
Staaten zurüdgefehrt fein wird, der proviforifche Gouverneur ſo— 
bald wie möglich den Marfchall der Vereinigten Staaten anweifen 
foll, eine genügende Anzahl Deputirte zu ernennen und ſämmt— 
liche weiße männliche Bürger der Vereinigten Staaten, die in 
ſolchem Staate wohnhaft find, in ihren refpeftiven Counties zu 
enrolliren und Jeden einen Eid leiften zu laffen, daß er die Con— 
ftitution der Vereinigten Staaten unterſtützen wolle, und in die— 
fen Liften Diejenigen anzugeben, welche den Eid leiſten, ſowie 
Diejenigen, welche fich deſſen weigern; welche Liften fofort dem 
proviforifchen Gouverneur zugeftellt werden follen. Und wenn 
die Anzahl der Perfonen, die den Eid leiften, eine Majorität der 
im Staate enrollirten Perfonen ausmacht, fo fol der proviforifche 


Reconftruftion. 323 





Gouverneur mittelft einer Proflamation das loyale Volk des 
Staates einladen, Delegaten zu einer Convention zu erwählen, 
beauftragt, den Willen des Volkes im Staate hinſichtlich der 
Wiederheritelung einer Staats-Regierung unter und in Ueber- 
einftimmung mit der Conftitution der Vereinigten Staaten fund 
zu thun. 

„Paragraph 3. Beſchloſſen, daß die Convention aus 
eben fo vielen Mitglievern beftehe, wie die beiden Häufer der letz— 
ten conftitutionellen Legislatur, und vom prosiforifchen Gouver— 
neur gleichmäßig auf die Counties, Parifhes oder Diftrifte des 
Staates vertheilt werde im Berhältniß zu der weißen Bevölkerung, 
wie fie in Hebereinftimmung mit diefer Afte von dem Marfchall 
ermittelt wird. Der proviforifche Gouverneur fol durch eine 
Proflamation die Anzahl der von jenem County, Parifh oder 
Diftrift zu erwählenden Delegaten beftimmen; einen Tag zur 
Wahl feftfegen, die jedoch nicht früher als dreißig Tage nad) dem 
Erlaß der Proflamation ftattfinden darf; den Ort der Wahl in 
jedem County, Parifh oder Diftrift bezeichnen, wobei jedoch fo weit 
wie möglich die unmittelbar vor der Rebellion üblich gewefenen 
Orte bei den Staatswahlen beibehalten werden follen ; ferner fol 
er einen oder mehrere Commiſſäre ernennen, um an jedem dieſer 
Drte die Wahl zu leiten, und eine hinlängliche Force detadhiren, 
um während der Wahl den Frieden aufrecht zu halten, 

„Paragraph 4 Befhloffen, daß die Delegaten von den 
Ioyalen, weißen, männlichen Bürgern der Vereinigten Staaten 
erwählt werden follen, die das Alter von einundzwanzig Jahren 
erreicht haben und zur Zeit in dem Eounty, Parifh oder Diftrikt 
wohnhaft ind, in welchem fie enrollirt wurden und zu flimmen 
wünjchen, oder im militärifchen Dienfte der Vereinigten Staaten 
ftehen, und die den in der Congreßafte vom 2, Juli 1862 vorge— 
ſchriebenen Treueid gegen die Vereinigten Staaten leiften; daß 
ferner alle folche Bürger der Vereinigten Staaten, welche im Mi- 
litärdienft derfelben ftehen, ihre Stimmen in den Hauptquartieren 
ihrer betreffenden Commandos abgeben follen, und zwar unter 
jolhen Regulationen, wie fie vom proyiforifchen Gouverneur zur. 
Abnahme und Einfendung ihrer Stimmen vorgefchrieben werden 


824 Das Leben Abraham Lincolns. 





mögen; daß endlich Feine Perfon, die während der Nebellen- 
Ufurpation irgend ein Civil- oder Militäramt im Staats- oder 
Eonföderirten-Dienft verwaltete, oder freiwillig die Waffen gegen 
die Vereinigten Staaten ergriffen hat, ſtimmen oder bei folcher 
Wahl zum Delegaten wählbar fein folle. 

„Paragraph 5. Befhloffen, daß befagte Commiſſäre 
und jeder Einzelne derſelben die Wahl in Gemäßheit dieſer Akte 
leiten und, ſo weit es mit derſelben vereinbar iſt, dabei nach der 
vor der Rebellion in dem Staate üblich geweſenen Weiſe verfah— 
ren ſoll. Der Treueid ſoll in der oben beſchriebenen Form gelei— 
ſtet und im Wahlbuche (poll-book) unterzeichnet werden; jede 
Perſon aber, von der bekannt iſt oder den Commiſſären bewieſen 
wird, daß dieſelbe irgend ein Civil-oder Militäramt im Conföde— 
rirten= oder Staatsdienft während der Rebellen-Ufurpation ver- 
waltete oder freiwillig die Waffen gegen die Vereinigten Staaten 
ergriffen bat, fol von der Wahl ausgefchloffen werden, felbit wenn 
diefelbe zu fimmen wünſcht; und im Fall irgend eine Perfon, die 
gegen, die Vereinigten Staaten unter Waffen geftanden hat, ihre 
Stimme abzugeben verlangt, fol diefelbe fo behandelt werden, als 
babe fie freiwillig die Waffen ergriffen, es fei denn, daß durch das 
Zeugniß eines qualifieirten Stimmgebers das Gegentheil bewiefen 
wird. Das Wahlbuh fol den Namen und Eid eines jeden 
Stimmgebers enthalten und von dem Wahl-Commiffär dem pro- 
viforifchen Gouverneur überliefert werden; und der proviforifche 
Gouverneur fol die Stimmen zählen laffen und diejenige Perfon 
für erwählt erklären, welche die höchſte Stimmenanzahl erhal- 
ten bat, 

„Paragraph 6. Befchloffen, daß der proviforifche Gou— 
verneur die auf die oben erwähnte Art erwählten Delegaten durch 
eine Proflamation in die Hauptftadt des Staates zufammenberu= 
fen foll, jedoch nicht eher, als dreißig Tage, und nicht fpäter, als 
drei Monate nad) der Wahl. Sollte feinem Urtheile nach befagte 
Hauptjtadt hierzu ungeeignet fein, fo foll er in feiner Proflama- 
tion einen andern Ort beftimmen. Er foll bei den Berathungen 
der Convention den Vorſitz führen und jedem Delegaten, ehe der— 
felbe feinen Sit in der Convention einnimmt, den oben be- 


Reconftruftion, 325 





fhriebenen Eid der Treue gegen die Bereinigten Slaaten ab- 
nehmen. . 

„Paragraph 7. Befhloffen, daß die Convention im 
Namen des Volfes des Staates ihre Unterwerfung unter die Con— 
ftitution und die Gefege der Vereinigten Staaten erflären und 
folgende Beftimmungen adoptiren fol, die hiermit von den Ber- 
einigten Staaten in der Ausübung ihrer conftitutionellen Pflicht, 
jedem Staate eine republifanifche Regierungsform zu garantiren, 
vorgefchrieben werden; welche Beftimmungen der Conftitution 
des Staates einverleibt werden follen; nämlich: 

„Erftens: Keine Perfon, die irgend ein Civil- oder Mi— 
litäramt (ausgenommen find bloße Dienftleiftungsäamter und 
militärifche Stellungen unter dem Rang eines Oberften,) im 
Dienft der ufurpirenden Macht bekleidet hat, fol für ein 
Mitglied der Legislatur oder für einen Önuverneurs-Sandi- 
daten ihre Stimme abgeben, noch zu einem folchen Amte 
wählbar fein. 

„Zweitens: Unfreiwillige Knechtfehaft ift für immer in 
dem Staate verboten, und allen Perfonen wird ihre Freiheit 
dafelbft garantirt. 

„Drittens: Keine unter der ufurpirenden Macht einge- 
gangene oder von derfelben fanktionirte Staats- oder Cor— 
porationsfchuld fol von dem Staate anerfannt und bezahlt 
werden. 

„Paragraph 8 Befhloffen, daß die Convention nad) 
Annahme diefer Beftimmungen ſich an das Werk machen foll, eine 
republifanifche Regierungsform wieder herzuftellen und eine Con— 
ftitution zu ordiniren, der diefe Beftimmungen einverleibt werden; 
welche Conftitution nach ihrer Annahme von der Convention durch 
eine Ordinanz dem Volke des Staates vorgelegt werden fol, das 
unter diefem Geſetze nach der in der Alte für die Wahl der Dele- 
gaten vorgefchriebenen Weiſe zu ſtimmen berechtigt if. Die Eon- 
vention foll Zeit und Ort für die Wahl beftimmen, bei welcher be= 
fagte Wahl-Delegaten (electors) und feine andere direkt für oder 
gegen fulche Konftitution und Staatsregierung ſtimmen follen; Die 
Wahlbücher von folder Wahl follen dem proviforifchen Gouverneur 


326 Das Leben Abraham Lincolns. 





zugeftellt werden, der in Gegenwart der Wahl-Delegaten die Stim- 
men zählen fol, und wenn eine Majorität der Stimmen für die 
Eonftitution und Regierungsform abgegeben wurde, foll er diefelbe 
beglaubigen und eine Eopie davon mit feiner Beglaubigung dem 
Präfidenten der Vereinigten Staaten einfenden, welcher nach ein— 
geholter Zuftimmung des Congreffes die fo etablirte Regierung und 
feine andere als die conftitutionelle Regierung des Staates aner- 
fennen fol. Bon dem Tage folcher Anerkennung an, nicht aber 
früher, dürfen Senatoren und Repräfentanten, fowie Eleftoren für 
die Präfidentfchaft und Vice-Präfidentfchaft, den Gefeten des Staa— 
tes und der Vereinigten Staaten gemäß in foldem Staate gewählt 
werden. 

„Paragraph 9. Befhloffen, daß wenn die Convention 
fich mweigert, die Staatsregierung auf die oben erwähnten Bedin- 
gungen wieder berzuftellen, der proviforifche Gouverneur diefelbe 
für aufgelöft erflären fol, Es fol jedoch die Pflicht des Präfiventen 
fein, jobald feiner Anficht nach eine genügende Anzahl der Bürger 
des Staates (den Beitimmungen diefer Akte gemäß wahlfähig und 
mindefteng eine Majoritat Derer, die enrollirt wurden, umfaffend) 
willig fein werden, auf obige Bedingungen hin eine Staatsregie- 
rung zu etabliren, dem proviforifchen Gouverneur den Auftrag zu 
ertheilen, abermals eine Wahl von Delegaten zu einer Convention 
anzuordnen und in jeder Hinficht wie oben angegeben zu verfahren, 
um entweder die Convention aufzulöfen oder dem Präfidenten eine 
beglaubigte Mittheilung der Wiederherftellung der Staatsregierung 
zu übermachen, | 

„Paragraph 10. Befhloffen, dag, bis die Vereinigten 
Staaten eine republifanifche Regierungsform eines Staates aner- 
kannt haben, der proviforifche Gouverneur in jedem der befagten 
Staaten darauf achten fol, daß dieſe Akte, ſowie die Gefebe der 
Vereinigten Staaten und die andern Gefebe des Staates, die vor 
dem Umfturz der Staatsregierung durch die Rebellion in Kraft be- 
ftanden, innerhalb des Staates getreulich zur Ausführung kommen. 
Kein Gefeb oder Gebrauch aber, nach welchem irgend eine Perfon 
ehedem in unfreimilliger Knechtſchaft gehalten wurde, foll von ir- 
gend einem Gerichte oder irgend einem Beamten in ſolchem Staate 


Reconftruftion. 827 





anerkannt und ausgeführt werden; und Die für dag Verhör und 
die Beftrafung weißer Perfonen beftehenvden Geſetze follen auf alle 
und jegliche Perfonen angewendet werden, und Gefchworene follen 
die Qualififationen der Stimmgeber für Delegaten zur Convention 
unter diefem Gefege befiten. Der Präfident foll, wenn er es für 
nothwendig hält, für die Civil-Aominiftration des Staates nad 
den vor der Rebellion dafelbft in Kraft gewefenen Gefegen Beamte 
ernennen, die zu allen Gebühren und Emolumenten berechtigt fein 
follen, die von den Staatögefegen für ſolche Beamten ausgeſetzt find. 

„Paragraph 11. Befchloffen, daß bis zur Anerkennung 
einer Staatsregierung der proviforifche Gouverneur unter Regula— 
tionen, die er felbft vorfchreiben mag, für das Jahr eintaufend acht- 
hundert und vierundfechzig, fowie für jedes folgende Fahr, vie 
Aſſeſſion und Eintreibung der Steuern anordnen foll, die durch die 
Gefete des Staates während des dem Umfturz der Staatsregierung 
vorhergehenden Fiskaljahres auferlegt wurden, und zwar fo meit 
wie möglich nach der in den Geſetzen des Staates vorgefchriebenen 
Weiſe. Und die vom Präfidenten ernannten Beamten follen volle 
Macht haben, ſolche Steuern aufzuerlegen und mit Milde oder Ge- 
walt einzutreiben, Für die Ergebniffe folcher Steuern foll dem 
prosiforifchen Gouverneur Rechenfchaft abgelegt werden, und diefer 
fol mit dem Ertrag derfelben, vorbehaltlich der Anordnung des 
Präfiventen, die Ausgaben für die Verwaltung der Gefege in fol- 
chem Staate beftreiten; der Ueberſchuß aber foll im Schagamt der 
Bereinigten Staaten zum Credit befagten Staates deponirt und 
dem Staate auf eine Appropriation hin zurücdbezahlt werden, fo- 
bald in demfelben von den Bereinigten Staaten eine republifanifche 
Regierungsform anerkannt fein wird. 

„Paragraph 12. Beſchloſſen, daß alle in befagten 
Staaten in unfreiwilligem Dienft oder Arbeit gehaltenen Perfonen 
hiermit emaneipirt und freigefprochen werden, und daß fie und ihre 
Nachkommen für immer frei bleiben ſollen. Uud wenn irgend eine 
folche Perfon oder deren Nachkommen unter irgend einem Vorwande 
yder Anfpruch ihrer Freiheit beraubt und zum Dienft angehalten 
werden, die Gerichte der Vereinigten Staaten diefelben auf einen 
Habeas Corpus Writ freifprechen follen. 


328 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Paragraph 13. Beſchloſſen, daß wenn irgend eine durch 
dieſe Afte, oder Durch irgend ein Geſetz der Vereinigten Staaten, 
oder durch irgend eine Proflamation des Präfiventen für frei er= 
Härte Perfon ihrer Freiheit beraubt und zu unfreiwilligem Dienft 
und Arbeit angehalten werden follte, Die von einem competenten 
Gerichtshof Diefes Verbrechens für fchuldig befundene Perfon mit 
einer Geldbuße von nicht weniger als eintaufend fünfhundert Dol- 
lars und einer Einferferung auf nicht weniger als fünf und nicht 
mehr als zwanzig Jahre beftraft werden fol. 

„Paragraph 14. Beſchloſſen, daß jede Perfon, die 
fortan im Rebellendienfte irgend ein Civil- oder Militäramt ver- 
waltet (ausgenommen bloße Dienftleiftungsämter und militärifche 
Chargen unter dem Range eines Oberften), hiermit des Bürger- 
rechts der Vereinigten Staaten für verluftig erflärt wird,“ 





Einundzwanzigſtes Kapitel. 
Präfidentfchafts-Campanne von 1864. 


. Proklamation eines Safltags — Anrede an die Soldaten — Eine andere 
Rede — „Wen es angehen mag — Die Chirago Tonvention — Die Der- 
legenheiten der Oppoſition — Befhluß No. 2 — Mrllellan’s Annahme— 
Einnahme der Forts von Mobile und der Stadt Atlanta — Proklamation 
bezüglich eines Dankfefles — Kemerkungen über die Verwendung von Ne— 
gerfoldaten — Adreffe an loyale Marylander. 


Am 7, Zuli erfehten folgende Ankündigung eines National-Faft- 
tags: 

„Sintemalen der Senat und das Nepräfentantenhaus bei 
ihrer lebten Sigung einen gemeinfamen Beſchluß faßten, der am 
3. Juli genehmigt wurde und folgendermaßen lautet: 

Befhloffen, daß der Präfivent der Vereinigten Staaten 
erfucht werde, einen Buß- und Bettag für das Volk der Vereinigten 
Staaten feflzufegen; daß er feine conftitutionellen Rathgeber an 


Präjidenrfchaits:Campagne von 1864, 329 





der Spike der Erefutiv-Departements auffordere, fich mit ihm, dem 
Dberhaupt der Nation in der Stadt Wafhington, den Mitgliedern 
des Eongreffes, ſämmtlichen Magiftratsperfonen, Eivilbeamten, Mi— 
litär- und Marineoffizieren, allen Soldaten und Matrofen, fowie 
mit allen Ioyalen und gefeßliebenden Leuten des Landes zu verei- 
nigen, um fich in ihren gewohnten Ootteshäufern, oder mo es auch 
fonft fein mag, zu verfammeln und ihre vielfältigen Sünden zu be= 
fennen und zu bereuen; um die Gnade und Barmherzigkeit des 
Almächtigen anzuflehen und ihn zu bitten, daß dieſe Rebellion, 
wenn es feinem Willen angenehm ift, fehleunig unterbrüdt und die 
Suprematie der Conftitution und der Gefebe der Bereinigten Staa— 
ten in allen Staaten wieder hergeftellt werden möge; um ihn, den 
höchſten Herrfcher der Welt, anzuflehen, ung als Volk nicht unter- 
gehen zu laffen, noch unfern Untergang durch die Feindfeligfeit an- 
derer Nationen, oder durch unfer eigenes hartnädiges Beharren auf 
unferem Willen, der mit feinen ewigen Rathichlägen im Wider- 
fpruch ftehen mag, herbeizuführen; um ihn zu bitten, den Geift der 
Nation zu erleuchten, Damit wir feinen Willen fennen lernen und 
erfüllen — da feine Nation für die Dauer beftehen kann, die bei 
ihrer Halsftarrigfeit und Verftodtheit beharrt; um ihn anzuflehen, 
daß er unfern bewaffneten Vertheidigern, fowie auch der Maffe des 
Bolfes Muth und Ausdauer verleihen wolle, um jenes Ziel zu er- 
reichen; um ihn anzuflehen, in feiner unendlichen Güte die Herzen 
der Rebellen zu rühren, ihren Geift zu erleuchten und ihr Gewiſſen 
zu erweden, damit fie die Waffen niederlegen und fchleunig zu ihrer 
Treue gegen die Vereinigten Staaten zurüdfehren, auf daß fie nicht 
gänzlich vernichtet würden, auf daß dag Blutvergießen ein Ende 
nehmen und Friede, Eintracht und Bruderliebe auf's Neue im gan 
zen Lande herrfchen mögen.” 

„In berzlicher Hebereinftimmung mit den frommen und reumü- 
thigen Oefinnungen, die der Congreß in obigem Befchluffe aus— 
drüdte, beftimme daher ich, Abraham SFincoln, Präfident der Ver- 
einigten Staaten, den erften Donnerstag im Monat Auguft zu 
einem National Buß- und Bettag für das Volk der Vereinigten 
Staaten, 

„Und ferner erfuche und bitte ich Die Chefs der Erefutiv-Departe- 


330 Das Leben Abraham Lincolns. 





ments diefer Regierung, fammt allen Gefebgebern, Richtern, Magi- 
ftratsperfonen und allen andern Perfonen im Lande, Die irgend eine 
Macht oder Autorität ausüben, ſei es nun im Civil-, Militär- oder 
Marinedienft, fowie alle Soldaten und Matrofen im Dienfte der 
Nation und alle andern Ioyalen und gefegliebenden Leute in den 
Bereinigten Staaten, fih an jenem Tage in ihren gewohnten Got— 
teshäufern zu verfammeln, und dafelbft dem allmächtigen und all- 
gütigen Herrfcher des Weltalls ſolche Huldigung, folche Befenntniffe 
und folche Gebete darzubringen, wie der Congreß der Vereinigten 
Staaten in obigem Befchluffe fo feierlich, ernft und ehrerbietig an 
empfohlen hat, 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefett und Das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Geſchehen in der Stadt Wafhingion, am fiebenten Tage des 
Monats Juli, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert 
und vierundfechzig und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit 
der Vereinigten Staaten von Amerika, 

„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Lincoln.” 
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“ 


Am 18, Auguft machte eine Anzahl von Ohio Voluntären, die 
nad Ablauf ihres Dienfttermins nach Haufe kehrten, dem Prä- 
fiventen ihre Aufwartung. Diefer erwiederte auf ihre Anrede: 


„Soldaten: — Ihr feid im Begriffe, nach eurer Heimath und 
zu euren Freunden zurüdzufehren, nachdem ihr, wie ich vernehme, 
einen verhältnigmäßig kurzen Termin in diefem großen Kampfe 
gedient habt. Ich bin euch und Allen, die dem Rufe ihres Lan- 
des folgten, zu großem Danke verpflichtet, 

„Ich wünfche nur, daß der Kampf, in welchem das Land begrif- 
fen ift, beffer und allgemeiner gewürdigt würde. Wir haben, wie 
Ale zugeftehen werden, eine freie Regierung, mo ein Jeder mit 
feinem Nächften auf gleichem Fuße fteht. Siegen unfere Feinde 
in diefem großen Kampfe, fo ift dieſe Regierungsform und jede 
Form menschlicher Rechte gefährdet. Nicht Alle begreifen, welch’ 
große Bewandtniß es mit diefem Kampfe hat. Es handelt fich 
Darum, ob eure Kinder und meine Kinder die Privilegien genie- 


Präfidentfchafts-Campagne von 1864, 381 


x 





—⸗ 


ßen ſollen, deren wir uns erfreuten. Ich ſage dies, um es euch 
tief einzuprägen, falls ihr es nicht bereits ſelbſt eingeſehen habt, 
daß keine kleinlichen Rückſichten uns von unſerem großen Zwecke 
ablenken ſollten. 

„In der praktiſchen Operation unſeres Syſtems mögen Ungleich— 
heiten vorkommen. Es iſt recht und billig, daß ein Jeder nach 
dem exakten Verhältniß zum Werthe ſeines Eigenthums beſteuert 
werde; wenn wir aber vor dem Collektiren einer Taxe anhalten 
wollten, um die Taxen eines jeden Mannes im genauen Verhält— 
niß zu denen eines Andern abzumeffen, fo würden wir niemals 
eine Tare colleftiren. Es mögen zuweilen Srrthümer vorfommen ; 
es mögen Mißgriffe gemacht werden, allein die Beamten der Re- 
gierung thun ihr Möglichftes, um diefelben zu verhüten. 

„Sch bitte euch aber, euch als Bürger dieſer großen NRepublif 
durch Nichts von dem großen Werke, das wir vor ung haben, ab- 
bringen zu laffen. Der Kampf ift zu groß, zu gewaltig, als daß 
Hleinliche Dinge die Oberhand gewinnen dürften, Wenn ihr 
nun nad eurer Heimath gelangt, fo erhebt euch zur Höhe einer 
Generation, die einer freien Regierung würdig ift, und dann wol- 
len wir das große Werk ausführen, das wir begonnen haben, 
Soldaten, nochmals fage ich euch meinen aufrichtigen Dank für 
die Ehre, die ihr mir dieſen Nachmittag erwiefen habt.“ 


Bei einer ähnlichen Veranlaffung hielt Herr Lincoln am 22, 
Auguft folgende Anrede: 


„Soldaten: — Ihr feid, wie ich vermuthe, auf eurem Weg nad) 
Haufe, um nach euren Samilien und Freunden zu fehen. Für die 
Dienfte, die ihr in dieſem großen Kampfe geleijtet habt, nehmt 
jest meinen, nehmt des Landes aufrichtigen Danf mit euch. 

„So oft ich nur mit Soldaten rede, fühle ich mich angetrieben, 
ihnen mit wenigen furzen Bemerkungen die Wichtigkeit des Erfol- 
ges in’ unferm Streite vor Augen zu halten, Es ift nicht nur ein 
Kampf für heute, fondern für alle Zeiten; auf unfere Kinder und 
Kindeskfinder follten wir diefe große und freie Regierung forterben. 
Ich bitte euch, dies im Gedächtniß zu behalten, nicht nur um 
meinet- fondern vorzüglich um euretwillen. Sehet, ich bewohne 


832 Das Leben Abraham Lincolns. 





zufälligerweife und auf kurze Zeit diefes große Weiße Haus. Ich 
bin daher ein lebendiger Beweis, daß vielleicht dereinſt irgend einer 
eurer Söhne hier wohnen kann, gerade wie meines Vaters Sohn 
jest hier wohnt, 

„Damit Jedem son euch durch dieſe freie Regierung ein großes 
Feld für feine Induftrie und Intelligenz offen bleibe; damit ihr 
Alle die gleichen Privilegien, diefelben Hoffnungen und Ausfichten 
haben möget, follte diefer Kampf durchgefochten werden, und 
dauere er nicht nur ein Jahr, fondern felbft zwei oder drei Fahre, 
Es ift der Mühe werth, daß die Nation kämpfe, um ein fo unfhäg- 
bares Kleinod zu retten.“ 


Während der ſchon früher erwähnten Aufregung im Juli über 
die Verfuche der Rebellen, die National-Hauptftadt zu erobern, 
wurden dem Präfidenten VBorftellungen gemacht, daß gewiſſe In— 
dividuen, die als Vertreter der Infurgentenführer zu handeln vor— 
gaben, fih in Kanada aufhielten und zu Unterhandlungen erbötig 
wären, die auf die Wiederherftellung des Friedens hinzielten. 

Als Erwiederung hierauf erließ Herr Lincoln folgende Note, die 
großen Anftoß bei Denjenigen erregte, welche vorgaben, zu glau— 
ben, daß die Rebellen in eine Wiederherftellung des Friedens ohne 
Anerkennung der füplichen Eonföderation willigen würden: 


„Erxrecutiv⸗Gebäude, Wafhington, den 18, Juli 1864, 

„Wen es angehen mag. — Irgend ein Borfchlag, der die Wie- 
berherftellung des Friedens, die Integrität der Union und das 
Aufgeben der Sklaverei umfaßt und von einer Autorität fommt, 
welche Die zur Zeit im Krieg gegen die Vereinigten Staaten bes 
griffenen Armeen zu controlliren vermag, wird von der Erefutiv- 
Regierung der Vereinigten Staaten aufgenommen und erwogen 
werden. In Bezug auf andere fubftantiele und collaterale Punkte 
follen liberale Bedingungen gewährt werden, und den Ueberbrin- 
gern des Borfchlages wird ficheres Geleit zur Hin- und Herreife 


zugefichert. 
Abraham Sincoln.” 


Hiermit endigte diefer Verſuch, eine Spaltung unter den An- 
bängern der Adminiftration zu bewirken. 


Praſidentſchafts⸗ Campagne von 1864. 383 





Am 29, Auguft 1864 verfammelte fich die National-Eonvention 

der demofratifchen Partei zu Chicago, Che diefelbe tagte, hatte 
(am 18, Auguft) eine „Sriedens-Eonvention’‘ zu Syracufe ftatt- 
gefunden, bei welcher unter Anderm befchloffen wurde, daß e3 die 
Pflicht der Chicago Convention fei, einem wohlthätigen Friedens— 
wunfche Ausdrud zu geben und zu erklären, daß es die Abficht der 
demofratifchen Partei wäre, im Falle fie zur Macht gelangte, dem 
verheerenden Kriege Einhalt zu thun und zwar durch eine Nativ- 
nal-Conyention, bei welcher ſämmtliche Staaten in ihrer ſouverä— 
nen Macht vertreten fein follten; und daß zu dieſem Zwede ein 
MWaffenftillftand son hinlänglicher Dauer erklärt werden müßte, 
um den Staaten und deren Bolf Zeit und Gelegenheit zu geben, 
über eine neue Union reiflich nachzudenken und zu einem Ent- 
fchluffe zu gelangen. 

Zwei Faktionen waren in Chicago vertreten. Die eine war zu 
Gunſten eines Friedens um jeden Preis, auf jede Bedingungen 
und unter allen Umſtänden; die andere fuchte fich gefchäftig jeden 
Bortheil irgend eines Irrthums der Adminiftration zu Nuben zu 
machen, befaß aber nicht Frechheit genug, ſich für eine Einftellung 
der Feindfeligfeiten um jeden Preis zu erflären, 

Sp zufammengefegt und zerfpalten, befchloß die noch immer 
anfehnliche demofratifche Partei — die feit fo vielen Jahren das 
Land beherrfcht hatte und deren Zerfplitterung im Jahre 1860 
den unmittelbaren Anlaß zum Bürgerfriege gab — das zu thun, 
was fie nie zuvor gewagt hatte. Sie verfuchte zur felben Zeit 
zwei Pferde zu reiten, die in ſchnurſtracks RIREGERDEIEINER Rich⸗ 
tungen liefen. 

Um die Gefühle Derer zu verſöhnen, die noch immer für die 
Verfolgung des Krieges waren, ohne jedoch in dieſer Richtung 
allzu weit zu gehen, und um möglichit viele Soldatenftiimmen zu 
gewinnen, wurde General McElellan für die Präfiventfchaft no- 
minirt. Um jedoch diefe anfcheinende Tendenz zum Kriege zu 
neutralifiren, ftellten fie ihm George H. Pendleton von Ohio als 
Kandidat für die Vice-Präfivdentfchaft zur Seite, Diefer war 
während feiner ganzen congreffionellen Earriere als Mitglied des 
Reprüfentantenhaufes ala einer der ärgften Friedensheuler be- 


334 Das Leben Abraham Lincolns. 





fannt gewefen und fungirte nun als der Erponent der Ultra— 
Eopperhead-Faktion, 


Nachdem auf diefe Art Gift und Gegengift gemifcht worden 
waren, wie fie nur ein politifcher Chemiker zu mifchen vermochte, 
wurden die beiden Kandidaten auf eine und diefelbe Plattform 
geftellt, deren zweiter Befchluß folgendermaßen lautete: 


„Beſchloſſen, daß diefe Konvention ausdrücklich als den 
Ausdrud der Gefinnung des amerikanifchen Volkes erflärt, daß 
nach) vierjährigem mißlungenen Verſuch, die Union durch Waffen- 
gewalt herzuftellen, während welcher Zeit unter dem Vorwand 
einer militärifchen Nothwendigfeit oder Kriegsgemwalt, höher ala 
die Conftitution felbft, diefe gänzlich umgeftoßen, die öffentliche 
Freiheit und die Privatrechte der Bürger mit Füßen getreten und 
die materielle Wohlfahrt des Landes mefentlich geftört worden — 
Gerechtigkeit, Humanität, Freiheit und Wohlfahrt gebieten, daß 
die Seindfeligfeiten fofort eingeftellt würden, um durch eine Con— 
vention aller Staaten, oder andere friedliche Mittel die Wieder- 
herftellung des Friedens auf der Bafis einer föderalen Staaten— 
Union anzuftreben.“ 


Nachdem dies gefchehen, vertagte fich die Convention; jedoch 
erit, nachdem fie dadurch für ihre fernere Eriftenz geforgt hatte, 
daß fie den Vorfißer zu ihrer Wiederzufammenberufung bevoll- 
mächtigte, falls er diefelbe für nothwendig erachten follte, 


MeEClelan nahm felbftverftändlich die Nomination an; war ja 
Doch durch Diefelbe die Gefchichte feiner Thaten (his public record) 
sindieirt worden! In feinem Annahmebrief ging er um den 
Sriedenspunft herum, wie die Kate um den heißen Brei; igno— 
tirte die Idee einer Einftelung der Feindſeligkeiten und ſchwatzte 
ein Langes und Breites über „die Union, die ganze Union und 
nichts als die Union.” Zwar war diefer Brief vag und allgemein 
genug gehalten, um dem Zweck zu entfprechen; dennoch aber er— 
regte er großes Mißvergnügen unter den —ere⸗⸗ 
Preis-Leuten.“ 

So bot ſich denn mitten in einem Bürgerkriege, der ohne ſeines 
gleichen in der Weltgeſchichte daſteht, das merkwürdige Schauſpiel 


Präfidentfchafts-Campagne von 1864. ‚ 989 





dar, daß fich ein großes Volk im Ernfte zu einer politifchen Cam— 
pagne vorbereitete, deren Hauptpunft die Frage war, ob der Krieg 
überhaupt fortgefegt werden follte, 

Bald nad der Vertagung der Chicago-Eonvention kam die 
Nachricht von der Einnahme von Atlanta und der Eroberung der 
Forts im Hafen von Mobile. Diefe Ereigniffe bewiefen, daß der 
Krieg denn doch nicht fo ganz erfolglos geblieben war. Der 
Dank der Nation wurde durch den Präfidenten den tapfern Of— 
fiieren, Soldaten und Matrofen ausgevrüdt, die jene Operatio— 
nen fiegreich zu Ende gebracht hatten; Nationalfaluten wurden 
beordert, und am 3. September 1864 erfchien folgende Prokla— 
mation: 

„Der glänzende Erfolg, den die göttliche VBorfehung den Ope— 
rationen der Vereinigten Staaten Flotte und Armee im Hafen 
von Mobile verliehen hat, ſowie die Eroberung von Fort Powell, 
Fort Gaines und Fort Morgan, und die glorreihen Thaten der. 
Armee unter Öeneralmajor Sherman im Staate Georgia, die mit 
der Einnahme der Stadt Atlanta endigten, erheifchen eine ehrer- 
bietige Anerkennung des höchſten Wefens, in deffen Händen die 
Geſchicke der Nationen liegen. 

„Ich ordne daher an, daß nächſten Sonntag in allen Kirchen 
und Gotteshäufern der Vereinigten Staaten dem Allmächtigen 
Preis und Dank dargebracht werde für feine Gnade, indem er 
unfere nationale Eriftenz aufrecht erhielt gegen die Infurgenten 
und Rebellen, die einen graufamen Krieg gegen die Regierung 
der Vereinigten Staaten führten, um deren Umfturz herbeizufüh- 
ren; fowie auch, um feinen göttlihen Schuß für unfere tapfern 
Soldaten und deren Führer anzuflehen, die fo oft im Kampf mit 
dem Feinde ihr Leben für uns mwagten; und um den Vater im 
Himmel zu bitten, mit feinem Segen und Troft den Verwundeten, 
Kranken und Gefangenen zu nahen, und auch den Wittwen und 
Waiſen Derer, die im Dienfte ihres Landes gefallen find, und Die 
Negierung der Bereinigten Staaten auch fernerhin gegen alle 
Anfchläge öffentlicher und geheimer Feinde zu ſchützen und zu bes 


wahren. Abraham Fincoln.“ 


336 Tas Leben Abraham Lincolns. 





Hinfichtlich der Verwendung farbiger Männer als Soldaten 
drüdte Herr Lincoln wiederholt feine Anfichten klar und deutlich 
in einer Unterhaltung mit einigen hervorragenden Männern vom 
Weſten aus, Er fagte bei diefer Gelegenheit: 

„Die geringfte Kenntniß der Arithmethik wird einem Jeden be— 
weifen, daß die Rebellenarmeen nicht durch demofratifche Strategie 
vernichtet werden fönnen., Wir müßten alle weißen Männer des 
Nordens opfern, um dies zu thun. Es ſtehen jebt nahezu zwei— 
bunderttaufend farbige Männer im Dienft der Vereinigten Stan- 
ten; davon find Die Meiften bewaffnet und befinden fich als wirf- 
liche Spldaten im Felde. Die Demokraten verlangen, daß die— 
felben entlaffen und ihren ehemaligen Meiftern als Sklaven zu— 
rücdgeliefert werden follen. Die Schwarzen, welche jest im 
Süden den Unionsgefangenen zur Flucht verhelfen, follen wir zu 
unfern Feinden machen, um dadurch — eitle Hoffnung ! — den 
guten Willen ihrer Meifter zu gewinnen. Wir hätten Damit zwei 
Nativnen zu bekämpfen, ftatt einer, 

„Ihr Eönnt den Süden nicht verfühnen, felbft wenn ihr ihm 
endlichen Erfolg garantirtz und die bisherige Erfahrung des 
Krieges beweift, daß der Erfolg der Rebellen unausbleiblich ift, 
wenn ihr die gezwungene Arbeit von Millionen Schwarzer auf 
ihre Seite der Wagfchale werft. Wollt ihr unfern Feinden folche 
militärifche Vortheile verfchaffen, die ihren Erfolg herbeiführen 
müffen, und fie dann durch Bitten, Schmeicheln und demüthi- 
gende Zugeftändniffe zur Rüdkehr in die Union zu bewegen 
fuhen? Gebt alle die Forts auf, Die jest mit Schwarzen garni- 
fonirt find, nehmt jene zweihunderttaufend Mann son unferer 
Seite und ftellt fie in das Schlachtfeld oder in das Kornfeld gegen 
uns, und ihr dürft überzeugt fein, daß wir in drei Wochen ge- 
nöthigt wären, den Kampf aufzugeben. 

„Wir haben in ungefunden Gegenden Pläbe zu befeben; wo 
find die Demokraten, die dies thun wollen? Es war ein freier 
Kampf, und den Kriegsdemofraten ftand der Weg offen, ſowohl 
Meifter wie Sklaven zu befämpfen und die Rebellion zu unter- 
drücken, lange ehe die gegenwärtige Politif inaugurirt ward. 

„Einige Individuen hatten die niederträchtige Unverſchämtheit, 


Präfisentfchafts-Campagne von 1864. 387 





mir den Borfchlag zu machen, unfere ſchwarzen Krieger zu Port 
Hudfon und Dluftee in die Sklaverei zurüdzuliefern und dadurch 
die Achtung der Meifter zu gewinnen, gegen welche fie Fampften, 
Würde ich dies thun, fo verdiente ich auf Zeit und Emigfeit ver— 
dammt zu werden. Komme was da wolle, ich werde Freund und 
Feind Wort und Treue halten. Meine Feinde behaupten, ich 
führe den Krieg zum einzigen Zwede der Abfchaffung der Skla— 
verei. So lange ich Präfident bin, werde ich ihn zum einzigen 
Zwede der Herftellung der Union führen. Keine menfchliche 
Macht aber vermag diefe Rebellion ohne die Anwendung der 
Emanecipationspolitif zu unterdrüden, und außerdem muß jedes 
andere Mittel angewandt werden, um die — und phyſiſche 
Macht der Rebellion zu ſchwächen. 

„Die Freiheit gab uns zweihunderttauſend Mann, die auf ſüd— 
lichem Boden geboren und aufgewachſen ſind. Sie wird uns 
deren noch mehr geben. Gerade ſo viel nun hat ſie dem Feinde 
hinweggenommen; anſtatt jedoch den Süden unverſöhnlicher zu 
machen, als er war, zeigen ſich hier und dort Spuren eines brü— 
derlichen Gefühles zwiſchen unſern Truppen und den Rebellen— 
ſoldaten in Reihe und Glied. Laßt meine Feinde dem Lande be— 
weiſen, daß die Vernichtung der Sklaverei zur Wiederherſtellung 
der Union nicht nothwendig iſt. Ich will den Ausgang abwarten.“ 


Am Abend des 19. Oktobers ſagte Präſident Lincoln als Ant- 
wort auf eine Serenade, die ihm son den Ioyalen Maryländern 
im Diftrift Columbia gebracht wurde: 


„Die ich höre, wird mir diefes Compliment von den loyalen 
Marylandern gebracht, Die in dieſem Diftrift wohnhaft find. 
Wenn ich nicht irre, gab die Annahme der neuen Eonftitution in 
Shrem Staate dazu Anlaß und beweift mir, daß Ihrer Anficht 
nach die Ausmärzung der Sklaverei das Hauptverbienft der neuen 
Eonftitution ift. 

„Bon ganzem Herzen gratulire ich Ihnen, Maryland, der Na⸗ 
tion und der ganzen Welt zu diefem Ereigniß. Sch bedaure nur, 
daß es nicht zwei Jahre früher eintraf, denn ich bin überzeugt, 
daß es Nation mehr Geld erfpart hätte, als zur Entſchädigung 


338 Das Leben Abrabam Lincolns, 





fümmtlicher durch dieſe Mafregel verurfachten Privatverlufte 
nothwendig gemwefen wäre. Doch es ift endlich gefommen, und 
ich hoffe aufrichtig, daß die Freunde defjelben alle ihre Erwartun— 
gen, die fie Davon hegen, erfüllt fehen und die Gegner durch Die 
Wirkungen defjelben fi angenehm und zu ihrem eigenen Vor— 
theil getäufcht finden mögen, 

„Noch ein Wort über einen andern Gegenftand. Eine Stelle 
aus der Rede des Staatsfefretärs, die derfelbe kürzlich in Auburn 
bielt, wurde von Einigen als Drohung gedeutet, Daß ich, wenn 
die Wahl gegen mich ausfiele, in der bis zum Ende meines con- 
ftitutionellen Amtsterming liegenden Zwifchenzeit alle meine Kräfte 
aufbieten würde, um die Regierung zu Grunde zu richten. An» 
dere betrachten den Umftand, dag die Chicago Convention fih — 
nicht sine die, fondern um auf den Aufruf eines gewiffen Indi— 
viduums wieder zufammen zu treten — vertagte, als das Ultima- 
tum einer Abficht, Daß der demofratifche Kandidat in Fall feiner 
Erwählung fofort die Zügel der Regierung an fich reifen würde, 

„Sch hoffe, das gute Volk wird fich durch feines diefer Gerüchte 
beirren laffen. Sch ftrenge alle meine Kräfte an, um die Regie— 
vung zu erhalten, nicht aber, um fie zu Grunde zu richten. ch 
füge deshalb, daß ich, fo ich am Leben bleibe, bis zum vierten 
März Präfivent fein werde. Und wer nun im November confti= 
tutionell erwählt werben wird, fol am vierten März rechtens in 
ftallirt werden. In der Zwifchenzeit werde ich mein Neuferftes 
thun, um Demjenigen, der für die nächften vier Jahre am Steuer 
fiten wird, die beftmögliche Gelegenheit zur Rettung des Staats» 
ſchiffes zu hinterlaſſen. 

„Dies bin ich dem Prinzip wie der Conſtitution nach unſeren 
Bürgern ſchuldig. Ihr Wille iſt, wenn conſtitutionsgemäß aus— 
gedrückt, das höchſte Geſetz für Alle. Iſt es ihr entſchiedener 
Wille, ſofortigen Frieden zu haben, ſelbſt auf die Gefahr hin, ihr 
Land und ihre Freiheit zu opfern, ſo bleibt mir keine Macht und 
kein Recht, mich ihnen zu widerſetzen. Es iſt ihre eigene Ange— 
legenheit, mit der ſie thun können, wie ihnen beliebt. 

„Ich glaube indeſſen, daß unſere Bürger entſchloſſen ſind, ihr 
Land und ihre Freiheit zu retten, und darin werde ich ihnen im 


Lincolns Wiedcrerwählung.. 339 


1 





Amt und außer Amt beiſtehen. Ich darf hinzufügen, daß in die— 
ſer Abſicht, das Land und ſeine Freiheit zu retten, keine Volks— 
klaſſe ſo durchaus einſtimmig iſt, wie unſere Soldaten und Ma— 
troſen. Haben ſie nicht das Härteſte zu tragen? Wer will 
wanken, wenn ſie feſtſtehen? Gott ſegne die Soldaten und 
Matroſen mit all' ihren tapfern Commandanten!“ 





Zweiundzwanzigſtes Kapitel. 
Lincoln's Wiedererwählung, 


Die Präfidentfchafts-Tampagne von 1864 — Fremont's Rücktritt — Wade 
und Davis — Die Friedens- und Ariegsdemokraten — Rebellenfreunde— 
Die Nktoberwahl — Refultat der Präfidentenwahl — Rede an die Penn- 
fylvanier — Rede bei einer Serenade — Brief an die Mutter eines Sol- 
daten — Eröffnung des Tongreffes — Letzte Bahresbotfchaft. 


Die Präfiventfchafts-Campagne von 1864 war in mehr als einer 
Hinfiht eine Anomalie. Die rüdfichtslofen Schmähungen und 
Schimpfreden, womit die Adminiftration von der Friedens-, der 
Kriegs» und der radikalen Demokratie überfchüttet wurde, mußten 
natürlich in einem Lande erwartet werden, in welchem perfünliche 
Angriffe, wie es feheint, dergeftalt zum Hauptelement bei einer Na- 
tionalwahl geworden find, dag die Abweſenheit derfelben bei einer 
wichtigen politifchen Campagne beinahe der Mißachtung einer 
pofitiven Beflimmung der Conftitution gleich erachtet werden 
mußte, 

Obwohl nun die Freiheit bei derartigen Gelegenheiten nur all- 
zuoft in Gemeinheit auszuarten pflegt, mußte es dennoch höchft 
auffallend erfsheinen, daß die Adminiftration von ihren Gegnern fo 
wüthend der Tyrannei und des Defpotismus befchuldigt wurde, 
wenn ſchon der Umftand, daß folche Befchuldigungen und Angriffe 
von der Preffe und von öffentlichen Rednern ungehindert gemacht 
werden konnten, den fchlagenden Bemeis lieferte, daß diefer Defpo- 
tismus entweder zu nachjichtig war, oder zu ſchwach, um wenigfteng 


340 Das Leben Abraham Lincolns. 





eine anftändige Behandlung feiner felbft oder feiner Thaten zu 
erzwingen. Die Oppofition fonnte oder wollte nicht begreifen, daß 
unter einer wirklichen defpotifchen Regierung nicht eine Rede unter 
Hunderten, nicht ein Leitartifel unter Taufenden geftattet worden 
wäre, womit die Adminiftration Jahr aus, Jahr ein be— 
kämpft wurde, Sicherlich wäre unter umgekehrten Berhältniffen, 
unter einem demofratifchen Regime der Unionspartei nicht die 
Hälfte der Freiheiten gelaffen worden, deren ihre Gegner fich er> 
freuten, 


Kurz nad der Chicago Nomination zog fich General Fremont 
von der Kandidatur zurüd, um nicht durch ferneren Zwiefpalt unter 
den Unionsmännern die Sache der Union zu gefährden. In feinem 
NRüdtrittsbrief fagte er unter Anderem: 


„Die Präfivdentfchaftsfrage ift endlich in ein Stadium getreten, 
welches die Einheit der republifanifchen Partei zur gebieterifchen 
Nothwendigkeit macht, Die Politif der demofratifchen Partei be- 
deutet entweder Trennung oder MWiedervereinigung mit Sklaverei, 
Die Chicago-Plattform befürwortet einfach die Trennung. General 
MeClellan’s Annahmebrief bedeutet Wiedervereinigung mit Skla—⸗ 
verei. Dagegen ift der republifanifche Kandidat zur Wiederher- 
ftellung der Union ohne Sklaverei verpflichtet, und wie zögernd 
auch feine Politik fein mochte, fo wird Doch, wie ich hoffe, der Drud 
feiner Partei ihn dazu treiben. | 

„Keinem Mitglied der Freiheitspartei kann zwifchen diefen Punk— 
ten die Wahl fchwer fein, und ich glaube es mit meinen Örund- 
ſätzen wie mit meiner Vergangenheit vereinbaren zu können, wenn 
ich jest zurüctrete — nicht um Herrn Lincoln’s Triumph herbei— 
führen zu helfen, fondern zur Verhütung der Erwählung des demo» 
fratifchen Kandidaten meine Pflicht zu erfüllen. 

„sn Bezug auf Herren Lincoln hege ich noch diefelben Anfichten, 
die ich in meinem Annahmefchreiben ausfprady. Meines Erachtens 
war feine Adminiftration ſowohl in politifcher, wie auch in finan- 
ziellee und militärifcher Hinficht eine verfehlte, und halte ich die 
nothwendige Fortdauer derfelben für einen Umftand, den das Land 
zu bedauern Urfache bat . 2...» 


2incolns Wiedererwählung. \341 





„Dereinigt hat die republifanifche Partei billige Ausfichten auf 
den Sieg; gefpalten aber, muß das Refultat der Präfiventenwahl 
mindeftens zweifelhaft erfcheinen.“ *) 


Senator Wade und Henry Winter Davis, welche ein Manifeft 
an das Volk erlaffen hatten, worin fie die Reconftruftionspolitif 
des Präfidenten bitter tadelten, fehrten, durch die Erfahrungen der 
legten Monate belehrt, jebt ebenfalls zurüd und betraten männlich 
die Arena der Wahlcampagne zu Öunften der Unionsfandidaten.**) 
Und fo ſchloß fih die Phalanx der Unterftüger der Regierung mit 
jedem Tage dichter, und Keiner, der noch an Männlichkeit und re— 
publifanifhe Grundſätze glaubte, fonnte an dem Erfolge zweifeln. 

Die Eintracht der Oppofition war feineswegs eine ſehr herzliche. 
Die Bollblutsfriedensheuler fahen fih in die Enge getrieben, als 
man ihnen zumuthete, einen Mann zu indoffiien, deſſen einziger 
Anfprucd auf die Nomination auf dem Rufe beruhte, den er fich als 
ein hervorragender General in diefem „unheiligen, unnatürliden 
Kriege erworben hatte.“ Auch trug es feineswegs zur Befänfti- 
gung ihrer Gefühle bei, daß diefer Kandidat in der Konvention 
heftig al3 der erfte bezeichnet worden, der jene willfürlichen Ver— 





J 


*) Hiermit Fam die Vereinigung der radikalen Demokratie mit der republikani—⸗ 
chen Partei zu Stande, Daß der. Sieg der Unionspartei auch ohne diefelbe ficher 
war, bat das Refultat bewieſen. Im wie fern Fremont Recht hatte, wenn er Lin- 
coln's Adminiftration eine verfehlte nannte, ergab fich aus den großen Ereignifien, 
die kurz nach der Wahl folgten. Gerne gönnen wir dem Pfadfinder das Roh, das 
ihm nach feinem Rücktritt von feinen Bewunderern gefpendet wurde, daß nämlich 
„bei diefer Gelegenheit fein Patriotismus ſich im fchönften Lichte zeigte, und daß 
nur große Männer und wahre Patrioten folcher Selbftaufopferung fähig ſeien.“ 

**) Dieſes Manifeft enthielt einen Proteft gegen Herrn Lincoln's Reconftruftions- 
Proflamation (fiehe Seite 320), die, wie die Urheber des Proteftes glaubten, nicht 
mit der Akte des Congreffes über denfelben Gegenftand übereinftimmte (fiehe Seite 
322). Die Herren Wade und Davis ſchlugen die Znſammenberufung einer neuen 
Eonvention zu Buffalo auf den 23. September vor, um dafelbft einen neuen Präs 
fidentichafts- Kandidaten aufzuftellen, falls Lincoln fich nicht zum freiwilligen Rüd- 
tritt von der Kandidatur zu Gunften eines Andern verftehe. Die Sache kam jedoch 
zu Nichts, und die beiden Herren arbeiteten num mit größter Energie für die Nomi— 


nirten der Baltimore Convention, 
Anmerkung des Ueberſetzers. 


342 Das Leben Abraham Lincolns. 





— 


haftungen eingeführt hatte, gegen die feine Freunde und er felbft fo 
lang und ungehalten proteftirt hatten. Nicht minder bitter ſchmeckte 
ihnen die Erinnerung, daß von diefem felbigen Kandidaten zuerft 
die Idee der Confeription angeregt worden war—jener abſcheu— 
lien, unconftitutionellen Maßregel, gegen die fie fo viele Worte 
und Verwünfhungen nublos verſchwendet hatten. 

Die Situation des Kriegsdemofraten, wenn er wirklich ehrlich 
und aufrichtig ein folcher fein wollte, war um Nichts beffer. Er 
konnte feine Augen der Thatfache nicht verfchließen, daß die militä> 
rifhe Earriere feines Kandidaten nicht von jener Energie und Ge— 
fchwindigfeit der Bewegungen gekennzeichnet war, wie Die anderer 
Generäle. Außerdem konnte ihm der Gedanke nicht ſehr tröftlich 
fein, daß der General während feines Amtsterming fterben oder 
„geitorben werden” möchte, in welchem Falle fein Seitenmann 
Pendleton zur nicht geringen Befriedigung der Friedensheuler an 
das Ruder gelangen würde, 

Es ift indeffen nicht zu leugnen, daß die Oppofition ſich im Gan- 
zen genommen fräftiger an das Werk machte, als man anfangs ver- 
muthet hatte, und ihre Rolle fo prahlerifch und troßig fpielte, als 
berrfchte fein Zweifel darüber, daß fie den Sieg davon tragen 
würde, Wenigſtens fehlte es keineswegs an jenem wohlfeilen En- 
thuſiasmus, der fich mit eitlen Demonftrationen, Sadelzugen, bom— 
baftifchen Reden und — Wahlbetrügereien fund zu geben pflegt. 
Ueber leßtern, im Lager der Demokratie ftets vorhanden gemwefenen 
Stapelartifel liefern ung die durch militärische Tribunale in Balti- 
more und Waſhington geleiteten Unterfuchungen intereffante Auf- 
ſchlüſſe. 

Die Richmonder Zeitungen waren faſt einſtimmig in dem Wun— 
ſche, daß Herr Lincoln nicht wiedererwählt werden möchte. Alexan— 
der H. Stephens, der Vice-Präſident der Rebellen, erklärte die Be— 
wegung der Chicago Convention für „den einzigen Lichtſtrahl, der 
während des ganzen Krieges vom Norden gekommen ſei.“ Die eu— 
ropäiſchen Freunde der Rebellen waren ebenfalls der Wiedererwäh— 
lung Lincoln's abhold und ihre Organe wetteiferten mit einander, 
ihn mit den gemeinſten Schmähreden und Schandworten zu über— 
häufen. 


Lincolns Wiedererwählung. 343 





Die im Dftober abgehaltenen Staatswahlen in Pennfylvanien, 
Ohio und Indiana erregten große Beftürzung im Lager der Oppo— 
fition— namentlich die Wahl im letztgenannten Staate, in welchem 
fie auf einen pofitiven Sieg gerechnet hatte und zu ihrem nicht ge— 
ringen Leidweſen erfahren mußte, daß derfelbe gleich den beiden an— 
dern fich Höchft unzmweideutig zu Gunften der Apminiftrationg-Kan- 
bidaten entfchieden hatte, 

Es konnte jest nicht mehr am endlichen Refultat gezmweifelt wer- 
den. Dennod fuhren die Anhänger MeElellan’s und Pendleton’s 
fort zu prahlen und bramarbafiven, was auch ihre Gedanken ge- 
wefen fein mochten, 

Als jedoch das Refultat der Präfiventenwahl am 8. November 
befannt wurde, fiel alle Urfache zum Bramarbafiren weg. Abre- 
ham Sincoln und Andrew Iohnfon (von denen ein Oppofitiong- 
Journal mit feltenem Takt und Anftand, feine ganze Malice in 
einer möglichft intenfiven Sentenz concentrirend, als von einem 
„fenzriegelfpaltenden Hansnarren und einem bäurifchen Schneider, 
beide in den Hinterwäldern geboren und beide in obfeurer Jgnoranz 
aufgewachfen” ſprach,) —dieſe Männer des Volkes trugen den Sieg 
in füänmtlichen loyalen Staaten, mit Ausnahme von Kentudy, New 
Serfey und Delaware, davon und hatten die Stimmen beinahe 
ſämmtlicher Soldaten im Dienfte erhalten. 

Bon den 4,034,789 abgegebenen Stimmen erhielt Herr Lincoln 
dem offiziellen Wahlberichte gemäß 2,223,035; eine Majorität in 
der Geſammt-Volksſtimmenzahl von 411,281. 

Der im Jahr 1860 mit einer Pluralität erwählte Präfident war 
nun im Jahr 1864 durch eine entfchiedene, unzweideutige Majvrität 
wiedererwählt worden, 


Früh an dem auf den Wahltag folgenden Morgen wurde dem 
Präfiventen von einer Anzahl in Wafhington wohnender Pennfyl- 
vanier ein Ständchen gebracht, bei welcher Gelegenheit er feinen 
Gefühlen in folgenden Worten Ausdrud verfchaffte: 


„Freunde und Mitbürger Noch ehe ich belehrt wurde, Daß 
mir diefes Compliment von den mir wohlgewogenen Iopalen Bür— 
gern Pennſylvanien's dargebracht worden, hatte ich bereits Daraus 


344 Das Leben Abraham Lincolne. 





geichloffen, daß Sie demjenigen Theile meiner Landsleute angehör— 
ten, welcher der Anficht ift, daß die Interefjen der Nation am beften 
durch die Unterſtützung der gegenwärtigen Adminiftration gewahrt 
werden fünnen. Sch will damit nicht fagen, daß Sie, die fo denken, 
allen Patrivtismus und alle Loyalität des Landes repräfentiren; 
allein ich glaube, und zwar ohne perfünliches Intereſſe, daß die 
Wohlfahrt des Landes dieſe Unterftügung verlangt. Ich glaube 
ernftlich, Daß das Refultat der Wahl, an dem jest nicht mehr zu 
zweifeln ift, dem Lande zum ewigen VBortheil—wenn nicht gar zu 
feiner Rettung—gereicht. Die Details diefes NRefultates find mir 
bis jet noch nicht befannt; mögen diefelben indeffen fein wie fie 
wollen, ich habe feinen Wunfch, diefe meine Anficht zu modifiziren : 
dag nämlich Alle, die geftern ihre Stimmen für die Unionsorgani- 
fation abgaben, für das befte Intereffe diefes Landes und der gan— 
zen Welt arbeiteten, und zwar nicht nur für heute, fondern für alle 
Zufunft. Ich danke Gott für dieſe Unterftüßung des Volkes, Wäh— 
rend ich nun aber für diefes Zeichen des Vertrauens höchſt dankbar 
bin, ift meine Dankbarkeit, fo ich anders mein Herz kenne, frei von 
Schadenfreude oder perfünlihem Triumphgefühl. Ich ſuche die 
Motive meiner Opponenten nicht zu verbächtigen. Es macht mir 
fein Bergnügen, über irgend Jemand zu triumphiren; allein ich 
danke dem Allmächtigen dafür, daß das Volk feinen Entſchluß fund» 
gegeben hat, die freie Regierung und die Rechte der Humanität zu 
wahren.” 

Am Abend des 10. November, als das Refultat der Wahl des 
finitiv befannt war, wurde ihm son den verfchiedenen „Lincoln- 
und Johnſon-Clubs“ im Diftrift eine großartige Serenade ge— 
bracht, welche er mit folgenden Bemerfungen ermwiederte: 

„Es ift Schon oftmals die ernfte Frage aufgeworfen worden, ob 
eine Regierung, ohne zu ftrenge für die Freiheiten des Volkes zu 
fein, ftar! genug fein könne, um ihre Eriftenz in Zeiten großer 
Gefahr zu behaupten, Hinfichtlich diefes Punktes unterwarf die 
gegenwärtige Nebellion unfere Regierung einer firengen Probe, 
und die Präfidentenwahl, die während dieſer Rebellion nach der 
altgewohnten Weife vor ſich ging, vermehrte das Gewicht Diefer 
Probe nicht wenig. 


Lincolns Wiedererwählung. 345 





„Wenn das loyale Volk vereinigt durch diefe Rebellion auf 
das Aeußerſte angeftrengt wird, müßte es da nicht unterliegen, 
wenn es durch einen politifchen Krieg unter fich felbft zerfpalten 
und theilweife paralyfirt wäre? — Allein die Wahl war eine 
Nothwendigkeit. Wir könnten feine freie Regierung ohne Wah— 
len haben; und wenn die Rebellion uns zwingen könnte, eine 
Nationalwahl zu unterlaffen oder viefelbe zu verfchieben, fo hätte 
fie ein Recht, ung als bezwungen und befiegt anzufehen. Der 
Wahlſtreit ift weiter Nichts, als die praftifche Anwendung der 
menfchlichen Natur auf die Thatfachen eines Falles, Was in 
diefem Falle vorgefommen ift, muß fich ftets in ähnlichen Fällen 
wiederholen, Die menfchliche Natur wird fich nicht verändern. 
In jeder künftigen großen Natiovnalprüfung wird es, wie in der 
gegenwärtigen, fchwache und ftarfe, thörichte und weife, böfe und 
gute Männer geben. Laßt uns daher die Ereigniffe diefer 
Prüfung ftudiren, um Philofophie und Weisheit daraus zu ſchö— 
pfen, nicht aber um vermeintliche Unbilden zu rächen, 

„AU diefer unvermeidlichen und unwünſchenswerthen Streitig- 
feiten ungeachtet, hat die Wahl auch Gutes gewirkt, Sie hat 
ung gelehrt, daß eine Volfsregierung mitten in einem großen 
Bürgerfriege eine Nationalwahl vor fich gehen laffen fann. Bis 
jest hat die Welt nicht gewußt und geglaubt, daß dies möglich fei. 
Sie zeigt uns indeffen auch, wie gefund und wie ſtark wir noch 
find. Sie zeigt, daß felbft unter Kandidaten derfelben Partei 
Derjenige die meiften Stimmen erhalten kann, welcher die größte 
Hingebung für die Union hegt und den größten Widerftand gegen 
den Verrath befundet. Sie zeigt ung, daß die Anzahl unferer 
Männer jest größer ift, als vor dem Anfang des Krieges. Das 
Gold iſt ein gutes Ding an feinem Orte; allein lebendige, tapfere 
und patriotifche Männer find beffer als Gold, 

„Die Rebellion dauert indeffen noch immer fort. Jetzt, da die 
Wahl vorüber ift, follten nun nicht Alle, Die ein gemeinfames In— 
tereffe haben, fich zu einer gemeinfamen Anftrengung vereinigen, 
um unfer gemeinfames Baterland zu retten? Ich für meinen 
Theil habe mich ftets bemüht und werde mich ftets bemühen, alle 
Hinderniffe aus dem Wege zu räumen. So lange ich in diefem 


346 Das Leben Abraham Lincolns. 





Amte bin, habe ich nie mit Wiſſen und Willen einen Dorn in 
irgend eines Menfchen Bufen gepflanzt. Während ic) feineswegs 
unempfindlich für das hohe Eompliment einer Wiedererwählung 
bin, und während ich dem Allmächtigen dafür danke, daß er meine 
Landsleute zum richtigen Entfchluffe gelangen ließ, macht es mir 
wahrlich Feine Freude, daß fih ein Anderer durch das Refultat 
der Wahl in feinen Hoffnungen getäufcht fieht. 

„Darf ich nun Diejenigen, welche ftet3 mit mir einverftanden 
waren, bitten, mit mir diefelben Gefinnungen gegen Jene zu he— 
gen, die mir opponirten? Und nun fchließe ich mit dem Vorfchlag, 
unfern braven Soldaten und Geeleuten, fowie deren tapfern und 
geſchickten Commandanten ein dreifaches herzliches Lebehoch zu 
bringen.” 

Als ein Beweis von Präfivent Lincoln's Herzensgüte und Zart- 
gefühl wird folgender Brief mit Sintereffe gelefen werden. Er 
ward an eine arme Wittwe in Bofton gerichtet, deren fechiter 
Sohn vor Kurzem erft verwundet worden war und im Hofpital lag: 

„SreintivsGebände, Wafhington, 21. November 1864. 

„Geehrte Madame: — Unter den Alten des Kriegs-Departe- 
ments erfah ich aus einem Berichte des General-Adjutanten von 
Maffachufetts, daß Sie die Mutter von fünf Söhnen find, die 
Alle glorreich auf dem Felde der Ehre ftarben. Ich fühle, wie 
ſchwach und fruchtlos jedes meiner Worte fein würde, wollte ich 
serfuchen, Sie uber einen fo überwältigenden Verluft zu tröften. 
Dennoch fann ich mich nicht enthalten, Ihnen den einen Troft zu 
bieten, nämlich den Dank der Republif, für deren Rettung Ihre 
Söhne ftarben. Möge unfer himmlifcher Vater mein Gebet er— 
hören und ihren unausfprechlichen Kummer lindern, damit Ih— 
nen nur die heilige Erinnerung an die geliebten Berlorenen bleibe, 
fowie der feierliche Ruhm, daß Sie ein fo foftbares Opfer auf den 
Altar der Freiheit legten. 

„Hochachtungsvoll und ergebenft der Ihrige, 
Abraham Sincoln.” 

Am 5. Dezember 1864 begann die zweite Sitzung des achtund— 
dreißigften Eongrefies. Am folgenden Tage fandte Herr Lincoln 
feine Jahresbotfchaft sin — ach, feine Teßte! 


Lincolns Wiedererwählung. 347 


„Mitbürger vom Senat und Beprafentantenhaus der Pereinig- 
ten Staaten: — Abermals gebührt dem allmächtigen Gott unfere 
tiefite Dankbarkeit für die Segnungen der Gefundheit und reich- 
licher Ernten. 

„Der Zuftand unferer auswärtigen Angelegenheiten ift ziemlich 
befriedigend. 

„Mexiko ift noch immer der Schauplab eines Bürgerfrieges. 
Während in unfern politifchen Beziehungen zu diefem Lande fein 
Wechſel ftattgefunden hat, hielten wir ftrenge Neutralität den 
triegführenden Mächten gegenüber aufrecht. 

„Auf Berlangen der Staaten Eofta Rica und Nicaragua wurde 
ein competenter Ingenieur autorifirt, eine Bermeffung des Fluffes 
San Juan, fowie des Hafens von San Juan vorzunehmen. 
Es gereicht zu großer Befriedigung, daß die Schwierigkeiten, die 
einige Zeit lang zu politifchen Befürchtungen und zur Schliefung 
der interoceanifchen Tranfitroute Anlaß gaben, friedlich gefchlichtet 
worden find, und daß Hoffnung auf baldige Wiedereröffnung der 
Route mit vermehrten Vortheilen und Accompdationen vorhan— 
den ift, 

„Dir können weder die commerzielle, noch die politifche Bedeu- 
tung jener großen Verbefferung überfchägen. Es hieße einem be— 
deutenden füdamerilanifchen Staate Unrecht thun, wenn wir un— 
terließen, die Offenheit, Promptheit und Herzlichkeit anzuerkennen, 
womit die Bereinigten Staaten von Columbia in intimere Bezie- 
hungen zu unferer Regierung eingingen. Es ift eine Convention 
für Anfprüche (Claim Convention) ernannt worden, um das un— 
vollendete Werk derjenigen, die ihre Sitzung im Jahre 1861 
Schloß, zum Abſchluß zu bringen. 

„Nachdem die neue, liberale Eonftitution von Venezuela zur 
allgemeinen Befriedigung des Volkes jenes Staates in Wirkſam— 
feit getreten ift, wurde die Regierung unter derfelben anerfannt 
und der Diplomatifche Verkehr in cordialem und freundlichem 
Geiſte eröffnet, 

„Die lang aufgefchobene Avis Island Forderung tft befriedi> 
gend bezahlt und gefchlichtet worden. Die von der gemeinfamen 
Commijfion zur Aburtheilung yon Anfprüchen zwifchen den Ver— 





348 Das Leben Abraham Lincolns. 





einigten Staaten und Peru zuerfannten Anfprüche wurden gegen 
feitig bezahlt. Eine herzliche und aufrichtige Freundfchaft befteht 
zwifchen den beiden Ländern, und ich habe Alles gethan, was in 
meiner Macht ftand, um Mißverftändniffe zu befeitigen und einen 
Krieg zu vermeiden, der zwifchen Peru und Spanien auszubrechen 
drohte. 

„Die freundlichften Beziehungen herrfchen zwifchen unferer Re— 
gierung und Chili, der Argentinifchen Republik, Bolivia, Cofta 
Rica, Paraguay, San Salvador und Hayti. Während des Ich- 
ten Jahres fand feinerlei Streitigfeit mit irgend einer diefer Re— 
publifen ftatt. Im Gegentheil drücken diefelben fortwährend ihre 
ernften und aufrichtigen Sympathien mit den Vereinigten Staa— 
ten aus, 

„Unfere Anfprüce wegen Befchlagnahme der Ladung der Brig 
Macedonian im Jahre 1821 find vollftändig von der Regierung 
von Chili bezahlt worden. 

„Der Bürgerkrieg im fpanifchen Hafen von San Domingo 
Dauert noch immer fort, wie es feheint, ohne Ausficht auf ein bal- 
diges Ende, 

„Mit Liberia wurde eine offizielle Correfpondenz eröffnet, die 
uns einen erfreulichen Ueberblick über den forialen und politifchen 
Fortfchritt jener Republik geftattet. Es fteht zu erwarten, daß 
diefer Staat durch den amerifanifchen Einfluß, namentlich aber 
durch das rafche Verſchwinden der Sklaverei in den Vereinigten 
Staaten, neue Kraft und Energie gewinnen wird, 

„Sch erfuche Sie um Bollmacht, jener Republid ein Kanonen- 
boot von mäßigen Koften zur Berfügung zu ftellen, deffen Betrag . 
den Bereinigten Staaten in Raten zurüderftattet werden fol. 
Es bedarf eines ſolchen Schiffes zur Sicherheit jenes Staates vor 
den eingeborenen afrifanifchen Racen, und in liberifchen Händen 
würde fich daffelbe zur Hemmung des afrifanifchen Sklavenhan— 
dels von größerer Wirkſamkeit erweifen, als in unfern eigenen. 

„Der Befit einer, wenn auch noch fo geringen, autorifirten 
Marineforce würde den Ehrgeiz jener Republik anfeuern; während 
das Vertrauen, das wir dadurch beweifen, der Colonie die Gunft 
und Nachficht aller cisilifirten Nationen verfchaffen würde, 


Lincolns Wiedererwählung. 349 





„Der vorgefchlagene Ueberland-Telegraph zwifchen Amerifa 
und Europa, über die Behrings-Straße und das aflatifche Ruß- 
land, der vom Eongreß bei feiner legten Sitzung fanktionirt ward, 
ift bereits von einer Afjociation amerifanifcher Bürger unter 
höchſt günftigen Bedingungen und mit dem Einverftändniß diefer 
Regierung fowohl, wie der Regierungen von Örofbrittanien und 
Rußland unternommen worden, 


„Desgleichen gingen von den meiften füdamerifanifchen Staa 
ten Berficherungen ein, die ihre Billigung des Planes und ihre 
Bereitwilligfeit zur Mitwirkung und Errichtung von Nebenlinien 
zu diefem weltumfpannenden Communifationgsmittel ausdrückten. 


„Zu meinem großen Vergnügen erfuhr ich, daß der edle Plan 
einer telegraphifchen Verbindung der Oftküfte von Amerika mit 
Großbrittanien mit völliger Erwartung eines frühen Erfolges 
erneut wurde, 

„So dürfen wir ung denn der Hoffnung hingehen, daß mit der 
Rückkehr des Friedens das Land im Stande fein wird, fich wie- 
derum mit Energie und Vortheil feinen früheren Befchäftigungen 
des Handels und der Eivilifation hinzugeben. 


„Unfer populärer und fühiger Vertreter in Egypten farb im 
vergangenen April. in bedauernswerther Wortwechfel zwifchen 
dem temporären Amtsverwefer und der Regierung des Pafcha 
endigte mit einer GSufpenfion des Verkehrs. Das Uebel wurde 
indeffen bei der Ankunft des Nachfolgers im Eonfulate prompt 
befeitigt und unfere Beziehungen zu Egypten find nunmehr, wie 
auch die zu den Mächten der Barbarei, volllommen befriedigend. 

„Die Rebellion, welche fo lange in China mwüthete, ift endlich 
durch Mitwirkung guter Offiziere diefer Regierung und der übri- 
gen weſtlichen Handelsmächte unterdrüdt worden. Das Conſu— 
lar-Zuftiz-Etabliffement ift äußerſt läftig und befchwerlich gewor— 
den, und es wird einer legislativen Requifition bedürfen, um 
dafjelbe der Ausdehnung unferes Handels und dem intimeren 
Berfehr anzupaffen, der mit der Regierung und dem Volke jenes 
großen Reiches angelnüpft wurde, 


„Shina foheint mit aufrichtigem, guten Willen die conventio— 


350 Das Leben Abraham Lincolns. 





nellen Oefeße anzunehmen, durch die der Handel und der fociale 
Verkehr unter den Meftmächten regulirt werden, 

„Der eigenthümlichen Lage von Japan und der angmalen 
Form feiner Regierung zufolge ift die Ausführung der Vertrags 
ftipulationen von Seiten jenes Reiches höchft capriciös und in— 
eonfequent. Dennoch wurde von den Weftmächten ein bedeuten- 
der Sortfchritt gemacht. Unfere eigenen pecuniären Forderungen 
find bewilligt worden, oder befinden fich unter Erwägung, und Die 
Inland-See fteht dem Handel wieder offen. Wir haben Grund 
anzunehmen, daß die Freundfchaft Japans gegen die Vereinigten 
Staaten durch diefe Verhandlungen eher vermehrt als vermindert 
wurde. | 

„Die Häfen von Norfolk, Fernandino und Penfacola find durch 
eine Proflamation wieder geöffnet worden, 

„Es fteht zu hoffen, daß auswärtige Kaufleute jebt überlegen 
werden, ob es nicht ficherer und vortheilhafter für fie ift, ſowohl 
wie gerechter gegen die Vereinigten Staaten, fich diefer und an— 
derer offenen Häfen zu bedienen, als mit großer Gefahr und gro— 
gen Koften einen Contrebandhandel mit andern Häfen zu treiben, 
die, wenn nicht durch wirkliche militärifche Operationen, fo doch 
durch eine gefegliche und effektive Blockade gefchloffen find. 

„Ich meinestheils bezweifle nicht die Macht und Pflicht der 
Erefutive, dem Völkerrechte gemäß Feinden der menfhlichen Race 
ein Aſyl in den Vereinigten Staaten zu verfagen. Wenn der 
Eongreß der Anficht ift, daß es einem Verfahren in ſolchen Fällen 
an gefeglicher Autorität gebricht, oder daß es weiterer Regula 
tionen hierzu bedarf, fo empfehle ich die Paffirung eines Gefebes 
an, durch welches auswärtige Sklavenhändler effektiv verhindert 
würden, in diefem Lande ihr Domicil aufzufchlagen und ihr ver- 
brecherifches Gefchäft zu betreiben, 

„Es ift möglich, daß wenn dies eine neue und offene Frage wäre, 
die Seemächte mit der Aufklärung, die fie jebt befiten, den Inſur— 
genten in den Vereinigten Staaten die Privilegien einer kriegfüh— 
renden Seemacht nicht gewähren würden, da es denfelben ftets an 
Schiffen fowohl wie an geeigneten Häfen mangelte, 

„Unfere iloyalen Bürger ließen es auch in diefem Jahre nicht an 


Lincolns Wiedererwählung. 351 





den eifrigften Anftrengungen fehlen, ung mit der Begünftigung 
jenes Privilegiums in einen Krieg mit auswärtigen Mächten zu 
verwideln; doch hatten fie ebenfo wenig Erfolg wie früher, Der 
Wunſch und die Entfchloffenheit der Seemächte, jene Abficht zu ver— 
eiteln, ſcheinen fo aufrichtig und ernft zu fein wie unfere eigenen 
Wünfche in diefer Hinficht. 

„Dennoch find einige unvorhergefehene politifche Schwierigkeiten 
entitanden, namentlich in den brafilifchen und brittifchen Häfen 
und an der Nordgrenze der Vereinigten Staaten, Diefelben ver- 
langen die äußerſte Wachfamfeit und eine gerechte und verfühnliche 
Geſinnung von Seiten der Vereinigten Staaten fowohl, wie jener 
Negierungen. Unter dem Bertrag mit Oroßbrittanien wurden 
Commiffäre zur Abfindung der Anfprüche der Hudſon Bai- und 
Puget Sund-Agrifultur-Compagnien in Oregon ernannt, die jet 
in der ihnen angemwiefenen Aufgabe begriffen find. 

„Angefichts der Tebensunficherheit in der an der Grenze Cana— 
da's gelegenen Gegend, verurfacht durch die dafelbit beherbergten 
feindlichen Perfonen, die fih vor Kurzem erft Heberfälle und De— 
predationen zu Schulden kommen ließen, war e3 für geeignet er- 
achtet worden, Notiz zu geben, daß nach Verlauf von fehs Mona= 
ten — der in den beftehenden Arrangements mit Großbrittanien 
ftipulirten Periode — die Vereinigten Staaten fich für befugt hal- 
ten werden, ihre Marinemacht auf den Seen zu verftärfen, falls 
dies für nothwendig erachtet werden follte. 

„Der Zuftand der Grenze wird mwahrfcheinlich in Verbindung 
mit der Fortſetzung oder Modifikation der Tranfitrechte von Canada 
durch die Vereinigten Staaten, fowie auch der Regulation der 
Zölle (imposts), die am 5. Juni 1864 dur den Reciprocitäts— 
Bertrag temporär etablirt wurde, in Betracht fommen, Sch wünfche 
indeffen deutlich verftanden zu merden, daß ich mit diefer Angabe 
die Colonialbehörden keineswegs einer abfichtlichen Ungerechtigkeit 
oder Feindfeligfeit gegen Die Vereinigten Staaten befchuldige; Daß 
im Gegentheil Grund zur Annahme vorhanden ift, daß diefelben 
mit der Billigung der brittifchen Regierung die nöthigen Maß— 
regeln ergreifen werden, um abermalige Örenzüberfälle zu ver- 
hindern, 


852 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Dte während letzter Sitzung paffirte Akte zur Ermunterung der 
Einwanderung ift foweit wie möglich in Wirkfamfeit gefebt worden, 
Doch Scheint mir diefelbe eines Amendments zu bedürfen, um da— 
durch die Beamten der Regierung in den Stand zu feben, die Ein- 
wanderer auf ihrem Wege und bei ihrer Ankunft in den hiefigen 
Häfen vor Betrug zu ſchützen, damit ihnen hier freie Wahl hin- 
fichtlich ihres Berufes und Aufenthalts bleibe, 

„Die meiften europäifchen Staaten bewiefen eine liberale Ge— 
finnung in Bezug auf diefe große Nationalpolitif; Diefe Oefinnung 
follte daher unfererfeit3 Dadurch erwiedert werden, daß wir den 
Einwanderern wirkſamen Nationalfchug verleihen. Ich betrachte 
unfere Einwanderer als den Hauptzufluß, den uns die Borfehung 
verliehen, um die durch den Krieg verurfachten Lüden auszufüllen 
und die Kraft und Stärfe der Nation aufrecht zu erhalten. 

„Es ift durchaus nothwendig, diefen Zufluß auch fernerhin un 
geſchwächt zu fichern, und zu diefem Zwede muß die Regierung auf 
alle mögliche Weife befannt machen, daß fie weder nöthig hat, noch 
Willens ift, Denjenigen, die aus andern Ländern fommen, um ihre 
Looſe an die unfrigen zu fnüpfen, unfreimilligen Militärdienft auf- 
zuerlegen, 

„Die finanziellen Angelegenheiten der Regierung wurden mit 
Erfolg verwaltet, Die Legislation der lebten Sitzung des Con— 
greffes hat während des vergangenen Jahres einen günftigen Ein- 
fluß auf die Revenuen gehabt, objchon die verfloffene Zeit noch zu 
kurz war, um die volle Wirkung mehrerer Beftimmungen der Con— 
greßafte hinfichtlich der erhöhten Befteuerung zu erproben, Die 
Einnahmen aus allen Quellen betrugen während des Jahres auf 
die Bajis der vom Finanzfefretär unterzeichneten Warrants, mit 
Einfluß der Anlehen und der am 1, Zuli 1863 im Schabamt 
verbliebenen Bilanz, $1,394,796,007.62, während fich die Ge— 
fammtausgaben auf diefelbe Bafis hin auf $1,298,056,101,89 
beliefen. Es verblieb fomit, wie ſich aus den Warrants ergiebt, 
dem Schabamt eine Bilanz von $96,739,905.73. Ziehen wir 
Davon den Betrag des Kapitals der eingelöften öffentlichen Schuld 
ab, fowie auch den Betrag der hierfür ausgegebenen Noten, fo 
ermweifen fich die wirklichen Baar-Dperationen des Finanz-De- 


Lincolns Wiedererwählung. 353 





partements wie folgt: Einnahmen, $3,075,646.77; Ausgaben, 
$365,734,087.76, bleibt fomit der Schatzkammer ein Baarbeftand 
von $18,842,558.71. Bon den Einnahmen famen auf Zölle, 
$102,316,152,99;5 auf Ländereien, $588,333 29; auf direfte 
Steuern, $475,648,965 auf innere Revenuen, $109,741,134,10; 
auf verfehiedene Duellen, $47,511,448, und auf Anlehen, die zu 
wirklichen Ausgaben verwendet wurden, einfchließlich der frühern 
Bilanz, $623,443,929,.15. Bon den Ausgaben famen auf den 
Civildienſt, $27,505,599.465 auf Penfionen und Indianer, 
$7,517,930,975 auf das Kriegsdepartement, $60,791,842,97 ; 
auf das Marinedepartement, $85,733,292,79; auf die Intereſſen 
der öffentlihen Schulden, $53,685,421,69 ; woher denn das Ag- 
gregat von $865,234,081.86 und die Bilanz der Schatzkammer 
son $18,842,558.71, wie oben erwähnt. 

„Sn Bezug auf die wirklichen Einnahmen und Ausgaben des 
erfien Quartals und die Aftimirten Einnahmen und Ausgaben der 
übrigen drei Quartale des laufenden Fiskaljahres, ſowie Die De- 
tails der Sinanzoperationen, vermweife ich Sie auf den Bericht des 
Finanzminiſters. 

„Ich ſtimme mit ihm in der Anſicht überein, daß die Proportion 
der zur Deckung der Kriegskoſten erforderlichen und durch die Be— 
ſteuerung zu erzielenden Gelder noch weiter erhöht werden ſollte, 
und empfehle daher dieſen Gegenſtand Ihrer ernſtlichen Aufmerk— 
ſamkeit an, damit durch weitere geeignete Legislatur den Erwar— 
tungen des Sekretärs entſprochen werden möge. 

„Am 1. Mai dieſes Jahres belief ſich die öffeniliche Schuld, wie 
aus den Büchern des Schabamts hervorgeht, auf $1,740,690,489.49. 
Sollte der Krieg noch ein Fahr fortvauern, fo würde dieſe Summe 
wahrfcheinlich um mweitere fünfhundert Millionen vermehrt werden. 
Da für diefe Schuld größtentheils unfere eigenen Bürger die 
Gläubiger find, fo ift diefelbe ein materieller Zweig des National- 
(obgleich Privat-) Eigenthums geworden. 

„Se allgemeiner dieſes Eigenthum fich unter das ganze Volk 
vertheilen läßt, defto beffer ift es aus augenfcheinlichen Gründen. 
Zur Förderung diefer allgemeinen Bertheilung Tießen fich vielleicht 
mit mn Erfolg und ohne Nachtheil für Perfonen von befchränk- 


854 Das Leben Abrabam Lincolns. 





ten Mitteln größere Erleichterungen beſtimmen. Mit diefem Zwed 
vor Augen fihlage ich dem Congreß vor, Beftimmungen zu 
treffen, Daß ein mäßiger Betrag von einer Fünftigen Ausgabe 
öffentlicher Sicherheiten (public securities) erempt von Befteue- 
rung und Beichlagnahme für Schulden von bona fide Käufern 
gehalten werden könne, jedoch mit den nothwendigen Reftriktionen 
und Befchränfungen, um einem etwaigen Mißbrauch diejes bedeu— 
tenden Privilegiums vorzubeugen. Cine ſolche Maßregel würde 
kluge Perfonen in den Stand fegen, für einen möglichen Fall der 
Noth einen fihern Sparpfennig zurüdzulegen. 


„Derartige Privilegien würden den Beſitz folcher Sicherheiten 
in befchränften Beträgen einem jeden Unbemittelten, der die hierzu 
nöthige geringe Summe aufzutreiben im Stande ift, höchft wün— 
ſchenswerth machen. Der große Bortheil, daß unfere Bürger 
Gläubiger ſowohl, wie Schuldner wären, fpringt von felbft vor 
die Augen. Es muß einem Seven Flar fein, daß eine Schuld, die 
er fich felbft fehuldet, ihn nicht fehr drücken kann. 


„Obſchon die öffentliche Schuld am erften Juli dag dem Con— 
greß zu Anfang der legten Sikung vom Finanzfefretär einge- 
reichte Aeſtimat etwas überfteigt, fo bleibt diefelbe dennoch hinter 
dem im darauf folgenden Dezember berechneten Aeftimat des wahr- 
icheinlichen Betrages zu Anfang diefes Jahres um $3,995,079.33 
zurück. Diefe Thatfache beweift einen befriedigenden Zuftand der 
Dperationen des Finanzdepartements. 


„Das National-Bankiyftem ermeift fich fowohl den Kapitaliften, 
wie auch dem Volke im Allgemeinen annehmbar. Am 25. No— 
vember hatten fich bereits fünfhundert und vierundachtzig Natio— 
nalbanfen organifirt, worunter eine beträchtliche Anzahl von 
Staatsbanfen, die diefe Umwandlung vorgenommen hatten, Die 
Bertaufchung des Staatenfpftems mit dem Nationalfyftem geht 
rafh von Staaten, und es ift Ausficht vorhanden, daß in kurzer 
Zeit feine Noten ausgebenden Banken in den Vereinigten Staaten 
fein werden, die nicht vom Kongreß autorifirt wurden, und feine 
Banknoten-Cirkulation, Die nicht von der Regierung gejichert ift. 
Daß diefer Wechfel in dem Bankſyſtem des Landes fowohl der 


Lincolns Wicdererwählung. 855 





Regierung, wie auch dem Volke zum allgemeinen Bortheil gerei> 
chen wird, kann wohl fchwerlich bezweifelt werden, 


„Das Nationalfyftem wird einen zuverläffigen und dauernden 
Einfluß auf die Unterftübung des National-Eredits ausüben und 
das Bolf vor Berluften im Ufo des Papiergeldes ſchützen. Ob mwei- 
tere legislative Mafregeln zur ganzlichen Unterdrüdung der Aus- 
gabe von Staaten-Banknoten ratyfam find, muß der Entſcheidung 
des Congreffes überlaffen bleiben. So viel indeffen fcheint klar 
zu fein, daß das Schakamt nicht befriedigend verwaltet werden 
fann, fo lange die Regierung nicht vollftändige Eontrolle über die 
Banfnoten-Cirkulation im Lande hat, 


„Der Bericht des Kriegsminifters giebt mit den begleitenden 
Dokumenten die Details der Operationen unferer Armeen im 
Felde fett dem Datum der letten Jahresbotſchaft; desgleichen 
auch die Operation jedes einzelnen adminiftrativen Bureau im 
Kriegsdepartement während des lebten Jahres. 

„Ebenfalls fpezifizirt derfelbe die Maßregeln, die zur Verthei— 
digung der Nation und zur Unterhaltung und Verpropiantirung 
der Militärmacht vonnöthen find. 


„Der Bericht des Marinefefretärs giebt in faßlicher und befrie- 
digender Weife Auskunft über die Angelegenheiten jenes Depar- 
tement3 und des Marinedienftes, Wohl dürfen es fich unfere 
Mitbürger zur Ehre und zum Stolz anrechnen, daß eine Marine 
von fo ungeheuren Proportionen in fo furzer Zeit organifirt und 
mit fo glänzendem Erfolge in Wirkfamfeit verfegt wurde. 

„Die Marine beftand am 1. Dezember 1864 einfchließlich der 
im Bau begriffenen Schiffe im Ganzen aus 671 Fahrzeugen mit 
4610 Geſchützen und 510,396 Tonnengehalt. Dies ijt eine Zu- 
nahme während des letzten Jahres von 83 Schiffen, 167 Ge- 
fhügen und 42,427 Tonnen, nad Abrechnung ſämmtlicher Ber- 
fufte durch Schiffbrud und Seefchlachten. Die Gefammtzahl der 
im Seedienft befindlichen Männer ift einfchlieglich der Offiziere 
ungefähr 51,000. Während des Jahres wurden von der Marine 
324 Schiffe erobert; die Zahl fämmtlicher feit Anfang des Krie- 
ges eroberten Schiffe ift 1379, worunter 267 Dampfer. Die aus 


356 Das Leben Abraham Lincolns, 





dem Verkauf abgeurtheilter Prifen erzielte Summe beträgt, foweit 
big jetzt berichtet wurde, $14,396,250,51, 

„Eine große Anzahl folcher Prifen erwartet noch der gericht- 
lichen Verfügung. Die Totalausgaben des Marinedepartements, 
einfchließlich der Koften der ungeheuren vom 4. März 1861 bis 
zum 1, November 1864 in’s Leben gerufenen Geſchwader belaufen 
ſich auf $238,647,262,35. Im empfehle die verfchiedenen Vor— 
Schläge des Marineſekretärs Ihrer günftigen Beachtung, nament- 
lich feinen Vorſchlag hinfichtlich einer Navy-Yard und eines ge— 
eigneten Etabliffements zum Bau und zur Ausbefferung eiferner 
Schiffe, fowie zur Herftellung der Dazu nöthigen Mafchinerie und 
Armatur, wie ich bereits in meiner legten Jahres-Botſchaft er— 
wähnte, 

„Desgleichen lenke ich Ihre Aufmerkſamkeit auf die Anfichten 
des Sefretärg über die Legislation des Congreffes bei feiner legten 
Sitzung in Betreff der auf unfern Inlandgewewäſſern gemachten 
Prifen, 

„Ebenfo unterftüße ich den Antrag des Sefretärs, den Rang 
eines Vice-Admirals in unferm Marinedienft einzuführen. 

„Hinfichtlich der Details über die Operationen und den finan— 
ziellen Zuftand des Poft-Departements vermeife ich Sie auf den 
Bericht des General-Poftmeifters. Die Poft-Revenuen betrugen 
in dem mit dem 30, Juni 1864 endigenden Jahre $12,438,253.78, 
und die Ausgaben $12,644,786.20, verblieb fomit ein Defizit von 
$206,532,42. 

„Der befondern Beachtung des Eongreffes empfehle ich die vom 
Seneral-Poftmeifter ausgefprochenen Anfichten binfichtlich fpeziel= 
ler Bewilligungen, um der Errichtung neuer Drean-Poftdampf- 
fchifflinien Borfchub zu leiſten; desgleichen die Politik, die er zur 
Erleichterung des zunehmenden Handelsverfehrs mit angrenzenden 
und benachbarten Ländern vorfchlägt. 

„Intereſſant und der Beachtung werth ift der Umftand, daß die 
ftetige Zunahme der Bevölkerung, fomwie die Eultivation und Ein— 
richtung von Regierungen in den neuen und bisher unangefiedel- 
ten Theilen unferes Landes durch den großen Bürgerkrieg, der 
anfänglich die ganze Energie der Nation in Anfpruch zu nehmen 


2incolns Wiedererwählung. 897 





fhien, faum berührt, gefchweige denn gehemmt oder zum Stillftand 
gebracht wurden. 

„Die Organifation und Aufnahme des Staates Nevada ift in 
Uebereinftimmung mit dem Geſetze vollbracht worden, und fomit 
ijt denn unfer vortreffliches Syſtem feft begründet in jenen Ge- 
birgen, die man ehedem als eine unfruchtbare und unbewohnbare 
Einöde zwifchen den atlantifchen und pacififchen Staaten betrach- 
tet hatte, 

„Die Territorien der Union befinden fich in einem gedeihlichen 
und blühenden Zuſtande. Idaho und Montana wurden ihrer 
großen Entfernung halber, fowie wegen der durch Indianerfeind- 
feligfeiten verurfachten Verkehrsunterbrechung nur theilmweife or» 
ganifirtz dem Vernehmen nah find dieſe Schwierigkeiten im 
Berfchwinden begriffen und ift daher Ausficht vorhanden, daß die 
Regierung: diefer Territorien, wie die der übrigen, baldigft orga— 
nifirt und in Thätigfeit fein werden, 

„Ich Ienfe die Aufmerkſamkeit des Eongreffes auf den Bericht 
des Sekretärs der innern Angelegenheiten. Derfelbe enthält 
werthuolle Auskunft und wichtige Anempfehlungen über verfchie- 
dene mit dem materiellen Gedeihen der Nation auf das Innigſte 
verfnüpfte Gegenftände, wie 3. B. die öffentlichen Ländereien, die 
Indianer-Affairen, die Pacific-Eifenbahn und die mineralifchen 
Entdeckungen. Desgleichen giebt der Bericht Aufklärung über 
Patente, Penfionen und andere Gegenftände von allgemeinem 
Intereſſe. 

„Die Quantität der während der letzten fünf Quartale bis zum 
30. September dieſes Jahres veräußerten öffentlichen Ländereien 
betrug 4,221,342 Acker, wovon 1,538,614 Acker unter dem Heim— 
ſtätte-Geſetz vergeben wurden. Der Baarerlös aus Verkäufen 
und Lokationsgebühren betrug 81,019,446. Die Einkünfte von 
Verkäufen während des mit dem 30. Juni 1864 endigenden Fis— 
kaljahres beliefen ſich auf $678,007.21, während dieſelben im vor- 
bergehenden Jahre nur $136,077,95 betrugen. Die Gefammt- 
anzahl der während des Jahres vermeffenen Ader Landes fam der 
Duantität der Veräußerungen gleich, und es ſtehen gegenmärtig 
133,000,000 Ader vermeffenen Landes zur Anfiedlung offen, 


358 Das Leben Abraham Lincolns. 


— 


„Das große Unternehmen einer Verbindung der atlantiſchen 
mit den pacifiſchen Staaten durch Eiſenbahnen und Telegraphen— 
Linien wurde, ungeachtet der hohen Preiſe des Materials und der 
Arbeit, mit einer Energie in Angriff genommen, die keinen Zwei— 
fel an dem Erfolg aufkommen läßt. Die Route der Hauptlinie 
der Eiſenbahn iſt bereits einhundert Meilen weſtwärts vom Aus— 
gangspunkt zu Omaha City, Nebraska, gelegt worden; desgleichen 
wurde die Pacific-Eiſenbahn von Cälifornien von Sacramento 
aus oſtwärts bis zur großen Krümmung des Mucker River, Ne— 
vada, errichtet, Zahlreiche Entdeckungen von Gold-, Silber- und 
Zinnoberminen find den bisher gemachten hinzugefügt worden, 
und das Land der Sierra Nevada und der Felfengebirge, fomwie 
der Gebirgsausläufer ſchwärmt jebt von eifrigen Arbeitern, Die 
ihre Bemühungen wahrfcheinlich von reichem Erfolg gefrönt ſehen 
werden. Man nimmt an, daß die diesjährige Ausbeute an edlen 
Metallen in den Minen jener Regionen zum Mindeften 
$100,000,000 betrug. 

„Sn meiner legten Jahresbotſchaft empfahl ich eine Umgeftal- 
tung unferes Indianerſyſtems an. In Uebereinfiimmung mit 
diefer Anempfehlung traf der Congreß während feiner legten 
Sitzung Beitimmungen für die Reorganifation des Syitems in 
Californien, und ich glaube, daß bei gegenwärtiger Drganifation 
das Management der Indianer ziemlich erfolgreich betrieben wird. 
Es bedarf indeffen noch vieler Borforge für die Beauffihtigung 
der Indianer in andern Theilen des Landes, fowohl der Sicher- 
heit der neuen Anfiedler, wie auch der Wohlfahrt der Indianer 
halber, Der Sefretär wiederholt daher feine Vorfchläge, vie ich 
ausdrüdlich der Erwägung des Congreffes empfehle. 

„Die liberalen Beftimmungen, die ver Congreß zur Ausbezahlung 
son Penfionen an invalide Soldaten und Matrofen der Republik 
getroffen bat, fowte auch an die Wittwen, Waifen und hilfsbe- 
dürftigen Mütter Derer, die in Schlachten gefallen oder an 
Krankheiten und Wunden im Dienft ihres Zandes geftorben find, 
wurden aewiffenhaft zur Ausführung gebracht. 

„Während des mit dem 30. Juni endigenden Jahres wurden 
den Penfionsliften die Namen von 16,770 invaliden Soldaten 





Lincolns Wiedererwählung. 399 





und 271 verfrüppelten Matrofen hinzugefügt. Die gegenwärtige 
- Anzahl penfionirter Armee-Invaliden beträgt 22,767 und die der 
penfionirten Marine-Fnvaliden 712 Mann. Außerdem wurden 
22,198 Wittwen, Waifen und Mütter auf die Armee-, und 248 
auf die Marine-Penfionsliften gefebt, 

„Die gegenwärtige Anzahl der Armee-Penfionäre dieſer Klaffe 
beträgt 25,433, und die der Marine-Penfionäre 793 Perfonen. 
Zu Anfang des Jahres belief fih die Anzahl der Revolutions— 
Penfionäre auf 1430 Perfonenz nur zwölf derfelben waren Sol— 
daten, und von diefen find feither fieben mit Tod abgegangen. 
Die Uebrigen erhalten dem Geſetze nach Penfionen in Anbetracht 
ihrer Berwandtfchaft mit den Revolutiong-Soldaten, 

„Während des mit dem 30, Juni 1864 endigenden Jahres 
wurden im Ganzen $4,504,616,.92 an Penfionäre aller Klafjen 
ausbezahlt. 

„Mit Freuden empfehle ich die mohlthätigen Snftitutionen des 
Diftrilts Columbia, die bisher Durch den Congreß begründet und 
gehegt wurden, Ihrer ferneren Gewogenheit und verweife Sie für 
weitere Auskunft über diefelben, fowie über den Wafhington Aqua- 
duct, das Bapitol und andere Ungelegenheiten von lokalem Inte— 
reſſe auf den Bericht des Sekretärs. 

„Das Agrikultur-Departement erweift fich unter der Oberauf- 
ficht feines gegenwärtigen energifchen und pflichtgetreuen Chefs den 
großen Intereſſen, zu deren Förderung es beftimmt ift, vollflommen 
angemefjen. Es ift im eigentlichen Sinne des Wortes das De- 
partement des Volkes; an feinem andern ift dafjelbe fo Direkt be- 
theiligt wie an diefem, und ich empfehle e8 Daher der ferneren Gunft 
und Pflege des Congrefjes an. 

„Der Krieg dauert noch immer fort, Seit meiner legten Jah— 
resbotſchaft find alle wichtigen Linien und Pofltionen, die damals 
im Beſitz unferer Truppen waren, ftandhaft behauptet worden. 
Unfere Armeen rüdten beftändig vorwärts und ließen die hinter 
ihnen liegenden Regionen frei, fo dag Miffouri, Kentudy, Ten— 
neffee und Theile anderer Staaten fich wieder ziemlich guter Ernten 
erfreuten. 

„zer merkwürdigſte Zug in den militärifchen Operationen dieſes 


360 Das Leben Abrabam Lincolns. 





Jahres ift General Sherman’s gewagter Marfch von dreihundert 
Meilen direkt durch das Innere der Infurgentenftaaten, Es be— 
weift eine große Zunahme unferer relativen Stärke, daß unfer 
Dbergeneral im Stande ift, die gefammte, aftive Truppenmacht des 
Veindes zu confrontiren und im Schach zu halten, und zu gleicher 
Zeit eine große, ftattliche Armee zu einer folchen Erpedition zu de— 
tachiren. Da das Refultat noch nicht befanut ift, fo unterlaffe ich 
es, mich auf Conjecturen hierüber einzulaffen. 

„Auch in Bezug auf die Reconftruftion haben während des Jah— 
red bedeutende Bewegungen ftattgefunden, War der Erfolg aud) 
nicht eben ein volljtändiger, fo laßt es fich dennoch als einen Schritt 
in der rechten Richtung hin betrachten, daß zwölftaufend Bürger 
in jedem der Staaten Arkanfas und Louifiana loyale Staatsregie- 
rungen mit freien Conftitutionen organifirt haben und ernitlich be— 
müht find, diefelben zu verwalten und aufrecht zu erhalten. 

„Die in den Staaten Miffouri, Kentudy und Tenneffee in noch) 
weit größerem Maßftabe, obſchon weniger beftimmt vor ſich gegan- 
genen Bewegungen dürfen ebenfalls nicht unbeachtet bleiben. 

„Maryland aber bietet ung ein Beifpiel von volllommenem Er- 
folge. Maryland ift für alle Zukunft ver Union und Freiheit ge— 
fihert. Der Dämon der Rebellion kann Maryland nicht mehr 
beanfpruchen. Gleich einem ausgetriebenen Teufel mag er es zu 
zerreißen ſuchen; beherrſchen fann er es nicht mehr, 

„Ein Borfchlag zu einem Amendement zur Conftitution, wodurch 
die Sklaverei in den ganzen Vereinigten Staaten abgefchafft würde, 
it während der lebten Sitzung des Congreſſes vom Senat paſſirt 
worden, jedoch in Ermangelung der nothwendigen Zweidrittelg- 
Majvorität im Repräfentantenhaufe durchgefallen. Obſchon der 
Congreß noch der nämliche ift und faft aus den nämlichen Mit- 
gliedern befteht, wage ih—ohne den Patriotismus Derjenigen, die 
damals opponirten, zu bezweifeln— die nochmalige Erwägung und 
endliche Paffirung jener Maßregel der gegenwärtigen Situng drin- 
gend anzuempfehlen, 

„In Bezug auf die abſtrakte Frage ift natürlich feine Aenderung 
eingetreten; die Fürzlich ftattgefundene Wahl zeigt indeffen deutlich, 
daß der nächte Congreß die Maßregel ficherlich paffiren wird, wenn 


Lincolns Wiedererwählung. 361 





der gegenwärtige es nicht thut. Es handelt fich fomit nur noch um 
die Zeit, wann das vorgefchlagene Amendement den Staaten zur 
Ratififation übergeben werden foll; und da dies nun auf alle Fälle 
gefchehen wird, fo wäre es meiner Anficht nach je eher, defto beſſer. 
Es foll damit nicht gefagt fein, daß die Wahl den Congrefmitglie- 
dern die Pflicht auferlegt habe, ihre Anfichten und ihre Stimmen 
zu verändern; dennoch kann Diefelbe nicht verfehlt haben, ihnen das 
Zweckloſe eines ferneren Widerftandes vor Augen zu halten. 

„Es ift die Stimme des Volkes, die fich jebt zum erftenmal über 
diefen Gegenftand vernehmen läßt. Sn einer großen National- 
trifis, wie der unfrigen, ift Einftimmigfeit der Handlung bei Denen, 
die ein gemeinfames Ziel anftreben, höchſt wünfchenswerth, ja faft 
unerläßlih. Diefe Einftimmigfeit nun ift keineswegs unerreich- 
bar; es bedarf dazu nur einiges Nachgebens gegen den Willen der 
Majoritat—einfach weil es der Wille der Majorität ift, 

„Der gemeinfame Zwed in unferem Falle ift die Erhaltung der 
Union, und unter den Mitteln zur Erreichung dieſes Zweckes hat 
fih der Wille des Volkes durch die Wahl unzweideutig zu Gunften 
des Amendements ausgefprochen, In unferem Lande drüdt fich die 
Gefinnung des Volkes durch freie Wahlen aus. Nach dem lebten 
Wahlkampfe und feinen Refultaten zu fchließen, war das Volf ver 
loyalen Staaten niemals ftandhafter und einmüthiger zu Gunften 
der Erhaltung der Union als jebt, 

„Die außerordentliche Ruhe und Ordnung, mit welcher ſich Mil- 
lionen von Stimmgebern an den Wahlurnen einfanden, bemeift 
dies, Nicht nur Diejenigen, welche für das fogenannte „Unions— 
Ticket“ ffimmten, fondern felbft eine große Majorität der Oppofitiong- 
partei fchienen jene Geſinnung zu hegen. Es iſt ein unmwiderleg- 
bares Argument für dieſen Punkt, daß fein Kandidat für irgend 
ein Amt, fei es ein hohes oder ein niederes, auf die Erflärung hin, 
daß er für das Aufgeben der Union fei, Stimmen zu erhalten 
fuchte, 

„Es gab manche hitzigen Controverfen und Verdächtigungen der 
Motive Anderer in Bezug auf die geeigneten Mittel und die befte 
Urt, die Sache der Union zu fördern; über die beftimmte Frage 
aber: „Union oder feine Union?“ haben die Politiker bewiefen, daß 


362 Das Leben Abraham Lincolns. 





nur ein Wille unter dem Volfe herrſche. Die Wahl war von un 
berechenbarem Nuten für die Sache der Nation, da dem Volke da— 
durch Gelegenheit gegeben ward, fich felbft und der Welt dieſe 
Willensfeſtigkeit und Einmüthigfeit zu zeigen, 

„Jedoch noch eine andere, nicht minder werthvolle Thatfache hat 
die Wahl gezeigt, nämlich die, daß wir noch lange feine Erſchöpfung 
des wichtigften Theiles der Nationalhilfsquellen zu befürchten brau— 
chen— ven Mangel an lebenden Männern. Zwar ift es ein 
melancholifcher Gedanke, daß der Krieg fo viele Gräber gefüllt, fo 
viele Herzen in Trauer verfebt hatz dennoch gemährt es einigen 
Troft, daß die Anzahl der Oefallenen im Bergleich zu der Anzahl 
der Ueberlebenden fo gering if. Während Corps, Divifionen, 
Drigaden, Regimenter in’s Dafein traten, fämpften, zufammen- 
fhrumpften und fich auflöften, ift eine große Majvrität ver Män- 
ner, aus denen diefelben beftanden, noch am Leben. Daffelbe be- 
zieht fi) auf den Marinedienft, Die Wahlberichte beweiſen es, 
denn es könnten fonft nicht fo viele Stimmen abgegeben worden 
fein. Die Staaten, die regelmäßig ihre Wahlen hielten, ſowohl 
jest wie vor vier Jahren, namlich: Kalifornien, Eonnecticut, De- 
laware, Illinois, Indiana, Jowa, Kentudy, Maine, Maryland, 
Maffachufetts, Michigan, Minnefota, Miffouri, New Hampfhire, 
New Jerſey, New York, Ohio, Dregon, Pennſylvanien, Rhode Js— 
land, Vermont, Weft-Virginien und Wisconfin gaben jebt 3,982,011 
Stimmen gegen 3,870,222 im Sabre 1860. Dazu find ferner zu 
rechnen 33,762 Stimmen von den neuen Staaten Kanſas und 
Nevada, die im Jahr 1860 nicht ſtimmten. Es ergiebt fich fomit 
ein Aggregat von 4,075,7735; die Netto-Zunahme der vierthalb 
Sahre des Krieges beträgt 145,751 Stimmen. 


„Diefer Anzahl nun müffen alle im Felde ftehenden Soldaten 
son Maffachufetts, Rhode Fsland, New Jerſey, Delaware, In» 
diana, Illinois und Californien hinzugefügt werden, Die nad) den 
Gefeten ihrer Staaten nicht außerhalb des Staates flimmen 
dürfen, und deren Zahl nicht weniger als neunzigtaufend betragen 
kann. Noch ift dies Alles, Die Anzahl in den organifirten Ter- 
ritorien tft jeßt Dreimal fo groß, als fie vor vier Jahren war, wäh— 
rend Taufende, Weiße wie Schwarze, ung zufloßen, je weiter die 


Lincolns Wiedererwählung. 363 





Nationaltruppen die Inſurgenten zurücktreiben. All' Dieſes er— 
giebt ſich aus der Wahl. 

„Es iſt kaum der Mühe werth, nach der Urſache dieſer Zunahme 
zu fragen, oder zu behaupten, daß dieſelbe ohne den Krieg größer 
geweſen wäre, was theilweiſe wahr iſt. Die wichtige Thatſache iſt 
bewieſen, daß wir jetzt mehr Männer haben als ehe der Krieg be— 
gann; daß wir noch nicht erſchöpft oder der Erſchöpfung nahe ſind; 
daß wir an Stärke zunehmen und den Krieg, wenn es ſein muß, 
auf unbeſtimmte Zeit fortſetzen können. So viel in Bezug auf 
Männer, 

„Allein auch unfere Nationalrefourcen find jest vollftändiger 
und reichlicher als je; fie find unerfchöpft und, wie wir glauben, 
unerfchöpflih. Die Abficht des Volkes, die National-Autorität 
swieder herzuftellen und zu behaupten ift unverändert und, wie wir 
überzeugt find, unveränderlih, Nur über die Art und Weife, die- 
fen Zwed zu erreichen, Tann eine Wahl ftattfinden, Nach forg- 
fältiger Erwägung aller zugänglichen Beweiſe fcheint es mir, daß 
fein Berfuch, Unterhandlungen mit dem Jnfurgenten-Chef anzu= 
Inüpfen, zu irgend etwas Gutem führen könnte. 

„Er würde auf nichts Anderes als eine Trennung der Union 
eingehen. Er hat dies zu wiederholten Malen und auf dag Be- 
ftimmtefte erklärt. Er fucht uns nicht zu täufchen. Er läßt uns 
feine Entſchuldigung, uns felbft zu täufchen, Wir können es nicht 
freiwillig zugeben, Zwifchen ihm und ung liegt eine deutliche, ein» 
fache, aber unüberfteiglihe Schranke. Es ift eine Frage, die nur 
durch Krieg befprochen, nur durch Sieg entfchieden werden kann. 

„Geben wir nach, fo find wir gefchlagen; laßt ihn das ſüdliche 
Volk im Stich, fo ift er gefchlagen—in jedem Falle würde Sieg und 
Niederlage dem Kriege folgen. Was fich indeffen auf den In— 
furgenten-Chef bezieht, das bezieht fich nicht nothwendigermeife auch 
auf feine Anhänger, Er kann nicht in die Union willigen, fie aber 
können es. Wir wiffen, daß bereits Einige von ihnen Friede 
und Wiedervereinigung wünfchen. Die Zahl derfelben mag zu— 
nehmen, 

„Ste können jeden Augenblid Frieden haben auf die einfache 
Bedingung hin, daß fie die Waffen ftreden und fich der Nationals 


364 Das Leben Abraham Lincolns. 





Autorität unter der Eonftitution unterwerfen. Thun fie dies, fo 
könnte die Regierung den Krieg nicht gegen fie fortfegen, felbft wenn 
fie wollte. Das Ioyale Bolt würde es nicht dulden. Sollten ir- 
gend welche Streitfragen verbleiben, fo könnten wir diefelben durch 
friedliche Mittel, wie 3. B. Legislation, Conferenzen, Gerichtshöfe 
und Abftimmungen fchlichten. 

„Einige gewiffe und mögliche Fragen könnte allerdings die Ere- 
futive nicht auf conftitutionelle Weife entfcheiden, fo 3. B. die Zu— 
lofjung von Mitgliedern zum Congreß oder Dinge, die Geldver— 
willigungen erfordern, 

„Die Macht der Erefutive felbft würde durch das Aufhören des 
Krieges bedeutend gefchmälert, Begnadigungen und Eonfisfationg- 
erlaffe blieben jedoch der Exekutive noch immer unbenommen. In 
welchem Geifte dieſe Prärogative ausgeübt werden würde, läßt fich 
aus der Vergangenheit ſchließen. Cine allgemeine Begnadigung 
und Amneftie wurde vor einem Jahre auf fpezifizirte Bedingungen 
hin fämmtlichen Infurgenten, mit Ausnahme einigew beſonders bes 
zeichneten Klaffen, angeboten, und zu gleicher Zeit wurde befannt 
gemacht, daß felbft diefen ausgenommenen Klafjen nicht alle Hoff- 
nung auf Önade benonmen fei. 

„Diele zogen ſich während des legten Jahres dieſes Anerbieten 
zu Nuten, und noch viele Andere würden es gethan haben, wenn 
nicht Mißbrauch und Treubruch gewiſſe VBorfichtsmaßregeln noth— 
wendig gemacht hätten, die die praftifche Wirkſamkeit gewiffermaßen 
erfchweren mußten. Während derjelben Periode wurden auch ei- 
nigen Individuen der ausgenommenen Klaffen Spezial-Pardons 
gewährt, und noch Fein einziges freimilliges individuelles Gefuch 
um folchen ift bis jegt verweigert worden, 

„So war denn das Thor ein volles Jahr lang Allen offen, aus- 
genommen Denen, die nicht im Stande waren, eine freie Wahl zu 
treffen; daß heißt mit andern Worten Denen, die in Haft oder un 
ter Zwang waren. Noch ift es Allen offen; allein die Zeit mag 
fommen und wird mwahrfcheinlich fommen, wenn die öffentliche 
Pflicht verlangen wird, daß es gefchloffen werde, und daß ftrengere 
Mapregeln als bisher zur Anwendung fommen follen. 

„Indem ich das Aufgeben des bewaffneten Wivderftandes gegen 


Die Rreife sieben fid) enger. 865 





die National-Autorität von Seiten der Infurgenten zur einzigen, 
unerläßlichen Friedensbedingung mache, nehme ich Nichts von dem 
zurüd, was binfichtlich der Sklaverei gefagt wurde, ch wieder- 
hole die fhon vor einem Jahr gegebene Erklärung, daß ich, fo lange 
ich in meiner gegenwärtigen Stellung verharre, feinen Verſuch ma= 
chen werde, die Emaneipations-Proflamation zurüdzunehmen oder 
zu modifiziren, und daß ich Feine einzige Perfon, die laut diefer 
Proklamation oder irgend einer der Congreßakten frei geworden ift, 
in die Sklaverei zurüdliefern werde, 

„Sollte es das Bolf jemals auf irgend eine Art, oder durch ir— 
gend welche Mittel, der Erefutive zur Pflicht machen, folche Per> 
fonen wiederum der Sklaverei anheimzugeben, jo muß es fich einen 
Andern, und nicht mich, zum Werkzeug feines Willens wählen. 

„Indem ich von einer einzigen Friedensbedingung rede, will ich 
einfach Damit fagen, daß der Krieg von Seiten der Regierung auf- 
hören wird, fobald er von Seiten Derer aufhört, die denfelben be— 


gonnen haben, 
Abraham Sincoln.” 





Dreiundzwanzigftes Kapitel. 
Die Rreife ziehen fidh enger 


Rede bei einer Serenade — Antwort auf eine Präfentations-Adreffe— Frie- 
densgerüchte — Rebellen-Lommiffäre—Inftruktionen an Sekretär Seward 
— Die Conferenz in Hampton Roads— Refultat— Ertrafigung des Senats 
— Die militärifhe Situation — Sherman — Charlefton— Columbia — Wil- 
mington — Fort Fifher — Sheridan — Grant— Der Rebellen-Longreß — 
weite Snauguration — Snaugurations-Adreffe — Englifche Urtheile — 
Proklamation an Deferteurs. 


Folgende Antwort auf eine Serenade am 6. Dezember 1864 lie⸗ 
fert einen Beweis von der angenehmen, launigen Gemüthsart des 
Präfidenten : 

„Freunde und Mitbürger:—Ich glaube, ich werde in meinem 
Leben nie lernen ohne Berlegenheit zu fprechen, wenn ich Nichts zu 


366 Das Leben Abraham Lincolns. 





fagen habe. Ich kann Ihnen feine guten Nachrichten mittheilen, 
ebenfo wenig aber ſchlechte. Wir haben fo lange von den Wahlen 
gefprochen, bis ung nichts mehr darüber zu fagen verblieb. Die 
intereffanteften Neuigkeiten, die wir jebt haben, find von Sherman. 
Wir Alle wiffen, in welches Loch er hineinging, allein ich weiß nicht, 
aus welchem Loch er herausfommen wird, ch will nun fchließen, 
indem ich ein Dreifaches Hoch für General Sherman und feine Ar- 
mee vorſchlage.“ 


Um 24. Januar 1865 wurde Herr Lincoln mit einer prachtvollen 
Vaſe von getrocneten Blättern befchenkt, die auf dem Schlachtfeld 
von Gettysburg gefammelt worden waren. Diefe Bafe war bei 
der großen Sanitäts-Ausftelung in Philadelphia für den Präfi- 
denten fubferibirt worden und wurde ihm nun mit einer gewählten 
und fchmeichelhaften Anrede vom Vorfiker der Präfentationsadreffe 
überreicht. Herr Lincoln ermwiederte wie folgt: 


„Hochwurdiger Herr, meine Damen und Herren : — Mit Ges 
fühlen der tiefften Dankbarkeit nehme ich das ſchöne Gefchenf an, 
das Sie die Güte hatten, mir zu überreichen. Sie erwarten na— 
türlich, daß ich einige Worte bei diefer Gelegenheit reve. Es ift 
ſchon fo Vieles und fo Vortreffliches in Bezug auf Gettysburg ge= 
jagt worden, daß jeder meiner Berfuche, mehr darüber zu fagen, 
wohl nur dazu dienen kann, die Kraft des fchon Gefagten zu 
ſchwächen. | 

„Bei Selegenheit der Einweihung des National-Gottesaders zu 
Gettysburg wurde von unferem berühmten Freunde Edward Everett, 
der jett leider dag Zeitliche gefegnet hat, dem Patrivtismus und 
der edlen Selbftaufopferung der amerifanifchen Damen ein wun— 
derichöner und beredter Tribut dargebracht. Sein Leben war 
wahrlich ein großes, und der ſchönſte Theil defjelben gehört wohl 
feinen legten Jahren an, 

„Ich wünfche, daß Sie die glühenden und wahrheitögetreuen 
Worte, mit denen er damals von den Frauen Amerikas ſprach, 
lefen möchten, wenn Sie diefelben nicht bereits gelefen haben, 
MWahrlich, die Dienfte, die unfere edlen Frauen den Vertheidigern 
unferes Landes geleiftet haben und noch leiften, können nie nach 
Gebühr gewürdigt werden. 


Die Rreife ziehen ficd) enger. 367 





„Für die gütigen Wünfche, die Sie mir perfönlich darbrachten, 
fage ich Ihnen ebenfalls meinen verbindlichiten Danf, Ich ver- 
fichere Ihnen, daß ich diefelben von Herzen ermwiedere. Und num, 
meine Damen und Herren, möge Gott Sie Alle ſegnen!“ 


Zu Anfang des neuen Jahres war die Luft wiederum, wie fchon 
oft zuvor, voll von Gerüchten, daß die Infurgenten Friedensunter- 
handlungen anzufnüpfen mwünfchten. Sogar einige von Herrn 
Lincolng Freunden und Anhängern meinten, daß fein „Wen es 
angehen mag” vom vorigen Jahre etwas zu fehroff und furzange- 
bunden gemwefen fei. Wohl wiffend, daß fie nicht im Stande waren, 
über die Prämiſſen zu urtheilen wie der Präfident, konnten fie fich 
des Gedanfens doch nicht erwehren, daß irgend ein beftimmtes Re— 
fultat aus einer Unterredung mit den Repräfentanten der Rebellen 
folgen möchte — zum Mindeften eine unummwundene Erklärung, 
daß fein Friede ohne Trennung ftattfinden könne, es fei denn, Daß 
der Süden unterjocht würde. 


Sp gut unterrichtet Herr Lincoln über die Pläne und Abfichten 
der Rebellenführer war, und fo gut er wußte, daß jeder Derartige 
Verſuch fehlſchlagen mußte, fo bejchloß er dennoch, feinen Oppo— 
nenten, wie auch feinen Freunden feine Urfache zu laffen, ihm den 
Borwurf zu machen, daß er nicht alle feine Kräfte aufgeboten habe, 
eine friedliche Beilegung des Streites herbeizuführen, 


Als er daher in der legten Woche des Januar von feinem Freunde 
Francis P. Blair, der mit feiner Erlaubnig Richmond befucht hatte, 
erfuhr, daß die Führer der Rebellion Commiffäre zu fenden wünſch— 
ten, um zu hören, auf welche Bedingungen hin die Regierung der 
Bereinigten Staaten in eine Beilegung der Streitigkeiten willigen 
würden, und daß A. 9. Stephens von Georgia, R. M. T. Hunter 
von Birginien und J. U. Campbell von Alabama von eff. Davis 
durch die feindlichen Linien gefandt worden feien, um den Weg zu 
einer Eonferenz zu bahnen, da betraute Präſident Lincoln— nicht 
Willens, daß die Rebellen nah Waſhington kommen follten— den 
Sekretär Seward mit diefer Angelegenheit und übergab ihm fol- 
genden Inſtruktionsbrief: 


368 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Exekutiv-⸗Gebäude, Wafhington, 31. Januar 1865. 

„Hon. William H. Seward, Staatsfefretär — Sie werben 
fi) nach Fortreß Monroe, Birginien, begeben und dort auf die 
Bafis meines Briefes an Herrn F. P. Blair, datirt vom 13. Ja— 
nuar 1865, wovon eine Copie bier beifolgt, mit den Herren Ste— 
phens, Hunter und Campbell Rüdfprache nehmen. 

„Sie werden denfelben ankündigen, daß drei Dinge unerläßlich 
find, nämlich: 


„J. Die Wiederherftelung der National-Autorität in ſämmt— 
lichen Staaten, 

„2. Keine Beränderung des Standpunftes, den die Erefutive 
der Vereinigten Staaten in der lebten Jahresbotfchaft an den Con— 
greß und in früheren Dokumenten in Bezug auf die Sklayereifrage 
eingenommen hat. 

„3. Keine Unterbrehung in den militärifchen Operationen der 
Vereinigten Staaten, bis fämmtliche gegen die Regierung fämpfen- 
den Truppen aufgelöft fein werden, 

„Sie werden jenen Herren ferner mittheilen, daß ſämmtliche Vor— 
ſchläge ihrerfeits, fo fern fie mit obigen Bedingungen nicht unver- 
einbar find, in Erwägung gezogen und mit aufrichtiger Liberalität 
entfchieden werden follen. 

„Sie werden Alles anhören, was die Herren zu fagen mwünfchen, 
und mir darüber Bericht erftatten. 

„Sie werden unter feinen Umftänden über irgend einen Punkt 
eine definitive Entſcheidung geben. 

„Hochachtungsvoll, ꝛc. 
Abraham Sincoln.” 


Am 2, Februar reifte der Präfident ſelbſt nach Fortreß Monroe 
ab und empfing am Morgen des 3, in Herrn Seward's Beifein die 
Herren Stephens, Hunter und Campbell an Bord eines Vereinig- 
ten Staaten Dampfers, der in Hampton Roads vor Anfer lag. 

Die Eonferenz war ganz und gar informeller Natur. Keine 
Sefretäre, feine Zeugen waren zugegen, und Nichts wurde gefchrie- 
ben oder gelefen. Das Geſpräch mar beiderfeits ernft und fret, 
aber höflich und zunorfommend. "Die Herren von Richmond nä— 


Die Kreife ziehen ſich enger. 869 





herten fich der Discuffion etwas indirekt, ftellten Feine categorifchen 
Forderungen, machten Feine formellen Bedingungen und fchlugen 
Nichts pofitiv aus; dennoch wurden während der vierflündigen 
Eonferenz die verfihiedenen Streitpunfte zwifchen der Regierung 
und den Inſurgenten ausführlich, beftimmt und auf freundliche 
Art befprochen, Was die Rebellencommiffäre befonderg zu begün- 
ftigen fchienen, war ein Auffchub der Trennungsfrage und ein ge- 
meinfames Handeln in Bezug auf irgend eine äußere Politil. Da- 
durch, meinten fie, würde Zeit gewonnen, während welcher die 
Leidenfhaften fich legen, die Armeen reduzirt und der Vekehr und 
Handel zwifchen dem Volke beider Sektionen wieder hergeftellt wer- 
den könnten. 

Durch einen ſolchen Auffchub, glaubten fie, könnten wir fofor- 
tigen Frieden haben mit ziemlich guter Ausficht auf endliche befrie- 
digende Beilegung der politifchen Differenzen zwifchen der Regie- 
rung und den mit derfelben Krieg führenden Staaten. 

Der Präfivdent erwiederte, daß diefer Vorfchlag einen Waffen- 
ftillftand bezwede, und daß wir und zu Feiner Einftellung oder 
Sufpenfion der Feindfeligfeiten verftehen fünnten, ausgenommen 
auf die Bafis der Auflöfung fammtlicher Infurgententruppen und 
der Wiederherftellung der National-Autorität in ſämmtlichen Staa- 
ten der Union. 

Die Antifklaverei-Politif der Vereinigten Staaten wurde in allen 
ihren Einzelheiten befprochen, und der Präfident fündigte an, daß 
er fein Haarbreit von dem Standpunkte abweichen würde, den er in 
feiner Emaneipationg-Proflamation und andern Dofumenten an- 
genommen und in feiner legten Jahresbotſchaft wiederholt und auf 
das Beftimmtefte behauptet hatte, 

Gerner erklärte der Präfident, daß die vollftändige Wiederher- 
ftellung der National-Autorität im ganzen Lande eine unerläßliche 
Bedingung der Einwilligung in irgend einen Friedensvorfchlag fei. 
Er verficherte ven Commiffären, daß er feſt auf diefer Pofition ver- 
barren müffe, jedoch aber die größte Liberalität walten laffen wolle, 
fomweit dies in feiner Macht ftehe. Diefe Macht fei allerdings Durch 
die Conftitution beſchränkt, und beim Abfchluß des Friedens müſſe 
es dem su überlaffen bleiben, Gelvverwilligungen zu machen 


370 Das Leben Abraham Lincolns. 





und über die Zulaffung von Mitgliedern aus den Snfurgenten- 
ftaaten zu entfcheiden. 

Sodann wurden die Commiſſäre in Kenntniß gefebt, daß der 
Congreß am 31, Januar durch eine conftitutionelle Majorität einen 
Geſammtbeſchluß angenommen habe, um den einzelnen Staaten 
den Vorſchlag zu machen, die Sklaverei in den ganzen Vereinigten 
Staaten abzuſchaffen, und dag Hoffnung vorhanden fei, daß der 
Vorſchlag von drei Bierteln fammtlicher Staaten angenommen und 
dadurch zu einem Theile des organifchen Nationalgefetes gemacht 
werden würde, 

Die Eonferenz fam auf gegenfeitige Einwilligung zu Ende, ohne 
daß ein Einverftändniß oder ein Befhluß über irgend einen der 
befprochenen Punkte erzielt worden wäre. 

Am folgenden Morgen kehrten der Präfivent und der Staats- 
fefretär nach Wafhington zurüd und wenige Tage darauf wurde 
dem Congreß auf deffen Erfuchen ein ausführlicher Bericht über 
die Conferenz, deren Beranlaffung und Refultat mitgetheilt, 


Damit waren denn alle Berfuche zu Unterhandlungen mit den 
Nebellen abgethan. Welche Anfichten auch zuvor im Norden 
über die Möglichkeit eines ehrenvollen Friedens mit den Inſur— 
genten geherrfcht Haben mochten, fo viel ward jegt Allen klar, daß 
den Armeen im Felde, die fi) von allen Seiten Richmond näher- 
ten, und nicht dem Präfidenten es vorbehalten war, einen Frieden 
zu bewerfftelligen, ven loyale Bürger indofjiren könnten. 


In Uebereinftimmung mit der gewöhnlichen Sitte bei Ablauf 
eines Präfidentfchafts-Terming wurde am 17, Februar der Se— 
nat durch folgende Proflamation zu einer Ertrafigung zufammen- 
berufen: 


„Sintemalen Öegenftände, die das Intereſſe der Vereinig- 
ten Staaten betreffen, es erforderlich machen, daß der Senat auf 
den fommenden vierten März um zwölf Uhr zufammenberufen 
werde, um Mittheilungen von der Erefutive in Empfang zu neh— 
men und in Erwägung zu ziehen: 

„Deshalb erachte ich, Abraham Lincoln, Präfivent der 
Bereinigten Staaten, es für meine Pflicht, kraft Diefer meiner 


Die Rreife ziehen ſich enger. 371 





Proflamation zu erklären, daß eine außerordentliche Beranlaffung 
es nothwendig macht, den Senat der Vereinigten Staaten zur Er— 
ledigung son Gefchäften im Capitol der Stadt Wafhington auf 
den vierten Tag des Monats März, um zwölf Uhr Mittags, zu— 
fammenzuberufen, und daß alle Mitglieder dieſes Körpers hier- 
mit aufgefordert find, von diefer Proflamation Notiz zu nehmen. 

„Geſchehen in der Stadt Wafhingion, am fiebzehnten Tage des 
Monats Februar, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert 
und fünfundſechzig und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit 
der Bereinigten Staaten von Amerifa. 

„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham SFincoln.” 
„William 9. Seward, Staatsfefretär.“ 


Um diefe Zeit nahm die militärifche Situation das Intereſſe 
eines jeden Freundes der Union in Anfpruc, welche Gefühle fie 
auch bei Denen erregen mochte, die k lange die Waffen gegen die 
Regierung geführt hatten. 


Nach einem außerordentlihen Marfch von Atlanta direkt durch 
das Herz von Georgia war Sherman endlich bei Savannah 
„herausgeſchlüpft,“ das er ohne Schwertſtreich einnahm und der 
Nation zum Weihnachtsgeſchenk machte. Lange hatten ſich die 
Rebellen-Journale über dieſen Marſch luſtig gemacht und dem 
General alles mögliche Unheil prophezeit, das ihm durch die Geor— 
gia Miliz und „andere Löwen in ſeinem Pfade“ zubereitet werden 
ſollte. 

General Thomas war mittlerweile nach Naſhoille zurückgefallen 
und hatte es nach einer blutigen, aber fiegreichen, Schlacht in der 
Nähe jener Stadt feinem Gegner Hood, dem Nachfolger John— 
fton’s, überlaffen, fich, fo gut er vermochte, über den Berluft des 
größten Theiles feiner Armee zu tröſten. Mit den Trümmern 
feiner gejchlagenen Truppen hatte fih Hood aus dem Staube ge— 
macht — Niemand wußte, wohin. 

Nach Furzer Raft verließ Sherman Savannah und marfdirte 
direkt nah Süd-Carolina. Abermals prophezeiten ihm die ſüd— 
lichen Zeitungsfchreiber feinen gewiffen Untergang in den Süm— 
pfen und Einöden jenes Staates, Er aber marfchirte weiter, 


872 Das Leben Abraham Lincolns 





flanfirte Charlefton, jene Wiege des Verrathes, die das Land fo 
lange infultirt hatte, und zwang fie zur fchleunigften Evacua— 
tion; marfchirte dann weiter, belagerte und eroberte Columbia, 
die Hauptftadt des chevaleresken Palmetto-Staates, marfchirte 
abermals meiter und bedrohte Raleigh, die Hauptftadt von Nord— 
Carolina, und marfchirte endlich auf Goldsborough zu, wo er eine 
Verbindung mit einer andern Armee bewerkitelligte, die nach der 
Einnahme von Wilmington — dem Schlupfloch der Blodadebre- 
cher — nad jenem Drte gelangt war, Die Einnahme Wilming- 
tons erfolgte bald nach der Erftürmung des den Eingang zum 
Hafen beherrfchenden Forts Fifher, bei welcher Gelegenheit fich ein 
General-Major feine Sporen verdiente und ein anderer die fei- 
nigen verlor. Ob Butler’s Fiasco dem Nichtmitwirfen des Ad— 
mirals, der die Marine-Erpedition commandirte, zuzufchreiben ijt 
oder nicht, wollen wir unerörtert laffen. Genug, bei Big Bethel 
ging fein Stern oder Unftern auf und bei Fort Fifher ging er 
unter, | 

Wohin Sherman zunächft marfhiren würde, machte den Rebel- 
len viel Kopfzerbrechen. eff. Davis war von feinem Congref 
gezwungen worden, dem abgedankten Johnſton wieder ein Com— 
mando anzumeifen und Lee zum Ober-General über fammtliche 
Rebellen-Armeen zu machen. Sohnfton erhielt nun den figlichen 
Auftrag, Sherman im Schach zu halten, wofern fich dieſer Die 
„mwahnfinnige Idee“ in den Kopf fesen follte, auf Richmond los— 
zumarfchiren — eine Art Wahnfinn, zu der Sherman allerdings 
eine ganz marlirte Tendenz gezeigt hatte, 

Auch Sheridan, der Early aus dem Shenandoah-Thal Hinaus- 
gejagt hatte — jenen Early, von dem die Truppen zu behaupten 
pflegten, daß fein Lieblingsgefchäft darin zu beftehen fcheine, 
„conföderirte Kanonen gegen Yankee-Whiskey umzutauſchen“ — 
trieb fih nun frei und ledig um Richmond herum, fehnitt die 
Communifationen ab, bemächtigte fich der Zufuhren für die Re— 
bellen-Armee und verurfachte den Herren in Richmond eine unge- 
heure Beftürzung, 

Der General-Lieutenant aber ſaß noch immer mit grimmiger 
Ruhe vor Petersburg und hielt Lee's Armee wie in einem eifernen 


Die Rreife ziehen ſich enger, 373 





Schraubſtock. Mochte Lee fih Frümmen und minden, wie er 
wollte — mochte er feine Kräfte auf das Hebermenfchliche anftren«- 
gen — es half ihm Alles nichts; er Fonnte Das Unvermeidliche 
höchſtens auf kurze Zeit hinausfchieben. 

Der Rebellen-Congreß hatte im allerlegten Augenblid feiner 
legten Sitzung eine Bill zur Bewaffnung der Sklaven paffirt und 
Davis wünfhte nun den Herren mit bitterem Hohne eine fichere, 
vergnügte Reife nach ihrer Heimath. Es war indeffen zu fpät für 
die Negerbewaffnung, wie für die. „vergnügte Reife,’ 

Mittlerweile fam Samftag, der vierte März — der Tag der 
Snauguration, heran, Was die Elemente anbelangte, fo eröffnete 
fich der Tag ungünftig. Der Himmel war mit drohenden ſchwar— 
zen Wolfen bedeckt und bald fam der Regen in Strömen herab, 
Jedoch vor Mittag zertheilten fich die Wolfen und die Sonne 
ftrahlte in reinftem Glanze hernieder. Um die feftgefebte Stunde 
leiftete Herr Lincoln zum zweiten Male den Amtseid; jedoch nicht 
vor dem nämlichen Dberbundesrichter, denn Roger B. Taney 
fehlief bei feinen Vätern, und an feiner Stelle ftand Salmon P. 
Chafe. Nach geleiftetem Eide verlag der Präfident von dem öſt— 
lichen Portifo des Capitols mit Flarer, deutlicher Stimme feine 
zweite Inaugural-Adreſſe, die kaum zehn Minuten in Anfpruch 
nahm: 


„Mitbürger: — Heute, da ich zum zweiten Male erfcheine, um 
den Eid des Präfiventen-Amtes zu leiften, bedarf es feiner fo aus— 
gedehnten Adreffe, wie bei meinem eriten Amtsantritt, Damals 
ſchien eine ausführliche Anteutung der zu verfolgenden Politik 
nothwendig und geziemend. Heute, nach Verlauf von vier Jah- 
‚ ren, während deren bei jeder Phafe, jedem MWendepunft des gro- 
fen Kampfes, der noch immer die Aufmerffamfeit und die Energie 
der Nation in Anfpruch nimmt, beftändig öffentliche Erklärungen 
gegeben wurden, ließe fich wenig Neues fagen, 

„Der Fortfchritt unferer Waffen, von denen Alles hauptfächlich 
abhängt, ift dem Publikum fo gut befannt, mie mir, und tft, wie 
ich hoffe, für Alle ziemlich befriedigend und ermuthigend. Mit 
hohen Hoffnungen für die Zukunft wage ich Feinerlei Prophe— 


374 Das Leben Abraham Lincolns. 





zeihung. Bei der nämlichen Gelegenheit heute vor vier Jahren 
waren die Gedanken Aller ängftlich auf den drohenden Bürger- 
frieg gerichtet, Alle fürchteten ihn — Alle fuchten ihn zu vermei— 
den. Während die von diefer Stelle hier verlefene Inaugural— 
Adreffe ganz und gar die Rettung der Union ohne Krieg bezweckte, 
befanden fich Infurgenten-Agenten in der Stadt, die die Union 
ohne Krieg zu zerftören fuchlen — die bemüht waren, die Union 
aufzulöjfen und deren Eigentbum durch Unterhbandlungen zu 
theilen. 

„Beide Theile waren dem Krieg abgeneigt; der Eine aber wollte 
eher Krieg führen, als die Nation fortbeſtehen laſſen, während der 
Andere lieber den Krieg annehmen, als die Nation untergehen 
laſſen wollte. Und ſo kam denn der Krieg. 

„Ein Achtel der Geſammtbevölkerung beſtand aus Negerſklaven, 
die nicht gleichmäßig über die ganze Nation vertheilt, ſondern 
größtentheils im ſüdlichen Theile derſelben wohnhaft waren. 
Dieſe Sklaven machten ein eigenthümliches und mächtiges In— 
tereſſe aus. Alle wußten, daß dieſes Intereſſe die Urſache des 
Krieges war. Um dieſes Intereſſe zu ſtärken, zu verewigen und 
auszudehnen, waren die Inſurgenten bereit, die Union durch 
Krieg zu zerſtören, während die Regierung kein anderes Intereſſe 
beanſpruchte, als die Gebietserweiterung deſſelben zu verhindern. 
Keine Partei ahnte die Größe und die Dauer, die der Krieg bereits 
erreicht hat. Keine vermuthete, daß die Urſache des Kampfes vor 
dem Kampfe ſelbſt aufhören könnte. Jede hoffte auf einen leich— 
teren Triumph und auf ein minder fundamentales und erſtaun— 
liches Reſultat. Beide leſen dieſelbe Bibel, beten zu demſelben 
Gott, und jede fleht ſeine Hilfe gegen die andere an. Es mag 
ſonderbar erſcheinen, daß ein Menſch den Beiſtand eines gerechten 
Gottes anzuflehen wagt, um ſein Brod aus dem Schweiße anderer 
Menſchen zu erpreſſen. 

„Das Gebet beider Theile ſollte nicht erhört werden. Das 
Gebet keines Theiles iſt ganz erhört worden. Der Allmächtige 
hat ſeine eigenen Pläne. „Wehe der Welt der Aergerniß halber; 
es muß ja Aergerniß kommen, doch wehe dem Menſchen, durch 
welchen Aergerniß kommt.“ Wenn wir nun annehmen ſollen, 


Die Rreife ziehen ſich enger. 875 





daß die amerifanifche Sklaverei eines jener Xergerniffe ift, die 
nach dem Rathſchluß des Ewigen fommen müffen — daß er aber, 
nachdem das Aergerniß bis zu feiner gefegten Zeit beftanden hat, 
Willens ift, dafjelbe zu vertilgen, und daß er dem Norden, wie 
dem Süden diefen fchredlichen Krieg als das angedrohte Weh 
giebt, — können wir darin eine Abweichung von jenen göttlichen 
Eigenfchaften erbliden, welche die Gläubigen ftets dem lebendigen 
Gotte zugefchrieben haben ? 

„Sehnlic hoffen wir, brünftig flehen wir, daß dieſe furchtbare 
Geißel des Krieges bald vorüber gehen möge. Wenn es aber 
Gottes Wille ift, daß der Krieg fortdauere, bis all’ der Reichtum 
dahin tjt, den der Sklaven zweihundert und fünfzigjährige unbe- 
Iohnte Mühe und Arbeit aufgehäuft hat; bis jeder Blutstropfen, 
den die Peitfche verurfachte, Durch einen andern Blutstropfen, 
den das Schwert verurfacht, vergolten ift, wie vor dreitaufend 
Sahren gefagt wurde — felbft dann müffen wir Ingen, daß das 
Urtheil des Herrn gerecht und richtig ift. 

„Mit Haß gegen Niemand, mit Liebe für Alle, mit Standhaf- 
tigfeit in dem Rechten, wie Gott ung das Rechte zu erfennen giebt, 
laßt ung bemüht fein, das begonnene Werk zu beendigen, die 
Wunden der Nation zu heilen, für Den zu forgen, der unfere 
Schlachten fhlagen half, fowie für feine Wittwe und feine Wai— 
fen; und Alles zu thun, was einen gerechten Frieden unter ung 
felbft und mit allen Nationen befördern und bewahren kann.“ 


Diejenigen, die Nichts fo fehr freute, als bei jeder Gelegenheit 
wie ein Pad mwüthender Hunde über Herrn Lincoln herfallen zu 
können, überhäuften natürlich dieſe Adreffe mit den größten und 
gemeinften Schmähungen. Ein englifches Journal indeffen, das 
feinem andern an Fähigkeit und Ehrenhaftigfeit nachfteht, und da= 
her das Organ der beffern Klafje von Denkern in jenem Lande ift, 
äußerte fich folgendermaßen darüber: 


„Es ift das merfwürdigfte derartige Ding, das je ein Präfivent 
der Vereinigten Staaten vom erjten Tage an bis auf den lebten 
hervorbrachte. Das Alpha und Omega der ganzen Adreſſe ift der 
allmäcdtige Gott, der Gott der Gerechtigkeit, der Vater der 


376 Das Leben Abraham Lincolns. 





Gnade, der feine liebevollen Abfichten ausführt. Das Dokument 
befist ein Pathos, eine Würde, die es hoch über jedes andere in der 
alten und neuen Welt erhebt. Das Ganze erinnert und an die 
beften Männer der englifchen Republik; in der That mahnt e3 ung 
ftarf an die Propheten des Alterthums.“ 


Sn Gemäßheit einer Congrefalte wurde am 16. März den De- 
ſerteurs durch folgende Proflamation Gnade angeboten : 


„Sintemalen der einundzwanzigfte Paragraph der am 3ten 
d. M. genehmigten Congreßakte, betitelt: „Eine Alte zur Amendi- 
rung verfchiedener früher pafjirten Akten für die Enrollirung und 
das Aufgebot von Nationaltruppen und für andere Zwede,” erfor= 
dert, daß außer den übrigen geſetzlichen Strafen für das Verbrechen 
der Defertion vom Militär- und Marinedienft, „alle Perfonen, die 
vom Militär- und Marinebienft der Vereinigten Staaten defertiren 
und nicht binnen fechszig Tagen nah dem Erlaß nachfolgender 
Proflamation zum befagten Dienfte zurüdfehren over fich bei einem 
Profogmarfhall melden, betrachtet werden follen, als hätten fie 
freiwillig auf ihre Bürgerrechte Verzicht geleiftet; und daß ſolche 
Deferteurs für immer unfähig fein follen, ein Amt des Vertrauens 
oder des Gewinnes unter der Regierung der Vereinigten Staaten 
zu halten, oder irgend eines der Bürgerrechte derfelben auszuüben ; 
und dag alle Perfonen, die künftig vom Militär- oder Marinedienft 
defertiren — und alle Perfonen, die, nachdem fie förmlich enrollirt 
wurden, fi) aus der Jurisdiktion des Diftriktes entfernen, in mwel- 
chem fie enrollirt wurden, oder mit der Abficht, der Ziehung für den 
Militär» oder Marinedienft zu entgehen, fich außerhalb der Grenzen 
der Vereinigten Staaten begeben, den in diefem Paragraphen be- 
zeichneten Strafen verfallen follen. Und der Präfident wird hier— 
mit autorifirt und erfucht, fofort nach Paſſirung dieſer Akte eine 
Proflamation zu erlaffen und darin die Beftimmungen dieſes Pa- 
ragraphen zu verfünden, fowie darin alle Deferteurg, die innerhalb 
ſechszig Tagen, wie oben befagt, zurüdfehren, in Kenntniß zu ſetzen, 
daß fie begnadigt werden follen unter der Bedingung, daß fie zu 
ihren Regimentern und Compagnien zurüdfehren, oder zu andern 
Organifationen, denen fie zugewieſen werben mögen, es fei denn, 


In Richmond. 377 





daß fie bereits eine ihrem urfprünglichen Anmwerbungstermine 
gleihfommende Periode gedient haben“ —. 

„Deshalb erlaffeich, Abraham Lincoln, Präfivent der Ber- 
einigten Staaten, diefe meine Proflamation befagter Akte gemäß, 
und ich verfünde hiermit allen Deferteurs, die binnen fechszig Ta- 
gen vom Datum diefer Proflamation an, das heißt, an oder vor 
dem zehnten Mai 1865, zu ihrem Dienft zurückkehren oder fich bei 
einem Profoßmarfchall melden, daß fie auf die Bedingung hin be— 
gnadigt werden follen, daß fie zu ihren Negimentern oder Compag— 
nien zurüdfehren, oder zu folchen andern DOrganifationen, denen 
fie zugemwiefen werden mögen, und den Reft ihres urfprünglichen 
Anwerbungstermins ausdienen und überdies noch eine Periode, die 
der Durch ihre Defertion verlorenen Zeit gleich kommt. 

„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Umnterfchrift beigefebt 
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lafjen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington, am elften Tage des Mo- 
nats März, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
fünfundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit der 
Bereinigten Staaten. 


„Auf Befehl des Präfidenten : Abraham Fincoln.“ 
„William 9 Seward, Staatsſekretär.“ 





Vierundzwanzigſtes Kapitel. 
In Richmond. 


Der Präfident beſucht City Point — Cee's Mifgriff — Grant's Bewegung — 
Präſident Lincoln in Kichmond — Lee’s Uebergabe — Rede des Präfiden- 
ten — Rede in Bezug auf die Reconftruktion — Proklamation zur Schlie- 
kung gewiffer Häfen — Proklamation über Seerechte — Ergänzende Pro- 
klamation — Ordres vom Kriegsdepartement — Der Rebellen-Präfident, 


Am Nachmittag des 23, März 1865 verließ der Präfident in 
Begleitung von Madame Lincoln, feinem jüngften Sohne und ei— 
nigen eingeladenen Gäſten Wafhington und machte einen Ausflug 


378 Das Leben Abraham Lincolns. 





nach City Point, Die Reife ward auf den Rath feines Leibarztes 
vorgenommen, da feine Gefundheit unter den großen Anjtrenguns 
gen in der Verwaltung feines Amtes gelitten hatte, 

Lee hatte einen verzweifelten Verſuch gemacht, die Linien zu durch— 
brechen, von denen er eingefchloffen war, Nach einem ungeflümen 
Ungriff auf unfer rechtes Centrum mußte er fich indefjen mit un- 
geheurem Berlufte zurüdziehen. 

Kurz darauf beſchloß Grant, daß der Augenblid zum VBorrüden 
für ihn gekommen fei, Es wurde daher eine Bewegung an der 
ganzen Linie entlang angeordnet — Petersburg fiel — Richmond 
wurde in größter Eile von den Rebellen evacuirt und Lee’s deci- 
mirte Armee fuchte ihr Heil in der Flucht, 


Mährend diefer Bewegung telegraphirte der Präfivent die Ein- 
zelheiten von Zeit zu Zeit an das Kriegsdepartement, machte fich 
dann auf den Weg nach der Rebellenhauptitadt, zug dafelbft trium— 
phirend ein, umringt von einer ungeheuren Maffe von Männern, 
Frauen und Kindern aller Farben, die vor Freude hüpften, tanzten, 
fhrien, ihre Hüte, Kappen und Zafchentücher ſchwenkten, kurzum 
ſich wie unfinnig geberveten—fegte unter dem enthufiaftifchen Ju— 
belgefchrei der aufgeregten Menge feinen Zug fort, bis er zu der 
verlaffenen Amtswohnung des Rebellen-Chefs gelangte—ftieg da— 
felbft ab, bHielt in der Kanzlei „feiner vebellifchen Ercellenz” eine 
Levee, fehrte an demfelben Abend nach City Poini und bald darauf 
nah Wafhington zurüd. 

Lee, der fih von allen Seiten durch ungeheure Truppenmaffen 
eingefchloffen ſah, capitulirte einige Tager fpäter unter Bedingun- 
gen, die ihm der großmüthige Präfident durch General Grant 
ftellen ließ, und die aus folgendem Brief erfichtlich find: 


„Appomator Conrt Honfe, April 9. 1865. 
„General Robert E. See, C. ©, A.:; -In Uebereinftimmung 
mit meinem geftern an Sie gerichteten Schreiben bin ich bereit, Die 
Vebergabe der Armee des nördlichen Virginiens auf folgende Be— 
dingungen hin in Empfang zu nehmen, nämlich: 
„Liften fämmtlicher Offiziere und Mannfchaften find in Dupli» 
faten auszuftellen; eine Copie derfelben foll einem von mir ernann« 


In Richmond. 379 





ten Offizier eingehändigt, die andere yon einem Offizier, den Sie 
ernennen mögen, aufbewahrt werden, Die Offiziere follen ihre 
individuelle Parole geben, daß fie die Waffen nicht eher gegen die 
Regierung der Bereinigten Staaten ergreifen wollen, big fie regel- 
mäßig ausgewechfelt find; jeder Compagnie- oder Regimentscom- 
mandant wird eine ähnliche Parole für die Mannfchaft feines Com- 
mandos unterzeichnen, Die Waffen, Artillerie und das öffentliche 
Eigentbum find den yon mir zu ernennenden Offizieren auszulie- 
fern. Den Offizieren foll geftattet fein, ihre Seitenwaffen, Privat- 
baggage und Pferde zu behalten, _ Nachdem dies gefchehen, werden 
fämmtliche Offiziere und Soldaten Erlaubniß erhalten, nach Haufe 
zurüdzufehren, und follen von den Behörden der Vereinigten Staa- 
ten nicht beläftigt werden, fo lange fie ihre Parole halten und die 
in ihrer Heimath beftehenden Geſetze beobachten, 
„Hochachtungsvoll, ꝛc., 
Wlyfes S. Grant, Öeneral-Lieutenant.” 


Johnſton fam zunächſt an die Reihe, und gegen ihn fegte fich 
Sherman jebt in Bewegung. 

Am Abend nach der Ankunft des Präfidenten in Wafhington 
bildeten die Arbeiter in der Navy Yard eine Prozeffion, marfchirten 
nad dem „Weißen Haufe,” vor deſſen Fronte fich Taufende ver- 
fammelt hatten, Es waren Mufilbanden vorhanden, Die patriv- 
tifche Melodien fpielten, während die größte Aufregung fich der 
ganzen Menge bemächtigte. 

Verſchiedenen Aufrufen Folge Teiftend erfchien der Präfivdent am 
Tenfter nahe dem Eingangsportal, Ruhig und gefaßt ftand er da 
unter dem Tumult, dem Freudengefchrei und dem Hütefchwenfen 
des Volkes. | 

Nachdem die Ruhe einigermaßen hergeftellt worden war, fagte er: 

„Seine Freunde: —Es freut mich von Herzen, daß endlich ein- 
mal ein folch” glorreiches Ereigniß ftattgefunden hat, daß fich das 
Volk in feinem Jubel darüber nicht zügeln kann. Wie ich glaube, 
werden Anftalten zu einer formellen Demonftration getroffen, die 
heute Abend oder vielleicht morgen Abend ftattfinden fol, Natür- 
ih wird man dabei eine Rede yon mir erwarten; wenn Sie mir 


380 Das Leben Abraham Lincolns. 





diefelbe aber jetzt ſchon entpreffen wollen, bliebe mir Nichts zu fagen 
übrig. 

„Sie haben eine Mufifbande hier, mie ich fehe, und ich möchte 
Sie daher um eine Melodie bitten. „Dixie“ hat mir von jeher be— 
fonders gefallen. Zwar habe ich gehört, daß unfere Gegner im 
Süden diefes Stud monopolifirt hätten; wir haben es aber, mie 
ich geftern behauptete, ehrlich erobert. ch legte die Frage dem 
Öeneral-Staatsanwalt vor, und er fprach feine Anficht dahin aus, 
daß „Dixie“ unfere rechtmäßige Prife fei. Ich bitte daher die Mu- 
filbande, das Stüd vorzutragen.“ 


Das Stüf wurde mit großem Eflat gefpielt; dann folgten „drei 
Hurrahs und ein Tiger,“ worauf „Yankee Doodle” gefpielt wurde, 
Sodann ſchlug der Präfident ein dreifaches Hoch auf Grant und 
feine Armee, desgleichen auf die Marine vor und 309 fih dann 
unter Kanonendonner und Beifallsgefchrei, fowie unter ven Tönen 
von “Hail Columbia” zurüd, 

Am Abend des 11, April wurden die Departementsgebäude, der 
Palaft des Präfiventen nebft vielen öffentlichen und Privatgebäuden 
iluminirt, Allenthalben fah man Transparente und National» 
flaggen, Freudenfeuer und dergleichen, 

Zaufende von Zufchauern beider Gefchlechter hatten fich vor dem 
Präfiventenpalaft eingefunden und begehrten Herrn Lincoln zu 
ſehen. Diefer erfchien endlich am obern Fenfter, und als der ftür- 
mifche Applaus, mit dem er begrüßt wurde, nachgelaffen hatte, hielt 
er folgende Rede—es war feine lebte: 


„Mitbürger -—Mit Freude, nicht mit Trauer, verfammeln wir 
ung diefen Abend, Die Einnahme von Petersburg und Richmond, 
fowie die Kapitulation der hauptfächlichften Infurgentenarmee ge- 
ben uns Hoffnung auf einen ruhmvollen, baldigen Besen, und der 
Jubel darüber läßt fich nicht unterdrüden, 

„Inmitten unferer $reude aber dürfen wir Ihn, von dem aller 
Segen fommt, nicht vergeffen, Demnächſt wird ein Nationaldanf- 
feft angeordnet werden, 

„Auch Derer, die uns diefe Freude verfchafften, dürfen wir nicht 
vergeffen; wir dürfen nicht unterlaffen, ihnen die gebührende Ehre 


In Richmond. 381 





zu erweiſen. Ich war mit einigen Andern nahe der Fronte und 
hatte das Vergnügen, Ihnen einen großen Theil der guten Nach— 
richten direft zukommen zu laſſen; allein nicht der mindeſte Theil 
der Ehre und des Ruhmes gebührt mir, General Grant, feinen 
geſchickten Offizieren und tapferen Soldaten gebührt Alles. Die 
ftattliche Marine ftand bereit, war aber außer dem Bereich der thä— 
tigen Mitwirkung. Diefe glorreichen Ereigniffe drängen die Wie- 
derherftellung der National-Autorität und die Reconftruftion, Die 
faft feit vem Beginne des Krieges unfere Gedanken befchäftigt hat, 
unferer Aufmerkfamfeit aufs Neue und mit größerem Ernte als 
je auf. 

„Die Aufgabe ift mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Un— 
gleich dem Falle eines Krieges zwifchen unabhängigen Nationen, 
giebt es hier Fein autorifirtes Organ, mit dem wir unterhandeln 
fönnten, Kein Individuum befist Autorität, im Namen eines an- 
dern die Rebellion aufzugeben. Wir müſſen den Wiederaufbau 
einfach mit Disprganifirten und widerftrebenden Elementen begin- 
nen, Nicht die geringfte Schwierigkeit Dabei ift. die, daß wir, Das 
loyale Volk, unter uns felbft über die Art und Weife der Recon- 
firuftion nicht einig find. 

„Sch enthalte mich gefliffentlich, die Berichte perfünlicher Angriffe 
auf mich zu lefen, um mich dadurch nicht zu unpaffenden Antworten 
reizen zu laffen. Trotz diefer VBorfichtsmaßregel aber ift es mir zu 
Ohren gefommen, daß man mich wegen unbefugter Einmifchung in 
die Wiederherftelung und Aufrechthaltung der neuen Staatsregie- 
rung in Rouifiana bitter getadelt habe. In diefer Angelegenheit 
habe ich nur fo viel gethan, als das Publikum weiß, und fonft 
Nichts weiter. In meiner Jahresbotfchaft vom Dezember 1863 
und der diefelbe begleitenden Proflamation ſchlug ich einen Recon- 
ftruftionsplan vor und verfprach, daß derfelbe, wenn er von irgend 
einem Staater adoptirt würde, die Unterftüsung der Exekutivregie— 
rung erhalten folle, 

„Sch erklärte indeffen ausdrücklich, daß dies nicht der einzige Plan 
wäre, der angenommen werden könnte; ebenſo ausbrüdlich erklärte 
ich, daß die Erefutive fein Recht beanfpruche, zu entfcheiden, ob und 
wann Mitglieder aus folchen Staaten zum Congreß zugelaffen 


382 Das Leben Abraham Lincolns. 





werden follten. Diefer. Plan war vor feiner Beröffentlihung dem 
damaligen Cabinet vorgelegt und von jedem Mitglied deffelben voll= 
kommen gebilligt worden. 

„Einer der Sefretäre fchlug vor, daß ich die Emancipationg-Pro- 
Hamation auch auf die früher ausgenommenen Theile von Virgi- 
nien und Louiſiana ausdehnen; daß ich Die Bemerkungen über die 
Lehrlingichaft der befreiten Farbigen auslaffen, —und daß ich den 
Proteft gegen meine eigene Machtbefugniß binfichtlich der Zulaffung 
von Congregmitgliedern fallen laffen folle ;—allein ſelbſt er billigte 
jeden einzelnen Theil des Planes, der feither von Louiſiana ange- 
nommen wurde, Die neue Conftitution von Louiſiana, welche Die 
Emaneipation für den ganzen Staat erklärt, dehnt ausdrücklich die 
Proflamation auf die früher ausgenommenen Theile defjelben aus, 
Sie verwirft die Lehrlingfchaft der freien Farbigen und ſchweigt — 
wie es kaum anders fein Eonnte—über die Zulaffung von Congreß— 
mitgliedern. Daraus geht denn hervor, das jedes Cabinets— 
mitglied den Plan vollkommen billigte, foweit verfelbe fich auf 
Louiſiana bezieht, 

„Die Botfchaft gelangte an ven Congreß, und ich erhielt viele 
fhriftliche und mündliche Belobungen über den Plan, während mir 
fein einziger Einwand von Seiten irgend eines Emancipationiften 
zu Ohren gelangte, bis die Nachricht nach Wafhington Fam, daß 
das Volk von Louiſiana mit der Ausführung des Planes begonnen 
habe. Vom Juli 1862 an hatte ich mit verfchiedenen Perfonen 
eorrefpondirt, die meiner Anficht nach ein Intereffe an der Recon- 
ftruftion der Staatsregierung von Louiſiana hatten, Als im Fahre 
1863 die Botfhaft mit dem erwähnten Plane nach New Orleans 
gelangte, und als General Banks mir fchrieb, daß feiner Ueberzeu— 
gung nach das Volk mit feiner militärifchen Mitwirkung die Recon 
ftruftion nach jenem Plane vornehmen würde, da fchrieb ich ihm 
und Andern, fie möchten es verfuchen, Sie verfuchten es und dag 
Refultat ift befannt, 

„Dies war al’ der Antheil, den ich an der Reconftruftion der 
Regierung von Louifiana hatte, Wie ich bereits erwähnte, habe 
ich verfprochen, Diefelbe zu unterflüßen. Da es nun aber befjer 
ift, ein unrechtes Berfprechen zu brechen, als zu halten, fo werde 


In Richmond. 383 





ich diefes als ein unrechtes Verfprechen behandeln und es brechen, 
fobald ich überzeugt fein werde, daß das Halten deffelben dem 
öffentlichen Sintereffe von Nachtheil wäre, Bis jet aber war ich 
noch nicht im Stande, mich davon zu überzeugen, 

„Man hat mir einen Brief über diefen Öegenftand gezeigt; der 
Schreiber defjelben drüdt darin fein Bedauern aus, daß ich noch 
nicht zu einer bejtimmten Entfcheidung gelangt zu fein feheine, ob 
die fogenannten fecedirten Staaten innerhalb oder außerhalb der 
Union feien. Zu feinem Bedauern wird fich vielleicht Erftaunen 
gefellen, wenn er hört, daß ich, feit ich Unionsmänner gefunden 
habe, die fich bemühen, Dies zu einer Frage zu erheben, mich ge= 
fliffentlich jeder öffentlichen Erklärung darüber enthalten habe, da 
meines Erachtens jene Frage noch Feine praftifch materielle ift, 
und daß jede Discuffion derfelben, fo lange fie praftifch immate- 
riell bleibt, nur die fchlimme Wirkung haben könnte, Zwift unter 
unfern Freunden zu ftiften, | 

„Die fich auch dieſe Frage künftig geftalten mag, bis jest ift fie 
als Bafis einer Controverfe zu Nichts tauglich — fie ift eine ver- 
derbliche abftrafte Theorie. Wir find alle darüber einverftanden, 
dag die fogenannten fecedirten Staaten fich nicht in ihrer eigent- 
lichen, praftifchen Beziehung zur Union befinden; und daß der 
einzige Zwed der Regierung in Bezug auf jene Staaten der ift, 
diefelben wieder in diefe eigentliche, praftifche Beziehung zu brin- 
gen. Ich glaube, daß es nicht nur möglich, fondern fogar leichter 
ift, Dies zu thun, ohne zu entfcheiden, oder auch nur darnach zu 
fragen, ob diefe Staaten jemals außerhalb der Union waren, 
Sind fie erft wieder innerhalb derfelben, fo ift es von Feinerlei 
materiellem Belang, ob fie je außerhalb dverfelben waren, 

„Laßt ung Alle die nöthigen Schritte thun, um die eigentlichen, 
praftifchen Beziehungen zwifchen Diefen Staaten und der Union 
wiederherzuftellen; nach vollbrachtem Werfe aber mag jeder nad) 
Herzensgelüften darüber fpefuliren, ob mit feiner Hilfe die Staa— 
ten, die außerhalb der Union waren, in diefelbe gebracht worden 
feien, oder ob er ihnen nur aus ihrer verfchrobenen Stellung in- 
nerhalb der Union zur richtigen Pofition verholfen habe. 

„Befriedigender wäre es allerdings, wenn die Anzahl der Con— 


384 Das Leben Abraham Lincolns. 





ftituenten, auf denen die neue Regierung beruht, 50,000 oder 
30,000, oder fogar nur 20,000 betrüge, ftatt der bloßen 12,000, 
aus denen fie befteht. 

„Andern mag e8 unbefriedigend erfcheinen, daß den Farbigen 
das Wahlrecht nicht verliehen wurde. Sch felbft Hätte gewünfcht, 
daß es den intelligenteren Farbigen verliehen worden wäre; na= 
mentlich Denjenigen, die uns als Soldaten dienen. Es handelt 
fich indefjen nicht darum, ob die Louifiana Regierung, wie fie jebt 
befteht, ganz fo ift, wie fie fein könnte oder follte; es handelt fich 
vielmehr darum, ob es meifer ift, fie fo zu nehmen, wie fie ift, und 
an ihrer Berbefferung mitzuwirken, oder fie zu verwerfen., Die 
Frage ift die: Kann Louifiana durch die Unterftügung feiner 
neuen Staatsregierung, oder durch die Verwerfung derjelben 
am eheften zu feiner eigentlichen, praftifchen Heriehnng zur Union 
zurückgebracht werden? 

„Etliche zwölftauſend Stimmgeber des ehemaligen Sklaven— 
ſtaates Louiſiana haben der Union Treue geſchworen, ſich zur 
rechtmäßigen politiſchen Macht des Staates erklärt, Wahlen ab— 
gehalten, eine Staatsregierung organiſirt, eine freie Staats— 
Conſtitution adoptirt, die Wohlthat öffentlicher Schulen den 
Schwarzen wie den Weißen verliehen, und der Legislatur die 
Macht übertragen, den farbigen Männern das Wahlrecht zu 
geben. Ihre Legislatur; hat bereits das Fürzlich vom Kongreß 
pafjirte Amendment ratifieirt, wodurch die Sklaverei im ganzen 
Lande abgefchafft wird. Diefe zwölftaufend Perfonen find fomit 
vollkommen der Union und der ewigen Freiheit des Staates ver- 
pflichtet und fordern nun die Anerkennung und Unterftügung der 
Nation, Wenn wir fie nun abweifen und ihre Forderung ver- 
mweigern, fo thun wir unfer Aeußerftes, um fie zu disorganifiren 
und zu zerfireuen. Wir fagen damit thatfächlich zum weißen 
Mannes „Du bift von gar feinem Werthe; wir wollen dich weder 
unterftüßen, noch von dir unterftügt werden.“ Zu den Schwar— 
zen aber jagen wir: „Diefen Kelch der Freiheit, den euch eure 
alten Meifter an die Lippen gehalten, wollen wir von euch werfen 
und es euch überlaffen, den verfchütteten und zerftreuten Trank 
auf irgend eine unbeftimmte und unfichere Weife, wann, wo und 


In Richmond. 389 





wie ihr Fönnt, von der Erde zu fammeln.” Wenn diefe Methode, 
Durch welche fowohl Weiße wie Schwarze entmuthigt und paraly> 
firt werden, irgendwie geeignet ift, dem Staat Louiſiana zu feiner 
eigentlichen, praftifchen Beziehung zur Union zu verhelfen, jo war 
ich bis jegt noch nicht im Stande, e8 einzufehen. Wenn wir da— 
gegen Die neue Regierung von Louiſiana anerkennen und unter- 
ftügen, fo ermweifen wir ihr und ung felbft die größte Wohlthat. 

„Dir ermuthigen dadurch die Herzen und ftärken die Arme 
jener Zwölftaufend, um bei ihrem Werke zu beharren, daffelbe zu 
argumentiren, dafür zu kämpfen, zu ringen und Profelyten zu 
machen, es zu nähren, zu hegen und zum vollftändigen Erfolge zu 
reifen. Auch der farbige Mann wird mit Wachfamkeit, Energie 
und Muth befeelt werden, wenn er die Andern für ihn einig fieht. . 
Zugeftanden, daß er das Stimmrecht begehrt, wird er es nicht 
eher erlangen, wenn er die fehon dazu gebauten Stufen rettet, ala 
wenn er über diefelben rüdlings herabftürzt? Zugeftanden, daß 
die neue Regierung von Louifiana erft das ift, mag das Ei im 
Bergleich zum Huhn, fo werden mir doch ficherlich das Huhn eher 
haben, wenn wir dag Ei ausbrüten, als wenn wir e8 zerflampfen. 
[Selächter.] 

„Doch weiter, Wenn wir Lonifiana verwerfen, fo vermwerfen 
wir damit auch unfere eigene Stimme zu Gunſten des vorgejchla= 
genen Amendments zur Conftitution, Diefem Argumente wird 
entgegengehalten, daß es zur endgiltigen Ratififation des Amend- 
ments nur drei Viertel jener Staaten bedürfe, die niemals Seceſ— 
fion begangen haben. Darauf habe ich weiter Nichts zu erwies 
dern, als daß eine ſolche Ratififation eine höchſt zweifelhafte 
wäre und ficherlich hartnädig angefochten werden würde ; während 
bei einer Ratififation Durch drei Viertel aller Staaten jeder 
Zweifel und jede Anfechtung von vorne herein mwegftele. 

„Ich wiederhole daher meine Frage: Kann Louifiana durch die 
Unterſtützung feiner neuen Staatsregierung, oder durch die 
Bermwerfung derfelben am eheften zu feiner eigentlichen, praf« 
tifchen Beziehung zur Union zurüdgebracht werden? — Was ich 
nun in Beziehung auf Louifiana fagte, das bezieht fich ebenfalls 
auf jeden einzelnen der andern Staaten, So groß aber find Die 

25 


386 Das Leben Abraham Lincolns. 





Eigenthümlichfeiten eines jeden Staates, fo wichtige und plößliche 
Beränderungen finden in demfelben ftatt, und fo neu und ohne 
Präcedenz ift ver ganze Fall, daß fich Fein erclufiver und infleribler 
Plan mit Sicherheit vorzeichnen laßt. Ein folder würde in feie 
nen Details und Eollateralpunften ganz beftimmt neue Berlegen- 
heiten herbeiführen. Wichtige Prinzipien dagegen können und 
müffen ftarr und unbeugfam bleiben. 

„Bei der gegenwärtigen Geftaltung der Umftände mag es bald 
meine Pflicht werden, dem Volke des Südens eine neue Anfündi- 
gung zu machen, Sch erwäge jeden Umftand und werde nicht 
verfehlen zu handeln, fobald ich die Heberzeugung gewinne, daß 
das Handeln am Platze iſt.“ 


An demfelben Tage (am 11, April) erſchien folgende Prokla- 
mation: 


„Sintemalen durdh meine Proflamation vom 19ten und 
27jten April 1861 die Vereinigten Staaten Häfen von Virginien, 
Nord-Carolina, Süd-Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Mif- 
fiffippt, Zouifiana und Teras in Blodadezuftand erflärt wurden; 

„Sintemalen aber befagte Blodade feither in Folge mili— 
täriſcher Occupation feitens Diefer Regierung bedingungsmeife 
befeitigt oder aufgehoben wurde in Bezug auf die Häfen von 
Norfolt und Alerandria im Staate PVirginienz Beaufort im 
Staate Nord-Carolinaz Port Royal im Staate Süd-Carolina; 
Penfacola und Fernandina im Staate Florida, und New Orleans 
im Staate Louiſiana; und 

„Sintemalen laut des vierten Paragraphen der am 13. Zuli 
1861 genehmigten Congreßafte, betitelt: „Eine Akte zur ferneren 
Beftimmung über das Colleftiren der Einfuhrzölle und zu andern 
Zweden” — der Präfivdent aus den darin angegebenen Gründen 
autorifirt ift, gewiffe Eingangshäfen zu fehließen. 

„Deshalb proflamire ih, Abraham Lincoln, Präfivent der 
Bereinigten Staaten, daß die Häfen von Richmond, Tappahannod, 
Cherry Stone, Yorktown und Petersburg in Virginien — Cam— 
den, Elizabeth Eity, Edenton, Plymouth, Wafhington, Newbern, 
Ocracoke und Wilmington in Nord-Earolina — Charlefton, 


In Richmond. 387 





Georgetown, und Beaufort in Süd-Carolina — Savannah, St, 
Marys, Brunswid und Darien in Georgia — Mobile in Ala- 
bama — Pearl River, Shieldsborn, Natchez und Vicksburg in 
Miſſiſſippi — St. Auguftine, Key Weft, St, Marks, Port Leon, 
St. Johns, Jackſonville und Appalachieola in Florida — Teche 
und Franklin in Louifiana — Galveſton, La Salle, Brazos de 
Santiago, Point Zfabel und Brownssille in Teras hiermit ge> 
fchloffen find und alle Importations- und Waarenlagerrechte, 
fowie andere Privilegien in Bezug auf oben genannte Häfen auf> 
hören follen, bis diefelben auf Order des Präfidenten wiederum 
eröffnet werden; und dag, fo lange befagte Häfen gefchloffen find, 
alle Schiffe von auswärts, mit verzollbaren Artikeln an Bord, falls 
fie in irgend einen der obigen Häfen einzulaufen verfuchen, fammt - 
allem Geräth, Zubehör, Takelwerk und fammt der ganzen Ladung 
zum Nuten und Frommen der Vereinigten Staaten ceonfiscirt 
werden follen. 

„Zum Zeugniß deffen babe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefest und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Begeben in der Stadt Wafhington am elften Tage tes 
Monats April, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert 
und fünfundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigfeit 
der Bereinigten Staaten, 

„Gegengezeichnet: Abraham Lincoln.” 
„William 9. Semward, Staatsſekretär.“ 


An demfelben Tage erfchien folgende weitere Proflamation : 


„Sintemalen feit einiger Zeit Kriegsfchiffen der Vereinigten 
Staaten in gewiffen auswärtigen Häfen die Privilegien und Im— 
munitäten verweigert wurden, zu denen fie durch Verträge, das 
Völkerrecht und die International-Comität berechtigt waren, die- 
weil zur felben Zeit die Kriegsfchiffe des Landes, in welchem be— 
fagte Privilegien und Immunitäten verfagt wurden, diefelben in 
den Häfen ber Vereinigten Staaten voll und unverfürzt genoffen 
haben, gegen welchen Zuftand der Dinge die Vereinigten Staaten 
nicht immer gewaltfamen Widerftand leifteten, obfchon fie zu Feiner 


388 Das Leben Abraham Lincolns. 





Zeit verfehlten, Dagegen zu proteftiren und ihre Unzufriedenheit 
darüber zu erflären; und 

„Sintemalen nad der Anficht der Regierung der Vereinig- 
ten Staaten es feinen Umftand mehr giebt, der die Verweigerung 
der üblichen Marinerechte feitens irgend einer der befagten Na— 
tionen unfern Kriegsfchiffen gegenüber rechtfertigen kann, wie big- 
ber fo unnöthigerweife und grundlos gethan wurde: 

„Deshalb thue ih, Abraham Lincoln, Präfivent der Ver— 
einigten Staaten, fund und zu wiffen, daß, wenn nach Verlauf 
einer hinreichenden Zeit zur Bekanntwerdung diefer Proflamation 
in irgend einem fremden Lande, in deſſen Häfen befagte Privile- 
gien und Immunitäten verweigert wurden, die letzteren fernerhin 
verweigert werden follten, den Kriegsfchiffen eines folchen Landes 
hinfortan diefelben Privilegien und Immunitäten in den Häfen 
der Vereinigten Staaten verweigert werben follen, und daß diefe 
Verweigerung fortdauern foll, bis den Kriegsfchiffen der Vereinig- 
ten Staaten in fremden Häfen die nämliche Behandlung zu Theil 
wird, wie den Kriegsfchiffen anderer Länder. Welder Grund 
oder Vorwand auch bisher beftanden haben mag, fo find die Per- 
einigten Staaten jetzt wenigftens berechtigt, diefelbe vollkommene 
und freundfchaftliche Gleichheit der Nechte und Hofpitalitäten zu 
fordern und beanfpruchen, die allen andern Seemächten zu Theil 
wird. 

„zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift 
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Gegeben in der Stadt Wafhington am elften Tage des Mo- 
nats April, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
fünfundfechzig, und im neunundadtzigften der Unabhängigkeit 
der Vereinigten Staaten, ! 

„Auf Befehl des Präfidenten : Abraham Sincoln. 
„William 9. Seward, Staatsfefretär.” 

Am folgenden Tage erfchien nachftehende ergänzende Profla- 
mation: 

„Sintemalen in meiner Proflamation vom heutigen Tage 
der Hafen von Key Weft im Staate Florida aus Verſehen unter 
den Häfen angeführt wurde, die für den Handel gefchloffen find: 


In Richmond. 380 





„Deshalb thue ih, Abraham Lincoln, Präſident der Ver— 
einigten Staaten, hiermit kund und zu wiſſen, daß beſagter Hafen 
von Key Weſt nach wie vor dem auswärtigen und einheimiſchen 
Handel offen iſt und bleiben ſoll, und zwar auf dieſelben Bedin— 
gungen hin, denen dieſer Handel bisher unterworfen war. 

„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterſchrift 
beigeſetzt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen. 

„Gegeben in der Stadt Waſhington, am elften Tage des Mo- 
nats April, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
fünfundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit der 
Dereinigten Staaten. 

„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Fincoln.“ 
„William 9. Seward, Staatsfefretär.“ | 


Das Licht, in welchem die Adminiftration den jebigen Zuftand 
der Dinge betrachtete, läßt fich am beften aus folgendem am 13, 
April 1865 erlaffenen offiziellen Bulletin des Kriegsdepartements 
erfehen: 

„Nach reiflicher Erwägung der Refultate der legten Feldzüge 
und nad Berathung mit dem ©eneral-tieutenant kam dieſes 
Departement zu folgendem Entfchluffe, der durch fofort zu erlaf- 
fende angemeffene Ordres in Ausführung gebracht werden foll: 


„Erftens. Alle Ziehungen und Rekrutirungen follen fofort in 
den loyalen Staaten eingeftellt werden. 

„Zweitens. Die Ankäufe von Waffen, Munition, Duartier- 
meifters- und Commiffariats-Vorräthe find zu verringern, und die 
Ausgaben des militärifchen Etabliffements in ſämmtlichen Zwei- 
gen zu reduziren. 

„Drittens, Die Anzahl der Generäle und Stabsoffiziere foll 
auf die Nothwendigkeit des Dienftes herabgefegt werben, 

„Viertens. Alle militärifchen Befchränfungen des Handels 
und Berfehrs follen aufhören, foweit es mit der öffentlichen Si— 
cherheit vereinbar ift. 

„Sobald diefe Mafregeln zur Ausführung gebracht werden 
Tonnen, wird es durch öffentliche Ordres befannt gemacht werden. 

„Auf Befehl des Präfiventen: 

Edwin M. Stanton, Kriegsfefretär,” 


890 Das Leben Abraham Lincolns. 





— 


Der Rebellen⸗Präſident aber, der am 5. April in einer bomba- 
ftifchen Proffamation befannt gemacht hatte, dag er Richmond 
nicht im Stiche Taffen, daß er Virginien gegen die ganze Macht 
der Vereinigten Staaten vertheidigen werde — mo war er um 
diefe Zeit, wo? 





Fünfundzwanzigſtes Kapitel. 
Der legte Aft. 


Unterredung mit Mr. Colfar — Tabinets-Berfammlung — Epifode — 
Abendunterhaltung — Die Möglichkeit eines Meucelmordes — Herr 
Lincoln geht in’s Theater — Vorfihtsmaßregeln des Mörders — Der 
Piſtolenſchuß — Flucht des Meuchelmörders — Tod des Präfidenten — 
Erfülung feiner Derheißungen — Buftand des Landes — Wirkung des 
Mordes — Die Dbfequien zu Wafhington — Hein letter Zug — Trauer 
des Bolkes — Er ruht in Frieden. 


Freitag Morgen, den 14. April 1865 hatte Präſident Lincoln eine 
intereſſante Unterhaltung mit ſeinem älteſten Sohne, Robert Lin— 
coln, der als Capitän in General Grant's Stabe diente. Das 
Geſpräch bezog ſich hauptſächlich auf die Uebergabe Lee's, mit de— 
ren Details der Sohn natürlich vollkommen vertraut war. Bald 
darauf wurde dem Präſidenten gemeldet, daß Schuyler Colfax, der 
Sprecher des Repräſentantenhauſes, um Audienz bitte. Herr 
Lincoln ließ ihn in das Empfangszimmer beſcheiden und beſprach 
ſich daſelbſt über eine Stunde lang mit ihm in Bezug auf ſeine 
künftige Politik gegen die Rebellion; eine Angelegenheit, die er im 
Begriffe ſtand, mit ſeinem Cabinet zu berathen. 

Nach einer kurzen Unterredung mit John P. Hale, dem kürzlich 
ernannten Miniſter nach Spanien, und einigen Senatoren und 
Repräſentanten wurde um elf Uhr eine Cabinetsſitzung gehalten, 
bei welcher General Grant zugegen war. Dies war eine der be— 
friedigendſten und wichtigſten Conſulationen, die der Präſident 
ſeit ſeiner erſten Inauguration gehalten hatte. Die künftige 
Politik der Adminiſtration wurde harmoniſch und einſtimmig be— 


Der legte Akt, 391 





fhloffen, und nachdem die Situng fich vertagt hatte, machte der 
Kriegsfefretär die Bemerfung, daß die Regierung jest ſtärker 
fei, als zu irgend einer Periode feit dem Ausbruch des Krieges. 

Eine intereffante Epifode hatte fich während der Situng zuge— 
tragen. Der Präfivdent wandte fih nämlich an den General- 
Lieutenant und frug ihn, ob er Feine Nachrichten von General 
Sherman habe, Orant ermwiederte, er habe Nichts von ihm gehört, 
erwarte aber ftündlich Depefchen mit der Ankündigung von John— 
fton’s Uebergabe. 

„Run,“ fagte der Präfivent, „Sie werden bald von ihm hören 
und zwar Wichtiges.‘ 

„Darum denken Sie dies?” frug der General. 

„Beil ich legte Nacht einen Traum hatte,” erwiederte der Prä— 
fivent. „Seit dem Anfang des Krieges hatte ich vor jedem be— 
deutenden militärifchen Ereigniß denfelben Traum,” Er eitirte 
dann Bull Run, Antietam, Gettysburg, u. f. w., und fagte, daß 
derfelbe Traum ihm vor jedem dieſer Ereigniffe erfchienen fei. 
Dann wandte er fih an den Marinefetretär und fagte: 

„Der Traum fchlägt auch in Ihr Fach ein, Herr Welles. Ich 
fah ein Schiff, das fehr rafch fegelte, und ich bin überzeugt, daß 
es eine Borbedeutung eines bedeutenden Nativnal-Ereigniffes iſt.“ 

Am Nachmittag hatte er eine lange und angenehme Unterhal- 
tung mit einigen hervorragenden Bürgern von Fllinvis. 

Am Abend hatte er eine Unterredung mit den Herren Eolfar 
und Aſhman (Letzterer hatte bei der Chicago Convention im Jahre 
1860 den Borfig geführt,) wobei er auf feinen Abftecher nad 
Richmond zu fprechen fam. Einer der Herren machte hier die Be— 
merkung, daß während feines Aufenthaltes in der ehemaligen Re— 
bellenhauptftadt im Norden große Unruhe um feinetwillen geherrfcht 
habe, aus Furcht, daß er son irgend einem Berräther erfchoffen 
werden möchte. Herr Lincoln erwiederte foherzend, daß er ſich 
felbft beunruhigt haben würde, wenn irgend ein Anderer Präfivent 
gemwefen und dahin gegangen wäre, daß er aber für fich felbft 
durchaus feine Gefahr befürchtet habe, 

Die Möglichkeit einer Ermordung war dem Präfidenten oft vor- 
geftellt worden, allein fie hatte ihn noch nie einen Augenblid be= 


392 Das Leben Abraham Lincolns. 





unrubigt. Ein Mitglied feines Cabinets fagte eines Tages zu 
ibm: „Herr Prafident, Sie find nicht beforgt genug um fich felbft. 
Es giebt böfe Menfchen in Wafhington. Haben Sie noch nie 
bedacht, daß es Rebellen genug unter ung giebt, die fich fein Ge— 
wiffen daraus machen würden, einen Angriff auf Ihr Leben zu 
wagen?” Der Prafivent öffnete einen Pult und zog einen Pad 
Briefe heraus. „Hier,“ fagte er, „jeder dieſer Briefe enthält eine 
Drohung, mich zu ermorden, Ich könnte zaghaft werden, wollte 
ich über den Gegendſtand nachdenken; allein ich bin zu dem 
Schluß gefommen, daß es jeden Tag Gelegenheit giebt, mich zu 
tödten, wenn irgend Jemand Dazu geneigt wäre. Es ift nicht 
möglich, einem ſolchen Schidfal zu entgehen, und ich werde mich 
deshalb nicht beängftigen.” 

„An dem erwähnten Abend, während er über eine Gefchäftsan- 
gelegenheit mit Herrn Aſhman fprach, gewahrte er, daß derfelbe 
über eine feiner Bemerkungen frappirt war und fagte fofort (e3 
war ftets fein Streben, beleidigende Aeußerungen zu vermeiden): 
„Sie haben mich nicht verftanden, Aſhman; die Sache war nicht 
fo gemeint, wie Sie zu denken foheinen, Sch will Alles zurüdneh- 
men und um Entfehuldigung bitten.’ Später gab er Herrn Aſh— 
man eine Einlaßfarte für ihn und einen Freund zu einer ferneren 
Unterredung am folgenden Morgen. 

„zu Herrn Eolfar gewendet, fagte er: „Sch hoffe, Sie werden 
Madame Lincoln und mich in das Theater begleiten.” Der Prä- 
fivent und General Grant hatten am Bormittag eine Einladung 
für den Abend nach Ford's Theater angenommen, allein der Ge— 
neral hatte fich fpäter genüthigt gefehen, nach dem Norden abzu— 
reifen. Herr Lincoln, deffen Erfcheinen im Theater öffentlich an— 
gezeigt worden war, wollte das Auditorium nicht gänzlich täufchen 
und bejchloß daher, die Einladung anzunehmen.*) 





*) Biele europäische Blätter rügten das Anftatthafte — doppelt unftatthaft für 
einen Präfidenten der Vereinigten Staaten — am Charfreitag das Theater zu 
befuchen, Derartige alberne Kritteleien können natürlich nur von einer gänzlichen 
Unfunde amerikanischer Sitten und Gebräuche herrühren, Während in Europa — 
auf dem Eontinent wenigſtens — der Charfreitag ald ein ftrenger Faft- und 
Trauertag betrachtet wird, feiern ihn die Amerifaner mehr ald einen Feftl- und 


Der legte Akt. 393 





Herr Colfax entfchuldigte fich indeffen wegen anderer Engage- 
ments, die ihm die Annahme unmöglich machten, Beim Abfchied 
fagte Herr Lincoln zu ihm: „Senator Sumner eroberte in Rich- 
mond den Hammer des Rebellen-Congreffes und beabfichtigt, die 
Relique dem Kriegsfefretär zu überbringen. Ich beftand indeffen 
darauf, daß Sie ihn haben müßten; fagen Sie ihm daher, daft 
ich ihn bitten laffe, Ihnen das Euriofum zu übergeben.“ Herr 
Aſhman bemerkte darauf, daß der Hammer, den er zu Chicago ge= 
braucht hatte, noch in feinem Beſitze fei. 

Etwa eine halbe Stunde nad) der feftgefegten Zeit erhoben fich 
der Präfident und Madame Lincoln, um ſich in’s Theater zu be- 
geben; Herr Lincoln zögerte und wünfchte noch eine halbe Stunde 
länger zu Haufe zu bleiben, Bei der Thüre hielt er an und 
fagte: „Herr Colfar, vergeffen Sie nicht, wenn Sie durdy die Mi— 
nen-Regionen fommen, dem Volke zu fagen, was ich Ihnen dieſen 
Morgen über die Entwidelungen bemerkte, die ftattfinden werden, 
wenn der Friede hergeftellt iftz ich werde Ihnen nah San Fran- 
eisco telegraphiren,’ Nachdem er nun den beiden Herren die 
Hand gereicht und ihnen freundlich einen vergnügten Abend ge- 
wünfcht hatte, begab er fich mit feinen Begleitern in das Theater, 

Die Präfiventenloge befand fich in der zweiten Etage über der 
Bühne, rechts von dem Auditorium; den Eingang dazu bildete 
eine Thüre von der anftogenden Gallerie. Das Sceufal, welches 
die Ermordung des Präfidenten mit außerordentlichen Vorſichts— 
maßregeln gegen ein Mißlingen arrangirt hatte, verfchaffte fich 
Eingang, indem e3 die Garde täufchte, und befand fi) nun in ei= 
nem dunklen Corridor, deffen Wand einen fpiben Winkel mit der 
Thür bildete. Nun fchnitt der Mörder eine Vertiefung in die 
Wand und zwängte ein ftarfes Brett zwifchen diefelbe und den 
Flügel der Thür, 





Freudentag, Dort liegt der Feier des Tages die Trauer über die Paſſion, hier die 
Freude über dad Verſöhnungswerk Chriftt zu Grunde — es ift mithin nur eine 
Berichiedenheit der Auffaffung. Man wird das amerifanifche Volk ficherlich nicht 
der Vernachläſſigung chriftlicher Gebräuche befchuldigen, am allerwenigiten aber Tann 


man Herrn Lincoln ſolche Vorwürfe machen, 
Anmerkung des Ueberſetzers. 


394 Das Leben Abraham LincoIns. 





Nachdem auf diefe Art der Eintritt unmöglich gemacht war, 
wandte er fich zunächft zu den beiden Thüren der Präfivdentenloge, 
die Durch eine bewegliche Scheidewand nad) Belieben in zwei Lo— 
gen verwandelt werden fonnte. Die Thür am untern Ende des 
Ganges war offen; die dem Meuchelmörder zunächft liegende da— 
gegen verfchloffen. Beide hatten Springfederfchlöffer, allein Die 
Schrauben, mit denen diefelben an der Wand befeftigt waren, 
mußten forgfältig gelodert worden fein, fo daß fie dem geringjten 
Drud von außen nachgaben. 

Der Mörder näherte fih nun der dieffeitigen Thür, in die er 
ein Kleines Loch gebohrt hatte, und verfchaffte fich zuerft einen 
Ueberblid über das Innere der Loge. Die Partie hatte ihre Sitze 
in folgender Ordnung eingenommen: Der Präfident faß in einem 
Armſtuhl zunächft dem Auditorium; neben ihm fa Madame Lin- 
coln; eine beträchtliche Strede weiter Miß Klara Harris in der 
der Bühne nächftgelegenen Ede; auf einem Kanapee an der ent» 
gegengefebten Wand ſaß Major H. R. Rathbone. 

Das Stüd, das gegeben wurde, hieß: “Our American Cousin” 
(unfer amerifanifcher Better). Plöglich, während Aller Augen 
auf die Bühne gerichtet waren, verkündete der Knall einer Piftole 
die Anmwefenheit des Meuchelmörders, der fi mit dem Worte 
„Freiheit“ der Sronte näherte. Der Major erblidte ven Schur— 
fen durch den Rauch, fprang hinzu und padte ihn; dieſer aber 
ließ fein Piftol fallen und zielte mit einem Meffer nach der Bruft 
feines Gegners, der den Hieb mit dem obern Theil feines linken 
Armes parirte, jedoch ohne im Stande zu fein, den Kerl feftzuhal« 
ten, obſchon er ihn fofort wieder anpadte. Diefer entrang fich 
feinem Griffe, ſchwang fih auf das Parapet und fprang auf die 
zwölf Fuß unter ihm liegende Bühne hinab. Bei feinem Sprunge 
verwickelte fich indeffen fein Sporn in die Falten der Flagge unter- 
bald der Loge, und er fiel. 

Rafch erhob er fich indeffen mieder, ſchwang feinen Dolch, rief: 
“Sie semper tyrannis !” (das Motto des Staates Virginien) und: 
„Der Süden ift gerächt!” und entfam dann durd die Sin- 
terpforte des Theaters, mit deffen Einrichtung er vollfommen ver- 
traut war, nach einem dunkeln Gäßchen, wo fein Pferd in Bereit- 


Der legte Akt. 395 


[haft ftand. Kaum eine Minute verftrich zwifchen der blutigen 
That und dem Entfommen. Es mochte etwa Halb zehn Uhr fein. 
Nur ein Mann unter den Hunderten von Zufchauern hatte 
Geiftesgegenwart genug, dem Mörder zu folgen, allein es war zu 
fpät. 

Bald wurde Die Bedeutung des Piftolenfchuffes befannt. Der 
Präſident war in den Hinterkopf hinter dem linken Ohr gefchoffen 
worden und die Kugel war in fchräger Linie bis zum rechten Ohr 
gedrungen. Er fiel augenblidlih in Bewußtlofigfeit, aus der er 
fich nicht wieder erholt. Man brachte ihn fo fehnell wie möglich 
nad) einem dem Theater gegenüberliegenden Haufe, und hier ver- 
ſchied er am andern Morgen, den 15. April 1865, zweiundzwan- 
zig Minuten nad) fieben Uhr im Beifein faft ſämmtlicher Mitglie- 
der feines Cabinets und anderer Freunde, denen die herzzerreißende 
Scene Thränen des Kummers entpreßte. Madame Lincoln be- 
fand fich mit ihren beiden Söhnen im anftoßenden Zimmer — die 
Geelenqual, die Verzweiflung, die hier herrfchte, vermag feine 
Feder zu befchreiben. Eine troftlofe Wittwe und zwei trauernde 
Söhne bilden jegt die ganze Familie. Bald nad neun Uhr wurde 
die Leiche unter militärifcher Esforte nach dem Präfidenten-Palaft 
gebracht, 

So endete Abraham Sincoln, der fechzehnte Präfident der Ber- 
einigten Staaten, feine irdifche Laufbahn auf der Schwelle feines 
fiebenundfünfzigften Jahres und zweiten Amtsterming, 

“Sic semper tyrannis I? — Dies die Rechtfertigung der Ermor- 
dung eines Regenten, der 





= fo milde feine Würde trug, fo fanft 

Sn feinem hohen Amte war, daß feine Tugenden 
Gleich Engeln mit Trompeten- Tönen fchrei’n 
Zum Himmel über die verruchte That.” 


„Der Süden gerät!" — Gerächt durch die Faltblütige 
Ermordung des beiten Freundes, den reumüthige Rebellen jemals 
hatten — eines Freundes, der gleich dem Engel der Barmherzig- 
feit fo lange zwifchen ihnen und dem Zorn feiner wärmften poli- 
tifchen Anhänger geftanden hatte, die ihn beftändig um weniger 
Milde und größere Strenge gegen die Berräther beftürmt hatten ! 





396 - Das Leben Abraham Lincolns. 





Es ftand in dem Buche des Ewigen gefchrieben, daß er durd 
die Kugel fallen follte — doch ach! nicht auf dem Schlachtfelde, 
deffen traurige Mahnungen er fo oftmals vernommen hatte, ſon— 
dern im Kreife feiner Familie, als er nad den drüdenden Sorgen 
feines Amtes Erholung ſuchte — und durch eines Mörders Hand! 
Er war der erfte unferer Präfidenten, dem ein ſolches Schidfal zu 
Theil wurde; ehren wir fortan fein Andenken gleich dem eines 
heiligen Märtyrers! 

Allein dem bittern Kelche war auch ein füßer Tropfen der 
Barmherzigkeit beigemifcht. Er fiel erft, nachdem die gütige Vor— 
fehung ihm mwenigftens einen Vorgefhmad der Segnungen gege— 
ben hatte, die durch fein treues Wirken dem Lande, das er fo fehr 
liebte, vorbehalten waren. 

Er hatte die Verheißungen feiner erften Inaugural-Adreſſe 
treulich und volllommen erfüllt — jene Berheißungen, deren Er- 
füllung von fo Bielen für unmöglich gehalten und von nicht 
Wenigen als übermenfchlich verfpottet und verlacht wurden. Er 
hatte die ihm verliehene Macht erfolgreich angewandt, um „das 
Eigenthum und die Plätze der Regierung zu behaupten und im 
Befis zu halten.” In dem Augenblide feines Todes wehte von 
feinem Fort der Vereinigten Staaten die Flagge des Verraths 
mehr. An dem Tage feiner Ermordung wurde die alte Flagge 
mit feierlichen Ceremonien auf den Zinnen des Forts Sumter 
wieder aufgepflanzt, und zwar von denfelben Händen, die vier 
Jahre zuvor an dem nämlichen Tage von dem Höllenpad der 
Derräther gezwungen worden waren, biefelbe herabzunehmen; 
während die Freunde allgemeiner Freiheit ohne Anfehen der Race 
oder Hautfarbe durch die Straßen von Charlefton — jebt eine 
Stätte der Verwüſtung, das Skelett feines früheren Selbftes — 
wandelten und frohlodten, daß mit Gottes Hilfe die ganze Nation 
der Freiheit gewidmet und die Sklaverei dem Moder der Bergan- 
genheit anheimgegeben warb. 

Als Abraham Lincoln fiel, hatte fih die Nation — durch die 
firenge Nothwendigfeit des fürchterlichen Krieges zu einem edle— 
ren, männlicheren Bewußtfein erwacht — zu Gunften eines 
Amendments zur GConftitution erklärt, wodurd das Menfchen- 


Der legte Aft. | 397 





eigenthum und der Menfchenhandel für ewig verboten ward, 
Und zwar nicht eine blos allmälige Emancipation, als Folge mili- 
tärifcher Nothwendigfeit, war es, was das Herz eines jeden Bie— 
dermannes erfreute, fondern die abfolute, radifale Vernichtung 
jenes fcheußlichen Molochs, der in Sünde gezeugt, im Verbrechen 
erftarkt, das Land fo lange in feinen eifernen Krallen gehalten, 
die Nation an den Rand des Verderbens geführt und im Augen- 
blid feines eigenen Berendens noch dem Edelſten diefer Nation 
durch Die Hand eines gedungenen Meuchelmörders den Todesftoß 
verfegte, Allerdings war es unferem Märtyrer-Präfidenten nicht 
vergönnt, die vollftändige Ausführung jener großen Maßregel 
zu erleben; allein er hatte die fefte Meberzeugung, daß das Ende 
nicht mehr ferne, Daß es bereits fehon vor der Thür war. 


Als er fiel, war jene Berrätherbande, die ſich die Befugniffe 
einer Regierung angemaßt hatte, mit ihrer geraubten Beute nach 
unbefannten Regionen entflohen; ihre Hauptarmee hatte capitu- 
lirt und der Reſt ihrer militärifchen Macht ftand im Begriffe, daf- 
felbe zu thun. Aus ihrer Hauptftadt, aus der Behaufung des 
Erzverräthers, des modernen Lucifers — Jeff. Davis — hatte 
der Liebling der Nation wenige Tage vor feinem Fall Worte des 
Grußes und des Friedens in das Land hinaus gefandt, 


Als er fiel, lag der Berrath im ganzen Lande im lebten Todes» 
röcheln, 

Es bedurfte nicht jenes fehauerlichen, regnerifchen und ftürmi- 
Shen Apriltages, um die Trauer der Nation zu erhöhen. Wie 
von den Schwingen des Blites getragen, flog die Kunde durch 
das Land: — „Der Präfident wurde gefchoffen 1!" — „Er liegt am 
Sterben !" — „Er ift todt!“ — Anfangs mollte e3-faft Niemand 
glauben, für fo unmöglich hielt man die teuflifche That. Als 
aber die ſchreckliche Gewißheit Fam, da beugten ftarfe Männer das 
Haupt und mweinten — Frauen und Kinder fohlucdhzten. Ohne 
Zwang, ohne Aufforderung nahm die gemeinfame Trauer ein ge- 
meinfames Gewand an. Die Häufer in Stadt und Dorf und 
Weiler wurden mit Schwarz behangen, die Flaggen auf Halbmaft 
gefegt, die Läden gefchloffen, die Geſchäfte eingeftellt, und nur Die 


398 Das Leben Abraham Lincolns., 





Zeitunggerpeditionen waren thätig, fowie auch die Verkäufer von 
Zrauerflor und Porträts des geliebten Todten. 


Traurig war der Tag, als die Unglüdsfunde durch Das meite 
Land flog; weit trauriger aber noch waren die Herzen der Pa— 
trioten. Keine Feder vermag die Scene zu befchreiben. Es war, 
als ob Chaos, Nacht und Finfterniß wieder über das Land her» 
einbrechen wollten. 


Mittlerweile ruhte der große Todte im Capitol des Landes in 
Staat, 


An jenem lauen, füßen, träumerifchen neunzehnten April — 
hätten nicht die Inofpenden Zweige, das grünende Gras und dag 
Wirbeln und Zwitfchern der gefiederten Sänger an den Frühling 
gemahnt, man wäre verfucht gemefen, fich in den „goldenen Spät- 
fommer, den der Indianer fo fehr liebt, verfegt zu glauben — an 
jenem Tage, deffen frühe Stunden fchon zur Ruhe und zum 
Schlummer einluden, fand die Todtenfeier Abraham Lincolng in 
der Metropole des Landes ftatt. 


Und um die zmwölfte Stunde diefes Tages wurden im ganzen 
Lande Minutenfhüffe abgefeuert, die Gefchäfte gefhloffen und 
jedes Geräufch vermieden, während von ſämmtlichen Thürmen 
die melancholifchen, gedämpften Töne der mit Tuch behangenen 
Glocken in abgemeffenen Paufen erfhallten. In allen Kirchen 
wurde feierlicher Trauergottesvienft gehalten, Selbſt die Vögel 
unter dem Himmel ſchienen in den allgemeinen Chor einzuftim=- 
men und ließen aus ihren zarten Kehlen ein Requiem erfchallen, 


Am Abend deffelben Tages trat der Leichenzug die Reife nach 
der legten Ruheftätte des theuren Märtyrers an, und zwar auf 
derfelben Route, die der Präfident eingefchlagen hatte, als er feine 
Heimath verließ, um auf den Wunſch des Volkes die Zügel der 
Regierung zu ergreifen. Die Gebeine des Fleinen Willie Lincoln, 
der zwei Jahre früher geftorben war, begleiteten die feines erlauch— 
ten Vaters. Che die Hälfte der Reife zurüdgelegt war, fam die” 
Kunde, daß des Rächers Hand den Meuchelmörder getroffen und 
vor den Richterftuhl des Höchften geladen hatte, Sein lebtes 


Der legte Akt. 399 





Röcheln, ehe er fein ruchlofes Leben verhauchte, war: „Umfonft! 
umfonft !'”*) 

Als im Jahre 1861 Abraham Lincoln, der Lebende, diefen Weg 
gezogen Fam, hatten fi Hunderte, von bloßer Neugierde oder 
Parteifympathie angetrieben, an den Stationen eingefunden, um 
ihn zu fehen. Jetzt aber, vier Jahre fpäter, als Abraham Lincoln, 
der Todte, defjelben Weges wiederfam, fanden fih an den näm— 
lichen Stationen Tauſende ein, diesmal aber von Liebe, yon Ehr=- 
furcht und tiefer, herzinniger Trauer herbeigelodt. 

Blumen bevedten die leblofen Gebeine, Hymnen wurden ge- 
jungen, und das große Herz des Volkes fuchte fih durch Thränen 
und Schlucdhzen Erleichterung zu fchaffen. 

Weftwärts, immer weiter weftwärts durch die Prärien trugen 
fie ihn, den die Nation noch nicht kannte, als er vor vier Jahren 
gelommen war, den fie aber während der Stürme und Drangfale 
des Bürgerfrieges als einen Bater und Freund fennen und lieben 
lernte. 

Auf dem Oak Ridge Gottesader in feinem eigenen, geliebten 
Springfield Iegten fie ihn am vierten Mai 1865 am Fuß einer klei— 
nen Anhöhe zur Ruhe. Grüne Waldbäume — feltene Gäfte in 
den Prärien — neigen fi anmuthig auf die Stätte hernieder, wo 
er mit feinem Eleinen Willie fchlummert. 

Dort ruhet der fterbliche Theil von Abraham Fincoln. 

Der unfterbliche aber? Droben über den Sternen! 





*) Bald darauf faßte der Arm der Gerechtigkeit auch Das Scheufal, das den Höle 
liſchen Plan erfonnen und den Meuchelmörder zur Ausführung gedungen hatte — 
den ehemaligen RebellensChef Jefferſon Davis, SPräfident Iohnfon hatte 
in einer Proflamation eine Belohnung son einhunderttaufend Dollars für die Ver« 
baftung dieſes Teufels in Menfchengeftalt geboten, und eine Abtheilung der Bundes⸗ 
Eavallerie holte ihn auf feiner Flucht durch Georgia ein und ergriff ihn — in den 
Kleidern feiner Frau, Sept fchmachtet dDiefer Dämon der Empörung, des Verrathes 
und Mordes in einer Celle zu Fortreß Monroe, mo er Gelegenheit hat, fich auf fein 
Verhör und — wie zu hoffen fteht — auf feinen ſchmachvollen Tod am Galgen vor» 
zubereiten, Anmerkung des Ueberſetzers. 


Sehsundzwanzigftes Kapitel. 
Abraham Lincoln als Menſch. 


Gründe für feine Wiedererwählung — Was er leiftete — Wie er ſich auf das 
Dolk übte — Staatspapiere — Seine Willensfeftigkeit — Wafhington und 
£ineoln — Der Menſch — Seine Autobiographie — Seine Befheidenheit — 
Seine hriftliche Gefinnung — Schluß. 


Was follen wir nun zum Schluffe über Abraham Lincoln, den 
Staatsmann und den Menfchen fagen? Daß er fich von fo geringer 
Herkunft, unter fo ungünftigen Umftänden zum Oberhaupt einer 
der hervorragendften Nationen der Welt emporfchwang, würde in 
jedem andern Lande als ein Beweis der höchften Fähigkeit be- 
trachtet werden. Hier aber haben fich fchon fo viele ähnliche Fälle 
ereignet, daß diefer Umftand allein ung den Mann nicht vollkom— 
men und in feiner wahren ©eftalt vor Augen ftellt. Er hätte als 
gefchidter und gewandter Politifer in den Bordergrund gefchoben 
werden können; als ein Mann, von defien Erhebung ganze 
Schaaren von Parteifleppern felbitfüchtig perfünlichen Nugen und 
Bortheil fuchten. Oder er hätte ein erfolgreicher General fein 
fönnen, oder ein Mann von rein negativen Eigenfchaften, ohne 
hervorfpringende Charakterzüge; ein Mann, deſſen Eden und 
Enden abgerundet worden waren, bis er jene Zwedmäßigfeit 
(availability) erreicht hatte, die fchon fo oft zur Wahl eines Prä— 
fiventen erforderlich erachtet wurde. Wiederum hätte er ein 
Mann fein können, der feit langen Jahren in den vorderften 
Reiben einer alten und fiegreichen Partei geftanden und daher, 
wie es bei ung fo oft zu gefchehen pflegt, ſtarke Anfprüche 
an feine Partei hatte, Endlich aber fonnte er ein Mann fein, 
der fich feit geraumer Zeit unabläffig für die Nomination bemüht 
und geplagt hatte, bis es ihm endlich gelang, feinen Zwed zu 
erreichen. 

Wir hatten Präfiventen aus allen diefen Klaffen; er aber ge- 
hörte feiner derfelben an, ——— erreichte er den höchſten 


00) 


Abraham Lincoln als Menfch, 401 





Gipfel, den nur ein Amerikaner erreichen kann. Nothwendiger- 
mweife muß er deshalb Kraft und Werth befeffen Haben.) 

Er wurde mwiedererwählt — der erfte Präſident feit Jadfon, 
dem diefe Ehre zu Theil wurde, Zmweiunddreißig Jahre — acht 
Präfidentfchaftstermine — waren feit Jadfons Wiedererwählung 
serftrichen, Und überdies erhielt er bei feiner zweiten Erwählung 
eine bedeutend größere Stimmenanzahl, als bet feiner erften. 

Die vier Jahre feiner Adminiftration waren die ftürmifchften in 
der amerifanifchen Gefchichte; hoch „angehäuft mit Schwierigkeiten,” 
wie er fich felbft ausprüdte, Kein Präfivdent wurde je fo bitter an— 
gegriffen, fo fhonungslos geſchmäht wie er. Noch Feiner wurde fo 
wie er verhöhnt und herabgeſetzt. Dennoch aber wurde er trium— 
phirend wieder erwählt. Warum? Aus demfelben Grunde, der 
zuerft die Aufmerkfamfeit des Landes auf ihn lenkte; nämlich er— 
tens und hauptfächlich, weil die Maffe des Volkes unbegrenztes 
Vertrauen zu feiner Ehrlichkeit und Grundfaßtreue hatte, Obſchon 
diefe Eigenfchaften Teineswegs felten unter unfern Präfidenten — 
namentlich den älteren— waren, fo fehien dennoch Abraham Lincoln 
fo gänzlich von denfelben dDurchdrungen und aus denfelben gefchaffen 
zu fein, daß er in dem Herzen des Volkes einen Halt gewann, wie 
ihn fein anderer Präftdent feit Wafhington gehabt hatte. Selbft 
die bitterften Gegner feiner Politik fahen fich genöthigt, wenn fie 
anders aufrichtig waren, die Eriftenz diefer Eigenfchaften, oder we— 
nigftens den im Volke herrfchenden Ölauben an diefelben zuzu- 
geben. . | 





*) Leider find die obigen Bemerkungen des Verfaſſers nur zu fehr begründet, 
Seit vielen Jahren hatte das amerikaniſche Volk entſchiedenes Unglüd in der Wahl 
feiner Präfidenten, Harriſon, Tyler, Polk, Taylor, Fillmore waren höchſt mittel- 
mäßige Geftalten. Trauriger noch als dieſe war der armfelige, ſchwache Pierce ; 
am allerunheilsoliften aber war die Wahl des erbärmlichen Buchanan, der durch ein 
entichtedenes Auftreten den Bürgerkrieg hätte im Keim erfticten fünnen, Ob fein 
Verſäumniß, dies zu thun, feiner Schwäche, feiner Sympathie mit dem Verrath, 
oder einem Gemisch yon Beiden zuzufchreiben ift, Darüber wird die Fünftige Gefchichte 
richten, In Lincoln fand die Nation fich felbft wieder, An ihm war in That 
und Wahrheit jeder Zoll ein Mann, Das Gleiche darf son feinem Nachfolger, 
Andrew Johnſon, behauptet werden, Anmerkung des Ueberſetzers. 

26 


402 Das Leben Abrabam Lincolns. 





„Bas aber foll als Staatsmann von ihm gefagt werden ?” 

Daß er den Bau unferer National-Regierung von der Zinne 
bis zum Fundament wanfend antraf, und daß er ihn nad) vier 
Fahren eines unerhörten Bürgerfrieges felfenfeft und ficher hinter- 
ließ. Dies mag als allgemeine Antwort auf obige Frage dienen. 

„Iſt aber diefes Refultat nicht ganz oder größtentheils der Fähig- 
feit feiner Rathgeber zuzufchreiben 2” 

Unzmweifelhaft gebührt venfelben großes Lob. Allein wir follten 
bedenken, daß noch wenige Präfiventen in Angelegenheiten ber 
Staatspolitif fo frei und unabhängig handelten wie Herr Lincoln, 
Ueber manche Punkte berieth er fih mit feinem Cabinet—einem 
Cabinet, dag die verfchiedenften Gedanfenfchattirungen, die verfchie- 
denften Fortfchrittsftadien des Volkes repräfentirte—und nach der 
Berathung handelte er, In den meiften Fällen jedoch prüfte er für 
ſich felbft und wählte nach reiflicher, gemwilfenhafter Ueberlegung 
feine Politif—überzeugt, daß er das Wahre getroffen und daß er 
fich nicht geirrt habe. Und felten hatte er fich geirrt, 

Da er feinen Weg meiftens im Finftern fühlen mußte, fo konnte 
er nicht fo raſch vorwärts gehen, Daß er das Bolf athemlog und 
verwundert hinter fich ließ, Doch muß man nicht annehmen, daß 
er niemals dem Willen des Volkes zumider gehandelt habe. Er 
gehörte nicht jener gefchmeidigen, nachgiebigen Klaffe an. Unzwei— 
felhaft handelte er oft in Bezug auf England und Frankreich in 
direktem MWiderfpruch mit der öffentlichen Stimmung, Nichts wäre 
leichter für ihn gemefen, als das Land in einen auswärtigen Krieg 
zu vermwideln; und in feiner folden Handlung wäre er, auf eine 
Zeit lang wenigftens, von der Öefammtmaffe des Volkes unterftügt 
worden, Ebenfo in Bezug auf rahfüchtige Maßregeln gegen die 
Rebellen, da die Anficht, daß dieſelben rückſichtsloſer behandelt wer- 
den follten, ziemlich allgemein im Volke wurzelte. In diefen beiden 
Fällen—wir wollen feine weiteren Beifpiele anführen—hatte er den 
Muth, fih dem Wunſche des Volkes ftandhaft zu widerfegen. Um— 
fihtiger und mweifer als die Maffe fah er vom Anfang an das Ende; 
im erften Falle 309 er es vor, die Ungerechtigkeit der europäifchen 
Mächte geduldig zu überfehen, und im zweiten befchloß er, fich für 
die allgemeinen Intereſſen der Menfchlichfeit zu erheben, anftatt 


Abraham Lincoln als Menſch. 403 





dem augenblidlichen natürlichen und leicht zu entfehuldigenden Ver- 
langen nad) Rache nachzugeben. 

Mit andern Worten, er fuchte in allen Angelegenheiten dem 
Wunſche des Volkes Rechnung zu tragen (fo lange dies feinem 
Prinzip Eintrag that) und ihm den Willen zu laffen. Erwies fich 
dies als ein Fehlgriff, fo follte das Volk fühlen, daß es fo gut die 
Berantwortlichfeit zu tragen habe wie er. Er bemühte fich ernftlich, 
ibm den befferen Weg anzudeuten und ihm feine eigene Ueberzeu— 
gung beizubringen ; zögerte es nun, fo wartete er ruhig, bis es fich 
feinem Standpunft näherte, Dies wurde gewöhnlich gefühlt, und 
e3 ftärkte das Vertrauen auf ihn nicht wenig. Dadurch gelang es 
ihm, die Zuftimmung des Bolfes in manchen feiner Mafregeln viel 
eher zu gewinnen, als es ihm auf irgend eine andere Art möglich 
’ gewefen wäre. Wir Amerikaner find in mancher Beziehung ein 
eigenthümliches Volk. Wir laffen ung nicht gerne von irgend einem 
Manne leiten. Wir leugnen fogar beftimmt, daß wir geleitet wer- 
den. Wir werden e8 auch nicht, fo lange wir— das Gängelband 
fehen können. 

Herrn Lincoln's Staatspapiere waren, was Styl und Diktion 
anbelangt, nicht immer fo, wie die gelehrten Kritifer wünſchten. 
Biele behaupten, daß feine Dokumente allzuoft im Negligee darge- 
boten wurden. Das Volk im Allgemeinen ift nicht fehr Fritifch, 
Die Lefer verftanden jedes feiner Worte, Sie fühlten, daß er fie 
als Mitbürger anredete, Die gewöhnlich fo hochgeſchraubten und 
ftelzenfüßigen offiziellen Dokumente famen aus feiner einfachen Fe- 
der zu ihnen wie ein vertrauliches Geplauder am häuslichen Herde. 
Er fagte immerdar genau, was und wie er dachte, und fagte es auf 
feine eigene Elare, überzeugende Weife, ohne eitles Wortgepränge, 
Seine Sprache war oft derb, verrieth aber ftets die tiefite Intelli— 
genz und innere Heberzeugung. Und gewöhnlich traf er den rechten 
Sled. Seine Worte „hielten Takt mit dem allgemeinen Puls der 
Menſchheit.“ Wie reich an treffenden Flluftrationen feine Papiere 
find! wie durchfichtig, ehrlich und aufrichtig gleich dem Berfaffer 
ſelbſt! 

Er beſaß eine merkwürdige Willensfeſtigkeit. Als er am Nach— 
mittag des erſten Januar 1863 —nach dem üblichen ſtundenlangen 


404 Das Leben Abraham Lincolnse. 





Neujahrs-Handſchütteln —jene unfterbliche Proflamation unterzeich- 
net hatte, die ihn zum DBefreier Amerifa’s machte, fagte er zu feinen 
Freunden: „Die Unterfchrift fieht ein wenig unficher aus; meine 
Hand war müde, allein mein Entfhluß war feſt. ch fagte ihnen 
im September, wenn fie nicht zu ihrer Treue zurüdfehrten und auf- 
hörten, unfere Soldaten zu ermorden, fo würde ich diefem Pfeiler 
ihrer Macht einen Schlag verfegen. Das Berfprechen foll gehalten 
werden; ich werde niemals ein Wort davon zurüdnehmen.” In 
all’ den verſchiedenen Scenen, durch die er als unfer Führer paffirte, 
ging er fohnurftrads feinen Pfad und vermied die Ertreme allzu 
voreiliger Freude wie unzeitiger Niedergefchlagenheit, Ruhig, ge- 
faßt und entfchloffen feyritt er vorwärts, dieweil die Pflicht ihm zum 
Leitftern und fein Gewiſſen zum Rathgeber diente, Er wußte, daß 
er in feiner gefährlichen Stellung fo gut fein Leben auf’s Spiel 
feßte, als der Soldat, der feine Pflicht auf dem Schlachtfeld ver- 
richtet; allein er mwanfte nicht, zögerte nicht, unterhandelte nicht, 
nahm Nichts zurüd, entfchuldigte fich nicht, fondern ging feines 
Weges meiter mit einer Unbeugfamleit, die ebenfo erhaben und er- 
muthigend als felten if. Mochten Andere zweifeln—er zweifelte 
nicht. Er fah das Ziel, nach welchem die Nation wie er felbft rin- 
gen mußte. Diefes Ziel war ihm ſtets vor Augen und unaufhör= 
lich ftrebte er ihm zu. Seine Miffton als Präfivent war, wie er fo 
oft und fo nachdrücklich erklärt hatte, die Union zu retten, Und er 
rettete fie. Es mag Leute geben, die behaupten, daß fich dieſes 
Ziel durch andere Mittel hätte erreichen Iafjen, als die er anwandte, 
Dies ift Theorie, Er rechtfertigte die feinige Durch die Prarie, 
Er felbft konnte nur in feiner eigenen Rüftung arbeiten, und ge- 
duldig, mühſam und beharrlich arbeitete er bis das Ziel erreicht 
war, 

Mit Recht wurde Wafhington der Vater feines Landes genannt. 
Dies ift indeffen mehr der Verehrung als der Liebe zuzufchreiben, 
denn die Meiften fühlten eine folche weite Kluft zwifchen fich felbft 
und dem Heldenpatrioten, daß er ihnen wie ein Wefen anderer Art 
vorfam. | 

Abraham Lincoln dagegen war ſowohl der Retter als der Vater 
feines Landes; denn er rettete, was in der alten Drbnung der 





Abraham Lincoln als Menſch. 405 





Dinge am Werthvollſten war und fihuf eine neue, die eine Würde 
und Bedeutung befibt, wie fie die alte nie gehabt. Retter und 
Bater—bdiefe Titel legt ihm die Liebe des Volfes bei. 

Die Charakteriftif des Menfchen zeigte fich deutlich in der Stel— 
lung des Staatsmannes. Er trug nicht ein Gewand als Beamter 
und ein anderes als Bürger. Er führte am Unterhaltungstifch 
wie im Cabinet diefelbe Sprache. Was er in der einen Lage war, 
das war er auch in der andern, Sein eigenthümlicher Humor war 
nicht feine gewöhnliche Gemüthsftimmung; dies bezeugen Alle, die 
ihn genau fannten. Er befaß mehr Melancholie und Ernft, als 
die Meiften ahnten, *) 


Kein Menfch war befcheidener ala Herr Lincoln, Man fehe nur 
den Bericht feines Lebens, den er felbft im Jahre 1858 für Lan 
man’s Congreß-Lexikon lieferte: R 


„Geboren den 12. Februar 1809 in Hardin County, Kentudy, 

„Erziehung mangelhaft. 

„Profeflion: Rechtsanwalt. 

„War ein Capitän bei ven Boluntären im Blad Hawk Kriege, 

„Poftmeifter in einem fehr kleinen Amte, 

„Viermal ein Mitglied der Illinois Legislatur. 

„Und war ein Mitglied vom Unterhaufe des Congreffes. 
Abraham Sincoln.” 


Dhne Selbftüberfhägung, in der Schule des Lebens herange- 
bildet, ſchämte er fich nie zu lernen, und dadurch reifte fein Geift 
niit jedem Tage. Don Temperament war er gleichmüthig, nie jäh- 





® 


*) Seine Gegner, befonderd Diejenigen, die Feinen Umftand uubenüht Tiefen, 
ihr Gift und ihre Galle über ihn auszufchütten, höhnten und fpotteten in der ge— 
meinften Weife über feine Späße, Anekdoten und dergleichen, Hierbei find meh— 
rere Umftände im Auge zu behalten, nämlich 1) daß die meiiten der cirfulirenden . 
Anekdoten ihm angedichtet find; 2) daß er oft unter der Wucht feiner Sorgen 
hätte zufammenbrechen müffen, wenn er fich nicht Durch derartige unfchuldige Scherze 
Erleichterung verfchafft hätte; 3) daß er fich mancher diefer Anekdoten mit feltener 
Geichieklichkeit bediente, um dem Volke irgend einen Sab Har zu machen, und daß 
er ftetö dabei den Nagel auf den Kopf traf. 

Anmerkung des Ueberſetzers. 


406 Das Leben Abraham Lincolns, 





zornig oder leidenfchaftlich; und Niemand konnte fein Feind fein, 
der nicht von Natur ein Feind des Menfchengefchlechtes war. Mild 
und verföhnlich, Tieß er fih nicht im Geringften durch die Schmä— 
hungen, mit denen er überhäuft wurde, zur Wiedervergeltung hin— 
reißen. Ja felbft feine Schwächen entfprangen feiner übergroßen 
Herzensgüte; nur allzu oft ließ er Gnade für Gerechtigkeit ergehen. 
Es giebt kaum ein Dorf oder einen Weiler in den Ioyalen Staaten, 
in welchem nicht ein Zeuge feiner Milde und Barmherzigkeit lebt. 
Eine höchſt rührende Epifode trug fich bei feinem Leichenbegängniß 
in Waſhington zu. Eine junge Dame von Bofton hatte einen 
Blumenfranz gefhict, mit der Bitte, derfelbe möge auf feinen Sarg 
gelegt werden. Das Mädchen war die Schweiter eines jungen 
Mannes, der wegen eines militärifchen VBergehens zum Tode ver- 
urtheilt, vom Präfiventen aber begnadigt worden war. 

Geehrt als Privatbürger, glüdlich in feinem Familienleben, er- 
folgreich als Staatsmann, war er überdies auch ein frommer Ehrift, 
Dftmals pflegte er zu jagen, daß er in den dunfeliten Stunden fein 
Vertrauen auf Gott fege und fih im Gebet an ihn wende. Geine 
vielen Buß- und Dankfagungs-Proflamationen geben Zeugniß 
son feinem chriftlichen Sinne. Bor feinem lautern, moralifchen 
Charakter mußten felbft feine bitterften Feinde fchweigen. 

Dies ift eine unvollfommene Skizze in allgemeinen Umriffen von 
Abraham Lincoln. Die Art und Weife feines Todes umgiebt fei- 
nen Namen mit einem tragifchen Intereſſe; doch wird daffelbe nur 
jur eine Zeit beftehen, Je mehr aber der Mann befannt wird, wie 
er war; je tiefer die Einficht in feinen wahren Charakter; je mehr 
fein öffentliches und Privatleben ftudirt wird; je forgfältiger feine 
Handlungen geprüft werden, defto höher wird er in der Achtung 
Aller fleigen, deren Achtung mwünfchenswerth if. Je länger die 
Zeit, die hinter ihm liegt, defto glänzender wird fein Name in der 
Geſchichte ftrahlen, der er jet angehört. Kein Freund der Ehr- 
lichfeit und Unbefcholtenheit, Fein Bewunderer der Feftigfeit, Ent- 
Ihlofenheit und gemwiffenhaften Ueberzeugung, fein Menfchenfreund 
fei beforgt um das Urtheil der Nachwelt über— 


Abraham Lincoln. 


Anhang. 


Herrn Sincoln’s RUeden im Congreß und anderwarts, Proklama- 
tionen, Briefe, u. ſ. w., die nicht dem Werke felbft einverleibt 
find. 


Rede über den merifanifhen Krieg. 
(Gehalten vor der Committee des ganzen Haufes am 12. Januar 1848.) 


Herr Lincoln redete die Committee folgendermaßen an: 

„Herr Vorſitzer: — Einige, wenn nicht alle, von den Herren 
auf der andern Seite des Haufes, die feit den leßten zwei Tagen 
die Committee anredeten, beklagten fich, wenn ich fie anders recht 
verftanden habe, über die vor acht oder zehn Tagen abgegebene 
Stimme, wodurd erklärt wurde, daß der Krieg mit Mexiko unnö- 
thigerweife und conftitutionswidrig vom Präfidenten angefangen 
worden fei. Sch gebe zu, daß eine derartige Stimme nicht aus 
bloßer Parteileivenfchaft abgegeben werden follte, und daß diefelbe 
fehr zu tadeln ift, wenn fie auf feiner andern und beffern Grund— 
lage beruht. Sch felbft habe mich jenem Votum angefchloffen, 
und zwar mit der Heberzeugung, daß jene Erflärung auf Wahr— 
beit beruße. Wie ich zu diefer Heberzeugung gelangte, und wie 
diefelbe möglicherweife geändert werden kann, will ich jet zu zei— 
gen verfuchen. Als der Krieg begann, war ich der Anficht, daß 
alle Diejenigen, die das Benehmen des Präfidenten (beim Be— 
ginne nämlich) nicht mit gutem Gemiffen billigen konnten, fei es, 
weil fie zu wenig, oder weil fie zu viel wußten, dennoch ale gute 
Bürger und Patrivten über den Punkt fchweigen follten, wenig- 
ftens fo lange, bis der Krieg beendigt wäre, Einige hervorra— 
gende Demokraten, Er-Präfivdent Ban Buren unter ihnen, haben 
denfelben Standpunlt u wenn ich fie nicht mißver- 


408 Das Leben Abraham Lincolns. 





ftand, und ich blieb dabei und handelte danach, bis ich meinen 
Sit bier einnahm; und ich würde noch jebt dabei verharren, 
wenn es der Präfident und feine Freunde mir nicht unmöglich 
machten. Außer dem beftändigen Beftreben des Präfidenten, jede 
Stimme, die ftillfchweigend für Armeelieferungen abgegeben wird, 
als ein Indoſſement der Gerechtigkeit und Weisheit feines Ver— 
fayrens auszulegen; — außer jenem merkwürdig aufrichtigen Pa— 
ragraphen feiner legten Botjchaft, in welchem er uns ſagt, daß 
der Congreß mit großer Einmüthigfeit (mit nur zwei abweichen- 
den Stimmen im Senat und vierzehn im Haufe) erflärt habe, daß 
„einem Akt ver Republik Mexiko zufolge Krieg zwifchen jener Re— 
gierung und den Vereinigten Staaten beftehe,” wenn doch diefel- 
ben Journale, die ihn hiervon in Kenntniß festen, ihn ebenfalls 
belehrten, daß jene Erklärung, wenn von der Frage über Ar— 
meelieferungen getrennt, fiebenundfechzig Gegner im Haufe hatte, 
und nicht blos vierzehn; — außer diefem offenen Verfuch, durch 
die Wahrheit zu beweifen, was er nicht durch Die ganze 
Wahrheit zu bemweifen vermochte, wodurch Alle, die fich nicht in 
eine falfche Pofition verfegt zu fehen wünfchen, aus Gerechtigkeit 
gegen fich felbft gezwungen find, frei herauszufprechen; — außer 
alledem brachte einer meiner Kollegen (Mr. Richardfon) in den 
erften Tagen der Sitzung eine Reihe Befchlüffe ein, wodurch Die 
urfprüngliche Gerechtigkeit des Krieges, foweit es ſich auf den 
Präfiventen bezieht, ausdrüdlich indoffirt wird. Sollten diefe 
Beichlüffe zur Abftimmung kommen, jo werde ih gezwungen 
fein, meine Stimme abzugeben; ich kann fomit nicht fehmeigen, 
felbft wenn ich wollte. Dies vorherfehend, bereitete ich mich vor, 
meine Stimme nach beftem Wiffen und Gewiffen abzugeben. Ich 
prüfte die Botfchaften des Prafiventen forgfältig, um zu fehen, 
was er felbit über den Punkt gefagt und bewiefen habe. Durch 
das Nefultat diefer Prüfung gelangte ich zu der Ueberzeugung, 
daß der Präfident weit entfernt ift, feine Nechtfertigung darzu— 
thun, fellift wenn alle feine Angaben wahr find; und daß er mit 
feinem Beweife weiter gegangen wäre, wenn die Wahrheit es ihm 
geftattet Hätte. Mit der alfo gewonnenen Ueberzeugung gab ich 
meine Stimme dann ab, wie ich oben erwähnte, Ich will jebt 


Anhang. 409 





furz darthun, auf welche Weife ich die Prüfung vornahm, und 
wie ich zu meinen Schlüffen gelangte. 

„Der Präfivent erklärt in feiner erften Botſchaft vom Mai 
1846, daß der Boden, auf dem die Feindfeligkeiten von Mexiko 
begonnen wurden, ung gehörte, und er wiederholt diefe Erflä- 
rung faft mit denfelben Worten in jeder folgenden Jahresbot— 
Schaft. Dies beweift, daß er ein wefentliches Gewicht auf diefen 
Punkt legt. Ueber die Wichtigkeit diefes Punktes ſtimme ich voll= 
fommen mit dem Präfidenten überein, Nach meinem Ermeffen 
ift e8 gerade der Punkt, auf welchen hin er gerechtfertigt oder 
verdammt werden follte, In feiner Botfchaft vom Dezember 1846 
fchien e8 ihm in den Sinn gekommen zu fein, — was ganz gewiß 
wahr ift, — daß das Anrecht auf den Boden, oder der Beſitz def- 
felben, nicht eine einfache Thatfache fei, fondern eine Folgerung, 
die aus einer oder mehreren einfachen Thatfachen hervorgeht, und 
daß es ihm obliege, die Thatfachen anzuführen, aus denen er die 
Tolgerung 309, daß der Boden, auf dem dag erfte Blut im Kriege 
vergoffen war, ung gehöre. 

„Unterhalb der Mitte der zwölften Seite in feiner lebten Bot- 
fchaft macht er fich denn auch wirklich an das Werf, ftellt die Frage 
auf und führt Beweife an, die fich bis zur Mitte der vierzehnten 
Seite erftreden, Sch will nun bemeifen, daß das ganze Machwerf 
von Abis Z ein Gewebe von Lug und Trug iſt. Die ftreitige 
Trage kleidet er in folgende Worte: „Es giebt jedoch Leute, die 
dies Alles als wahr zugeben, dennoch aber behaupten, daß die 
eigentliche Weftgrenze von Texas der Nueces und nicht der Rio 
Grande fei, und daß wir deshalb die teranifche Grenze überfchrit- 
ten und das Gebiet von Merifo betraten, als wir unfere Armee 
nad) dem öftlichen Ufer des letteren Fluffes marfchiren ließen.“ 
Diefer Sat beftehbt aus zwei Affirmativen und einer Negative, 
Die hauptfächliche Taufhung liegt darin, dag als wahr ange- 
nommen wird, daß der eine oder der andere Fluß nothwen- 
digerweife die Grenze bilden müffe, und daß dadurch der ober— 
flächliche Denker zum Glauben verleitet wird, daß die wirkliche 
Grenze möglihermeife irgendwo zwifchen den beiden 
Hlüffen und nicht genau an irgend einem derfelben fei. Ein weis 


410 Das Leben Abraham Lincolns. 





terer Trug befteht darin, daß diefer Sab Bemweife zuläßt, die 
ein wahrer Sat nicht zuließe. Hätte der Präfivdent einen wahren 
Sat aufftellen wollen, fo würde derfelbe ungefähr folgendermaßen 
lauten: „Sch fage, daß der Boden, auf dem das erfte Blut ver- 
goffen wurde, uns gehörte; jedoch giebt es Leute, die das 
leugnen.‘ 

„Ich fahre nun fort, die Beweife des Präfidenten zu beleuch- 
ten. Analyfiren wir diefelben, fo reduziren fie fich auf folgende 
Propofitionen : 

„J. Der Riv Grande war die Weftgrenze von Louifiana, als 
wir daffelbe im Jahr 1803 von Frankreich fauften. 

„2. Die Republif Teras beanfpructe ftets den Rio Grande 
als ihre Weſtgrenze. 

„3. Sie hat denfelben in verfihiedenen Akten auf dem Pa- 
pier beanfprucht. 

„4. Santa Ana erfannte in feinem Vertrag mit Teras den 
Rio Orande als die Grenze diefes Staates an. 

„Hñ. Bor der Anneration hat Teras, und nach derfelben 
haben die Bereinigten Staaten Jurisdietion jenfeits des 
Nueces und zwifchen den beiden Flüffen ausgeübt. 

„6. Unfer Congreß glaubte, daß fich die Grenze von Teras 
über den Nueces hinüber erftrede. 

„Diefe Punkte will ich nun der Reihe nach durchgehen. 

„Das erfte Item des Präfidenten ift, daß ver Rio Grande die 
Weftgrenze von Louifiana war, als wir daffelbe im Jahr 1803 von 
Sranfreich Fauften. Er feheint jedoch erwartet zu haben, daß diefer 
Punkt beftritten würde und fohreibt eine ganze Seite voll, um zu 
bemweifen, daß derfelbe wahr ſei; am Ende angelangt, belehrt er 
ung, daß wir durch den Vertrag von 1819 das ganze Land vom 
Rio Grande oſtwärts bis zum Sabine-Fluß an Spanien verkauften. 
Zugeftanden nun, daß der Rio Grande die Grenze von Louiſiana 
war, was um’s Himmels willen hat das mit der jetzigen Grenze 
zwifchen ung und Meriko zu thun? Wie die Linie, die dereinft 
Ihr Land, Herr Borfiser, von dem meinigen trennte, fortfahren 
Tann, die Grenze zwifchen uns zu fein, nachdem ich Ihnen mein 
Land verkauft habe, das überfteigt alle meine Begriffe. Ebenfo un- 


Anhang. 411 


begreiflich ift es mir, wie ein Mann mit der ehrlichen Abficht, nichts 
Anderes als die Wahrheit zu beweifen, auch nur daran denken 
konnte, zum Beweife eines Sabes eine folche Thatfache anzuführen, 
Die Berhöhnung der einfachen Gerechtigkeit, indem er als 
unfer Eigenthum in Befchlag nimmt, was wir einft verkauft haben, 
bloß darum, weil es unfer war, ehe wir es verkauften, wird nur 
durch die Berhöhnung des gefunden Menfhenverftandes 
übertroffen, indem er einen Verſuch macht, fein Gebahren zu vecht- 
fertigen, 

„Der nächte Beweis des Präfiventen ift, daß „pie Republif 
Teras diefen Fluß (den Riv Grande) ftets als ihre Weftgrenze 
beanfpruct habe” Dies ift eine Unmwahrheit, Texas hat 
den Fluß als Grenze beanfprucht, aber nicht immer, Es ift we- 
nigftens eine, und zwar bedeutende Ausnahme vorhanden. Geine 
Staats-Conftitution—die feierliche, reiflich erwogene Alte des Vol— 
fes, die ohne Anftand fein letzter Wille und Teftament, wodurch alle 
früheren aufgehoben wurden, genannt werden darf— macht feinen 
folhen Anſpruch. Doc, felbft zugegeben, Texas hätte den Fluß 
ftet3 beanfpruchtz beanfpruchte Mexiko nicht ftets das Gegen- 
theil? Somit hätten wir denn Anfpruc gegen Anfprud, 
und ung verbleibt Tein Beweis, big wir ung an die Prüfung der 
Anfprüche machen und ausfinden, welcher Anfpruch am beften be- 
gründet ift, 

„Obſchon es von der Drdnung abweicht, in der ung der Präfi- 
dent feine Beweife vorführt, fohreite ich jet zur Beleuchtung jener 
Klaffe feiner Angaben, die in der That weiter nichts enthält, als 
daß Teras durch verfchiedene Alten feiner Convention und feines 
Eongreffes den Rio Örande auf dem Papier als feine 
Grenze beanfpruchte. Sch verftehe hiermit das, was feiner Be- 
hauptung nad in der alten Conftitution von Teras (nicht der 
Staats-Conftitution) über die Beftimmung des Rio Grande zur 
Grenze, über die Bildung von Congref-Diftriften, Counties ꝛc. 
gefagt ift. Alles dies ift indeffen nichts als ein nadter Anfpruch, 
und was ich bereits über Anfprüche im Allgemeinen gefagt habe, 
ift genau auf diefen anwendbar, Wenn ich mit bloßen Worten 
Ihr Land beanfpruche, jo wird eg ficherlich Dadurch nicht mein 





412 Das Leben Abraham Lincolns. 





Eigenthum; beanfpruche ich es durch eine Urkunde, die ich felbft 
ausjtellte und mit der Sie nichts zu thun hatten, fo wäre der 
Anspruch feinem Wefen — oder vielmehr feiner gänzlichen Un— 
wefenheit — nad) genau derſelbe. 

„Sch komme jest zunächft auf die Angabe des Präfidenten, daß 
Santa Ana in feinem Vertrag mit Texas den Rio Grande 
als vie Weftgrenze von Teras anerkannt habe. Außer der fo oft 
angeführten Ermwiederung, Daß Santa Ana, während er ein 
Kriegsgefangener war, Mexiko nicht durch einen Vertrag binden 
fonnte, was ich für felbftverftändlich Halte; — außer diefer Er— 
wiederung wünfche ich noch Etwas über diefen fogenannten Ber- 
trag mit Santa Ana zu fagen. Will ſich irgend Jemand dur) 
einen Anblid dieſes Fleinen Dinges, dem der Präfident einen 
fo großen Namen giebt, amüfiren, fo ſchlage er Niles’ Regifter, 
Band 50, Seite 386 auf, Und follte irgend Jemand einwenden, 
Niles’ Regifter fei ein curiofes Repofitorium für ein fo mächtiges 
Dofument, wie ein feierlicher Bertrag zwiſchen Nationen ift, fo 
kann ich hierauf entgegnen, daß ich durch Nachfragen im Staats— 
Departement mit ziemlicher Beftimmtheit erfuhr, daß es der Präfi- 
dent felbft nie anderswo ſah. Beiläufig gefagt, ich glaube nicht 
im Irrthum zu fein, wenn ich erfläre, daß dieſes Dofument wäh- 
rend der erften zehn Jahre feiner Eriftenz von feinem Menfchen 
ein Bertrag genannt wurde; Daß es nie fo genannt wurde, bis 
der Präfivent in feiner außerften Noth e3 fo nannte, um dadurch 
etwas zur Rechtfertigung feiner felbft Hinfichtlich des merifanifchen 
Krieges an die Hand zu befommen. Das Dofument hat feinen 
der hervorragenden Züge eines Vertrages. Es nennt fich nicht 
einmal felbft einen Vertrag. Santa Ana maßt fi darin nicht 
an, Mexiko eine Berpflihtung aufzuerlegen; er handelt darin 
nur als Präfivent und Oberbefehlshaber der merifanifchen Armee 
und Flotte; ftipulirt, daß die: beftehenden Feindfeligfeiten auf- 
hören follen und daß er nicht felbft die Waffen ergreifen, noch 
das merifanifche Volk beeinfluffen wolle, die Waffen zu er- 
greifen, nämlich gegen Texas, während des beftehenvden Unab— 
hängigfeitskrieges. Er erfannte die Unabhängigkeit von Teras 
nicht anz er maßte fich nicht an, dem Krieg ein Ende zu fegen, 


Anhang. 413 





fondern deutete im Gegentheil Far an, daß er die Fortdauer def- 
felben erwarte. Er fagte fein Wort über die Grenze und dachte 
höchſt wahrfcheinlich nie daran, Es wurde in dem Dokumente 
ftipulirt, daß die merifanifchen Truppen das Gebiet von Teras 
räumen und auf die andere Seite des Rio Grande 
hinübergehen follten. In einem andern Artifel wurde 
ftipulirt, daß, um Collifionen zwifchen den Armeen vorzubeugen, 
die teranifche Armee nicht näher als fünf Meilen heranfommen 
folle; wohin wird nicht gefagt, es geht jedoch aus dem Zuſam— 
menhang hervor, daß fie nicht näher als fünf Meilen zum Rio 
Grande herankommen folle. Wenn dies nun ein Vertrag ift, der 
den Rio Grande als die Grenze von Teras anerkennt, fo enthält 
er die curiofe Stipulation, daß ſich Texas fünf Meilen von fei- 
ner eigenen Grenze entfernt halten-folle, 

„Zunächſt bemweift der Präfivent, daß Teras vor der Annera- 
tion und die Bereinigten Staaten nach derfelben Jurisdiktion 
jenfeit des Nueces und zwifchen den beiden Flüffen ausge- 
übt hätten. Diefe wirklihde Ausübung der Juriediktion ift 
gerade die Art von Beweis, die wir wünſchen. Gie tft vortreif- 
lich, fo weit fie reicht; allein reicht jie weit genug? Er fagt uns, 
fie habe bis jenfeit des Nueces gereicht; allein er fagt ung 
nicht, daß fie bis zum Rio Grande reichte, Er fagt ung, die Ju— 
risdiktion fei zwifchen den beiden Flüſſen ausgeübt worden; 
allein er fagt uns nicht, ob diefelbe über das ganze Gebiet zwi- 
fchen denfelben ausgeübt worden fei. Einige fimple Leute halten 
es für möglich, daß man einen Fluß kreuzen und vom jenfeitigen 
Ufer eine Strede weiter gehen könne, ohne den ganzen Weg bis 
zum nächften Strome zurüdzulegen; daß Jurisdiktion zwiſchen 
zwei Slüffen ausgeübt werden könne, ohne daß diefelbe fich über 
das ganze Gebiet zwifchen denfelben erftrede. ch kenne einen 
Mann, — er fieht mir fehr ähnlich, — der über ein Stüd Land 
zwifchen dem Wabafh und dem Miffiffippi Jurisdiktion ausübt; 
diefelbe erftreckt fich jedoch Feineswegs über das ganze Gebiet 
zwifchen den beiden Flüffen, fondern über nicht mehr und nicht 
weniger ala 152 Fuß Länge und 50 Fuß Breite, und fein Theil 
davon liegt dem einen oder dem andern Fluſſe viel näher als ein» 


414 Das Leben Abraham Lincolns. 





hundert Meilen. Er hat einen Nachbar zwifchen fih und dem 
Miſſiſſippi — das heißt, quer über der Straße an der Weftfeite — 
den er, wie ich verfichert bin, weder überreden noch zwingen 
könnte, feine Behaufung aufzugeben; dennoch aber könnte er letz— 
tere mit leichter Mühe anneriren, wenn er fich auf feine eigene 
Seite der Straße ftellte und fie beanfpruchte, oder fich hinſetzte 
und eine Urfunde darüber fchriebe, 

„Doch weiter, der Präfivent fagt ung, der Congreß der Ber- 
einigten Staaten habe bei der Aufnahme des Staates Teras in 
die Union die Sache fo verftanden, daß jener Staat fich bis 
jenfeit des Nueces erftrede. Mag fein — ich felbit verfiehe es jo — 
allein wie weit jenfeits? Daß der Congreß die Sade nicht 
fo verftand, daß er fich bis zum Rio Grande erftredfe, geht Deutlich 
daraus hervor, Daß bei- den gemeinfamen Beſchlüſſen über die 
Bulafjung des Staates alle Fragen hinfichtlich der Grenzen einer 
fünftigen Abfindung überlaffen wurben. Texas aber hat bewie— 
fen, daß e8 hierüber dafjelbe Verſtändniß hatte, wie der Kongreß, 
indem es feine neue Conftitution jenen Befchlüffen anpaßte, 

„Ich babe jest ſämmtliche Beweiſe des Präfiventen durchge— 
gangen, Es ift nun ein fonderbarer Umftand, dag—follte irgend 
Jemand erklären, der Präfivent habe eine Armee mitten in eine 
Anfievlung merifanifcher Bürger gefandt, die ſich nie durch Ein- 
willigung oder gezwungen der Autorität des Staates Teras oder 
der Dereinigten Staaten unterworfen haben, und daß dort und 
dadurch das erfte Blut in diefem Kriege vergoffen worden ſei— 
fein Wort im ganzen Argumente des Präfidenten zu finden ift, 
wodurch eine foldhe Erklärung zugegeben over geleugnet werden 
fönnte, In diefer merkwürdigen Auslafjung eben befteht der 
Trug der Beweiſe des Präfidenten — eine Auslaffung, die, wie 
mir fcheint, nur abfichtlich fattgefunden haben fann, Mein Be- 
ruf bringt mich häufig in die Nähe der Gerechtigfeitstribunale, 
und in diefen bemerkte ich dann und wann, wie ein gefchidter Ad— 
vofat in einem verzweifelten Falle den Hals feines Clienten zu 
retten fuchte, indem er alle möglichen Kniffe anwendete und mit 
taufenderlei Phrafen und Wendungen um einen vom Ankläger 
aufgedrängten Punkt herumging, den er nicht zugeben durfte 


Anhang. | 415 





und ebenfo wenig leugnen fonnte. Es mag fein, daß die Par— 
teineigung mir die Sache in dieſem Lichte erfcheinen läßt; den— 
noch und troß alledem aber fcheint es mir, Daß ganz derart und 
ganz aus derartiger Nothwendigfeit der Präfivent fich in dieſem 
Valle rümmt und windet. 

„Einige Zeit, nachdem mein College, Herr Richardfon, Die bereits 
erwähnten Befchlüffe eingebracht hatte, Iegte ich eine Präambel, 
einen Beſchluß und einige Fragen vor, mit ver Abficht, den Präfi- 
denten wo möglich auf diefen bis jebt noch unbetretenen Grund 
beraugzufordern. Um die Relevanz derfelben zu zeigen, will ich 
bier in Kürze mein Berftändniß der wahren Norm zur Beftim- 
mung ber Grenzen zwifchen Teras und Meriko angeben. Es ift 
dies: Das ganze Gebiet, über das Teras Jurisdiction augübt, 
ift fein; das ganze Gebiet, über welches Merifo Jurisdiction aus- 
übt, gehört dieſem: was nun aber die faktifche Ausübung der Ju— 
risdiction des einen von der des andern Theiles trennt, das ift die 
wahre Grenze zwifchen beiden, Wenn nun, was nicht unwahr- 
fcheinlich ift, Teras an dem meitlichen Ufer des Nueces entlang 
Jurisdiction ausübte, und Mexiko an dem öftlichen Ufer des Rio 
Grande entlang, dann bildete feiner der beiden Flüffe die Orenze, 
fondern das unbewohnte Land, welches zwifchen beiden liegt, bildete 
diefelbe. Die Ausdehnung unferes Gebietes in jener Region bing 
von feiner vertragsmäßigen Grenze ab (denn es hatte fein 
Bertrag ftattgefunden), fondern von der Revolution, Ein jedes 
Bolf, wo es nur fein mag, hat das Recht, fo es anders den Willen 
und die Macht hat, fich zu erheben, das och der beftehenden Re— 
gierung abzumwerfen und fich eine neue Regierung zu bilden, die ihm 
beffer convenirt. *) Dies ift ein werthvolles, ein heiliges Recht — 
ein Recht, welches, wie wir hoffen und glauben, dereinft die Welt 
befreien wird. Auch befchränft fich daſſelbe nicht auf Fälle, in de— 





*) Diefer Sat wurde häufig yon den (fühlichen und nördlichen) Gegnern Herrn 
Lincoln's während feiner Adminiftration angewandt, gleichlam um ihn mit feinen 
eigenen Waffen zu bekämpfen. Wohlmweislich aber unterließen diefelben, auch bie 
nachfolgende Stelle anzuführen, wo yon den Rechten einer Majorität der Mi» 


norität gegenüber die Rede iſt. 
Anmerkung des Ueberſetzers. 


416 Das Leben Abraham Lincolns. 





nen das ganze Volf einer beftehenden Regierung es zur Ausfüh- 
rung bringen will, Irgend ein Theil eines folchen Volkes darf 
Revolution machen, wenn es fann, und fich den Theil feines Ge— 
bietes zu eigen machen, den es bewohnt, Sa, noch mehr, eine 
Majvrität eines folhen Theiles eines Volkes darf revolutioniren 
und die Minorität, die bei oder nahe ihr wohnt, zum Gehorfam 
zwingen, wenn fich diefelbe ihren Bewegungen widerſetzt. Gerade 
eine ſolche Minorität bildeten die Tories unferer eigenen Revolu— 
tion. Es liegt in dem Wefen der Revolutionen, nicht nach alten 
Vorſchriften oder nach alten Geſetzen zu gehen, fondern beide über 
Bord zu werfen und neue zu machen, Was num das fragliche Land 
anbetrifft, fo kauften wir es im Jahr 1803 von Frankreich, wie der 
Präfident fagte, und verkauften es im Jahr 1819 an Spanien, 
Später revolutionirte das ganze Meriko, Teras eingefchloffen, gegen 
Spanien, und noch, fpäter revolutionirte Teras gegen Mexiko. So 
weit Teras nun die Revolution vorfchob und fich den faktiſchen 
willigen oder unwilligen Gehorfam des Volkes verfchaffte, fo weit 
und nicht weiter gehörte meiner Anficht nach das Land diefem 
Staate. 

„Jetzt aber, um den beſten Beweis zu erhalten, daß Texas wirk— 
lich die Revolution bis an den Ort vorgefchoben hat, wo die Feind- 
feligfeiten des gegenwärtigen Krieges begannen, laßt den Präfi- 
denten die obenerwähnten von mir vorgefchlagenen Fragen oder 
andere ähnliche beantworten. Laßt ihn vollftändig, offen und aufs 
richtig antworten, Laßt ihn mit Thatfachen und nicht mit Argus 
menten antworten, Laßt ihn eingedenk fein, daß er fist, wo Wafh- 
ington faß, und deffen eingedenf laßt ihn antworten, wie Wafhington 
antworten würde, Eine Nation follte nicht, und der Allmäch— 
tige will nicht mit Ausflüchten abgefpeift werden; deshalb laßt ihn 
ohne Ausflüchte und Umgebungen antworten. Und wenn er in 
feiner Antwort beweifen kann, daß der Boden unfer war, wo Das 
erfte Blut floß —daß es nicht innerhalb eines bemohntes Landes 
war, oder wenn fo, daß die Einwohner fich der Eivil-Autorität von 
Texas oder der Vereinigten Staaten unterworfen hatten—und daß 
bafjelbe von der Lage des Fort Brown gilt— dann werde ich feine 
Rechtfertigung unterſtützen. Mit größtem Vergnügen werde ich in 


Anhang. 417 





biefem Fall die Stimme, die ich neulich gab, ändern. Ein egoiftifches 
Motiv läßt mich wünfchen, daß der Präfivent Dies thue; ich habe 
in Bezug auf diefen Krieg noch einige Stimmen abzugeben, über 
deren Statthaftigfeit ich Zweifel hege, wenn er fich weigert, bei 
denen aber jeder Zweifel hinwegfällt, wenn er es thut, Wenn er 
dieg aber niht thun fann, oder nit thun will— wenn 
er fih unter irgend einem Borwand, oder auch gar feinem Vorwand 
weigert und es unterläßt — dann werde ich vollfommen von dem 
überzeugt fein, was ich jetzt fchon mehr ala vermuthe, daß er fich 
nämlich feines Unrechtes tief bewußt iſt; daß er fühlt, wie das 
Blut diefes Krieges gleich dem Blute Abel’3 gegen ihn zum Himmel 
fhreit; daß er abfichtlich, um einen Krieg herbeizuführen, General 
Zaylor mitten in eine friedliche merifanifche Anfievlung beorderte; 
Daß er urfprünglich ein ftarfes Motiv hatte, die beiden Länder in 
einen Krieg zu verwideln, und daß er dem Tadel zu entgehen hoffte, 
indem er den Blid des Volkes auf den blendenden Glanz des krie— 
gerifchen Ruhmes richtete—auf jenen reizenden Regenbogen, der in 
Strömen Blutes aufgeht—auf jenes Schlangenauge, das da be— 
zaubert, um zu vernichten— dag er fich in den Krieg ftürzte und 
tiefer und tiefer tauchte, bis er jet, in feinen Hoffnungen auf 
einen leichten Sieg über Mexiko getäufcht, felbft nicht mehr weiß 
wo er ift. Wie doch der ganze Kriegstheil feiner legten Jahres- 
botfchaft dem halbwahnſinnigen Gemurmel eines Fieberfranfen fo 
ähnlich it! An einer Stelle fagt er uns, daß wir in Mexiko Nichts 
gewinnen fünnen als vielleicht Gebiet; an einer andern zeigt er 
ung, daß wir den Krieg erhalten können, wenn wir den Merifanern 
Eontributionen auferlegen. An einer Stelle nennt er ung die Ehre 
der Nation, die Fünftige Sicherheit, die Verhütung auswärtiger 
Einmifhung und fogar das Wohl Meriko’s felbft als die Zwede 
des Krieges; an einer andern fagt er ung: „Das Ausfchlagen einer 
Entſchädigung, indem wir uns weigern, eine Gebietsabtretung an— 
zunehmen, hieße alle unfere gerechten Forderungen aufgeben und 
den Krieg auf unfere eigenen Koften ohne beflimmten Plan 
und Zwed führen!" So alfo, die Nationalehre, die Fünftige 
Sicherheit und alle andern Dinge, mit Ausnahme der Gebiete- 


Arquifition, gehören zu den unbeſtimmten Zweden und 
27 


418 Das Leben Abraham Lincolns. 





Plänen des Krieges! Nachdem nun aber feftgeftellt if, daß die 
Gebietö-Arquifition der einzige Zwed und Plan ift, werden wir 
durch Legislation hier angetrieben, Alles zu ergreifen, womit er fich 
vor wenigen Monaten noch begnügen wollte und obendrein noch) 
die ganze Provinz Unter-Galifornien, und überdies den Krieg fort- 
zufeßens;—wir werben genöthigt, Alles zu nehmen, wofür wir 
fechten, und den Kampf fortzufeben. Der Präſident ift ent- 
fchloffen, unter allen Umftänden für die Unfoften des Krieges Ent- 
fhädigung an Gebiet zu haben; allein er vergißt, ung zu fagen, 
wie wir den Ueberſchuß der Unkoften herausfchlagen follen, nach— 
dem diefelben den Werth des ganzen merikanifchen Gebietes über- 
fliegen haben werden, Er befteht darauf, dag die National-Eriftenz 
der Republif Mexiko aufrecht erhalten werden folle; allein er fagt 
uns nicht, wie dies gefchehen fol, wenn wir ihr ganzes Ge— 
biet genommen haben, Damit die Frage, die ich hier berührte, 
nicht als eine rein jpefulative betrachtet werde, fei es mir vergönnt, 
noch einen Augenblick länger bei derfelben zu verweilen und zu be— 
weifen, Daß dies nicht der Fall ift, 

„Der Krieg hat nun bereits über zwanzig Monate gedauert, 
Für die Koften vefjelben, ſowie für eine unbedeutende alte Schuld 
verlangt der Präfident jebt die eine Hälfte des merifanifchen Ge- 
bietes, und zwar bei Weitem die beffere Hälfte, infofern wir im 
Stande find, Nuten daraus zu ziehen, Sie ift verhältnigmäßig 
unbewohnt, fo daß wir Ländereien verkaufen und auf diefe Art Geld 
erzielen könnten, Die andere Hälfte aber ift im Verhältniß zu der 
Natur des Landes ziemlich Dicht bewohnt, und alle werthvollen Län— 
dereien find bereits das Eigenthum von Privatperfonen, Wie denn 
können wir aus dieſer Hälfte des merifanifchen Gebietes mit folchen 
Hinderniffen Nuben ziehen, oder wie follen wir dieſe Hinderniffe 
aus dem Wege räumen? Es wird wohl Niemand fagen, daß wir 
die Leute tödten, oder vertreiben, oder Sklaven aus ihnen machen, 
oder ihr Eigenthum confiseiren follen. Welchen Nuten daher 
können wir aus diefem Theile des Gebietes ziehen? Wenn die 
Unfoften des Krieges ſchon jetzt dem Werth des beffern Theils 
des Landes gleichfommen, fo ift die Frage, wie lange die Fortfeßung 
des Krieges dem Werthe der minder yortheilhaften Hälfte gleich- 


Anhang. 49 





kommen wird, keineswegs eine fpefulative, fondern eine praf- 
tifche Frage, die fih ung mehr und mehr aufdrängt. Der Präfl- 
dent freilich fcheint diefelbe nie bedacht zu haben. ! 

„Meber die Art und Weife, den Krieg zu beendigen und den Frie- 
den herbeizuführen ift der Präfivdent nicht minder unklar und ver- 
worren, Erfteng, fagt er ung, foll es durch eine Fräftigere Betreibung 
des Krieges im Herzen des feindlichen Landes gefchehen, und nach— 
dem er fich über diefen Punkt müde geſchwatzt, ffimmt er einen halb 
verzweifelten Ton an und fagt: „Bei einem Volke, das durch feind- 
felige Factionen unter fich felbft zerfpalten und uneinig ift, und bei 
einer Regierung, die fo häufigen Wechfeln unterliegt mögen 
wir felbft mit entfhiedenem Waffenerfolge nit 
im Stande fein, einen fihbern und dauerhaften 
Grieden zu erlangen.” Dann fucht er das merifanifche Volk 
zu beſchwatzen, feine eigenen Führer im Stich zu laffen, ſich unſerem 
Schuße anzuyertrauen und eine neue Regierung zu errichten, von 
der wir einen vortheilhaften Frieden erhalten könnten, und fagt 
ung: „Dies mag am Ende die einzige Art und Weiſe 
fein, einen foldben Frieden zu erhalten.“ Bald 
aber zweifelt er auch hieran und fällt dann auf den halbaufge- 
gebenen Grund einer „Fräftigen Betreibung des Krieges’ zurüd, 
Alles Diefes zeigt, daß der Präfident ganz und gar nicht mit feinen 
eigenen Pofitionen zufrieden iſt. Erftens hält er ung eine derfelben 
sor, und indem er uns in diefelbe hinein zu argumentiren fucht, 
argumentirt er fich felbit Heraus; dann ergreift er eine andere 
und macht vdenfelben Prozeß mit ihr durch; verworren und ver— 
zweifelt endlich, da er an nichts Neues denken kann, faßt er die 
alte Idee wieder auf, Die er bereits verworfen hatte, Leber Ver— 
mögen angeftrengt läuft fein Geift hin und her, gleich einer gemar- 
terten Creatur auf brennendem Grunde, und findet feinen Drt, mo 
er fich niederlaffen und ruhen fann, 

„Es ift auffallend, daß der Präfivent an feiner Stelle feiner Bot- 
fhaft andeutet, wann er das Ende des Krieges erwartet, Zu An- 
fang deſſelben fiel General Scott bei demfelben Präfiventen in Un— 
gunft oder gar Ungnade, weil er feine Anficht dahin Außerte, daß 
fich der Friede ſchwerlich vor drei bis vier Monaten erfämpfen ließe, 


420 Das Leben Abraham Lincolns. 





Sept aber, nach Verlauf von zwanzig Monaten, nachdem wir die 
glänzendften Siege errungen, nachdem jedes Departement zu Waſſer 
und zu Land, Offiziere und Gemeine, Reguläre und VBoluntäre, 
Alles gethan hatten, was Menfchen zu thun vermögen, und über- 
dies noch Hundert Dinge, die man bisher für unmöglich hielt —nach 
alledem giebt uns diefer felbige Präfivent eine lange Botfchaft, ohne 
darin anzudeuten, daß er auch nur die entferntefte Idee über das 
Ende des Krieges habe. Wie ich zuvor bemerkte, er weiß nicht wo 
er iſt. Er ift ein vermorrener, mit fchredlicher Blindheit gefchla- 
gener Mann. Gebe Gott, daß er im Stande fein möge zu be— 
mweifen, daß er nichts Schlimmeres auf dem Gewiſſen habe als diefe 
geiftige Verwirrung !" 


Nede über innere Verbefjerungen. 
(Gehalte vor einer Committee des ganzen Haufes am 20. Juni 1848.) 


Herr Lincoln fagte : 


„Herr Vorſitzer:—Es ift jederzeit mein Streben, das Haus 
oder die Committee auf Teinerlei. Weife zu täuſchen; desgleichen 
fuche ich ftets Alles zu vermeiden, was den einzelnen Mitgliedern 
unangenehm fein könnte. ch erkläre deshalb im Voraus, daß ich 
mich erhebe, um eine Rede über den allgemeinen Gegenftand inne— 
rer Verbefferungen zu halten; follte dies nun außer der Ordnung 
fein, fo möge der Vorſitzer entfcheiden, worauf ich Dann meinen Sitz 
wieder einnehmen werde,‘ 

Der Borfiger. —, Ich weiß nicht, was der Herr über den Gegen- 
ftand zu fagen hat. Er möge daher mit feinen Bemerkungen fort- 
fahren; follte irgend eine Frage über die Ordnung erhoben werben, 
fo behalte ich mir Die Entfcheidung vor.“ 

Herr Lincoln, —,,Kurz nad dem Beginn diefer Sigung fandte 
uns der Präfivent eine Beto-Botfhaft in Bezug auf innere Ver- 
befjerungen. Die demofratifhe Convention, die vor Kurzem in 
Baltimore tagte und General Caß für die Präfidentfchaft nomi- 
nirte, adoptirte eine Reihe von Befchlüffen, die demofratifche Platt- 
form genannt, yon denen einer folgendermaßen lautet: 


Anhang. 421 





„Beſchloſſen, daß dieſe Convention der Generalregierung die 
Befugniß nicht zugeſteht, ein allgemeines Syſtem innerer Ver— 
beſſerungen anzufangen und durchzuführen.“ 

„General Caß bedient ſich in ſeinem Annahmebrief folgender 
Worte: af 

„Ich habe die Befchlüffe der demofratifchen National-Conven- 
tion, worin die Plattform unfereg politifchen Glaubens ausge- 
fprochen ift, forgfältig erwogen. ch billige diefelben von Herzen 
und werde fie ftandhaft vertreten.” 

„Diefe Dinge beweifen in ihrem Zufammenhang, daß die Frage 
über innere Verbefferungen jetzt deutlicher und intenfiver geworden 
ift als fie je zuvor war. Sie fann nicht länger ignorirt werden. 
Die Veto-Botfchaft und die Baltimore Befchlüffe belaufen fich mei- 
nes Dafürhaltens im Wefentlichen auf ein und dafjelbe Ding; 
leßtere bilden die allgemeine Angabe, während erftere eine Ermei- 
terung derfelben—ein Detailregifter (bill of particulars) verfelben 
iſt. Wohl weiß ich, daß es hier und anderwärts viele Demokraten 
giebt, die jene Botfchaft mißbilligen; Alle indeffen, die für General 
Caß flimmen werden, müffen in Zukunft betrachtet werden, als 
hätten fie diefelbe gebilligt und alle ihre Doktrinen indoffirt. Sch 
vermuthe, daß die meiften, wenn nicht alle Demokraten für ihn 
ftimmen werden. Viele von ihnen werden es thun, nicht weil ihnen 
feine Haltung in diefer Frage gefällt, fondern weil fie ihn, obſchon 
er in diefem Punkte Unrecht hat, einem Andern vorziehen, der ihrer 
Anfiht nach in andern Punkten noch weit mehr Unrecht haben 
würde. Auf diefe Weife werden die Demokraten, Die zu Gunften 
innerer Verbefferungen find, durch eine gleichfam erzwungene Ein- 
willigung in das Lager der Gegner diefer Politit getrieben und 
machen ihrer eigenen Ueberzeugung zuwider Oppofition gegen die— 
felbe. Sollte General Caß erwählt werden, fo wird er fich wohl 
fchwerlich die Mühe geben, ein conftitutionelles oder irgend ein an— 
deres Argument anzuführen, wenn es ihm convenirt, eine Fluß— 
oder Hafenbill mit feinem Veto zu belegen. Er wird fich damit be— 
gnügen, jedes Gemurmel von demokratifcher Seite dadurch zum 
Schweigen zu bringen, daß er auf Herren Polk's Botſchaft und die 
„demokratiſche Plattform“ verweift, Unter ſolchen Umftänden nä— 


492 Das Leben Abraham Lincolns. 





hert fich Die Frage über innere Berbefferungen allmälig der Krifis, 
und die Freunde dieſer Politif müffen daher jest männlich kämpfen 
oder Alles aufgeben. Angefichts diefer Sachlage wünfche ich mit 
meinen befcheidenen Kräften die allgemeinen Poſitionen diefer Veto— 
Botfchaft zu beleuchten und zu befämpfen. Wenn ir von allge- 
meinen Pofitionen rede, fo will ich damit fo viel augjchließen, 
als fih auf den gegenwärtigen verworrenen Zuftand des Schab- 
amtes in Folge des merifanifchen Krieges bezieht. 

„Jene allgemeinen Pofitionen find: Daß innere Berbefferungen 
nicht von der Generalregierung vorgenommen werden follten, 

„I. Weil fie das Schatzamt ruiniren würden. 

„2. Beil die Vortheile dverfelben Iofal und partiell 
wären, während die Bürden allgemein fein würden, wo— 
durch eine unheilvolle Ungleichheit entjtünde. 

„3. Weil fie unconftitutionell fein würden. 

„4. Weil die Staaten durch Auferlegung und Eintreibung der 
„Zonnenzölle” (tonnage duties) hinreichende Mittel zu dieſem 
Zwecke erhielten; oder wenn nicht, 

„5. Weil dann die Conftitution amendirt werden Fünnte. 

„Thue gar Nichts, damit du nichts Unrechtes 
thueft,” Dies ift die Summa diefer Pofitionen—dies ift die 
Summa diefer Botfchaftz und dies, mit Ausnahme deſſen mas 
über die Conftitutionalität der Maßregel gefagt ift, bezieht jich 
ebenfowohl auf die Ausführung der innern Verbefferung, auf die 
Autorität der Staatenregierungen, wie auf die National-Autorität 
hin. Somit müffen wir denn die Verbefferungen des Landes, fei 
es auf welche Autorität hin es wolle, entweder ganz und gar unter- 
laffen, oder wir müfjen die Doktrinen diefer Botfchaft allen Ernftes 
befämpfen und diefelben repudiiren. Verſuchen wir dag Letztere. 

„Die erfte Pofition lautet, daß ein Syſtem innerer Berbefferungen 
das Schatamt ruiniren würde. 

„Daß einem ſolchen Syftem eine Tendenz zu ungebührender 
Ausdehnung innewohnt, ift nicht zu leugnen. Eine folche Tendenz 
ift in der Natur der Sache begründet. Ein Congreßmitglied wird 
feine Stimme lieber für eine Gelvverwilligung für feinen Diftrikt 
abgeben, als für eine Appropriation zu Gunften eines andern Di- 


Anhang. 428 


ſtrikts; und wenn eine Bill ausgedehnt wird, bis jeder Diſtrikt 
verſorgt iſt, ſo nimmt die Ausdehnung gewiß einen allzu großen 
Umfang an, Iſt dies aber im Congreß mehr als in einer Staats- 
legislatur der Fall? Wenn ein Eongreßmitglied eine Appropria= 
tion für feinen Diftrikt haben muß, fo muß ein Legislaturmitglied 
eine für fein County haben; und wenn die eine die Nationalfchas- 
fammer ruinirt, fo ruinirt die andere die Staatsfchagfammer. Ge- 
ben wir wohin wir wollen, die Schtwierigfeit bleibt diefelbe, Laffen 
wir ung durch Diefelbe aus den Hallen des Congreſſes vertreiben, fo 
vertreibt fie ung ebenso leicht aus den Hallen der Staatslegislatur. 
Kämpfen wir jedoch mit diefer Schwierigkeit und erproben wir ihre 
Stärke, Laßt ung, von der Vergangenheit auf die Zukunft fchlie- 
Bend, ermitteln, ob dem Congreß nicht hinlängliche Macht zufteht, 
diefe Tendenz zur Ausdehnung in die geeigneten und gerechten 
Schranfen zu verweifen. Der Präfivent felbit legt großes Gewicht 
auf die Beweiſe der Vergangenheit, Er fagt ung, daß zu einer ge- 
wiffen Periode unferer Gefchichte mehr als zweihundert Millionen 
Dollars gefordert worden wären, um damit innere Verbefferun- 
gen vorzunehmen; und er thut Dies um zu beweifen, daß das Schab- 
amt durch ein ſolches Syftem ruinirt werden würde. Warum aber 
fagte er ung nicht, wie viel verwilligt wurde? Wäre das nicht 
ein befjerer Beweis geweſen? Laßt uns denn fehen, was es be— 
weißt, Der Präfident fagt in feiner Botſchaft: „Während der fol- 
genden vier Fahre, unter der Aodminiftration des Präfidenten 
Adams, wurde die Macht, nicht nur Geld zu vermilligen, fondern 
auch daffelbe unter der Direktion und Autorität der Generalregie- 
rung zum Straßenbau und zur Berbefferung der Häfen und Flüffe 
anzuwenden, vollftändig beanfprucht und ausgeübt.“ 

„Sp, dies denn war Die Periode der größten Enormität! Dies 
waren denn wohl Die Tage jener zweihundert Millionen, Und mie 
viel, glauben Sie, wurde während jener vier Jahre wirklich für in- 
nere Berbefferungen ausgegeben? Zweihundert Millionen? Ein- 
Hundert? Fünfzig? Zehn? Fünf Millionen? Nicht Doch, es 
waren weniger als zwei Millionen. Wie aus den authentifchen 
Dokumenten erhellt, beliefen fich die Ausgaben für innere Ver— 
befferungen während der Jahre 1825, 1826, 1827 und 1828 auf 





424 Das Leben Abraham Lincolns. 





$1,879,627.01. Sene vier Fahre begriffen faft die ganze Admini- 
ftration des Präfiventen Adams in fih. Aus diefer Thatſache er- 
giebt ich nun, daß wenn die Macht, öffentliche Verbefferungen vor— 
zunehmen, „vollftändig beanfprucht und ausgeübt” wurde, der Con— 
greß in der That fich in den geeigneten Schranfen hielt. Und was 
gefchehen ift, das kann wieder gefchehen, wie mich dünkt. 

„Betrachten wir nun die zweite Pofition der Botfchaft, nämlich, 
daß die Bürden der innern Berbefferungen allgemein, die 
Bortheile derfelben aber nur Lokal und partiell fein würden, 
wodurch eine unheilvolle Gleichheit entftünde, Daß diefer Pofi- 
tion einige Wahrheit zu Grunde Tiegt, will ich nicht in Abrede 
ftellen. Kein commerzieller Gegenftand der Negierungs-Patro- 
nage fann fo ausfchlieglih allgemein fein, Daß er nicht von 
gewiſſem Iofalen Rechte wäre, Die Marine wurde gegründet 
und wird mit großen alljährlichen Ausgaben unterhalten, theils 
um fich für den Krieg bereit zu halten, follte ein Krieg fommen, 
theils aber aud, und wohl hauptfächlich, zum Hip unferes 
Handels zur See. 

Diefer lebte Zweck ift, foweit ich e8 einzufehen vermag, dem 
Prinzipe nach derfelbe wie der der inneren Berbefferungen. Das 
Unſchädlichmachen eines Piraten auf offener See und das Aus— 
rotten eines hervorftehenden Baumſtammes (snag) im Miffiffippi 
fünnen dem Prinzipe nah wohl faum unterfchieden werden. 
Beides gefchieht, um Leben und Eigenthum zu retten, und zu fei- 
nem andern Zwede. Die Marine ift, was den Vortheil anbe- 
trifft, der allgemeinfte unter allen diefen Gegenftänden; dennoch 
aber ift viefelbe von einem befondern Bortheil für Charlefton, 
Baltimore, Philadelphia, New York und Boston, — einem Vor— 
theil, der den innern Städten von Illinois nicht zu Gute kommt. 
Der nächte allgemeine Gegenftand, der mir eben einfällt, befteht 
aus den Berbefferungen am Miffiffippiftrom und feinen Neben- 
flüffen. Diefelben berühren dreizehn unferer Staaten — Penn— 
ſylvanien, Virginien, Kentudy, Tenneffee, Miffiffippi, Louiſiana, 
Arkanſas, Miffouri, Illinois, Indiana, Ohio, Wiseonfin und 
Jowa. Niemand wird nun läugnen, daß Diefe dreizehn Staaten 
ein größeres Intereffe an den Verbeſſerungen an diefem großen 


Anhang. 425 





Strome haben, als die übrigen fiebzehn. Diefe beiden Fälle, die 
Marine und der Miffiffippi, zeigen Far und deutlich, daß felbft 
die allgemeinften Gegenftände irgend einen lokalen Bortheil 
haben, Allein auch das Gegentheil zeigt fih hier. Nichts ift fo 
lokal, daß es nicht einen allgemeinen Bortheil böte, Man 
nehme zum Beifpiel den Illinois und Michigan Canal, Bon 
feinen Birfungen abgefehen ift derfelbe vollfommen lokal. Jeder 
Zoll davon liegt innerhalb des Staates Illinois. Diefer Canal 
wurde erft letzten April dem Handel eröffnet. Nach wenigen 
Tagen hörten wir Alle, daß Zuder von New Drleans durch den 
Canal nah Buffalo im Staate New York gebracht worden fei. 
Diefer Zuder wurde wahrfcheinlich deshalb auf diefer Route ver- 
fandt, weil der Transport billiger zu ftehen fam, als auf der 
alten, Angenommen nun, daß Käufer und Verkäufer fich in den 
durch die Reduktion der Transportkoften erzielten Vortheil theil- 
ten, fo ift dag Refultat dies, dag der Kaufmann von New Or— 
leang feinen Zuder ein wenig the urer verfaufte, und daß die 
Leute von Buffalo fih ihren Kaffee ein wenig billiger ver- 
füßten als zuvor; ein Vortheil, der aus dem Canal entfpringt, 
allein nicht für Illinois, wo der Canal ift, fondern für Lonifiana 
und New York, wo der Canal nicht if, In andern Gefchäfts- 
operationen wird Illinois natürlich auch feinen Antheil und 
vielleicht felbft ven größten Antheil an den VBortheilen des Canals 
haben. Diefes Beifpiel vom Zuder indeffen beweift unmwiderleg- 
bar, daß die Bortheile einer Amelioration Feineswegs auf die 
befondere Lokalität derfelben befchränft find. 

Aus dem Gefagten läßt fich der logiſche Schluß deduciren, daß 
wenn eine Nation fich weigert, Amelivrationen der allgemeinen 
"Art vorzunehmen, weil diefelben von irgend einem Iofalen 
Bortheil fein könnten, ein Staat fih aus demfelben Grunde wei— 
gern darf, Ameliorationen lofaler Art vorzunehmen, da diefelben 
gewiſſe allgemeine Boriheile bieten könnten. Wohl darf ein 
Staat zur Nation fagen: „Wenn du Nichts für mich thun mwillft, 
fo will ich auch Nichts für dich thun.“ Es ergiebt fich fomit, daß 
wenn dieſes Argument der „Ungleichheit” irgendwo genügt, es 
überall genügen muß und damit den inneren Berbefferungen ins— 


426 Das Leben Abraham Lincolns. 





gefammt ein Ende macht. Ich hoffe und glaube, daß wenn Die 
Nation fowohl wie die Staaten jedes in feiner Sphäre ihr Mög— 
lichſtes Hinfichtlich der Verbefferungen thun wollten, jede Un— 
gleichheit an einem Orte durch irgend eine andere anderwärts 
ausgeglichen, und daß die Summe des Andern nicht fo gar un— 
gleich fein würde, Geſetzt aber, daß dennoch ein gemwiffer Grad 
der Ungleichheit verbliebe — natürlih würde Niemand diefelbe 
um ihrer felbft willen annehmen — follen wir jedes gute Ding 
verfchmähen, weil e8 ungertrennbar bis zu einem gemwiffen Grade 
mit derfelben verknüpft fein mag? In diefem Falle müßten wir 
die ganze Regierung verfchmähen. Diefes Capitol zum Beifpiel 
wurde auf öffentliche Koften und zum öffentlichen Nuben erbaut; 
zweifelt nun irgend Jemand daran, daß es für Die Grundeigen- 
thümer und die Gefchäftsleute von Wafhington einen befonderen 
Iofalen Bortheil habe? Sollen wir es aus diefem Grunde nie- 
derreißen? Und wenn fo, wo follen wir es wieder errichten und 
jener Schwierigfeit quitt fein? Um diefen Zwed zu erreichen, 
müßten wir es nirgend errichten und den Congreß „überall und 
allenthalben” feine Situngen halten laffen. Sch wünfche Feine 
befondere Anfpielung auf den gegenwärtigen Präfidenten zu 
machen, wenn ich fage, daß es in diefer Welt der „Bürden für 
Diele und Würden für Wenige” nicht viele ftärfere Fälle der 
„Ungleichheit“ giebt, als, wie Manche denfen, die Präſidentſchaft 
ſelbſt. Ein ehrlicher Arbeiter grabt Kohlen für etwa fiebzig Cents 
den Tag, dieweil der Präfivdent für etwa fiebzig Dollars den Tag 
Abftraktionen grabt. Kohlen find ficherlich mehr werth als 
Abftraftionen, und dennoch welch’ eine monftröfe Ungleich- 
heit in den Preifen! Wünfcht der Präfivent aus diefem Grunde 
die Präfidentfchaft abzufhaffen? Er wünfcht es nicht, und er 
follte es nicht wünfhen. Die wahre Regel, wenn es fich um 
die Annahme oder Verwerfung eines Dinges handelt, ift nicht zu 
fragen, ob e8 irgend ein Uebel im Gefolge habe, fondern ob 
das Uebel größer ſei, als der Vortheil. Es giebt wenige Dinge, 
die nichts als Hebel, und wenige, die nichts als Gutes im Gefolge 
haben. Faſt Alles, namentlich aber eine NRegierungspolitif, ift 
ein ungertrennliches Gemifch von Beiden, fo daß es beftändig un» 


Anhang. 427 


feres fcharfen Urtheils hinfichtlich der Präponderanz des Einen 
oder des Andern bedarf. Nach diefem Prinzip handeln der Prä- 
fivent, feine Freunde und die Welt im Allgemeinen in den meiften 
Dingen, Warum follten wir es daher nicht auch auf diefe Frage 
anwenden? Warum follten wir in Bezug auf Amelivrationen 
das Uebel vergrößern und ung hartnädig mweigern, das Gute 
derfelben zu erbliden ? 

„Weber die dritte Pofition der Botfchaft (Die conftitutionelle 
Frage) habe ich nicht viel zu fagen. Sch fenne meine Stellung 
und weiß, daß Fein Berfuch meinerfeits, ein Original-Argument 
über die Eonftitution vorzutragen, mit Gunft und Geduld ange- 
hört werden würde, Die fähigften und die beften Männer haben 
ſchon längft ihre Anficht über die Sache fund gethan. Sch bes 
gnüge mich daher mit einer Furzen Notiz über das, was Einige 
von ihnen fagten, In Bezug auf Herrn Jefferſon's Anfichten 
will ich eine Stelle aus Herrn Polk's Beto-Botfchaft vorlefen : 

„„Präſident Sefferfon empfahl in feiner Botfchaft an ven Con— 
greß im Jahre 1806 ein Amendment zur Eonftitution, hinfichtlich 
der Verwendung eines erwarteten Heberfchuffes in dem Schatzamt 
für die großen Zwecke der öffentlichen Erziehung, der Landftraßen, 
Flüffe, Canäle und anderer Gegenftände öffentlicher Amelioratio- 
nen, die zur conftitutionellen Aufzählung der Bundesrechte für 
geeignet gehalten werden mögen.” Und meiter fügt er hinzu: 
„Ich halte ein Amendment zur Conftitution dur Einwilligung 
der Staaten für nothwendig, weil bie hier anempfohlenen Gegen- 
fände nicht unter den in der Conftitution angeführten einge- 
ſchloſſen find, für welche die öffentlichen Gelder verwendet werden 
dürfen.” Im Jahre 1825 wiederholte er in feinen öffentlichen 
Briefen die Anficht, Daß dem Congreß Feine folche Gewalt verlie- 
hen worden ſei.“ 

„Ich führe dies an, nicht ſowohl, um dadurch die Anfichten über 
die Conftitution zu widerlegen, fondern um zu zeigen, daß hin— 
fichtlich der Frage über die Zweckmäßigkeit Herrn Fefferfon’s 
Anficht von der des gegenwärtigen Präfiventen abwich — und in 
den Händen deffelben gleih MeFingals Flinte 

„Den, der fie handhabt, plumps zu Boden ſchleudert.“ 





428 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Jetzt noch ein Wort über die conftitutionelle Frage. Im Jahre 
1826 veröffentlichte der Kanzler Kent zuerft feinen Commentar 
über das amerifanifche Geſetz. Er widmete einen Theil feiner 
Abhandlungen der Frage über die Autorität des Congreffes, öffent- 
liche Gelder für innere Berbefferungen zu verwilligen. Er er- 
wähnt, daß diefe Frage niemals zur gerichtlichen Entfcheidung 
gebracht worden fei, und giebt dann eine furze Synopfis der 
Discuflionen, die zwifchen dem legislativen und dem erefutiven 
Zweig der Regierung in Bezug auf diefelbe ftattgefunden hatten, 
Er zeigt, daß der legislative Zweig gewöhnlich für, der erefutive 
aber gegen die Machtbefugniß gemwefen fei, und zwar bis zu 
Sohn Duincy Adams’ Adminiftration; um welche Zeit der Ein- 
fluß der Erefutive fih von der Oppofition zurüdgezogen und der 
Unterftügung der Machtbefugniß zugewendet habe, Im Jahre 
1844 publicirte der Kanzler eine neue Ausgabe feines Commen— 
tars und erwähnte in einigen Noten der Discuffionen, vie feit 
1826 über diefe Frage ftattgefunden hatten, Die Zeit geftattet 
mir nicht, den Driginaltert und die Noten hier vorzulefen; das 
Ganze findet fi) Seite 267 und auf den zwei bis drei folgenden 
Geiten des erften Bandes der Ausgabe von 1844. Was der 
Kanzler als die Summe des Ganzen zu betrachten fcheint, ergiebt 
fich aus folgender Stelle aus einer der Noten: 

„„Oberrichter Story hat in feinem Kommentar über die Con— 
ftitution der Vereinigten Staaten, Band II, ©. 429—440 und 
©. 519—538, ausführlich die Argumente für und wider den 
Vorſchlag angeführt, daß nämlich der Eongreß eine conftitutionelle 
Autorität habe, Taren aufzuerlegen und den Handel zu reguliren, 
um dadurd die einheimifche Manufaktur direkt zu ermuthigen und 
zu beſchützen; über die beftrittene Doftrine enthielt-er fich indeffen, 
feine eigene Meinung anzugeben, und überließ es dem Lefer, feine 
Schlüffe zu ziehen. Nach den angeführten Argumenten zu ur- 
theilen, follte ich indeffen denken, daß jeder Unparteiifche, der kei— 
nen Antheil an den Discuffionen genommen und fein Borurtheil 
oder lokales Intereſſe an der einen oder der andern Seite der 
Trage gehabt hat, die Argumente zu Gunften der congreffionellen 
Machtbefugniß bei Weiten ftichhaltiger finden müßte,“ 


Anhanr. 429 





„Bir erfehen hieraus, daß die Machtbefugnig, Amelivrationen 
vorzunehmen, nicht ausdrüdlich in dieſem Auszug ermähnt ift; 
prüfen mir indeffen Kanzler Kent’s, fowie Dberrichter Story’s 
Eontert, fo finden wir, daß die im Auszug erwähnte Machtbefug- 
niß und die Autorität, Ameliorationen vorzunehmen, als identifch 
betrachtet werden. Es ijt nicht zu leugnen, daß viele große und 
gute Männer gegen die Machtbefugniß gewefen find; nicht min— 
der gewiß aber ift es, daß ebenfo viele große und gute Männer 
für diefelbe waren, und nach einer genauen Prüfung des Ganzen 
fehen wir, daß Kanzler Kent die Argumente der Lebteren für bei 
Weitem ſtichhaltiger hielt. Dies ift nur die Anfiht eines 
Mannes; wer aber war diefer Mann? Er war einer der fähigften 
und größten Rechtsgelehrten feines Jahrhunderts und — in der 
That — aller Zeiten. Es ift feine Schande für Präfident Polf oder 
für irgend einen Andern, der feine meifte Zeit der Politik widmet, 
wenn man fie als Rechtsfenner dem Kanzler Kent um ein Bedeuten- 
des hintenanfegt. Kent’s Haltung war höchft günftig für correfte 
Schlüſſe. Er fohrieb mit Faltem Blute und in Zurüdgezogenheit. 
Er war bemüht, fih ein dauerndes Monument des Ruhmes zu 
errichten, und wohl wußte er, daß die Wahrheit und gründliche, 
gefunde Logik die einzige fihere Grundlage dazu bildeten. Kann 
die Parteianficht eines Partei-Präfiventen hinfichtlich einer reinen 
Rechtsfrage, wie diefe, mit der eines Mannes, wie Kanzler Kent, 
auch nur verglichen, gejchweige denn derfelben entgegengefeht 
werden ? 

„Diefe Conftitutiond- Frage wird mwahrfcheinlich nie beffer ent- 
fchieden werden, big fie der Entfcheidung des Gerichtshofes unter- 
breitet wird; meiner Anficht nach aber braucht fein Mann, der 
fich über den Zwedmäßigfeitspunft klar bewußt ift, Darüber große 
Sfrupel zu hegen. \ 

„Der Präfident fcheint zu denken, daß ſich mit Einwilligung der 
General-Regierung unter der Staaten- Autorität mittelft der Ton— 
nenzölle genug für innere VBerbefferungen thun laſſe. Nun, diefe 
Zonnenzölle find fo übel nicht in ihrer eigenen Sphäre. Sie mö- 
gen wirkfam, vielleicht felbft genügend fein, um geringe Ame- 
liorationen und Reparationen in Häfen vorzunehmen, Die bereits 


430 Das Leben Abrabam Lincolns, 





im Gebrauch und feiner bedeutenden Verbefferung bedürftig find. 
Wenn ich aber eine richtige Idee von der Sache habe, fo müffen 
diefelben gänzlich ungenügend fein für Amelivrationen von allge= 
meinerem Bortheil, Sch verftehe fehr wenig oder vielmehr gar 
nichts von der praftifchen Betreibung der Tonnenzölle; ich ver- 
muthe indeffen, daß eines der Prinzipe derfelben ift, zur Amelio- 
ration eines befondern Hafens einen Zoll aufden Tonnen- 
gehalt zu legen, der in jenen Hafen fommt. Ein 
anderweitiges Verfahren — wie 3. B. Zölle in einem Hafen zu 
eollektiren, um damit Amelivrationen in einem andern vorzu— 
nehmen — würde jene Ungleichheit, die der Präfivdent fo fehr ver- 
abfcheut, bedeutend erfchweren. Wenn ich hierin Recht habe, wie 
können wir mittelft der Tonnenzölle ganz neue Berbefferungen 
vornehmen? Wie können wir damit eine Landſtraße oder einen 
Canal errichten, oder einen mit Obftruftionen angefüllten Fluß 
der Schifffahrt zugänglich machen? Die Behauptung, daß dies 
gefhehen könne, ift ebenfo abfurd, wie die Anficht jenes Irlän— 
ders über feine neuen Stiefel, „Arrah! ich werde fie nie anfrie- 
gen,” fagte Patric, „bis ich fie ein paar Tage getragen habe!’ 
Wir werden nie im Stande fein, mittelft der Tonnenzölle einen 
Canal zu machen; derfelbe muß erft gemacht werden, damit die 
Boote darin einlaufen fünnen, 


„Am Ende fommt jedoch der Präfivdent zu dem Schluß, daß es 
möglicherweife etliche große Gegenftände der Amelioration geben 
könne, die fich nicht durch Tonnenzölle bewerkftelligen laſſen, und 
bei denen es daher zwedmäßig fein möchte, daß die General-Re- 
gierung die Hand zur Ausführung biete. Demzufolge proponirt 
er für den Fall eines ſolchen Vorfommniffes ein Amendement zur 
Sonftitution. Weshalb? Wenn er, wie Herr Jefferſon, die in- 
neren Berbefferungen für zweckmäßig, nicht aber für conftitu= 
tionell hielte, wäre es allerdings fehr am Platz für ihn, ein folches 
Amendement vorzufchlagen. Hören wir indeffen, was er in die— 
fer nämlichen Botfchaft fagt 

„„Angeſichts diefer bedeutungsfchweren Folgen kann ich nicht 
umbin, zu denken, daß einer folchen Legislation Einhalt gethan 


Anhang. 431 





werden follte, felbft wenn das Fundamentalgeſetz unferer Union 
feine Schranke in den Weg ſetzte.“ 

„Deshalb denn will er die Eonftitution amendirt haben? Bon 
ihm fommt es als ein Vorſchlag, ein Hinderniß aus dem Weg 
zu räumen, bloß um auf andere zu ftoßen, die feiner Anficht 
nach nicht aus dem Weg geräumt werden können — um den Eon- 
greß zuermächtigen, das zu thun, was derfelbe feiner Anficht 
nad nicht thun follte, felbft wenn er könnte. 


(Herr Meade von Birginien erhob fich hier und frug Herrn Lin- 
eoln, ob er glaube, daß der Präfivent aus Zweckmäßigkeitsgründen 
allen und jeden Amelivrationen opponire ?) 


Herr Lincoln erwiederte: — „Gerade in dem Theil feiner Bot- 
fchaft, von welchem ich jebt rede, giebt er, wie mich dünkt, einige 
vage Ausdrüde zu Gunften möglicher Oegenftände der Ameliora- 
tion; allein er thut dies, wie mir fcheint, in fchroffem Widerfpruch 
mit feinen eigenen Argumenten in andern Theilen der Botſchaft. 
Weder der Präfident, noch irgend ein anderer Mann vermag eine 
Amelivration zu fpezifiziren, auf die fich nicht der eine oder der 
andere der Einwände anwenden läßt, die er aus Zwedmäßigfeits- 
gründen erhoben hat. Ich habe gezeigt und könnte wiederum 
zeigen, daß fein Werk, Fein Gegenftand fo allgemein fein kann, 
dag die Vortheile defjelben vollfommen gleichmäßig wären. Diefe 
Ungleichheit aber ift die hauptfächlichfte der „beveutungsfchweren 
Folgen,” um vderenthalben er den Ameliorationen Einhalt thun 
will, Wenn der Präfivent nun andeutet, daß die General-Regie- 
rung zu einigen inneren Verbefferungen die Hand bieten dürfte, 
fo ftögt er die Schlüffe um, zu denen er ſich Durch feine eigenen 
Argumente getrieben fieht. Er fühlt, daß die BVerbefferung in 
diefem großen und fhönen Lande ein mächtiges Intereffe ausma— 
machen, und er ift nicht Willens, dem Volke oder fich felbft zu ge- 
ftehen, daß er ein Argument erbaut habe, das, wenn der logiſche 
Schluß daraus gezogen wird, Diefes Intereſſe gänzlich vernichtet, 

„Ich habe bereits gefagt, daß Niemand, der von der Zwed- 
mäßigfeit der Ameliorationen überzeugt fei, fich über die Con— 
flitutionalität derfelben große Skrupel zu machen brauche, Sch er» 


432 Das Leben Abraham Lincolns. 





Taube mir jet noch einige Eurze Bemerkungen über den allgemeinen 
Vorſchlag eines Amendements zur Eonftitution. Im Allgemeinen 
betrachtet, glaube ich, daß wir viel befjer daran thäten, die Sache 
zu laffen wie fie ift. Keine unerhebliche Beranlaffung follte ung 
in Verſuchung bringen, eine Aenderung an der Eonftitution vorzu— 
nehmen. Es iſt beffer, den erften Schritt zu meiden, der zu einer 
Gewohnheit, an derfelben zu ändern, führen mag. Es ift beffer, 
uns an den Gedanken zu gemöhnen, daß diefelbe nicht geändert 
werden könne. Sie kann faum beffer gemacht werden, als fie ift. 
Neue Beitimmungen würden neue Schwierigkeiten herbeiführen und 
damit ein Verlangen zu ferneren Aenderungen erzeugen. Nein, 
laffen wir fie, mie fie if. Keine neuen Hände haben fie noch be- 
rührt. Die Männer, die das Werk ſchufen, haben ihre Arbeit voll- 
bracht und find dahingegangen. Wer will verbeffern, was fie 
thaten ? 

„Herr Borfiger, um dieſe Botfchaft in der möglichft kurzen Zeit 
nach allen Seiten hin beleuchten zu fünnen, wie auch um Deutlich- 
feit und Beftimmtheit zu gewinnen, habe ich die Argumente der- 
felben nach beiten Kräften analyfirt und daraus die oben angege- 
benen Propofitionen dedueirt. Diefe habe ich foeben im Detail 
beleuchtet. Ich nehme jest die Geduld der Committee nur noch 
einige Augenblide für etliche allgemeine Bemerkungen über innere 
Berbefferungen in Anſpruch. Daß der Gegenftand ein fehwieriger 
tft, kann nicht geleugnet werden. Dennoch find die Schwierigfeiten 
im Congreß nicht größer als in den Staatslegislaturen, in den 
Counties oder in den Heinften Munieipaldiftriften, die nur irgend- 
wo eriftiren, Als Beifpiele folder Schwierigkeiten nenne ich nur 
County-Landftraßen, Brüden und dergleichen, Der Eine befchmert 
fi darüber, daß eine Landftraße über fein Gut paffirt; der Andere 
ift ungehalten, weil fie nicht über fein Gut paffirt. Der Eine ift 
unzufrieden, weil die Brüde, für die er tarirt wird, von einer an- 
dern Straße aus über den Fluß geht als von derjenigen, die von 
feinem Haufe nach der Stadt führt; ein Anderer murrt Darüber, 
daß fi das County überhaupt um diefer Landftraßen und Brüden 
willen in Schulden ſtürze. Noch Andere bemühen fih nach allen 
Kräften, daß die Landftraßen über ihr Gut angelegt werden und 


Anhang. 433 





widerfegen fich dann der Eröffnung derfelben, bis fie zuerft ihren 
Schadenerfab ausbezahlt erhalten, Selbſt in den verfchiedenen 
Wards und Straßen der Städte und Fleden finden wir diefelben 
Schwierigfeiten. Dies find nun ganz diefelben Schwierigkeiten, 
gegen welche und aus welchen der Präfivent feine Einwendungen 
der „Ungleichheit,“ „Spekulation“ und „Ruin für die Schagfam- 
mer” anführt. Es giebt nur eine Alternative in Bezug auf die- 
felben:—fie find entweder genügend, oder fie find es nicht. 
Sind fie genügend, fo find fiees außerhalb des Congreffes 
fowohl wie innerhalb deffelben, und damit hat die Sache ein 
Ende. Wir müffen fie als ungenügend verwerfen, oder ung hin- 
legen und gar Nichts thun, fei es auf welche Autorität es wolle, 
Nun denn, obſchon Schwierigkeiten vorhanden find, laßt ung die— 
felben befäupfen und überwinden, 

„Beichließen wir, dag das Ding gefchehen kann und gefchehen 
joll, fo werden wir den Weg dazu fehon finden. Die Tendenz zu 
ungebührender Ausdehnung ift unzweifelhaft die Hauptjchwierig- 
keit, Wie wir Etwas thun follen, und dennoch nicht zu Biel, 
das tft die Frage. Trage Jeder fein Scherflein zur Beantwortung 
derfelben bei. Der verftorbene Silas Wright trug in einem Brief 
an die Chicago Convention fein Scherflein bei, und das war Etwas 
werth. Ich will jegt das meinige beitragen, obfchon es Nichts werth 
fein mag. Auf feinen Fall wird es Jemand irreführen und fann 
daher Fein Unheil ftiften. — Ich würde fein Geld borgen. ch bin 
gegen ein übermwältigendes, ruinirendes Syſtem. Geſetzt nun, der 
Congreß ermittle bei jeder Sitzung zuerft, wie viel Geld für das 
Jahr zu Amelivrationen zu entbehren fet, und dann apportionire 
er diefe Summe auf die wichtigften Gegenftände. So meit 
ginge Alles leicht; num aber fommt die Frage: Welches find die 
wichtigften Gegenftände? Bei diefer Frage nun tritt die Collifion 
der Sntereffen hervor. Mir würde es ſchwer, einzufehen, daß Ihr 
Fluß oder Ihr Hafen wichtiger fei als der meinige, und fo um— 
gefehrt. Um dieſe Schwierigfeit aus dem Wege zu räumen, gebe 
man uns die ftatiftifche Belehrung, die der Herr von Ohio (Herr 
Binton) beim Beginn dieſer Sigung vorgefchlagen hat. Dur 
jene Bellsuns gewinnen wir eine flarre, unbeugfame Bafis der 


434 Das Leben Abraham Lincolns. 








Thatſachen — eine Bafis, die feinerlei Laune, Caprice oder %o- 
falintereffe unterworfen if. Der vorher befchränfte Betrag der 
Mittel wird ung verhindern, zu viel zu thun, und die Statiftif 
wird ung verhindern, Etwas am unrechten Orte zu thun. 
Adoptiren und befolgen wir diefen Plan, fo find, wie mir fcheint, 
die Schwierigfeiten aus dem Weg geräumt. 

„Einer der Herren von Süd-Carolina (Herr Rhett) ſchmäht fehr 
auf dieſe Statiftif, Befonders anftößig ift ihm die Idee, alle 
Schweine und Hühner im Lande zu zählen. Sch bemerfe indeffen 
nicht viel Force in diefem Einwand. Es ift wahr, wenn jedes Ding 
aufgezählt würde, fo hätte ein großer Theil einer ſolchen Statiftik 
nur geringen Werth für diefen Gegenftand. Solche Yandespro- 
dufte, die am Drt ihrer Produktion confumirt werden, bedürfen 
feiner Zandftraßen und Flüſſe, keiner Transportmittel, und ftehen 
in feiner engern Beziehung zu diefem Gegenftand. Der Ueber- 
Ihuß, d.h. was an einem Drte produeirt und am andern 
conſumirt wird; die Capaeität eines jeden Ortes, einen größern 
Ueberſchuß zu produciren; die natürlichen Transportmittel und 
deren Zugänglichkeit für Ameliorationenz; Berhinderungen, Ver— 
zögerungen, Berlufte an Leben und Eigenthum während des Trans— 
portes, fowie die Urfachen derfelben—dies wären die werthvollſten 
Delehrungen einer folchen Statiftif. Aus einer folchen ließe es 
fich leicht erfehen, mo eine gegebene Summe das meifte Gute er— 
zielen würde, Eine ſolche Statiftif wäre der Nation wie den 
Staaten gleich zugänglich und würde fich Beiden gleich vortheilhaft 
erweifen. Auf diefe Art und Durch folche Mittel möge die Nation 
die größern, und die Staaten die Fleinern Amelivrationen 
vornehmen und alfo vorfichtig, aber feft und ftandhaft, Hand in 
Hand arbeiten; was am einen Orte ungleich ausfiel, am andern 
ausgleichen; Verſchwendung meiden und Das ganze Land dem 
Grade der Wohlfahrt zuführen, der feiner Gebietsausdehnung, 
feinen natürlichen Hilfaquellen, fowie der Intelligenz und dem Un- 
ternehmungsgeifte feiner Bewohner entfpricht.“ 


Anhang. 435 





Nede über die Präſidentſchaft und die Politik im Allges 
meinen. 


(Gehalten im Repräfentantenhaus am 27. Juli 1848.) 
General Taylor und die Deto-GBewalt. 


„Herr Sprecher: — Unfere demofratifchen Freunde ſcheinen in 
großer Sorge um ung zu fein, da fie glauben, unfer Kandidat für 
tie Präfidentfchaft gefalle uns nicht. Die Meiften von ihnen 
zweifeln, ob ©eneral Taylor überhaupt Prinzipien habe; Einige 
jedoch entdedten ein Prinzip in ihm, behaupteten aber, es fei ein 
durchaus falfches. Diefes eine Prinzip ift feine Anficht über die 
Veto-Gewalt. Der Herr von Tenneffee (Herr Stanton), welcher 
foeben feinen Sit eingenommen hat, fagte in der That, dag in 
Bezug auf dieſe Frage ein fehr geringer, wenn überhaupt ein Un— 
terfchted zwifchen dem General und all’ den Präfidenten herrfche, 
und meint, es thue General Taylor’3 Anficht darüber großen 
Eintrag, da fie nichts Neues enthalte. Alle Uebrigen aber, die 
ich fprechen hörte, greifen Diefelbe mwüthend an. Ein neues Mit- 
glied von Kentudy (Herr Clarke), von fehr bedeutenden Fähigkei— 
ten, war in befonderen Nöthen darüber. Er hielt es fürgänzlich 
neu und unerhört, daß ein Präfivent oder Präfidentfchafts-Kan- 
didat auch nur daran denken möge, Bills zu genehmigen, deren 
Conftitutionalität feinem eigenen Geifte nicht völlig Har find, 
Er hält die Arche unferer Sicherheit für verloren, wenn nicht die 
Präfiventen folche Bills, Die ihrem Urtheile nach von zweifel- 
hafter Eonftitutionalität find, fofort und ftets mit ihrem Veto 
belegen. Wie Har ſich auch der Congreß feiner Autorität, eine 
Alte zu paffiren, bewußt fein mag, fo muß fie der Präfivent ver 
Unficht des Herrn von Kentudy zufolge mit feinem Beto belegen, 
wenn er über diefelbe Zweifel hegt. ch habe weder Zeit noch 
Luft, mich mit dem Herrn über die Veto-Gewalt als eine Drigi- 
nalfrage auf ein Argument einzulaſſen; fondern ich wünfche ein— 
. fach zu zeigen, daß General Taylor's Anfichten und nicht die fei- 
nigen mit denen der früheren Staatsmänner hinfichtlich diefer 
Trage übereinftimmen,. Als die Bill über den Charter der erſten 


436 Das Leben Abraham Lincolns. 





Bereinigten Staaten Bank dur den Congreß paffirt wurde, hörte 
man ſtarke Zweifel über die Conftitutionalität derfelben ausſpre— 
chen; Herr Madifon, damals ein Mitglied des Repräfentanten- 
haufes, hatte fih nebft andern Herren auf jenen Grund bin der 
Bill widerfegt. General Wafhiugton als Präfivent wurde auf- 
gefordert, diefelbe zu genehmigen oder zu verwerfen. Er fuchte 
und erhielt über die conftitutionelle Frage die feparaten fhriftli- 
chen Gutachten Sefferfon’s, Hamilton’s und Edmund Randolph’s, 
welche zu jener Zeit die refp. Stellungen des Staatsfefretärs, des 
Binanzfefretärs und des General-Staatsanmwaltes inne hatten. 
Hamilton ſprach fih für die Machtbefugniß aus; Randolph's 
und Sefferfon’s Anfichten aber lauteten gegen diefelbe, In fei- 
nem vom 15. Februar 1791 datirten Briefe, in welchem er feine 
Meinung entfchieven gegen die Conftitutionalität jener Bill dar- 
gethan hatte, fchloß Herr Zefferfon mit dem Paragraphen, den ich 
bier vorlefen will: 

„„Ich muß indeffen zugeben, daß, wenn nad) reiflicher Erwä— 
gung aller für und wider die Bill vorgebrachten Grande das Ur- 
theil des Präfidenten nicht ziemlich klar dahin Tautet, daß diefelbe 
nicht durch die Eonftitution gerechtfertigt wird; wenn das pro 
und das contra vollfommen gleich in der Wagfchale feines Ur— 
theilg ſchweben, die billige Achtung vor der Weisheit ver Legisla- 
tive ihn natürlich zu einer Entfcheidung zu ihren Gunſten beftim- 
men müßte, Hauptfächlich für foldhe Fälle, wo die Legislative 
dur Irrthum, Ehrgeiz oder Intereſſe zu einem Fehltritt verleitet 
wurde, hat die Eonftitution dem Präfidenten die Macht der Nega- 
tive verliehen.” 

„Seneral Taylor's Anficht, wie er diefelbe in feinem Alliſon 
Briefe ausfpricht, Iautet folgendermaßen: 

un Die Macht, die der Erefutive durch das Veto verliehen wurde, 
iſt eine hohe, confervatine Macht; meiner Anficht nach follte die— 
felbe aber nie angewandt werden, ausgenommen in Fällen einer 
flagranten Verlegung der Conftitution oder offenbarer Uebereilung 
von Seiten des Congreſſes.“ 

„Es ergiebt fich hieraus, daß, wenn der Präfident nach Herrn 
Jefferſon's Anficht an der Conſtitutionalität einer Bill zweifelt, 


Anhang a 437 





er diefelbe nicht, wie der Herr von Kentudy wünfcht, mit Veto 
belegen, fondern dem Congreß nachgeben und die Bill approbiren 
fol. Und vergleichen wir die Anfichten Sefferfon’s und Taylor’s, 
wie wir fie aus den vorgelefenen Paragraphen erfehen haben, fo 
werden wir finden, daß diefelben einander fo vollkommen gleich 
find, wie wir es felten bei zwei Ausfprüchen von verfchiedenem 
Wortlaut finden. Nur intereffirte Splitterrichter können einen 
materiellen Unterfchied zwischen beiden entveden. 

„Allein die Herren auf der andern Seite ſtimmen einmüthig 
darin überein, daß General Taylor fein anderes Prinzip habe, 
Sie befinden fich in äußerſter Finſterniß hinfichtlich feiner Anfich- 
ten über die politifchen Fragen, die gegenwärtig das allgemeine 
Intereffe in Anfpruch nehmen. Herrfcht indeffen ein Zmeifel über 
das, was er im Falle feiner Erwählung in Bezug auf die promi= 
nente Frage thun wird? Nicht der mindefte, Es ift unmöglich, 
zu willen, was er in jedem denkbaren Falle thun wird oder thun 
würde, weil viele ragen bereits aufgehört haben zu eriftiren, und 
andere ohne Zweifel entftehen werden, an die bis jet noch Nie— 
mand gedacht hatz allein in Bezug auf die prominenten Fragen 
des Münz-Courrants, des Tarifs, der innern Verbefferungen und 
des Wilmot Prosifo’s ift General Taylor’s Politif mindefteng fo 
ſcharf definirt, wie die des Generals Cap. Weshalb wünfchten 
mehrere demofratifche Mitglieder hier von General Taylor zu 
wiffen, ob im Falle feiner Erwählung ein Banferott-Gefeg paffirt 
werden würde? Können uns diefelben die Anficht des Generals 
Caß über diefe Frage mittheilen? (Ein Mitglied antwortete: „Er 
ift Dagegen.“) Ab! und wie wilfen Sie, daß er dagegen iſt. 
Weder in der Plattform, noch anderswo habe ich irgend Etwas 
darüber gefehen? Wenn der Herr irgend Etwas weiß, das mir 
unbefannt ift, fo möge er es zeigen. Um jedoch von diefer Ab- 
fhweifung zurüdzufommen, will ich eine Stelle aus dem Alliſon— 
Briefe vorlefen, worin Gen. Taylor fagt: 

„Dinfichtlich des Tarifs, des Münz-Courrants, der Amelioration 
unferer Straßen, Flüffe, Seen und Häfen, ſollte der Wille des 
Bolfes, wie er fih durch feine Vertreter im Kongreß ausdrüdt, 
yon der Exekutive refpeftirt und ausgeführt werden, 


438 Das Leben Abraham Lincolns. 





„Dies nun ift die ganze Angelegenheit, die fich im Wefentlichen 
auf Folgendes beläuft: Das Bolf fagt zu General Taylor: 
„Denn Sie erwählt werden, follen wir dann eine Nationalbank 
haben?“ Er antwortet: „Ihr Wille, meine Herren, nicht der 
meine,’ — „Wie aber in Bezug auf den Tarif?" ... „Wie Sie 
belieben,“ — „Sollen unfere Häfen und Flüſſe ameliorirt wer- 
den?” ... „Sie haben nur zu befehlen. Wünſchen Sie eine 
Banf, eine Aenderung des Tarifs, oder innere Verbefferungen, fo 
will ich Ihnen feine Hinderniffe in den Weg legen; wünſchen Sie 
diefelben nicht, fo werde ich feinen Berfuch machen, fie Ihnen auf- 
zudrängen. Senden Sie aus den verfchiedenen Diftriften Ihre 
Mitglieder zum Congreß mit Anfichten, die mit Ihren eigenen 
übereinftimmen, und wenn diefelben für diefe Maßregeln oder für 
irgend eine einzelne derfelben find, fo werde ich mich ihnen nicht 
widerſetzen; find diefelben gegen dieſe Maßregeln, fo werde ich fie 
durch Feinerlei Manövers zur Annahme derfelben zu bewegen 
ſuchen.“ — Nun, ift diefe Sprache ſchwer zu verftehen? Ihnen, 
meine Herren Demokraten, mag dies nicht wie ein Prinzip erfchei- 
nen; ficherlich aber werden Sie die Pofition deutlich genug ein— 
fehen. Der Unterfchied zwifchen ihr und der Pofition Ihres 
Kandidaten ift groß und augenfcheinlich, und Ihnen fteht es zu, 
zu bemweifen, daß die unfrige unrecht ift, wenn Sie können; allein 
Sie haben fein Recht zu behaupten, daß Sie Diefelbe gar nicht zu 
fehen vermögen. Wir fehen fie, und uns erfcheint fie als ein 
Prinzip, und zwar als ein Prinzip der beiten Sorte — als dag 
Prinzip, dem Volke die Controlle über feine eigenen Angelegen- 
heiten zu überlaffen, Mein Freund von Indiana (Herr C. B. 
Smith) hat die paffende Frage geftellt: „Sind Sie gemillt, dem 
Bolfe-zu vertrauen?’ Einige von Ihnen haben im Wefentlichen 
geantwortet: „Wir find gemwillt, dem Volke zu vertrauen; allein 
der Präfident ift ebenfo wohl ver Vertreter des Volkes, als der 
Congreß.“ In einem gemwiffen Sinne und bis zu einem gemiffen 
Grade ift er der Vertreter des Volkes. Er wird fo gut wie der 
Congreß vom Bolfe erwählt. Allein fann er der Natur der Dinge 
nach die Bedürfniffe des Volkes ebenfo gut kennen, als dreihundert 
andere Männer, die von al’ den verfchiedenen Pofalitäten ver 


Anhang. 439 





Nation kommen? Wenn fo, wozu fol dann der Congreß über- 
haupt dienen? Daß die Eonftitution dem Präfivdenten eine Nega- 
tive in Bezug auf die Gefesgebung verleiht, wiffen wir Alle; daß 
aber diefe Negative dergeftalt mit Plattformen und andern Din 
gen verknüpft fein folle, daß er dadurch in den Stand gefest und 
in der That faft gezwungen würde, die ganze Geſetzgebung felbft 
in die Hände zu nehmen, das ift es, was wir bekämpfen — was 
General Taylor bekämpft — und was den großen Unterfchied 
zwifchen Fhnen und ung ausmacht, Auf diefe Art die Geſetzge— 
bung in feine Hände zu fpielen, heißt, diefelbe geradezu aus den 
Händen Derjenigen zu nehmen, die mit den Intereſſen des Volkes 
auf das Innigſte vertraut find, und fie einem Manne zu geben, 
der diefe Intereſſen unmöglich fo gut verfteht oder verftehen kann. 
Wenn ich nicht irre, fo ift Ihre Idee die, daß, wenn ein Präfident- 
ſchafts-Kandidat feine Anficht über irgend eine Frage oder viel- 
mehr über alle Fragen anfündigt, und das Volk mit völliger 
Kenntniß feiner Anfichten ihn erwählt, es dadurch alle dieſe An— 
fichten auf das Beftimmtefte billigt. Dies Flingt zwar höchſt plau- 
fibel, ift aber nichtsdeftoweniger ein höchſt verderblicher Trug. 
Mittelft diefes Truges werden gegen den Willen einer Partei, und 
oft der Hälfte der andern Mafregeln adoptirt oder verworfen. 
Gewöhnlich wird Dabei nach folgendem Prozeß verfahren: Drei, 
vier oder ein halbes Dubend Fragen find zu einer gegebenen Zeit 
prominent; die Partei nominirt ihren Kandidaten, und diefer 
nimmt feine Pofition in Bezug auf jede diefer Fragen ein. Hin— 
fichtlich aller diefer Fragen, eine einzige ausgenommen, find feine 
Pofitionen fchon bei früheren Wahlen indoffirt worden, und feine 
Partei hat fich denfelben vollkommen verpflichtet; die eine Frage 
aber ift neu, und ein großer Theil der Partei ift dagegen. Was 
aber follen diefe Dpponenten thun? Sämmtliche Fragen hängen 
an einem Faden, und fie müffen fie alle nehmen oder alle ver- 
werfen. Sie fünnen nicht nehmen, was ihnen convenirt, und 
das Uebrige wegwerfen. Da das, wozu fie fchon verpflichtet find, 
den größten Theil ausmacht, fo drüden fie die Augen zu und ver— 
fhluden das Ganze mit einer Grimaffe. Bei der nächſten Wahl 
wird auf diefelbe Art abermals eine neue Frage auf's Tapet 


440 Das Leben Abraham Lincolns. 





gebracht. Wenn wir unfern Blid an der Reihe der vergangenen 
Tragen hinlaufen laffen, fo werden wir fehen, daß alle, oder bei- 
nahe alle Artikel des demofratifchen Credo der Partei anfangs 
ganz auf die befehriebene Art aufoctrogirt wurden, Und gerade 
jest, und gerade fo fol der Partei die Oppofition gegen innere 
Berbefferungen aufoetrogirt werden, wenn General Caß erwählt 
wird. Faſt die Hälfte der Demokraten bier ift zu Gunften ver 
Berbefferungenz; allein diefe Demokraten werden für Caß ftimmen, 
und wenn er fiegt, fo haben ihre Stimmen den Ameliorationen 
das Thor verfchließen helfen. Diefes Verfahren nun halten wir 
für ein Unredt. Wir ziehen einen Kandidaten vor, der, gleich 
General Taylor, mit Hintanfegung feiner Privatanfichten dem 
Bolke feinen eigenen Willen lafjen will; und ich follte denken, daß 
wenigftens die Ameliorations-Demokraten einen folchen Kandida— 
ten vorziehen müßten. Er würde ihnen nichts aufzwingen, was 
fie nicht wollen; und er würde ihnen geftatten, innere Berbeffe- 
rungen vorzunehmen, was ihr eigener Kandidat, wenn erwählt, 
nicht thun wird, 

„Herr Sprecher, ich fagte, daß General Taylor’s Pofition fo 
fcharf definirt fei, als die des General Caß. Sch gebe indeſſen zu, 
daß ich nicht gewiß weiß, was er in Bezug auf das Wilmot Provifo 
thun würde, Sch bin ein nördlicher Mann, oder vielmehr ein weft- 
licher Sreiftaatsmann, und meine Conftituenten, fowie meine per= 
fünlichen Gefinnungen, find gegen die Ausdehnung der Sklaverei. 
Als folcher, und mit der Auskunft, die ich mir verfchaffen Fonnte, 
hoffe und glaube ich, daß General Taylor, wenn erwählt, das 
Provifo nicht mit feinem Veto belegen würde; allein ich weiß es 
nicht gewiß. Dennoch aber follte er meine Stimme haben, felbft 
wenn ich wüßte, daß er es thun würde, Er follte meine Stimme 
haben, weil meinem Urtheile nach feine Erwählung allein die Er- 
wählung des General Caß vereiteln fann, und weil—follte die 
Sklaverei durch ihn auf die Territorien ausgedehnt werden— Dies 
durch den Sieg des General Caß ganz beftimmt gethban werben 
würde, und weil außerdem im lettern Falle eine Politik in Aus— 
ficht ftünde, die zu neuen Kriegen, neuen Gebietsarguifitionen und 
noch weiterer Ausdehnung der Sklaverei führen müßte. Einer 


Anbang. 441 





von den Beiden foll Präſident werden; welcher von ihnen ift vor— 
zuziehen ? 

„Allein es herrfcht ebenfo viel Zweifel über Caß in Bezug auf 
Amelivrationen als über Taylor in Bezug auf das Provifo, Ich 
felbjt hege feinen Zweifel über Caß in Bezug auf diefe Frage; 
allein ich weiß, daß die Demokraten felbft darüber nicht einig find, 
Mein Ameliorationg-College (Herr Wentworth) erflärte neulich in 
dieſer Halle, er fei überzeugt, daß Caß für Amelivration fei, weil 
derfelbe für alle Bills geftimmt habe, für die er (Herr Wentworth) 
ſelbſt ftimmte. Ganz gut, fo weit, Allein Herr Polk belegte einige 
diefer namlichen Billg mit feinem Veto; die Baltimore Convention 
pafjirte eine Reihe von Bejchlüffen, worin dieſe Vetos gebilligt wur— 
den, und Herr Caß erflärte in feinem Annahmefchreiben, daß er 
diefe Beichlüffe forgfältig erwogen habe, diefelben von ganzem Her- 
zen billige und ihnen getreu bleiben werde. Mit andern Worten, 
General Caß ftimmte für die Bills und glaubt, der Präfivent habe 
Necht gehabt, diefelben mit Veto zu belegen; feine Freunde hier 
find nun fo liebenswürdig, ihn für die eine oder die andere Seite 
zu beanfpruchen, je nachdem die eine oder Die andere mit ihren eige- 
nen Wünfchen und Neigungen übereinftimmen mag Mein Col- 
lege giebt zu, daß fich die Plattform gegen die Eonftitutionalität 
eines allgemeinen Amelivrationsfpftems erkläre, und daß General 
Caß diefe Plattform indoffire; dennoch aber glaubt er, daß Caß 
zu Gunften gewifjer innerer Verbefjerungen fei. Nun, und welcher 
Art find diefe? Da er gegen allgemeine Gegenftände ift, fo 
müffen e8 partifuläre und lokale fein, für die er if. Dies 
heißt nun aber die Sache bei dem unrechten Ende anfaffen. Par- 
tilularität— Verausgabung der Gelder des ganzen Bolfes für 
einen Gegenftand, der nur einem Theile deſſelben zu Statten 
fommt—ift der größte wirkliche Einwand gegen Amelivrationen 
und wurde von General Jackſon, Herrn Polk und, wie ich glaube, 
allen Andern bis auf den heutigen Tag fo betrachtet. Jetzt aber 
fehe man einmal, die allgemeinften Gegenftände, die diefer Einwand 
am wenigften betrifft, follen verworfen werden, während diejenigen, 
die ihm am meiften ausgefegt find, angenommen werden follen, 
Um jedoch auf meinen Punkt zurüdzufommen: Ich ann nicht ums 


442 Das Leben Abraham Lincolne. 





hin zu glauben, daß General Caß, als er feinen Annahmebrief 
fehrieb, wohl mußte, dag ihn Die Verfechter beider Seiten diefer 
Stage beanfpruchten, und daß er dann abfichtlich allen ferneren 
Meinungsäußerungen die Thür verfhloß, um fich Die Vortheile 
diefer doppelten Pofition zu fichern, Sein fpäteres zweideutiges 
Gebahren zu Eleveland feheint mir dies zur Genüge darzuthun. 

„Nur noch ein Wort, und dann bin ich mit diefem Theil meines 
Themas zu Ende, Sie, meine Herren Demokraten und Fhr Kan 
Didat, find zu Gunſten der Gründung einer Plattform im Boraus ; 
Sie ftellen eine Reihe von Parteipofitionen auf und zwingen dann 
das Volk auf jede mögliche Weife zur Ratififation derfelben, wie 
bitter fie au Manchem fohmeden mögen, Wir und unfer Kan— 
didat dagegen fuchen die Präfiventenwahl und die Legislation des 
Landes getrennt zu halten, damit das Bolf wählen fann, wen es 
will, und nachher Gefebe machen kann, wie es will, und zwar ohne 
Hinderniffe, folhe nur ausgenommen, die nothwendig find, um Ue— 
bertretungen der Conftitution oder ungebührender Voreiligfeit vor— 
zubeugen, Der Unterfchied zwifchen Ihnen und ung ift fo klar wie 
der Mittag. Daß wir Recht haben, Fünnen wir nicht bezweifeln, 
Wir halten die wahrhaft republifanifche Pofition. Wir können 
nicht Unrecht haben, wenn wir dem Bolfe die Leitung feiner eigenen 
Angelegenheiten überlaffen. Wir find bereit, wir wünfchen fogar, 
über diefe Frage an das Volk zu appelliren. 

„Es wird mir wohl kaum möglich fein, Sie zu überzeugen, daß 
wir Prinzipien haben. Es bleibt mir fomit Nichts übrig als Ihnen 
zu verfichern, dag wir welche haben und ganz zufrieden mit den- 
felben find. Einer der Herren von Georgia (Herr Iverſon), ein 
beredter und gelehrter Mann—foweit ich zu urtheilen vermag, der 
ich felbft Fein Gelehrter bin—fiel neulich wüthend über uns her, 
Er ſprach in einem „fengenden und brennenden Styl,“ wie fich der 
Baltimore “ American” darüber ausdrückte. Am Ende feines 
zweiten fulminanten Stoßes fühlte ich mich mit Blindheit gefchla- 
gen und betaftete mich mit meinen Fingern, um mich zu überzeu- 
gen, ob ich wirklich noch eriftirte. Allmälig erholte ich mich wieder, 
Er ſprach in hohen und prachtvollen Wendungen von Henry Clay 
und erklärte dann, wir hätten alle unfere Prinzipien im Stich ge- 


Anhang. 443. 





laffen und Henry Clay gleich einem alten nutzloſen Klepper aus 
der Partei vertrieben. Dies ift entfeglich ſtrenge. Cs läßt ſich 
nicht mit Argumenten beantworten; mir wenigftens ift es nicht 
möglich. Ich wünfche bloß den Herrn zu fragen, ob die Whigs die 
einzige Partei find, die zuweilen alte Klepper austreibt, Iſt nicht 
ein gewiffer Martin Ban Buren fo ein alter Klepper, den Ihre 
eigene Partei ausgetrieben hat? und macht er Ihnen gegenwärtig 
nicht ziemlich viel Kopfzerbrechen? Allein Sie fagen, wir hätten 
unfere Prinzipien im Stich gelaffen, da wir Henry Clay nicht no— 
minirten, Sagen Sie ung doch, meine Herren Prinzipreiter, wel⸗ 
ches Prinzip wir verlegten. Wir fagen, daß Sie ein Prinzip ver- 
legten, indem Sie Dan Buren bei Seite fehoben, und wir fünnen 
Ihnen obendrein erklären, welches Prinzip Sie verlebten. Sie 
verlegten das oberfte, das Cardinalprinzip, das einzig große leben 
dige Prinzip aller, demofratifchen Nepräfentatio-Regierung — das 
Prinzip, Daß der Repräfentant verpflichtet ift, den erklärten Willen 
feiner Conftituenten auszuführen. Eine große Majorität der Bal- 
timore Convention von 1844 war von ihren Eonftituenten inftruirt 
worden, Ban Buren wo möglich die Nomination zu verfichaffen. 
Mit Verlegung, mit offener Berachtung diefes Auftrags verwarfen 
Sie ihn—verwarfen ihn, wie der Herr von New York (Herr Bird- 
fall) neulich ansdrüdlich zugeftand, der Zwedmäßigfeit (avail- 
ability) halber — jener „allgemeinen Zwedmäßigfeit” halber, die 
Sie jest ung zum Vorwurf machen, und von der Sie jest täglich 
mit breiten Baden als etwas ungemein Häßlichem und Prinzip» 
Iofem reden. Allein der Herr von Georgia (Herr Iverſon) gab 
ung geftern eine zweite wohl überdachte und fchriftlich abgefaßte 
Rede, worin Ban Buren wegen feiner gegenwärtigen Pofition und 
Umtriebe durch die Hechel gezogen wird, Sch kann mich der ge— 
nauen Worte des Herrn nicht entfinnen, allein ich erinnere mid) 
noch recht gut, wie er Ban Buren tiefer und tiefer herabzog, bis er 
ihn endlich im Kothe ließ, um daſelbſt zu „ſtinken“ und zu „ver- 
rotten.“ 

„Es iſt weder meine Pflicht noch meine Neigung, Martin Van 
Buren zu vertheidigen. In dem Vertilgungskriege, der jetzt zwiſchen 
ihm und ſeinen alten Bewunderern geführt wird, fällt mir das alte 


444 Das Leben Abraham Lincolns. 





Sprichwort beis „Hole der Teufel die Hinterſten“ —und faft möchte 
ich hinzufeßen: „Und auch die Vorderften.” Der Urfprung des 
Bruches läßt fich jedoch nicht verfennen; und wenn der Fluch des 
„Stinkens“ und „VBerrotteng“ auf die erften und größten Prinzip- 
verleger fallen fol, fo möge ihn der Herr von Georgia mit feinen 
gegenwärtigen Mitarbeitern für fich felbft in Anfpruch nehmen, da 
er ihnen am allererften gebührt.“ 


Herr Lincoln fuhr dann fort, von dem Einwand gegen General 
Taylor als einen bloßen militärifchen Helden zu reden. Alg Er- 
wiederung auf diefen Einwand führte er den Verfuch an, der ge— 
macht worden war, General Caß zu einem Kriegshelden zu machen 
und fpielte dabei fcherzhaft (wie im erften Kapitel diefes Buches er— 
wähnt,) auf feine eigenen Dienfte im Blad Hawk Kriege an, Er 
fagte dann: 


„Dieweil ich eben von General Caß rede, wünfche ich ein Wort 
über feine politifchen Prinzipien zu fagen. Zur Probe wähle ich 
den Bericht über feine Anfichten Hinfichtlich des Wilmot Provifo, 
In der “ Washington Union” som 2, März 1847 findet fich die 
Rede, die General Caß den Tag zuvor im Senat über das Wilmot 
Provifo hielt. Im Verlauf der Rede unterbrach ihn, wie berichtet wird, 
Herr Miller von New Jerſey. ch will die Stelle hier vorlefen: 

„Herr Miller drüdte große VBerwunderung aus über den Gefin- 
nungswechfel des Senators von Michigan, der bisher ftets im Nord- 
weiten, deffen Stolz und Zierde er war, als der große Kämpe der 
Freiheit betrachtet wurde, Im legten Jahre hielt man den Sena- 
tor von Michigan dem Wilmot Provifo entfchieden gewogen; und 
da derfelbe die Urfache feiner Meinungsänderung nicht angegeben 
habe, fo könne er (Herr Miller) nicht umhin, fein Erftaunen dar- 
über fund zu geben.“ 

„Herr Caß fol dann darauf geantwortet haben wie folgt: 

„Herr Caß fagte, das Benehmen des Senators von New Jerſey 
fei ganz außerordentlich. Vergangenes Jahr würde er (Herr Caß) 
für den Borfchlag geftimmt haben, wenn derjelbe zur Abftimmung 
gefommen wäre; allein die Verhältniffe hätten fich ganz anders ge- 
ftaltet, Der Senator verlas dann mehrere Stellen aus den obigen 


Anhang. 445 





Bemerkungen, die er niedergefchrieben hatte, um folche Befchuldi- 
gungen wie Die des Senators von New Jerſey zu widerlegen,“ 

„Unter den niedergefchriebenen Bemerfungen lautet die vierte 
wie folgt: 

„4: Die Legislative würde Dadurch zu unumſchränkter Herrfchaft 
gelangen, da Fein in Zufunft erworbenes Gebiet regiert werden 
fönnte, ohne daß eine Congreßakte für die Regierung defjelben Be- 
fiimmungen träfe. Eine folche Akte würde nach ihrer Pafjirung 
den ganzen Gegenftand eröffnen und dem Congreß, der diefelbe 
paffirt, vollfommene Freiheit laffen, nach Belieben zu fchalten und 
zu walten, ohne fih um die Erklärungen des Statutenbuchg zu be= 
kümmern.“ 

„sn Niles’ Regifter, Band 73, Seite 293, findet fich ein Brief 
von General Caß an A. O. P. Nicholfon von Naſhville, Tenneffee, 
Datirt vom 24, Dezember 1847, aus welchem ich folgende correfte 
Auszüge verlefe: _ 

„Das Wilmot Provifo ift fchon feit einiger Zeit vor dem Lande, 
Es ift wiederholt im Kongreß und von der öffentlichen Preffe be- 
fprochen worden. Sch bin ftarf der Anficht, dag hinfichi‘ich dieſes 
Gegenftandes eine bedeutende Gefinnungsänderung bei dem Publi- 
kum ftattgefunden hat — auch bei mir war dies der Fall; daß die 
Zweifel ficy in die Heberzeugung auflöfen, daß das Prinzip, um 
welches es fich handelt, aus der National-Legislatur ferne gehalten 
und dem Volke der Staaten durch ihre refpeftiven Lofalregierungen 
überlaffen werden follte, 

„Kurzum, ich bin gegen die Ausübung irgend einer Furisdiction 
über diefen Gegenftand von Seiten des Congreſſes; ich bin dafür, 
dem Volke irgend eines fünftig zu acquirirenden Gebietes das Recht 
zu überlaffen, feine eigenen Angelegenheiten nach den allgemeinen 
Prinzipien der Conftitution felbft zu regulirenz; weil ich nicht ein- 
ſehen kann, daß die Conftitution dem Congreß die Befugniß ver— 
liehen habe, und weil ich nicht geneigt bin, einen zweifelhaften Prä— 
cedenzfall über die Grenzen der Nothwendigfeit auszudehnen, d. h. 
über die Etablirung von Territorialregierungen, wobei den Ein- 
wohnern alle Rechte überlafjen bleiben, die mit ihren Beziehungen 
zum Bunde nicht unvereinbar find.“ 


446 Das Leben Abraham Lincolns. 


„Diefe Auszüge bemeifen, daß General Caß im Jahre 1846 
ganz und gar für das Provifo war; daß er im März 1847 
noch theilmweife dafür, und daß er im Dezember 1847 ganz da— 
gegen war, Dies ift ein wahrer Inder zum ganzen Mann. Als 
die Frage im Jahr 1846 angeregt wurde, war er in größter Eile, 
fi zu Gunzen vderfelben zu erklären. Er fuchte den Vortrab zu 
gewinnen und die unintereffante Pofition eines bloßen Nachfolgers 
zu vermeiden; bald aber fah er die große demofratifche Ochſen— 
peitfche vor feinen Augen und vernahm eine undeutliche Stimme, 
die da fagte: „Zurück! zurüd ein wenig!” Er ſchüttelte den Kopf, 
zwinferte mit den Augen und ftolperte zu feiner Pofition vom März 
1847 zurüd, Die Peitfche drohte ihm indeffen noch immer, und 
die Stimme rief fehärfer und deutlicher als zuvor: „Zurüd! immer 
weiter zurüd!” Und zurüdfiel er auf feine Pofition vom Dezember 
1847. Hier ruhte die Peitfche, und die Stimme fagte befänftigend: 
„So, bier bleib’ ftehen !“ 

„Seien Sie nicht beforgt um ihren Kandidaten, meine Herren. 
Er paßt Ihnen volllommen und wir gratuliren Ihnen dazu. Wie 
ſehr Sie au um unfern Kandidaten in Nöthen fein mögen, Sie 
haben alle Urfache, mit dem Ihrigen zufrieden zu fein, Er mag 
im Fall feiner Erwählung feine, oder vielleicht nur einige feiner 
früheren Pofitionen behaupten; allein er wird ficherlich thun, was 
die Parteinothwendigfeit für Die Zeit verlangen mag. Und das ift 
e3 gerade, was Sie wünfchen. Er und Ban Buren find Männer 
von einem Schlag, und gleich Ban Buren wird er Sie erjt ver— 
laffen, nachdem Sie ihn verlaffen haben werden. 





Nachdem Herr Lincoln ausführlich über die Angriffe gefprochen 
hatte, Die von General Cap auf das Schakamt gemacht worden 
waren, fuhr er fort: 


„Ich habe die Berichte des General Caß hier angeführt, um 
die wundervollen phyfifchen Eigenfchaften des Mannes zu zeigen, 
Sie beweifen, daß er nicht nur die Arbeiten mehrerer Männer zu 
der gleichen Zeit verrichtete, fondern daß er diefelben oft an 
verfhiedenen Drten, viele hundert Meilen von einander 
entfernt, zu gleicher Zeit vollbrachte. Auch in Bezug auf 


Anhang. 447 





das Eſſen erfcheinen feine Eapaeitäten in der That wundervoll. 
Vom Oftober 1821 bis zum Mai 1822 aß er zehn Nationen per 
Tag in Michigan, zehn hier in Wafhington und außerdem noch 
beinahe für fünf Dollars per Tag auf dem Weg zwifchen beiden 
Drten. Und dann liefert er und noch eine bedeutende Entdeckung 
— die Kunft, fih für Das, was man ift, bezahlen zu laffen, an— 
ftatt dafür zu bezahlen, Wenn hinführo irgend ein hoffnungs- 
voller Jüngling feine Schulden nicht anders bezahlen kann, fo 
möge er dieſelben getroft „auseffen‘ (board them out), Wir 
haben Alle die Gefchichte von jenem „ſacktragenden“ Thiere ge- 
lefen, das zwifchen zwei Schobern Heu in Zweifel fand und ver- 
hungerte; dergleichen würde General Caß nie pafliren. Stellt 
die beiden Schober taufend Meilen von einander auf, fo wird er 
ftocdftill in der Mitte zwifchen beiden ftehen bleiben und fie beide 
zu gleicher Zeit aufeffenz; auch das grüne Gras an der Linie ent- 
lang würde dabei zu Schaden fommen, Machen Sie ihn daher 
unter allen Umftänden zum Präfidenten, meine Herren. Er wird 
Sie herrlich füttern, wenn — wenn — noch Etwas übrig ift, nach- 
dem er fich felbft gefättigt hat. 

Da jedoch General Taylor par excellence der Held des merifa- 
nifchen Krieges tft, und da wir Whigs, wie Sie fagen, dem Kriege 
ftets opponirten, fo glauben Sie, es müffe fehr peinlich und läftig 
für ung fein, General Taylor zu unterftügen. Die Erklärung, daß 
wir ftets dem Kriege opponirt hätten, ift wahr oder falfch, je nach- 
dem man den Ausdrud „Oppofition gegen den Krieg“ verfteht. 
Wenn er fo viel bedeutet, daß „der Krieg unnöthigerweife und con- 
ftitutionswidrig vom Präfidenten angefangen worden fei,“ dann 
haben die Whigs ziemlich allgemein opponirt, So oft fie nur 
fprachen, erklärten fie dies, und zwar aus guten Gründen. Eine 
Armee in die Mitte einer friedlichen merifanifchen Anfievelung 
führen, die Einwohner hinwegfchreden und ihre Felder und anderes 
Eigenthum der Zerftörung preisgeben, dad mag Ihnen volllom- 
men libenswürdig, friedlich und recht erfcheinen; ung aber er- 
jcheint e8 nicht fo. Einen ſolchen Akt zu rechtfertigen, erfcheint ung 
als eine nadte, unverfchämte Abfurbität, und als folche behandeln 
und bejprechen wir die Affaire, Wenn aber, nachdem der Krieg be— 


448 Das Leben Abraham Lincolns. 





gonnen hatte und die Sache des Landes geworden war, unfer Geld 
und unfer Blut gemeinfam mit dem Ihrigen zur Unterftüßung des 
Krieges gegeben wurde, dann ift es nicht wahr, daß wir demfelben 
immer opponirt haben. Mit wenigen indivinuellen Ausnahmen 
ftimmten wir immer mit Ihnen für alle nöthigen Armeelieferungen, 
Sa, mehr noch als dies, Sie hatten die Dienfte, das Blut und dag 
Leben unferer politifhen Glaubensgenoſſen in jeder Noth, auf je— 
dem Schlachtfelde zu Ihrer Verfügung. Der unbärtige Jüngling 
und der gereifte Mann — der Niedrige und der Angefehene — der 
Arme und der Reihe — fie alle machten gemeinfame Sache mit 
Ihnen. Sie kämpften, litten und ftarben an Ihrer Seite, Clay 
und Webfter gaben Jeder einen Sohn, der nie wieder zurückkehren 
follte, Mein eigener Staat fandte außer vielen anderen würdigen, 
aber minder befonnten Whigs, einen Marfhall, einen Morrifon, 
einen Baker und einen Hardin. Sie alle fochten und Einer fiel, 
und durch den Fall diefes Einen verloren wir unfern beften Whig. 
Auch waren die Whigs nicht gering an Zahl, noch faumfelig in ver 
Stunde der Gefahr. Fan jener furchtbaren, blutigen Schlacht von 
Buena Bifta, wo es eines Seven Aufgabe war, fünf Feinde zu- 
rüdzutreiben oder felbft zu fterben, da fielen fünf hohe Offiziere und 
vier davon waren Whigs. 

„Ich will hiermit keineswegs einen gehäffigen Vergleich zwifchen 
den löwenherzigen Whigs und Demokraten anftellen, die dort foch- 
ten. Ohne Zweifel war bei andern Gelegenheiten und felbft bet 
jener Gelegenheit unter den niedern Offizieren und Gemeinen 
das Berhältnig umgekehrt. Alle jene tapfern Männer waren Ame- 
rifaner, an deren Ruhm auch ich als Amerikaner meinen Antheil 
habe. ch will daher Allen Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Viele 
von ihnen, Whigs und Demokraten, find meine Conftituenten und 
perfönlichen Freunde, und ich danke ihnen insgefammt für die hohe, 
unvergängliche Ehre, die fie unferem gemeinfamen Staate bereitet 
haben. 

„Allein der Unterfchied zwifchen der Sache des Präfidenten 
beim Beginn des Krieges und der Sache des Landes, nachdem 
der Krieg begonnen war, ift ein Unterfchied, den Sie, meine Herren 
Demokraten, nicht einſehen können. Ihnen ſcheint Präfivent und 


Anhang. 449 





Land ein und dafjelbe Ding zu fein. Ihr Intereſſe geftattet Ih— 
nen nicht, den Unterfchied zu bemerken; ich wage fogar zu fagen, 
daß möglicherweiſe Ihr Intereffe Sie ein wenig blendet. 
Wir fehen den Unterfchied deutlich genug, und unfere Freunde, 
die in dem Krieg Fämpften, haben ebenfalls feine Schwierigkeit, ihn 
zu fehen. Was die Gefallenen fagen würden, wenn fie am Leben 
und hier wären, fünnen wir natürlich nicht wiſſen; aber bei Denen, 
die zurüdfehrten, hat die Sache feine Schwierigkeit. Oberſt Has- 
tell und Major Gaines, beide Mitglieder diefes Haufes, fochten in 
jenem Kriege, Einer von ihnen hatte ganz außerordentliche Ge— 
fahren und Drangfale zu beſtehen; dennoch erklären Beide, gleich 
allen andern Whigs hier, daß der Krieg unnöthigermweife und con- 
ftitutionswidrig vom Präfidenten begonnen worden ſei. Und Ge- 
neral Taylor felbit, ver evelfte Römer von Allen, hat erklärt, daß es 
ihm als Bürger, befonders aber als Soldat genüge zu wiffen, daß 
fich fein Land mit einer fremden Nation im Krieg befinde, um alle 
feine Kräfte aufzubieten, denfelben durch energifche und Fräftige Ope- 
rationen zu einem fchleunigen, ehrenvollen Ende zu bringen, ohne 
ſich um die Gerechtigkeit oder die Urfache deffelben zu befümmern. 

„Mögen ſich unfere demokratiſchen Freunde mit der Verficherung 
tröften, daß wir mit unferer Pofition und unferem Kandidaten zu- 
frieden find; daß wir feineswegs in Anfechtung und Elend leben, 
obſchon fie in ihrer generöfen Sympathie denken, es follte fo fein, 
und daß fie fich ihrer großen Sorgen um unferetwillen füg- 
lich entfchlagen dürfen.” 





Nede in Erwiederung auf Richter Douglas über Kanfas, bie 
Dred Scott-Entſcheidung und die Ntah-Frage. 


(Gehalten zu Springfield, Illinois, am 26. Juni 1857.) 


„Mitbürger: — Sowohl der von Ihnen erhaltenen Einladung, 
als auch meiner eigenen Neigung zufolge befinde ich mich Diefen 
Abend hier, Bor zwei Wochen hat Richter Douglas hier über 
Kanfas, die Dred Seott-Entfcheidung und Utah gefprochen. Ich 


babe die Rede damals mit angehört und feither einen gedrudten 
29 


450 Das Leben Abrabam Lincolns. 





Bericht darüber gelefen, Der Zweck derfelben war, Anfichten zw 
widerlegen, die ich für gerecht halte, und — politifch, nicht perfün= 
lich — jene Männer anzugreifen, die gemeinfchaftlich mit mir diefe 
Anfibten hegen. Aus diefem Grunde wünfchte ich damals und 
wünfche ich heute, einige Worte darauf zu erwiedern und ergreife 
daher Diefe Gelegenheit, es zu thun. 

„Ich beginne mit Utah, Wenn es ſich als wahr erweifen follte, 
was nicht unwahrfcheinlich ift, daß Das Volf von Utah; in offener 
Rebellion gegen die Bereinigten Staaten fteht, fo ift Richter: 
Douglas dafür, ihm feine Territorial-Organifation zu entziehen 
und e3 den angrenzenden Staaten einzuverleiben. Auch ich fage, 
daß, wenn die Bürger von Utah in Rebellion ftehen, Zwang an= 
gewendet werden follte, um fie zum Gehorfam zu bringen; und 
ich will hier nicht entfcheiden, ob Richter Douglas’ Plan nicht 
ebenfo gut wäre, alg irgend ein anderer. Die Republikaner kön— 
nen demfelben beiftimmen, ohne ein Wort zurüdzunehmen, das fie 
je geſprochen. Sicherlich wäre es ein großes Abmeichen feiteng 
des Richters von feiner vielgepriefenen Doftrine der Selbftregie- 
rug der Territorien; allein dies ift nur ein weiterer Beweis deffen, 
was von Anfang an Har genug war, daß nämlich diefe Doktrine 
weiter Nichts’ als ein trügerifcher Vorwand zu Gunften der Skla— 
verei ift. Diejenigen, welche dies nicht in der Nebraska Akte felbft 
zu fehen vermochten, durch die dem Bolfe der Territorien gegen: 
feine Einwilligung Gouverneurs, Sekretäre und Richter aufge- 
zwungen wurden, können nicht zum Sehen gebracht werben, felbft 
wenn Einer von den Todten auferftände, 

Aus alledem ergiebt es fich indeſſen deutlich, daß Richter 
Douglag die einzige Frage umgeht, die jemals von den Republi- 
fanern in Bezug auf Utah, an die Demokraten geftellt wurde. 
Wohl wußte Richter Douglas, wie die Frage lautete, „Wenn 
die Bürger von Utah friedlich zufammentreten und eine Staats— 
Conftitution entwerfen, in welcher die Polygamie geduldet wird, 
wollen die Demokraten dann Utah; als Staat in vie Union auf- 
nehmen?” Dies war die Frage. Die Conftitution und die Ge— 
jege der Vereinigten Staaten enthalten Nichts gegen die Polyga= 
mie; warum zählt fie der Richter nicht feinem „heiligen Rechte der 


Anhang. 451 





Selbftregierung” bei und erlaubt dem Volke von Utah, diefelbe zu 
haben oder vielmehr beizubehalten? Diefe Frage wurde meines 
Wiſſens nie von dem Richter beantwortet; fie bereitet Den Demo— 
traten ein Dilemma, deshalb bleibt fie unbeantwortet. 

„Kommen wir nun zu Kanfas, Die Summe der Rede des 
Richters über Kanfas ift, daß die Freiftaatsleute ſich im Unrecht 
befanden, da fie bei der Wahl der Delegaten für die Conſtitutions— 
Convention ihre Stimmen nicht abgaben. Er ſagt: „Es ift alle 
Urſache vorhanden, zu hoffen und zu glauben, daß das Geſetz 
richtig ausgelegt und unparteiifch verwaltet werden wird, fo daß 
jeder bona fide Einwohner der freien und ungeftörten Ausübung 
des Wahlrechtes verfichert fein Darf.“ 

„Es ift erftaunlich, dag Richter Douglas eine ſolche Behanp- 
tüng wagt. Er weiß, daß dem Gefege nad Niemand flimmen 
darf, der nicht regiftrirt worden iftz und er weiß, daß die Frei- 
ftaatenmänner fich auf den Grund hin zu flimmen meigerten, daß 
nur Wenige von ihnen regiftrirt wurden, Dies fünnte nun mög- 
licherweiſe unwahr fein; allein Richter Douglas weiß, daß es in 
Briefen, Zeitungen und öffentlichen Reden angefündigt, durch 
jede Poft in das Land hinausgetragen und von jedem Wind in 
der ganzen Welt umbergeweht und vor die Augen und Ohren 
Aller gebracht wurde. Er weiß, daß die Bürger ganzer Counties 
and ganzer Abtheilungen anderer Eounties fich laut befchwerten, 
dag man fie nicht regiftrirt hHabez dennoch wagt er es nicht, der 
Erflärung zu widerfprechen, oder anzudeuten, mie fie ſtimmen 
könnten, ohne regiftrirt worden zu fein. Er ſchlüpft mitten hin- 
durch und giebt fih den Anfchein, als mwiffe er nicht, daß irgend 
eine folche Sachfrage eriftire, und erklärt mit größter Gemüths— 
ruhe: „Es ift alle Urſache vorhanden, zu hoffen und zu glauben, 
daß das Gefeg richtig ausgelegt und unparteilich verwaltet wer— 
den wird, fo daß jeder bona fide Einwohner der freien und unge 
ftörten Ausübung des Wahlrechts verfichert fein darf,” 

„Ich gebe gerne zu, daß Alle hätten ftimmen follen, wenn man 
ihnen eine Chance dazu gegeben hätte. Wenn dagegen, wie fie 
behaupten, und welche Behauptung Richter Douglas nicht zu wi— 
derfegen wagt, nur wenige Freiftaatenmänner eine Chance zum 


452 Das Leben Abrabam Lincolns. 





Stimmen hatten, fo thaten fie volllommen recht, wenn fie fich in 
Maffe vom Stimmfaften entfernt hielten. 

„Seit Richter Douglas feine Rede gehalten, hat die Wahl in 
Kanfas ftattgefunden. Der Richter drüdte feine Zuverficht aus, 
dag alle Demokraten in Kanfas — die „Freiftaats-Demofraten‘ 
natürlich eingefchloffen — ihre Pflicht thun würden. Die bis 
jest eingelaufenen Wahlberichte find noch unvollftändig; fo weit 
fie indeffen reichen, zeigen fie, daß nur etwa ein Sechftel der regi- 
ftrirten Stimmgeber geftimmt haben. Wenn man nun aber be- 
denkt, daß überhaupt kaum die Hälfte der berechtigten Stimmge- 
ber regiftrirt wurden, fo fieht man fofort, daß das Ganze meiter 
Nichts als eine erbärmliche Farce war, Ich bin fehr gefpannt 
darauf, welche Figur die „Freiſtaats-Demokraten“ bei der Affaire 
machten. Natürlich flimmten fie — alle Demokraten thun ja ihre 
Pflicht — und natürlich flimmten fie nicht für Sklavenftaaten- 
Kandidaten. Wir werden bald hören, wie viele Delegaten fie er= 
wählten, wie viele Kandidaten fie zu einem freien Staate ver— 
pflichteten, und wie viele Stimmen für diefelben abgegeben 
wurden. | 

„Es fei mir geftattet, mit leifem Flüſtern meinen Verdacht aus- 
zufprechen, daß es in Kanfas überhaupt gar Feine „Freiſtaats— 
Demokraten” gab — daß fie ganz und gar in das Reich der 
Mythe gehörten und nur dazu dienten, in den Zeitungen und 
Reden der freien Staaten zu figuriren. Sollte fi ein einziger, 
wirklicher „Sreiftaats-Demofrat” in Kanfas vorfinden, fo fchlage 
ich vor, dag wir ihn fangen und ausftopfen und feine Haut als 
eine intereffante NReliquie jener demnächſt gänzlich ausgeftorbenen 
Gattung der Demokratie aufbewahren. 

„est einige Worte in Bezug auf die Dred Scott-Entfcheidung. 
Jene Entſcheidung erflärt zwei Propofitionenz; diefe find: Er- 
fteng, daß der Neger feine Klage in den Vereinigten Staaten 
Gerichten anhängig machen fann, und zweitens, daf der Con- 
greß die Sklaverei in den Territorien nicht verbieten darf, Die 
Entfcheidung wurde von einem getheilten Gerichtshof abgegeben — 
verſchieden getheilt hinfichtlich der verfchiedenen Punkte. Rich- 

ter Douglas läßt fich in Feine Discuffion über die Verdienſte der 


Anhang. 453 


Entſcheidung ein, und in diefer Hinficht werde ich feinem Beifpiel 
folgen, da ich glaube, ich würde ebenfo wenig im Stande fein, die 
Anfichten MeLean's und Curtis? beffer darzuftellen, als er die An> 
fihten Taney's. 

„Er denunzirt Alle, die die Richtigkeit jener Entſcheidung be— 
zweifeln, als ob fie verfelben heftigen Widerftand leifteten. Wer 
aber leiftet ihr Widerftand? Wer hat der Entfcheidung zum Troß 
Dred Scott für frei erflärt und fich der Autorität feines Meifters 
über ihn widerfegt? | 

„Serichtliche Entfcheidungen Haben zweierlei Nuten, Erftens . 
dienen fie dazu, den beftrittenen Fall abfolut zu entfcheiden, und 
zweitens deuten fie dem Publifum an, wie ähnliche Fälle in Zu- 
kunft entfchieden werden follen, In letzterer Beziehung werden 
fie „Präcedenzfälle” und „Autoritäten“ genannt. 

„Dir find ebenso fehr, wie Richter Douglas, wenn nicht mehr, 
zu Öunften des Gehorfams und der Achtung gegen das gerichtliche 
Departement der Regierung. Wir halten dafür, daß die Ent- 
fcheidungen deffelben über Eonftitutionsfragen nicht nur für die 
einzelnen vorliegenden Fälle endgiltig fein follten, fondern felbit 
für die allgemeine Politif des Landes; es fei denn, daß fie durch 
Amendements zur Eonftitution felbft aufgehoben und wirkungslos 
gemacht werden, Mehr als dies käme einer Revolution gleich. 
Allein wir halten die Dred Scott-Entfheidung für irrthümlich, 
Wir wiffen, daß der Gerichtshof, von dem fie ausging, ſchon oft 
feine eigenen Entfcheidungen umgeftoßen bat, und wir werben 
alle unfere Kräfte aufbieten, um den Gerichtshof zu veranlaffen, 
diefe umzuftoßen. Wir leiften indeffen feinen Widerftand, 

„Als Präcedenzfälle haben gerichtliche Entfheidung größere 
oder geringere Autorität, je nach Umftänden. Dies ift ganz in der 
Drdnung und flimmt mit dem gefunden Menfchenverftand und 
dem gewöhnlichen Verſtändniß der Geſetze überein. 

„Wäre diefe wichtige Entfcheidung mit der einmüthigen Bet- 
flimmung der Richter abgegeben worden, ohne Parteihang, in 
Uebereinftimmung mit der öffentlichen Erwartung und der fteten 
Praris der Departements während unferer ganzen Gefchichte; 
wäre diefelbe in feiner Hinficht auf angenommene hiftorifche That- 





454 Das Leben Abrabam Lincolns. 





ſachen, die nicht wirklich wahr find, baſirt geweſen; oder wenn 
diefelbe fhon mehr als einmal dem Gerichte vorgelegen hätte und 
während einer jahrelangen Periode beftätigt und wieder beftätigt 
worden wäre — dann würde e3 fartiös, ja fogar revolutionär 
fein, fie nicht als einen validen Präcedenzfall anzunehmen. 

„Denn wir aber finden — wie e8 denn wirklich der Fall ift — 
daß dieſe Entfheidung aller jener Anfprüche auf das öffentliche 
Vertrauen entbehrt, fo ift es Fein Widerftand, fo ift es nicht factiög, 
fo ift es nicht einmal unehrerbietig, diefelbe fo zu betrachten, als 
wäre fie noch nicht zu einer feftetablirten Doktrine für das Land 
geworden, Richter Douglas hält aber eine ſolche Anficht für ent- 
feglih. Hören wir ihn: 

„„Die Serichtshöfe find Die von der Eonftitution vorgefchriebe- 
nen und von dem Volke gefchaffenen Tribunale zur Auslegung 
und Ausführung der Geſetze. Wer fih nun der Entfcheidung des 
höchſten Gerichts-Tribunals im Lande widerfegt, der bringt un— 
ferm ganzen republifanifchen Regierungsipftem einen tödtlichen 
Schlag bei— einen Schlag, der alle unfere Rechte und Freiheiten 
vor die Füße der Leidenschaft, der Anarchie und der Gemwaltthat 
legt. Ich wiederhole Daher, daß, wenn der Widerftand gegen Die 
Entfheidungen des Dberbundesgerichts der Vereinigten Staaten 
in ſolchen Angelegenheiten, wie der im Dred Scott-Falle entfchie- 
denen Punkte, die deutlich innerhalb der dur die Eonftitution 
definirten Jurisdiktion liegen, dem Lande als politifche Streitfrage 
aufgeprängt wird, e8 ein nadter Streit zwifchen den Freunden 
und Feinden der onftitution — zwifchen den Freunden und 
Geinden der Suprematie der Geſetze wird,’ 

„Nun, diefes nämliche Dberbundesgericht entfchied einft für die 
Conftitutionalität einer Nationalbanf; General Jadfon aber, als 
Präſident der Vereinigten Staaten, feste fih über dieſe Entfchei- 
dung hinweg und belegte eine Bill für den abermaligen Charter 
derfelben mit feinem Veto, theils auf conftitutionellen Grund hin, 
indem er erklärte, daß ein jeder öffentliche Beamte die Conftitution 
„jeinem Berftändniffe nach” unterftügen müffe. Hören wir indef- 
fen des Generals eigene Worte. Ich will fie Ihnen aus feiner 
Veto-Botſchaft vorlefen ; ; 


Anhang. 453 





„„Es wird von den Vertheidigern der Bauf behauptet, daß die 
Gonftitutionalität derfelben in allen ihren Zügen als durch Prä— 
eedenz feftgeftelt und dur die Entſcheidung des Dberbundes- 
gerichts dargethan betrachtet werden follte. Diefer Anficht kann 
ich nicht beiftimmen. ine bloße Präcedenz ift eine gefährliche 
Duelle der Autorität und follte nicht als maßgebend für Fragen 
über conftitutionelle Gewalt betrachtet werden, ausgenommen 
wenn die Einwilligung des Bolfes und der Staaten über allen 
Zweifel erhaben if. So wenig ift dies jedoch in Bezug auf den 
vorliegenden Gegenftand der Fall, daß fih ein Argument gegen 
die Banf auf Präcedenz bafiren ließe. Ein Eongreß entfchied im 
Jahr 1791 zu Ounften einer Bank; ein anderer entfchied im Jahr 
1811 gegen diefelbe. Ein Congreß entfchied im Jahr 1815 gegen 
die Bank; ein anderer entfchied im Jahr 1816 für dieſelbe. Bor 
dem gegenwärtigen Congreß waren daher die aus diefer Duelle 
gezogenen Präcedenzfälle einander gleih. Wenden wir ung nun 
an die Staaten, fo finden wir, daß die Entfheidung der Legislative, 
der Erefutive und der Gerichtshöfe ihrer Regierung gegen die 
Bank im Berhältnig zu denen für die Bank wie vier gegen eins 
ftehen. Eine Präcedenz enthält daher Nichts, das — felbft wenn 
ihre Autorität zugegeben wäre — zu Gunften der mir vorliegenden 
Alte entfcheiden ſollte.“ 

„Sch übergehe die Citate und bemerfe, daß alle in den Präce- 
denzfällen bis zur Dred Seott-Entfheidung feftgeftellten Punkte 
gegen jene Entfcheidung fprechen. Hören wir indeffen weiter, mas 
General Jackſon fagt: 

„„Selbſt wenn die Anficht des Oberbundesgerichtes Den ganzen 
Grund diefer Akte deckte, dürfte fie die co-ordinirten Autoritäten 
diefer Regierung. nicht controlliren. Der Congreß, die Erefutise 
und der Gerichtshof müffen ſich alle von ihrer eigenen Anficht über 
die Eonftitution leiten laffen. Jeder öffentliche Beamte, der einen 
Eid zur Unterftüsung der Eonftitution leiftet, ſchwört, Daß er die— 
felbe unterftügen wolle, wie er fie verftehe und nicht, wie Andere 
fie verſtehen.“ 

„Zu wiederholten Malen hörte ich Richter Douglas jene Bank- 
Entfoheidung denuneiren und Präfivent Jackſon für feine Um— 


456 Das Leben Abraham Lincolns. 





gehung derfelben rühmen. Es würde intereffant für ihn fein, 
feine legte Rede durchzulefen und zu fehen, wie genau feine feurige 
Philippik gegen uns (wegen unferes Widerftandes gegen die Ent» 
ſcheidung des Dberbundesgerichtes) auf fein eigenes Haupt zurüd- 
fallt. Es wird einen langen und heftigen politifchen Krieg in 
diefem Lande in’s Gedächtniß rufen, einen Krieg über einen 
Streitpunft, der feinen eigenen Worten und natürlich feiner eige- 
nen unveränderten Anficht zufolge „ein Streit zwifchen den Freun- 
den und Feinden der Conftitution war,” und in welchem er felbft 
in den Reihen der Feinde der Eonftitution Fampfte. 

„Ich habe im Wefentlichen gefagt, Daß die Dred Scott-Ent- 
fcheidung theilweife auf angenommenen - hiftorifchen Thatfachen, 
die nicht wirklich wahr feien, bafirt wäre, und ich follte mich nicht 
von dem Gegenftand entfernen, ohne gute Gründe für meine Be- 
bauptung anzugeben, Sch will daher ein paar Fälle nennen, die 
mich vollkommen rechtfertigen werden. Indem Oberrichter Taney 
die Anfichten der Majorität der Richter angibt, befteht er mit vie— 
len Worten darauf, daß die Neger Fein Theil des Volkes feien, 
das die Unabhängigfeitserflärung oder die Conftitution der Vers 
einigten Staaten gegründet hatte und für das diefelben gegründet 
worden waren, 

„Dagegen zeigt Richter Curtis in feiner abweichenden Anficht, 
daß in fünf der damaligen dreizehn Staaten, nämlich in New 
Hampſhire, Maffachufetts, New York, New Jerſey und Nord» 
Carolina, die freien Neger Stimmgeber waren und im Berhältniß 
zu ihrer Anzahl vdenfelben Antheil an der Gründung der Confti- 
tution hatten wie die weißen Leute. Er bemweift Dies mit folder 
Umftändlichfeit, daß Fein Zweifel über die Wahrheit verbleiben 
fann; und als eine Art Folgerung über diefen Punkt Außert er 
fich in diefen Worten: 

„Die Konftitution wurde von dem Volfe der Vereinigten Staa— 
ten gegründet und etablirt, und zwar durd das Wirfen derjenigen 
Perfonen in jedem Staate, die durch die Geſetze defjelben quali— 
ficirt waren, für fich felbft und alle andern Bürger des Staates 
zu handeln, Sn einigen der Staaten befanden ſich, wie wir ge- 
ſehen haben, farbige Perfonen unter Denen, die durch das Geſetz 


Anhang. 457 





qualificirt waren, in Bezug auf jenen Gegenſtand zu handeln. 
Und nicht nur waren diefe farbigen Perfonen in der Mafje des 
„Dolfes der Vereinigten Staaten” einbegriffen, von dem die Con— 
ftitution gegründet und etablirt ward, fondern in mindeftens fünf 
der Staaten hatten fie die Macht, bei der Adoption derfelben zu 
handeln, und ohne Zweifel hatten fie dieſe Macht ausgeübt.“ 

„Oberrichter Taney fagt: „Es ift heutigen Tages ſchwer, über 
den Stand der öffentlichen Gefinnung zu urtheilen, die zur Zeit 
der Unabhängigfeitserflärung und der Gründung der Eonftitution 
der DVereinigten Staaten in den civilifirten und aufgeflärten 
Theilen der Welt in Bezug auf jene unglüdliche Race herrſchte.“ 
Und wiederum, nachdem er eine Stelle aus der Unabhängigfeits- 
erklärung eitirt hatte, fagte er: „Die oben eitirten allgemeinen 
Worte feheinen Die ganze menfchliche Familie zu umfafjen, und 
wenn fie heutzutage in einem ähnlichen Dokument angewendet 
würden, müßten fie fo verftanden werben.“ 

„Sn diefen Worten behauptet der Oberrichter zwar nicht direkt, 
allein er gibt deutlich als Factum zu verftiehen, daß die öffentliche 
Gefinnung über die Schwarzen heutzutage günftiger ift als fie in 
den Tagen der Revolution war. Diefe Annahme ift indefjen eine 
irrthümliche. In einigen unbedeutenden Dingen ift der Zuftand 
jener Race allerdings verbeffert worden; im Ganzen und Großen 
aber ift ver Wechfel, der feit jener Zeit über diefen Gegenftand im 
Lande ftattgefunden hat, durchaus fein Fortfchritt zu nennen; 
denn nie erfchien das endliche Loos der ſchwarzen Race ſo hoff- 
nungslos, wie in den legten drei oder vier Jahren. In zwei von 
den fünf Staaten, die damals dem Neger das Stimmrecht ver- 
lieben, ift ihm daffelbe feither entzogen worden, nämlich in New 
Serfey und Nord-Carolina, In einem dritten Staate — New 
York — wurde es bedeutend verkürzt, während es meines Wiffeng* 
in feinem einzigen andern Staate eingeführt worden ift, obſchon 
fich die Anzahl der Staaten mehr als verdoppelt hat. In jenen 
Tagen konnten die Meifter ihre Sklaven nach eigenem Belieben 
emancipiren; feither aber wurden der Emaneipation folche gejeb- 
lichen Reftrictionen angelegt, daß es beinahe einer Prohibition 
gleichfommt. In jenen Tagen hatten die Legislaturen Die unbe» 


458 Das Leben Abraham Lincolns. 





ſchränkte Macht, Die Sklaverei in ihren refpectiven Staaten abzu- 
ſchaffen; jet aber wird es mehr und mehr fafhionabel für die 
Staats-Conftitutionen, den Legislaturen jene Macht zu entziehen. 
In jenen Tagen war wie durch allgemeine Berabvedung dis Aus— 
Dehnung der Sklaverei über Die neuen Territorien prohibirtz jest 
aber entfcheidet der Congreß, daß jene Prohibition aufhören fol, 
und das Oberbundesgericht erklärt, daß es den Fortbeftand der- 
felben nicht geftatten könnte, jelbft wenn es wollte. In jenen 
Tagen ward die Unabhängigfeitserflärung von Allen heilig ge- 
halten und umfaßte Alle; jegt aber wird fie, um die Knechtfchaft 
des Negers univerfell und ewig zu machen, angegriffen, geſchmäht, 
verhöhnt, mit Füßen getreten und entftellt, fo daß ihre Urheber, 
fliegen fie aus ihren Gräbern, fie nicht mehr erlennen würden. 
Ale Mächte der Erde ſcheinen fich gefchäftig gegen den Neger zu 
verbinden, Der Mammon fegt ihm nach, der Ehrgeiz folgt, die 
Philofophie folgt, und felbft die Theologie ftimmt in Das allge- 
meine Gefchrei ein. Sie haben ihn geferfert; fie haben ihn durch— 
fucht und ihm kein Werkzeug zur Rettung gelafien. Die ſchweren 
eifernen Thüren haben fich eine nach der andern hinter ihm ge— 
fchloffen, und jest haben fie ihn gleichfam mit einem Schloß von 
hundert Schlüffeln verrammelt, das nie ohne die Mitwirkung 
jedes einzelnen Schlüffels geöffnet werden kann; die Schlüffel 
aber befinden fich in den Händen von hundert verfchiedenen Leu- 
ten, die wiederum an hundert verfchtedenen Pläben zerftreut find; 
und jebt ftehen fie grinfend da und finnen darüber nach, welche 
neue Erfindung im ganzen Gebiete des Geiftes und der Materie 
die Unmöglichkeit feines Entkommens noch vollftändiger machen 
könnte, als fie ſchon ift, 

„Es ift ein grober Irrthum, zu fagen oder zu behaupten, daß die 
öffentliche Gefinnung über den Neger heutzutage günftiger fei, als 
fie zur Zeit der Gründung unferer Regierung war. 

„Bor vierthalb Zahren brachte Richter Douglas feine famofe 
Nebrasfa-Bill zum Vorfchein. Das ganze Land gerieth darüber 
in Aufruhr. Er verachtete alle Oppofition und führte fie fiegreich 
durch den Congref. Seit jener Zeit fah er fich felbft bei einer Prä- 
fidentfchafte-Nomination ausgeftochen, und zwar durch einen Mann, 


Anhang. 459 


der die allgemeine Doktrine feiner Maßregel indofjirte, zugleich aber 
vom Ddium ihrer unzeitigen Agitation und ihres großen National- 
treubruchs unberührt blieb; und er fah feinen erfolgreichen Riva— 
len *) conftitutionsmäßig ermwählt, nicht durch die Stärke feiner 
Freunde, fondern durch die Spaltung unter feinen Gegnern, da er 
mit einer Bollsminorität von beinahe vierhundert taufend Stimmen 
den Sieg errang. Er fah feine Hauptunterftüßer in feinem eige- 
nen Staat, Shields und Richardſon, politifch verhört, überführt 
und hingerichtet, und dies nicht für ihr eigenes Vergehen, fondern. 
für das feinige. Und jebt fieht er feinem eigenen Prozefje ent- 
gegen. 

„Es berrfcht in den Gemüthern beinahe aller Weißen ein. fehr 
natürlicher Widerwille gegen die Idee einer fehranfenlofen Amal- 
gamation der weißen mit der ſchwarzen Race, und augenfcheinlich 
bafirt Richter Douglas feine lebte Hoffnung auf die Möglichkeit, 
fich dDiefen Widermwillen zu Nuben zu machen. Er glaubt ſich durch 
den Sturm fhlagen zu können, wenn es ihm gelingen follte, durch 
beftändiges Wiederholen und Wiederkäuen das Odium dieſer Idee 
feinen politifchen Gegnern aufzubürden. Er Hammert fich daher 
an diefe Hoffnung wie ein Schiffbrüchiger an die lebte Planfe, Er 
benübt dazu die Oppofition gegen die Dred Seott-Entfcheidung. Er 
fieht, daß die Republikaner darauf beftehen, die Unabhängigfeitser- 
Härung umfaffe alle Menfchen, ſchwarze und weiße, und macht fich 
nun allen Ernftes an das Argument, daß alle Bertheidiger diefer 
Anficht mit den Negern ſtimmen, effen, trinken, fchlafen und fich mit 
ihnen verheirathen wollen. Er befteht darauf, daß fie fich eine In- 
eonfequenz zu Schulden kommen laffen, wenn fie dies nicht wollten, 
Ich proteftire indeffen gegen eine folche Afterlogif, die aus dem Um— 
ftand, daß ich eine Schwarze nicht als Sklavin haben will, fchließt, 
dag ich fie nothwendigerweife zur Gattin begehren müſſe. ch 
brauche fie weder zur Sklavin, noch zur Gattin zu haben; ich kann 








*) Dieſes Individuum war der ſchmachvolle Samed Buchanan, der im 
Sahr 1856 bei der Nomination der Cincinnati Convention den Sieg über Douglas 
und bei der darauf folgenden Präfidentenwahl über Sohn C. Fremont, den repubs 


likaniſchen Candidaten, davontrug. 
Anmerkung des Ueberſetzers. 


460 Das Leben Abraham Lincolns. 


fie allein laffen. In einigen Hinfichten ift fie allerdings nicht mei- 
nes Öleichen ; aber in Bezug auf das natürliche Recht, das Brod, 
das fie mit ihrer eigenen Hände Arbeit verdient, zu effen, ohne ir- 
gend Jemand um Erlaubniß zu * iſt ſie mir und allen Andern 
ebenbürtig. 

„In feinem Gutachten im Dred Scott-Fall gibt Oberrichter Taney 
zu, daß die Sprache der Unabhängigkeitserklärung umfafjend genug 
fei, um die ganze Menfchenfamilie einzubegreifen; allein er und 
Nichter Douglas argumentiren, daß die Urheber jenes Inſtrumen— 
tes die Neger nicht damit einzufchließen beabfichtigt hätten, da 
fie diefelben nicht thatfächlich auf gleichen Fuß mit den Wei- 
en ſtellten. Prächtig! Leider aber reduzirt fich dieſes ernite 
Argument auf Nichte, da die Urheber jenes Dokumentes me- 
der damals noch fpäter alle weißen Leute auf gleichen Fuß mit ein- 
ander ftellten. Und dies ift das Stapelargument des Oberrichters 
fowohl wie des Senators für diefe augenfcheinliche, ſchreiende Ver— 
drehung der einfachen, unverfennbaren Sprache der Unabpängig- 
feitserklärung, 

„Ich glaube, daß die Autoren jenes denkwürdigen Dokumentes 
alle Menſchen einzufchliegen beabfichtigten; nicht aber, daß fie Die 
Abficht hatten, alle Menfchen in allen Beziehungen für 
gleich zu erflären. Sie beabfichtigten nicht, zu fagen, daß alle an 
Hautfarbe, Natur, Intelligenz, moralifcher Entwidelung und fo- 
eialer Capacität gleich feien. Sie definirten mit ziemlicher Genau- 
igeit, in welcher Hinficht fie alle Menfchen für gleich gefchaffen hiel- 
ten, — gleich gefchaffen „mit gemwiffen unveräußerlichen Rechten, 
wie 3.3. Leben, Freiheit und das Streben nach Glückſeligkeit.“ 
Dies fagten fie und dies meinten fie. Sie beabfichtigten nicht, Die 
augenfällige Unwahrheit zu behaupten, daß fich Alle damals wirk— 
lich im Genuß jener Gleichheit befänden, noch daß fie (die Grün- 
der) im Begriffe ftünden, ihnen diefelbe fofort zu verleihen. Sie 
hatten nicht einmal die Macht, dies zu thun. Sie wünfchten ein- 
fach, das Recht zu erklären, fo daß die Thatwerdung deffel- 
ben fo rafch erfolgen fünnte, als die Umftände es geftatteten, 





Anhang. 461 





Nede in Erwiederung auf Senator Douglas. 
(Sehalten am Abend des 10, Juli 1858 zu Chicago.) 


„Mitbürger: — Bei Veranlaffung des geftern- Abend dem Se— 
nator Douglas bereiteten Empfangs, wurde mir ein höchft beque- 
mer Sig angeboten, von welchem aus ichihn deutlich hören fonnte; 
auch) außerdem wurde mir von ihm und feinen Freunden die zuvor- 
kommendſte und höflichfte Behandlung zu Theil, wofür ich ihm und 
ihnen inggefammt meinen verbindlichften Danf fage. Im Berlauf 
feiner Rede wurde mein Name auf eine folche Weife genannt, daß 
es mir nicht ungeziemend erfcheint, ihm eine Erwiederung zu geben, 
Ich will nicht verfuchen, ihm in der genauen Ordnung zu folgen, 
in der er bei jener Gelegenheit die verfammelte Menge anredete, 
obſchon ich Diefelbe im Allgemeinen zu beobachten gedenke. 

„Er lenkte die Aufmerkfamfeit der Menge auf eine Frage, die 
mir von geringerer Wichtigfeit erfcheint — wenigſtens ziemt es mir 
weniger, darauf einzugehen —, als die andern, dieer gegen das 
Ende feiner Rede aufwarf, Dennoch glaube ich, dieſelbe nicht 
ganz übergehen zu dürfen und will fie daher gleich jetzt befprechen, 
da ich fie fonft ganz und gar vergeffen möchte, Vorerſt fei mir die 
Bemerkung geftattet, daß ich gemöhnlich jene in öffentlichen Reden 
ziemlich gebräuchliche Sneonvenienz, das Vorlefen aus Dofumen- 
ten, vermeide ; ich werde mir diesmal jedoch eine Fleine Ausnahme 
von meiner Regel erlauben und Ihnen eine Feine Pafjage aus 
Senator Douglas’ Rede vorlefen, in der er den erften Gegenftand 
berührt, über den ich reden werde — das heißt, wenn ich die Stelle 
in der Zeitung finden fann. (Herr Lincoln überblidte die Zeitung 
und las dann wie folgt :) 

„„Ich habe mich entfchloffen, gegen die Combinationen, die wi- 
der mich gebildet worden find, an das Volk zu appelliren! Die re- 
vublifanifchen Führer haben eine Allianz, eine unheilige, unnatür« 
lihe Allianz mit einem Theile unferupulöfer Bundesbeamten ein- 
gegangen. Sch beabfichtige, dieſe alliirte Armee zu befümpfen, mo 
ich fie nur treffe. Sch weiß, fie leugnen die Allianz; allein jene 
Männer, welche bemüht find, die demofratifche Partei zu fpalten, 
um einen republilanifchen Senator an meiner Stelle zu erwählen, 


462 Das Leben Abraham Lincolns. 





find nichts deftomeniger die Agenten und Werkzeuge der Anhänger 
Herrn Lincoln's. Daher werde ich mit diefer alliirten Armee ver- 
fahren, gerade wie die Ruffen mit den Alliirten zu Sebaftopol ver- 
fuhren — d. h. die Ruffen befünmerten ſich beim Abfeuern einer 
DBreitfeite nicht darum, ob diefelbe einen Engländer, einen Franzo— 
fen oder einen Türfen traf, Ebenfo wenig nun werde ich darnach 
fragen, ob meine Siebe die republifanifchen Führer treffen oder ihre 
Aliirten, Die Bundesämter verwalten und dennoch mit Jenen ges 
meinfame Sache machen.” 

„Run, meine Herren, ift das nicht fehr alarmirend? Denfen 
Sie nur daran! gleich beim Anfang des Kampfes foll ih, ein ar- 
mer, liebenswürdiger, intelligenter Gentleman auf diefe Art er- 
Schlagen werden! Nun, meine Freunde, es ftellt fich heraus, daß 
der Richter weder ein lebendiger noch ein todter Löwe iſt — fondern 
daß er ein zottiger ruffifher Bär if! 

„Er befteht indeffen darauf, — er fagt fogar, wir leugnen es 
— daß eine ſolche Allianz eriftire, und mir ift nicht viel daran 
gelegen, die Wahrheit der Behauptung zu beleuchten, Da er 
jedoch auf einer folhen Allianz zwifchen uns und den Admini- 
firationsleuten befteht, wobei ung die Haltung der Engländer, 
Sranzofen und Türlen und ihm die der Ruffen zugedacht ift, fo 
will ich ihm nur befcheiden in’s Gedächtniß rufen, daß die Alli- 
irten Sebaftopol nahmen, 

„Meine Herren, nur noch einige Worte über diefe Allianz, Sch 
meines Theils habe nur fo viel zu fagen, daß die Frage, ob eine 
folhe Allianz beftehe, von einer richtigen Definition des Wortes 
Allianz abhängt, Iſt es nun eine Allianz, wenn die republi= 
fanifche Partei die andere große Gegenpartei unter fich felbft ge= 
fpalten ſieht und nicht herbeiläuft, um den Bruch zu heilen, fondern 
fich vielmehr über denfelben freut, fo geftehe ich die Eriftenz derſelben 
zus; wird dagegen aber behauptet, die Republikaner hätten mit irgend 
einer andern Partei einen Bund eingegangen, wobei von der einen 
oder der andern Seite Beiträge von Geld oder Opfer von Prinzis 
pien gebracht worden mären, fo erfläre ich, daß ich Nichts davor 
weiß und auch nicht daran glaube, Ehe ich jedoch über dieſen Ge— 
genftand fchmeige, will ich zum Nuten und Frommen Derer, die 


Anhang. 463 


daran betheiligt find, noch mittheilen, daß Einer von den Buchanan- 
leuten einft mit mir von einem Argumente fprach, das er für feine 
Oppofition gegen Richter Douglas zubereitet hatte, Er fagte, ein 
Freund unfers Senators Douglas habe mit ihm gefprochen und 
unter Anderem folgende Worte geäußert: „Nun, Sie wünſchen 
doch nicht Douglas gefchlagen zu ſehen?“ „Ja,“ erwiederte er, 
„ich wünfche ihn gefchlagen zu fehen, und ich will Ihnen fagen wa- 
rum. Ich glaube, feine Nebrasfa-Bill war recht im Ahftraftum, 
allein ich denke, daß er fie zur unrechten Zeit vorbrachte, Ferner 
war fie unrecht in ihrer Anwendung auf ein Territorium, in mwel- 
chem die Frage bereits entfchieden war; er brachte fie zu einer Zeit 
vor, ala es ihn Niemand geheißen hattez fle wurde dem Süden an- 
geboten, als der Süden fie nicht begehrte, doch auch nicht wohl ver⸗ 
mweigern konnte; aus diefem Grunde drängte er unferer Partei die 
Frage auf. Sie hat die beiten Männer allenthalben in der Union 
verwirrt; und jest, da unfer Präfident den ſchwierigſten Punft in 
der ganzen Gefchichte, die dieſer Menfch einfädelte, erreicht hat, 
dreht ihm Ddiefer den Rüden, und deshalb wünfche ic ihn für im- 
mer unſchädlich zu machen.” 

„Run, meine Herren, dies ift keineswegs mein nit: Ich 
habe Ihnen nur das Argument eines Buchanan-Mannes mitge— 
theilt. Urtheilen Sie ſelbſt, was Wahres daran iſt. 

„Volksſouveränität! nimmer endende Volksſouveränität! Laßt 
uns das mächtige Ding einmal prüfen. Was iſt Volksſouverä— 
nität? Wir erinnern uns, daß zu einer frühern Periode in der 
Gefhichte Diefes Kampfes es einen andern Namen für daffelbe 
Ding gab— Squatterfouveränität. Es war nicht ganz ge- 
nau Bolfsfouveränität, fondern Squatterfouveränität. Was bedeu- 
ten jene Ausdrüde? Was bedeuten fie jest? Unſer Freund, der 
Richter, rechnet es fich gar fehr zur Ehre an, daß er diefelbe unter- 
ftüßte, denn er erflärt, die lebten Jahre feines Lebens feien der 
Bolfsfouveränität gewidmet gewefen, und auch die fünftigen Jahre 
feines Lebens follen ihr gewidmet fein. Nun, was ift es? Sa, es 
ift eben die Souveränität des Volfes! Was aber war die Squat- 
terfouveränität? Wenn das Wort überhaupt je eine Bedeutung 
hatte, fo bedeutet es Das Recht des Volkes, fich ſelbſt zu regieren, in 





464 Das Leben Abraham Lincolns. 





feinen eigenen Angelegenheiten fouverän zu fein, wenn es fich in 
einem Lande, das nicht ihm gehörte, nieverließ (squatted down)— 
wenn es fih in einem Territorium niedergelaffen hatte, das nicht 
ihm gehörte (in dem Sinne, in dem ein Staat dem Volke gehört, 
das ihn bewohnt), fondern vielmehr das Eigenthum der Nation 
war. Diefes Recht der Leute, fich felbft zu regieren, nannte man 
„Squatterfouveränität.“ 

„Sch bitte Sie nun weiter um Gehör. Was ift aus jener Squat- 
terfouveränität geworden? Können Sie jetzt noch Jemand finden, 
der Ihnen fagen wird, daß das Volk eines Territoriume ein Recht 
babe, ſich in Bezug auf die faule Sklavereifrage felbft zu regieren, 
. ehe es eine Staats-Conftitution gegründet hat? Mit nichten; mag 
auch darüber geſchwatzt, geftritten, argumentirt und gefannegießert 
werden, bis Einem die Ohren klingen; mag auch noch fo fteif und 
feft von der andern Partei behauptet werden, dag das Volk eines 
Territoriums das Necht habe, fich in Bezug auf diefe Frage felbft 
zu regieren— es ift Alles Wind und Nebel. Heute ift fie entfchieden 
worden — vor faum einem Jahre wurde durch das Obergericht der 
Vereinigten Staaten entfchieden, daß das Volk eines Territoriums 
fein Recht habe, die Sklaverei von dem Territorium auszufchließen ; 
daß wenn ed einem Mann beliebe, Sklaven mit ſich nach dem 
Territorium zu bringen, das ganze übrige Volk fein Recht habe, 
ihm dies zu verwehren. Da dies nun fo ift, und da der Richter 
diefe Entfcheidung zu einem der Punkte macht, die er billigt, fo 
wünfcht er mich damit zu ſtürzen; unglüdlicherweife aber wird dies 
ihm kaum möglich fein, da ich noch nie en haut war. Er fagt, er 
fet zu Gunften der Entfheidung, halte fich daran feft und erwarte 
feinen Sieg von ihr — von diefer Entſcheidung, die da erflärt, daß 
e3 feine Squatterfouveränität gebe, daß ein Mann Sklaven in 
ein Territorium bringen dürfe, und daß alle andern Bewohner 
des Territoriums zwar ungehalten darüber fein Dürfen, es ihm 
aber auf Grund der Eonftitution hin nicht verwehren können. 
Wenn das fo tft, fo möchte ich Doch wiffen, wie viel von der großen 
Squatterfonveränttät noch übrig ift? (Eine Stimme :— Sie ift 
zum Henker!“) 

„Dliden wir nun zurüd, fo fommen wir auf das Recht des Vol- 


J 


Anhang. 465 


fes, fich eine Eonftitution zu machen. Kanfas zum Beifpiel wurde 
im Jahr 1854 angefievelt. Drei Jahre lang war es ein ZTerrito- 
rium, ohne fich auf regelmäßige Weife eine Eonftitution gegründet 
zu haben. Während diefer ganzen Zeit fonnte die Sklaverei von 
einigen wenigen Individuen eingeführt werden, und laut jener Ent- 
fheidung des Oberbundesgerichtes, die unfer Freund Douglas bil- 
ligte, vermag das ganze übrige Volk diefelbe nicht auszufchließen ; 
wenn es fich nun aber eine Eonftitution macht, mag es erflären, daß 
es die Sklaverei nicht haben wolle. Allein fie ift nun einmal da; 
das Volk ift genöthigt, fie auf irgend eine Weife zu dulden — alle 
Erfahrung zeigt, daß es fo fein wird. Sie können die Negerfflaven 
nicht mir nichts dir nichts hinweg nehmen. Ale Erfahrung 
bemeift dies, Während der ganzen Zeit, vom erften Anfang 
der Anfievlung des Territoriums an bis das Boll zahlreich ge- 
nug ift, fich eine Staats-Eonftitution zu machen — während diefer 
ganzen Zeit ift die VBolfsfouveränität dahin, Die Entſcheidung des 
Dberbundesgerichts hat ihr Siegel darauf gedrüdt, und nun fommt 
Senator Douglas und drüdt das feinige noch oben auf jenes; den- 
noch aber muthet er dem Volke zu, ihm unbegrenzten Credit für 
feine Hingebung für die VBolfsfouveränität zu geben. 

„Werfen wir nun einen Blid auf das Recht eines Volkes, fich 
nad einem Belieben eine Staats-Conftitution zu bilden — fie mit 
oder ohne Sklaverei zu bilden. Wenn das etwas Neues ift, fo ver- 
ftehe ich Nichts von der Sache, Hat es jemals eine Zeit gegeben, 
als irgend Jemand behauptete, daß ein anderes Volk als das Volf 
des Territoriums felbft die Eonftitution bilden fole? Wofür nun 
hat Senator Douglas mehrere Jahre feines Lebens gefämpft, und 
wofür will er die übrigen Jahre feines Lebens kämpfen? Kann 
Richter Douglas wohl einen Menfchen finden, der gefagt hat, Je— 
mand anders folle eine Eonftitution für ein Volk bilden? (Eine 
Stimme: „Ja!“) Nun, fo nennt ihn Doch; ich möchte gerne wiffen, 
wer er war. (Diefelbe Stimme: „Sohn Ealhoun.) 

„Run, mein Freund, ich hörte nie, daß felbft John Calhoun je 
etwas Derartiges behauptete. Er huldigte demfelben Prinzip 
wie Richter Douglas; feine Methode aber, dafjelbe anzuwenden, 


war in der That unrecht. Es genügt mir, diefe Menge zu fragen, 
20 





466 Das Leben Abraham Lincolns. ' 





ob ein Republifaner je ein Wort dagegen fagte? Die Republi— 
faner fagten nie Etwas Dagegen, fprachen aber beftändig dafür; 
und wer fi die Mühe geben will, die Plattform zu unterfuchen, 
fowie auch die Reden verantwortlicher und unverantwortlicher 
Männer, der wird finden, daß von feinem Manne in den Reihen 
der Republifaner je ein Wort gegen jene Bolffouveränität ge- 
Iprochen wurde, die Douglas für feine Erfindung hält. Ich ver- 
muthe, Douglas wird in kurzer Zeit behaupten, er fei der Er- 
finder der Idee, daß ein Volk fich felbft regieren ſolle; daß fein 


Menſch vor ihm daran gedacht habe. Wir erinnern ung, daß es 


in der alten Unabhängigfeits-Erflärung heißt: „Wir halten Diefe 
Mahrheiten für felbftverftändlich, dag alle Menfchen gleich ge- 
Ichaffen wurden; daß ihr Schöpfer fie mit gemwiffen unveräußer- 
lichen Rechten begabte; daß zu dieſen Rechten Leben, Freiheit 
und das Streben nach Glüdfeligfeit gehöre; daß zur Sicherung 
diefer Rechte unter den Menfchen Regierungen eingefest feien, 


deren Machtbefugniffe von der Einwilligung der Regierten her— 


rühren.” Dies ift der Urfprung der Bolksfouveränität. Wer 
nun darf heutigen Tages kommen und fie als feine Erfindung 
beanfpruchen 2 


Nachdem Herr Lincoln in angemeffenen Worten über den Credit 
gefprochen hatte, den ſich Douglas für feine erfolgreiche Bekäm— 
pfung von Buchanan’s Lecompton-Politif anmaßte, fuhr er fort: 


„Ich fordere Sie — ich fordere einen Jeden auf, mir einen 
gedrudten Befchluß irgend einer Heinen oder großen demofrati- 
jhen Berfammlung zu Gunſten des Richters Trumbull oder 
irgend eines der Fünfe gegen einen Nepublifaner aufzumeifen, 
der die Bill befiegte, Alles muß für die Demofraten fein! Sie 
thaten Alles, und die Fünfe gegen den Einen, die das Ding wirf- 
lich thaten, werben bei Seite gefchoben und behandelt, ala ob fie 
gar feine Eriftenz auf Erven hätten. 

„Meine Herren, ich fürchte, ich werde langweilig, und wende 
mich daher von dieſem Zweige des Gegenftandes zu einem andern. 
Ih fomme nun an jenen Theil von Richter Douglas’ Rede, in 
welchem er fih auf mich bezieht. 


Anhane. 467 





„Douglas z0g zwei Punkte an aus meiner neulichen Rede zu 
Springfield, Er fagt, fie follen die Streitfragen diefer Campagne 
bilden, Den erften diefer Punkte bafirt er auf die Worte meiner 
Nede zu Springfield, die mir, wenn ich nicht irre, genau im Ge— 
dächtniß geblieben find. ch fagte, daß „es jest ſchon ſtark in’s 
fünfte Fahr gebe, feit eine Politik inaugurirt worden fei mit dem 
erflärten Zwed und der zuverfichtlichen Hoffnung, der Sflaverei- 
Agitation für immer ein Ende zu machen. Unter der Operation 
jener Politif habe dieſe Agitation nicht nur nicht aufgehört, ſon— 
dern beftändig zugenommen. Sch glaube,’ fagte ich, „daß fie 
nicht aufhören wird, bis eine Kriſis erreicht und paffirt ift. Ein 
Haus, das in fich felbft zerfpalten iſt, kann nicht beftehen. Ich 
glaube nicht, daß diefe Regierung für die Dauer halb mit Skla— 
verei und halb frei beftehen kann. Ich glaube nicht, daß die 
Union aufgelöft werden, ich glaube nicht, daß das Haus fallen, 
aber ich glaube, daß der Spalt aufhören wird, Es wird ganz 
das Eine oder ganz das Andere fein. Entweder werden die Geg- 
ner der Sklaverei der ferneren Ausdehnung derfelben Einhalt 
thun und die öffentliche Gefinnung mit der Hoffnung tröften, daß 
fie im Erlöfchen begriffen ift, oder die Bertheidiger derfelben wer— 
den fie vorfchieben, bis fie in allen Staaten, im Norden ſowohl 
wie im Süden gefeblich geworden tft.“ 

„In diefem Paragraphen, den ich eben eitirt habe und auf den 
ich Ihre ernfte Aufmerffamfeit lenke, glaubt Richter Douglas eine 
große politifche Keberei zu entdeden. ch made Sie befonders 
aufden Schluß aufmerkfam, den er Daraus gezogen hat, Er fagt, ich 
fei dafür, alle Staaten in diefer Union in allen ihren inneren Re- 
gulationen gleichfürmig zu machen; ich fei dafür, fie in allen ihren 
häuslichen Angelegenheiten volllommen gleichförmig zu machen, 
Diefen Schluß zieht er aus den oben citirten Worten. Er fügt, 
ich fei zu Gunften eines Krieges von Seiten des Nordens gegen 
den Süden zur Ausrottung der Sklaverei; desgleichen fei ich da— 
für, den Süden zu einem Kriege gegen den Norden aufzureizen, 
um die Sklaverei zu „nationalifiren. Wenn Sie jene Stelle noch— 
mals forgfältig durchlefen, werden Sie finden, daß ich nichts 
Derartiges fagte. Ich fagte nur, was ich erwartete, daß ftatt- 


458 — Anhang. 





finden würde. Ich machte eine Prophezeiung — es mochte viel— 
leicht eine ſehr alberne ſein. Ich ſagte nicht einmal, daß ich 
wünſchte, die Sklaverei möchte endlich ausgerottet werden. Ich 
ſage es indeſſen jest, damit Fein längerer Streit darüber ftatt- 
finde, Es mag vielleicht in der nächften Rede niedergefchrieben 
werden. 


„Meine Herren, Richter Douglas belehrte Sie, daß dieſe meine 
Rede wahrfcheinlich forgfältig vorbereitet worden fei. Ich gebe 
es zu. Ich bin fein Meifter der Sprache; ich kann mich Feiner 
eleganten Erziehung rühmen; ich verftehe nicht viel von Dialel- 
tif; aber ich glaube nicht, daß Richter Douglas ein Recht hatte, 
einen ſolchen Schluß aus meinen Worten zu ziehen. Es liegt 
mir indeffen Nichts an Wortklaubereien, ch meiß, was ich 
meinte, und wenn ich es verhindern kann, fo will ich Sie nicht 
darüber in Zweifel laffen, mas ich wirklich mit jenem Paragra- 
phen zu fagen wünfchte, 


„Es ift mir erftens nicht unbekannt, daß diefe Regierung feit 
zweiundachtzig Fahren halb frei und halb mit Sflaverei beftanden 
bat. ch weiß das, ch bin ziemlich gut mit der Gefchichte des 
Landes befannt und meiß, daß es feit zweiundachtzig Jahren halb 
frei und halb mit Sklaverei beftanden hat. Ich glaube — und 
das ift es, worauf ich dort anfpielen wollte — ich glaube, daß 
fie beftanden hat, weil während jener ganzen Zeit bis zur Einfüh- 
rung der Nebrasfa-Bill das Bolf ftets in dem Wahn befangen 
war, daß die Sflaverei ihrem endlichen Erlöfchen entgegen fchreite, 
Das ift es, was ung während jener zweiundachtzig Jahre Ruhe 
verfchaffte; mwenigftens glaube ich es. Sch habe die Sklaverei ftets 
gehaßt, wie fie nur ein Abolitionift haffen konnte. Sch war ein 
Whig von der alten Linie (an Old Line Whig). Ich habe die 
Sklaverei ftets gehaßt, allein ich blieb ftets ruhig darüber, bis die 
neue Aera mit der Einführung der Nebraska-Bill begann. Ich 
glaubte ftets, daß Jedermann die Sklaverei haffe, und daß fie in 
ihrem allmäligen Erlöfchen begriffen fei. (Hier deutete Herr 
Lincoln auf Herrn Bromning, der nahe bei ihm fand.) Herr 
Browning dachte ebenfalls fo. Die große Maffe des Volkes war 


Anhang. 469 


in dem Wahn befangen, daß die Sklaverei in ihrem endlichen 
Erlöſchen begriffen fei. Sie hatte Grund, es zu glauben, 

„Die Annahme der Conftitution und die darauf folgenden 
Ereigniffe veranlaßte das Bolt zu diefem Glauben und zu der 
Meinung, daß die Gründer der Conftitution ſelbſt dieſer Anficht 
waren. Weshalb erklärten jene alten Männer zur Zeit der An- 
nahme der Conftitution, daß die Sklaverei fich nicht über die neuen 
Territorien ausbreiten dürfe, in denen fie nicht bereits war? 
Weshalb erklärten fie, dag binnen zwanzig Jahren der afrifanifche 
Sflavenhandel durch den Congreß verboten werden könne? Wes— 
halb alle jene Alte? ch Eönnte deren noch viel mehr aufzählen, 
allein e3 genügt. Was waren diefelben anders als eine klare 
Undeutung, daß die Gründer der Eonftitution das endliche Er- 
löfchen dieſes Inſtituts bezwedten und erwarteten? Und jetzt, 
wenn ich fage, wie ich in jener Rede fagte, aus der Richter Doug- 
las eitirte — wenn ich fage, daß meiner Anficht nad) die Gegner 
der Sklaverei der Ausdehnung derfelben Widerftand leiften und 
dem Bolfe Hoffnung geben werden, daß fie im endlichen Erlöfchen 
begriffen fei, fo will ich damit nur fagen, daß fie mit ihr verfahren 
werden, wie die Gründer dieſer Regierung urfprünglich mit ihr 
verfuhren. | 

„Ich habe fchon hundertmal gefagt, und ich bin nicht gefonnen, 
ein Wort davon zurüdzunehmen, daß ich glaube, das Volk ver 
freien Staaten babe fein Recht und follte auch nicht den Wunfch 
hegen, fich nach ven Sflavenftaaten zu begeben und fich dort in 
das Inſtitut der Sklaverei einzumifhen. Ich habe dies immer 
gefagt. Richter Douglas hörte mich es fagen — wenn auch nicht 
hundertmal, doc) fo gut wie hundertmal; und wenn man behaup- 
tet, ich fei zu Gunften der Einmifhung in die Sklaverei, wo fie 
beiteht, jo weiß ich, daß eine ſolche Behauptung durch Nichts ge— 
rechtfertigt ift, mas ich je beabfichtigte und, wie ich glaube, Durch 
Nichts, was ich je ſagte. Sollte ich (was ich nicht glaube) mich 
jemals einer Sprache bedient haben, die eine folche Deutung zu— 
läßt, fo nehme ich hiermit jedes Wort davon zurüd, 

„So viel über den Schluß, den Richter Douglas aus meiner 
Nede zog, daß ich zu Gunften der Aufwiegelung beider Sektionen 

— 





470 Das Leben Abraham Lincolns. 





zum Krieg gegen einander fei. Sch weiß, daß ich nie etwas Der- 
artiges beabfichtigte, und ich glaube, daß Fein Menfch ehrlicher- 
weife aus irgend einem Worte, das ” je fprach, einen ſolchen 
Schluß ziehen kann. 

„Jetzt einige Worte in Bezug auf feinen andern Schluß, dag 
ich zu Gunſten einer allgemeinen Confolidation ſämmtlicher loka— 
len Snftitute in den verfchiedenen Staaten fei. Ich will die Sache 
unterfuchen und fehen, wie ein Mann mit gefundem Berftande 
dazu fommen fonnte, einen folden Schluß aus irgend einer mei- 
ner Neden zu ziehen. Sch habe oftmals in Richter Douglas’ An— 
wefenheit gefagt, daß fein Menſch mehr als ich an das Prinzip 
der Selbftregierung glauben könne; daß daffelbe allen meinen 
Ideen von einer gerechten Regierung von Anfang big zu Ende zu 
Grunde liege. Sch habe in Abrede geftellt, daß er die richtige 
Anwendung von jenem Worte mache. Was aber die Sache felbft 
anbetrifft, fo leugne ich, Daß es mir je ein Mann in feiner Dinge 
bung für das Prinzip zuvorthat, wie wirkffam er daffelbe auch ver- 
theidigt haben mag. Ich glaube, ich habe es in Ihrer Gegenwart 
gefagt — daß nämlich meiner Anficht nach jedes Individuum ein 
natürliches Recht habe, mit fich felbft und den Früchten feiner Ar— 
beit zu fehalten und zu walten, wie ihm beliebe, fo lange feines 
andern Menfchen Rechte dadurch beeinträchtigt werden; daß jeder 
Staat ein Recht habe, mit allen feinen Angelegenheiten, die die 
Rechte feines andern Staates beeinträchtigen, nach Belieben zu 
verfahren, und daß die Generalregierung dem Prinzipe nach fein 
Recht habe, fich in Dinge einzumifchen, die nicht die ganze Nation 
im Allgemeinen angehen. Sch babe dies zu allen Zeiten gefagt. 
Ich habe als Beifpiele angeführt, daß Illinois fein Recht habe, 
fich in die Heidelbeerengefege von Indiana, Die Aufterngefebe von 
Virginien, oder die Schnappsgefege von Maine einzumifchen. ch 
habe diefe Dinge hundertmal gejagt und wiederhole fie hier als 
meine wahren Öfinnungen.... 

„So viel über meine Neigung, meinen Wunſch, fümmtliche 
Staatenlegislaturen umzuftürzen, um eine confolidirte Regierung 
und eine Uniformität der innern Regulationen ſämmtlicher Staa- 
ten herbeizuführen, was, wie ich vermuthe, fo viel bedeutet, daß 


Anhang. | 471 


wenn wir hier Welſchkorn ziehen, wir auch das Zuckerrohr hier 
ziehen müſſen, und daß wir auch im Süden ziehen müſſen, was 
wir im Norden ziehen. Dies iſt es wohl, was Douglas meint, 
daß ich begünſtige. Genug indeſſen von all' dieſem Unſinn — 
denn ich muß es ſo nennen. In Bezug auf eine Uniformität der 
innern Angelegenheiten der Staaten kann er ſich nicht mit mir 
ſtreiten. 

„Jetzt noch einige Worte über den andern Punkt, — die Dred 
Seott-Entfcheidung. Ein anderer feiner Streitpunkte mit mir iſt, 
wie er fagt, feine Devotion für die Dred Scott-Entfcheidung und 
meine DOppofition gegen dieſelbe. 

„Ih habe meine Oppofition gegen die Dred Seott-Entfcheidung 
ſchon zuvor erklärt und ich wiederhole fie hier; allein es fei mir 
geftattet, die Natur diefer Oppofition zu zeigen, und ich nehme 
daher Ihre Geduld auf eine kurze Zeit in Anſpruch. Was ver- 
fieht Richter Douglas mit feinem Ausdrud: „Widerſtand gegen 
die Entſcheidung?“ Ich widerftehe ihr nicht. Wenn ich Dred 
Scott von feinem Meifter wegnehmen mollte, fo wäre das eine 
Einmifhung in das Eigenthumsrecht eines Andern, und jene 
fohredliche Schwierigkeit, wie Douglas fagt, würde aus viefer 
Einmiſchung entfpringen. Es fällt mir indeffen nicht im Schlaf 
ein, etwas Derartiges zu thun, und Alles was ich thue ift, mich 
zu weigern, derfelben als einer politifhen Regel Gehorfam zu 
leiften.. Wäre ich im Congreß und es erhöbe fich die Frage, ob 
die Sklaverei troß der Dred Scott-Entfcheidung in einem neuen 
Territorium prohibirt werden folle, fo würde ich dafür ſtimmen. 

„Das iſt es, was ich thun würde. Richter Douglas fagte ge- 
ftern Abend, daß er vor der Entſcheidung feine Anficht augsfprechen 
dürfe, obfchon diejelbe mit der Entfcheidung, wenn fie erfolge, im 
Widerſpruch ftünde; nachdem aber die Entfcheidung abgegeben 
worden fet, wolle er dabei verharren, bis fie zurüdgenommen 
werde. Ganz recht! Wir wollen diefes Eigentum bei der Ent- 
ſcheidung verharren lafen, aber wir wollen verfuchen, jene Ent- 
fheidung umzuftoßen. [Lauter Beifall.) Wir wollen verfuchen, 
fie an einen Ort zu bringen, wo Richter Douglas Nichts Dagegen 
bat; denn er fagt ja, er wolle ihr gehorchen, bis fie zurüdgenom- 





472 Das Leben Abraham Lincolns. 





men werde. Irgend Jemand hat jene Entfcheidung umzuftoßen, 
da fie einmal gemacht worden ift, und wir gedenken es zu thun, 
und zwar auf friedliche Weife. 

„Wozu dienen gerichtliche Entfcheidungen? Sie haben zmeier- 
lei Nuten. Als Regeln für Eigenthum haben fie zweierlei Nuben, 
Erftens entfcheiden fie über die dem Gerichte vorliegende Frage, 
In diefem Falle ward entfchieden, daß Dred Scott ein Sklave ift. 
Niemand beftreitet das, Doch mehr noch, fie belehren Jedermann, 
daß jede Perfon, die in derfelben Lage ift, wie Dred Scott, eben- 
fallg ein Sklave iſt. Das heißt, fie entjcheiden, daß, wenn eine 
Frage in Bezug auf eine andere Perfon erhoben werden follte, 
diefe wiederum fo entfchieden werden wird; es fei denn, daß der 
Gerichtshof anders entfcheide — es fei denn, daß der Gerichtshof 
feine eigene Entfcheidung umftoße. Nun, wir gedenken alle un— 
fere Kräfte aufzubieten, um den Gerichtshof zu einer andern Ent— 
fcheidung zu veranlaffen. Dies ift ein Ding, das wir zu thun 
gedenken. 

„Der Mantel der Heiligkeit, den Richter Douglas über dieſe 
Entſcheidung wirft, beſitzt einen ſolchen Grad von Heiligkeit, wie 
er nie zuvor einer andern Entſcheidung beigelegt wurde. Ich 
habe nie von etwas Derartigem gehört. Entſcheidungen, die gute 
Rechtskenner jener Entſcheidung für zuwider hielten, wurden ſchon 
mehrmals von demſelben Gerichtshofe abgegeben. Sie iſt das 
erſte Ding der Art. Sie iſt ein coup d’etat in der Rechtsge— 
ſchichte. Sie ift ein neues Weltwunder. Sie ift auf Unwahr— 
ten in der Angabe der Thatfachen bafirt — Thatfachen, die in gar 
vielen Fällen Feine Thatſachen find — und nicht auf eine Ent- 
ſcheidung über irgend eine Frage. Es ift das erfte Beifpiel einer 
Entjeheidung, die unter fo vielen ungünftigen Umftänden abgege- 
ben wurde, und es bedurfte ftets der Beftätigung, ehe die Advoka— 
ten fie als wirkliches Gefeg betrachteten. Richter Douglas aber 
befteht darauf, daß Alle dieſe außerordentliche Entfcheidung, die 
unter fo außerordentlichen Umſtänden abgegeben wurde, als Ge- 
je betrachten, in Lebereinftimmung mit derfelben ihre Stimme 
im Congreß abgeben, fich derfelben unterwerfen und ihr auf jede 
mögliche Art Gehorfam leiſten müſſen. Umftände verändern Fälle, 


Anhang. 473 


Erinnern fich die Herren bier nicht des Falles, in welchem daffelbe 
Dbergericht vor etwa fünfundzwanzig oder dreißig Jahren ent» 
fchied, daß eine Nationalbank conftitutionell fei? Kann fi Nie- 
mand erinnern? Nun, es ift wahr, ob ſich Jemand daran erinnere 
oder nicht. Der Charter der Bank lief ab, und der Congreß be— 
willigte einen neuen Charter. - Derfelbe wurde dem Präfidenten 
Jackſon vorgelegt. Als er die Conftitutionalität der Bank in 
Abrede ftellte, wurde ihm vorgeftellt, das Dberbundesgericht hätte 
die Bank für conftitutionell erklärt. Präſident Jackſon aber er- 
wiederte, daß das Oberbundesgericht Fein Recht habe, eine Regel 
aufzuftellen, wodurch die coordinirten Zweige der Regierung con- 
trollirt würden, deren Mitglieder die Eonftitution zu unterftügen 
befchworen hatten; und daß jedes Mitglied gefchworen habe, die 
Conftitution nach feinem Verſtändniß zu unterftügen. Ich will 
hier nur noch hinzufügen, daß ich Richter Douglas felbft fagen 
hörte, daß er jenen Akt des Präfidenten Jackſon billige, Was 
wird nun aus feiner ganzen Tirade über den „Widerftand gegen 
das Dberbundesgericht 2 wi — * 

„sn Richter Douglas’ Rede geftern Abend wurden wir oft — 
mehr als einmal wenigfteng — daran erinnert, daß dieſe Negie- 
rung für weiße Leute gemacht fi — daß er glaube, diefelbe ſei für 
weiße Leute gemacht. Nun, das heißt die Frage in eine Geftalt 
Heiden, in der fie von Niemand beftritten werden wird; allein der 
Richter wird dann hibig und zieht Schlüffe, die nicht gerechtfertigt 
werden können. Sch proteftire jebt und für immer gegen jene 
Afterlogif, welche behauptet, Daß ich eine Schwarze, weil ich fie 
nicht zur Sklavin haben will, nothwendigermeife zur Gattin bes 
gehren müffe. Meinem Urtheil nach brauche ich fie weder zur 
Sklavin, noch zur Gattin zu haben; da Gott ung getrennt ge— 
fchaffen hat, fo können wir einander allein laffen und dadurch einan- 
der viel Gutes thun, Es giebt weiße Männer genug, um alle wei- 
Ben Weiber zu heirathen, und es giebt fchwarze Männer genug, um 
alle Schwarzen Weiber zu heirathen; drum laßt fie in Gottes Na— 
men fo heirathen. Der Richter regalirt ung mit den fchredlichen 
Enormitäten, die einer Racenvermifchung entfpringen, da die 
niedere Race die höhere unterdrüden werde, Nun, Freund 





474 Das Leben Abraham Lincolns. 





Douglas, laffen Sie diefelben nur nicht in Gemeinfchaft nach den 
Territorien gehen; hier werden fie fich nicht vermifchen! 

„Es tft nun Sitte bei ung, daß wir ung jedes Jahr am vierten 
Suli aus irgend einem Grunde verfammeln. Diefe Verſamm— 
lungen am vierten Juli haben ihren Zwed, wie ich vermuthe. 
Wenn Sie mir nun erlauben wollen, fo werde ich in Kürze dar— 
thun, was ich für den Zweck derfelben halte, | 

„Dir find jest eine mächtige Nation — etwa dreißig Millionen 
ftarf — umd eignen und bewohnen etwa ein Fünfzehntel des 
trodenen Landes der ganzen Erde, Laffen wir nun unfern Blid 
ungefähr zweiundachtzig Jahre in der Gefchichte unferes Landes 
zurüdfchweifen, jo werden wir entveden, daß wir damals ein fehr 
eines Volk waren, unendlich geringer an Zahl, als wir jegt find, 
mit bei MWeitem weniger Gebiet und bei Weitem weniger an Al- 
lem, was Menfchen gewöhnlich wünfchenswerth halten. Wir 
halten diefe Veränderung für außerordentlich vortheilhaft für ung 
und unfere Nachkommen und betrachten ein gewiſſes Etwas, das 
fich vor langer Zeit ereignete, als ein Ding, das gemiffermaßen 
mit diefem Steigen, mit diefer Zunahme in Berbindung fteht. 
Wir finden, daß in jenen Tagen eine Race Menfchen lebte, die 
wir unfere Väter und Großväter nennen; es waren eiferne 
Männer; fie kämpften für das Prinzip, das fie aufgeftellt hatten, 
und ihren Thaten haben wir die Wohlfahrt zu verdanfen, derer 
wir ung erfreuen, Wir halten diefen alljährlichen Feiertag, um 
uns an all’ das Gute zu erinnern, das feit jener Zeit gefchah, ſo— 
wie an die Art und MWeife, auf die es gefchah, und an die Perfo- 
nen, durch die es bewirkt wurde, und an die hiftorifche Kette, die 
ung mit ihnen verfnüpft. Wir verlaffen diefe Verfammlungen 
gewöhnlich zufriedener mit ung ſelbſt; wir fühlen ung mehr an 
einander gezogen und fefter an das Land gebunden, dag wir be— 
wohnen. In jeder Beziehung macht ung diefe Feier zu befferen 
Menfchen. Nachdem indeffen dies Alles gefhhehen, dürfen wir 
ung nicht einbilden, daß der Gipfel erreicht fei. Es bleibt ung 
noch etwas Anderes übrig. Außer den Menfchen, die vom Blute 
unferer Vorväter abftammten, haben wir Andere unter uns — fie 
mechen vielleicht die Hälfte der ganzen Nation aus — Die ganz 


Anhang. 475 





und gar nicht die Abkömmlinge jener Männer find; es find Leute, 
die von Europa kamen, Deutfche, Srländer, Sranzofen und Skan— 
dinavier; Leute, Die felbft von Europa famen, oder deren Vorfah— 
ren hierher famen, fich hier niederliegen und in allen Dingen un— 
feres Gleichen waren, Wenn Diefe nun einen Blid in die Ge— 
fehichte werfen, um ihre Blutsverbindung mit den Männern jener 
Tage zu fuchen, fo werden fie finden, daß fie feine haben; fie kön— 
nen fich nicht in jene glorreiche Epoche zurüdverfegen und fühlen, 
daß fie ein Theil von ung find. Wenn fie aber jene alte Unab- 
hängigfeits-Erflärung durchlefen, fo werden fie finden, daß jene 
alten Männer fagten: „Wir halten diefe Wahrheiten für felbit- 
verftändlich, daß alle Menfchen gleich gefchaffen wurden; und 
dann werden fie fühlen, daß jene moralifche Gefinnung, die an 
jenem Tage gelehrt wurde, ihre Berwandtfchaft mit jenen Män- 
nern nachweiftz daß jene Gefinnung der Vater eines jeden mora= 
liſchen Prinzips in ihnen ift, und daß fie ein Recht haben, diefe 
Verwandtſchaft zu beanfpruchen, als ob fie felbft Fleiſch vom Fleiſch 
und Blut vom Blut jener Männer wären, die die Unabhängig- 
Feitserflärung gefchrieben haben — und fie find ee. Dies ift 
das eleftrifche Band in jener Erflärung, dag die Herzen aller pa- 
triotifchen und freiheitsliebenden Männer mit einander verbindet, 
und das die patriotifchen Herzen an einander binden wird, fo 
lange die Liebe zur Freiheit die Gemüther der Menfchen in der 
ganzen Welt befeelt. 

„Run, meine Herreu, um die Dinge mit feiner Gleichgiltigkeits— 
politif in Bezug auf die Sklaverei hinwegzuräumen, um die Dred 
Scott-Entfheidung aufrecht zu halten, um zu beweifen, daß die Un— 
abhängigfeitserflärung gar Nichts bedeute, giebt uns Richter Dou- 
glas feine eigene Auffaffung derfelben und ſchwatzt ung vor, daß 
das Volk von Amerika dem Volke von England gleich fei. Diefer 
Auslegung zufolge habt ihr Deutfche Nichts mit der Sache zu ſchaf— 
fen. — Ih frage Sie nun in aller Nüchternheit, ob dieſe Dinge, 
wenn fie geduldet, beftätigt und indofjirt werden, wenn wir fie un- 
fern Kindern wiederholen und einprägen, nicht geeignet find, das 
Gefühl der Freiheit in Diefem Lande auszumerzen und unfere Re— 
gierungsform mit einer andern zu vertaufchen? Diefe Argumente, 


476 Das Leben Abraham Lincolne. 





daß die niedere Race mit fo viel Nachficht behandelt werden folle, 
als verfelben zuträglich ſei; daß man fo viel für fie thun müffe, als 
ihr Zuftand geftatte— was follen fie bedeuten? Es find genau die— 
felben Argumente, die zu allen Zeiten von Königen gemacht wur» 
den, um die Völker zu Inechten. Sie werden finden, daß alle Ar— 
gumente zu Öunften des Gottesgnadenthums der Könige und Fürften 
aus demfelben Stoffe fabrizirt find; fie febten fich flets auf den 
Naden der Völker, nicht fowohl zu ihrem Privatvergnügen, fondern 
weil fie behaupteten, daß die Völker befjer gehorchten, wenn fie ge— 
hörig zugeritten wären. Dies ift ihr Argument, und das Argu— 
ment des Richters Douglas ift diefelbe alte Schlange, die da fagt: 
„Ihr arbeitet und ich effe; ihr müht euch ab und ich will die Früchte 
eurer Mühe genießen.” Drebet das Argument nach welcher Seite 
ihr wollt—fomme es aus dem Munde eines Königs, als Entfchul- 
digung für die Knechtung feines Volkes, oder aus dem Munde einer 
Menfchenrace ald Grund, eine andere Race in Ketten und Banden 
zu halten: es ift und bleibt diefelbe alte Schlange, und ich bin über- 
zeugt, daß wenn wir ung jenen Argumenten fügen, die ung einreden 
mollen, wir follten ung nicht um bie Sflaverei fümmern, die Knech— 
tung nicht bei dem Neger ftehen bleiben wird. Wenn wir anfan- 
gen, Ausnahmen mit der Unabhängigfeitserflärung zu machen, 
welche alle Menfchen dem Prinzipe nach für frei erflärt, fo möchte 
ich gerne wiffen, wo wir aufhören würden, Wenn ein Mann be- 
hauptet, diefe Erklärung begreife den Neger nicht ein, fo fann ein 
Anderer ebenfo gut behaupten, fie ſchließe andere Menfchenklaffen 
oder Nationalitäten aus, Wenn jene Erklärung nicht wahr ift, 
nun fo holen wir das Statutenbuch und reißen wir fie heraus. Wer 
hat das Herz, es zu thun? Reifen wir fie heraus, wenn fie nicht 
wahr ift! (Ruf: „Nein! nein!) Nun, fo laßt uns diefelbe heilig 
halten und männlich vertheidigen. 

„Es ließe fich argumentiren, daß gewiſſe Umſtände gewiffe Noth- 
mwendigfeiten erzeugen und fie uns auferlegen, und daß wir ung 
denfelben unterwerfen müßten. Sch glaube, daß dies unfer Zu- 
ftand war, als wir diefe Regierung gründeten. Wir hatten Skla— 
ven unter und; wir fonnten die Conſtitution nicht erhalten, ohne 
diejelben in der Sklaverei zu laſſen. Wir konnten das Gute, das 


Anhang. 477 





wir erlangten, nicht erlangen, wenn wir mehr forderten, Indem 
wir uns aber aus Nothwendigfeit diefem Uebel fügten, folgt daraus 
feineswegs die Zerftörung des in der Unabhängigfeitserflärung 
ausgefprochenen Prinzips. Laßt uns daher jenes Dokument zu 
unferer Richtfehnur nehmen, 

„Mein Freund hat mir vorgeworfen, daß ich mich fchlecht auf's 
Citiren aus der Bibel verftehe. ch will es indeffen noch einmal 
verſuchen. In einer der Mahnungen unferes Herrn heißt es: 
„Seid vollfommen, mie euer Vater im Himmel vollfommen: ift.“ 
Unfer Heiland meinte damit wohl nicht, daß irgend ein menfchliches 
Geſchöpf fo vollkommen fein könne, wie der Vater im Himmel, Er 
wollte ung damit nur eine Vorfchrift geben, und Derjenige, welcher 
der Vorſchrift am nächften fommt, erreicht den höchften Grad mora⸗ 
liſcher Vollkommenheit. So fage denn auch ich in Bezug auf das 
Prinzip, dag alle Menfchen frei gefchaffen wurden: Laßt ung dem- 
felben fo nahe wie möglich fommen! Wenn wir nicht jeder Crea— 
tur Freiheit geben fünnen, fo laßt uns wenigfteng Nichts thun, mag 
einer andern Creatur Sklaverei auferlegt. Laßt und denn diefe 
Regierung wieder in den Canal zurüdlenfen, in den die Gründer 
der Eonftitution fie urfprünglich feßten. Laßt uns einander ftand- 
haft beiftehen, Wenn wir dies unterlaffen, fo ſchlagen wir die ent- 
gegengefegte Richtung ein, nach der ung Senator Douglas fchlep- 
pen möchte —nicht abfichtlich, wie ich glaube—und die ung am Ende 
zu einer großen Sflavennation machen würde, 


„Meine Freunde, ich habe Ihre Geduld länger in Anfpruch ge- 
nommen als ich beabfichtigte, und ich fage daher nur noch: Laßt 
uns alle unnügen Wortftreite über diefen Menfchen und jenen, 
diefe Race und jene meiden und ung vielmehr als ein einmüthiges 
Volk im ganzen Lande zufammenfchaaren und zufammenmwirken, bis 
dag wir uns aufs Neue erheben und erklären können, daß alle 
Menfchen gleich gefchaffen wurden. 


„Ich könnte nicht weiter reden, ohne auf einen neuen Gegenftand 
einzugeben, der Ihre Geduld zu lange feffeln würde, Sch danke 
Ihnen für die Ehre, die Sie mir diefen Abend durch Ihre aufer- 
ordentlich zahlreiche Anwefenheit erwiefen haben. Sch verlafje Sie 


478 Das Leben Abrabam Lincolns. 





mit der Hoffnung, daß die Lampe der Freiheit in Ihren Herzen 
leuchten möge, bis daß fein Zweifel mehr darüber herrſcht, daß alle 
Menfchen frei und gleich gefchaffen wurden,“ 





Einleitung der Rede Herrn Lincoln's zu Freeport. 


„Seine Damen und Herren: — Letzten Samftag trafen Rich- 
ter Douglas und ich zum erftenmal zu öffentlicher Diskufjion zu— 
fammen. Er ſprach eine Stunde, ich anderthalb Stunden, und 
er erwiederte dann eine halbe Stunde lang. Diesmal ift die Ord— 
nung umgefehrt. Sch fol eine Stunde fprechen, er anderthalb 
Stunden, und dann fol ich eine halbe Stunde lang ermwiedern, 
Ich werde die mir zugewiefene Stunde dem inhalt feiner halbſtün— 
digen Nede in Ottawa widmen, Natürlich enthielt diefe halbſtün— 
Dige Rede etwas von feiner Eröffnungsrede. Im Berlaufe diefer 
Eröffnungsrede legte mir Richter Douglas fieben verfchiedene Fragen 
vor. Sn meiner anderthalbftündigen Rede behandelte ich einige 
andere Theile feiner Rede und beantwortete zufälligermweife eine fei= 
ner Fragen. Sch gab ihm dann deutlich zu verftehen, daß ich 
feine übrigen Fragen beantworten würde, jedoch nur auf die Be— 
Dingung hin, daß er mir eine gleiche Anzahl Tragen beantworte, 
Er ließ fih zu jener Zeit nicht über den Vorſchlag vernehmen, 
noch fpielte er in feiner Erwiederung auf denfelden an. Sch thue 
ihm fein Unrecht, wenn ich fage, daß er mindeftens eine halbe 
Stunde feiner Rede mich derart behandelte, als ob ich mich gewei— 
gert hätte, feine Fragen zu beantworten. Sch mache ihm jet den 
Vorſchlag, eine jede der Fragen zu beantworten, auf die Bedingung 
hin, daß er eine gleiche Anzahl meiner Fragen beantworte, Sch harre 
auf feine Einwilligung ..... Er bleibt ftumm. Sch fage jest, 
daß ich feine Fragen beantworten will, ob er Die meinigen beant- 
wortet oder nicht; und nachdem ich damit zu Ende bin, werde ich 
ihm meine Fragen vorlegen, 

„Seit der Organifation der republifanifchen Partei zu Bloom- 
ington, im Mai 1856, habe ich mich ftets als Parteimann durch 
Die damaligen und feitherigen Plattformen der Partet gebunden be- 


Anhang. | 479 





trachtet. Wenn ic) nun in der Beantwortung der Douglas'ſchen 
Fragen aufirgend eine Weife die Tragweite jener Plattformen über- 
fchreite, fo fällt natürlich die Verantwortlichkeit auf Niemand als 
mich felbft. 

„Sch gehe nun zu des Richters Fragen über, wie ich fie in der 
Chicogo „Times“ abgedrudt finde und beantworte fie seriatim, 
Damit fein Irrthum ftattfinden möge, habe ich die Fragen, fowie 
auch meine Antworten fopirt, Die erfte Frage lautet wie folgt: 

Stage 1. „Ich wünfche zu wiffen, ob Herr Lincoln heute noch 
zu Öunften der unbedingten Widerrufung des Geſetzes über flüch- 
tige Sklaven ift, wie er im Jahre 1854 war?“ 

Antwort. „Sch bin weder heute, noch war tch jemals zu Gun— 
ften der unbedingten Widerrufung des Gefehes über flüchtige 
Sklaven,” 

Frage 2. „Sch bitte ihn, zu antworten, ob er heute noch, wie 
im Fahre 1854, gegen die Zulaffung neuer Sktlavenftaaten in die 
Union, felbft wenn das Volk es wünfcht, verpflichtet iſt?“ 

Antwort. „Sch bin weder heute, noch war ich je gegen Die 
Zulaſſung neuer Sklavenftaaten in die Union verpflichtet.“ 

Srage 3. „Sch wünfche zu wiffen, ob er gegen die Aufnahme 
eines neuen Staates in die Union mit einer foldhen Eonftitution, 
wie fie das Volk diefes Staates zu machen beliebt, verpflichtet iſt?“ 

Antwort. „Ich bin nicht gegen die Aufnahme eines neuen 
Staates in die Union mit einer ſolchen Eonftitution, wie fie das 
Bolf diefes Staates zu machen beliebt, verpflichtet.“ 

Frage 4. „Ich wünſche zu mwiffen, ob er heute für die Ab- 
fhaffung der Sklaverei im Diftrift Columbia verpflichtet ift 2” 

Antwort. „Ich bin heute nicht für Abjchaffung der Sklaverei 
im Diftrift Columbia verpflichtet.” 

Frage 5. „Sch bitte ihn, zu antworten, ob er für die Dröble 
bition des Sklavenhandels zwifchen den einzelnen Staaten verpflich- 
tet ift 2” 

Antwort, „Sch bin nicht für die Prohibition des Sklaven- 
handels zwifchen den einzelnen Staaten verpflichtet.” 

Stage 6. „Sch wünfche zu wiffen, ob er für die Prohibition 
der Sflaverei in fünmtlichen Territorien der Vereinigten Staaten, 


480 Das Leben Abraham Lincolns. 


ſowohl nördlich wie fünlich von der Miffouri-Compromißlinie, ver- 
pflichtet ift 2 

Antwort, „Ich bin andeutungsweife, wenn nicht ausdrüd- 
lich, zu einem Glauben an das Recht und die Pflicht des Con— 
Hrefies, die Sklaverei in füämmtlichen Ver. Staaten-Territorien zu 
prohibitiren, verpflichtet 2 

Frage 7. „Ich erfuche ihn, zu antworten, ob er gegen die Ac— 
quifition eines neuen Gebietes ift, es fei denn, daß die Sklaverei 
zuerft darin verboten würde 2” 

Antwort. „Ich bin nicht im Allgemeinen gegen ehrliche Ge- 
biet3-Acquifition; gefegten Falls würde ich folcher Acquifition op= 
poniren oder würde es nicht thun, je nachdem meines Erachtens 


ſolche Acquifition die Sklavereifrage unter * ſelbſt agitiren würde 
oder nicht.“ * * 


„Nun, meine Freunde, bei genauer Prüfung dieſer Fragen und 
Antworten wird ſich ergeben, daß ich bis jetzt blos geantwortet habe, 
ich ſei nicht für Dieſes oder Jenes verpflichtet. Der Richter 
hat ſeine Fragen ſo geſtellt, daß ich nichts anderes darauf antworten 
konnte, weshalb ich fie denn auch dem ſtrengen Wortlaut gemäß be— 
antwortete; und ich habe der Wahrheit gemäß geantwortet, daß 
ich in Bezug auf feinen der verfchiedenen Punkte verpflichtet 
fei. Ich bin indeffen nicht geneigt, mich an die genaue Form feiner 
Fragen zu binden. Sch werde hingegen wenigfteng einige derfelben 
nochmals aufnehmen und angeben, was ich wirklich Davon denke. 

„Was nun die erfte, in Bezug auf das Geſetz über flüch— 
tige Sklaven anbelangt, fo ftand ih nie an, und ftehe auch 
jest nicht an, zu fagen, daß nah meinem Dafürhalten 
das Bolf der ſüdlichen Staaten der Eonftitution der BVereinig- 
ten Staaten gemäß zu einem congreffionellen Sklavengeſetz be— 
rechtigt ift. Und nachdem ich dies erflärt hatte, bleibt mir in Be- 
zug auf das beftehende Gefet über flüchtige Sklaven weiter Nichts 
zu fagen übrig, als daß es meiner Anficht nach fo hätte abgefaßt 
werden follen, daß es ohne Beeinträchtigung feiner Wirkfamfeit von 
einigen gerechten Einwürfen frei geblieben wäre. Inſofern aber 
gegenwärtig feine Agitation hinfichtlich einer Abänderung oder Mo- 
dififation dieſes Geſetzes ftattfindet, würde ich mich nicht dazu ver- 





Anbang. 481 





ftehen, daffelbe zu einem neuen Gegenftand der Agitation über die 
Sflavereifrage im Allgemeinen zu machen, 

„Was nun die zweite Trage anbelangt, ob ich gegen die Zulaf- 
fung weiterer Sklavenftaaten verpflichtet fei, fo will ih Ihnen frei 
heraus fagen, daß es mir höchft unlieb fein würde, über diefe Frage 
entfcheiden zu müffen, Sch würde außerordentlich froh fein, wenn 
nie mehr ein neuer Sklavenſtaat in die Union aufgenommen würde ; 
ich muß aber hinzufügen, daß, wenn die Sklaverei während der 
Zerritorial-Eriftenz irgend eines Territoriums aus demfelben aus— 
gefchloffen bliebe, und dem Volke, wenn es fich an die Adoption einer 
Eonjtitution macht, eine redliche Chance gegeben würde, unbeein- 
flußt von der faktifchen Anwefenheit des Inftituts, feinen Willen 
zu erklären, und wenn diefes Bolf dann ein foldhes Monftrum, wie 
eine Sflaven-Eonftitution, freiwillig adoptirte, ich Feine andere Al- 
ternative fehen Fönnte, als den Staat in die Union aufzunehmen. 

„Die dritte Frage ift ihrem MWefen nach diefelbe wie Die zweite, 
und ift daher Durch die Antwort auf diefe beantwortet. 

„Die vierte Frage bezieht fich auf die Abſchaffung der Sklaverei 
im Diftrift Columbia, In Bezug hierauf bin ich längſt ſchon im 
Klaren mit mir felbft. Es follte mich außerordentlich freuen, die 
Sklaverei im Diftrift Columbia abgefchafft zu fehen. Sch glaube, 
daß der Congreß die conftitutionelle Macht befist, fie abzufchaffen. 
Dennoch würde ich als Kongrefmitglied mit meinen gegenwärti- 
gen Aufichten die Anftrebung der Abfchaffung der Sklaverei 
im Diftrift Columbia nur auf folgende Bedingungen bin be- 
günftigen: Erfteng, daß die Abſchaffung allmälig ftattfinde; 
zweitens, daß fie auf das Votum einer Majorität der qualifi- 
eirten Stimmgeber des Diftriftes vorgenommen werde; drit— 
tens endlich, daß den unwilligen Eigenthümern Entfhädigung 
gegeben werde. Auf diefe drei Bedingungen bin würde ich 
außerordentlich froh fein, die Sklaverei im Diftrift Columbia ab- 
gefhafft zu fehen, und mit den Worten Henry Clay’s „diefen 
Schandfled unferer Nation aus unferer Hauptftadt wegzufegen.“ 

„Bas nun die fünfte Trage anbelangt, fo muß ich hier fagen, 
daß ich in Bezug auf die Abfchaffung des Sklavenhandels zwiſchen 
den einzelnen Staaten wahrheitsgetreu antworten fann, dag ich 

31 


482 Das Leben Abraham Lincolns. 





hierüber zu Nichts verpflichtet fei. Es tft dies ein Gegen— 
ftand, dem ich nicht jene reiflliche Erwägung gewidmet habe, vie 
mich autorifiren würde, eine Pofition anzunehmen, an die ich 
gänzlich gebunden wäre. Mit andern Worten, diefe Frage hat . 
mir noch nie fo prominent vorgefchwebt, dag ich dadurch veran- 
laßt worden wäre zu unterfuchen, ob wir wirklich eine conftitu= 
tionele Macht dazu haben. ch könnte fie unterfuchen, wenn ich 
die erforderliche Zeit Hätte, mir einen Schluß über jenen Gegen— 
ftand zu bilden; allein ich geftehe Ihnen und Richter Douglas, 
daß ich es bis jegt noch nicht gethan habe. Ich muß indeffen 
bemerken, daß wenn ich der Anficht wäre, der Congreß hätte die 
eonftitutionelle Macht, den Sklavenhandel zwifchen den einzelnen 
Staaten abzufchaffen, ich trotzdem nicht zu Öunften der Aus— 
übung diefer Macht wäre, ausgenommen auf irgend ein confer- 
vatives Prinzip bin, Ähnlich dem, daß _ich in Bezug auf die Ab- 
Ihaffung der Sklaverei im Diftrift Columbia erwähnte. 

„Meine Antwort auf die Frage, ob ich das Verbot der Sklaverei 
in ſämmtlichen Territorien der Union wünfche, ift an und für fich 
far und vollftändig genug, und könnte durch feinen weiteren 
Commentar klarer gemacht werden. Das Gleiche gilt in Bezug 
auf die Frage, ob ich der Acquifition weiteren Gebietes opponire, 
wofern nicht zuerft die Sklaverei in demfelben verboten würde; 
ih müßte meiner Antwort Nichts hinzuzufügen, was diefelbe 
deutlicher und augenfcheinlicher machen Fünnte, 

„In Bezug auf alle diefe Punkte nun hat der Richter meine 
öffentlich ausgefprochenen und ſchriftlich ausgedrüdten Anfichten, 
Sch vermuthe, er fehmeichelte fich nicht wenig mit der Anficht, daß 
ich wirklich verfchiedene Anfichten über diefelben Gegenftände für 
verfchiedene Orte in Bereitfchaft hätte — daß ich mich fürchtete, 
an einem Orte zu fagen, was ich an einem andern geäußert hatte, 
Was ich hier fage, Das fage ich zu einem großen Auditorium, das 
fich fo ftark zum Abolitionismug hinneigt, wie irgend ein Audito= 
rium im Staate Illinois; und ich glaube, daß wenn Das, was ich 
fage, irgend einem Mann anftößig wäre und ihn mir zum Feinde 
machte, es gewiß vielen Perfonen unter diefem Auditorium an 
ftößig fein würde. 


Anhang. | 483 





Brief des Prafidenten Lincoln an General MeClellan. 


Wafhington, am 9. April 1862, 

„Geehrter Herr: — Ihre Depefchen, worin Sie fi über den 
Mangel an gehöriger Unterftügung beflagen, beleidigten mich 
zwar nicht, fchmerzten mich aber fehr, 

„Blenker's Divifion wurde Ihnen entzogen, ehe Sie von bier 
weggingen, Sie fennen den Drud, unter welchem ich es that 
und darein willigte — ficherlich gefchah es nicht ohne langes 
Zögern. 

„Nach Ihrem Abzug erfuhr ich, Daß weniger als zwanzig Tau— 
fend unorganifirte Truppen, ohne eine einzige Feldbatterie, Alles 
war, was Sie zur Vertheidigung von Wafhington und Manafjas 
Junction zu hinterlaffen beabfichtigten, und felbft ein Theil von 
diefen war zu General Hoofer’s alter Pofition geftoßen, General 
Banks’ Corps, das zuvor für Manaffas Junction beftimmt geme- 
fen, war zurüdberufen und an der Linie von Winchefter und 
Strasburgh poftirt worden und Fonnte feine Pofition nicht ver— 
laffen, ohne auf's Neue den obern Potomac und die Baltimore und 
Ohio Eifenbahn zu entblößen. Dies war eine ftarfe Berfuchung 
für den Feind, vom Rappahannod zurüdzufallen und Waſhington 
zu nehmen; befonders wäre dies jebt der Fall, wenn MeDowell 
und Sumner gingen, Meine ausdrüdliche Ordre, daß Wafhing- 
ton dem Urtheil der Commandeurs ſämmtlicher Armee-Eorpg zu— 
folge vollkommen gededt bleiben follte, war vernachläſſigt worden, 
Und gerade diefer Umftand beftimmte mich, MeDowell hier zu be= 
halten, 

„Ich habe Feineswegs vergeffen, daß ich mit Ihrem Arrange- 
ment, Banks zu Manaffas Junction zu laffen, einverftanden war, 
Nachdem aber diefes Arrangement bei Seite gefegt und nichts 
Anderes dafür fubjtituirt war, war ich natürlich genöthigt, ſelbſt 
in der Sache zu handeln. Und num geftatten Sie mir die Frage, 
ob Sie wirklich denken, ich follte die Linie von Richmond via Ma- 
naſſas Junction nach diefer Stadt gänzlich offen laſſen, ohne 
irgend einen andern Schuß, als den zwanzig Taufend unorgani— 


484 Das Leben Abraham Lincolns. 





firte Truppen zu gewähren vermögen? Dies ift eine Frage, deren 
Umgehung mir das Land nicht geftatten wird, 

„Es herrſcht ein fonverbares Geheimniß über die Anzahl der 
Truppen, die Sie bei fich haben, Als ich Ihnen am 6. telegra= 
phirte und fagte, Sie hätten über hundert Taufend Mann bei fi, - 
hatte ich eben vom Kriegsfefretär einen Bericht erhalten, der, wie 
er mir fagte, von Ihnen felbft herrührte, woraus ſich eine Ge- 
fammtzahl von einhundert und acht Tauſend Truppen ergab, die 
‚Sie theils bei fich hatten, oder die im Begriffe ftanden, zu Ihnen 
zu ftoßen. Sie fagen jebt aber, fie würden bloß fünfundachtzig 
Taufend haben, wenn alle en route zu Ihnen geftoßen fein wer- 
den, Wie fol ich mir den Unterfchied yon dreiundzwanzig Tau- 
fend Mann erklären? 

„Beneral Wool's Commando thut, wie ich höre, daſſelbe für 
Sie, was eine gleiche Anzahl Shres eigenen zu thun haben würde, 
wenn jenes Commando nicht an Ort und Stelle wäre, 

„Die ganze Force, die mit Ihnen abging, ift gegenwärtig bei 
Ihnen, wie ich vermuthe. Wenn dies der Fall ift, fo denke ich, 
daß es endlich an der Zeit wäre, daß fie drauf los ſchlügen. 
Durch Zögerungen wird der Feind verhältnifmäßig einen Vor— 
theil über Sie erhalten — das heißt, er wird durch Verſchanzun— 
gen und Berftärfungen mehr und rafcher gewinnen, als Sie durch 
Berftärfungen allein gewinnen fünnen. Ich wiederhole, es ift 
unumgänglich nothwendig, daß Sie drauf losſchlagen. Sch habe 
nicht die Macht, es Ihnen zu erlaffen. Sie werden mir die Ge- 
rechtigfeit widerfahren laffen, fich zu erinnern, daß ich ftet3 darauf 
beftand, daß die Bai hinabzugehen, um ein günftiges Terrain zu 
gewinnen, anftatt zu Manafjas zu Fampfen, die Schwierigkeit nur 
verändern, nicht aber überwinden hieße, und daß wir an beiden 
Plätzen denfelben Feind und diefelben oder gleiche Berfchanzungen 
finden würden. Das Land wird nicht verfehlen, zu bemerken — 
es bemerkt jest fhon — daß Ihr Zaudern, auf einen verfchanzten 
Feind loszumarſchiren, nur eine Repetition der Manafas Af- 
faire ift, 

„Ich verfichere Ihnen, dag ich niemals mit wohlmollenderen 
Gefühlen zu Ihnen geredet habe, als jest, noch mit aufrichtigerer 


Anhang. 485 


Abficht, Sie zu unterftügen, foweit es mir nach gewiffenhaftem 
Urtheil möglich ift, Allein Sie müffen handeln, 

„Aufrichtig der Ihrige, 
Abraham Sincoln.” 





„Seneral-Major MeClellan.“ 





Brief an General Schofield in Bezug auf die Abſetzung des 
General Curtis. 


„Erelntiv-Gebäude, Waſhington, den 27, Mai 1863, 
„General 3. M. Schofield, 


„Werther Herr: — Nachdem ich General Curtis abgefegt 
und Ihnen das Commando des Miffouri-Departements übertras 
gen habe, mag es vortheilhaft für mich fein, wenn ich Sie mit den 
Gründen befannt mache, die mich dazu bewegten. Ich fette Gen. 
Curtis nicht ab, weil er meiner Ueberzeugung nach Unterlafjungs- 
oder Begehungsfehler gemacht hatte, Ich that e8 aus meiner 
Veberzeugung, daß die Unionsleute in Miffouri, die, wenn verei- 
nigt, eine große Majorität des Volfes ausmachen, einen abjcheu- 
lichen, factiöfen Streit unter ſich felbft angefangen haben, bei 
welhem Gen. Curtis (vielleicht nicht aus freier Wahl) das Haupt 
der einen Faction und Gouverneur Gamble das Haupt der an— 
dern war. Nachdem ich mich Monate lang bemüht hatte, die 
Schwierigfeiten zu befeitigen, ſchien mir Das Uebel fchlimmer und 
und fohlimmer zu werden, bis ich es endlich für meine Pflicht hielt, 
demfelben auf irgend eine Art zu fteuern. Da ich nun Gouver— 
neur Gamble nicht abfegen Fonnte, mußte ich General Curtis 
abjegen. Sebt, da Sie deffen Stelle einnehmen, wünfche ich, daß 
Sie fi weder um das befümmern, was Gouv. Gamble, noch um 
das, was Gen. Curtis that, fondern daß Sie Ihrem eigenen Ur— 
theile nach zum Beſten ver öffentlichen Intereſſen handeln, 
Laffen Sie Ihre milttärifhen Maßregeln ftark genug fein, um 
feindliche Einfälle zu verhindern und Frieden zu halten, und den— 
noch nicht zu ftarf, daß das Volk dadurd bevrüdt und verfolgt 
würde. Es ift eine fehwierige Nole, und um fo größer wird die 


486 Das Leben Abrabam Lincolns. 





Ehre für Sie fein, wenn fie dieſelbe gut fpielen. Wenn beide 
Factionen oder Feine über Sie ſchmähen, fo werden Sie wahr- 
ſcheinlich im Rechte fein. Hüten Sie fich aber davor, son der 
einen angegriffen und von der andern gelobt zu werden. 
„Aufrichtig der Fhrige, 
Abraham Fincoln.“ 


Aufgebot von dreihunderttaufend Mann. 


„Sintemalen der Dienfttermin eines Theiles der Boluntär- 
truppen der Vereinigten Staaten während des fommenden Jahres 
ablaufen wird; und | 

„Sintemalen es für zwedmäßig erachtet wird, außer den 
durch gegenwärtige Ziehung aufgebrachten Mannfchaften ein Auf- 
gebot von dreihunderttaufend Mann zu erlaffen, und zwar für 
eine Dienftzeit von drei Jahren oder auf Kriegsdauer — jedoch 
nicht länger als für drei Jahre: 

„Deshalb erlaffe ich, Abraham Jincoln, Präfident der Ber- 
einigten Staaten und Oberbefehlshaber der Armee und Marine 
derfelben, fowie der Miliz der verfchiedenen Staaten, wenn in 
activen Dienjt gerufen, diefe meine Proflamation, wodurch ich die 
Gouverneure der einzelnen Staaten auffordere, ihre Quoten von 
dreihunderttaufend Mann aufzubringen und für den Dienft der 
Vereinigten Staaten anzumerben, und zwar für die im Felde 
ftehenden verfchiedenen Compagnien und Regimenter ihrer refpef- 
tiven Staaten. ; 

„Serner proflamire ich, daß alle fo aufgeforderten und gehörig 
angeworbenen VBoluntäre Vorausbezahlung, Prämium und Bounty 
erhalten follen, wie es bereits durch fpezielle Briefe vom Kriegs- 
departement durch das General-Profog-Marfhalls Bureau den 
Gouverneurs der Staaten mitgetheilt wurde. 

„Ferner proflamire ich, daß alle durch dieſes Aufgebot erhaltenen 
Boluntäre, fowie alle andern, die bisher nicht ereditirt wurden, von 
den für nächfte Ziehung feftgeftellten Quoten abgezogen und credi- 
tirt werden ſollen. 


\ 


Anhang. 487 





„Ferner proflamire ich, Daß wenn irgend ein Staat verfehlen 
follte, die ihm unter diefem Aufgebot vom Kriegsdepartement ange» 
wiefene Quote zu ftellen, für den fehlenden Reft befagter Quote in 
befagtem Staate oder den Diftrikten befagten Staates, eine Ziehung 
ftattfinden fol, um die Proportion befagter Quote zu füllen; und 
diefe Ziehung fol am fünften Tage im Januar 1864 beginnen. 

„Und ferner proflamire ich, dag Nichts in diefer Proflamation 
den beftehenden Ordres zumiderlaufen fol, ſowie auch denen, die 
für gegenwärtige Ziehung in den Staaten, wo diefelbe jet vor ſich 
geht oder noch nicht begonnen hat. | 

„Die Quoten der Staaten und Diftrifte werden von dem Kriegs— 
Departement durch das General-Profoß-Marfchalls Bureau ange- 
wiefen werden, wobei jedoch den zuvor durch freiwillige Anwerbung 
oder Ziehung gelieferten Truppen gebührende Rechnung getragen 
werden fol. Das Rekrutiren wird in Hebereinftimmung mit folchen 
Snftruftionen betrieben werden, wie fie von jenem Departement 
erlaffen wurden oder noch erlaffen werden mögen. 

„Indem ich diefe Proflamation erlaffe, wende ich mich nicht nur 
an die Gouverneurs der einzelnen Staaten, fondern auch an die 
guten und loyalen Bürger derfelben und erfuche fie, den hiermit 
angeordneten Maßregeln ihre willige und wirkfame Hilfe angedeihen 
zu laffen zur Unterftügung und Verſtärkung unferer fiegreichen 
Armeen im Felde, um unfere militärifchen Operationen zu einem 
glüdlichen Ende zu bringen und die Quellen des Aufruhrs und 
Bürgerfrieges für immer zu verftopfen. 

„Zum Zeugniß deffen habe ich meine Namensunterfchrift hier 
beigefebt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Segeben in der Stadt Wafhington am fiebzehnten Tag des 
Monats October, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert 
und dreiundfechzig, und im achtundachtzigften der Unabhängigkeit 


der Vereinigten Staaten. 
Abraham Sincoln. 
„Auf Befehl des Präfidenten : 
„Billiam H. Seward, Staatsſekretär.“ 


488 Das Leben Abraham Lincolns. 





Rev. Dr. MePheeters — Erwiederung des Prafidenten auf 
ein Gejuh um Einmiſchung. 
„Erelutiv-Gebäude, Wafhington, den 23. Dez. 1863, 

„Soeben durchlas ich eine Petition, unterzeichnet von etwa drei 
Dutzend Bürgern von St. Louis, fowie ihre begleitenden Briefe, 
worunter einer von Ihnen felbft, einer von Mr. Nathan Ranney 
und einer von Mr. John D. Coalter; fümmtliche in Bezug auf 
den hochwürdigen Dr. Me Pheeters, Die Petition bittet mich im 
Namen der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, dag ich Dr. MePhee- 
ters wieder in alle feine Firchlichen Rechte einfebe. 

„Die Petitign deutet jedoch nicht an, melcherlei Firchliche Rechte 
ihm entzogen wurden. Sie fagen in ihrem Briefe, Profog-Marfchall 
Die habe vor ungefähr einem Jahre Dr. MePheeters, Paftor der 
Vine-Straße Kirche verhaften laffen, ihm die Verwaltung feines 
Amtes unterfagt und die Leitung der Kirchenangelegenheiten der 
Controle der erwählten Kirchenverwalter entzogen. Am Ende des 
Briefes jagen Sie, daß ein gewiſſes Verfahren „feine Freilafjung 
bewirken würde.’ — Mr. Ranney’s Brief gibt an: „Dr. Samuel 
MePheeters ift im Genuß aller bürgerlichen Rechte, darf aber das 
Evangelium nicht predigen!” — Mr, Eoalter frägt in feinem 
Briefe: „Ift es nicht ein fonderbarer Zuftand der Dinge, daß die 
Frage, wem es geftattet fein folle, in einer Kirche zu St, Louis zu 
predigen, vom Präſidenten der Vereinigten Staaten entſchieden 
werben foll 2 i 

„Run ja, dies Alles klingt fehr fonderbar, und obendrein noch, 
als ob Sie, meine Herren, den Caſus nicht gleichmäßig verftänden, 
Einer von Ihnen belehrt mich, daß dieſer hochwürdige Doktor im 
Genuß aller bürgerlichen Rechte fei, während der Andere mir fagt, 
ein gewifjes Verfahren würde „feine Freilaffung bewirken.“ Am 
zweiten Januar dieſes Jahres fchrieb ich an General Eurtis in 
Bezug auf Profoß-Marſchall Dick's Ordre zur Verhaftung des Dr. 
MePheeters; da ich nun vermuthe, daß fich ver Doktor jest im 
Genuß aller bürgerlichen Rechte befindet, fo eitire ich nur jenen 
Theil meines Briefes, der ſich auf die Kirche bezieht. Er lautete 
wie folgt: „Ich muß indeffen hinzufügen, daß die Negierung der 


Anhang. 489 


Vereinigten Staaten fich nicht, wie mit dieſer Ordre gefchah, in Die 
Kirchen mifchen darf, Wenn ein Individuum innerhalb oder 
außerhalb einer Kirche für das öffentliche Intereſſe gefährlich wird, 
fo muß es im Schach gehalten werden; die Kirchen aber müffen 
als folche für fich felbft forgen, Es geht nicht an, daß die Regie- 
rung der Vereinigten Staaten Auffeher, Verwalter oder andere 
Agenten für die Kirchen beftelle.” 

„Diefer Brief ging an General Eurtis ab, der fi) damals im 
Commando befand, und ich glaubte, meine Befehle feien befolgt 
worden, da ich faft ein ganzes Jahr lang Feine weitere Klage von 
Dr, MePh. oder feinen Freunden hörte, Sch Habe nie daran ge- 
dacht, mich in die Frage zu mifchen, wer in einer Kirche predigen 
fol oder nicht; noch Habe ich jemals mit Wiffen und Willen gedul- 
det, daß fich irgend Femand in meinem Namen darein mifche, 
Sollte fi irgend Jemand auf meine Autorität eine folche Ein- 
mifchung zu Schulden kommen laffen, fo wünfche ich davon fpezififch 
in Kenntniß geſetzt zu werden. 

„sh muß indeffen das Gefuh, Dr. MePheeters gegen den 
Willen einer Majorität feiner eigenen Gemeinde wieder in fein 
Amt einzufegen, entfchieden ablehnen. Ich wünfche Feine Eontrole 
über Kirchenangelegenheiten irgend welcher Art zu haben, 


Abraham Fincoln.“ 








Ordre in Bezug auf eine Wahl im Stant Arkanjas. 


„Erefutiv-Gebände, Wafhington, Januar 20, 1864, 

„Öeneral- Slajor Steele:—Berfhiedene Bürger des Staates 
Arkanfas erfuchen mich, daß in jenem Staate eine Gouverneurs» 
wahl abgehalten werden dürfe; — daß es bei diefer Wahl und 
fortan zu verftehen fei, daß die Eonftitution und die Geſetze des 
Staates in voller Kraft feien, wie vor der Rebellion; mit Aus— 
nahme, daß die Eonftitution fo modifizirt werde, daß fie erkläre, 
daß Feine Sklaverei oder unfreimillige Knechtſchaft ftattfinden dürfe, 
ausgenommen als Strafe für Verbrechen, deren eine Perfon gefeb- 
lich überführt worden ift ;—daf die General-Affembly Beſtimmun— 


450 Das Leben Abraham Lincolns. 





gen für die befreiten Farbigen treffe, durch welche ihre permanente 
Freiheit erklärt und anerkannt und für ihre Erziehung geforgt 
werde, die aber dennoch als ein temporäres, ihrem gegenwärtigen 
Zuftand als einer arbeitenden, land- und heimathlofen Klaſſe an- 
gemefjenes Arrangement betrachtet werden fünnen ;—daß befagte 
Wahl am 28. März 1864 an al’ den verfchiedenen Drten des 
Staates oder ſolchen abgehalten werden, wo die Stimmgeber fich 
zu diefem Zwede verfammeln können; — daß die Stimmgeber am 
Morgen des befagten Tages um 8 Uhr fi verfammeln und Wahl- 
tichter und Clerks erwählen; — daß alle laut befagter Conftitution 
qualifizirten Stimmgeber, die den in der Proflamation des Präfi- 
denten vom 8. Dezember 1863 vorgeschriebenen Eid entweder vor 
oder bei der Wahl leiften, und feine Andere, Stimmgeber feien >— 
daß fümmtliche Wahlrichter und Elerks ihre Berichte an oder vor 
tem —ten Tag des Monats direft an Sie einfenden —— 
daß in allen andern Beziehungen befagte Wahl befagter Eonftitu- 
tion und den Geſetzen gemäß vor fich gehe;— daß Sie, wenn nad) 
Empfang befagter Berichte fünftaufend vierhundert und ſechs Stim— 
men abgegeben fein werden, befagte Stimmen in Empfang nehmen 
und jehen fünnen, wer durch diefelben gewählt fein wird; — Daß 
am —ten Tage des Monats ſämmtliche erwählten Perfo- 
nen, die in Little Rod vor Ihnen erfcheinen und einzeln vor Ihnen 
den Eid leiften, die Eonftitution der Vereinigten Staaten und be- 
fagte modificirte Conftitution des Staates Arkanfas zu unterftügen, 
von Ihnen als qualificirt und autorifirt erklärt werden, fofort die: 
Pflichten der refpeftiven Aemter anzutreten, zu denen fie erwählt 
worden. | 

„Sie werden daher anordnen, daß am 28. März 1864 eine 
Wahl ftattfinde, und daß die Berichte fünfzehn Tage fpäter einge- 


fandt werben, 
Abraham Sincoln.” 


Einige Tage darauf fehrieb der Präfivent folgenden Brief: 


„William Fiſhback, Efg.:——Als ich einen Plan zur Wahl in 
Arkanſas feftftellte, wußte ich nicht, daß fich Fhre Convention mit 
berjelben Arbeit befchäftigte. Seitvem habe ich e3 erfahren und 








Anhang. 491 


dann beftändig verfucht, meinen Plan zu Gunften des Ihrigen zu- 
rüdzuziehen. Ich fandte zwei Briefe an General Steele, und drei 
oder vier Depefchen an Sie und Andere, worin ich erklärte, daß er 
(Öeneral Steele) Meifter fein. müffe, daß es aber wahrfcheinlich 
am beften für ihn wäre, der Convention ihren eigenen Plan zu 
laffen. Irgend ein einzelner Geift muß Meifter fein, fonft kann 
feine Harmonie ftattfinden ; General Steele, als Militär-Comman- 
dant an Ort und Stelle, ift der geeignetfte Mann, um diefer Mei- 
fter zu fein. Schon jegt telegraphiren einzelne Bürger an mich 
und bitten mich, die Wahl auf einen fpäteren Tag zu verfchieben, 
als fowohl von der Convention wie von mir dazu beftimmt war. 
Es ift Zeit, daß diefem Zwift Einhalt gethan werde. _ 
Abraham Lincoln.” 








Aufgebot von fünfhunderttaufend Mann. 


„Sintemalen durd eine Alte, betitelt: „Eine Akte zur Re- 
gulation und Beftimmung für die Enrollirung und das Aufgebot 
der Nationaltruppen, und für andere Zwecke,“ vorgefehen ift, daß 
der Präfivent der Vereinigten Staaten nach feinem Gutachten zu 
irgend einer Zeit hinfortan irgend eine Anzahl von Voluntären zu 
eine, zwei⸗, oder dreijährigem Militärdienft aufbieten kann; und 
daß, im Falle die Quote, oder irgend ein Theil derfelben, in irgend 
einer Stadt, Townſhip, Ward, Preeinkt, oder in irgend einem 
County, das diefe Unterabtheilung nicht hat, binnen fünfzig Tagen 
nach folhem Aufgebot nicht geftellt wird, der Präfident fofort eine 
Ziehung für ein Jahr anordnen fol, um ſolche Quote, oder irgend 
einen Theil derfelben, der nicht geftellt wird, auszufüllen ; 

„Und fintemalen die früher angeordnete neue Enrollirung 
jest fomweit vollendet ift, daß obenerwähnte Congreßafte in Opera— 
tion gefett werden fann, um das Rekrutiren zu beginnen und die 
Stärfe unferer Armeen im Felde, in Garnifonen und anderen mi- 
litärifchen Operationen aufrecht zu erhalten, die zum Zwede der 
Unterdrüdung der Rebellion und der Wiederherftellung der Auto- 
rität der Vereinigten Staaten Regierung in den Jnfurgentenftaaten 
erforderlich find: 


492 Das Leben Abraham Lincolns, 





„Deshalb erlaffe ich, Abraham Sincoln, Präfivent der Bereinig- 
ten Staaten, dies mein Aufgebot von fünfhunderttaufend Bolun- 
tären für den Militärdienftz wobei jedoch beftimmt ift, dag ſämmt— 
lihe Gutfchreibungen, die laut des achten Paragraphen oben 
erwähnter Alte für Perfonen gemacht werden, die während der ge— 
genwärtigen Rebellion in ven Marinedienft traten, fowie für Per- 
fonen, die außer den Quoten früherer Aufgebote von VBoluntärs 
für den Militärdienft geliefert wurden, unter diefem Aufgebot für 
ein, zwei oder drei Jahre, je nachdem es ihnen beliebt, angenom- 
men werden follen; und diefelben follen zu der vom Geſetz bewil- 
ligten Bounty für den Termin, für welchen fie fich anwerben ließen, 
berechtigt fein. 

„And ich proflamire, beordere und befehle hiermit, daß fofort 
nad den fünften September 1864, das heißt, fünfzig Tage nach 
dem Datum diefes Aufgebots, in jeder Stadt, Tomnfhip, Ward, 
Preeinet und in jedem County, das Feine folche Unterabtheilung 
hat, eine Ziehung für Truppen auf ein Jahr gehalten werden folle, 
um die Quote, oder irgend einen Theil derfelben, auszufüllen, inſo— 
fern Diefelbe nicht bis zum fünften September 1864 durch Bolun- 
täre gefüllt ift, 

„Zum Zeugniß deffen habe ich meine Namensunterfchrift hier 
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen. 

„Geſchehen in der Stadt Wafhington, am achtzehnten Tag des 
Monats Juli, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert und 
vierundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit ver 
Berrinigten Staaten. 


„Auf Befehl des Präfiventen: 
„William 9 Semward, Staatsfefretär,“ 


Abraham Sincoln.” 





Brief an Mrs. Gurnep. 

Folgenden Brief fchrieb der Präfivent kurz vor feiner Wiederer- 
wählung an Mrs. Eliza P, Gurney, eine amerifanifche Dame, 
die Wittwe des mohlbefannten Quäkers und Philanthropiften, 
Joſeph John Gurney, eines der reichften Banquiers zu London, 


Anhang. 493 





„Seine geerhrte Freundin: — Ich habe die feierlichen Augen- 
blide nicht vergeffen und werde fie wohl nie vergefien, als Sie 
mich mit einigen Ihrer Freunde vor etwa zwei Jahren an einem 
Sonntag Vormittag befuchten. Ebenſo wenig habe ich Ihren 
gütigen Brief vergeffen, den Sie mir etwa ein Jahr fpäter fchrie- 
ben. Es war allenthalben Ihre Abficht, mein Vertrauen auf 
Gott zu ftärfen. Ich bin dem guten, chriftlichen Volke des Lan- 
des fehr zu Dank verpflichtet für feine beftändigen Gebete und 
Tröftungen, Niemand aber mehr als Ihnen, Die Zwede des 
Almächtigen find volllommen und müffen fiegen, obſchon wir 
irrende Sterbliche fie nicht immer vorherfehen können. Wir hoff 
ten fchon lange auf eine glüdliche Beendigung diefes furchtba- 
ren Krieges; allein Gott weiß am beften, was uns nutzt und 
frommt und hat es anders befchloffen, Dennoch aber erfennen 
wir feine Weisheit an und auch unferen eigenen Irrthum. 
Mittlerweile müffen wir ernftlich fortarbeiten und, erleuchtet von 
dem Lichte, Das er uns gibt, Hoffnung hegen, daß unfere Arbeit 
dem großen Zmwede gemäß ift, den er fich geſetzt hat. Sicherlich 
wird feinem Rathſchluß nad Gutes aus dieſer mächtigen Um— 
wälzung entfpringen, die fein Sterblicher herbeiführen oder auf- 
halten könnte. 

„Ihre Leute, die Quäker, waren und find noch großen Prüfungen 
ausgefebt, da ihre Grundſätze und ihr Glaube ſowohl gegen den 
Krieg wie auch gegen die Untervrüdung find. Praktiſch können 
fie ver Unterdrüdung nur durch den Krieg opponiren. In diefem 
fhwierigen Dilemma haben Einige diefes und Andere jenes Horn 
ergriffen. 

„Für Diejenigen, die fich aus Gemwiffensgründen um Befreiung 
vom Militärdienft an mich wenden, habe ich ftets Alles gethan und 
werde ich ftets Alles thun, was ich mit meinem eigenen Gewiſſen 
und meinem Amtseid vereinbaren kann, Sch zweifle nicht, daß 
Sie diefes glauben, und daß Ihre ernften Gebete auch fernerhin 
für unfer Land und für mich zum Vater im Himmel auffleigen wer- 


den. — 
Ihr aufrichtiger Freund, A. Sincoln.” 


494° Das Leben Abraham Lincolns, 





Der Tennefjee Tefteid. 


„Srelntiv-Gebände, Wafhinston, D. E., 
„Samftag, den 22, Oftober 1864. 


„An die Herren Wim. B. Campbell, Chomas A. R. Velfon, 
James &. P. Carter, Iohn Williams, A. Bliszard, Henry 
Cooper, Bailie Peyton, John Fillpett, Emerfon Eiheridge, 


John D. Perryman. 


„Seine Herren: — Am fünfzehnten d. M. wurde mir ein ge— 
drucdtes Papiermanufeript mit etlichen Manufeript-Snterlineationen 
vorgelegt. Daſſelbe nennt fich einen Proteft und ift mit Ihren 
Namen unterzeichnet, und von einem Dofument begleitet, angeblich 
einer Proflamation von Andrew Johnſon, dem militärifchen 
Gouserneur von Tenneffee ; desgleichen von einem gefchriebenen 
Papier, enthaltend Auszüge aus dem Geſetzbuch von Tenneſſee.“ 


(Der Proteft ift hier wiederholt; desgleichen auch die Proflama- 
tion des Gouv. Johnſon, Datirt vom 30. September, nebft einer 
Lifte der Counties von Oft-, Mittel- und Weft-Tenneffee; ebenfalls 
Auszüge aus dem Geſetzbuch von Tenneffee in Bezug auf die Elef- 
toren für die Präfivdentfchaft und Bice-Präfidentfchaft, Dualififatio- 
nen der Stimmgeber für Mitglieder der General-Affembly, Wahl— 
pläge und Wahlbeamten.) 


„Zur Zeit, ald mir diefe Papiere vorgelegt wurden, hatte ich noch 
Feines derfelben gefehen, noch irgend Etwas über den Gegenftand 
gehört, auf den fie fich beziehen, ausgenommen in ganz allgemeiner 
Weiſe einen eigenen Tag zuvor. 

„Bis zum gegenwärtigen Augenblid hat noch Feinerlei Verhand— 
lung über den Gegenftand zwifchen mir und Gouverneur Johnſon 
oder irgend einem Andern ftattgefunden, der mit jener Proflama- 
tion in Verbindung fteht. 

„Seit ich die Papiere erhielt, habe ich dem Gegenſtand meine 
Aufmerkfamfeit gewidmet, foweit meine drängenden Amtsangelegen- 
heiten es geftatteten. 


Anhang. 495 


„Ich bin zu dem Schluffe gelangt, daß ich Nichts mit der Sache 
zu thun haben fann, weder um den von der Convention und Gouv. 
Johnſon ausgeftellten Plan zu unterftügen, noch denfelben Ihrem 
Berlangen gemäß zu modificiren. Laut der Gonftitution und der 
Geſetze ift der Präſident mit feiner Pflicht in Bezug auf die Präfi- 
dentenwahl in irgend einem Staate betraut, Auch kann ich in 
diefem Falle feinen militärifchen Grund zur Einmifchung in die 
Sache erbliden, 

„Die von der Convention und Gouv. Johnſon eingeleiteten Be— 
wegungen gehen nicht, wie Sie anzunehmen fcheinen, von der Na— 
tional-Erecutive aus, Sie laffen fich als nichts Anderes, als eine 
unabhängige Bewegung eines Theiles des Ioyalen Volkes von Ten- 
nefjee betrachten. — Sch kann in dem Plane weder eine Gemwaltthat, 
noch eine Coercion, noch eine Drohung gegen irgend Jemand er= 
bliden. 

„Gouv. Johnſon hat gleich jedem andern loyalen Bürger von 
Tenneſſee das Recht, irgend einen beliebigen politifchen Plan zu 
bilden, und es ift feine Pflicht, als militärifcher Gouverneur, den 
Srieden in jenem Staate aufrecht zu erhalten, 

„Ich kann nicht einfehen, daß er mit feinem Plane mehr be— 
zweckt, als dies. Sie jedoch haben an dem Plane auszuſetzen. 

„Sie brauchen denfelben nur allein zu laffen, um vollfommene 
Sicherheit vor demfelben zu haben. Niemand zwingt Sie, demfel- 
ben beizuftimmen, 

„Thun Site auf eigene Rechnung friedlich und Ioyal, mas Sie 
wollen, fo wird Gouv. Johnſon Ste nicht beläftigen, fondern Sie 
im Gegentheil, fo weit es in feiner Macht fteht, vor Beläftigungen 
ſchützen. 

„Die Abhaltung einer Präſidentenwahl in Tenneſſee ſtreng nach 
dem alten Geſetzbuche des Staates iſt jetzt wohl eine Unmöglichkeit. 

„Es iſt wohl kaum nöthig, hinzuzufügen, daß nach abgehaltener 
Wahl für die Präſidentſchaft und Vice-Präſidentſchaft es nicht den 
militäriſchen Agenten noch der Exekutive, ſondern ausſchließlich 
einem andern Departement der Regierung vorbehalten ſein wird, 
zu entſcheiden, ob die abgegebenen Stimmen in Uebereinſtimmung 





E oz 


496 Das Leben Abraham Lincolns. 





mit der Conftitution und den Geſetzen der Vereinigten Staaten 
berechtigt find, gezählt zu werden oder nicht. 

„Ausgenommen, um etwaigen Schub gegen Gewaltthaten zu 
gewähren, muß ich es ablehnen, mich irgendwie in eine Präfiden- 
tenwahl einzumifchen, 

Abraham Fincoln,“ 


Ende, 





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