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„Wenn aber das Land nicht gerettet werden Tann, ohne diefes Prinzip der Freiheit aufzugeben,
dann — möchte ich faft fagen — wollte ich lieber auf der Stelle hier ermordet werden, als es
opfern.“ (Ans Herrn Lincolnd Rede in der Independence-Hall, Philadelphia,
22. Februar 1861.)
„Ih glaube nicht, daß diefe Negierung auf die Dauer Halb frei und halb mit Sklaverei
beſtehen kann.“ (Springfield, Illinois, Juni 1858.)
„Es ift mein fehnlichfter Wunſch, daß diefe Unton fammt der Eonftitntion und ber Freiheit
bes Volkes in Mebereinftimmung mit der urfprünglichen Idee, die zur Revolution Veranlaſſung
gab, fortbeftehen möge.“ Z, (Zrenton, New Jerſey, Februar 21, 1861.)
„Nachdem wir ung nun ohne Arglift und mit reinen Motiven unfern Weg vorgezeichnet haben,
fo laffet uns unfer Vertrauen auf Gott erneuern und männlichen Herzens und ohne Furcht vor-
wärts ſchreiten.“ (Botjchaft vom 5. Juli 1861.)
„Indem wir den Sklaven bie Freiheit geben, fichern wir den Freien ihre Freiheit, und handeln
fomit ehrensol im Geben und Erhalten.” (Botihaft vom 1. Dezember 1862.)
„Ich hoffe, der Friede wird bald fommen, und zwar um zu bleiben. Und möge er fo fommen,
daß er für alle Zukunft des Erhaltens werth iſt.“ (Springfield Brief, 26. Auguft 1863.)
„Die Welt wird fi wenig um das fümmern, was wir hier fagen, und wird es bald wergeffen ;
nie aber fann fie vergeffen, was bie tapfern Männer — die Lebenden wie die Todten — bier gethan
haben.“ (Rede zu Gettyshurg, November 19, 1863.)
„Ich werde feinen Berfuch machen, die Emancipations-Proffamation zurüdzunehmen ober zu
modificiren; noch werde ich irgend eine Perfon, die durch jene Proflamation oder irgend eine
Congreßakte frei geworben ift, wieder in die Sklaverei zurückliefern.“
(Amneftie-Proffamation vom 8. Dezember 1863.)
„Ich rühme mich nicht, die Ereigniffe beherrfcht zu haben, geftehe vielmehr offen, daß die Ereig-
niſſe mid) beherrſchten.“ (Brief au A. G. Hodges, April 4, 1864.)
„Mit Haß gegen Niemand, mit Liebe für Alle, mit Standhaftigkeit in dem Rechten, wie Gott
und das Rechte zu erfennen giebt, laſſet uns ftreben, das begonnene Werk zu Ende zu bringen.
(Letzte Inaugurations⸗Adreſſe, 4. März 1865.
Das
‚Seben Abraham Eincolns,
des
ſechzehnten Präſidenten der Vereinigten Staaten.
Enthaltend
ſeine frühere Geſchichte und politiſche Laufbahn, ſowie ſeine Reden
Botſchaften, Proklamationen und andere mit feiner ereigniß-
reichen Adminiftration in Verbindung ftehende
offizielle Dokumente,
Don
Ftank Crosby,
Rechtsanwalt zu Philadelphia
Nach dem Englifhen bearbeitet
von
Prof. Carl Theodor Eben.
„Sei all' dein Streben deinem Land gewidmet,
Gott und ber Wahrheit; wenn du alsdann fünf,
Fällſt du als heil’ger Märtyrer. i
Philadelphia:
Derlag von Iohn €, Potter,
No. 617 Sanfomftraße,
1865,
Entered according to the Act of Congress, in the year 1865, by
JOHN E. POTTER,
In the Clerk’s Office of the District Court of the United States, in and for the Eastern
District of Pennsylvania.
PHILADELPHIA:
STEREOTYPED BY 8. A. GEORGE,
2. K. COLLINS, PRINTER.
Fun)
4
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SIMMONG
Gewidmet den
Buten und GBetreuen
der Wation,
die gereinigt, geläutert und veredelt aus der Blut- und
Feuertaufe hervorging.
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LIBRARY
. OF THE
UNIVERSITY OF ILLINOIS
"WITH MALICE TOWARDS NONE, WITH CHARITY FOR ALL,WITH FIRMNESS IN THE RIGHT, AS GOD GIVES
5 SEE THE RIGHT, LET US S" ı ON "INIS "HE WORK WE ARE IN."
USTO SEE THE RIGHT, LET U8 S'TRIVE ON TO FINISH THE WOR EAREIN ALINCOLN.
Vorrede des Verfaſſers.
Der Zweck der nachfolgenden Blätter iſt, ein getreues Bild von Abraham
Lincoln und ſeinen Beziehungen zum Lande während ſeiner ereignißreichen
Adminiſtration zu entwerfen.
Dieſen Plan vor Augen haltend, wurde es für unnöthig erachtet, das Werk
mit umſtändlichen Details aus ſeinem früheren Leben zu füllen. Aus jener
Periode wurde daher nur ſo viel mitgetheilt, als zu einem zuſammenhängenden
Ganzen unerläßlich war. Seine Laufbahn im Congreß, ſowie ſeine berühmte
Campagne mit Senator Douglas ſind in allgemeinen Umriſſen mitgetheilt
worden, doch — wie wir hoffen — mit genügender Ausführlichkeit, um dem
Leſer ein klares Bild jener Umſtände ſeines Lebens vor Augen zu ſtellen.
Eine ganz andere Behandlungsweiſe wurde indeſſen der ſeiner Erwählung
zum Präſidenten folgenden Periode zu Theil. Von da an bis zum Schluſſe
ſeines Lebens durfte Nichts unerwähnt bleiben, was dazu beitragen konnte,
ihn in feiner wahren Geſtalt darzuſtellen — als den conſequenten Staats-
mann, entſchloſſen, frei von Prahlerei und Anmaßung, ohne Gehäſſigkeit, ohne
Schadenfreude, vorſichtig in ſeinen Prophezeiungen, ohne Drohungen, ſich
keinen utopiſchen Träumereien hingebend, ſondern ruhig, gefaßt, gewiſſenhaft,
aber mit Feſtigkeit dem Ziele entgegenſchreitend, das er klar und unverrückt
vor Augen hatte.
Doch ſelbſt von dem ausführlicheren Berichte über ſeine Adminiſtration
darf nicht allzu viel erwartet werden. So wäre es zum Beiſpiel unmöglich,
in einem derartigen Werke die Ereigniſſe der großen Rebellion gründlich zu
analyſiren. Dies lag außer dem Bereiche unſerer Arbeit, Nur die Haupt-
züge follten gezeichnet werden, und felbft viefe nur, um ven Mann, mit dem
fich diefe Blätter befchäftigen, deutlich in ven Vordergrund zu ftellen.
Berfchiedene Reden, Proflamationen und Briefe, die, ohne son wefentlicher
Michtigfeit für die Einheit des Hauptwerfes zu fein, dennoch werthvolle Auf-
fohlüffe über ven Mann geben, find in dem Anhange zufammengeftellt worden.
Ein derartiges Werk muß natürlicherweife dag Gepräge der Unsollfommen-
heit tragen; doch ift daffelbe von einem tröftenden Gedanfen begleitet: ber
Gegenftand bedarf Feiner Ausſchmückung. Die Thaten des Mannes jprechen
für fich felbft. Es genügte daher, eine folche Anordnung zu befolgen, daß die
allmälige Entwicelung jeder feiner Handlungen, fowie deren Wechfelwirfungen
Nar zu Tage träten,
Jene Worte des tiefbetrauerten Todten, die einen fo tiefen Wiederhall in
Aller Herzen fanden, bevürfen feiner Erflärung, Sie haben tiefe Wurzeln
unter ung gefchlagen und werden unvergeffen N fo lange die Vernunft
bei ung aushartt,
(7)
8 Vorrede.
Abraham Lincoln hat dag Intereffe des Volfes nicht bloß für den Augen-
blick gefeffelt. Die Bluttaufe, aus der die Nation eben erjt hervorging, wird
fünftigen Nationen noch eingedenf bleiben, Sein Bild wird ung ewig un-
vergeßlich fein — jenes ftille, ruhige und doch ſtets heitere Antlig, mit dem
geduldigen, hoffnungsvollen Ausdruck — der fichere, elaftifche Schritt — die
Hlare, fcharf ausgeprägte Sprache Deffen, der uns mit Hilfe der göttlichen
Borfehung durch die Dunkeln Tage der Prüfung und Anfechtung hindurch—
führen follte zu der Ruhe und den Segnungen des Friedens, deſſen Dämme—
rung, ach! ihm nur zu fehen vergönnt war,
Wohl wiſſen wir, daß diefes Werk weit hinter dem angeftrebten Ziele zu-
rüdbleibt und befcheiden ung daher gerne, wenn e8 des erhabenen Gegenftandes
nicht ganz unmwürdig befunden wird. Als eine reine Liebesarbeit bieten wir
e3 fomit Allen, die mit dem Patrioten und Helden in den Stunden der Ge-
fahr ohne Furcht und Wanken an den großen Werke arbeiteten,
Vorrede Des Ueberſetzers.
Ki Vergnügen unterzog ich mich auf den Wunſch des Herrn Verlegers der
Arbeit, meinen Landsleuten das vorliegende Werk in deutfcher Ueberſetzung
zu bieten, Die Erinnerung an Abraham Lincoln, ven Retter und Märtyrer
des Landes, ift dem Ioyalen Deutjchen nicht minder heilig ala dem Amerikaner,
und Viele, die der englifchen Sprache unfundig find, werden fich daher mit
Freuden diefer meiner Arbeit bedienen, die ihnen die Gefchichte des Lebens
und Wirkens des großen Todten zugänglich macht.
Nicht der geringfte Vorzug dieſes Werkes ift die Gedrängtheit und Kürze,
wemit der Berfaffer alle die wichtigen Ereigniffe ver leßten vier Jahre, die mit
Herrn Lincolns Adminiftration in Verbindung ftanden, in einem verhältniß-
mäßig Fleinen Raum angeführt hat. Dadurch allein war es möglich, die
relativ größte VBollftändigfeit zu erzielen. Schade nur, daß der Berfaffer in
feinem Streben nad) Kürze nicht noch einen Schritt weiter ging und die vielen
unerheblichen und unerbaulichen Buß- und Bettags-Proflamationen wegließ;
dies ift indeffen einmal amerifanifcher Geſchmack, und ich durfte nichts daran
ändern,
Möge denn diefes Werf an recht vielen deutfchen Herden gelefen werben,
und möge befonders die arbeitende Klaffe, die an Abraham Lincoln ihren
größten Repräfentanten und Vertheidiger verlor, fich gründlich mit feinem
Leben und Wirken befannt machen und fein Streben für ihr Wohl in ewig
danfbarem Andenken bewahren.
Philadelphia, im Auguft 1865,
Inhalts-Verzeichniß.
Erſtes Kapitel.
Kindheit und Eintritt in das Mannesalter.
Einleitende Bemerfungen— Geburt Abraham Lincolns—Er verläßt Ken-
tudy— Wird Arbeiter— Selbfterziehung— Perfönliche Charafteriftif—
Eine zweite en ehe bitecher nach New Drleans— Mird
ein Eommis— Der Blad Hawf Krieg—Befaßt ſich mit Politi— Seine
mehrmalige Erwählung in die Legislatur — Antifflaverei - Proteft—
Praktizirt ald Advokat —Charakterzüge — Seine Verheirathung — Kehrt
zur Politif acrnaaaannee
Zweites Kapitel.
Im Congreß und auf dem Stump.
Der mexikaniſche Krieg Innere Verbeſſerungen —Sklaverei im Diſtrikt
Columbia — Deffentliche Ländereien — Zieht ſich ins Privatleben zu-
rüd — Kanfag-Nebrasfa-Bill— Zieht fih zu Guniten des Senators
Trumbull zurück — Bildung der republifanifchen Parti— Wird zum
Ber. St. Senator nominirt— Eröffnungsrede des Herr Lincoln— Die
Douglas-Campagne — Der Wahlfampf — Ein Tribut für die Unab-
hängigfeits-Erflärung —Refultat des Wahlkampfes.................... i
Drittes Kapitel.
Bor der Nation.
Reden in Ohio— Auszug aus der Cincinnati Rede—Befucht den Often—
ri Rede im Eooper-Inftitut in New Vork — Intereffante
JJJJ
Viertes Kapitel.
Wird zum Präſidenten nominirt und erwählt.
Die republikantſche National-Convention — Die demokratiſche Conven—
tion— Eonftitutional-Union-Eonvention— Das Ballotiren zu Chicago
— Refultat — Enthufiaftifche Aufnahme — Ein Beſuch nach Spring-
field — Adreſſe und Annahmebrief— Der Wahlfampf — Reſultat der
Wahl — Sud-Eorolina’s Bewegungen — Buchanans Wanfelmüthig-
feit— Seceflfion mehrerer Staaten — Conftitution der Conföderation —
Friedens-Eonvention — Amendments zur Eonftitution— Bedingungen
J..........
15
22
37
10 Inhelts-Verzeichniß.
Fünftes Kapitel.
Reiſe nah Wafhington.
Abreife — Abfchiensbemerfungen — Rede zu Toleds— Zu Indianapolis—
— Teer Eolumbus— Zu Steubenville— Zu Pittsburg—
Zu Cleveland — Zu Buffalo — Zu Albany — Zu Poughfeepfie — Zu
ew Jort— Zu Irenton— Zu Philadelphia— In der Unabhäangigfeitg-
halle — Hilft die Flagge aufziehen — Rede zu Harrisburg — Geheime
Abreife nach Wafhington — Beurtheilungen.............................. 71
Sechſtes Kapitel.
Die nee Adminiſtration.
Reden zu Wafhington — Die Inaugural-Aodreffe— Deren Wirfungen—
Das Kabine — Commiſſäre von Montgomery — Auszüge aus A. 9.
Stephen’s Rede — Virginia Commiffäre— Fall son Fort Sumter... 94
Siebentes Kapitel.
Rüſtungen zum Kriege.
Mirfungen des Falles von Fort Sumter — Aufruf des Präfidenten um
Truppen — Thätigfeit in den Ioyalen Staaten — In den Grenzitaaten
— Aufruhr zu Baltimore — Maryland’s Stellung— Brief des Präji-
denten an die Maryland Autoritäten — Blodade-Proflamation —Wei—
tere Proflamation—Beurtheilungen im Auslande— Zweites Aufgebot
von Truppen — Spezielle Drdre für Florida — Militäriiche Bewegungen 113
Achtes Kapitel.
Die erite Sitzung des Cougreſſes.
Eröffnung des Congreffes — Erfte Botfchaft des Prafidenten — Deren
Natur — Verhandlungen des Eongrefies— Beſchlüſſe über den Zwed
bes Krieges — Die Schlacht von Bull Run — Deren Wirfung...... 122
Neuntes Kapitel.
Ende des Jahres 1861.
Breude der Rebellen— Davis prahlt — MeElellan wird zum Befehlehabe
der Potomac-Armee ernannt— Proflamation eines National-Fafttages
— Der Berfehr mit den Rebellen wird verboten— Flüchtige Sklaven —
General Butler’s Anfichten — Sefretär Cameron’s Brief an General
Me&lellan—Afte vom 6. Auguft 1861— General Fremont's Ordre—
Mopififation derfelben durch den Präſidenten — Inftruftionen an Ge-
neral Sherman— Ball’s Bluf— General Scott zieht fich zurüd— Die
SUCHDINRCHEKTRRER ie sun vanes leeren 143
Zehntes Kapitel.
Der Cougreß von 1861—62.
Die militärifche Situation— Gefangennahme von Mafon und Slidell —
Oppofition gegen die Adminiftration — Botfchaft des Präfidenten—
Sinanzielle Congreßmaßregeln Committee über die Kriegsführung —
BIN. : en 66 153
Inhalts-Verzeichniß.
Elftes Kapitel.
Die Stlavereifrage,
Situation des Präafidenten— Seine Politif— Allmälige Emancipation —
Botſchaft — Abfchaffung des Sklaverei im Diftrift Columbia — Gene-
tal Hımters Emancipationg-Drdre wird für ungiltig erflärt — Confe—
renz mit Congreßmännern aus den Grenz-Sklavenſtaaten — Adreſſe
an dieſelben — Militärische Ordre — Proflamation in Betreff der Con-
ſeriptions· Aleee. nennen 1
Zwölftes Kapitel,
Der Krieg auf der Halbinfel.
Kriegssrdre des Prafidenten— Gründe für diefelbe— Refultate im Welten
und Südweſten — Die Potomae-Armee — Weitere Ordres des Prafi-
denten — Brief an MeClellan — Ordre für Armee-Corps — Der Aus-
gang bes Feldzuges — Unglüdliche Vorfälle — Rede des Präfidenten in
der UnionsyerJammlung— Beurtheilungen— Operationen in Virginien
und Maryland — Im Welten und Südweſten............................ 1
Dreizchntes Kapitel.
Treiheit für die Millionen,
Reitartifel der „N. I. Iribune‘‘— Brief an Herrn Greey— Anfündigung
der Emancipations-Proflamation — Sufpenfion der Habens-Eorpns-
Akte für gewiſſe Falle — Ordre hinfichtlich der Feier des Sonntags —
Die Emancipations⸗Proklamation........................ 197
Vierzehntes Kapitel.
Die letzte Sitzung des ſiebenunddreißigſten Congrefles.
Situation des Landes — Oppofition gegen die Adminiftration— Botfchaft *
des Prätſdhäeee
Fünfzehntes Kapitel.
Das Blatt wendet ſich.
Militäriſche Erfolge — Günſtige Wahlreſultate — Emaneipationspolitif—
Brief an die Arbeiter zu Mancheſter, England — Proklamation eines
National-Fafttages — Brief an Eraſtus Corning — Brief an eine
Committee bezüglich der Zurüdberufung Vallandighams................
Sechzehntes Kapitel.
Briefe nnd Reden.
Rede zu Wafhingten— Brief an General Grant— Proflamation für ein
Danffelt — Brief in Bezug auf die Emaneipations-Proflamation —
Proflamation für ein jährliches Dankfeſt — Dedicationsrede zu Get- *
Henfeeee
12 Inhalts⸗Verzeichniß.
Siebenzehntes Kapitel.
Der achtunddreißigſte Congreß.
Organiſation des Haufes — Verſchiedene Anſichten in Betreff der Recon—
uktion —Maßregeln für Begnadigung der Rebellen— Amneſtie⸗Pro⸗
klamation — Jahresbotſchaft — Weitere Proklamation.................... 264
Achtzehntes Kapitel.
Fortſchritt.
Rede des Präſidenten zu Waſhington — Anrede an eine New Yorker
Committee — Rede in Baltimore — Brief an einen Kentudyer — Ber-
wendung farbiger Truppen — Jeff. Davis! Drohung — General-Drdre
Dibre De6 PERUDeniEil screen meanssns ass sn ehe cannnn 287
Neunzehntes Kapitel.
Abermalige Nomination.
General-Rientenant Grant — Seine militärifche Laufbahn — Bortgefebte
Bewegungen — Correjpondenz mit dem Präfidenten — Uebergang über
den Rapidan — Belagerung von Richmond — Brief des Präfidenten
an eine Grant-Berfammlung — Die Republifanifche National-Con-
vention — Deren Plattform — Die Nomination — Herrn Lincolng
Antwort an die Notififationg-Committee — Anrede an eine Committee
ber Union-Ligue — Rede bei einer Serenade — Anrede an Ohio—
2%. 1: VERTRRRRRFRR SPERREN. 2.1 —— 238
Zwanzigſtes Kapitel.
Reconſtruktion.
Rede des Präſidenten zu Philadelphia— Die Philadelphia Ausſtellung —
Eorrefpondenz mit der Committee der National-Convention — Profla-
mation des Kriegsgefebes in Kentudy — Die Frage über Reconftruf-
tion — Proffamation des Präfiventen über diefen Gegenftand — Plan
bes Congreſſe REDE ehe aaaaarncre ers ende 312
Einundzwanzigſtes Kapitel.
Präfidentichafts-Campagne von 1864.
Proklamation eines Fafttages — Anrede an die Soldaten — Eine andere
Rede — „Wen es angehen mag’ — Die Chicago Convention — Die
Berlegenheiten der Oppofition — Beſchluß No. 2 — MeElellans An-
nahme — Einnahme der Forts von Mobile und der Stadt Atlanta —
Proflamation Kali eines Dankfeſtes — Bemerkungen über die Ber-
wendung von Negerfoldaten — Adreffe an loyale Marylander......... 328
Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
Lincoln: Wiedererwählung.
Die Präafiventichafts-Sampagne von 1864 —Fremonts Rücktritt Made
und Davis— Die Friedens- und Kriegsdemofraten — Rebellenfreunde
— Die Octoberwahl — Refultat der Präſidentenwahl — Rede an die
Pennfslvanier— Rede bei einer Serenade — Brief an die Mutter eines
Soldaten — Eröffnung des Congreſſes — Lepte Jahresbotfchaft........ 339
Inhalts ⸗ Verzeichniß. 18
Dreiundzwanzigſtes Kapitel.
Die Kreiſe ziehen ſich enger.
Rede bei einer Serenade — Antwort auf eine Präſentations-Adreſſe —
Friedensgerüchte — Rebellen-Commiſſäre — Inſtruktionen an Sekretär
Seward — Die Conferenz in Hampton Roads — Refultat — Extra—
ſitzung des Senats— Die militäriſche Situation — Sherman— Char-
leſton —¶Columbia — Wilmington — Fort Fiſher — Sheridan — Grant
— Der Rebellen-Congreß — Zweite Inauguration — Jnaugurationg-
Adreffe—Englifche Urtheile— Proflamation an Deſerteurs............. 365
Vierundzwanzigftes Kapitel.
In Richmond.
Der Präſident beſucht City Point — Lee's Mißgriff — Grant's Bewe—
gung — Präſident Lincoln in Richmond — Lee s Uebergabe — Rede des
Präjidenten — Rede in Bezug auf die Reconftruftion — Proflamation
zur Schließung gewiſſer Hafen — Proflamation über Seerechte — Er-
ge Proflamation — Ordres vom Kriegsdepartement — Der Re»
HER - DERBDERE: cne ehe ahnen 377
Funfundzwanzigftes Kapitel.
Der letzte Akt.
Unterredung mit Mr. Eolfar — Kabinet3-Berfammlung — Epifode —
Abendunterhaltung — Die Möglichkeit eines Meuchelmordes — Her
Lincoln geht in's Theater — Borlichtsmaßregeln des Mörders — Der
Piſtolenſchuß — Flucht des Meuchelmörders — Tod des Präfidenten—
rfüllung feiner Berheißungen — Zuftand des Landes — Wirfung des
Mordes— Die Objequien zu Wafhingten— Sein letter Zug-—-Trauer
des Volkes — Er ruhl in eden 390
Sechsundzwanzigſtes Kapitel.
Abraham Lincoln als Menſch.
Gründe für ſeine Wiedererwählung — Was er leiſtete — Wie er ſich auf
das Volk ftüste— Staatspapiere— Seine Willensfeſtigkeit —Waſhing⸗
ton und Lincoln— Der Menſch — Seine Autobiographie — Seine Be-
ſcheidenheit — Seine chriftliche Gefinnung — Schluß .................... 400
Anhang.
Herrn Lincoln's Reden im Congreß und anderwärts, Proklamationen, Briefe,
u. ſ. w, die nicht dem Werke ſelbſt einverleibt find.
Rede über den mexikaniſchen Krieg. (Gehalten vor der Committee des
ganzen Hauſes am 12, Januar 1848) ............................... 407
ede über innere Verbefferungen. (Gehalten vor einer Committe des
ganzen DAUEE an 20, Dit 1BEBN ses ssnnecsassenn nase rses anne renn 420
Rebe über die Präfidentfchaft und die Politif im Allgemeinen. (Gehal-
ten im Repräfentantenhaus am 27, Juli 1848) .................... — 435
14 Inhalts-Verzeihniß.
Rede in Erwiederung auf Mr. Douglas über Kanſas, die Dred Seott
Entſcheidung und die Utah⸗Frage. (Gehalten zu Springfield, SL, am
26. Juni 1857)............. 449
Rede in —— auf Senator Douglas. (Gehalten zu Chicago am
Re RE ER SR 461
— aus Mr, Lincoln's Rede zu Freeport .......... 478
Brief an General MeClellan ......* 483
Brief an General Schofield in Bezug er die Abſetzung des Gen. Curtis 485
Dreihunderttaufend Mann werben aufgeboten ................. 486
Rev. Dr. MePheeters— Des Präfidenten Erwieberung auf ein Gefuch
Ba ren hbairao sea sdans haare sarenen sn sen anne dee
Eine Wahl angeordnet im Staat von Arkanſas..... ........................ 489
Brief an William Fiſhback über die Wahl in Arkanſas..................... 490
Aufruf von fünfhunderttaufend Mann. 491
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Der Tenneſſee Teſt⸗ Eid BE EN ERS BEAT IR FRA EN .. 494
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Das Leben Abraham Lincoln,
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BR, ! Erftes Kapitel.
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Kindheit und Eintritt in das Mannesalter.
Einleitende Bemerkungen — Geburt Abraham Fineolng — Er verläßt Kien-
tucky — Wird Arbeiter — Selbfterziehung — Perfönliche Charakteriftik —
Eine zweite Wanderung — Ein Abftecher nad) New Orleans — Wird ein
Commis — Der Blak Hamk Krieg — Befaht fih mit Politik — Seine
mehrmalige Erwählung in die SLegislatur — Antiſclaverei-Proteſt —
Praktiirt als Advokat — Charakterzüge — Seine Derheirathung — Kehrt
zur Politik zurück — Im Congreß.
Die Hauptzüge in dem frühern Leben der Männer, die einen
hervorragenden Einfluß auf das Geſchick unferer Republif ausge-
ubt haben, bieten eine überrafchende Aehnlichkeit var. Sn den
Details find diefelben allerdings verfchieden; der allgemeine Um—
riß ihrer Lebensgefchichte aber ift derſelbe — hier wie dort finden
wir die „Furzen und einfachen Annalen der Armen,“
Bon geringer Herkunft, von zartefter Kindheit an Arbeit ge-
wöhnt, mit wenig Gelegenheit, fich eine gute Erziehung anzueig-
nen, kämpften die meiften unahhängig und felbftvertrauend vor-
wärts, bis fie fich mit eigner Hand den Weg zur Stellung gebahnt
hatten, zu der ihre individuellen Anlagen und Talente ſie vor—
zugsmeife befähigten. Als ungefünftelte Kinder der Natur be—
wahrten fie ftets in ihren fpäteren Jahren unter Sgenen und
Berhältniffen, die ihnen in ihrer Kindheit und ihrem erften Man-
nesalter völlig fremd waren, gewiffe Eigenthümlichfeiten, die an
ihre Herkunft und Erziehung erinnerten. Aus ihrer Sprache
oder aus ihren Handlungen — oft aus beiden — ließ fich oft ihre
Heimath errathen. Es ift wahr, es hat ihnen oft an dem Schliff
des Höflings gemangeltz; diefen Mangel aber erfeste mehr als
genügend die unwankelhafte sah des Mannes, Erſchien
16 Das Leben Abraham Lincolns.
ihre Sprache zumeilen ſchroff und rauf, fo war fie Dagegen offen
und ließ feinen Zweifel auffommen. Sreund mie Feind mußten
genau, was ihre Abfichten waren. Unerfahren in den Ränfen
und Schwänfen des profeffionellen Politifers, gingen fie ſchnur—
gerade dem Punkte zu, den ihr Urtheil oder ihre Gewiffenhaftig-
keit bezweckte. Solche Männer haben oft dem Hohn und Spott
gleißender Europäer zur Zielfcheibe gedient; und Amerikanern
aber find fie nichts defto weniger theuer, und nichts deſto weniger
werden fie ihren Rang unter jenen wahrhaft Großen einnehmen,
deren Namen allen Öuten und Ehrlichen in der ganzen Welt un-
vergeßlich bleiben.
Zu diefer Klaffe gehörte vorzugsmeife der Staatsmann, mit
deffen Leben und Thaten die folgenden Blätter fich befchäftigen.
Abraham Sincoln, der fechszehnte Präfivent der Vereinigten
Staaten, der Sohn von Thomas und Nancy Lincoln — Erfterer
ein Kentudyer, Lebtere eine Birginierin — war am 12, Februar
1809 nahe Hodgesille, der Hauptftadt des heutigen La Rue
County, Kentudy, geboren. Er hatte eine zwei Sahre ältere
Schweſter, die fich früh verheirathete und bald darauf ftarb. Sein
einziger Bruder, zwei Jahre jünger als er, ftarb in feiner Kind-
beit.
Als er neun Jahre alt war, verlor er feine Mutter, nachdem die
Familie zwei Jahre früher nach dem damaligen Territorium In—
diana ausgewandert war und fich in dem ſüdlichen Theile deſſel—
ben, nahe dem Ohiofluffe, halbwegs zwifchen Lonisyille und
Evansville, angefievelt hatte. Während der dreizehn Jahre, die
der Jüngling hier verbrachte, gewöhnte er fih an die Strapagen
und Anftrengungen des Orenzlebens. Er war feinem Vater zur
Beftellung der Farm behilflich, verfäumte dabei aber Feine Gele»
genheit, feinen Geift zu Fräftigen und auszubilden. Er las mit
Begierde alle lehrreichen Werke, die er fich verfchaffen konnte —
meiftens an Winterabenden und oft bei dem Lichte des flammen-
den Kaminfeuerd. Als Erfah für eine zufällige Befchädigung
eines geborgten Eremplares von Weemes’ „Leben Waſhingtons,“
— des einzigen in jener Gegend — arbeitete er zwei Tage lang
bei dem Eigenthümer des Werkes als Tagelöhner,
⸗
Kindheit und Eintritt in das Mannesalter. 17
—E
Im Alter von zwanzig Jahren hatte er eine Statur von bei—
nahe ſechs Fuß und vier Zoll, mit einem verhältnißmäßig ſchlanken,
aber ungemein ſtarken und muskulöſen Körperbau. Er war in
der That ein jugendlicher Rieſe unter einem Geſchlechte von
Rieſen. Dabei war ſeine Ehrlichkeit, Gewiſſenhgftigleit und Auf⸗
richtigkeit bereits zum Sprichworte geworden.
Im Jahre 1830 wanderte ſein Vater abermals aus. Zuerſt
ließ er ſich ein Jahr lang an dem nördlichen Zweig des Sanga—
monfluſſes in Illinois nieder, begab ſich dann aber nach Coles
County, etwa ſiebenzig Meilen weiter öſtlich, an den obern Ge—
wäſſern des Kaskaskia und Embarraß, wo er 1851 in feinem drei—
undfiebenzigften Fahre fein ereignißreiches Leben fchloß. Das
erite Jahr in Illinois brachte der Sohn bei feinem Vater zu; im
nächſten aber half er ein Flachboot bauen, auf welchem er nebft
einigen andern Arbeitern eine erfolgreiche Fahrt den Miffiffippi
hinab nah New Orleans und wieder zurüd machte. Diefe
Stadt — damals das Eldorado der weftlichen Grenzbemohner —
hatte der junge Mann früher ſchon, in feinem neunzehnten Jahre,
befucht.
Bon diefer Erpedition zurüdgefehrt, diente er ein Jahr tung,
als Commis bei feinem früheren Brodherrn, der in New Salem,
zwanzig Meilen unterhalb Springfield, einen Kaufladen hielt
und dabei eine Mahlmühle betrieb. Während er fo befchäftigt
war, erhielt er Kunde von dem Eindringen der Indianer an den
weftlichen Orenzen des Staates. Dies führte zu dem berühmten
Black Hawk Kriege, benannt nad einem alten Häuptlinge der
- Sarg, der eine hauptfächliche Rolle in dieſem Kriege führte. Raſch
F wurde in New Salem und der Umgegend eine Compagnie Frei—
Williger aufgeboten, die den jungen Lincoln zum Capitän wählte.
Dies war feine erſte Promotion. Da fi jedoch die Compagnie
3 bald darauf wieder auflöfte, fo ließ er fich als Gemeiner anwerben,
und erfüllte während des dreimonatlichen Dienftes in diefer feiner
erften kurzen militärifchen Campagne getreulich feine Pflichten
gegen fein Land.
Mit harakteriftifchem Humor und Sarkasmus erwähnte er
diefer ROlgBe aus IeinER Leben in einer Rede im Congreß, wäh-
18 Das Leben Abraham Lincolns,
rend des Wahlkampfes von 1848, nachdem die Bivgraphen des
General Caß fi bemüht hatten, ihren Abgott zu einem großen
Kriegshelden zu machen.
„Beiläufig erwähnt, Herr Sprecher, wiffen Sie wohl, daß auch
ich ein Kriegeheßp bin? Ja, in den Tagen des Blad Hawk Krie—
ges focht auch ich, Klutete und fam heim. Die Erwähnung von
General Eaß’ Earriere erinnert mich an meine eigene. ch war
nicht bei Stillman’s Niederlage zugegen, war aber nicht weiter
davon entfernt, als Caß von Hull’s Kapitulation, und gleich ihm
ſah ich den Plab bald nachher. Es ift ganz gewiß, Daß ich mein
Schwert nicht zerbrach, denn ich hatte feines zu zerbrechen; allein
ich zerbog meine Muskete ganz bedeutend bei einer Gelegenheit.
Wenn Caß fein Schwert zerbrach, fo ift das fo zu verftehen, daß
er es aus Verzweiflung zerbrach, während ich meinen Schieß-
prügel durch Zufall zerbog, Wenn Caß mich im Heidelbeer-
pflüden übertraf, fo Fam ich ihm im Sturmlauf auf die wilden
Zwiebeln zuvor, Wenn er wirklich lebendige, fechtende Indianer
ſah, fo war die mehr als ich von mir rühmen kann; allein ich
hatte manch' blutigen Kampf mit den Muskiten; und obfchon ich
nie durch Blutverluft ohnmächtig wurde, fo fann ich doch mit
Wahrheit fagen, daß ich oft fehr hungrig war.
„Herr Sprecher, follte es mir jemals in den Sinn fommen,
meinen Schwarz-Kofarde-Föderalismus abzulegen, deſſen mich
unfere demofratifchen Freunde befchuldigen, und dann als Kandi-
dat für die Präfiventfhaft aufzutreten, fo hoffe ich, Daß fie fi
nicht über mich luſtig machen werden, wie fie es mit General Caß
thaten, indem fie mich zu einem Kriegshelden machen.”
Nachdem diefes Heine Abenteuer vorüber war, befchloß Herr
Lincoln Advokat zu werden, und ließ fich bald darauf in Die Politik
ein. Er vertrat mit Eifer die Sache Henry Clay's, und das
zwar in einem Staate, der um jene Zeit dem großen Staatsmann
und Patrivten auf das Entfchiedenfte opponirte, Zu gleicher
Zeit erhielt er einen höchſt fchmeichelhaften Beweis feiner eigenen
Popularität in feiner unmittelbaren Umgebung, indem er faft ein-
flimmig von feinem Precinet in Sangamon County als Kandidat
für die Repräfentantfchaft in der Staatslegislatur nominirt
Kindheit und Eintritt in das Mannesalter. 19
— —
wurde, obſchon nur wenig ſpäter in derſelben Wahleampagne
General Jackſon, der demofratifche Kandidat für die Präfident-
Schaft, mit einhundert fünfund fünfzig Stimmen über feinen Mit-
bemwerber Clay fiegte,
Während er-feinen Rechtsſtudien vbiag vegente er ſich mit
Landvermeſſen ſeinen Unterhalt. Im Jahre 1834, noch ehe er
bei Gerichte zugelaſſen war, ein Hinterwäldler in ſeiner ganzen
Erſcheinung, groß, hager und durchaus nicht von einnehmendem
Aeußern, wurde er zum erſten Mal in die Legislatur feines Adop-
tioftantes gewählt, von welcher Berfammlung er, mit einer ein-
zigen Ausnahme, das jüngfte Mitglied war, Während vdiefer
Sitzung erhob er ſich felten, um zu reden, fondern zog es vor, den
ruhigen Beobachter zu fpielen. Um diefe Zeit wurde er mit
Stephen A. Douglas befannt, der erft fürzlich von Vermont ein-
gewandert war, und mit dem er fpäter eine fo hervorragende Rolle
zu fpielen beftimmt war.
Im Jahre 1836 wurde er zu einem zweiten Termine ermählt,
Während diefer Sitzung gab er mit einem feiner Collegen am
3. März 1837 in folgendem Protefte feine Anfichten über vie
Sklaverei fund :
„Da von beiden Zweigen der General-Affembly während der
jesigen Sigung Befchlüffe hinfichtlich der einheimifchen Sklaverei
pafjirt wurden, fo proteftiren Die Unterzeichneten hiermit gegen die
Paffirung derfelben.
„Sie halten dafür, daß das Inſtitut der Sklaverei nicht nur
auf Ungerechtigkeit, fondern auch auf verderblicher Politif be—
gründet ift; gleichwohl aber find fie der Anficht, daß die Förderung
der Abolitionsdoftrinen eher dem Hebel Vorſchub leiſten, als daſ—
felbe befeitigen würde,
„Sie halten ferner dafür, daß der Congreß der Vereinigten
Staaten unter der Eonftitution Feine Macht hat, fich dem Inſti—
tut der Sklaverei in den einzelnen Staaten entgegenzufeßen.
„Endlich aber halten fie dafür, daß dem Congreß der Vereinig-
ten Staaten unter der Conftitution die Macht zufteht, die Skla—
verei in dem Diftrift Columbia abzufchaffen; daß aber diefe Macht
nicht eher zur Anwendung gebracht werden folle, bis das Volk des
0 Das Leben Abraham Lincolns.
genannten Diftriktes fich felbft zu Gunften eines ſolchen Schrittes
erklärt.“
In den Jahren 1838 und 1840 wurde er abermals erwählt,
und erhielt die Stimme ſeiner Partei für das Sprecheramt. Er
war fünfundzwaggig Jahre alt, als er zum erften Mal ermählt
wurde, und hatte fich während feiner wiederholten Amtstermine
durch feine Fähigkeit, feine unbeftrittene Rechtſchaffenheit, ſowie
durch feine liebenswürdigen Manieren fo populär gemacht, daß er
in feinem dreißigſten Jahre als der Führer feiner Partei in
Illinois angefehen wurde. Seine Haren, Iogifhen Debatten
hatten ihm einen bedeutenden Ruf verfchafftz fein ihm angebore-
nes Rednertalent hatte fich entwidelt; fein ernfter Eifer für feine
Partei führte ihm täglich neue Freunde zu, während feine allge-
mein anerkannte Herzensgüte ihn felbft mit Männern befreundete,
die in der Politik feine Gegner waren.
Während er ein Mitglied der Legislatur mar, verlegte er ſich
mit regem Eifer, fomeit es feine andermweitigen Pflichten geftatte-
ten, auf das Studium der Rechte, wozu ihm ſchon die Nothwen-
digfeit, fis einen angemeffenen Lebensunterhalt zu fichern, an—
fpornte. Im Jahre 1836 wurde er zur Praris zugelaffen und
hatte bald vollauf zu thun, In kurzer Zeit war er als ein tüche
tiger Rechtsanwalt befannt, der die Sachlage klar zu durchſchauen
und fih mit Gemwandtheit der günftigen Punkte zu bedienen
mußte. in gemiffer gutmüthiger Humor, den er ftets mit Erfolg
anzuwenden verftand, verbunden mit gefundem, praftifchem Sinn,
der fchnurftrads auf den Grund der Sache drang, machte ihn zu
einem Original. Die Kniffe des bloßen Rhetorikers verſchmähend,
fprach er vom Herzen zum Herzen und ward daher von Allen, mit
denen er in Berührung kam, als ein Mann im beften und meite-
ften Sinne des Wortas geachtet. Seine Gedanken, feine Manieren
und feine Sprache waren ihm eigenthümlih. Von den Ränken
und Schwänfen des Demagogen hielt er fich entfernt, und das
Volk liebte und ehrte ihn als einen der beften Männer. Die
Sympathieen feiner Mitbürger waren die feinigen — ihr Wohl
fein Streben, und ihre Intereffen auf das Engfte mit den feinigen
verknüpft.
Kindheit und Eintritt in das Miannesalter. 21
Nachdem er fich permanent zu Springfield, das er fortan als
feine Heimath betrachtete, niedergelaffen hatte, widmete er fich
gänzlich der Praris und verheirathete fih am 4. November 1842
mit Mary Todd, der Tochter des achtbaren Robert S. Todd, von
Lerington, Kentudy, einer Dame von vortrefflicher Erziehung und
gewinnenden Manieren,
Obſchon es fein Entſchluß gemwefen war, fich gänzlich von der
politifchen Arena zurüdzuziehen und die Annehmlichkeiten zu ge=
nießen, die nur ein Familienleben zu gewähren vermag, fo ließ er
fi Doch endlich von den ernften Bitten der Partei bewegen, die
feiner feften Ueberzeugung zufolge aufs Innigſte mit den beften
Sintereffen feines Landes identifizirt war, und durchzog 1844 fei-
nen Staat, um für Clay zu agitiren. Später begab er fih nach
Indiana und redete täglich, bis die Wahl herannahte, vor Außerft
zahlreichen Berfammlungen, Die Niederlage des großen Ken-
tuckyers erfüllte ihn mit der tiefſten Trauer, die ihn weit ſchmerz⸗
licher berührte, als wenn es bloß einer perfünlichen Enttäufchung
gegolten hätte,
Zwei Jahre fpäter, im Jahre 1846, ließ fich Herr Lincoln be—
wegen, die Whig-Nomination für den Congreß im Sangamon
Diftrift anzunehmen, und wurde mit einer faft beifpiellofen Ma—
jorität erwählt. Mittlerweile war Teras annerirt worden; der
merifanifche Krieg war im Fortgang begriffen und der Tarif von
1842 zurüdgezogen worden.
Mit der Eröffnung des dreißigften Congreffes, am 6. Dezem-
ber 1847, nahm Herr Lincoln feinen Sig im untern Haufe ein,
während Stephan N. Douglas gleichfalls zum erften Mal als
Mitglied des Senats erfchien,
Zweites Kapitel.
Im Congreß und auf dem Stump
Der merikanifche Krieg — Innere Derbefferungen — Sklaverei im Diftrikt
Columbia — Deffentliche Ländereien — Bieht fid) in’s Privatleben zurück —
Sanfas-Uebraska-Bill — Bieht fi zu Gunften des Henators Trumbull
zurück — Bildung der republikanifhen Partei — Wird zum Ver. St,
Senator nominirt — Eröffnungsrede des Herrn Lincoln — Die Douglas-
Campagne — Der Wahlkampf — Ein Tribut für die Unabhängigkeits-
Erklärung — Befultat des Wahlkampfes.
Es dauerte nicht lange, bis Herr Lincoln als einer der hervorra—
gendften weſtlichen Männer im Repräfentantenhaufe anerkannt
wurde. Er galt in jenen Tagen für einen gründlichen Whig.
Da er der Anficht war, daß Polk's Adminiftration die Angelegen-
heiten mit Meriko von Anfang an verdorben habe, fo jtimmte er
zwar in Gemeinfchaft mit andern Gliedern feiner Partei für Ar»
mee-Lieferungen und geeignete Belohnungen für unfere tapferen
Soldaten, weigerte ſich aber auf das Entfchiedenfte, fih zu einer
unqualifizirten Billigung des Krieges von deffen Anfang bis zu
feinem Ende nöthigen zu laffen.
Demgemäß brachte er am 22, December 1847 eine Reihe von
Beichlüffen ein, bezwedend eine Nachfrage in Bezug auf den Ur-
fprung des Krieges, fowie definitive offizielle Auskunft hierüber,
Diefe Beſchlüſſe wurden auf den Tiſch gelegt und fanden feine
weitere Berüdfichtigung. Bei einer Teftfrage in Bezug auf das
Aufgeben des Krieges ohne materielle Refultate, ftimmte er mit
der Minorität zu Öunften des Niederlegens der Befchlüffe.
An allen auf innere Verbefferungen fich beziehenden Fragen
nahm er den thätigften Antheil. Hinfichtlich des unbeſchränkten
Petitiongrechtes faßte er männlichen Grund und begünftigte eine
liberale Politif dem Bolfe gegenüber in Betreff ver Veräußerung
öffentlicher Ländereien, Während der Wahl-Campagne von 1848
wirkte er zu Gunſten des Generals Taylor und hielt verfchiedene
Reden in Neu-England und im Weiten,
(22)
Im Congreß und auf dem Stump. 23
In der zweiten Sitzung des dreißigften Congreffes beantragte
er, dag ein Befchluß, der die Committee über den Diftrift Colum-
bia anmwies, eine Bill einzubringen, die den Sklavenhandel im
Diſtrikte verbot, auf den Tiſch gelegt würde, und las dann ein
Subftitut dafür vor. Diefes Subftitut enthielt die Form einer
Bill, die 5 daß keine nicht bereits im Diſtrikt anſäſſige
Perſon fortan darin in Sklaverei gehalten werden ſolle, und zu—
gleich die allmälige Emancipation der im Diftrift gehaltenen
Sklaven anftrebte, jedoch fo, daß die Eigenthümer derfelben ent—
ſchädigt würden; mit der mweitern Bedingung, daß eine Mehrheit
der gejeglichen Stimmgeber im Diftrift bei einer Wahl, die zu die—
ſem Zwede ftattfinden folle, der Paffirung der Akte beiftimmten.
Eine Ausnahme jedoch war in dem Subſtitute yorgefehen, hinficht-
lich der Rechte von Bürgern in Sklavenftaaten, die in öffentlichen
Angelegenheiten nach dem Diftrift kämen; dieſen follte geftattet
fein, „ich son der nöthigen Dienerfchaft für fich felbft und ihre
Familien auf ihrem Wege nad) dem Diftrikt, auf ihrem Wege nach
Haufe und während ihres Aufenthaltes in dem Diftrikt begleiten
zu laſſen.“
Hinfichtlich der Bergabung von öffentlichen Ländereien an neue
Staaten, um der Errichtung von Eifenbahnen und Kanälen Bor-
ſchub zu leiften, begünftigte er die Intereſſen feiner eigenen Con—
ftituenten, jedoch mit ſolchen Befchränfungen, wie fie Die Tragweite
diefer Bergabungen erforderte,
Nachdem er eine abermalige Erwählung abgelehnt hatte, zog er
fich abermals in das Privatleben zurüd und widmete fich wieder
feiner Praris, die durch feine Thätigfeit im Congreß unterbrochen
worden war, So lebte er denn zurüdgezogen von der Politif
während General Taylor’s Adminiftration, und nahm auch an
den wichtigen VBorfällen im Jahre 1850 feinen oder nur geringen
Antheil,
Die Einführung der Kanfas-Nebrasfa-Bill dur Stephen A.
Douglas im Jahre 1854 rüttelte ihn jedoch wieder aus feiner
Ruhe und gebot ihm auf's Neue, fih zum Kampf für das Recht
bereit zu halten, In der Wahl-Campagne diefes Jahres war er
einer der thätigften Führer der AntirNebrasfa-Bewegung, Er
24 Das Leben Abraham Lincolns.
hielt verfchiedene Reden, alle von feiner charakteriſtiſchen Energie
gefennzeichnet, und hatte einen bedeutenden Antheil an den merk⸗
würdigen politiſchen Veränderungen, die in jenem Jahre in Illi—
nois ſtattfanden.
Da die Legislatur in jenem Jahre einen Ver. St. Senator zu
erwählen hatte, und da zum erften Male in der Gefchichle des
Staates die Erwählung eines Gegners der Demofratie im Bereiche
der Mögtichkeit war, fo wandten fih Die Blide der gefammten Op—
pofition auf Abraham Lincoln. Diefer aber beredete mit charaf-
teriftifcher Selbftaufopferung feine alten Whigfreunde, en masse
zu Herrn Trumbull, einem Mann von demofratifchen Anteceden-
tien, überzugehen, da diefer ſämmtliche Anti-Nebrasfa-Demofraten
auf feiner Seite hatte. Dies gefhah und Trumbull wurde
erwählt. Herr Lincoln erhielt fpäter die Nomination zum Gou—
verneur von Illinois, lehnte aber die Ehre zu Gunften des Col.
William H. Biffel ab, der denn auch, mit einer entfchiedenen
Majorität den Sieg davontrug.
Bei der Bildung der republifanifchen Partei als folche fpielte
Herr Lincoln eine thätige und einflußreiche Rolle. Sein Name
wurde bei der erften National-Convention diefer Partei zur Vice
Präfidentfchaft vorgefchlagen, fiel aber durch. Er arbeitete nun
raftlos während der Kampagne von 1856 für die Erwählung
Fremont's, auf deſſen Eleftoral-Tidet fein Name obenan ſtand.
Nachdem fich Senator Douglas in Bezug auf die fogenannte
Lecompton-Eonftitution von Kanfas gegen die Adminiftration
Buchanan's erflärt und dadurd den Beifall der demokratiſchen
Partei in Flinvis erworben hatte (feine Wiedererwählung zum
Senator hing lediglich von dem Refultat der Staatswahl in 1858
ab,) beichloß Die republifanifche Convention jenes Jahres unter
donnerndem Applaus, dag Abraham Lincoln, „die erfte und ein-
zige Wahl der Republikaner von Illinois zum Bundes-Senator,
als Nachfolger von Herrn Douglas fei.” Am Schluffe der Ver—
handlungen hielt er folgende Rede, die den erften Anftoß zu feinem
Wahlkampf mit Senator Douglas gab — einem der merfwürdig-
ften Wahlkämpfe, die je in dieſem Lande ftattgefunden haben.
Im Congreß und auf dem Stump. 25
„Meine Herren yon der Convention:
Wenn wir zuerft wiffen könnten, wo wir find und wohin wir
ftreben, jo wären wir beffer im Stande, zu beurtheilen, was und
wie wir handeln follten. Es geht jebt bereits ſtark in’s fünfte
Jahr, feit eine Politik inaugurirt wurde, deren erklärte Abficht
und vertrauensvolles Verfprechen es ift, der Sflaverei-Agitation
ein Ende zu machen. Unter der Wirkung jener Politif hatte dieſe
Agitation nicht nur nicht aufgehört, fondern beftändig zugenom-
men. Meiner Anficht nach wird diefelbe nicht eher aufhören, bis
eine Erifis erreicht und paffirt fein wird. „Ein Haus, das fich
gegen fich felbft zermwirft, kann nicht beftehen,” Sch glaube, daß
dieſe Regierung nicht auf die Dauer halb mit Sklaverei, halb frei
fortbeftehen Tann. Sch erwarte nicht die Auflöfung der Union —
ich erwarte nicht den Einfturz des Haufes — aber ich erwarte, daß
die innere Zerworfenheit aufhören wird. Die Union muß ent-
weder ganz frei werden, oder ganz der Sklaverei anheimfallen,
Entweder müffen die Gegner der Sklaverei der meitern Ausbrei-
tung derfelben ein Ziel fteden und fie derart einfchränfen, daß die
Öffentliche Meinung fich mit dem Glauben an ihr envliches Auf-
hören beruhigt, oder die Vertheidiger derfelben werden fie vorwärts
fchieben, bis fie endlich in allen Staaten, ven alten fowohl, wie
den neuen —im Norden fowohl, wie im Süden — gefeglich wird,
„Haben wir fein Streben nach der letztern Richtung hin? Be—
trachte ein Jeder, der Zweifel hegt, jene nun beinahe vollftändige
Combination — jene Mafchinerie, möchte ich faft fagen — zufam-
mengefeßt aus der Nebrasfa-Doktrine und der Dred Scott Ent-
fheidung. Bedenke er nicht nur, welche Art Arbeit diefe Mafchine
zu leiften vermag, und wie gut fie es vermag, fondern ftudire er
auch, die Gefchichte ihrer Conftruction, und fuche er, wenn er kann,
den urfprünglichen Zweck und die beabfichtigte Wirkung bei den
Meiftern und Operateuren vom Beginne an aufzufpüren,
„Bis hierher jedoch hat nur der Congreß gehandelt, und eine
Ratification durch das Volk, fei es eine wahre oder fcheinbare, war
unerläßlich, um das ſchon Gewonnene zu erhalten und noch mehr
zu gewinnen. Das Neujahr 1854 fand die Sklaverei aus mehr
als der Hälfte der Staaten durch Staats-Eonftitutionen ausge»
26 Das Leben Abraham Lincolns.
—
fchloffen; desgleichen auch aus den meiften Natignal-Territorien
durch ein Congreßverbot. Bier Tage fpäter begann der Kampf,
der mit dem Widerruf jenes Congreßverbots endete. Dies öffnete
den Sklavenhaltern ſämmtliche National-Territorien und war der
erfte gewonnene Punft.
„Diefe Nothwendigkeit war Feineswegs überfehen, fondern
mweislich und beftmöglich vorgefehen worden in jenem merkwür—
digen Argument von der „Squatter-Souveränität,“ anderwärts
auch das ‚‚geheiligte Recht der Selbftregierung‘‘ genannt;
welch’ letztere Phrafe, obſchon Die einzig rechtliche Baſis irgend
einer Regierung ausdrüdend, in der verfuchten Geltendmachung
fo verdreht wurde, daß fie ungefähr fo viel bedeutet, daß, wenn
ein Mann einen andern zu Inechten verfucht, Fein Dritter befugt
fein folle, fi dem zu widerfegen. Diefes Argument wurde der
Nebraska-Bill felbft mit folgenden Worten einverleibt: „Der
wahre Sinn und Zwed diefer Akte ift, Die Sklaverei in irgend ein
Territorium oder irgend einen Staat weder einzuführen, noch fie
davon auszufchliegen, fondern es dem Volke darin vollfommen
freizuftellen, ihre häuslichen Inftitute nach eigenem Willen und
Gutdünken zu bilden und zu reguliren, infofern Dies nicht der
Conftitution der Vereinigten Staaten widerftrebt.“
„Dann erfolgte ein Schwall von nichtsfagenden Worten zu
Gunſten der „Squatter-Souveränität” und des „geheiligten Rech-
tes der Selbftregierung.”
„Aber,“ fagten Oppofitionsmitglieder, „laßt uns fpecififcher
fein — laßt uns die Bil ſo amendiren, daß darin ausdrüdlich
erklärt werde, dem Volke der Territorien ſtehe das Recht zu,
die Sklaverei auszufchließen.” „Nicht doch,” fagten die Freunde
der Maßregel und flimmten gegen das Amendment, das denn auch
durchfiel.
„Während die Nebraska-Bill durch den Congreß ging, paſſirte
durch das Ver. St. Bezirksgericht für den Diſtrikt Miſſouri ein
Rechtsfall, in welchem es ſich um die Freiheit eines Negers han—
delte, deſſen Meiſter ihn zuerſt in einen freien Staat und dann
in ein Territorium brachte, in welchem jenes Congreßverbot zu
Rechte beſtand, und ihn in beiden lange Zeit als Sklaven hielt.
Im Eongreß und auf dem Stump. 97
Sowohl die Nebrasfa-Bill, wie der Rechtsfal famen in demfelben
Monat, Mai 1854, zur Entfcheidung. Der Neger hieß „Dred
Scott,” unter welchem Namen jene Entfcheidung des Oberbundes-
©erichtes heutzutage bekannt ift.“
„Bor der darauf folgenden Präfidentenwahl wurde das Gefes
vor dem Dberbundesgericht der Ver. Staaten argumentirtz die
Entfcheidung indeffen wurde bis nach der Wahl verfhoben. Doch
vor der Wahl bat Senator Trumbull in der Senatshalle den
Hauptvertheidiger der Nebrasta-Bill, feine Meinung zu äu—
Bern, ob das Volk eines Territoriums auf conftitutionelle Weiſe
die Sklaverei von feinen Grenzen ausfchliegen könne, und Diefer
antwortete: „Das ift eine Frage für das Oberbundesgericht.”
„Die Wahl kam heran, Herr Buchanan wurde erwählt und
das “indorsement” war gefichert, Dies war der zweite gewon-
nene Punkt: Dem Indorfement mangelten indeffen nahezu vier-
hundert Zaufend Stimmen zu einer Bolfsmajorität, woher es
denn nicht eben fehr zuverläffig und befriedigend war. Der ab-
gehende Präfident rief dem Volke in feiner letzten Jahresbotfchaft
fo nachdrücklich wie möglich das Gewicht und die Autorität des
Indorfements in das Gedächtniß.
„Das Oberbundesgericht tagte wieder; es kündigte jedoch die
Entſcheidung nicht an, fondern begann ein neues Argument. Die
Inauguration des Präfiventen fam heran, noch aber hielt das
Gericht mit der Entfcheidung zurüdz; der neue Präfident aber er-
mahnte das Bolf in feiner Snauguraladreffe, fih der nahen Ent»
fheidung zu fügen, wie auch diefelbe ausfallen möge,
Wenige Tage darauf fam die Entſcheidung.
„Dies war der dritte gewonnene Punkt.
„Der Autor der Nebrasfa-Bill ergriff bald darauf eine Gelegen-
beit, in diefem Capitol eine Rede zu halten, in welcher er die Dred
Scott Entfcheidung indoffirte und alle Opponenten dagegen heftig
mit Schmähungen überhäufte. Der neue Präfident ergriff ebenfalls
die erfte Gelegenheit, um in dem Silliman Brief jene Entfcheidung
zu indoffiren und auszulegen; zu gleicher Zeit drüdte er feine
Derwunderung aus, daß fich überhaupt mißbilligende Meinungen
darüber fund gäben. Endlich entftand ein Streit zwifchen dem
98 Das Leben Abraham Lincolns.
Präfiventen und dem Urheber der Nebrasfa-Bill über die bloße
Frage, ob die Lecompton-Eonftitution im eigentlichen Sinne des
Wortes von dem Volke von Kanfas gemacht worden fei oder nicht;
und in diefem Streite erflärte Lebterer, daß er nichts Anderes be-
anfpruche, als einen freien Meinungsausdrud für das Volk, und
dag es ihm vollkommen gleichgültig fei, ob die Sklaverei einge-
führt oder ausgefchloffen werde. Diefe lettere Erklärung, daß es
ihm gleichgültig fei, ob die Sklaverei eingeführt oder ausgefchlof-
fen werde, kann ich mir nur als eine ſchlaue Definition der Politik
deuten, die er der öffentlichen Meinung aufoctroyren wollte — das
Prinzip, für das er, wie er ung fagt, ſchon fo viel gelitten hat und
bereit ift, bis zu feinem Ende zu leiden.
„Und wohl mag er fich an diefes Prinzip feftflammern. Wenn
er, väterliche Gefühle befist, muß er fi daran feftllammern.
Diefes Prinzip ift der einzige Feben, der ihm von feiner urſprüng—
lihen Nebrasfa-Doftrine übrig bleibt, Unter der Dred Scott
Entfcheidung trat die „Squatter-Souveränität” aus der Eriftenz,
ftürzte zufammen, wie ein temporäres Gerüft, wie die Lehmform
in der Gießerei, die ihren Zwed erfüllt hat und in den lofen Sand
zurückfällt; fie half einen Wahlfieg herbeiführen und wurde dann
den Winden anheim gegeben. Sein letter Kampf, den er gemein
fam mit den Republifanern gegen die Lecompton-Conftitution
führte, hatte Nichts von der urfprünglichen Nebrasfa-Doftrine
zur Grundlage. Sener Kampf wurde über einen gemwiffen Punkt
geführt — das Recht eines Volkes, fich feine Conftitution felbft zu
machen — und über diefen Punkt herrfchte nie eine Meinungsver-
fehiedenheit zwifchen ihm und den Republifanern,
„Die verfchiedenen Punkte der Dred Scott Entfheidung in Ver—
bindung mit Senator Douglas’ forglofer Politif bilden die Ma-
fchine in ihrem gegenwärtigen Fortſchrittszuſtand. Die mwefent-
lichen Punkte in diefer Mafchine find:
„Erftens, daß fein Negerfklave, als folcher von Afrifa importirt,
und fein Abkömmling eines ſolchen jemals Bürger eines Staates
fein kann in dem Sinne des Wortes, wie die Conftitution der
Der. Staaten es auslegt.
„Diefer Punkt wurde ausgehedt, um den Neger in jedem mög—
Im Congreß und auf dem Stump. 29
lichen Falle der Wohlthat diefer Beftimmung der Ber. St. Con—
ftitution zu berauben, welche deutlich erklärt, vaß — „die Bürger
eines jeden Staates zu allen Privilegien und Rechten eines Bür—
gers in ſämmtlichen Staaten berechtigt fein follen.
‚Zweitens, Daß „der Conftitution der Ber, Staaten gemäß”
weder der Congreß, noch eine Territorial-Legislatur die Sklaverei
in irgend einem Ber. St, Territorium ausfchließen Tonne,
„Diefer Punkt wurde ausgehedt, damit Individuen die Terri—
torien mit Sklaven füllen könnten, ohne Gefahr zu laufen, dies
ihr Eigenthum zu verlieren, und um auf dieſe Weife den Fortbe—
ftand des Inftituts für alle Zeiten zu fichern.
„Drittens, daß die Ber. St. Gerichte es unentfchieden laſſen
wollten, ob ein in einem freien Staate in der Sklaverei gehaltener
Neger frei fein ſolle; dag aber die Entfcheidung irgend einem
Gerichtshofe in irgend einem Sklavenftaate, in den der Neger von
feinem Meifter gebracht werde, unbenommen bleiben folle.
-Diefer Punkt wurde ausgehedt, um die Erbitterung zu befänf-
tigen. Fügte fi das Volk eine Zeit lang und indoffirte es ihn
anfcheinend bei einer Wahl, fo war die logifche Solge Har: was
Dred Scott's Meifter rechtens mit Dred Scott in dem freien
Staate Fllinvis thun fonnte, das fonnte irgend ein anderer
Meifter rechtens im freien Staate Illinois oder irgend einem ans
dern freien Staate mit einem Sklaven oder taufend Sklaven
thbun,
„Hand in Hand mit alledem wirft die Nebrasfa-Doftrine, oder
vielmehr die Weberbleibfelderfelben, um die öffentlihe Meinung
dahin zu bringen, daß es ihr gleichgültig fei, ob die Sklaverei ein»
geführt oder ausgefchloffen werde.
„Dies zeigt genau, wo mir uns jetzt befinden und theilweife
auch, wohin wir ftreben.
„Um über das Lebtere weiteres Licht zu gewinnen, laßt ung die
bereits erwähnten hiftorifchen Thatfachen noch einmal in’s Auge
faffen. Berfchiedene Dinge werden ung jet minder dunkel und
myfteriös erfcheinen, als zur Zeit ihrer Begebenheit. Das Volf
follte „sollfommene Freiheit” haben, fo weit es nicht der Conſtitu—
tion miderftrebte, Was die Conftitution damit zu tbun hatte,
30 Das Leben Abraham Lincolns.
vermochten Uneingemweihte nicht zu begreifen. Jetzt ift es Har
genug; es war eine paffende Nifche, die fpäterhin Die Dred Scott
Entfcheidung einnehmen fonnte, mit der Erklärung, daß die „solls
fommene Freiheit” des Volfes fo viel bedeutete, wie gar feine
Freiheit. |
„Warum wurde das Amendment nievergeftimmt, welches aus—
drüdlich Das Recht des Volkes, die Sklaverei auszufhließen er-
Härt? Ganz einfach, weil die Annahme deffelben die hübſche Nifche
für die Dred Scott Entfcheidung verdorben haben würde,
„Barum wurde die Entſcheidung des Gerichtes verſchoben?
Warum hielt fogar ein Senator mit feiner individuellen Anficht
bis nach der Präfidentenwahl zurüd? Ganz einfach, weil eine
offene Sprache dem „volllommen freien” Argumente gefchadet
hätte, das den Wahlfieg herbeiführen follte,
„Weshalb die Beglüdwüunfhung des austretenden Präfidenten
über das Indorſement? Weshalb die Verzögerung des neuen Ar-
gumentes? Weshalb des eintretenden Präfiventen voreilige Er—
mahnung zu Gunſten der Entfeheidung? Diefe Dinge fehen faft
fo aus, wie das vorfichtige Streicheln und Schmeicheln eines feu-
rigen Pferdes, ehe der Reiter es befteigt, aus Furcht, zu Boden
geworfen zu werden. Und warum das haftige Nach-Fndorfement
der Entiheidung Durch den Präfivdenten und Andere?
„Dir können nicht mit Beftimmtheit behaupten, daß alle diefe
genau zufammenpaffenden Umftände das Nefultat eines vorherge-
gangenen Einverftändniffes find. Wenn wir aber einen Haufen
gezimmerten Bauholzes fehen und wiffen, daß vernhiedene Theile
beffelben zu verfchiedenen Zeiten, an verfchiedenen Orten und son
verschiedenen Arbeitsleuten — Stephen, Franklin, Roger und
James zum Beifpiel — hergerüftet wurden; und wenn wir Diefe
Stüde Bauholz zufammengefügt fehen und bemerken, wie genau
fie das Gerippe eines Haufes oder einer Mühle machen, wie alle
Winkel und Kanten fo genau an einander paffen, wie alle Propor-
tionen den betreffenden Plätzen fo exakt angemeffen find, nicht ein
Stüd zu wenig oder zu viel — felbft das Baugerüft nicht ausge-
nommen — oder, follte ein Stüd fehlen, wenn wir dann im Ge—
bälfe die Stelle zur Einfügung diefes Stüdes genau angepaßt
Im Congreß und auf dem Stump. sl
und vorbereitet fehen — müßten wir nicht in einem folchen Falle
nicht fchlechterdings glauben, dag Stephen und Franklin und
Roger und James einander von Anfang an wohl verjtanden, und
dag Alle nach einem gemeinfamen Plan oder Bauriß arbeiteten,
der vorgezeichnet worden war, ehe der erfte Schlag gethan wurde?
„Es follte nicht überfehen werden, daß, der Nebrasfa-Bill zu—
folge, das Volk eines Staates fowohl wie Territoriums „voll
fommene Freiheit” haben follte, „fo weit dieſes der
Conftitution nit widerftreitet.‘ Weshalb wurde das
Wort „Staat” erwahnt? Es handelte fi ja nur um Territorien
und nicht um Staaten. Gewiß ift das Volk eines Staates durch
die Conftitution der Vereinigten Staaten gebunden, und mit
Recht; weshalb aber wurde diefes in ein reines Territorial-Gefet
eingefchaltet 2 Weshalb find das Volk eines Territoriums und
das Volk eines Staates darin zufammengewürfelt, als ob ihre
Beziehungen zu der Eonftitution genau diefelben wären ?
„Während die Anficht des Bundesgerichtes durch den Ober—
richter TZaney in dem Dred Scott Falle, fowie die Separat-Ans
fichten der beiftimmenden Richter ausprüdlich erflären, daß die
Conftitution der Vereinigten Staaten weder dem Congreß, noch
einer Territorial-Legislatur Befugniß ertheile, die Sklaverei in
irgend einem Bereinigten Staaten Territorium auszufchliegen,
unterlaffen fie Alle zu erklären, ob diefelbe Conftitution einem
Staate, oder dem Volke eines Staates Befugniß gebe, die Skla—
verei auszufchliegen. Es ift möglich, daß diefes ein bloßes
Verſäumniß war; wer aber fann mwiffen, ob Metean oder
Eurtig verfucht hatten, der „Anſicht“ eine Erflärung unbegrenzter
Macht feitens des Volkes eines Staates beizufügen, um die Skla—
verei aus ihren Örenzen zu vefbannen, gerade wie Chafe und Mace
verfucht hatten, eine folche Erklärung zu Öunften des Volfes eines
Territoriums in die Nebraska-Bill einzufhalten? Wer, frage
ich, kann wiffen, daß eine foldhe Erklärung nicht umgeftoßen wor—
den wäre, gerade wie es im andern Falle gefchah ?
„Der annäherndfte Berfuch, einem Staate Machtbefugnig hin-
fichtlich der Sklaverei zu geben, wurde vom Richter Nelfon ge-
macht, Er näherte fi dem Gegenftande mehr als einmal, und
32 Das Leben Abraham Lincolns.
zwar ftets mit der genauen dee (und faft auch der Sprache) der
Nebraska-Akte. Bei einer Gelegenheit gebraucht er genau die
folgenden Worte: „Mit Ausnahme son Fällen, in denen die
Macht dur die Eonftitution der Vereinigten Staaten befchränft
ijt, bleibt das Staatsgefeß fuprem in Bezug auf die Sklaverei
innerhalb der Jurisdiction des Staates.”
„In welchen Fällen die Macht des Staates von der Eonftitu-
tion der Bereinigten Staaten befchränft wird, blieb eine unent-
Ichiedene Frage, gerade wie diefelbe Frage in Bezug auf die
Beſchränkung der Territorial-Gewalt in der Nebrasfa-Alte un
entfchieden blieb. Fügen wir num Diefes und Jenes zufammen,
fo haben wir eine andere hübfche Heine Nifche, die wir über Furz
oder lang durch eine fernere Dberbundesgerichts-Entjcheidung
ausgefüllt fehen werden, durch welche erklärt wird, daß die Con—
ftitution der Vereinigten Staaten einem Staate nicht geftattet, Die
Sklaverei innerhalb feiner Grenzen zu verbieten. Und dies fteht
hauptfächlich zu erwarten, wenn die Douglas'ſche „Sleichgültig-
feitsdoftrine” in der öffentlichen Meinung hinreichend Grund
gewinnt, um eine foldhe Entfcheidung rathfam oder gefahrlos er-
fcheinen zu laffen.
„Nur eine folche Entfeheidung fehlt noch, um die Sklaverei in
ſämmtlichen Staaten gefeglich zu machen. Wie wir uns aud
Dagegen ſtemmen mögen, dieſe Entjcheidung wird wahrfcheinlich
fommen, und vielleicht bald fommen, wenn nicht die Macht der
gegenwärtigen politifchen Dynaftie gebrochen und umgeftürzt
wird, Wir legen uns gemüthlich nieder und träumen, daß das
Bolf von Miffouri demnächft feinen Staat frei machen werde, um
beim Erwachen zu finden, daß das Oberbundesgericht Illinois zu
einem Sklavenſtaat gemacht hat.
„Die Macht dieſer Dynaftie zu brechen und umzuftürzen, ift
jest das Werk Aller, die den Endzwed der gegenwärtigen Macht-
haber zu vereiteln wünfchen. Das ift es, was wir zu thun haben,
Wie aber fünnen wir es am beften thun ?
„Es giebt Leute, die uns ihren Freunden gegenüber offen
fhmähen, dabei aber leife andeuten, daß Senator Douglas das
geeignetfte Werkzeug zur Erreihung Ddiefes Zwedes fei. Gie
Im Congreß und auf dem Stump. 33
fagen uns indeffen nicht, noch hat er uns gefagt, daß er irgend
einen ſolchen Zwed erreichen möchte. Sie wünfchen, daß wir
von felbft auf diefen Schluß kämen, da er einen Heinen Streit
mit dem gegenwärtigen Haupt der Dynaftie hat, und da er regel-
mäßig mit ung in einer einzigen Angelegenheit ftimmte, in welcher
er und wir niemals abmweichente Meinungen hegten.
„Sie erinnern und daran, daß er ein [ehr großer Mann
fei, und daß die Größten unter ung nur winzige Gefchöpfe feien.
Wir können dies getroft zugeben. Jedoch ift ein lebendiger
Hund beffer als eintodter Löwe. Richter Douglas ift, wenn
nicht ein todter Löwe für diefes Werk, fo Doch ein gefeffelter
und zahnlofer Wie kann er ſich dem VBorfchreiten der Skla—
verei entgegenftemmen? Es ift ihm ja Alles gleichgültig. Es ift
ja feine offen erklärte Miffton, die öffentliche Meinung dafür
gleichgültig zu machen.
„Ein hervorragendes Douglas-demofratifches Blatt glaubt, es
bedürfe des Riefengeiftes diefes Douglas, um die Wiederbelebung
des afrifanifchen Sklavenhandels zu verhindern. Glaubt Douglas,
daß ein Verfuch, diefen Handel wieder in das Leben zu rufen, auf
dem Programm ift? Er hat ung Dies nicht gefagt. Glaubt er ee
in der That? Und wenn fo, wie fann er es verhindern? Seit
Jahren hat er ſich unabläfjig bemüht zu bemeifen, daß es ein
heiliges Recht des weißen Mannes fei, Negerfflaven mit in
die neuen Territorien zu nehmen. Sft es ihm möglich zu bemei-
fen, daß es ein minter heiliges Necht fei, diefelben zu Faufen, mo
fie am billigften zu kaufen find? Und zweifelsohne können fie in
Afrika billiger gefauft werden als in Virginien.
„Er hat alle feine Macht aufgeboten, um die ganze Sklaverei—
frage zu einer bloßen Eigenthumsfrage zu reduziren; und wie
kann er von diefem Standpunfte aus dem auswärtigen Sklaven—
handel opponiren? Wie fann er dem Handel mit jenem „Eigen-
thum“ die fchon erwähnte „sollfommene Freiheit“ entziehen ?
Bielleicht wohl, um die einheimifche Produktion zu ſchützen? Da
nun aber die einheimifhen Produzenten diefen Schutz
nicht begehren, ſo verliert er allen Grund zur Oppoſition.
Sen Douglas behauptet, daß ein Menſch das Recht habe,
34 Das Leben Abraham Lincolns,
heute mweifer zu fein, als er geftern war — daß er das Recht habe,
fein Thun und Treiben zu ändern, fo bald er fich im Unrechte
finde. Können wir aber deshalb der Zufunft vorgreifen und
daraus Schließen, Daß Diefe oder jene Aenderung in feiner Hand-
Iungsmweife eintreten werde, von der er ung felbft nicht die mindeſte
Undeutung gegeben hat? Können wir unferm Handeln irgend
einen ſolchen wagen Schluß zur Orundlage geben?
„Es ift nicht im mindeften meine Abficht, Senator Douglas’
Pofition zu verdächtigen, feine Motive in Zweifel zu ftellen, oder
ihn auf irgend eine Weiſe perfünlich zu beleidigen. Sollte er
fich jemals über ein Prinzip mit uns vereinigen, fo daß unferer
Sache durch feine großen Talente Nutzen erfprießen mag, fo hoffe
ich Fein Hinderniß in ven Weg gelegt zu haben.
„Eines jedoch ift Har: jetzt ift er nicht mit ung — er will «8
nicht fein — er verfpricht nicht, daß er es jemals fein wolle. Un—
fere Sache muß fomit durch ihre eigenen, unbezweifelten Sreunde
geführt und vertheidigt werden — durch Männer, deren Hände
frei, deren Herzen in dem Werke find — dur Männer, denen das
Refultat nicht gleichgültig if.
„Bor zwei Jahren zählte die republifanifche Parthei über drei—
zehn hunderttaufend Mann. Es trieb ung ein einziger Impuls:
der Widerftand gegen die gemeinfame Gefahr. Alle äußern Um—
fände waren gegen uns. Aus fremdartigen, widerftrebenden,
ja fogar feindfeligen Elementen zufammengefest, gleichfam von
den vier Winden hergemweht, bildeten wir uns und kämpften Die
Schlacht unter dem beftändigen Kreuzfeuer eines erfahrenen,
ftolgen und fieggewohnten Feindes. Wagten wir damals Alles,
um jebt zu wanfen? — jegt, da derfelbe Feind mit fich felbft im
Widerſpruch fteht?
„Das Refultat ift keineswegs zweifelhaft. Wir fünnen nicht
fallen, wenn wir feftftehen. Weife Rathſchläge mögen den
Sieg befhleunigen, Mifgriffe mögen ihn verzögern;
allein früher oder fpäter muß er kommen.“
In diefem äußerſt lebhaft betriebenen Mahlfampf wurde der
Staat Illinois feiner ganzen Länge und Breite nad von den
Im Congreß und auf dem Stump. 35
beiven Kandidaten und ihren Anhängern „durchſtumpt,“ und das
ganze Land nahm den regiten Antheil an dem Wettringen. Bon
County zu Eounty, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf reiften
die beiden Kämpen, häufig in demfelben Eifenbahnwagen oder in
demfelben Omnibus, und argumentirten von Angeficht zu Ange-
ficht im Beiſein einer ungemeinen Menfchenmenge die Haupt-
punkte ihrer politifhen Ueberzeugung, und kämpften wader um
die Meifterfchaft.
In einer feiner Reden während jener merkwürdigen Kampagne
zollte er der Unabhängigfeits-Erklärung den folgenden Tribut:
„Diefe Communen (die dreizehn Colonien) fprachen durch ihre
Repräfentanten in der alten Unabhängigfeits-Halle zu der ganzen
Welt: „Solgende Wahrheiten halten wir für felbftverftändlich,
nämlich: Daß alle Menfchen gleich geboren find; daß fie von
ihrem Schöpfer mit unveräußerlihen Rechten begabt wurden;
dag zu diefen Rechten Leben, Freiheit und das Streben nad
Glüdfeligfeit gehöre.” Dies war ihre majeftätifche Interpreta—
tion der Defonomie des Univerfums. Dies war ihr edles, weifes
und erhabenes Berftändniß der Gerechtigkeit des Schöpfers gegen
alle feine Gefchöpfe, Sa, meine Herren, ich fage, gegen alle feine
Geſchöpfe und gegen die ganze große Menfchenfamilie. Ihrem
erleuchteten Glauben gemäß wurde Nichts, was mit dem Abbild
“ Gottes geftempelt war, auf die Welt gefandt, um von feinen Mit-
geihöpfen in den Staub getreten, gefnechtet und verthiert zu wer—
den. Ihr Wort bezog fich nicht nur auf das damals lebende
Menfchengefchlecht, fondern es galt felbft ver fpäteften Nachwelt.
Sie fchufen einen Leuchtthurm, der ihre Kinder und Kindeskinder
und die zahllofen Myriaden, die in kommenden Jahrhunderten
die Erde bewohnen follten, Ienfen und leiten möchte. Als weifen
Staatsmännern war ihnen fehr wohl befannt, dag die Wohlfahrt
leicht ITyrannen erzeugt, und fo ftellten fie denn jene großen,
jelbftverftändlichen Wahrheiten feit, damit, wenn in ferner Zu—
Funft irgend ein Mann oder eine Faktion die Doftrine ausheden
follte, daß nur reiche Leute, nur weiße Leute, oder nur weiße Leute
angelfächfifher Abkunft ein Anrecht auf Leben, Freiheit und das
Streben nach Glückſeligkeit habe, ihre Nachtommen auf die Unab—
36 Das Leben Abraham Lincolns.
hängigfeits-Erflärung bliden und daraus Muth ſchöpfen möchten,
den Kampf zu erneuern, den ihre Väter begonnen; damit nicht
Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und alle menſchlichen
und chriftlihen Tugenden aus dem Lande vertilgt würden, —
damit fein Menfch in Zufunft es wage, die großen Prinzipien,
auf denen der Tempel der Freiheit erbaut wurde, zu befchränfen.
„Run, meine Landsleute, wenn ihr Doftrinen gelernt habt, die
mit der Unabhängigfeits-Erflärung im Widerfpruch ſtehen; wenn
ihr Eingebungen Gehör ſchenktet, die ihre Größe beeinträchtigen
und die Symmetrie ihrer Proportionen zerftören würden; wenn
ihr geneigt waret zu glauben, daß nicht alle Menfchen gleich und
mit jenen unveräußerlihen Rechten begabt wurden, wie die
Magna Charta unferer Sreiheiten ung lehrt: — fo beſchwöre ich
euch, zurüdzufehren zu der Quelle, die dicht neben dem Blutſtrome
der Nevolution ihren Urfprung hat. Denfet nicht an mid;
denfet nicht an das politifche Gefchid irgend eines Mannes, wer
er auch fein „möge, fondern fehret zurüd zu den Mahrheiten, die
in der Unabhängigfeits- Erklärung enthalten find.
„Shut mit mir, was ihr wollt; nur wahret jene heiligen Prin-
zipien. Ihr möget meine Erwin in den Senat yereiteln —
ja, ihr möget mich auf der Stelle ergreifen und tödten. Ich will
nicht behaupten, daß ich für irdifche Ehren unempfänglich bin;
aber ih darf behaupten, daß mich etwas Höheres als die bloße
Sudt nad) Ehren und Würden in diefem Kampfe befeelt. Ich
beſchwöre euch, jeden Heinlichen und unbedeutenden Gedanken für
den Erfolg irgend eines Mannes aufzugeben. Sch bin nichts —
Nichter Douglas ift nichts. Allein zerftäret nicht jenes un-
fterbliche Emblem der Humanität — die Erflärung der Un⸗
abhangigfeit Amerifn’s !“
Bei der bald darauf folgenden Wahl erhielt der republifanifche
Kandidat 126,084 Stimmen; die Douglas-Demofraten zogen
121,940 und die Lecompton-Demofraten 5,091 Stimmen, Herr.
Douglas wurde indeffen wieder erwählt in den Senat durch die
Legislatur, in welcher, einer eigenthümlichen Bertheilung der
legislativen Dijtrikte zufolge, feine Anhänger eine Majorität von
acht Stimmen im Geſammtballott hatten,
Drittes Kapitel,
Vor der Yatiom
Reden in Ohio — Auszug aus der Cinrinnati Rede — Sefucht den Often —
Serühmte Rede im Tooper Inftitut in New York — Intereflante Epifode.
Das Refultat feines Wahlfampfes mit Douglas war zwar an-
fheinend eine Niederlage, follte fich aber in nicht allzuferner Zeit
als ein entfhiedener Triumph erweifen. Herrn Lincoln’s Ruf
als ein gewandter Debattirer und Meifter des politifchen Argu—
mentes war jet gefichert und im ganzen Lande anerfannt. m
folgenden Jahre widmete er fich wieder ausschließlich feinen Be—
rufspflichten; doch hielt er, den Bitten der Republifaner in Ohio
nachgebend, in der Wahlcampagne von 1859 zwei feiner gediegen-
ften Reden in jenem Staate — die eine An Columbus und die
andere zu Cincinnati.
In feiner Rede in lesterer Stadt fpielte Herr Eincoln auf die
Gewißheit eines baldigen republifanifchen Triumphes an, und
ließ fich folgendermaßen über die unausbleiblichen Refultate eines
folchen Sieges vernehmen : i
„Ich will euch fagen, foweit ich autorifirt bin, für die Oppofition
zu fprechen, was wir mit euch zu thun gedenken. Wir gedenken
euch möglichft genau ebenfo zu behandeln, wie Wafhington, Jef-
ferfon und Madiſon euch behandelten. Wir find gefonnen, euch
unbeläftigt zu laffen und ung auf feine Weife in eure Inſtitu—
tionen zu miſchen; wir find aefonnen, alle und jede Compromiſſe
der Konftitution zu achten; kurzum — um wieder darauf zurüd-
zulommen — euch zu behandeln wie Wafhington, Jefferfon und
Madiſon euch behandelt haben, foweit nämlich entartete Menfchen
(wenn wir wirklich entartet find) die Kraft haben, das Beifpiel
jener edlen Väter naczuahmen. Wir werden ung zu erinnern
fuchen, daß ihr jo gut feid wie wir, daß feine andere Verſchieden—
heit zwifchen ung befteht als die VBerfchiedenheit der Verhältniſſe.
Wir werden nie vergeffen, > y" eben fo gute Herzen in euch
(87
38 Das leben Abrabam Lincolns.
tragt wie andere Leute, und euch demgemäß behandeln. Wir ges
denken eure Mädchen zu heirathen — die weißen, meine ich —
wenn wir Gelegenheit dazu haben, und ich habe die Ehre, euch
mitzutheilen, daß ich felbft einft eine derartige Gelegenheit wahr-
nahm.
„Ich habe euch nun geſagt, was wir zu thun gedenken. Ich
möchte jetzt wiſſen, was ihr alsdann zu thun gedenket. Ich hörte
oft die Andeutung, daß ihr die Union aufzulöſen entſchloſſen
wäret, wenn ein Republikaner, oder irgend Einer, der einem ſolchen
gleichſieht, zum Präſidenten der Vereinigten Staaten gewählt
würde. (Eine Stimme: „So iſt's!“) „Sp iſt's!“ ſagt Jemand
unter euh. Ob es wohl ein Kentudier ift? (Eine Stimme: „Es
it ein Douglas-Mann). Nun, dann möchte ich gerne wiffen,
was ihr mit eurer Hälfte zu thun gedenfet. Wollt ihr den Ohio
zerfpalten und eure Hälfte eine Strede von uns megfchieben ?
Oder wollt ihr fie dicht neben ung unartigen Leuten liegen laffen ?
Oder wolltihr eine Mauer zwifchen eurem Lande und dem unfern
errichten, damit euer bewegliches Eigenthbum nicht mehr zu ung
herüberfommen kann? Glaubt ihr eure Lage in Bezug auf diefe
Sorte Eigenthum dadurch zu verbeffern, daß ihr ung aller ferneren
Verbindlichkeit entbindet, euch dieſe Ausreißer zurüdzuftellen ?
Ihr wollt die Union zerfpalten, weil ihr glaubt, wir hätten in
diefem Punkte nicht recht mit euch gehandelt; um wie viel befjer
glaubt ihr daran zu fein, wenn alle Berbindlichkeiten unfererfeits
aufhören? Wollt ihr ung Krieg erklären und ung Alle tödten ?
Meine Herren, ich glaube, daß ihr fo tapfere und muthige Männer
ſeid, als man irgendwo finden kann; daß ihr in einer guten Sache
Mann gegen Mann fo tapfer fechten Fünnt, als irgend ein Volk
der Erde; ich weiß, daß ihr dies bei verfchiedenen Gelegenheiten
bewiefen habt; allein Mann gegen Mann feid ihr nicht beffer als
wir find, und außerdem feid ihr minder zahlreich als wir. Es
würde euch nie gelingen, uns zu befiegen. Wenn wir in der
Minderzahl wären, möchte es fein; wenn wir gleich ftarf wären,
bliebe der Kampf unentfchieden; da ihr aber in der Minderzapl
feid, fo kann euch der Verfuch, uns zu meijtern, feinen Nutzen
bringen.
Vor der — 39
„Ich wiederhole, daß wir uns nicht in das Inftitut der Skla—
verei mifchen Dürfen in den Staaten, in welchen es befteht, weil’
die Conftitution es verbietet, und weil es nicht zum allgemeinen
Wohl erforderli if, Wir dürfen ung nicht gegen ein Geſetz für
Auslieferung flüchtiger Sklaven auflehnen, weil meines Wiſſens
die Conftitution ung ermahnt, ung nicht dagegen aufzulehnen;
allein wir müſſen der Ausbreitung der Sklaverei entgegenarbeiten,
da weder die Conftitution, noch das allgemeine Wohl die Aus-
breitung berfelben erheifcht. Wir müffen der Wiederaufnahme
des afrifanifchen Sklavenhandels, fowie der Erlaſſung eines
Territorial-Sklaven-Geſetzes durch den Kongreß entgegen arbei-
ten. Wir müffen dafür Sorge tragen, daß weder der Congreß,
noch tie Gerichtshöfe Das Eine oder das Andere thun. Das
Bolf der Vereinigten Staaten ift der rechtmäßige Herr über
den Congreß und die Gerichtshöfe; ihm fteht die Befugniß
zu, nicht fowohl die Conftitution umzuftürzen, als vielmehr die
Männer, welche diefe Eonftitution verdrehen.”
Im Frühling 1860 gab er den vielen vom Dften an ihn er-
gangenen Aufforderungen nach und befchloß, dem Außerft Iebhaf-
ten Wahlbetrieb der Republifaner in jenem Theil des Landes
feine Hülfe angedeihen zu laffen. Er hielt daher Reden in Con-
necticut, New Hampfhire und Rhode Island, desgleichen auch in
der Stadt New York, und wurde allerwärts von einem Außerft
zahlreichen Auditorium begrüßt.
Eine der größten Reden feines Lebens war ohne Zweifel die,
welche er am 27. Februar 1860 im Cooper Inſtitut zu New York
hielt und zwar vor einer ungemein großen Berfammlung, die ihn
mit enthuflaftifchen Demonftrationen bewillkommte. Wir theilen
diefe meijterhafte Rede unverfürzt mit. Nachdem der ehrwürdige
William Eullen Bryant, der als Vorfiter fungirte, den Redner
mit einigen höchft fchmeichelhaften Bemerkungen den Anwefenden
vorgeftellt hatte, begann Herr Lincoln wie folgt:
„Herr Prafident und Mitbürger von Vew York:
„Die Ihatfachen, die ich Ihnen diefen Abend vor Augen führen '
werde, find meiftens alt und wohl bekannt; auch bietet die An-
in“
40° Das Leben Abraham Lincolns.
wendung, die ich im Allgemeinen davon machen werde, nichts
Neues dar. Wenn ih Ihnen überhaupt etwas Neues bieten
werde, fo ift es die Art und Weife der Darftellung diefer That-
fachen und der Schlüffe und Bemerkungen, die ich an dieſe Dar-
ftellung zu knüpfen gevenfe.
„Senator Douglas fagte in feiner Rede zu Columbus, Ohio,
vorigen Herbft, wie fie die New York Times mittheilte :
„Unfere Bäter, welche die Regierung gründeten, unter welcher
wir leben, verftanden diefe Frage ebenfo gut und vielleicht befjer
als wir.”
„Ich indoffire dieſe Worte vollfommen und wähle fie als den
Tert für diefen meinen Vortrag. Sch wähle fie, weil fie eine
Klare und unbeftrittene Bafis liefern für die Diskuffion zwifchen
den Republifanern und jenem Flügel der Demokratie, an deren
Spibe Senator Douglas ſteht. Sie laffen ung nur die Trage
übrig: „Wie verftanden jene Väter die erwähnte Frage 2
„Was ift die Grundlage der Reung, unter welcher wir
leben ?
„Die Antwort ift einfach: „Die Eonftitution der Vereinigten
Staaten. Diefe Eonftitution befteht aus dem Original, das im
Jahre 1787 entworfen wurde und unter welchem die gegenwärtige
Regierung zuerft in Operation trat, und zwölf fpäter hinzuge-
fügten Amendments, wovon die zehn erften im Jahr 1789 ent-
worfen wurden.
„Wer aber waren die Väter, die jene Conſtitution entwarfen 2
Ich glaube, daß die „Neun und dreißig,” welche das Driginal-
Inftrument unterzeichneten, mit Necht die Begründer unferer
gegenwärtigen Regierung genannt werden fünnen. Es ift faft
buchſtäblich wahr, daß fie die Conftitution entwarfen ; vollfommen
wahr aber ift es, daß fie die Anfichten und Gefinnungens»der
ganzen Nation zu jener Zeit repräfentirten. Da ihre Namen den
Meiſten wohlbefannt und Allen zugänglich find, fo va ich nicht
nöthig, diefelben anzuführen.
„Ich betrachte alfo diefe „Neun und dreißig“ als die Väter,
welche die Regierung gründeten, unter welcher wir leben.
Dor der Wation, 41
„Das nun aber ift die Frage, welche jene Väter ebenfo gut
und vielleicht befjer als wir verftanden ?
„Es ift einfach dieſe: „Entzieht die Trennung der lofalen von
der füderalen Autorität, oder irgend ein anderer Artikel der Con—
ftitution, der Bundesregierung die Controlle über die Sklaverei
in unfern Bundesterritorien 2”
„Diefe Frage wird von Douglas bejaht, während die Republi-
Taner fie verneinen. Bejahung und Verneinung bilden nun den
Streitpunkt; diefe Frage ift es gerade, was, wie der Tert erklärt,
unfere Bäter beffer verftanden als wir.
„Fragen wir nun, ob jene „Neun und dreißig,“ oder irgend ein
Einzelner von ihnen diefe Frage jemals praftifch behandelten, und
wenn fo, wie ſie diefelbe behandelten, welchen Ausdrud fie jenem
befjeren Berftändniß gaben.
„Im Jahre 1784 — drei Jahre vor der Conftitution — (die
Vereinigten Staaten eigneten damals das Nordweft-Territorium
und fein anderes) hatte der Congreß der Conföderation die Frage
über das Berbot der Sklaverei in jenem Territorium vor fi.
Bier jener „Neun und dreißig,” die fpäter die Conftitution grün-
deten, waren in jenem Congreß und flimmten über jene Frage.
Don diefen ftimmten Roger Sherman, Thomas Mifflin und Hugh
Williamfon für das Verbot, und zeigten dadurch, daß ihrem Ver—
ftändniffe gemäß feine Grenzlinie, welche die lofale von der föde—
ralen Autorität trennt, noch irgend ein anderer Grund der
Bundesregierung die Controlle über die Sklaverei in ven Bun-
desterritorien entzieht. Der Andere jener Biere, James MeHenry,
ftimmte gegen dag Verbot und zeigte dadurd, Daß er es aus
irgend einem Grunde für unangemeffen hielt, dafür zu ſtimmen.
„sm Fahre 1787, noch immer vor der Conftitution, allein
während die mit dem Entwurfe derfelben betraute Convention in
Sitzung war, und während die Vereinigten Staaten aufer jenem
Nortweft-Territorium fein anderes Territorium befaßen, fam die-
felbe Trage hinfichtlich des Berbotes der Sklaverei in dem Terri-
torium abermals vor den Congreß der Conföderation. Drei .
andere Mitglieder jener „Neun und dreißig,” die fpäter die Con—
fitution unterzeichneten, waren in jenem Congreß und fimmten
42 Das Leben Abraham Lincolns.
über die Frage. Dies waren William Blount, William Few und
Abraham Baldwin, und fie Alle flimmten für das Berbot und
zeigten dadurch, daß ihrem Verſtändniſſe gemäß feine Grenzlinie,
die die lokale von der füderalen Autorität trennt, noch irgend
etwas Anderes, der Bundesregierung die Controlle über die
Sklaverei in einem Foderal-Territorium entzieht. Diefes Mal
wurde das Verbot zum Gefeb und bildet einen Theil Defjen, was
jest als die Drdinanz von '87 befannt ift.
„Die Frage hinfichtlich der Föderal-Controlle über die Sklaverei
in den Territorien fcheint den mit dem Entwurfe der Driginal-
Conftitution Betrauten nicht direkt unterbreitet gewefen zu fein ;
daher findet fich aucy Feine Andeutung, ob jene „Neun und dreißig“
oder ein Theil derfelben, während fie mit der Ausarbeitung jenes
Inſtrumentes beſchäftigt waren, irgend eine Meinung über dieſe
ſpezielle Frage äußerten.
„Im Jahre 1789 paſſirte der erſte Eangrefi, welcher fich unter
der Eonftitution organifirte, eine Akte zur Geltendmachung der
Ordinanz von ’87, woburd die Sklaverei in dem Nordweſt⸗-Ter—
ritorium verboten wurde. Die Bill für diefe Alte wurde durch
einen jener „Neun und dreißig‘ angelündigt, nämlich durch Tho⸗
mas Fitzſimmons, damaligem Mitglied des Repräſentantenhauſes
von Pennſylvanien. Sie paſſirte alle Grade, ohne ein Wort der
Oppoſition, und paſſirte endlich beide Zweige ohne Ja und Nein,
was mit einer einſtimmigen Annahme gleichbedeutend iſt. In
dieſem Congreß ſaßen ſechszehn jener „Neun und dreißig“ Väter,
welche die urſprüngliche Conſtitution entwarfen. Dieſe waren:
John Langdon, Nicholas Gilman, Win. ©. Johnſon, Roger Sher—
man, Robert Morris, Thomas Fitzſimmons, William Few, Abra—
ham Baldwin, Rufus King, William Patterſon, George Clymer,
Richard Baſſet, George Read, Pierce Butler, Daniel Carrol und
James Madiſon.
„Dies beweiſt, daß ihrem Verſtändniſſe gemäß keine Scheideli—
nie, die die lofale von der föderalen Autorität trennt, noch irgend
ein anderer Punkt in der Conftitution dem Kongreß die Macht
entzieht, die Eflayerei in dem Bundes-Territorium zu verbieten;
denn im andern Halle hätte fie ihre Grundfäglichkeit fowohl, wie
Vor der Wation. 43
ihr Eid, die Eonftitution zu unterftügen, zur Oppofition gegen das
Berbot genötbigt. ' |
„George Wafhington, ein Anderer jener „Neun und dreißig,”
war damals Präfident der Vereinigten Staaten, und als folder
billigte und unterzeichnete er die Bill und machte fie fomit zum
Gefege. Hierdurch bewies er, daß feinem Berftändniffe gemäß
feine Scheidelinie, welche die lofale von der füderalen Auto-
rität trennt, noch irgend ein anderer Punkt in der Conftitution
der Bundesregierung Die Controlle über die Sklaverei in einem
Söderal-Territorium entzieht.
„Richt lange nach der Annahme der urfprünglichen Conftitution
cedirte Nord Carolina der Föderal-Regierung den Landftrich, der
jest den Staat Tenneffee bildet, und einige Jahre fpäter cevirte
Georgia Die Landftriche, welche jebt die Staaten Miffiffippi und
Alabama ausmachen. In beiden Gefjionsurfunden wurde es
von den cedirenden Staaten zur Bedingung gemacht, daß die
Bundesregierung die Sklaverei in den cedirten Ländertheilen nicht
verbieten folle, Ueberdies beftand die Sklaverei bereits in den-
felben. Unter diefen Umftänden verbot der Congreß bei Ueber-
nahme der Länderftriche die Sklaverei nicht abfolut. Allein felbft
dort fand der Congreß für gut, die Controlle bis zu einem gemif-
fen Grade auszuüben. Im Jahre 1798 organifirte der Congreß
das Territorium Miffiffippi. In der Organiſations-Akte verbot
er das Einführen von Sklaven in dag Territorium von irgend
einem Lande außerhalb der Vereinigten Staaten; die Uebertre—
tung des Berbotes follte mit Geldſtrafe gebüßt werden, und über-
dies follten die fo eingeführten Sklaven die Freiheit erhalten.
Diefe Akte pafjirte beive Zweige des Congreffes ohne Ja und
Nein. In jenem Congreſſe befanden fich drei der „Neun und drei=
Big,” welche die urſprüngliche onftitution entwarfen. Gie
biegen: Sohn Langdon, George Read und Abraham Baldwin,
Sie ftimmten wahrfcheinlich Alle dafür. Sicherlich hätten Diefe
opponirt, wenn ihrem Verſtändniſſe nach eine Scheidelinie, welche
die Iofale von der füderalen Autorität trennt, oder irgend ein an-
derer Artikel der Eonftitution der Bundesregierung die Controlle
über die Eflaverei in den Föderal-Territorien entzogen hätte,
+4 Das Leben Abraham Lincolns.
— —
„Im Jahre 1803 kaufte die Bundesregierung den Louiſiana
Landſtrich. Unſere früheren Territorial-Acquiſitionen kamen von
etlichen unſerer eigenen Staaten; dieſer Louifiana Landſtrich aber
wurde von einer fremden Nation angekauft. In 1804 gab der
Congreß jenem Theile davon, der jetzt den Staat Louiſiana bildet,
eine Territorial-Organiſation. New Orleans, welches in dieſem
Theile liegt, war eine alte und verhältnißmäßig große Stadt.
Auch andere beträchtliche Städte und Anſiedelungen fanden ſich
daſelbſt, und die Sklaverei hatte daſelbſt längſt ſchon feſten Fuß ge—
faßt. Der Congreß verbot in der Territorial-Akte die Sklaverei
nicht, allein er nahm dennoch die Controlle darüber in die Hand,
und zmar in nachdrüdlicherer und ausgedehnterer Weife, als in
Miſſiſſippi. Die Subftanz der in Bezug auf die Sklaven getrof-
fenen Beftimmungen war, wie folgt:
„Erſtens, dag fein Sklave vom Ausland in das Territorium
gebracht werden folle,
„Zweitens, daß fein Sklave dahin gebracht werden folle, der
feit dem erften Mai 1798 in die Vereinigten Staaten importirt
wurde, |
„Drittens, daß Fein Sflave dahin gebracht werden folle, aus-
genommen durch den Eigenthümer und für feinen eigenen Gebrand)
als Anfiedler. In allen Fällen follte der Mebertreter des Geſetzes
einer Gelpftrafe verfallen und der Sklave in Freiheit geſetzt
werden.
„Diefe Akte wurde ebenfalls ohne Ja und Nein paflirt. In
den Congreß, der diefelbe paffirte, befanden fich zwei von jenen
„Neun und dreißig.” Diefelben waren Abraham Baldwin und
Jonathan Dayton. Es ift wahrfcheinlich, daß Beide dafür ſtimm—
ten, wie in dem Falle von Miffiffippi. Gewiß hätten fie ihre
Stimmen dagegen erhoben, wenn die Bill ihrem Verſtändniſſe nach
entweder die Orenzlinie zmwifchen der lolalen und der föderalen
Autorität oder irgend einen Arrifel der Conftitution verlegt hätte,
„Sm Sabre 1819—20 fam und paffirte die Mifjourisfrage.
Viele Abftimmungen durch Ja und Nein wurden in beiden Zwei-
gen des Eongreffes in Bezug auf die verfchiedenen Phafen der
Frage gehalten. Zwei von den „Neun und dreißig“ — Rufus
Vor der Nation. 45
King und Charles Pindney — waren Mitglieder jenes Congreſſes.
Herr King ftimmte beharrlich für das Verbot der Sklaverei und
gegen alle Compromiffe, während Herr Pindney ebenfo behart=
lih gegen alle Sklavereiverbote und gegen alle Compromiffe
ftimmte, Herr King zeigte hierdurch, daß nach feinem Verſtänd—
niffe feine Grenzlinie zwifchen der lofalen und füderalen Autorität,
noch irgend ein anderer Artikel in der Conftitution vom Congreß
durch ein Verbot der Sklaverei in einem Bundes-Territorium ver—
legt würde; während Herr Pindney durch feine Stimme zeigte,
daß nach feinem Berftändniffe hinreichende Urfache vorhanden
wäre, um diesfalls der Prohibition zu opponiren,
„Die hier angeführten Fälle find die einzigen Afte jener „Neun
und dreißig,“ oder eines Theiles derſelben, die direkt auf dieſe Frage
Bezug haben; wenigftens find es die einzigen, die ich zu entdeden
im Stanoe war,
„Zählen wir die Perfonen, die alfo handelten, fo finden wir im
Ganzen ein und dreißig, nämlich: Vier im Jahre 1784, drei in
17837, fiebzehn in 1789, drei in 1798, zwei in 1804 und zwei in
1819—20. Damit aber wären John Langdon, Roger Sherman,
William Tem, Rufus King und George Read je zwei Mal und
Abraham Baldwin vier Mal gerechnet. Die wahre Anzahl der
Mitglieder von den „Neun und dreißig,‘ die, wie ich zeigte, in diefer
Frage, die fie dem Terte gemäß beſſer verftanden, als wir, gehan⸗
delt haben, beträgt drei und zwanzig; es bleiben mithin fechszehn
übrig, die foweit befannt ift, gar feinen thätigen Antheil an der
Sache nahmen,
„Hier alfo haben wir drei und zwanzig von unfern „Neun und
dreißig“ Vätern, die die Negierung gründeten, unter welcher wir
leben, welche auf ihre offizielle VBerantwortlichkeit und ihre Eide
bin diefelbe Frage behandelten, von welcher der Text fagt, „daß fie
diefelben ebenfo gut und vielleicht beifer verftanden, als wir;“ und
ein und zwanzig von ihnen—eine klare Majorität unter. den
„Neun und dreißig, behandelten diejelbe fo, daß fie fich der gröb—
ften Pflichtverlegung und des vorſätzlichen Meineids fchuldig
machten, wenn ihrem Verſtändniß gemäß irgend eine Scheibelinie
zwifchen der Iofalen und füderalen Autorität, oder irgend ein Ar-
46 Das Leben Abrabam Lincolns.
tifel der Konftitution, die fie felbft gemacht und zu unterftügen
gefchworen hatten, der Bundesregierung die Controlle über die
Sklaverei in den BundessTerritorien entzog. So handelten die
ein und zwanzig, und wenn es wahr ift, daß Thaten lauter fprechen,
als alle Worte, jo ſprechen Thaten unter ſolcher Berantwortlichkeit
noch viel lauter.
„Zwei von den drei und zwanzig fimmten gegen dag Congreß—
verbot der Sklaverei in den Bundes-Territorien in den Fällen, in
denen fie diefe Frage behandelten. Weshalb fie fo ftimmten, ift
nicht befannt, Sie mochten es gethan haben, weil fie glaubten,
daß eine Scheitelinie zwifchen der Iofalen und füderalen Autori—
tät, oder irgend ein Artikel oder ein Prinzip der Eonftitution im
Wege ſtünde; oder fie mochten, ohne irgend ſolche Skrupel, gegen
die Prohibition geftimmt haben, da ihnen hinreichende Zweckmä—
igfeitsgründe für ein folches Verfahren vorzuliegen ſchienen.
Niemand, der die Eonftitution zu unterftügen gefchworen hat,
fann mit gutem Gewiffen für seine Maßregel flimmen, die er für
unconftitutionell hält, wie zweckmäßig ihm dieſelbe auch erfcheinen
mag; allein er fann und darf gegen eine Maßregel ftimmen, die
er für conftitutionell hält, wenn fie ihm anders unzweckmäßig
erjcheint. Es wäre Daher unrathfam, den Zweien, die gegen die
Prohibition ftimmten, das Motiv unterzufchieben, daß fie Dagegen
geftimmt haben, weil ihrem Verſtändniß gemäß eine Sceidelinie
zwifchen der Iofalen und füderalen Autorität, oder irgend ein Ar—
tifel der Eonftitution der Bundesregierung die Eontrolle über die
Sklaverei in Foderal-Territorien entzöge.
„Die übrigen fechszehn von den „Neun und dreißig” haben, fo-
weit mir bekannt, Feine Kunde ihres Verſtändniſſes der direkten
Frage hinſichtlich der Föderal-Controlle über die Sklaverei in den
Bundes-Territorien hinterlaffen. Wir haben indeffen Feine Urfache
zu bezweifeln, daß ihr Verſtändniß jener Frage von dem ihrer drei
und zwanzig Collegen abgewichen wäre, wenn fie demfelben über-
haupt Ausprud verliehen hätten.
„uUm mich ftrenge an den gewählten Tert zu halten, überging ich
abjichtlich jedes Verftandnig anderer, wenn auch noch fo hervorra—
gender Perfonen, die nicht zu den „Neun und dreißig Vätern” ges
Vor der Wation. 47
hörten, die die urfprüngliche Eonftitution gründeten. Aus dem—
jelben Grunde überging ich jedes Verſtändniß, das felbft der Eine
oder der Andere jener „Neun und dreißig‘ in Bezug auf irgend eine
andere Phafe der Sklavereifrage im Allgemeinen haben mochte.
Prüften wir ihre Handlungen oder Erklärung in Betreff jener an»
dern Phafen, wie 3. B. des auswärtigen Sklavenhandels, oder der
Moral und Politif der Sklaverei im Allgemeinen, fo würde es ung,
glaubwürdig erfcheinen, daß in Bezug auf die Frage hinfichtlich
der Bundes-Eontrolle über die Sklaverei in den Föderal-Territo—
vien jene fechszehn — wenn fie überhaupt gehandelt hätten —
wahrfcheinlich ‚genau ebenfo gehandelt haben würden, wie ihre
drei und zwanzig Collegen. Unter jenen ſechszehn befanden fich
mehrere der hervorragendften Antifflavegeimänner jener Periode,
wie 3. B. Dr. Franklin, Merander Hamilton und Gouverneur
Morris — während von feinem einzigen das Gegentheil befannt
ist, fei e3 denn etwa von John Nutledge von Süd Carolina.
„Die Summe des Ganzen ift alfo, dag von unfern „Neun und
dreißig‘ Vätern, welche die urfprüngliche Conftitution gründeten,
ein und zwanzig — eine klare Majorität der Gefammtzahl — die
Zertfrage deutlich dahin verftanden, daß feine Scheidelinie zwifchen
lofaler und föderaler Autorität, noch irgend ein Paragraph der
Conftitution der Bundesregierung die Controlle über die Sklave—
vei in den Höderal-Territorien benahm, während die Uebrigen ins—
gefammt die Sache ebenfo verſtanden. Dergeftalt alfo war zwei-
felsohne das Verſtändniß unferer Väter, welche die urfprüngliche
Gonftitution gründeten, und der Text behauptet, daß fie die Frage
beſſer verftanden, als wir.
„So weit befprach ich das Verſtändniß dieſer Frage ſeitens der
Gründer der urfprünglichen Conftitution. In dem Originals
Inſtrumente war aber zugleich ein Modus vorgeſehen, um dieſelbe
zu amendiren; und, wie ich bereits erwähnte, befteht Die gegen—
wärtige Regierungsform, unter welcher wir leben, aus jenem Ori—
ginal und zwölf feither adoptirten Amendments, Diejenigen nun,
welche darauf beftehen, daß die Föderal-Controlle über die Sfla-
verei in Ben Foderal-Territorien die Conftitution verlege, vermei-
fen ung auf die Proyifos, die, wie fie glauben, dadurch verlegt
48 Das Leben Abraham Lincolns.
würden; und, wie ich verftehe, verweifen fie Alle auf die Provifos
jener Amendments und nicht auf die des Driginal-nftrumentes.
Das Dberbundesgericht ftügt fih im Dred Scott Falle auf das
fünfie Amendment, welches erklärt, daß „Niemand ohne gericht-
liches Verfahren feines Eigenthums beraubt werden folle;“ wäh—
rend Senator Douglas und feine Parteiganger fih auf das zehnte
Amendment ftügen, welches fagt, daß „die nicht durch die Conſti—
tution verliehene Macht den einzelnen Staaten und dem Bolfe
vorbehalten fein ſolle.“
„Zufälligerweife nun wurden diefe Amendments Durch den erften
Congreß, der ſich unter der Eonftitution organifirte, erlaffen — dem
iventifchen Congreß, der die bereits erwähnte Akte pafjirte, Fraft
welcher das Verbot dee Sklaverei im Nordmweft-Territorium in’s
Leben trat. Und nicht nur war es derfelbe Congreß, fondern es
waren aud die identifchen Individuen, die zur felben Zeit wäh—
rend der Sitzung diefe Amendments zur Conftitution und jene
Akte, welche die Sklaverei in allen damals der Nation gehörigen
Territorien verbot, in Berathung und nahezu zur Reife gebracht
hatten, Jene Amendments zur Gonftitution wurden vor der
Drdinanz von ’87 vorgelegt, allein nach verfelben erft pafjirt, fo
daß, während die Alte zur Geltendmahung der Drdinanz in
Schwebe hing, ebenfalld Die berührten Amendments unpaffirt
blieben.
„Jener Congreß, im Ganzen aus fehs und fiebzig Mitgliedern
beftehend, worunter die ſchon erwähnten fechszehn Grünvder der
urſprünglichen Conftitution, enthielt alfo vorzugsweiſe unfere
Väter, welche den Theil der Regierung, unter welchem wir leben,
begründeten, und von denen jebt behauptet wird, daß fie der Bun:
desregierung die Macht entzogen hätten, die Sklaverei in den Fö—
deral⸗Territorien zu controlliren.
„Verräth es nicht eine ziemliche Anmaßung bei Denjenigen,
welche heutzutage behaupten, daß die beiden Dinge, welche jener
Congreß mit weifer Ueberlegung entwarf und zu gleicher Zeit zur
Reife brachte, einander durchaus widerſprächen? Und wird eine
folche Behauptung nicht unverfhämt und abfurd, wenn fie fich zu
der meitern Behauptung aus demfelsen Munde gefellt, daß Die-
Dor der Wation. 49
jenigen, welche jene inconfequent fein follenden zwei Dinge begin
gen, befjer ala wir — beſſer als der Behaupter der Sneonfequenz —
verſtanden, ob fie wirklich inconſequent wären?
„Wir dürfen mit Sicherheit annehmen, daß die „Neun und
dreißig“ Gründer der urſprünglichen Conſtitution und die ſechs
und ſiebzig Mitglieder des Congreſſes, welche die Amendments
dazu entwarfen, zuſammen genommen Diejenigen ausmachen, die
man wahrheitsgetreu „unſere Väter, welche die Regierung grün—
deten, unter der wir leben,“ nennen darf. Und hiermit fordere
ich Jeden auf, zu beweiſen, daß irgend Einer derſelben während
ſeines ganzen Lebens erklärte, daß ſeinem Verſtändniß gemäß eine
Scheidelinie zwiſchen der lokalen und föderalen Autorität, oder
irgend ein Theil der Conſtitution der Födelll-Regierung die Eon=
trolle über die Sklaverei in den Föderal-Territorien verbiete. Ich
gehe noch einen Schritt weiter. Sch fordere Jeden auf, zu bewei—
fen, daß irgend ein Menfch in der ganzen Welt vor dem Beginne
des gegenwärtigen Jahrhunderts (und ich möchte faft fagen, vor
dem Beginne der legten Hälfteves gegenwärtigen Sahrhunderts,)
jemals behauptet hätte, daß feinem Berftändniffe gemäß eine
Scheidelinie zwifchen der Iofalen und der föderalen Autorität,
oder irgend ein Theil der Eonftitution, der Föderal-Regierung die
Controlle über die Sklaverei in den Föderal-Territorien entziehe.
Diejenigen, die dies behaupten, vermeife ich nicht nur auf „unfere
Väter, die die Regierung gründeten, unter welcher wir leben,“
fondern auf alle andere Männer innerhalb des Jahrhunderts, in
welchem diefelbe gegründet wurde; dort laßt fie fuchen, und ich
behaupte mit Zuserficht, daß fie auch nicht einen einzigen Mann
finden werden, deffen Anfichten mit den ihrigen übereinftimmen.
„Doch muß ich mich hier gegen ein Mifverftändniß wahren.
Es fommt mir nicht in den Sinn, zu behaupten, daß wir verpflich-
tet feien, unfern Vätern auf allen ihren Schritten zu folgen
Dies thum hieße alle Erfahrung verfchmähen, allem Fortfchritt,
aller Verbefferung entfagen. Was ich behaupte, ift einfach das:
Wenn wir in irgend einem Fall von den Anfichten und der Poli-
tif unferer Väter abweichen wollen, follte es mit fo tiefer Ueber—
zeugung, bus ſolch' Harem Argumente gefihehen, daß felbt ihre
50 Tas Leben Abrabam Lincolns.
große Autorität, veiflich überlegt und erwogen, dagegen nicht
Stand halten kann; am allerwenigften aber folte es in einem
Falle gefchehen, in welchem wir felbft zugeben müffen, daß fie die
Frage beffer verftanden, als wir
„Denn irgend ein Menfch heuzutage aufrichtig glaubt, daß eine
Scheidelinie zwifchen lokaler und füderaler Autorität, oder irgend
ein Paragraph der Konftitution, der Bundesregierung die Con—
troße über die Sklaverei in den Bundes-Territorien entziehe, fo
fteht ihm das Recht zu, Dies zu behaupten und feine Meinung mit
allen wahrheitsgetreuen Gründen und Argumenten, die ihm zu
Gebote ftehen, zu vertheidigen. Allein er hat Fein Recht, Andere
irre zu führen, die nicht fo leicht Zugang zur Gefchichte haben,
als er, oder weniger At, diefelbe zu fludiren. Er hat fein Recht,
fie zu tem falfchen Glauben zu verleiten, daß „unfere Bäter, welche
die Regierung gründeten, unter welcher wir leben,‘ derſelben An-
ficht gemwefen feien, und auf diefe Weife Falfchheit und Trug an die
Stelle der Wahrheit und des redlichen Argumentes zu fegen. Wenn
irgend ein Menſch heutzutage aufritig glaubt, daß „unfere Väter,
welche die Regierung gründeten, unter der wir leben, in andern
Fällen Prinzipe anmendeten, durch die fie zum Verſtändniß gekom—
men wären, daß eine Scheidelinie zwifchen lokaler und föderaler
Autorität, oder irgend ein Theil der Conftitution, der Bundesre-
gierung die Controlle über die Sklaverei in den Föderal-Territo—
rien entziehe, fo hat er unbeftritten das Recht, Dies zu behaupten.
Allein er follte zu gleicher Zeit die Verantwortlichkeit auf ſich neh—
men und erklären, daß er ihre Prinzipe beffer verftehe, als fie ſelbſt
fie verftanden hätten; vor Allem aber follte er fich dieſer Berant-
wortlichkeit nicht Durch Die Angabe zu entziehen fuchen, daß „ſie
diefe Frage ebenfo gut und vielleicht beffer verſtanden hätten, als
wir jetzt.“
„Doch genug hiervon. Möchten alle Diejenigen, welche glau—
ben, daß „unfere Väter, welche die Regierung gründeten, unter
der wir leben, diefe Frage ebenfo gut, und vielleicht beſſer verftan-
den, als wir,“ fprechen, wie fie fprachen und handeln, wie fie han—
delten. Dies ift Alles, was die Republifaner verlangen, Alles,
" was die Nepublilaner wünfchen, fo weit es fich um die Sklaverei
Vor der Wation. 51
handelt. Wie jene Väter fie betrachteten, fo möge fie wieder be-
trachtet werden — als ein Uebel, das nicht ausgebreitet werben
darf, jondern nur zu dulden und zu befchügen ift, weil und inſo—
fern fein Beſtehen unter uns die Duldung und den Schutz zur
Nothwendigkeit macht. Achten wir alle Garantien, die unſere
Väter dem Inſtitut verliehen, nicht mit Groll, ſondern ehrlich und
aufrichtig. Dies iſt es, was die Republikaner bezwecken und wo—
mit ſie — wie ich feſt glaube — ſich begnügen werden.
„Und jetzt möchte ich noch einige Worte an das Volk des Sü—
dens richten, obſchon ich vermuthe, daß es dieſelben nicht zu hören
begehrt.
„Ich wünſchte ihm zu ſagen: Ihr haltet euch für ein vernünf—
tiges und gerechtes Volk, und auch ich glaube, daß ihr im Allge-
meinen an Vernunft und Gerechtigkeit feinem andern Volke nach—
fteht. Jedoch, fommt ihr auf uns Nepublifaner zu fprechen, ſo
ſchmäht und verwünfcht ihr ung, ald ob wir Reptilien, oder im
beiten Falle nichts Anderes als Banditen wären. Ihr gemwähret
dem Piraten oder Mörder ein Verhör; uns „Schwarz-Republifa-
ner” aber verdammt ihr ungehört. Wie verfchieden eure Anfichten
auc in andern Dingen von einander fein mögen, darin ftimmt
ihr Alle überein, daß die unbedingte Verdammniß des „Schwarz-
Republifanismug” die erfte aller Pflichten fei. In der That fcheint
eine folche Berdammniß die erfte Bedingung — sine qua non —
zu fein, um überhaupt in eure Gefellfhaft aufgenommen zu wer—
den und das Recht zum Reden zu erhalten.
„Könnt ihr nun dazu bewogen werden, einen Augenblid einzu-
halten und zu überlegen, ob ein folches Benehmen gegen ung oder
ſelbſt gegen euch gerecht fei?
„Bringt eure Klagen und Anfchultigungen vor und gönnt ung
Beit, diefelben zu verneinen oder zu rechtfertigen.
„Ihr behauptet, wir feien feftionel. Wir verneinen es. Dies
ift der Streitpunft, und euch liegt der Beweis ob, Ihr führt
euren Beweis an; nun, welcher Art ift derfelbe? Ihr fagt, unfere
Partei habe feinen Beftand in eurer Sektion — erhalte feine
Stimmen in derfelben. Diefe Behauptung ift allerdings wahr,
liefert fie aber einen Beweis in ver Sache? Gefebt, es ſei; wenn
52 Das Leben Abraham Lincolns.
wir nun ohne die geringfte Aenderung unferes Prinzips beginnen
würden, in eurer Sektion Stimmen zu fammeln, fo würden wir
damit aufhören, fektionell zu fein. Ihr könnt diefem Schluffe
nicht ausweichen; wollt ihr euch aber demfelben fügen? Nun,
dann werdet ihr wahrfcheinlich bald finden, dag wir aufgehört ha=
ben, feftionell zu fein, denn wir werden in diefem Jahre noch
Stimmen in eurer Sektion erhalten. Ihr werdet dann klar und
deutlich fehen, daß euer Beweis nicht ftichhaltig if. Daß wir in
eurer Sektion feine Stimmen erhalten, daran feid ihr Schuld und
nicht wir. Und wenn ein Unrecht in der Sache ift, ſo ift es auf
eurer Seite und bleibt eg, bis ihr bemweift, dag wir mit einem
fchlechten Prinzip oder mit ſchlechten Handlungen euch zurüds
ichreden. Wenn wir euch nun durch ein fchlechtes Prinzip oder
durch Schlechte Handlungen zurüdjchreden, fo ift die Schuld unfer;
dies aber bringt ung zu dem Punkt, von dem ihr hättet ausgehen
follen — zu einer Diseufjion über das Recht oder Unrecht unferes
Prinzips. Wenn unfer Prinzip, in Anwendung gebracht, eure
Seltion zum Bortheil der unfrigen, oder für irgend einen andern
Gegenftand beeinträchtigt, dann ift unfer Prinzip, und wir damit,
jeftionell, und ihr habt ein gutes Recht, demfelben mit all’ euren
Kräften zu opponiren. Argumentirt Daher mit ung die Frage, ob
unfer Prinzip, wenn in Anwendung gebracht, das eurige beein-
trächtige; und argumentirt fo, daß au ung die Sprache unver-
fürzt bleibt. Nehmt ihr die Herausforderung an? Nicht? Nun,
dann glaubt ihr wirklich, daß das Prinzip, welches unfere Väter,
die die Regierung gründeten, unter welcher wir leben, für fo ge»
recht hielten, daß fie e8 adoptirten und zu wiederholten Malen
unter ihren offiziellen Eiden indoffirten, in der That fo unrecht
fei, daß ihr es ohne Weiteres geradezu verdammen Dürftet.
„Einige unter euch machten fich ein Vergnügen daraus, ung
unabläffig die Warnung vor feltionellen Parteien, die ung Wafh-
ington in feiner Abfchiedsadreffe hinterließ, vor Augen zu halten.
Weniger als acht Jahre, ehe Wafhington diefe Warnung nie-
derfchrieb, hatte, er als Präfident der Vereinigten Staaten eine
Congreßakte hinfichtlich des Verbotes der Sklaverei in dem Nord—
weit-Territorium gutgeheigen und unterzeichnet. Jene Alte ent-
Dor der Yation. 53
hielt die Politif der Regierung über diefen Gegenftand von An—
fang an bis zu dem Augenblid, in welchem Wafhington diefe
Warnung niederfährieb. Etwa ein Jahr, nachdem er fie erlaſſen
hatte, drüdte er fich in einem Briefe an Lafayette dahin aus, daß
er jene Prohibition als eine weife Mafregel betrachte, und hoffe,
daß wir dereinft eine Conföderation freier Staaten fein möchten.
„Denn wir dies vor Augen halten und bedenken, daß feither
der Sektionalismus über diefen felben Gegenftand entitand, ift
dann diefe Warnung eine Waffe in euren Händen gegen ung,
oder eine Waffe in unfern Händen gegen euh? Wenn Wafhing-
ton heute felbft fprechen fünnte, würde er den Vorwurf des Sek—
tionalismug ung machen, die feine Politik befolgen, oder euch, die
ihr diefelbe repudiirt? Wir achten jene Warnung Vafhington’s,
und wir empfehlen fie euch zur Beachtung, fowie auch fein eige-
nes Beiſpiel zur richtigen Anwendung derjelben,
„Allein ihr fagt, ihr wäret confervatio — höchſt conſervativ —
während ihr ung revolutionär, deſtruktiv und weiß der Himmel
was noch fonft nennt. Was ift der Confervatismus? Iſt es
nicht die Anhänglichkeit an das Alte und Erprobte gegen das
Neue und Nichterprobte? Wir halten uns an, und kämpfen für
Die identifche alte Politif in Bezug auf diefen Punkt; die Politik,
die durch unfere Väter adoptirt wurde, welche die Regierung
gründeten, unter welcher wir leben; während ihr einftimmig diefe
alte Politik Höhnt, vermerft, auf fie fpeit und an deren Stelle eine
neue feßen wollt. Es ift wahr, ihr feid unter euch feldft nicht
darüber einig, was ihr für diefelbe fubftituiren wollt. Ihr habt
eine beträchtliche Anzahl neuer Propofitionen und Pläne; allein
im Berwerfen und Schmähen der alten Politik der Väter feid ihr
einig. Einige von euch wünſchen den auswärtigen Sklaven—
handel wieder ins Leben zu rufen; einige wünfchen ein congref-
fionelles Sflavengejeb für die Territorien; einige wollen den
Territorien die Macht rauben, die Sklaverei innerhalb ihrer
Grenzen zu verbieten ; einige find dafür, daß das Oberbundesge-
richt Die Sklaverei in den Territorien aufrecht erhalte; einige
find für das „große Prinzip,” daß, „wenn ein Mann den andern
zum Sklaven zu machen wünfche, Fein Dritter das Recht habe, ihn
54 Das Leben Abraham Lincolns.
daran zu verhindern,“ was man phantaftifchermweife „Volksſou—
veränität” genannt hatz Keiner unter euch war aber je zu Gun=
ften eines Föderal-Verbotes der Sklaverei in den Bundesterritg-
rien nad) der Auffaffung der Väter, welche die Regierung grün—
beten, unter welcher wir leben. Nicht für einen einzigen von all’
euren verfchiedenen Plänen könnt ihr einen Präcedenzfall in dem
Jahrhunderte aufweifen, in welchem unfere Regierung gegründet
wurde. Bedenket denn, ob euer Anſpruch auf Conſervatismus
für euch felbft, fowie die Beſchuldigung veftruftiver Tendenzen
unferfeits auf fiherer Grundlage beruhen.
„Weiter fagt ihr, wir hätten die Sklavereifrage prominenter
gemacht als fie je gewefen. Wir leugnen dies. Wir geben zu,
daß diefelbe prominenter ift, allein wir ftellen poſitiv in Abrede,
daß wir fie prominenter gemadt. Nicht wir gingen von der -
alten Politif der Väter ab, fondern ihr. Wir widerftrebten
ftet3 und widerftreben heute noch euren Neuerungen, und daher
eben kommt die größere Prominenz der Frage, Wollt ihr die
Frage auf ihre alten Proportionen zurüdführen? Gut, fo kehrt
zu der alten Politif zurüd. Was da war, wird unter gleichen
Bedingungen wieder fein, Wünſcht ihr euch den Frieden alter
Zeiten zurüd, fo adoptirt wiederum die Vorfchriften und die Po-
litif jener Zeit.
„Ihr befchuldigt und, dag wir eure Sklaven zum Aufftand
verleiten. Wir leugnen es. Wo ift euer Beweis? Harper's
Ferry! Hohn Brown! Sohn Brown war fein Republikaner,
und es gelang euch nicht, auch nur einen einzigen Republikaner
in feinem Harper’s Ferry= Unternehmen zu impliziren. War
irgend ein Glied unferer Partei im jener Angelegenheit ver-
wicdelt, jo wiſſet ihr es, oder ihr wiſſet es nicht. Wiffet ihr es, fo
ift esnicht zu entfchuldigen, dag ihr den Mann nicht nennt und
die Thatſache beweiſet. Wiſſet ihr es aber nicht, fo bleibt die Be—
hauptung ohne Entſchuldigung, befonders wenn ihr darauf be=
harret, nachdem es euch mißlungen, den Beweis dafür zu liefern.
Ich brauche euch wohl kaum zu fagen, daß das Beharren auf
einer Befchuldigung, die man für unwahr erfannt hat, einfach
zur böswilligen Verläumdung wird,
Dor der Nation. 95
„Einige von euch geben zu, daß Fein Republikaner abfichtlich
die Harper’s Ferry Angelegenheit unterftüste oder ermuthigte;
dennoch aber beftehen fie darauf, daß unfere Doftrinen und Er—
Härungen nothwendigerweife zu ſolchen Refultaten führen müß—
ten. Wir glauben es nicht, Wir mwiffen, daß wir feine Doftrine
begen, feine Erklärung geben, die nicht ſchon von unfern Vätern,
welche die Regierung gründeten, unter der wir leben, gehegt und
gegeben wurden. Ihr fommt ung in diefer Angelegenheit nie
offen entgegen. So oft die Frage angeregt wurde, war irgent
eine wichtige Staatswahl vor der Thür, und ihr frohlodtet in
dem Glauben, daß ihr in der Wahl einen Bortheil erringen fünn-
tet, wenn ihr ung mit Befchuldigungen überhäuftet. Die Wahl
fam, eure Erwartungen aber wurden nicht ganz erfüllt. Jeder
Republifaner wußte, daß eure Beihuldigung eine Verläumdung
war, wenigſtens ſoweit fie ihn ſelbſt anging, und ficherlich machte
ihn dies nicht fehr geneigt, feine Stimme zu euren Gunſten ab—
zugeben. Republikaniſche Doktrinen und Erllärungen waren
ftet3 von einem Proteft gegen alle Einmifhung in eure Sklaven—
Angelegenheiten begleitet. Dies war ficherlich nicht geeignet, fie
zum Aufftand zu verleiten. Es ift wahr, wir erklären in Ge—
meinfchaft mit unfern Bätern, welche die Regierung gründeten,
unter mwelcher wir leben, daß unferer Heberzeugung gemäß die
Sklaverei ein Unrecht ſei; allein die Sklaven hören nicht einmal
diefe unfere Erklärung. Wir thun Nichts, was die Sklaven auch
nur von der Eriftenz der republifanischen Partei in Kenntniß
ſetzen könnte. Ich glaube, daß fie im Allgemeinen gar nichts
davon wüßten, wenn ihr nicht ftets in ihrer Anmwefenheit ung
fhmähtet. In euren politifchen Zänfereien unter euch felbft be—
fhuldigt jede Faktion die andere der Sympathie mit den Schwarz>
Nepublifanern; und um der Befchuldigung Gewicht zu geben,
wird der Schwarz-Republifanismus als gleichbedeutend mit In—
furreftion und Empörung unter den Sklaven dargeftellt.
„Sflavenaufftände find heutzutage nicht häufiger, als fie vor
der Organifation der republifanifchen Partei waren. Was ver-
anlafte vor acht und zwanzig Jahren die Southampton Infur-
rektion, welche mindefteng dreimal mehr Menfchenleben foftete, ale
56 Das Leben Abraham Zincolns.
die Harper’s Terry Affaire? Selbſt eure höchſt elaftifche Phantaſie
wird ſich kaum zu dem Schluffe verfteigen, daß der Southampton«
Aufſtand den Schwarz-Republifanern in die Schuhe zu fchieben
fei. Bei dem gegenwärtigen Zuftand der Dinge in den Bereinig-
ten Staaten glaube ich nicht an die Möglichkeit eines allgemeinen,
oder auch nur eines ziemlich ausgedehnten Sklavenaufſtandes.
Die hierzu unerläßlihe Einheit der Handlung fann nicht ing
Spiel fommen. Die Sklaven befigen feine rafchen Communica-
tiongmittel; noch können aufrühreriiche Freie, Schwarze oder
Weiße, diefelben befchaffen. Das Zündmaterial ift allerdings
überall vorhanden; allein die nöthigen Verbindungsketten fehlen.
„Das ſüdliche Volk fpricht gerne von der Anhänglichkeit der
Sklaven an ihre Gebieter und Gebieterinnen, und ich gebe zu,
daß viel Wahres daran ift. Eine Berfhwörung zum Aufftand
könnte kaum zwanzig Individuen mitgetheilt werden, ohne daß
eine Perſon diejelbe verriethe, um das Leben eines Lieblingsherren
oder einer Lieblingsherrin zu retten, Dies ift Die Regel, und die
Sflavenrevolution zu Hayti war feine Ausnahme davon, fondern
nur ein Fall, der fih unter fehr eigenthümlichen Umftänden zu=
trug. Die Pulververfhwörung in der brittifhen Gefchichte Hatte
zwar nichts mit Sklaverei zu thun, paßt aber beffer zu einem Ver—
gleih. In jenem Fall waren nur etwa zwanzig in das Geheim-
niß eingeweiht, und doch verrieth einer dafjelbe einem Freund, den
er zu retten wünfchte, und auf dieſe Weife wurde die Kataftrophe
abgewendet. Gelegentlihe Vergiftungen, offene oder heimliche
Ermordungen auf dem Felde, oder Lofalrevolten, bei denen viel-
leicht einige Dugend Neger betheiligt find, werden wohl als die
natürlichen Refultate der Sklaverei auch Fünftighin vorkommen ;
allein feine allgemeine Sklaven-Inſurrektion kann meiner Anficht
nah in diefem Lande ftattfinden. Diejenigen, welche in diefer
Beziehung, allzuviel befürchten, werden fich eben fo fehr getäufcht
finden wie Diejenigen, welche allzuviel hoffen.
„on den Worten Sefferfong, die vor vielen Jahren ſchon ge—
äußert wurden, „ift es noch immer in unferer Macht, ven Prozeß
der Emaneipation und Deportation friedlich und ftufenmeife zu
reguliren, jo daß das Hebel allmälig und unbemerklih abnimmt;
Dor dcr Wation. 57
die Stelle der Sklaven würde dann, pari passu, durch freie, weiße
Arbeiter eingenommen werden, Wenn aber die Emancipation
gewaltjam heraufbefhworen wird, jo mag die menjchliche Natur
vor dem Profpekte ſchaudern.“
„Herr Jefferſon fagte nicht, noch fage ich, Daß die Bundes-
regierung die Macht zur Emancipation habe, Er ſprach von
Virginien, und in Bezug auf die Macht zur Emaneipation fpreche
ich von den Sflavenftaaten nur.
„Die Bundesregierung hat indeffen das Recht, die Ausbreitung
des Inſtituts zu verhindern — das Recht, dafür zu forgen, daß
feine Sklaven-Inſurrektion jemals auf amerifanifchem Boden, der
jest frei von Sklaverei ift, ftattfinde.
„Sohn Brown's Verſuch war eigenthümlicher Art. Es war
fein Sflaven-Aufftand. Es war ein Berfuch, den weiße Männer
machten, eine Revolte unter den Sklaven anzuregen, und die
Sklaven weigerten fih, daran Theil zu nehmen. Und in der
Ihat war der Plan fo abfurd, daß die Sklaven trotz all’ ihrer
Ignoranz deutlich einfahen, daß derſelbe nicht gelingen konnte.
Jene Affaire entfpricht in ihrer Philofophie den vielen in der
Gefchichte erwähnten Verfuchen, Könige und Kaifer zu ermorden.
Ein Enthufiaft brütet über die Unterdrüdung eines Bolfes nach,
big er fich einbildet, vom Himmel zur Befreiung deffelben erforen
zu fein. Er wagt den Verſuch, der denn mit feiner Hinrichtung
endigt. Orſini's Mordanfchlag auf Louis Napoleon und John
Brown’s Angriff auf Harper’s Ferry glichen fich in ihrer Philo-
fophie auf das Haar. Auch wird die Aehnlichkeit der beiden Fälle
dadurch nicht gehoben, daß man im einen Fall dem alten Eng-
land, im andern Neu-England die Schuld aufzubürden fuchte,
„Und was würde es euch helfen, wenn ihr vermittelft John
Brown, Helper’s Buch und dergleichen die republifanifche Orga—
nifation auflöfen könntet? Menfchlihe Handlungen laffen fich
big zu einem gewiffen Grade modifiziren, die menfchliche Natur
aber Laßt fich nicht ändern. Es liegt ein Urtheil und eine Ge—
finnung gegen die Sklaverei in diefer Nation, die fi) durch min—
deſtene anderthalb Millionen Stimmen Ausdrud verfchaffen.
Ihr vermögt diefes Urtheil, dieſe Gefinnung nicht zu zerftören,
53 Des Leben Abrabam Lincolns.
indem ihr die politifche Organifation fprengt, die ſich um diefel-
ben fchaart. Ihr vermöget wohl faum eine Armee zu zerftreuen,
die fich in der Fronte vor euren tödtlichften Batterien in Schlacht-
ordnung formirt hatz doch gefeßt, ihr vermüchtet es, was hättet
ihr dadurch gewonnen, daß ihr die Gefinnungen, die diefe Armeen
ins Leben riefen, aus dem friedlichen Kanal des Stimmfajtens in
irgend einen andern Kanal lenktet? Und was würde diefer an—
dere Kanal wahrfcheinlich fein? Würde die Anzahl der John
Browns durch die Operation vermehrt oder vermindert werden ?
„Alein ihr fagt, ihr wolltet eher die Union zertrümmern, als
euch einer Bermweigerung eurer conftitutionellen Rechte fügen.
„Diefe Worte Klingen hart; doch würden fie bedeutend gemil-
dert, wenn nicht völlig gerechtfertigt werden, verfuchten wir durch
bloße Heberzahl euch der Rechte zu berauben, die euch durch die
Conftitution garantirt find. Allein wir führen nichts Derartiges
im Schilde.
„Wenn ihr diefe Erklärungen abgebt, macht ihr eine fpezififche
und mwohlverftandene Anfpielung auf euer angebliches conftitu=
tionelles Recht, eure Sklaven nach den Bundesterritorien zu
bringen und fie dort als Eigenthum zu halten; allein kein folches
Recht hat die Eonftitution fpeziftfch befchrieben. Jenes Juftrus
ment ſchweigt ganzlich in Bezug auf ein foldyes Recht. Wir da—
gegen leugnen, daß ein ſolches Recht in der Conftitution auch
nur angedeutet fei.
„Eure Abfiht denn reduzirt fich einfach darauf, daß ihr die
Regierung zerirümmern wollt, wenn man euch nicht geftattet, in
allen ftreitigen Punkten die Eonftitution nach eurem eigenen .
Sinne auszulegen und in Anwendung zu bringen, Ihr wollt
herrſchen oder zertrümmern, fomme was da wolle,
„Dies tft der Sinn eurer Sprache. Vielleicht werdet ihr fagen,
das Dberbundesgericht habe die beftrittene Frage zu euren Gun—
ften entfchieden. Nicht ganz jo. Abgefehen von dem Unter-
fehtede, den ein Advokat zwifchen einem Diktum und einer Ent-
fcheidung (deeision) macht, will ich zugeben, daß das Gericht die
Trage in einem gewiffen Sinne für euch entfchieden habe, Das
Gericht bat thatfächlich entſchieden, daß es euer conſtitutionelles
Vor der Nation. Bi 59
Recht jet, eure Sklaven in die Bundesterritorien: zu bringen und
fie dort als Eigenthbum zu halten.
„Denn ich fage, die Entfcheidung fei in einem gewiffen Sinne
gegeben worden, fo meine ich damit, daß fie von einem getheilten
Gerichte, durch eine knappe Majorität der Richter gegeben worden
fei, und daß felbft diefe nicht ganz in ihren Gründen mit einander
übereinftimmten; daß fie fo abgegeben ward, daß felbit ihre offe-
nen Anhänger fich nicht über den wahren Sinn derfelben zu ver>
ftändigen vermögen, und daß fie hauptfächlich auf einer irrthüm-
lichen Angabe bafirt ift — auf der Angabe, dag „das Eigenthums—
recht in Sklaven deutlih und ausdrüdlich in der Conftitution
angegeben fei.“
„Ein Blid auf die Conftitution zeigt uns Dagegen, taß das
Eigenthumsrecht in Sklaven darin nicht deutlich und ausdrücklich
angegeben if. Man beachte wohl, dag die Richter ihre richters
liche Anficht nicht dahin abgeben, daß ein ſolches Recht an de u—
tungsmweife durch die Conftitution ausgedrückt ſei; fondern fie
geben uns ihre Wahrheitsliebe zum Pfande, daß dafjelbedarin
deutlich und ausdrücklich angegeben fei :— „deutlich,“ dag
heißt, nicht mit andern Dingen vermifcht — „ausdrüdlich,” das
heißt, in Worten, die gerade das bedeuten, ohne die Hülfe irgend
eines Schluffes, und Feine andere Deutung zulaffend.
„Denn fie nur ihre richterliche Anficht verpfändet hätten, daß
ein folches Recht in der Conftitution andeutungsmweife aug-
gedrückt fei, fo vermöchten Andere zu zeigen, daß in der Conſtitu—
tion weder das Wort „Sklave,“ noch „Sklaverei“ zu finden ift,
ja nicht einmal das Wort „Eigenthum“ in irgend einer Berbin-
bindung mit den Dingen Sklave und Sklaverei, und daß überall,
wo im Inftrumente auf den Sklaven angefpielt wird, derfelbe
eine „Perfon” genannt iftz und wo das Inſtrument auf feines
Meifters gefegliches Anrecht auf ihn anfpielt, die Phrafen „ſchul—
diger Dienjt oder fehuldige Arbeit,“ fowie auch „eine Schuld,
zahlbar mit Dienft oder Arbeit“ gebraucht werden. Ebenſo ließe
es fidy zeigen, Daß dieſe Art, auf die Sklaven oder Sklaverei an-
zufpielen, anftatt son ihnen zu fprechen, abfichtlich angewandt
wurde, um die Idee aus der Conftitution ferne zu halten, daß es
ein menſchliches Eigenthum geben könne.
60 Das Leben Abraham Lincolns.
„Es wäre ein Leichtes, Alles dies zu bemweijen.
„Wenn diefer augenfcheinliche Irrthum der Nichter zu ihrer
Kenntniß gebracht werden wird, ift es dann nicht billig zu erwarten,
daf fie die irrthümliche Angabe zurüdnehmen und die darauf bafir-
ten Schlüffe einer neuen Betrachtung unterwerfen werben ?
„Und dann ift nicht zu vergeffen, daß „unfere Väter, welche die
Regierung gründeten, unter welcher wir leben,’ — die Männer,
welche die Eonftitution machten, diefe Conftitution vor langer Zeit
fchon zu unfern Gunften entfchieden — fie ohne Widerfpruc un—
ter fich ſelbſt entſchieden; ohne Widerfprud unter fich ſelbſt in
Bezug auf die Bedeutung, und, ſoweit und irgend ein Zeugniß
aus jener Zeit verbleibt, ohne die Entfcheidung auf eine irrthüm—
liche Darlegung der Thatfachen zu bafiren.
„Haltet ihr euch unter all? diefen Umftänden wirklich für gerecht-
fertigt, diefe Regierung zu zertrummern, wenn die Nation fich
nicht eine ſolche vichterliche Entſcheidung, wie die eurige, zur end-
giltigen Vorſchrift in allen politifhen Handlungen gefallen läßt?
„Aber ihr wollt euch der Erwählung eines republifanijchen
Präfiventen nicht fügen. In diefem Falle, fagt ihr, wollt ihr die
Union zerftören, und dann — fagt ihr ferner — fällt die Schuld
des großen Verbrechens auf uns.
„Das iſt kühl. Ein Straßenräuber hält mir das Piſtol an's
Ohr und murmelt zwiſchen den Zähnen: „Das Geld her, oder Bi
tödte dich, und dann bift du ein Mörder !”
„Was der Räuber von mir verlangte — mein Geld — war
mein eigen; ich hatte ein unbeftrittenes Necht, es zu behalten;
allein es war nicht mehr mein eigen, als meine Wahlftimme mein
eigen ift, und eine Drohung, mich zu tödten, um mir mein Gelv
zu entreißen, und eine Drohung, die Union zu zertrummern, um
mich meiner Stimme zu berauben, bafiren fi auf das nämliche
Prinzip. |
„Noch einige Worte an die Republikaner. Es ift äußerſt wün—
ſchenswerth, daß alle Theile diefer großen Conföderation in Friede
und Eintracht mit einander leben. Laßt-uns Republikaner uns
fern Theil dazu beitragen, Obſchon wir ftarf provozirt werden,
laßt uns Nichts in der Leidenfchaft und Gersiztheit thun,
Vor der Nation. 61
Obſchon die Südländer uns nicht einmal anhören wollen, laßt
ung ihre Forderungen ruhig überlegen und ihnen nachgeben, wo
nur unfere Pflicht es ung geftattet. Laßt ung genau prüfen, was
fie befriedigen mag, indem wir Alles wohl in Erwägung ziehen,
was fie fügen und thun.
„Werden fie befriedigt fein, wenn wir ihnen die Territorien un-
bedingt überlaffen? Wir wiffen, daß fie fih nicht damit begnügen
werden, In al’ ihren gegenwärtigen Klagen gegen ung wird
der Territorien faum erwähnt. Invaſion und Infurreftion find
jest auf dem Tapet. Wird e3 fie befriedigen, wenn wir in der
Zukunft Nichts mit Invafionen und Inſurrektionen zu thun
haben, Wir wilfen, daß fie fich Damit nicht zufrieden geben wer—
den. Wir wiffen es, weil wir wifjen, daß wir nie Etwas mit In—
safionen und Inſurrektionen zu thun hatten; dennoch erimirt
uns diefe Enthaltfamfeit nicht von Befhuldigungen und Anklagen,
„Ih komme daher wiederum zu der Frage: Was wird fie be-
friedigen? Einfach dies: Wir müffen fie nicht nur unbeläftigt
laffen, fondern wir müffen fie auf irgend eine Art überzeugen,
daß wir fie unbeläftigt lafjen, Dies ift, wie wir aus Erfahrung
wiffen, Feine leichte Aufgabe. Wir haben fie vom Anfang unferer
Drganifation davon zu überzeugen gefucht, jedoch ohne Erfolg.
In unfern ſämmtlichen Platformen und Reden haben wir beftän-
dig unfere Abficht erklärt, fie unbeläftigt zu laffen, doch Alles um—
fonft. Ebenfo wenig vermochten fie, fi durch die Thatfache zu
überzeugen, daß fie niemals ein Mitglied unferer Partei bei dem
Berfuche ertappten, fie zu beläftigen.
„Nachdem diefe natürlichen und anfcheinend hinreichenden Mit-
tel insgefammt fehljchlugen, fo fommt die Frage wiederum: Was
vermag fie zu überzeugen? Dies und dies allein: Hört auf, die
Sklaverei ein Unrecht zu nennen, und nennt fie mit ihnen ein
Recht. Und dies muß gründlich gethan werden — mit Thaten
ſowohl, wie mit Worten. Unfer Schweigen wird nicht geduldet
werden, wir müjfen ung ihnen offen und rückhaltlos anfchließen.
Douglas’ neues Seditionsgeſetz (welches alle Erklärungen, daß
die Sklaverei ein Unrecht fei, ob num in der Politik, in der Preffe,
auf der Kanzel, oder im Privatleben abgegeben, unterdrüdt,) muß
62 Das Leben Abraham Lincolns.
paflirt und zur Ausführung gebracht werden. Wir müffen mit un»
begrenztem Vergnügen ihre flüchtigen Sklaven verhaften und ihnen
zurüdliefern. Wir müffen unfere Freiftaats-Conftitutionen auf-
geben. Die ganze Atmofphäre muß von allem Dunft von Oppo—
fition gegen die Sklaverei gereinigt werden, ehe fie den Glauben
fahren lajfen werden, daß wir die Urheber aller ihrer Anfechtun-
gen find.
„Wohl weiß ich, daß fie ihre Sache nicht genau auf diefe Weife
angeben, Die Meiften von ihnen würden mwahrfcheinlich fagen:
„Laßt ung allein, thut ung Nichts, und ſchwatzt fo viel ihr wollt
über die Sklaverei,” Doc wir laffen fie ja allein; wir haben fie
nie beläftigt — fomit ift es lediglich, mas wir fagen, worüber fie
mißvergnügt find. Sie werden fortfahren, uns des Handelns zu
befchuldigen, bis wir mit dem Reden aufhören,
„Sch weiß ebenfo gut, daß ſie bis jegt den Umfturz unferer Frei-
ftaaten-Conftitutionen noch nicht verlangt haben. Allein dieſe
Eonftitutionen erklären das Unrecht der Sklaverei mit ftärferen
Ausprüden, als alle andern Reden; und wenn alle diefe andern
Reden zum Schweigen gebracht find, fo werben fie den Umfturz die—
fer Conftitutionen begehren, und was bleibt uns alsdann noch
übrig? Es hat wenig zu bedeuten, daß fie das Ganze nicht jebt
fhon verlangen. Wenn wir überlegen, was fie jet ſchon verlan-
gen, und aus welchem Grunde fie es verlangen, fo müffen wir die
Veberzeugung gewinnen, daß fie nie einhalten werden, bis fie am
Biel ihrer Wünfce find. Da fie die Sklaverei für ein moralifches
Recht und für ein fociales Bildungsmittel halten, fo können fie nicht
aufhören, eine volle nationale Anerfennung für dieſes „gefeßliche
Necht und diefen focialen Segen” zu verlangen.
„Auch können wir uns diefem Verlangen auf feinen Grund hin
rechtmäßig miderfegen, fei e8 denn auf unfere Heberzeugung, daß
die Sklaverei ein Unrecht iſt. Iſt die Sklaverei recht, fo find alle
Worte, Ihaten, Gefete und Eonftitutionen in ſich felbft ein Unrecht,
das gründlich ausgerottet werden follte. Iſt die Sklaverei recht, ſo
Dürfen wir ung ihrer Nationalität, ihrer Univerfalität nicht wider—
ſetzen; ift fie unrecht, fo dürfen die Vertheidiger derfelben ihrer Aus—
dehnung nicht das Wort reden, Wir könnten ung al’ ihrem Ver—
Vor der Wation. 63
langen bereitwillig fügen, wenn wir die Sklaverei für recht hielten;
fie könnten fich mit gleicher Bereitwilligfeit unferm Berlangen fügen,
wenn fie dieſelbe für unrecht hielten, Sie halten vdiefelbe für recht
und wir halten fie für unrecht, und auf dieſer Thatfache beruht der
ganze Streit. Da fie das Inftitut für recht halten, fo können wir
fie nicht tadeln, daß fie volle Anerkennung dafür verlangen; fünnen
wir ung aber ihrem Berlangen fügen, da wir es für unrecht halten?
Können wir unfere Stimmen zu Öunften ihrer Anficht und der
unfrigen zuwider abgeben? Können wir dies angefichts unferer
moralijchen, foeialen und politifchen Berantwortlichkeit thun?
„Dir halten die Sklaverei für ein Unrecht; dennoch geziemt es
ung, diefelbe unbeläftigt zu laffen, wo fie befteht, weil fie nun ein—
mal in der Nation vorhanden iſt; Dürfen wir aber, während unfere
Stimmen es verhindern können, geftatten, daß fie fih in die Natio—
nal-Territorien eindränge und am Ende gar über die freien Staa-
ten verbreite? |
„Denn unfer Pflichtgefühl uns dies verbietet, fo laßt ung furdht-
los und ftandhaft unfere Pflicht erfüllen, Laffen wir ung durch
feine jener fophijtiichen Machinationen übertölpeln, womit man ung
beftändig zu umgarnen fucht — Machinationen, wie z. B. das Aus—
heden irgend einer Mittelftraße zwifchen Recht und Unrecht; ebenfo
leicht vermöchten wir einen Menfchen zu finden, der weder lebenvig,
noch todt iſt; — Machinationen, wie die „Öleichgültigkeitspolitif
in einer Frage, die feinem rechtfchaffenen Manne gleichgültig iſt; —
Macinationen, wie Unionsaufrufe an treue Unionsmänner, den
Disunitoniften nachzugeben, mit andern Worten, die Verkehrung
der Regel Gottes, und ſtatt der Sünder die Gerechten zur Buße
aufzufordern; — Machinationen, wie die Berufung auf Wafhing-
ton, darin das Volk aufgefordert wird, dem Reden und Handeln
Waſhington's zuwider zu handeln.
„Roc laffen wir uns durch Verleumdungen und falfche Befchul-
digungen von unferer Pflicht abbringenz; ebenfo wenig durch Nro-
bungen, daß diefe Regierung zerftört und wir felbft unferer Freiheit
beraubt werden follten, Laßt ung dem Rechte vertrauen und in
diejem unjere Stärke fuchen ; und alfo vertrauend laßt ung bis zum
Ende unfere Pflicht erfüllen, wie wir fie verſtehen.“
64 Das Leben Abraham Oincolns.
Während diefes Befuches zu New York ereignete fich die folgende
feine Epijode, die ung von einem Lehrer an dem Five Points In—
duftriehaus in jener Stadt mitgetheilt wurde:
‚„Unfere Sonntagefchule in den Five Points war eines Sonntag
Morgens vor etlichen Monaten serfammelt, als ein großer Mann
von merfwürdigem Ausfehen hereintrat und einen Gig unter ung
“ einnahm. Er folgte unfern Uebungen mit gefpannter Aufmerkfam-
feit, und der Ausdrud feines Gefichtes verrieth ein ſolches Intereſſe,
daß ich mich ihm näherte und ihn frug, ob er vielleicht einige Morte
an die Kinder richten wollte. Er nahm die Einladung mit augen-
ſcheinlichem Vergnügen an, trat vor und hielt eine einfache Anrede,
die jedem Heinen Zuhörer tief zu Herzen ging. Das tiefite Schwei-
gen herrfchte im Zimmer, während er redete. Seine Sprache mar
vol wunderbarer Schönheit und voll des tiefften Gefühles. Die
Kleinen Gefichter um ihn her nahmen einen traurigen Ausdrud an,
wenn Worte der Warnung von feinen Lippen ftrömten, und erhei-
terten fich zum hellſten Sonnenfchein, wenn er tröftende, aufmun—
ternde Bemerkungen machte. in oder zwei Mal verfuchte er feine
Rede zu ſchließen, allein der Beifallruf und die Bitten der Kleinen
bewegten ihn, diefelbe fortzufegen. Als ich auf die hagere, fehnige
Geſtalt des Fremden blidte und den merkwürdigen Kopf und die
entjchloffenen Gefichtszüge betrachtete, die durch die Feierlichkeit des
Augenblids einen weichen Ausdruck erhalten hatten, fühlte icy eine
unmwiderftehliche Neugierde, zu erfahren, wer dies wäre, und als er
fich ruhig anfchidte, das Zimmer zu verlaffen, bat ich ihn um feinen
Namen. Er antwortete höflich: „Abraham Lincoln von Illinois.“
Viertes Kapitel,
Wird zum Präfidenten nominirt und erwählt.
Die republikanifche National-Convention — Die demokratifche Convention —
Conftitutional-Union-Tonvention — Das Kallottiren zu Chicago — Re-
fultat — Enthufiafifhe Aufnahme — Ein Kefud nad) Springfield — "
Adreffe und Annahmebrief — Der Wahlkampf — Refultat der Wahl —
Süd-Jarolinas Bewegungen — Budhanan’s Wankelmüthigkeit — Sereflion
mehrerer Staaten — Conftitution der Conföderation — Friedens-Conven-
tion — Amendments zur Conftitution — Bedingungen der Rebellen.
Am 16. Mat 1860 verfammelte ſich die republifanifche National-
Convention zu Chicago, um Candidaten für die Präſidenſchaft und
Bice-Präfivdentfchaft aufzuftellen. Die demofratifhe Convention
hatte fich nach einer ftürmifchen Sibung von zwei Wochen vertagt,
nachdem es Far geworden war, daß, wenn Douglas’ Freunde auf
feiner Nomination beharrten, der feinen eigenthümlichen Anfichten
über die Sklavereifrage opponirende Flügel einen andern Candida—
ten aufftellen und dadurch die große Partei entzweien würde, Eine
andere Convention, welche auf eine befondere und individuelle Weife
eine Partei zu repräfentiren beanfpruchte, die fich zur Aufrechterhal-
tung der Eonftitution und Union erklärt hatte, tagte zu Baltimore
und nominirte John Bell von Tenneffee und Edward Everett von
Maffachufetts.
Die Ausfihlen auf den Sieg der republifanifchen Candidaten
ſchienen günſtig, und nachdem die Convention einen Tag mit der
Organiſation und einen zweiten mit dem Entwurf der Plattform
zugebracht hatte, fchritt fie am Morgen des 18. Mai unter der größ-
ten Aufregung von zwölf Taufend Zufchauern innerhalb des „Wig—
wams,“ (wie das Situngegebäude genannt wurde,) fofort zum
Ballot für einen Präſidentſchafts-Candidaten.
Sieben Namen wurden in folgender Ordnung formell präfentirt,
nämlich: William H. Seward, von New York; Abraham Lincoln,
von Illinois; William L. Dayton, von New Jerſey; Simon Ca—
meran, von Pennſylvanien; Salmon P. Chaje, von Ohio; Edwarf
Bates, von Miffouri, und John Mekean, von Ohio,
5 (65)
66 Das Leben Abraham Lincolns.
a
Beim erften Ballot erhielt Seward 173 Stimmen, Lincoln 102,
Cameron 50, Chafe 49, Bates 48, Dayton I4 und Mekean 12;
außerdem wurden 16 Stimmen für andere, nicht in Nomination
gebrachte Candidaten abgegeben. Zur Wahl bevurfte es 233
Stimmen,
Beim zweiten Ballot (nachdem Herrn Cameron's Name zurüd-
gezogen worden war) fielen die Stimmen, wie folgt: Seward 184,
Lincoln 181, Chafe 42, Bates 35, Dayton 10 und Mekean 8, zer-
ftreute Stimmen 4,
Das dritte Ballot wurde fofort vorgenommen und ergab folgen-
des Refultat: Lincoln 231, Seward 180, Chaſe 24, Bates 22, vie
übrigen 7. Unmittelbar ehe das Refultat angefündigt wurde, än⸗
derten vier Ohio Delegaten ihre Stimmen zu Gunften Lincoln
und verhalfen ihm hierdurch zur erforderlichen Majorität.
Eine ſolche Scene, wie die, welche jest erfolgte — der tobende,
fait fieberhafte Ausbruch des allgemeinen Beifalls innerhalb und
außerhalb des Gebäudes, die Gratulationen, das Handſchütteln,
die verfchiedenartigften Kundgebungen der Freude, die ohne Unter-
brechung faft dreiviertel Stunden fortdauerten — hatte wahrfchein-
lich nie zuvor bei einer Bolfsverfammlung ftattgefunden.
Nachdem die Nomination einftimmig gemacht worden war, wurde
das Tidet dur die Wahl des Senators Hannibal Hamlin von
Maine zum Vice-Präfiventen vervollſtändigt.
Das Land fühlte jest, daß endlich einmal der rechte Mann für
die rechte Stelle gewählt worden war. Als ein Mann des Bolfes,
in herzlicher Sympathie mit den Maffen, genoß Herr Lincoln das
unbegrenzte Vertrauen fümmtlicher wahren Freunde freier Arbeit,
ohne Rüdjicht auf Parteiftelung. Seine erprobte Rechtichaffenheit
und unbeftechliche Ehrlichkeit ließen eine Rückkehr zu den beffern Ta-
gen der Republik hoffen. jeder, der für das Wohl feiner Mitmen-
fhen wirkte, fühlte, daß die Humanität, unbefümmert um Racen-
oder Standesunterfchiede, einen erprobten und treuen Freund an
ihm hatte,
Die Committee, welche ernannt worden war, um ihn von feiner .
Nomination in Kenntniß zu feßen, fand ihn in feiner Heimath zu
Springfield, einem einfachen zweiftödigen Haufe von etwa fünf und
Wird zum Präfidenten nominiert und erwählt. 67
=
dreißig bis vierzig Fuß Quadrat, das an der Ede zweier Straßen
fand. Nachdem fie den einfach, aber gefhmadvoll möblirten Par-
lor betreten hatte, hielt der Vorfiger der Convention eine furze An—
rede, Bei den erften Worten derfelben fpielte ein Lächeln um
Herrn Lincoln's großen, energifchen Mund, feine Augen leuchteten
und der ganze Ausdrud feines Gefichtes überzeugte Diejenigen, die
ihn jegt zum erften Male fahen, von jener aufrichtigen, liebenswür—
digen Natur, die Andere, die ihn längft ſchon kannten, fo ſehr
[häßen und achten gelernt hatten,
In Erwiederung auf diefe Anrede fagte Herr Lincoln:
„Herr Porfitzer und meine Herren von der Committee:
„Ich fage Ihnen, und durch Sie der republifanifhhen National-
Convention und dem durch diefelbe repräfentirten Bolfe, meinen
tiefgefühlten Dank für die mir erwiefene hohe Ehre, welche Sie mir
jest formell anfündigen. Tief und fogar peinlich durchdrungen
von der großen Verantwortlichkeit, die von diefer hohen Ehre un-
zertrennlich ift — faft möchte ich wünfchen, fie wäre einem jener
weit berühmteren und erfahreneren Staatsmänner, deren geehrte
Namen der Convention vorlagen, zu Theil geworden — werde ich
mit Ihrer Genehmigung die in der Plattform niedergelegten Be—
fchlüffe der Convention genauer erwägen und ohne unnöthigen
und unbilligen Auffhub Ihnen, Herr Vorſitzer, ſchriftlich darauf
antworten, feinen Zweifel hegend, daß ich die Plattform völlig be—
friedigend finden werde und die Nomination dankbar annehmen
fann. Und nug will ic mir das Vergnügen nicht länger verfagen,
jevem von Ihnen, meine Herren, perfönlich die Hand zu bieten,”
Als Antwort auf den formellen Brief des Vorfigers der Conven-
tion, worin Herr Lincoln von feiner Nomination in Kenntniß ge—
fegt wurde, adrefjirte der Lebtere folgendes Schreiben an die Er-
fteren : |
„Springfield, Illinois, den 23, Mai 1860.
„An den achtbaren George Aſhman, Porfitzer der republikanifchen
Convention,
„Geehrter Herr: ch acceptire Die mir von der Convention, bei
welcher fie präfivirten, angebotene Nomination, von der ih in
einem Briefe von Ihnen und Undern, die zu diefem Zwede von der
68 Das Leben Abraham Lincolne.
Convention ald Committee ernannt wurden, formell in Kenntniß
gefegt wurde. :
„Die Erklärung der Shren Brief begleitenden Prinzipe und Ge-
finnungen hat meinen Beifall, und werde ich e8 mir angelegen fein
laffen, diefelben in feiner Hinficht zu verlegen und außer Acht zu
laſſen.
„Mit Anflehung des göttlichen Beiſtandes, mit gebührender
Rückſicht auf die Anſichten und Gefühle Aller, die durch die Con—
vention repräſentirt wurden; mit Berüdjichtigung der Rechte aller
Staaten und Territorien, ſowie des ganzen Volkes; mit Berüd-
fihtigung der Umverleglichkeit der Eonftitution, der beftändigen
Union, der Harmonie und Wohlfahrt Aller, foll es mir zum größten
Vergnügen gereichen, zum praftifchen Erfolge der durch die Con—
vention erflärten Prinzipe mitzuwirken,
„Ihr ergebenfter Freund und Mitbürger,
„Abraham Fincoln.“
Der Bruch in der demofratifchen Partei, der ſchon zu Charlefton
drohte, wurde fpäter Durch Die Nomination von Stephen A. Douglas
und Herrfchel V. Johnſon von Georgia durch den einen Flügel,
und John C. Bredenrivge von Kentudy und Joſeph Lane von
Dregon durch den andern Flügel zur Thatfache,
Obwohl nun die Erwählung Lincolns unter folden Umftänden
faft mit Gewißheit zu erwarten fland, wurde dennoch, der Wahl-
fampf von Seiten der Demokratie mit der heftigften und bitterften
Leidenfchaftlichkeit betrieben, und ulle Schimpf- und Schmähmorte,
die in ihrem Wörterbuche zu finden waren, wurden über Herrn
Lincoln und feine Anhänger ausgegoffen.
Endlich fam der Tag der Präfidentenwahl, der verhängnißvolle
fechite November 1860 heran, Herr Lincoln erhielt 1,866,452
Stimmen und ficherte fih die Eleftoralftimmen von Maine, New
Hampfhire, Vermont, Mafjachufetts, Rhode Island, Connecticut,
New York, Pennfyloanien, Ohio, Indiana, Illinois, Michigan,
Jowa, Wisconfin, Minnefota, Californien, Oregon und 4 Stim-
men von New Jerfey, im Ganzen 1805 Pouglas erhielt 1,375,157
Stimmen und die Eleftoralftimmen von Miffourt und 3 von New
Jerſey, im Ganzen 125 Bresienridge erhielt 847,953 Stimmen
Wird zum Präfidenten nominiert und erwählt. 69
und die Eleftoralftimmen von Maryland, Delaware, Nord-Caro-
lina, Sud-Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Louifiana, Miſ—
fiffippt, Arkanfas und Teras, 72 im Ganzen; und Bell erhielt
590,631 Stimmen und die Elektoralftimmen von Virginien, Ken-
tudy und Tenneffee, 39 im Ganzen.
Jetzt follte es fih erproben, ob Worte zu Thaten reifen, ob
Drohungen zur Ausführung fommen follten; kurzum ob in irgend
einem Staat Tollheit genug vorhanden wäre, einen Verſuch zur
Bertrümmerung der Republik zu machen. Leider wurden in kurzer
Frift alle Zweifel hierüber gelöft. Bald fanden fih Männer —
nicht in einem Staate, fondern in faft allen; nicht Dubende oder
Hunderte, fondern Taufende und Zehntaufende — die bereit waren,
ihre mörderifchen Hände an die Union zu legen, an die Arche des
NRuhmes und der Stärke unferer Nation,
Dem Staat Süd-Carolina gebührt die Feineswegs beneideng-
werthe Ehre, in diefer Verſchwörung gegen die Intereſſen der Hu-
manität die Initiative ergriffen zu haben. Während diefer Staat
(deſſen Schande Jahrhunderte der aufrichtigften Loyalität nicht zu
tilgen vermögen) die erforderlichen Schritte zur Seceſſion that, gab
der damalige Präfivent, James Buchanan, mit einer Wantel-
müthigfeit — um ung eines gelinden Augdrudes zu bedienen — die
in der Gefchichte der Neuzeit Feine Parallele findet, in feiner Jah—
resbotfchaft, unmittelbar nachdem er die Unconftitutionalität diefes
Verfahrens ausdrüdlich berührt hatte, die merfwürdige Erklärung,
dag ihm Feine conftitutionele Macht zu Gebote ftehe, um dem
erfolgreichen Sortjchreiten jener Seceſſionsbewegungen Einhalt zu
thun. Selbſt fpäterhin, als der greife Chef der Armee ihn auf-
forderte, die Staaten an der Südküſte zu befegen, fonnte er fein
Recht, das Nationaleigenthum zu befhügen und vertheidigen, in
der Conftitution finden.
Mehr als dies konnten felbft die Verſchwörer nicht wünſchen.
Am 20. Dezember 1860 paſſirte die Legislatur von Süd-Carolina
die ſogenannte Seceſſions-Ordinanz. Die Regierungsforts, ſowie
die Arſenale wurden ergriffen und unter den Schuß der Staats—
flagge geftelt. Am 3. Januar 1861 legte der Gouverneur von
Georgia Hand an die Forts der Negierung an der Küfte jenes
70 Das Leben Abraham Lincolns.,
Staates, Der Gouverneur von Alabama folgte am nächſten Tage
jeinem Beifpiel.
Raſch entwidelte fih nun das traurige Panorama. Am 9. Ja—
nuar trafen feindliche Geſchoſſe ein Schiff, welches — faumfelig
genug — Berftärfungen für das Fort Sumter brachte; an dem—
felben Tage maßregelte ſich Miffiffivpi aus der Union heraus,
Alabama, Florida und Georgia blieben nicht zurück; Texas und
Louifiana ſäumten auch nicht lange. Einige Kabinetsminifter
aus den Sklavenftaaten refignirten, nachdem fie alle ihre Kräfte
aufgeboten hatten, das fatanifche Werk vorzubereiten; Andere
blieben zurüd, um demfelben ferner Vorſchub zu leiften. Eine
neue, „temporäre“ Conftitution wurde in aller Eile von den De-
legaten der fieben damaligen Rebellenftaaten entworfen und ein
Präfident und Vice- -Präfident — ebenfalls temporär — ernannt.
Mittlerweile verfuchte zu Wafhington eine Convention von
Delegaten aus den meiften Freiftaaten und fümmtlichen Grenz-
Sklavenftaaten die beftehenden Schwierigkeiten durch Compro—
miffe zu entfernen, Einige Mitglieder diefer Convention handel-
ten mit ehrlichen Abfichten; andere fuchten dadurch den Staaten,
die fich bereits in offener Rebellion befanden, in die Hände zu
arbeiten. Es kam indefjen eine Reihe von Befchlüffen zu Stande,
alle die Erhaltung des Friedens auf der Bafis einer unzertheilten
Union bezwedend, worauf fich die Berfammlung am 1. Dar ent-
fernte.
Außerdem adoptirte das Repräfentantenhaugs des Congreſſes
am 11. Februar einſtimmig einen Beſchluß, den kurz nachher auch
der Senat indoſſirte; dieſer Beſchluß bezweckte ein Amendment
zur Conſtitution, demzufolge dem Congreß alle Einmiſchung in
die Sklaverei in irgend einem Staate für immer verboten wurde.
Auch fehlte es nicht an Individuen, die alle Forderungen bewil—
ligen und felbft die lang beftrittene Frage über die Sklaverei in
den Territorien mittelft Annahme der fogenannten Erittenden-
Befchlüffe fallen laſſen wollten; all’ diefem Treiben machte in—
defien der hartnädige Widerftand der ſüdlichen Senatoren ein
Ende.
Keinerlei Zugeftändniffe, die hinter vollftändiger nationaler
Reife nad) Waſhington. 71
Degradation zurüdblieben, genügten den Infurgenten, Jefferfon
Davis, das Haupt der „Conföderation,“ der fih am 18. Februar
zu Montgomery, Mabama, an die Spige der Rebellion ftellte,
definirte feinen Standpunkt und den feiner Spießgefellen in fol-
genden befcheidenen Worten :
„Denn ein richtiges Verſtändniß neutraler Intereffen ung ge-
ftattet, unfere feparate politifche Laufbahn frieplich zu verfolgen,
fo ijt mein fehnlichfter Wunſch erfüllt. Wenn dies uns aber
verfagt und die Integrität unferes Territoriums und unferer
Jurisdiktion angegriffen werden follte, fo bleibt uns Nichts übrig,
als mit fefter Entjchloffenheit die Waffen zu ergreifen und den
Gegen der Borfehung für eine gerechte Sache anzuflehen.‘
Diefer Rhetorik folgte auf dem Fuß die Empfehlung, daß „eine
wohlgefchulte, Disciplinirte Armee, zahlreicher als fie font in
Friedengzeiten erforderlich wäre,” fofort organifirt und für jeden
Nothfall dienftbereit gehalten werden folle,
Fünftes Kapitel,
Reife nad) Waſhington.
Abreife — Abfchiedsbemerkungen — Rede zu Toledo — Bu Indianapolis —
Fu Cincinnati — Bu Columbus — Bu Steubenville — Bu Pittsburg — Bu
Cleveland — Bu Buffalo — Zu Albany — Bu Poughkeepfie — Zu Mem
York — Bu Trenton — Zu Philadelphia — In der Unabhängiakeits-
halle — Hilft die Flagge aufziehen — Rede zu Harrisburg — Geheime
Abreife nad Waſhington — Geurtheilungen.
So ftanden die Angelegenheiten, als am Morgen des 11. Fe-
bruar 1861 der neuerwählte Präfivent mit feiner Familie feiner
Prairienheimath Lebemohl fagte — ad), um fie nimmer wieder zu
erbliden !
Eine große Menfchenmenge hatte fich bei feiner Abreife am
Bahnhof eingefunden, Er richtete an fie folgende Worte voll
von dem Pathos einer wahrhaft männlichen Seele:
72 Das Leben Abraham Lincolns.
„Seine Freunde! Niemand vermag die Trauer zu fchäben,
die mich bei diefem Abſchied erfüllt. Diefem Volke verdanfe ich
Alles, was ich bin. Hier habe ich über ein Bierteljahrhundert
gelebt; hier find meine Kinder geboren, und hier liegt eines der—
felben begraben. Ich weiß nicht, wann ich euch wiederjehen
werde. Mir wurde eine Pflicht zu Theil, größer vielleicht als fie
irgend einem Sterblichen feit Wafhington zu Theil wurde. Er
hätte nie fertig werden können ohne die Hülfe Gottes, auf die er
fich jederzeit fügte. Sch fühle, daß ich nicht fertig werden könnte
ohne diefelbe göttliche Hülfe, die ihm durchhalf; und auf dieſelbe
Allmacht fege ich mein DVertrauen und hoffe, daß ihr, meine
Freunde, beten werdet, damit mir jene göttliche Hülfe zu Theil
werde, ohne welche ich nicht erfolgreich fein kann, mit welcher aber
der Erfolg gewiß ift. Und fo fage ich euch denn nochmals ein
herzliches Lebewohl!“
An jedem Bahnhof auf der Route fand ſich eine Menfchen-
menge ein, um ihn zu begrüßen. Zu Toledo, Ohio, erſchien er
auf wiederholtes Verlangen auf der Plattform des Wagens und
fagte:
„Ich verlafe euch, um eine Miffion von nationaler Bedeutung.
und — wie ihr wißt — von beträchtlichen Schwierigkeiten auszu—
führen. Laßt uns glauben, was der Dichter fagte: „Noch fcheint
die Sonne hinter der Wolfe.“ Ich fage euch ein aufrichtiges
Lebewohl!“
Zu Indianapolis gab er am Abend deſſelben Tages in Erwie—
derung auf eine offizielle Bewilllommnungs-Adreſſe die erſte
öffentliche Andeutung feiner Anfichten in Bezug auf die herrfchende
Ingesfrage. Seine Rede lautete wie folgt:
„Mitbürger des Staates Indiana: — Ich danke euch für die-
fen fchmeichelhaften Empfang und mehr noch für die warme Un—
terftüßung, die euer Staat jenem politifchen Prinzip zu Theil
werden ließ, dag, wie ich glaube, Das wahre und gerechte Prinzip
bes ganzen Landes und der ganzen Welt ift. Salomo fagt: „es
giebt eine Zeit zum Schweigen,” und wenn Menfchen mit dem
Munde ftreiten und wenn es zweifelhaft ift, ob fie Daffelbe Ding
Reife nah) Waſ bington. 73
meinen, während fie dafjelbe Wort 5 ſo ſtünde ihnen
das Schweigen vielleicht beſſer in.
„Die Ausdrüde „Coercion“ und ur werden gegen
wärtig viel gebraucht, und oft mit Leidenfchaftlichkeit und heigem
Blut. Laßt uns daher Sorge tragen, daß wir den Sinn Derer,
die diefe Worte gebrauchen, nicht mißverftehen. Laßt ung die
genaue Definition diefer Wörter ſuchen — nicht in Wörterbüchern,
fondern bei Jenen, die Die Dinge, welche fie mit diefen Worten
bezeichnen, haſſen und verachten,
„Ras alfo ift Eoereion? Was ift Invaſion? Gefebt, es mars
fchirte eine Armee nad Süd-Carolina, ohne die Einwilligung der
Einwohner dieſes Staates und mit feindlichen Abfichten gegen
diefelben — wäre das Invaſion? Ganz gewiß, meine ich, und e3
wäre ebenfalls Eoercion, wenn die Süd-Carolinier gezwungen
würden, fich zu unterwerfen. Wenn aber die Vereinigten Staa-
ten bloß ihre eigenen Forts befegten und wiedereroberten, die
Zölle auf auswärtige Importationsartifel colleetirten, oder ſelbſt
die Poftämter an folden Orten. fchlöffen, wo diefelben beftändig
mißbraucht und verlegt werden — wären diefe Dinge im Ganzen
oder Einzelnen Invaſion oder Coereion? Glauben unfere an-
geblichen Freunde der Union, melde fo trogig drohen, fich der
Coercion und Invaſion zu widerfegen, daß ſolche Maßregeln von
Seiten der Vereinigten Staaten Coercion und Invaſion - eines
Staates wären? In diefem Falle find ihre Anfichten über die
Mittel, den Gegenftand ihrer großen Liebe zu erhalten, Außerft
dünner und luftiger Natur. Selbſt die Heinen Pillen der Ho-
möopathen wären ihnen viel zu groß zum Berfchluden. Shrer
Meinung nach wäre alfo die Union, im Lichte eines Familienver-
hältniſſes betrachtet, feine regelmäßige Ehe, fondern nur eine Art
Concubinat, das lediglich für die Dauer gegenfeitiger Anzietung
beſteht. |
Worin beſteht denn eigentlich die fpezielle Unverlegbarkeit
eines Staates? ch rede hier nicht von der Stellung, die einem
Staate in der Union durd die Conftitution angewiefen wurde,
denn das ift ein Band, welches wir Alle anerkennen. Ich fpreche
von jenem angeblichen primären Rechte eines Staates, alles Ge—
74 Das Leben Abraham Lincolns.
ringere zu beherrfchen und alles Größere zu zerftören. Wenn ein
Staat und ein County 3. B. einander an Einwohnerzahl gleich
wären, inwiefern denn ift der Staat dem Prinzipe nach beffer als
das Eounty? Würde ein Namenstaufch ein Austaufch von Rech—
ten fein? Auf welches rechtmäßige Prinzip hin darf ein Staat,
der an Umfang und Bevölkerung faum ein Fünfzigſtel der Nation
ausmacht, die Nation zerſtückeln, und alsdann die despotiſchſte
Coercion über eine verhältnißmäßig große Unterabtheilung ſeiner
ſelbſt ausüben? Welches myſteriöſe Recht, den Tyrannen zu
ſpielen, wird einem Diſtrikt oder County dadurch zu Theil, daß
man ihn einen Staat nennt? Mitbürger, ich werfe keine Be—
hauptungen auf; ich lege euch nur Fragen zur Ueberlegung vor.
Und nun ſage ich euch Allen Lebewohl!“
In Cincinnati wurde er auf das Enthuſiaſtiſchſte aufgenem—
men. Nachdem er von dem Mayor der Stadt begrüßt und durch
eine bürgerliche und militärifche Eskorte nach dem Burnet-Houfe
eskortirt worden war, hielt er folgende Anrede an die verfammelte
Menge:
„Mitbürger! Ich habe erft ein einziges Mal vor dem heutigen
Zage in diefer Stadt gefprochen. Das. war ein Fahr vor ber
legten Präfiventenwahl. Bei jener Gelegenheit galten manche
meiner feherzenden, nichts defto weniger aber aufrichtigen Bemer-
tungen den Kentudyern. Ach gab meine Meinung dahin ab, daß
wir Republikaner endlich über fie, die Demokraten, fiegen würden,
daß fie aber diefes Refultat durch die Nomination des Senators
Douglas für die Präſidentſchaft länger verzögern könnten, als
durch irgend ein anderes Mittel. Im eigentlichen Sinn des
Wortes haben fie Douglas nicht numinirt, und das Refultat kam
daher früher als ich es felbit erwartete.
„sh fagte ihnen damals auch, welche Behandlung fie nad
ihrer Niederlage zu erwarten hätten und wünfche nun, chnen
meine damaligen Bemerkungen in das Gedächtniß zurüdzurufen.
Ich fagte nämlich:
„Denn wir euch befiegen, was wir mit Zuverſicht erwarten, fo
wollt ihr vielleicht wiffen, was wir mit euch zu thun gedenken.
Reife nach Wafbinston. 75
Ich will es euch fagen, fo weit mir das Recht zufteht, im Namen
der Oppofition zu fprechen. Wir gedenken euch möglichft genau
ebenfo zu behandeln, wie Wafhington, Zefferfon und Madiſon
euch behandelten, Wir gedenken euch allein zu laffen und ung
in feiner Weife in eure Angelegenheiten zu miſchen. Wir ge-
denken, alle Compromiffe der Eonftitution aufrecht zu erhalten.
Mit einem Wort, um wieder zum Ausgangspunkt zurüdzufom-
men, wir gedenfen euch nach dem Beifpiel jener edlen Männer,
Waſhington, Zefferfon und Madifon zu behandeln, foweit ent-
artete Männer — wenn wir wirklich entartet find — es vermöger®
Wir werden ung erinnern, daß ihr fo gut feid wie wir; daß feine
andere Verfchiedenheit zwifchen ung obwaltet, als die Verfchieden-
heit der Umftände. Wir werden nicht vergeffen, daß ihr ebenfo
gute Herzen im Bufen habt, wie wir oder Andere, und wir werden
euch demgemäß behandeln.
„Mitbürger von Kentudy, Freunde, Brüder! Darf ich euch fo
nennen? Sn meiner neuen Stellung fehe ich Feine Veranlaffung
und fühle ich Feine Neigung, auch nur ein Wort davon zurüdzu-
nehmen. Wenn meine Berheißungen nicht zur Ausführung
fommen, fo feid verfichert, daß die Schuld nicht an mir liegen
wird.”
Am andern Morgen verließ Herr Lincoln Eineinnati und kam
in Columbus an, wo er mit größtem Enthufiasmus empfangen
wurde. Er befuchte den Gouverneur in der Erecutiv-Halle und
wurde dann den Mitgliedern der Legislatur, die fich in gemeinfa-
mer Situng verfammelt hatten, vorgeftellt und durch den Lieute-
nant-Gouverneur formell bewilllommt, worauf Herr Lincoln mit
folgenden Worten antwortete:
„Es ift wahr, was der Vorſitzer des Senats fagte, daß mich eine
fehr große Berantwortlichfeit zu der Stellung begleitet, zu welcher
die Stimme des amerifanifchen Bolfes mich berufen, Ich bin
mir diefer gewichtigen Berantwortlichkeit fehr wohl bewußt. Wohl
weiß ich, wie auch ihr Alle wißt, dag ohne einen Namen — viel-
leicht ohne ein Anrecht auf einen Namen — mir eine Aufgabe zu
Theil wurde, wie fie felbft vem Vater des Vaterlandes nicht wurde,
76 Das Lehen Abraham Lincolns.
Und mit diefer Heberzeugung muß ich auf die Unterftügung hoffen,
ohne welche es mir unmöglich ift, dieſe Aufgabe zu erfüllen. Und
fo wende ich mich denn an das amerifanifche Volk und an Gott,
der daffelbe nie verlaſſen hat.
„Es ift auf das Intereſſe angefpielt worden, das man in Bezug
auf die Politif ver neuen Regierung fühlt. Bon Einigen bin ich
gelobt, von Andern getadelt worden, weil ich hierüber ſchwieg.
Ich glaube noch immer, daß ich Recht hatte. Bei den veränderli-
chen und ftets wechfelnden Scenen der Gegenwart, die an und für
ſich keinen Präücedenzfall haben, fhien es mir geeignet, erft einen
eberblid über das ganze Feld zu gewinnen, ehe ich es wagte, von
den Schwierigkeiten des Landes zu fprechen. Allerdings bliebe
mir die Freiheit unbenommen, meine Politif im Laufe der Zeit fo
zu modifiziren und zu verändern, wie die Fünftigen Ereigniffe es
wünſchenswerth oder nothwendig erfcheinen laffen würden.
„Mein Schweigen entfprang nicht dem Mangel einer wirklichen
Beſorgniß. Es ift gut, daß big jegt Alles nur Beforgniß ift, denn
e3 geht Alles noch recht. Es ift ein tröftender Umftand, daß wir
beim Umberbliden Nichts gewahren, was irgend Jemand beein-
trächtigen fünnte, Wir hegen verfchiedene Anfihten über poli=
tifche Gegenftände, allein Niemand leidet dadurd. Dies ift ein
höchſt tröftlicher Umftand/ und ich fchließe daraus, daß Alles, was
wir nöthig haben, Zeit und Geduld ift, fowie Vertrauen auf Gott,
ber dieſes Bolf noch nie verlaffen hat.”
Am 14, Februar feste Herr Lincoln die Reife nach Pittsburg
fort. In Steubenville angefommen, fagte er in Erwiederung auf
eine Anrede:
„Ich fürchte, das große Vertrauen, das man auf meine Fähig-
feiten fest, ift unbegründet. Ich bin mir deffen ſchmerzlich be-
mußt. Bon unabfehlichen Schwierigkeiten umringt, wie ich bin,
blide ih auf Gott und das amerifanifhe Rolf um Unterftüßung.
Ich glaube, daß die Anhänglichkeit an die Conftitution auf beiden
Seiten des Fluffes gleich groß ift. Es ift nur das verfchiedene
Verſtändniß jenes Inftrumentes, was Schwierigkeiten verurfacht.
Die einzige Streitfrage ift: „Was find ihre Rechte?” Wenn die
Reife nach Wat bington. 77
Majorität nicht herrfchen foll, wer fol dann Richter fein? Wir
Alle folten durch die Majorität des amerikanischen Volkes gebun-
den fein, denn fonft würde die Minorität herrſchen. Wäre das
gerecht und edelmüthig? Sicherlich nicht. Ich wiederhole Daher,
die Majorität follte herrfchen. Wenn ich eine falſche Politif ver-
folge, fo habt ihr in vier Jahren Gelegenheit, diefelbe zu verdam-
men. Dann fönnt ihr mich hinausjchieben und einen bejjern
Mann mit beffern Anfihten an meine Stelle fegen.”
In Pittsburg war fein Empfang nicht minder enthufiaftifch, als
an den bisher berührten Orten. Bor feiner Abreife nad Clevt⸗
land hielt er die folgende Rede:
„In jeder kurzen Anrede, die ich an das Volk Jill, wurde auf
die gegenwärtige verwickelte Lage des Landes angeſpielt. Es
wird natürlich von mir erwartet, daß ich irgend Etwas über dieſen
Gegenſtand ſage; denſelben aber auch nur berühren, hieße ein
tieferes Eingehen auf eine große Menge Fragen und Umſtände
herbeiführen, wozu mir gegenwärtig keine Zeit vergönnt iſt, und
außerdem müßte ich über manche Punkte ſprechen, die ſich noch
nicht vollſtändig entwickelt haben.
„Der Zuſtand des Landes, Mitbürger, iſt ein außerordentlicher
und erfüllt das Herz eines jeden Patrioten mit Angſt und Be—
ſorgniß. Es iſt meine Abſicht, dieſem Gegenſtande die möglichſt
vollſtändige Ueberlegung zu widmen, ehe ich mich deutlich darüber
ausſpreche, ſo daß, wenn ich darüber ſpreche, ich dem Rechten ſo
nahe wie möglich ſei. Und wenn ich dereinſt ſpreche, Mitbürger,
ſo hoffe ich Nichts zu ſagen, was dem Geiſte der Conſtitution oder
der Integrität der Union zumider ift, oder ſich den Freiheiten des
Bolfes oder dem Frieden des Landes feindlich erweifen möchte.
Und weiter, wenn die Zeit für mich berannaht, um über diefen
großen Gegenftand zu fprechen, fo hoffe ich Nichts zu fagen, was
die billigen Erwartungen irgend eines Mannes oder des Volkes
im Allgemeinen täufchen könnte, befonders wenn ihre Erwartun—
gen fih auf irgend Etwas gründeten, was ich früher fchon fagte.
„Ungeachtet der Berwidlungen jenfeits des Fluſſes (der Redner
deutete hier lächelnd fünlich nach dem Monongahela-Zluffe hin,)
78 Das Leben Abraham Lincolns.
droht in Wirklichkeit von Seite der Regierung felbft Feine Krifis,
Mit andern Worten, es ift wirklich Feine Krifis vorhanden, fei es
denn eine Fünftliche. Was rechtfertigt nun das Berfahren unfe-
rer Freunde jenfeits des Fluffes? Verſetzen wir uns felbft auf
ihren eigenen Standpunkt bezüglich jener Streitfragen, fo können
wir feinen Grund zur Rechtfertigung ihres Verfahrens finden,
Ich wiederhole daher, es ift in Wirklichkeit feine Krifis vorhanden,
ausgenommen eine folche, wie fie jeder Zeit von leidenfchaftlichen
Männern, unterftügt von fchlauen Politikern, in dag Dafein ge—
fen werden kann. Unter ſolchen Umftänden rathe ich euch denn
zur Mäßigung. Wenn das große amerifanifche Volk auf beiden
Seiten der Linie feine Leidenfchaftlichfeit beherrfchen wollte, fo
wird der Streit, der jest das Land durchwühlt, ebenfo fiher und
befriedigend gefchlichtet werden, wie alle andern Streitigkeiten die—
fer Art durch die Regierung beigelegt wurden. Möge nur das
Volk auf beiden Seiten ein wentg Selbftbeherrfhung ausüben, und
diefe Wolfe wird fich zertheilen, wie andere Wolfen fich zertheilt
haben, und diefe große Nation wird auch Fünftig blühen und ge=
deihen, wie fie in der Vergangenheit blühte und gedieh.“
In Bezug auf den Tarif ließ fih Herr Lincoln folgendermaßen
vernehmen:
„Meiner politifchem Erziehung gemäß bin ich zu glauben geneigt,
daß das Volk in den verfchiedenen Theilen des Landes feine An-
fichten durdy feine Repräfentanten im Congreß zur Ausführung
bringen laſſen ſollte. Die Erwägung der Tarif-Bill follte nicht
bis zur nächften Sigung der Narivnal-Legislatur verfchoben wer—
den. Kein Gegenftand follte euren Repräfentanten vog größerer
MWichtigfeit fein, als diefer Tarif. Wenn es mir zufänke, irgend
eine Maßregel anzuempfehlen, fo wäre es die, daß ein Seder, der
berufen ift, fein Volk zu repräfentiren, den ganzen Gegenftand
gründlich ftudire, wie ich es felbjt zu thun gedenfe, indem er zu—
gleich alle die verfchiedenen ntereffen des gemeinfamen Bater-
landes berüdjichtigt, fo daß, wenn die Zeit zum Handeln fommt,
das Eifen und die Kohlen Pennſylvaniens und das Öetreide von
Illinois beiderfeits hinreichenden Schuß finden. Geftatten Cie
Reife nach) Waſ hington. 79
mir, die Hoffnung auszudrüden, daß Ihre Repräfentanten diejen
wichtigen Gegenftand reiflich erwägen mögen, damit das ntereffe
feines Iheiles des Landes überfehen werde, fondern daß alle
Theile die Wohlthat eines gerechten und billigen Tarifg genießen
dürfen,“
Det feiner Ankunft in Cleveland hielt Herr Lincoln folgende
Anrede:
„Euch, dem Bolfe, fommt es zn, die große Sache der Union und
der Conftitution zu fördern, nicht aber irgend einem einzelnen
Manne. Euch allein ift es beſchieden. Diefe Thatſache drängt
fih hier meinem Geifte befonders ftarf auf. In einer Commune,
wie diefe, deren äußere Erfcheinung ſchon die höchfte Intelli—
genz befundet, fann die Sache der Freiheit und; Union nie in
Gefahr fein. Häufig hört man Anfpielungen auf die Aufregung,
die gegenwärtig in Bezug auf die nationale Politif herrſcht.
Meiner Anfiht nach gibt es feine Urfache zu einer ſolchen Auf-
regung. Die Krifis, von der man fpricht, ift ganz und gar
eine fünftlihe. In allen Theilen der Nation findet man Mei—
nungsverfchiedenheit in der Politik. Selbſt hier findet fich dieſe
Meinungsyerfchiedenheit. Ihr habt eure Stimmen nicht Alle für
die Perfon abgegeben, die jest die Ehre hat, euch anzureden. Und
wie fteht es mit Denjenigen, welche nicht hier find? Haben fie
nicht Alle die Rechte, die fie jemals hatten? Liefert man ihnen
nicht ihre flüchtigen Sklaven zurüd, wie zuvor? Haben fie nicht
diefelbe Conftitution, unter der fie mehr als fiebzig Jahre lebten?
Haben fie nicht ihre bürgerliche Stellung in diefem unferm gemein-
famen Baterlande, und fteht uns irgend eine Macht zu, fie aug
diefer Stellung zu verdrängen? Worüber Hagen fie denn? Wes-
halb diefe Aufregung? Wie ich ſchon bemerkte, diefe Krifis ift ganz
und gar eine Fünftliche, Sie beruht feineswegs auf Thatfachen.
Sie wurde „heraufbeſchwatzt,“ um mich dieſes Ausdrudes zu be-
dienen, und kann nicht hinunterbefhwagt werden. Man Iaffe fie |
nur allein, fo wird fie von felbft aufhören.”
Am Samftag reifte er nach Buffalo weiter, wo er Abends an-
kam und von einer großen Anzahl Bürger in Empfang genommen
wurde, an deren Spike der Er-Prüfivent Fillmore ftand,
80 Das Leben Abraham Lincolns.
Bei feiner Anfunft im Hotel wurde er vom Haupt-Magiftrat
der Stadt mit einer Furzen Anrede begrüßt, worauf er —
erwiederte:
„Herr Mayor und Mitbürger: — Ich ſtatte Ihnen hiermit
meinen Dank ab für die äußerſt fehmeichelhafte Aufnahme, die
Sie mir — nicht der Perfon, fondern dem Repräfentanten unfe=
res großen und geliebten Baterlandes — bereitet haben. hr
würdiger Mayor fpielte in feiner Rede auf die glüdliche und an—
genehme Reife an, die ich hatte, feit ich meine Heimath verlieg —
obſchon mein Weg von dort bis zur Bundeshauptftadt ein ziem-
licher Ummeg ift. Und wohl durfte er mir zu diefer Thatfache
gratuliren, denn bis jebt wurde das Vergnügen der Reife durch
Nichts geftört. Nicht nur Diejenigen, deren Stimmen mir zu
meiner Erwählung verhalfen, kamen mir entgegen, fondern bie
ganze Bevölkerung des Landes, das wir durcreiften, Dies ift
ganz, wie es fein ſollte. Wäre die Wahl unter den gegenmärti-
gen eigenthümlichen Umftänden auf irgend einen andern Kandi-
daten gefallen, fo hätte es fich allen Bürgern geziemt, ihn ebenfo
zu begrüßen, wie ich allerwärts begrüßt werde, Es ift mir dies
ein Beweis der Anhänglichfeit des ganzen Volkes an die Confti-
tution, die Union und das Fortbeftehen der Freiheiten dieſes
Landes. Ich bin nicht mwillens, auch nur einen Augenblid zu
glauben, daß diefe Demonftrationen mir perfünlich gelten. Gie
werden dem Lande dargebracht, den Inſtitutionen des Landes und
dem Fortbeftehen der Freiheiten des Landes, für welche diefe In—
ftitutionen gefchaffen wurden. Ihr würdiger Mayor hielt es für
angemeffen, die Hoffnung auszufprechen, daß ich im Stande fein
möge, das Land aus den gegenwärtigen, oder vielmehr drohenden
Schwierigkeiten zu erlöſen. Ich darf fagen, daß ich wenigfteng
ein treueg Herz zu der Arbeit bringe. Was die hierzu erforder-
lihen Fähigkeiten anbelangt, fo vertraue ich auf den Höchften, der
diefes begünftigte Land noch nie verlaffen hat, ſowie auf den Bei-
ftand Diefes großen und intelligenten Bolfes. Ohne diefen Bei-
ſtand könnte es mir nie gelingen; mit dieſem Beiftend muß es
mir gelingen. Da wir von ten Gefahren reden, die unferem
Lande drohen, fo wird man natürlich son mir erwarten, daß ich
Reife nah) Wafhington. 81
mich über gewiſſe Maßregeln verlauten laſſe. Bei reiferer Ueber—
legung indeſſen glaube ich — und Andere werden mir beiſtimmen
— daß angeſichts dieſer Gefahren, die keinen Präcedenzfall haben
und ſich noch nie einem Individuum in meiner Stellung dar—
boten, es am geeignetſten für mich iſt, zu warten, die Entwickelung
der Umſtände zu beobachten und mir möglichſt viel Licht darüber
zu verſchaffen, ſo daß, wenn ich autoritativ rede, ich dem Rechten
fo nahe wie möglich komme. Und wenn ich einſt autoritativ
ſpreche, ſo hoffe ich Nichts zu ſagen, was der Conſtitution, der
Union, den Rechten ſämmtlicher Staaten, jedes einzelnen Staates
und jedes Theiles des Landes zuwider läuft; ebenſo wenig aber
hoffe ich die billigen Erwartungen Derer zu täuſchen, die mir ihre
Stimmen anvertraut haben. Und hier geſtatten Sie mir die
Bemerkung, daß Sie, als ein Theil des großen amerikaniſchen
Volkes, Nichts zu thun haben, als Ihre Geiſtesgegenwärtigkeit zu
behaupten, Ihre nüchterne Ueberzeugung zu vertheidigen, Ihren
Pflichten gegen die Conſtitution nachzukommen und Ihren Ueber—
zeugungen gemäß zu handeln. Thun Sie das, und die Wolken,
die jetzt den Horizont umdüſtern, werden ſich zerſtreuen, und wir
werden wiederum eine helle und glorreiche Zukunft vor uns
haben; und wenn dieſe Generation dahingeſchwunden ſein wird,
werden Zehntauſende dieſes Land bewohnen, wo jetzt nur Tau—
ſende leben. Es iſt übrigens nicht meine Abſicht, mich weiter
darüber auszuſprechen; die Zeit mahnt mich zum Schluſſe. Noch—
mals danke ich Ihnen für dieſen herzlichen IHApINEB und fage
Ihnen Lebewohl.“
Bon Buffalo begab fich Herr Lincoln nach Albany. Hier wurde
er durch den Mayor, den Stadtrath und die Committees der Legig-
latur empfangen und nach dem Capitol geleitet, mo er von Gou—
verneur Morgan feierlich begrüßt wurde, deffen Anrede er mit
folgenden kurzen Bemerfungen erwiederte :
„Öouverneur Morgan: — Höchſt erfreulich kam mir die Ein-
latung, die Hauptftadt des großen „Empire Staates‘ diefer Na-
tion zu befuchen, während ich mich auf meinem Weg nad) der
— befand. Ich danke nun Ihnen, ſowie dem
82 Das Leben Abrabam Lincolns.
Bolfe der Hauptitadt des Staates New VYork für diefen herzlichen
und glänzenden Empfang. Der große Empire Staat enthält
gegenwärtig, wenn ich nicht irre, eine größere Einwohnerzahl als
die gefammten Vereinigten Staaten zur Zeit ihrer Unabhängig-
keits-Erklärung; und ich hege gerechten Stolz darauf, zu einem
Beſuch in feiner Hauptftadt eingeladen worden zu fein und die
Ehre zu haben, ihre Bürger zu begrüßen. Mitbürger und
Freunde, Euer Gouverneur fündigt mir an, daß diefer Empfang
von fämmtlichen Bürgern ohne Rüdficht auf Parteiftellung ange-
ordnet wurde, Um fo freudiger nehme ich die Ehre an. In
diefem Lande und in irgend einem Lande, wo Freiheit einiger-
maßen geduldet wird, ſchließen fich die Bürger irgend einer poli-
tifchen Partei an. Indem fich nun Feder, fei es dieſer, fei es
jener Partei, anfchließt, thut er lediglich, was er für das Beſte des
ganzen Landes hält. Und wenn eine Wahl vorüber ift, fo geziemt
es ſich einem freien Bolfe, bis zur nächſten Wahl ein Volk zu
fein. Der Empfang, der mir heute von Ihnen zu Theil wurde,
gilt mir nicht perfönlich, fondern er gilt, wie es fich gebührt, dem
Repräfentanten der Majorität der Nation, Wäre die Wahl auf
einen der hervorragenden Bürger gefallen, die die Unterftügung
des Volkes erhielten, fo wäre er mit denfelben Ehrenbezeigungen
begrüßt worden, die mir zu Theil wurden, als Zeugniß der ein—
müthigen Hingebung des ganzen Volkes für die Conſtitütion, die
Union und die fortwährende Freiheit diefer und fünftiger Gene-
rationen. Die Zeit geftattet mir indeſſen nicht, eine längere Rede
zu halten. Empfangen Sie daher wiederholt meinen gefühlteften
Danf für Ihre offenfuntige Hingebung — nicht für mich, fondern
für die Inftitutionen diefes großen und glorreichen Landes.“
Herr Lincoln wurde nun nach den Hallen der Legislatur geführt,
wo er als Antwort auf eine Willkommens-Adreſſe folgende Be—
merkungen über die verwidelten Angelegenheiten des Landes
machte:
„Herr Prafident und meine Herren von Ver Segislatur des Staa-
tes Uew York :— Mit Zaghaftigfeit, ja fogar mit Bangigfeit, grö-
Ber, als ich fie bisher empfunden, nahe ich mich Ihnen hier an diefem
#
u a ED u ud *
Keife nad) Wafhington. 83
Drte. Die Gefchichte diefeg großen Staates, der Ruhm feiner gro—
fen Männer, die in dieser Halle geftanden und ihre Gedanken hier
auggefprochen haben, find mir im Geifte gegenwärtig und fchreden
mich faft vor einem Berfuch zum Reden zurüd, Dennod flößt mir
Ihre gütige Einladung und der noch gütigere Empfang, der mir
von Ihnen zu Theil wurde, einiges Vertrauen ein. Sie haben
mich ohne Rüdficht auf Parteiftellung eingeladen und aufgenom-
men. Nicht einen Augenblid gebe ich mich dem Gedanken hin,
daß all’ diefe Ehre meinem perfünlichen Selbfte galt. Auch ift es
mir weit angenähmer, daß diefe Einladung und diefer Empfang
dem NRepräfentanten eines freien. Volkes galten, als hätte ich fie
als die Hingebung für ein Individuum betrachten müffen. Wahr
{ft es, daß ich, der unbedeutendfte von al’ den Männern, die
jemals zum Präfidenten der Vereinigten Staaten erwählt wurden,
eine fehwierigere Aufgabe vor mir habe, als irgend einer meiner
Borgänger. Sie haben mir hier in edelmüthiger Weife die Un—
terftüßung, die vereinigte Unterftügung des aroßen Empire Staa-
tes zugefagt. Dafür ftatte ih Ihnen im Namen der Nation, im
Namen des Präfiventen, im Namen der bürgerlichen Freiheit aller
Zeiten meinen Dank ab. ch will mich hier nicht auf die Politik
einlaffen, die die neue Adminiftration unter fo fehwierigen Ver—
hältniffen einfchlagen wird. Die Billigkeit gegen das Land, gegen
mich felbft und gegen Sie erheifcht, daß ich Alles fehe, Alles höre
und mir in jeder Beziehung volllommene Klarheit verfchaffe, ehe
ich offiziell rede, fo daß, wenn die Zeit zum Reden kommt, ich wo—
möglih im Stande fei, richtigen und wahren Grund zu faffen,
Aus diefem Grunde unterlaffe ich es, irgend Etwas in Bezug auf
die Politik der neuen Adminiftration zu fagen. Wenn nad) dem
Gebrauche der Regierung die Zeit kommt, werde ich reden, und
nad Kräften reden zum Wohle der Gegenwart und der Zukunft
diefes Landes — zum Wohle des Nordens, wie des Südens, zum
Wohle fammtlicher Sectionen. Mittlerweile laßt ung Geduld
und Gleichmuth haben, obſchon ſich einige von der Leidenſchaft
binreigen laffen mögen, und ich glaube mit Zuverjicht, daß der
allmächtige Beherrfcher des Weltals ung durch den Beiftand die-
ſes großen und intelligenten Volkes unverlegt durch dieſe Gefahr
84 Das Leben Abraham Lincolns.
führen wird, wie er uns fchon zuvor durch alle Gefahren des Lan-
des führte, Und nun danke ich Ihnen nochmals für Diefen fchmei-
chelhaften Empfang und fage Ihnen ein herzliches Lebewohl.“
Zu Albany kamen ihm Delegaten von den Stadtbehörden von
New York entgegen, und am 19, reifte er nach diefer Stadt ab.
Zu Poughfeepfie wurde er von dem Mayor mit einer Anrede be=
grüßt, worauf er antwortete:
„Ih danke Ihnen für diefen herzlichen Empfang, und es freut
mich, daß diefe große Menfchenmenge fich verfammelte, nicht ſowohl
um ein Individuum zu begrüßen, als vielmehr den Mann, der
eine Zeit lang die Majeftät der Nation repräfentiren wird. Wie.
an andern Orten, fo wird mir auch hier der Empfang von Män-
nern fümmtlicher Parteien und nicht son einer Partei allein zu
Theil, Es zeigt dies ein ernites Bemühen Aller, nicht das Land
zu retten, denn dies ift felbjt im Stande, fich zu retten, fondern
jene Snftitutionen zu retten, unten denen wir feit mehr als drei
Vierteljahrhunderten das größte, das intelligentefte und das glüd-
lichfte Volk der Welt geworden find. Diefe Manifeftationen be-
weifen, daß das Wohl des Landes uns Allen am Herzen liegt;
daß, wenn Einige bei einer Wahl erfolgreich find und die Andern
gefchlagen werden, die Gefchlagenen nicht in Folge ihrer Nieder-
lage das Schiff in den Grund bohren, fondern mit ernftem Ent-
ſchluſſe es ficher durd die Stürme lenken und, wenn fie glauben,
daß bei der Wahl ein Sehlgriff ftattgefunden habe, ſich mit der
Gelegenheit vertröften, die Sache bei der nächften Wahl zu berich-
tigen. Sch glaube nicht, daß diefes Mal eine fehr weife Wahl in
Bezug auf das gewählte Fndividuum gemacht wurde, Sin den
erflärten Abfichten und Prinzipien wurde ih zum Werkzeug ge-
wählt, um die Angelegenheiten der Regierung zu lenken. Ich kann
mich auf Sie und das Volk des Landes verlaffen, und mit folcher
Hilfe glaube felbft ich im Stande zu fein, das Schiff des Staates
fiher Durch den Sturm zu führen.“
Der Empfang des Präfidenten Lincoln zu New York war eine
außerft impofante Demonftration, Die meiften Gefchäftslofale
waren geſchloſſen und Hunderttaufende von Menfchen wogten in
Keife nad) Wafhington. 85
den Straßen umher, Am andern Tage wurde er öffentlich von
Mayor Wood bewilllommt, und antwortete, wie folgt:
„Herr Mayor: — Mit Gefühlen tiefer Dankbarkeit blicke ich
auf diefen glänzenden Empfang in der großen Handelsftadt New
York, Ich kann nicht umhin, mich hierbei zu erinnern, daß mir
diefer Empfang von einem Bolfe zu Theil wird, deffen bei weitem
größere Hälfte in der Politif nicht mit mir übereinftimmt. Dies
ift mir um fo angenehmer, als ich daraus erfehe, daß das Bolf
beinahe einftiminig für die Aufrechterhaltung der großen Prin-
zipien unferer Regierung ift, Hinfichtlich der Gefahren, die ung
im gegenwärtigen Augenblide drohen, und auf die Euer Ehren
fo taktvoll und paffend anfpielten, kann ich nur fagen, daß ich mit
den Öefinnungen, die Sie ausdrüdten, vollftändig übereinftimme,
In meiner Hingebung für die Union hoffe ich hinter Feinem
Mann der Nation zurüdzuftehen. Was indeffen die Weisheit
anbetrifft, die eine zur Erhalting der Union erforderliche Leitung
der öffentlichen Angelegenheiten erheifcht, fo fürchte ich, daß man
allzugroßes Vertrauen auf mich gefebt hat; allein ich darf wenig-
ftens fagen, daß ich ein redliches und williges Herz zur Arbeit
mitbringe. Nichts könnte mich jemals beftimmen, freiwillig in
eine Zerftörung der Union zu willigen, unter welcher nicht nur
die große Handelsſtadt New York, fondern das ganze Land feine
Größe erreichte; fei es denn der Zwed, für welchen die Union
felbft gegründet wurde. Meiner Anfiht nach wurde das Schiff
dazu gebaut, um die Ladung zu führen und zu erhalten, und fo
lange das Schiff mit der Ladung gerettet werden kann, follte es
nicht aufgegeben werden, ausgenommen wenn die Erhaltung der
Ladung zur Unmöglichkeit wird. Meberhaupt follte das Schiff
erit dann aufgegeben werden, wenn es nicht anders gerettet wer—
den Fann, fei es denn, daß man ſowohl Ladung als Paffagiere
über Bord würfe. So lange daher eine Möglichkeit zur Erhal-
tung der Freiheit und Wohlfahrt des Volkes in der Union vorhan—
den ift, wird es mein unabläffiges Streben fein, den Fortbeftand
der Union zu fihern. Nehmen Sie meinen wiederholten Danl
an für die mir erwiefene Ehre und erlauben Eie mir, damit meine
Rede zu ſchließen.“
86 Das Leben Abraham Lincolns.
Am nächſten Tage feste Herr Lincoln feine Reife nach Phila-
delphia weiter, In Trenton hielt er fich einige Stunden auf
und befuchte die beiden Häufer der Legislatur. In der Senats-
halle hielt er folgende Anrede:
„Herr Prafident und meine Herren vom Senat des Staates
Hew Ierfey:— Ich bin Ihnen fehr zu Dank verpflichtet für den
ehrenvollen Empfang, den Sie mir zugedacht haben. Ich kann
nicht umhin, der Stellung zu gedenken, die New Jerſey in unferer
frübern Gefchichte einnahm. Während des Revolutionsfrieges
hatten wenige Staaten unter den alten „Dreizehn“ fo viele
Schlacdhtfelder innerhalb ihrer. Grenzen, als der Staat New
Serfey. _ Sei es mir bei diefer Gelegenheit geftattet, einer Fleinen
Epifode aus meiner früheften Kinpheit zu gedenken. Kurz nach—
dem ich lefen gelernt hatte, fiel mir ein Eleines Buch in die Hände,
das jest wohl ſehr felten zu treffen iftz e8 war „das Leben
Waſhington's, von Weemes.“ Scy erinnere mich aller der Be—
fhreibungen der Freiheitsfämpfe und der Schlachtfelder, und
feines jener Bilder prägte fich meiner Phantafie fo tief ein, wie
die Schlacht zu Trenton, New Jerſey. Der Hebergang über den
Sluß, der Kampf mit den Heffen, die unfäglichen Drangfale und
Entbehrungen, denen ſich die Revolutionsfoldaten zu unterziehen
hatten — alles Dies machte einen lebhafteren Eindrudf auf mein
Gemüth, ald irgend ein anderes Ereigniß der Revolution, und
Sie wiffen Alle, meine Herren — denn Sie Alle waren einft
Knaben — daß die früheften Eindrüde am längften anhalten.
Ich erinnere mich deutlich, wie ich Damals als Knabe ſchon dachte,
daß es etwas Außergewöhnliches gewefen fein mußte, wofür Diefe
Männer kämpften. Es ift mein fehnlichfter Wunſch, daß jene
Sache, wofür fie kämpften — jenes Etwas, das felbft die natio-
nale Unabhängigkeit aufwog — jenes Etwas, das allen Völkern
der Welt für alle Zufunft fo große Verheißungen bot — es ift
mein fehnlichiter Wunfch, daß diefe Union, die Konftitution und
die Freiheit des Volkes, ver Driginalivee gemäß, für welche der
Kampf unternommen wurde, fortleben ſollen, und höchſt glücklich
würde ich mich fhäben, wenn ich das geringe Werkzeug in der
Hand des Allmächtigen und dieſes, feines erwählten Bolfes fein
a en Du Ze ee —
Reife nad) Wafhington. 87
dürfte, um den Fortbeſtand jenes großen Kampfes zu fihern. Sie
bereiteten mir diefen Empfang, wie ich höre, ohne Anſehung der
Partei. Diefer gefeggebende Körper befteht, wenn ich nicht irre,
der Mehrzahl nach aus Herren, die in der Ausübung ihrer Ge-
wiffenspflichten bei der Präfivdentenwahl mir opponirten. Den-
noch begrüßen Sie mich jest als den conftitutionellen Präſidenten
der Vereinigten Staaten. Als Bürger der Vereinigten Staaten
bewillfommen Sie einen Mann, der eine Zeit. lang der Repräfen-
tant der Nation fein wird — der Nation, vereinigt, um den Fort-
beftand der Union und der Freiheiten des Volkes zu fihern. Als
folcher nehme ich diefen Empfang weit dankbarer an, als wenn er
mir perfünlich gegolten hätte.“
Sodann begab er fi in die Kammer der Affembly, mo er von
pem Sprecher vorgeftellt wurde. Hier hielt er folgende Rede:
„Herr Sprecher und meine Herren :— Soeben ward mir die
Ehre eines Empfanges Durch den andern Zweig diefer Legislatur
zu Theil, und wie jenem Körper fage ich auch Ihnen meinen
Danf für die Aufnahme, Die das Bolf von New Jerſey durch ihre
erwählten Repräfentanten mir, dem zeitweiligen Repräfentanten
der Majeftät des Volkes der Vereinigten Staaten, bereitete. Ich
beziehe fehr wenig von den mir erwiefenen Achtungsbezeigungen
auf mich felbft. Meiner Meinung nad follte man mit Indivi—
ouen wenig Aufſehen machen; als eine Manifeſtation der An—
hänglichkeit an die Union und Conſtitution aber iſt die Sache
lobenswerth. Ich wurde hier durch die Vertreter des Volkes von
New Serfey bewilllommt, deren größere Zahl in der Politif mir
und meiner Partei opponirte. Dieſe Manifeftation habe ich alfo
als den Ausdruck ihrer Hingebung für die Union, die Conftitution
und die Freiheit des Volfes zu betrachten. Sie, Herr Sprecher,
haben die paffende Bemerkung gemacht, daß dies eine Zeit fei, in
welcher die Tapferften und Weifeften mit Zmeifel und Beforgnig
auf den Zuftand unferer nationalen Angelegenheiten blidten.
Unter fo bewandten Umftänden werden Sie wohl einfehen, daß
es mir jeßt nicht geziemt, ausführlich den Weg zu bezeichnen, den
ich für gut finden werde, einzufchlegen. Wohl aber ziemt es ſich
88 | Das Leben Abraham Lincolns.
mir, alle meine Zeit zum Beobachten und Sammeln nüslicher
Auskunft zu verwenden, fo daß, wenn die Zeit fommt und jch
offiziell zu fprechen habe, ich im Stande fein möge, den beiten und
ficherften Grund zu faffen, von welchem mid, Nichts abbringen
fann. Sch werde mich bemühen, folchen Grund zu faffen, daß ich
dem Norden, dem Dften, dem Weiten und dem Süden, furzum
dem ganzen Lande damit gerecht werde. Sch faffe diefen Grund
mit Wohlwollen — fiherlich nicht mit Haß gegen irgend eine
Sektion. Sch werde alle meine Kräfte aufbieten, um eine fried-
lihe Schlichtung aller unferer Schwierigkeiten herbeizuführen.
Es lebt fein Menfch, der zum Frieden geneigter ift als ich — der
mehr opfern würde, ihn zu bewahren. Allein es mag nothwendig
werden, den Fuß feit aufzufegen. Und wenn ich meine Pflicht
erfülle und das Rechte thue, fo darf ich wohl auf Ihre Unter-
ftüßung hoffen? Diefer Empfang feitens einer Zegislatur, deren
Majorität in der Politif nicht mit mir übereinftimmt, läßt mich
hoffen, daß diefelbe Hand in Hand mit mir arbeiten wird, um das
Schiff des Staates durch alle Stürme und Gefahren in den
fichern Port zu lenken; denn follte es jebt Schiffbruch leiden, fo
bedürfte es Feines andern Piloten mehr zu einer weitern Reife.‘
In Philadelphia wurde Herr Lincoln mit ungeheurem Enthu-
fiasmus empfangen. Sämmtliche Straßen, die er durchzog, wa—
ren mit einer unabfehbaren Menfchenmenge gefüllt. Der Jubel
und das Hurrahrufen der Menge wollten fein Ende nehmen und
allerwärts wurde der erwählte Präfivdent mit Blumen und Krän-
zen überhäuft. Nachdem Mayor Henry ihn offiziell begrüßt hatte,
hielt er folgende Rede:
„Herr Mayor und Mitbürger von Philadelphia: — Ich
erfcheine vor ihnen, nicht um eine lange Anrede zu halten,
fondern um Ihnen für diefen großartigen Empfang zu danken,
Diefer Empfang gilt nicht mir, dem Individuum, fondern dem
Manne, welcher zeitweilig die Majeftät der Nation repräfentirt,
oder mindefteng repräfentiren follte. Es ift wahr, wie Ihr wür—
diger Mayor fagte, daß gegenwärtig eine große Beforgniß die
Bürger der Bereinigten Staaten erfülle, Ich halte es indeffen
Reife na) Waſhington. 89
für einen glüdlichen Umftand, daß jener unzufriedene Theil unfe=
ver. Mitbürger nicht im Stande ift, einen einzigen Punkt aufzu=
weifen, in welchem er beeinträchtigt wurde oder im Begriffe fteht,
beeinträchtigt zu werden; und aus diefem Grunde hielt ich mich
ftets zu dem Schluffe gerechtfertigt, daß die Krifis und der panifche
Schreden, der gegenwärtig das Land erfüllt, durchaus Fünfilich
find. Wenn es Leute giebt, die in diefem Punkte nicht mit mir
übereinftimmen, fo haben fie bis jegt noch nicht gezeigt, worin die
Schwierigkeit befteht. Ich will damit nicht fagen, daß ein Fünft-
licher Panic Fein. Unheil anzurichten vermöge; ich leugne nicht,
daß derſelbe ſchon Unheil geftiftet hat. Die Hoffnung, die hr
Mayor ausfprach, daß ich im Stande fein werde, Friede, Eintracht
und Wohlfahrt in dem Lande zu erhalten, ift feiner vollfommen
würdig, und höchſt glüdlich werde ich mich fchägen, wenn es mir
gelingt, diefe Hoffnung zu erfüllen. Ich gebe Ihnen die aufrich-
tige Verſicherung, daß ich ein redliches und williges Herz zur Ar«
beit bringe. Ob die Fähigkeit des Kopfes dem Willen des Her—⸗
zens entfpricht, darüber foll die Zukunft richten. Es wäre nußlos,
jest über Details und Pläne zu fprechen. Nächten Montag über
acht Tage kowmmt die Zeit für mich, offiziell zu reden, wenn die
Zeit überhaupt fommt. Sollte ih dann nicht reden, fo wäre e3
nutzlos für mich, es jegt zu thun. Rede ich dann, fo ift es nutz⸗—
los, es jebt zu thun. Wenn ich fpreche, werde ich folchen Grund
faffen, wie mir am geeignetften erfcheint, um dem Lande Frieden,
Eintracht und Wohlfahrt zu erhalten und den Fortbeftand der
Nation und der Freiheit diefer Staaten zu fihern. Ihr würdiger
Mayor wünfchte, daß ich lange genug in Ihrer Stadt verweilen
könnte, um die Wünfche Ihrer Kaufleute und Fabrikanten zu hö—
ren, oder gleihfam dem Gemurmel zu laufchen, das fich innerhalb
jener geheiligten Mauern erhebt, hinter welchen die Eonftitution
der Vereinigten Staaten und ebenfalls die Unabhängigfeits-Er-
Härung entworfen und adoptirt wurden. Ich verfichere Ihnen
und Ihrem Mayor, daß ich während meines ganzen Lebens Nichts
zu thun hoffe, was nicht mit den Lehren jener geheiligten Räume
vereinbar iſt. All mein politifches Kämpfen und Ringen war zu
Gunſten der Lehren, die son jenen geheiligten Mauern kamen,
90 Das Leben Abraham Zincolns.
Möge meine rechte Hand erfahmen und meine Zunge an dem
Gaumen feſtkleben, wenn ich jenen Lehren je ungetreu werde, Und
nun, Mitbürger, erlaubt mir, Euch gute Nacht zu wünfchen.“
Am nächften Morgen befuchte Herr Lincoln die alte „Unab—
hängigkeits-Halle,“ um beim Aufziehen der National-Flagge be-
bilflich zu fein. Hier wurde er mit großem Jubel empfangen und
hielt darauf die folgende Anrede:
„Tiefe Rührung erfüllt mein Herz, dieweil ich hier ftehe an die⸗
fem Drte, wo alle Weisheit, aller Patriotismus und alle Hinge-
bung für ein Prinzip verfammelt waren, dem die Inftitutionen
entjprangen, unter welchen wir leben. Sie haben gütig ange-
deutet, dag meinen Händen die Aufgabe anvertraut fei, unferm
bedrohten und umdüfterten Lande den Frieden wiederzugeben,
Hierauf kann icy nur erwiedern, daß ich alle meine politifchen
Gefinnungen, fo weit es mir möglich war, aus den Gefinnungen
fchöpfke, die in diefer Halle ihren Urfprung hatten und von hier
aus in die Welt hinausdrangen. ch hegte nie eine politifche
Ueberzeugung, die nicht mit den in der Unabhängigfeits-Erflärung
ausgefprochenen Grundſätzen übereinftimmte. Dftmals habe ich
über die Gefahren nachgedacht, denen die Männer ausgefebt wa—
ren, welche hier verfammelt waren und die Unabhängigfetts-Er-
klärung entwarfen und adoptirten. Oftmals dachte ich an die
Strapagen, welche die Offiziere und Soldaten der Armee zu er—
dulden hatten, die dem Lande jene Unabhängigkeit erfämpften.
Dftmals legte ich mir ſelbſt die Frage vor, welches große Prinzip,
welche Idee es wäre, wodurch dieſe Conföderation fo lange zuſam—
mengehalten wurde. Es war nicht die bloße Trennung der Co—
Ionien son dem Mutterlande, fondern vielmehr die Gefinnung
ver Unabhängigfeits-Erflärung, was nicht allein dem Volke diefes
Landes, fondern, wie ich hoffe, der ganzen Welt für alle Zufunft
Freiheit gab. Es war eine Berheifung, daß feiner Zeit die Laft
von den Schultern aller Menfchen genommen werden ſolle. Dies
ift ein der Unabhängigfeits-Erflärung einverleibtes Prinzip. Nun,
meine Sreunde, fann das Land auf dieſe Bafis hin gerettet wer=
den? Wenn fo, dann werde ih mich für den glüdligten Men-
Reife nady Wafbington. 91
Shen halten, wenn ich zu der Rettung beitragen fann. Kann es
nicht auf diefes Prinzip hin gerettet werden, dann ift die Lage in
der That entfeglih. Wenn aber diefes Land nicht gerettet wer»
den kann, ohne jenes Prinzip aufzugeben, dann — ih war im
Begriffe zu jagen — dann wollte ich lieber auf diefer Stelle er-
mordet werden, als daß ich es aufgäbe, Nach der gegenwärtigen
Lage der Dinge zu urtheilen, bedarf es Feines Blutvergießeng,
eines Krieges. Es ift feine Urfache dazu vorhanden. Ich bin
nicht zu Gunſten eines folchen Verfahrens und kann daher im
Voraus fagen, daß es zu feinem Blutvergießen fommen wird, es
fei denn, daß man die Regierung dazu nöthigt; in diefem Falle
würde fie aus Selbitvertheidigung handeln.
„Meine Freunde, dies ift eine unvorbereitete Rede; ich glaubte
nicht ein Wort fprechen zu müffen, als ich hierher fam. Sch
glaubte, ich follte bloß beim Aufziehen einer Flagge behilflich fein.
Sch mag daher etwas unvorfichtig ‘geredet haben. Sch habe in-
deffen Nichts gefagt, was ich nicht mit meinem Leben bethätigen
und — wenn es der Wille des Allmächtigen ift — mit meinem
Tode befiegeln will,“
Die Partie begab fih nun nach einer Plattform, die in der Fronte
des Stadthaufes errichtet worden war, wo der Präfident eingeladen
wurde, die Flagge aufzuhiſſen. Herr xıncoın antwortete in einer
furzen Rede, daß er mit Freuden diefem Ruf gehorche, und fpielte
dann auf die urfprüngliche Flagge mit den dreizehn Sternen an.
Die Anzahl, fagte er, habe fich ım Laufe der Zeit vermehrt und
wir feien ein glüdliches und mächtiges Volk geworden. ever
neue Stern habe zur Wohlfahrt des Ganzen beigetragen. „Die
Zukunft,“ fagte er, „ift in den Händen des Volkes. Bei einer
folhen Gelegenheit, wie der heutigen, Ffünnen wir gemeinfam
überlegen und unfere Hingebung für das Land und die Prinzipien
der Unabhängigkeits-Erflärung auf's Neue bethätigen. Sei es
daher unfer Entſchluß, daß, fo oft wir unferm Banner einen neuen
Stern hinzufügen, es ein Sirftern fein jolle, der nie von den
Greueln des Krieges getrübt, fondern durch die Segnungen des '
A ak Zug zn Tag glänzender werde. Sahren wir fort,
92 Das Leben Abraham Lincolns.
das Nevier unferer Nüplichkeit auszudehnen; laßt und Stern um
Stern hinzufügen, bis ihr Licht auf fünfhundert Millionen freier
und glüdlicher Menſchen fcheint.“
Der Präfivent hißte dann die Flagge bis zum Gipfel des
Slaggenftabes empor, Um halb zehn Uhr reifte er nad) Harris—
burg weiter. Dort angelangt, befuchte er beide Häufer der Legis—
latur und erwiederte auf eine Willkommens-Adreſſe Folgendes:
„sch erfcheine vor Ihnen, meine Herren, um einige wenige Ber
merfungen über das zu machen, was ich eben gehört habe. Ich
danke Ihnen aufrichtig für diefen Empfang und für die edelmü-
thigen Worte, mit denen Sie mir Ihre Unterftüsung zugefagt
haben. ch danfe Ihrem großen Staate für die überwältigende
Majorität, die er bei der Testen Wahl — nicht mir perſönlich,
fondern der Sache, gab, die ich für eine gerechte halte, -Es wurde
eine Anjpielung auf die Thatjache gemacht — auf die intereffante
Ihatfache, darf ich fagen — daß mein erfter Beſuch in der Haupt-
ftadt des großen Staates Penniylvanien gerade auf den Geburts—
tag des Vaters des Vaterlandes fallt. Ich habe diefen Morgen
bereits in Philadelphia einer Außerft intereffanten Ceremonie bei=
gewohnt. Zum erften Male war es mir vergönnt, in der alten
Unabhängigfeit3-Halle zu ftehen, dort einigen an mich gerichteten
Worte zu laufchen und darauf zu antworten, wobei ich nur be—
dauerte, daß ich Feine Zeit gehabt, meinen Gefühlen einen einiger-
maßen paffenden Ausprud zu verleihen, der mit meinen Gefin-
nungen harmonirte., Außerdem hatten unfere dortigen Freunde
eine prächtige Nationalsdlagge in Bereitfchaft. Sie hatten mir
die Ehre zugedacht, diefelbe aufzuziehen. Und als fie empor-
fchmwebte, freute ich mich, daß mein ſchwacher Arm fie zu ihrem
Plabe erhob. Als ich das Seil anzog und fie glorreich im Teiche
ten Winde, von der glühenden Morgenfonne gefüßt, ohne Hinder—
niß aufftieg, da fonnte ich mich der Hoffnung nicht erwehren, daß:
der gänzliche Erfolg diefer fhönen Ceremonie ein Omen fein möge
für das, was da fommen foll. Auch konnte ich mich des oft ſchon
‚ empfundenen Gefühls nicht erwehren, daß ich nur ein geringes
Werkzeug ſei. Ich hatte die Flagge nicht in Bereitfchaft gehalten;
Reiſe nad) Wafbinston. | 93
ich hatte nicht Die Vorkehrungen getroffen, fie an den Ort ihrer
Beftimmung zu erheben. Während des ganzen Vorganges war
ich in den Händen der Leute, die die Vorkehrungen getroffen hatten.
Ich hatte nur einen Heinen Theil meiner geringen Stärfe ange-
wandt, um die Flagge emporzubeben. Wenn mir nun derfelbe
unverfürzte Beiftand dieſer Nation zu Theil wird, fo glaube ich,
daß die Flagge unferes Landes glorreich aufrecht erhalten werden
kann. Sch wiederhole hier einige Worte, die ich im Hotel hörte.
. Es handelte ſich nämlich um die militärifche Unterftüßung, die der
Staat Pennfylvanien im Falle der Noth der General-Regierung
zufommen laffen würde. Um irgend einem möglichen Irrthum
vorzubeugen, komme ich auf diefe Worte zurüd. Es gewährt mir
fein Vergnügen, an die Möglichkeit zu denken, daß in diefem Lande
die Nothwendigkeit militärifcher Rüftungen kommen fünnte. Wäh—
rend es mich außerordentlich freut, die Manifeftation eurer militä-
rifchen Force auf euren Straßen zu gewahren; während ich mich
außerordentlich über euer Berfprechen freue, diefe Force im Falle
der Noth zu gebrauchen — fo wiederhole ich, um jedem möglichen
Mißverftändniffe vorzubeugen, daß ich aufrichtig Hoffe, wir werden
derfelben nicht benöthigt fein; es möge nie ihre Pflicht werden,
Blut — und befonderd Bruderblut — zu vergießen. Soweit
meine Weisheit reicht, verfpreche ich, daß, wenn je dieſes traurige
Ereignig eintritt, es nicht durch meine Schuld gefchehen foll.
Desgleichen hörte ich einen eurer geehrten Redner auf eine Be-
merkung anfpielen, die ich neulich in Pittsburg machte, und zwar
in Bezug auf das fpezielle Intereffe dDiefes großen Staates Penn-
folvanien. Ich will hier nur fo viel darüber fagen, daß meine
Bemerkungen bei jener Gelegenheit forgfältig überlegt und wohl
erwogen waren, Sch babe feither Feine Beranlaffung gefehen,
diefelben zu modifiziren. Ich laſſe fie daher gerade ftehen, wo fie
find, und füge nur hinzu, daß es mich freut, meine Herren von
Pennfylvanien, daß Sie diefelben befriedigend fanden. Und num,
meine Herren von der General-Affembly des Staates Pennſylva—
nien, erlauben Sie mir nochmals, Ihnen meinen verbindlichiten
Dank für Ihre Güte zu fagen.“
Es waren Arrangements zu feiner Abreife von Harrisburg am
94 Das Leben Abraham Lincolns.
folgenden Morgen getroffen worden; allein die rechtzeitige Ent-
defung einer Verſchwörung, ihn auf feinem Wege durch Balti-
more zu ermorden (man glaubt, daß verfchiedene hervorragende
Bürger von Baltimore in der Verſchwörung waren, obfchon die—
felbe durch andere Hände zur Ausführung gebracht werden follte,)
machte eine Abänderung des Reife-Programmes nöthig, und fo
ging er denn am Abend des 22, Februar mit einem Spezialzug
nach Philadelphia zurüd und begab ſich von dort in einem Schlaf-
wagen des regelmäßigen Mitternachtszuges nach Wafhington, mo
er in früher Morgenftunde am 23. Februar anlangte,
Als ein Beweis, wie wenig man zu jener Zeit Die ganze Ver—
worfenheit einer gewiffen Klaffe son Leuten verftand, diene die
Mittheilung, daß nicht Wenige fih über dieſe Mitternachtsreife
luftig machten — daß fogar eine hervorragende illuftrirte Zeit-
fohrift ein Carrifaturbild über jene Affaire brachte. Jetzt, vier
Jahre fpäter, nachdem ein Eingeborener jener Stadt die Haupt-
rolle in der neulichen Tragödie fpielte, wird es wohl Keinem eins
fallen, jene einfache VBorfichtsmaßregel zu verlachen und zu ver-
fpotten,
Sechſtes Kapitel.
Die neue Adminiſtration.
Reden zu Wafhington — Die Inaugural-Adreffe — Deren Wirkungen —
Das Kabinet — Commilfäre von Montgomery — Auszüge aus A, 9.
Stephen’s Rede — Virginia Commiffäre — Fall von Fort Sumter.
Einige Tage nach der Ankunft des neuen Präfiventen in Wafhing-
ton machten ihm der Mayor und andere Munieipal-Beamte ihre
offizielle Aufwartung, bei welcher Gelegenheit er folgende Rede
bielt:
„Herr Mayor: — Sch danke Ihnen und den Municipal-Be-
hörden diefer Stadt für diefe Bewillkommung. Und da ich hier
zum erſten Male in meinem Leben, feit der gegenwärtigen Geſtal—
Tie neue Adminiſtration. 95
tung der Politif in dieſem Lande, öffentlich in einer Sektion re-
dete, wo das Inſtitut der Sklaverei befteht, fo ergreife- ich dieſe
Gelegenheit, um zu fagen, daß meiner Anfiht nach ein großer
Theil der Mißftimmung, die zwifchen dem Bolfe des Landftriches,
aus welchem ich komme, und dem Volke hier herrfcht, auf gegen-
feitigem Mißverſtändniß beruht, Ich verfichere daher Ihnen,
Herr Mayor und diefen Herren hier, daß ich gegen Sie ftets die—
jelben wohlmwollenden Gefinnungen hegte, wie gegen das Bolf mei=
ner eigenen Sektion, Es lag nie in meiner Abficht, Sie anders
zu behandeln, als ich meine eigenen Nachbarn behandelte, Es ift
nicht meine Abficht, Sie unter den beftehenden Umftänden irgend
einer Wohlthat der Eonftitution zu berauben, die ich meinen eige-
nen Nachbarn nicht vorenthalten würde; und ich hoffe zuverficht-
lich, daß wir einander bald befjer fennen werden, und daß damit
auch unfer gegenfeitiges Vertrauen von Tag zu Tag wachſen wird,
Ich danfe Ihnen für diefen gütigen Empfang.“
Am folgenden Abend, nachdem ihm die republifanifche Aſſocia—
tion eine Serenade gebracht hatte, hielt er folgende Anrede an die
Menge:
„Seine Freunde: — Ich glaube, daß ich dies als ein mir
geltendes Compliment betrachten darf, und bitte Sie, meinen herz-
lihen Danf dafür anzunehmen. ch gelangte nad, diefer Stadt
Waſhington unter Umftänden, unter denen fein anderer Mann je
hierher gelangte. Sch Fam hierher, um eine offizielle Stellung
bei einem Bolfe einzunehmen, das mir faft einftimmig politifch
feintlich war und wohl noch iſt. Es liegt feineswegs in meiner
Abſicht, Diefen Abend eine lange Rede zu halten. Ich wünſche
nur zu fagen, was ich geftern eurem würdigen Mayor und dem
Board der Aldermen fagte, daß meiner Anficht nad ein großer
Theil der Mißſtimmung zwifchen dem Bolfe hier und dem Volke
in meiner Gegend auf einem Mißverftändniß beruhe.
„Ich hoffe, dag, wenn Alles feinen ruhigen Gang geht, wie wir
insgefammt wünfcen, es in meiner Macht liegen möge, diefes
Mißverſtändniß einigermaßen zu befeitigen; daß es mir gelingen
möge, euch und das Volk diefer Sektion zu überzeugen, daß wir
96 Das Leben Abraham Lincolns.
euch in allen Dingen als Unferesgleichen betrachten und euch der-
felben Achtung würdig halten, die wir felbft beanſpruchen; daß
wir keineswegs geneigt find, felbft wenn dies in unferer Macht
läge, euch zu unterdrüden oder euch eurer conftitutionellen Nechte
zu berauben, noch felbft einen Heinlichen Hader wegen diefer Rechte
auffommen zu laffen; daß wir im Gegentheil entjchloffen find,
euch, foweit es in unferer Macht fteht, alle eure conftitutionellen
Rechte zu laſſen — nicht mit Groll und Murren, fondern willig
und mit Freuden. ine ſolche Behandlung wird uns hoffentlich
einander mehr und mehr befreunden. Und nun, meine Freunde,
geftatten Sie mir, nochmals meinen Dank für diefes Compliment
abzuftatten und zugleich den Wunſch auszudrüden, diefe fchöne
Muſik noch ein wenig länger hören zu dürfen.“
Nie in der Gefchichte diefes Landes wurde die Inaugural—
Adreffe irgend eines Präfidenten mit folder Spannung erwartet,
wie die Herrn Lincoln’s. Die meiften feiner Landsleute, felbft in
Staaten, deren Loyalität über allen Verdacht erhaben war, follten
fich ficher getäufcht fehen, welcher Art auch der Inhalt ver Inau—
gural-Adreffe fein mochte. Es herrfchte die allgemeine Annahme,
für die fich jedoch Feine triftigen Gründe anführen ließen, daß
dieſe Adreffe gleich einer Panacee die Wunden der Nation heilen
würde, Eine Klaſſe indeffen, die den Mann nicht Fannte, hoffte
faſt gegen alle Hoffnung, daß den Rebellen ſolche Eoncefjionen
gemacht werden würden, daß dadurd alle Schwierigfeiten ver-
ſchwinden müßten, und daß die alte gute Zeit im Begriffe ftände,
wiederzufehren. Andere wollten ſich nur mit der pofitivften, un—
zweideutigften Verdammung der Rebellen zufrieden geben und
verlangten im Voraus alle Details der Behandlung zu wiffen, die
denfelben zugedadht wäre. Noch Andere waren neugierig zu er—
fahren, was überhaupt gefagt werden könne. Hier und dort hörte
man auch ein leifes Munkeln von einer gewaltfamen Verhindes
rung der Fnauguration, ja felbft von Mordanfchlägen und ders
gleichen.
Es wurden jedoch alle möglichen Borfichtsmaßregeln getroffen, der—
artige Pläne zu vereiteln, und fo erfchien denn Herr Lincoln am 4,
März 1861 an der Oftfronte des Capitols, wo ihm zur feftgefegten
Die neue Adminiſtration. 97
— ——
Stunde Oberrichter Taney den Amtseid abnahm. Dann verlas
er mit klarer, feſter Stimme, im Beiſein von Zehntauſenden ſeiner
Mitbürger, die Inaugural-Adreſſe:
„Mitbürger der Vereinigten Staaten: — Einem Gebrauche
gemäß, der ſo alt iſt, wie die Regierung ſelbſt, erſcheine ich
hier, um euch anzureden und in eurer Anweſenheit den Eid
abzulegen, den die Conſtitution der Vereinigten Staaten dem
Präſidenten vorſchreibt, ehe er zur Verwaltung ſeines Amtes
ſchreitet.
„Ich erachte es gegenwärtig für unnöthig, jene Angelegenheiten
der Adminiſtration zu berühren, die kein ſpezielles Intereſſe dar—
bieten. Das Volk der ſüdlichen Staaten ſcheint ſich Befürchtun—
gen zu überlaſſen, daß durch den Eintritt einer republikaniſchen
Adminiſtration ihr Eigenthum, ihr Friede und ihre perſönliche
Sicherheit gefährdet würde. Niemals jedoch war eine vernünftige
Urſache zu einer ſolchen Befürchtung vorhanden. Der vollſtän—
digſte Beweis des Gegentheils lag ihnen ſtets vor Augen. Er fin—
det ſich in beinahe allen veröffentlichten Reden Deſſen, der euch
jetzt anredet. Ich citire nur eine Stelle aus einer dieſer Reden,
indem ich erkläre, „daß ich weder direkt noch indirekt die Abſicht
hege, mich in das Inſtitut der Sklaverei zu miſchen in den Staa—
ten, wo dieſelbe beſteht.“ Ich glaube, daß mir kein geſetzliches
Recht zuſteht, dies zu thun, und ebenſo wenig habe ich die Nei—
gung, dies zu thun. Diejenigen, welche mich nominirten und er—
wählten, thaten dies mit dem vollen Bewußtſein, daß ich dieſe und
viele Ahnliche Erklärungen abgegeben und dieſelben nie widerru—
fen hatte. Mehr noch als dies, fie nahmen in ihrer Plattform
zu meiner Genehmigung und als Gefes für fich felbft und für mich
folgenden Haren und emphatifchen Befchluß auf, den ich hier vor=
leſen will:
„Befhloffen, daß die unverleglihe Wahrung der Rechte
der Staaten, insbeſondere des Rechtes jedes einzelnen Staates,
feine eigenen häuslichen Snftitutionen ausschließlich nad, eigenem
Ermeffen und Gutdünken zu reguliren und. controlliren, uner—
Täglich ift für jene Machtbefugniß, worauf die Perfection und
— unſeres politiſchen Baues beruht; und wir de—
98 Das Leben Abraham Lincolns.
nunziven die gefeglofe, bewaffnete Invaſion irgend eines Staates
oder Territoriums, gleichviel unter welchem Borwande, als eines
- der jchwerften Verbrechen.‘
„Ich wiederhole nun diefe Grundſätze, und indem ich Dies thue,
liefere ich der öffentlihen Meinung den fchlagenpften Beweis, den
der Fall zuläßt, daß das Eigenthum, der Friede und die Sicher-
heit feiner Seftion im mindeften durch die neue Apminiftration
gefährdet werden.
„Und überdies füge ich hinzu, daß jeder Schub, der in Heber-
einftimmung mit der Conftitution und den Geſetzen gegeben wer—
ven kann, bereitwillig allen Staaten auf gefegliches Anfuchen
gegeben werden foll, fei die Urfache, welche fie wolle; und zwar
foll diefer Schuß allen Sektionen mit derfelben Bereitwilligfeit
zu Theil werden.
„Es herrſcht eine bedeutende Controverfe Hinfichtlich der Aus—
lieferung flüchtiger Arbeiter oder Dienftfchuldenden, Die Klaufel,
die ich jet verlefen werde, ift fo klar und deutlich in der Eonfti»
tution niedergefchrieben, als irgend eine andere ihrer Beftim-
mungen: |
„seine Perfon, die in irgend einem Staate unter den Geſetzen
defjelben in Dienft oder Arbeit gehalten wird und in einen andern
Staat entflieht, fol in Folge irgend eines Gefeges oder einer
Regulation dafelbft folhen Dienftes oder folcher Arbeit entbunden
fein, fondern fol auf, Verlangen der Perfon, der folder Dienft
oder folche Arbeit fchuldig ift, zurüdgeliefert werden.’
„Ss ift kaum zu bezweifeln, daß dieſe Beftimmung son den
jenigen, welche dieſelbe trafen, in Bezug auf folche Perfonen
getroffen wurde, die wir flüchtige Sklaven nennen, und die Ab-
ficht des Geſetzgebers ift das Geſetz.
„Ale Mitglieder des Congreffes ſchwören, die ganze Conſtitu—
tien zu unterftügen — folglich diefe Beftimmung fo gut wie irgend
eine andere, In Beziehung auf den Sag, daß Sklaven, deren
Fall in den Bereich der Worte dieſer Klaufel: „füllen zurüdge-
liefert werden,” kommt, ift ihr Eid daher einftimmig. Wenn fle
nun mit gutem Willen den Verſuch machen wollten, könnten fie
nicht mit faft gleicher Einftimmigfeit ein Geſetz entwerfen und
Die neue Adminiſtration. 99
paſſiren, durch welches jener einftimmige Eid zur feften Beachtung.
und Wahrung käme?
Es herrſcht einige Meinungsverfchiedenheit darüber, ob diefe -
Klaufel dur die National-Autorität oder durch die Staats»
Autorität zur Ausführung gebracht werden folle. Sicherlich ift
diefe Frage von feinem materiellen Belang. Wenn der Sklave
ausgeliefert werden fol, fann es weder ihm noch Andern von
großer Wichtigkeit fein, auf welche Autorität hin dies gefchieht;
und follte irgend Jemand in irgend einem Falle feinen Eid un
bewahrt Iaffen wollen auf Die unerhebliche Controverſe bin, wie
berfelbe zu halten ji? t
„Doc weiter, Sollten nicht in irgend einem Gefe über die—
fen Gegenſtand alle Garantien der Freiheit, die fich in der civili—
firten und Inmanen Jurisprudenz vorfinden, in's Spiel gebracht
werden, damit nicht in irgend einem Fall ein freier Mann als
Sklave ausgeliefert werde? Und wäre e8 nicht zu gleicher Zeit
gut, durch ein Geſetz jene Klaufel in der Eonftitution zur praf-
tischen Ausführung zu bringen, welche garantirt, daß die „Bürger
eines jeden Staates zu allen Privilegien und Rechten der Bürger
in den einzelnen Staaten berechtigt fein ſollen?“
„Sch leifte heute den offiziellen Eid ohne geheimen Vorbehalt
und ohne die Abficht, die Conftitution oder die Geſetze durch irgend
welche byperfritifche Regeln zu deuten; und während ich es für
jest unterlaffe, befondere Congreßakte zur praftifchen Geltend-
machung zu fpezifiziren, erkläre ich, daß es viel ficherer für Alle
ift, fet es in offizieller Stellung oder im Privatleben, fih allen
jenen Alten, die nicht widerrufen find, unbedingt zu fügen, als
irgehd eine derfelben zu verlegen, in der Hoffnung, ungeftraft
dafür zu bleiben, dieweil fie diefelben für unconftitutionell hielten.
„Zwei und fiebenzig Jahre find nun feit der erſten Inaugura—
tion eines Präfidenten unter unferer National-Eonftitution ver-
floffen. Während diefer Periode haben fünfzehn verfchiedene und
fehr ausgezeichnete Bürger nach einander den Exekutivzweig der
Regierung verwaltet. Sie haben ihrem Amte durch viele Ge—
fahren und meijteng mit großem Erfolge vorgeftanden. Dennod,
mit all? diefen reichlichen Präcedenzfüllen, unterziche ich mich num
100 Das Leben Abraham Lincolns.
.für den furzen conftitutionellen Termin von vier Jahren derfelben
Aufgabe unter großen und eigenthümlichen Schwierigkeiten.
„Fine Zergliederung der füderalen Union, bisher nur ange—
droht, wird jegt mit erftaunlicher Kühnheit verfucht. Sch halte
dafür, daß in Anbetracht des Univerfalgefeges und der Conftitu=
tion die Union diefer Staaten eine fortdauernde if, In dem
Grundgefege aller National-Regierungen ift die Fortdauer ange-
deutet, wenn nicht deutlich ausgedrüdt. Es läßt ſich mit Sicher-
heit behaupten, daß feine Regierung jemals in ihrem organifchen
Geſetze eine Beftimmung für ihr eigenes Aufhören traf, Fahret
fort, alle auedrücklichen Beſtimmungen unferer National-Confti-
tution auszuüben, und die Union wird für ewig beftehen, da es
unmöglich ift, diefelbe zu zerftören, ausgenommen durch eine
Handlung, die nicht in dem Inftrumente felbft vorgefehen ift.
„Diederum, wenn die Vereinigten Staaten nicht eine wirk-
liche Regierung find, fondern nur eine Affveiation von Staaten
nad Art eines bloßen Contraftes, fönnen fie dann, als ein Con—
traft, friedlich aufgelöft werden, ohne die Einwilligung ſämmt—
licher Partien, die denfelben fchloffen? Eine Partie bei einem
Contrakte kann denfelben verlegen — denfelben brechen, um mich
diefes Ausdrucks zu bedienen; bedarf es indeſſen nicht füämmt-
licher Partien, um ihn gefeglich aufzuheben? Bon diefen allge-
meinen Grundſätzen ausgehend, gelangen wir zu dem Schluffe,
daß in gefeglicher Hinficht die Union fortdauernd ift, wie Dies die
Gefchichte der Union ſelbſt beftätigt.
„Die Union ift viel Alter als die Conftitution. Es ift That-
fache, daß fie durch die Artikel der Aſſociation von 1774 gegründet
wurde. Durch die Unabhängigfeits-Erklärung im Jahre 1976
wurde fie gereift und fortgefeßt. Durd die Artifel der Conföde—
ration im Jahre 1778 wurde fie weiter gereift und die Treue
fämmtlicher damaligen dreizehn Staaten ward ausdrücklich für
ihre Fortdauer verpfändet, und endlich war im Jahre 1737 die
Bildung einer vollkommneren Union einer der erflärten Zwede für
den Entwurf und die Gründung der Union. Wenn aber die
Zerftörung der Union dur einen Staat oder etliche Sfaaten
auf gefegliche Weife möglich it, dann ift die Union mangelhafter
\
Die neue Adminiſtration. 101
als zuvor, da die Konftitution das Lebenselement der Fortdauer
verloren hat, |
„Es folgt fomit aus diefen Betrachtungen, daß Fein Staat auf
feine eigene bloße Willkür hin gefeglich aus der Union fcheiden
kann; daß Befchlüffe und Ordinanzen, die dahin zielen, geſetzlich
null und nichtig find; und daß Gewaltthaten innerhalb eines
Staates oder einzelner Staaten gegen die Autorität ver Bereinig-
ten Staaten je nah Umſtänden infurreetionär oder revolutio-
när find.
„Sch halte deshalb dafür, daß angefichts der Conftitution und
der Geſetze, die Union unzertheilt ift, und werde nach beften Kräf-
ten, wie mir die Conftitution ausdrüdlich vorfchreibt, dafür for-
gen, daß die Geſetze der Union in füämmtlichen Staaten getreulicy
ausgeführt werden. Ich halte dies für eine einfache Pflicht mei-
nerfeits und werde fie deshalb möglichft vollftändig ausüben, wo—
fern nicht meine rechtmäßigen Gebieter, das amerifanifche Volf,
mir in irgend einer autoritativen Weife das Gegentheil anbe-
fehlen. | |
„Sch hoffe, man wird mir dies nicht als Drohung auslegen,
fondern es als die erklärte Abficht der Union betrachten, daß fie
fih auf conftitutionelle Weife vertheidigen und erhalten werde.
„Um dies zu erzielen, bedarf es Feines Blutvergießeng, Feiner
Gewaltthat; und nichts ‚dergleichen wird ftattfinden, wenn es
nicht der National-Autorität aufgezwungen wird,
Ich werde die mir anvertraute Gewalt gebrauchen, um das
Eigenthum und die Orte, die der Regierung ge-
bögen, zu halten, zu befegen und im Befig zu
halten, wie auch, um die Zölle zu collectiren ; weiter aber, ala
für diefe Zwede nothwendig ift, wird feine Invaſion ftattfinden,
‚feine Gewalt gegen das Volk irgendwo angewendet werden,
„Wo die Feindfeligfeit gegen die Vereinigten Staaten fo groß
und fo allgemein fein wird, daß competente dort wohnende Bürger
es für unmöglich finden, Bundesämter zu verwalten, wird fein
Verſuch gemacht werden, dem ſich weigernten Bolfe mißliebige
Sremdlinge aufzudrängen, Wäbhrend der Regierung das ftrenge
legale Recht zuftehen mag, die Ausübung jener Aemter zu erzwins
102 Das Leben Abraham Lincolns.
gen, würde ein Verſuch, dies zu thun, fo aufreizend wirken und da—
bei faft fo unausführbar fein, daß ich es für das Beſte halte, Die
Berwaltung ſolcher Aemter zeitweilig einzuftellen.
„Die Poftämter werden in allen Theilen der Union auch ferner-
bin verwaltet werben, fo lange dies thunlich ift.
„So weit als möglich fol das Volk überall jenes Gefühl voll—
tommmen®& Sicherheit haben, welches am geeignetiten ift, dem
ruhigen Denfen und der Ueberlegung Vorſchub zu leiſten.
„Der bier angezeigte Weg wird befolgt werben, bis die Erfah-
tung oder der Lauf der Greigniffe eine Modification oder einen
Wechfel für geeignet erfcheinen laffenz in jedem Fall und für jedes
Vorkommniß werde ich mit befter Einficht und Befonnenheit han-
deln, flets in der Hoffnung auf eine friedliche Beilegung der natio—
nalen Wirren und die Wiederherftellung brüderlicher Sympathien
und Geſinnungen.
„Daß es in der einen oder in der andern Sektion Perfonen
giebt, welche die Union auf alle Fälle zu zerftören fuchen und be=
gierig nach jedem Vorwand hierzu hafchen, will ich weder behaup-
ten noch leugnen, Wenn es folche Perfonen giebt, fo halte ich es
für unnöthig, auch nur ein Wort an fie zu richten.
„Darf ich aber nicht zu Denjenigen reden, welche die Union
wirklich lieben, ehe ich weiter auf ein fo ernftes Thema eingehe mie
die Zerftörung unferes nationalen Baues mit al’ feinen Wohl-
‚thaten, feinen Erinnerungen und Hoffnungen, Wäre e3 nicht
wohl, erft die Urfache ins Auge zu faffen? Wollt ihr einen fo ver-
zweifelten Schritt wagen, wenn die Hebel, denen ihr zu entfliehen
fucht, feine wirkliche Eriftenz haben? Wollt ihr ihn wagen,
die gewiffen Uebel, denen ihr entgegen geht, größer find als alle die
vermeintlichen, denen ihr zu entfliehen fucht? Schaudert ihr nicht
vor dem Begehen eines fo fehredlichen Irrthums zurüd? Alle
geben vor, mit der Union zufrieden zu fein, wenn alle conftitutio-
nelien Rechte garantirt werden. Iſt es denn wahr, daß irgend ein
ausdrücklich in der Conftitution bezeichnetes Necht mißachtet wurde ?
Ich glaube es nicht. Glücklicherweiſe ift der menfchliche Geift fo
organifirt, daß fich feine Partei erbreiften würde, dies zu thun.
„Nennt ung, wenn ihr könnt, einen einzigen al, in welchem
Die neue Adminiſtration. 103
eine ausdrüdliche Beftimmung der Conftitution verweigert wurde.
Wenn eine Majorität durch ein bloßes Uebergewicht an Zahl eine
Minorität irgend eines conftitutionellen Rechtes berauben würde,
fo möchte dies, von einem moralifchen Gefichtspunfte aus betrachtet,
eine Resolution rechtfertigen; unftreitig wäre dies der Fall, wenn
ein folches Recht ein Lebensprinzip enthielte, Dies aber ift hier
nicht der Fall. .
„Alle wefentlichen Rechte der Minoritäten und Individuen find
in der Conftitution fo deutlich durch Bejahungen und Berneinun-
gen, Sarantien und Verbote bezeichnet, daß nie eine Controverfe
darüber entitehen fann. Unmöglich aber ift das Aufitellen eines
organifchen Geſetzes mit einem Provifo, das auf jedwede Frage, die
in der praftifchen Ausübung vorkommen mag, fpezifijch anwendbar
wäre. Keine menſchliche Vorſicht, fein Dofument, fei es auch noch
fo ausführlich, kann Beftimmungen für alle möglichen Fragen
treffen, Sollen flüchtige Dienftfchuldende durch die Nationalbe-
hörden oder durch die Staatsbehörden ausgeliefert werden? Die
Eonftitution giebt Feine ausdrüdliche Erklärung hierüber, Muß
‘der Congreß die Sklaverei in den Territorien befhüsen? Die
Eonftitution giebt feine ausprüdliche Erklärung hierüber. Aus
ragen diefer Art entfpringen alle unfere Controyerfen, und mir
zerfallen darüber in Majoritäten und Minoritäten.
„Wenn die Minprität nicht nachgeben will, fü muß die Majori-
tät es thun, oder die Regierung hört auf. Es giebt Feine andere
Alternative für den Fortbeftand der Regierung, als das Nachgeben
der einen oder der andern Seite, Wenn die Minorität in einem
folchen Falle eher fecediren als nachgeben will, fo ftellt fie einen
Průcedenzfall auf, der ſie dereinſt ruiniren und zerſpalten wird, denn
eine Minorität in ihr ſelbſt wird von ihr ſecediren, ſobald eine Ma—
jorität ſich weigern wird, ſich von einer ſolchen Minorität controlli—
ren zu laſſen. Warum ſollte zum Beiſpiel nicht irgend ein Theil
einer neuen Conföderation in einem oder zwei Jahren wiederum
willfürlich fecediren, gerade wie Theile der gegenwärtigen Union
jest von derjelben fecediven wollen? Alle Diejenigen, welche Dis—
unionsgelinnungen hegen, bereiten fich jett zu folchem Verfahren
vor. Herrfiht eine ſolche Identität der Intereffen bei ten Staaten,
104 Das Leben Abrabam Lincolne.
die eine neue Union gründen wollen, daß daraus nur Harmonie
entipringen fann und eine erneuerte Secrflion von vornherein aus»
geihloffen würde? Wahrlich, die Gentralivee der Secefjion ijt die
Eſſenz der Anarchie.
„Eine Majorität, die durch die Conftitution in den Schranken
gehalten wird und fich ftets mit dem MWechfel in der öffentlichen
Meinung und Gefinnung verändert, ift der einzige wahre Sou-
verain eines freien Volkes, Wer fich ihr widerfegt, flieht nothwen-
digerweiſe in die Arme der Anarchie oder des Defpotismus. Ein—
müthigfeit ift unmöglich; die Herrfchaft einer Majorität ift, als
permanentes Arrangement, ganz und gar unftatthaft. Wenn wir
daher das Majoritäts-Prinzip verwerfen, fo ift Anarchie oder
Defpotismus in irgend einer Geftalt Alles, was uns übrig bleibt.
„Es ift wahr, Einige behaupten, daß conftitutionelle Fragen
durd das Dberbundesgericht zu entfcheiden ſeien; auch leugne ich
nicht, daß folche Entfcheidungen für die betreffenden Parteien in
einer Rechtsklage in Bezug auf den Gegenftand dieſer Klage bin-
dend find; daß fie ferner in allen Parallelfüllen zu einer fehr hohen
Achtung und Erwägung feitens aller übrigen Departements der Re—
. gierung berechtigt find; und während dies feineswegs die Möglich-
feit ausfchließt, vaß eine folche Entfcheidung in einem gegebenen
Fall irrtümlich fein kann, ift die Daraus entfpringende üble Wir-
fung, da fie fih auf diefen befondern Fall befhränft, mit der Mög-
lichkeit, daß die Entfcheidung zurüdgenommen werde und damit
aufhöre, ein Präcedenzfall zu fein, leichter zu ertragen, als die
übeln Folgen einer verfchiedenen Praris fein würden.
„Hier nun aber muß jeder aufrichtige Bürger zugeben, daß, wenn
die Politik der Regierung binfichtlich der Lebensfrage, die ein gäh-
zes Volk betrifft, unmwiderruflih an die Entjcheitungen des Ober-
bundesgerichts gebunden fein folle, das Volk von dem Augenblid
der Entfcheidung an, wie bei einer gewöhnlichen Litigation zwifchen
Parteien in Perfonalflagen, aufhört, fein eigener Herr zu fein, es
fei denn, daß es feine Regierung bis zu diefem Grade praftifch in
die Hände dieſes hohen Gerichtshofes niedergelegt habe.
„Auch ift dies nicht als ein Angriff auf das Gericht oder die Rich
ter zu betrachten. Es ift eine Pflicht, der fie ſich nicht entziehen
Die neue Abminiftration. 105
dürfen, Falle zu entfcheiden, die ihnen vorfchriftsgemäß vorgelegt
werden; und es ift nicht ihre Schuld, wenn Andere ihre Entjchei-
dungen zu politifchen Zweden zu gebrauchen fuchen. Eine Sektion
unferes Landes hält die Sklaverei für recht und befürwortet ihre
Ausbreitung; die andere Sektion hält fie für unrecht und wehrt fich
gegen ihre Ausbreitung. Dies ift der einzige fubftantielle Streit.
Die Klaufel in der Eonftitution in Betreff der flüchtigen Sklaven
und das Gefeb zur Unterdrüdfung des fremden Sklavenhandels
werden vielleicht beide fo vollftändig ausgeführt, als dies bei irgend
einem Geſetze möglich ift in einem Staate, in welchem das mora-
lifche Gefühl des Volkes das Gefeg felbft unvollkommen unterftüßt.
Die große Maffe des Volkes Hält fich in beiden Fällen an die
trodene gefegliche Obligation, während einige Wenige das Geſetz
übertreten. Dem läßt fich nicht fo ganz abhelfen, und das Uebel
würde in beiden Fällen nach der Trennung der Sektionen größer
fein, ala zuvor. Der auswärtige Sklavenhandel, der jebt unvoll-
fommen unterdrüdt ift, würde am Ende in der einen Seftion ohne
Befchränfung wieder aufleben; während die flüchtigen Sklaven, die
jest nur theilweife ausgeliefert werden, gar nicht mehr’von der an—
dern Sektion ausgeliefert werden würden,
„Phyſiſch können wir ung nicht trennen; wir Fünnen unfere be-
treffenden Sektionen nicht von einander entfernen, noch einen un—
überfteiglichen Wall zwifchen denfelben errichten. Ehegatten können
jich fcheiden Faffen und fich von einander entfernen; allein die ver-
fhiedenen Theile unferes Landes können dies nicht tbun. Gie
wüſſen einander gleichfam in's Antlig fohauen, und der Verkehr —
fei es ein freundlicher oder ein feindliher — muß zwifchen ihnen
fortbeftehen. Iſt es daher möglich, diefen Verkehr nach der Tren-
nung vortheilhafter und befriedigender zu machen, als er zuvor war?
Können Ausländer leichter Verträge fchließen, als Freunde Gefebe
machen können? Gefebt, ihr beginnt den Krieg — ihr könnt niche
ewig fümpfen; und wenn ihr nach großem Berlufte beiderfeits und
feinem Gewinne endlich die Waffen niederlegt, fo fommen die iden-
tifhen Fragen binfichtlich der Verfehrsbedingungen wiederum auf’s
Tapet.
„Dieſes Land mit ſeinen Inſtitutionen gehört dem Volke, von
x
106 Tas Leben Abraham Lincolns.
dem ed bewohnt wird. Wenn es der beftehenden Regierung müde
wird, kann es fein conftitutionelles Recht anwenden, diefelbe zu
amendiren, oder aber fein revolutionäres Recht, diefelbe zu zerglies
dern und zu flürzen, Sch bin mir der Thatfache wohlbewußt, daß
viele würdige und patriotifche Bürger die Amendirung der Natigs
nal-Conftitution wünfchen. Ich unterlaffe es, ein Amendment an—
zuempfehlen, erfenne aber bereitwillig die volle Autorität des Volkes
über diefen Gegenftand an, der ſich Durch den einen oder den andern
in dem Inſtrumente felbft vorgefchriebenen Modus ausführen läßt,
und würde unter den obwaltenden Umftänden eine günftige Gele—
genheit für das Volk, die Sache in die Hand zu nehmen, eher *
günftigen, als mich derfelben widerfegen.
„Es fei mir geftattet, hinzuzufügen, daß ich dem Conventions—
Modus den Vorzug geben würde, weil dadurch dem Volke Gelegen-
heit gegeben wird, Die Amendments felbft zu machen, anftatt nur
das Recht zu haben, Propofitionen anzunehmen oder zu verwerfen,
die von Andern, nicht befonders zu diefem Zwede Ernannten, ge—
macht wurden, und die vielleicht der Art wären, daß fie das Volk we—
der annehmen, noch verwerfen möchte, MWie ich höre, hat ein vor-
gefchlagenes Amendment zur Eonftitution (das mir jedoch nicht zu
Gejichte Fam) den Congreß paffict, demzufolge fih die Bundesre-
gierung fünftighin aller Einmiſchung in die häuslichen Jnftitutio-
nen eines Staates — das Inſtitut der in Dienftbarfeit gehaltenen
Perfonen eingerechnet — enthalten folle. Um einer Mißdeutung
des Obengefagten vorzubeugen, gehe ich von meiner Abficht, von
feinem befondern Amendment zu fpredhen, ab und fage, daß ich
Nichts dagegen habe, daß dieſe Beſtimmung, die jetzt ein angedeu—
tetes conftitutionelles Geſetz ift, ausdrücklich und unwiderruflich ge—
macht werde,
„Der Präſident erhält alle feine Autorität von dem Volke, und
dieſes hat ihm Feine Autorität verliehen, die Bedingungen für eine
Trennung der Staaten feftzufegen. Das Bol ſelbſt fann auch
dies thun, wenn es ihm beliebt, allein die Exekutive hat Nichts da-
mit zu Schaffen. Die Pflicht des Präfidenten ift es, Die Regierung
zu verwalten, wie fie in feine Hände fam, und fie unaugetaftet fei-
nem Nachfolger zu überliefern. Warum follte nicht ein geduldiges
Die neue Adminiftration. 107
Bertrauen in die endliche Gerechtigkeit des Volkes vorhanden fein?
Giebt es eine beffere oder auch nur eine Ähnliche Hoffnung in der
Welt? Wenn der allmächtige Lenker der Nationen mit feiner ewigen
Wahrheit und Gerechtigkeit auf Seiten des Nordens oder auf Sei—
ten des Südens ift, fo wird dieſe Wahrheit und Gerechtigkeit ficher-
lich durch das Urtheil diefes großen Tribunals, des amerifanifchen
Bolfes, die Oberhand gewinnen. Durd die Gründung der Regie-
rung, unter welcher wir leben, hat diefes Volk weislich feinen öffent-
lihen Dienern nur wenig Macht gegeben, Unheil zu ftiften, und
hat mit gleicher Weisheit dafür geforgt, daß felbft dies Wenige nach
kurzer Friſt ftets wieder in feine eigenen Hände zurüdfalle. So lange
die Nation Tugend und Wachfamkeit ausübt, kann Feine Admini—
ftration binnen der furzen vier Jahre durch Bosheit oder Thorheit
der Regierung erheblichen Eintrag thun.
„Meine Landsleute, Einer und Alle, denkt mit Ruhe und Befon-
nenheit über diefen Gegenftand nad. Nichts Werthuolles Kann
euch dadurch entgehen, daß ihr euch Zeit Taffet.
„Denn irgend ein Zwed euch antreibt, voreilig einen Schritt zu
thun, den ihr niemals Taltblütig thun würdet, fo feid überzeugt,
daß diefer Zwed durch mäßige Ueberlegung vereitelt werden wird;
fein guter Zwed aber kann dadurch vereitelt werden.
„Ihr, die ihr jest unzufrieden feid, habt noch immer die alte
Conftitution unangetaftet, fowie die Geſetze, die ihr felbit gefchaffen
habt, während die neue Adminiftration feine Macht hat, viefelben
fofort zu ändern, felbft wenn fie dies wollte,
„Selbit angenommen, daß ihr Unzufrievenen in diefem Streite
Recht hättet, fo ift noch nicht ein einziger Grund zum voreiligen
Handeln vorhanden. Intelligenz, Patriotismug, Chriſtenthum,
fowie ein unwanfelhaftes Vertrauen auf Gott, der diefes fein hoch—
begünftigtes Land noch nie verlaffen hat, find noch immer im
Stande, alle unfere gegenwärtigen Wirren auf das Befte zu be-
feitigen.
„In euren Händen, meine unzufriedenen Landsleute, und nicht
in den meinigen, liegt die furchtbare Snitiative zum Bürgerkriege.
Die Regierung wird euch nicht angreifen. .
„Es kann Fein Kampf ftattfinden, ohne dag ihr felbft die Angreifer
108 Das Leben Abraham Lincolns.
feid. Ihr habt dem Himmel feinen Eid gefihworen, Die Regierung
zu zerftören, während ich den feierlichften Eid ſchwur, dieſelbe „zu
erhalten, zu befhügen und zu vertheidigen.“
„Ich fliege ungern, Wir find nicht Feinde, fondern Freunde,
Mir dürfen nicht Feinde fein. Ob auch die Leidenfchaft das Band
unferer Liebe ftraff gezogen hat, fie darf es nicht brechen.
„Die myſtiſchen Saiten der Erinnerung, die fi von jedem
Schlachtfelde und Patriotengrabe zu jedem lebendigen Herzen und
zu jedem häuslichen Herde über diefes ganze weite Land erftreden,
werden aufs Neue in den großen Chor der Union einftimmen,
wenn fie wiederum, was ficher zu erwarten fteht, von den —
Engeln unſerer Natur berührt werden.“
Ein Punkt wenigſtens ward durch dieſe Inauguration feſtge—
ftellt, wie ungewiß manches Andere auch fein mochte: „Wir hatten
endlich eine Regierung. Kein Buchanan faß mehr am Ruder,
Die Ioyalen Männer jeder Scattirung athmeten freier. Zu
gleicher Zeit zielte Alles darauf hin, wo möglich eine ehrenvolle
Verföhnung zu bewerfftelligen. Wenn nad dieſer flaren und
mäßigen Darlegung der Pläne und Abfichten der neuen Admini-
ftration der Schlag fommen mußte, den Alle abzulenken wünfchten,
fo war es wenigftens beruhigend, zu fühlen — wie Jeder, der Herrn
Lincoln an jenem venfwürdigen Tage gehört hatte, gefühlt haben
mußte — daß ein Mann das,Steuer lenkte, der volllommenes Ver—
trauen hatte, daß das organifche Gefeb, weit entfernt, der Auflöfung
der Union Vorfchub zu leiften, hinlängliche Lebenskraft und Stärke
in fih barg, um die Nation gegen Gefahren von Innen ſowohl wie
von Außen zu vertheidigen.
Die Ankündigung des Kabinets, das der Präfivent aus den
fähigften Männern feiner eigenen Partei .zufammengefebt hatte,
deren größere Anzahl zur Nomination als Kandidaten für das hohe
Amt, das er begleitete, würdig befunden worden waren, flößte allen
Freunden des Landes weiteres Vertrauen ein. Die fähige Feder
des Staatöfefretärs wurde fofort in Requifition gefeßt, um durch
die neu ernannten Gefandten im Auslande den europäifchen Mäch-
ten den wahren Stand der Dinge mitzutheilen. So raſch es fich
thun ließ, wurden die Departements von disloyalen Beamten ges
Die neue Adıniniftration. 109
füubert, obſchon Lug und Trug, die einen bedeutenden Stapelartifel
in der Rebellion ausmachten, dieſes Werk — vorwärts
ſchreiten ließen, als Manchem lieb war.
Nachdem die Davis-Dynaſtie zu Montgomery am 9. März
eine Akte zur Gründung einer confüderirten Armee paffirt hatte,
meldeten fich drei Tage fpäter zwei Individuen — das eine von
Alabama, das andere von Georgia — als „Conföderirte Commifs
färe,“ zum Zwed einer Unterhandlung accreditirt. Der Präfident
weigerte fich, diefe „Eommifjäre' anzuerkennen, und verwies fie zur
Auskunft über feine Anfichten und Abfichten auf feine Inaugural-
Adreſſe.
Am 21. März brachte Alexander H. Stephens von Georgia
Vice-Präſident der Montgomery Verräther, der bisher für einen
der mäßigſten, ſowohl wie für einen der fähigſten der Verſchwörer
gegolten hatte, alle Zweifel hinſichtlich ſeiner ſelbſt und ſeiner
Spießgeſellen zum Schweigen.
Er ſagte bei dieſer Gelegenheit:
„Die neue Conſtitution (die zu Montgomery adoptirte) hat alle
die aufregenden Fragen hinſichtlich unſerer einheimiſchen Inſtitu—
tionen — wie z. B. der afrikaniſchen Sklaverei, wie fie bei uns
beteht ; den geeigneten Status des Negers in unferer Civilifationg-
form und dergleihen — für immer erledigt. Dies war die un
mittelbare Urfache des neulihen Bruches und der gegenwärtigen
Revolution. Der weitjehende Jefferfon hatte dieſes Inſtitut als
die Klippe bezeichnet, an welcher die alte Union foheitern würde,
Er hatte Recht. Was bei ihm Muthmaßung war, ift jebt zur
vollendeten Thatjache geworden. Ob er aber die große Wahrheit,
auf welcher diefe Klippe ftand und noch fteht, völlig begriff, if zu \
bezweifeln. Die vorherrſchenden Ideen, die er in Gemeinfchaft
mit den hervorragendften Staatsmännern zur Zeit der Öründung
der Eonititution hegte, waren die, daß die afrifanifche Sklaverei
die Gefebe der Natur verlete, daß fie dem Prinzip nad), wie in
foeialer, moralifcher und politifcher Hinficht ein Unrecht fei. Die
Sklaverei war ein Uebel, das fie nicht zu behandeln verſtanden;
die allgemeine Anficht der Männer jener Zeit aber war, daß dem
110 Das Leben —T Lincolns.
Rath der — gemäß das Inſtitut ephemeriſcher Natur ſei
und allmälig verfhwinden würde. * * * * *
„Unſere neue Regierung iſt auf gänzlich entgegengeſetzte Ideen
begründet. Ihr Fundament iſt gelegt; ihr Eckſtein beruht auf
der großen Wahrheit, daß der Neger dem weißen Manne nicht
ebenbürtig, und daß die Sklaverei, die Subordination unter die
höhere Race, ſein natürlicher und normaler Zuſtand iſt. Dieſe
unſere neue Regierung iſt die erſte in der Geſchichte der Welt, die
auf dieſe große phyſiſche, philoſophiſche und moraliſche Wahrheit
baſirt iſt. * * * Hierauf, wie ich bereits bemerkte, iſt unſer
ſocialer Bau feſt begründet, und ich zweifle keineswegs an dem
endlichen Erfolg einer vollen Anerkennung dieſes Grundſatzes in
der ganzen civiliſirten und aufgeklärten Welt. * * * * Diefer
Stein, der von den erften Baumeiftern verworfen wurde, ift zum
Edjtein unferes neuen Baues geworben.‘ |
Am 13, April empfing der Präfivent eine Committee der Con-
vention des Staates Virginien. Diefe Convention agitirte die
Trage, ob ſich Virginien den bereits in Rebellion befindlichen
Staaten anfchließen, oder ob es in der Union bleiben folle, um
dadurch die Pläne der Nebellen zu fürdern. Der Zmed dieſes
Befuches, fowie das Nefultat defjelben, laffen fi) am beften aus
Herrn Lincoln’s Antwort erfehen:
„Seine Herren: — Als eine Committee der jebt in Sitzung
befindlichen Convention von Birginien legten Sie mir eine Prä-
ambel und einen Beſchluß vor, die in folgende Worte gekleidet find:
„Sintemalen nad der Anficht diefer Convention die Un—
gewißheit in der öffentlichen Meinung über die Politik, welche die
Föderal-Executive gegen die fecevirten Staaten zu verfolgen bes
abjichtigt, den induftriellen und commerziellen Intereſſen des
Landes höchſt nachtheilig ift, eine für die Schlichtung der ſchwe—
benden Wirren ungünftige Aufregung verurfacht und eine Stö-
rung des Öffentlichen Friedens bedroht; deshalb wird”
„Beſchloſſen, daß eine Committee von drei Delegaten er—
nannt werde, um dem Präfiventen der Vereinigten Staaten aufe
zuwarten, ihm diefe Präambel vorzulegen, und ihn achtungsvoll
Die neue Adminiftration. 111
au erfuchen, diefer Convention die Politik anzuzeigen, die die Fö—
deral-Ereeutive gegen die Confüderirten Staaten zu verfolgen
beabſichtigt.“ | |
„Als Erwiederung hierauf wünfche ich zu jagen, daß, nachdem
Ich beim Beginn meines Amtstermins meine beabfichtigte Politik
möglichft deutlich ausgefprochen habe, ich nun zu meinem tiefen
Bedauern und Berdruffe erfahren muß, daß eine grpße und nad»
theilige Ungewißheit darüber herrfche, welcher Art dieſe Politik jet
und welchen Weg ich einzufchlagen gedenke. Da ich big jetzt noch
feinen Grund zu einer Aenderung finden fonnte, fo ijt es meine
Abficht, den in der Jnaugural-Adreffe vorgezeichneten Weg zu
geben. Als den beften Ausprud, den ich meinen Abfichten geben
fann, empfehle ich Ihnen das ganze Dokument zur forgfältigen
Erwägung. Was ich darin fagte, wiederhole ich jebt: „Die mir
anyertraute Gewalt wird angewendet werden, um alles Eigen-
thum und alle der Regierung gehörigen Plätze zu halten, zu be»
fegen und im Befig zu halten, wie auch um die Zölle zu collectiren ;
weiter aber, als für diefen Zwed nothwendig ift, wird feine In—
vaſion ftattfinden, feine Gewalt gegen das Volk angewendet wer-
den.” Unter den Worten „Eigenthum und der Regierung ge—
hörige Pläße” verftehe ich hauptſächlich die militärifchen Poften
und das Eigenthum, das fich im Beſitz der Regierung befand, als
diefelbe in meine Hände gelangte. Wenn nun aber, wie es in
der That zu fein fiheint, in der Abficht, die Autorität der Ver—
einigten Staaten von diefen Pläßen zu vertreiben, gin unprovo⸗
zirter Angriff auf das Fort Sumter gemacht worden iſt, ſo werde
ich es für meine Pflicht halten, daſſelbe, wenn ich kann, wieder zu
erobern, wie auch alle andern Plätze, die ergriffen worden waren,
ehe ich zur Regierung gelangte; jedenfalls aber werde ich nach
beſtem Vermögen Gewalt mit Gewalt vertreiben. Sollte ſich das
Gerücht von dem Angriff auf Fort Sumter als wahr erweiſen, ſo
werde ich vielleicht die Vereinigten Staaten Poſt in ſämmtlichen
angeblich ſecedirten Staaten einſtellen laſſen, überzeugt, daß der
Beginn des thätlichen Krieges gegen die Regierung eine ſolche
Maßregel rechtfertigt und möglicherweiſe erheiſcht. Ich brauche
wohl kaum zu ſagen, daß ich die militäriſchen Forts und das
ı12 Das Leben Abraham Lincolns.
Eigenthum, innerhalb der angeblich fecedirten Staaten gelegen,
noch immer als der Vereinigten Staaten Regierung gehörig be=
trachte, fo gut als, diefelben vor der fogenannten Seceſſion der
Regierung gehörten. Was ich auch fonft zu dem Zmede thun
mag, ich werde nicht verfuchen, die Zölle mittelft bewaffneter In—
vafion in irgend einem Theile des Landes zu erheben — jedoch
will ich nicht, damit fagen, daß ich nicht eine Truppenmacht landen
werde, wenn dies zur Verftärfung eines Forts an den Grenzen
des Landes für nothwendig erachtet wird. Bon der Thatfache,
daß ich eine Stelle aus der Inaugural-Adreffe citirte, darf nicht
geichloffen werden, daß ich irgend einen andern Theil repudiire ;
ich beftätige vielmehr das Ganze, das ausgenommen, was-ich in
Bezug auf die Poftämter fagte — dies mag als eine Mopification
betrachtet werden.”
Fort Sumter fiel am Tag nach dem Empfang diefer Commiffäre,
nachdem jeder in der Macht der Regierung ſtehende Verſuch ge-
macht worden war, um diefer Kataftrophe vorzubeugen. Diefe
hat ließ nmr eine Auslegung zu. An eine friedliche Bei»
legung des Streites war nicht mehr zu denken. Die Rebellen
hatten an das Schwert appellirt. Die Macht und Autorität der
Vereinigten Staaten war verhöhnt und infultirt worden. Kein
Ioyaler Mann durfte jebt zögern. Wenn es indeffen felbft jegt
noch Leute gab, die fich der trügerifchen Hoffnung auf eine Ret—
tung dur Compromiffe überließen, fo ftand Eines feit: Abraham
Lincoln gehörte nicht zu ihrer Zahl.
Siebentes Kapitel.
Rüftungen zum Kriege.
Wirkungen des Falles von Fort Sumter— Aufruf des Präfidenten um Trup-
pen — Thätigkeit in den loyalen Staaten — In den Grenzftaaten — Auf-
ruhr zu Baltimore — Maryland’s Stellung— Brief des Präfidenten an die
Maryland Autoritäten — Slockade-Proclamation — Weitere Proclama-
tion— SBeurtheilungen im Auslande — Bweites Aufgebot von Truppen—
Spezielle Ordre für Florida— Militärifche Bewegungen.
Sumter fiel, aber die Nation erhob fih. Einftimmig beſchloſſen die
freien Staaten, daß die Rebellion unterdrüdt werden müffe. Das
patriotifche Feuer hatte Alle ergriffen. Die geheimen Berräther,
die fih in den loyalen Staaten aufhielten, fanden es für gut, mit
dem Strome zu ſchwimmen. Die Klügeren unter ihnen begriffen
wohl, dag ein folches Verfahren ihnen bedeutende Bortheile ver-
fhaffen mußte, wenn die Reaction eintreten würde, auf die fie
hofften und für die fie im Geheimen arbeiteten. Die große Maſſe
des Bolfes aber glaubte nicht an die Möglichkeit einer Reaction—
Action follte an der Tagesordnung bleiben, bis das begonnene Ge-
ſchäft vollendet wäre,
Am 15. April 1861 erließ der Präfivent feine erfte Proclama-
tion. Sie lautete wie folgt:
„Sintemalen den Gefeben der Vereinigten Staaten jest
und feit einiger Zeit opponirt und die Ausübung derfelben verhin-
dert wird in den Staaten Süd-Carolina, Georgia, Alabama, Flo—
rida, Miffiffippi, Louifiana und Teras, und zwar durch Combina-
tionen, die zu mächtig find, als daß fie durch das gewöhnliche ge-
richtliche Verfahren oder durch, die den Marfchällen durch das Geſetz
verliehene Macht unterdrüdt werden fönnten:— Deshalb halte ich,
Abraham Lincoln, Präfivent der Vereinigten Staaten, kraft
der mir durch die Conftitution und die Gefege verliehenen Gewalt
es für angemeffen, die Miliz der einzelnen Staaten der Union, wie
hiermit gefchieht, bis zur Geſammtzahl von fünf und fiebzig taufend
Mann aufzubieten, um befagte Combinationen zu unterbrüden und
die volle Ausübung der Gefete zu bewerkſtelligen.
8 (113)
114 Das Leben Abraham Lincolns.
‚Die Details für diefen Zwed werden den Staatsbehörden fofort
durch Das Kriegsdepartement mitgetheilt werden, ch erfuche alle
loyalen Bürger, diefem Beftreben, die Ehre, die Integrität und die
Eriftenz unferer National-Union und den Fortbeftand einer volks—
thümlichen Regierung zu wahren, fowie den fchon lange genug. er=
duldeten Unbilden ein Ende zu machen, ihre Unterftügung und Hilfe
angedeihen zu laſſen. Ich halte es für geziemend zu fagen, daß der
erſte den hiermit aufgebotenen Truppen angewieſene Dienſt wahr—
fcheinlich darin beftehen mird, die der Union entriffenen Forts,
Plätze und anderes Eigenthum wieder in Befig zu nehmen; in je-
dem Fall wird, ſoweit es mit dem oben angefündigten Zwed verein«
bar ift, Die größte Sorge getragen werden, um jede Verheerung,
jede Zerftörung, jede Beläftigung von Eigenthum, ſowie jede Stö-
rung friedlicher Bürger in irgend einem Theile des Landes zu ver-
meiden; und ich befehle hiermit allen Perfonen, die obenerwähnte
Sombinationen bilden, fi binnen zwanzig Tagen von diefem Da—
tum an zu zerftreuen und fich friedlich nach ihren refpeftiven Wohn-
orten zurüdzuziehen.
„Da meines Erachtens der gegenwärtige Zuftand der öffentlichen
Angelegenheiten eine außergewöhnliche Beranlaffung giebt, fo ke-
rufe ich, Eraft der mir durch die Eonftitution verliehenen Gewalt,
beide Häuſer des Eongreffes zufammen. Die Senatoren und Re-
prajentanten werden deshalb aufgefordert, ſich am Donnerstag, den
sierten Juli diefes Jahres, um zwölf Uhr Mittags, in ihren tefpef-
tiven Kammern einzufinden, um dann iind dort folche Maßregeln
zu erwägen und zu beſchließen, wie fie in ihrer Weisheit für dus
Öffentliche Intereffe und die öffentliche Sicherheit für zwedmäßig er⸗
achten mögen.
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Unterſchrift beigeſetzt
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen.
„Geſchehen in der Stadt Wafhingten, diefen fünfzehnten Tag im
April, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und einund-
fechzig, und im fünf und achtzigften der Unabhängigkeit der Ver—
einigten Staaten..
„Auf Befehl des Präfiventen: Abraham FKincoln.
„William 9 Seward, Staatsſekretär.“
Küftungen zum Reiege, A
Als Antwort auf dieſe Proclamation wurden in fünmtlichen .
Ioyalen Staaten enthufiaftifche öffentliche Berfammlungen gehalten.
Ale Parteigrenzen fihienen verwifcht zu fein; Die Anwerbungen
wurden mit dem tegften Eifer betrieben ; die Stadt Wafhingten,
die eine Zeit lang in größter Gefahr war, erſchien nun hinlänglich
vertheidigt. Der größte Theil des Volkes hegte feinen Zweifel, daß
mit den unter Waffen gerufenen Truppen die Rebellion im Keim
erſtickt werden würde; die Weiterfehenven aber fchüttelten die Köpfe
und Viele wünfchten, daß eine Million aufgeboten worden wäre. *)
Eine vortreffliche Gelegenheit bot fih nun den Grenz-Sflaven-
ftaaten, um ihre Wahl zu verfündigen—ob fie die Regierung unter-
fügen, oder aber den Nebellen Hilfe und Vorfchub leiften wollten.
Magoffin, ver Gouverneur von Kentucky, ließ fich bald vernehmen:
„Kentuchy,“ fagte er, „liefert feine Truppen zu dem gottlofen Zwede,
die ſüdlichen Schwefterftanten zu unterjochen.” Gouverneur Letcher
von Virginien antwortete: „Die Miliz von Virginien wird den
Machthabern zu Wafhington zu feinem folchen Zwede zur Verfü—
gung geftellt werden.“ Am 17, April paffirte die Legislatur dieſes
Staates in geheimer Sitzung die Secefliong-Drdinanz, und fofort
wurden dafelbft jene Friegerifchen Rüftungen begonnen, deren böfe
Früchte der Staat fo bald und in fo reihem Maße ernten follte.
Die Gouverneure von Tenneffee und Nord-Carolina verweigerten
ebenfalls ihren Beiſtand, und bald gingen diefe Staaten nebft Ar-
kanſas zur „Conföderation” über,
Wie aber wurde diefes Truppenaufgebot von dem Rebellen-Eon-
elave in Montgomery aufgenommen? Diefe Herren lachten dar-
über.
*) Diefen Wunſch hörte man damals Häufig äußern, und felbft jebt, nach Be⸗
endigung des Krieges, beharren Manche noch darauf. Das Alberne eines ſolchen
Wunſches geht fchon daraus hervor, daß die Regierung jo unvorbereitet auf den
Krieg war, daß es einer geraumen Zeit bedurfte, um biefe geringe Force zu bewaff⸗
nen, equipiren und feldtüchtig zu machen, Ueberdies darf man nicht vergeffen, daß
dem Präfidenten nur die Miliz der einzelnen Staaten zu Gebote ftand, und daß ed
der Ermächtigung des Eongteffes bedurfte, um ein Aufgebot für eine größere Streits
macht zu erlaffen, (Anmerkung des Ueberſetzers.)
116 Das Leben Abraham Lincolns.
Das erſte Dlutvergießen in diefem Kriege fand am 19. April in
den Straßen zu Baltimore ftatt. Maffachufetts Truppen, Die zur
Bertheidigung von Wafhington durch jene Stadt pafjirten, wurden
von einem Pöbelhaufen angegriffen, der durch Männer von Reich-
thum und focialer Stellung aufgereizt und ermuntert worden war,
Der Staat Maryland ſchwebte wanfend in der Wagfchale zwifchen
Loyalität und Verrath. Wäre feine geographifche Lage eine andere
gemwefen, fo hätte er fich ohne Weiteres dem Süden angefdloffen.
Der Gouverneur indeffen war fehr geneigt, die Regierung zu unter-
ftügen, obſchon die eigenthümliche Lage, in der er fich befand, Takt
und Umficht erforderte. Es wurde der ernftliche Borfchlag gemacht,
feine weiteren Truppen durch Baltimore zu ſenden.
Den Tag nad diefem Angriff fandte der Präfivent folgenden
Brief als Ermwiederung auf eine Mittheilung von Gouverneur Hide
von Maryland und Mayor Brown von Baltimore ab, welche den
obigen befcheidenen Borfchlag gemacht hatten:
„Bafhington, den 20. April, 1861.
„Gouverneur Hics und Mayor Bromn:
„Meine Herren: — hr Brief wurde mir dur) die Herren
Bond, Dobbin und Brune zugeftellt. Ich fage Ihnen Beiden mei-
nen aufrichtigen Dank für Ihre Bemühungen, in der peinlichen
Lage, in der Sie ſich befinden, den Frieden aufrecht zu erhalten. Für
die Zufunft müffen Truppen hierher gebracht werden; ich beftehe
übrigens nicht darauf, fie durch Baltimore zu bringen.
„Da ich felbft feine militärifchen Kenntniffe befite, fo muß ich
natürlich die Details General Scott überlaffen. Diefer warf die-
fen Morgen im Beifein jener Herren die haftige Bemerkung bin:
„Laßt die Truppen um und nit durch Baltimore marfchiren.“
„sch hoffe, daß der General bei reiflicher Ueberlegung diefen Plan
für praftifch und geeignet finden wird, und daß Sie fich demfelben
nicht widerfegen werden. Dadurch würde eine Collifion der Leute
von Baltimore mit den Truppen vermieden werden, wenn Erftere
nicht mit Gewalt eine folche herbeizuführen fuchen. Ich hoffe, Sie
werden allen Ihren Einfluß geltend machen, um dies zu verhindern.
Mas mic anbetrifft, fo werde ich alle meine Kräfte aufbieten, um
Ruͤſtungen zum Rriege. 117
den Frieden zu erhalten, foweit dies mit der Erhaltung der Regie
rung vereinbar ift,
„Ihr ergebener Diener, '
A. Sincoln.
Einer Delegation Rebellenfreunde aus demfelben Staate, welche
eine Einftellung der Feindfeligfeiten bis nach erfolgter Zufammen-
kunft des Congrefjes verlangte, und ihr Verlangen mit der Erflä-
rung begleitete, daß fünf und fiebzig taufend Maryländer ſich dem
Durchmarfch weiterer Vereinigten Staaten Truppen auf dem Boden
Maryland’s widerfegen würden, entgegnete er gelaffen, er glaube,
der Staat habe Raum genug, jene Anzahl zu begraben; weigerte
fich übrigens entfchieden, auf ihren Vorjchlag einzugehen.
Das Maryland Imbroglio wurde indefjen in kurzer Zeit ge-
fohlicätet und hinreichende Vorkehrungen getroffen, ferneren derar-
tigen Störnngen dafelbft vorzubeugen.
Am 19, April wurde jeder Hafen der rebelliiyen Staaten durch
folgende Proclamation in Blodadezuftand erklärt:
„Sintemalen eine Infurrection gegen die Regierung der
Vereinigten Staaten ausbrad in den Staaten Süd-Carolina,
Georgia, Alabama, Florida, Mifiiffippi, Rouifiana und Terag, und
da die Revenuen dafelbft nicht erfolgreich erhoben werden können in
Mebereinftimmung mit der Conftitution, welche erklärt, daß die Zölle
in den gefammten Vereinigten Staaten einförmig fein follen :
„Und fintemalen eine Comkination von Perfonen, die
in befagter Inſurrektion begriffen find, gedroht hat, angebliche
Kaperbriefe zu verleihen und die Inhaber derfelben zu ermäch—
tigen, Angriffe auf das Leben, die Schiffe und das Eigenihum
guter Bürger diefes Landes zu begehen, die in rechtmäßigem Han»
del zur offenen See und in den Gewäſſern der Vereinigten Staa—
ten begriffen find: x |
„Und fintemalen bereits durch die Erefutive eine Prokla—
mation erlaffen wurde, worin die an jenem unordentlichen Treis
ben betheiligten Perfonen aufgefordert worden find, davon abzu—
laſſen; und worin ferner eine Milizforce aufgeboten wurde, zum
were, die befagte Infurreftion zu unterdrüden; und worin ,
118 Das Leben Abraham Lincolns.
ferner der Eongreß zu einer außeroroentlichen Sitzung zuſammen—
berufen wurde, um hierüber zu berathen und zu bejchließen :
„Deshalb habe ich, Abraham Lincoln, Präfivdent der Ber-
einigten Staaten, mit Rüdjicht auf die oben erwähnten Zwecke —
die Beſchützung des öffentlichen Friedens, forsie des Lebens und
Eigenthums ruhiger und ordentlicher Bürger, die ihren gefeglichen
Gefchäften nachgehen — e8 weiterhin für nöthig erachter, bis der
Congreß fih verfammelt und über befagtes ungefegliches Treiben
berathen haben wird, oder bis daſſelbe aufgehört haben wird, in
Uebereinftimmung mit den Gefegen der Vereinigten Staaten und
dem Bölkerrechte für ſolche Fälle die Seehäfen innerhalb befagter
Staaten in Blodadezuftand zu erflären, Zu dieſem Zwede wird
eine genügende Seemacht detachirt werden, um alle Schiffe von
der Ein- und Ausfahrt in befagten Häfen zu verhindern. Wenn
nun irgend ein Schiff mit der Abficht, befagte Blodade zu brechen,
fich irgend einem der befagten Häfen zu nähern oder denfelben zu
verlaffen fuchen follte, fo wird daffelbe dur den Commandeur
eines der Blodadefchiffe gebührende Warnung erhalten. Diefer
Commandeur wird das Datum ſolcher Warnung in das Regiſter
des Schiffes eintragen, und wenn dann daſſelbe Schiff abermals
verſuchen ſollte, in den blockirten Hafen einzulaufen oder denſelben
zu verlaſſen, ſo wird es in Beſchlag genommen und nach dem
nächſt gelegenen Hafen geſandt werden, um ſammt der Ladung als
gerechte Priſe den betreffenden Gerichten übergeben zu werden.
„Und ich proklamire und erkläre hiermit, daß, wenn irgend eine
Perſon unter der angeblichen Autorität beſagter Staaten oder un—
ter irgend einem andern Vorwand irgend ein Schiff der Vereinig—
ten Staaten, oder die Perfonen oder die Ladung an Bord defjelben
beläftigen follte, folche Perfon nad den Geſetzen der Vereinigten
Staaten als Pirat überführt und beftraft werden wird,
„Auf Befehl des Präfiventen : Abraham Lincoln.
„William 9 Seward, Staatsfefretär.”
Am 27. April erfchien folgende weitere Proflamation:
„Sintemalen aus Gründen, die ich in meiner Proflamation
‚som 19. d. Mts. angegeben, eine Blockade der Seehäfen der
Küftunzen zum Kriege. | 119
Staaten Süd-Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Louifiana,
Miſſiſſippi und Texas angeordnet und befohlen wurde;
„Und fintemalen feit jenem Datum von Perfonen, die un-
ter der Autorität der Staaten Virginien und Nord-Carolina zu
handeln vorgaben, öffentliches Eigenthum der Vereinigten Staa—
ten ergriffen, die Erhebung der Revenuen verhindert und commif-
fionirte Beamte der Bereinigten Staaten, die in der Ausführung
der Befehle ihrer Obern begriffen waren, ohne rechtmäßiges, ge-
fegliches Verfahren verhaftet, in Gefangenfchaft gehalten oder an
der Ausübung ihrer Amtspflichten verhindert wurden:
„Deshalb wird der Blodadezuftand hiermit audy über die Ha=
fen jener beiden Staaten verfügt und angeordnet.
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Unterfchrift beigefegt
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Gegeben in der Stadt Waſhington am 27, Tage des April,
im Jahre unferes Herrn Eintaufend achthundert und einunpjcchzig,
und im fünf und achtzigften der Unabhängigkeit der Vereinigten
Staaten.
„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Sincoln.
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“
Tiefe Proflamationen hatten großen Einfluß Auf die commer-
zellen Intereſſen der europäifchen Mächte, Die denn auch feine Zeit
verloren, uns anzufündigen, daß die Blodade effektiv fein müſſe,
um vefpektirt zu werden. Wahrfsheinlich Hofften fie in Öemein-
Schaft mit den Rebellen, daß fich dies als eine Unmöglichkeit erwei-
fen würde. Daß fie mit diefer Anficht entjchieden im Irrthum
waren, ift allgemein befannt und liefert nur einen weitern Fall zu
der Lifte der bedeutenden Irrthümer, die während des ganzen
Krieges von den zwei europäifchen Nationen, bie am meilten dabei
betbeiligt waren, begangen wurden.
Das Bedürfniß einer größern Armee ftellte ſich bald heraus,
als Davis in einer Botfchaft an feinen Congreß vorfchlug, „in
Anbetracht der gefährdeten Stellung des Landes eine Armee von
fehshunderttaufend Mann zu organifiren und jeden Augenblid
fampfbereit zu halten.” Am 3. Mai erfolgte Daher ein zweites
120 Das Leben Abraham Lincolns.
Aufgebot, da wohl zu erwarten ftand, daß der Congreß unter fol-
chen Umftänden feine Ratififation nicht verweigern würde ; welche
Ratifilation denn auch ohne Oppofition erfolgte. Die Proflama-
tion lautete wie folgt:
„Sintemalen der Stand der Dinge fofortige und angemef-
jene Maßregeln erheifcht zum Schuß der National-Conftitution
und zur Erhaltung der National-Union vermittelft der Unter-
drückung der infurreftionären Combinationen, die gegenwärtig in
mehreren Staaten beftehen, um den Gefegen der Union zu wider-
ftreben und die Ausübung vderfelben zu verhindern; zu welchem
Zwede eine militärifche Macht außer jener, die durch meine Pro-
Hamation vom fünfzehnten April diefes Jahres aufgeboten wurde,
unumgänglich nothwendig erfcheintz deshalbe rufe ich, Abraham
Lincoln, Präfivent der Vereinigten Staaten und Oberbefehls-
haber der Armee und Flotte derfelben, fowie der Miliz der ver-
fhiedenen Staaten, wenn in aktiven Dienft gerufen, hiermit zwei
und vierzig Taufend und vier und dreißig VBoluntäre in den Dienft
der Vereinigten Staaten, um für drei Jahre zu dienen, wenn
nicht früher verabfchiedet, und um als Infanterie und Cavallerie
in den Dienft gemuftert zu werden. Die Proportionen jeder
MWaffengattung und die Details der Enrollirung und Organifa-
tion werden dur) das Kriegsdepartement befannt gemacht werden.
Auch verfüge ich hiermit, Daß die reguläre Armee der Vereinigten
Staaten um acht Regimenter Infanterie, ein Regiment Cavallerie
und ein Regiment Artillerie vermehrt werde, welche Vermehrung
ein Marimum-Nggregat von zwei und zwanzig Taufend fieben-
hundert und vierzehn Offizieren und angemorbenen Leuten aus—
macht. Die Details diefer Vermehrung werden ebenfalls durch
das Kriegsdepartement befannt gemacht werden. Ferner verfüge
ich Die Anwerbung von achtzehn Taufend Marinefoldaten für nicht
weniger als ein Jahr und nicht mehr als drei Jahre. Diefe fol-
len der gegenwärtigen Marinemannfchaft im Dienft der Berei-
nigten Staaten hinzugefügt werden. Die Details der Anwerbung
und Organifation werden durch das Marinedepartement befannt
gemacht werden. Diefes Aufgebot von Boluntären, ſowie die
Verfügung der Verſtärkung der regelmäßigen Armee und der
Rüftungen zum Kriege. 121
Anwerbung von Seeleuten werden fammt dem hiermit autorifirten
Plane der Organifation für die Boluntäre und die regelmäßigen
Truppen dem Congreß vorgelegt werden, fobald fich derfelbe ver-
fammelt haben wird.
„Mittlerweile fordere ich alle guten Bürger auf, die zur effefti-
ven Unterdrüfung der ungefeglichen Gewaltanmaßung, fowie zur
unparteiifchen Ausübung der conftitutionellen Gefege und zur
möglichit fchleunigen Wiederherftellung der Ruhe und Ordnung
und damit des Glüdes und der Wohlfahrt des ganzes Landes
adoptirten Mafregeln nach Kräften zu unterflüßen.
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensuniterfchrift
beigefest und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington am dritten Tage des Mo-
nats Mai, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
einundfechzig, und im fünf und achtzigften der Unabhängigkeit der
Vereinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Sincoln.
„William 9 Semward, Staatsſekretär.“
Am 10. Mai 1861 erſchien folgende Proflamation :
„Sintemalen im Staate Florida eine Inſurrektion beftcht,
durch welche das Leben, die Freiheit und das Eigenthum loyaler
Bürger der Vereinigten Staaten gefährdet werden,
„Und fintemalen es angemeffen erfcheint, alle nöthigen
Mafregeln zum Schuße folcher Bürger und fümmtlicher Beamten
der Vereinigten Staaten in der Ausübung ihrer öffentlichen Pflich-
ten in befagtem Staate zu ergreifen:
„Deshalb fei es bekannt, daß ich, Abraham Lincoln, Prä-
fivent der Vereinigten Staaten, ven Kommandanten der Ber, Staa-
ten Truppen an der Florida Küflg anmeife, feiner Perfon zu ge—
ftatten, irgend ein Amt oder eine Autorität auf den Infeln Key
Weſt, ven Tortugas und Santa Rofa zu befleiden, wenn dies mir '
den Geſetzen und der Conftitution der Vereinigten Staaten un-
vereinbar if. Zu gleicher Zeit autorifire ich ihn, falls er es
nothwendig finden follte, den Habeas Corpus Writ dafelbft zu
192 Das Leben Abraham Lincolns.
fuspendiren, fowie alle gefährlichen „oder verdächtigen Perſonen
aus der Nähe der Vereinigten Staaten Forts zu entfernen.
„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterſchrift
beigefügt und das Siegel der Vereinigten Staaten beiſetzen laſſen.
„Gegeben in der Stadt Waſhington am zehnten Tage des Mo—
nats Mai, im Jahre unſeres Herrn eintauſend achthundert und
einundſechzig, und im fünf und achtzigſten der Unabhängigkeit der
Vereinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Fincoln.
„William H. Seward, Staatsſekretär.“
Mittlerweile ſtrömten die Voluntäre zur Vertheidigung des
Landes in fo großer Anzahl herbei, daß fie unmöglich Alle ange-
nommen werden konnten. Cs entftand dadurch ein edler Streit,
wer der Ehre eines Bürgerfoldaten theilhaftig werden folle. Man
fah einer frühen Bewegung gegen die Rebellenarmee in Virginien
entgegen, und Manche waren der Anficht, daß es des bloßen Vor—
rüdens unferer Truppen bedürfe, um die Feinde der Regierung in
die Flucht zu Olngem.
Achtes Kapitel,
Die erfte Sitzung des Congreſſes.
Eröffnung des Congreſſes —Erſte Kotfchaft des Präfidenten— Deren Natur—
Derhandlungen des Congreffes— Befchlüffe über den Zweck des Krieges —
Die Schlacht von Bull Run— Deren Wirkung.
Die erfte Sigung des Congreffes während Herrn Lincolns Ad-
miniftration begann, dem Aufruf des Präfidenten gemäß, am 4,
Juli 1861. Nachdem beide Huuſer fich organifirt hatten, lief fol-
gende Botfchaft von der Executive ein :
„Mitbürger vom Senat und vom Beprafentantenhaus: —
„Da Sie auf Autorität der Conftitution hin zu einer außeror-
dentlihen Sitzung zufammenberufen wurden, fo ift es fein gewöhn—
licher Gegenftand der Legislation, der jet Ihre Aufmerkſamkeit in
Die erfte Sigung des Congreſſes. 123
Anfpruch nimmt. Zu Unfang des gegenwärtigen Präſidentſchafts—
termins vor vier Monaten berrfchte eine allgemeine Sufpenfion der
Functionen der Bundesregierung in den Staaten Süd-Carolina,
Georgia, Alabama, Mifjifjippi, Louiſiana und Florida; ausgenom—
men Davon waren nur die Functionen des Poft-Departements.
„Innerhalb dieſer Staaten waren alle Forts, Arfenale, Schiff—
bauböfe, Zollämter und dergleichen, einfchlieglich des in und un
denfelben befindlichen beweglichen und unbeweglichen Eigenthumg,
in offener Feindfeligkeit gegen diefe Regierung ergriffen und befegt
worden, mit Ausnahme nur der Forts Pidens, Taylor und Seffer-
fon, an und nahe der Küfte von Florida, und Fort Sumter, im
Hafen von Charlefton, Süd-Barolina. Die fo ergriffenen Forts
waren in befferen Vertheidigungszuftand gefebt, neue Forts waren
errichtet und bewaffnete Truppen organifirt worden, oder waren im
Begriffe, ſich zu organifiren—all’ Diefes eingeftandener Weile zu
demjelben feindlichen Zwecke.
„Die im Beſitze der Bundesregierung verbliebenen Forts inner
halb oder in der Nähe jener Staaten wurden entweder belagert
oder fonft durch Friegerifhe Rüftungen bedroht; befonders wurde
Sort Sumter faft von allen Seiten mit wohlbefhüsten feindlichen
Batterien umringt, deren Geſchütze an Qualität den beiten des
Forts gleichlamen und den leßteren an Zahl wohl zehnmal über-
legen waren. Außerdem hatte ein unverhältnigmäßiger Antheil
der diefer Regierung gehörigen Musfeten und Büchfen auf irgend
eine Art feinen Weg nad) jenen Staaten gefunden und war dazu
ergriffen worden, um gegen die Regierung gebraucht zu werben,
„Zu demfelben Zwecke find die Revenuen, die fich innerhalb jener
Staaten angehäuft hatten, ergriffen worden. Die Marine war in
entfernten Meeren zerftreut, und nur ein Fleiner Theil derfelben be—
fand fi) im unmittelbaren Bereich der Negierung.
„Dffiztere der Bundesarmee hatken in großer Anzahl refignirt
und ein großer Theil derfelben hatte die Waffen gegen die —
rung ergriffen.
„Gleichzeitig und in Verbindung mit alledem ward die Abſicht,
die Union zu trennen, öffentlich angekündigt. In Uebereinſtim—
mung mit dieſer Abſicht hatte jeder dieſer Staaten eine Ordinanz
124 Das Leben Abraham Lincolns.
paffirt, wodurch die Trennung diefer refpektiven Staaten von der
National-Union erlärt wurde, Eine Formel zur Errichtung einer
Gefammtregierung für jene Staaten wurde veröffentlicht, und be=
reits hat diefe ungefegliche Organifation unter dem angenommenen
Titel: „Conföderirte Staaten“ um die Anerfennung, Unterftügung
und Intervention auswärtiger Mächte nachgefucht.
„Bei diefem Zuftand der Dinge, und da der neuen Erefutive die
gebieterijche Pflicht oblag, wo möglich die Ausführung dieſes Ver-
fuches zur Zerftörung der Föderal-Union zu verhindern, wurde eine
Wahl der Maßregel unerläßlich. Diefe Wahl wurde getroffen und
in der Inaugural-Adreſſe angekündigt.
„Der adoptirten Politif gemäß ließ ich es mir angelegen fein,
alle friedlichen Maßregeln zu erfchöpfen, ehe die Anwendung ftren-
gerer nothwendig würde. ch fuchte lediglich die Plätze und das
Eigenthum zu halten, die nicht bereits der Regierung entriffen wor-
den waren, fowie die Nevenuen zu erheben, und vertraute alles Ue—
brige der Zeit, der Ueberlegung und dem Stimmfalten an. Ich
verfprach demfelben Volke, das ſich der Negierung widerſetzte, die
fernere Verwaltung der Poftämter auf Regierungsfoften und gab
wiederholte Berfprechungen, daß das Volk in Feiner Weife beläftigt
oder feiner Rechte beraubt werden follte. Kurzum, Alles wurde ge—
than, was der Präfident auf conftitutionelle und rechtliche Weife
thun konnte; und Alles wurde unterlafjen, was zur Erhaltung der
Regierung nicht unumgänglich nothwendig war.
„Am 5. März, dem erften vollen Amtstage nach meiner Inaugu—
ration, wurde mir vom Kriegsdepartement ein Brief yon Major
Anderfon, dem Commandanten von Fort Sumter, zugeftellt. Diefer
Brief datirte fih vom 28. Februar und gelangte am 4. März an
das Kriegsdepartement. Der Schreiber drückte darin feine pro—
feffionelle Anficht aus, daß es unmöglich fei, in der hierzu nöthigen
Zeit dem Fort Verftärkungen duzuſenden; daß der fehr befchränfte
Borrath an Lebensmitteln das Aufgeben deffelben in Kurzem zur
Nothwendigfeit machen würde, und daß e8 einer Force von nicht
weniger als zwanzigtaufend tüchtiger und gutdisciplinirter Truppen
bedürfe, um daffelbe fernerhin in Befis zu halten. Tiefer Anficht
ftimmten alle Offiziere feines Gommandos bei, und ihre Memoranda
Die erſte Sigung des Congreſſes. 125
über den Gegenſtand waren dem Briefe des Major Anderfon bei-
geichloffen. Der Brief wurde unverzüglich General-Lieutenant
Scott mitgetheilt, der denn auch fofort der Anficht Major Ander-
fon’s beipflichtete. Bei reiferer Ueberlegung ließ er fich indeffen
hinreichende Zeit, um fih mit andern Offizieren der Armee und
Marine zu berathen, und fam nach vier Tagen widerftrebend aber
entjchieden zu demfelben Entfchluffe zurüd wie zuvor. Zu gleicher
Zeit aber erklärte er, daß Feine folche Force der Regierung zur Ver—
fügung ftehe; daß eine ſolche auch nicht aufgeboten und an Ort
und Stelle gebracht werden könne, ehe die Borräthe in dem Fort er—
fchöpft wären. Bon einem rein militärifchen Gefichtspunfte aus
betrachtet, reduzirte dies die Pflicht der Adminiftration in dieſem
Falle dahin, die Garnifon ficher aus dem Fort zu entfernen.
„Es wurde indefjen erachtet, daß das Aufgeben jener Pofition
unter folhen Umftänden äußerſt verderblich wäre; daß die Noth-
wendigfeit, die dieſen Schritt herbeiführte, nicht gehörig verftanden
werden möchte; dag Viele ihn für eine freiwillige Politik halten
würden; daß er die Freunde der Union entmuthigen, die Feinde
derfelben anfpornen und Letzteren leicht zu einer Anerkennung feiteng
der europäifchen Mächte verhelfen möchte; furzum, daß unfer natio—
naler Umfturz dadurch herbeigeführt würde. Dies durfte nicht fein,
Die Oarnifon war noch nicht am Verhungern, und ehe es fo weit
kam, mochte Fort Pidens verftärkt werden. Lebteres war eine Hare
Andeutung der Politif und beffer geeignet, dem Lande die Räumung
von Fort Sumter ala eine militärifche Nothwendigfeit erjcheinen zu
lafien. Es wurde daher fofort eine Drdre erlaffen zu dem Zwede,
die Truppen von dem Dampfſchiff Brooklyn nach Fort Pidens zu
bringen. Diefe Ordre konnte indefjen nicht zu Land abgehen, fon-
dern mußte den weiteren und langfameren Weg zur See machen.
Die erfte Nachricht in Erwiederung auf die Drdre traf gerade eine
Woche vor dem Fall von Fort Eumter hier ein. Die Nachricht
felbft beftand darin, daß der Commandeur der Sabine, nad) wel—
chem Schiffe die Truppen von dem Dampfer Brooklyn gebracht
worden waren, auf Grund eines quasi Waffenftillftandes von der
legten Adminiftration hin, von deren Eriftenz die gegenwärtige Ad-
miniftration bis zur Zeit der Abfendung obiger Ordre nur ganz
| 126 Das Leben Abraham Lincolns.
vage und — Kunde hatte—ſich geweigert habe, die Truppen
zu landen, Die Berftärfung von Fort Pidens, ehe zu Fort Sumter
eine Krifis eintrat, war jegt unmöglich, da der Proviant im legtern
Fort nahezu erfchöpft war. Um einer ſolchen Conjunctur vorzu—
beugen, hatte die Regierung einige Tage zuvor begonnen, eine Er-
pedition auszurüften, um Fort Sumter zu verftärfen, welche Expe—
dition je nach Umftänden abgehen follte oder nicht. Der Augen»
blid zum Handeln war jetzt gefommen, und es wurde befchloffen, fie
abgehen zu laffen. Zugleich wurde befchloffen, den Gouverneur
son Eüd- Carolina zu benachrichtigen, daß ein Verſuch gemacht
werden würde, das Fort mit Lebensmitteln zu verfehenz; wenn man
dies ungehindert gefchehen laffen wolle, ſo würde fein Berfuch ge—
macht werden, ohne fernere Notiz das Fort mit Mannfchaft, Waffen
und Munition zu verftärken, ausgenomnten für den Fall eines Ans
griffs. Diefe Notiz wurde gegeben, worauf das Fort ohne Weiteres
angegriffen und bis zu feinem Fall bombardirt wurde, ohne aud)
nur die Ankunft der Provianterpedition abzuwarten.
„Hieraus erhellt, dag der Angriff auf Fort Sumter und deffen
Einnahme in Feiner Weife ein Akt der Selbftvertheivigung von
Seiten der Angreifenden war. Sie wußten wohl, daß die Gar-
nifon des Forts unmöglich einen Angriff auf fie machen konnte;
fie waren ausdrücklich in Kenntniß gefebt worden, daß nichts
Anderes beabfichtigt fei, als den wenigen tapfer und hungrigen
Männern der Garnifon” jenes Forts Brod zu geben, und daß
weiter Nichts verfucht werden würde, es fei denn, daß fie jelbft
durch ihren MWiderftand mehr herausforderten. Sie wußten, daß
diefe Regierung die Garnifon im Fort zu behalten wünfchte, nicht
um fie anzugreifen, foridern blos um fichtbaren Befig zu behaup-
ten und dadurch, die Union vor wirklicher und unmittelbarer Auf—
löfung zu retten, ftets mit der bereits erwähnten Hoffnung, daß
die Zeit, die Heberlegung und der Stimmfaften alle Wirren bei-
legen würden. Sie aber griffen das Fort an und brachten es
zum Fall, gerade zum entgegengefeßten Zwecke, um die fichtbare
Autorität der Foderal-Union auszutreiben und damit die fofortige
Auflöfung der letztern herbeizuführen. Daß dies ihre Abficht
war, wußte ich wohl, denn ich fagte in der Jnaugural-Wodreffe zu
Die erfte Sigung des Congreffes. 127
ihnen: „Es kann fein Kampf ftattfinden, es fei denn, daß ihr
jelbft die Angreifer feid.“ Ich gab mir Mühe, nicht nur diefe
Erklärung zu bewahrheiten, fondern auch, alle Sophifterei von
dem Falle fern zu halten, damit die Welt nicht hierüber im Zweifel
fei. Mit der Affaire von Fort Sumter und den begleitenden
Umftänden ward diefer Punkt erreicht. Damit begannen die
Angreifer der Regierung den Waffenfampf. Keine Kanone war
innerhalb Sicht oder in Erwartung, um ihr Feuer zu erwiedern,
mit Ausnahme jener wenigen Geſchütze in dem Fort, die Jahre
zuvor zu ihrem eigenen Schuge nad) jenem Hafen gejandt wur-
den und noch immer bereit waren, ihnen jeden rechtmäßigen
Schuß zu verleihen. Alle anderen Rüdfichten bei Seite ſetzend.
nöthigten fie durch dieſen Akt dem Lande die Wahl auf — die
entjchiedene unzmweideutige Wahl zwifchen augenblidlicher Auf-
Iöjung over Blut, und diefe Wahl begreift mehr als das Schickſal
der Vereinigten Staaten in fih. Sie legt der ganzen Menfchen-
familie die Frage vor, ob eine conftitutionelle Republik oder Des
mofratie, eine Volfzregierung, durch dieſes felbe Volk die Inte-
grität ihres Gebietes gegen ihre eigenen einheimifchen Feinde
wahren könne, oder nicht. Sie legt die Frage vor, ob unzufries
dene Individuen, zu gering an Zahl, um die Adminiftration in
irgend einem Falle dem organifchen Gefege gemäß zu controlliren,
auf die Borwände in diefem Falle hin, oder auf irgend einen an—
dern Vorwand, oder willfürlich ohue irgend einen Vorwand ihre
Regierung zerfiören und damit praftifch ver freien Regierung auf
Erden ein Ende machen könnten. Es zwingt uns dies die Frage
auf: „Iſt allen Republifen viefe unglüdfelige Schwäche anges
boren? Muß eine Regierung nothwendigerweiſe zu ftarf für die
Freiheiten ihres eigenen Volkes, oder zu ſchwach zur Erhaltung
ihrer eigenen Eriftenz fein?” Die Sache von diefem Stand—
punfte aus betrachtend blieb Feine andere Wahl übrig, als die
Kriegsmacht der Regierung herauszurufen und der zu ihrer Ber-
ftörung angewandten Macht mit einer Macht zu ihrer Erhaltung
zu begegnen. Der Aufruf erging und die Antwort des Landes
war höchft erfreulich, da fie an Eifer und Einmüthigkeit die kühn—
ften Erwartungen übertraf, Keiner der Sklavenftanten jedoch,
128 Das Leben Abraham Lincolns,
mit Ausnahme von Delaware, gab aud nur ein einziges Negi-
ment durch die regelmäßige Staatsorganifation. Einige wenige
Negimenter wurden Durch Privatunternehmungen in einigen an=
dern diefer Staaten organifirt und in den Dienft der Regierung
aufgenommen. Selbftverftändlich lieferten die fogenannten fece-
dirten Staaten, denen ſich Teras um die Zeit der Jnauguration
angejchloffen hatte, Feine Truppen für die Sache der Union. Die
fogenannten Grenzſtaaten waren in ihrem Verfahren nicht ein-
müthigz; einige von ihnen waren faft gänzlich für die Union,
während in andern, wie z. B. in Virginien, Nord-Carolina, Ten-
nejjee und Arkanfas die Unionsftiimmung faft ganz unterdrüdt
und zum Schweigen gebracht worden war, Der von Birginien
eingefchlagene Weg war. der merfwürbigfte, vielleicht der bedeu—
tungsvollfte. Eine Convention, die vom Volke jenes Staates zur
Berathung diefer felben Frage über die Auflöfung der Union
erwählt worden, befand fih im Capitol von Birginien in Sitzung,
als Fort Sumter fiel.
„Zu diefem berathenden Körper hatte das Volk eine große
Majorität angeblicher Unionsmänner gewählt. Beinahe augen-
blidlich nach dem Fall von Sumter gingen viele Mitglieder jener
Majorität zu der unfprünglichen Disuniong-Minorität über und
adoptirten mit derfelben eine Ordinanz, um den Staat von der
Union zu trennen, Ob ihre große Billigung des Angriffs auf
Sumter, oder ihre große Exrbitterung über den Widerftand der
Regierung gegen jenen Angriff dieſen Wechſel bewirkte, bleibt
ungewiß. Obſchon fie diefe Ordinanz dem Volke zur Ratification
durch eine Abftimmung vorlegten, die erft nach mehr als einem
Monat ftattfinden follte, begannen die Convention und die Legis—
latur, welch’ Teßtere gleichfalls zur felben Zeit und am felben
Drte in Siung war, nebft andern einflußreichen Männern des
Staates, die weder der einen noch der andern Berfammlung
angehörten, gerade fo zu verfahren, ale ob der Staat bereits
außerhalb der Union wäre, Militärifche Rüftungen wurden mit
großer Energie im ganzen Staate betrieben. Cie ergriffen das
Vereinigte Staaten Arfenal zu Harper’s Ferry und die Navy—
Yard zu Gosport, nahe Norfoll. Sie nahmen große Truppen»
Die erfte Sitzung des Congreiles. 120
körper mit ihrer Rüftung aus den fogenannten fecedirten Staaten
in ihrem Staate auf, wenn fie diefelben nicht gar felbft einluden,
„Sie ſchloſſen auf formelle Weife ein temporäres Schuß- und
Trugbündniß mit den fogenannten Confüderirten Staaten, ſchick—
ten Mitglieder zu deren Congreffe in Montgomery und erlaubten
endlich der Snfurgenten-Regierung, Richmond zu ihrer Haupt-
ftadt zu machen. Auf diefe Art geftattete das Volf yon Virgi—
nien diefer gigantifchen Inſurrektion, ihr Neft innerhalb feiner
Grenzen aufzuſchlagen, und bleibt daher dieſer Regierung feine
andere Wahl übrig, als diefelbe anzugreifen, wo fie zu finden ift,
und thut dies mit um fo weniger Bedauern, als die loyalen Bür-
ger jenes Staates förmlich den Schuß diefer Regierung anriefen.
Diefe Ioyalen Bürger ift die Regierung anzuerkennen und zu be-
fhügen verpflichtet. In den Grenzftaaten, richtiger die Mittel-
ftaaten genannt, giebt es Leute, welche eine Politik begünjtigen,
‚die fie bewaffnete Neutralität nennen, das heißt, eine Bewaffnung.
jener Staaten, um fowohl die Unionstruppen wie die Disunions-
truppen am Durchmarfch durch ihr Gebiet zu verhindern. Dies
hieße die Disunion vervollftändigen. Um mich eines bildlichen
Ausdrudes zu bedienen, käme dies der Errichtung eines unpaffir-
baren Wales an der Scheidelinie entlang gleih; und dennoch
wäre diefer Wall nicht fo ganz unpaffirbar, denn unter der Maske
der Neutralität würde er den Unionstruppen die Hände binden,
während er den Infurgenten freigebig Hülfe und Beiftand leiftete,
was er als offener Feind nicht thun fünnte. Mit einem Schlag
würde er alle Hinderniffe befreien, die der Serefjion im Wege ,
ftehen, mit Ausnahme der Hinderniffe, die die Blodade in den
Weg ftellt. Er würde den Disunioniften geben, was diefe am
meiften begehren, würde fie füttern und ihnen zur Disunion ver-
helfen, ohne daß fie dafür zu kämpfen brauchten. Er erfennt
feine Treue gegen die Conftitution an, feine Verpflichtung, die
Union aufrecht zu erhalten, und obfchon fehr Viele, die diefen
Pan begünftigen, ohne Zweifel loyale Bürger find, ift derfelde
nichtsdeftomweniger fehr nachtheilig in feinen Folgen.
„Um auf vie Thätigfeit der Regierung zurüdzufommen, erlaube
ich mir mitzutheilen, daß zuerft ein Aufgebot um fünf und fieben-
9
130 Das Leben Abraham Lincolne.
zig taufend Mann Miliz erging; Diefem auf den Ferfen folgte
eine Proflamation, die fümmtliche Seehäfen der infurreetionären
Diftrikte in den Blodadezuftand erklärte. Soweit hielt ich Alles
für ftreng legal.
„etzt aber Fündigten die Infurgenten ihre Abfichten an,
Kaperfchiffe auszurüften.
„Ein zweiter Aufruf erging nun um Boluntäre zu dreijährigem
Dienfte, wenn nicht früher verabſchiedet; desgleichen um bedeu-
tende Berftärfungen der regulären Armee und der Marine,
Diefe Mafregeln, ob fie nun ftreng legal waren oder nicht, wagte
ich, da das Verlangen des Volkes und die öffentliche Nothwendig-
feit fie zu rechtfertigen fehienen ; nicht zweifelnd, daß der Congreß
fie ratifiziren würde.
„Meiner Anficht nach habe ich Nichts gethan, was mit der con-
fitutionellen Competenz des Eongreffes unvereinbar wäre. Bald
nach dem erften Aufgebot der Miliz hielt ich es für meine Pflicht,
den commandirenden General zu autorijiven, in gewiffen Fällen
nad) feinem Ermefjen den Habeas Corpus Writ zu fuspendiren;
oder, mit andern Worten, Individuen, die für die öffentliche
Sicherheit gefährlich erachtet werden möchten, ohne die gewöhn-
liche Sormalität des Geſetzes zu verhaften und feftzuhalten.
Diefe Autorität ift abfichtlich, jedoch nur in feltenen Fällen aus—
geübt worden. Dennoch wurde die Legalität und Statthaftigfeit
diefer Mafregel in Zmeifel gezogen und die Aufmerkfamfeit des
Landes auf den Satz gelenkt, daß Jemand, der geſchworen habe,
für die getreuliche Ausübung der Gefege zu forgen, diefelben
nicht felbft verlegen follte. Natürlich wurde die Frage über vie
Machtbefugniß und Statthaftigkeit gebührend erwogen, ehe in der
Sache gehandelt ward. Sämmtliche Gefege, für deren getreuliche
Ausübung ich zu forgen hatte, wurden beinahe in einem Drittel
der Staaten mißachtet und famen nicht zur Ausübung. Sollte
die Ausübung derfelben unterbleiben, weil dur die Anwendung
der Mittel zu ihrer Erzwingung irgend ein einziges Gefeb, das
mit jo ungemein großer Rüdficht auf die Freiheit eines Bürgers
gemacht wurde, daß es praftiich dem Schuldigen mehr zu Staiten
kommt, als dem Unfchuldigen, einigermaßen dadurch verlegt wird?
Die erfte Sigung des Congreifes. 131
Um die Frage direkter zu ftellen: follten alle Gefege mit Aus—
nahme eines einzigen mißachtet bleiben und die Regierung felbft
zertrümmert werben, bloß damit diefes einzige Geſetz unverlegt
bleibe? Müßte es nicht felbft in einem ſolchen Fall als eine Ver-
letzuug des Amtseides betrachtet werden, wenn der Umfturz der
Regierung erfolgen follte, da die Umgehung dieſes einzigen Ge-
ſetzes dieſelbe retten konnte?
„Allein ich glaubte nicht, daß ſich diefe Frage erheben würde.
Ih glaubte nicht, daß irgend ein Gefeg verlegt wurde, Die Be-
fimmung der Conftitution, daß das Privilegium der Habeas
Corpus Akte nicht fuspendirt werden folle, ausgenommen in
Fällen von Rebellion und Invafion, wenn die öffentliche Sicher—
heit e8 erfordert, ift gleichbedeutend mit einer Beftimmung, daß
dieſes Privilegiumg ſuspendirt werden darf, in Fallen von Rebel—⸗
lion und Invaſion, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert,
Es lag klar vor Augen, daß wir einen Fall von Rebellion haben,
und daß die öffentliche Sicherheit die qualifizirte Suspenfion der
Alte erforderte, die denn aud=erfolgte, Man befteht indeffen
darauf, daß ſolche Macht dem Kongreß und nicht der Erefutive
verliehen fei. Die Conftitution felbft fchweigt darüber, von wen
diefe Machtbefugnig ausgeübt werden folle;z da indeſſen die Be-
ftimmung augenscheinlich für irgend einen dringenden Fall der
Noth getroffen wurde, fo laßt fih unmöglich annehmen, daß die
‚Urheber der Conftitution beabfichtigten, daß die Gefahr ungehin-
dert ihren Lauf haben folle, bis der Congreß zufammenberufen
werden könne, deffen Zufammentreten felbft verhindert werden
möchte, wie es in diefem Falle durch die Rebellion beabfichtigt
war. Sch unterlaffe es, auf ein längeres Argument hierüber ein
zugehen, da wahrfcheinlich der General-Staatsanwalt feine An-
ficht darüber ausführlich fund geben wird. Ob über diefen Ge-
genftand irgend eine Legislation ftattfinden fol, muß dem Urtheil
des Eongrefjes überlafjen werden. Die Nachficht Diefer Regierung
war fo außerordentlich und fo langmüthig, dag fich einige aus»
wärtige Nationen veranlaßt fahen, fo zu handeln, als ob fie
glaubten, daß die Zertrümmerung der National-Union nahe bes
vorſtünde. Während diefe Entdeckung mir einige Beſorgniß ein»
132 Tas Decken Abraham Lincolns.
flößte, freut es mich jegt, fagen zu Fünnen, daß die Souveränität
und die Rechte der Bereinigten Staaten jest allenthalben von den
auswärtigen Mächten praftifch refpeftirt werden, und daß fi in
der ganzen Welt eine allgemeine Sympathie mit Diefem Lande
fund giebt.
„Die Berichte der Sefretäre des Schakamts, des Kriegsdeparte-
ments und der Marine werden die zu Ihrer Erwägung und Be—
rathung nothwendig und geeignet erachteten Berichte der Details
geben, während die Erefutive und fümmtliche Departements bereit
fein werden, etwaige zufällige Auslaffungen zu ergänzen, fowie
neue Thatfachen von Wichtigkeit und Bedeutung mitzutheilen.
„Ich empfehle Ihnen nun an, die gefeglichen Mittel zu bewilligen
um diefen Kampf zu einem furzen und entfcheidenden zu machen;
daß Sie der Regierung zu diefem Zwede zum Mindeſten 400,000
Mann und $400,000,000 zur Berfügung ftellen. Jene Anzahl
von Truppen beträgt etwa ein Zehntel aller Männer von militär-
pflihtigem Alter innerhalb der Regionen, wo anjcheinend Alle
willig find, fi dem Dienfte des Vaterlandes zu widmen; und
jene Summe macht etwa ein Dreiundzwangigftel des ganzen Geld—
befiges jener Männer aus, die bereit find, ihre ganze Habe zu
opfern. Eine Schuld von $600,000,000 ift heutzutage weniger per
Kopf, als unfere Revolutionsfhuld am Ende jenes Krieges war,
und der Geldbefig im Lande macht heutzutage eine größere Pro-
portion gegen damals aus, als felbft die Bevölkerung. Und
ficherlich ift das Motiv zur Erhaltung unferer Freiheiten bei ung
ebenfo ftark, als es bei unfern Vorfahren zur Gründung derſel—
ben war,
„Ein fiheres Refultat in diefem Kampfe wird der Welt von
größerem Werthe fein, als eine zehnfache Anzahl von Truppen
und ein zehnfacher Betrag des Geldes. Die Nachrichten, die ung
allenthalben vom Lande zufommen, laffen feinen Zweifel auffom-
men, daß veichliches Material zu dem Werke vorhanden ift, und
daß es nur der Hand der Legislative bedarf, um dem Werke Sanc-
tion zu verleihen, und der Hand der Erefutive, um dafjelbe praf-
tifch in Ausführung zu bringen, Eine der größten Berlegenhei-
ten der Regierung ift, daß die Truppen fich Schneller einfinten, als
Die erfte Sigung des Congreifes. 123
es möglich ift, diejelben auszurüften. Mit einem Worte, das
Volk ift bereit, die Regierung zu retten, wenn die Regierung ihre
Schuldigfeit nur einigermaßen erfüllen will. Es möchte auf den
erften Anblick faft gleichgültig erfcheinen, ob man die gegenwärti=
gen Bewegungen im Süden mit dem Namen Seceffion oder Re—
bellion belegt. Die Rädelsführer jener Bewegungen verftehen
indeffen den Unterfchied fehr wohl. Sie begriffen von Anfang
an, daß fie durch Feinen Namen, der an und für fich eine Ver—
legung des Geſetzes ausdrückt, ihrem Verrathe einen anfehnlichen
Umfang verfchaffen könnten; fie mußten, daß ihr Volk ebenfo viel
moralifches Gefühl, ebenfo viel Anhänglichkeit an Gefeb und
Drdnung, ebenfo viel Stolz für die Gefchichte und Ehrfurdt für
die Regierung des gemeinfamen Baterlandes befaß, wie irgend ein
civilifirtes und patlotifches Volk. Sie wußten, daß fie angefichts
diefer ftarfen und edeln Gefinnungen feine Fortfchritte machen
fonnten. Deshalb begannen fie mit einer hinterliftigen Corruption
der öffentlichen Stimmung; fie erfanden fcharffinnige Sophismen,
und wurden diefe zugegeben, fo folgten vollkommen logifcher
Weiſe alle Schritte, die zu einer vollftändigen Zerftörung der
Union führen mußten, Diefe Sophismen beftanden darin, daß
irgend ein Staat der Union in Uebereinftimmung mit der Conſti—
tution und fomit gefeglich und friedlich aus der Union ausfcheiden
dürfe, und zwar ohne Einwilligung der Union oder irgend eines
andern Staates.
„Die geringe Maske, daß diefes angebliche Recht nur für eine
gerechte Sache anzuwenden fei — fie felbft werfen fich zu den ein—
zigen Richtern über die Gerechtigkeit ihrer Sache auf — it zu
durchfichtig, um irgend eine Beachtung zu verdienen. Auf diefe
Weiſe haben fie feit mehr als dreißig Jahren die öffentliche Stim-
mung ihrer Sektion vorbereitet, bis fie endlich viele guten Männer
bereitwillig fanden, die Waffen gegen die Regierung zu ergreifen,
fobald eine Verſammlung von Individuen die Farce gefpielt hät-
ten, ihren Staat von der Union zu trennen, Diefer Sophismus
beruht faft gänzlich auf der Behauptung, daß jeder einzelne Staat
unferer Föderal-Union eine Art allmächtiger und geheiligter Su-
prematie befite. Unfere Staaten haben weder mehr noch weniger
134 Das Leben Abraham Lincolns.
Gewalt, als ihnen in der Union durch die Eonftitution vorbehal-
ten wurde, da feiner von ihnen jemals ein Staat außerhalb der
Union war, Die urfprünglihen Staaten traten in die Union
ein unmittelbar ehe fie ihre Abhängigkeit als brittifche Colonien
abmwarfen, und die neuen famen direkt von einem Zuftand der Ab-
bängigfeit in die Union, mit Ausnahme von Texas, und felbft
Teras war während feiner temporären Abhängigkeit niemals als
ein Staat bezeichnet. Die neuen erhielten die Benennung
„Staat“ erſt bei ihrem Eintritt in die Union, während diefer Name
in der Unabhängigfeits-Erflärung zuerft für die alten adoptirt
wurde. In diefem Dokumente wurden die Vereinigten Eolonien
zu freien und unabhängigen Siaaten erklärt. Allein
felbft hier war der Zweck augenfcheinlich nicht, ihre Unabhängig-
feit von einander oder von der Union zu erflären, fondern gerade
das Gegentheil, wie ihre gegenfeitigen Gelobniffe und ihr gegen
feitiges Handeln vor, während und nach jener Zeit zur Genüge
zeigt. Höchſt überzeugend und der fchlagendfte Beweis hiefür ift
das ausdrüdliche gegenfeitige Treugelobniß der urfprünglichen
dreizehn Staaten in den Artikeln der Conföderation zwei Jahre
fpäter, dag die Union fortvauernd fein ſolle. Da es nun niemals
dem Namen oder der Sache nach außerhalb der Union Staaten
gab, woher denn dieſe magijche Allmacht der Staatsrechte, die eine
Macht beanfpruchen, die Union felbft zerftören zu dürfen? Auch
hört man viel von der Souveränität der Staaten reden; fein ful-
ches Wort findet fich indeffen in der National-Eonftitution, noch,
wie ich glaube, in irgend einer der Staats-Conftitutionen. Was
bedeutet Souveränität im politifhen Sinne des Wortes? Etwa
eine politifche Commune, die feine politifche Guperiorität aner-
fennt? Bon diefem Maßftab ausgehend, finden wir, daß fein ein—
ziger unferer Staaten, Teras ausgenommen, eine Souveränität
war, und felbft Teras entfagte dieſem Charakter bei feinem Eintritt
in die Union, durch welchen Aft es die Eonftitution der Bereinig-
ten Staaten anerkannte; und die Gefege und Verträge der Ber-
einigten Staaten, die der Staaten halber gemacht wurden, haben
ihren Status in der Union der Conftitution gemäß, die in ihr alg
oberftes und höchites Gejeg gilt. Die Staaten haben ihren Sta—
Die evfie Sinung des Congreſſes. 185
tus in der Union und haben feinen andern geſetzlichen Status.
Wenn fie fih von ihr logreißen, fo Fünnen fie es nur gegen dag
Geſetz und durch Revolution thun. Die Union verlieh ihnen
ihre Unabhängigfeit und Freiheit durch Eroberung oder Kauf;
fie errangen ſich diefelbe nicht einzeln. Die Union gab jedem von
ihnen alle Unabhängigkeit und Freiheit, die er befist. Die Union
ift alter, als irgend einer der Staaten und hat fie thatfüchlich erft
als Staaten gefchaffen. Urfprünglich machten einige abhängige
Eolonien die Union; dieſe befreite fie dagegen von ihrer alten
Abhängigkeit und machte fie zu Staaten, was fie jest find. Keiner
von ihnen hatte je eine von der Union unabhängige Staats Con:
fitution. Es darf natürlich nicht vergeſſen werden, daß alle
neuen Staaten ihre Conftitution gründeten, ehe fie in die Union
eintraten ; nichtödeftoweniger waren fie von der Union abhängig.
Unzweifelhaft befigen die Staaten die ihnen vorbehaltenen mat
und Privilegien Durch die National-Eonftitution.
„Darin jedoch find ſicherlich nicht alle denkbaren Rechte einbe-
griffen, gleichviel wie unheilvoll und verderblich, fondern höchſtens
folche, die zu jener Zeit der Welt als NRegierungsrechte befannt
waren; gewiß aber ift feine Macht, die Regierung ſelbſt zu zerſtö—
ren, jemals als ein Regierungsrecht, oder auch nur als ein admi-
niftratives Recht befannt gewefen. Diefe relative Frage in Bezyg
auf Nationafgewalt und Staatsrechte im Prinzip ift nichts Ande-
res, ala das Prinzip der Generalität und Rofalität. Alles, was
das Ganze anbetrifft, follte der General-Regierung anheim ge-
ftellt fein; mas dagegen nur den Staat betrifft, follte ausſchließ—
lich dem Staate überlaffen werden. Dies ift das ganze urjprüng-
liche Prinzip der Sache. Ob die National-Conftitution bei der
Beftimmung der Grenzlinie zwifchen Beiden das Prinzip mit
außerfter Genauigfeit angewandt, darüber kommt ung nicht zu,
ung zu ftreiten. Wir find Alle ohne Streit an jene Beſtimmung
gebunden. Was jeht beftritten wird, ijt der Sab, daß die Seceſ—
fion mit der Conftitution im Einklang ftehe, daher gefeglich und
recht fei. Es wird nicht behauptet, dag ein ausdrückliches Geſetz
dafür beftehe, und Nichts fullte je als Gefeb gedeutet werden, mag
zu ungerechten oder abfurden Confequenzen leitet, Die Nation
136 Das Leben Abrabam Lincolns.
erfaufte mit Geld die Ländereien, aus denen verfchiedene dieſer
Staaten gebildet wurden. Sit es gerecht, daß fie ohne Erlaubniß
und ohne das Geld zu erftatten fih von der Union losſagen wol-
len? Die Nation bezahlte eine große Summe, ich glaube, nahezu
einhundert Millionen Dollars, um Florida von den feindlichen
Indianerſtämmen zu befreien. Iſt es gerecht, daß dieſer Staat
fich jest ohne Erlaubnig und ohne Erfag von uns losſage? Die
Nation fchuldet jet noch Geld, das zum Nuben und Frommen
jener fogenannten fecedirten Staaten fo gut wie der übrigen ver-
wendet wurde. ft es gerecht, daß die Gläubiger unbezahlt blei-
ben, oder daß die übrigen Staaten das Ganze zahlen? Ein Theil
der gegenwärtigen Natiorlalfhuld wurde gemacht, um die alte
* Schuld von Texas zu bezahlen. Iſt es gerecht, daß diefer Staat
fich jest von ung trenne, ohne einen Theil diefer Schuld felbit zu
bezahlen? Doc mehr noh: Wenn ein Staat fecediren darf, fo
fteht dies Necht einem andern ebenfalls zu, und wenn alle fecedirt
haben werden, fo bleibt feiner mehr vorhanden, um die Schulden
zu bezahlen. Iſt dies gerecht gegen die Gläubiger? Setzten wir
fie von diefer weifen Abficht in Kenntniß, als wir ihr Geld borg—
ten? Wenn wir nun diefe Doktrine anerkennen, indem wir die
Sereffioniften in Frieden gehen laffen, fo läßt es fich ſchwer vor—
berjehen, wag wir thun follten, wenn es den übrigen in den Sinn
käme, zu fecediren, oder Bedingungen zu erpreffen, auf welche hin
fie einwilligen würden, in der Union zu bleiben, Die Secefjioni-
ften beftehen darauf, daß unfere Eonftitution die Seceffion geftatte.
Sie haben fih angemaßt, eine neue National-Conftitution für fich
felbft zu machen, in welcher fie nothwendigerweife dieſes Secej-
fiongrecht, von dem fie behaupten, daß es in der unfrigen beftebe,
- aufgegeben oder aber es beibehalten haben müffen. Haben fie es
aufgegeben, fo gefteyen fie damit ein, Daß es recktmäßigerweife
nicht in der unfrigen beftehen ſollte; haben fie es beibehalten, jo
müfjen fie ihrer eigenen Auslegung unferer Conftitution gemäß
eonfequenterweife von einander fecediren, fobald fie dies für den
leichteften Weg halten, ihre Schulden zu bezahlen oder irgend
einen andern eigennügigen und ungerechten Zwed zu erreichen.
“Das Prinzip felbft ift ein Prinzip der Disintegration, nach wel»
Die erſte Sigung des Congreifes. 137
chem feine Regierung für die Dauer beftehen fann. Wenn alle
Staaten mit Ausnahme eines einzigen die Macht beanfpruchten,
diefen einzigen aus der Union zu vertreiben, fo würde die ganze
Klaffe der Secefjions-Politifer fofort diefe Macht leugnen und
den Alt als die gröblichfte Verlegung der Staatsrechte brand-
marfen. Geſetzt nun aber, man behaupte von ein und demfelben
Akte, anftatt daß der eine Staat ausgetrieben worden fei, hätten
alle die übrigen von dem einen fecedirt, fo wäre dies genau, mas
die Seceffioniften zu thun beanspruchen; es fei denn, daß fie die
Behauptung aufftellen, vaß ein Staat, weil eine Minorität, recht»
mäßig thun fünne, was den übrigen, als einer Majorität, recht-
mäßig nicht geftattet fei. Diefe Politiker find fpibfindig mit ihren
Minvritätsrechten. Sie find jener Macht nicht fehr gewogen,
welche die Conftitution ſchuf und in der Präambel von fich felbit
ſpricht: „Wir, das Volk.“ Esift fehr zu bezweifeln, ob heu-
tigen Tages in irgend einem Staate, mit Ausnahme von Süd—
Carolina vielleicht, eine Majorität gefeblich berechtigter Stimm-
geber eriftirt, die zu Gunſten der Disunion if. Wir haben alle
Urfache zu vermuthen, daß in vielen, wenn nicht in allen der ſo—
genannten fecedirten Staaten die Unionsmänner in der Majori-
tät find. In feinem einzigen hat fich bis jetzt das Gegentheil
berausgeftellt.
„Es läßt fich dies felbft von Virginien und Tenneffee behaupten,
denn das Refultat einer in militärifchen Feldlagern abgehaltenen
Wahl, wo die Bajonette alle auf der einen Seite der Frage find,
fann wohl faum als ein Ausdruck der VBolfsgefinnung betrachtet
werden. Bei einer folhen Wahl würde jene große Klaffe, welche
zu gleicher Zeit für die Union, aber gegen Eovercion ift, durch Ge—
walt gezwungen werden, ihre Stimmen gegen die Union abzugeben.
Es darf wohl ohne Uebeftreibung behauptet werden, daß die freien
Inftitutionen, die wir genießen, die Macht unferes Volles ent-
widelt und den Zuftand deffelben verbeffert haben wie feine andere
politifche Inftitutionen der Welt. Dafür haben wir jegt einen
fchlagenden und nachdrücklichen Beweis, Nie zuvor fah die Welt
eine fo große Armee, wie die Regierung fie jebt fchlagfertig daftehen
bat, in der jeder Soldat aus eigener freier Wahl feinen Plaß ein-
138 Das Leben Abraham Lincolns.
nahm, Doch mehr noch als dies; wir haben viele einzelne Regi—
menter, deren Mitglieder, Einer und Alle, volle praftifche Kennt-
niffe aller Künfte, Wiffenfchaften und Profefionen befigen, fowie
alles deſſen, was für nüslich oder zierlich in der ganzen Welt ge—
halten wird; faum ein Regiment fteht da, aus welchem nicht ein
Präfivdent, ein Kabinet, ein Congreß und vielleicht ein Gericht ge-
wählt werden könnte, hinreichend fähig, Die Regierung felbft zu
verwalten. Auch gilt daſſelbe, wie ich gern einräume, von ber
Armee unferer ehemaligen Freunde, jebt unferer Gegner. Um fo
mehr aber ergiebt fich der Grund, daß die Regierung, die ihnen wie
uns ſolche Wohlthaten erwiefen, nicht muthwillig zertrümmert wer—
den follte. Wenn in irgend einer Seftion ein Mann lebt, der den
Umfturz diefer Regierung befürwortet, fo möge er wohl überlegen,
auf welches Prinzip hin er es thut, Was Befferes kann er dafür
befommen? Welcher Erfab dafür kann dem Volke ebenfo viel
Gutes thun? Wir haben: bereits etliche Andeutungen hierüber.
Unfere Gegner haben eine Unabhängigfeits-Erflärung adoptirt, in
welcher, im Gegenfag zu unferer guten alten, die von Jefferfon
entworfen wurde, die Worte „alle Menfchen wurden gleich ge-
ſchaffen“ ausgelaffen find. Warum? Sie haben eine temporäre
National-Conftitution adoptirt, in deren Präambel, im Gegenfab
zw unferer guten alten, die von Wafhington unterzeichnet wurde,
fie die Worte auglaffen: „Wir, das Volk,“ und dafür fegen: „Wir,
die Deputirten der fouveränen und unabhängigen Staaten.‘ Wa—
rum? Weshalb diefe abfichtliche und gefliffentliche Hintanſetzung
der Menfchentechte und der Autorität des Volkes? Diefer Kampf
iſt mwefentlich ein Volkskampf. Auf Seiten der Union ift es ein
Kampf für vie Aufrechterhaltung jener Form und Subftanz einer
Regierung, deren Hauptzwed ift, den Zuſtand der Menfchheit zu
verbeffern, die unnatürliche Bürde von allen Schultern zu nehmen,
Allen den Weg zu lobenswerthem Fortfchritt zu bahnen, Allen eine
gleiche Chance zum großen Wettlaufe des Lebens zu geben und nur
im äußerften Nothfalle theilmeife und temporäre Ausnahmen von
den Regeln eintreten zu laffen. Dies ift der Hauptzwed der Re—
gierung, für deren Eriftenz wir kämpfen,
„Höchſt glüdlih bin ich in dem Glauben, daß das ſchlichte und
Die erfte Sitzung ses Congreſſes. 139
einfache Bolf Dies verjteht und würdigt. Es ift beachtenswerth,
daß während in diefer Stunde der Prüfung eine große Anzahl von
Offizieren in der Armee und Marine refignirte und dem Lande
treulos wurde, das fie begünftigt und ausgezeichnet hatte, Fein ein-
ziger gemeiner Soldat oder gemeiner Matrofe freiwillig von feiner
Flagge defertirte, Große Ehre gebührt jenen Offizieren, die troß
dem verrätherifchen Beifpiel ihrer Collegen treu blieben; die größte
Ehre und die mwichtigfte Thatfache aber ift die einmüthige Stand-
haftigfeit der gemeinen Soldaten und Matrofen. Wie ein Mann
widerftanden fie, ſoweit befannt ift, den verrätherifchen Lockungen
Derjenigen, deren Commando fie eine Stunde zuvor als ein abfo-
Iutes Geſetz betrachtet und befolgt hatten, Dies ift der patriotifche
Inſtinkt fchlichter Leute, „Sie verftehen ohne Argument, daß die
Zerftörung der Regierung, die Waſhington fhuf, nichts Gutes für
fie bedeutet. Man hat unfere volfsthümliche Regierung oft ein
Erperiment genannt. Zwei Punkte verfelben wurden von unferem
Bolfe feitgeftellt, nämlich die erfolgreiche Gründung und die erfolg-
reiche Verwaltung derfelben. Nur noch Eines bleibt übrig. Sch
meine, die erfolgreiche Behauptung derfelben gegen einen formi—
dabeln innern Verfuch zu ihrem Umfturze. Dem Volke fommt es
jest zu, der Welt zu beweiſen, daß Diejenigen, welche einen redlichen
Wahlſteg erlangen Fünnen, auch im Stande find, eine Rebellion zu
unterbrüden ; daß der Stimmfaften der vechtmäßige und friedliche
Nachfolger des Krieges ift, und daß, wenn der Stimmfaften redlich
und conftitulionell entfchieden hat, Fein anderer gefeglicher Apella-
tionsweg offen fteht als wiederum an den Stimmfaften bei der
nächſten Wahl. Dies wird eine große Friedenslehre fein, die allen
Menfchen fagen wird, daß fie durch Krieg Nichts erlangen können,
was fie nicht Durch die Wahl zu erlangen vermochten, und welche
Thorheit es iſt, den Krieg zu beginnen,
„Um aller Beforgnig in den Gemüthern aufrichtiger Männer
hinfichtlich des Verfahrens der Regierung gegen die ſüdlichen Staa-
ten nach erfolgter Unterdrüdfung der Rebellion vorzubeugen, halte
ich es für angemeffen zu fagen, Daß es dann wie immer meine Ab-
ficht fein wird, mich von der Conftitution und den Geſetzen leiten
zu laffen, und daß ich wahrfcheinlich Fein anderes Verſtändniß der
140 Das Leben Abraham Lincolne.
Macht und Pflichten der Bundesregierung hinſichtlich der Rechte
der DBereinigten Staaten und des Volkes unter der Conftitution
hegen werde, als dasjenige, welches ich bereits in der Inaugural—
Adreſſe ausgedrüdt habe. Mein Wunſch ift, die Regierung zu er-
halten, damit fie für Alle verwaltet werden möchte, wie fie von ihren
Urhebern und Gründern verwaltet wurde. Loyale Bürger aller-
wärts haben ein Recht, Dies von der Regierung zu verlangen, und
die Regierung hat Fein Recht, es zu verweigern oder zu vernach—
läffigen. Sch fehe nicht ein, daß in der Erfüllung diefes Verlan-
gens irgend eine Coercion, Eroberung oder Unterjcchung in irgend
einem Sinne des Wortes liegt.
„Die Conftitution beftimmte, und ſämmtliche Staaten acceptirten
die Beftimmung, „daß die Vereinigten Staaten jedem Staate der
Union eine republifanifche Regierungsform garantiren folle. Wenn
nun aber ein Staat gefeglich aus der Union ſcheiden darf, fo darf
er, wenn ausgefchieden, ebenfalls die republifanifche Regierungs-
form verwerfen. Hieraus folgt, daß die Verhinderung feines Aus—
trittes ein unerläßliches Mittel zum Zwede der Erhaltung jener
Öarantie iftz und wenn der Zwed gefeglich und recht ift, fo find
damit auch die zur Erreichung diefes Zweckes unerläßlichen Mittel
gefeglich und recht.
„Mit tiefitem Bedauern ſah ich mich zur Anwendung der Kriegs»
macht genöthigt. Da mir die Bertheidigung der Regierung auf-
gezwungen wurde, fo blieb mir Feine andere Wahl, als diefe Pflicht
zu erfüllen, oder die Eriftenz der Regierung zu opfern. - Kein Com—
promiß durch öffentliche Diener konnte in diefem Falle von Nugen
fein; nicht als ob Compromiffe nicht häufig von Nugen wären,
fondern weil feine volksthümliche Regierung lange einen fo ſtark
markirten Präcedenzfall überleben könnte, nach welchem Diejenigen,
welche bei einer Wahl den Sieg davon tragen, die Regierung nur
dadurch vor dem unmittelbaren Umfturz zu retten vermochten, daß
fie den Hauptpunft opferten, der ihnen zum Wahlfieg verhalf. Das
Bolt felbjt kann mit Sicherheit feine eigene Entfcheidung zurüd-
nehmen; feine Diener aber fünnen pas nicht thun,
„Als Privatbürger hätte ich nie meine Einwilligung zum Umfturz
diefer Inftitutionen gegeben; viel weniger noch durfte ich es thun,
Die erfte Sigung des Congreifes. 141:
indem ich an dem hohen und heiligen Amte, das diefes freie Volk
mir anvertraute, Berrath beging. Ich fühlte, daß ich fein mora—
lifches Recht zu wanken hatte, noch) felbft an die Öefahren zu denken,
die in der Erfüllung meiner Pflicht meinem eigenen Leben drohten,
„Angefichts dieſer meiner großen Verantwortlichkeit that ich bis
jest, was ich für meine Pflicht hielt. Sie werden jest, nach Ihrem
eigenen Ermeffen, die Ihrige erfüllen. Ich hoffe aufrichtig, daß
Ihre Anfichten und Handlungen mit den meinigen übereinftimmen
möchten, um dadurch alle getreuen Bürger, die in dem Genuſſe ihrer
Rechte geftört worden find, einer baldigen und fihern Wiederher-
ftellung derfelben unter der Eonftitution und den Geſetzen zu ver-
fihern. Und nachdem wir nun unfern Pfad ohne Arglift und mit
reiner Abficht erwählt haben, laßt uns unfer Vertrauen auf Gott
erneuern und ohne Furcht und männlichen Herzens vorwärts
gehen.
„Juli 4,, 1861,
Abraham Lincoln.”
Diefes Dokument Tegt, wie man bemerken wird, in gemäßigter
Sprache die Thatfachen in Bezug auf die Rebellion in ihrem dama—
ligen Stadium dar, und zwar fo, daß felbft das gewöhnliche Volf
ohne Mühe daraus den genauen Stand der Dinge erkennen fonnte,
Einerfolchen klaren und deutlichen Adreſſe bedurfte es nie dringen—
der als in einem Augenblid, wo—wie Vielen nicht ganz unwahr-
ſcheinlich erſchien wiederholte Aufrufe an das Volk um Truppen
und Geld bevorftanden, um die Einheit der Nation zu bewahren,
Man darf wohl behaupten, daß die Botfchaften Feines unferer Prä—
fiventen fo allgemein gelefen und fo durchgängig von dem Volfe
verſtanden wurden, wie die des Herren Lincoln, der felbit der Tribun
des Bolfes war,
Der Congreß bewilligte fünfhundert Millionen Dollars und ord-
nete ein Aufgebot von fünfhunderttaufend VBoluntären für die Ar—
mee an, traf Beflimmungen für eine volfsthümliche National-An-
leihe, revidirte den Tarif, pafjirte eine direkte Bejteuerungsbill, adop⸗
tirte mäßige Maßregeln binfichtlich der Confiskation des NRebellen-
eigenthumg, Tegalifirte die offiziellen Akte des Präfidenten während
142 Das Leben Abrabam Lincolns.
der Krifis, in der fi das Land befand, und das Repräfentanten>
haus paffirte mit nur zwei abweichenden Stimmen — Be⸗
ſchluß:
„Veſchloſſen durch das Haus der a des Congrefles
der Pereinigten Staaten, daß der gegenwärtige bedauernswerthe
Bürgerkrieg dem Lande aufgedrungen wurde durch die Die-
unioniften der ſüdlichen Staaten, die jebt in der Empörung gegen
die conftitutionelle Regierung begriffen find und bewaffnet die
Hauptftadt umgeben; daß in diefer Stunde der Nationalgefahr der
Congreß, alle Gefühle bloßer Leidenschaft oder Rache außer Acht
laffend, nur feiner Pflichten gegen das ganze Land eingedenf fein
will; daß dieſer Krieg unfrerfeits nicht zur Berrüdung, nicht zur
Eroberung und Unterfohung, nicht zur Einmifchung in die Rechte
und beftehenden Inftitutionen der Staaten geführt werde, fondern
zur Bertheidigung und Aufrechterhaltung der Suprematie der Con—
ftitution und zur Erhaltung der Union, wobei die Würde, die
Gleichheit und die Rechte ſämmtlicher Staaten unverlegt bleiben
follen; und daß der dan aufhören fol, fobald Diefe Zwede er>
reicht fein werden.’
Am 21, Zuli erlitt die Armee der Union unter direktem Commando
des Generald MeDowell, und unter allgemeiner Aufficht des greifen
Scott — von deffen Bewegung gegen die Rebellen in Birginien man
fu viel erwartet hatte—eine ſchwere Niederlage bei Bull Run. Sie
rücte fiegesgewiß vor und fam in milder Flucht zurüd, Eine Zeit
lang bemädtigte fi die größte Niedergefchlagenheit jedes Ioyalen
Herzens; eine unerflärliche Angft bemeifterte fich des Volkes. Man
fürchtete, daß Wafhington eingenommen würde und Dann—war es
um unfere Sache gejchehen.
Dies dauerte jedoch nur einen Augenblick. Die Rüdwirkung
kam. Die Stadt Wafhington, die fehr leicht hätte eingenommen
und geplündert werden fünnen, wenn nur die Rebellen ihren Er-
folg zu benügen verftanden hätten, wurde ftarf befeftigt und garni—
fonirt. Man begriff damals nicht, was jet die Meiften zugeben,
dag Bull Run eine nothmendige Dieciplin war, eine Echule, in
welcher Alle Etwas lernten—leider freilich nicht Alle fo viel als ſie
ſollten. Erſt die Zukunft ſollte fie weiſer machen.
Neuntes Kapitel,
Ende des Jahres 1861.
Freude der Rebellen — Davis prahlt — AcClellan wird zum Befehlshaber
der Potomar-Armee ernannt — Prorlamation eines National-Safttages —
Der Verkehr mit den Rebellen wird verboten — Flüchtige Sklaven — Ge-
neral Sutler’s Anfichten — Sekretär Cameron’s Brief an General
Meclellan — Akte vom 6. Auguft 1861 — General Sremont’s Ordre —
Modifikation derfelben durd den Präfidenten — Inftruktionen an Gene-
ral Sherman — Ball’s Sluf — General Scott zieht ſich zurück — Die
Potomar-Armee.
Der Sieg der Rebellen zu Bull Run erfüllte fie, wie zu erwarten
ftand, mit nicht geringer Freude. hr Präfident ſchlug in feiner
Botfchaft einen hochmüthigen und prahlerifhen Ton an. Er be—
lobte den Muth und die Entfchloffenheit feiner Truppen und fagte:
„Bon der Unterjochung eines fo einmüthigen und entfchloffenen
Bolfes fprechen, heißt eine Sprache reden, die ihm unverftändlich
iſt. Es ift fein Inftinkt, jedem Angriff auf feine Rechte oder
Freiheiten zu, widerftehen, Ob diefer Krieg ein Jahr, oder drei
oder fünf Jahre dauern foll, ift ein Problem, deffen Löfung wir
dem Feinde überlafjen. Er wird fo lange dauern, bis fich der
Feind von unfern Grenzen zurüdzteht, bis unfere politifchen
Rechte, unfere Altäre und unfere häuslichen Herde von der In—
vaſion befreit find, Dann, und dann erft werden wir von diefem
Kampfe ruhen und in Frieden die Segnungen genießen, die un-
jere ftandhaften Herzen und ftarfen Arme uns mit Hülfe der gött—
lichen Vorfehung errungen haben.“
Am 25, Juli wurde der Potomac-Armee ein neuer Comman—
deur angemwiefen; auf die warme Empfehlung des General Scott
erhielt George B. MeElellan, der fich bei feinem Feldzug in Weft-
Pirginien günftig ausgezeichnet hatte, das Commando, Mit der
dem amerikanischen Volke fo charakteriftifchen Hebertreibungsfucht
wurde diefer General, der fich feine Lorbeeren erft noch zu ermwer-
ben hatte, als ein junger Napoleon begrüßt, bis zu den Sternen
| (143)
144 Das Leben Abraham Lincolns.
erhoben und der Erfolg unter ihm als eine ausgemachte Ehat-
fache auf das Beftimmtefte prophezeit,
Der Beneral machte fich fofort an's Werk, feine Armee, die von
Woche zu Woche große Berftärkungen erhielt, zu organifiren, dis—
eipliniren und equipiren.
Am 12, Auguft erfchien folgende Proflamation :
„Sintemalen eine gemeinfhaftlihe Committee beider Häu—
fer des Congreffes dem Präfidenten der Vereinigten Staaten auf-
wartete, und ihn erfuchte, „einen üffentlihen Demüthigungs-,
Bet- und Fafttag anzuempfehlen, der vom Volke der Vereinigten
Staaten mit religiöfen Feierlichkeiten gehalten werde, um den
allmächtigen Gott um Sicherheit und Wohlfahrt für diefe Staa—
ten, fowie um feinen Segen für unfere Waffen und eine baldige
Wiederherftellung des Friedens anzuflehen:
„Und ſintemalen es ſich allen Menfchen zu allen Zeiten
geziemt, die Herrfchaft des höchſten Gottes anzuerkennen und zu
verehren ; fich in Demuth feiner Züchtigung zu unterwerfen; ihre
Sünden und Miffethaten zu befennen und zu bereuen, mit der
vollen Weberzeugung, daß die Furcht des Herren aller Weisheit
Anfang iftz und mit Inbrunft und Zerfnirfhung um Vergebung
ihrer begangenen Sünden und um Segen für * — ———
und künftiges Thun zu flehen:
„Und ſintemalen der durch Bürgerkrieg zerrüttete Zu—
ftand unferes einft durch Gottes Segen vereinigten, blühenven
und glüdlichen Landes uns die befondere Pflicht auferlegt, vie
Hand Gottes in diefer fchredlichen Heimfuchung anzuerkennen,
ung in fummervoller Erinnerung unferer eigenen Irrthümer und
Berbrehen als Nation und als Individuen vor ihm zu beugen
und ihn um Gnade anzuflehen — zu bitten, daß uns fernere
Züchtigung erlaffen werde, obfchon wir Diefelbe reichlich verdienen;
daß fein Segen unfere Waffen begleite und ung die Wiederher-
ftellung des Geſetzes und der Ordnung, fowie des Friedens in
diefem ganzen weiten Lande ermögliche, und daß die unfchäbbare
Wohlthat bürgerlicher und religiöfer Freiheit, Die unfere Väter
nach Mühen und Leiden unter feinem Segen errungen, ung in
al’ ihrer urfprünglichen Fülle wiederum zu Theil werde:
Ende des Jahres 1861. 145
„Deshalb beftimme ich, Abraham Lincoln, Präfident der
Vereinigten Staaten, den legten Donnerftag im kommenden Sep-
tember als einen Buß-, Bet- und Faſttag für das ganze Bolf der
Union. Und ich empfehle ernftlich allem Volke, "insbefondere
allen Predigern und Religionslehrern fümmtlicher Sekten, ſowie
allen Familienhäuptern, dieſen Tag ihren Religiong- und Cul—
tusgebräuchen gemäß in aller Demuth und mit allen religiöfen
Feierlichkeiten zu halten, damit das vereinigte Gebet der Nation
zum Thron der Gnade emporfteigen und reichlichen Segen über
unfer Land bringen möge,
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefegt und das Siegel der Bereinigten Staaten beifügen laffen.
„Segeben in der Stadt Wafhington am 12, Tage des Monats
Auguft, Anno Domini eintaufend achthundert und einundfechzig,
und im ſechs und achtzigften der Unabhängigkeit der Vereinigten
Staaten von Amerika.
„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Sincoln.
„Billiam 9. Seward, Staatsſekretär.“
Bier Tage fpäter erfchien folgende weitere Proklamation:
„Sintemalen am 15, April der Präfivent der Vereinigten
Staaten in Anbetracht einer Inſurrektion gegen bie Gefebe, die
Eonftitution und die Regierung der Bereinigten Staaten, die in
den Staaten Süd: Carolina, Georgia, Alabama, Florida, Miffif-
ſippi, Louiſiana und Teras ausgebrochen war, und in Gemäßheit
der Beitimmungen einer Alte, benannt: Eine Akte, bezüglich des
Aufgebotes der Miliz, um die Gefebe der Union auszuführen,
Sinfurrektionen zu unterdrüden, Invaſionen zurüdzutreiben und
die jegt zu diefem Zwecke beftehende, am 28, Februar 1795 gut-
geheißene Alte aufzuheben, die Miliz zur Unterdrückung befagter
Snfurreftion und zur vollen Ausübung der Gefege der Union
aufgeboten hat und die Inſurgenten fich geweigert haben, fich in-
nerhalb der dazu vom Präfidenten beftimmten Zeit zu zerftreuen :
„Und fintemalen feither eine Inſurrektion ausgebrochen
ift und noch befteht innerhalb der Staaten Virginien, Nord⸗Ca⸗
rolina, und Arkanſas:
146 Das Leben Abraham Lincolns.
„Und fintemalen die Infurgenten in fänmtlichen ge=
nannten Staaten unter der Autorität derfelben zu handeln vor—
geben, und foldhe Anmaßung von den in Ddiefen Staaten oder
Iheilen derfelben, wo folche Combinationen beftehen, die Funk—
tionen der Negierung verwaltenden Perfonen nicht verworfen
oder Tepudiirt wurde, noch befagte Infurreftion yon bejugten
Staaten unterdrüdt worden ift:
„Zeshalb erkläre hiermit ih, Abraham Lincoln, Prä—
fivent der Vereinigten Staaten, in Gemäßheit einer Congreßakte
vom 13. Juli 1861, daß die Bewohner befagter Staaten: Geor—
gia, Süd-Carolina, ‚Tennefjee, Alabama, Lonifiana, Teras, Ar-
kanſas, Miffiffippi und Florida, mit Ausnahme jenes Theiles des
Staates Birginien, der weſtlich von den Alleghany-Gebirgen
liegt, fowie anderer Theile diefes Staates und der übrigen oben—
benannten Staaten, die eine loyale Anhänglichfeit an die Union
und Conftitution bewahren oder von Zeit zu Zeit von den Trup-
pen der Vereinigten Staaten, die mit der Zerftreuung befagter
Inſurgenten betraut find, oeeupirt und controllirt werden — ſich
in einem Zuftand der Inſurrektion gegen die Vereinigten Staaten
befinden, und daß aller Handelsverfeyr zmwifchen den Bewohnern
genannter Staaten, mit obenerwähnter Ausnahme, und andern
Theilen der Vereinigten Staaten ungefeglich ift und ungefeglich
bleiben wird, bis beſagte Infurreftion aufgehört hat oder unter-
drückt iftz daß alle Güter, Waaren und Handelsartifel, die ohne
fyezielle Lizens und Erlaubniß des Präfidenten durch den Schab-
fefretär von irgend einem der erwähnten Staaten, obengenannte
Ausnahmen nicht eingerechnet, nach andern Theilen der Vereinig-
ten Staaten gelangen oder nach irgend einem der befagten Staa—
ten, jene Ausnahmen abgerechnet, pafliren, fei es nun zu Land
oder Waſſer, fammt dem Fuhrwerk oder Schiff, das die Waaren
oder auch Perfonen, von und nach bejagten Staaten, befagte
Ausnahmen nicht eingerechnet, befördert, eonfiscirt werden und
den Vereinigten Staaten anheimfallen follen; und ich ermahne
hiermit fümmtlihe Diftriftanwälte, Marfchälle und Revenuen—
offiziere der Militär- und Marineforcen der Vereinigten Staaten,
wachfam zu fein in der Ausführung befagter Alte und in der
Ende des Jahres 1861. 147
durch diefelbe auferlegten und erklärten Bollftrefung der Strafen
und Confiscationen, wobei es jeder Perfon, die fich dadurch beein-
trächtigt glauben mag, unbenommen bleiben fol, ſich wegen Er—
laffung oder Rüderftattung irgend einer Strafe oder Eonfiscation
an den Schabfefretär zu wenden, der gejeglich autorijirt ift, dieſes
Berlangen zu gewähren, wenn feinem Urtheil nach die fpeziellen
Umftände in irgend einem Falle eine ſolche Erlaffung over Rüd-
erftattung erfordern,
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen.
„Geſchehen in der Stadt Waſhingion, diefen 16. Tag des Mo-
nats Auguft, im Jahre unferes Herren eintaufend achthundert
und einundfechzig und im fechgundachtzigften der Unabhängigkeit
der Vereinigten Staaten von Amerifa.
„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Sincoln,
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“
Die Frage hinfichtlich der Verfügung über die Sklaven der
Nebellenmeifter Fam ſchon in jener frühen Periode des Krieges
zur Discuſſion und es war leicht vorherzufehen, daß die Entſchei—
dung derfelben nicht wenig Schwierigkeiten bereiten würde,
Schon am 27. Mai 1861 hatte General Butler, damals Com»
mandant der Feftung Monroe, dem Kriegsdepartement feine An-
fihten in Betreff der flüchtigen Sklaven mitgetheilt, die dahin
ging, daß man diefelben als „Kriegs-Contrebande“ zu betrachten
habe, und Sekretär Cameron hatte jenen Commandanten amt
30, Mai inftruirt, feinem feiner Untergebenen eine Einmifchung
in die Berhältniffe der unter den Gefeten irgend eines Staates
in Dienft gehaltenen Perfonen zu geftatten, noch andrerfeits, jo
lange ſolche Staaten in der Rebellion verharrten, dieſe Perfonen
ihren Meiftern zurüdzuliefern, fondern diefelben zu möglichft vor—
theilhaften Dienften zu verwenden, ſowie über den Werth ihrer
Arbeit und die Koften ihres Unterhaltes Rechnung zu führen;
die Frage hinfichtlich der endlichen Verfügung über diefelben
müßte einem fünftigen Befchluffe vorbehalten bleiben,
Ungefähr zu derfelben Zeit fagte General MeClellan, ale er
148 Das Leben Abrabam Lincolns.
zur Hülfe der loyalen Bürger nach Weft-Virginien fam, in feiner
Anrede an das Volk:
„Was auch von den Verräthern gefagt wurde, um euch zu dem
Glauben zu verleiten, daß unfere Ankunft hier das Signal zur
Einmifchung in die Sklaverei fein würde, jo bitte ich euch, ein
Ding deutlich zu verftehen: — nicht nur werden wir uns aller
Einmifhung enthalten, fondern wir werden im Gegentheil jeden
Inſurrektions-Verſuch eurer Sklaven mit eiferner Hand unter-
drücken.“
Am 8. Auguſt ſagte Sekretär Cameron in Erwiederung auf
einen zweiten Brief von General Butler über denſelben Gegen-
ftand: |
„General: — Die wichtige Frage hinfichtlich der Verfügung
über die Flüchtlinge vom Dienfte in den Staaten, die ſich in In—
furreftion gegen die Bundesregierung befinden, worauf Sie in
Ihrem Briefe vom 20. Juli meine Aufmerkfamfeit lenkten, ift von
mir auf das Sorgfältigfte erwogen worden. Es ift der Wunſch
des Präfidenten, daß alle beftehenden Rechte in füänmtlichen Staa—
ten vollftändig refpektirt und aufrecht erhalten werden. Der jest
von Seiten der Bundesregierung geführte Krieg ift ein Krieg für
die Union, für die Erhaltung aller conftitutionellen Rechte der
‚Staaten und der Bürger der Staaten in der Union; deshalb
kann feine Frage entftehen bezüglich der Flüchtlinge vom Dienfte
innerhalb der Staaten und Territorien, in welchen die Autorität
der Bundesregierung vollig anerfannt ift. Die gewöhnliche Form
des gerichtlichen Berfahreng muß von Militär- und Eivil-Behör-
den für die Nusübung legaler Formen refpektirt werden. Allein
in den Staaten, die fich ganz oder theilweife unter der Controlle
der Infurgenten befinden, wo die Geſetze der Vereinigten Staaten
einen folchen Widerſtand finden, daß die erfolgreiche Vollſtreckung
derfelben unmöglich wird, ift es augenfcheinlich, daß die von der
Vollſtreckung diefer Geſetze abhängenden Rechte zeitweilig unbe»
achtet bleiben müſſen; ebenfo augenfcheinlich ift es, daß die von
den Geſetzen der Staaten, in welchen militärifche Operationen
betrieben werden, abhängenden Nechte den durch die Inſurrektion
Ente des Jahres 1861. 149
bervorgerufenen militärifchen Maßregeln fubordinirt werden müſ—
fen, wenn die diefelben beänfpruchenden Perfonen durch ihre ver—
rätherifhe Aufführung derfelben nicht ganz und gar verluftig
werden. Eine Ausnahme macht die allgemeine Regel in Bezug
auf das Dienftreht. Die am 6. Auguft 1861 approbirte Con—
greßafte erklärt, daß, wenn dienftpflichtige Perfonen zu feindlichen
Dienfte gegen die Vereinigten Staaten verwendet werden, der
Anſpruch anf ihre Dienfte aufhören fol. Hieraus ergiebt fich von
felbft, daß die militärifche Autorität der Union feinen Anſpruch
auf die Dienfte folcher Flüchtlinge anerkennen kann.
„Det weiten fchmwieriger ift die Frage binfichtlich der Perfonen,
die aus dem Dienfte loyaler Meifter entfliehen. Es ift Har, daß
die Geſetze des Staates, unter denen allein der Dienft folder
Slüchtlinge beanfprucht werden fann, durch die Inſurrektion und
die Durch diefelbe nothwendig gewordenen militärifchen Maßregeln
gänzlich oder beinahe gänzlich aufgehoben fein müſſen; ebenfo
Har ift es, daß die Subftitution militärifcher für richterliche Maß—
regeln zur Grmährleiftung folder Anfprüche große Unannehm-
lichkeiten, Verlegenheiten und Beeinträchtigungen im Gefolge ha—
ben müffen. Unter folden Umftänden unterliegt es feinem Zwei—
fel, daß die fubftantiellen Rechte loyaler Meifter fih am beften
dadurch bejhügen laffen, daß man foldhe Flüchtlinge fowohl, wie
Flüchtlinge von illoyalen Meiftern in den Dienft der Vereinigten
Staaten aufnimmt und fie unter ſolchen Organifationen zu fol-
hen Beihäftigungen anhält, als es die Umftände rathfam oder
erforderlich erfcheinen laffen. Natürlich follte ein Regifter gehal-
ten werden, das die Namen und Perfonalbefchreibungen diefer
Slüchtlinge, die Namen und Charaktere ihrer Meifter, loyal oder
illoyal, nebſt ſolchen Thatfachen, die zum genauen Verſtändniß der
Umftände in jedem Falle nothwendig find, verzeichnet.
„Nach Wiederherjtelung des Friedens und der Ruhe wird der
Congreß ohne Zweifel über alle auf diefe Art in den Dienjt der
Union aufgenommenen Perfonen und über eine billige Entfchä-
digung loyaler Meifter entfcheiden. Auf diefe Weife nur, mie
mir fcheint, läßt fich die Pflicht und Sicherheit der Regierung mit
den billigen Rechten Aller in Einklang bringen, Sie werden fi
150 Das Leben Abraham Lincolns.
daher bei Ihren Fünftigen Handlungen in Bezug auf Flüchtlinge
vom Dienfte von obigen Vorſchriften leiten laffen und von Ihren
Handlungen von Zeit zu Zeit, mindeftend zwei Mal jeden Monat,
diefem Departement Bericht erftatten. Sie werden indeffen unter
feinen Umftänden die Truppen unter Ihrem Commando autori-
firen oder denfelben geftatten, fich auf irgend eine Weife mit den
Dienern friedlicher Bürger in Haus oder Feld einzulaffen, oder
folche Perfonen auf irgend eine Weije ermuthigen, den Dienft
ihrer Meifter zu verlaffen; noch werden Sie, ausgenommen wenn
die öffentliche Sicherheit es erfordert, die freiwillige Rückkehr
irgend eines Flüchtlings in den Dienft, dem er entlaufen ift, ver-
hindern.“
Die bereits erwähnte Congreßakte, welche für die Confiskation
der Güter foldher Perfonen, die in offener Rebellion gegen die
Regierung ftanden, Beftimmung traf, befchränfte die Strafe auf
folches Eigenthun, das mit Wiffen und Willen der Eigenthümer
zum Dienfte der Rebellion verwendet wurde; anftatt aber die fo
verwendeten Sklaven zu emancipiren, überließ fie die Verfügung
über diefelben den Vereinigten Staaten Gerichten oder irgend
einer fpätern Legislation hierüber,
General Fremont, damals im Commando des Departements
von Miffouri, gebrauchte im einer Order vom 30, Auguft, worin
er für den ganzen Staat das Kriegsgefeg erklärte, die folgenden
Worte:
„Das Örund- und Perfonal-Eigenthum folcher Perfonen, welche
die Waffen gegen die Vereinigten Staaten ergreifen, oder für
fhuldig befunden werden, gemeinfchaftlihe Sache mit den im
Felde ftehenden Feinden gemacht zu haben, wird hiermit zum öf-
fentlihen Nuten für confiscirt erklärt, und deren Sklaven, wenn
fie folche befigen, follen fortan frei fein.“
Diefe Order verlegte obengenannte Alte und konnte nur auf
den Grund dringender militärischer Nothwendigfeit hin gerecht-
fertigt werden. ine Correfpondenz, die zwifchen dem Präfiden-
ten und General Fremont über diefen Gegenſtand gewechfelt wurde,
endigte mit folgendem offiziellen Brief, datirt Waſhington, D. C.,
ven 11. Sevtember 1861:
Ende des Jahres 1861. 151
„Öeneral- SRajor John C. Fremont.
„Generals — Ihr Schreiben vom 8., in Erwiederung des mei-
nigen vom 2, d. Mts., fam mir eben zu Händen. Ueberzeugt,
dag Sie an Drt und Stelle beffer über die Nothwendigfeiten ihrer
Poſition zu urtheilen vermögen, als ich in diefer Entfernung, hatte
ich feinen allgemeinen Einwand gegen Ihre Proflamation vom
30. Auguft zu machen. Die befondere Klaufel inveffen, in Bezug
auf die Confiskation des Eigenthums und die Befreiung der Skla—
ven ſchien mir unftatthaft, da fie nicht mit der am 6. Auguft paf-
firten Congreßakte hinſichtlich deffelben Gegenftanvdes überein-
ftimmte, und deshalb fchrieb ich Ihnen und drüdte meinem Wunſch
aus, daß jene Klaufel we werden möchte. In Ihrem fo:
eben erhaltenen Briefe Außern Sie den Wunſch, daß ich eine
öffentliche Order betreffs diefer Modifikation erlaffe, was ich mit
Freuden thue.
„Es wird fomit beordert, daß befagte Klaufel befagter Profla-
mation dahin modifizirt und conftruirt fei, daß diefelbe mit den
Beftimmungen einer Congreßalte, betitelt: „Eine Afte zur Con—
fisfation des zu infurreftionären Zweden verwendeten Eigenthums,“
approbirt am 6. Auguft 1861, übereinftimme und viefelben nicht
überfchreite, und daß befagte Alte vollftändig mit diefer Order
publicirt werde.
„Ihr ergebener Diener
Abraham Siycoln.”
In den Inſtruktionen vom Kriegsdepartement an General
Sherman, damals im Commando der Landmächte, zur Operation
an der Küfte von Süd-Carolina beftimmt, wurde diefer Comman-
deur angemiefen, fih in Bezug auf dieſe Klaffe von Perfonen bon
den an General Butler ergangenen Vorfchriften leiten zu laffen,
wobei ihm jedoch unbenommen fein folle, in fpeziellen Fällen fei-
nem eigenen Ermefjen nach zu handeln. Wenn befondere Um—
ftände es erforderten, follten Diefe Perfonen in irgend einer Eigen-
Schaft, in Schwadronen, Compagnien oder anderweitig organifirt,
verwendet werden, wie er es am Einträglichiten für den Dienft
balten möge. Darunter aber follte feine allgemeine Bewaffnung
derjelben zu militärifchem Dienfte verftanden werden. Alle loyr-
152 Das Leben Abrabam Lincolns.
len Meifter follten die BVerficherung erhalten, daß der Congreß
ihnen für den Berluft der Dienfte fo befchäftigter Perfonen eine
billige Entſchädigung zuerfennen würde.
Dergeftalt veränderlich und unbeftimmt war um jene Zeit die
Phafe, diefer Frage, welche fpäter erft unter der feften Hand des
Prüfiventen eine klare, beftimmte und unzweideutige Geftalt an-
nehmen follte.
Die Schlacht von Bal’s Bluff — die erfte unter der Leitung
des neuen Oberbefehlshabers der Potomac-Armee — fand am
21. Oktober ftatt und war nur eine Repelition von Bull Run,
glüdlicherweife jedoch in Hleinerem Maßftabe. Zum Sundenbod,
dem die ganze VBerantwortlichkeit aufgeladen wurde, mußte Gene-
ral Stone dienen, worauf denn die Jfdignation des Landes in
Etwas nachließ. |
Unmittelbar nach diefer Affaire bat der greife Scott, des aktiven
Dienftes enthoben zu werden, welches Gefuch in folgender, höchſt
jchmeichelhafter Order bewilligt wurde:
„Waſhington, den 1. November 1861.
„Drevet-General-Lieutenant. Winfteld Scott wird hiermit
am heutigen erften Tage des Monats November 1861 auf fein
eigenes GErfuchen bei dem Präfidenten der Vereinigten Staaten
auf die Lifte der penfionirten Offiziere der Vereinigten Staaten
Armee gefest, ohne Abzug an feinem laufenden Gehalt, feinen
Einkünften und Gebühren.
„Das amerifanifche Volk wird mit tiefer Rührung und Trauer
vernehmen, daß General Scott fih yon der aktiven Controlle der
Armee zurückgezogen hat, während der Präfivent und das Cabinet
einftimmig ihre Sympathie und die der Nation für feinen gegen-
wärtigen leidenden Zuftand ausdrüden, fowie auch ihre dankbare
Anerkennung für die wichtigen Öffentlichen Dienfte, die er während
feiner Tangen und glänzenden Laufbahn feinem Lande leitete,
wobei feine treue Anhänglichkeit an die Konftitution, die Union
und die Flagge, als diefelben von einer vatermörderifchen Rebel»
(ion angegriffen wurden, ftets rühmlich anerkannt werden fol,
Abraham Lincoln.“
Der Congreß von 1861—62. 153
‚ Dem General MiElellan, nunmehr dem Senior-Dffizier der
Armee, wurden jest vom Präfidenten die Pflichten des Obergene—
rals übertragen,
Sp verftrichen nun die prächtigen und goldenen Herbittage, die
wie zum Kämpfen gemacht fchienen; allein es gab feinen Kampf
für die Potomac-Armee — hie und da ein unbedeutendes Schar-
mützel — meiftens aber Paraden.
Die Wintermonate famen — die trodene Jahreszeit war dahin,
Die große Armee, die jest vollftändig organifirt, digciplinirt und
equipirf mar, zog — in den Kampf? — nicht —1 ſie zog in die
Winterquartiere ein.
Und das Volk — ſtets geduldig und langmüthig — vergaß
Ball's Bluff, vergaß ſein Hoffnungen, vertraute auf die kluge
Umſicht des Ober-Generals und wartete auf den Frühling.
Zehntes Kapitel.
Der Congreß von 1861—62.
Die militärifche Situation — Gefangennahme von Mafon und Slidell— Pppo-
fition gegen die Adminiftration — Kotfihaft des Präfidenten — Finanzielle
Tongrefmaßregeln— Committee über die Kriegsführung —Lonfiskations-
Bill.
Bur Zeit der Wiedereröffnung des Congreſſes, am 2. Dezember
1861, war die militärifche Situation Feineswegs fo verfprechend,
als die verſchwenderiſche Ausgabe von Geld und die erntlichen Be-
mühungen der Apminiftration zu einer energifchen Betreibung des
Krieges das Volk erwarten ließen. Es ift wahr, die Bundeshaupt-
ftadt war befhüst und Maryland, Weft-Virginien, Kentudy und
Miffouri waren nicht von den Rebellen erobert worden. Mehr als
dies jedoch war im Oſten nicht vollbracht worden—obfchon dies für
nichts Unbedeutendes gehalten worden wäre, wenn das Volk nicht
gar zu fanguinifch auf fofortige große Nefultate gewartet hätte; im
Weiten bedrohten große Nebellentruppen Kentudy und Miſſouri,
154 Das Leben Abraham Lincolne.
und der Miffijfippiftrom war von feiner Mündung faft bis zur
Mündung des Ohio in ihrer Gewalt.
Eine zu jener Zeit äußerſt unwünfchenswerthe Verwidelung mit
den auswärtigen Mächten drohte und aus der Ergreifung der
Emiffüre Mafon und Slidell zu erwachfen; doch wurde diefe Affaire
fpäter von der Regierung zur Befriedigung jener Nationen— wenn
auch nicht gerade zur Befriedigung der großen Maffe unferes Vol⸗
kes—beigelegt. Es herrſchte die allgemeine Anficht, daß England
und Frankreich nur eine oberflächliche Neutralität bewahrten, wäh—
rend fie in Wirklichkeit den Rebellen alle mögliche materielle Hilfe
leifteten, und daß die commerziellen Intereſſen unferes Landes ſehr
beeinträchtigt würden durch die Auslegung, die jene Mächte von
den Neutralitätspflichten zu geben für Mit fanden.
Ueberdies war die Organijation einer gefährlichen Oppofitiong-
partei im Werfe, die den Auswurf jeder Sorte von Malcontents in
ſich ſchloß. Sie umfaßte Leute, die fich ftets gegen den Krieg er-
Härt hatten, obfchon fie bei der Aufregung, die auf den Fall von
Sumter folgte, einige Zeit Heinlaut geworden waren; Leute, die mit
Dem geringen Fortfchritt unferer Sache unzufrieden waren; Leute, die
fich jeder Maßregel widerfegten, die die Adminiftration unter irgend
welchen Umſtänden ergriff; Leute, die anfingen, des Krieges müde zu
werden und bereit waren, die Sache auf irgend eine Weife beizulegen,
und Leute, die ftet3 auf eine Gelegenheit harıten, wodurch ſie politifch
oder pecuniär für ihr eigenes theures Ich Kapital machen könnten.
Kurzum, der Zuftand der Dinge bot bei der Eröffnung diefer
Sitzung durdaus feinen erheiternden Anblid dar.
Daß der Präfivent ſich des wahren Sachverhaltes volllommen
bewußt war, geht aus folgender Jahresbotſchaft Har hervor:
„Mitbürger vom Senat und Beprafentantenhaus :——Mitten
unter den gegenwärtigen beifpiellofen politifchen Wirren haben wir
alle Urfache, Gott für den ungewöhnlich guten Gefundheitszuftand
des Landes und für eine reichliche Ernte zu danken,
„Es wird Sie nicht verwundern, daß bei diefen eigenthümlichen
Zuftänden unfer Verkehr mit fremden Nationen große Schwierig-
keiten darbot — Schwierigkeiten, die fih hauptfächlich auf unfere
eigenen häuslichen Angelegenheiten bezogen,
Der Congreß von 1861—62. 155
„Ein illoyaler Theil des amerifanifchen Bolfes war während
eines ganzen Jahres in dem Berfuch begriffen, die Union zu zer—
theilen und zu zerftören. Cine Nation, welche eine innere Zer-
fplitterung erleidet, ift der Mißachtung von außen ausgefegt, und
es Fann nicht ausbleiben, daß früher oder fpäter die eine Partei,
wenn nicht beide, fremde Intervention herbeirufen.
„Nationen, die auf folche Weife zur Einmifchung eingeladen
werden, find nicht immer im Stande, den Rathichlägen anfcheinen-
der Zweckmäßigkeit oder ungeneröfer Ehrfucht zu widerſtehen, ob—
ſchon ſelten Maßregeln, die unter folchen Einflüffen ergriffen wer—
den, Denjenigen, die diefelben adoptiren, zum Nuben und Frewmen
gedeihen,
„Die illoyalen Bürger der Vereinigten Staaten, welche den Ruin
unſeres Landes herbeizuführen ſuchten, erhielten weniger Patronage
und Ermunterung für ihre Bemühung, Hilfe und Unterſtützung von
außen zu erlangen, als ſie wahrſcheinlich erwarteten. Wenn es
billig wäre, anzunehmen, wie die Inſurgenten anzunehmen ſchie—
nen, daß fremde Nationen in dieſem Falle, alle moraliſchen, ſocialen
und Vertrags-Verpflichtungen bei Seite ſetzend, einzig und ſelbſt—
füchtig zu dem Zwede handeln würden, die möglicht baldige Wie-
berherftellung des Handels, insbefondere der Acquifition von Baum-
wolle herbeizuführen, fo fcheinen jene Nationen bis jet noch nicht
eingefehen zu haben, daß durch die Zerftörung der Union jene
Zwecke ſchneller und beffer erreicht würden als durch die Erhaltung
derfelben. Wenn wir glauben dürften, daß fremde Nationen durch
fein höheres Prinzip als diefes befeelt würden, fo bin ich feft über-
zeugt, daß ihnen durch unmwiderlegbare Argumente gezeigt werden
könnte, daß fie ihr Ziel rafcher und leichter dadurch erreichen wür-
den, daß fie ung bei der Unterbrüdung diefer Rebellion behilflich
wären, als durch eine Ermunterung und Unterftüßung derfelben.
„Der Haupthebel, deffen fich die Infurgenten bedienen, um fremde
Nationen zur Feindſeligkeit gegen ung aufzuheben, ift, wie bereits
angedeutet, die theilmweife Studung des Handelsverkehrs. Es ift
indeffen nicht unmwahrfcheinlich, daß jene Nationen von Anfang an
einfahen, daß die Union die Grundbedingung unferes auswärtigen,
ſowohl wie unferes einheimiſchen Handels ſei. Es Fonnte ihnen
156 Das Leben Abraham Lincolns.
unmöglich entgangen fein, daß der Berfuch zur Tisunion die ge>
genwärtigen Schwierigkeiten herbeiführte, und daß eine ftarfe Na—
tion einen dauerhafteren Frieden und ausgedehnteren, werthoolleren
und zuverläfjigeren Handel garantirt als diefelbe Nation, wenn fie
in feindliche Bruchftüde zerfplittert ift.
„Es ift nicht meine Abficht, näher auf unfere Discuffionen mit
fremden Staaten einzugehen, denn was auch ihre Wünfche und Ge-
finnungen fein mögen, die Integrität unferes Landes und die Sta-
bilität unferer Regierung hängen nicht von ihnen ab, fondern
hauptfächlich von der Loyalität, der Tugend, dem Patriotismug und
der Intelligenz des amerifanifchen Bolfes. Die Correfpondenz felbft
wird, mit den üblichen Refervationen, dem Congreſſe hiermit unter-
breitet. ”
„Die Durchficht derfelben wird bemweifen, daß mir mit Umficht
und Liberalität gegen die fremden Nationen gehandelt, alle Urfachen
zur Jrritation vermieden und dabei mit Feftigfeit unfere eigene Ehre
und Rechte gewahrt haben, '
‚Da es indeffen vor Augen liegt, daß hier, wie in jedem andern.
Staate, häusliche Wirren leicht fremde Gefahren im Gefolge ha-
ben, fo empfehle ich die Adoptirung angemeffener und hinlänglicher
Mafregeln zur öffentlichen BVertheitigung allerfeits. Während
nun unter diefer allgemeinen Anempfehlung die Vertheidigung un-
ferer Seefüfte von felbft in’s Auge fällt, erlaube ich mir zu gleicher
Zeit die Aufmerkfamfeit des Congreffis auf unfere großen Binnen-
feen und Slüffe zu Ienfen. Ich glaube, daß einige Befeftigungen
und Depots für Waffen und Munition, nebft Hafen- und Schiff-
fahrtsverbefferungen an wohlgemählten Drten, von großer Wichtig—
feit für die Vertheidigung und Erhaltung der Nation find, und
bitte, den Anfichten des Kriegsſekretärs, die er hinfichtlich dieſes all»
gemeinen Gegenftandes in feinem Berichte niederlegte, gebührende
Berüdfichtigung zu widmen.
„Ich halte es für wichtig, daß die Ioyalen Regionen von Oft-
Tenneſſee und vom weftlichen Nord- Carolina mit Kentudy und an=
dern loyalen Theilen der Union durch Eifenbahnen verbunden
werden. Ich empfehle daher als eine militärifche Maßregel an,
daß der Congreß möglichit bald für die Errichtung folcher Eifen-
Der Congreß von 1361-62. 157
bahnen Beftimmungen treffe. Kentucky wird ohne Zweifel zu die—
fem Zwede mitwirfen und durch feine Legislatur die hierzu geeig-
nette Linie wählen. Der nördliche Ausgangspunft muß fich irgend
einer beftehenden Eifenbahn anjchliegen; ob die Route nun von
Lerington oder Nicholasville nach dem Cumberland Gap, oder von
Lebanon nach der Tennefjee Linie in der Richtung von Knorville,
oder in irgend einer andern Linie gehen foll, läßt ſich leicht beſtim—
men. Bei dem Zufammenwirfen Kentudy’s3 mit der General-
regierung läßt ſich, das Werk in furzer Zeit vollenden, Wenn es
nun vollendet, wird es nicht mur für die Gegenwart von unbe-
rechenbarem Nutzen, fondern für alle Zufunft eine permanente
werthvolle Einrichtung fein, gegen deren Vortheile die Koften der
Erbauung nicht in Anfchlag zu bringen find, ;
„Einige Verträge, hauptfächlich für das Intereſſe des Handels
beftimmt und von feiner befondern politifchen Wichtigkeit, wurden
negotiirt und werden dem Senat zur Erwägung vorgelegt werden.
„Dbihon es uns nicht gelang, einige der Handelsmächte zu
bewegen, eine mwünfchenswerthbe Amelioration der Strenge des
Seefrieges zu adoptiren, fo haben wir dennoch alle Schwierigfei-
ten aus dem Wege diefer humanen Reform entfernt, mit Aus—
nahme folcher, die nur zeitweilig und zufällig vorfommen.
„Ich lenke Ihre Aufmerkfamfeit auf die Correfpondenz zwifchen
dem Minifter ihrer brittanifchen Majeftät, bei diefer Regierung
acereditirt, und dem Staatsfekretär, in Bezug auf die Beichlag-
nahme des brittifchen Schiffes Pertfhire legten Juni durch den
Ber. Staaten Dampfer Maffachufetts, wegen eines angeblichen
Blockadebruches. Da diefe Beichlagnahme durch ein augenfchein-
liches Mißverftändnig der TIhatfachen veranlaßt wurde, und da
die Gerechtigkeit erfordert, daß wir feinen Friegerijchen Akt bege-
ben, der nicht auf firengem Rechte und in Uebereinftimmung mit
dem Bölferrechte beruht, jo empfehle ich an, daß eine Bewilligung
gemacht werde, um die billigen Anfprüche der Eigner dieſes Schif-
fes wegen Fefthaltung deſſelben zu befriedigen,
„sch wiederhole die Empfehlung meines Vorgängers in feiner
Jahresbotſchaft an den Congreß im legten December, hinfichtlich
der Berfügung über den Ueberfchuß, der wahrfcheinlich verbleiben
158 Das Leben Abraham Lincolns.
wird, nachdem die Anfprüche amerifanifcher Bürger an China, die
ihnen durch fehiedgrichterlichen Augfpruch unter der Akte vom
3. März 1859 zuerfannt wurden, befriedigt fein werden. Sollte
es indefjen für rathfam befunden werden, jene Anempfehlung nicht
in Wirkung zu bringen, fo möchte ich vorfchlagen, daß Vollmacht
gegeben würde, das Kapital jenes Meberfchuffes gegen guie Sicher-
heit auszuleihen, um dereinſt damit andere gerechte Ansprüche
unferer Bürger an China zu befriedigen, die bei unjerm ausge—
dehnten Verkehr mit jenem Lande wohl nicht ausbleiben werten.
„Dur die Akte vom 5. Auguft autorifirte der Congreß den
Prafidenten, die Commandanten geeigneter Schiffe zu inftruiren,
fi) gegen Piraten zu vertheidigen und diefelben einzufangen,
Diefe Autorität wurde nur in einem einzigen Falle ausgeübt.
. Zum wirkungsvolleren Schuge unferes ausgedehnten und werth-
vollen Handels, befonders in den Hftlichen Meeren, feheint es mir
rathſam, die Commandanten der Schiffe zu autorifiren, irgend
eine von Piraten aus Bereinigten Staaten Schiffen und deren
Ladung gemachte Prife wiederzuerobern, fowie den jet geſetzlich
im Orient errichteten Confular-Gerichten Bollmacht zu ertheilen,
derartige Fälle abzuurtheilen, wenn die Lofal-Behörden feine
Einfprache Dagegen erheben.
„Wenn irgend ein guter Grund vorhanden ift, aus dem wir der
Unabhängigkeit und Souveränität Haytis und Liberias ferner
unfere Anerkennung verweigern follten, fo bin ich nicht im Stande,
denfelben einzufehen. Unwillens jedoch, in Betreff derfelben eine
neue Politif ohne die Approbation des Congreffes zu inauguriren,
empfehle ich Ihrer Erwägung die Zweckmäßigkeit einer Verwil—
ligung, um bei jedem diefer neuen Staaten einen Charge
d’affaires zu unterhalten. Es unterliegt feinem Zweifel, daß
günftigen Verträgen mit denfelben bedeutende commerzielle Vor—
tyeile entfprießen würden.
„Die Operationen des Schabamtes wurden während der feit
Ihrer Vertagung verftrichenen Periode mit vollfommenem Erfolg.
betrieben. Der Patriotismug des Volkes hat der Regierung die
von der Nothwendigfeit geforderten bedeutenden Mittel zur Ver—
fügung geftellt. Ein großer Theil der National-Anlehe wurde
®
Der Connreß von 1861—62. 159
von den Bürgern der induftriellen Klaffen gezeichnet, deren Ver—
trauen in die Zuverläffigkeit ihres Landes und Eifer für die
Rettung deffelben aus der gegenwärtigen Gefahr fie antrieb, ihre
fämmtlichen befchränften Mittel zur Unterftügung der Regierung
beizutragen. Dieſe Thatfache legt uns die befondere Berflichtung
zur Delonomie in den Ausgaben und zur Energie im Han—
deln auf,
„Die NRevenuen aus fümmtlihen Quellen, einfchlieglich der
Anlehen, betrug für das mit dem 30. Juni 1861 endigende Fi-
nanzjahr ſechs und achtzig Millionen, achthundert und fünf und
dreißig Tauſend, neunhundert Dollars und fieben und zwanzig
Cents, und die Ausgaben während derfelben- Periode, einjchließ-
lich der Abfchlagszahlungen an der öffentlichen Schuld, beliefen
fich auf vier und achtzig Millionen, fünf hundert und acht und
fiebzig Taufend, achthundert und vier und dreißig Dollars und
fieben und vierzig Cents; verbleibt fomit am 1. Zuli der Schab-
fammer eine Bilanz von zwei Millonen, zweihundert und fieben
und fünfzig Taufend und fünf und fechszig Dollars und achtzig
Cents, Für das erfte, mit dem 30, September 1861 endigende
Duartal des laufenden Finanziahres betrugen die Einnahmen aus
fänmtlichen Quellen, einfchließlich der Bilanz vom 1. Zuli, ein-
hundert und zwei Millionen, fünfhundert und zwei und dreißig
Tauſend, fünfhundert und neun Dollars und fieben und zwanzig
Cents — die Ausgaben acht und neunzig Millionen, zweihundert
und neun und dreißig Taufend, fiebenhundert und drei und dreis
fig Dollars und neun Cents; verbleibt ſomit der Schagfammer
für den 1. Oktober 1861 eind Bilanz von vier Millionen, zwei—
hundert und zwei und neunzig Taufend, fiebenhundert und fechs
und fiebzig Dollars und achtzehn Cents.
„Aeftimate für die übrigen drei Duartale des Jahres und für
das Finanzjahr 1863 werden dem Kongreß vom Sekretär des
Schatzamtes vorgelegt werden, desgleihen auch feine Anfichten
über die Mittel und Wege, um die nöthigen Erforderniffe zu be-
fhaffen. Erfreulich ift e8, daß die durch die Rebellion verurfach-
ten Ausgaben die Hilfsquellen des loyalen Volkes nicht überſtei—
gen, und zu glauben, daß derfelbe Patrivtismus, der die Regie—
160 Das Leben Abraham Lincolns.
rung fo weit unterftügt hat, diefelbe auch ferner unterftügen wird,
big Friede und Union wiederum bergeftellt fein werden.
„Ich verweife achtungsvoll auf ven Bericht des Kriegsſekretärs
in Bezug auf die numerifche Stärke der Armee; desgleichen auf
feine Anempfehlungen rüdfichtlih der ferneren Zunahme ihrer
Wirkſamkeit und des Gedeihens der verfchiedenen feiner Obhut
anvertrauten Zweige. Es ift befriedigend, zu fehen, daß der Pa—
triotismug des Volkes auch in diefer Hinficht die gehegten Erwar-
tungen übertraf, und daß die Anzahl der angebotenen Truppen Die
Force bedeutend überftieg, die der Congreß mich in das Feld zu
rufen autorijirte,
„Es-gereicht mir zum Vergnügen, auf denjenigen Theil feines
Berichtes hinzumeifen, der auf die mufterhafte Disciplin unferer
Truppen und den vortrefflichen Sanitätszuftand der ganzen Armee
anfpielt.
„Die Recommendation des Sefretärs für die Organifation der
Miliz auf eine uniforme Bafis hin ift ein Gegenftand von mwefent-
licher Bedeutung für die fünftige Sicherheit des Landes und wird
der ernftlihen Aufmerkfamfeit des Congreffes dringend anem—
pfohlen.
„Die bedeutende Vermehrung der regulären Armee in Verbin—
dung mit dem Umſtande, der die Anzahl ihrer Offiziere fo beträcht-
lich verringerte, macht feine Empfehlung zur Vergrößerung des Ka—
detten-Eorps, foweit es nur der Umfang der Militär-Afademie ge-
ftatten will, höchſt gemichtig.
„Durd ein bloßes Verſehen, wie ich vermuthe, hat der Congreß
verfäumt, Kaplane für die Hofpitäler für Voluntäre zu ernennen,
Diefer Gegenftand wurde zu meiner Kenntnig gebracht, und ich fah
mich veranlaßt, das Formular eines Briefes zu entwerfen, von wel⸗
chem eine Copie, paffend adrefjirt, jeder der Perfonen überliefert
wurde, nebjt einer Schedule, ebenfalls das Formular eines Briefeg
enthaltend. Diefes Dokument folgt, mit “A” bezeichnet, hier bei.
„Diefe Herren traten die ihnen angemwiefenen Pflichten zu den
im Schedulum angegebenen Zeiten an und haben diefelben feither
getreulich und fleißig verwaltet. Sch empfehle daher an, daß ihnen
derfelbe Gehalt bewilligt werde, wie den Kaplanen der Armee,
Der Congreß von 1861-62. 161
Ferner empfehle ich eine allgemeine Beftimmung für Kaplane in
den Hofpitälern fowohl, wie bei den Negimentern,
„Der Bericht des Marineſekretäes erklärt im Detail die Opera-
tionen in jenem Theil des Dienftes, die Thätigfeit und Energie,
welche deffen Adminiftration charakterifirten und die Refultate der
Maßregeln, die getroffen wurden, um die Macht und Wirkfamfeit
deffelben zu vermehren. So groß waren die VBerftärfungen durch
Bau und Kauf, daß ſich faft fagen läßt, eine Marine fei feit dem
Beginne des Krieges gefchaffen und dienfttüchtig gemacht worden.
„Abgefehen von der Blodade unferer ausgedehnten Seeküſte ver-
fünimelten fi) größere Geſchwader, als je zuvor, unter unferer
Slagge und verrichteten Thaten, die unfern Seeruhm bedeutend ver-
mehrten.
„Ich lenke die beſondere Aufmerkſamkeit des Congreſſes auf die
Empfehlung des Sekretärs für eine vollkommenere Organiſation
der Marine durch Einführung höherer Nangftufen in dem Dienfte,
„Die gegenwärtige Organifation ift mangelhaft und ungenügend,
und die Adoptirung beifolgender Rathichläge von dem Departement
werden ohne Zweifel die beftehenden Schwierigkeiten hinwegräumen,
Harmonie befördern und die Wirkfamkeit der Marine überhaupt
erhöhen.
„In dem DOberbundesgerichtshof find gegenwärtig drei Vacan—
zen — zwei durch Das Ableben der Richter Daniel und MeLean
und eine durch die Refignation des Richters Campbell verurſacht.
Sch habe es bis jegt unterlaffen, Nominationen für die Ausfül-
lung diefer Bacanzen zu machen, und zwar aus Gründen, die ich
bier angeben will. Zwei dieſer Richter refidirten innerhalb der
Staaten, die fih jebt in Inſurrektion befinden; fo dag, wenn
Nachfolger in denfelben Lofalitäten ernannt würden, diefe ihren
Dienft in den betreffenden Gerichten nicht verwalten fünnten;
viele der competenteften Männer würden mwahrfcheinlich das per—
ſönliche Wagnif des Dienftes nicht einmal hier im Obergerichts—
bof angenommen haben. Herner war ich nicht Willens, nur
nördliche Männer zu ernennen und mir dadurd die Möglichkeit
zu benehmen, bei der Wiederkehr des Friedens det Süden Gr-
— NEN zu laſſen; obfchon ich bemerken darf, dag
162 Das L.ben Abraham Lincolns.
die Wahl eines Mannes aus dem Norden, der früher durch
einen ſüdlichen Mann erfest war, mit Rückſicht auf das Gebiet
und die Besölferung nicht ungerecht wäre.
„Während der langen und glänzenden richterlichen Laufbahn
des Richters MeLean wuchs fein Bezirk zu einem Reihe an —
viel zu groß für einen Richter, um den Oerichtshöfen darin
mehr als eine nominelle Aufmerkſamkeit zu widmen. Die Bevöl—
ferung wuchs von einer Million, vierhundert und flebenzig taujend
und achtzehn im Jahre 1830 bis zu fehs Millionen, ein hundert
und einundfünfzig taufend vierhundert und fünf im Jahre 1860.
„Ueberdies ift das Land längft für unfer gegenwärtiges Gerichts—
foitem zu groß geworden, Wenn je eine Uniformität beabfichtigt
war, jo erfordert das Syſtem, daß alle Staaten Bezirkägerichtshöfe
erhalten, die von Dberrichtern verwaltet werden, während Wiscon-
fin, Minnefota, Jowa, Kanfas, Florida, Teras, Californien und
Oregon niemals ſolche Gerichtshöfe hatten, Auch läßt fich dieſem
Uebelftande nicht Teicht ohne eine Abänderung des Syſtems abhel-
fen; denn vermehrten wir die Anzahl der Richter des Oberbundes—
gericht, um allen Theilen des Landes Bezirkögerichte zu verfchaffen,
fo erhielten wir dadurch einen Gerichtshof, der für ein richterliches
Corps irgend einer Art viel zu zahlreich wäre, Ind das Uebel
würde zudem mit jedem neuen Staate, der in die Union eintritt,
zunehmen. Bezirksgerichtshöfe find entweder nüglich, oder fie find
nicht nützlich; find fie nützlich, jo follten fie feinem Staate verwei—
gert werden; find fie nicht nüglich, fo follte kin Staat fie haben.
Laßt fie für alle Staaten eingerichtet oder für alle abgefchafft
werden,
„Drei Modififationen drängen fich meinem Geifte auf, von denen
jede, wie ich glaube, eine Verbeſſerung unferes gegenwärtigen
Syſtems wäre. Laßt dag Obergericht in jedem Falle aus einer
angemefjenen Zahl Richter beftehen. Dann theilt eritens das
Land in Bezirke von paffendem Umfang einz in einer Auzahl der»
felben mögen die Oberrichter ihrer eigenen Anzahl nach dienen,
und fir alle übrigen können unabhängigige Bezirksrichter ernannt
werden, Oder, zweitens, enthebet die Oberrichter ſämmtlicher Be-
zirköpflichten und ernennet Bezirksrichter für alle Bezirke, Oder
- Der Congreß von 1861—62. 163
drittens endlich, hebt die Bezirfsgerichte ganz und gar auf und
überlaffet die richterlichen Functionen den Diftriktsgerichten und
einem unabhängigen Obergericht.
„Sch empfehle der Erwägung des Eongreffes den gegenwärtigen
BZuftand der Statutengefege an in der Hoffnung, daß der Kongreß
im Stande fein werde, eine Abhilfe für manche Inconvenienzen
und Uebel zu finden, die fich beftändig den mit der praftifchen Ad»
miniftration derfelben Betrauten entgegenftellen, Seit der Orga—
nifation der Regierung hat der Congreß etliche fünftaufend Akte und
Gefammtbefchlüffe paflirt, die mehr als fechs taufend eng gedrudte
Seiten füllen und in vielen Bänden zerftreut liegen. Manche die-
fer Alten find vilig und ohne gehörige Vorficht entworfen worden,
fo daß mande ihrer Beitimmungen dunkel in fich felbft find, oder
einander mwiderftreiten, oder wenigitens fo zweifelhaft find, daß es
ſelbſt für die Beftunterrichteten oft fehr fchwer wird, die wahre Be—
deutung des Statutengejeßes zu ermitteln.
„Es feheint mir von großer Wichtigkeit zu fein, daß die Statuten-
gefege fo deutlich und verftändlicy wie möglich gemacht und auf
einen fo geringen Raum reduzirt werden, als dies mit der Voll—
ftändigfeit und Präcifion der Abſicht der Legislatur und der Klar-
heit der Sprache vereinbar ift. Diefes richtig gethan, würde, wie
ich glaube, die Arbeit Derer fehr erleichtern, Deren Pflicht es ift, bei
der Adminiftration der Gefege mitzuwirken, und wäre eine bleibende
Wohlthat für das Volk, indem ihm dadurch die Gefebe, die in fo
enger Beziehung zu feinen Intereffen und feinen Pflichten ftehen,
in einer zugänglicheren und verftändlicheren Form vor Augen ge=
gelegt würden,
„Sachverftändige, auf deren Anfichten ich Gewicht lege, theilten
mir mit, daß alle jest in Kraft beftehenden Congreßaften von per-
manenter und allgemeiner Natur revidirt und umgefchrieben wer—
den könnten, fo daß fie einen Band (oder höchſtens zwei Bünde)
von gewöhnlichen und mäßigem Umfang füllen würden. Sch em-
pfehle dem Congreß achtungsvoll an, diefen Gegenftand in Erwä-
gung zu ziehen, und, wenn für gut befunden, den zur Erreichung
des Zwedes geeignetiten Plan dafür zu entwerfen.
„Eine der unvermeiplichen Folgen der gegenwärtigen Inſurrek—
164 Das Leben Abraham Lincolns.
tion ift an vielen Orten die gänzliche Unterdrüdung aller gewöhn-
lichen Mittel, um die Civil-Zuftiz durch die Beamten und in den
Formen des beftehenden Geſetzes verwalten zu laſſen. Dies ift in
fammtlichen Infurgenten-Staaten gänzlich) oder theilweiſe der Hall,
und wo nur unfere Armeen vorrüden und von Theilen jener
Staaten Befib ergreifen, da wird dieſes praftifche Hebel erft recht
augenfcheinlih. Es giebt daſelbſt Feine Gerichtshöfe oder Beamte,
an welche die Bürger anderer Staaten fi in ihren gefeglichen An-
fprüchen an die Bürger der Infurgenten-Staaten wenden Fünnten,
und diefe Anſprüche machen einen ganz bedeutenden Schulvbetrag
aus. Einige ſchätzten den Betrag auf zweihundert Millionen
Dollars, und diefe Summe fchulden meiftens die Infurgenten in
offener Rebellion den Ioyalen Bürgern, die jebt fo große Opfer
bringen, um durch die Ausübung ihrer patriotifchen Fit die
Regierung zu unterftügen.
„Unter diefen Umftänden wurde ich Dringend angegangen, durch
militärifhe Macht Gerichtshöfe zu errichten, um in folden Fallen
fummarifche Zuftiz handhaben zu laffen. Ich weigerte mich bieher,
dies zu thun, nicht weil ich Zweifel hegte, daß der angeftrebte Zweck
— die Eintreibung diefer Schulden — recht und billig an und für
ſich felbft fei, fondern weil ich nicht Willens war, in der Ausübung
ungewöhnlicher Gewalt die Örenzen abfjoluter Nothwendigfeit zu
überfchreiten. Dem Congreß aber fteht, wie ich glaube, alle hierzu
erforderliche Gemalt zu, und deshalb vermweife ich dieſe ganze Ange-
legenheit an ven Congreß in der Hoffnung, daß fih ein Plan zur
Adminiftration der Gefege in allen foldhen Iheilen von Inſurgen—
ten-Staaten oder Territorien entwerfen laffe, die unter der Con—
trolle der Regierung ftehen mögen, fei es durch eine freiwillige
Rückkehr zur Treue und Ordnung, oder dur die Macht unferer
Waffen. Dies follte indeffen kein permanentes Inſtitut fein, ſon—
dern nur ein temporäres Subftitut, und follte aufhören, ſobald
die gewöhnlichen Gerichtshöfe im Frieden wieder eröffnet werden
können.
„Bon großer Wichtigkeit iſt es, daß wo möglich geeignetere Mittel,
zur Berichtigung der Anfprüche an die Regierung vorgefehen wür—
ben, befonders in Anbetracht der durch den Krieg bedeutend größer
Der Congreß von 1861-62. 165
gewordenen Anzahl derſelben. Es ift ebenso fehr die Pflicht der
Regierung, zu Öunften der Bürger prompte Zuftiz gegen fich ſelbſt
zu handhaben, als diefelbe zwifchen Privatindividuen walten zu
laffen. Die Unterfuhung der Anfprüche und die Aburtheilung
derjelben gehören ihrer Natur nad dem Juftizdepartement anz
außerdem ift es augenfcheinlich, daß die Aufmerkfamfeit des Con—
greffes für die nächfte Zukunft mehr als gewöhnlich auf große
Nationalfragen gelenkt werden wird. Der Zwed der Organifation
des Gerichtshofes für Anfprüche und Forderungen (Court of Claims)
war hauptfächlich, diefen Zweig des Gefchäftes aus den Hallen des
Congreffes zu entfernen; während aber der Gerichtshof fich als ein
fehr wirkfames und werthvolles Unterfuchungsmittel erwies, erreicht
er dennoch den Zwed feiner Gründung nicht, da es ihm an Macht
gebricht, fein Entſcheidungen endgültig zu machen.
„Sch bin mir der Zartheit, wo nicht gar der Gefährlichkeit dieſes
Gegenſtandes wohl bewußt, und empfehle daher Ihrer reifen Er-
wägung an, ob es nicht zwedmäßig wäre, diefem Gerichtshofe
Macht zu verleihen, feine Entjcheidungen endgültig zu machen,
jedoch vorbehaltlich des Rechtes der Appellation an das Oberbun-
desgericht über Gefeßfragen, nebjt andern folchen Beſtimmungen,
wie die Erfahrung fie ala nothwendig erwies.
„Ich lenke Ihre Aufmerkfamfeit auf den Bericht des General-
Poftmeifters. Folgendes ift eine ſummariſche Ueberſicht über den
Zuſtand des Departements: | —
„Die Revenuen von allen Quellen während des mit dem 30. Juni
endigenden Fiscaljahres, einſchließlich der jährlichen permanenten
Verwilligung von ſiebenhundert tauſend Dollars für den Transport
„freier Poſtſachen“ (free mail matter) beliefen ſich auf neun Mil-
lionen, neunundvierzig taufend, zwei hundert und neunundfechzig
Dollars und vierzig Cents; etwa zwei Prozent weniger als die
Revenuen von 1860,
Die Ausgaben betrugen dreizehn Millionen, fechs hundert und
ſechs taufend, fieben hundert und neunundfünfzig Dollars und elf
Cents; woraus fich eine Abnahme von mehr als acht Prozent, mit
denen des vorigen Jahres verglichen, ergiebt. Es verbleibt fomit
ein Deficit von vier Millionen, fünfhundert und fiebenundfünfzig
»
166 Das Leben Abraham Lincolns.
tauyend, vierhundert und zweiundfechzig Dollars und einundfieben-
zig Cents über die Revenuen des legten Fiscaljahres.
„Die Gefammtrevenuen des mit dem 30. Juni 1863 endigenden
Jahres werden auf eine Zunahme von vier Prozent über die von
1861 veranfchlagt, was eine Summe von acht Millionen, ſechshun—
dert und dreiundachtzig taufend Dollars ergiebt, wozu die Einkünfte
des Departements von dem Transport der „freien Poſtſachen“ zu
rechnen find, nämlich: fiebenhundert taufend Dollars; fomit im
Ganzen neun Millionen, dreihundert und dreiundachtzig taufend
Dollars,
„Die Oefammt-Ausgaben für das Jahr 1863 werden veran-
fhlagt auf zwölf Millionen, fünfhundert und achtundzwanzig
taufend Dollars; verbliebe alfo ein Deficit von drei Millionen,
einhundert und fünfundvierzig taufend Dollars, das nebjt der per-
manenten Berwilligung durch das Schabumt zu deden wäre.
„Die gegenwärtige Inſurrektion zeigt, wie ich glaube, daß die
Ausdehnung diefes Diftriftes über den Potomac-Fluß zur Zeit der
Gründung diefer Bundeshauptftadt eine äußerſt weife Maßregel,
und folglich das Aufgeben jenes Theiles davon, der innerhalb des
Staates Virginien liegt, durchaus unmeife und gefährlich war.
Sch empfehle Ihrer Erwägung die Nothwendigkeit, jenen Theil des
Diftriktes wieder zu erlangen und die urfprünglichen Grenzen durch
Unterbandlungen mit dem Staate Virginien wieder herzuftellen,
„Der Bericht des Sefretärs des Innern zeigt, wie auch die be-
gleitenden Dokumente, den Zuftand der verfchiedenen zu dieſem
Departement gehörigen Zweige der öffentlichen Verwaltung. Der
unbheilvolle Einfluß der Inſurrektion wurde befonders in den Ope—
rationen der Patent-Dffice und der General-Land-Dffice gefühlt.
Die baaren Einnahmen aus den Verkäufen öffentlicher Ländereien
überftiegen während des lebten Jahres die Ausgaben unferes Land—
foitems nur um etwa zweihundert taufend Dollars. Namentlich
wurden die Verkäufe in den ſüdlichen Staaten gänzlich fuspendirt,
während die Gefchäftsftodungen im Lande, fowie der Eintritt fo
vieler Leute aus den arbeitenden Klaffen in den Militärdienft die
Anfiedlungen in den neuen Staaten und Territorien im Norpweften
ebenfalls unterbrochen haben.
u.
Der Congreß von 1861—52, 167
„Die Einkünfte der Patent-Dffice haben in neun Monaten um
einhundert tauſend Dollars abgenommen, was eine große Reduzi—
rung der dafelbit Angeftellten nothwendig machte,
„Die Forderungen an die Penjiong-Dffie werden durch die In—
furreftion bedeutend vermehrt werden. Bereits find zahlreiche Ge—
fuche um Penfionen, durch die Cafualitäten des gegenwärtigen Kries
ges veranlaßt, eingegangen. Es läßt fich mit Grund annehmen,
daß Viele, die jegt auf den Penfiongliften ftehen und Unterftügung
von der Regierung erhalten, fich in den Reihen der Inſurgenten—
armee befinden oder derfelben Hilfe und Vorſchub leiften. Der
Sekretär des Innern bat angeordnet, daß die Auszahlung der
Penfionen folcher Perfonen auf den Beweis ihrer Illoyalität hin
fuspendirt werde. Sch empfehle dem Congreß an, den Sefretär zu
autorifiren, die Namen folcher Perfonen von der Penfionglifte zu
ftreichen.
„Die freundlichen Beziehungen der Regierung zu den Indianer-
ftämmen wurden fehr durch die Infurreftion beinträchtigt, nament-
lih in der ſüdlichen Superintendenz und in der von Neu-Merifo.
Das Indianer-Land füdlih von Kanfas ift im Befiß der Inſur—
genten von Teras und Arkanfas. Die am 4. März für diefe Su—
perintendenz ernannten Agenten der Vereinigten Staaten waren
nicht im Stande, ihre Poften zu erreichen, während die meiften®
jener Beamten, die vor diefer Zeit im Amte waren, die Sache der
Sinfurrektion ergriffen haben und nun vorgeben, ihre Macht ala
Agenten laut Commiffionen von den Infurgenten zu verwalten.
Es wurde von der öffentlichen Preffe gemeldet, daß ein Theil jener
Indianer zu einer militärischen Force organifirt und der Inſur—
gentenarmee einverleibt wurde. Die Regierung hat jedoch bis jebt
noch feine offizielle Nachricht hiervon ; im Gegentheil erhielt ver Com—
miſſär der indianischen Angelegenheiten Briefe von verfchiedenen
hervorragenden Häuptlingen, worin diefe den Vereinigten Staaten
ihre Loyalität verfichern und ven Wunſch ausdrücken, dur die An—
wejenheit der Bundestruppen befchügt zu werden. Man darf an-
nehmen, daß bei der MWiederbefegung des Landes durch die Bundes-
truppen die Indianer bereitwillig alle feindlichen Demonftrationen
®
168 Das Leben Abraham Lincolns.
aufgeben und zu ihren früheren Beziehungen zu der Regierung zu—
rückkehren werden.
„Der Agrikultur, zugeftandenerweife dem größten Intereſſe der
Nation, ift fein Departement, fein Bureau, fondern nur ein un-
tergeordnetes Amt (clerkship) bei der Regierung angewiefen
worden. Während es nun ein glüdlicher Umſtand ift, daß diefes
Interefje feiner Natur nah fo unabhängig ift, daß es meiter
Nichts von der Regierung forderte oder erzwang, lege ich dennoch
dem Congrefje die Frage vor, ob fich nicht freiwillig und mit großem
Bortheil etwas Weiteres dafür thun ließe.
„Sahresberichte, die den Zuftand unferer Agrifultur, unferes
Handels und unferer Manufaktur darftellen, würden Belehrungen
und Auskunft verfchaffen, die von ungemein großem praftifchen
Werthe für das Land wären. Ich unterlaffe es, Andeutungen
über Details zu geben, wage indeffen meine Anficht dahin zu
äußern, daß fih mit großem Vortheil ein Agrifultur- und ftati-
ſtiſches Bureau organifiren ließe.
„Die Ausführung der Gefege zur Unterdrüdung des afrifanifchen
Sklavenhandels ift vem Departement des Innern anvertraut wor-
den. Es ift ein Gegenftand großer Befriedigung, daß die Bemü-
bungen, diefen unmenfhlichen Schacher zu unterdrüden, feit Kur⸗
zem von ungewöhnlichem Erfolg gekrönt wurden. Fünf zum
Sklavenhandel ausgerüſtete Schiffe wurden ergriffen und confis—
zirt. Zwei Steuermänner der zu dem Handel beftimmten Schiffe,
jowie eine Perfon, die ein Schiff zum Sklavenhandel ausrüftete,
wurden überführt und zu einer Geld- und Gefängnißftrafe ver-
urtheilt, und ein Capitän, ter mit einer Fracht Afrikaner an Bord
feines Schiffes ergriffen wurde, ward des höchiten Verbrechens
unter unfern Geſetzen ſchuldig befunden und erlitt die Todes—
ftrafe. Ä
„Die vom legten Congreß gefchaffenen Territorien Colorado,
Difota und Nevada find organijirt worden, und die Civiladmini-
ſtration wurde in denfelben unter Außerft günftigen und erfreu-
lichen Aufpizien begonnen, wenn man bevenft, daß der Sauerteig
des Verrathes fich bereits in einigen jener neuen Länder vorfand,
als die Bundesbeamten dafelbit anlangten,
Der Congreß von 1861—62. 169
„Die reichen natürlichen Hilfsquellen dieſer Territorien werden
nebft der Sicherheit und dem Schube, den die organifirte Regierung
garantirt, eine große Einwanderung nach denfelben lenken, wann
der Friede die Gefchäfte des Landes wieder in die gewohnten Ka—
näle lenkt. Sch unterbreite hiermit dem Congreffe die Beſchlüſſe
der Legislatur von Colorado, aus denen der patriotifche Geiſt des
Bolfes jenes Territoriums deutlich hervorgeht, Bis jest iſt die
Autorität der Vereinigten Staaten in ſämmtlichen Territorien auf-
recht erhalten worden, und ich hoffe, daß dies auch in Zufunft ge-
fhehen wird. Ich empfehle deren Intereſſen und Vertheidigung
der erleuchteten und großherzigen Sorgfalt des Congreſſes.
„Desgleichen empfehle ich die Sntereffen des Diſtrikts Columbia
der günjtigen Erwägung des Eongreffes. Die Inſurrektion ver-
urfachte den Bewohnern defjelben viele Leiden und Opfer, und da
fie feinen Repräfentanten im Congreß haben, fo follte diefer ihre
gerechten Anfprüche an die Regierung nicht überfehen.
„Bei Ihrer legten Sitzung wurde ein Gefammtbefchluß adoptirt,
der den Präfidenten ermächtigt, Anftalten zu treffen, um eine geeig-
nete Vertretung der induftriellen Intereffen der Vereinigten Staa—
ten bei der Induſtrie-Ausſtellung aller Nationen zu erleichtern,
welche im Jahr 1862 zu London abgehalten werden fol. Sch be-
daure, daß es mir unmöglich war, diefem Gegenftand meine per- _
fünliche Aufmerffamfeit zu widmen — einem Gegenftand, an und
für fich felbit fo intereffant und fo innig und ausgedehnt mit ver
materiellen Wohlfahrt der Welt verfnüpft. Durch den Staats—
fefretär und den Sefretär des Innern wurde ein Plan oder Syftem
entworfen und theilweife gereift; diefer folgt hiermit zur Einficht
der Legislative bei.
„Unter und kraft der Congreßalte, betitelt: „Eine Alte zur Con-
fisfation des zu infurreftionären Zweden verwendeten Eigenthumg,”
approbirt am 6. Auguft 1861, gingen gewiſſe Perfonen ihrer gejeh-
lichen Anfprüche auf die Arbeit und den Dienft gewiffer anderer
Perfonen verluftig. Eine Anzahl der Lestern, die auf diefe Art be-
freit wurden, find bereits von den Vereinigten Staaten abhängig
und müffen auf irgend eine Weife verforgt werden. Es ift über»
dies nicht unmöglich, daß einige Staaten ähnliche Gefege zu ihrem
170 Das Leben Abraham Lincolns.
eigenen Nuten und Frommen paffiren werden, wodurd ihnen Die
Verfügung über diefelbe Klaffe von Perfonen zur Pflicht wird.
Für diefen Fall empfehle ich dem Congreffe an, Beftimmungen zu
treffen, um folche Perfonen von ſolchen Staaten⸗nach irgend einen
Abfindungsmodus in Empfang zu nehmen, wie z. B. anftatt, pro
tanto, direkter Taren, oder auf irgend einen andern mit folden
Staaten entworfenen Plan hin; daß folche Perfonen bei ihrer Auf-
nahme durch die Öeneralregierung fofort ala frei betrachtet werden ;
und dag für jeden Fall Schritte gethan werden, um beide Kkaffen
(oder die erfigenannte allein, wenn die andere nicht zur Eriftenz
fommen follte) an irgeud einem Ort und in irgend einem ihnen
angemefjenen Klima zu colonijiren. Es wäre wohl der Erwägung
werth, ob das in den Vereinigten Staaten bereits befindliche freie
farbige Volk, foweit Individuen es wünfchen möchten, in ſolche Co—
lonifation eingefchloffen werden könnte.
„Die Ausführung diefes Colonifationsplanes möchte vielleicht
die Acquifition eines Gebietes, ſowie Geldverwilligungen zu noch
andern Zweden nöthig machen. Nachdem wir die Gebietsacquiſi—
tion feit nahezu fechzig Jahren praftifch betrieben haben, kann Feine
Frage mehr über das conftitutionelle Recht dazu aufgeworfen wer—
den. Die Frage wurde zuerft durch Präfident Zefferfon aufge-
worfen, der jedoch bei dem Ankauf von Louiſiana feine Skrupel an-
gefihts der großen Zwedmäßigfeit aufgab., Wenn man fagt, der
einzige legitime Zwed der Arquifition von Territorium beftehe darin,
eine Heimath für weiße Leute zu gründen, fo erzielt diefe Maßregel
den Zwed, denn die Emigration der Farbigen läßt weitern Raum
für die weißen Leute, die bier bleiben oder noch hierher fommen.
Präfivent Zefferfon indeffen hatte für den Anfauf von Louifiana
weniger den Zwed, für die Bevölkerung Raum zu machen, als viel-
mehr politifhe und commerzielle Rüdjfichten im Auge.
„Hafen wir den ganzen Vorſchlag, einfchließlich der Berwilligung
von Geld und der Acquifition von Territorium, nochmals in's Auge,
fo werden wir finden, daß fich die Zwedmäßigfeit fogar zur abfo-
luten Nothwendigfeit fteigert, die felbft den Fortbeftand der Regie-
rung bedingt.
„Der Krieg dauert noch immer fort. Bei Erwägung der zur
Der Tongreß von 1861-61. 171
Unterdrüdfung der Infurrektion anzumendenden Politif war es mein
eifrigfteg Streben, daß der unabweisbare Kampf zu dieſem Zwede
nicht in einen heftigen und rüdjichtslofen Revolutionskrieg ausarte.
Es fchien mir deshalb in jedem Falle zweckmäßig, die Integrität der
Union als den Hauptzwed des Kampfes auf unferer Geite feitzu-
halten und alle Fragen, die nicht von wefentlicher militärifcher
Bedeutung find, der Legislatur zur reiflichen Ueberlegung zu über-
laffen,
„In der Ausübung meiner beften Einficht beharrte ich auf der
Blockade der von den Infurgenten befesten Häfen, anftatt durch
Proflamation das vom Congreß in der legten Sitzung erlaffene Ge—
fe zur Schließung derfelben in Ansführung zu bringen,
„Desgleichen habe ich, den Diktaten der Klugheit, fowie den Ver—
pflihtungen des Geſetzes Folge leiftend, mich ftrenge an die Congreß-
akte hinfichtlich der Confiskation des zu infurreftionären Zweden
verwendeten Eigenthbums gehalten. Sollte ein neues Geſetz über
denjelben Gegenftand zum Vorſchlag fommen, fo ift die Zweckmäßig—
feit deffelben wohl in Leberlegung zu ziehen. Die Union muß er—
halten werden, und zur Erhaltung derfelben müfjen wir alle uner=
läßlichen Mittel anwenden. Wir follten indefjen nicht allzu voreilig
zu dem Schluffe gelangen, daß radikale und ertreme Maßregeln
unerläßlich find, denn diefe Fönnten ebenfo gut die loyalen wie die
illoyalen Bürger treffen.
„Die Inaugural-Adreſſe beim Beginn der Adminiftration und
die Botfchaft an den Kongreß bei der lebten Spezialfigung waren
beide, hauptfächlich der EControverfe gewidmet, der die Inſurrektion
und der nachfolgende Krieg entfprangen. Es befteht feine Urfache,
die in jenen Dokumenten ausgedrüdten Prinzipe und allgemeinen
Zwede im Wefentlichen abzuändern.
„Der lebte Strahl der Hoffnung auf eine friedliche Erhaltung
der Union verfchwand mit dem Angriff auf Fort Sumter, und eine
allgemeine Ueberſicht der feitherigen Ereigniffe wäre vielleicht nicht
ganz am unrechten Plate, Was damals eine peinliche Ungewiß—
heit war, ift jet Har und deutlich geworden, und der Lauf der Er—
eigniffe deutet unverkennbar nach der rechten Richtung. Die In—
furgenten bofften zuverfichtlich auf eine ftarfe Unterftügung von der
172 Das Leben Abraham Lincolns.
Nordfeite der Mafon’s Diron’s Linie, und die Freunde der Union
waren nicht frei von Befürchtungen über diefen Punkt, Bald ins
deffen follte fich Ddiefe Frage entfcheiden und zwar auf der rechten
Seite. Südlich von der Linie blieb das edle Heine Delaware von
Anfang an der Union treu. Maryland war fheinbar gegen die
Union. Unſere Soldaten wurden angegriffen, Brüden wurden
verbrannt und Eifenbahnen zerftört, und ed war ung viele Tage
lang unmöglich, auch nur ein einziges Regiment durch jenen Staat
nach der Hauptftadt zu bringen. est find die Brüden und Eifen-
bahnen wieder hergeftellt und ftehen der Regierung zu Gebote; be»
reits hat der Staat fieben Regimenter für die Unionsarmee geliefert,
fein einziges noch dem Feinde; das Volk aber hat bei einer regel-
mäßigen Wahl die Union durch eine größere Majorität und eine
größere Gefammtjtimmenzahl unterftügt, als daſelbſt je zuvor einem
Kandidaten in irgend einer Trage zu Theil wurde. Kentudy, das
ebenfalls einige Zeit zweifelhaft fchien, fteht jest entfchieden und,
wie ich glaube, unwanfelhaft auf Seiten der Union. Mifjourt ift
verhältnigmäßig ruhig und kann wahrfcheinlic nimmermehr von
den Inſurrektioniſten überfluthet werden, Diefe drei Staaten,
Maryland, Kentudy und Miffouri, von denen anfangs feiner auch
nur einen einzigen Soldaten liefern wollte, haben jest ein Aggregat
von nicht weniger als vierzigtaufend Mann für die Union im Felde,
während von ihren Bürgern ficher nicht mehr als ein Drittel diefer
Anzahl, und diefe von fehr zweifelhafter Eriftenz, die Waffen gegen
die Regierung ergriffen haben. Nach einem ziemlich blutigen
Kampfe von mehreren Monaten fand der herannahende Winter
das loyale Bolf von Weft-Virginien im Befige ihres eigenen
Landes,
„Eine Snfurgentenforce von etwa fünfzehuhundert Mann, Die
mehrere Monate lang auf der engen Halbinfel dominirt hatte,
welche die Eounties Accomac und Northampton bildet und als das
‚öftliche Ufer von Virginien“ befannt ift, desgleichen in einigen
angrenzenden Theilen von Maryland, hat die Waffen geftrect, und
das Volk ift zur Treue zurückgekehrt und hat den Schuß der alten
Waffe angenommen, Somit verbleibt fein bewaffneter Inſurrek—
tionift nördlicy vom Potomac und öſtlich von der Cheſapeake-Bai.
Der Congreß von 1861-62, | 173
„Desgleichen haben wir Fuß gefaßt an jedem der ifolirten Punfte
an der Südküſte, zu Hatteras, Port Royal, Tybee Infel, nahe Sa _
vannah, und Ship Island; ebenfalls find wir im Beige einiger
allgemeinen Nachrichten von Volksbewegungen zu Gunſten der
Union in Nord-Carolina und Tenneffee.
„Diefe Dinge bemeifen, dag die Sache der Unton ftandhaft und
gewiß füdwärts vorzufchreiten im Begriff ift.
„Seit Ihrer legten Bertagung hat ſich General-Lientenant Scott
von der Spige der Armee zurüdgezugen. Die Nation war während
feiner langen Laufbahn feiner Verdienfte nicht uneingedenf; den-
noch, wenn ich mir in's Gedächtniß rufe, welche treue, erfolgreiche
und glänzende Dienfte er feinem Lande leiftete, und das von einer
Zeit an, als Wenige, die jet leben, geboren waren, bis herab auf
die jeßigen Tage, fo will mich bevünfen, daß wir immer noch feine
Schuldner find. Ich überlaffe es daher Ihnen, zu erwägen, welches
fernere Zeichen der Anerkennung ihm gebührt und ung, als einem
dankbaren Volke, obliegen mag.
„Mit dem Rüdtritt des General Scott fam es der Erefutive zu,
einen neuen Dbergeneral an feiner Stelle für die Armee zu ernen-
nen. Es iſt ein glüdlicher Umftand, daß weder im Rath, noch im
Lande, foweit mir befannt, eine Meinungsverſchiedenheit hinfichtlich
der zu ernennenden Perfon herrſchte. Der zurüdtretende Chef
fprach fich wiederholt zu Ounften des Generals MeClellan aus,
und diefen Wunſch fhien die Nation faft einftimmig zu unterſtützen.
Die Ernennung des General MeElellan ift fomit in einem bedeu—
tenden Grade die Wahl des Landes ſowohl wie der Erefutive, und
läßt fich daher erwarten, daß ihm das volle Bertrauen und die herz-
liche Unterftügung zu Theil werde, ohne die er feinem Lande nicht
mit voller Wirkfamfeit Denen kann.
„Es ift gefagt worden, daß ein fehlechter General beffer fei, als
zwei gute, Dies ift wahr, wenn e3 nichts Anderes bedeutet, als
daß fich eine Armee beffer von einem, wenn auch untergeordneten,
Geifte dirigiren laffe, als von zweit vorzüglichen, die ftets im Wi-
berfpruch mit einander find,
„Und dies ift ebenfalls wahr bei allen Gefammtoperationen, mo»
bei die daran Betheiligten nur einen gemeinfamen Endzwed haben
174 Das Leben Abraham Lincolns.
fönnen und nur in der Wahl der Mittel von einander abweichen
können. Bei einem Sturm zur See fann Niemand den Unter-
gang des Schiffes wünfchen, und dennoch gehen nicht felten Alle
mit einander unter, weil zu Biele befehlen wollen unde einem Ein—
zigen nicht die Controlle geſtattet iſt.
„Es ſtellt ſich immer deutlicher heraus, daß die Inſurrektion
großentheils, wenn nicht ausſchließlich, ein Krieg über das Haupt—
prinzip. der vollsthümlichen Regierung— die Rechte des Volkes —
ift. Der fchlagende Beweis hiervon findet fich in den ernften und
reiflich überlegten Dokumenten, wie überhaupt in dem Ton der In—
. furgenten,. Wir finden in diefen Dofumenten die Verkürzung des
beitehenden Stimmrechtes und die Beraubung des Volfes um allen
Antheil an der Wahl der öffentlichen Beamten, mit Ausnahme der
Legislative, fühn vertheidigt mit fpisfindigen Argumenten, um zu
beweifen, daß eine zu große Controllirung der Regierung feiteng
des Volkes Die Duelle aller politifchen Uebel fei. Selbft die Mo—
narchie wird hie und da als eine mögliche Zuflucht vor der Macht
des Volfes angedeutet.
„In meiner gegenwärtigen Stellung wäre es faum zu rechtfer-
tigen, wenn ich unterließe, meine Warnungsftimme gegen diefe An-
näherung zum wiederfehrenden Defpotismug zu erheben.
„Es ift weder nothwendig noch pafjend, dag ich mich hier auf ein
allgemeines Argument zu Gunſten volksthümlicher Snftitutionen
einlaffe; auf einen Punkt jedoch, der noch nicht fo abgedrofchen ift
wie die meiften andern, erlaube ich mir in Kürze hinzumeifen. Cs
iit das Bemühen, im Bau der Regierung das Kapital auf gleichen
Fuß mit der Arbeit, wenn nicht über diefelbe zu ftellen. Es wird
behauptet, daß die Arbeit nur in Verbindung mit dem Kapital von
Bortheil fei—-dag Niemand arbeite, wenn nicht Jemand anders, der
Kapital befike, ihn auf irgend eine Art duch die Anwendung des—
felben zu arbeiten veranlaffe. Nach diefer Behauptung kommt zu-
nächſt die Frage, ob es am beften fei, daß das Kapital die Arbeiter
dinge und fie fo veranlaffe, aus freiem Willen zu arbeiten, oder die-
felben kaufe und fie ohne ihren Willen zur Arbeit treibe. So weit
angelangt, folgt der Schluß von felbft, daß alle Arbeiter entweder
gedungene Arbeiter oder Sklaven find, Weiter wird dann bes
Br
Der Congreß von 1861-62. 175
bauptet, daß Seder, der einmal ein gedungener Arbeiter if, fein
Leben lang in diefem Zuftand verbleibe.
„Es befteht indefjen Feine foldhe Beziehung zwifchen dem Kapital
und der Arbeit, wie behauptet wird; noch eriftirt irgend ein der»
artiges Ding, daß ein freier Mann fein Leben lang in dem Zus
ftande eines gedungenen Arbeiters verbleiben müſſe. Beide Be—
hauptungen find falfeh, mithin alle davon abgeleiteten Schlüffe
grundlos.
„Die Arbeit geht dem Kapital vor und iſt unabhängig von dem—
ſelben. Das Kapital iſt nur die Frucht der Arbeit und könnte nie
eriftirt haben, wenn die Arbeit nicht zuerft eriftirt hätte, Die Ar-
beit fteht über dem Kapital und verdient bei weitem mehr Achtung.
Das Kapital hat feine Rechte, die des Schuges fo würdig find, wie
alle andern Rechte, Auch wird Niemand leugnen, daß eine Be-
ziehung zwifchen der Arbeit und dem Kapital befteht, und ftets be—
ftanden hat, der gegenfeitige Vortheile entfpringen. Der Irrthum
befteht nur in der Behauptung, daß alle Arbeit innerhalb dieſer
Wechſelbeziehung beruhe. Einige Wenige heſitzen Kapital, und
dieſe Wenigen arbeiten nicht ſelbſt, ſondern dingen oder kaufen mit
ihrem Kapital Andere, die ſie für ſich arbeiten laſſen. Die große
Majorität aber gehört zu feiner der beiden Klaffen—fie arbeitet
weder für Andere, noch läßt fie Andere für fih arbeiten. In den
meiften ſüdlichen Staaten befteht eine Majorität des ganzen Volkes
weder aus Sklaven, noch aus Meiftern; während in den nördlichen
Staaten eine große Majorität weder aus Miethern, noch aus
Miethlingen befteht, Männer mit ihren Samilien— Frauen, Söh—
nen, Töchtern— arbeiten für fich felbft auf ihren Farmen, in ihren
Häufern und ihren Werkftätten; genießen die Frucht ihrer Arbeit
felbft und betteln nicht um die Gunft des Kapitals einerfeits, noch
um die Gunft gedungener Arbeiter oder Sklaven andrerfeits. Da—
bei ift nicht zu vergeffen, daß eine beträchtliche Anzahl Perfonen
ihre eigene Arbeit mit Kapital vereinigen—das heißt, fie arbeiten
mit ihren eigenen Händen und fuufen oder Dingen zu gleicher Zeit
Andere, die für fie zu arbeiten haben. Dies ift jedoch nur eine
vermifchte und nicht eine gefonderte Klaſſe. Kein hier angegebeneg
176 Das Leben Abrabam Lincolns.
Prinzip wird dur die Eriftenz dieſer gemifchten Klaffe beein»
trächtigt.
„Ich wiederhole nun, daß der freie gedungene Arbeiter nicht
nothwendigermweife fein ganzes. Leben in diefem Zuftand verbleiben
muß. Es giebt allenthalben in diefen Staaten viele unabhängige
Männer, die vor wenigen Jahren noch gedungene Arbeiter waren,
„Der arme, aber Euge Anfänger in der Welt arbeitet eine Zeit
lang für Lohn, erübrigt fich eine Sumnte, mit der er fich feine eige-
nen Werkzeuge oder fein eigenes Land kauft; dann arbeitet er eine
Zeit lang auf eigene Rechnung und am Ende dingt er einen andern
Anfänger in der Welt, der ihm bei feiner Arbeit helfe. Dies ift
das gerechte, das großherzige, Das gedeihliche Syitem, das Allen den
Weg öffnet, Allen Hoffnung und damit auch Allen Energie, Fort»
fhritt und Berbefferung ihres Zuftandes verleiht. Kein lebender
Menfch ift vertrauenswürdiger als derjenige, der fich aus der Ar—
muth emporarbeitet—feiner weniger geneigt, Etwas zu nehmen
oder zu berühren, was. er fich nicht ehrlich erworben hat. Möge
diefe Klafje fich hüten, irgend eine politifche Macht aufzugeben, die
fie befigt, und deren Aufgeben ficherlich benußt werden wird, ihnen
und ihresgleichen das Thor zum Fortfchritt zu verfchließen und
ihnen neue Schwierigfeiten und Laften aufzubürden, big endlich alle
Freiheit verloren ift,
„Seit der erften Aufnahme unferes National-Genfus bis zur
legten find fiebzig Fahre verfloffen, und wir finden am Ende diefer
Periode unfere Bevölkerung achtmal fo groß, als fie am Anfang
war. Die Zunahme anderer Dinge, die man gewöhnlich für wün—
fehenswerth hält, war fogar noch größer. Wir fehen fomit auf
einen Blid, was das volksthümliche Prinzip, durch die Mafchinerie
der Staaten und der Union auf die Regierung angewandt, in einer
beftimmten Zeit hervorgebracht hat, und auch was es, wenn ftand-
haft bewahrt, für die Zufunft verfpricht. Es leben jest ſchon Per-
fonen unter ung, die, wenn die Union erhalten wird, eine Bevöl-
ferung von zweihundert und fünfzig Millionen in ihr fehen werden.
Der Kampf von heute ift nicht allein für heute; er ift für eine weite
Zufunft. Mit Bertrauen auf die Borfehung, mit Ernft und Stand»
Die Sklavereifrage. 177
baftigfeit laßt uns das große Werk fortfegen, das die Umftände ung
auferlegt haben, ;
Abraham Lincoln.
„Waſhington, am 3, Dezember 1861,
Während diefer Congreffisung wurden Beflimmungen für Die
Ausgabe gefeglichen Papiergeldes (legal tender notes) getroffen ;
desgleichen wurde eine Bill für innere Revenuen (internal revenues)
entworfen, um die Einkünfte des Schakamtes bedeutend zu ver—
. mehren und eine Bafis für die Zahlung der Intereſſen auf autori-
firte Anlehen zu begründen und das Vertrauen auf das Papiergeld
aufrecht zu erhalten.
Auch wurde eine Congreß-Committee über die Kriegsführung er⸗
nannt, deren Arbeiten dem Präſidenten zu feiner Erwägung unter-
breitet und fchließlich der Deffentlichkeit übergeben werden follten.
Endlich wurde eine Confiskationsbill paffirt, die fpezielle Beftim-
mungen über bedingungsmweife Begnadigung und Amneftie enthielt
und den Berluft des Grundbeſitzes der PEN RE auf
deren Lebzeiten befchränfte,
Elftes Kapitel.
Die SFlavereifrage,
Situatien des Präfidenten — Seine Politik — Allmälige Emanripation —
Kotfhaft — Abfhaffung der Sklaverei im Diftrikt Columbia — General
Hunters Emancipations-Nrdre wird für ungiltig erklärt — Conferenz
mit Tongreßmännern aus den Grem-Sklavenftaaten — Adreſſe an die-
felben— Militärifche Ordre— Proklamation in Betreff der Confcriptions-
Akte,
Di endliche Verfügung über die Sflavereifrage ftellte fich nach-
gerade als ein unabweisbares Erfordernig heraus. Die innige
Verbindung diefes Fuftitutes mit unfern militärifchen Operatio—
nen drängte diefelbe der Beachtung der Nation auf. Diefer
12
178 Das Leben Abraham Lincolns.
Gegenftand hatte Herrn Lincoln ftets vor Augen geſchwebt, ſeit—
dem es Allen Har geworden war, daß der Krieg, in dem wir ung
befanden, fein bloßes Spiel, fondern ein Kampf auf Leben und
Tod mit einem entjchloffenen und defperaten Feinde ſei. Ver—
ſchiedene Hinderniffe ftellten fich indeffen feinem Handeln entgegen.
Hätte er kühn die Initiative ergreifen fünnen, überzeugt, daß er
die große Maffe des Volkes auf feiner Seite hätte, fo wäre er im
Stande geweſen, ganz anders zu handeln, als er zu handeln ge—
zwungen war in Anbetracht der eigenthümlichen Natur der Frage,
des gänzlihen Mangels an Präcevenzfällen, der Berwidelung Ter
verfchiedenen Intereſſen, der einem einzigen faljchen Schritte ent-
fpringenden Gefahren, der getheilten Anfichten, die über dieſen
- Punkt felbft in den Reihen feiner eigenen politifchen Anhänger
herrichten, fowie der Meinungsverfchiedenheit, die im Allgemeinen
unter den Männern beftand, deren Loyalität und Hingebung für
dus Land außer allem Zweifel waren.
Er zug e8 vor, den Kundgebungen der Hffentlihen Meinang
nicht vorzugreifen, und hielt e8 bei dem Zuftand der Dinge für
die weiſere Politik, feinen Weg gleichjam zu fühlen und langſam
aber ſicher vorwärts zu fchreiten. Daß viele feiner politifchen
Freunde damit unzufrieden fein würden, wußte er wohl; allein
nach reiflicher Erwägung fam er zu der Heberzeugung, daß diejer
Plan den Intereſſen des Landes am beften entfpreihe und daß alle
andern Rüdfichten diefer einen weichen müßten.
Am 6. März 1862 fandte er folgende Botfchaft in Betreff die—
jer Frage an den Congreß. Beide Häufer defjelben Pan den
diefem Dofumente einverleibten Beſchluß:
„Mitbürger vom Senat und Reprafentantenhaus: — Ic er—
laube mir, Ihnen die Annahme eines Gefammtbefchluffes anzu—
empfehlen, der weſentlich dahin lauten foll:
„Beſchloſſen, daß die Vereinigten Staaten in Gemäßheit
mit irgend einem Staate wirken follten, der die allmälige Abfchaf-
fung der Sklaverei bejchliegen mag, und daß jedem folchen Staate
pecuniäre Unterftügung zu Theil werde, die derfelbe feinem Er—
mejjen nach gebrauchen mag, um für die durch einen folden
Die SFlavereifrage. | 179
Spyitemmechfel veranlaßten öffentlichen oder privaten Inconve—
nienzen Erfag zu leiften
„Denn der in diefem Befchluffe enthaltene Vorſchlag vom
Congreß und der Nation nicht gebilligt wird, fo ift der Sache da-
mit ein Ende gemacht ; follte er aber gebilligt werden, fo halte ich
es für wichtig, daß die dabei unmittelbar intereffirten Staaten
und das Volk fofort deutlich davon in Kenntniß geſetzt werden,
damit diefelben überlegen fünnen, ob der Vorſchlag anzunehmen
oder zu verwerfen fei. Für die Bundesregierung wäre eine folche
Mapregel als eines der wirkfamften Mittel zur Selbfterhaltung
vom höchiten Intereffe. Die Führer der gegenwärtigen Inſur—
reftion geben fi der Hoffnung hin, daß fich dieſe Regierung
Schließlich gezwungen fehen werde, die Unabhängigkeit irgend
eines Iheiles der unzufriedenen Regionen anzuerkennen, und daß
dann alle übrigen Sklavenftaaten nördlich davon fagen würden:
„da die Union, für welche wir gekämpft haben, jest dahin ijt, fo
wollen auch wir mit der füdlichen Sektion gehen.” Dadurd, daß
wir ihnen diefe Hoffnung benehmen, fegen wir wefentlich der Re—
bellion ein Ende, und der Beginn der Emancipation zerftört diefe
ihre Hoffnung vollMndig in Bezug auf alle Staaten, die den
Beginn dazu machen. Es handelt fih nicht darum, dag alle
Staaten, die jest die Sklaverei dulden, fofort — wenn über-
haupt — den Beginn zur Emancipation machen werden, fondern
vielmehr darum, daß, während das Anerbieten Allen gleichmäßig
gemacht wird, die nördlichen Sklavenftaaten durch ſolchen Beginn
den füdlicheren die Heberzeugung beibringen, daß fie fich nie und
nimmermehr der beabfichtigten Conföderation der Letzteren an—
fhliegen wollen. Ich gebrauche den Ausdruck „Beginn,“ weil
meiner Anficht nach die allmälige Emancipation einer plöglichen
vorzuziehen ift. In rein finanzieller oder pecuniärer Hinficht
kann fich jedes Congrefmitglied durch die Cenfustabellen und
Berichte des Schatzamtes überzeugen, wie bald die laufenden
Ausgaben für diefen Krieg fümmtliche Sklaven irgend eines
Staates für eine billige Vergütung erfaufen würden. Ein
folcher Vorfchlag von Seiten der General-Regierung beanfprucht
fein Recht für die Höderal-Autorität, fich in die Sklaverei inner»
180 Das det en Abraham Lincolns.
halb * 7* eines Staates einzumiſchen, da die abſolute
Controlle über den Gegenſtand in allen Fällen dem daran un—
mittelbar betheiligten Staate und deffen Bürgern überlaffen wird.
Es ift Tediglich ein Vorſchlag, hinfichtlich deſſen die einzelnen
Staaten vollfommen freie Wahl haben.
„In meiner Jahresbotfchaft vom lebten Dezember hielt ich es
für angemeffen, zu fagen: „Die Union muß erhalten werden und
zu ihrer Erhaltung müffen wir alle unerläßlichen Mittel anwen-
den. Ich fagte dies nicht unüberlegt, fondern mit Borbedacht.
Der Krieg begann und wird noch jest unfererjeits als ein uner-
Tägliches Mittel gu jenem Zwede fortgefeßt. ine praftifche
-Wiederanerfennung der nationalen Autorität würde den Krieg
unnöthig machen, und diefer würde fofort aufhören. Wenn aber
der Widerftand fortdauert, fo muß auch der Krieg fortdauern, und
es ift unmöglich, all’ den Ruin und all’ das Elend vorherzufehen,
das derfelbe im Gefolge hat. Solche Mafregeln, die unerläßlich
fheinen oder große Wirkfamfeit des Kampfes verfprechen, müffen
und werden ergriffen werden,
„Der oben gemachte Vorfchlag ift nur ein Anerbieten, und ich
hoffe, man wird es nicht als ungeziemend befrachten, wenn ic) die
Frage aufitellte, ob Die angebotene pecuniäre Hilfe den betreffen-
den Staaten und Privatperfonen nicht von größerem Werthe ſei,
als das Inſtitut der Sklaverei bei dem gegenwärtigen Zuftand
der Dinge.
„Ss ift wahr, die Adoplion des vorgefchlagenen Befchluffes
wäre nur eine initiative, Feine an und für fich praftifche Maß—
regel; allein ich befürworte diefelbe in der Hoffnung, daß fie in
Bälde zu bedeutenden praftifchen Refultaten führen werde. An—
gefichts der großen Berantwortlichkeit, die ich meinem Gott und
meinem Lande fchulde, Tenfe ich ernftlich die Aufmerkſamkeit des
Eongreffes und der Nation auf diefen Gegenſtand.
„März 6, 1862,
Abraham Fincoln.“
In den erften Tagen des April paffirten beide Häufer des Con—
greſſes eine Bill für die Abfchaffung der Sklaverei im Diftrift
Tie Sflavereifrage. 181
Columbia, Der Präfident unterzeichnete dieſelbe und fandte fie
mit folgender Botjihaft zurüd:
„Mitbürger vom Senat und Beprafentantenhaus ;— Die Alte
betitelt: „Eine Alte zur Befreiung gemwilfer Perfonen, die im
Diftrift Columbia in Dienft und Arbeit gehalten werden,” wurde
unter heutigem Datum approbirt und unterzeichnet.
„sch habe nie die conftitutionelle Autorität des Congrefjes zur
Abfhaffung der Sklaverei in diefem Diftrifte bezweifelt, fondern
ftet3 gewünfcht, die Hauptitadt der Nation auf irgend eine befrie-
digende Art von dieſem Inſtitut befreit zu fehen. Deshalb hegte
ich nie einen andern Zweifel in der Sache als den der Zweck—
mäßigfeit in Anbetracht aller Umftände. Wenn irgend eine Be-
fiimmung diefer Akte meinem Urtheil nach hätte befriedigender
ausfallen können, jo halte ich es nicht für angemeffen, mich Gier
näher darüber auszusprechen. Es genügt mir, daß die Prinzipe
der Entfhädigung und Colonifation beide in dieſer Afte aner«
fannt und praftifch behandelt wurden,
„In Bezug auf die Entfhädigung wurde die Beflimmung ge-
troffen, daß Anfprüge binnen neunzig Tagen vom Erlaß diefer
Akte an geltend gemacht werden müffen, „nicht aber fpäter ;” ferner
ift Nichts von Minderjährigen, verheiratheten Frauen (femes
covert), ©eiftesfranfen und Abwefenden gefagt worden. Ber-
- muthlich ift dies eine Auslaffung aus Ueberjehen, und empfehle
ich daher die Ergänzung derfelben mittelft einer Amendments—
oder Supplements-Afte,
April 16, 1862, Abraham Jincoln.“
Der fchlagendfte Beweis, daß. der Präfivent entfchloffen war, die
Controlle diefer vielbefprochenen Frage in feiner eigenen Hand zu
behalten und feinem Milittär-Commandanten zu geftatten, Jurig-
diction darin auszuüben, ift folgende Proflamation, in der er
eine Emancipations-Drdre des General Hunter desavouirt:
„Sintemalen in der öffentlichen Preffe eine angebliche Pro>
Hamation des Generalmajors Hunter in folgenden Worten und
Ausdrücken erfchien:
182 Das Leben Abraham Lincolns.
„Hauptquartier, Departement des Südens,
„Hilton Head, S.-E., Mai 9, 1862.
[„Seneral-Drdre No, 11.]
„Da die drei Staaten Georgia, Florida und Süd-Carolina,
welche das Militärdepartement des Südens ausmachen, ausdrüd-
lich erklärten, daß fie nicht mehr unter dem Schuß der Vereinigten
Staaten von Amerika ftünden, und da jie die Waffen gegen befagte
Vereinigte Staaten ergriffen haben, fo ward es eine militärijche
Nothwendigkeit, fie in Kriegszuftand zu erklären. Dies geſchah denn
auch am fünfundzwanzigften April 1862. Sklaverei und Kriegs-
gefes find in einem freien Lande völlig unvereinbar. Die Per-
fonen in diefen drei Staaten, Georgia, Florida, und Süd-Caro—
lina, die bisher als Sklaven gehalten wurden, werden fomit auf
immer für frei erklärt.
„Pavid Hunter, commandirender General-Major.
„Offiziell: |
„Ed. W. Smith, ftellvertretender General-Adjutant.”
„Und fintemalen diefe angeblihe Proflamation Auf-
regung und Mißverftändniffe veranlaßt,
„Deshalb proflamire und erkläre ih, Abkaham Lincoln,
Präfivent der Vereinigten Staaten, daß die Regierung der Ver—
einigten Staaten feine Kenntniß von der Abficht des Generals
Hunter, eine folhe Proflamation zu erlaffen, befaß und bis auf
gegenwärtigen Augenblid ohne authentifche Information hin—
fichtlich der Aechtheit des Dokumentes iftz ferner, daß weder Ge—
neral Hunter, noch irgend ein anderer Commandant, oder eine
andere Perfon von der Regierung der Vereinigten Staaten auto=
rifirt wurde, die Sklaven in irgend einem Staate Durch eine Pro-
Hamation in Freiheit zu feben, und daß die fragliche Proflamation,
ob nun Acht oder falfch, null und nichtig ift, fo weit es eine folche
“ Erklärung anbetrifft.
„Ferner mache ich bekannt, daß, ob es mir ala Oberbefehlshaber
der Armee und Flotte zuftehe, die Sklaven in irgend einem Staate
frei zu erflären, oder ob es zu irgend einer Zeit, oder in irgend
einem Falle zu einer für die Erhaltung der Regierung unerläß-
lihen Nothiwendigfeit werde, eine derartige Gewalt auszuüben —
"Die SElavereifrage. 183
Fragen find, die ich mir unter meiner Verantwortlichfeit felbft
sorbehalte, und die ich der Entfcheidung feines Feldeommandan—
ten zu überlaffen mich gerechtfertigt fehe. Diefe Fragen find ganz
und gar verfchieden von denen der Polizeiregulationen in Armeen _
und Feldlagern:
„Am 6. März empfahl ich in einer Spezialbotfchaft dem Con:
greife die Adoption eines Gefammtbefchluffes an, ver im Wefent-
lichen dahin lautete:
„Beſchloſſen, daß die Vereinigten Staaten in Gemeinſchaft
mit irgend einem Staate wirken follten, der die allmälige Ab—
fhaffung der Sklaverei bejchließen mag, und daß jedem folchen
Staate pecuniäre Unterftügung zu Theil werde, die derfelbe nach
feinem Ermeffen gebrauchen mag, um für die durch einen folchen
Syſtemwechſel veranlaßten öffentlihen oder privaten Inconve—
nienzen Erfaß zu leiſten.“
„Diefer Beihluß wurde än den citirten Worten von einer
großen Majorität beider Häufer des Congreſſes adoptirt und ift
nunmehr ein authentifcher, beftimmter und feierlicher Vorjchlag
der Nation an die unmittelbar an der Sache betheiligten Staaten
und deren Bürger. An das Volk diefer Staaten wende ich mich
nun allen Ernftes. Ich argumentire nicht; ich bitte euch, das
Argument ſelbſt zu machen. Ihr könnt eure Augen den Zeichen
der Zeit nicht verſchließen, ſelbſt wenn ihr wolltet. Ich bitte
euch, dieſelben ruhig und gefaßt zu überlegen und euch über per—
ſönliche oder Parteifragen zu erheben. Dieſer Vorſchlag macht
gemeinſame Sache für einen gemeinſamen Zweck und kann Nie—
manden zum Vorwurf gereichen. Er ſpielt nicht den Phariſäer.
Der beabſichtigte Zweck würde ſacht und milde kommen wie der
Thau des Himmels und Nichis zerreißen, Nichts zertrümmern.
Wollt ihr ihn nicht annehmen? Keine einzelne Bemühung in
der ganzen Vergangenheit hat je fo viel Gutes geftiftet, als durch
die Vorfehung Gottes jest euer hohes Privilegium zu ftiften ift.
Möge die unabfehbare Zukunft nie zu beflagen haben, daß ihr die
Gelegenheit ungenügt vorübergehen ließet !
„Zum Zeugniß dejfen babe ich bier meine Namensunterfchrift
beigefügt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifegen laffen.
184 Das Leben Abrabam Lincolns.
„Segeben in der Stadt Waſhington am neungehnten Tage des
Monats Mai, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
zweiundfechzig, und im fechs und achtzigften der Unabhängigkeit der
. Vereinigten Staaten,
„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Lincoln.”
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“
Kurze Zeit vor der Vertagung des Congreffes, während das
Land über den unglüdlihen Ausgang des Feldzuges auf der Halb-
infel in der größten Niedergefchlagenheit war, lud der Präfident
(welcher wohl wußte, daß welche Maßregeln der Lauf der Ereig-
niffe zur Unterdrüdung der Rebellion als nothwendig erfcheinen
lieg, adoptirt werden müßten, und wohl vorherfah, dag wahr-
fcheinlich in Furzer Zeit dem ganzen Inſtitut der Sklaverei der
Todesftoß verfegt werden mußte,) die Senatoren und Repräfen-
tanten der Grenz-Sflavenftaaten zu einer Conferenz ein, um fie
auf irgend einen derartigen Fall vorzubereiten. Bei diefer Gele-
genheit verlas er ihnen folgende forgfältig vorbereitete Adreffe,
auf welche er nur neun einwilligende Stimmen von fümmtlichen
neun und zwanzig erhielt:
„Seine Herren: — Nach der jebt nahe bevorftehenden Ver—
tagung des Congrefjes wird e8 mir mehrere Monate lang nicht
vergönnt fein, Sie zu fehen. In dem Glauben, daß Sie, die
Bertreter der Orenzftaaten, mehr Gelegenheit haben, Gutes zu
ftiften, als irgend eine gleiche Anzahl von Congreßmitgliedern aus
andern Theilen des Landes, halte ich es für meine unabweisbare
Pflicht, Ihnen eine dringende Angelegenheit an dag Herz zu
legen.
„Ich beabfichtige feinen Tadel, Feine Klage, wenn ih Ihnen
verfichere, daß der Krieg jest im Wefentlichen beendigt wäre,
wenn Sie Alle Testen März für den in meiner Spezialbot«
Schaft enthaltenen Befhluß in Betreff ver allmäligen Emancipa—
tion geftimmt hätten, Der darin vorgefchlagene Plan ift jebt
noch eines der mächtigften und fchnelliten Mittel, den Krieg zu
beenden. Zeigen Sie den rebellifchen Staaten auf das Deutlichfte
und Beftimmtefte, daß die Staaten, die Sie repräjentiren, fich
Die Sklavereifrage. 185
J
unter keinen Umſtänden der beabſichtigten Conföderation der erſte—
ren anſchließen werden, ſo werden jene nicht viel länger im Stande
ſein, den Kampf fortzuſetzen. So lange Sie ſich aber entſchloſſen
zeigen, das Inſtitut der Sklaverei in Ihren eigenen Staaten zu
verewigen, werden die Inſurgenten die Hoffnung nicht aufgeben,
Sie am Ende zu den ihrigen zu zählen. Sie mögen dieſelben
mit noch ſo überwältigender Majorität bei der Wahl beſiegen, wie
Sie es bereits gethan haben, fo werden fie dennoch fortfahren,
Ihre Staaten als einen Theil ihrer Conföderation zu betrachten.
Sie, meine Herren, fennen den Hebel ihrer Macht fo gut, wie ich.
Zerbrechen Sie diefen Hebel vor ihren Augen, und fie werben
Ihnen Nichts mehr anhaben können.
„Die meiften von Ihnen famen mir ftets mit Güte und Wohl—
mollen entgegen, und ich hoffe, Sie werden es mir jegt nicht ala
eine ungeziemende Einmiſchung in Ihre eigenen ausſchließlichen
Ungelegenheiten deuten, wenn ich Sie im Intereſſe des ganzen
Landes frage, ob Sie etwas Befferes für Ihre Staaten thun kön—
nen, gls den Plan zu verfolgen, den ich vorgefchlagen habe? Alle
Heinlichen Rüdfichten und Marimen, die fich bejfer für ruhigere
Zeiten fchiden, bei Seite fegend und nur den unerbittlich ftrengen
TIhatfachen in’s Auge fohauend, frage ih Sie: Können Sie in
irgend einem Falle etwas Befferes thun? Sie möchten lieber, daß
die conftitutionellen Beziehungen der Staaten zur Union praftijch,
ohne eine Antaftung jenes Inſtituts, hergeftellt würden; wenn
Dies gefchehen, fagen Sie, fei meine ganze Pflicht in diefer Hinficht
der Conftitution und meinem Amtseide gemäß erfüllt. Dies ift
jedoch nicht gefchehen, und wir fuchen es erft durch den Krieg zu—
wege zu bringen. Die Folgen des Krieges laffen fich nicht ver—
meiden. Wenn der Krieg lange dauert, was nicht anders fein
fann, wenn der angeftrebte Zwed nicht früher erreicht wird, fo
wird das Inſtitut in Ihren Staaten durch die bloße Reibung, die
bloßen Folgen des Krieges ausgetilgt werden. Es wird verſchwin—
den und Ihnen bleibt nichts Werthvolles an feiner Stelle. Ein
großer Theil feines Werthes ift bereits dahin. Wie viel beffer
wäre es für Sie und Ihr Volk, den Schritt zu thun, der den Krieg
plößlich abkürzt und Ihnen einen materiellen Erfag für Das ge—
186 Das Leben Abrabam Lincolns.
währt, was in jedem andern Fall ficherlich ganz verloren geht!
Wie viel beffer wäre es, auf diefe Weife das Geld zu fparen, dag
fonft der Krieg für immer verfhlingt! Wie viel beffer wäre es,
dies jeßt zu thun, da es in unferer Macht ftebt, ehe der fortgeſetzte
Krieg es ung in pecuniärer Hinficht zur Unmöglichkeit macht! Wie
viel beffer wäre es für Sie, die Verfäufer, und die Nation, den
Käufer, die Orundurfache des Krieges zu faufen und verkaufen,
als den zu verfaufenden Gegenftand fowohl, wie den Preis —
zum gegenſeitigen Halsabſchneiden zu verwenden!
„Ich ſpreche nicht von ſofortiger Emancipation, ſondern nur
von einem ſofortigen Entſchluß zu allmäliger Emancipation. In
Südamerika iſt reichliches Gebiet und um billigen Preis zur Colo—
niſation zu erhalten, und wenn ſich erſt eine hinlängliche Anzahl
zu gegenſeitiger Ermunterung gefunden hat, werden die befreiten
Farbigen ohne vieles Zögern bereit ſein, dahin zu gehen.
„Eine noch nicht erwähnte Schwierigkeit drängt ſich mir auf —
eine Schwierigkeit, welche Diejenigen mit einer Spaltung bedroht,
die ſelbſt vereinigt keineswegs zu ſtark ſind. Ein Beiſpiel davon
iſt Ihnen bekannt. General Hunter iſt ein rechtſchaffener Mann,
Er war mein Freund, und ich hoffe, er iſt es noch. Ich ſchätzte
ihn, da er mit mir in dem allgemeinen Wunſche übereinſtimmte,
daß alle Menſchen allerwärts frei ſein möchten. Er proklamirte
alle Menſchen in gewiſſen Staaten frei, und ich desavouirte ſeine
Proklamation. Er verſprach ſich mehr Gutes und weniger Schlim-
mes von der Maßregel, als ich mir davon verfprechen Fonnte,
Dennoh war meine Repudiation Manchen, deren Unterftügung
das Land nicht entbehren fann, fehr ärgerlich und anftößig. Und
dies ift noch nicht das Ende der Sache. Der Drud von diefer
Richtung her ruht noch immer auf mir und ift im Zunehmen be—
griffen. Durch die Gewährung meiner Bitte fünnen Sie mid)
und, was noch mehr ift, können Sie das Land großer Unannehm—
lichkeiten entheben.
„Sn Anbetracht deffen Ienfe ich Ihre Aufmerkfamfeit wiederholt
auf meine Botfchaft vom vergangenen März. Erwägen und be
ſprechen Sie diefelbe unter fich felbft, ehe Ste das Capitol ver—
laffen. Sie find Patrioten und Stantsmänner, und als foldhe
Die Sflavereifrage. 187
bitte ich Sie, diefen Vorſchlag wohl zu überlegen und ihn wenig-
ftens Shren Staaten und Ihrem Volke zur Erwägung anzuems
pfehlen. ch beſchwöre Sie, dies nicht zu unterlaffen, wenn e3
anders Ihr Wunſch ift, der volfethümlichen Regierung des beiten.
Volkes der Welt den Fortbeftand zu fihern. Unfer gemeinfames
Baterland ift in großer Gefahr und bedarf der uneigennüßigiten
Motive und des rafchen Handelns zu feiner baldigen Rettung.
Mit feiner Rettung ift die Form der Regierung für die Welt 9
rettet, feine ruhmvolle Gefchichte und feine theuren Erinnerungen
find gefichert, feine glüdliche und herrliche Zukunft garantirt.
Ihnen, meine Herren, wird vor allen Andern das hohe Privile-
gium zugTheil, jenes Glück zu fichern, jene Herrlichkeit herbeizu—
führen und Ihre Namen auf ewig mit der Größe Ihres Vater-
landes zu verflechten.“
Am 22, Juli erfchien folgende Ordre:
Kriegsdepartement, Wafhington, den 22. Juli 1862.
„Es wird hiermit anbefohlen:
„Erfteng, daß die Militär-Commandanten innerhalb der
Staaten Birginien, Nord-Carvlina, Georgia, Florida, Alabama,
Mifiiffippi, Louiſiana, Teras und Arkanfas auf gewöhnliche Weife
alles Real» oder Perfonal-Eigenthum, das für ihre ‚refpektiven
Commandos nothwendig oder zwedmäßig erfcheinen mag, zu mil’-
tärifchen Zweden ergreifen und benugen follen; ferner, dag Ei—
genthum aus militärifhen Rüdfichten, aber nicht aus Matgwillen
oder Bosheit zerftört werden darf.
„Zweitens, daß Militär- und Marine-Commandanten fo
viele Perfonen von afrifanifcher Abkunft innerhalb jener Staaten
als Arbeiter befchäftigen follen, als zu Militär oder Marine-
zweden vortheilhaft erfcheinen mag, und daß folche Perfonen einen
billigen Lohn für ihre Arbeit erhalten follen.
„Dritteng,daß ſowohl hinfichtlich des Eigenthums, wie der
Derfonen afrikaniſcher Abkunft hinreichend genaue Regifter ge-
führt werden follen, aus denen die Details der Duantitäten und
Beträge zu erfehen ift, fowie auch, woher das Eigentfum und die
Perfonen famen, Damit auf diefe Art eine Bafis gewonnen werde,
188 Das Leben Abraham Lincolns.
auf welche bin geeignetenfalls Entfehätigungen gewährt werden
können.
„Die verſchiedenen Departements werden für die getreue Aus—
führung dieſer Ordres gehörig Sorge tragen.
„Auf Ren: des Präſidenten:
Erwin SM. Stanton, Kriegsſekretär.“
Am 25. Juli ermahnte der Präfident vermittelft einer Profla-
Mation alle Perfonen, der Rebellion nicht länger Unterftügung,
Hilfe und Vorſchub zu leiften, fondern zu ihrer Treue zurüdzufeh-
ren, unter Androhung der Eonfisfationsftrafen, vorgefehen durch
eine Afte, betitelt: „Eine Akte zur Unterdrüdung der Snfurrektion,
zur Beftrafung des Verraths und der Rebellion, zur Ehgreifung
und Confiskation des Eigenthums der Rebellen und zu andern
Zweden,“ approbirt am 17. Zuli 1862,
Zwölftes Kapitel.
Der Krieg auf der Galbinfel.
Kriegsordre des Präfidenten — Gründe für diefelbe — Befultate im Weften
und Südweften— Die Potomac Armee— Weitere Ordres des Präfidenten—
Krief an MeLlellan—Drdre für Armer-Corps— Der Ausgang des Feld-
zuges — Unglükliche Vorfälle — Rede des Präfidenten in der Anionsver-
fammlung—Beurtheilungen— Hperationen in Virginien und Maryland—
Im Welten und Südweſten.
Zu Anfang des Jahres 1862 erfchien folgende Ordre:
„Waſhington, Januar 27., 1862.
[General-Sriegsordre des Präfidenten, No, 1.]
„Beordert, daß der 22fte Tag des Monats Februar 1862
der Tag einer allgemeinen Bewegung der Land- und Marinemacht
der Vereinigten Staaten gegen die Infurgentenmacht fet.
„Daß insbefondere die Armee in und um Fortreß Monroe, die
Potomac Armee, die Armee von Weftyirginien, die Armer nahe
Der Rrieg auf der Zalbinfel. . 189
Mumfordssille, Kentudy, die Armee und Flotille zu Cairo und die
Marineforce im Golf von Mexiko fich zu einer Bewegung an PM
Tage bereit halten.
„Daß alle andern Forcen, zu Waſſer und zu Land, mit ihren
reſpektiven Commandanten den beſtehenden Ordres für die Zeit
Gehorſam leiſten und ſich bereit halten, weiteren rechtzeitig gege—
benen Ordres zu gehorchen.
„Daß die Departements-Chefs, insbeſondere der Kriegs- und
der Marineſekretär, mit all’ ihren Subordinirten und der Ober—
general mit allen andern Commandanten und Subprdinirten der
Land» und Marineforcen, Jeder einzeln, zu ftrenger und voller
Berantigprtlichfeit für die prompte Ausführung diefer Ordre ges
halten werden follen.
Abraham Fincoln.”
Indem der Präfivent auf diefe Weife alle feine eonftitutionellen
Pflichten als Oberbefehlshaber der Armee und Marine ausübte,
wie viel davon auch temporär Andern übertragen gewefen fein
mochte, und direkt und energifch die Dffenfive ergriff, handelte er
nur als der Erponent der öffentlichen Stimmung, die längſt ſchon
ihre Unzufrievenheit über die anfcheinend nicht zu entjchuldigende
Ihatlofigkeit in den militärischen Angelegenheiten zu erkennen ge-
geben hatte. ' |
Im Weften und Südweſten erfolgte die fiegreiche Schlacht zu
Mill Spring, Kentudy; die Einnahme der Forts Henry und Do—
nelfon, wodurch die Räumung von Nafhville nothwendig gemacht
und Kentudy von organifirten Rebellentruppen gefäubert wurde;
die hartnädige, aber erfolgreiche Schlacht von Pea Ridge, Arkanſas,
in der fich der deutfche General Sigel ruhmvoll auszeichnete und
durch die Miffourt großentheils von den Infurgenten befreit ward;
ferner ein Sieg für unfere Waffen, der felbft der Niederlage zu
Shilo entpreßt wurde, und endlich die Einnahme von New-Drleang,
wodurd wir die Controlle über die Mündung des Mifjijjippi er-
langten.
Was aber im Dften —Roanofe Island.
In Betreff der Bewegungen der Potomac Arnıee, von welchen
120 | Das Leben Abraham Lincolns.
das Land fo zuverfichtlich große Refultate hoffte, bei diefer Armee —
fo gründlich digciplinirt, fo prächtig equipirt und mit fo ausgezeich—
neten Offizieren verfehen, wie man allgemein glaubte—mwar die
erfte Schwierigkeit, fich über einen Plan zu verfländigen. Um die
Aufmerkfamfeit des Obergenerals auf irgend Etwas, das einem
beftimmten Entfchluffe ähnlich fah, zu lenken, folgte der Drdre vom
27, Januar die folgende meitere:
Bi Ä „Waſhington, 31. Januar 1862,
„Beordert, daß die gefammte disponible Force der Potomac
Armee, nachdem für die genügende Vertheidigung der Stadt Wafh-
ington geforgt ift, fich zu einer Erpedition formire, deren unmittel-
barer Zwed die Einnahme und Befebung eines Punktes an der
Eifenbahn füdweftlih von Manaffas Junction if.
Sämmtliche Details follen dem Gutachten des Dbergenerals an-
bheimgeftellt fein. Die Erpedition hat fi) vor oder an dem zwei—
undzwanzigften Tag des Februar in Bewegung zu feßen.
Abraham Sincoln.”
General MeClellan opponirte gegen Diefe Bewegung und beftand
ernftlih auf einem Plan, am untern Rappahannod, mit Urbana
als Bafie, auf Richmond vorzurüden. Der Präfident ermwiederte
ihm wie folgt: |
„Wafhington, 3. Februar 1862,
„Geehrter Herr:—Unfere beiden Pläne für die Bewegung
der Potomac Armee find durchaus verſchieden. Ihrem Plane zu-
folge fol diefelbe per Chefapeafe, ven Rappahannock hinauf nach
Urbana und überland nach dem Terminus der Eifenbahn am York-
fluffe ftattfinden; dem meinigen gemäß direft nach einem Punfte
an der Eifenbahn, füdweftlih von Manaffas.
„Denn Sie mir die folgenden Fragen befriedigend beantworten
wollen, jo will ich mit Freuden meinen Plan dem Ihrigen auf-
opfern : |
1. Fordert Ihr Plan nicht mehr Zeit und Geld als der mei-
nige?
2. Inwiefern iſt bei Ihrem Plane der Sieg gewiſſer als
bei meinem?
Der Krieg auf der Salbinfel. 191
3, Inwiefern ift ein Sieg bei Ihrem Plane werthvoller als
bei meinem ?
4. Wäre er nicht in der That weniger werthvoll, da derfelbe
eine bedeutend geringere feindliche Communifationslinie durchbre—
hen würde als der meinige ?
5. Wäre im Fall einer Niederlage der Rüdzug bei Ihrem Plane
nicht weit fchwieriger als bei dem meinigen ?
* „Aufrichtig der Ihrige,
“An General-Major MeClellan.”
Diefe einfachen praftifchen Fragen wurden von dem Obergeneral
nie direkt, beantwortet. |
Da diefe Armee nicht in Armee-Eorps organifirt war, fd erließ
der Präfivent am 8, März, als die Bewegung auf Manaffas be-
ginnen follte, die peremtorifche Drdre an den commandirenden Ge—
neral, fofort etne folche Organifation vorzunehmen und die Corps—
commandanten nad der Seniorität des Ranges zu ernennen.
An demfelben Tage erließ der Präſident, der gegen fein eigenes
befferes Urtheil den Plan zum VBorrüden auf Richmond, nach mel-
chem Wafhington zu gleicher Zeit gedeckt würde, aufgegeben hatte,
durch die Erfahrung Hug gemacht, folgende Ordre:
„Waſhington, 8. März 1862,
„Beordert, daß Feine Aenderung der Operationsbafis der
Potomac Armee gemacht werden full, ohne in und um Wafhington
eine folche Force zu laſſen, wie es nach der Anficht des Obergenerals
und der Chefs der Armee- Corps nöthig ift, um genannte Stadt in
vollfommener Sicherheit zu laffen.
„Daß nicht mehr als zwei Armee-Corps (etwa fünfzigtaufend
Mann) befagter Potomac Armee en route nach einer neuen Opera—
tionsbafis bewegt werden follen, big die Schifffahrt auf dem Poto-
mac, von Wafhington bis zur Chefapeafe Bai, von fämmtlichen
feindlichen Batterien und fonftigen Hemmniffen befreit fein wird,
oder bis der Präfident hierzu ausdrückliche Erlaubniß giebt.
„Daß irgend eine Bewegung en route nad) einer neuen Opera=
tionsbafis, die vom DObergeneral angeorönet werden mag und welche
Abraham Sincoln.”
192 Das Leben Abrabam Lincolns.
die Chefapeafe Bai hinaufzugehen beabfichtigt ift, am 18. März bes
ginnen ſoll. Der Obergeneral wird dafür verantwortlich gehakten,
daß die Bewegung an jenem Tage beginnt.
„Beordert, daß die Armee und Flotte in Gemeinfchaft einen
Berfuch zur fofortigen Einnahme der feindlichen Batterien am Po—
tomae zwifchen Wafhington und der Chefapeafe Bai machen.
Abraham Lincoln.”
„2. Thomas, General-Adjutant,“ |
Endlich —nach Verzögerungen aller möglichen Art, nach volumis
nöſen hitzigen Correfpondenzen, und nachdem die Geduld des Prä—
fiventen und des Landes den Außerften Punkt erreicht hatte und ein
plöglicher Bruch dDrohte—begann jene militärifche Bewegung, die
als die „amerifanifche Peninfular-Campagne” gefchichtlich geworden
it. Um die Mitte des März 1862 ging eine große Armee prächtig
disciplinirter Truppen— deren Anzahl nach verfhievenen Berichten
zwijchen hundert Zaufend und hundert und zwanzig Taufend Mann
betrug— von Alerandria via Yorktown nah Richmond ab und
kehrte (wie viele von ihnen ?—ſchweigt die Gefchichte ?) nach blu-
tigen Schlachten, Sumpfepidemien, fchredlichen Anftrengungen und
Strapagen um die Mitte des Monats Auguft 1862 via Harrifon’s
Landing nach Alerandria zurüd,
Diefe Campagne war die unheilvollſte Affaire während des gan-
zen Krieges, nicht nur in Bezug auf den entfeglichen Verluſt an
Truppen, nicht nur in Bezug auf das Fehlfchlagen der reiflich be—
dachten Pläne, fondern hauptfächlich wegen des entmuthigenden
Einfluffes, den fie auf die Unterftüger der Regierung ausübte, Es
war eine Wiederholung von Bull Run, nur in gigantifcherem
Maßſtabe und von unendlich längerer Dauer. Wohl durfte Prä-
fivent Lincoln, als er die Trümmer der prächtigen Potomac Armee
zurückkehren fah, verzweifelnd ausrufen : „MeClellan, MeClellan !
gieb mir meine Legionen wieder!"
Es wäre nutzlos, bier näher auf Die Details diefer Unglüdscam-
pagne einzugehen. Jeder Schulfnabe weiß fie auswendig—mwenig-
ftens fo weit als fie je in die Deffentlichkeit gelangten. Ebenſo
fruchtlos wäre ein Verfuch, diefelbe von einem militärifchen Ges
Der Krieg auf der Galbinfel. 193
fichtspunfte aus zu Fritifiren. Dies ift bereit usque ad nauseam
gefchehen und wird wahrfcheinlich fortfahren zu gefchehen, fo lange
unſere Lefer leben,
Keine Details, Feine militärifch-kritifchen Bemerkungen follen
daher hier Raum finden. Damit aber Präfident Lincoln in feinen
Beziehungen zu diefer Campagne richtig beurtheilt werde, bedarf es
einiger Bemerkungen. Und hier gerade ift der geeignete Plab für
dieſelben.
Selbſt wenn wir dem General MecClellan alle Fähigkeiten,
allen Patriotismus und alle Tapferkeit zugefteyen, die feine wärm—
ften Bewunderer für ihn beanfpruchen, fo verbleiben doch noch
viele ungünftige Umftände in Bezug aufihn, unter welchen —
felbft wenn er perfünlich für feinen derfelben verantwortlich wäre —
al’ die Fähigkeit, der Patriotismug und die Tapferkeit eines Na-
poleon, Tell und Bayard zufammen genommen die Ausrottung
der großen Rebellion durch ihn nicht hätte bemwerkftelligt werden
können.
Es war ein Unglück für ihn, daß vom erſten Anfang an — als
er noch ſo wenig bekannt war, als er noch ſo wenig geleiſtet hatte —
ſykophantiſche Schmeichler ihn ſofort zu einem großen militäriſchen
Genie machten. Um ſo unglücklicher war dieſer Umſtand für ihn,
wenn man bedenkt, daß das wankelmüthige amerikaniſche Volk
über ihn und ſeine Thaten richten ſollte — dieſes Volk, das in
Bezug auf ſeine hervorragenden Männer ſtets heute mit ſeinem
„Hoſianna!“ und morgen mit feinem „Kreuzige ihn!’ bereit iſt.
Es war ein Unglück für ihn, daß nach dem Urtheile vieler un-
parteiifchen und eompetenten Richter die BVorficht bei ihm die
Grenzen aller Klugheit überfchritt und faft zur Tollheit wurde.
Es gibt Augenblide, in denen Alles gewagt werden muß, damit
Nichts verloren gehe.
Es war ein Unglüd für ihn, daß er der befondere Favorit jener
Individuen war, welche fih am Tauteften gegen die Regierung
vernehmen ließen, die, welche Mißgriffe fie begangen haben
mochte, wenigfteng ernftlich Darauf bemüht war, den Krieg auf die
einzige Bafis hin zu beendigen, die ihrem Urtheil nach allein zu
einem fihern und dauernden Frieden führen Ffonnte. Wenn ein
13
194 Das Leben Abraham Lincolns.
jubordinirter General fich mit feinen Vorgeſetzten nicht verftändis
gen oder fich nicht mit rein militärifchen Angelegenheiten zufrie-
den geben fann, fo ift e3 feine Pflicht, zu refigniren, was Me-
Clellan unterließ.
Es war ein Unglüd für ihn, daß feine eifrigften Anhänger
durch Die Preffe, die öffentliche Rede und in der Privat-Eonverfa-
tion dem Volke den Ölauben beizubringen fuchten, daß der Prä-
fivent den Erfolg MeClellan's nicht wünfchte, aus Furcht, bei ver
nächſten Präfidentenwahl einen gefährlichen Concurrenten in ihm
zu finden. Befonders unglüdlich war dies für MeElellan, wenn
man bedenkt, daß der Präjident beim Ausbruch Des Krieges drei fei-
ner entfchiedenften politifchen Opponenten — Patterfon, Butler und
MeClellan—an die Spige von drei wichtigen militärifchen Departe-
ments geftellt und daß feit Wafhington kein Mann den Präfiden-
tenftuhl eingenommen hatte, der weniger Egoismus befaß, als
Prüfident Lincoln.
Es war ein Unglüd für ihn, daß feine Anhänger fo verzweifelte
Anftrengungen machten, die Berantwortlichkeit für feine zugeftan-
denen Hehlgriffe Andern aufzubürden. Dies gefhah zu Ball’s
Bluff, wie ſchon oben bemerkt. In Bezug auf die Peninfular-
Campagne mußten der Kriegsfefretär und felbft der Präfivent
herhalten, Hinfichtlich der letzteren Affaire wüßten wir nichts
Paffenderes anzuführen, als die Worte eines Mannes, deffen Ehr-
lichfeit und Wahrhaftigkeit allerwärts befannt waren — die Worte
Abraham Lincoln’s in einer Rede, die er bei einer Unions-Ber-
ſammlung zu Bafhington am 6. Auguft 1862 hielt, als der Aus-
gang der Campagne bereits befannt war.
„Mitbürger: — Ich glaube, es eriftirt Fein Präcedenzfall für
mein Erfcheinen vor Ihnen bei diefer Gelegenheit; ebenfo wenig
eriftirt eine Präcedenz für Ihre eigene Anmefenheit hier; und zu
meiner, wie zu Ihrer Rechtfertigung, kann ich fagen, daß ich bei
genauer Unterfuchung der Eonftitution feinen Einwand Dagegen
fand. Es will mich jedoch bevünfen, daß jüngere Herren hier
anwesend find, die beffer im Stande fein werden, Sie zu unter-
halten oder zu belehren, als ich zu thun vermöchte, und deshalb
will ich Ihre Geduld nur einige Augenblide in Anspruch nehmen,
Der Krieg auf der Salbinfel. 195
„Ich bin nicht geneigt, bei irgend einer Gelegenheit Etwas zu
fagen, wenn ich nicht hoffen fann, irgend etwas Gutes dadurch
zu bewirken, Das Einzige, was mir in diefem Augenblid beifällt,
und das einem Andern minder zu fagen geziemt, als mir, ift eine
Angelegenheit, in welcher Andere für Das getadelt wurden, was
ich jelbft that. Es wurde ein großer Verfuh gemacht, General
MeClellan und den Kriegsfelretär in einen Streit zu verwideln.
BZufälligerweife nun befleive ich eine Stellung, die mich beobach—
ten ließ, daß die beiden Herren bei Weitem weniger im Streite
mit einander find, als Diegenigen, die fich ihre Freunde nennen.
General MeElellan’s Stellung ift derart, daß er, wäre es aus
rein egoiftifchen Motiven, erfolgreich zu fein wünfhen muß —
und ich hoffe, daß er es noch fein wird — während der Kriegsfe-
kretär fich genau in derſelben Lage befindet. Wenn die Militär-
Eommandanten im Felde nicht erfolgreich fein können, fo müffen
nothwendigermweife der Kriegsſekretär und ich felbft, der Gebieter
über fie Alle, ebenfalls erfolglos fein. Sch weiß, daß General
MeClellan erfolgreich zu fein wünfcht, und ich weiß, daß er es
nicht mehr wünfcht, als der Kriegsfelretär für ihn, und daß fie
Beide zufammen es nicht mehr wünfchen, als ih. Wir hören zu=
weilen einen Streit über die Anzahl der Truppen, die General
MeElellan hatte, Diejenigen, die ihn herabzuſetzen fuchen, be>
haupten, er habe eine fehr große Anzahl gehabt; während Dieje-
nigen, die den Kriegsſekretär herabzufegen fuchen, behaupten, Ge—
neral MeClellan habe eine fehr Feine Anzahl gehabt. Die Bafis
hiefür ift nun die, daß immer eine große — in diefem Fall viel-
leicht eine Doppelt große — Berfchiedenheit ftattfindet zwiſchen
MiElellan’s Gefammt-Mufterrollen und der Anzahl wirklich feld-
tüchtiger Leute, Diejenigen nun, die ihn herabzufegen wünfchen,
fprechen von der großen Gefammtanzahl auf dem Papier; während
Diejenigen, die den Kriegsfefretär herabzufegen wünfchen, von
der Anzahl der Feldtüchtigen reden, General MeElellan hat zu—
weilen Dinge gefordert, die der Kriegsfefretär ihm nicht gab.
MeElellan ift nicht zu tadeln, daß er Das forderte, was er brauchte
und nöthig hatte, und der Kriegsfefretär ift nicht zu tadeln, daß
er nicht gab, wenn er Nichts zu geben hatte, Und ich will hier
196 Das Leben Abraham Lincolns.
fagen, daß der Kriegsfefretär nie Etwas verweigerte, was in ſei—
ner Macht ftand, zu geben. Sch habe feine Befchuldigungen gegen
ihn zu erheben. Ich halte ihn für einen tapfern und fähigen
Mann und ich nehme hier, wie die Gerechtigkeit es erfordert, auf
mich felbft, was man dem Kriegsfefretär aufgebürdet hat. — Doch
ich habe bereits länger gefprochen, als es meine Abficht war, und
ich nehme nun mein Privilegium in Anfpruc, nichts mehr zu
ſagen.“
Es war ein Unglück für MeClellan, daß ſchon zu wiederholten
Malen in diefem Lande erfolgreiche Generäle zur Präfivdentfchaft
erwählt wurden, Diefer Umftand muß ihm nicht wenig zu fchaf-
fen gemacht haben und hat ihn wahrfcheinlich zu jener Correſpon—
denz verleitet, die er fonft wohl vermieden haben würde, Hätten
ihn diefe fatale Präcedenzfälle nicht beeinflußt, fo hätte er fich
ficherlich nicht gemüßigt gefunden, fich zu Harrifon’s Landing in
aller Gemüthsruhe hinzufegen und dem Präfidenten eine lange
Homilie über Staats-Angelegenheiten zu fehreiben, und das in
einem Augenblid, als es höchft zweifelhaft war, ob ihm noch lange
eine Armee verbleiben würde, die er commandiren konnte.
Ein Unglüd endlich war es für ihn, daß er über dem Comman—
diren das Gehorchen vergaß. Dies würde ibm, ſowie dem Lande
und unferer Sache verfchiedene überflüffige Zuchtigungen erfpart
haben, |
Ein Jeder, der Präfivdent Lincoln’s Beziehungen zu der Penin—
fular-Campagne richtig zu würdigen wünfcht, muß diefe Thatfa-
chen vor Augen behalten, Bon allen andern Rüdfichten rein
militärifcher Natur abgefehen, find diefelben zu einem unpar«
teiifchen Urtheil unumgänglich nothwendig.
Es genüge, einen furzen Blid auf den Epilog zu dieſem trau-
rigen Feldzug zu werfen. General Pope’3 bombaftifhe Ordres
find Allen noch im beiten Angedenfen. Seine Mottog waren:
„Hauptquartier im Sattel!” „Keine Retirade!” und dergleichen.
Ob fein jämmerliches Fiasco feinem Mangel an Berftand oder
böswilliger Vernachläſſigung der Cooperation zuzufchreiben ift,
mag unentfchieden bleiben. Genug, es folgte eine Rebellen: In-
vafion in Maryland; die unter MeClellan gewonnene Schlacht
Freiheit für die Millionen. 197
zu South Mountain; der fruchtlofe Sieg zu Antietam, über den
fo viel unnöthiges Auffehen gemacht wurde; der Rückzug der
Rebellen ; die Bemühungen der Regierung, MeElellan zur Ber-
folgung anzufpornenz; die endliche Entfernung defjelben som
Commando dur den Präfidenten, der ihm noch gewogen war,
nachdem Das ganze Kabinet fich gegen ihn erflärt hatte; die Er-
nennung Burnfide’s gegen deffen Wunſch; eine andere Nieder-
lage zu Srederidsburg, worauf endlich die Potomac Armee Win-
terquartiere bezog.
Dies ift eine kurze Heberficht der militärifchen Operationen im
Dften, Anno Domini 1862,
Im Weften ſchloß das Jahr mit der Eröffnung der Schlacht
von Murfreesboro. Vicksburg bot noch immer allen unfern Be-
mühungen trogigen Widerftand,
Dreizehntes Kapitel.
Sreiheit für die Millionen.
$eitartikel der HN. 9. Tribune“ — Srief an Herrn Greely — Ankündigung
der Emanripations-Proklamation — Suspenfion der Habeas-Torpus-
Akte für gewiffe Säle — Prdre hinfichtlic der Seier des Sonntags —
Die Emanripations-Proklamation.
Da im Monat Auguſt 1862 in der „New York Tribune“ ein in
der Form eines Briefes an den Präfidenten gedrudter Leitartikel
erfchienen war, in welchem die Handlungen defjelben in Bezug
auf die Sflaverei ftrenge Fritifirt worden (der Schreiber des Ar-
tifels wußte wohl nicht, daß Die Regierung fich bereits über eine
beftimmte Politif verftändigt hatte, die im geeigneten Augenblid
befannt gemacht werden follte), fo erließ Herr Lincoln folgende
Antwort:
Wafhington, den 22, Auguft 1862.
„An den achtbaren Horace Greeley.
„Werther Herr: — Soeben las ich Shren in der „New York
Tribune“ veröffentlichten Brief an mich, datirt den I9ten d. Mis,
198 Das Leben Abraham Lincolns.
Wenn derfelbe irgend welche Behauptungen oder Angaben ent—
hält, die mir als irrtümlich befannt find, fo unterlaffe ich es, die—
felben jest und hier zu widerlegen. Wenn derfelbe irgend welche
nach meinem Erachten falfche Schlüffe enthält, fo unterlaife ich
e8, fie jebt und hier zu argumentiren, Wenn irgend ein reizba-
rer oder diktatorifcher Ton in demfelben zu bemerken ift, fo über-
fehe ih ihn aus Achtung für einen alten Freund, deffen Herz ich
Sftets für vedlich gehalten habe,
„Das die Politif anbelangt, „die ich zu verfolgen fcheine,‘ wie
Sie fagen, fo war es nie meine Abficht, irgend Jemanden Darüber
in Zweifel zu laffen.
„Ich wünfche die Union zu retten. Ich wünfche fie auf dem
Fürzeften mit der Conftitution vereinbaren Wege zu retten. Se
eher die National-Autorität wieder hergeftellt werden kann, deſto
näher ift die „Union, wie fie war.” Wenn es Leute giebt, die die
Union nicht retten wollen, e8 fei denn, Daß fie zu gleicher Zeit die
Sklaverei retten fünnen, fo ſtimme ich nicht mit ihnen überein,
Wenn e8 Leute giebt, die die Union nicht retten wollen, es fei
denn, Daß fie zu gleicher Zeit die Sklaverei vernichten fünnen,
fo ftimme ich nicht mit ihnen überein. Mein Hauptzweck bei die-
ſem Kampfe ift die Rettung der Union und weder die Rettung
noch die Bernichtung der Sklaverei. Wenn ich die Union retten
könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, fo würde
ich es thun; wenn ich fie retten könnte mittelft der Befreiung
aller Sklaven, fo würde ich es thun; und wenn ich fie dadurch
retten könnte, dag ich einige Sklaven befreite und andere
in der Sflaverei ließe, fo würde ich Dies ebenfalls thun, Was
ich in Bezug auf die Sklaverei und die farbige Race thue, das
thue ich, weil ich glaube, daß es die Rettung der Union befördert,
und was ich unterlaffe, das unterlaffe ich, weil ich nicht glaube,
daß es die Rettung der Union befördern würde. Sch werde we= -
niger thun, fo bald ich zur Ueberzeugung gelange, daß, was ich
thue, unferer Sache fchädlich fei, und ich werde mehr thun, fo
bald ich zur Ueberzeugung gelange, daß dies unferer Sache für-
derlich fein werde. Sch werde mich bemühen, Srrtbümer zu ver-
beffern, fo bald meine Mapregeln fi als Irrthümer erweifen,
Sreiheit für die Millionen. 199
und ich werde neue Anfichten adoptiren, fo bald fie fich als richtige
Anfichten erweifen. Sch habe hier meine Abfichten vom Stand—
punkt meiner offiziellen Pflicht aus dargelegt und beabfich-
tige damit feine Modification meines oft ausgefprochenen per—
ſönlichen Wunſches, dag alle Menfhen allerorten frei fein
möchten,
„Aufrichtig der Fhrige,
Abraham Lincoln.“
Worin jene angedeutete Politik beftand, das erfuhr jedes männ-
liche Herz mit Wonne, als folgende Proflamation erfchien — das
mwichtigfte Stantspapier, das je von einem amerifanifchen Präfi-
denten erlaffen wurde:
„Ih, Abraham Lincoln, Präafivent der Vereinigten Staa—
ten von Amerifa und Oberbefehlshaber der Armee und Flotte
derfelben, proflamire und erfläre hiermit, daß hiernach wie hier-
zuvor der Krieg zum Zwed der praftifchen Wiederherftellung des
Berhältniffes zwifchen den Vereinigten Staaten und dem Volke
derfelben in jenen Staaten, in welchen diefes Verhältniß fuspen-
dirt oder geftört ift, oder werben mag, geführt werden wird, daß
es meine Abficht ift, bei der nächften Congrefverfammlung wieder
die Adoption einer praftifchen Maßregel anzuempfehlen, wodurch
ſämmtlichen fogenannten Sflavenftaaten, deren Volk fich nicht in
Rebellion gegen die Vereinigten Staaten befindet, und die big
dahin die fofortige oder allmälige Abfchaffung der Sklaverei in-
nerhalb ihrer refpeftiven Grenzen freiwillig befchloffen haben
werden, oder fpäter noch freiwillig befchließen mögen, pecuniäre
Unterftügung angeboten werde, welche ſolche Staaten nach Be-
lieben annehmen oder ausfchlagen mögen, und daß das Bemühen,
Perfonen afritanifcher Abkunft mit ihrer Einwilligung auf diefem
Continente oder fonftwo zu eolonifiren, fortgefegt werden foll,
nachdem zusor die Einwilligung der dafelbft beftehenden Megie-
rung eingeholt worden ift; dag am erften Tage des Monats Ja—
nuar im Fahre unferes Herrn eintaufend achihundert und drei-
undjechzig ſämmtliche als Sklaven gehaltenen Perfonen innerhalb
irgend eines Staates, oder irgend eines beftimmten Theiles eines
200 Das Leben Abraham Lincolns.
Staates, deffen Bürger fih an jenem Tage in Rebellion gegen die
Vereinigten Staaten befinden werden, Dann, fortan und für
immer frei jein jollen, und daß die Erefutin-Regierung der
Vereinigten Staaten, einfchließlih der Militär- und Marinebe-
hörden derfelben, die Freiheit folcher Perfonen anerkennen und
aufrecht erhalten werden, und dag auf Feinerlei Weife irgend ein
Verſuch folcher Perfonen, oder irgend einer einzelnen Perfon, ihre
Freiheit thatfächlich zu erlangen, unterdrückt und verhindert wer⸗
den wird; daß die Erefutive am erften Tage des Sanuar, wie
oben befagt, durch eine Proflamation die Staaten, oder Theile
derjelben bezeichnen wird, in denen das Volk fih in Rebellion
gegen die Vereinigten Staaten befindet; und die Thatfache, daß
irgend ein Staat oder das Volk deffelben an jenem Tage recht-
mäßig im Congreß der Vereinigten Staaten vertreten fein wird
durch Mitglieder, die durch Wahlen, an welchen eine Majorität
der qualifizirten Stimmgeber eines folcyen Staates Theil genom-
men bat, dahin erwählt wurden, foll in der Abwefenheit ftarfen
und überzeugenden Gegenbeweifes als giltiger Beweis erachtet
werden, daß foldher Staat oder das Volk deffelben nicht in Rebel-
lion gegen die Vereinigten Staaten geftanden hat.
„Daß hiermit auf eine Congreßakte aufmerkffam gemacht wird,
betitelt: „Eine Akte zur Aufftellung eines weiteren Kriegsartifels,”
approbirt am 13, März 1862, welche Akte in den folgenden Wor—
ten und Ausdrüden erlaffen wurde:
„Befhloffen Ddurh den Senat und das Reprä-
fentantenhbaus der Bereinigten Staaten son
Amerifa, im Congreß verfammelt, daß fortan Folgen-
des als ein weiterer Kriegsartifel für die Leitung der Armee der
Vereinigten Staaten befannt gemacht und als folcher beachtet und
befolgt werden folle,
„Artifel—. Allen Offizieren und Perfonen im Militär-
und Marinedienft der Vereinigten Staaten ift ed verboten, die
Truppen unter ihrem refpeftiven Commando zu der Zurüdliefe-
rung der Flüchtlinge von Dienft oder Arbeit zu verwenden, Die
folchen Perfonen entflohen find, denen diefer Dienft oder dieſe
Arbeit angeblich gebührt; und jeter Offizier, der von einem
Sreiheit für die Millionen. 201
Kriegsgericht der Verletzung dieſes Artifels ſchuldig befunden
wird, fol aus dem Dienfte entlaffen werben,
„Paragraph 2, Und weiter befhloffen, daß diefe
Akte von und nach der Zeit ihrer Erlaffung an in Kraft treten
ſolle.“
„Desgleichen auf den neunten und zehnten Paragraphen einer
Akte, betitelt: „Eine Akte zur Unterdrückung der Inſurrektion,
zur Beitrafung des Berrathes und der Rebellion, zur Eonfiscation
des Eigenthumes der Rebellen und zu andern Zwecken,“ approbirt
am 17. Zuli 1862, welche Paragraphen in folgenden Worten und
Ausdrüden angegeben find:
„Paragraph 9. Und fei es weiter beſchloſſen,
daß alle Sklaven folcher Perfonen, die fortan in Rebellion gegen
die Regierung der Vereinigten Staaten ftehen oder befagter Re—
bellion auf irgend eine Art Hilfe und Vorſchub leiſten, folchen
Perſonen entfliehen und innerhalb der Linien der Armee Schuß
ſuchen; und alle Sklaven, die folchen Perfonen abgenommen oder
von denfelben im Stich gelaffen wurden und unter die Eontrolle
der Regierung der Vereinigten Staaten kommen; fowie endlich alle
Sflaven, die an irgend einem von Rebellentruppen befesten und
fpäter von den Truppen der Vereinigten Staaten eroberten Plate
gefunden werden (oder fih an demfelben befinden), als Kriegs-
gefangene betrachtet werden, ihrer Knechtſchaft für immer frei und
ledig fein und nie wieder als Sklaven gehalten werden ſollen.“
„Paragraph 10. Und fei es weiter beſchloſſen,
daß fein Sklave, der aus irgend einem der Staaten nad) irgend
einem Staate, Territorium oder dem Diftrift Columbia entflieht,
zurüdgeliefert oder in irgend einer Weife in feiner Freiheit gehin-
dert oder geftört werden folle, ausgenommen wegen eines Ver—
brechens oder einer Hebertretung der Gefebe; es fei denn, daß die
Perfon, die ſolchen Flüchtling beanfprucht, zuerft eidlich darthut,
dag die Perfon, der die Arbeit oder der Dienft eines folchen
Flüchtlings angeblich gebührt, fein rechtmäßiger Eigenthümer fei
und während der gegenwärtigen Rebellion nicht in Waffen gegen
die Bereinigten Staaten geftanden, noch auf irgend eine Art be=
fagter Rebellion Hilfe und Vorſchub geleiftet Habe; und daß Feine
202 Das Leben Abraham Lincolns.
Perfon im Militär- oder Marinedienft der Vereinigten Staaten
bei Strafe der Entlaffung aus dem Dienft fi unter irgend einem
Vorwande anmaßen folle, über die Oiltigfeit der Anfprüche irgend
einer Perfon auf den Dienft oder die Arbeit irgend einer andern
Derfon zu entfcheiden oder folche Perfon dem Anfpruchmachenden
zu überliefern, ;
„Und ich ermahne und gebiete hiermit allen Perfonen in Mili-
tär- oder Marinedienft der Vereinigten Staaten, innerhalb ihres
refpeftiven Dienftlreifes der obenangeführten Akte und den erwähn-
ten Paragraphen Gehorfam zu leiften und diefelben in Ausfüh-
rung zu bringen.
„Die Exekutive wird zu gehöriger Zeit anempfehlen, daß alle
Bürger der Vereinigten Staaten, die während der ganzen Rebellion
Ioyal geblieben find, (nach Wiederherftelung der conftitutionellen
Beziehungen der Vereinigten Staaten zu ihren refpeftiven Staaten
und deren Bolf, wenn diefe Beziehungen fufpendirt oder geftört
worden find), für alle durch Vereinigte Staaten Akten verurfachten
Berlufte, einfchließlich des-Verluftes an Sflaven, entfchädigt wer—
den follen.
„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefegt und das Giegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Segeben in der Stadt Wafhington, am zweiundzwanzigften
Tag des Monats September, im Jahre unferes Herrn eintaufend
achthundert und zweiundfechzig, und im fiebenundachtzigften ver
Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten,
Abraham Sincoln.”
„Auf Befehl des Präfiventen:
„Billtam 9 Seward, Staatsfefretär,”
Diefer Herold der Freiheit für Millionen gab natürlich Denje-
nigen, die feine Gelegenheit unbenüst ließen, die Regierung zu
ſchmähen, großes Aergerniß. Da große Anftrengungen—und nicht
ganz ohne Erfolg —gemacht wurden, der Adminiftration die Con—
feription für die Armee zu erfchiweren, und da gewiſſe Individuen
der verächtlichiten Klaffe bereit waren, ſich das bittere Vorurtheil,
das bei einem großen Theil des Volkes gegen die Neger unter und
herrfihte, zu ihren Zweden zu benußen, fo erſchien zwei Tage nach
Freiheit für die Millionen. 203
dem Dbigen folgende weitere Proclamation, damit fich Niemand
mit Unmwifjenheil entfchuldigen könne, wenn auf folchem verräthe-
rifchen Treiben beharrt würde:
„Sintemalen es nothwendig geworden ift, nicht nur Volun—
täre, fondern auch einen Theil der Miliz der Staaten mittelft der
Confeription in den Dienft zu rufen, um die in den Vereinigten
Staaten beftehende Inſurrektion zu unterdrüden; und da illoyale
Perfonen durch das gewöhnliche Gefegverfahren nicht hinlänglich
verhindert werden, diefer Maßregel hemmend in den Weg zu treten
und der Inſurreltion auf verfehiedene Art Hilfe und Vorſchub zu
leiſten:
„Deshalb ſei hiermit verordnet:
„Erftens, daß während der beſtehenden Inſurrektion als noth—
wendige Maßregel zur Unterdrückung derſelben alle Rebellen und
Inſurgenten, ihre Helfer und Helfershelfer innerhalb der Vereinig⸗
ten Staaten, die andere Perfonen von freiwilliger Anwerbung ab-
rathen, ſich der Miliz-Eonfeription widerfegen, oder fich fonftiger
illoyalen Handlungen fehuldig machen, wodurch den Rebellen gegen
die Autorität der Vereinigten Staaten Hilfe und Vorſchub geleiftet
wird, dem Kriegsgefebe anheimfallen und durch ein Kriegsgericht
oder eine milikärifche Commiſſion verhört und beftraft werden follen.
„Zweitens, daß ter Habeas Eorpus-Writ hiermit
fufpendirt wird in Bezug auf alle verhafteten Perfonen, die, jo
lange die Rebellion dauert, durch irgend eine militärifche Autorität
oder durch das Urtheil irgend eines Kriegsgerichts oder einer mili-
tärifchen Commiffion in irgend einem Fort, Teldlager, Arfenal, mi>
litärifchem Gefängniß oder irgend einem andern Kerfer jebt einge-
fperrt find oder künftig eingefperrt werben,
„Zum BZeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lajfen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington, am vierundzwanzigften Tag
des Monats September, im Jahre unferes Herrn eintaufend acht-
hundert und zweiundfechzig, und im fiebenundachtzigften der Unab⸗
bängigfeit der Vereinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präfivdenten : Abraham Sincoln.”
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“
204 Das Leben Abraham Lincolns.
Es hieße der Klugheit, die diefe Proflamation eingab, ein arm—
feliges Compliment darbringen, wenn man nicht genöthigt wäre,
zu fagen, daß diefelbe Vielen außerordentlich bitter ſchmeckte. Zur
Steuer der Wahrheit müffen wir indeffen hinzufügen, daß das
Hebel fofort nach der Erfcheinung derfelben in ganz bedeutendem
Maße nachließ.
Folgende am 16. November 1862 erlaſſene Ordre iſt nur einer
der zahlreichen Beweiſe der tiefen und ernſten Ehrfurcht vor der
chriſtlichen Religion, die einen ſo hervorragenden Zug in Herrn
Lincoln's offiziellen Papieren nicht minder als in feinem Privat-
charakter bildet:
„Der Präfivent und Oberbefehlshaber der Armee und Flotte
wünſcht und befiehlt die ordentliche Beobachtung des Sonntags
von Seiten der Offiziere und Mannfchaften im Militär- und Ma-
rinedienſt. Die Wichtigkeit der vorgefchriebenen wöchentlichen
Ruhe für Menfchen und Vieh, die heiligen Rechte hriftlicher Sol-
daten und Matrofen, die geziemende Achtung vor den edelften Ge—
finnungen eines chriftlichen Volkes, fowie die gebührende Ehrfurcht
vor dem Willen Gottes gebieten, daß die Sonntagsarbeiten in der
Armee und Marine auf das Maß der ftrengften Nothwendigfeit be=
ſchränkt werben.
„Die Disciplin und der Charakter der Nationaltruppen follten
nicht leiden, noch die Sache, die fie vertheidigen, gefährdet werden
durch eine Profanation des Tages und Namens des Höchften. „Sn
diefer Zeit der öffentlichen Noth,“ um mich der von Wafhington im
Sabre 1776 gefprochenen Worte zu bedienen, „haben die Leute ge-
nug zu thun im Dienfte Gottes und ihres Landes, ohne fich dem
Zafter und der Jmmoralität zu überlaffen.” Die erfte vom Vater
feines Landes erlaffene Ordre, kurz nach der Unabhängigfeits-Er-
Härung, zeigt deutlich den Geift an, in welchem unfere Snftitutionen
begründet wurden und in welchem fie ftets vertheidigt werden foll-
ten. „Der General hofft zuverfichtlich, daß jeder Offizier und
Mann fi bemühen wird, fo zu leben und zu handeln, wie es fi
einem chriftlichen Soldaten geziemt, der die theuerften Rechte und
Freiheiten feines Landes vertheidigt.“
Abraham Sincoln.
Freiheit für die Millionen. 205
Am 1, Januar 1863 erfchien jene Proflamation, die zu der vom
22, September 1862 dag Supplement bildete, das große Werf vol»
lendete und ihm Leben und Gedeihen gab:
„Sintemalen am zweiundzwanzigften Tage des Monats Sep-
tember, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert und zwei—
undfechzig, vom Präfiventen der Vereinigten Staaten eine Profla-
mation erlaffen wurde, die unter andern Dingen Folgendes ent-
bielt, nämlich :
„Daß am erften Tage des Monats Januar, im Jahre unferes
Herrn eintaufend achthundert und dreiundſechzig, ſämmliche als
Sklaven gehaltene Perfonen irgend eines Staates, oder irgend eines
beftimmten Theiles eines Staates, deffen Bürger fih an jenem Tage
in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten befinden werden, dann,
fortan und für immer frei fein follen, und daß die Erefutiv-Regie-
rung der Vereinigten Staaten, einfchlieglich der Militär- und Ma-
rinebehörden derfelben, die Freiheit folcher Perfonen anerkennen
und aufrecht erhalten werde, und daß auf feinerlei Weife irgend ein
Verſuch folcher Perfonen, oder irgend einer einzelnen Perfon, ihre
Freiheit thatfächlich zu erlangen, unterdrüdt und verhindert werden
wird.
„Daß die Erefutive am erften Tage des Januar, wie obenbefagt,
durch eine Proflamation die Staaten, oder Theile derfelben, bezeich-
nen wird, in denen das Volk fich in Rebellion gegen die Vereinigten
Staaten befindet; und die Thatfache, Daß irgend ein Staat, oder
das Bolf defjelben, an jenem Tage rechtmäßig im Kongreß der Ver—
einigten Staaten vertreten fein wird durch Mitglieder, die durch
Mahlen, an welchen eine Majorität der qualifizirten Stimmgeber
eines foldhen Staates Theil genommen hat, dahin erwählt wurden,
fol in der Abweſenheit ftarfen und überzeugenden Gegenbemeifes alg
giltiger Beweis erachtet werden, daß folcher Staat, oder das Volk
defjelben, nicht in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten geftan-
den hat,
„Deshalb erfläre und bezeichne ich, Abraham Lincoln, Präfivent
der Dereinigten Staaten, kraft der mir verliehenen Gewalt als
Oberbefehlshaber der Armee und Flotte der Vereinigten Staaten,
zur Zeit einer wirklichen bewaffneten Rebellion gegen die Autorität
266 Ta8 Leben Abraham Lincolns.
und die Regierung der Vereinigten Staaten als paffende und noth—
wendige Kriegsmaßregel zur Unterdrüdfung befagter Rebellion, heute,
am erften Tage des Monats Januar, im Fahre unferes Herrn ein-
taufend achthundert und dreiundfechzig, und in Gemäßheit meiner
Abficht, Dies zu thun, die eine volle Periode von einhundert Tagen
vom Datum der erften obenerwähnten Ordre an proflamirt war —
folgende als die Staaten und Theile von Staaten, deren Bolf am
heutigen Tage in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten ſteht;
nämlich: Arkanfas, Teras, Louifiana—mit Ausnahme der Parifhes:
St. Bernard, Plaquemines, Sefferfon, St. Sohn, St. Charles, St.
James, Ascenfion, Affumption, Terre Bonne, Lafourche, St. Mary,
St. Martin, und Orleans, einfchlieglich der Stadt New-DOrleans—
Miffiffippi, Alabama, Florida, Georgia, Süd-Carolina, Nord⸗Ca—
rolina und Birginien—mit Ausnahme der achtundvierzig Countieg,
die als Weft-Virginien befannt find, desgleichen der Counties Ber-
feley, Accomac, Nortbampton, Elifabeth Eity, York, Princeß Ann
und Norfolk, einfchlieglih der Städte Norfolf und Portsmouth;
diefe ausgenommenen Theile follen vor der Hand betrachtet werden,
als wäre diefe Proflamation nicht erlaffen worden.
„Und kraft der mir übertragenen Gewalt und in Gemäßheit dı3
obenamgefündigsen Zwedes befehle und erkläre ich, daß fämmtliche
innerhalb der obenbezeichneten Staaten und Theile von Staaten
als Sklaven gehaltenen Perfonen frei find und fortan und
fürimmer frei fein ſollen; und daß die Erefutin-Regierung
der Vereinigten Staaten, einfchlieglich der Militär- und Marine-
behörden vderfelben, die Freiheit befagter Perfonen anerkennen und
aufrecht erhalten wird,
„Und ich ermahne hiermit die fo für frei erklärten Perfonen, fich
aller Gewaltthätigfeit, ausgenommen zur nothwendigen Selbftver-
theidigung, zu enthalten und empfehle ihnen an, in allen Fällen,
wo es ihnen geftattet wird, getreulich für billigen Lohn zu arbeiten,
„Und ferner erkläre und verfünde ich, daß ſolche Perfonen von
tauglichem Zuftand in den bewaffneten Dienft der Vereinigten
Staaten aufgenommen werben follen, um Forts, Pofitionen, Sta—
tionen und andere Plätze zu garnifoniren und Schiffe aller Art in
befagtem Dienjte zu bemannen,
Dre legte Sigung des 37. Congreifes. 207
„Und auf dag Dbige, was ich aufrichtig für einen durch die Con—
ftitution garantirten und durdy militärifche Nothwendigfeit gebo—
tenen Akt der Gerechtigkeit halte, erflehe ich Das gewogene Urtheil
der Menfchheit und den gnädigen Segen des allmächtigen Gottes,
„zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefett und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington, am erften Tage des Mo—
nats Januar, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
dreiundfechzig, und im fiebenundachtzigften der Unabhängigkeit der
Bereinigten Staaten,
Abraham Sincoln.”
„Auf Befehl des Präfidenten:
„Willtam 9 Seward, Staatsfefretär,‘
Bierzehntes Kapitel,
Die legte Sigung des fiebenunddreißiuften Congreifes.
Situation des Landes — Pppofition gegen die Adminiftration — Kotfchaft
des Präfidenten.
Dunkle Tage für die Freunde der Freiheit waren es, jene letzten
Tage von 1862. Vor dem Herbſte jenes Jahres hatte das Volk
bei den Wahlen ſeine Billigung der Handlungen der Adminiſtra—
tion kundgegeben. Dann kam ein Wechſel. Die drei bedeutend—
ſten Staaten — New York, Pennſylvanien und Ohio — hatten
fih durch allerlei Intriguen, auf die wir nicht näher eingehen
mollen, verleiten laffen, große Majoritäten gegen die Regierung
abzugeben, Nicht der unbedeutendfte unter den vielen merfwür-
digen Fällen von Ineonfequenz in den politifchen Annalen dieſes
Landes ift der Umftand, daß der erfigenannte jener drei Staaten
einen „Friedens-Demokraten“ auf die Plattform für „Eräftigere
Derfolgung des Krieges“ hin zum Gouverneur erwählt hatte,
Das Miflingen der Peninfular-Campagne wurde dem Präſi—
denten in die Schuhe gefchoben. Der Krieg, fagte man, fei von
208 Das Leben Abrabam Lincolns.
feinem urfprünglichen Zwede abgelenkt worden, Es wäre nicht
länger mehr ein Krieg für die Erhaltung der Union, fondern für
die Befreiung der Sklaven; oder, um die gewählte Phrafeologie
jener Menfchen zu gebrauchen, es war ein „Niggerfrieg‘ ge-
worden. Bei den Unwiffenden und Gedankenlofen fanden der-
artige Behauptungen leicht Glauben.
Die Anzahl Derjenigen, die, ohne je in dieſem Kampfe ein
Prinzip auf dem Spiel gehabt zu haben, des Krieges müde gewor—
den waren, hatte bedeutend zugenommen. Die Ausſicht auf eine
Conſcription — Die bei der nächſten Sitzung des Congreſſes
beſchloſſen wurde — ließ Viele, die bisher lau geweſen waren,
völlig erkalten.
Zeitungen und Stumpredner hatten die Frechheit, Frieden auf
jede Bedingung hin zu fordern. Es wurde ſogar behauptet, daß
die Oppoſition im untern Hauſe des nächſten Congreſſes eine
Majorität haben würde. Die Repräſentanten derſelben im Con—
greß von 1862 fingen bereits wieder an, jenen trotzigen und über—
müthigen Ton anzuſtimmen, den ſie einige Zeit bei Seite zu legen
für gut befunden hatten.
Dunkle Tage waren es in der That, als der ſiebenunddreißigſte
Congreß ſich am 1. December 1862 zu feiner lebten Sitzung ber-
fammelte,
Dennoch lebte Einer, der nie in feinem Vorhaben wanfte, wie
entmuthigend die Ausfichten auch fein mochten; Einer, der, über=
zeugt, daß er Recht hatte, entfchloffen war, Das Rechte zu verfolgen,
wohin es ihn auch führen mochte. Und ob der beforgte und matte
Ausdruck feines Gefichtes auch Deutlich zeigte, mie ſchwer Die
furchtbare VBerantwortlichkest feines Amtes auf ihm Taftete, fo hatte
er doch ſtets ein heiteres Wort, ein gütiges Lächeln oder einen
Blick der Sympathie für Alle, die mit ihm in Berührung kamen.
Mir geben nachftehend die mefentlichen Theile feiner Jahres—
Botſchaft an den Congreß:
„Mitbürger vom Senat und Bepräfentantenhaus: — Seit
Shrer Testen jährlichen VBerfammlung ift abermals ein Jahr be—
friedigender Gefundheit und reichlicher Ernten verfloffen. Da es
Die letzte Sigung des 37. Congreſſes. 209
dem Allmächtigen noch nicht gefallen hat, uns mit der Wiederkehr
des Friedens zu fegnen, fo bleibt ung Nichts übrig, als, von fei-
nem Lichte erleuchtet, fortzufahren und Vertrauen zu hegen, daß
Er zu feiner Zeit und nach feinem en Rathſchluſſe Alles wohl
machen werde, - +
„Wenn auch unfere Beziehungen zu andern Nationen minder
befriedigend find, als es in früheren Zeiten der Fall war, fo find
diefelben gewiß tröftlicher, als eine fo zerriffene Nation, wie wir
find, billigermeife erwarten durfte. Lebten Juni hatten wir eini-
gen Grund, anzunehmen, daß die Seemächte, die beim Beginne
unferer inneren Wirren fo unmweife und unnöthig, wie wir glau-
ben, die Inſurgenten als eine friegführende Macht anerkannten
fih bald von diefer Pofition zurüdziehen würden, die ich ihnen
faum weniger nachtheilig als ung felbft erwies. Die temporären
Unfälle jedoch, die fpäter unfere Waffen erlitten, und die von un—
fern eigenen disloyalen Bürgern im Auslande fo übertrieben dar—
geftellt wurden, haben big jet diefen einfachen Alt der Gerechtig-
feit verzögert,
„Der Bürgerkrieg, welcher den gewohnten Gefchäflsgang des
amerifanifchen Volkes zu gründlich veränderte, hat natürlich auch
die foeialen Berhältniffe und die Wohlfahrt der Nationen be—
trächtlich berührt, mit denen wir feit mehr als einem halben Jahr—
hundert einen ſtets zunehmenden Handel gepflogen haben.
Zu gleicher Zeit hat er politifche Gefinnungen und Befürchtungen
erregt, Die in der ganzen civilifirten Welt eine tiefe Agitation ver-
urfachten. Während diefer ungewöhnlichen Agitation unterließen
wir es, und in irgend eine Controverſe zmwifchen fremden Staaten
oder zwifchen Theilen und Faktionen in ſolchen Staaten einzu-
laffen. Wir haben feine Propaganda zu machen gefucht und Feine
Revolution anerkannt. Wir überließen jeder Nation die aus-
fchliegliche Leitung und Controlle ihrer eigenen Angelegenheiten.
Unfer Kampf wurde natürlich von fremden Nationen weniger mit
Nüdficht auf feine eigenen Berdienfte, als vielmehr auf die ver-
mutheten und oft fehr übertriebenen Wirkungen und Folgen, die
jenen Nationen felbft daraus entfpringen würden, betrachtet.
14
210 Das Leben Abraham Lincolns,
Dennoch würden Klagen hierüber son Seiten diefer Regierung
unmeife fein, felbft wenn fie noch fo gerecht wären.
„Der Bertrag mit Groß-Brittanien zur Unterdrüfung des
Sklavenhandels wurde zur Ausführung gebracht und verfpricht
vollftändigen Erfolg. Es greicht mir zum befondern Vergnügen,
die Mittheilung machen zu können, daß die Ausübung dieſes Ver—
trages feiteng der Regierung ihrer Majeftät mit größter Achtung
für die Autorität der Vereinigten Staaten und der Rechte der mo—
ralifchen und Ioyalen Bürger derfelben sollführt wurde. . . »
„Ich wurde von vielen freien Amerikanern afrifanifcher Ab-
funft angegangen, ihre Auswanderung zu begünftigen zum Zwecke
einer Colonifation, wie fie in neulichen Congreßakten beabfichtigt
wurde. Andere Parteien im In- und Auslande haben ähnliche
Mafregeln zum Vorſchlag gebracht; Einige aus interefjirten Mo-
tiven, Andere aus patriotifchen Nüdfichten, und noch Andere von
philanthropifchen Gefinnungen angetrieben; während andererfeits
mehrere fpanifch-amerifanifche Republifen gegen folche Colonien
in ihren refpeftiven Gebieten proteftirten. Unter ſolchen Umſtän—
den mußte ich es unterlaffen, derartige Colonien in irgend einem
Staate zu errichten, ohne erft die Einwilligung der betreffenden
Regierung einzuholen, nebit der Garantie, daß ſolchen Emigran-
ten der Schuß und fämmtliche Rechte freier Bürger zu Theil
würden. Zu gleicher Zeit machte ich mehreren Staaten in den
TIropengegenden, oder Staaten, die dafelbft Colonien befiten, das
Unerbieten einer Unterhandlung mit ihnen, vorbehaltlich der Ein—
willigung des Senats, um die freiwillige Einwanderung diefer
Klaffe von Perfonen nach ihren Gebieten zu begünftigen, und
zwar auf gerechte, billige und humane Bedingungen hin. Liberia
und Hayti find bis jeht die einzigen Länder, wohin Coloniften
afrifanifcher Abkunft von Hier fich mit der Verficherung begeben
fünnten, daß fie fofort als Bürger empfangen und adoptirt wür-
den. ch bedauere indeffen, fagen zu müffen, daß folche Perfonen,
welche fich zur Colonifation verftehen, durchaus nicht fo willig
Scheinen, nach jenen Ländern zu gehen, als nach einigen andern,
oder fo willig, mie e8 meiner Anficht nach ihr Intereſſe erfordert.
Ich glaube übrigens, daß fie nach und nach zu befjerer Einficht
Die legte Sigung des 37. Congreifes. 211
gelangen werden, und daß über Kurzem die Auswanderung von
den Vereinigten Staaten nad) diefen beiden Ländern in bedeuten-
dem Maße zunehmen wird.
„Sch begünftigte das Projekt, die Vereinigten Staaten mittelft
eines atlantifchen Telegraphen mit Europa zu verknüpfen; des—
gleichen ein ähnliches Projekt, ven Telegraphen bis nad San
Francisco auszudehnen, um denfelben durch einen Pacific-Telegra-
phen mit einer Linie in Verbindung zu fegen, die jet durch Das
ganze ruffifche Reich errichtet wird,
„Die Territorien der Vereinigten Staaten find mit wenigen
Ausnahmen von dem Bürgerkrieg ungeftört geblieben und befin-
den fich in einem folch’ gedeihlichen Zuftand, daß einige derfelben
in nicht gar ferner Zufunft bereit fein werden, ſich als Staaten
zu organifiren und unter der Conftitution in die Vereinigten
Staaten einzutreten.
„Die ungeheuren mineralifchen Hilfsquellen einiger diefer Ter—
ritorien follten fo raſch wie möglich entwidelt werden. jeder
Schritt in diefer Richtung hin würde die Revenuen der Regierung
vermehren und die Laften des Volkes verringern, Es ift Ihrer
ernten Erwägung werth, ob fich nicht einige außerordentliche Maß—
regeln zur Erreichung jenes Zweckes ergreifen ließen. Das Mittel,
das mir hierzu am geeignetften erfcheint, wäre eine wifjenfchaftliche
Erploration der Mineral-Regionen jener Territorien und die Ver⸗
öffentlichung der Refultate derfelben im In- und Auslande,
„Der Zuftand der Finanzen wird Ihre ernftlichfte Beachtung in
Anſpruch nehmen, Die ungeheuren Ausgaben für die Militär-
und Marine-Operationen zur Unterdrüdung der Rebellion find
bisher mit einer unter folchen Umftänden erftaunlichen Schnellig-
feit und Sicherheit befchafft worden, während der öffentliche Credit
vollkoͤmmen aufrecht erhalten wurde. Die Fortdauer des Krieges
indeſſen, ſowie die vermehrten Ausgaben, die durch die Verſtärkung
der Truppen im Felde nothwendig gemacht wurden, legen Ihnen
die größte Sorgfalt in Bezug auf die Beſchaffung der nöthigen Re—
venuen auf, ſo daß weder der Geſchäftsverkehr beeinträchtigt, noch
der Arbeit eine allzu große Bürde dadurch auferlegt werde.
„Die Suspenfion der Baarzahlungen der Banken, die bald nach
212 Das Leben Abrabam Lincolns.
dem Beginne Ihrer legten Sigung eintrat, machte eine große Aus—
gabe von Bereinigten Staaten Noten unvermeidlich. Auf Feine
andere Weife ließ fich die Zahlung der Truppen und die Befrie-
digung anderer gerechter Forderungen fo öfonomifch und leicht be=
werfitelligen. Die mweife Legislation des Congreffes, wodurch dieſe
Noten für Anlehen und innere Zölle annehmbar und zu einem ge—
feslihen Zahlungsmitiel (legal tender) für andere Schulden er-
Härt wurden, machte fie zu einem allgemeinen Verkehrsmittel und
befeitigte dadurch, wenigftens theilweife und für die Zeit, den längſt
gefühlten Mangel eines einförmigen Cirfulationsmediums, durch
welches dem Bolfe große Summen an Disconto und Wechfeln
erfpart wurden.
„Eine Rüdfehr zu Baarzahlungen, fobald fich dies mit den allge-
meinen Intereſſen vereinbaren läßt, follte ftete im Auge behalten
werden. Das Steigen und Fallen im Werthe des Papiergeldes
bat immer nachtheilige Folgen, und e8 follte daher ftets das Augen-
merf weislicher Legislation fein, dergleichen Sluctuativnen auf den
möglichjt niedern Punkt zu reduciren. Prompte und fichere Ver—
taufhbarfeit des Papiergeldes gegen Elingende Münze wird allge-
mein als die befte und ficherfte Garantie gegen ſolche Fluctuationen
anerkannt; ob fich aber eine Cirkulation von Vereinigten Staaten
Noten, zahlbar in klingender Münze und hinlänglich groß für die
Bedürfniſſe des Volkes, für die Dauer mit Nuten und Sicherheit
herftellen läßt, ift Außerft zweifelhaft.
„Giebt es nun irgend ein anderes Mittel, wodurch dem öffent-
lihen Bedürfnig Rechnung getragen und zugleich der große Vor—
theil eines fihern und einförmigen Papier-Courrants erzielt werden
fann?
„Sch wüßte feines, das fo fichere Reſultate verfpricht und dabei
fo unanftößig ift, wie die Organifation von Bank-Afforiationen
unter einer allgemeinen Congreßafte mit forgfältig erwogenen
Beftimmungen. Solchen Affveiationen könnte die Regierung
Cireulationsnoten liefern, und zwar auf die Sicherheit der im
Schabamt deponirten Bereinigten Staaten Bonds. Da diefe
Noten unter der Aufficht geeigneter Beamten angefertigt würden,
einförmig an Ausfehen und Sicherheit und ftets gegen Münze
Die legte Sitzung des 37. Congreſſes. 213
vertaufchbar wären, fo würden fie die Arbeit vor den Uebeln eines
verfchiedenartigen und entwertheten Papiereourrants ſchützen und
den Handel durch billige und fichere Wechfel erleichtern.
„Ein mäßiger Abzug von den Intereſſen auf die Bonds würde
die Vereinigten Staaten für die Anfertigung und Bertheilung
der Noten und die allgemeine Beauffichtigung des Syſtems ent-
fhädigen und die Bürde des zu Sicherheiten verwandten Theiles
der öffentlichen Schuld erleichtern. Der öffentliche Credit würde
überdies bedeutend gehoben und die Negotiation neuer Anlehen
bedeutend erleichtert werden Durch die beftändige Marktnachfrage
nach Regierungs-Bonds, die durch Die Adoption des vorgefchlage-
nen Syſtems hervorgerufen werden würde.
„Ein weiterer großer VBortheil würde meines Erachtens dadurch
erzielt werden, daß alle beftehenden Intereſſen Berüdfichtigung
fanden, da nämlich den eriftirenden Bank-Inſtituten eine Gele-
genheit geboten würde, fich unter der Alte zu reorganifiren., Da—
durch würde lediglich die geficherte, einförmige National-Circula—
tion gegen die jest von diefen Banken ausgegebene Iofale und
verfchiedenartige, geficherte oder nicht geficherte Cirkulation, ver—
taufcht werden.
„Die Einnahmen des Schakamtes von ſämmtlichen Quellen,
einfchlieglich der Anlehen und der Bilanz vom vorigen Jahre be=
trugen für das mit dem 30, Juni 1862 endigende Fisfaljahr
$583,885,247 06. Bon diefer Summe fommen $49,056,397 62
auf Zölle; $1,795,331 73 auf direfte Taxen; $152,203 77 auf
öffentliche Ländereien; $931,787 64 auf verfchiedene Quellen
und $529,692,460 50 auf Anlehen aller Art. Der Reft mit
$2,257,065 80 war die Bilanz vom legten Jahr.
„Die Ausgaben während derfelben Periode waren für congref-
fionelle, erefutive und richterliche Zwecke $5,939,009 29; für ven
auswärtigen Verkehr $1,339,710 355 für verfchiedene Ausgaben,
einfchlieglich der Münzämter, Anlehen, Poftamtsveficits, Erhebung
der Revenuen und dergleichen, $14,129,771 50; für Ausgaben
im Departement des Innern $3,102,985 52; im Kriegsdeparte-
ment $394,368,407 36; im Marinedepartement $42,674,569 69;
für die Intereffen an der öffentlichen Schul $13,190,324 45;
214 Das Leben Abraham Lincolns.
für Zahlungen an der öffentlichen Schuld, einfchlieglich der Rück—
zahlung temporärer Anlehen, Einlöfungen ꝛc. $96,096,922 09,
Es ergiebt fich fomit eine Gefammtausgabe von $570,841,700 25
und verblieb am 1. Zuli 1862 der Schaßfammer eine Bilanz von
$13,043,546 81,
„Nicht zu überfehen ift der Umftand, daß die zur Rückzahlung
und Einlöfung der öffentlichen Schuld verwendeten $96,096,922 09
ebenfalls in den Anlehen eingerechnet und fomit füglich von den
Einnahmen wie von den Ausgaben abzuziehen find; es belaufen
fich daher die wirklichen Einnahmen des Jahres auf $487, Er
324 97 und die Ausgaben auf $474,744,778 16. . . . .
Am 22, September hatte die Erefutive eine Proflamation er-
laffen, von der eine Copie hier mitfolgt.
„sn Öemäßheit der im zweiten Paragraphen jenes Papieres
ausgefprochenen Abficht erlaube ich mir nun, Ihre Aufmerkfam-
feit auf die „eompenfirte Emancipation“ zu lenken,
„Eine Nation befteht aus ihrem Gebiet, ihrem Volk und ihren
Geſetzen. Das Gebiet ift der einzige Theil derfelben, ver beftän-
dige Fortdauer befitt. in Gefchlecht verfchwindet, ein anderes
Gefchlecht Fommt, aber die Erve bleibt für immer, Es ift von
größter Wichtigkeit, Diefen fortvauernden Theil gehörig ins Auge
zu faffen. Derjenige Theil der Erdoberfläche, ver von dem Volk
der Vereinigten Staaten bewohnt wird, ift wie dazu gefchaffen,
die Heimath einer Nationalfamilie zu fein, eignet fich aber nicht
für zwei oder mehrere, Der große Umfang, die Verfchiedenheit
des Klimas und der Produkte find in unferem Zeitalter nur für
ein Volk von Bortheil, was auch in frühern Zeitaltern der Fall
gemwefen fein mochte. Der Dampf, die Telegraphen und die Sn-
telligenz machten alle dieſe Bortheile zu einer günftigen Combina—
tion für ein vereinigtes Volk.
„In meiner Snaugural-Adreffe wies ich furz darauf hin, welch’
gänzlich ungeeignetes Mittel die Disunion für die Schlichtung
der zwifchen dem Volke beider Sektionen beftehenden Streitig-
feiten tft. Ich that dies in Worten, die ich jet nicht beffer aus—
zudrüden wüßte und die ich mir daher zu wiederholen erlaube:
„Eine Sektion unferes Landes hält die Sklaverei für recht und
Die legte Sigung des 37. Congrefles. 215
befürwortet ihre Ausbreitung; die andere Sektion hält fie für
unrecht und wehrt fich gegen ihre Ausbreitung. Dies ift der ein—
zige fubftantielle Streit. Die Klaufel in der Conftitution in
Betreff der flüchtigen Sklaven und das Geſetz zur Untervrüdung
des fremden Sklavenhandels werden vielleicht beide fo vollftändig
ausgeführt, als dies bei irgend einem Geſetze möglich ift in einem
Staate, in welchem dag moralifche Gefühl des Volkes das Gefes
ſelbſt unvollfommen unterftüßt. Die große Mafje des Volkes
hält fih in beiden Fällen an die trodene gefeßliche Obligation,
während einige Wenige das Geſetz übertreten. Dem läßt fi
nicht fo ganz abhelfen, und das Hebel würde in beiden Fallen
nach der Trennung der Sektionen größer fein als zuvor, Der
‚auswärtige Sklavenhandel, der jebt unvollflommen unterdrückt ift,
würde am Ende in der einen Sektion ohne Beſchränkung wieder
aufleben; während die flüchtigen Sklaven, die jet nur theilmweife
ausgeliefert werden, gar nicht mehr yon der andern Sektion aus—
geliefert werden würden.
„Phyſiſch können wir ung nicht trennen; wir fünnen unfere
betreffenden Sektionen nicht yon einander entfernen, noch einen
unüberfteiglichen Mal zwifchen denfelben errichten. Ehegatten
können fich fcheiden laffen und ſich von einander entfernen; allein
die verfchiedenen Theile unferes Landes können dies nicht thun.
Sie müffen einander gleichfam ins Antlit fhauen, und der Ver-
kehr — fei es ein freundlicher oder ein feindlicher — muß zwifchen
ihnen fortbeftehen. Iſt es daher möglich, diefen Verkehr nach der
Trennung vortheilhafter und befriedigender zu machen, als er
zusor war? Gefebt, ihr beginnt den Krieg — ihr fünnt nicht
ewig kämpfen; und wenn ihr nad großem Berlufte beiderfeits
und feinem Gewinn endlich die Waffen niederleget, fo fommen
die identifchen Fragen hinfichtlich der Verkehrsbedingungen wie—
derum auf das Tapet.‘
„Es giebt Feine Linie, weder eine grade noch eine Frumme, die
fich zu einer Nationalgrenze eignet und die wir als Scheidelinie
annehmen könnten. Bliden wir von Often nach Weften auf die
Grenzlinie zwifchen den freien und den Sflavenftaaten, fo werden
wir finden, dag über ein Drittel ihrer Länge aus Flüſſen befteht,
216 Das Leben Abraham Lincolns.
die fich leicht Freuzen Taffen und die auf beiden Seiten dicht be=
völfert find oder es bald fein werden; während beinahe die ganze
übrige Länge der Grenzlinie nichts weiter ift als eine bloße geo-
metrifche Linie, über die man beftändig hin und her fehreiten
kann, ohne ihre Anmwefenheit auch nur zu ahnen. Kein Theil
diefer Linie laßt fich Dadurch fehmwieriger zu paffiren machen, daß
man fie auf Papier oder Pergament als eine Nationalgrenze be=
zeichnet. Die Thatfache der Trennung, wenn fie eintreten follte,
bedingt die Aufgabe ver Klaufel über flüchtige Sklaven nebft allen
andern conftitutionellen Verpflichtungen feitens der Zurüdblei-
benden, während ich nicht glaube, daß irgend eine andere Ver—
tragsftipulation deren Stelle erfegen würde,
„Es befteht indeffen noch eine andere Schwierigkeit. Die große
innere Region—öftlih von den Alleghanies begrenzt, nördlich von
den brittifchen Provinzen, weftlich von den Felfengebirgen und ſüd—
lih von der Linie, wo die Getreide- und die Baummwollefultur an
einander ftoßen, und die einen Theil von Virginien, einen Theil
von Tenneffee, das ganze Kentudy, Ohio, Indiana, Michigan,
Wisconfin, Illinois, Miffouri, Kanfas, Jowa, Minnefota und die
Zerritorien Dakota, Nebraska und einen Theil von Colorado in fich
begreift —hat bereits über zehn Millionen Einwohner und wird in-
nerhalb fünfzig Jahren fünfzig Millionen haben, wenn nicht poli—
tifche Thorheiten oder Mißgriffe hemmend in den Weg treten. Sie
umfaßt mehr als ein Drittel des den Vereinigten Staaten gehöri-
gen Gebieles— gewiß mehr als eine Million (englifche) Quadrat»
meilen. Käme ihre Bevölferungsdichtigfeit der jetigen von Maffa-
chufetts auch nur zur Hälfte gleich, fo hätte fie mehr als fünf und
fiebzig Millionen Einwohner, Ein Blid auf die Karte zeigt ung,
dag diefe Region hinfichtlich des Gebietes der eigentliche Körper der
Republik iftz alle übrigen Theile, worunter namentlich das präch-
tige Gebiet, das fich mit feinen unerfchöpflichen und unentwidelten
Hilfsquellen von den Felfengebirgen zum Pacific hinab erftredt, bil-
den gleichfam nur die Einfaffung oder den Rahmen dazu. An Ges
treideproduftion ift dieſe große innere Region natürlich eine der
wichtigften der Welt. Belehren wir und durch die ftatiftifchen Ta—
bellen über die Heine Proportion jener Gegend, tie bis jebt cultivirt
7
Die legte Sigung des 37. Congreifes. 217
worden, fowie über den großen und reißend zunehmenden Betrag
ihrer Produkte, fo wird ung die Größe des dargebotenen Profpeftes
überwältigen. Und dennoch hat diefe Region Feine Seefüfte; fie
ftößt nirgends an den Ocean. Als ein Theil einer Nation findet
die Bevölkerung jest ihren Weg nach Europa über New York, nad)
Süd-Amerifa und Afrita über New-Drleans und nach Aften über
San Francisco. Theilet aber unfer gemeinfames Vaterland in
zwei Nationen, wie die gegenwärtige Rebellion es beabfichtigt, fo
wird jeder Bewohner diefer großen innern Region dadurch von
einem oder mehreren diefer Ausgangsorte abgefchnitten, nicht etwa
durch eine phyfifche Schranke, fondern durch läftige und erfchwerende
Berfehrsregulationen.
„Und dies wäre der Fall, wo nur eine Scheide- oder Grenzlinie
feftgeftellt würde. Zieht fie zwifchen den freien und den Sklaven—
ftaaten, oder zieht fie ſüdlich von Kentudy, oder nördlich von Obio,
fo bleibt dennoch die Schwierigkeit, daß die nördlich von der Linie
MWohnenden mit feinem Hafen oder Platz ſüdlich davon, oder die
füdlich von derfelben Wohnenden mit feinem Hafen oder Pla nörd⸗
li davon verkehren fünnen, ausgenommen auf Bedingungen hin,
die eine ihnen fremde Regierung diktirt. Diefe Ausgangsorte öft-
lich, weftlich oder füdlich find zur Wohlfahrt der gegenwärtigen und
fünftigen Bevölkerung diefer ungeheuren innern Region unerläß-
lich. Welcher von den dreien der befte fei, mag unbeantwortet
bleiben, Alle find beffer ala einer, und alle gehören recht—
mäßig dem Volke und deffen Nachkommen für immer. Sic, felbft
getreu bleibend wird das Volk nie fragen, mo die Scheidelinie ge-
zogen, fondern fich vielmehr geloben, daß feine gezogen werden fol,
Nicht minder interreffirt find die Küftenregionen an diefen Communi-
kationspunkten, und durch fie mit der großen Außenwelt. Auch fie müf-
fen zu diefem Egypten des Weftens Zugang haben, ohne genöthigt zu
fein, beim Ueberfchreiten irgend einer Nationalgrenze Zoll zu zahlen.
„Unfer Nationalftreit entipringt nicht unferem fortdauernden
Theil; nicht dem Lande, dag wir bewohnen, nicht unferer National—
heimſtätte. Wir konnen diefe nicht zertheilen, ohne die Uebel unter
uns zu vervielfältigen, anftatt diefelben zu befeitigen. Seiner gan
zen Anlage nach erheifcht unfer Land die Union und verfehmäht die
218 Das Leben Abraham Lincolns.
Trennung. Es würde ung in der That nach kurzer Zeit die Wie—
Dervereinigung aufzwingen, wie viel Blut und Geld und auch die
Trennung gefoftet hätte,
„Unfer Streit gehört uns felbft an —den dahinſchwindenden Ge—
nerationen—und fann mit dem Dabinfchwinden einer Generation
ohne Gefahr für immer zum Schweigen gebracht werden,
„Mit dieſem Zweck vor Augen empfehle ich Ihnen die Adoption
folgender Befchlüffe und Amendmentsartifel zur Eonftitution der
Bereinigten Staaten:
„Befchlofen durch den Senat und das Vepräfentantenhaus der
Pereinigten Staaten von Amerika, im Congreß verfammelt (mit
einer Majorität von zwei Dritteln beider Häufer), daß die folgen-
den Artifel den Legislaturen (oder Conventionen) der verfchiedenen
Staaten als Amendments zur Eonftitution der Vereinigten Staaten
vorgefchlagen werden, und daß ſämmtliche Artikel, oder irgend einer
derfelben, fobald von drei Viertheilen befagter Legislaturen (oder
Conventionen) ratifizirt, als ein Theil oder als Theile befagter
Eonftitution gelten fol oder follen.
„Artifel —. Feder Staat, in dem die Sklaverei jebt befteht
und der diefelbe zu irgend einer Zeit vor dem erften Tage des Mo—
nats Januar, im Jahre unſeres Herrn eintauſend neunhundert,
innerhalb ſeiner Grenzen abſchaffen wird, ſoll von den Vereinigten
Staaten folgendermaßen entſchädigt werden, nämlich:
„Der Präſident der Vereinigten Staaten ſoll einem jeden ſolchen
Staate Vereinigte Staaten Bonds, die — Prozent Intereſſen per
Jahr bringen, im Geſammtbetrage von überliefern für jeden
Sklaven, der nach dem achten Cenſus der Vereinigten Staaten in
ſolchem Staate lebte. Beſagte Bonds ſollen ſolchem Staate in
Stückzahlungen oder auf einmal überliefert werden nach beendigter
Abſchaffung der Sklaverei, je nachdem dieſelbe allmälig oder auf
einmal ſtattgefunden haben wird, und die Intereſſen von ſolchen
Bonds ſollen von der Zeit der Ueberlieferung derſelben beginnen.
Irgend ein Staat, der nach Empfang beſagter Bonds die Sklaverei
wieder einführt oder innerhalb ſeiner Grenzen duldet, ſoll den Ver—
einigten Staaten die ſo erhaltenen Bonds, oder deren Werth,
ſammt allen darauf bezahlten Intereſſen zurückerſtatten.
Die letzte Sigung des 37. Congreifes. 219
„Artifel — Alle Sklaven, die vor dem Ende der Rebellion
durch die Zufälle des Krieges ihre Freiheit erlangten, follen für
immer frei fein; folche Eigenthümer aber, die nicht illoyal waren,
follen für den Berluft ihrer Sklaven entfchädigt werben und zwar
nach denfelben Raten, die für Staaten, welche die Sklaverei frei-
willig abjchaffen, feitgeftellt wurden ; doch fo, daß fein Sklave zwei-
mal in Rechnung gebracht werde.
„Artikel —. Der Congreß mag Geld verwilligen oder fon-
ftige Beftimmungen treffen, um freie farbige Perfonen mit ihrer
Einwilligung an irgend einem Plate außerhalb der Vereinigten
Staaten zu colonifiren,
„Es ſei mir geftattet, etwas näher auf diefe vorgefchlagenen Ar—
tifel einzugehen, Ohne Sklaverei könnte die Rebellion nicht ftatt-
gefunden haben; ohne Sklaverei könnte fie nicht fortdauern,
„Unter den Freunden der Union herrfcht eine große Gefinnungs-
verfchiedenheit hinfichtlich der Sklaverei und der afrifanifchen Race
unter und, Einige wünfchen den Fortbeftand der Sklaverei; An—
dere wünfchen ihre fofortige Abfchaffung ohne Entſchädigung; noch
Andere wünfchen ihre allmälige Abfchaffung mit Entſchädigung.
Einige wünfchen die befreiten Farbigen von ung entfernt zu ſehen;
Andere wünfchen fie hier zu behalten. Außerdem finden fich noch
viele andere minder bebeutende Meinungsverfchiedenheiten, Und
gerade mit diefen Meinungsverfchtevenheiten vergeuden wir fo viel
Kraft in Streitigkeiten unter ung felbft. Durch gegenfeitige Zu—
geſtändniſſe follten wir harmonifiren und zufammen wirken. Dies
wäre ein Compromiß, aber es wäre ein Compromiß unter Freunden
und nicht mit den Feinden der Union, Die obigen Artifel nun be-
zweden einen Plan, um derartige gegenfeitige Zugeftändniffe her-
beizuführen, Sollte der Plan adoptirt werden, fo fteht die Eman-
eipation mindeftens in einigen der Staaten mit Sicherheit zu er—
warten,
„Bas den erften Artikel anbelangt, fo find die Hauptpunfte Diefe:
Erftens die Emancipationz zweitens die Länge der Zeit zur Be—
werfitelligung derfelben—fiebenunddreißig Jahre; und drittens die
Entfchädigung.
„Die Emaneipation wird den Bertheidigern der ewigen Sklaverei
220 Das Leben Abraham Lincolns.
anftögig fein; die Länge der Zeit aber wird den Anftoß in einem
milderen Lichte erfcheinen laffen. Die Zeit erfpart beiden Racen
die übeln Folgen einer plöglichen Nenderung—oder beffer gejagt,
erfpart ihnen die Nothiwendigfeit irgend einer Nenderung— während
die Meiften, die nur ungerne an Emancipation überhaupt denken,
vor Beendigung derfelben das Zeitliche gefegnet haben werden.
Sie werden diefes Ereigniß nie erleben, Eine andere Klafje wird
den Profpeft der Emancipation mit Freuden begrüßen, dagegen
aber die Länge der Zeit verwünſchen. Ihrer Anficht nach giebt
diefer Plan den jebt lebenden Sklaven zu wenig. Allein er giebt
ihnen in der That viel. Er erfpart ihnen den Mangel und die
Entbehrungen, die nothwendigerweife einer plößlichen Emancipa=
tion an folden Orten folgen müßten, wo ihre Anzahl fehr groß ift;
ung er giebt ihnen die ermunternde Zuverficht, daß ihre Nachkom—
menfchaft auf ewig frei fein wird. Der Plan ftellt es jevem Staate
frei, die Sklaverei jebt, oder am Ende des Jahrhunderts, oder wäh—
rend der Zwifchenzeit, oder allmälig und ftufenweife während der
ganzen Periode abzufchaffen, und er nöthigt Feine zwei Staaten,
gleichförmig zu handeln, Er trifft Vorkehrungen für die Entſchä—
digung, fowie im Allgemeinen für die Art und Weife verfelben.
Dies muß die Unzufriedenheit Derer, die für den ewigen Fortbe-
ftand der Sklaverei find, und insbefondere Derjenigen, die Entfchä-
digung erhalten follen, ficherlich bedeutend mäßigen, Ohne Zweifel
werden Einige, die zahlen follen und Nichts erhalten, Einwendun-
gen gegen den Plan machen, Dennoch ift derfelbe Beiden gerecht
und außerdem ökonomiſch. In einem gewiffen Sinne läßt ſich die
Befreiung der Sklaven als eine Zerftörung von Eigenthum betrach-
ten— von Eigenthum, das durch Erbe oder Kauf erworben wurde,
gleich jeder andern Art von Eigenthum. Es iſt zwar fchon oft ge-
fagt worden, doch bleibt es nichts defto weniger wahr, daß das Bolf
des Südens für die urfprüngliche Einführung diefer Art von Ei-
genthum nicht mehr und nicht weniger verantwortlich ift als das
Bolk des Nordens, und wenn man bevenft, daß wir alle ohne Ge-
wiffensbiffe Baumwolle und Zuder gebrauchen und den Profit des
Handels mit diefen Produkten theilen, fo hat man faum das Recht,
zu fagen, daß der Süden für die Fortdauer des Inftituts verant-
Die legte Sitzung des 37. Congreſſes. 221
wortlicher fei als der Norden, Wenn daher diefes Eigenthum zu
einem gemeinfamen Zwede geopfert werben fol, ift es nicht billig,
Daß dies auf gemeinfame Koften gefchehe?
„Und wenn wir mit weniger Geld, oder mit Geld, das fich leichter
bezahlen läßt, zugleich die VBortheile ver Union wahren, als wir es
durch den Krieg allein zu thun vermöchten, ift es dann nicht eben=
falls ökonomiſch, es zu thun? Laßt ung die Sache näher betrach-
ten, Laßt ung zuerft Die Summe ermitteln, die wir für den Krieg
verausgabten, feit im letzten März die compenfirte Emancipation
vorgefhlagen wurde, und laßt uns dann überlegen, ob viefelbe
Summe nicht mehr als alles Andere beigetragen haben würde,
wenn diefe Maßregel, wenn auch nur von einigen der Sklaven—
ftaaten, prompt angenommen worden wäre, Wenn dies der Fall
ift, fo würde die Maßregel viel Geld erfparen, und in diefer Hin-
ficht wäre e8 eine kluge und öfonomifche Maßregel. Sicherlich ift
es nicht fo leicht, Etwas zu bezahlen als Nichts zu bezahlen;
allein es ift leichter, eine große Summe zu bezahlen, als eine noch
größere, Und überdies ift es leichter, irgend eine Summe zu be=
zahlen, wann wir es vermögen, als dieſelbe zu zahlen, ehe wir e3
vermögen. Der Krieg erfordert große Summen und erfordert fie
fest. Die Öefammtfumme für compenfirte Emaneipation wäre
natürlich groß, Allein es bedürfte nicht des baaren Geldes; nicht
einmal der Bonds fehneller als die Emaneipation fortfchreitet,
Diefe würde wahrfcheinlich nicht vor dem Ende diefer fiebenund-
dreißig Jahre beendigt fein. Um jene Zeit hätten wir wahrfchein-
lich einhundert Millionen Einwohner, um diefe Laft zu theilen, an-
ftatt der jebigen einunddreißig Millionen, Und mehr noch, die
Zunahme unferer Bevölkerung fteht noch lange nach jener Periode
in demfelbeu rafchen Maßſtabe wie früher zu erwarten, weil unfer
Gebiet bis dahin noch nicht voll fein wird, Ich fage dies nicht
ohne forgfältige Ueberlegung. Nach demfelben Zunahmeverhältniß,
das wir durchfchnittlich von unferem erften National-Genfus an im
Sabre 1790 bis zu dem von 1860 beobachteten, würden wir im
Sabre 1890 eine Bevölkerung von einhundert und drei Millionen,
zweihundert und achttaufend, vierhundert und fünfzehn Köpfen
haben. Und warum follten wir nicht weit über jene Periode hinaus
222 Das Leben Abraham Lincolns.
in diefem Berhältniß zunehmen? Unſer reichlicher Raum—unfere
weite nationale Heimftätte rechtfertigen die Erwartung. Wäre
unfer Gebiet fo befchränft, wie das der britifchen Inſeln, fo könnte
allerdings unfere Bevölkerung nicht in dem obigen Verhältniffe zu-
nehmen, Anftatt die Fremden bei und aufzunehmen, wie wir jebt
thun, würden wir ung genöthigt fehen, einen Theil unferer Einge—
borenen fortzufenden. Dies ift jedoch nicht unfer Zuftand. Wir
haben zwei Millionen neunhundert und dreiundfechzigtaufend Qua—
dratmeilen, Europa hat drei Millionen und achthunderttaufend,
mit einer Bevölferung von durchfchnittlich dreiundfiebzig und ein
Drittel auf die Quadratmeile. Warum follte nicht unfer Land
eines Tages eine ähnliche Durchfchnittsbenälferung haben? Iſt es
minder fruchtbar? Hat es mehr unbebaubare Oberfläche an Ge—
birgen, Slüffen, Seen, Wüften, oder aus andern Urfachen? Steht
e3 an irgend einem Naturvortheil hinter Europa zurüd? Nun
denn, wenn unfere Bevölferung dereinft verhältnigmäßig ebenfo
groß fein fol, mie die von Europa, mie lange wird es anftehen ?
Wann dies Ereigniß eintreffen kann, läßt fich leicht durch die
Vergangenheit und die Gegenwart berechnen ; wann e3 eintreffen
wird, hängt fehr von der Erhaltung der Union ab. Mehrere
unferer Staaten ftehen bereits über der Durchſchnittsbevölkerung
von Europa, welche dreiundſiebzig und ein Drittel auf die Duadrat-
meile beträgt. Mafjachufetts hat einhundert und fiebenundfünfzig,
Rhode Island einhundert und dreiunddreißig, Connecticut neun-
undneunzig, New York und New Jerſey je achtzig. Auch unfere
beiden großen Staaten Pennfyloanien und Ohio ftehen nicht weit
hinter der europäifchen Durchſchnittszahl; der erftere hat dreiund—
fechzig, der legtere neunundfünfzig Perfonen per Duadratmeile,
Die fchon über dem europäifchen Durchſchnitt ftehenden Staaten
haben, mit Ausnahme von New York, feit fie dieſe Zahl erreichten,
in demfelben rafchen Berhältniffe zugenommen wie zuwor, während
feiner derfelben einigen andern Theilen unferes Landes an natür-
licher Begünftigung zur Ernährung einer Dichten Bevölferung gleich-
fommt,
„Die Nation als ein Aggregat betrachtend, finden wir die Bes
Die letzte Sitzung des 37. Congreſſes. "293
sölferung und das Zunahmeverhältniß während der verfloffenen
Decennien, wie folgt:
1790, „ . 3,929,827
1800. . „ 5,305,937 35.02 Prozent Zunahmeverhältniß.
1810. . . 7239814 36.45 „ i
69688131 818 ,
1830 . . . 12,866,020 88.40 —
1840 , . . 17,069,453 82.67 „ N
1850 , . . 23,191,876 35.87 „ Ä
1860 . . . 81,443,790 35.58 „ F
„Dies zeigt eine durchfchnittliche Zunahme von 34,60 Prozent
per Decennium in der Bevölferung unferes Landes während der
fiebzig Jahre von unferm erften Cenſus bis herab auf unfern
legten. Es ift daraus zu fehen, daß das Zunahmeverhältniß zu
einer jener fieben Perioden entweder zwei Prozent unter, oder
zwei Prozent über dem Durchfchnitt fteht, woraus hervorgeht, wie
unwandelbar, und mithin wie zuverläffig das Geſetz der Zunahme
in unferm Falle if. Angenommen nun, daß diejelbe in dem
gleichen Verhältniß fortfahre, befommen wir folgende Refultate:
1870 2 aus ee ee ae a A A
1880; lee ee DA RAU
1890. u. 0 ru rasen er: RL
1.0 een ar 20820845
1810. oo wre! 66818426
1920ꝰ004z4686684 835
1983808 ee ee, LA
„Diefe Zahlen zeigen, daß unfer Land zu irgend einer Periode
zwifchen 1920 und 1930 — etwa um 1925 — fo volfreich fein
fann, wie Europa jest ift, da unfer Gebiet bei einer Bevölkerung
von 733 auf die Quadratmeile für 217,186,000 Menfchen Raum
hat,
„Und wir werden dies erreichen, wenn wir nicht felbft die
Gelegenheit vereiteln, fei es Durch die TIhorheit der Disunion
oder durch einen langen und erfchöpfenden Krieg, der dem einzi=
gen großen Element nationaler Zwietracht unter uns entfpringt,
224 Tas Leben Abraham Lincolns.
Zwar läßt es fich nicht genau vorherfehen, in wie weit ein unge—
heures Beifpiel von Seceſſion, dag mehrere fleinere im Gefolge
haben würde, den Hortfchritt der Bevölkerung, Eisilifation und
Profperität verzögern und hemmen würde; Niemand aber wird
bezweifeln, daß die Daraus entfpringenden Hebel und Nachtheile
außerordentlich groß fein würden,
„Die vorgefihlagene Emancipation würde den Krieg abfürzen,
den Frieden feft und dauerhaft machen, die Zunahme der Bevöl—
ferung und damit des Wohlftandes unferes Landes ſichern. Mit
diefen Bortheilen würden wir Alles bezahlen, was die Emancipa=
tion Eoftet, nebft unferer andern Schuld, und würden es viel leich-
ter zahlen, als unfere andere Schuld ohne diefe Vortheile. Hätten
wir unfere alte Nationalfchuld vom Ende des Revolutionsfrieges
an bis zum heutigen Tage mit 6 Prozent einfacher Sintereffen per
Jahr fortlaufen laffen, ohne auch nur einen Gent an Kapital oder
Intereffen zu zahlen, fo würde heutigen Tages von jener Schuld
weniger per Kopf auf ung fallen, ald damals per Kopf auf die
Bevölkerung fiel. Dies rührt einfach daher, daß unfere Bevöl-
ferungszunahme während der ganzen Periode mehr als fechs Pro-
zent augmachte und ſchneller anwuchs, als die Intereſſen jener
Schuld. Die Zeit allein erleichtert einer fehuldenden Nation
ihre Bürde, fo lange die Bevölkerung fchneller zunimmt, als die
unbezahlten Intereſſen einer Schuld ſich anhäufen.
„Dennoch wäre dieſe Thatfache Feine Entfhuldigung für die
Berzögerung der Zahlung deffen, mas wir rechtens fchulden ;
fie zeigt ung nur die große Wichtigkeit der Zeit — den großen
Bortheil einer Politik, bei welcher wir erft zu bezahlen haben,
wenn wir einhundert Millionen zählen, was wir bei einer ver—
fchiedenen Politif jebt zu zahlen haben würden, da mir erft ein
und dreißig Millionen zählen. Mit andern Worten, wir erfehen
hieraus, daß es uns viel fchwerer fein wird, einen Dollar für
den Krieg zu bezahlen, als es fein würde, nach dem vorgefchlage-
nen Plan einen Dollar für die Emancipation zu zahlen, Und
dann koſtet leßtere Fein Blut, fein foftbares Leben. Es wäre fomit
eine Erfparniß an beiden.
„Was den zweiten Artikel anbelangt, fo glaube ich, es wäre
Die legte Sigung des 37. Congreffes. 229
unausführbar, die darin befchriebene Klaffe von Perfonen wie-
derum in die Sklaverei zurüdzuliefern. Einige von ihnen gehö-
ven ohne Zweifel, was die Befisfrage anbelangt, loyalen Meiftern ;
daher denn auch diefer Artikel für die Entſchädigung derfelben
Beftimmungen trifft.
Der dritte Artikel bezieht fih auf die Zufunft der befreiten
Sarbigen. Er legt dem Congreß feine Verpflichtung auf, fondern
autorifirt ihn nur, folche freie Farbige, die darein willigen, zu co-
loniſiren. Dies folte nicht als unftatthaft betrachtet werden, da
der Borfchlag nur durch die gegenfeitige Einftimmung der zu Co-
Ionifirenden und des amerifanifchen Volkes durch feine Bertreter
im Kongreß zur Ausführung fommen fann.
„Ich kann es nicht beffer befannt machen, als es ſchon befannt
ift, daß ich ftarf zu Gunften der Eolonifation bin. Dennoch aber
fage ich, daß der Einwand, dem man häufig gegen das Berbleiben
freier Farbiger in diefem Lande begegnet, fehr imaginärer, wenn
nicht mandymal böswilliger Natur ift.
„Es wird behauptet, daß ihre Anwefenheit die Arbeit der Wei-
fen beeinträchtigen und Lebtere brodlos machen würde. Wenn
es je eine Zeit für Fleinliche Argumente gibt, fo ift jet ficherlich
feine Zeit dazu. In Zeiten, wie den gegenwärtigen, follte fein
Menfch Etwas behaupten, wofür er nicht völlig die Verantwort—
Tichfeit auf fiy nehmen will. Sit es denn wahr, daß farbige Leute
in der Freiheit leichter die Meißen brodlos machen können, als in
der Sklaverei? Wenn fie an ihren alten Orten bleiben, fo ver-
drängen fie feine weißen Arbeiter; wenn fie ihre alten Orte ver-
laffen, fo machen fie damit für weiße Arbeiter Platz. Vom logi—
fhen Standpunkte aus betrachtet, läßt fich nicht mehr und nicht
weniger hierüber fagen. Die Emancipation würde wahrfcheinlich,
felbft ohne Colonifation, den Lohn weißer Arbeiter erhöhen;
fiherlich würde fie ihn nicht herunterdrüden. Der gewöhnliche
Betrag der Arbeit wird auch ferner verrichtet werden müjfen; die
befreiten Farbigen würden gewiß nicht mehr als ihren früheren
Theil derfelben verrichten, und es ift fogar mwahrfcheinlich, daß fie
einige Zeit lang weniger thun würden, wodurd die Arbeit weißer
Leute mehr in Nachfrage Fame und in Folge deffen deren Lohn
15
226 Das Leben Abraham Lincolns.
fteigen würde. Mit der Deportation der Farbigen, ſelbſt wenn
fie nur in geringem Maßftabe ftattfände, würde die Lohnerhöhung
für die Arbeit der Weißen zur mathematifchen Gewißheit. Die
Arbeit ift ganz wie irgend ein anderer Artikel im Markte — fobald
die Nachfrage fteigt, fteigt auch der Preis. Reduciren wir den
Betrag der Arbeit fchwarzer Leute, indem mwir diefelben außerhalb
des Landes colonifiren, fo fteigern wir Damit genau in demfelben
Berhältnig die Nachfrage nach weißen Arbeitern und erhöhen
gleichzeitig deren Lohn.
„Einige befürchten, def die befreiten Sarbigen das ganze Land
überfluthen würden. Sind fie denn nicht bereits in dem Lande?
Wird die Freiheit ihre Zahl vermehren? Wenn wir fie gleichmäßig
mit den Weißen über das ganze Land vertheilen, fo fommt nur
etwa ein Farbiger auf fieben Weiße. Könnte diefer Eine jene Sie—
ben irgendwie beeinträchtigen? Es gibt viele Orte und felbft Staa=
ten in unferm Rande, in welchen die freien Farbigen im Verhältniß
zu den Weißen zahlreicher find, als eins gegen fiebenz; mir find
indeffen nicht im Stande, nachtheilige Folgen diefes Umftandes
zu erbliden, Dies ift im Diftrift Columbia und in den Staaten
Maryland und Delaware der Fall. Der Diftrift hat mehr als
einen Farbigen auf fechs Weiße, und dennoch hat er in feinen
häufigen Petitionen an den Congreß, wie ich glaube, niemals
gegen die Anmwefenheit freier farbiger Leute Einfprache erhoben,
Warum aber follte die Emancipation im Süden die befreiten Far—
bigen nach dem Norden fenden? Leute irgend einer Farbe laufen
felten, es fei denn, daß fie dabei einen Zweck vor Augen haben,
Früher entliefen einige Farbige der Knechtfchaft und kamen nach
dem Norden; jest entlaufen fie vielleicht dem Hunger ſowohl,
wie der Knechtfehaft. Adoptiren wir aber die allmälige Emanci—
pation und Deportation, fo haben fie gar Feine Urfache zu ent—
fliehen. Ihre alten Meifter werden ihnen Lohn geben, wenigſtens
bis fie fich neue Arbeiter verſchaffen fünnen, und die befreiten
Farbigen werden ihrerfeits gern für Lohn arbeiten, bis fich eine
neue Heimath in einem angemefjen Klima und bei Leuten ihres
eigenen Geblütes und Gefclechtes für fie findet, Diefer Vor—
ſchlag wird den beiderfeitigen Intereffen gerecht. In jedem Falle
Die legte Sitzung des 37. Congreffes. 227
bliebe e8 dem Norden freigeftellt, ven freien Farbigen den — —
halt innerhalb feiner Grenzen zu verwehren.
„Diederum, da die Praxis in allen Fällen mehr bemeift, als die
Theorie, merfe ich die Frage auf: Hat in Folge der Abfchaffung
der Sflaverei in diefem Diftrifte legten Frühling eine Maffen-
wanderung freier Harbiger nach dem Norden ftattgefunden ?
„Ras ich über das Verpältniß der freien farbigen Perjonen in
diefem Diftrikt zu den Weißen fagte, ift dem Genfus von 1860 ent-
nommen und hat feinen Bezug auf die fogenannten „Contra=
bands,‘ noch auf jene Perfonen, die durch die Abjchaffung der
Sflayerei in diefem Diftrifte durch die Congreßakte frei wurden.
„Indem ich Ihnen diefen Plan anempfehle, fei damit durchaus
nicht gefagt, daß die Wiederherftellung der National-Autorität
ohne die Adoption deffelben nicht annehmbar wäre,
„Weder der Krieg, noch die in der Proflamation vom 22, Sep=-
tember 1862 angekündigten Mafregeln werden in Folge der
Unempfehlung diefes Planes fuspendirt werden. Die zei—
tige Annahme deffelben dagegen würde ohne Zweifel die Wie-
derherftellung der, National-Autorität bewirken und fomit beiden
ein Ende machen.
„Und ungeachtet diefes Planes wird die Anempfehlung eines
Sefetes zur Compenfation irgend eines Staates, der die Eman-
eipation vor der Annahme des Planes befchliegen mag, hiermit
ernftlich wiederholt. Dies wäre nur ein Vorläufer des Planes,
und diefelben Argumente finden auf Beide Anwendung.
„Diefer Plan wird ala ein Mittel zur Wiederherftellung und
Erhaltung der National-Autorität in den ganzen Bereinigten
Staaten anempfohlen; jedoch ift der Ausschluß Feines andern
Mittels zu demfelben Zwed damit beabfichtigt. Der Gegenftand
wird lediglich von feinem. ökonomiſchen Standpunkte aus darge-
ftellt. Sch bin überzeugt, daß Diefer Plan uns den Frieden
fchneller herbeiführen und dauernder befeftigen würde, als bloße
Gewalt; während die ganzen Koften derfelben fich leichter zahlen
ließen, als die ferneren Koften des Krieges, wenn wir und einzig
und allein auf Gewalt verlaffen. Ein großer Bortheil — ein
228 Das Leben Abraham Lincolns.
unermeßlicher VBortheil läge darin, dag er feinen Tropfen koſtba—
ren Blutes foften würde,
„Der Plan wird als ein permanentes conftitutionelles Geſetz
sorgefhlagen. Ein folches fann er nicht werden ohne vie vor—
läufige Beftimmung son zwei Dritteln fämmtlicher Congreßmit-
glieder und die nachfolgende Ratififation durch drei Biertel
fämmtlicher Staaten. Deren Einwilligung würde ung die Ver—
fiherung geben, daß fie in nicht allzu ferner Zeit ſammt und fon-
ders die Emancipation auf die conftitutionellen Bedingungen bin
adoptiren würden. Diefe Verfiherung würde dem Kampf ein
Ende machen und die Union für immer retten.
„Sch bin Feineswegs des Ernftes uneingedenl, der ein vom
oberften Beamten der Nation an den Congreß derfelben adrefjir-
tes Dofument charafterifiren follte. Noch bin ich der Thatfache
uneingedenf, daß Einige von Ihnen Alter find als ich, und daß
Manche von Ihnen mehr Erfahrung in der Leitung öffentlicher
Angelegenheiten befigen als ich. Dennoch hoffe ich, daß ange-
fiht8 der großen Berantwortlichkeit, die auf mir ruht, meine
Sprache feinen Mangel fehuldiger Achtung vor Ihnen verrathen
oder ungebührenden Ernſt zur Schau tragen werde.
„Kann es wohl bezweifelt werden, daß die Annahme des von
mir vorgeſchlagenen Planes dem Krieg ein Ende machen und ſo—
mit der ferneren Verſchwendung von Geld und Blut ein Ziel
ſtecken würde? Kann es bezweifelt werden, daß dadurch die Au—
torität und Wohlfahrt der Nation wiederhergeftellt und für eine
unabfehbare Zukunft gefichert werden würden? Knnn es bezmweis
felt werden, daß wir — der Congreß und die Erefutive — die
Annahme des Planes zur Thatfache machen fünnen? Wird nicht
das gute Volf diefer Staaten einem vereinigten und ernten Auf-
ruf von ung Folge leiften? Können wir, kann das Bolf durch
irgend ein anderes Mittel jene großen Zwede fo ficher und fo
rajch erreihen? Nur dur Einmüthigfeit kann es ung gelingen.
Die Frage ift nicht: „Kann Jemand von uns etwas Befferes
erfinnen?“ fondern: „Können wir Alle beffer handeln?”
Man wende ein, was man wolle, die Frage drängt fich ftets aufs
Neue auf: „Können wir etwas Beſſeres thun?“ Die Dogmen
Die legte Sigung des 37. Congreifes. 229
der ruhigen Bergangenheit eignen fih nicht für die ftürmifche
Gegenwart, Die Schwierigkeiten thürmen fich hoch auf, und wir
müffen ung denfelben gewachfen zeigen. Da unfer Fall ein nie
dageweſener ift, jo müffen wir ihm gemäß denfen und handeln,
Wir müffen erft unfere eigenen Fefjeln abftreifen und dann wer—
den wir unfer Land retten.
„Mitbürger! wir können der Gefchichte nicht ausweichen,
Ung, die Mitglieder des Congreffes und der Adminiftration, wird
man zur Rechenfchaft ziehen, mögen wir uns dagegen fträuben
wie wir wollen. Keine perfünliche Bedeutſamkeit oder Unbedeut-
famfeit wird irgend Einen von ung fohirmen. Die Feuerprobe,
die wir pafliren, wird unfere Namen in Ehren oder Schanden den
fpäteften Generationen überliefern, Wir fagen, daß wir für
die Union find. Die Welt wird nicht vergeffen, daß mir dies
fagen, Wir wiffen, wie wir die Union retten können. Die Welt
weiß, daß wir es wiffen. Wir — ja, wir hier — haben: die Macht
Dazu und tragen die VBerantwortlichkeit. Indem wir den Sklaven
die Freiheit geben, fichern wir den Freien ihre Freiheit und
handeln fomit ehrenvoll im Geben und Erhalten. An uns liegt
es jest, die legte befte Hoffnung auf Erden auf edle Weife zu ret-
ten, oder diefelbe auf fehändliche Weife verloren gehen zu laſſen.
Andere Mittel mögen Erfolg haben — die ſes kann nicht fehl-
fhlagen. Der Weg ift einfach, friedlich, großmüthig, gerecht ;—
es ift ein Weg, den, wenn wir ihn einfchlagen, die Welt für immer
preifen und Gott für immer fegnen wird,
„Dezember 1, 1862, Abraham Sincoln, *
Fünfzehntes Kapitel.
Das Blatt wendet fid.
Militärifche Erfolge — Günftige Wahlrefultate — Emanripationspolitik —
Brief an die Arbeiter zu Mandefter, England — Proklamation eines
National-Fafttages — Brief an Eraftus Corning — Brief an eine Com-
mittee bezüglich der Burücberufung Dallandighams.
Es war im Rath der Vorſehung befchloffen, daß mit dem Jahr
1863 die faft ununterbrochene Kette von Unfällen, mit denen feit
einiger Zeit die Unions-Armee betroffen worden war, plöglich zu
Ende gelangen follte.
Allerdings hatte General Hoofer, dem nach Burnfide das Ober-
commando über die Potomac Armee übertragen worden war, eine
totale Niederlage bei Chancellorsville erlitten; dieſelbe wurde
aber mehr als ausgeglichen durch den glänzenden und entfchiede-
nen Sieg, den die nämlichen Truppen unter General Meade in
der mörderifchen Schlacht von Gettysburg über die Rebellen er—
fochten. Diefe Schlacht fand am erften, zweiten und dritten Juli
ftatt, und am 4. trat General Lee mit den Trümmern feiner Ar-
mee den Rüdzug an. An demfelben Tage zog der fiegreiche Ge—
neral Grant in Vidsburg ein; die unausbleiblihe Folge dieſes
Vegteren Ereigniffes mar die Kapitulation von Port Hudfon,
Jetzt war der Miffiffippi bis zu feiner Mündung offen und die
Baftırd-Conföderation vollftändig in zwei Bruchtheile zerftüdelt.
Außerdem ward Ofttenneffee gefichert und durch die Siege bei
Lookout Mountain und Miffionary Ridge der Weg zu einer Of-
fenfiobewegung nach dem Herzen von Georgia gebahnt.
Die große Mafje des Volkes war mittlerweile ebenfalls zur
Einfiht gefommen. Ballandighbam von Ohio, der. feiner ver-
rätherifchen Reden halber auf Burnfide’s Ordre verhört, über-
führt und zu feinen Freunden im Süden gefchidt worden war,
der endlich die Erlaubniß erhalten hatte, via Canada zurüdzu-
kehren und dann als der Erponent der „Demokratie von Ohio
(230)
Das Blatt wendet ſich. 231
De
zum Gouverneurgs-Amte nominirt worden war, unterlag bei der
Wahl einer republifanifhen Majvrität von über hunderttaufend
Stimmen. Auch Pennfylvanien fühnte feinen Rüdfchritt im vor—
bergehenden Jahre mehr als genügend. In der That gab jeder
Ioyale Staat, mit Ausnahme von New Jerſey, bedeutende Majv-
ritäten für die Adminiſtration.
Nicht zu vergeffen ift der Umftand, daß bei diefen Wahlen die
Emaneipationg-Politif des Präfivdenten zu lebhafter Discuffion
Beranlaffung gegeben hatte; um fo erfreulicher waren daher die
Refultate, da es ſich nun klar berausjitellte, daß der große Puls
des Bolfes in Harmonie mit der allgemeinen Freiheit des Men-
fchengefchlechtes fchlug, "wie ungünftig auch früher die Anzeigen
erjcheinen mochten, Wenn in einem Kampfe, wie derjenige, in
welchem die Nation begriffen war, alle felbftfüchtigen Rüdjichten
zurüudgedrängt, tiefgewurzelte Vorurtheile bemeiftert und lang
sorenthaltene Rechte freudig gewährt werden fonnten, dann war
gewiß hinreichender Grund zur Hoffnung auf den Fortſchritt un—
ferer Race vorhanden.
Zu Anfang des Jahres erhielt der Präfident einen fehr fehmei-
helhaften Beweis der Anerkennung, die feine Bemühungen für
die Sache der Freiheit fanden, in einem Briefe der Sympathie und
des Vertrauens von den Arbeitern zu Manchefter in England.
Er beantwortete ihre Adreſſe in folgendem Briefe:
„Sreentiv-Gebäude, Wafhington, den 19, Januar 1863.
„An die Arbeiter von Mancheſter.
„Meine Herren: — Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang
der Adreffe und der Befchlüffe, die Sie mir am Schluffe des alten
Jahres überfandten, zu melden.
„Als ich am 4. März 1861 durch eine freie und conftitutionelle
Wahl an die Spige der Regierung der Vereinigten Staaten ge-
langte, befand fich diefes Land am Rande des Bürgerfrieges.
Was au die Urfache, und weſſen die Schuld auch fein mochte,
eine Pflicht, die ale andern überragte, lag vor mir, nämlich die
Erhaltung der Conftitution und der Integrität der Bundes-Ne-
vublif. Das gemwiffenhafte Vorhaben, diefe Pflicht zu erfüllen, ift
232 DaB Leben Abraham Lincolns.
der Schlüffel zu ſämmtlichen Mafregeln, welche die Aominiftration
ergriffen hat oder für die Zukunft ergreifen wird. Im Hinblid
auf unfere Regierungsform und eingedenf meines Amtgeides
könnte ich nicht von diefem Vorhaben abweichen, felbft wenn ich
es wollte. Es liegt nicht immer in der Macht einer Regierung,
den Umfang der moralifchen Refultate der für die öffentliche
Sicherheit ala nothwendig erachteten Politif zu erweitern oder zu
befchränfen,
„Es konnte mir nicht entgehen, daß dem amerifanifchen Volke
einzig und allein die Pflicht feiner Selbfterhaltung oblag. Nichts—
deftomeniger war ich mir wohl bewußt, daß die Gunft oder Un-
gunft fremder Nationen einen materiellen Einfluß auf die Länge
und Dauer des Kampfes mit illoyalen Bürgern, in welchem un-
fer Land gegenwärtig begriffen ift, ausüben würde. Ein prüfen-
der Blid auf die Gefchichte fehien den Glauben zu rechtfertigen,
daß die Bergangenheit der Bereinigten Staaten im Allgemeinen
einen wohlthätigen Einfluß auf die Menfchheit gehabt habe. Aus
diefem Grunde rechnete ich auf die Nachſicht auswärtiger Natio-
nen. Gewiffe Umftände, auf die Sie gütig anfpielten, verleiteten
mich befonders zu der Annahme, daß die Vereinigten Staaten bei
fortgefegter Ausübung der Gerechtigkeit auf feine Feindfeligfeit
von Seiten Großbrittaniens flogen würden. Es ift daher jebt
eine angenehme Pflicht für mich, die Kundgebung Ihres Wun-
fches anzuerkennen, daß ein Geift des Friedens und der Freund-
fchaft gegen diefes Land herrfchen möge im Rath Ihrer Königin,
die in Ihrem eigenen Lande kaum mehr geachtet und gefchäßt wer-
den fann, ald von der verwandten Nation, deren Heimath auf
diefer Seite des atlantifchen Oceans ift.
„Die Leiden der Arbeiter von Manchefter und von ganz Europa
während diefer Krifis find mir wohlbefannt und werden tief von
mir bedauert, Es ift ſchon häufig und gefliffentlich behauptet
worden, daß der Berfuch, diefe auf die Grundlage der Menfchen-
rechte gegründete Regierung zu ftürzen und dafür eine andere zu
errichten, die ausfchliegli auf der Bafis menfchlicher Sklaverei
beruhen follte, in Europa mit günftigen Augen betrachtet werden
würde, Durch das Thun und Treiven unferer illoyalen Bürger
Das Blatt wendet fid). 233
find die Arbeiter Europas einer firengen Prüfung unterworfen
worden, um ihnen ihre Sanction jenes Vorhabens zu entpreſſen.
Unter ſolchen Umftänden fann ich nicht umhin, Ihre entfchiedenen
Aeußerungen in Bezug auf diefe Frage als ein Beifpiel von erha=
benem chriftlichen Heroismus zu betrachten — als ein Beifpiel,
das noch in feinem Zeitalter und in feinem Lande übertroffen
wurde. Esift in der That eine energifche und ermuthigende Ber-
fiherung der angeborenen Macht der Wahrheit und des endlichen,
allgemeinen Triumphes der Gerechtigkeit, Humanität und Freiheit,
Sch bezweifle nicht, Daß die Oefinnungen, die Sie ausdrüden, die
Billigung Ihrer großen Nation erlangen werden, während ich
andererfeits nicht anftehe, Ihnen zu verfichern, daß dag amerifa-
nifche Volk diefelben mit Bewunderung, Achtung und Gefühlen
aufrichtiger Freundfchaft aufnehmen wird, Sch begrüße daher
diefen Sefinnungsaustaufh als eine Vorbedeutung, daß, was
auch die Zukunft bringen mag, welches Unglüd Ihrem Lande oder
dem meinigen bevorftehe, der Friede und Die Freundfchaft zwifchen
den beiden Nationen ewig beftehen werden, welchen Ziele all’ mein
Streben gewidmet fein foll,
„Mit Hochachtung der Fhrige,
Abraham Fincoln.”
Auf Erfuchen des Senats wurde am 30. März 1863 folgende
Proflamation erlaffen: ®
„Sintemalen der Senat der Bereinigten Staaten, in demü-
thiger Anerkennung der höchften Autorität und gerechten Herr-
fchaft des allmächtigen Gottes und feines Waltens in allen Ange-
legenheiten der Menfchen und Nationen, in einem Befchluffe den
Präfidenten erfuchte, einen allgemeinen Buß- und Bettag für die
Nation zu beftimmen ;
„Und fintemalen es die Pflicht der Nationen ſowohl, wie
der Individuen ift, ihre Abhängigkeit von der Allgewalt Gottes
anzuerkennen, ihre Sünden und Miffethaten in fummervoller
Reue, doch aber mit der zuverfichtlichen Hoffnung zu befennen,
daß aufrichtige Bereuung derfelben ihnen Gnade und Vergebung
bringen werde, fowie die in der heiligen Schrift angefündigte und
234 Das Leben Abraham Lincolns.
überall in der Gefchichte bewiefene erhabene Wahrheit einzufe-
ben, daß diejenigen Nationen nur gefegnet find, deren Gott der
Herr ift;
„And fintemalen wir wiffen, daß dem göttlichen Rathſchluß
zufolge Nationen wie Individuen Strafen und Züchtigungen in
diefer Welt unterworfen find, und daß wir volle Urfache haben, zu
befürchten, daß die fchredliche Heimfuchung des Bürgerfrieges, der
jest unfer Land verheert, ung als Strafe für unfere übermüthigen
Sünden auferlegt wurde, um dadurch unfere nationale Beiferung
als ein ganzes Volk herbeizuführen. Wir wurden voem Him—
mel mit dem reichten Segen bedacht. Wir wurden feit vielen
Jahren in Friede und Wohlfahrt erhalten. Wir haben an Be-
völferung, Reichthum und Macht zugenommen, wie feine andere
Nation jemals zugenommen bat. Aber wir hatten Gott vergeffen.
Wir hatten die gnädige Hand vergeffen, die uns in Frieden erhielt,
ung vermehrte, bereicherte und ftärkte; und wir hatten uns in der
Eitelkeit und Thorheit unferer Herzen eingebildet, daß all’ diefer
Segen und diefes Gedeihen die Frucht unferer eigenen höheren
Weisheit und Tugend feien. Beraufht von ununterbrochenem
Erfolg waren wir zu felbftzufrievden geworden, um die Nothwen-
digkeit der rettenden und erhaltenen Gnade zu empfinden, und zu
ftolz, um zu dem Gotte zu beten, der ung ſchuf!
„Wohl geziemt es fich ung daher, ung vor der beleidigten Macht
Gottes zu beugen, hfere Nationalfünden zu befennen und um
Gnade und Vergebung zu flehen.
„Deshalb beftimme und bezeichne ich, in Uebereinftimmung
und mit voller Billigung des Gefuches und der Anfichten des Se-
nats, kraft diefer meiner Proflamation Donnerftag, den dreizehn-
ten April, A. D. 1863, als einen nationalen Buß-, Bet- und
Faſttag. Und ich erfuche hiermit Alle, jih an diefem Tage ihrer
gewöhnlichen weltlichen Befchäftigungen zu enthalten, fich Dagegen
in ihren verfchiedenen Gotteshäuſern oder in ihren Heimftätten
zu verfammeln, um den Tag dem Herrn zu heiligen mit religiöfen
Ceremonien, wie fie fich für die feierliche Gelegenheit ſchicken.
„Und nachdem dies Alles in Aufrichtigfeit und Wahrheit ge-
heben, laffet und demüthig der göttlichen Lehre gemäß hoffen, daß
Das Blatt wender ſich. 239
das vereinigte Gebet der Nation am Thron der Gnade erhört
werde und ung Vergebung für unfere Nationalfünden, fowie die
Miederherftellung unferes zerriffenen und blutenden Landes zu
feinem früheren glüdlichen Zuftande in Friede und Eintracht er-
wirfen möge.
„zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigejegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lafjen.
„Geſchehen in der Stadt Wafhingion, am dreißigften Tage des
Monats März, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert
und dreiundfechzig und im fiebenundachtzigften der Unabhängigkeit
der Vereinigten Staaten von Amerifa,
„Auf Befehl des Präfiventen : Abraham Sincoln.”
„Billiam 9. Seward, Staatsfefretär.”
Der folgende hierher gehörige Brief wird fich ſelbſt erklären:
„Erecutiv-Gebäude, Wafhington, den 13, Juni 1863,
„An den achtbaren Eraftus Corning und Andere.
„Heine Herren: — Ihr Brief vom 19. Mai gelangte nebft
den Befchlüffen einer am 16, defjelben Monats zu Albany, N. Y.,
abgehaltenen öffentlihen Verfammlung vor etlichen Tagen in
meine Hände,
„Die Befchlüffe laffen fich, wenn ich fie richtig verftehe, in zwei
Propofitionen auflöfen: — Erſtens, in die Erklärung der Abficht,
die Sache der Union zu unterftügen, dur Sieg Frieden herbei=
zuführen und der Adminiftration in allen conftitutionellen und
gefeglihen Maßregeln zur Unterdrüdung der Rebellion beizufie-
ben; zmweiteng, in einen Tadel der Adminiftration wegen an—
geblicher unconftitutioneller Handlungen, wie 3. B. der Vornahme
militärifcher Berhaftungen. Und aus diefen beiden Propofitionen
laßt fich eine dritte ableiten, nämlich die, daß die Herren, welche
diefe Derfammlung bildeten, entjchloffen find, unfere gemeinfame
Regierung und unfer gemeinfames Vaterland zu unterftügen und
zwar troß der Thorheit oder Bosheit, deren fich ihrer Anficht nach
die Adminiftration fchuldig machen mag. Diefe Pofition ijt eine
Auferft patriotifche und macht es mir zur angenehmen Pflicht, ber
Verfammlung dafür zu danken und der Nation dazu zu gratus
236 Das Leben Abraham Lincolns.
liren, Meine eigene Abficht ift ganz diefelbe, fo daß die Ver—
fammlung und ich einen gemeinfamen Zwed haben und daß Feine
Meinungsverfchiedenheit ftattfinden kann, ausgenommen etwa
bhinfichtlich der Wahl der Mittel und Maßregeln zur Erreichung
diefes Zweckes.
„Und hiermit könnte ich diefes Schreiben ſchließen und würde es
fhließen, wenn ich nicht zu befürchten hätte, daß der ſyſtematiſch
gegen mich ausgefprochene Tadel, weil ich that, mag ich meiner An-
ficht nach nicht unterlaffen durfte, Feine nachtheiligeren Folgen hätte,
als die, welche nur mich perfünlich betreffen. Die Befchlüffe ver-
fprechen, mich in allen conftitutionellen und gefeglichen Maßregeln
zur Unterdrüdung der Rebellion zu unterftügen, Wiffentlich habe
ich feine andern angewandt, und wiffentlich werde ich feine andern
anwenden. Durch ihre Befchlüffe aber erklärt und argumentirt die
Derfammlung, dag gemiffe militärifche Verhaftungen und darauf
folgende Verhöre, für die ich verantwortlich bin, unconftitutionell
feien. Ich halte fie nicht dafür. Die Befchlüffe eitiren aus der
Conftitution die Definition des Wortes „Berrath,” ſowie auch die
befchränfenden Garantien, die darin vorgefehen find für Bürger,
die ihr Berhör wegen Berrath erwarten, oder auch wegen Mordes
oder fonftiger fehweren Verbrechen; desgleichen auch in Criminal-
fällen ihr Recht auf ein baldiges und öffentliches Verhör vor einem
unparteiifchen Gefchwornengericht. Sodann erflären die Befchlüffe,
„daß diefe Garantien der Rechte des Bürgers gegen die Anmaßung
willfürlicher Gewalt befonders zu feinem Schutze in Zeiten bürger-
licher Wirren beftimmt wäre.”
„Und weiter fahren die Beichlüffe fort, anfcheinend um dieſen
Sat zu beweifen: „Sie wurden dem englifchen Bolfe nach Jahren
eines langen Bürgerfrieges zugefichert und zu Ende der Revolu-
tion in unfere Conftitution aufgenommen.” Wäre der Bemeis
nicht beffer, wenn es fich mit Wahrheit hätte fagen laffen, daß dieſe
Garantien während der Bürgerfriege und während unferer
Revolution adoptirt und angewandt worden feien, ald nach den er-
fteren und zu Ende des letztern? Auch ich bin fehr zu Gunften
derfelben nad) dem Bürgerkrieg, vor dem Bürgerfrieg und zu
allen Zeiten, „ausgenommen wenn in Fällen von Rebellion oder
Das Blatt wendet fich. 237
Invaſion die öffentliche Sicherheit ihre Sufpenfion erfordern mag.”
Die Befchlüffe fagen ung weiter, daß diefe Garantien „unter unfe-
rem republifanifchen Syſtem eine Probe von fehsundfiebzig Jahren
beftanden haben, und zwar unter Berhältniffen, welche bemweifen,
dag während fie die Grundlage einer freien Regierung bilden, fie
gleichzeitig die Elemente der dauernden Stabilität der Regierung
find.‘ Niemand wird leugnen, daß fie bis zum Beginn der gegen=-
wärtigen Rebellion die Probe beftanden, mit Ausnahme eines ge-
wiſſen Ereigniffes in New-Drleang; noch wird irgend Jemand be-
zweifeln, daß fie Diefelbe Probe noch viel länger beftehen werben,
nachdem die Rebellion zu Ende fein wird, Allein diefe Beſtimmun—
gen der Conftitution finden feine Anwendung auf den fraglichen
Gall, weil die Denunzirten Berhaftungen nicht wegen Verrath ge—
macht wurden—das heißt, nicht wegen dem in der Eonftitution de>
finirten Berrathe, auf welchen bei Ueberführung die Todesftrafe ge-
fest iſ —auch wurden fie nicht gemacht, um die verhafteten Perfonen
zum Verhöre wegen Mordes oder irgend eines andern infamen Ver—
brechens feſtzuhalten. Ebenſo wenig laffen ſich die auf die Verhaf—
tungen gefolgten Verhöre in irgend einem conftitutionellen oder
legalen Sinne zu „Eriminalfällen” machen. Die Berhaftungen
wurden auf gänzlich verfchiedene Gründe hin vorgenommen, und
die darauf folgenden Berhöre ftimmten mit den Gründen der Ver—
baftung überein. Betrachten wir einmal den wirklichen Fall in
Frage und wenden wir ihn auf diejenigen Theile der Eonftitution
an, die gerade für folche Fälle gemacht wurden.
„Bor meiner Snauguration war die Anficht verbreitet worden,
daß irgend ein Staat ein gefehliches Necht hätte, von der National-
Union zu fecediren, und daß es zweckmäßig wäre, Diefes Recht in
Anwendung zu bringen, fobald es den Anhängern diefer Doftrine
mißlänge, einen Präfiventen nah ihrem Gefchmad zu erwählen,
Shrem Gefchmade zuwider wurde ich nun erwählt und daher hatten
fie, ſoweit dies gefeglich möglich war, fieben Staaten aus der Union
genommen, hatten viele der Vereinigten Staaten Forts ergriffen
und hatten auf die Vereinigten Staaten Flagge gefeuert—all’
Diefes, ehe ich inaugurirt war und natürlich, ehe ich irgend eine
amtliche Handlung begangen hatte, Die fo begonnene Rebellion
238 Das Leben Abrabam Lincolns.
führte bald zum gegenwärtigen Bürgerfriege, und in mancher Be—
ziehung begann dieſer mit fehr ungleichen Chancen zwifchen den be—
treffenden Partien. Die Infurgenten hatten ſich feit mehr als
dreißig Jahren darauf vorbereitet, während die Regierung Feine
Anftalten getroffen hatte, fich ihnen zu widerſetzen. Erftere hatten
alle Mittel reiflich in Betracht gezogen, die fie zu ihrem Wortheil
verwenden konnten, Unzmeifelhaft hatten fie fich allzufehr darauf
verlaffen, daß bei ihrem ungezügelten Beftreben, die Union, die Con—
ftitution und die Gefege insgefammt zu zerftören, die Regierung in
großem Maße durch diefelbe Konftitution und Geſetze gehemmt
werden würde, ihrem Zreiben Einhalt zu thun. Die mit ihner
fompathifirenden Freunde waren im Befite fämmtlicher Departe-
ments der Regierung und befanden fich faft aller Orten, Aus die-
fem Material und unter dem Schuß der „Redefreiheit,“ der „Preß-
freiheit” und der „Habeas Corpus Akte” hofften fie ein höchſt wirf-
fames Corps von Spionen, Schleichern, Helfern und Helfershelfern
jeder möglichen Art unter uns im Gange zu erhalten. Sie wuß—
ten, daß in folchen Zeiten, wie fie felbft fie heraufbefchworen, die
„Habeas Corpus Alte” fufpendirt werden könne; allein fie wußten
auch, daß fie Freunde hatten, die die Frage aufitellen würden, wer
diefelbe fufpendiren folle, und daß mittlerweile ihre Spione und
Helfershelfer frei umher gehen könnten, um ihrer Sache Vorfchub
zu leiften. Oder wenn, was wirklich gefchah, die Erefutive ohne
verderblichen Zeitverluft die Akte ſusſpendiren follte, fo mochte es
vorkommen, daß unfchuldige Leute verhaftet würden, mas in folchen
Fällen nicht immer zu vermeiden ift, und dann würde darüber ein
folches Geheul erhoben werden, daß es menigfteng einigermaßen
der Snfurgentenfadhe zu Statten Fame, Es bedurfte Feines fehr
großen Scharffinns, um diefen Theil im Programm des Feindes zu
entdeden, fobald einmal feine Mafchinerie mittelft offener Feindſe—
ligkeiten in Bewegung gefegt war. Bon tiefer Achtung für die ga—
rantirten Rechte der Fndividuen durchdrungen, Fam ich langfam
und zögernd zu dem Entfchluß, die ſtrengen Maßregeln zu ergrei-
fen, die ich allmälig als die zur öffentlichen Sicherheit erforderlichen
Ausnahmen der Eonftitution zu betrachten gezwungen ward, Nichts
ift der Gefchichte beffer befannt, als daß Gerichtshöfe in folchen Fällen
Das Blatt wendet fid). | 239
ineompetent find. Bürgerliche Gerichtshöfe find Hauptfächlich zum
Berhör einzelner Individuen organifirt, oder höchftens zum Verhör
einiger weniger Individuen, die in Gemeinfchaft Handelten, und
das in ruhigen Zeiten und auf Anflagen hin, die im Gefege deut-
Yich definirt find. Selbit in Friedengzeiten werden Banden von
Pferdedieben und Räubern nicht felten zu zahlreih und mächtig
für die gewöhnlichen Gerichtehöfe. Aber welchen Vergleich nume-
rifcher Stärke geftatteten folhe Banden mit den Infurgentenfreun-
den felbft in vielen der Ioyalen Staaten? Doc, weiter. Wie
häufig findet fich in einer Jury wenigftend ein Mitglied, das be-
reitwilliger wäre, das ganze Gericht zu hängen, als den Berräther?
Und doc ſchwächt Derjenige, welcher einem Manne abräth, fich als
Boluntär anwerben zu laffen, oder einen Soldaten zum Defertiren
verleitet, Die Sache der Union nicht minder als Der, welcher einen
Unionsfoldaten in der Schlacht tödtet. Dennoch fann diefes Ab-
rathen oder dieſes Verleiten fo betrieben werden, daß es fih un—
möglich als ein beftimmtes Verbrechen definiren läßt, worüber ir-
gend ein Civilgericht zu entfcheiden vermüchte,
„Unfer Fall nun ift ein Fall der Rebellion, wie ihn der mir vor—
Itegende Beſchluß nennt—in der That ein deutlicher, flagranter
und gigantifcher Fall von Rebellion; und die Beftimmung der
Conftitution, „daß das Privilegium des Habeas Corpus Writ nicht
fufpendirt werden folle, ausgenommen in Fällen von Rebellion und
Invaſion, wenn’ die öffentliche Sicherheit es erfordern mag,“ ift ge=
rade die Beftimmung, welche ſich fpeziell auf unfern gegenwärtigen
Fall bezieht. Diefe Beftimmung befundet deutlich das Verftändnif
jener Männer, welche die Conftitution gründeten, daß nämlich ge-
mwöhnliche Gerichtshöfe in „Fallen von Rebellion“ unzureichend
find; befundet ihre Abficht, daß in ſolchen Fällen Individuen im
Gewahrſam gehalten werden dürfen, welche unter gewöhnlichen
Umftänden von den Gerichtshöfen freigefprochen werden würden.
Die Habeas Corpus Akte fpricht Kelnen frei, der eines definirten
Verbrechens ſchuldig befunden wird, und die Suſpenſion derſelben
wird von der Conſtitution geſtattet, damit Individuen verhaftet
und in Gewahrſam gehalten werden, die keines definirten Verbre—
chens ſchuldig befunden werden können, „wenn in Fällen von Re—
240 Das Leben Abraham Lincolns.
bellion und Invaſion die öffentliche Sicherheit es erfordern mag.”
Dies nun ift genau unfer Fall; ein Fall von Rebellion, mo die
öffentliche Sicherheit Die Sufpenfion erfordert. In der That finden
Berhaftungen auf gerichtliches Berfahren hin und Verhaftungen
in Fällen von Rebellion nicht auf diefelbe Bafis Hin ſtatt. Erftere
erftreden fih auf eine geringe Anzahl gewöhnlicher und ftets vor-
fommender Berbrechen, während Rebtere für plögliche und umfang-
reiche Empörungen gegen die Regierung beftimmt find, die in fur-
zer Zeit gelingen oder mißlingen müffen, Im letztern Fall werden
Berhaftungen vorgenommen, nicht fowohl megen deffen, was ge-
fchehen ift, als vielmehr wegen deffen, was mwahrfcheinlich gejchehen
würde, Lebteres ift mehr eine Präventive und meniger eine
Strafe als Erfteres. In ſolchen Fällen find die Abfichten der In—
dividuen viel leichter zu verftehen als in Fällen gewöhnlicher Ver-
brechen. Der Mann, welcher ruhig dafteht und Nichts fagt, wenn
die gefährliche Stellung feiner Regierung befprochen wird, kann
nicht mißverftanden werden, Wenn man ihn nicht verhindert,
wird er ficherlich dem Feinde helfen, Um fo mehr ift dies der Fall,
wenn er zweideutig redet— wenn er mit „Wenn“ und „Aber“ für
fein Land redet. Wie wenig Werth die berührten conftitutionellen
Beftimmungen haben, wenn Verhaftungen erft nach dem Begehen
definirter Verbrechen ftattfinden follen, laßt fih aus einigen merf-
würdigen Beifpielen erfehen. General John C. Bredinridge, Ge—
neral Robert E. Lee, General Joſeph E. Johnſton, General John
B. Magruder, General William B. Prefton, General Simon B.
Bedner und Commodore Franklin Buchanan, welche jebt Die höch-
ften Stellungen im Kriegsdienft der Rebellen einnehmen, waren
Alle in der Gewalt der Regierung, als die Rebellion begann, und
waren damals faft ebenfo gut als Verräther befannt wie jegt. Un—
zweifelhaft würde die Infurgentenfache viel ſchwächer ftehen, wenn
wir jene Individuen ergriffen und feftgehalten hätten. Allein
feiner von ihnen hatte zu jener Zeit irgend ein durch Das Geſetz
befinirtes Verbrechen begangen. Jeder von ihnen würde, wenn
verhaftet, auf einen Habeas Corpus Befehl freigefprochen worden
fein, hätte man den Writ operiren laffen. Angefichts Diefer und
ähnlicher Fälle halte ich es nicht für unwahrfcheinlich, daß eine Zeit
Des Blatt wender ih. 241
fommen mag, wann es mir eher zum Vorwurf gemacht werden wird,
daß ich zu wenig, als daß ich zu viele Verhaftungen vorgenommen
habe.
„Dur den dritten Befhluß Außert die Berfammlung ihre An-
fiht dahin, daß militärifche Berhaftungen conftitutionell fein mögen
in Zofalitäten, wo die Rebellion oder Inſurrektion wirklich eriftirt ;
daß folche VBerhaftungen aber unconftitutionell feien an Zofalitäten,
wo Rebellion und Snfurrektion nicht wirklich.eriftiren. Sie befteht
darauf, daß ſolche Verhaftungen nicht ftattfinden follen „außerhalb
der Grenzen nothiwendiger militärifcher Decupation und des Schau-
plates der Inſurrektion.“ Inſofern aber die Conftitution felbft
feinen folchen Unterfchied macht, bin ich nicht im Stande zu glau—
ben, daß irgend ein folcher conftitutioneller Unterfchied vorhanden
ift. Ich gebe zu, daß derartige VBerhaftungen nur dann conftitu-
tionell fein können, wenn in Fällen von Rebellion oder Invafion
die öffentliche Sicherheit fie erfordern mag; und ich behaupte, daß
fie in ſolchen Fällen überall conftitutionell find, wo die öffentliche
Sicherheit fie erfordert—fowohl an ſolchen Orten, wo fie die Aus-
dehnung der Rebellion verhindern, als an folchen, wo diefelbe be—
reits befteht; fowohl da, wo fie böswillige Hemmungen der Trup-
penanwerbung zur Unterdrüdung der Rebellion vereiteln, als da,
wo die Rebellion bereits ausgebrochen iſt; ſowohl da, wo fie die
Aufmunterung der Soldaten zum Defertiren verhindern, als da,
wo fie Meutereien in der Armee unterdrüden; ich halte fie für
gleich eonftitutionel an allen Drten, wo fie die öffentliche Sicher»
heit befördern, wie da, wo fie die Gefahren der Rebellion oder In—
vafion abwenden. Betrachten wir einmal den fpeziellen Fall, deſſen
die Berfammlung Erwähnung that. Es wird behauptet, daß Mr.
Ballandigham dur einen Militär-Commandanten verhaftet und
verhört wurde und zwar „auf feinen andern Grund hin, als mweil
er in einer Anrede an eine öffentliche Berfammlung die Politik der
Adminiftration Fritifirte und die militärifchen Drdres des Generals
verdammte.“ Nun, wenn bier fein Irrthum obmwaltete, wenn diefe
Behauptung Nichts als die reine, lautere Wahrheit enthielte, wenn
fein anderer Grund für feine Verhaftung vorlag, fo würde ich zu—
geben, daß leßtere unrecht war, Allein die Berhaftung wurde,
6
242 Das Leben Abeaham Lincolne.
wenn ich nicht irre, auf ganz andere Gründe hin vorgenommen,
Mr. Ballandigham erflärt offen feine Feindfeligfeit gegen den Krieg,
den die Vereinigten Staaten führen, und feine Verhaftung wurde
vorgenommen, weil er ih —und nicht ohne Erfolg— bemüht hatte,
das Anmwerben von Truppen zu verhindern, die Soldaten zum De—
fertiren zu verleiten und Die Regierung ohne eine hinreichende mili-
tärifche Force zur Unterdrüdung der Rebellion zu laffen. Er wurde
nicht verhaftet, weil er die politifchen Profpekte der Adininiftration
oder die perfünlichen Intereffen des commandirenden Generals be-
einträchtigte, fondern weil er der Armee fehadete, auf deren Eriftenz
und Energie das Leben der Nation beruft. Er führte Krieg gegen
das Militär, und dies gab dem Militär conftitutionelle Jurisdiktion,
Hand an ihn zu legen, Hat Mr. Ballandigham der Militärmacht
des Landes nicht gefchadet, fo beruhte feine Verhaftung auf einem
Irrthum, den ich mit Freuden berichtigen werde, fobald ich genü-
gende Beweiſe feiner Unfchuld erhalte,
Die Derfammlung, deren Befchlüffe mir unterbreitet wurden,
ift, wie ich fehe, zu Gunften der Untervrüdung der Rebellion durch
militärifhe Gewalt — durd Armeen. Eine lange Erfahrung
bat gezeigt, Daß Armeen nicht aufrecht erhalten werden können,
wenn nicht Deferteurs mit dem ZTode- beftraft werden. Diefe
Strafe erfordert der Fall, und die EConftitution, fowie die Geſetze
fanktioniren diefelbe., Muß ich nun einen einfältigen Soldaten
erfchießen laſſen, welcher defertirte, während ich dem binterliftigen
Agitator, der ihn zum Defertiren verleitete, fein Haar Frümmen
fol? Die Bemühungen deffelben find nichtsdeſtoweniger nach—
theilig, wenn fie dadurdy zur Ausführung fommen, daß man einen
Vater, Bruder oder Freund zum Befuch einer öffentlichen Ber-
ſammlung beſchwatzt und dort fo lange feine Gefühle manövrirt,
bis er fich überreden läßt, dem Soldaten zu fihreiben, daß er für
eine fchlechte Sache, eine gottlofe Adminiftration einer veräct-
lichen Regierung kämpfe, die zu ſchwach fei, ihn zu verhaften und
zu beitrafen, wenn er defertire. Sch bin der Anficht, daß es in
einem folchen Falle nicht nur conftitutionell, fondern fogar ein
Alt der Barmberzigfeit ift, den Agitator zum Schweigen zu brin»
gen und Dadurch den Soldaten zu retten,
Das Blatt wendet ſich. 245
„Wenn ich in diefer Frage über eonftitutionelle Gewalt Unrecht
babe, fo. liegt mein Irrthum in der Annahme, daß gewiffe Hand-
lungen conftituttonell find, wenn in Fällen von Rebellion oder
Invaſion die öffentliche Sicherheit fie erfordert; während fie un-
eonftitutionell fein würden, wenn im Nichtvorhandenfein einer
Rebellion oder Invaſion die öffentliche Sicherheit fie nicht er-
forderte. Mit andern Worten ausgedrüdt ift meine Anficht die,
daß die Eonftitution in ihrer Anwendung nicht in allen Fällen
diefelbe it — daß fie in Fällen von Rebellion oder Invaſion, wenn
die öffentliche Sicherheit gefährdet iſt, nicht dieſelbe ift, wie in
Zeiten des tiefften Friedens und der öffentlichen Sicherheit. Die
Conftitution felbft macht diefen Unterſchied; und ich kann ebenfo
wenig überzeugt werden, daß die Regierung zur Zeit einer Re—
bellion conftitutionsmäßig Feine firengen Maßregeln. ergreifen
dürfe, weil fie es in Sriedengzeiten nicht gefeglich thun kann, als
ich überzeugt werden fann, daß ein befonderes Präparat feine
gute Arznei für einen Franken Mann fei, weil fie Feine geeignete
Nahrung für einen Gefunden ift. Ebenfo wenig bin ih im
Stande, die von der Berfammlung befürchtete Gefahr einzufehen,
daß durch dieſe militärifchen Verhaftungen während der Rebellion
das amerifanifche Volk für die ganze unbegrenzte friedliche Zu—
funft, die, wie ich hoffe, vor ung liegt, feine Rede» und Preffrei-
heit, feine Gefchwornengerichte und Zeugenverhöre und die Wohl-
thaten der Habeas Corpus Alte verlieren werde, Ebenſo leicht -
möchte ich glauben, daß ein Mann während einer Furzen Kranl-
heit einen fo ftarfen Appetit zu Brechmitteln befäme, daß er jich
nach hergeftellter Gefundheit fein ganzes Leben lang davon nähe
ren wollte,
„Indem ich Ihren Befchlüffen die ernfte Erwägung gebe, um bie
Sie mich erfuchen, kann ich die Thatfache nicht überfehen, daß die
Mitglieder der Verfammlung ale „Demokraten“ fprehen. Noch
kann ich mit gebührender Achtung vor ihrer befannten Intelligenz
und der reiflichen Heberlegung, mit der fie dieſe Befchlüffe faßten,
annehmen, daß dies durch bloßen Zufall gejchah, oder daß fie es
überhaupt vorzogen, fich „Demofraten” zu nennen, anftatt „ame—
vifanifche Bürger.” Zu diefer Zeit nationaler Gefahr hätte ich
244 Das Leben Abraham Lincolne.
Sie lieber eine Stufe über jede Parteiplattform erhaben begrüßt,
weil ich überzeugt bin, daß wir von diefer erhabeneren Stellung
aus beffer für das Vaterland, das wir Alle lieben, kämpfen fünn-
ten, als von jenen niedrigeren Stellungen aus, wo wir Durch Die
Macht der Gewohnheit, die VBorurtheile der Vergangenheit und
die felbftfüchtigen Hoffnungen auf die Zukunft fo viel Scharfiinn
und Kraft vergeuden, um ung gegenfeitig zu tadeln und zu be=
kämpfen. Sie haben mir diefes Vergnügen verfagt, dennoch aber
bin ic) um meines Landes willen dankbar, daß nicht alle Demo-
traten fo gehandelt haben. Der Mann, auf defjen Befehl Mr.
Ballandigham verhaftet und verhört wurde, ift ein Demokrat, den
feine alte Parteigenofjenfchaft mit mir verband; und der Richter,
der die in Ihren Beſchlüſſen ausgedrüdte Anficht über die Con—
ftitution verwarf und fich weigerte, Mr. Ballandigham auf einen
Habeas Corpus Befehl freizulaffen, ift ein Demokrat aus beffern
Tagen und empfing feinen richterlichen Mantel aus den Händen
des Präfiventen Jadfon. Ja, mehr noch als dies, von allen
jenen Demofraten, die edelmüthig ihr Leben wagten und ihr Blut
auf dem Schlachtfelde vergoffen, haben, wie ich pofitiv weiß, Viele
das gegen Mr, Ballandigham eingefchlagene Verfahren gebilligt,
während ich nicht hörte, daß auch nur ein Einziger — ver⸗
dammte.
„Die Erwähnung des Präſidenten Jackſon erinnert mich an
eine Epiſode aus der Geſchichte jener Zeit. Nach der Schlacht
von New Orleans, als die Thatſache des Friedensabſchluſſes wohl
in der Stadt bekannt war, jedoch ehe die offizielle Nachricht davon
angelangt, hielt General Jackſon das Kriegs- oder Militärgeſetz
noch immer aufrecht. Sebt, da der Krieg vorüber war, wurde
das Geſchrei über das Kriegsgefeb, das fih von Anfang an erho-
ben hatte, nachgerade wüthend. Unter Anderem veröffentlichte
ein gemwiffer Mr, Louiallier einen fcharfen Zeitungsartikel da—
gegen. General Fadfon ließ ihn verhaften. Ein Advokat, Na—
mens Morrell, verfchaffte fich vom Vereinigten Staaten Richter
Hall einen Habeas Corpus Writ, um Mr. Louiallier dadurch zu
befreien. General Jadfon ließ darauf den Advokaten und den
Richter verhaften. Ein gewiffer Mr. Hollander nahm ſich her—
Das Blatt wendet fid. 245
aus, über die Angelegenheit zu Außern, „es wire eine faule
Affaire,” General Jackſon ließ ihn ebenfalls verhaften. Als der
Beamte ihm den Habeas Corpus Writ ferpirte, nahm der General
denfelben, gab ihm eine Copie davon und fchidte ihn fort. Nach—
dem er den Richter einige Tage im Gewahrfam gehalten hatte,
fandte er ihn über die Grenzen feines Lagers hinaus, feste ihn
in Freiheit und verbot ihm die Rüdfehr, bis die Ratififation des
Friedens offiziell angekündigt wäre, oder bis die Brittifchen die
ſüdliche Küfte verlaffen hätten. Es vergingen noch ein paar
Tage, dann wurde die Ratififation des Friedensabfchluffes offiziell
verfündigt, und der Richter fammt den übrigen Individuen er»
bielten ihre völlige Freiheit. Einige Tage darauf ließ der Richter
General Jackſon vor Gericht laden und erlegte ihm eine Geldbuße
von 81000 auf, weil er ihn und die Andern verhaftet hatte, Der
General bezahlte die Strafe, und damit ruhte die Sache faft drei—
fig Jahre lang, als der Congreß ihm das Kapital jener Summe
fammt den Intereſſen zurüdzahlte. Der kürzlich verftorbene
Senator Douglas, damals ein Mitglied des Nepräfentanten-
hauſes, nahm eifrigen Antheil an den Debatten über diefe Frage
hinfichtlic der Eonftitutionalität der Suspenfion des Habeas
Corpus Write, Die Namen Derjenigen, die den Zeitungsberich-
ten gemäß für die Mafregel ftimmten, find mir gegenwärtig nicht
im Gedächtniß.
„Es ließe ſich dabei bemerken: Erfteng, dag wir damals diefelbe
Conftitution hatten, die wir jet haben; zweitens, daß wir da=
mals einen Fall von Invafion hatten, während wir jest einen
Fall von Rebellion haben ; dritteng endlich, Daß das permanente
Anrecht des Volles auf Die Freiheit der Rede wie der Preffe, auf
Gejchwornengerichte und Zeugenverhöre, fowie auf die Wohl»
thaten der Habeas Corpus Akte keineswegs durch das Verfahren
des General Jackſon oder die nachfolgende Billigung deffelben
durch den Congreß beeinträchtigt wurde.
„Irog alledem weiß ich nicht, Ob ich felbft die Verhaftung des
Mr. Ballandigham angeordnet haben würde oder nicht, Wäh—
vend ich die Berantwortlichkeit dafür nicht von meinen Schultern
werfen kann, darf ich wohl behaupten, daß der Commandeur im
246 Das Leben Abraham Lincolns.
Felde im Allgemeinen der befte Richter über die Nothwendigfeit
oder Dringlichkeit irgend eines Falles ſei. Selbſtverſtändlich
bleibt mir die allgemeine Direktion und Revifionsgewalt in allen
Fällen vorbehalten.
„In einem der Beſchlüſſe drückt die Verſammlung die Anſicht
aus, daß willkürliche Verhaftungen die Wirkung haben werden,
Diejenigen zu zerſpalten und zu entzweien, welche vereinigt ſein
ſollten, um die Rebellion zu unterdrücken, und ich werde insbe—
ſondere darin aufgefordert, Mr. Vallandigham in Freiheit zu
ſetzen. Ich betrachte dieſes als einen perſönlichen Aufruf an
mich über die Zweckmäßigkeit der Anwendung einer conſtitutio—
nellen Macht, die, wie ich glaube, wirklich exiſtirt. Als Erwiede—
rung auf dieſen Aufruf habe ich zu ſagen, daß ich die Verhaftung
von Mr. Vallandigham bedauerte — d. h. daß ich die Nothwen—
digkeit ſeiner Verhaftung bedauerte — und daß es mir großes
Vergnügen machen wird, ihn in Freiheit zu ſetzen, ſobald ich glau—
ben darf, daß die öffentliche Sicherheit nicht darunter leide. Und
ferner ſage ich, daß im Verlauf des Krieges, wie mir ſcheint, die
Anſichten und Handlungen, die anfangs in großer Verwirrung
waren, deutliche Geſtalten annehmen und in regelmäßigere
Kanäle fallen, wodurch die Nothwendigkeit ihrer ſtrengen Be—
handlung allmälig abnehmen wird. Mein Wunſch iſt, daß dieſe
Nothwendigkeit ganz und gar aufhören möchte, und nicht gering
iſt meine Achtung vor den Anſichten und Wünſchen Derjenigen,
welche gleich den Mitgliedern der Verſammlung zu Albany ihre
Abſicht erklären, die Regierung in allen conſtitutionellen und ge—
ſetzlichen Maßregeln zur Unterdrückung der Rebellion zu unter—
ſtützen. Dennoch muß ich fortfahren zu thun, was ich zur öffent—
lichen Sicherheit für nothwendig erachten werde,
Genehmigen Sie ꝛc.
Abraham Sincoln.”
Einige Tage fpäter wartete eine Committee von Ohio „Demo—
kraten“ dem Präfiventen auf und erfuchte ihn um die Zurüdbe-
rufung Vallandigham’s, den fie zu einem „Märtyrer der Volks—
rechte” zu erheben fuchten, Herr Lincoln antwortete ihnen mit
Tas Blatt wendet ſich. 247
folgender Adreffe, deren ruhiger Sarkasmus nicht der geringfte
der vielen vortrefflichen Punkte derfelben ift:
„Waſhington, den 29, Juni 1863.
„Seine Herren : — Die Befhlüffe der demofratifchen Staats—
Convention von Ohio, die Sie mir fammt Ihren einleitenden und
Schlußbemerfungen vorlegten, find ihrem Wefen und Inhalte
nach beinahe diefelben, wie die Befchlüffe der demofratifchen Ver—
fammlung zu Albany, New York, und verweife ich Sie daher auf
meine Beantwortung der legtern hinfichtlich der meiften darin ent«
baltenen Punfte.
„Diefe Antwort haben Sie FERN bei dem Entmwurfe
Shrer Bemerkungen benust, und ich wünſche weiter Nichts, als
daß diefelbe mit Genauigkeit benußt werde. Bei flüchtiger Durch—
lefung Ihrer Bemerkungen entdedte ich nur eine einzige Unge—
nauigfeit in einem Punkte, den Sie, wie ich vermuthe, jenem Pa-
piere entnahmen. Sie befindet fih an der Stelle, wo Sie fagen:
„Die Unterzeichneten fünnen nicht mit der von Ihnen ausgefuro-
chenen Anficht übereinftimmen, daß die Conftitution zur Zeit einer
Infurrektion oder Invaſion von dem verfchieden fei, was fie zur
Zeit des Friedens und der Hffentlihen Sicherheit iſt.“
„Sin nochmaliger Blif auf jenes Papier wird Ihnen zeigen,
dag ich feine ſolche Anficht ausdrückte. Ich ſprach die Anſicht
aus, daß die Conſtitution in ihrer Anwendung in Fällen
von Rebellion oder Invaſion, die die öffentliche Sicherheit gefähr-
den, verfchieden fei von dem, was fie zu Zeiten des tiefiten Frie—
dens und der Hffentlichen Sicherheit ift. Und auf diefer Anficht
beharre ich, und zwar darum, weil laut der Eonftitution felbft, im
einen Falle Dinge gethan werden können, die im andern nicht
ftattfinden Dürfen.
„Nur ungerne verfchwende ich Worte über einen rein perfünli-
hen Punkt; allein ich muß Ihnen achtungsvoll verfichern, daß
Sie ſchlechten Erfolg haben würden, follten Sie fi je um Be-
weiſe umfehen für Ihre Behauptung, daß ich mich in „öffent-
lihen Reden der Politif des merifanifchen Krieges widerſetzt
habe,“
248 Das Leben Abraham Lincolns.
„Sie fagen: „Selbft wenn diefe Befchränfung der Macht des
Congreffes, den Habeas Corpus Writ zu fufpendiren, aus der
Eonftitution geftrichen würde, blieben noch die andern Öarantien
perfönlicher Freiheit unverändert.“ Ohne Zweifel würden die
andern Garantien diefelben bleiben, wenn dieſe Klaufel der
Eonftitution, die Sie, wie mich dünft, unpafjend eine Befchrän-
tung der Macht des Congreſſes nennen, geftrichen würde. Allein
es handelt fich nicht darum, wie jene Garantien mit jener Klaujel
außer der Conftitution ftehen würden, fondern vielmehr, wie fie
mit der Klaufel in derfelben ftünden im Fall einer Rebellion oder
Invafion, wodurch die öffentliche Sicherheit gefährdet würde,
Wenn mit der Austilgung jener Klaufel, dem Buchftaben wie
dem Geifte nach, die perfünliche Freiheit unangetaftet bliebe, fo
glaube ich in der That, daß Sie das conjtitutionelle Argument auf
Shrer Seite hätten.
„Ich habe meine allgemeinen Anfichten über diefen Punkt in
meiner Antwort auf die Befchlüffe der Albany Verfammlung aus-
geſprochen und will fie daher jest nicht wiederholen. Ich will
nur noch hinzufügen, daß meines Erachtens nah die Wohlthat
des Habeas Corpus Writs das Hauptmittel ift, wodurch die Ga—
rantien perfünlicher Freiheit in letzter Inſtanz zur Ausführung
und Anwendung gebracht werden können. Zur Beftätigung die-
fer Airficht mag die Thatfache dienen, dag Mr. Ballandigham ge-
vade im fraglichen Falle, von fähigen Advokaten unterftüßt, nichts
Anderes wußte, worauf er fich berufen fonnte, als die Habeas
Corpus Alte. Laut der Conftitution aber kann der Habeas Cor—
pus Writ felbft fufpendirt werden, wenn in Fällen von Rebellion
oder Invaſion die öffentliche Sicherheit es erfordern mag.
„Sie fragen mich indirekt, ob ich wirklich glaube, daß ich fanmt-
liche garantirten Rechte der Individuen auf den Vorwand, die
öffentliche Sicherheit zu wahren, mit Füßen treten dürfe, fo oft es
mir beliebe zu fagen, daß die Hffentliche Sicherheit es erfordere.
Diefe Frage, all’ der Phrafeologie entkleidet, die darauf berechnet
ift, mich als einen Mann darzuftellen, der nach willfürlichen per-
ſönlichen Prärogativen firebt, ift entweder einfach eine Frage, wer
entfcheiden foll, oder eine Behauptung, daß Niemand entfcheiden
Das Blatt wendet fid). 249
—
fell, was die öffentliche Sicherheit in Fällen von Rebellion oder
Invaſion erfordere, Die Conftitution betrachtet dies als eine
Srage, die möglicherweife zur Entfcheidung fommen fünnte, erklärt
aber nicht ausdrücklich, wer Diefelbe zu entfcheiden habe. Ga er-
giebt fich von felbft, daß die Entſcheidung von Zeit zu Zeit gege-
ben werden muß, je nachdem Rebellion oder Invaſion kommt;
und ich glaube, daß der Mann, den das Volk der Eonftitution
gemäß zeitweilig zum Oberbefehlshaber feiner Armee und Flotte
gemacht hat, der Mann ift, welcher die Gewalt ſowohl, wie die
Berantwortlichfeit hat, die Entjcheidung abzugeben. Wenn er
dieſe Gewalt auf gerechte Weife ausübt, fo ift es höchſt wahr-
Icheinlich, daß daffelbe Volk ihn rechtfertigen wird; mißbraucht er
fie, fo ift er in den Händen des Volkes, dag mit ihm nach der in
der Eonftitution vorgefehenen Weiſe verfahren kann.
Der Ernft, mit dem Sie behaupten, daß Individuen zur Zeit
einer Rebellion nur nach den Regeln des Eriminalverfahrens
in Friedenszeiten progeffirt werden dürften, veranlaßt mich, der
Antwort, die ich der Albany Verfammlung über venjelben Punkt
gab, noch ein weiteres Wort hinzuzufügen. Sie beanfprucen,
daß übelgefinnte Individuen nach Belieben Denjenigen, deren
Pflicht «8 ift, eine riefenhafte Rebellion zu befämpfen, Hinverniffe
in den Weg ftellen dürfen, und daß fie dann gerade fo zu behan-
dein wären, als eriftirte gar Feine Rebellion. Die Conftitutior
ſelbſt verwirft diefe Anfiht. Die militärifchen Verhaftungen und
Einkerkerungen, die vorgenommen wurden, einfchließlich der des
Mr. Ballandigham, und die dem Prinzip nach von den andern
nicht verfchieden find, wurden zur Verhütung und nicht als
Strafe vorgenommen — als Maßregeln, Schaden zu vermeiden
und den Frieden zu bewahren — daher waren fie, gleich dem an—
dern Verfahren in ſolchen Fällen und aus ähnlichen Gründen,
von feiner öffentlichen Anklage (indietment,) feinem Gefchwore-
nenverhör begleitet; auch folgte in feinem einzigen Falle irgend
eine Strafe mit Ausnahme der zur Verhütung notbwendigen
Mafregeln. Das urfprüngliche Urtheil in Mr. Ballandigham’s
Fall lautete auf Einkerkerung, und dies geſchah Lediglich, um ihn
zu verhindern, Tem Militirdienft Schaden zuzufügen; die Modi—
250 Das Leben Abrabam Lincolne.
fifation diejes Urtheils aber wurde vorgenommen, um ihm die Art
und Weife der Erzielung diefes Zwedes weniger perſönlich unan—
genehm zu machen.
„sch vermag in dem Falle des Mr. Ballandigham Feine dem
Staate Ohio gebotene Beleidigung zu erbliden. Sicherlich war
und ift nichts Derartiges beabfichtigt. Ich war der Thatſache
völlig unfundig, dag Mr. VBallandigham zur Zeit feiner Verhaf—
tung ein Candidat für die demofratifche Nominarion zum Gou—
verneursamte war, und erfuhr es erft, als Sie mir die Bejchlüffe
der Convention vorlafen. Sch bin dem Staate Ohio für Man—
ches dankbar, namentlich für die tapfern Soldaten und Offiziere,
die er den Armeen der Union in der gegenwärtigen — der
Nation gegeben hat.
„Sie behaupten, wenn ich Sie nicht mißverſtehe, daß ich meinen
eigenen in meiner Antwort an die Albany Veſammlung geäußer—
ten Worten gemäß Herrn Vallandigham in Freiheit ſetzen ſollte,
und zwar weil er, wie Sie ſagen, dem Militärdienſt keinen Scha—
den zufügte durch Abrathen von freiwilligem Anwerben, oder durch
Verleitung zum Deſertiren, oder auf irgend eine andere Art; und
ferner behaupten Sie, daß er laut der jüngſt erlaſſenen —
akte den Civilbehörden überantwortet werden müßte, wenn er dieſe
Dinge gethan hätte. Allerdings weiß ich nicht, ob Mr. Val—
landigham ſpezifiſch und in direkter Sprache von dem freiwilligen
Anwerben abrieth, oder zum Deſertiren und zum Widerſtand ge—
gen die Conſcription anrieth. Wir Alle wiſſen, daß vor einigen
Monaten Combinationen — zum Theil bewaffnete, gebildet wur—
den, um die Ziehung zu verhindern; daß vor Kurzem erſt ähnliche
Combinationen entſtanden, um die der Ziehung vorhergehende
Enrollirung zu vereiteln, und daß derſelbe animus zu einer be—
trächtlichen Anzahl von Meuchelmorden Veranlaſſung gab. Die—
ſen Combinationen mußte militäriſche Gewalt entgegen geſetzt
werden, und dies gab auf's Neue Anlaß zu Blutvergießen und
Tod, Mit dem Gefühl einer Verantwortlichkeit, die noch gewich-
tiger auf mir laftet, als die bloße amtliche, erfläre ich nun feierlich
meinen Ölauben, daß diefe Berhinderung des Militärs, einfchließ-
lich der Morde und Derfrüppelungen, mehr ala irgend einer an
Das Blatt wenter ſich. 251
dern Urfache den Grundſätzen entſprang, die Mr. Vallandigham
vertheidigte und durchzuführen ſuchte; und daß er perſönlich da—
für verantwortlicher iſt, als irgend ein anderer Mann.
„Dieſe Dinge waren Allen bekannt, mithin auch Mr. Vallan—
digham. Vielleicht habe ich nicht Unrecht, wenn ich behaupte, daß
ſie von ſeinen ſpeziellen Freunden und Anhängern ausgingen.
Derſelben vollkommen bewußt, hat er häufig, wenn nicht beſtändig,
im Congreß und vor Volksverſammlungen Reden gehalten; und
wenn es bewiefen werden kann, daß er mit diefen Dingen vor
Augen jemals ein Wort des Tadels über diefelben äußerte, ſo wird
es in mir fehr günftige Öefinnungen gegen ihn erweden; bis jest
aber liegt mir nicht der geringfte Beweis davon vor. Da es nun
befannt ift, daß alle feine Reden dahin zielten, das Volk gegen die
Führung des Krieges aufzumwiegeln, und daß er angefichts aller
Hemmungen, die demfelben in den Weg gelegt wurden, auch mit
feinem Worte von ſolchem Widerftand abrieth, fo ift es faſt un-
möglich, fich des Schluffes zu enthalten, daß er direlt zu demjelben
anrieth.
„Mit allen diefen Dingen vor Augen hat die Convention, die
Sie repräfentiren, Mr. Ballandigham zum Gouverneur von Ohio
nominirt, und Sie haben erklärt, daß es Ihre Abficht fei, die Na—
tional-Union in allen conftitutionellen Maßregeln zu unterftügen ;
dennoch aber behalten Sie fich felbft die Entſcheidung vor, was con—
ftitutionelle Maßregeln feien; und ungleich der Albany Verfamm-
lung unterlaffen Sie anzugeben oder anzudeuten, daß Ihrer Anficht
nach eine Armee ein conftitutionelles Mittel zur Rettung der Union
gegen eine Rebellion fei, oder auch nur anzudeuten, daß Sie über-
haupt von der Eriftenz einer Rebellion, deren erflärter Zweck die
Zerftörung diefer felben Union ift, Kenntniß haben. Zu gleicher
Zeit ift Ihr Kandidat für das Gouverneursamt Ihnen und der
ganzen Welt als ein Gegner des Krieges zum Zwed der Unter-
drüdung der Rebellion bekannt. Ihre eigene Haltung ermuntert
daher zum Defertiren, zum MWiderftand gegen die Confeription und
dergleichen, weil diefelbe Diejenigen, die zum Defertiren oder zum
Widerſtand gegen die Eonfeription geneigt find, zu dem Glauben
252 Das Leben Abraham Lincolns.
verleitet, daß Sie ihnen Schuß gewähren, und zu der Hoffnung,
daß Sie ſtark genug dazu fein würden,
„Nach der perfönlichen Unterhaltung, die ich mil Fhnen hatte,
meine Herren von der Committee, kann ich kaum annehmen, daß
Sie diefe Wirkung Ihrer gegenwärtigen Haltung wünſchen; allein
ich verfichere Shnen, daß fowohl die Freunde wie die Feinde der
Union diefelbe in diefem Lichte betrachten. Sie gewährt dem Feinde
eine weſentliche Hoffnung und fomit eine wirkliche Stärke. Wenn
es eine falfche Hoffnung ift, und wenn Sie felbft Willens find, die-
felbe zu vernichten, fo will ich Fhnen den Weg hierzu außerordent-
lich leicht machen. Ich fende Ihnen Duplifate diefes Briefes, da⸗
mit Sie, oder eine Majorität von Ihnen, wenn dies Ihnen beliebt,
eines diefer Duplifate mit Ihren Namensunterfihriften indofjirt
mir zurüdfenden fünnen, wobei ich wohl zu verftehen bitte, daß die
Unterzeichner fich zu folgenden Propofitionen und zu nichts Anderem
verpflichten :
„L. Daß gegenwärtig eine Rebellion in den Vereinigten Staa-
ten befteht, deren Zwed und Abficht es ift, die National-Union zu
zerftören, und dag Ihrer Anficht nach eine Armee und eine Flotte
conftitutionelle Mittel zur Unterdrüdung diefer Rebellion find.
„2. Daß feiner von Ihnen irgend Etwas thun will, was feinem
eigenen Urtheil nach die Verſtärkung der Armee und Flotte während
ihrer Bemühungen zur Unterdrüdung befagter Rebellion verhin—
dern, deren Schwächung begünftigen und deren Wirkſamkeit irgend-
wie verringern könnte; und —
„3. Daß jeder von Ihnen in feinem Wirkungskreiſe fein Mög-
lichjtes thun will, um die Offiziere, Soldaten und Ceeleute befagter
Armee und Flotte, fo lange fie mit der Unterdrüdung der Rebellion
befchäftigt find, zu bezahlen, füttern, kleiden und anderweitig zu ver-
forgen und unterftügen,
„Ferner bitte ich Sie zu verftehen, daß ich nach Empfang des
alfo von Ihnen indoffirten Briefes denfelben veröffentlichen werde,
welche Beröffentlihung an und für fich felbft eine Zurüdnahme der
bezüglich Mr. VBallandigham’s erlaffenen Ordre fein fol.
„Es wird Ihren Bliden nicht entgehen, daß ich die Freilaffung
Mr, Ballandigham’s auf Bedingungen hin gewähre, die feine Ber-
Briefe und Reden. 258
pflichtung von ihm felbft on& Andern enthalten hinfichtlich deſſen,
was er thun oder nicht thun will. Sch thue Dies, weil er nicht ge—
genwärtig ift, um für fich felbft zu fprechen oder Andere zu autori-
firen, für ihn zu fprechen; und ich erwarte Daher, daß er bei feiner
Rückkehr Feine der Stellung feiner Freunde feindliche Haltung an-
nehmen wird. Hauptſächlich aber thue ich eg, um andere einfluß-
reiche Männer von Ohio dadurch zu veranlaffen, ihre Stellung fo
zu erklären, daß es von ungemeinem Werthe für die Armee fein
würde —und um auf diefe Art die Folgen eines etwaigen Fehl-
griffes zu vermeiden, im Falle die Mr. Vallandigham gegebene Er-
laubniß zur Rückkehr fich als ein folcher erweiſen follte; fo daß, im
Ganzen genommen, die öffentliche Sicherheit nicht darunter leiden
wird. Dennoch muß ich in Bezug auf Mr. Ballandigham und
alle Andern in Zukunft wie in der Vergangenheit thun, was der
öffentliche Dienft meiner Anficht nach erheifchen mag.
„Hochachtungsvoll der Shrige,
| Abraham Fincoln.“
Sechzehntes Kapitel.
Briefe und Reden,
Rede zu Wafhington — Brief an General Grant — Proklamation für ein
Dankfeſt — Brief in Bezug auf die Emanripations-Proklamation — Pro-
klamation für ein jährlihes Dankfet —Dedicationsrede zu Gettysburg.
Am Abend des 4, Zuli 1863, nachdem viele Bürger von Wafh-
ington, hocherfreut über die Niederlage der Rebellen zu Gettysburg,
dem Präfiventen eine Serenade gebracht hatten, drüdte derfelbe
feine Erfenntlichkeit für das Compliment in folgenden Worten
„aus:
„Mitbürger :——€3 freut mich von Herzen, Sie heute Abend hier
zu fehen, und dennoch will ich nicht fagen, daß ich Ihnen für diefen
Beſuch danke; allein ich danke von ganzer Seele dem allmächtigen
Gott für die Beranlafjung, die mir das Vergnügen verfchafft, Sie
bier zu fehen. Wie lange her ift es—ctliche achtzig Jahre—ſeit
254 Das Leben Abraham Lincolns.
am 4. Zuli zum erftenmal in der Rfchichte der Welt eine Nation
durch ihre Nepräfentanten fih verfammelte und als felbftverftänd-
liche Wahrheit erflärte, „daß alle Menfchen gleich und frei ge-
ſchaffen wurden?” Dies war der Tag der Geburt der Vereinigten
Staaten von Amerifa. Seit jenem Tage fanden verfchiedene eigen—
thümliche Ereigniffe am 4. Juli ftatt. Die beiden hervorragenditen
Männer bei dem Entwurf und der Unterftügung der Unabhängig-
feits-Erflärung waren Thomas Fefferfon und John Adams; der
Eine hatte fie entworfen, der Andere auf's Eifrigfte bei der Debatte
unterftügt — fie waren die beiden einzigen jener fünfundfünfzig
Männer, die das glorreiche Dofument unterzeichneten, welche fpäter-
hin zu Präfiventen der Vereinigten Staaten erwählt wurden. Ge—
nau fünfzig Jahre, nachdem fie das Papier unterzeichnet, gefiel es
dem Allmächtigen, fie an ein und demfelben Tage und faft zu Der-
felben Stunde von dem Schauplab ihres irdifchen Wirkens hinmeg-
zunehmen. Dies war in der Ihat ein außerordentliche und merl-
würdiges Ereigniß in unferer Gefhichte. in anderer Präfivent
wurde fünf Jahre fpäter an demfelben Tag und Monat hinmegge-
rufen; und jest, an dieſem legten 4, Juli, inmitten einer gigan-
tiichen Nebellion, deren Fundamentalbeftreben der Umfturz des
Prinzips ift, daß alle Menfchen frei und gleich gefchaffen find, haben
‚ wir die Niederlage einer mächtigen Armee. Und nicht nur das,
fondern nach einer Reihe von Schlachten, die in Pennfylvanien, fo
nahe bei ung, und fo raſch hinter einander an drei Tagen gefochten
wurden, daß man fie eine große Schlacht nennen könnte, nämlich
am 1., 2. und 3, Juli, fehrten ung die Horden der Gegner jener
Erklärung, dag alle Menfchen frei und gleich gefchaffen wurden,
am 4. Zuli den Rüden und flohen. Meine Herren, dies ift ein
glorreiches Thema und eignet fich trefflich zu einer Rede; allein ich
bin nicht vorbereitet, eine der Gelegenheit würdige zu halten. ch
möchte gern zum wohlverdienten Lobe der vielen tapfern Offiziere
und Soldaten reden, die vom Beginn des Krieges an für Die Sadıe
der Union und die Freiheit ihres Landes kämpften. Dies find Zei-
ten der Prüfung—wir hatten Glück und Unglüd. Ich will den
Namen feines einzigen Offiziers nennen, damit ich Denjenigen nicht
Unrecht thue, die ich etwa vergeffen möchte, Die Ereigniffe der
Briefe und Reden. ? 255
legten Tage haben ung glorreiche Namen, Außerft hervorragende
Namen gebracht; ich will fie aber nicht nennen. ch vermag nicht
weiter zu fprechen und will mich noch ein wenig an der Muſik er-
götzen.“
Der folgende, nach der Einnahme von Vicksburg an General
Grant adreſſirte Brief geſtattet uns einen tiefen Blick in die kry—
ſtallhelle Offenheit und Aufrichtigkeit des Präſidenten:
„Exekutiv-Gebäude, Waſhington, den 13. Juli 1863.
„An Öeneral- Major U. S. Grant. |
„Mein werthber General: — Ich erinnere mich nicht, daß
wir ung je perfünlich begegneten. Ich fehreibe Ihnen Diefes aus
dankbarer Anerkennung des unſchätzbaren Dienftes, den Sie dem
Zande erwiefen haben. Doc außerdem habe ich ein Wort weiter
zu fagen. Ale Sie zuerft die Gegend von Vicksburg erreichten,
dachte ih, dag Sie thun follten, was Sie endlich thaten — mit den
Truppen um die Landzunge marfchiren, die Batterien mit den
Transports befördern und anf diefe Art hinabfteigen. Ich hatte
nie ein großes Vertrauen — höchfteng eine vage Hoffnung, daß Sie
die Sache beffer verftünden als ich — auf den Erfolg der Yazoo
Pas Expedition und dergleichen. Als Sie nun hinabfamen und
Port Gibfon, Grand Gulf und die Umgegend einnahmen, dachte
ih, Sie follten den Fluß hinabgehen und zu General Banks
ſtoßen; als Sie dagegen nördlich zogen und üftlich von dem Big
Black, befürchtete ich, daß Sie einen Irrthum begangen hätten,
Jetzt wünfche ich Ihnen perfünliche Genugthuung zu geben und
erkläre unummwunden, daß Sie Recht hatten und daß ich im Un—
RR „Aufrihtigeper Ihrige, Abraham Fincoln.“
Folgende Proklamation erſchien zur Feier der Siege von Vicks—
burg, Port Hudſon und Gettysburg:
„Proklamation des Präſidenten der Vereinigten Staaten von
Amerika,
„Es bat Gott dem Allmächtigen gefallen, das Gebet und
Anrufen eines fchwer geprüften Volfes zu erhören und der Armee
und Flotte der Vereinigten Staaten zu Waſſer und zu Land jo ent-
256 Das Leben Abraham Lincolns.
ſchiedene und wirkſame Siege zu verleihen, daß. reichliche Urfache zu
einer erneuten Hoffnung vorhanden ift, daß die Union diefer- Staa-
ten gerettet, ihre Konftitution erhalten und Glüd und Gedeihen
auf die Dauer gefichert werden follen. Allein diefe Siege wurden
ung nicht ohne große Opfer, ohne zahlreiche Verlufte an tapfern,
patriotifchen und Ioyalen Bürgern verliehen. Häuslicher Kummer
folgt in allen Theilen des Landes auf den Spuren diefer furchtba—
ven Opfer, Es geziemt fih daher, das Walten des Allmächtigen
anzuerkennen und die Macht feiner Hand in diefen Triumphen ſo—
wohl wie in diefer Trauer zu verehren.
„Sei es deshalb Jedermann befannt, daß ich Donnerftag, den
fechften Tag des Monats Auguft fetfege zu einem Nationaltag des
Danffageng, Lobpreifens und Gebetes. Und ich erfuche hiermit
das Volk der Vereinigten Staaten, fih an diefem Zage in feinen
gewohnten Gotteshäufern einzufinden und dort den Gebräucen
feiner Religion gemäß der Majeftät des Höchften feine Huldigung
darzubringen für die wunderbaren Dinge, die er für die Nation
gethan hat, und feinen Heiligen Geift anzuflehen, die Berftociheit
zu rühren, die dieſe nutzloſe und graufame Rebellion hervorgerufen
und fo lange aufrecht erhalten hat; die Herzen der Inſurgenten
zu ändern; dem Rath der Regierung die Weisheit einzuflößen, die
für diefe große Nationalprüfung vonnöthen ift; der ganzen Länge
und Breite unferes Landes nad, allen Denen, die unter den Wech—
ſelfällen beſchwerlicher Märfche, Seereifen, Schlachten und Belage-
rungen an Geift und Körper gelitten haben, mit milder Hilfe und
Troſt zu nahen; und endlich die ganze Nation auf dem Pfad ver
Neue und Unterwerfung unter den göttlichen Willen zur vollkom—
menen Union und zum brüderlichen Frieden zurüdzuführen.
„zum Zeugniß deifen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington, am fünfzehnten Tage des
Monats Juli, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
dreiundfechzig, und im achtundachtzigften der Unabhängigkeit der
Dereinigten Staaten von Amerika,
„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Sincoln.”
„William 9. Seward, Staatsfekretär.”
Briefe und Reden. | 257
Folgender Brief, der im Auguft 1863 als Antwort auf eine
Einladung zu einer Bolfsverfammlung unbedingter Unionsmänner
in Illinois gefchrieben wurde, zeigt ung deutlich die Anfichten, Die
der Präfident zu jener Zeit über feine Emancipations-Proflama-
tion hegte:
Wafhington, ven 26, Auguft 1863.
„Werther Herr:— Ihr Schreiben, worin Sie mich zum
Beſuch einer am 3. September in der Hauptftadt von Illinois ab»
zuhaltenden Maffenverfammlung unbedingter Uniongmänner ein»
Iuden, gelangte in meine Hände. Es würde mir höchſt angenehm
fein, meine alten Freunde in meiner eigenen Heimath miederzu-
ſehen; allein es ift mir unmöglich, in dieſen Zeiten fo lange von
diefer Stadt abwefend zu fein, als ein Befuch bei Ihnen erfordern
würde, Die Verfammlung fol, wie Sie mir melden, ganz aus
Männern beftehen, die eine unbedingte Hingebung für die Union
bewahren, und ich bin verfichert, daß meine alten politifchen Freunde
e3 mir danken werden, wenn ich den Dank der Nation jenen andern
edlen Männern darbringe, die fein Parteihaß und feine Parteifucht
dem Leben der Nation treulos machen kann. Es giebt Leute, Die
mit mir unzufrieden find. Zu diefen will ich fagen: — Ihr wün—
fchet Frieden und tadelt mich darum, dag wir ihn nicht haben?
Wie aber können wir ihn erlangen? Es giebt nur drei denkbare
Wege hierzu. Der erfte ift, die Rebellion mit Waffengewalt zu
unterdrüden. Dies verfuche ich zu thun. Seid ihr damit einver-
ftanden? Wenn fo, dann ftimmen wir überein, Wenn nicht, fo
giebt es einen zweiten Weg, nämlich die Union aufzugeben, Ich
bin dagegen, Wenn ihr dafür feid, fo folltet ihr es offen fagen.
Seid ihr nicht für die Gewalt und auch nicht für die Auflöfung, fo
bleibt nur noch irgend ein Compromiß übrig, Sch glaube nicht,
daß irgend ein Compromiß jetzt die Erhaltung der Union herbei-
führen könnte, Alles was ich höre und fehe, beftärkt mich in diefem
meinem Unglauben, Die Stärke der Rebellion liegt in ihrem Mi-
litär, in ihrer Armee. Diefe Armee beherrfcht das ganze Land und
alle Leute darin. Irgend ein Anerbieten von Bedingungen von
Männern innerhalb des Gebietes der Rebellen würde fich gegen-
wärtig * Nichts belaufen, weil ſie nicht die Macht hätten, ihren
258 Das Leben Abraham Lincolns.
Theil des Eompromiffes — würde ein folches gemacht — in Ausfüh—
rung zu bringen. Denkt euch zum Beifpiel, dag Flüchtlinge vom
Süden und Friedensleute vom Norden fich zu einer Eonvention
verfammelten, um ein Compromiß zu entwerfen und zu proflami-
ven, das die Wiederherftellung der Union bezwedte. Wie vermöchte
dies Compromiß General Lee’s Armee von Pennſylvanien fernzu—
halten? General Meade’s Armee kann Lee's Armee aus Penn-
ſylvanien fernhalten und, wie ich glaube, dieſelbe fchließlich ihrer
ganzen Eriftenz berauben, Kein Papier-Compromiß aber, womit
Diejenigen, welche General Lee’s Armee controlliven, nicht einver-
ftanden find, fann diefe Armee auch nur im mindeften beeinfluffen.
Mit dem Beftreben, ein folches Compromiß zu Stande zu bringen,
würden wir nur Zeit verſchwenden, die der Feind zu unferem Nach-
theil benugen würde, und das mwäre Alles. Ein Eompromiß, das
wirkſam fein fol, müßte entweder mit Denjenigen gefchloffen wer-
den, welche Die Nebellenarmee controlliren, oder mit dem Volke, das
erit durch den Erfolg unferer Armee von der Herrfchaft jener Ar-
mee befreit werden müßte. Sch kann Ihnen nun verfichern, daß
fein Wort und feine Andeutung von der Rebellenarmee oder den
Männern, die diefelbe controlliren, hinfichtlich eines Friedens-Com—
promifjes jemals zu meinen Ohren gelangte. Alle Behauptungen
oder Andeutungen, daß fie zu einem Compromiß geneigt wären,
find grundlog und erdichtet, Und ich verfpreche euch, daß, wenn
je folche Anträge von denfelben gemacht werden follten, ich fie nicht
verwerfen und vor euch geheim halten werde, Sch erkenne frei an,
daß ich laut der Conftitution der Vereinigten Staaten der Diener
des Bolfes bin und daß ich als folcher ihm Rechenſchaft ſchulde.
Doch laffet uns offen reden. hr feid unzufrieden mit mir wegen
dem Neger. Ich gebe zu, daß über dieſen Gegenftand eine Mei-
nungsverfchiedenheit zwifchen euch und mir herrfchen mag. Sch
wünfche, dag alle Menfchen frei fein möchten, während ihr das
nicht wünfcht, wie ich vermuthe. Dennoch habe ich noch Feine ein-
zige Maßregel vorgefchlagen oder adoptirt, Die nicht mit euren eige-
nen Anfichten übereinftimmt, wenn ihr in der That für die Union
ſeid. Ich fohlug die compenfirte Emancipation vor, worauf ihr
antwortetet, dag ihr nicht zum Anfauf ver Neger tarirt zu werden
Briefe und Reden. 259
wünfchet. Allein ich wollte nicht, Daß ihr zum Ankauf der Neger
tarirt würdet, ausgenommen in fo fern, als es euch viel größere
Taxen erfparen würde, die zur Rettung der Union durch andere
Mittel unumgänglich nothwendig wären.
„Euch mißfällt die Emaneipations-Proflamation, und ihr wünfcht
vielleicht, Daß ich dieſelbe zurücknehme. Ihr fagt, fie ſei uncon-
ftitutionell,. Sch denke anders darüber. Sch halte dafür, daß die
Eonftitution dem Oberbefehlshaber in Kriegszeiten das Kriegsgeſetz
zur Verfügung ftellt. Was ſich nun über die Sache fagen läßt, ift
einfach Dies, daß die Sklaven Eigenthum find. Herrfchte jemals
eine Frage darüber, daß nad) dem Kriegsgefeb das Eigenthum des
Veindes wie des Freundes genommen werden darf, wenn ed von-
nöthen ift? Und iftes nicht vonnöthen, wenn die Hinwegnahme
deffelben uns hilft oder dem Feinde ſchadet? Die Armeen aller
Nationen der Welt zerftören das Eigenthum des Feindes, wenn fie
es nicht gebrauchen können, und zerfiören fogar ihr eigenes, Damit
es nicht dem Feind in die Hände fallen möge, Die civilifirten
Kriegsführenden thun Alles, was in ihrer Macht fteht, um fich ſelbſt
zu nützen oder dem Feinde zu ſchaden, mit Ausnahme einiger
Dinge, die als barbarifch oder graufam betrachtet werden. Zu
diefen Ausnahmen gehört das Niedermegeln befiegter Feinde und
wehrlofer Männer, Frauen und Kinder, Die Emaneipationg-
Proffamation nun ift als Geſetz entweder giltig, oder fie ift nicht
giltig. Iſt fie nicht giltig, fo bedarf fie Feiner Beſchränkung. Iſt
fie giltig, fo fann fie nicht zurüdgenommen werden, ebenfo wenig
als ein Todter ind Leben zurüdgerufen werden fann, Einige von
euch meinen, Die Zurüdnahme derfelben würde günftig für vie
Union wirken. Warum? Wir hatten über anderthalb Jahre ver-
fucht, die Rebellion zu unterdrüden, ehe die Proflamation erlaffen
wurde, und die legten hundert Tage verftrichen unter der ausdrüd-
lichen Ankündigung, daß diefelbe in Kraft treten würde, wenn bie
Inſurgenten es nicht Durch ihre Rückkehr zur Pflicht verhinderten,
Gewiß waren die Refultate des Krieges fo günftig für ung, feit die
Proflamation erlaffen wurde, als zuvor. Sch weiß, fo gut als
irgend Jemand die Anjichten Anderer wiffen fann, daß einige der
Commandanten unferer Armee, denen wir unfere wichtigften Siege
260 Das Leben Abrabam Lincolns.
verdanfen, glauben, daß die Emancipationspolitif und die Verwen—
dung farbiger Truppen der Rebellion die ſchwerſten Schläge verfeg-
ten, die fie noch erhalten, und Daß wenigfteng einer jener bedeutenden
Siege nicht hätte gewonnen werden fünnen, wenn wir die ſchwar—
zen Soldaten nicht gehabt hätten. Einige von den Comman-
danten, die dieſe Anficht hegen, ftanden nie zuvor in irgend einer
Beziehung zu den fogenannten Abolitioniften und hatten nie
mit der Politif der „Schwarz-Republifaner” gemeinfame Sache
gemacht. Ihre Anfichten find daher rein militärifcher Natur,
Ich erwähne diefelben hauptfächlich als gewichtige Erwiederungen
auf die oft erhobenen Einwürfe, daß die Emancipation und Bes
waffnung der Schwarzen als militärifche Maßregeln fehr unmweife
amd eigentlich nie als folche vorgenommen worden feien. hr
fagt, ihr wollet nicht Fampfen, um die Neger zu befreien. Viele
der Legteren fcheinen willig zu fein, für euch zu kämpfen — doch
fohweigen wir davon. Kämpfet ihr denn ausfchlieglid, um die
Union zu retten. Ich erließ die Proflamation, um euch die Ret-
tung der Union zu erleichtern, Sobald ihr allen Wiverftand ge-
gen die Union überwunden habt, wird es für euch an der Zeit
fein, zu erflären, dag ihr nicht kämpfen wollt, um die Neger zu
befreien — das heißt, wenn ich euch zu fernerem Kampfe anhalten
follte. In diefem eurem Kampfe für die Union glaubte ich, daß
in dem Maße, als die Neger aufhörten, dem Feinde zu helfen, der
MWiderftand der Feinde gegen euch gefchmwächt werden würde.
Denkt ihr anders? Ich glaubte, je mehr die Neger als Soldaten
thun würden, defto weniger hätten die weißen Soldaten bei der
Rettung der Union zu thun. Erfcheint es euch anders? Allein
die Neger handeln fo gut wie andere Menfchen nah Motiven,
Warum follten fie irgend Etwas für uns thun, wenn wir nichts
für fie thun wollen? Wenn fie ihr Leben für uns auf das Spiel
fegen, fo müffen fie durch das ftärffte Motiv — das Berfprechen
ihrer Freiheit — dazu angetrieben werden. Und wenn das
Berfprechen gegeben wird, jo muß es auch gehalten werden. Die
Zeichen der Zeit bieten indeffen jetzt einen weit günftigeren An-
blid dar, Der Vater der Gewäſſer rollt unbeläftigt wieder dem
Meere zu. Dank dafür dem großen Nordweſten. Doc nicht
Briefe und Reden. 261
diefem allein, Dreihundert Meilen hinauf finden wir Neu-Eng-
land, New York, Pennſylvanien und New Jerſey ihren Weg rechts
und links hauen. Auch ver fonnige Süden lieh ung feine Hand,
Die Schwarzen fowohl, wie die Weißen halfen dieſen wichtigen
Erfolg herbeiführen. Es war ein großer National-Triumph, und
Keiner Darf zurüdgefegt werden, der einen ehrenvollen Antheil
daran hatte, Wohl dürfen Diejenigen, die den großen Strom
von den Kebellenhorden fauberten, ftolz auf diefe That fein; doch
ift Dies noch nicht Alles, Wer kann fagen, daß die Thaten unfe-
rer Truppen zu Antietam, Murfreesboro, Gettysburg und auf
andern minder hersorragenden Schlachtfeldern an Tapferkeit
übertroffen wurden? Auch dürfen Onkel Sam's Schwimmvögel
nicht vergeffen bleiben. Auf allen Gewäffern waren fie zu finden —
nicht nur auf der weiten See, der ftattlichen Bat und den reißen-
den Strömen, fondern auch auf den engen, ſchmutzigen Kanälen —
und wo fie nur waren, haben fie ihre Spuren zurüdgelaffen,
Allen ſei Dank für das Geleiſtete. Im Namen der großen Re-
publif — im Namen der Prinzipien, auf denen fie beruht — im
Namen zufünftiger Gefchlechter danke ich Allen dafür, Der
Friede ift nicht mehr fo ferne, wie es ſchien. ch Hoffe, er wird
bald kommen, und zwar fommen, um zu bleiben; und möge er
fo fommen, daß er für alle Zufunft des Erhaltens merth ift.
Dann werden wir bewiefen haben, daß bei freien Männern feine
erfolgreiche Appellation vom Stimmkaſten an den Krieg ftattfinden
fann, und daß Diejenigen, welche zu einer folchen Appellation ihre
Zuflucht nehmen, ihre Sache verlieren werden und obendrein die
Koften zu bezahlen Haben, Und dann wird es einige ſchwarze
Männer geben, die fich erinnern werden, daß fie mit ſtummem
Munde, feſtem Blid und geftedtem Bayonnet der Menfchheit die-
fen großen Sieg erringen halfen; obwohlich fürchte, daß es weiße
Leute geben wird, die nicht vergeffen werden, daß fie mit böswil—
ligem Herzen und gleifnerifcher Rede es zu verhindern fuchten,
Dennod laßt uns nicht allzu fanguinifh in unfern Hoffnungen
fein, Laßt uns vielmehr alle Mittel anwenden und unfere ganze
Kraft aufbieten, um das große Werk zu Ende zu bringen, und
262 Das Leben Abraham Lincolns.
hoffen, daß der gerechte Gott zur rechten Zeit unfere Bemühungen
mit Erfolg krönen werde.
„Aufrichtig der Ihrige,
Abraham Fincoln.“
Mit der Abficht, die Sitte einzuführen, jedes Jahr einen allge-
meinen Danf- und Bettag für die ganze Nation feftzufegen, erließ
Herr Lincoln folgende Proflamation:
„Proklamation des Prafidenten der Wereinigten Staaten von
Amerika.
„Das Jahr, welches fich jebt dem Ende zuneigt, brachte ung
Gefundheit und reichlihe Ernten. Außer diefen Segnungen,
deren wir ung fo beftändig erfreuen, dag wir gar leicht die Quelle
vergeifen, von der fie fommen, wurden ung noch andere befcheert,
die von fo außerordentlicher Natur waren, daß fie felbft das här-
tefte und verftoctefte Herz rühren und erweichen mußten. Mitten
in einem Bürgerkrieg von unerhörtem Umfang, der zumeilen die
Einmifhung fremder Staaten herbeizuführen drohte, wurde der
Friede mit allen Nationen erhalten, wurden die Gefete geachtet
und befolgt, und allenthalben Herrfchte Ordnung und Eintracht,
ausgenommen auf dem Schauplab des militärifchen Kampfes,
Während diefer Schauplab Durch die überall vorrüdenden Armeen
und Slotten der Union bedeutend verringert wurde; während fo
viele unferer Bürger. Die gewohnten Befchäftigungen frieplicher
Snduftrie verließen und zur DVertheidigung der Nation herbei
eilten, wurden die Agrifultur, die Manufaktur und der Handel
nicht vernachläffigt. Die Art hat die Grenzen unferer Anfied-
lungen erweitert und die Minen haben ung eine reichlichere Ernte
an Eifen, Kohlen und Eoftbaren Metallen geliefert, als je, Die
Bevölkerung hat troß der ungeheuren Kriegsopfer im gewohnten
Maßſtabe zugenommen und das Land darf, feiner vermehrten
Kraft und Stärfe bewußt, einer beffern Zufunft entgegen ſchauen.
Keines Menfchen Geift hat diefe großen Dinge erfonnen; feines
Menfhen Hand hat fie zu Stande gebracht. Sie find die gnädi—
gen Geſchenke des höchſten Gottes, der, ob er ung auch um unferer
Briefe und Reden. 263
Sünden willen heimfuchte, dennoch mit Barmherzigkeit unfer ges
dacht hat.
„Es fcheint mir geziemend, dag das ganze amerikanifche Volk
mit einem Herzen und einer Stimme diefe großen Wohlthaten
feierlich, inbrünftig und dankbar anerfenne. Sch erfuche daher
meine Mitbürger in allen Theilen der Vereinigten Staaten, wie
auch Diejenigen, welche zur See find oder fich in fremden Landen
aufhalten, den legten Donnerftag im kommenden November zu
feiern, um unferm gütigen Vater im Himmel Gebete und Dank—
fagungen darzubringen. Und ich erfuche fie ferner, daß fie dem
Höchſten nicht nur für feine gnädige Rettung und feine mannig-
faltigen Segnungen danken, fondern auch in aufrichtiger Neue ihn
um Vergebung für unfere Sünden und unfern Ungehorfam an-
flehen; ſowie auch feiner barmberzigen Fürforge alle Diejenigen
anempfehlen, die im Laufe des beflagenswerthen Bürgerkrieges zu
Wittwen, Waifen, Leidenden, Krüppeln und Kranken gemacht
wurden, und endlich, den Allmächtigen anzuflehen, feine väterliche
Hand auszuftreden, um die Wunden der Nation zu heilen und
ung, fobald es feinem göttlichen Willen angenehm ift, zum Frie-
den, zur Eintracht und Ruhe zurüdzuführen.
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefeßt und das Siegel der Bereinigten Staaten beifügen laffen,
„Segeben in der Stadt Wafhington am dritten Tage des
Monats Dftober, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert
und dreiundfechzig, und im achtundachtzigften der Unabhängigkeit
der Vereinigten Staaten,
„Auf Befehl des Präfivdenten: Abraham Fincoln.”
„Billiam 9 Seward, Staatsſekretär.“
Am 19. November 1863 hielt Präfident Lincoln folgende De-
difationsrede bei der Einweihung eines Nativnal-Gottesaders zu
Gettysburg, in welchem die Gebeine der tapfern Soldaten beige-
fett wurden, die während der dreitägigen Schlacht auf dieſer
Stelle dem Lande ihr Leben zum Opfer gebracht hatten:
„Bor fiebenundachtzig Jahren gründeten unfere Väter eine
neue Nation auf diefem Eontinente, die der Freiheit gewidmet fein
264 Das Leben Abraham Lincolns.
folle und dem Prinzip, daß alle Menfchen gleich gefchaffen wurden.
Wir befinden uns jet in einem großen Bürgerfriege, um zu
erproben, ob diefe Nation oder irgend eine Nation, Die auf dieſem
Grundſatze ankert, für die Dauer beftehen fann, Wir famen auf
einem großen Schlachtfelde zufammen. Wir find hier, um einen
Theil deffelben zur letzten Ruheſtätte Derer einzumeihen, die ihr
Leben opferten, damit die Nation leben möge, Und wohl geziemt
es fich, daß wir ihnen diefen legten Dienft erweiſen.
„Im erhabenften Sinne des Wortes vermögen wir nicht, dieſen
Grund zu heiligen und einzumweihen. Die tapfern Lebenden und
Todten, die hier fochten, haben ihn geheiligt und geweiht, und wir
Tonnen Nichts davon oder Dazu thun, Die Welt wird fih wenig
um das fümmern, was wir hier fagen, und wird es bald vergeſſen;
nie aber wird fie vergeffen, was jene Tapfern hier thaten, Es ift
vielmehr unfere Pflicht, ung felbft zu weihen — nämlich dem un-
beendigten Werke, das fie bis jest fo edelmüthig fortführten.
Uns fommt es zu, ung der großen Aufgabe zu widmen, die vor
und liegt; ung fommt es zu, von den Gräbern der theuren
Todten bier erneuten Eifer heimzubringen für die Sache, der fie
ihr Xeben opferten; ung fommt es zu, auf diefer Stätte den hei-
ligen Eid zu ſchwören, daß diefe Todten nicht umfonft gefallen fein
follen — daß die Nation mit der Hilfe Gottes die Wiedergeburt
der Freiheit feiern und Daß diefe volksthümliche Regierung nicht
untergehen fol.”
Siebenzehntes Kapitel.
Der achtunddreißigſte Congref.
Drganifation des Haufes — Derfchiedene Anfihten in Betreff der Reronftruk-
tion — Maßregeln für Begnadigung der Rebellen — Amneftie-Prokla-
mation — 3ahresbotfchaft — Weitere Proklamation.
Dei der Berfammlung des achtunddreißigften Congreffes am 7. De—
zember 1863 (jenem Congreß, in deſſen Unterhaufe die Oppofition
auf eine Majorität gerechnet hatte) fanden die Unterftüger der
Der achtunddreißigſte Congreß. 265
Regierung feine Schwierigkeit, ihren Kandidaten zum Sprecher zu
wählen; ebenfo leicht wurde ihnen die Wahl eines Anti-Sflaverei-
mannes zum Kaplan, obſchon die Oppofition einen Bifchof der
Episcopalfirche für Diefes Amt zu nominiren fuchte, der von An—
fang des Krieges an die Frechheit gehabt hatte, fich zum öffentlichen
Bertheidiger des fluchwürdigen Zuftitutes der Sklaverei aufzumer-
fen, das, wie er behauptete, durch Die Grundfäße der chriftlichen
Religion geheiligt werde,
Es wurden um jene Zeit Verfuche zur Organifation von Lofal-
regierungen in den Staaten Tennefjee, Louifiana und Arkanfas
gemacht. Mit dem Erfolg unferer Waffen fam nun die fehwierige
Frage hinfichtlich der Principe, nach welchen eine ſolche Reorgani—
fation ftattfinden follte,
Einige behaupteten, daß die illoyalen Staaten durch ihre Re—
bellion zu bloßen ZTerritorial-Drganifationen herabgefunfen feien
und in diefem Zuftand verbleiben follten, bis fie wiederum in die
Union aufgenommen würden,
Andere entgegneten, daß Dies eine faktifche Anerfennung der Se-
ceffion wäre und behaupteten, daß, was auch die Bewohner eines
Staates gethan hätten, der Staat felbft, als folcher, ein integriren-
des Glied der Union bilde und zu allen Privilegien eines folchen
berechtigt fei, fobald eine genügende Anzahl Ioyaler Bürger das
Wahlrecht auszuüben verlange, und daß der General-Regierung
die eonftitutionelle Pflicht obliege, Darauf zu fehen, daß dem Staate
eine republifanifche Form garantirt werde, Hinfichtlich der hierzu
genügenden Anzahl Ioyaler Bürger hörte man verfchiedene An—
fichten,
Der Congreß hatte durch eine am 17. Juli 1862 approbirte Afte
beſtimmt:
„Daß der Präſident hiermit autoriſirt ſei, zu irgend einer Zeit
durch eine Proklamation ſolchen Perſonen, die in irgend einem
Staate oder Bezirke deſſelben an der beſtehenden Rebellion Theil
genommen hatten, Begnadigung und Amneſtie anzubieten, mit
ſolchen Ausnahmen, zu ſolcher Zeit und auf ſolche Bedingungen
hin, wie er es für das öffentliche Wohl für zweckmäßig halten mag.“
Dieſer Vollmacht gemäß hatte Präſident Lincoln folgende Pro—
266 Das Leben Abraham Lincolns.,
Hamation erlaffen, aus welcher hervorgeht, daß er fich vor der Welt
und den unmittelbar betheiligten Perfonen für verpflichtet hielt,
ftandhaft bei der son ihm inaugurirten Emancipationspolitif zu
verharren und diefelbe jedem Akt ver Milde als unerläßliche Be—
dingung vorangehen zu laffen:
„Sintemalen in und durd die Eonftitution der Vereinigten
Staaten vorgefehen ift, daß der Präfident „die Macht haben folle
Degnadigungen für Berbrechen gegen die Vereinigten Staaten zu
gewähren, ausgenommen in Fällen von Anklagen wegen Hochver-
raths (impeachment) ;“
„Und fintemalen gegenwärtig eine Rebellion befteht, wo—
durch die Ioyalen Stantsregierungen verfchiedener Staaten auf
lange Zeit geftürzt wurden, und viele Perfonen fich des Verratheg
gegen die Vereinigten Staaten ſchuldig ‚gemacht haben;
„And fintemalen in Bezug auf befagte Rebellion und be-
fagten Berrath vom Congreß Geſetze gemacht wurden, durch welche
nach den darin angegebenen Bedingungen die Conftscation des
Eigenthums und die Befreiung der Sklaven erklärt wurden; und
durch welche ebenfalls der Präfivent autorifirt wurde, zu irgend
einer Zeit durch eine Proflamation folchen Perfonen, die in irgend
einem Staat oder Bezirk deffelben an ver beftehenvden Rebellion
Theil genommen haben, Begnadigung und Amneftie anzubieten,
mit folhen Ausnahmen, zu folcher Zeit, und auf ſolche Bedingun-
gen hin, wie er es für das öffentliche Wohl für zweckmäßig erach-
ten mag;
„And fintemalen die congreffionelle Erklärung befchränfter
und bedingungsmweifer Begnadigung mit der längftbegründeten
juridifchen Auslegung der Begnadigungsgewalt im Einklang fteht ;
„And fintemalen der Präfivdent der Vereinigten Staaten
in Bezug auf befagte Rebellion ſchon verfchiedene Proflamationen
hinfichtlich der Befreiung der Sklaven erlaffen hat;
„And fintemalen endlich verſchiedene bisher an befagter
Rebellion betheiligte Perfonen jet zu ihrer Treue gegen die Ver—
einigten Staaten zurüdzufehren und miederum loyale Staats—
cegierungen innerhalb ihrer betreffenden Staaten zu errichten wün—
ſchen: —
Der achtunddreißigſte Congreß. 267
„Deshalb proflamire und erfläre ih, Abraham Lincoln,
Präfivent der Vereinigten Staaten, füämmtlichen Perfonen, die direkt
oder indireft an der beftehenden Rebellion Theil genommen haben,
mit nacherwähnten Ausnahmen, daß ihnen und Jedem von ihnen
hiermit eine volle Begnadigung gewährt wird, mit Wiedereinfebung
in alle ihre Eigenthumsrechte, mit Ausnahme der Sflaven und
folden Eigenthumsrechten, wobei die Rechte dritter Partieen Schuß
verlangen, und auf die Bedingung hin, daß jede hierdurch begna-
digte Perfon einen Eid leifte und unterzeichne, und denfelben fortan
unverlet halte und wahre; welcher Eid zur permanenten Aufbe-
wahrung regiftrirt werden und folgendermaßen lauten fol, nämlich :
„Ich, — — ſchwöre hiermit feierlich in der Gegenwart
des allmächtigen Gottes, daß ich hinfortan die Conſtitution der
Vereinigten Staaten und die Union der Staaten unter derſelben
getreulich unterſtützen, beſchützen und vertheidigen will; daß ich
auf gleiche Weiſe ſämmtliche Congreßakten, die während der be—
ſtehenden Rebellion in Bezug auf Sklaven paſſirt wurden, aner—
kennen und getreulich unterſtützen will, ſo lange und inſofern ſie
nicht durch den Congreß oder durch die Entſcheidung des Ober—
bundesgerichts zurüdgenommen, modificirt oder annullirt werden;
und daß ich auf gleiche Weife alle Proflamationen des Präſiden—
ten, die während der beftehenden Rebellion in Bezug auf die
Sklaven erlaffen wurden, anerkennen und getreulich unterftügen
will, fo lange oder infofern dieſelben nicht Durch die Entfcheidung
des Dberbundesgerichts modifteirt oder annullirt werden. So
helfe mir Gott !“
„Die von den Wohlthaten der vorhergehenden Brake
ausgefchloffenen Perfonen find alle Diejenigen, welche Eivil- oder
diplomatifche Beamte oder Agenten der fogenannten Conföderir—
ten Regierung find oder waren; — alle Diejenigen, welche richter-
liche Stellungen unter den Vereinigten Staaten verlaffen haben,
um der Rebellion zu helfen; — alle Diejenigen, welche Militär-
oder Marineoffiziere der fogenannten Conföderirten Regierung
über dem Rang eines Oberften in der Armee oder eines Lieute-
nants in der Marine find oder waren; — alle Diejenigen, welche
ihre Commiffionen in der Armee oder Marine der Vereinigten
l
268 Tas Leben Abraham Lincolns.
Staaten aufgaben und fpäter die Rebellion unterftüßten; — und
alle Diejenigen, welche auf irgend eine Weife farbige Perfonen,
oder weiße Perfonen, die folche unter fich hatten, anders behan-
delten als rechtmäßige Kriegsgefangene, wenn folche Perfonen als
Soldaten, Matrofen oder in irgend einer Eigenfchaft im Dienft
der Bereinigten Staaten geftanden haben,
„Und ferner proflamire, erkläre und thue ich fund und zu wiffen,
daß, jobald in irgend einem der Staaten Arkanfas, Teras, Loui-
fiana, Miffiffippi, Tenneffee, Alabama, Georgia, Florida, Süd-
Carolina und Nord-Carolina eine Anzahl son Perfonen, nicht
geringer als ein Zehntel der Anzahl von Stimmen, die in ſolchem
Staate bei der Präfidentenwahl im Jahre unferes Herrn 1860
abgegeben wurden, nachdem Jeder den obenerwähnten Eid ge-
leiftet und denfelben nachher nicht verlegt hat, und von welcher
Anzahl Jeder ein qualificirter Stimmgeber ift laut des Wahlge-
feßes, dag unmittelbar vor der fogenannten Seceſſionsakte in dem
Staate beftanden bat, ausfchlieglich aller andern, eine Staats—
regierung wiederherftellen wird, die eine republifanifche fein und
feineswegs dem befagten Eide zumider laufen foll — diefe als die
wahre Regierung des Staates anerfannt werden und der Staat
unter derjelben die Wohlthaten der Conftitutionsbeftimmung em—
pfangen wird, welche erklärt, daß „Die Vereinigten Staaten jedem
Staate in diefer Union eine republifanifche Regierungsform
garantiren und jeden derfelben gegen Invaſion beſchützen follen ;
deegleichen auf Anfuchen bei der Legislatur oder der Erecutive,
(wenn die Legislatur nicht zufammenberufen werden fann,) gegen
innere Gemaltthätigfeiten.‘
„Und ferner proflamire, erfläre und thue ich Fund und zu wiffen,
daß irgend eine Beftimmung, die von einer folchen Staatsregierung
in Bezug auf die, befreiten Farbigen in ſolchem Staate adoptirt
werden mag, wodurd ihre permanente Freiheit erklärt und aner-
fannt und für ihre Erziehung geforgt wird, und die dennoch als
temporäres Arrangement mit deren gegenwärtigem Zuftand als eine
arbeitende, landlofe und heimathlofe Klafje nicht unvereinbar ift —
feinen Einwand von Seiten der National-Erekutive finden foll.
Und es wird hiermit als nicht ungeeignet vorgefchlagen, daß bei der
Der achtunddreißinfte Congreß. 269
Errihtung einer loyalen Staatsregierung in irgend einem Staate
der Name des Staates, deffen Grenzen, Unterabtheilungen, Eon
ftitution und allgemeines Geſetzbuch beibehalten werden, wie vor
der Rebellion; vorbehaltlich ſolcher Modifikationen nur, wie fie bei
den obenerwähnten Bedingungen nothwendig erfcheinen, und fol-
chen andern, wie fie den mit der Bildung der neuen Stanteregierung
Betrauten zwedmäßig erfcheinen mögen, fofern fie befagten Be—
dingungen nicht zumiderlaufen.
„Am Mißverftändniffen vorzubeugen, mag es geeignet fein zu
fagen, daß dieſe Proflamation, fomeit fie fich auf Staatöregierungen
bezieht, feine Anwendung auf diejenigen Staaten hat, in welchen
bisher ftets loyale Staatsregierungen beftanden haben. Aus dem-
felben runde mag es geeignet fein, weiter zu fagen, daß die Ent-
fheidung, ob Mitglieder, die von irgend einem Staate zum Con—
greß gefandt werden, conftitutionell zu Siten berechtigt find, aus—
fchlieglich den betreffenden Häufern des Congreffes, keineswegs aber
der Erefutive zufteht. Ferner, daß durch dieſe Proflamation beab-
fichtigt wird, dem Volke der Staaten, in welchen die National-
Autorität fufpendirt war und die Ioyalen Staatsregierungen ge—
ftürzt worden waren, einen Plan vorzufchlagen, nach welchem die
National-Autoriät und die Ioyalen Staatsregierungen innerhalb
der befagten Staaten oder irgend einem derfelben wieder hergeftellt
werden können; und während der vorgefchlagene Plan der befte ift,
den der Präfident gegenwärtig vorzufchlagen weiß, es keineswegs
fo zu verftehen ift, als ob fein anderer Plan annehmbar wäre.
„Öegeben unter meiner Hand in der Stadt Wafhington am
achten Tage des Monats Dezember, A. D. 1863, und im acht—
undactzigften der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von
Amerila. Abraham Fincoln.“
Am 9. Dezember überſandte der Präſident dem Congreß ſeine
Jahresbotſchaft, die wir mit Auslaſſung einiger Stellen yon ge—
ringem und nur temporärem Intereſſe nachftehend mittheilen:
„Mitbürger vom Senat und Veprafentantenhaus der Pereinig-
ten Staaten: — Abermals ift ein Jahr der Gefundheit und reich»
licher Ernten verfloſſen. Dafür, insbefondere aber für den beſ—
270 Das Leben Abraham Lincolns.
fern Zuftand unferer National-Angelegenheiten, gebührt unfere
erneute und tiefe Dankbarkeit dem allgütigen Gott.
„Mit den auswärtigen Mächten verblieben wir in Frieden und
Freundſchaft.
„Die Bemühungen illoyaler Bürger der Vereinigten Staaten,
ung in auswärtige Kriege zu verwickeln, um ihrer nichtzuentſchul—
digenden Inſurrektion dadurch Borfchub zu leiſten, haben fich
erfolglos erwiefen., Die Regierung ihrer brittanifchen Majeftät
hat, wie billig zu erwarten ftand, ihre Autorität angewendet, um
den Abgang einer neuen feindlichen Erpedition aus brittifchen
Häfen zu verhindern. Auch der Kaifer der Franzofen hat durch
ein gleiches Verfahren die Neutralität, die er zu Anfang des Krie-
ges proflamirte, prompt aufrecht erhalten. Sehr gemwichtige und
fchwierige Fragen entitanden in Betreff der Blodade und anderer
friegerifcher Operationen zwifchen diefer Regierung und einigen
jener Seemächte; fie wurden jedoch mit Aufrichtigfeit, Gerechtig-
teit und gegenfeitigem Wohlwollen beiprochen und fo weit mie
möglich beigelegt. Befonders befriedigend ift es, daß unfere
Prifengerichte fich durch die Unparteilichkeit ihres Verfahrens die
Achtung und das Vertrauen der Seemächte erwarben.
„Der Supplementaryertrag zwifchen den Vereinigten Staaten
und Großbrittanien zur Unterdrüdung des afrilanifchen Sklaven-
handels, der am 17. Februar dieſes Jahres gefchloffen wurde, ift
ratifieirt und in Ausführung gebracht worden. Man darfanneh-
men, daß jenem unmenfchlichen und abfcheulichen Schacher ein
Ende gemacht worden ift, wenigftens fo weit es amerifanifche Hä—
fen und amerifanifche Bürger anbelangt. . : » .»
„Gewiſſe Vorkommniſſe während des gegenwärtigen Bürgerfrie-
ges lenkten meine Aufmerkffamfeit auf den unfihern Zuftand in-
ternationaler Fragen in Bezug auf die Rechte der Ausländer in
diefem Lande und die Rechte der DBereinigten Staaten Bürger
im Auslande. Einigen Regierungen gegenüber find diefe Rechte
wenigftens theilmeife durch Verträge deſtnirt. In keinem derfel-
ben indeffen ift es ausdrücklich ftipulirt, daß im Falle eines Bür—
gerfrieges ein Ausländer, der in diefem Lande innerhalb der Linien
der Fnfurgenten wohnt, erimirt fein folle von der Regel, die ihr
Der ahtunddreißigfte Congreß. 271
zu einem Kriegführenden (belligerent) macht, zu deſſen Gunſten
die Regierung ſeines Landes keine Privilegien oder Immunitäten
beanſpruchen kann. Ich bedaure indeſſen, ſagen zu müſſen, daß
ſolche Anſprüche wirklich gemacht worden ſind, und zwar in meh—
reren Fällen zu Gunſten ſolcher Ausländer, die den größern Theil
ihres Lebens in den Vereinigten Staaten zugebracht haben.
„Es läßt ſich mit Grund annehmen, daß viele im Auslande ge—
borene Perſonen, die ihre Abſicht erklärt haben, Bürger zu werden,
oder bereits völlig naturaliſirt worden ſind, ſich dem ſchuldigen
Militärdienſt entzogen, indem ſie die Thatſache leugneten und da—
durch der Regierung die Nothwendigkeit auferlegten, den Beweis
zu liefern. Aus Mangel an den nöthigen Auskunftsmitteln
wurde es ſehr ſchwer, wo nicht gar unmöglich, den Beweis zu
liefern. Dieſem Uebelſtande ließe ſich vielleicht dadurch abhelfen,
daß die Clerks der Gerichtshöfe, in welchen die Erklärung abgege—
ben oder die Naturaliſation vorgenommen wird, angehalten wür—
den, eine periodiſche Liſte der Namen naturaliſirter Perſonen oder
ſolcher, die ihre Erklärung abgaben, Bürger werden zu wollen, an
den Sekretär der innern Angelegenheiten zu ſenden, in deſſen De—
partement dieſe Namen arrangirt und zur allgemeinen Auskunft
gedruckt werden könnten.
„Desgleichen läßt es ſich mit Grund vermuthen, daß Auslän—
der häufig Bürger der Vereinigten Staaten werden mit der ein—
zigen Abſicht, ſich den ihnen durch die Geſetze ihrer Geburtsſtaaten
auferlegten Pflichten zu entziehen, wohin ſie ſofort nach erfolgter
Naturaliſation zurückkehren, und obſchon ſie nie wieder nach den
Vereinigten Staaten kommen, dennoch als Bürger den Schutz
dieſer Regierung in Anſpruch nehmen. Aus dieſem Mißbrauche
ſind ſchon viele Streitigkeiten entſtanden, daher ich denn den Ge—
genſtand Ihrer ernſten Betrachtung empfehle. Es dürfte vielleicht
rathſam erſcheinen, eine Periode feſtzuſetzen, nach deren Verlauf
kein im Auslande wohnender Bürger der Vereinigten Staaten
auf den Schutz ſeiner Regierung Anſpruch machen kann.
„Das Stimmrecht wurde häufig von Ausländern in Anſpruch
genommen und ausgeübt, und zwar unter Vorgabe der Naturali—
fation, die ſie ſpäter leugneten, als fie zum Militärdienſt conſeri—
272 Das Leben Abraham Lincolns.
birt wurden, Sch empfehle Ihnen die Zweckmäßigkeit eines fol-
chen Amendments des Gefehes, dag dadurch die Thatfache des
Stimmgebens jeden Anſpruch auf Eremption vom Militärvienfte
oder andern Bürgerspflichten auf Grund ausmwärtiger Geburt
(alienage) hin prompt befeitigen würde, . . . »
„Der Zuftand der verfchiedenen organifirten Territorien ift im
Allgemeinen befriedigend, obfehon die Störungen durch Indianer
in Neu-Meriko noch nicht gänzlich unterdrüdt worden find. Die
mineralifchen Schäße von Colorado, Nevada, Idaho, Neu-Meriko
und Arizona ermweifen fich bei Weiten reicher, als bisher angenom-
men wurde. Sch unterbreite Ihnen eine Mittheilung über diefen
Gegenftand von dem Gouverneur von Neu-Mexiko. Wiederholt
empfehle ich Ihrer Betrachtung die Zwedmäßigfeit der Annahme
eines Syſtems zur Aufmunterung der Einwanderung, Obſchon
diefe Duelle des Nationalreichtbums und der Stärke ergiebiger
und freier fließt, ala mehrere Jahre vor der Inſurrektion, fo zeigt
fich dennoch dafelbft ein großer Mangel an Arbeitern in jenem
Felde der Induftrie, namentlich aber in ver Agrifultur und in
unfern Minen — fowohl den Kohlen- und Eifen-Minen, wie
denjenigen, die ung edle Metalle fpenden. Während fih nun der
Bedarf an Arbeitern mit jedem Tage bedeutend fteigert, drängen
fih Zehntaufende von armen Perfonen, die ohne lohnende Be—
fhäftigung find, um unfere auswärtigen Confulate und erbieten
fich zur Auswanderung nach den Vereinigten Staaten, falls ihnen
eine mefentliche, allein fehr billige Unterftügung dazu geboten
würde. Es ift leicht zu fehen, daß unter der fcharfen Disciplin
des Bürgerfrieges Die Nation ein neues Leben beginnt, Diefes
edle Streben verlangt Hilfe und follte die Aufmerkfamfeit und
Unterftüßung der Regierung erhalten,
„Es mag vorgefommen fein, daß ohne Wiffen und Willen der
Regierung in einigen Fallen den Unterthanen oder Bürgern aus—
wärtiger Länder von Perfonen im Dienfte der Vereinigten Staa-
ten zu Waffer oder zu Land ein Unrecht zugefügt worden if. Da
diefe Regierung von andern Mächten Genugthuung verlangt,
wenn Bürgern der Vereinigten Staaten von Perfonen in ihrem
Dienste auf ähnliche Art ein Unrecht zugefügt wird, fo müjfen wir
Der achtunddreißigſte Congreß. 273
bereit ſein, Ausländern Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. Wenn
die beſtehenden Gerichtshöfe zu dieſem Zwecke unzureichend ſind,
ſo könnte ein Spezialgericht autoriſirt werden, derartige Anſprüche,
die unter den beſtehenden Verträgen und dem Völkerrechte erhoben
werden, zu unterſuchen und zu entſcheiden. Conventionen zur
Aburtheilung über Anſprüche durch eine gemeinſame Commiſſion
wurden einigen Regierungen vorgeſchlagen; bis jetzt aber iſt von
keiner derſelben eine definitive Antwort hierüber eingegangen.
„Wahrſcheinlich werde ich mich im Laufe dieſer Sitzung veran—
laßt ſehen, Sie zu erſuchen, für die Entſchädigung ſolcher An—
ſpruchmachenden Beſtimmung zu treffen, denen durch Admirali—
tätsgerichte Schadenerſatz zuerkannt wurde; desgleichen in andern
Fällen, wo dieſe Regierung haftbar geworden ſein mag und wo
der Betrag dieſer Haftbarkeit durch nichtformellen ſchiedsrichterli—
chen Ausſpruch feſtgeſtellt wurde.
„Die betreffenden Beamten des Schatzamtes ſahen ſich veran—
laßt, dem Geſetz der Vereinigten Staaten über dieſen Gegenſtand
gemäß, dem Einkommen auswärtiger Conſuln in dieſem Lande
eine Taxe aufzuerlegen. Während dies im ſtrengen Sinne des
Wortes keine Verletzung des öffentlichen Geſetzes oder irgend
eines beſtehendes Vertrages zwiſchen den Vereinigten Staaten
und einer fremden Nation ſein mag, wird die Zweckmäßigkeit einer
Modifikation der Akte inſofern, als dadurch das Einkommen ſol—
cher Conſuln von der Taxe eximirt würde, welche nicht Bürger
der Vereinigten Staaten ſind und deren Einkünfte von den Emo—
lumenten ihrer Aemter oder ihres nicht innerhalb der Vereinigten
Staaten gelegenen Eigenthums herrühren, Ihrer ernſten Erwä—
gung empfohlen. Ich mache dieſen Vorſchlag auf den Grund
hin, daß eine Comität, die erwiedert werden ſollte, unſere Conſuln
in allen Ländern bis zu oben erwähntem Umfang von der Taxation
eximirt. Die Vereinigten Staaten ſollten, meine ich, nicht aus—
nahmsweiſe illiberal fein gegen den internationalen Verkehr und
Handel,
„Die Operationen des Schabamtes wurden während des lebten
Jahres äußerſt erfolgreich betrieben, Die Paffirung eines Na-
ar ii durch den Congreß hat ſich ala eine werthvolle
274 Das Leben Abraham Lincolns.
Aufrechterhaltung des Hffentlichen Credits erwiefen; und die all—
gemeine Legislation in Bezug auf Anlehen entfprach vollfommen
allen gehegten Erwartungen. Es bedarf vielleicht einiger Amend—
ments zur Vervollkommnung beftehender Geſetze; Doc, ift Feine
Aenderung in den Örundfähen oder der allgemeinen Tragweite
derfelben erforderlich.
„Seit diefe Maßregeln in Operation getreten find, wurde fammt-
lichen Anforderungen an das Schabamt, einfchlieglich der Bezah—
lung der Armee und Marine, auf das Promptefte Genüge geleiftet.
Keine beträchtliche Truppenanzahl wurde je hinreichender verforgt
und liberaler und pünflicher bezahlt; und ich darf wohl hinzufü-
gen, daß fein Volk jemals die Bürden eines großen Krieges wil-
liger getragen hat.
„Die Einnahmen von fämmtlichen Quellen, einfchließlich der
Unlehen und der Bilanz vom lebten Jahre beliefen ſich während
des Jahres auf $901,125,674.86, und die Gefammt-Ausgaben
auf 8895,796,630.65; verblieb fomit am 1. Zuli 1863 eine Bi-
lan; von $5,329,044,21.— Bon den Einnahmen famen auf Zölle
$69,059,642.40; auf innere Revenuen $37,640,787.95 5; auf di-
vefte Taren $1,485,103.61; auf Ländereien $167,617.17; auf
verfchiedene Quellen $3,046,615.35 5; und auf Anlehen $776,682,-
361.575 woraus fich das Aggregat ergiebt von $901,125,674,86,
Bon den Ausgaben famen auf den Civildienſt $23,253,922,08;
auf Penfionen und Indianer $4,216,520.79;5 auf die Intereffen
der öffentlichen Schuld $24,729,846.51; auf das Kriegsdeparte-
ment $599,298,600,83 5; auf das Marine-Departement $63,211,-
105,27; auf die Bezahlung fundirter und temporärer Schulden
$181,086,635.07 5; woraus fich das Aggregat ergiebt von 8895,
796,630.65 und der Schablammer eine Bilanz verbleibt son
85,329,044. 21. — Die Zahlung fundirter und temporärer Schul-
den indeffen muß als rein nominelle Zahlung betrachtet werden,
da fie mit Geldern gemacht wurden, die während des Jahres ge—
borgt worden waren; desgleichen find die zu dDiefem Zwede erborg-
ten Gelder als rein nominelle Einnahmen zu betrachten; der
Betrag derfelben von $181,086,685.07 muß fomit von den Ein-
nahmen wie von den Ausgaben abgezogen werden, Und damit
Der achtunddreißigſte Congreß. 275
beliefen ſich die wirklichen Einnahmen auf 8720,089,039,79 und
die wirklichen Ausgaben auf $714,709,995,58; die Bilanz bliebe,
wie oben erwähnt,
„Die wirklichen Einnahmen und Ausgaben für das erfte Quar-
tal und die veranfchlagten Einnahmen und Ausgaben für die
übrigen drei Quartale des gegenwärtigen Siscaljahres 1864 wer—
den Sie im Detail aus dem Berichte des Schatzſekretärs erfehen,
auf den ich mir Ihre Aufmerkfamkeit zu lenken erlaube. Es ge-
nüge hier zu fagen, daß nach meinem Ermeffen die wirklichen
Refultate dem Lande den Zuftand der Finanzen nicht minder
günftig erfcheinen laffen werden, als die früher veröffentlichten
Aeftimate jenes Beamten; während ich mit Zuverfiht behaupten
darf, dag am Ende des Jahres ſowohl die Ausgaben, wie die
Schuld fich beträchtlich geringer ermeifen werden, als gewöhnlich
angenommen wird.
„Der Bericht des Kriegsfefretärs ift ein Dokument von großem
Intereſſe. Er enthält: |
„I. Die militärifchen Operationen während des Jahres, nach
dem Berichte des Ober-Generals.
„2. Die Organtfation farbiger Perfonen für den Kriegsdienft,
„3. Die Auswechslung der Gefangenen nach dem Briefe des
General Hitcheod.
„4. Die Operationen unter der Alte zum Enrolliren und Auf-
gebot der National-Truppen, nach dem Berichte des General—
Profog-Marfchalls.
„d+ Die Drganifation des Invaliden-Corps; und
„6. Die Operationen der verfchiedenen Departements des Ge-
neral-Duartiermeifters, des General-Commiffärs, des General-
Zahlmeifters, des Ingenieur-Chefs, des Ordinanz-Chefs und des
Seneral-Wundarztes,
„Es erwies ſich als unmöglich, einen werthvollen Auszug aus
diefem Berichte zu machen, ausgenommen einen ſolchen, der für
dieſe Botfchaft allzu umfangreich fein würde, und deshalb begnüge
ich mich damit, Ihre Aufmerkfamfeit auf den Bericht felbft zu
lenken.
„Die Pflichten, die während des Jahres und in der That wäh—
276 Das Leben Abraham Lincolns.
rend des ganzen unglüdfeligen Krieges dem Marinezweig des
Dienftes oblagen, wurden getreulich und höchft erfolgreich ausge—
übt, Die ausgedehnte Blodade hat ftets an Wirkſamkeit zuge»
nommen, und die Flotte wurde bedeutend vermehrt; dennoch war
es bei dem ungeheuren Umfang unferer Küfte unmöglich, den
ungeſetzlichen Handel gänzlich zu unterdrücken. Aus den im
Marinedepartement eingegangenen Berichten ergiebt es fich, daß
feit dem Beginne der Blodade mehr als eintaufend Schiffe einge»
fangen wurden, und daß der Werth der jetzt fchon zur Abur-
theilung eingefandten Prifen über dreizehn Millionen Dollars
beträgt.
„Die Marine-Force der Vereinigten Staaten befteht gegenmwär-
tig aus fünfhundert und adhtundadhtzig Schiffen, theils vollftändig,
theils der Vollendung nahe, und von diefen find fünfundfiebzig
Eiſen- oder Panzerſchiffe. Die Ereigniffe des Krieges geben der
Marine ein erhöhtes Intereffe und eine Bedeutung, die fie wahr-
fheinlich für immer behalten wird.
„Die Panzerfchiffe unferer Marine, die bereits vollendet und im
Dienfte find, oder fich im Contraft befinden und der Vollendung
entgegen ſehen, überfteigen an Zahl, wie ich glaube, die irgend
einer andern Nation, Während wir ung nun aber in Bezug auf
Hafenvertheidigung und Küftendienft auf diefe verlaffen dürfen,
werden andere von größerer Stärke und Capacität nothwendig
fein, um unfere Stellung auf dem Meere zu behaupten.
„Die Aenderung, die die Einführung des Dampfes als Beweg-
fraft für Kriegsfchiffe in den Marinefchiffen und im Marine-
Kriegsdienft bewirkt hat, verlangt entweder eine entfprechende
Aenderung unferer beftehenden Marine» Schiffsbauhöfe (Navy
Yards,) oder die Etablirung neuer, um die Erbauung und noth—
wendige Reparatur moderner Marinefchiffe zu erleichtern. Nicht
geringe Verzögerung, Berlegenheit und öffentlicher Nachtheil ent-
fprangen dem Mangel an folden RegierungssEtabliffements,
Die Nothwendigfeit eines ſolchen Schiffbauhofs an einem geeig-
neten Plage an der atlantifchen Seefüfte wurde dem Congreß
fhon zu wiederholten Malen vom Marinedepartement vorgeftellt
und wird in dem hier beifolgenden Berichte des Sekretärs auf's
Der achtunddreißigſte Congreß. 277
Neue Fhrer.ernftlihen Beachtung anempfohlen. Ich erachte es
für meine Pflicht, Ihre befondere Aufmerkfamfeit auf diefen Punkt
zu lenken, wie auch auf die Wichtigkeit der Etablirung einer Navy
Yard und eines Depots für Marinezwede an einem der weftlichen
Flüſſe. Innerhalb weniger als zwei Jahren wurde unter vielen
Schwierigkeiten auf diefen Inlandgewäſſern eine Marine-Force
gefchaffen, die an Anzahl die gefammte Seemacht des Landes beim
Beginn der gegenwärtigen Aominiftration überfteigt. So befrie-
Digend und wichtig die Thaten der heroifchen Männer unferer
Marine während Diefer intereffanten Periode waren, find fie kaum
mehr wunderbar, als die Erfolge unferer Mechaniker in der Pro-
duftion von Kriegsfchiffen, die im Marinedienft Epoche machten,
„Bir haben einen bedeutenden Vortheil vor andern Nationen
in unfern Reffourcen an Eifen und Bauholz, nebft unerfchöpflichen
Lagern von Brennmaterial in der unmittelbaren Nähe Beider,
und dies Alles in der Nachbarſchaft fchiffbarer Flüffe. Ohne den
Bortheil öffentlicher Anftalten wurden die Hilfsquellen der Nation
entwidelt und ihre Macht in der Schöpfung einer fo umfangreichen
Marine entfaltet, die faft im Augenblid ihres Entſtehens der
Union fo bedeutende Dienfte leiftete.
„Die Vermehrung der Anzahl von Seeleuten im öffentlichen
Dienfte von fiebentaufend fünfhundert Mann im Frühjahr 1861
bis zu ungefähr vierunddreißig Taufend im gegenwärtigen Au—
genblid gefhah ohne befondere Legislation oder außerordentliche
MWerbegelder (bounties) zur Beförderung diefes Zweckes. Es hat
fich indeffen herausgeftellt, daß die Operation der Eonfeription
nebft den hohen Summen son Werbegeldern, die den Armee-Re-
fruten ausbezahlt werden, bereits anfangen, einen fehr nachtheili«
gen Einfluß auf den Marinedienft auszuüben und, wenn dem
Mebelftande nicht abgeholfen wird, die Wirkfamfeit deffelben be—
deutend fchwächen werden, indem die Seeleute ihren geeigneten
Dienft verlaffen und fih für die Armee anmwerben laffen. Ich
fhlage daher vor, daß der Eongreß fowohl den Armee- wie den
Marinedienft durch eine befondere Beftimmung über diefen Ge-
genftand unterftüge und dadurch den fpeziell betheiligten Commu—
nen gerecht werde,
278 Das Leben Abraham Lincolns.
„Sch empfehle Ihrer Beachtung die Vorfchläge des Marinefe-
fretärs in Bezug auf die Politik der Heranbildung von Seeleuten,
fowte der Erziehung von Offizieren und Ingenieurs für den Ma—
rinedienſt. Die Marine-Akademie leiftet wichtige Dienfte, indem
fie Midſhipmen für die äußerft verantwortlichen Pflichten vorbe—
reitet, die fie fpäter in ihrem Leben zu verrichten haben. Damit
das Land der geeigneten Quota gebilveter Offiziere nicht beraubt
werde, wofür in der Marine-Afademie gefebliche Beftimmung ge—
troffen ward, wurden die durch Bernachläffigung oder Verſäumniß
der in Inſurrektion befindlichen Staaten verurfachten Bacanzen
durch den Marinefefretär ausgefüllt. Diefe Schule ift jebt zahl-
reicher und vollftändiger, als zu irgend einer früheren Periode,
und in jeder Hinficht zu der günftigen Berüdfichtigung feiteng des
Congreſſes berechtigt.
„Während des verfloffenen Fisfaljahres war der finanzielle Zu—
ftand des Poftamtdepartements ein äußerſt erfreulicher, und es ge-
reicht mir zum Vergnügen, fagen zu können, daß die wirklichen
Poftrevenuen beinahe die gefammten Ausgaben dedten. Lebtere
beliefen fich auf $11,314,206.84, und erftere auf $11,163,789.59;
verblieb fomit ein Defteit von nur $150,417.25. Im Jahr 1860,
dem der Rebellion unmittelbar vorhergehenden Jahre, betrug das
Defieit $5,656,705.49; die Pofteinnahmen jenes Jahres waren
$2,645,722,19 weniger als die von 1863. Die Abnahme in dem
jährlichen Transportbetrag feit 1860 machte nur etwa fünfund-
zwanzig Prozent aus, während die jährlichen Ausgaben um fünf«
unddreißig Prozent verringert wurden. Hieraus erhellt, daß das
Poftamtvepartement in wenig Jahren, felbft nach Wiederherftellung
des gefammten Dienftes, fich felbft zu erhalten im Stande fein wird.
„Die Quantität der während des lebten Fisfaljahres und des
erften Quartals des laufenden veräußerten Ländereien, mar
3,841,549 Ader, wovon 161,911 Ader gegen Baar verfauft,
1,456,514 Ader unter dem Heimftätte-Gefeg in Empfang genom-
men und der Reft weggegeben wurden nach den Gefeben, die Län—
dereien als „Bounties“ für Rekruten beftimmten, desgleichen für
Eifenbahnen und zu andern Zwecken. Auch der Berfauf öffent»
Ticher Ländereien feheint im Zunehmen begriffen zu fein,
Der achtunddreißigſte Congreß. | 279
„Es war feit langer Zeit die Anſicht mancher unferer meifeften
Staatömänner, das das Volk der Vereinigten Staaten ein höheres
und dauernderes Intereſſe an der frühen Anfievlung und fubftan-
tiellen Eultivation der öffentlichen Ländereien habe, als an dem
Betrag der direkten Nevenuen, die aus dem Verkauf derfelben er-
zielt würden, Diefe Anfichten hatten einen herrſchenden Einfluß
auf die Legislation in Betreff unferer National-Domänen. Als
Beleg hierzu erinnere ich nur an die liberalen Maßregeln, die hin-
fichtlich der wirklichen Anfievler adoptirt wurden; an die Schen-
tungen überfchwemmter Ländereien an Staaten innerhalb ihrer
Grenzen, damit diefelben troden gelegt und zur Eultivation faug-
lich gemacht werden möchten; an die Schenkungen von Landftrichen,
welche Eifenbahn-Eompagnien an den beabfichtigten Linien entlang
gewährt wurden, deren Vollendung die Communifation mit unfern
entfernten Befigungen fo ungemein erleichtern wird, und dergleichen
mehr. Diefe Politif wurde unlängft durch die Paffirung des Ge-
feßes, wodurch wirklichen Anfiedlern Heimftätten gefchenkt wurden,
auf das Nachdrücklichſte und Wohlthätigſte illuſtrirt. Seit dem 1,
Januar diefes Jahres wurden die obenerwähnten 1,456,414 Ader
Land unter den Beftimmungen diefes Gefebes in Befib genommen,
Diefe Thatſache und der Betrag der Verkäufe liefern einen erfreu-
lichen Beweis der zunehmenden Anfievlung der öffentlichen Lände—
reien, ungeachtet des riefigen Kampfes, der die Energie der Nation
in Anfpruch nimmt und eine fo große Anzahl unferer Bürger ihren
gewohnten Befchäftigungen entriffen hat.
„Die während Shrer legten Sitzung vorgefehenen Maßlegeln
zur Hinwegſchaffung gewiſſer Indianerftämme find zur Ausführung
gekommen. Berfchiedene Verträge find negotiirt worden, die zu ge—
eigneter Zeit dem Senat zur conftitutionellen Ratififation unter-
breitet werden follen. Diefelben enthalten Stipulationen zur Til-
gung des. Befitrechtes der Indianer auf große und werthoolfe
Landſtriche. Hoffentlich werden diefe Verträge zur Herftellung
dauernder frievlicher Beziehungen zu foldhen von jenen Stämmen
führen, die häufig in blutige Collifion mit unfern entfernten An-
fiedlern und Emigranten geriethen. ine weiſe Politif, ſowie un-
fere gebieterifche Pflicht gegen diefe Schugbefohlenen der Regierung
280 Das Leben Abraham Lincolns.
erfordern unfere ernfte und beftändige Sorge für ihr materielles
Wohl, ihren Fortſchritt in den Künften der Civilifation und vor
Allem die moralifche Heranbildung, die ihnen unter dem Segen der
göttlihen Vorfehung den erhabenen und heiligenden Einfluß der
Hoffnungen und Tröftungen des chriftlichen Glaubens gewähren
wird,
„Als fich der Kongreß im vorigen Jahre verfammelte, hatte der
Krieg ſchon nahezu zwanzig Monate gedauert und viele Kämpfe
hatten zu Land und zur See mit verfchiedenem Erfolge flattgefun-
den. Die Rebellion war in engere Grenzen zufammengedrängt
worden; dennoch aber war der Ton der öffentlichen Stimmung bier
und im Auslande keineswegs befriedigend, Die damals eben be-
endigten Bollswahlen deuteten auf Unruhen unter ung ſelbſt; wäh-
rend außer manchem Falten und drohenden Hohn felbft die freund-
lichten Worte, die von Europa zu uns herüberfamen, in Tönen
des Mitleids bedauerten, daß wir zu blind wären, eine hoffnungs-
Iofe Sache aufzugeben. Unfer Handel wurde fehr benachtheiligt
durch einige bewaffnete Schiffe, diesin fremden Häfen gebaut und
ausgerüftet wurden, und außerdem war uns von demfelben BVier-
tel eine Vermehrung jener bewaffneten Schiffe angedroht worden,
‚die unfern Handel von der See fegen und die Blodade heben follte,
Es war uns nicht gelungen, über diefen Gegenftand auch nur die
gerinfte Genugthuung von den europäifchen Nationen zu erhalten,
Die im September erlaffene vorläufige Emaneipationg-Proflama=
tion lief ihre beftimmte Periode bis zum neuen Jahre, Einen Mo-
nat fpäter kam die Proflamation, welche unter Anderem anfündigte,
daß taugliche Farbige zum SKriegsdienft verwendet werden ſollten.
Die Politif der Emarcipation und der Verwendung ſchwarzer Sol—
daten verlieh der Zukunft eine neue Geftaltung, worüber Hoffnung,
Furcht und Zweifel um die Oberhand ftritten. Unferem politifchen
Spfteme gemäß hatte die Oeneralregierung feine gefebliche Macht,
als eine Angelegenheit der Eivil-Adminiftration die Emancipation
in irgend einem Staate in Ausführung zu bringen, und lange hatte
man fi der Hoffnung hingegeben, daß die Rebellion unter-
drüdt werden könnte, ohne diefelbe als militärifche Maßregel in
Anfpruch zu nehmen. Dennoch hielt man es für möglich, daß die
Der achtunddreißigſte Congreß. 281
Nothwendigfeit fommen könnte, und glaubte, daß, wenn fie Füme,
die Krifis des Kampfes mit ihr kommen würde, Gie fam und—
wie man vermuthet hatte—brachte fie dunkle und zweifelhafte Tage
mit fich im Gefolge. Jetzt, da elf Monate darüber verftrichen find,
dürfen wir abermals eine Prüfung vornehmen, Die Rebellen-
grenzen find noch enger zufammengefchrumpft, und durch die Eröff-
nung des Miffiffippi wurde das von den Inſurgenten dominirte
Land in zwei getrennte Theile gefchnitten, denen Fein praftifcher
Communikationsweg übrig bleibt. Tenneſſee und Arkanfas wur—
den von den Rebellen gefäubert, und in jedem diefer Staaten er-
flärten fich einflußreiche Bürger, die beim Beginn der Rebellion
Eigner von Sklaven und Bertheidiger der Sklaverei waren, offen
für die Emancipation in ihren Staaten, Bon den nicht in der
Emaneipationd- Proclamation eingefchloffenen Staaten zögerten
Maryland und Miffouri—die beide vor drei Jahren fein Hinder-
niß für Die Ausbreitung der Sklaverei in die neuen Territorien
dulden wollten—jetzt nur noch über die befte Art, fie aus ihren
Grenzen zu entfernen,
„Bon Denjenigen, die zu Anfang der Rebellion Sklaven waren,
find jest mehr als einhunderttaufend Mann im Militärdienft der
Bereinigten Staaten, und die Hälfte von diefer Anzahl fteht wirklich
bewaffnet im Felde. Dies giebt uns den doppelten Vortheil, daß
wir die Inſurgenten der Arbeit diefer Perfonen berauben, und daß
wir mit denfelben die Pläbe ausfüllen, die fonft durch weiße Män-
ner ausgefüllt werden müßten, So weit fie fich bis jetzt erprobt
haben, läßt es fich kaum fagen, daß fie nicht ebenso gute Soldaten
machen wie die andern. Kein Aufftand, Fein Alt der Gewaltthä—
tigfeit oder Graufamfeit entfprang aus den Maßregeln der Eman-
eipation und Bewaffnung der Schwarzen, - Diefe Maßregeln wur-
den im Auslande viel befprochen und die öffentliche Stimmung
darüber fcheint fehr günftig zu fein. Im unferem eigenen Lande
wurden diefelben Maßregeln ausführlich befprochen, unterftüßt,
Fritifirt und verdammt, und die darauf erfolgten jährlichen Wahlen
waren fehr ermuthigend für Diejenigen, deren vffizielle Pflicht es
ift, diefes Land durch die große Prüfung hindurchzuführen. Auf
282 Das Leben Abraham Lincolns.
diefe Weife alfo beginnen wir die neue Rechnung, Die Krifis,
welche die Freunde der Union zu fpalten bedrohte, ift vorüber,
„Sn Anbetracht der Gegenwart und Zukunft und mit Rüdficht
auf die Wiederherftellung der National-Autorität innerhalb der
Staaten, wo diefe Autorität fufpendirt gewefen, hielt ich es für an—
gemeffen, eine Proflamation zu erlaffen, von der eine Copie hier
beifolgt. Eine Unterfuchung diefer Proflamation wird, hoffe ich,
darthun, dag Nichts verfucht wurde, mas nicht reichlich Durch die
Eonftitution gerechtfertigt tft. Allerdings tft die Form eines Eides
vorgefchrieben worden; allein fein Menfch ift gezwungen, venfelben
zu leiften. Es wird bloß einem Manne Begnadigung verfprochen
für den Fall, daß er den Eid freiwillig leiftet. Die Conftitution
autorifirt die Erefutive, nach ihrem eigenen abfoluten Belieben die
Degnadigung zu gewähren oder zu verfagen, und dies fchlieft na-
türlich die Macht in fich, Die Begnadigung auf Bedingungen hin
zu gewähren, wie es Durch richterliche und andere Autoritäten zur
Genüge dargethan wird,
„Deögleichen enthielt die Proflamation das Berfprechen, daß
wenn in irgend einem der genannten Staaten eine Staatsregie-
rung nach der vorgefchriebenen Weife etablirt werden follte, die
Dereinigten Staaten folche Regierung anerkennen und garantiren
würden, und daß folder Staat auf die conftitutionellen Bedin-
gungen gegen Invafion und innere Gemaltthätigfeit Schub er-
halten folle. Die conftitutionelle Verpflichtung der Vereinigten
Staaten, jedem Staate in der Union eine republifanifche Regie-
rungsform zu garantiren und den Staat in den erwähnten Fällen
zu befchügen, ift Har und deutlich. Warum aber follten wir die
Wohlthaten diefer Beftimmung nur einer auf dieſe befondere Art
errichteten Staatsregierung zu Theil werden lafjen? Diefer Para-
graph der Eonftitution fest einen Fall voraus, wo das in einem
Staate einer republifanifchen Regierung günftige Element zu
ſchwach fein mag einem entgegengefebten und feindlichen Elemente
außerhalb oder felbft innerhalb des Staates gegenüber; und derart
ift gerade der Fall, mit dem wir es zu thun haben.
„Ein Berfuch, eine wieder in's Leben getretene Staatsregierung
zu garantiren und beſchützen, die ganz oder überwiegend aus den-
Der adytunddreißigfte Congreß. 283
felben Elementen zufammengefebt ift, gegen deren Yeindfeligfeit
und Gewalt fie beſchützt werden fol, wäre geradehin abfurd. Es
muß eine Probe ftattfinden, durch welche die feindlichen Elemente
gefchieden werden, fo daß nur auf die gefunden Elemente gebaut
werde; und jene Probe ift liberal genug, die als gefund annimmt,
was fich zu einer befchworenen Abwerfung feiner früheren Unge—
fundheit verftehen will,
„Denn e8 nun aber angemeffen tft, als Probe für die Zulaf-
fung zu einem politifchen Körper einen Eid der Treue gegen die
Eonftitution der Vereinigten Staaten und gegen die Union unter
derfelben vorzufchreiben, weshalb denn auch gegen die Geſetze und
Proflamation in Betreff der Sklaverei? Jene Gefebe und Pro-
Hamationen wurden erlaffen, um bei der Unterdrüdung der Re—
bellion behilflich zu fein. Um ihnen solle Wirkfamfeit zu ver-
fchaffen, bedurfte eg eines Pfanves zu ihrer Erhaltung. Meines
Erachtens haben fie der Sache genügt, für welche fie beftimmt
waren, und werden ihr auch ferner nützen. Sie jebt aufgeben,
biege nicht nur einen Hebel der Macht aufgeben, fondern wäre zu
gleicher Zeit ein graufamer und entſetzlicher Treubruch. Sch darf
bier hinzufügen, daß ich, fo lange ich in meiner gegenwärtigen
Stellung verharre, feinen Berfuch machen werde, die Emancipa-
tiong-Proflamation zurüdzunehmen oder zu modificiren; ebenfo
wenig werde ich irgend eine Perfon, die Durch jene Proflamation
oder irgend eine der Congreßakten frei wurde, wieder der Sklave—
rei überantworten, Aus diefen und andern Gründen halte ich
e3 für das Befte, daß die Unterftügung dieſer Maßregeln jenem
Eide einverleibt werde; und ich glaube, daß ich ſie geſetzlich for—
dern darf als Bedingung für die Begnadigung und Wiederein—
ſetzung in die verfallenen Rechte, — eine Milde, die ich laut der
Conſtitution ganz und gar verſagen, oder auf Bedingungen hin
gewähren kann, wie ſie mir für das öffentliche Intereſſe am weiſe—
ſten erſcheinen. Auch iſt nicht zu vergeſſen, daß dieſer Theil des
Eides der Modifications- und Abrogationsgewalt des Congreſſes,
ſowie der oberbundesgerichtlichen Entſcheidung unterworfen iſt.
„Die verſprochene Einwilligung der National-Executive zu
irgend einem billigen Staats-Arrangement für die befreiten Far—
284 Das Leben Abraham Lincolns.
bigen wurde eingefchaltet, um möglichermweife der Verwirrung und
dem Mangel Abhilfe zu leiften, die nothwendigermweife bei einer
radikalen Revolution in dem Arbeitsfyftem ganzer Staaten alle*
Klaſſen betreffen müffen. Ich hoffe, daß das ſchon allzufehr lei—
dende Volk jener Staaten fich etwas bereitwilliger zeigen wird,
die Urfache feines Leidens aufzugeben, wenn die Lebensfrage ihm
felbft überlaffen wird, Die Macht der National-Erefutive, irgend
einem Mißbrauch zu fteuern, wird durch diefen Vorſchlag keines⸗
wegs verfümmert.
„Der in der Proflamation enthaltene Rath zur Beibehaltung
des politifchen Gerüſtes der Staaten bei der fogenannten Recon
ftruftion wurde in der Hoffnung gegeben, daß er Gutes wirfen
möge, ohne die Gefahr eines Nachtheils mit fich zu führen, Er
würde Zeit fparen und großer Verwirrung vorbeugen.
„Weshalb aber irgend eine Proflamation zu diefer Zeit über
den Gegenftand? Um diefe Frage drängen fich die widerftreben-
den Anfichten, daß der Schritt zu lange verzögert oder zu früh
gethban werden könnte. In einigen Staaten feheinen die Ele—
mente zum Beginne der Reconftruftion bereit zu fein, bleiben aber
unthätig, anfcheinend aus Mangel an einem Mittelpunkt —einem
Plan zum Handeln. Warum follte A den Plan des B adoptiren
und nicht B den Plan des A? Und follten ih A und B über
einen Plan verftändigen, wie fünnen fie wiffen, ob die General-
regierung denfelben nicht verwerfen wird? Durch die Proklama—
tion wurde ein Plan vorgefchlagen, den fie alle als Mittelpunkt
annehmen können, und von dem fie im Voraus wiffen, daß er
nicht verworfen werden würde. Dies brächte fie eher zum Han—
deln als irgend etwas Anderes,
„Der Einwurf gegen die voreilige Anempfehlung eines Planes
durch die National-Erefutive befteht darin, dag dadurd Punkte
berührt würden, die man mit größerer Sicherheit der ferneren
Entwidelung überlaffen fünnte, Sch ließ es mir indeffen ange-
legen fein, das Dofument fo zu geftalten, damit Berlegenheiten
aus dieſer Duelle vermieden würden. Wenn ich fagte, daß auf
gewiffe Bedingungen hin gewiffe Klaffen begnadigt und wieder in
ihre Rechte eingefegt werden follen, fo ift damit keineswegs ge—
Der achtunddreißigſte Congref. 285
fagt, daß niemals andere Bedingungen oder andere Klaffen ein-
gefchloffen werden follten, Wenn id) fagte, Daß die Reconftruf-
*tion, wenn nach einem fpezififchen Plane ausgeführt, angenom-
men werde, fo ift Damit nicht gefagt, daß fie nie auf einen andern
Plan hin Annahme finden würde,
„Die nicht in der Emanecipationg-Proflamation eingefchloffenen
Bewegungen einiger Staaten zur Emancipation durch Handeln
des Staates, find höchſt erfreuliche Umftände, Während ich hier
nicht im Detail wiederholen will, was ich fo oft und fo dringend
über diefen Gegenftand anempfohlen habe, will ich nur fo viel
fagen, daß meine Anfichten und Gefinnungen unverändert blei-
benz; und ich hoffe, daß der Congreß feine günftige Gelegenheit
verfäumen wird, diefe nöthigen Schritte zur großen Vollendung
zu bringen,
„Inmitten anderer Dinge, wie wichtig Diefelben auch fein mö—
gen, müffen wir die Thatfache nicht außer Acht Iaffen, daß die
Kriegsmacht noch immer unfere Hauptflüße iſt. Diefer Macht
müffen wir alle unfere Sorgfalt widmen, um dem Volfe der be-
ftrittenen Regionen Vertrauen einzuflößen, daß es nicht wieder
von der Infurgentenmacht unterbrüdt werden fol. Bis wir die-
fes Vertrauen befeftigt haben, fünnen wir wenig für Reconftruf-
tion thun. Deshalb muß unfere größte Sorgfalt nach wie vor
der Armee und Marine gefchenkt werden, die ihren Theil — den
Haupttheil — der Arbeit fo tapfer und fo wohl verrichtet haben.
Und es darf als ein Glück betrachtet werden, daß wir, indem wir
diefen unumgänglich nothwendigen Mitteln die größte Wirkfam-
feit geben, zugleich den tapfern Männern vom Befehlshaber big
zur Schildwache herab, ehrenvolle Anerkennung zu Theil werden
laffen ; denn ihnen verdankt die Welt mehr als allen Andern die
Rettung, Wiedergeburt und Berewigung des Landes des Freiheit.
Dezember 8, 1863, Abraham Sincoln,”
Am 26. März 1864 erfchien folgende Proffamation als Er-
Härung zu der am 8. Dezember 1863 erlaffenen :
„Sintemalen es nothwendig geworden ift, die Falle zu de—
finiren, in welchen Infurgenten zu den Wohlthaten der vom Prä-
286 Das Leben Abraham Lincolns.
fiventen der Bereinigten Staaten am 8. Dezember 1863 erlaffenen
Proflamation berechtigt find, fowie auch Die Art und Weife, wie fie
zu verfahren haben, um diefer Wohlthaten theilhaftig zu werden;
„Und fintemalen der Zwed jener Proflamation war, Die
Snfurreftion zu unterdrüden und die Autgrität der Vereinigten
Staaten wiederherzuftellen ;
„And fintemalen die darin vom Präfidenten angebotene
Amneſtie fich einzig und allein auf jene Zwede bezog:
„Deshalb proflamire und erkläre ih, Abraham Lincoln,
Präafivent der Vereinigten Staaten, daß befagte Proflamation fich
nicht auf die Fälle der Perfonen bezieht, welche zur Zeit, wann fie
die Wohlthaten derfelben zu erhalten fuchen, indem fie den darin
vorgefchriebenen Eid leiften, fich in militärifcher, Marine- oder
Civilhaft befinden, oder unter Bürgfchaft oder Parole der Eivil-,
Militär oder Marinebehörden oder Agenten der Bereinigten
Staaten als Kriegsgefangene oder Perfonen, die wegen irgend
eines Vergehens vor oder nach der Heberführung in Haft gehalten
werden; Daß fie fih im Gegentheil nur auf ſolche Perfonen be=
zieht, die frei von Haft oder Einkerferung aus eigenem Antrieb
lommen, und befagten Eid leiſten werden, mit der Abficht, den
Frieden und die National-Autorität mwiederherzuftellen.
„perfonen, die in befagter Proflamation von der Amneftie aus—
gefhloffen find, können fich gleich allen andern Berbrechern an
den Präfidenten um Milde wenden, und ihr Gefuch wird gebüh-
rende Erwägung erhalten,
„Ferner erkläre und proflamire ich, daß der in befagter Pro-
klamation vom 8. Dezember 1863 vorgefchriebene Eid vor irgend
einem commandirenden Offizier im Militär- oder Marinedienft,
oder vor irgend einem Livilbeamten im Dienft der Vereinigten
Staaten geleiftet und unterzeichnet werden kann; desgleichen vor
irgend einem Civilbeamten oder Militär-Commandanten irgend
eines nicht in Inſurrektion befindlichen Staates oder Territo-
riums, der nach den dortigen Geſetzen qualifieirt ift, Eide abzu-
nehmen.
„Ale Beamten und Offiziere, die ſolche Eide abnehmen, find
hiermit autorifirt, den Perfonen, von welchen dieſelben geleiftet
Fortſchritt. 287
wurden, Gertififate Darüber zu geben, und werden folde Beamte
hiermit aufgefordert, die Driginalurfunden folder Eide möglichft
bald dem Staatsdepartement zu überfenden, wo diefelben in den
Archiven der Regierung deponirt und aufbewahrt werden follen.
„Der Staatsfefretär wird ein Negifter darüber führen und in
geeigneten Fällen auf Anfuchen Certififate folcher Urkunden in
der gewöhnlichen Form amtlicher Eertififate ausſtellen.
„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington, am ſechsundzwanzigſten
Tage des Monats März, im Jahre unferes Herrn eintaufend acht-
hundert und vierundfechzig, und im achtundachtzigften der Unab—
hängigfeit der Vereinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Fincoln
„William 9 Seward, Staatsſekretär.“
Achtzehntes Kapitel.
Fortſchritt.
Rede des Präfidenten zu Waſhington — Anrede an eine New Yorker Com-
mittee — Rede in Baltimore — Brief an einen Kentuckyer — Verwendung
farbiger Truppen — Beff. Davis’ Drohung — General-Nrdre — Nrdre
des Präfidenten.
Auf Anfuchen der Menge, die fich bei der in der Patent-Dffice zu
Waſhington abgehaltenen Ausftelung zur Unterftügung der
Union-Soldaten eingefunden hatte, hielt Präfident Lincoln am
Abend des 18. März 1864 folgende kurze Anrede:
„Seine Damen und Herren: — Ich erfiheine vor Ihnen, um
einige wenige Worte zu fagen. Diefer außerordentliche Krieg, in
welchem wir begriffen find, fallt ſchwer auf ſämmtliche Volksklaſ—
ſen, am ſchwerſten aber auf den Soldaten. Es ftehet gefchrieben :
„Alles, was ein Menſch hat, wird er für fein Leben geben;“ wäh-
288 Das Leben Abraham Lincolns.
rend nun aber Ale aus ihrem Vermögen beifteuern, ſetzt der
Soldat fein Leben aufs Spiel und opfert es gar oft feinem
Lande. Dem Soldaten gebührt daher die erfte und höchſte Aner-
fennung.
„Sn diefem außerordentlichen Kriege haben fich außerordentliche
Dinge entwidelt, wie fie in früheren Kriegen nie gefehen wurden,
und unter diefen Dingen gab es nichts Merfwürdigeres, als dieſe
Ausftellungen zur Unterftüsung leidender Soldaten und ihrer
Familien. Und die thätigften Agenten bei dieſen Ausftellungen
find die Frauen von Amerifa. Sch bin der Schmeicheleien und
Lobreden unfundigz ich habe nie die Kunft fludirt, dem weiblichen
Geſchlechte Huldigungen darzubringen; allein fo viel will ich ſa—
gen, daß, wenn Alles, was feit der Schöpfung der Welt von
Dichtern und Rednern zum Lobe des MWeibes gefagt wurde, auf
die Frauen von Amerika angewendet wird, es ihrem Benehmen
während des Krieges nur ſchwache Oerechtigfeit widerfahren läßt,
Gott fegne die Frauen von Amerika !“
Drei Tage fpäter wartete eine von der demofratifch-republifa-
nifchen Arbeiter-Affociation zu New York ernannte Committee dem
Präfiventen auf und präfentirte ihm eine Adreffe, in welcher er
benachrichtigt wurde, Daß er zum Mitglied jener Organifation er-
nannt worden fei. Nachdem der Borfiger der Committee den Zweck
des Beſuches angegeben hatte, erwiederte Präfident Lincoln, wie
folgt:
„Meine Herren von der Committee: — Ich nehme die mir
gütigft angebotene Ehrenmitglienfchaft Ihrer Affoctation dankbar
an. Sie begreifen, wie Ihre Adreffe zeigt, daß die gegenwärtige
"Rebellion mehr bezweckt, als die bloße Verewigung der afrikani—
fhen Sklaverei — daß fie in Wirklichkeit ein Krieg gegen die
Rechte der ganzen arbeitenden Klaffe ift. Theils um Ihnen zu
bemeifen, daß diefer Zwed meiner Aufmerkſamkeit nicht entgangen
ift, theils weil ich meinen Geſinnungen feinen beffern Ausdrud zu
geben vermag, will ich Ihnen eine Stelle aus meiner Botfchaft
an den Congreß im Dezember 1861 vorlefen:
„„Es ftellt fich immer deutlicher heraus, daß die Inſurrektion
Fortſchritt. 289
großentheils, wenn nicht ausfchlieglich, ein Krieg gegen das
Hauptprinzip der volksthümlichen Negierung — die Rechte des
Volkes — ift. Der fohlagende Beweis hiervon findet fich in den
ernften und reiflich überlegten Dokumenten, wie überhaupt in dem
Zon der Inſurgenten. Wir finden in dieſen Dokumenten die
Verkürzung des beftehenden Stimmrechtes und die Beraubung des
Volkes um allen Antheil an der Wahl der öffentlichen Beamten,
mit Ausnahme der Legislative, kühn vertheidigt mit fpisfindigen
Argumenten, um zu beweifen, daß eine zu große Eontrollirung der
Regierung feitens des Volkes die Quelle aller politifchen Uebel fei.
Selbft die Monarchie wird hie und da als eine mögliche Zuflucht
vor der Macht des Volkes angedeutet.
„„In meiner gegenwärtigen Stellung wäre es faum zu recht-
fertigen, wenn ich unterließe, meine Warnungsftimme gegen dieſe
Annäherung zum wiederkehrenden Defpotismug zu erheben.
„„Es tft weder nothwendig noch paffend, daß ich mich hier auf
ein allgemeines Argument zu Gunften volfsthümlicher Snftitutio-
nen einlaffe; auf einen Punkt jedoch, der noch nicht fo abgedro—
ſchen ift, wie die meiften andern, erlaube ich mir in Kürze hinzu—
weifen. Es ift das Bemühen, im Bau der Regierung das
Kapital auf gleichen Fuß mit der Arbeit, wenn nicht über
diefelbe, zu ftellen. Es wird behauptet, daß die Arbeit nur in
Derbindung mit dem Kapital von Bortheil fei — daß Niemand
arbeite, wenn nicht Jemand anders, der Kapital befite, ihn auf
irgend eine Art durch die Anwendung defjelben zu arbeiten ver-
anlaffe. Nach diefer Behauptung kommt zunächft die Frage, ob
es am beiten fei, daß das Kapital die Arbeiter dinge und fie fo
seranlaffe, aus freiem Willen zu arbeiten, oder dieſelben faufe
und fie ohne ihren Willen zur Arbeit treibe. Someit angelangt,
folgt der Schluß von felbft, daß alle Arbeiter entweder gedun-
gene Arbeiter oder Sklaven find. Weiter wird dann behaup-
tet, daß Jeder, der einmal ein gedungener Arbeiter ift, fein Leben
lang in diefem Zuftand verbleibe.
„„Es befteht indeffen feine folche Beziehung zwifchen dem Ka—
pital und der Arbeit, wie behauptet wird; noch eriftirt irgend ein
— daß ein freier Mann ſein Leben lang in dem
290 Das Leben Abraham Lincolne.
Zuftande eines gedungenen Arbeiters verbleiben müſſe. Beide
Behauptungen find falfch, mithin alle davon abgeleiteten Schlüffe
grundlos.
„„Die Arbeit geht dem Kapital vor und iſt unabhängig von
demſelben. Das Kapital iſt nur die Frucht der Arbeit und könnte
nie exiſtirt haben, wenn die Arbeit nicht zuerſt exiſtirt hätte. Die
Arbeit ſteht über dem Kapital und verdient bei weitem mehr Ach—
tung. Das Kapital hat ſeine Rechte, die des Schutzes ſo würdig
ſind, wie alle andern Rechte. Auch wird Niemand leugnen, daß
eine Beziehung zwiſchen der Arbeit und dem Kapital beſteht, und
ftets beftanden hat, der gegenſeitige Vortheile entſpringen. Der
Irrthum befteht nur in der Behauptung, daß alle Arbeit innerhalb
diefer Wechfelbeziehung beruhe. Einige Wenige eignen Kapital
und diefe Wenige arbeiten nicht felbft, fondern Dingen oder faufen
mit ihrem Kapital Andere, die fie für fich arbeiten laffen. Die
große Majorität aber gehört zu feiner der beiden Klaffen — fie
arbeitet weder für Andere, noch läßt fie Andere für fich arbeiten.
In den. meiften füplichen Staaten befteht eine Majorität des gan—
zen Bolfes weder aus Sklaven, noch aus Meiftern; während in
den nördlichen Staaten eine große Majorität weder aus Miethern,
nod aus Miethlingen beftehbt. Männer mit ihren Familien —
Frauen, Söhnen, Töchtern — arbeiten für fich felbft auf ihren
Farmen, in ihren Hänfern und ihren Werfftätten; genießen die
Frucht ihrer Arbeit felbft und betteln weder um die Gunft des
Kapitals einerfeits, noch um die Gunft gedungener Arbeiter over
Sklaven andererfeits. Dabei ift nicht zu vergeffen, daß eine be—
trächtliche Anzahl Perfonen ihre eigene Arbeit mit Kapital verei—
nigen — das heißt, fie arbeiten mit ihren eigenen Händen und
faufen oder Dingen zu gleicher Zeit Andere, die für fie zu arbeiten
haben. Dies ift jedoch nur eine vermifchte und nicht eine gefon-
derte Klaffe. Kein hier angegebenes Prinzip wird Durch die
Eriftenz diefer gemifchten Klaffe beeinträchtigt.
„„Ich wiederhole nun, daß der freie gedungene Arbeiter nicht
nothwendigermweife fein ganzes Leben in dieſem Zuftande verblei-
ben muß. Es giebt allenthalben in diefen Staaten viele unab-
Fortſchritt. 291
hängige Männer, die vor wenigen Jahren noch gedungene Arbeiter
waren.
„„Der arme, aber kluge Anfänger in der Welt arbeitet eine Zeit
lang für Lohn, erübrigt ſich eine Summe, mit der er ſich ſeine eige—
nen Werkzeuge oder ſein eigenes Land kauft; dann arbeitet er eine
Zeit lang auf eigene Rechnung und am Ende dingt er einen andern
Anfänger in der Welt, der ihm bei ſeiner Arbeit helfe. Dies iſt
das gerechte, das großherzige, das gedeihliche Syſtem, das Allen den
Weg öffnet, Allen Hoffnung und damit auch Energie, Fortſchritt
und Verbeſſerung ihres Zuſtandes verleiht. Kein lebender Menſch
iſt vertrauenswürdiger, als Derjenige, der ſich aus der Armuth em—
porarbeitet — keiner weniger geneigt, Etwas zu nehmen oder zu
berühren, was er ſich nicht ehrlich erworben hat. Möge dieſe Klaſſe
ſich hüten, irgend eine politiſche Macht aufzugeben, die ſie beſitzt,
und deren Aufgeben ſicherlich benutzt werden wird, ihnen und ih—
resgleichen das Thor zum Fortſchritt zu verſchließen und ihnen neue
Schwierigkeiten und Laſten aufzubürden, bis endlich alle Freiheit
verloren iſt.““
„Dieſe Anſichten hege ich unverändert heute noch und habe den—
ſelben nicht viel Neues hinzuzufügen. Keine Volksklaſſe hat ein ſo
tiefes Intereſſe an der Unterdrückung der gegenwärtigen Rebellion,
wie die Klaffe der Arbeiter. Mögen diefe fih vor allen Borurtheiz .
len bewahren, die Uneinigfeit und Feindfchaft in ihren eigenen
Reihen erzeugen. Das merfwürdigfte Ereigniß während des Auf-
ruhrs in Ihrer Stadt legten Sommer war das Aufhängen einiger
Arbeiter durch andere Arbeiter. Dies follte nie vorfommen. Das
ftärkite Band menschlicher Sympathien follte, nächft dem der Fami—
lienbande, die Vereinigung fümmtlicher Arbeiter aller Nationen
und Zungen fein. Auch follte dies zu feinem Krieg gegen das Ei-
genthum oder die Befiger von Eigenthum führen. Das Eigenthum
ift die Frucht der Arbeitz es ift ein wünfchenswerthes Ding; es ift
ein pofitives Gut in der Welt. Der Umftand, daß Einige reich
find, zeigt, daß Andere reich werden fünnen und ijt daher eine
gerechte Ermuthigung der Indufirie und des Unternehmungsgeiftes.
Laßt Keinen, der hauslos ift, das Haus eines Andern niederreißen,
fondern laßt ihn emfig arbeiten und fich felbft eines bauen und fi
292 Das Leben Abraham Lincolns.
damit durch fein eigenes Beifpiel Sicherheit verfchaffen, daß fein
Haus, wenn e3 gebaut ift, vor Gemwaltthätigfeit verfchont bleiben
fol.“
Sn Baltimore — jenem Baltimore, durch welches er im Februar
1861 heimlich durchzufchleichen gezwungen war, um auf feinem
Wege zur Inauguration den Meuchelmördern zu entgehen —
ſprach Präfident Lincoln bet einer ähnlichen Ausftellung, wie der zu
Waſhington am 13, April 1864, am Borabend des Jahrestages
der Ermordung Ioyaler Bürger, die zur Bertheidigung der bedroh—
ten Bundeshauptftadt herbeieilten, “ Er fpielte auf die Sklaverei,
als ein in Maryland praftifch vernichtetes Inſtitut an.
Wahrlich, das Land hatte Fortfchritte gemacht während jener er-
eignißſchwangern drei Jahre!
Folgendes ift der Inhalt feiner im Maryland-Inftitut gehaltenen
Rede:
„Seine Damen und Herren: — Wenn wir bedenten, daß wir
uns in Baltimore befinden, fo fünnen wir nicht umhin, zu bemer-
fen, daß Die Welt fich wirklich bewegt. Indem ich auf Die vielen
Perfonen blide, die ich hier verfammelt fehe, um nach ihren beften
Kräften den Streitern der Union zu helfen, fällt eg mir bei, daß vor
drei Fahren diefe Streiter nicht durch Baltimore paffiren fonnten,
Gott fegne die Männer, die dieſen Wechfel bewirkten, und die
Frauen, die ihnen dabei halfen. Der Wechfel, der in der Stadt
Baltimore ftattgefunden hat, ift ein Theil nur eines weit größeren
MWechfels, der im ganzen weiten Lande vor fich geht.
„Bor drei Fahren, als der Krieg begann, hätte Niemand gedacht,
daß er fo lange dauern würde, und Niemand hätte vermuthet, daß
er eine materielle Wirkung auf das Inſtitut der Sklaverei ausüben
fönnte, Allein bier find wir. Der Krieg ift noch nicht zu Ende,
und die Sklaverei hat einen bedeutenden Stoß erhalten, Wahr-
Lich, der Menfch denkt und Gott Ienft!
Der Welt mangelt e8 an einer guten Definition des Wortes
„Freiheit.“ Wir erklären uns Alle für die Freiheit, allein wir ver—
ftehen nicht Alle dafjelbe Ding darunter, Einige glauben, die Frei-
beit beftehe darin, daß ein Menfch mit fich felbft und mit feinem
Fortſchritt. 293
Eigenthum thun könne, was er wolle. Bei Andern bedeutet fie fo
viel, Daß ein Menfch nach Belieben über andere Menfchen und
deren Arbeit verfügen dürfe, Jedes von dieſen Dingen wird Frei-
heit genannt, obfchon beide ganz und gar von einander verfchieden
find. Es fei mir geftattet, einen bildlichen Fall anzuführen: Ein
Schäfer rettet ein Schaf aus dem Rachen des Wolfes; das Schaf
ift dem Schäfer natürlich für die Rettung feines Lebens dankbar;
der Wolf aber ſchmäht ihn, daß er dem Schafe feine Freiheit
raube— namentlich wenn es ein fehwarzes Schaf iſt.
„Die nämliche Meinungsverfchiedenheit herrfcht unter einem
Theil des nördlichen Volfes, Das Volk von Maryland aber hat
vor Kurzem Etwas gethan, um die Bedeutung des Wortes richtig
zu definiren, und ich danke ihm von Grund meines Herzens für
das, was e8 gethan hat und noch thut.
„Es geziemt fich nicht für einen Präfiventen, eine lange Rede zu
halten, allein es ift ein peinliches Gerücht im Umlauf, über welches
ich einige Worte zu fprechen wünfche, Es wird berichtet, daß eine
graufame Mebelei einiger Hunderte farbiger Truppen zu Fort Pil-
low, Tennefjee, während eines fürzlich dort ftattgehabten Kampfes
sorgefommen fei, und es geziemt fich, einige Thatfachen in Bezug
auf diefe Angelegenheit zu erflären. Manche Perfonen find der
Anficht, daß die Regierung ihre Pflicht in diefer Sache nicht gethan
habe. Zu Anfang des Krieges war es zweifelhaft, ob farbige Män-
ner als Soldaten verwendet werden würden oder nicht, Die Sache
wurde forgfältig erwogen, und nach reiflicher Meberlegung gelangte
ich zu dem Entfchluffe, fie zum Kriegsdienft zu verwenden.
„Ich war für diefe Handlung dem amerifanifchen Volke, einer
hriftlichen Nation, den künftigen Gefchichtsfchreibern, vor Allem
aber meinem Gotte verantwortlich, dem ich eines Tages von mei—
nen Thaten Rechenfchaft abzulegen habe, ch will jest nur fo viel
fagen, daß meiner Anficht nach der ſchwarze Soldat zu demfelben
Schutze berechtigt ift, wie der weiße, und daß er ihn erhalten foll.
Diejenigen befanden ſich im Irrthum, welche fagten, daß die Re-
gierung ihre Pflicht in der Sache vernacdhläffige. Die Negierung
ift bis jest noch nicht im Befiß direkter Beweife in Bezug auf jene
Mebelei; allein ich felbft glaube, dag jene Gerüchte nur zu wahr
294 Das Leben Abraham Lincolns.
find. Sobald der Regierung offizielle Berichte zugehen, die Das
Gerücht beftätigen, fol ftrenge Wiedervergeltung auf dem Fuße
folgen.“
Präfivent Lincoln’s Politif in der Stlävereifrage geht deutlich
aus folgendem Briefe an einen Kentudyer hervor, den er im April
1864 fchrieb:
„Exekntiv-Gebäude, Wafhington, 4, April 1864,
„Herrn A. ©. Hodges, Frankfort, Kentudy.
„Werther Herr:— Sie bitten mich, Ihnen fchriftlich zu geben,
was ich neulich in Ihrer Gegenwart mündlich zu Gouverneur
Bramlette und Senator Diron fagte. Es war ungefähr wie folgt:
„sh bin von Natur aus ein Antifflavereimann, Wenn die
Sklaverei fein Unrecht ift, fo giebt es fein Unrecht, ch erinnere
mich nicht, daß ich jemals anders dachte oder fühlte, Dennoch aber
war ich nie der Anficht, dag das Präfidentenamt mir ein unbe-
grenztes Recht verleihe, meinen Gefinnungen und Gefühlen gemäß
offiziell zu Handeln. Der von mir geleiftete Eid lautete dahin, daß
ich nad, beften Kräften die Conftitution der Vereinigten Staaten
aufrecht halten, befhüsen und vertheidigen wolle. Sch fonnte das
Amt nicht antreten, ohne den Eid zu leiften. Auch war es feines-
wegs meine Abficht, einen Eid zu leiften, um zur Macht zu gelan-
gen und dann durd Ausübung der Macht den Eid zu brechen,
Auch weiß ich wohl, daß bei der gewöhnlichen Civil-Adminiſtration
diefer Eid mir fogar verbot, meine urfprünglichen abftraften An-
fichten über die moralifche Frage der Sklaverei praftifch geltend zu
machen. ch hatte dies zu verfchiedenen Zeiten und auf verfchie-
dene Weife öffentlich erklärt. Und ich darf behaupten, daß ich bis
auf den heutigen Tag feinen einzigen offiziellen Aft begangen habe,
zu dem ich mich Durch meine abftraften Urtheile und Gefinnungen
über die Sklaverei verleiten ließ.
„Wohl aber verftand ich, daß mein Eid, Die Conſtitution nach
beſten Kräften zu erhalten, beſchützen und vertheidigen, mir die
Pflicht auferlegte, durch Anwendung aller unerläßlichen Mittel die
Regierung zu erhalten und damit auch die Nation, deren orga—
niſches Geſetz eben jene Conſtitution iſt. War es möglich, die Na—
tion zu verlieren und dennoch die Conſtitution zu bewahren?
Fortſchritt. 295
„Dem Naturgeſetze gemäß müſſen Leben und Gliedmaßen be—
ſchützt werden; zur Rettung des Lebens nun iſt häufig die Ampu—
tation eines Gliedes nothwendig, nie aber opfert man das Leben,
um ein Glied zu retten. Ich bin mir bewußt, daß gewiſſe Maß—
regeln, die unter andern Umſtänden unconſtitutionell ſein würden,
geſetzlich werden, wenn ſie zur Erhaltung der Nation ſowohl wie
zur Erhaltung der Conſtitution unerläßlich ſind. Recht oder Un—
recht, ich ging von dieſem Standpunkte aus und behaupte ihn jetzt
noch. Ich könnte nicht überzeugt ſein, daß ich alle meine Kräfte
aufgeboten hätte, um die Conſtitution zu erhalten, wenn ich den
Untergang der Regierung, des Landes und der Conſtitution insge—
ſammt zugegeben hätte, um die Sklaverei oder irgend eine andere
untergeordnete Sache zu retten. Als General Fremont zu einer
frühern Periode des Krieges die militäriſche Emancipation ver—
ſuchte, verbot ich es ihm, weil ich dieſelbe damals nicht für eine un—
erläßliche Maßregel hielt. Noch fpäter, als General Hunter einen
Berfuch zu militärifcher Emaneipation machte, verbot ich es wie—
derum, weil ich glaubte, daß die unabmweisbare Nothwendigkeit noch
nicht gefommen fet.
„als ich im März, Mai und Juli 1862 ernfte und wiederholte
Aufrufe an die Grenzſtaaten erließ und fie ermahnte, die compen-
firte Emaneipation zu begünftigen, glaubte ich, Daß die unabweis—
bare Nothwendigfeit zur militärifchen Emanerpation und Bewaff-
nung der Schwarzen fommen würde, wenn jene Maßregel fie nicht
abhielte. Sie lehnten den Vorfchlag ab und ich war damit auf die
Alternative verwiefen, entweder die Union und mit ihr die Confti-
tution verloren gehen zu -laffen, oder aber die ftarfe Hand auf das
farbige Element zu legen. Ich wählte das Lebtere, und indem ich
es wählte, hoffte ich auf größeren Gewinn als Verluft. Dennoch
war ich des Gewinnes nicht fo ganz verfichert. Die Erfahrung
son mehr als einem Jahre hat indeffen gezeigt, daß der Schritt
feinen Berluft im Gefolge hatte, weder in unfern Beziehungen zu
auswärtigen Nationen, noch in der öffentlichen Stimmung unferes
eigenen Volkes, noch auch in unferer weißen Militärmacht— feinen
Berluft in irgend einer Weife oder an irgend einem Orte. Wohl
aber zeigte fich ein Gewinn von einhundert und dreißigtaufend
296 Das Leben Abraham Lincolns.
Soldaten, Matrofen und Arbeitern. Dies find Thatfachen, über
die Fein Widerfpruch flattfinden Tann, Wir haben die Leute und
wir Fönnten fie ohne jene Maßregel nicht haben,
„Und nun laßt jeden Unionsmann, der fich über die Mafregel
beflagt, niederfchreiben, daß er zu Gunften der Unterdrüdung der
Rebellion durch Waffengemalt ift, und daneben, daß er Diefe hun—
dertunddreißig taufend Mann von der Seite der Union zu neh
men und fie dahin zu ſetzen wünfcht, wo fie ohne die Maßregel,
die er verdammt, fein würden. Will er dies nicht thun, fo ift eg,
weil er der Wahrheit nicht ing Geficht zu ſchauen vermag.
„Sch will hier noch einige Worte hinzufügen, die nicht in der
mündlichen Unterhaltung begriffen waren, Indem ich das Obige
niederfchrieb, beabjichtigte ich feineswegs, meinem eigenen Scharf-
finn ein Lob zu fpenden. Ich mache feinen Anfpruch auf die
Ehre, die Ereigniffe beherrfcht zu haben, fondern geftehe vielmehr
offen, daß bie Ereigniffe mich beherrſchten. Jetzt, nachdem der
Krieg drei Jahre gedauert, ift der Zuftand der Nation Feineswegs
fo, wie irgend ein Menſch oder eine Partei wünfchte oder erwar-
tete. Gott allein vermag dem Lauf der Ereigniffe zu gebieten.
Das Biel aber fteht ung jet deutlich vor Augen. Wenn es nun
Gottes Wille ift, daß ein großes Unrecht aufhören fol, und wenn
es ferner fein Wille ift, Daß wir vom Norden fowohl wie ihr vom
Süden redlich für unfern Antheil an diefem Unrecht fühnen fol-
len, fo wird der unparteiifche Gefchichtsfchreiber dereinft neue Ur-
fache finden, die Gerechtigkeit und Güte Öottes anzuerkennen und
zu verehren.
„Aufrichtig der Ihrige,
Abraham Sincoln,”
Die Refultate der Verwendung von Negerfoldaten — einer
Maßregel, die zur Zeit ihrer erften Ankündigung nicht wenig Be—
ftürzung und Entrüftung unter den Superflugen in den loyalen
Staaten verurfachte und felbft von vielen weißen Soldaten mit
scheelen Blicden angefehen wurde — machten alle ferneren Argu=
mente über diefe Trage überflüffig, wie deutlich aus obigem Briefe
hervorgeht. -
Da Jeff. Davis, der Infurgenten-Chef, angelündigt hatte, daß
Sorefheitt, 297
feine der von den Kriegsgeſetzen anerkannten Rechte und Privile-
gien unfern farbigen Soldaten und deren Offizieren im Fall ihrer
Gefangennahme gewährt werden folle, fo war am 24, April 1863
eine vom Präfidenten approbirte General-Ordre [No. 100] erlaf-
fen worden, die Folgendes enthielt:
„Das Völkerrecht erfennt feinen Unterfchied der Farbe an, und
wenn ein Feind der Vereinigten Staaten irgend einen Kriegsge-
fangenen unferer Armee verkaufen und zum Sklaven machen
follte, fo wäre Dadurch die ftrengfte Wiedervergeltung gerechtfer-
tigt, wenn nach erfolgter Klage das Unrecht nicht gut gemacht
würde, Die Vereinigten Staaten können nun aber nicht dadurch
Miedervergeltung ausüben, daß fie die in ihren Händen befind-
lihen Feinde zu Sklaven machen; deshalb muß diefes Verbrechen
gegen das Völkerrecht mit dem Tode beftraft werden.
„Ale Truppen des Feindes, die unfern Truppen oder irgend
einem Theil derfelben feine Schonung ermeifen, follen ebenfalls
feine Schonung erhalten.”
Folgende Ordre des Präfiventen, die er als Oberbefehlshaber
erließ und der ganzen Armee befannt machte, bezieht fich einzig
und allein auf dieſen Gegenſtand:
„Bafhington, den 30. Juli 1863.
„Es iſt die Pflicht einer jeden Regierung, ihren Bürgern ſämmt—
licher Klaffen und Farben Schub angedeihen zu laffen, ingbefon-
dere aber Deajenigen, die ald Soldaten im Milttärdienft organi=-
firt find. Das Völkerrecht, fowie die Gebräuche und Sitten der
eivilifirten Kriegsführung geftatten in der Behandlung der
Kriegsgefangenen feinen Unterfehien der Hautfarbe. Das Ber-
faufen irgend einer gefangenen Perfon in die Sklaverei wegen
ihrer Hautfarbe und wegen feinerlei Vergehen gegen die Kriegs-
gefete ift ein Rüdfchritt zum Barbarismus und ein Verbrechen
gegen die Civiliſation unferer Zeit.
„Die Regierung der DVereinigten Staaten wird allen ihren
Soldaten den gleihen Schu gewähren, und wenn der Feind
irgend einen derfelben wegen feiner Hautfarbe verfaufen und zum
Sklaven machen wird, fo foll das Verbrechen durch Retaliation
298 Das Leben Abraham Lincolns.
an den in unfern Händen befindlichen feindlichen Gefangenen
beftraft werden.
„Es wird daher anbeordert, dag für jeden Soldaten der Ver—
einigten Staaten, der den Kriegsgefegen zumider getödtet wird,
ein Rebellenfoldat hingerichtet werden fol; und daf für jeden
Unionsfoldaten, der von dem Feinde verfauft und zum Sklaven
gemacht wird, ein Nebellenfoldat zu ſchwerer Arbeit an den öffent-
lihen Werken angehalten werden fol, und zwar fo lange, big der
Unionsfoldat der Sklaverei entlaffen und der einem Kriegsgefan-
genen gebührenden Behandlung theilhaftig werden wird,”
„Abraham Fincoln.“
Neunzehntes Kapitel.
Abermaline Womination.
General-Fientenant Grant — Seine militärifche Laufbahn — Fortgefehte Be-
wegungen — Correfpondenz mit dem Präfidenten — Uebergang über den
, Bapidan — Selagerung von Richmond — Krief des Präfidenten an eine
Grant-Derfammlung— Die Republikanifche National-Tonvention — Deren
Plattform — Die Homination — Herrn £incolns Antwort an die Noti-
fikations-Committee — Anrede an eine Committee der Union-Ligue —
Rede bei einer Serenade — Anrede an Dhio-Truppen,
Im Frühjahr 1864 wurden jene großartigen militärifchen Com—
binationen entworfen und begonnen, die jener gigantifchen Re—
bellion den Todesftoß verfegen follten, die — wie die auswärtigen
und einheimifchen Feinde der Republik ung beftändig verficherten—
nie unterdrüdt werden könnte, und der die Vereinigten Staaten
fchlieglich unterliegen müßten.
Am 26. Februar hatte der Congreß eine Bill pafjirt, durch
welche der Rang eines General>Lieutenants der Armee wieder ins
Leben gerufen wurde. Der Präfident unterzeichnete diefelbe am
2. März und nominirte fofort den General-Major Ulyſſes ©.
Grant für diefe Stelle, welche Nomination fofort einftimmig durch
den Senat beftätigt wurde,
Xbermalise Nomination. 299
Wie der Präfident war auch General Grant von „niedriger
Herkunft.” Er konnte ſich nicht jener Geburtsvortheile, Familien-
eonnectionen oder Güterbefisthümer rühmen, die fchon fo Man-
chem zu Rang und Anſehen verholfen hatten. Er betrat vie
Armee als Dberft eines Fllinois-Regimentes, dem er binnen eines
Monats eine foldhe Disziplin gab, daß es fich mit den beiten Illi—
nois-Negimentern meffen fonnte; avancirte dann zum Brigade-
General; verhinderte durch die Schlacht von Belmont die Ver-
ftärfung der Rebellen im ſüdlichen Miffouri durch Truppen von
Columbus, wofür ihm nie die gebührende Anerkennung wurde;
eroberte durch einen urplöglichen Angriff faft zu gleicher Zeit die
Forts Henry und Donelfon, und brachte eine ftarke feindliche
Truppenzahl, die er bei Smithland unverhofft angegriffen hatte,
zur Uebergabe; trieb dann die zuvor fo troßig prahlenden Re—
bellen vor ſich her durch Kentudy und Tennefjfee und ließ ihnen
feine Ruhe, bis fie endlich Corinth erreichten; focht dann in
einem Fritifchen Augenblid des Krieges mit feinem erften Gehilfen
Sherman die Schladht von Shilo. Am Abende des erften Tages
fhien Alles verloren, er aber blieb gefaßt und fagte zu feinen
Leuten: „Rauhe Arbeit dies, morgen aber werden wir fie klopfen!“
— und fie wurden geflopft; ließ dann Buell im Commando zu-
ruf und feste fich geduldig zur langwierigen Belagerung von
Corinth hin, bis er endlich nach Vicksburg gefandt wurde, das fich
ihm nad) langem Widerftande mit einer großen Armee und un-
geheuren Kriegssorräthen übergab. Es war am 4. Juli 1863,
als er mit feiner fiegreichen Armee in die durch Natur und Kunft
faft uneinnehmbar gemachte Stadt einzog. Jetzt war der Bater
der Gemwäffer, der majeftätifhe Miffiffippiftrom, der Schifffahrt
wieder geöffnet, die fo lange durch feindliche Batterien und Horden
unterbrochen gemwefen. Dann wandte fih Grant nad Chatta-
nooga, wo er Thomas mit dem Befehle hinterließ, es feftzuhalten
und nicht aufzugeben, felbjt wenn er verhungern müßte. Es
wurde nicht aufgegeben und Dfttenneffee ward von den Rebellen
befreit. Dies waren die Hauptpunfte in Grant’s militärifcher
Laufbahn, bis ihm endlich das Ober-Commando über ſämmtliche
Truppen der Bereinigten Staaten übertragen wurde,
800 Das Leben Atrabam Lincolns.
Am 9, März befuchte der General den Palaft des Präfidenten,
wo ihm Herr Lincoln die Commiffion feines neuen Ranges über-
trug und ihn mit folgenden Worten anrebete:
„General Grant: — Die dankbare Anerkennung der Nation
für Das, was Sie bereits in diefem großen Kampfe gethan haben,
und ihr Vertrauen auf Sie hinfichtlich Deffen, was noch zu thun
ift, find in diefer Commiffion ausgedrüdt, durch welche Sie zum
General-Lieutenant der Bereinigten Staaten Armee ernannt
werden.
„Mit diefer hohen Ehre fallt eine weitere Berantiwortlichkeit
auf Shre Schultern. Wie das Land Ihnen vertraut, fo wird es
Sie mit Gottes Hilfe unterftüben. Ich brauche kaum zu fagen,
daß was ich hier im Namen des Landes rede, zugleich meine eigene
aufrichtige Gefinnung ausdrüdt.”
Sherman, dem Grant das Commando im Südmweften übertragen
hatte mit der Inftruftion, Atlanta, den Hauptpunkt in Georgia, zu
erobern, begann nun jene Serte yon Flankenbewegungen, die eine -
Zeit lang den Rebellen fo großes Vergnügen zu machen fchienz
während Grant — fchweigjelig und kaltblütig, wie immer, ohne ge=
zierte Reden und eitle Paraden — fih an die fehmwierige Aufgabe
machte, die er fich gefest hatte, nämlich die Vernichtung oder Ge—
fangennahme son Lee’s Armee, und die Einnahme von Richmond,
Am 30, April fchrieb der Präfident dem neuen Ober-eneral
folgenden Brief:
„An General-Sieutenant Grant.
„Beneral: — Da ich Sie vor der Eröffnung der Frühjahrs—
Campagne wahrfcheinlich nicht mehr fehen merde, fo wünfche ich
mit kurzen Worten meine völlige Befriedigung über das auszu-
drüden, was Sie bisher gethan haben. Die Einzelheiten Ihres
Planes weiß ich nicht und verlange fie auch nicht zu wiffen. Sie
find wachſam und umfichtig, und Damit zufrieden, untererlaffe ich,
Ihnen meine Anfichten aufzudrängen, Diemweilich nun fehr wünfche,
daß irgend eine bedeutende Niederlage oder ein großer Verluft an
Truppen vermieden werden möge, bin ich überzeugt, daß Diefe
Abermalige Nomination. 801
Punkte Ihrer Aufmerkfamfeit weniger entgehen würden, als der
meinigen,
„Sollten Sie irgend Etwas bedürfen, was ich zu geben vermag,
fo laffen Sie es mich fofort wiffen. Und nun, mit einer tapfern
Armee und einer gerechten Sache, möge Gott Ihnen Sieg ver-
leihen !
„Aufrichtig der Ihrige,
Abraham Lincoln.”
Diefer Brief wurde vom General folgendermaßen beantwortet :
„Anden Prafidenten: — Soeben gelangte ich in den Bells
Ihres gütigen Schreibens, Das Vertrauen, das Sie auf meine
fünftige militärifche Adminiftration hegen, fowie Ihre Befriedigung
mit meiner Vergangenheit, erfüllte mich mit gerechtem Stolz. Es
wird mein ernftes Beftreben fein, Sie und das Land nicht zu ent»
täufchen. i
„Seit meinem Eintritt in den Boluntärdienft bis auf den heuti-
gen Tag habe ich nie Urfache gehabt, der Adminiftration oder dem
Kriegsfefretär den Vorwurf zu machen, daß fie mich Durch irgend
welche Hinderniffe an der energifchen Ausführung meiner Pflicht
gehemmt hätten. Im Oegentheil war ich feit meiner Berufung
zum Ober-Commando über fämmtliche Armeen der Union, und an-
gefichts meiner großen Verantwortlichfeit und der Wichtigkeit des
Erfolges erftaunt über die Bereitwilligkeit, mit der alles Verlangte
gewährt wurde, ohne daß man auch nur Gründe und Aufflärungen
von mir verlangt hätte, Sollte mein Erfolg geringer fein, als ich
wünfche und erwarte, fo kann ich mwenigftens fo viel fagen, Daß die
Schuld nicht an Ihnen liegt.
„Mit Hohachtung Ihr ergebener Diener,
U. S. Grant, General-Lientenant.”
„Eulpepper Court Houfe, Ba., den 1, Mat 1864,"
Ohne die Zeit mit eitlen Paraden zu vergeuden, und durch die
Erfahrungen Anderer gewitzigt, machte fih der General-Lieutenant
zuvörderſt an's Werk, die Cliquen und Kabalen zu vernichten, die
fo lange der Wirffamkeit der Potomac Armee im Wege geftanden
hatten. Damit fertig, febte er urplöglich über den Rapidan, mo er
302 Das Leben Abraham Lincolns.
von Lee’s ganzer Armee mit Ungeftüm angegriffen wurde, noch ehe
er Zeit hatte, feine eigene gehörig in Schlachtordnung zu ftellen,
„Jeder andere General,” fagte Präfivent Lincoln, „wäre nach den
erften drei Tagen des Kampfes wieder über den Rapidan zurüdge-
fallen.“ Grant aber Fampfte weiter, machte eine Slanfenbewegung
zur Linken, kämpfte fort und telegraphirte, nachdem die Schlacht
ſechs Tage gedauert hatte, an den Präfidenten, „daß er es auf die—
fer Linie ausfechten wollte, und wenn er den ganzen Sommer dazu
brauchte.” Bei Spottfylvania Court Houfe fam es abermals zu
einer Mordſchlacht — Grant überliftete Lee und ficherte fich feine
Pofition, die er feftzuhalten befchloß, bis die beabfichtigten Bewe—
gungen in andern Gegenden ihm die Hauptftadt der Rebellen in die
Hände liefern würden.
Hier feste er fich feft, ohne fich auch nur im Mindeften durch den
Ausfall beirren zu laffen, den die Rebellen im Juli gegen Wafhing-
ton und nad) Maryland machten. Kaltblütig und geduldig ver-
harrte er auf feiner Pofition, und felbft die verzweifeltſten Anftren-
gungen feines verfchmigten Gegners vermochten ihm nicht zu
veranlaffen, feinen eifernen Griff Ioszulaffen. Die Zeitungen in
Richmond wütheten, ftürmten, höhnten und fpotteten abmwechfelnd ;
fuchten ihn zu belehren, daß er ganz anders hätte handeln follen;
behaupteten, er fei fein Strategift, fondern einfach ein glüdlicher
TIappingfeld, ein gewiffenlofer Schlächter in einem ungeheuren
Mafftabe, und dergleichen mehr. Die Rebellen- Freunde im Nor—
den dagegen rührten den alten Brei wieter auf und waren höchft
entrüftet, daß man nicht fofort Gen, MeClellan zurüdberufe, damit
er die Bundeshauptftadt rette oder gar Richmond einnehme. Der
General-Lieutenant indeffen fah diefem Gebahren mit ftoifcher
Kaltblütigkeit zu und blieb unbeweglic, wo er war,
Während dieſe Campagne vor fich ging, fehrieb der Präfident
folgenden Brief an die Arrangements-Committee einer Mafjen-
Berfammlung in New York, die veranftaltet worden war, um
General Grant eine Bertrauens-Adreffe zu überfenden und ihm
zu dem großen Erfolg feiner bisherigen Bemühungen zu gratu=
liren:
Abermalige Nomination. 308
„Sreeutiv-Gebände, Wafhington, den 3, Juni 1864.
„Seine Herren :— Geſtern gelangte ih in Empfang Shrer
Einladung zu der am 4, d. M. in New York abzuhaltenden Maf-
fenverfammlung loyaler Bürger zum Zwed, dem General-Lieute-
nant Grant eine Dank-Adreſſe für feine glänzenden Dienfte zu
votiren, Sch bedaure, daß es mir unmöglich ift, der Berfammlung
beizumohnen. Sch billige indeffen jede Maßregel, die dazu bei-
tragen mag, General Grant und die tapfern Armeen unter ihm
zu ftärfen und zu unterftüßen. Meine frühere hohe Achtung vor
General Grant wurde durch die legten Ereignijfe der merkwürdigen
Eampagne, in der er jebt begriffen ift, bedeutend erhöht; während
die Größe und die Schwierigfeiten feines Unternehmens meine
Erwartungen bei Weitem übertrafen, Er und feine tapferen
Soldaten ftehen jegt mitten in der Yeuerprobe, und ich hoffe, daß
die Reden bei Fhrer Verſammlung einen praftifchen Nuben haben
werden, nämlich den, ihn und feine Armee mit Mannfchaft und
Waffen zu unterftüßen. |
„Genehmigen Sie ꝛc.
Abraham Sincoln.“
Am 7, Juni verfammelte ſich die republifanifche National-Eon-
vention zu Baltimore, um Kandidaten für die Präfiventfchaft und
Bice-Präfidentfchaft zu nominiren,
Schon geraume Zeit vor der Berfammlung diefer Konvention
hatte ſich die öffentliche Stimmung entfchieven zu Gunſten der
abermaligen Nomination Herrn Lincoln’s erklärt. Staats-Le—
gislaturen, Staats-Conventionen, Maffenverfammlungen, fowie
die große Majorität der loyalen Preffe verlangten, daß der Mann,
deffen conftitutioneller Erwählung die Rebellen fich zu unterwer-
fen geweigert hatten, und der während drei Jahren der ange
ftrengteften Arbeit feinen Patrivtismus, feine Fähigkeit und Recht-
fhaffenheit auf das Glänzendſte bewiefen hatte, die Genugthuung
haben follte, das Werf, das er felbft als Präfivent begonnen, als
Inhaber deffelben hohen Amtes zu einem glüdlihen Ende zu
bringen.
Dennoch gab es felbft in den Reihen der Ioyalen Patrioten
04 Das Leben Abraham Lincolns.
Manche, die der Anficht waren, Daß das gute Werk, deffen Vollen—
dung fie fo fehnlich und fogar ungeduldig herbeiwünſchten, nicht
mit dem Ernfte und der Energie betrieben worden fei, wie es
vielleicht unter andern Aufpicien betrieben worden wäre. Cinige
von diefen befürmworteten den Auffchub der Convention bis nad
dem vierten Juli, in der Erwartung, daß bis dahin das Land
beffer im Stande fein würde, zu urtheilen, ob Herr Lincoln wirk—
lich der befte Mann für das Amt wäre. Ein anderer Theil diefer
mißvergnügten Loyalen hatte fich bereits in einer Convention zu
Chicago verfammelt und General Fremont zur Präfidentfchaft
und General Cochrane zur Vice-Präfidentichaft nominirt, Ihre
Plattform enthielt eine feharfe Kritif der Adminiftration Herrn
Lincoln’s, ohne jedoch einen praktifcheren und beffern Plan anzu—
deuten. General Fremont, der fchon feit einiger Zeit außer afti-
vem Dienft geftanden, hatte darauf feine Refignation eingereicht
und die Nomination unter der Bedingung acceptirt, von derfelben
zurüdzuftehen, im Fall irgend ein anderer Mann, als Herr Lin-
eoln, von der Baltimore Convention nominirt werden follte.*)
*) Folgende Stelle aus General Fremont's Annahmebrief wird feinen Stand-
punkt hinreichend bezeichnens -
„Splte die Baltimore Convention irgend einen Dann nominiren, deffen Ver—
gangenheit eine Gewähr ift für feine Treue gegen unfere Hauptprinzipien, fo fiele
jeder Grund zu einer Spaltung unter den wahrhaften Patrioten des Landes hinweg.
Don ganzem Herzen würde ich einem folchen Kandidaten meine energifche Unter—
ſtützung zukommen laſſen und würde es entfchteden vorziehen, in dieſer Beziehung
mitzumirfen, als ſelbſt Kandidat zu fein, Sollte aber Herr Lincoln wieder no-
minirt werden — und meiner Anficht nach wäre es verberblich für das Land, eine
Politik gutzuheißen und eine Macht zu erneuern, die und Taufende von Menichen-
leben gefoftet und das Land an den Rand ded Banferstted gebracht hat — nun,
dann bliebe und Nichts übrig, als ſämmtliche Elemente redlicher Oppoſition zu orga—
niftren, um dem Nebel feiner Wtedererwählung vorzubeugen.‘
In diefem Briefe, wie auch in dem fpätern, in welchem er fi von der Kandida-
tur znrüczog, wimmelt es von Befchuldigungen gegen die Adminiftration Lincoln’s.
Es wurden Lebterem Unfähigkeit, Rath- und Thatlofigfeit, Corruption und ber
Himmel weiß was zum Vorwurf gemacht. Nun ja, Fremont konnte es Herrn
Lincoln nte verzeihen, daß er feine unautorifirte Emancipationd-Ordre desavouirte
und ihn fpäter von jenem Commando abberief, Die Stimme des Volkes — und
Abermalige Nomination 305
Diefe Oppofition war jedoch mehr eine feheinbare, als eine
wirkliche. Allenthalben im Lande gab fich unter den Ioyalen
Greunden der Union der Entfchluß Fund, demjenigen Manne die
berzlichfte Unterftügung angedeihen zu laffen, der von der repu—
blilanifchen Convention nominirt werden würde, und zwar mit
Hintanſetzung aller perfönlichen und unmefentlichen Rüdfichten.
Um zweiten Tage adoptirte die Convention unter Beifallrufen
folgende Plattform:
„Befhloffen, daß es die höchfte Pflicht eines jeden amerifa-
nifchen Bürgers ift, die Integrität der Union und die oberfte Au-
torität der Conftitution und der Gefebe der Vereinigten Staaten
gegen alle Feinde zu vertheidigen, und daß wir mit Hintanfebung
fänmtlicher politifchen Meinungsverfchiedenheiten ung verpflichten,
als Unionsmänner, von einem gemeinfamen Gefühle dDurchdrungen
und nad einem gemeinfamen Ziele ftrebend, alle unfere Kräfte auf-
zubieten, um die Regierung bei der Unterdrüdung der jetzt gegen
ihre Autorität beftehenden Rebellion durch Waffengewalt und bei
der gebührenden Beftrafung der Rebellen und Berräther zu unter-
ſtützen.
„Beſchloſſen, daß wir den Entſchluß der Regierung der
Vereinigten Staaten billigen, kein Compromiß mit Rebellen ein—
zugehen, noch denſelben andere Friedensbedingungen zu gewähren
als eine Uebergabe auf Gnade oder Ungnade, eine Einſtellung der
vox populi vox Dei — hat über Beide gerichtet, und Beide werden in der Ge—
Schtehte den ihnen gebührenden Plag einnehmen, Zu bedauern ift es indeffen, daß
der mit großen Geiftesgaben ausgeftattete „Pfadfinder,“ der erfte eigentliche Stif-
ter der republifanifchen Partet, der befondere Abgott der Deutſchen im Welten von
Amerika, fih, von Heinlicher Rachſucht befeelt, herbeilaffen mochte, Angeſichts der
drohenden Stellung des Landes und der unheilverfündenden Organifation ber
„Copperhead““Faktion in eine Spaltung des Ioyalen Theiles der Nation zu willigen
und fogar in mehreren Stellen feines Annahmebriefed in das Geheul der Ballan-
digham⸗ MeClellan⸗Wood⸗ Partei einzuftimmen (vide feine Bemerkungen über Lin-
coln's militäriſche Diktatur, willkürliche Verhaftungen — namentlich aber feine
Mißbilligung der Confiskationsmaßregel, die doch feine eigene Partei im 13. Be—
ſchluß ihrer Plattform ausdrüdlich für eine gerechte Maßregel erklärte),
0 Anmerkung des Ueberſetzers.
306 Das Leben Abraham Lincolns.
Veindfeligfeiten und die Rüdfehr zur Treue gegen die Conftitution
und Gefege der Vereinigten Staaten; und daß wir die Negierung
erfuchen, dieſe Pofition zu behaupten und den Krieg mit Außerfter
Strenge bis zur vollftändigen Unterdrüdung ver Rebellion zu be=
treiben, im vollen Bertrauen auf die Opferbereitwilligfeit, den
Patrivtismus, den Heldenmuth und die unbegrenzte Hingebung
des amerifanifchen Volkes für fein Land und feine freien Inſtitu—
tionen.
„Befhloffen, da die Sklaverei die Urſache dieſer Rebellion
war und jet die Stärfe derfelben iſt, und da diefelbe ſich allent-
halben und jederzeit den Prinzipien einer republifanifchen Regie-
rung feindlich ermeifen muß, — daß die Gerechtigkeit wie auch die
Sicherheit der Nation die gänzlihe und vollftändige Vertilgung
derfelben vom amerifanifchen Boden erfordern; daß mir Die Ge—
feße und Proflamationen billigen und unterftüßen, wodurch Die
Regierung zu ihrer Selbftvertheidigung dieſem gigantifchen Uebel
den Todesftoß verfegte; und daß wir zu Gunften eines Amende-
ments zur Conftitution find, welches, den Beftimmungen der lebtern
gemäß vom Volke ausgehend, die Sklaverei innerhalb der Juris—
diftion der Vereinigten Staaten für immer abfchafft und verbietet,
„Beſchloſſen, daß der Dank des amerifanifchen Volkes den
Soldaten und Matrofen der Armee und Marine gebührt, die ihr
Leben zur Bertheidigung ihres Landes und zur Vindication der
Ehre unferer Flagge auf’s Spiel fetten; daß die Nation ihnen eine
ewige Anerfennung ihres Patriotismus und ihrer Tapferkeit fchul-
det, fowie reichliche und beftändige Vorforge für Diejenigen, welche
ebrenvolle Wunden oder Berftümanelungen im Dienfte ihres Landes
davon trugen; und daß wir Derer, die in der Vertheitigung der
Nation gefallen find, jebt und immerdar mit Dankbarkeit gedenken
wollen,
„Beſchloſſen, daß unfere Billigung und unfer Beifall der
praftifchen Weisheit, dem uneigennübigen Patrivtismug und der
unmwanfelhaften Treue gegen die Eonftitution und die Grundfäbe
der amerifanifchen Freiheit gebührt, womit Abraham Lincoln unter
unerhörten Schwierigfeiten die großen Pflichten und Berantwort-
lichfeiten des Präfidentenamtes ausübte; daß wir die Durch Die
Abermalige Yrominatiork 307
Nothwendigkeit gebotenen, zur Rettung der Nation unerläßlichen
und von der Eonftitution fanktionirten Maßregeln billigen und in—
dofliren, die er adoptirt hat, um die Nation gegen ihre offenen und
geheimen Feinde zu vertheidigen; daß wir insbefondere die Eman-
eipationg-Proflamation und die Verwendung farbiger Männer, die
früher in der Sklaverei gehalten wurden, zum Militärdienft der
Union billigen, und daß wir volllommenes Vertrauen in feine Ent-
fchloffenheit haben, dieſe und alle andern zur Rettung des Landes
erforderlichen conftitutionellen Maßregeln vollftändig und gründlich
durchzuführen,
„Beſchloſſen, daß wir es im Intereſſe der öffentlichen Wohl-
fahrt für mwefentlich halten, daß Einheit im Rathe der Nation
bherrfche, und daß wir nur Diejenigen des Vertrauens und öffent-
licher Aemter für würdig erachten, die den in diefen Befchlüffen
dargelegten Prinzipien, welche die Apminiftration der Regierung
charakterifiren follten, ihre unbedingte und aufrichtige Unterftügung
geloben.
„Beſchloſſen, daß es die Pflicht der Regierung iſt, allen
ihren Soldaten, ohne Rückſicht auf deren Hautfarbe, den vollen
Schub der Kriegsgeſetze zukommen zu laſſen, und daß jede Ver—
letzung dieſer Gefebe, oder der Kriegsgebräuche civilifirter Na—
tionen, feitens der Rebellen prompt und fireng geahndet werden
follen,
„Beſchloſſen, daß die Einwanderung von Ausländern, die
in vergangenen Jahren fo viel zum Reichthum, zur Entwidelung
der Hilfsquellen und zur Entfaltung der Macht diefer Nation—deg
Aſyls der Bedrückten aller Nationen—beigetragen hat, auch ferner-
hin durch eine liberale und gerechte Politif begüunftigt und ermuthigt
werden folle,
„Beihloffen, daß wir zu Gunften einer baldigen Herftel-
lung der Eifenbahn nach der Küfte des ftillen Meeres find,
„Befhloffen, daß der zur Einlöfung der öffentlichen Schuld
verpfändete Eredit der Nation unverlebt aufrecht erhalten werden
muß, und daß mir zu diefem Zwed Sparfamkeit und ſtrenge Ver—
antwortlichfeit in den öffentlichen Ausgaben, fowie auch ein ener-
gifches und gerechtes Befteuerungsiyftem anempfehlen ; ferner, daß
308 Tas Leben Abraham Lincolns.
es die Pflicht eines jeden Ioyalen Staates ift, den Eredit des Na—
tionalpapiergeldes aufrecht zu erhalten und den Gebrauch deffelben
zu befördern,
„Beihloffen, daß wir die von der Regierung angenommene
Pofition billigen, dag nämlich das Volk der Vereinigten Staaten
nicht mit Öleichgiltigfeit dem Verſuch irgend einer enropäifchen
Macht zuſchauen kann, die Inftitution irgend einer republifanifchen
Regierung auf dem weftlichen Kontinent durch Waffengewalt oder
durch Betrug zu flürzen; und daß wir mit größter Eiferfucht die
den Frieden und die Unabhängigkeit dieſes unferes Landes bedro—
benden Bemühungen irgend einer folchen Macht betrachten, die da—
hin zielen, in der unmittelbaren Nähe der Vereinigten Staaten
mittelft einer fremden militärifchen Gewalt eine monarchiſche Re—
gierung zu errichten.“
Beim erften Ballot für einen Präfiventichaftsfandidaten erhielt
Abraham Sincoln die Stimme eines jeden Staates, mit Ausnahme
von Miffouri, deffen Delegaten für General Grant ſtimmten. Nach—
dem indeffen auf Antrag eines Miffouriers die Nomination ein»
flimmig gemacht worden war, erfolgte eine höchſt enthufiaftifche
Scene, bei welcher die ganze Convention fich erhob, indeffen die Mu—
filbande “ Hail Columbia” fpielte,
Folgende Namen wurden für die Bice-Präfiventfchaft vorgefchla-
gen: Andrew Johnſon von Tenneſſee; Hannibal Hamlin von
Maine; General 2. H. Rouffeau von Kentudy und Daniel ©,
Dikinfon von New York,
Bald zeigte es fich indeffen, daß Andrew Johnſon die Nomina-
tion erhalten würde, und noch, ehe das Refultat angefündigt war,
begannen die Delegaten der verfchiedenen Staaten, die zu Gunften
irgend eines andern Kandidaten gewefen waren, ihre Stimmen zu
ändern und erflärten ſich unter enthufiaftifchem Beifallruf einftim-
mig für Andrew Johnſon.
Am 9, Juni empfing Präfivent Lincoln eine Committee der Con—
vention, die ihn von feiner Nomination in Kenntniß febte, und
deren Vorſitzer, Er-Gouverneur Dennifon von Ohio, unter Ande-
rem folgende Worte in feiner Anrede Außerte:
Abermelige Nomination 309
„Ich brauche Ihnen wohl kaum zu fagen, daß die Convention,
indem fie Ihnen ihre einftimmige Nomination gab, nur der faft all-
gemeinen Stimme des Ioyalen Volkes Ausdrud verlieh. Den fieg-
reichen Erfolg der Wahl zu bezweifeln wäre fast gleichbedeutend mit
dem Aufgeben der Hoffnung auf die Unterdrüdung der Rebellion
und der Wiederherftellung der Regierung in den nfurgenten-
ftanten. Weder die Convention, noch das Volk, das durch diefelbe
vertreten wird, zweifeln an dem endlichen Erfolg unter Ihrer Ad—
miniftration, unterftüßt von dem Ioyalen Bolfe und der tapfern
Armee und Flotte. Ebenſo wenig zweifelt die Convention, oder
diefe Committee, an der baldigen Unterdrüdung diefer gottlofen und
ungerechtfertigten Rebellion.“
Der Präjident erwiederte hierauf:
„Herr Vorfitzer und meine Herren von der Committe :— Ich
will weder meine Freude verhehlen, noch meine Gefühle der Dank—
barfeit unterdrüden, daß das Volk der Union durch feine Conven—
tion bei dem fortgefesten Streben zur Rettung der Nation mich
nicht für unwürdig hielt, in meiner gegenwärtigen Stellung zu
verbleiben. Sch zweifle nicht, daß ich die mir angebotene Nomi-
nation annehmen werde; dennoch follte ich vielleicht nicht meinen
definitiven Entſchluß erklären, ehe ich die Plattform gelefen und er—
wogen habe.
„Eines jedoch will ich jebt fagen, namlich, daß ich jenen Be—
ſchluß gutheiße, der fich zu Gunften eines Amendments zur Con—
ftitution erklärt, wonach die Sklaverei aus der Nation vertilgt
werden fol. Da der rebellifche Theil des Volkes nach einer aus-
drüdlichen Anfündigung von hundert Tagen, daß ihm innerhalb
diefer Frift ohne den Umfturz feiner Inſtitutionen die Rückkehr
zur Treue offen ftehe, auf der Rebellion verharrte, ift das vorge—
fhlagene Amendment zur Eonftitution zum endlichen Sieg der
Unionsſache unentbehrlich und nothwendig geworden,
„Hierdurch nur fünnen wir alle Einwürfe zum Schweigen
bringen. Sch begreife fest die Wichtigkeit einer folhen Maßregel
und befürworte fie. Im Namen der Freiheit und der Union
310 Das Leben Abraham Lincolns.
laßt ung gemeinfam arbeiten, um derfelben gefegliche Form und
praftifche Wirkſamkeit zu verſchaffen.“
Am folgenden Tag überreichte eine Deputation der National-
Union-Ligue dem Präfiventen eine Beglüdwünfhungs-Aoreffe,
worauf diefer antwortete:
„Seine Herren: — Auf die Bemerkungen Ihres Vorſitzers
fann ich nur fo viel ermwiedern, daß ich für diefen wiederholten
Beweis des Vertrauens, der mir ſowohl von der Convention, wie
son der National-Ligue zu Theil wurde, höchft dankbar bin,
Zwar bin ich nicht unempfindlich für das perfünliche Compliment,
das mir durch dieſe Nomination dargebracht wird; dennoch weiß
ich nur zu wohl, daß ich daſſelbe keineswegs auf meine Berbienfte
beziehen darf.
„Ih bin überzeugt, daß die Convention und das Volk von
höheren Gefinnungen befeelt find — von einer Würdigung der
Intereſſen des Landes für die Gegenwart und die große Zukunft;
und was ich als perfünliches Compliment für mich felbft betrach-
ten darf, ift lediglich die Anficht der Convention und der Ligue,
daß ich nicht ganz unmwürdig fei, das Amt auch ferner zu verwal-
ten, dag ich feit drei Fahren befleive,
„Ich bilde mir durchaus nicht ein, meine PEN daß ich der
beite Mann im Lande für diefes Amt ſei; allein die gegenwärtigen
Umftände erinnern mic an einen alten holländifchen Farmer, der
einft zu feinen Kameraden bemerkte: „es fei nicht gerathen, mitten
im Strom die Pferde umzutaufchen.”
Ein langes und lautes Gelächter folgte dieſer letzten charaf-
teriftifchen Bemerkung, die nur von Denjenigen gewirrdigt werden
fann, welche Herrn Lincoln in Stunden der Erholung gekannt
hatten,
Um Abend des 9. Juni brachte ihm eine Delegation von Ohio
eine Serenade, worauf er Die Berfammlung in folgenden Worten
anredete:
„Meine Herren: — Meinen verbindlichften Dank für diefes
Complimeut. Ich habe ſoeben gefagt und will es hier wieder-
Abermalige Wominatior. 311
holen, daß die ſchwerſten aller Reden diejenigen für mich ſind, die
ich als Erwiederung auf Serenaden zu halten habe. Ich wußte
nie recht, was ich bei ſolchen Gelegenheiten zu ſagen hätte.
„Ich vermuthe, daß ich dieſes Compliment der Nomination zu
verdanken habe, womit die Baltimore Conveution mich beehrte,
und worüber ich natürlich ſehr erfreut bin. Was uns jedoch mehr
Noth thut als Baltimore Conventionen oder Präſidentenwahlen,
iſt Erfolg unter General Grant.
„Ich erſuche Sie, ſtets im Gedächtniß zu behalteu, daß die Un—
terftüßung der tapfern Offiziere und Soldaten im Felde von der
größten Wichtigleit ift, und daß wir daher alle unfere Energie
diefem Punkte zuwenden follten,
„Zum Schluffe bitte ich Sie, drei donnernde Hurrahs für Ge-
neral Grant und die Offiziere und Soldaten unter feinem Com-
mando Darzubringen.‘
Dies gefhah mit ftürmifchem Enthufiasmus. Der Präfident
felbft ging mit feinem Beifpiel voran und ſchwenkte feinen Hut
unter dem betäubenden Beifallsgefehrei der Menge, die fich darauf
jubelnd zerftreute,
Am 11, Juni wartete ihm ein Regiment Obiotruppen auf, die
für einhundert Tage voluntirt hatten, Herr Lincoln richtete fol-
gende Worte an fie:
„Soldaten: — Ihr feid, wie ich höre, foeben son Ohio gefom-
men, um ung in diefer Stunde der Gefahr wie auch der Hoffnung
zu helfen. ch danke euch, daß ihr meinem Aufgebot von Trup-
pen fo prompt entfprochen habt. Nie bedurfte das Land eures
Dienftes mehr als jebt, Sch weiß nicht, wohin ihr gehet. Es
mag fein, daß ihr bier bleiben und die Stelle Derer annehmen
follet, die nach der Fronte gefandt werden; vielleicht auch werdet
ihr felbft dahin gefandt. Ich bin indefjen überzeugt, daß ihr eure
Pflicht thun werdet, wo es immer fein mag. Nochmals fage ich
euch meinen Dank, Lebet wohl!”
Zwanzigſtes Kapitel.
Reconfiruftion.
Rede des Präfidenten zu Philadelphia — Die Philadelphia Ausftellung —
Eorrefpondenz mit der Committee der National-Lonvention — Prokla-
mation des Ariegsgefeßes in Kentuky — Die Frage über Reronftruktion
— Proklamation des Präfidenten über diefen Gegenfland — Plan des
Congreſſes.
Am 16. Juni 1864 beſuchte der Präſident die in Philadelphia
abgehaltene Ausſtellung zur Unterſtützung der Vereinigten Staa—
ten Sanitäts-Commiſſion — jener edlen Organiſation, die wäh—
rend des ganzen Krieges ſo viel Gutes wirkte, indem ſie für die
Bedürfniſſe unferer Soldaten im Felde und die Pflege der Kran—
fen und Berwundeten in den Hofpitälern forgte, wie feine andere
Nation, felbft Frankreich und England mit al’ ihren Kriegserfah-
rungen nicht ausgenommen, je gethan hatte.
Eine ungeheure Bollsmenge hatte fih an jenem Tage in Phi—
ladelphia eingefunden. Alles drängte fich herbei, um den verehr-
ten Präfidenten zu fehen, und Taufende und aber Taufende muß—
ten unbefriedigt hinmwegziehen, fo groß war der Andrang.
Nach dem üblihen Handfchütteln, dem fich Herr Lincoln mit
gutmüthigem Humor unterzog, wurde eine Mahlzeit aufgetifcht,
bei deren Ende ſämmtliche Anwefenden dem Präfiventen einen
enthufiaftifhen Toaſt brachten, worauf dieſer ermwiederte :
„Diefer Toaft fol mir, wie mich dünkt, ven Weg bahnen, um
einige Worte zu fagen. Der Krieg ift ftets ein fchredliches
Ding; unfer Krieg aber ift, was Größe und Dauer anbelangt,
einer der fohredlichiten, den die Welt je gefehen. Er hat an vie-
len Orten, vielleicht an allen, die Gefchäfte ing Stoden gebracht.
Sr hat Eigenthum zerftört, Menfchenleben gekoftet und Städte
und Dörfer in Schutt und Aſche gelegt. Er hat uns eine Na—
tionalfhuld und eine Steuerbürde aufgeladen, wie fie in der Ge—
fchichte dDiefes Landes unerhört waren, Er hat Trauer unter ung
(312)
Reconfruftion., 813
verbreitet, big man faft jagen durfte, daß der Himmel mit Schwarz
behangen fei: Und er dauert noch immer fort. Allein er hat
auch Dinge im Gefolge gehabt, wie fie die Welt nie gefehen.
„Ich rede hier von den Sanitäts- und hriftlichen Commiſſionen
mit ihren Bemühungen zur Unterftügung der Soldaten; des—
gleichen von den Voluntär-Erfrifchungsfalong und diefen Aus—
ftellungen, die zuerft in Chicago begannen und dann in Bofton,
Cincinnati und andern Städten abgehalten wurden.
„Der Zwed, der allen diefen Anftalten zu Grunde liegt, ift ein
edler und würdiger, und wohl geziemt es ung, Alles zu thun, was
in unfern Kräften fteht, um die Soldaten zu unterſtützen, die Die
Schlachten unferes Landes fechten. Biel, unendlich viel thun
dabei die fchönen, zarten Hände der Frauen, und dies erinnert den
Soldaten, daß man daheim feiner gedenkt und für ihn forgt. Und
diefer Gedanke, dag man feiner nicht vergißt, muß feinem Herzen
unendlich wohl thun.
„In der That find dieſe Anftalten einer nähern Betrachtung
werth. Diefe freiwilligen Beiträge bemeifen, daß die Hülfsquel-
len der Nation noch lange nicht erfchöpft find, und daß der Pa-
triotismug des Volkes uns bis zum Ende unterfügen wird.
„Mancher wird die Frage aufwerfen: Wann wird der Krieg zu
Ende fein? — Ich will den Tag nicht beftimmen, damit nicht das
Refultat meine Weiffagung Lügen ftrafe. Wir nahmen ven
Krieg an, allein wir haben ihn nicht begonnen. Wir nahmen
ihn zu einem Zwede an, und wenn diefer Zwed erreicht ift, dann
wird der Krieg endigen, Ich hoffe indeffen zu Gott, daß er nicht
endigen wird, big jener Zweck erreicht ift.
„Dir werden fortfahren in unferem Werke und follte es ung
noch weitere drei Jahre in Anfpruch nehmen — wenigitens fo weit
es mich betrifft. Ich hatte nie die Gewohnheit, Prophezeiungen
zu machen; jest aber fühle ich mich faft geneigt, eine zu wagen.
Ich will es thun. Sie befteht darin, daß Grant mit Meade und
Hancock von Pennfylsanien diefen Abend eine Pofition einneh-
men werden, von welcher fie nie vertrieben werden fünnen, bis
Richmond unfer ift.
„Denn 23 fih mir nun berausftellt, daß die Einnahme von
314 Tas Leben Abraham Lincolns.
Richmond dadurch erleichtert und befchleunigt würde, daß General
Grant in fürzefter Frift bedeutende Verſtärkungen erhielte, wollt
ihr dann gehen? [Geſchrei: „Ja!“] Wollt ihr mit ihm marfchi-
ven? [Wiederholtes Rufen: „Sal ja!“]
„Nun, dann werde ich euch auffordern, wenn es nothwendig iſt!“
Folgende Correfpondenz wurde zwifchen Herrn Lincoln und
einer Committe der National-Convention bezüglich feiner Nomi-
nation gewechfelt:
„New York, ven 14, Juni 1864.
„Seiner Ercellenz, Abraham SFincoln, Prafident der Vereinigten
Staaten.
„Herr Präafident:— Die National-Union- Convention, die
ſich am 7. Juni in Baltimore verfammelte, hat uns aufgetragen,
Sie in Kenntniß zu fesen, daß Sie mit enthufiaftifcher Einftimmig-
feit für die nächften vier Jahre, vom 4. März 1865 an gerechnet,
zur Präfiventfchaft nominirt wurden,
„Die Befchlüffe der Convention, die wir bereits die Ehre hat—
ten, Ihrer Einficht zu unterbreiten, enthalten eine vollftändige und
klare Darlegung der Prinzipien, nach denen jene Berfammlung
handelte, und die, wie wir glauben, von der großen Maffe der
Unionsmänner im ganzen Lande gebilligt werden. Ob nun jene
Befchlüffe die unfern Soldaten und Matrofen gebührende Danf-
barfeit der Nation, oder die Berfhmähung eines unehrenhaften
Compromifjes mit Rebellen ausdrüden ; — ob fie Die patriotifchen
Pflichten der Unionsbürger bezeichnen; — ob fie die Emancipa=
tiong-Proflamation billigen, das Amendment zur Conftitution
befürworten, der Verwendung früherer Sklaven zu Unionsſolda—
ten Lob fpenden, oder der Regierung die heilige Pflicht ans Herz
legen, die jedem Unionsfoldaten widerfahrenen Unbilden zu ahn—
den, welcher Hautfarbe oder Race er auch fein möge; — ob fie die
Unverlegbarkeit des National-Kredits erklären, oder den Bedrüd-
ten aller Nationen die Gaftfreundfchaft dieſes Landes anbieten,
oder die Verbindung des atlantifchen Meeres mit dem Pacific
mittelft einer Eifenbahn begünftigen; ob fie öffentliche Spar-
famfeit und ein energifches Tarationsfyftem anempfehlen oder Die
Reconftruktion. N 815
entfchloffene Oppofition des Volkes gegen die Errichtung fremder
Monarchien mittelft Waffengewalt in der unmittelbaren Nähe der
Bereinigten Staaten ansdrüden; — ob fie erflären, daß Diejeni-
gen nur des öffentlichen Vertrauens und der Aemter würdig feien,
die ohne Vorbehalt die in dieſen Befchlüffen ausgefprochenen
Grundſätze billigen und die Politik derſelben unterftüßen: —
überall wurden fie von dem loyalen Volke in allen Punkten mit
gleichem Beifall aufgenommen,
„Da wir mit Ihnen der Anficht find, daß dies ein Volkskrieg
zur Erhaltung der Regierung ift, die, wie Sie fo richtig bemerkten,
„in dem Bolfe, durch das Volk und für das Volk befteht,“ fo find
wir überzeugt, daß Sie mit Freuden erfehen werden — nicht nur
aus den Befchlüffen, felbft, fondern auch aus der merkwürdigen
Einftimmigfeit und dem Enthuſiasmus, womit diefelben ange—
nommen wurden — wie warm die öffentliche Meinung jede Maf-
regel zur Führung des Krieges begrüßt, der fo energifch, unzwei—
deutig und wankellos ift, wie die Entfchloffenheit der Nation felbft.
Kein Recht z. B. ift dem amerifanifchen Herzen fo heilig und
theuer wie Das Recht der perfönlichen Freiheit. Jede Verlegung
deffelben wird allenthalben mit gerechter und allgemeiner Eifer-
fucht betrachtet. Dennoch räumt jeder getreue Bürger in dieſer
Stunde der Gefahr ein, dag um des Beſtehens der Nation und
der allgemeinen Wohlfahrt willen die individuelle Freiheit nach
den Beftimmungen der Conftitution für den Fall einer Rebellion
zuweilen fummarifch entzogen werden dürfe und verlangt weiter
nichts, als daß in folchen Fällen diefe notwendige extreme Ge—
walt nicht voreilig oder unmeife ausgeübt werde.
„Bir glauben, daß der ehrliche Wille der Unionsmänner im
Lande nie getreuer repräfentirt war, als in diefer Convention.
Sie alle wünfchen die Unterdrüdung der Rebellion durch Waffen
gewalt und die Sicherung eines dauernden Friedens, ſowie die
MWiederherftellung der Union, Freiheit und Gerechtigkeit unter der
Conftitution, Daß fich diefen Refultaten unendliche Schwierig-
feiten in den Weg ftellen, wiffen wir Alle. Daß fie nur durch
Eintracht und Zuſammenwirkung erreicht werden Fönnen, tft un—
beftreitbar. Daß gute Männer zuweilen felbjt hinfichtlich der
316 Das Leben Abraham Lincolns.
geeigneten Mittel oder des richtigen Zeitpunktes verfchiedene An—
fichten hegen mögen, ift uns befannt, Daß in der Ausführung
aller menschlichen Angelegenheiten die höchfte Pflicht die ift, Die
Leidenfchaften zu bändigen und nur das praftifch Ausführbare zu
erwägen, Davon find wir überzeugt. Die loyalen Bürger haben
deshalb Ihre Amtsverwaltung mit gefpannter Aufmerkfamfeit
bewacht, und mitten unter dem bittern Spott allzu eifriger Freunde
und den wüthenden Schmähungen der Feinde — unter ten Be—
fhuldigungen Einiger, daß Sie zu voreilig, und der Ungeduld
Anderer, daß Sie zu langfam handelten — erwiefen Sie fi in
allen Phafen diefes furchtbaren Krieges weife, geduldig, treu und
gerecht, und ſtützten fich auf das Herz der großen Maffe des Volkes,
ftets willig und zufrieden, fich von dem mächtigen Pulsjchlage def-
felben leiten zu laffen.
„Aus diefem Grunde hatte der Inſtinkt des Volkes ſchon lange
vor dem Zufammentritt der Convention Sie als feinen Candi—
daten bezeichnet und die Convention verlieh daher blos dem
Bolkswillen Ausdrud, Ihr Charakter und Zhre Laufbahn be—
weifen Ihre unmwanfelhafte Treue für die Jundamentalprinzipien
der amerifanifchen Freiheit und der amerifanifchen Conftitution,
Gm Namen diefer Freiheit und Conftitution erfuchen wir Gie
nun ernftlich, diefe Nomination anzunehmen; und indem wir
unfer theures Vaterland und Sie, das würdige Oberhaupt deffel-
ben, fowie alle feine tapfern Söhne, die zu Waffer und Land
den amerifanifchen Grundſatz der Freiheit und Gleichheit verfech-
ten, dem Segen des Allmächtigen anempfehlen, verharren wir
Hochachtungsvoll
Ihre aufrichtigen und getreuen Mitbürger.
„William Denniſon von Ohio, Vorſitzer.
„Folgen die Unterſchriften ſämmtlicher Mitglieder der Committee.“
Auf dieſe Adreſſe antwortete Präſident Lincoln wie folgt:
„Erxekntiv-Gebäude, Waſhington, ven 27. Juni 1864.
„An den achtbaren William Dennifon, Vorſitzer, und an die übri—
gen Mitglieder der Committee der National-Unionsconvention,
„Meine Herren:— hr Schreiben vom 14, dieſes Monats,
in welchem Sie mich formell in Kenntniß feßen, daß ich von der
Reconſtruktion. 317
Convention, die Sie repräſentiren, für die nächſten vier Jahre, vom
4. März 1865 an gerechnet, zum Präſidenten der Vereinigten
Staaten nominirt worden ſei, iſt mir zu Händen gekommen. Ich
nehme die Nomination dankbar an und billige die Beſchlüſſe der
Convention von ganzem Herzen.
„Während ich dem Beſchluſſe hinſichtlich des Umſturzes einer re—
publikaniſchen Regierung auf dem weſtlichen Continente vollkom—
men beiſtimme, ſehe ich mich veranlaßt, zur Vermeidung eines Miß—
verſtändniſſes zu ſagen, daß die Stellung der Regierung in Bezug
auf das Verfahren Frankreich's in Mexiko getreulich aufrecht er—
halten werden ſoll, wie ſie durch das Staatsdepartement angekün—
digt und von der Convention indoſſirt wurde, ſo lange der Sach—
verhalt jene Stellung als rathſam und praktiſch erſcheinen läßt.
„Zum beſonderen Vergnügen gereicht es mir, daß die Soldaten
und Matroſen von der Convention nicht vergeſſen wurden; denn
wohl geziemt es ſich einem dankbaren Lande, mit ewiger Liebe der
tapferen Söhne zu gedenken, die zu ſeiner Rettung ihr Leben auf's
Spiel ſetzten.
„Indem ich Ihnen für die gütigen und ſchmeichelhaften Aus—
drücke danke, mit welchen Sie mir die Nomination, ſowie die
übrigen Verhandlungen der Convention angekündigt haben, ver-
barre ich
„Ihr ergebener Diener, Abraham Fincoln.“
Am 5, Juli erſchien folgende Proflamation, in welcher das
Kriegsgefeb über Kentudy verhängt wurde:
„Sintemalen der Präfident der Vereinigten Staaten in einer
am 15. April 1861 erlaffenen Proflamation anfündigte und er-
Härte, daß die Ausführung der Gefebe der Vereinigten Staaten
feit einiger Zeit in gemwiffen dafelbft angegebenen Staaten durch
Eombinationen verhindert wurden, die zu mächtig wären, als daß
fie durch das gewöhnliche Gerichtsverfahren oder die den Mar-
fhällen durch das Geſetz verliehene Gewalt unterbrüdt werden
fönnten; und
„Sintemalen fofort nad dem Erlaß befagter Proflamation
die Land⸗ und Seemacht der Vereinigten Staaten zur Unterbrüdung
818 Das Leben Abrabam Lincolns.
befagter Infurreftion und Rebellion in Thätigfeit verfebt wurde;
und
„Sintemalen der Congreß der Vereinigten Staaten in einer
am 3. März 1863 genehmigten Alte den Präfivdenten der Verei—
nigten Staaten autorifirte, das Privilegium des Habeas Corpus
Writs in den ganzen Bereinigten Staaten oder in irgend einem
Theile derfelben zu fufpendiren, wenn während befagter Rebellion
feinem Urtheile nach die öffentliche Sicherheit e8 erfordere; und
„Sintemalen befagte Infurreftion und Rebellion noch immer
fortdauert und dadurch die Eriftenz der Conftitution und der Re—
gierung der Vereinigten Staaten gefährdet; und
„Sintemalen die Militärmacht der Vereinigten Staaten ge—
genwärtig damit befchäftigt ift, befagte Inſurrektion und Rebellion
in verfchiedenen Theilen der Staaten zu unterdrüden, in denen be-
fagte Rebellion den Geſetzen und den öffentlichen Behörden erfolg-
reichen Widerftand leiftete, namentlich in den Staaten Virginien
und Georgia; und
„Sintemalen der Präfivent der Bereinigten Staaten am 15.
September 1863 eine Proflamation erließ, in welcher er erklärte,
daß das Privilegium des Habeas Corpus Writs in den ganzen
Bereinigten Staaten fufpendirt fein folle in Fällen, wenn auf Voll-
macht vom Präfivdenten der Vereinigten Staaten hin die Militär-,
Marine» und Livilbeamten der Vereinigten Staaten, oder irgend
einer derfelben, Perfonen unter ihrem Commando oder in ihrem
Gewahrfam entweder als Kriegsgefangene, Spione, Helfer oder
Helfershelfer des Feindes fefthalten; desgleichen Offiziere, Soldaten
und Seeleute, die fich freiwillig anmwerben ließen oder conferibirt
und eingemuftert wurden und zur Land» oder Seemacht der Ver-
einigten Staaten gehören; ferner Deferteurs und andere Perfonen,
die den Kriegsartifeln oder den vom Präfiventen der Vereinigten
Staaten vorgefchriebenen Regulationen für den Militär- und Ma—
rinebienft anheimfallen; endlich folche Perfonen, die ſich der Con—
feription widerſetzen, oder fich fonftiger Vergehen wider den Militär-
und Marinedienft fhuldig machen; und
„Sintemalen viele Bürger des Staates Kentudy fih den
Infurgententruppen angefchloffen haben und bei mehreren Gele-
Reconftruftion, 319
genheiten in ftarker Anzahl in befagten Staat Keritudy eingefallen
find, wobei ihnen von illoyalen Bürgern daſelbſt Hilfe und Vor—
ſchub geleiftet wurde; und da diefelben nicht nur den öffentlichen
Frieden bedeutend geftört, fondern auch die Civilbehörden geftürzt,
flagranten Bürgerkrieg geführt und in verfchiedenen Theilen befag-
ten Staates Leben und Eigenthum zerftört haben; und
„Sintemalen dem Präfiventen der Vereinigten Staaten von
den Befehlshabern der Rativnal-Armeen mitgetheilt wurde, Daß
fich in befagtem Staat Kentudy Combinationen gebildet haben zum
Zwede, die Rebellentruppen zu veranlaffen, befagte Bürgerkriegs—
operationen in befagtem Staate zu wiederholen und dadurch die
jest in den Staaten Virginien und Georgia operirenden Vereinigte
Staaten Armeen zu hemmen, oder gar deren Sicherheit zu ge=
fährden:
„Deshalb erkläre ich, Abraham Lincoln, Präfident der Verei—
nigten Staaten, kraft der mir durch die Eonftitution derfelben über-
tragenen Autorität, daß meinem Urtheile nach die öffentliche Sicher—
heit ausprüdlich erfordert, daß die in befagter Proflamation vom
15. September 1863 angefündigte Sufpenfion des Habeas Corpus
MWrits im ganzen Staate Kentudy in Wirkfamfeit treten und aus—
geführt werden fol, und daß für jetzt Das Kriegsgefe über den—
felben verhängt ift. Sch verlange deshalb von den militärifchen
Dffizieren in befagtem Staate, daß das Privilegium des Habeas
Corpus Writs in Wirklichkeit innerhalb dieſes Staates obener-
wähnter Proflamation gemäß fufpendirt und das Kriegsgeſetz da—
felbft in Kraft gefebt werde, und zwar vom Datum diefer Profla-
mation anz und daß befagte Sufpenfion und befagtes Kriegsgefeb
fortdauern follen, bis dieſe Proflamation zurüdgenommen oder
modificirt wird; jedoch nicht langer als bis befagte Rebellion unter-
drüdt oder beendigt ift. Und ferner gebiete und befehle ich ſämmt—
lichen Militäroffizieren und Civilbeamten innerhalb des befagten
Staates Kentudy, dieſe Proflamation zu beachten und derfelben
volle Wirkſamkeit zu verſchaffen. Das hiermit proflamirte Kriegs—
gejeb nebft den andern hiermit beorderten Dingen follen nicht zur
Einmifhung in die Wahlen oder in die Verhandlungen der confti-
tutionellen Zegislatur von Kentudy benutzt werden, noch zur Ein»
320 Das Leben Abraham Lincolns.
mifchung in die Juſtizverwaltung der dafelbft beftehenden Gerichtshöfe
in Fällen zwifchen Bürgern der Vereinigten Staaten, fofern folche
Fälle Nichts mit den militärifchen Operationen oder den zu—
ftändigen Behörden der Vereinigten Staaten Regierung zu thun
haben,
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Unterfchrift beigeſetzt
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lafjen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington, am fünften Tage des
Monats Zuli, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
vierundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit der
Vereinigten Staaten. |
„Auf Befehl des Präfiventen : Abraham Fincoln.“
„William 9 Seward, Staatsfekretär.”
Die Frage hinfichtlich der Grundſätze, nach welchen die Rebellen-
Staaten reconftruirt werden follten, wenn die Snfurreftion inner-
halb ihrer Grenzen unterdrüdt fein würde, hatte fich bereits ſchon,
wie in einem früheren Kapitel erwähnt wurde, zur Erwägung und
Entfcheidung dargeboten. Nachdem der Congreß faft im legten
Moment feiner Situng eine fih auf diefen Gegenftand beziehende
Bill paffirt hatte, erließ der Präfivent am 9. Zuli folgende Pro-
Hamation, worin er diefelbe im Wefentlichen billigte und geneh-
migte, jedoch mit Louiſiana und Arkanfas eine Ausnahme machte,
da diefe Staaten dem ©eift und Inhalt einer früheren Proflama-
tion gemäß, wodurch der Wille eines Zehntels der Stimmgeber
des Staates zu deſſen Rückkehr zur Treue genügte, reorganifirt
worden waren, während die Gongrefbill die Stimmen einer Ma-
jorität erforderte:
„Sintemalen bei der legten Sitzung des Congreffes eine Bill
paffirt wurde, um gewiffen Staaten, deren Regierungen ufurpirt
oder umgeftürzt worden waren, eine republifanifche Regierungs-
form zu garantiren, — von welcher Bill eine Copie beifolgt —;
und
„Sintemalen befagte Bill dem Präfiventen der Vereinigten
Staaten weniger als eine Stunde vor der sine die Vertagung be-
fagter Sitzung zur Genehmigung überfandt und von ihm nicht
unterzeichnet wurde; und
Reconfiruftion. 321
„Sintemalen beſagte Bill unter Anderm einen Plan zur
Wiederherſtellung der in Rebellion befindlichen Staaten zu ihrer
praftifchen Beziehung zur Union enthält, welcher Plan die Gefin-
nung des Congrefjfes über diefen Gegenſtand ausdrückt, und der
hiermit dem Volke zur Erwägung vorgelegt wird:
„Deshalb proflamire und erkläre ich, Abraham Lincoln,
Präſident der Vereinigten Staaten, daß ich, wie im lebten Dezem-
ber, als ich durch eine Proflamation einen Plan zur Reftoration
vorſchlug, noch jeßt unvorbereitet bin, mich durch formelle Geneh-
migung diefer Bill unwiderruflich an einen einzigen Reftorationg-
plan zu binden; Daß ich gleichfalls unvorbereitet bin, zu erflären,
daß die bereits in Arkanfas und Louifiana adoptirten und inftal-
lirten Sretftants-Conftitutionen und Regierungen für null und
nichtig erklärt und die Ioyalen Bürger, die dieſelben gegründet,
dadurch von ferneren Bemühungen abgefchredt und entmuthigt
werden follen; ferner, daß ich nicht Willens bin, dem Congreß die
eonftitutionelle Befugniß einzuräumen, in irgend einem Staate
die Sklaverei einzuführen; daß ich vielmehr aufrichtig die An-
nahme eines Amendments zur Conftitution hoffe und erwarte,
wodurch die Sklaverei in der ganzen Nation bewirkt würde; daß
ich trogdem mit dem in der Bill enthaltenen Reſtorationsſyſtem
völlig einverftanden bin, da es einen fehr geeigneten Plan für die
Bürger irgend eines Staates bietet, die denfelben zu adoptiren
wünſchen; und daß ich ftets bereit fein werde, irgend einem fol-
hen Bolfe erefutive Hilfe und Unterftügung zu gewähren, fobald
der bewaffnete Widerftand gegen Die Vereinigten Staaten in irgend
einem ſolchen Staate unterdrüdt und das Volk zum Gehorfam
gegen die Eonftitution und die Geſetze der Vereinigten Staaten
zurüdgefehrt ift, in welchem Falle militärifche Gouverneurs mit
Inftruftionen, nad befagter Bill zu verfahren, ernannt werden
follen.
„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefest und dag Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Begeben in der Stadt Wafhington am achten Tage des
Monats Juli, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert
21
322 Das Leben Abraham Lincolns.
und vierundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit
der Vereinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham Fincoln.“
„Billiam 9. Seward, Staatsfefretär.”
Folgendes tft die Bill, deren Eopie der Proflamation beigefügt
war:
„Eine Bill, um gewiffen Staaten, deren Regierungen ufurpirt
oder geftürzt worden waren, eine republifanifche Regierungsform
zu garantiren,
„BDefchloffen durdy den Senat und das Veprafentantenhaus der
Vereinigten Staaten von Amerika, im Congreß verfammelt: —
Daß in den Staaten, die fi in Rebellion gegen die Vereinigten
Staaten befinden, der Präfident auf den Rath und mit der Zu-
fimmung des Senats für jeden derfelben einen proviforifchen
Gouverneur ernennen foll, deffen Einkünfte und Emolumente die
eines VBoluntär-Brigade-Generals nicht überfteigen dürfen, und
dem die Ciyil-Adminiftration eines ſolchen Staates obliegen fol,
bis in demfelben nach folgenden Beftimmungen eine Staats-Re—
gierung anerkannt fein wird.
„Paragraph 2. Berner befhloffen, daß, fobald der
bewaffnete Widerſtand gegen die Vereinigten Staaten in irgend
einem folchen Staate unterdrüdt und das Volk veffelben zum Ge-
horſam gegen die Conftitution und die Geſetze der Vereinigten
Staaten zurüdgefehrt fein wird, der proviforifche Gouverneur ſo—
bald wie möglich den Marfchall der Vereinigten Staaten anweifen
foll, eine genügende Anzahl Deputirte zu ernennen und ſämmt—
liche weiße männliche Bürger der Vereinigten Staaten, die in
ſolchem Staate wohnhaft find, in ihren refpeftiven Counties zu
enrolliren und Jeden einen Eid leiften zu laffen, daß er die Con—
ftitution der Vereinigten Staaten unterſtützen wolle, und in die—
fen Liften Diejenigen anzugeben, welche den Eid leiſten, ſowie
Diejenigen, welche fich deſſen weigern; welche Liften fofort dem
proviforifchen Gouverneur zugeftellt werden follen. Und wenn
die Anzahl der Perfonen, die den Eid leiften, eine Majorität der
im Staate enrollirten Perfonen ausmacht, fo fol der proviforifche
Reconftruftion. 323
Gouverneur mittelft einer Proflamation das loyale Volk des
Staates einladen, Delegaten zu einer Convention zu erwählen,
beauftragt, den Willen des Volkes im Staate hinſichtlich der
Wiederheritelung einer Staats-Regierung unter und in Ueber-
einftimmung mit der Conftitution der Vereinigten Staaten fund
zu thun.
„Paragraph 3. Beſchloſſen, daß die Convention aus
eben fo vielen Mitglievern beftehe, wie die beiden Häufer der letz—
ten conftitutionellen Legislatur, und vom prosiforifchen Gouver—
neur gleichmäßig auf die Counties, Parifhes oder Diftrifte des
Staates vertheilt werde im Berhältniß zu der weißen Bevölkerung,
wie fie in Hebereinftimmung mit diefer Afte von dem Marfchall
ermittelt wird. Der proviforifche Gouverneur fol durch eine
Proflamation die Anzahl der von jenem County, Parifh oder
Diftrift zu erwählenden Delegaten beftimmen; einen Tag zur
Wahl feftfegen, die jedoch nicht früher als dreißig Tage nad) dem
Erlaß der Proflamation ftattfinden darf; den Ort der Wahl in
jedem County, Parifh oder Diftrift bezeichnen, wobei jedoch fo weit
wie möglich die unmittelbar vor der Rebellion üblich gewefenen
Orte bei den Staatswahlen beibehalten werden follen ; ferner fol
er einen oder mehrere Commiſſäre ernennen, um an jedem dieſer
Drte die Wahl zu leiten, und eine hinlängliche Force detadhiren,
um während der Wahl den Frieden aufrecht zu halten,
„Paragraph 4 Befhloffen, daß die Delegaten von den
Ioyalen, weißen, männlichen Bürgern der Vereinigten Staaten
erwählt werden follen, die das Alter von einundzwanzig Jahren
erreicht haben und zur Zeit in dem Eounty, Parifh oder Diftrikt
wohnhaft ind, in welchem fie enrollirt wurden und zu flimmen
wünjchen, oder im militärifchen Dienfte der Vereinigten Staaten
ftehen, und die den in der Congreßafte vom 2, Juli 1862 vorge—
ſchriebenen Treueid gegen die Vereinigten Staaten leiften; daß
ferner alle folche Bürger der Vereinigten Staaten, welche im Mi-
litärdienft derfelben ftehen, ihre Stimmen in den Hauptquartieren
ihrer betreffenden Commandos abgeben follen, und zwar unter
jolhen Regulationen, wie fie vom proyiforifchen Gouverneur zur.
Abnahme und Einfendung ihrer Stimmen vorgefchrieben werden
824 Das Leben Abraham Lincolns.
mögen; daß endlich Feine Perfon, die während der Nebellen-
Ufurpation irgend ein Civil- oder Militäramt im Staats- oder
Eonföderirten-Dienft verwaltete, oder freiwillig die Waffen gegen
die Vereinigten Staaten ergriffen hat, ſtimmen oder bei folcher
Wahl zum Delegaten wählbar fein folle.
„Paragraph 5. Befhloffen, daß befagte Commiſſäre
und jeder Einzelne derſelben die Wahl in Gemäßheit dieſer Akte
leiten und, ſo weit es mit derſelben vereinbar iſt, dabei nach der
vor der Rebellion in dem Staate üblich geweſenen Weiſe verfah—
ren ſoll. Der Treueid ſoll in der oben beſchriebenen Form gelei—
ſtet und im Wahlbuche (poll-book) unterzeichnet werden; jede
Perſon aber, von der bekannt iſt oder den Commiſſären bewieſen
wird, daß dieſelbe irgend ein Civil-oder Militäramt im Conföde—
rirten= oder Staatsdienft während der Rebellen-Ufurpation ver-
waltete oder freiwillig die Waffen gegen die Vereinigten Staaten
ergriffen bat, fol von der Wahl ausgefchloffen werden, felbit wenn
diefelbe zu fimmen wünſcht; und im Fall irgend eine Perfon, die
gegen, die Vereinigten Staaten unter Waffen geftanden hat, ihre
Stimme abzugeben verlangt, fol diefelbe fo behandelt werden, als
babe fie freiwillig die Waffen ergriffen, es fei denn, daß durch das
Zeugniß eines qualifieirten Stimmgebers das Gegentheil bewiefen
wird. Das Wahlbuh fol den Namen und Eid eines jeden
Stimmgebers enthalten und von dem Wahl-Commiffär dem pro-
viforifchen Gouverneur überliefert werden; und der proviforifche
Gouverneur fol die Stimmen zählen laffen und diejenige Perfon
für erwählt erklären, welche die höchſte Stimmenanzahl erhal-
ten bat,
„Paragraph 6. Befchloffen, daß der proviforifche Gou—
verneur die auf die oben erwähnte Art erwählten Delegaten durch
eine Proflamation in die Hauptftadt des Staates zufammenberu=
fen foll, jedoch nicht eher, als dreißig Tage, und nicht fpäter, als
drei Monate nad) der Wahl. Sollte feinem Urtheile nach befagte
Hauptjtadt hierzu ungeeignet fein, fo foll er in feiner Proflama-
tion einen andern Ort beftimmen. Er foll bei den Berathungen
der Convention den Vorſitz führen und jedem Delegaten, ehe der—
felbe feinen Sit in der Convention einnimmt, den oben be-
Reconftruftion, 325
fhriebenen Eid der Treue gegen die Bereinigten Slaaten ab-
nehmen. .
„Paragraph 7. Befhloffen, daß die Convention im
Namen des Volfes des Staates ihre Unterwerfung unter die Con—
ftitution und die Gefege der Vereinigten Staaten erflären und
folgende Beftimmungen adoptiren fol, die hiermit von den Ber-
einigten Staaten in der Ausübung ihrer conftitutionellen Pflicht,
jedem Staate eine republifanifche Regierungsform zu garantiren,
vorgefchrieben werden; welche Beftimmungen der Conftitution
des Staates einverleibt werden follen; nämlich:
„Erftens: Keine Perfon, die irgend ein Civil- oder Mi—
litäramt (ausgenommen find bloße Dienftleiftungsäamter und
militärifche Stellungen unter dem Rang eines Oberften,) im
Dienft der ufurpirenden Macht bekleidet hat, fol für ein
Mitglied der Legislatur oder für einen Önuverneurs-Sandi-
daten ihre Stimme abgeben, noch zu einem folchen Amte
wählbar fein.
„Zweitens: Unfreiwillige Knechtfehaft ift für immer in
dem Staate verboten, und allen Perfonen wird ihre Freiheit
dafelbft garantirt.
„Drittens: Keine unter der ufurpirenden Macht einge-
gangene oder von derfelben fanktionirte Staats- oder Cor—
porationsfchuld fol von dem Staate anerfannt und bezahlt
werden.
„Paragraph 8 Befhloffen, daß die Convention nad)
Annahme diefer Beftimmungen ſich an das Werk machen foll, eine
republifanifche Regierungsform wieder herzuftellen und eine Con—
ftitution zu ordiniren, der diefe Beftimmungen einverleibt werden;
welche Conftitution nach ihrer Annahme von der Convention durch
eine Ordinanz dem Volke des Staates vorgelegt werden fol, das
unter diefem Geſetze nach der in der Alte für die Wahl der Dele-
gaten vorgefchriebenen Weiſe zu ſtimmen berechtigt if. Die Eon-
vention foll Zeit und Ort für die Wahl beftimmen, bei welcher be=
fagte Wahl-Delegaten (electors) und feine andere direkt für oder
gegen fulche Konftitution und Staatsregierung ſtimmen follen; Die
Wahlbücher von folder Wahl follen dem proviforifchen Gouverneur
326 Das Leben Abraham Lincolns.
zugeftellt werden, der in Gegenwart der Wahl-Delegaten die Stim-
men zählen fol, und wenn eine Majorität der Stimmen für die
Eonftitution und Regierungsform abgegeben wurde, foll er diefelbe
beglaubigen und eine Eopie davon mit feiner Beglaubigung dem
Präfidenten der Vereinigten Staaten einfenden, welcher nach ein—
geholter Zuftimmung des Congreffes die fo etablirte Regierung und
feine andere als die conftitutionelle Regierung des Staates aner-
fennen fol. Bon dem Tage folcher Anerkennung an, nicht aber
früher, dürfen Senatoren und Repräfentanten, fowie Eleftoren für
die Präfidentfchaft und Vice-Präfidentfchaft, den Gefeten des Staa—
tes und der Vereinigten Staaten gemäß in foldem Staate gewählt
werden.
„Paragraph 9. Befhloffen, daß wenn die Convention
fich mweigert, die Staatsregierung auf die oben erwähnten Bedin-
gungen wieder berzuftellen, der proviforifche Gouverneur diefelbe
für aufgelöft erflären fol, Es fol jedoch die Pflicht des Präfiventen
fein, jobald feiner Anficht nach eine genügende Anzahl der Bürger
des Staates (den Beitimmungen diefer Akte gemäß wahlfähig und
mindefteng eine Majoritat Derer, die enrollirt wurden, umfaffend)
willig fein werden, auf obige Bedingungen hin eine Staatsregie-
rung zu etabliren, dem proviforifchen Gouverneur den Auftrag zu
ertheilen, abermals eine Wahl von Delegaten zu einer Convention
anzuordnen und in jeder Hinficht wie oben angegeben zu verfahren,
um entweder die Convention aufzulöfen oder dem Präfidenten eine
beglaubigte Mittheilung der Wiederherftellung der Staatsregierung
zu übermachen, |
„Paragraph 10. Befhloffen, dag, bis die Vereinigten
Staaten eine republifanifche Regierungsform eines Staates aner-
kannt haben, der proviforifche Gouverneur in jedem der befagten
Staaten darauf achten fol, daß dieſe Akte, ſowie die Gefebe der
Vereinigten Staaten und die andern Gefebe des Staates, die vor
dem Umfturz der Staatsregierung durch die Rebellion in Kraft be-
ftanden, innerhalb des Staates getreulich zur Ausführung kommen.
Kein Gefeb oder Gebrauch aber, nach welchem irgend eine Perfon
ehedem in unfreimilliger Knechtſchaft gehalten wurde, foll von ir-
gend einem Gerichte oder irgend einem Beamten in ſolchem Staate
Reconftruftion. 827
anerkannt und ausgeführt werden; und Die für dag Verhör und
die Beftrafung weißer Perfonen beftehenvden Geſetze follen auf alle
und jegliche Perfonen angewendet werden, und Gefchworene follen
die Qualififationen der Stimmgeber für Delegaten zur Convention
unter diefem Gefege befiten. Der Präfident foll, wenn er es für
nothwendig hält, für die Civil-Aominiftration des Staates nad
den vor der Rebellion dafelbft in Kraft gewefenen Gefegen Beamte
ernennen, die zu allen Gebühren und Emolumenten berechtigt fein
follen, die von den Staatögefegen für ſolche Beamten ausgeſetzt find.
„Paragraph 11. Befchloffen, daß bis zur Anerkennung
einer Staatsregierung der proviforifche Gouverneur unter Regula—
tionen, die er felbft vorfchreiben mag, für das Jahr eintaufend acht-
hundert und vierundfechzig, fowie für jedes folgende Fahr, vie
Aſſeſſion und Eintreibung der Steuern anordnen foll, die durch die
Gefete des Staates während des dem Umfturz der Staatsregierung
vorhergehenden Fiskaljahres auferlegt wurden, und zwar fo meit
wie möglich nach der in den Geſetzen des Staates vorgefchriebenen
Weiſe. Und die vom Präfidenten ernannten Beamten follen volle
Macht haben, ſolche Steuern aufzuerlegen und mit Milde oder Ge-
walt einzutreiben, Für die Ergebniffe folcher Steuern foll dem
prosiforifchen Gouverneur Rechenfchaft abgelegt werden, und diefer
fol mit dem Ertrag derfelben, vorbehaltlich der Anordnung des
Präfiventen, die Ausgaben für die Verwaltung der Gefege in fol-
chem Staate beftreiten; der Ueberſchuß aber foll im Schagamt der
Bereinigten Staaten zum Credit befagten Staates deponirt und
dem Staate auf eine Appropriation hin zurücdbezahlt werden, fo-
bald in demfelben von den Bereinigten Staaten eine republifanifche
Regierungsform anerkannt fein wird.
„Paragraph 12. Beſchloſſen, daß alle in befagten
Staaten in unfreiwilligem Dienft oder Arbeit gehaltenen Perfonen
hiermit emaneipirt und freigefprochen werden, und daß fie und ihre
Nachkommen für immer frei bleiben ſollen. Uud wenn irgend eine
folche Perfon oder deren Nachkommen unter irgend einem Vorwande
yder Anfpruch ihrer Freiheit beraubt und zum Dienft angehalten
werden, die Gerichte der Vereinigten Staaten diefelben auf einen
Habeas Corpus Writ freifprechen follen.
328 Das Leben Abraham Lincolns.
„Paragraph 13. Beſchloſſen, daß wenn irgend eine durch
dieſe Afte, oder Durch irgend ein Geſetz der Vereinigten Staaten,
oder durch irgend eine Proflamation des Präfiventen für frei er=
Härte Perfon ihrer Freiheit beraubt und zu unfreiwilligem Dienft
und Arbeit angehalten werden follte, Die von einem competenten
Gerichtshof Diefes Verbrechens für fchuldig befundene Perfon mit
einer Geldbuße von nicht weniger als eintaufend fünfhundert Dol-
lars und einer Einferferung auf nicht weniger als fünf und nicht
mehr als zwanzig Jahre beftraft werden fol.
„Paragraph 14. Beſchloſſen, daß jede Perfon, die
fortan im Rebellendienfte irgend ein Civil- oder Militäramt ver-
waltet (ausgenommen bloße Dienftleiftungsämter und militärifche
Chargen unter dem Range eines Oberften), hiermit des Bürger-
rechts der Vereinigten Staaten für verluftig erflärt wird,“
Einundzwanzigſtes Kapitel.
Präfidentfchafts-Campanne von 1864.
. Proklamation eines Safltags — Anrede an die Soldaten — Eine andere
Rede — „Wen es angehen mag — Die Chirago Tonvention — Die Der-
legenheiten der Oppoſition — Befhluß No. 2 — Mrllellan’s Annahme—
Einnahme der Forts von Mobile und der Stadt Atlanta — Proklamation
bezüglich eines Dankfefles — Kemerkungen über die Verwendung von Ne—
gerfoldaten — Adreffe an loyale Marylander.
Am 7, Zuli erfehten folgende Ankündigung eines National-Faft-
tags:
„Sintemalen der Senat und das Nepräfentantenhaus bei
ihrer lebten Sigung einen gemeinfamen Beſchluß faßten, der am
3. Juli genehmigt wurde und folgendermaßen lautet:
Befhloffen, daß der Präfivent der Vereinigten Staaten
erfucht werde, einen Buß- und Bettag für das Volk der Vereinigten
Staaten feflzufegen; daß er feine conftitutionellen Rathgeber an
Präjidenrfchaits:Campagne von 1864, 329
der Spike der Erefutiv-Departements auffordere, fich mit ihm, dem
Dberhaupt der Nation in der Stadt Wafhington, den Mitgliedern
des Eongreffes, ſämmtlichen Magiftratsperfonen, Eivilbeamten, Mi—
litär- und Marineoffizieren, allen Soldaten und Matrofen, fowie
mit allen Ioyalen und gefeßliebenden Leuten des Landes zu verei-
nigen, um fich in ihren gewohnten Ootteshäufern, oder mo es auch
fonft fein mag, zu verfammeln und ihre vielfältigen Sünden zu be=
fennen und zu bereuen; um die Gnade und Barmherzigkeit des
Almächtigen anzuflehen und ihn zu bitten, daß dieſe Rebellion,
wenn es feinem Willen angenehm ift, fehleunig unterbrüdt und die
Suprematie der Conftitution und der Gefebe der Bereinigten Staa—
ten in allen Staaten wieder hergeftellt werden möge; um ihn, den
höchſten Herrfcher der Welt, anzuflehen, ung als Volk nicht unter-
gehen zu laffen, noch unfern Untergang durch die Feindfeligfeit an-
derer Nationen, oder durch unfer eigenes hartnädiges Beharren auf
unferem Willen, der mit feinen ewigen Rathichlägen im Wider-
fpruch ftehen mag, herbeizuführen; um ihn zu bitten, den Geift der
Nation zu erleuchten, Damit wir feinen Willen fennen lernen und
erfüllen — da feine Nation für die Dauer beftehen kann, die bei
ihrer Halsftarrigfeit und Verftodtheit beharrt; um ihn anzuflehen,
daß er unfern bewaffneten Vertheidigern, fowie auch der Maffe des
Bolfes Muth und Ausdauer verleihen wolle, um jenes Ziel zu er-
reichen; um ihn anzuflehen, in feiner unendlichen Güte die Herzen
der Rebellen zu rühren, ihren Geift zu erleuchten und ihr Gewiſſen
zu erweden, damit fie die Waffen niederlegen und fchleunig zu ihrer
Treue gegen die Vereinigten Staaten zurüdfehren, auf daß fie nicht
gänzlich vernichtet würden, auf daß dag Blutvergießen ein Ende
nehmen und Friede, Eintracht und Bruderliebe auf's Neue im gan
zen Lande herrfchen mögen.”
„In berzlicher Hebereinftimmung mit den frommen und reumü-
thigen Oefinnungen, die der Congreß in obigem Befchluffe aus—
drüdte, beftimme daher ich, Abraham SFincoln, Präfident der Ver-
einigten Staaten, den erften Donnerstag im Monat Auguft zu
einem National Buß- und Bettag für das Volk der Vereinigten
Staaten,
„Und ferner erfuche und bitte ich Die Chefs der Erefutiv-Departe-
330 Das Leben Abraham Lincolns.
ments diefer Regierung, fammt allen Gefebgebern, Richtern, Magi-
ftratsperfonen und allen andern Perfonen im Lande, Die irgend eine
Macht oder Autorität ausüben, ſei es nun im Civil-, Militär- oder
Marinedienft, fowie alle Soldaten und Matrofen im Dienfte der
Nation und alle andern Ioyalen und gefegliebenden Leute in den
Bereinigten Staaten, fih an jenem Tage in ihren gewohnten Got—
teshäufern zu verfammeln, und dafelbft dem allmächtigen und all-
gütigen Herrfcher des Weltalls ſolche Huldigung, folche Befenntniffe
und folche Gebete darzubringen, wie der Congreß der Vereinigten
Staaten in obigem Befchluffe fo feierlich, ernft und ehrerbietig an
empfohlen hat,
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefett und Das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Geſchehen in der Stadt Wafhingion, am fiebenten Tage des
Monats Juli, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert
und vierundfechzig und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit
der Vereinigten Staaten von Amerika,
„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Lincoln.”
„William 9. Seward, Staatsſekretär.“
Am 18, Auguft machte eine Anzahl von Ohio Voluntären, die
nad Ablauf ihres Dienfttermins nach Haufe kehrten, dem Prä-
fiventen ihre Aufwartung. Diefer erwiederte auf ihre Anrede:
„Soldaten: — Ihr feid im Begriffe, nach eurer Heimath und
zu euren Freunden zurüdzufehren, nachdem ihr, wie ich vernehme,
einen verhältnigmäßig kurzen Termin in diefem großen Kampfe
gedient habt. Ich bin euch und Allen, die dem Rufe ihres Lan-
des folgten, zu großem Danke verpflichtet,
„Ich wünfche nur, daß der Kampf, in welchem das Land begrif-
fen ift, beffer und allgemeiner gewürdigt würde. Wir haben, wie
Ale zugeftehen werden, eine freie Regierung, mo ein Jeder mit
feinem Nächften auf gleichem Fuße fteht. Siegen unfere Feinde
in diefem großen Kampfe, fo ift dieſe Regierungsform und jede
Form menschlicher Rechte gefährdet. Nicht Alle begreifen, welch’
große Bewandtniß es mit diefem Kampfe hat. Es handelt fich
Darum, ob eure Kinder und meine Kinder die Privilegien genie-
Präfidentfchafts-Campagne von 1864, 381
x
—⸗
ßen ſollen, deren wir uns erfreuten. Ich ſage dies, um es euch
tief einzuprägen, falls ihr es nicht bereits ſelbſt eingeſehen habt,
daß keine kleinlichen Rückſichten uns von unſerem großen Zwecke
ablenken ſollten.
„In der praktiſchen Operation unſeres Syſtems mögen Ungleich—
heiten vorkommen. Es iſt recht und billig, daß ein Jeder nach
dem exakten Verhältniß zum Werthe ſeines Eigenthums beſteuert
werde; wenn wir aber vor dem Collektiren einer Taxe anhalten
wollten, um die Taxen eines jeden Mannes im genauen Verhält—
niß zu denen eines Andern abzumeffen, fo würden wir niemals
eine Tare colleftiren. Es mögen zuweilen Srrthümer vorfommen ;
es mögen Mißgriffe gemacht werden, allein die Beamten der Re-
gierung thun ihr Möglichftes, um diefelben zu verhüten.
„Sch bitte euch aber, euch als Bürger dieſer großen NRepublif
durch Nichts von dem großen Werke, das wir vor ung haben, ab-
bringen zu laffen. Der Kampf ift zu groß, zu gewaltig, als daß
Hleinliche Dinge die Oberhand gewinnen dürften, Wenn ihr
nun nad eurer Heimath gelangt, fo erhebt euch zur Höhe einer
Generation, die einer freien Regierung würdig ift, und dann wol-
len wir das große Werk ausführen, das wir begonnen haben,
Soldaten, nochmals fage ich euch meinen aufrichtigen Dank für
die Ehre, die ihr mir dieſen Nachmittag erwiefen habt.“
Bei einer ähnlichen Veranlaffung hielt Herr Lincoln am 22,
Auguft folgende Anrede:
„Soldaten: — Ihr feid, wie ich vermuthe, auf eurem Weg nad)
Haufe, um nach euren Samilien und Freunden zu fehen. Für die
Dienfte, die ihr in dieſem großen Kampfe geleijtet habt, nehmt
jest meinen, nehmt des Landes aufrichtigen Danf mit euch.
„So oft ich nur mit Soldaten rede, fühle ich mich angetrieben,
ihnen mit wenigen furzen Bemerkungen die Wichtigkeit des Erfol-
ges in’ unferm Streite vor Augen zu halten, Es ift nicht nur ein
Kampf für heute, fondern für alle Zeiten; auf unfere Kinder und
Kindeskfinder follten wir diefe große und freie Regierung forterben.
Ich bitte euch, dies im Gedächtniß zu behalten, nicht nur um
meinet- fondern vorzüglich um euretwillen. Sehet, ich bewohne
832 Das Leben Abraham Lincolns.
zufälligerweife und auf kurze Zeit diefes große Weiße Haus. Ich
bin daher ein lebendiger Beweis, daß vielleicht dereinſt irgend einer
eurer Söhne hier wohnen kann, gerade wie meines Vaters Sohn
jest hier wohnt,
„Damit Jedem son euch durch dieſe freie Regierung ein großes
Feld für feine Induftrie und Intelligenz offen bleibe; damit ihr
Alle die gleichen Privilegien, diefelben Hoffnungen und Ausfichten
haben möget, follte diefer Kampf durchgefochten werden, und
dauere er nicht nur ein Jahr, fondern felbft zwei oder drei Fahre,
Es ift der Mühe werth, daß die Nation kämpfe, um ein fo unfhäg-
bares Kleinod zu retten.“
Während der ſchon früher erwähnten Aufregung im Juli über
die Verfuche der Rebellen, die National-Hauptftadt zu erobern,
wurden dem Präfidenten VBorftellungen gemacht, daß gewiſſe In—
dividuen, die als Vertreter der Infurgentenführer zu handeln vor—
gaben, fih in Kanada aufhielten und zu Unterhandlungen erbötig
wären, die auf die Wiederherftellung des Friedens hinzielten.
Als Erwiederung hierauf erließ Herr Lincoln folgende Note, die
großen Anftoß bei Denjenigen erregte, welche vorgaben, zu glau—
ben, daß die Rebellen in eine Wiederherftellung des Friedens ohne
Anerkennung der füplichen Eonföderation willigen würden:
„Erxrecutiv⸗Gebäude, Wafhington, den 18, Juli 1864,
„Wen es angehen mag. — Irgend ein Borfchlag, der die Wie-
berherftellung des Friedens, die Integrität der Union und das
Aufgeben der Sklaverei umfaßt und von einer Autorität fommt,
welche Die zur Zeit im Krieg gegen die Vereinigten Staaten bes
griffenen Armeen zu controlliren vermag, wird von der Erefutiv-
Regierung der Vereinigten Staaten aufgenommen und erwogen
werden. In Bezug auf andere fubftantiele und collaterale Punkte
follen liberale Bedingungen gewährt werden, und den Ueberbrin-
gern des Borfchlages wird ficheres Geleit zur Hin- und Herreife
zugefichert.
Abraham Sincoln.”
Hiermit endigte diefer Verſuch, eine Spaltung unter den An-
bängern der Adminiftration zu bewirken.
Praſidentſchafts⸗ Campagne von 1864. 383
Am 29, Auguft 1864 verfammelte fich die National-Eonvention
der demofratifchen Partei zu Chicago, Che diefelbe tagte, hatte
(am 18, Auguft) eine „Sriedens-Eonvention’‘ zu Syracufe ftatt-
gefunden, bei welcher unter Anderm befchloffen wurde, daß e3 die
Pflicht der Chicago Convention fei, einem wohlthätigen Friedens—
wunfche Ausdrud zu geben und zu erklären, daß es die Abficht der
demofratifchen Partei wäre, im Falle fie zur Macht gelangte, dem
verheerenden Kriege Einhalt zu thun und zwar durch eine Nativ-
nal-Conyention, bei welcher ſämmtliche Staaten in ihrer ſouverä—
nen Macht vertreten fein follten; und daß zu dieſem Zwede ein
MWaffenftillftand son hinlänglicher Dauer erklärt werden müßte,
um den Staaten und deren Bolf Zeit und Gelegenheit zu geben,
über eine neue Union reiflich nachzudenken und zu einem Ent-
fchluffe zu gelangen.
Zwei Faktionen waren in Chicago vertreten. Die eine war zu
Gunſten eines Friedens um jeden Preis, auf jede Bedingungen
und unter allen Umſtänden; die andere fuchte fich gefchäftig jeden
Bortheil irgend eines Irrthums der Adminiftration zu Nuben zu
machen, befaß aber nicht Frechheit genug, ſich für eine Einftellung
der Feindfeligfeiten um jeden Preis zu erflären,
Sp zufammengefegt und zerfpalten, befchloß die noch immer
anfehnliche demofratifche Partei — die feit fo vielen Jahren das
Land beherrfcht hatte und deren Zerfplitterung im Jahre 1860
den unmittelbaren Anlaß zum Bürgerfriege gab — das zu thun,
was fie nie zuvor gewagt hatte. Sie verfuchte zur felben Zeit
zwei Pferde zu reiten, die in ſchnurſtracks RIREGERDEIEINER Rich⸗
tungen liefen.
Um die Gefühle Derer zu verſöhnen, die noch immer für die
Verfolgung des Krieges waren, ohne jedoch in dieſer Richtung
allzu weit zu gehen, und um möglichit viele Soldatenftiimmen zu
gewinnen, wurde General McElellan für die Präfiventfchaft no-
minirt. Um jedoch diefe anfcheinende Tendenz zum Kriege zu
neutralifiren, ftellten fie ihm George H. Pendleton von Ohio als
Kandidat für die Vice-Präfivdentfchaft zur Seite, Diefer war
während feiner ganzen congreffionellen Earriere als Mitglied des
Reprüfentantenhaufes ala einer der ärgften Friedensheuler be-
334 Das Leben Abraham Lincolns.
fannt gewefen und fungirte nun als der Erponent der Ultra—
Eopperhead-Faktion,
Nachdem auf diefe Art Gift und Gegengift gemifcht worden
waren, wie fie nur ein politifcher Chemiker zu mifchen vermochte,
wurden die beiden Kandidaten auf eine und diefelbe Plattform
geftellt, deren zweiter Befchluß folgendermaßen lautete:
„Beſchloſſen, daß diefe Konvention ausdrücklich als den
Ausdrud der Gefinnung des amerikanifchen Volkes erflärt, daß
nach) vierjährigem mißlungenen Verſuch, die Union durch Waffen-
gewalt herzuftellen, während welcher Zeit unter dem Vorwand
einer militärifchen Nothwendigfeit oder Kriegsgemwalt, höher ala
die Conftitution felbft, diefe gänzlich umgeftoßen, die öffentliche
Freiheit und die Privatrechte der Bürger mit Füßen getreten und
die materielle Wohlfahrt des Landes mefentlich geftört worden —
Gerechtigkeit, Humanität, Freiheit und Wohlfahrt gebieten, daß
die Seindfeligfeiten fofort eingeftellt würden, um durch eine Con—
vention aller Staaten, oder andere friedliche Mittel die Wieder-
herftellung des Friedens auf der Bafis einer föderalen Staaten—
Union anzuftreben.“
Nachdem dies gefchehen, vertagte fich die Convention; jedoch
erit, nachdem fie dadurch für ihre fernere Eriftenz geforgt hatte,
daß fie den Vorfißer zu ihrer Wiederzufammenberufung bevoll-
mächtigte, falls er diefelbe für nothwendig erachten follte,
MeEClelan nahm felbftverftändlich die Nomination an; war ja
Doch durch Diefelbe die Gefchichte feiner Thaten (his public record)
sindieirt worden! In feinem Annahmebrief ging er um den
Sriedenspunft herum, wie die Kate um den heißen Brei; igno—
tirte die Idee einer Einftelung der Feindſeligkeiten und ſchwatzte
ein Langes und Breites über „die Union, die ganze Union und
nichts als die Union.” Zwar war diefer Brief vag und allgemein
genug gehalten, um dem Zweck zu entfprechen; dennoch aber er—
regte er großes Mißvergnügen unter den —ere⸗⸗
Preis-Leuten.“
So bot ſich denn mitten in einem Bürgerkriege, der ohne ſeines
gleichen in der Weltgeſchichte daſteht, das merkwürdige Schauſpiel
Präfidentfchafts-Campagne von 1864. ‚ 989
dar, daß fich ein großes Volk im Ernfte zu einer politifchen Cam—
pagne vorbereitete, deren Hauptpunft die Frage war, ob der Krieg
überhaupt fortgefegt werden follte,
Bald nad der Vertagung der Chicago-Eonvention kam die
Nachricht von der Einnahme von Atlanta und der Eroberung der
Forts im Hafen von Mobile. Diefe Ereigniffe bewiefen, daß der
Krieg denn doch nicht fo ganz erfolglos geblieben war. Der
Dank der Nation wurde durch den Präfidenten den tapfern Of—
fiieren, Soldaten und Matrofen ausgevrüdt, die jene Operatio—
nen fiegreich zu Ende gebracht hatten; Nationalfaluten wurden
beordert, und am 3. September 1864 erfchien folgende Prokla—
mation:
„Der glänzende Erfolg, den die göttliche VBorfehung den Ope—
rationen der Vereinigten Staaten Flotte und Armee im Hafen
von Mobile verliehen hat, ſowie die Eroberung von Fort Powell,
Fort Gaines und Fort Morgan, und die glorreihen Thaten der.
Armee unter Öeneralmajor Sherman im Staate Georgia, die mit
der Einnahme der Stadt Atlanta endigten, erheifchen eine ehrer-
bietige Anerkennung des höchſten Wefens, in deffen Händen die
Geſchicke der Nationen liegen.
„Ich ordne daher an, daß nächſten Sonntag in allen Kirchen
und Gotteshäufern der Vereinigten Staaten dem Allmächtigen
Preis und Dank dargebracht werde für feine Gnade, indem er
unfere nationale Eriftenz aufrecht erhielt gegen die Infurgenten
und Rebellen, die einen graufamen Krieg gegen die Regierung
der Vereinigten Staaten führten, um deren Umfturz herbeizufüh-
ren; fowie auch, um feinen göttlihen Schuß für unfere tapfern
Soldaten und deren Führer anzuflehen, die fo oft im Kampf mit
dem Feinde ihr Leben für uns mwagten; und um den Vater im
Himmel zu bitten, mit feinem Segen und Troft den Verwundeten,
Kranken und Gefangenen zu nahen, und auch den Wittwen und
Waiſen Derer, die im Dienfte ihres Landes gefallen find, und Die
Negierung der Bereinigten Staaten auch fernerhin gegen alle
Anfchläge öffentlicher und geheimer Feinde zu ſchützen und zu bes
wahren. Abraham Fincoln.“
336 Tas Leben Abraham Lincolns.
Hinfichtlich der Verwendung farbiger Männer als Soldaten
drüdte Herr Lincoln wiederholt feine Anfichten klar und deutlich
in einer Unterhaltung mit einigen hervorragenden Männern vom
Weſten aus, Er fagte bei diefer Gelegenheit:
„Die geringfte Kenntniß der Arithmethik wird einem Jeden be—
weifen, daß die Rebellenarmeen nicht durch demofratifche Strategie
vernichtet werden fönnen., Wir müßten alle weißen Männer des
Nordens opfern, um dies zu thun. Es ſtehen jebt nahezu zwei—
bunderttaufend farbige Männer im Dienft der Vereinigten Stan-
ten; davon find Die Meiften bewaffnet und befinden fich als wirf-
liche Spldaten im Felde. Die Demokraten verlangen, daß die—
felben entlaffen und ihren ehemaligen Meiftern als Sklaven zu—
rücdgeliefert werden follen. Die Schwarzen, welche jest im
Süden den Unionsgefangenen zur Flucht verhelfen, follen wir zu
unfern Feinden machen, um dadurch — eitle Hoffnung ! — den
guten Willen ihrer Meifter zu gewinnen. Wir hätten Damit zwei
Nativnen zu bekämpfen, ftatt einer,
„Ihr Eönnt den Süden nicht verfühnen, felbft wenn ihr ihm
endlichen Erfolg garantirtz und die bisherige Erfahrung des
Krieges beweift, daß der Erfolg der Rebellen unausbleiblich ift,
wenn ihr die gezwungene Arbeit von Millionen Schwarzer auf
ihre Seite der Wagfchale werft. Wollt ihr unfern Feinden folche
militärifche Vortheile verfchaffen, die ihren Erfolg herbeiführen
müffen, und fie dann durch Bitten, Schmeicheln und demüthi-
gende Zugeftändniffe zur Rüdkehr in die Union zu bewegen
fuhen? Gebt alle die Forts auf, Die jest mit Schwarzen garni-
fonirt find, nehmt jene zweihunderttaufend Mann son unferer
Seite und ftellt fie in das Schlachtfeld oder in das Kornfeld gegen
uns, und ihr dürft überzeugt fein, daß wir in drei Wochen ge-
nöthigt wären, den Kampf aufzugeben.
„Wir haben in ungefunden Gegenden Pläbe zu befeben; wo
find die Demokraten, die dies thun wollen? Es war ein freier
Kampf, und den Kriegsdemofraten ftand der Weg offen, ſowohl
Meifter wie Sklaven zu befämpfen und die Rebellion zu unter-
drücken, lange ehe die gegenwärtige Politif inaugurirt ward.
„Einige Individuen hatten die niederträchtige Unverſchämtheit,
Präfisentfchafts-Campagne von 1864. 387
mir den Borfchlag zu machen, unfere ſchwarzen Krieger zu Port
Hudfon und Dluftee in die Sklaverei zurüdzuliefern und dadurch
die Achtung der Meifter zu gewinnen, gegen welche fie Fampften,
Würde ich dies thun, fo verdiente ich auf Zeit und Emigfeit ver—
dammt zu werden. Komme was da wolle, ich werde Freund und
Feind Wort und Treue halten. Meine Feinde behaupten, ich
führe den Krieg zum einzigen Zwede der Abfchaffung der Skla—
verei. So lange ich Präfident bin, werde ich ihn zum einzigen
Zwede der Herftellung der Union führen. Keine menfchliche
Macht aber vermag diefe Rebellion ohne die Anwendung der
Emanecipationspolitif zu unterdrüden, und außerdem muß jedes
andere Mittel angewandt werden, um die — und phyſiſche
Macht der Rebellion zu ſchwächen.
„Die Freiheit gab uns zweihunderttauſend Mann, die auf ſüd—
lichem Boden geboren und aufgewachſen ſind. Sie wird uns
deren noch mehr geben. Gerade ſo viel nun hat ſie dem Feinde
hinweggenommen; anſtatt jedoch den Süden unverſöhnlicher zu
machen, als er war, zeigen ſich hier und dort Spuren eines brü—
derlichen Gefühles zwiſchen unſern Truppen und den Rebellen—
ſoldaten in Reihe und Glied. Laßt meine Feinde dem Lande be—
weiſen, daß die Vernichtung der Sklaverei zur Wiederherſtellung
der Union nicht nothwendig iſt. Ich will den Ausgang abwarten.“
Am Abend des 19. Oktobers ſagte Präſident Lincoln als Ant-
wort auf eine Serenade, die ihm son den Ioyalen Maryländern
im Diftrift Columbia gebracht wurde:
„Die ich höre, wird mir diefes Compliment von den loyalen
Marylandern gebracht, Die in dieſem Diftrift wohnhaft find.
Wenn ich nicht irre, gab die Annahme der neuen Eonftitution in
Shrem Staate dazu Anlaß und beweift mir, daß Ihrer Anficht
nach die Ausmärzung der Sklaverei das Hauptverbienft der neuen
Eonftitution ift.
„Bon ganzem Herzen gratulire ich Ihnen, Maryland, der Na⸗
tion und der ganzen Welt zu diefem Ereigniß. Sch bedaure nur,
daß es nicht zwei Jahre früher eintraf, denn ich bin überzeugt,
daß es Nation mehr Geld erfpart hätte, als zur Entſchädigung
338 Das Leben Abrabam Lincolns,
fümmtlicher durch dieſe Mafregel verurfachten Privatverlufte
nothwendig gemwefen wäre. Doch es ift endlich gefommen, und
ich hoffe aufrichtig, daß die Freunde defjelben alle ihre Erwartun—
gen, die fie Davon hegen, erfüllt fehen und die Gegner durch Die
Wirkungen defjelben fi angenehm und zu ihrem eigenen Vor—
theil getäufcht finden mögen,
„Noch ein Wort über einen andern Gegenftand. Eine Stelle
aus der Rede des Staatsfefretärs, die derfelbe kürzlich in Auburn
bielt, wurde von Einigen als Drohung gedeutet, Daß ich, wenn
die Wahl gegen mich ausfiele, in der bis zum Ende meines con-
ftitutionellen Amtsterming liegenden Zwifchenzeit alle meine Kräfte
aufbieten würde, um die Regierung zu Grunde zu richten. An»
dere betrachten den Umftand, dag die Chicago Convention fih —
nicht sine die, fondern um auf den Aufruf eines gewiffen Indi—
viduums wieder zufammen zu treten — vertagte, als das Ultima-
tum einer Abficht, Daß der demofratifche Kandidat in Fall feiner
Erwählung fofort die Zügel der Regierung an fich reifen würde,
„Sch hoffe, das gute Volk wird fich durch feines diefer Gerüchte
beirren laffen. Sch ftrenge alle meine Kräfte an, um die Regie—
vung zu erhalten, nicht aber, um fie zu Grunde zu richten. ch
füge deshalb, daß ich, fo ich am Leben bleibe, bis zum vierten
März Präfivent fein werde. Und wer nun im November confti=
tutionell erwählt werben wird, fol am vierten März rechtens in
ftallirt werden. In der Zwifchenzeit werde ich mein Neuferftes
thun, um Demjenigen, der für die nächften vier Jahre am Steuer
fiten wird, die beftmögliche Gelegenheit zur Rettung des Staats»
ſchiffes zu hinterlaſſen.
„Dies bin ich dem Prinzip wie der Conſtitution nach unſeren
Bürgern ſchuldig. Ihr Wille iſt, wenn conſtitutionsgemäß aus—
gedrückt, das höchſte Geſetz für Alle. Iſt es ihr entſchiedener
Wille, ſofortigen Frieden zu haben, ſelbſt auf die Gefahr hin, ihr
Land und ihre Freiheit zu opfern, ſo bleibt mir keine Macht und
kein Recht, mich ihnen zu widerſetzen. Es iſt ihre eigene Ange—
legenheit, mit der ſie thun können, wie ihnen beliebt.
„Ich glaube indeſſen, daß unſere Bürger entſchloſſen ſind, ihr
Land und ihre Freiheit zu retten, und darin werde ich ihnen im
Lincolns Wiedcrerwählung.. 339
1
Amt und außer Amt beiſtehen. Ich darf hinzufügen, daß in die—
ſer Abſicht, das Land und ſeine Freiheit zu retten, keine Volks—
klaſſe ſo durchaus einſtimmig iſt, wie unſere Soldaten und Ma—
troſen. Haben ſie nicht das Härteſte zu tragen? Wer will
wanken, wenn ſie feſtſtehen? Gott ſegne die Soldaten und
Matroſen mit all' ihren tapfern Commandanten!“
Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
Lincoln's Wiedererwählung,
Die Präfidentfchafts-Tampagne von 1864 — Fremont's Rücktritt — Wade
und Davis — Die Friedens- und Ariegsdemokraten — Rebellenfreunde—
Die Nktoberwahl — Refultat der Präfidentenwahl — Rede an die Penn-
fylvanier — Rede bei einer Serenade — Brief an die Mutter eines Sol-
daten — Eröffnung des Tongreffes — Letzte Bahresbotfchaft.
Die Präfiventfchafts-Campagne von 1864 war in mehr als einer
Hinfiht eine Anomalie. Die rüdfichtslofen Schmähungen und
Schimpfreden, womit die Adminiftration von der Friedens-, der
Kriegs» und der radikalen Demokratie überfchüttet wurde, mußten
natürlich in einem Lande erwartet werden, in welchem perfünliche
Angriffe, wie es feheint, dergeftalt zum Hauptelement bei einer Na-
tionalwahl geworden find, dag die Abweſenheit derfelben bei einer
wichtigen politifchen Campagne beinahe der Mißachtung einer
pofitiven Beflimmung der Conftitution gleich erachtet werden
mußte,
Obwohl nun die Freiheit bei derartigen Gelegenheiten nur all-
zuoft in Gemeinheit auszuarten pflegt, mußte es dennoch höchft
auffallend erfsheinen, daß die Adminiftration von ihren Gegnern fo
wüthend der Tyrannei und des Defpotismus befchuldigt wurde,
wenn ſchon der Umftand, daß folche Befchuldigungen und Angriffe
von der Preffe und von öffentlichen Rednern ungehindert gemacht
werden konnten, den fchlagenden Bemeis lieferte, daß diefer Defpo-
tismus entweder zu nachjichtig war, oder zu ſchwach, um wenigfteng
340 Das Leben Abraham Lincolns.
eine anftändige Behandlung feiner felbft oder feiner Thaten zu
erzwingen. Die Oppofition fonnte oder wollte nicht begreifen, daß
unter einer wirklichen defpotifchen Regierung nicht eine Rede unter
Hunderten, nicht ein Leitartifel unter Taufenden geftattet worden
wäre, womit die Adminiftration Jahr aus, Jahr ein be—
kämpft wurde, Sicherlich wäre unter umgekehrten Berhältniffen,
unter einem demofratifchen Regime der Unionspartei nicht die
Hälfte der Freiheiten gelaffen worden, deren ihre Gegner fich er>
freuten,
Kurz nad der Chicago Nomination zog fich General Fremont
von der Kandidatur zurüd, um nicht durch ferneren Zwiefpalt unter
den Unionsmännern die Sache der Union zu gefährden. In feinem
NRüdtrittsbrief fagte er unter Anderem:
„Die Präfivdentfchaftsfrage ift endlich in ein Stadium getreten,
welches die Einheit der republifanifchen Partei zur gebieterifchen
Nothwendigkeit macht, Die Politif der demofratifchen Partei be-
deutet entweder Trennung oder MWiedervereinigung mit Sklaverei,
Die Chicago-Plattform befürwortet einfach die Trennung. General
MeClellan’s Annahmebrief bedeutet Wiedervereinigung mit Skla—⸗
verei. Dagegen ift der republifanifche Kandidat zur Wiederher-
ftellung der Union ohne Sklaverei verpflichtet, und wie zögernd
auch feine Politik fein mochte, fo wird Doch, wie ich hoffe, der Drud
feiner Partei ihn dazu treiben. |
„Keinem Mitglied der Freiheitspartei kann zwifchen diefen Punk—
ten die Wahl fchwer fein, und ich glaube es mit meinen Örund-
ſätzen wie mit meiner Vergangenheit vereinbaren zu können, wenn
ich jest zurüctrete — nicht um Herrn Lincoln’s Triumph herbei—
führen zu helfen, fondern zur Verhütung der Erwählung des demo»
fratifchen Kandidaten meine Pflicht zu erfüllen.
„sn Bezug auf Herren Lincoln hege ich noch diefelben Anfichten,
die ich in meinem Annahmefchreiben ausfprady. Meines Erachtens
war feine Adminiftration ſowohl in politifcher, wie auch in finan-
ziellee und militärifcher Hinficht eine verfehlte, und halte ich die
nothwendige Fortdauer derfelben für einen Umftand, den das Land
zu bedauern Urfache bat . 2...»
2incolns Wiedererwählung. \341
„Dereinigt hat die republifanifche Partei billige Ausfichten auf
den Sieg; gefpalten aber, muß das Refultat der Präfiventenwahl
mindeftens zweifelhaft erfcheinen.“ *)
Senator Wade und Henry Winter Davis, welche ein Manifeft
an das Volk erlaffen hatten, worin fie die Reconftruftionspolitif
des Präfidenten bitter tadelten, fehrten, durch die Erfahrungen der
legten Monate belehrt, jebt ebenfalls zurüd und betraten männlich
die Arena der Wahlcampagne zu Öunften der Unionsfandidaten.**)
Und fo ſchloß fih die Phalanx der Unterftüger der Regierung mit
jedem Tage dichter, und Keiner, der noch an Männlichkeit und re—
publifanifhe Grundſätze glaubte, fonnte an dem Erfolge zweifeln.
Die Eintracht der Oppofition war feineswegs eine ſehr herzliche.
Die Bollblutsfriedensheuler fahen fih in die Enge getrieben, als
man ihnen zumuthete, einen Mann zu indoffiien, deſſen einziger
Anfprucd auf die Nomination auf dem Rufe beruhte, den er fich als
ein hervorragender General in diefem „unheiligen, unnatürliden
Kriege erworben hatte.“ Auch trug es feineswegs zur Befänfti-
gung ihrer Gefühle bei, daß diefer Kandidat in der Konvention
heftig al3 der erfte bezeichnet worden, der jene willfürlichen Ver—
J
*) Hiermit Fam die Vereinigung der radikalen Demokratie mit der republikani—⸗
chen Partei zu Stande, Daß der. Sieg der Unionspartei auch ohne diefelbe ficher
war, bat das Refultat bewieſen. Im wie fern Fremont Recht hatte, wenn er Lin-
coln's Adminiftration eine verfehlte nannte, ergab fich aus den großen Ereignifien,
die kurz nach der Wahl folgten. Gerne gönnen wir dem Pfadfinder das Roh, das
ihm nach feinem Rücktritt von feinen Bewunderern gefpendet wurde, daß nämlich
„bei diefer Gelegenheit fein Patriotismus ſich im fchönften Lichte zeigte, und daß
nur große Männer und wahre Patrioten folcher Selbftaufopferung fähig ſeien.“
**) Dieſes Manifeft enthielt einen Proteft gegen Herrn Lincoln's Reconftruftions-
Proflamation (fiehe Seite 320), die, wie die Urheber des Proteftes glaubten, nicht
mit der Akte des Congreffes über denfelben Gegenftand übereinftimmte (fiehe Seite
322). Die Herren Wade und Davis ſchlugen die Znſammenberufung einer neuen
Eonvention zu Buffalo auf den 23. September vor, um dafelbft einen neuen Präs
fidentichafts- Kandidaten aufzuftellen, falls Lincoln fich nicht zum freiwilligen Rüd-
tritt von der Kandidatur zu Gunften eines Andern verftehe. Die Sache kam jedoch
zu Nichts, und die beiden Herren arbeiteten num mit größter Energie für die Nomi—
nirten der Baltimore Convention,
Anmerkung des Ueberſetzers.
342 Das Leben Abraham Lincolns.
—
haftungen eingeführt hatte, gegen die feine Freunde und er felbft fo
lang und ungehalten proteftirt hatten. Nicht minder bitter ſchmeckte
ihnen die Erinnerung, daß von diefem felbigen Kandidaten zuerft
die Idee der Confeription angeregt worden war—jener abſcheu—
lien, unconftitutionellen Maßregel, gegen die fie fo viele Worte
und Verwünfhungen nublos verſchwendet hatten.
Die Situation des Kriegsdemofraten, wenn er wirklich ehrlich
und aufrichtig ein folcher fein wollte, war um Nichts beffer. Er
konnte feine Augen der Thatfache nicht verfchließen, daß die militä>
rifhe Earriere feines Kandidaten nicht von jener Energie und Ge—
fchwindigfeit der Bewegungen gekennzeichnet war, wie Die anderer
Generäle. Außerdem konnte ihm der Gedanke nicht ſehr tröftlich
fein, daß der General während feines Amtsterming fterben oder
„geitorben werden” möchte, in welchem Falle fein Seitenmann
Pendleton zur nicht geringen Befriedigung der Friedensheuler an
das Ruder gelangen würde,
Es ift indeffen nicht zu leugnen, daß die Oppofition ſich im Gan-
zen genommen fräftiger an das Werk machte, als man anfangs ver-
muthet hatte, und ihre Rolle fo prahlerifch und troßig fpielte, als
berrfchte fein Zweifel darüber, daß fie den Sieg davon tragen
würde, Wenigſtens fehlte es keineswegs an jenem wohlfeilen En-
thuſiasmus, der fich mit eitlen Demonftrationen, Sadelzugen, bom—
baftifchen Reden und — Wahlbetrügereien fund zu geben pflegt.
Ueber leßtern, im Lager der Demokratie ftets vorhanden gemwefenen
Stapelartifel liefern ung die durch militärische Tribunale in Balti-
more und Waſhington geleiteten Unterfuchungen intereffante Auf-
ſchlüſſe.
Die Richmonder Zeitungen waren faſt einſtimmig in dem Wun—
ſche, daß Herr Lincoln nicht wiedererwählt werden möchte. Alexan—
der H. Stephens, der Vice-Präſident der Rebellen, erklärte die Be—
wegung der Chicago Convention für „den einzigen Lichtſtrahl, der
während des ganzen Krieges vom Norden gekommen ſei.“ Die eu—
ropäiſchen Freunde der Rebellen waren ebenfalls der Wiedererwäh—
lung Lincoln's abhold und ihre Organe wetteiferten mit einander,
ihn mit den gemeinſten Schmähreden und Schandworten zu über—
häufen.
Lincolns Wiedererwählung. 343
Die im Dftober abgehaltenen Staatswahlen in Pennfylvanien,
Ohio und Indiana erregten große Beftürzung im Lager der Oppo—
fition— namentlich die Wahl im letztgenannten Staate, in welchem
fie auf einen pofitiven Sieg gerechnet hatte und zu ihrem nicht ge—
ringen Leidweſen erfahren mußte, daß derfelbe gleich den beiden an—
dern fich Höchft unzmweideutig zu Gunften der Apminiftrationg-Kan-
bidaten entfchieden hatte,
Es konnte jest nicht mehr am endlichen Refultat gezmweifelt wer-
den. Dennod fuhren die Anhänger MeElellan’s und Pendleton’s
fort zu prahlen und bramarbafiven, was auch ihre Gedanken ge-
wefen fein mochten,
Als jedoch das Refultat der Präfiventenwahl am 8. November
befannt wurde, fiel alle Urfache zum Bramarbafiren weg. Abre-
ham Sincoln und Andrew Iohnfon (von denen ein Oppofitiong-
Journal mit feltenem Takt und Anftand, feine ganze Malice in
einer möglichft intenfiven Sentenz concentrirend, als von einem
„fenzriegelfpaltenden Hansnarren und einem bäurifchen Schneider,
beide in den Hinterwäldern geboren und beide in obfeurer Jgnoranz
aufgewachfen” ſprach,) —dieſe Männer des Volkes trugen den Sieg
in füänmtlichen loyalen Staaten, mit Ausnahme von Kentudy, New
Serfey und Delaware, davon und hatten die Stimmen beinahe
ſämmtlicher Soldaten im Dienfte erhalten.
Bon den 4,034,789 abgegebenen Stimmen erhielt Herr Lincoln
dem offiziellen Wahlberichte gemäß 2,223,035; eine Majorität in
der Geſammt-Volksſtimmenzahl von 411,281.
Der im Jahr 1860 mit einer Pluralität erwählte Präfident war
nun im Jahr 1864 durch eine entfchiedene, unzweideutige Majvrität
wiedererwählt worden,
Früh an dem auf den Wahltag folgenden Morgen wurde dem
Präfiventen von einer Anzahl in Wafhington wohnender Pennfyl-
vanier ein Ständchen gebracht, bei welcher Gelegenheit er feinen
Gefühlen in folgenden Worten Ausdrud verfchaffte:
„Freunde und Mitbürger Noch ehe ich belehrt wurde, Daß
mir diefes Compliment von den mir wohlgewogenen Iopalen Bür—
gern Pennſylvanien's dargebracht worden, hatte ich bereits Daraus
344 Das Leben Abraham Lincolne.
geichloffen, daß Sie demjenigen Theile meiner Landsleute angehör—
ten, welcher der Anficht ift, daß die Interefjen der Nation am beften
durch die Unterſtützung der gegenwärtigen Adminiftration gewahrt
werden fünnen. Sch will damit nicht fagen, daß Sie, die fo denken,
allen Patrivtismus und alle Loyalität des Landes repräfentiren;
allein ich glaube, und zwar ohne perfünliches Intereſſe, daß die
Wohlfahrt des Landes dieſe Unterftügung verlangt. Ich glaube
ernftlich, Daß das Refultat der Wahl, an dem jest nicht mehr zu
zweifeln ift, dem Lande zum ewigen VBortheil—wenn nicht gar zu
feiner Rettung—gereicht. Die Details diefes NRefultates find mir
bis jet noch nicht befannt; mögen diefelben indeffen fein wie fie
wollen, ich habe feinen Wunfch, diefe meine Anficht zu modifiziren :
dag nämlich Alle, die geftern ihre Stimmen für die Unionsorgani-
fation abgaben, für das befte Intereffe diefes Landes und der gan—
zen Welt arbeiteten, und zwar nicht nur für heute, fondern für alle
Zufunft. Ich danke Gott für dieſe Unterftüßung des Volkes, Wäh—
rend ich nun aber für diefes Zeichen des Vertrauens höchſt dankbar
bin, ift meine Dankbarkeit, fo ich anders mein Herz kenne, frei von
Schadenfreude oder perfünlihem Triumphgefühl. Ich ſuche die
Motive meiner Opponenten nicht zu verbächtigen. Es macht mir
fein Bergnügen, über irgend Jemand zu triumphiren; allein ich
danke dem Allmächtigen dafür, daß das Volk feinen Entſchluß fund»
gegeben hat, die freie Regierung und die Rechte der Humanität zu
wahren.”
Am Abend des 10. November, als das Refultat der Wahl des
finitiv befannt war, wurde ihm son den verfchiedenen „Lincoln-
und Johnſon-Clubs“ im Diftrift eine großartige Serenade ge—
bracht, welche er mit folgenden Bemerfungen ermwiederte:
„Es ift Schon oftmals die ernfte Frage aufgeworfen worden, ob
eine Regierung, ohne zu ftrenge für die Freiheiten des Volkes zu
fein, ftar! genug fein könne, um ihre Eriftenz in Zeiten großer
Gefahr zu behaupten, Hinfichtlich diefes Punktes unterwarf die
gegenwärtige Nebellion unfere Regierung einer firengen Probe,
und die Präfidentenwahl, die während dieſer Rebellion nach der
altgewohnten Weife vor ſich ging, vermehrte das Gewicht Diefer
Probe nicht wenig.
Lincolns Wiedererwählung. 345
„Wenn das loyale Volk vereinigt durch diefe Rebellion auf
das Aeußerſte angeftrengt wird, müßte es da nicht unterliegen,
wenn es durch einen politifchen Krieg unter fich felbft zerfpalten
und theilweife paralyfirt wäre? — Allein die Wahl war eine
Nothwendigkeit. Wir könnten feine freie Regierung ohne Wah—
len haben; und wenn die Rebellion uns zwingen könnte, eine
Nationalwahl zu unterlaffen oder viefelbe zu verfchieben, fo hätte
fie ein Recht, ung als bezwungen und befiegt anzufehen. Der
Wahlſtreit ift weiter Nichts, als die praftifche Anwendung der
menfchlichen Natur auf die Thatfachen eines Falles, Was in
diefem Falle vorgefommen ift, muß fich ftets in ähnlichen Fällen
wiederholen, Die menfchliche Natur wird fich nicht verändern.
In jeder künftigen großen Natiovnalprüfung wird es, wie in der
gegenwärtigen, fchwache und ftarfe, thörichte und weife, böfe und
gute Männer geben. Laßt uns daher die Ereigniffe diefer
Prüfung ftudiren, um Philofophie und Weisheit daraus zu ſchö—
pfen, nicht aber um vermeintliche Unbilden zu rächen,
„AU diefer unvermeidlichen und unwünſchenswerthen Streitig-
feiten ungeachtet, hat die Wahl auch Gutes gewirkt, Sie hat
ung gelehrt, daß eine Volfsregierung mitten in einem großen
Bürgerfriege eine Nationalwahl vor fich gehen laffen fann. Bis
jest hat die Welt nicht gewußt und geglaubt, daß dies möglich fei.
Sie zeigt uns indeffen auch, wie gefund und wie ſtark wir noch
find. Sie zeigt, daß felbft unter Kandidaten derfelben Partei
Derjenige die meiften Stimmen erhalten kann, welcher die größte
Hingebung für die Union hegt und den größten Widerftand gegen
den Verrath befundet. Sie zeigt ung, daß die Anzahl unferer
Männer jest größer ift, als vor dem Anfang des Krieges. Das
Gold iſt ein gutes Ding an feinem Orte; allein lebendige, tapfere
und patriotifche Männer find beffer als Gold,
„Die Rebellion dauert indeffen noch immer fort. Jetzt, da die
Wahl vorüber ift, follten nun nicht Alle, Die ein gemeinfames In—
tereffe haben, fich zu einer gemeinfamen Anftrengung vereinigen,
um unfer gemeinfames Baterland zu retten? Ich für meinen
Theil habe mich ftets bemüht und werde mich ftets bemühen, alle
Hinderniffe aus dem Wege zu räumen. So lange ich in diefem
346 Das Leben Abraham Lincolns.
Amte bin, habe ich nie mit Wiſſen und Willen einen Dorn in
irgend eines Menfchen Bufen gepflanzt. Während ic) feineswegs
unempfindlich für das hohe Eompliment einer Wiedererwählung
bin, und während ich dem Allmächtigen dafür danke, daß er meine
Landsleute zum richtigen Entfchluffe gelangen ließ, macht es mir
wahrlich Feine Freude, daß fih ein Anderer durch das Refultat
der Wahl in feinen Hoffnungen getäufcht fieht.
„Darf ich nun Diejenigen, welche ftet3 mit mir einverftanden
waren, bitten, mit mir diefelben Gefinnungen gegen Jene zu he—
gen, die mir opponirten? Und nun fchließe ich mit dem Vorfchlag,
unfern braven Soldaten und Geeleuten, fowie deren tapfern und
geſchickten Commandanten ein dreifaches herzliches Lebehoch zu
bringen.”
Als ein Beweis von Präfivent Lincoln's Herzensgüte und Zart-
gefühl wird folgender Brief mit Sintereffe gelefen werden. Er
ward an eine arme Wittwe in Bofton gerichtet, deren fechiter
Sohn vor Kurzem erft verwundet worden war und im Hofpital lag:
„SreintivsGebände, Wafhington, 21. November 1864.
„Geehrte Madame: — Unter den Alten des Kriegs-Departe-
ments erfah ich aus einem Berichte des General-Adjutanten von
Maffachufetts, daß Sie die Mutter von fünf Söhnen find, die
Alle glorreich auf dem Felde der Ehre ftarben. Ich fühle, wie
ſchwach und fruchtlos jedes meiner Worte fein würde, wollte ich
serfuchen, Sie uber einen fo überwältigenden Verluft zu tröften.
Dennoch fann ich mich nicht enthalten, Ihnen den einen Troft zu
bieten, nämlich den Dank der Republif, für deren Rettung Ihre
Söhne ftarben. Möge unfer himmlifcher Vater mein Gebet er—
hören und ihren unausfprechlichen Kummer lindern, damit Ih—
nen nur die heilige Erinnerung an die geliebten Berlorenen bleibe,
fowie der feierliche Ruhm, daß Sie ein fo foftbares Opfer auf den
Altar der Freiheit legten.
„Hochachtungsvoll und ergebenft der Ihrige,
Abraham Sincoln.”
Am 5. Dezember 1864 begann die zweite Sitzung des achtund—
dreißigften Eongrefies. Am folgenden Tage fandte Herr Lincoln
feine Jahresbotfchaft sin — ach, feine Teßte!
Lincolns Wiedererwählung. 347
„Mitbürger vom Senat und Beprafentantenhaus der Pereinig-
ten Staaten: — Abermals gebührt dem allmächtigen Gott unfere
tiefite Dankbarkeit für die Segnungen der Gefundheit und reich-
licher Ernten.
„Der Zuftand unferer auswärtigen Angelegenheiten ift ziemlich
befriedigend.
„Mexiko ift noch immer der Schauplab eines Bürgerfrieges.
Während in unfern politifchen Beziehungen zu diefem Lande fein
Wechſel ftattgefunden hat, hielten wir ftrenge Neutralität den
triegführenden Mächten gegenüber aufrecht.
„Auf Berlangen der Staaten Eofta Rica und Nicaragua wurde
ein competenter Ingenieur autorifirt, eine Bermeffung des Fluffes
San Juan, fowie des Hafens von San Juan vorzunehmen.
Es gereicht zu großer Befriedigung, daß die Schwierigkeiten, die
einige Zeit lang zu politifchen Befürchtungen und zur Schliefung
der interoceanifchen Tranfitroute Anlaß gaben, friedlich gefchlichtet
worden find, und daß Hoffnung auf baldige Wiedereröffnung der
Route mit vermehrten Vortheilen und Accompdationen vorhan—
den ift,
„Dir können weder die commerzielle, noch die politifche Bedeu-
tung jener großen Verbefferung überfchägen. Es hieße einem be—
deutenden füdamerilanifchen Staate Unrecht thun, wenn wir un—
terließen, die Offenheit, Promptheit und Herzlichkeit anzuerkennen,
womit die Bereinigten Staaten von Columbia in intimere Bezie-
hungen zu unferer Regierung eingingen. Es ift eine Convention
für Anfprüche (Claim Convention) ernannt worden, um das un—
vollendete Werk derjenigen, die ihre Sitzung im Jahre 1861
Schloß, zum Abſchluß zu bringen.
„Nachdem die neue, liberale Eonftitution von Venezuela zur
allgemeinen Befriedigung des Volkes jenes Staates in Wirkſam—
feit getreten ift, wurde die Regierung unter derfelben anerfannt
und der Diplomatifche Verkehr in cordialem und freundlichem
Geiſte eröffnet,
„Die lang aufgefchobene Avis Island Forderung tft befriedi>
gend bezahlt und gefchlichtet worden. Die von der gemeinfamen
Commijfion zur Aburtheilung yon Anfprüchen zwifchen den Ver—
348 Das Leben Abraham Lincolns.
einigten Staaten und Peru zuerfannten Anfprüche wurden gegen
feitig bezahlt. Eine herzliche und aufrichtige Freundfchaft befteht
zwifchen den beiden Ländern, und ich habe Alles gethan, was in
meiner Macht ftand, um Mißverftändniffe zu befeitigen und einen
Krieg zu vermeiden, der zwifchen Peru und Spanien auszubrechen
drohte.
„Die freundlichften Beziehungen herrfchen zwifchen unferer Re—
gierung und Chili, der Argentinifchen Republik, Bolivia, Cofta
Rica, Paraguay, San Salvador und Hayti. Während des Ich-
ten Jahres fand feinerlei Streitigfeit mit irgend einer diefer Re—
publifen ftatt. Im Gegentheil drücken diefelben fortwährend ihre
ernften und aufrichtigen Sympathien mit den Vereinigten Staa—
ten aus,
„Unfere Anfprüce wegen Befchlagnahme der Ladung der Brig
Macedonian im Jahre 1821 find vollftändig von der Regierung
von Chili bezahlt worden.
„Der Bürgerkrieg im fpanifchen Hafen von San Domingo
Dauert noch immer fort, wie es feheint, ohne Ausficht auf ein bal-
diges Ende,
„Mit Liberia wurde eine offizielle Correfpondenz eröffnet, die
uns einen erfreulichen Ueberblick über den forialen und politifchen
Fortfchritt jener Republik geftattet. Es fteht zu erwarten, daß
diefer Staat durch den amerifanifchen Einfluß, namentlich aber
durch das rafche Verſchwinden der Sklaverei in den Vereinigten
Staaten, neue Kraft und Energie gewinnen wird,
„Sch erfuche Sie um Bollmacht, jener Republid ein Kanonen-
boot von mäßigen Koften zur Berfügung zu ftellen, deffen Betrag .
den Bereinigten Staaten in Raten zurüderftattet werden fol.
Es bedarf eines ſolchen Schiffes zur Sicherheit jenes Staates vor
den eingeborenen afrifanifchen Racen, und in liberifchen Händen
würde fich daffelbe zur Hemmung des afrifanifchen Sklavenhan—
dels von größerer Wirkſamkeit erweifen, als in unfern eigenen.
„Der Befit einer, wenn auch noch fo geringen, autorifirten
Marineforce würde den Ehrgeiz jener Republik anfeuern; während
das Vertrauen, das wir dadurch beweifen, der Colonie die Gunft
und Nachficht aller cisilifirten Nationen verfchaffen würde,
Lincolns Wiedererwählung. 349
„Der vorgefchlagene Ueberland-Telegraph zwifchen Amerifa
und Europa, über die Behrings-Straße und das aflatifche Ruß-
land, der vom Eongreß bei feiner legten Sitzung fanktionirt ward,
ift bereits von einer Afjociation amerifanifcher Bürger unter
höchſt günftigen Bedingungen und mit dem Einverftändniß diefer
Regierung fowohl, wie der Regierungen von Örofbrittanien und
Rußland unternommen worden,
„Desgleichen gingen von den meiften füdamerifanifchen Staa
ten Berficherungen ein, die ihre Billigung des Planes und ihre
Bereitwilligfeit zur Mitwirkung und Errichtung von Nebenlinien
zu diefem weltumfpannenden Communifationgsmittel ausdrückten.
„Zu meinem großen Vergnügen erfuhr ich, daß der edle Plan
einer telegraphifchen Verbindung der Oftküfte von Amerika mit
Großbrittanien mit völliger Erwartung eines frühen Erfolges
erneut wurde,
„So dürfen wir ung denn der Hoffnung hingehen, daß mit der
Rückkehr des Friedens das Land im Stande fein wird, fich wie-
derum mit Energie und Vortheil feinen früheren Befchäftigungen
des Handels und der Eivilifation hinzugeben.
„Unfer populärer und fühiger Vertreter in Egypten farb im
vergangenen April. in bedauernswerther Wortwechfel zwifchen
dem temporären Amtsverwefer und der Regierung des Pafcha
endigte mit einer GSufpenfion des Verkehrs. Das Uebel wurde
indeffen bei der Ankunft des Nachfolgers im Eonfulate prompt
befeitigt und unfere Beziehungen zu Egypten find nunmehr, wie
auch die zu den Mächten der Barbarei, volllommen befriedigend.
„Die Rebellion, welche fo lange in China mwüthete, ift endlich
durch Mitwirkung guter Offiziere diefer Regierung und der übri-
gen weſtlichen Handelsmächte unterdrüdt worden. Das Conſu—
lar-Zuftiz-Etabliffement ift äußerſt läftig und befchwerlich gewor—
den, und es wird einer legislativen Requifition bedürfen, um
dafjelbe der Ausdehnung unferes Handels und dem intimeren
Berfehr anzupaffen, der mit der Regierung und dem Volke jenes
großen Reiches angelnüpft wurde,
„Shina foheint mit aufrichtigem, guten Willen die conventio—
350 Das Leben Abraham Lincolns.
nellen Oefeße anzunehmen, durch die der Handel und der fociale
Verkehr unter den Meftmächten regulirt werden,
„Der eigenthümlichen Lage von Japan und der angmalen
Form feiner Regierung zufolge ift die Ausführung der Vertrags
ftipulationen von Seiten jenes Reiches höchft capriciös und in—
eonfequent. Dennoch wurde von den Weftmächten ein bedeuten-
der Sortfchritt gemacht. Unfere eigenen pecuniären Forderungen
find bewilligt worden, oder befinden fich unter Erwägung, und Die
Inland-See fteht dem Handel wieder offen. Wir haben Grund
anzunehmen, daß die Freundfchaft Japans gegen die Vereinigten
Staaten durch diefe Verhandlungen eher vermehrt als vermindert
wurde. |
„Die Häfen von Norfolk, Fernandino und Penfacola find durch
eine Proflamation wieder geöffnet worden,
„Es fteht zu hoffen, daß auswärtige Kaufleute jebt überlegen
werden, ob es nicht ficherer und vortheilhafter für fie ift, ſowohl
wie gerechter gegen die Vereinigten Staaten, fich diefer und an—
derer offenen Häfen zu bedienen, als mit großer Gefahr und gro—
gen Koften einen Contrebandhandel mit andern Häfen zu treiben,
die, wenn nicht durch wirkliche militärifche Operationen, fo doch
durch eine gefegliche und effektive Blockade gefchloffen find.
„Ich meinestheils bezweifle nicht die Macht und Pflicht der
Erefutive, dem Völkerrechte gemäß Feinden der menfhlichen Race
ein Aſyl in den Vereinigten Staaten zu verfagen. Wenn der
Eongreß der Anficht ift, daß es einem Verfahren in ſolchen Fällen
an gefeglicher Autorität gebricht, oder daß es weiterer Regula
tionen hierzu bedarf, fo empfehle ich die Paffirung eines Gefebes
an, durch welches auswärtige Sklavenhändler effektiv verhindert
würden, in diefem Lande ihr Domicil aufzufchlagen und ihr ver-
brecherifches Gefchäft zu betreiben,
„Es ift möglich, daß wenn dies eine neue und offene Frage wäre,
die Seemächte mit der Aufklärung, die fie jebt befiten, den Inſur—
genten in den Vereinigten Staaten die Privilegien einer kriegfüh—
renden Seemacht nicht gewähren würden, da es denfelben ftets an
Schiffen fowohl wie an geeigneten Häfen mangelte,
„Unfere iloyalen Bürger ließen es auch in diefem Jahre nicht an
Lincolns Wiedererwählung. 351
den eifrigften Anftrengungen fehlen, ung mit der Begünftigung
jenes Privilegiums in einen Krieg mit auswärtigen Mächten zu
verwideln; doch hatten fie ebenfo wenig Erfolg wie früher, Der
Wunſch und die Entfchloffenheit der Seemächte, jene Abficht zu ver—
eiteln, ſcheinen fo aufrichtig und ernft zu fein wie unfere eigenen
Wünfche in diefer Hinficht.
„Dennoch find einige unvorhergefehene politifche Schwierigkeiten
entitanden, namentlich in den brafilifchen und brittifchen Häfen
und an der Nordgrenze der Vereinigten Staaten, Diefelben ver-
langen die äußerſte Wachfamfeit und eine gerechte und verfühnliche
Geſinnung von Seiten der Vereinigten Staaten fowohl, wie jener
Negierungen. Unter dem Bertrag mit Oroßbrittanien wurden
Commiffäre zur Abfindung der Anfprüche der Hudſon Bai- und
Puget Sund-Agrifultur-Compagnien in Oregon ernannt, die jet
in der ihnen angemwiefenen Aufgabe begriffen find.
„Angefichts der Tebensunficherheit in der an der Grenze Cana—
da's gelegenen Gegend, verurfacht durch die dafelbit beherbergten
feindlichen Perfonen, die fih vor Kurzem erft Heberfälle und De—
predationen zu Schulden kommen ließen, war e3 für geeignet er-
achtet worden, Notiz zu geben, daß nach Verlauf von fehs Mona=
ten — der in den beftehenden Arrangements mit Großbrittanien
ftipulirten Periode — die Vereinigten Staaten fich für befugt hal-
ten werden, ihre Marinemacht auf den Seen zu verftärfen, falls
dies für nothwendig erachtet werden follte.
„Der Zuftand der Grenze wird mwahrfcheinlich in Verbindung
mit der Fortſetzung oder Modifikation der Tranfitrechte von Canada
durch die Vereinigten Staaten, fowie auch der Regulation der
Zölle (imposts), die am 5. Juni 1864 dur den Reciprocitäts—
Bertrag temporär etablirt wurde, in Betracht fommen, Sch wünfche
indeffen deutlich verftanden zu merden, daß ich mit diefer Angabe
die Colonialbehörden keineswegs einer abfichtlichen Ungerechtigkeit
oder Feindfeligfeit gegen Die Vereinigten Staaten befchuldige; Daß
im Gegentheil Grund zur Annahme vorhanden ift, daß diefelben
mit der Billigung der brittifchen Regierung die nöthigen Maß—
regeln ergreifen werden, um abermalige Örenzüberfälle zu ver-
hindern,
852 Das Leben Abraham Lincolns.
„Dte während letzter Sitzung paffirte Akte zur Ermunterung der
Einwanderung ift foweit wie möglich in Wirkfamfeit gefebt worden,
Doch Scheint mir diefelbe eines Amendments zu bedürfen, um da—
durch die Beamten der Regierung in den Stand zu feben, die Ein-
wanderer auf ihrem Wege und bei ihrer Ankunft in den hiefigen
Häfen vor Betrug zu ſchützen, damit ihnen hier freie Wahl hin-
fichtlich ihres Berufes und Aufenthalts bleibe,
„Die meiften europäifchen Staaten bewiefen eine liberale Ge—
finnung in Bezug auf diefe große Nationalpolitif; Diefe Oefinnung
follte daher unfererfeit3 Dadurch erwiedert werden, daß wir den
Einwanderern wirkſamen Nationalfchug verleihen. Ich betrachte
unfere Einwanderer als den Hauptzufluß, den uns die Borfehung
verliehen, um die durch den Krieg verurfachten Lüden auszufüllen
und die Kraft und Stärfe der Nation aufrecht zu erhalten.
„Es ift durchaus nothwendig, diefen Zufluß auch fernerhin un
geſchwächt zu fichern, und zu diefem Zwede muß die Regierung auf
alle mögliche Weife befannt machen, daß fie weder nöthig hat, noch
Willens ift, Denjenigen, die aus andern Ländern fommen, um ihre
Looſe an die unfrigen zu fnüpfen, unfreimilligen Militärdienft auf-
zuerlegen,
„Die finanziellen Angelegenheiten der Regierung wurden mit
Erfolg verwaltet, Die Legislation der lebten Sitzung des Con—
greffes hat während des vergangenen Jahres einen günftigen Ein-
fluß auf die Revenuen gehabt, objchon die verfloffene Zeit noch zu
kurz war, um die volle Wirkung mehrerer Beftimmungen der Con—
greßafte hinfichtlich der erhöhten Befteuerung zu erproben, Die
Einnahmen aus allen Quellen betrugen während des Jahres auf
die Bajis der vom Finanzfefretär unterzeichneten Warrants, mit
Einfluß der Anlehen und der am 1, Zuli 1863 im Schabamt
verbliebenen Bilanz, $1,394,796,007.62, während fich die Ge—
fammtausgaben auf diefelbe Bafis hin auf $1,298,056,101,89
beliefen. Es verblieb fomit, wie ſich aus den Warrants ergiebt,
dem Schabamt eine Bilanz von $96,739,905.73. Ziehen wir
Davon den Betrag des Kapitals der eingelöften öffentlichen Schuld
ab, fowie auch den Betrag der hierfür ausgegebenen Noten, fo
ermweifen fich die wirklichen Baar-Dperationen des Finanz-De-
Lincolns Wiedererwählung. 353
partements wie folgt: Einnahmen, $3,075,646.77; Ausgaben,
$365,734,087.76, bleibt fomit der Schatzkammer ein Baarbeftand
von $18,842,558.71. Bon den Einnahmen famen auf Zölle,
$102,316,152,99;5 auf Ländereien, $588,333 29; auf direfte
Steuern, $475,648,965 auf innere Revenuen, $109,741,134,10;
auf verfehiedene Duellen, $47,511,448, und auf Anlehen, die zu
wirklichen Ausgaben verwendet wurden, einfchließlich der frühern
Bilanz, $623,443,929,.15. Bon den Ausgaben famen auf den
Civildienſt, $27,505,599.465 auf Penfionen und Indianer,
$7,517,930,975 auf das Kriegsdepartement, $60,791,842,97 ;
auf das Marinedepartement, $85,733,292,79; auf die Intereſſen
der öffentlihen Schulden, $53,685,421,69 ; woher denn das Ag-
gregat von $865,234,081.86 und die Bilanz der Schatzkammer
son $18,842,558.71, wie oben erwähnt.
„Sn Bezug auf die wirklichen Einnahmen und Ausgaben des
erfien Quartals und die Aftimirten Einnahmen und Ausgaben der
übrigen drei Quartale des laufenden Fiskaljahres, ſowie Die De-
tails der Sinanzoperationen, vermweife ich Sie auf den Bericht des
Finanzminiſters.
„Ich ſtimme mit ihm in der Anſicht überein, daß die Proportion
der zur Deckung der Kriegskoſten erforderlichen und durch die Be—
ſteuerung zu erzielenden Gelder noch weiter erhöht werden ſollte,
und empfehle daher dieſen Gegenſtand Ihrer ernſtlichen Aufmerk—
ſamkeit an, damit durch weitere geeignete Legislatur den Erwar—
tungen des Sekretärs entſprochen werden möge.
„Am 1. Mai dieſes Jahres belief ſich die öffeniliche Schuld, wie
aus den Büchern des Schabamts hervorgeht, auf $1,740,690,489.49.
Sollte der Krieg noch ein Fahr fortvauern, fo würde dieſe Summe
wahrfcheinlich um mweitere fünfhundert Millionen vermehrt werden.
Da für diefe Schuld größtentheils unfere eigenen Bürger die
Gläubiger find, fo ift diefelbe ein materieller Zweig des National-
(obgleich Privat-) Eigenthums geworden.
„Se allgemeiner dieſes Eigenthum fich unter das ganze Volk
vertheilen läßt, defto beffer ift es aus augenfcheinlichen Gründen.
Zur Förderung diefer allgemeinen Bertheilung Tießen fich vielleicht
mit mn Erfolg und ohne Nachtheil für Perfonen von befchränk-
854 Das Leben Abrabam Lincolns.
ten Mitteln größere Erleichterungen beſtimmen. Mit diefem Zwed
vor Augen fihlage ich dem Congreß vor, Beftimmungen zu
treffen, Daß ein mäßiger Betrag von einer Fünftigen Ausgabe
öffentlicher Sicherheiten (public securities) erempt von Befteue-
rung und Beichlagnahme für Schulden von bona fide Käufern
gehalten werden könne, jedoch mit den nothwendigen Reftriktionen
und Befchränfungen, um einem etwaigen Mißbrauch diejes bedeu—
tenden Privilegiums vorzubeugen. Cine ſolche Maßregel würde
kluge Perfonen in den Stand fegen, für einen möglichen Fall der
Noth einen fihern Sparpfennig zurüdzulegen.
„Derartige Privilegien würden den Beſitz folcher Sicherheiten
in befchränften Beträgen einem jeden Unbemittelten, der die hierzu
nöthige geringe Summe aufzutreiben im Stande ift, höchft wün—
ſchenswerth machen. Der große Bortheil, daß unfere Bürger
Gläubiger ſowohl, wie Schuldner wären, fpringt von felbft vor
die Augen. Es muß einem Seven Flar fein, daß eine Schuld, die
er fich felbft fehuldet, ihn nicht fehr drücken kann.
„Obſchon die öffentliche Schuld am erften Juli dag dem Con—
greß zu Anfang der legten Sikung vom Finanzfefretär einge-
reichte Aeſtimat etwas überfteigt, fo bleibt diefelbe dennoch hinter
dem im darauf folgenden Dezember berechneten Aeftimat des wahr-
icheinlichen Betrages zu Anfang diefes Jahres um $3,995,079.33
zurück. Diefe Thatfache beweift einen befriedigenden Zuftand der
Dperationen des Finanzdepartements.
„Das National-Bankiyftem ermeift fich fowohl den Kapitaliften,
wie auch dem Volke im Allgemeinen annehmbar. Am 25. No—
vember hatten fich bereits fünfhundert und vierundachtzig Natio—
nalbanfen organifirt, worunter eine beträchtliche Anzahl von
Staatsbanfen, die diefe Umwandlung vorgenommen hatten, Die
Bertaufchung des Staatenfpftems mit dem Nationalfyftem geht
rafh von Staaten, und es ift Ausficht vorhanden, daß in kurzer
Zeit feine Noten ausgebenden Banken in den Vereinigten Staaten
fein werden, die nicht vom Kongreß autorifirt wurden, und feine
Banknoten-Cirkulation, Die nicht von der Regierung gejichert ift.
Daß diefer Wechfel in dem Bankſyſtem des Landes fowohl der
Lincolns Wicdererwählung. 855
Regierung, wie auch dem Volke zum allgemeinen Bortheil gerei>
chen wird, kann wohl fchwerlich bezweifelt werden,
„Das Nationalfyftem wird einen zuverläffigen und dauernden
Einfluß auf die Unterftübung des National-Eredits ausüben und
das Bolf vor Berluften im Ufo des Papiergeldes ſchützen. Ob mwei-
tere legislative Mafregeln zur ganzlichen Unterdrüdung der Aus-
gabe von Staaten-Banknoten ratyfam find, muß der Entſcheidung
des Congreffes überlaffen bleiben. So viel indeffen fcheint klar
zu fein, daß das Schakamt nicht befriedigend verwaltet werden
fann, fo lange die Regierung nicht vollftändige Eontrolle über die
Banfnoten-Cirkulation im Lande hat,
„Der Bericht des Kriegsminifters giebt mit den begleitenden
Dokumenten die Details der Operationen unferer Armeen im
Felde fett dem Datum der letten Jahresbotſchaft; desgleichen
auch die Operation jedes einzelnen adminiftrativen Bureau im
Kriegsdepartement während des lebten Jahres.
„Ebenfalls fpezifizirt derfelbe die Maßregeln, die zur Verthei—
digung der Nation und zur Unterhaltung und Verpropiantirung
der Militärmacht vonnöthen find.
„Der Bericht des Marinefefretärs giebt in faßlicher und befrie-
digender Weife Auskunft über die Angelegenheiten jenes Depar-
tement3 und des Marinedienftes, Wohl dürfen es fich unfere
Mitbürger zur Ehre und zum Stolz anrechnen, daß eine Marine
von fo ungeheuren Proportionen in fo furzer Zeit organifirt und
mit fo glänzendem Erfolge in Wirkfamfeit verfegt wurde.
„Die Marine beftand am 1. Dezember 1864 einfchließlich der
im Bau begriffenen Schiffe im Ganzen aus 671 Fahrzeugen mit
4610 Geſchützen und 510,396 Tonnengehalt. Dies ijt eine Zu-
nahme während des letzten Jahres von 83 Schiffen, 167 Ge-
fhügen und 42,427 Tonnen, nad Abrechnung ſämmtlicher Ber-
fufte durch Schiffbrud und Seefchlachten. Die Gefammtzahl der
im Seedienft befindlichen Männer ift einfchlieglich der Offiziere
ungefähr 51,000. Während des Jahres wurden von der Marine
324 Schiffe erobert; die Zahl fämmtlicher feit Anfang des Krie-
ges eroberten Schiffe ift 1379, worunter 267 Dampfer. Die aus
356 Das Leben Abraham Lincolns,
dem Verkauf abgeurtheilter Prifen erzielte Summe beträgt, foweit
big jetzt berichtet wurde, $14,396,250,51,
„Eine große Anzahl folcher Prifen erwartet noch der gericht-
lichen Verfügung. Die Totalausgaben des Marinedepartements,
einfchließlich der Koften der ungeheuren vom 4. März 1861 bis
zum 1, November 1864 in’s Leben gerufenen Geſchwader belaufen
ſich auf $238,647,262,35. Im empfehle die verfchiedenen Vor—
Schläge des Marineſekretärs Ihrer günftigen Beachtung, nament-
lich feinen Vorſchlag hinfichtlich einer Navy-Yard und eines ge—
eigneten Etabliffements zum Bau und zur Ausbefferung eiferner
Schiffe, fowie zur Herftellung der Dazu nöthigen Mafchinerie und
Armatur, wie ich bereits in meiner legten Jahres-Botſchaft er—
wähnte,
„Desgleichen lenke ich Ihre Aufmerkſamkeit auf die Anfichten
des Sefretärg über die Legislation des Congreffes bei feiner legten
Sitzung in Betreff der auf unfern Inlandgewewäſſern gemachten
Prifen,
„Ebenfo unterftüße ich den Antrag des Sefretärs, den Rang
eines Vice-Admirals in unferm Marinedienft einzuführen.
„Hinfichtlich der Details über die Operationen und den finan—
ziellen Zuftand des Poft-Departements vermeife ich Sie auf den
Bericht des General-Poftmeifters. Die Poft-Revenuen betrugen
in dem mit dem 30, Juni 1864 endigenden Jahre $12,438,253.78,
und die Ausgaben $12,644,786.20, verblieb fomit ein Defizit von
$206,532,42.
„Der befondern Beachtung des Eongreffes empfehle ich die vom
Seneral-Poftmeifter ausgefprochenen Anfichten binfichtlich fpeziel=
ler Bewilligungen, um der Errichtung neuer Drean-Poftdampf-
fchifflinien Borfchub zu leiſten; desgleichen die Politik, die er zur
Erleichterung des zunehmenden Handelsverfehrs mit angrenzenden
und benachbarten Ländern vorfchlägt.
„Intereſſant und der Beachtung werth ift der Umftand, daß die
ftetige Zunahme der Bevölkerung, fomwie die Eultivation und Ein—
richtung von Regierungen in den neuen und bisher unangefiedel-
ten Theilen unferes Landes durch den großen Bürgerkrieg, der
anfänglich die ganze Energie der Nation in Anfpruch zu nehmen
2incolns Wiedererwählung. 897
fhien, faum berührt, gefchweige denn gehemmt oder zum Stillftand
gebracht wurden.
„Die Organifation und Aufnahme des Staates Nevada ift in
Uebereinftimmung mit dem Geſetze vollbracht worden, und fomit
ijt denn unfer vortreffliches Syſtem feft begründet in jenen Ge-
birgen, die man ehedem als eine unfruchtbare und unbewohnbare
Einöde zwifchen den atlantifchen und pacififchen Staaten betrach-
tet hatte,
„Die Territorien der Union befinden fich in einem gedeihlichen
und blühenden Zuſtande. Idaho und Montana wurden ihrer
großen Entfernung halber, fowie wegen der durch Indianerfeind-
feligfeiten verurfachten Verkehrsunterbrechung nur theilmweife or»
ganifirtz dem Vernehmen nah find dieſe Schwierigkeiten im
Berfchwinden begriffen und ift daher Ausficht vorhanden, daß die
Regierung: diefer Territorien, wie die der übrigen, baldigft orga—
nifirt und in Thätigfeit fein werden,
„Ich Ienfe die Aufmerkſamkeit des Eongreffes auf den Bericht
des Sekretärs der innern Angelegenheiten. Derfelbe enthält
werthuolle Auskunft und wichtige Anempfehlungen über verfchie-
dene mit dem materiellen Gedeihen der Nation auf das Innigſte
verfnüpfte Gegenftände, wie 3. B. die öffentlichen Ländereien, die
Indianer-Affairen, die Pacific-Eifenbahn und die mineralifchen
Entdeckungen. Desgleichen giebt der Bericht Aufklärung über
Patente, Penfionen und andere Gegenftände von allgemeinem
Intereſſe.
„Die Quantität der während der letzten fünf Quartale bis zum
30. September dieſes Jahres veräußerten öffentlichen Ländereien
betrug 4,221,342 Acker, wovon 1,538,614 Acker unter dem Heim—
ſtätte-Geſetz vergeben wurden. Der Baarerlös aus Verkäufen
und Lokationsgebühren betrug 81,019,446. Die Einkünfte von
Verkäufen während des mit dem 30. Juni 1864 endigenden Fis—
kaljahres beliefen ſich auf $678,007.21, während dieſelben im vor-
bergehenden Jahre nur $136,077,95 betrugen. Die Gefammt-
anzahl der während des Jahres vermeffenen Ader Landes fam der
Duantität der Veräußerungen gleich, und es ſtehen gegenmärtig
133,000,000 Ader vermeffenen Landes zur Anfiedlung offen,
358 Das Leben Abraham Lincolns.
—
„Das große Unternehmen einer Verbindung der atlantiſchen
mit den pacifiſchen Staaten durch Eiſenbahnen und Telegraphen—
Linien wurde, ungeachtet der hohen Preiſe des Materials und der
Arbeit, mit einer Energie in Angriff genommen, die keinen Zwei—
fel an dem Erfolg aufkommen läßt. Die Route der Hauptlinie
der Eiſenbahn iſt bereits einhundert Meilen weſtwärts vom Aus—
gangspunkt zu Omaha City, Nebraska, gelegt worden; desgleichen
wurde die Pacific-Eiſenbahn von Cälifornien von Sacramento
aus oſtwärts bis zur großen Krümmung des Mucker River, Ne—
vada, errichtet, Zahlreiche Entdeckungen von Gold-, Silber- und
Zinnoberminen find den bisher gemachten hinzugefügt worden,
und das Land der Sierra Nevada und der Felfengebirge, fomwie
der Gebirgsausläufer ſchwärmt jebt von eifrigen Arbeitern, Die
ihre Bemühungen wahrfcheinlich von reichem Erfolg gefrönt ſehen
werden. Man nimmt an, daß die diesjährige Ausbeute an edlen
Metallen in den Minen jener Regionen zum Mindeften
$100,000,000 betrug.
„Sn meiner legten Jahresbotſchaft empfahl ich eine Umgeftal-
tung unferes Indianerſyſtems an. In Uebereinfiimmung mit
diefer Anempfehlung traf der Congreß während feiner legten
Sitzung Beitimmungen für die Reorganifation des Syitems in
Californien, und ich glaube, daß bei gegenwärtiger Drganifation
das Management der Indianer ziemlich erfolgreich betrieben wird.
Es bedarf indeffen noch vieler Borforge für die Beauffihtigung
der Indianer in andern Theilen des Landes, fowohl der Sicher-
heit der neuen Anfiedler, wie auch der Wohlfahrt der Indianer
halber, Der Sefretär wiederholt daher feine Vorfchläge, vie ich
ausdrüdlich der Erwägung des Congreffes empfehle.
„Die liberalen Beftimmungen, die ver Congreß zur Ausbezahlung
son Penfionen an invalide Soldaten und Matrofen der Republik
getroffen bat, fowte auch an die Wittwen, Waifen und hilfsbe-
dürftigen Mütter Derer, die in Schlachten gefallen oder an
Krankheiten und Wunden im Dienft ihres Zandes geftorben find,
wurden aewiffenhaft zur Ausführung gebracht.
„Während des mit dem 30. Juni endigenden Jahres wurden
den Penfionsliften die Namen von 16,770 invaliden Soldaten
Lincolns Wiedererwählung. 399
und 271 verfrüppelten Matrofen hinzugefügt. Die gegenwärtige
- Anzahl penfionirter Armee-Invaliden beträgt 22,767 und die der
penfionirten Marine-Fnvaliden 712 Mann. Außerdem wurden
22,198 Wittwen, Waifen und Mütter auf die Armee-, und 248
auf die Marine-Penfionsliften gefebt,
„Die gegenwärtige Anzahl der Armee-Penfionäre dieſer Klaffe
beträgt 25,433, und die der Marine-Penfionäre 793 Perfonen.
Zu Anfang des Jahres belief fih die Anzahl der Revolutions—
Penfionäre auf 1430 Perfonenz nur zwölf derfelben waren Sol—
daten, und von diefen find feither fieben mit Tod abgegangen.
Die Uebrigen erhalten dem Geſetze nach Penfionen in Anbetracht
ihrer Berwandtfchaft mit den Revolutiong-Soldaten,
„Während des mit dem 30, Juni 1864 endigenden Jahres
wurden im Ganzen $4,504,616,.92 an Penfionäre aller Klafjen
ausbezahlt.
„Mit Freuden empfehle ich die mohlthätigen Snftitutionen des
Diftrilts Columbia, die bisher Durch den Congreß begründet und
gehegt wurden, Ihrer ferneren Gewogenheit und verweife Sie für
weitere Auskunft über diefelben, fowie über den Wafhington Aqua-
duct, das Bapitol und andere Ungelegenheiten von lokalem Inte—
reſſe auf den Bericht des Sekretärs.
„Das Agrikultur-Departement erweift fich unter der Oberauf-
ficht feines gegenwärtigen energifchen und pflichtgetreuen Chefs den
großen Intereſſen, zu deren Förderung es beftimmt ift, vollflommen
angemefjen. Es ift im eigentlichen Sinne des Wortes das De-
partement des Volkes; an feinem andern ift dafjelbe fo Direkt be-
theiligt wie an diefem, und ich empfehle e8 Daher der ferneren Gunft
und Pflege des Congrefjes an.
„Der Krieg dauert noch immer fort, Seit meiner legten Jah—
resbotſchaft find alle wichtigen Linien und Pofltionen, die damals
im Beſitz unferer Truppen waren, ftandhaft behauptet worden.
Unfere Armeen rüdten beftändig vorwärts und ließen die hinter
ihnen liegenden Regionen frei, fo dag Miffouri, Kentudy, Ten—
neffee und Theile anderer Staaten fich wieder ziemlich guter Ernten
erfreuten.
„zer merkwürdigſte Zug in den militärifchen Operationen dieſes
360 Das Leben Abrabam Lincolns.
Jahres ift General Sherman’s gewagter Marfch von dreihundert
Meilen direkt durch das Innere der Infurgentenftaaten, Es be—
weift eine große Zunahme unferer relativen Stärke, daß unfer
Dbergeneral im Stande ift, die gefammte, aftive Truppenmacht des
Veindes zu confrontiren und im Schach zu halten, und zu gleicher
Zeit eine große, ftattliche Armee zu einer folchen Erpedition zu de—
tachiren. Da das Refultat noch nicht befanut ift, fo unterlaffe ich
es, mich auf Conjecturen hierüber einzulaffen.
„Auch in Bezug auf die Reconftruftion haben während des Jah—
red bedeutende Bewegungen ftattgefunden, War der Erfolg aud)
nicht eben ein volljtändiger, fo laßt es fich dennoch als einen Schritt
in der rechten Richtung hin betrachten, daß zwölftaufend Bürger
in jedem der Staaten Arkanfas und Louifiana loyale Staatsregie-
rungen mit freien Conftitutionen organifirt haben und ernitlich be—
müht find, diefelben zu verwalten und aufrecht zu erhalten.
„Die in den Staaten Miffouri, Kentudy und Tenneffee in noch)
weit größerem Maßftabe, obſchon weniger beftimmt vor ſich gegan-
genen Bewegungen dürfen ebenfalls nicht unbeachtet bleiben.
„Maryland aber bietet ung ein Beifpiel von volllommenem Er-
folge. Maryland ift für alle Zukunft ver Union und Freiheit ge—
fihert. Der Dämon der Rebellion kann Maryland nicht mehr
beanfpruchen. Gleich einem ausgetriebenen Teufel mag er es zu
zerreißen ſuchen; beherrſchen fann er es nicht mehr,
„Ein Borfchlag zu einem Amendement zur Conftitution, wodurch
die Sklaverei in den ganzen Vereinigten Staaten abgefchafft würde,
it während der lebten Sitzung des Congreſſes vom Senat paſſirt
worden, jedoch in Ermangelung der nothwendigen Zweidrittelg-
Majvorität im Repräfentantenhaufe durchgefallen. Obſchon der
Congreß noch der nämliche ift und faft aus den nämlichen Mit-
gliedern befteht, wage ih—ohne den Patriotismus Derjenigen, die
damals opponirten, zu bezweifeln— die nochmalige Erwägung und
endliche Paffirung jener Maßregel der gegenwärtigen Situng drin-
gend anzuempfehlen,
„In Bezug auf die abſtrakte Frage ift natürlich feine Aenderung
eingetreten; die Fürzlich ftattgefundene Wahl zeigt indeffen deutlich,
daß der nächte Congreß die Maßregel ficherlich paffiren wird, wenn
Lincolns Wiedererwählung. 361
der gegenwärtige es nicht thut. Es handelt fich fomit nur noch um
die Zeit, wann das vorgefchlagene Amendement den Staaten zur
Ratififation übergeben werden foll; und da dies nun auf alle Fälle
gefchehen wird, fo wäre es meiner Anficht nach je eher, defto beſſer.
Es foll damit nicht gefagt fein, daß die Wahl den Congrefmitglie-
dern die Pflicht auferlegt habe, ihre Anfichten und ihre Stimmen
zu verändern; dennoch kann Diefelbe nicht verfehlt haben, ihnen das
Zweckloſe eines ferneren Widerftandes vor Augen zu halten.
„Es ift die Stimme des Volkes, die fich jebt zum erftenmal über
diefen Gegenftand vernehmen läßt. Sn einer großen National-
trifis, wie der unfrigen, ift Einftimmigfeit der Handlung bei Denen,
die ein gemeinfames Ziel anftreben, höchſt wünfchenswerth, ja faft
unerläßlih. Diefe Einftimmigfeit nun ift keineswegs unerreich-
bar; es bedarf dazu nur einiges Nachgebens gegen den Willen der
Majoritat—einfach weil es der Wille der Majorität ift,
„Der gemeinfame Zwed in unferem Falle ift die Erhaltung der
Union, und unter den Mitteln zur Erreichung dieſes Zweckes hat
fih der Wille des Volkes durch die Wahl unzweideutig zu Gunften
des Amendements ausgefprochen, In unferem Lande drüdt fich die
Gefinnung des Volkes durch freie Wahlen aus. Nach dem lebten
Wahlkampfe und feinen Refultaten zu fchließen, war das Volf ver
loyalen Staaten niemals ftandhafter und einmüthiger zu Gunften
der Erhaltung der Union als jebt,
„Die außerordentliche Ruhe und Ordnung, mit welcher ſich Mil-
lionen von Stimmgebern an den Wahlurnen einfanden, bemeift
dies, Nicht nur Diejenigen, welche für das fogenannte „Unions—
Ticket“ ffimmten, fondern felbft eine große Majorität der Oppofitiong-
partei fchienen jene Geſinnung zu hegen. Es iſt ein unmwiderleg-
bares Argument für dieſen Punkt, daß fein Kandidat für irgend
ein Amt, fei es ein hohes oder ein niederes, auf die Erflärung hin,
daß er für das Aufgeben der Union fei, Stimmen zu erhalten
fuchte,
„Es gab manche hitzigen Controverfen und Verdächtigungen der
Motive Anderer in Bezug auf die geeigneten Mittel und die befte
Urt, die Sache der Union zu fördern; über die beftimmte Frage
aber: „Union oder feine Union?“ haben die Politiker bewiefen, daß
362 Das Leben Abraham Lincolns.
nur ein Wille unter dem Volfe herrſche. Die Wahl war von un
berechenbarem Nuten für die Sache der Nation, da dem Volke da—
durch Gelegenheit gegeben ward, fich felbft und der Welt dieſe
Willensfeſtigkeit und Einmüthigfeit zu zeigen,
„Jedoch noch eine andere, nicht minder werthvolle Thatfache hat
die Wahl gezeigt, nämlich die, daß wir noch lange feine Erſchöpfung
des wichtigften Theiles der Nationalhilfsquellen zu befürchten brau—
chen— ven Mangel an lebenden Männern. Zwar ift es ein
melancholifcher Gedanke, daß der Krieg fo viele Gräber gefüllt, fo
viele Herzen in Trauer verfebt hatz dennoch gemährt es einigen
Troft, daß die Anzahl der Oefallenen im Bergleich zu der Anzahl
der Ueberlebenden fo gering if. Während Corps, Divifionen,
Drigaden, Regimenter in’s Dafein traten, fämpften, zufammen-
fhrumpften und fich auflöften, ift eine große Majvrität ver Män-
ner, aus denen diefelben beftanden, noch am Leben. Daffelbe be-
zieht fi) auf den Marinedienft, Die Wahlberichte beweiſen es,
denn es könnten fonft nicht fo viele Stimmen abgegeben worden
fein. Die Staaten, die regelmäßig ihre Wahlen hielten, ſowohl
jest wie vor vier Jahren, namlich: Kalifornien, Eonnecticut, De-
laware, Illinois, Indiana, Jowa, Kentudy, Maine, Maryland,
Maffachufetts, Michigan, Minnefota, Miffouri, New Hampfhire,
New Jerſey, New York, Ohio, Dregon, Pennſylvanien, Rhode Js—
land, Vermont, Weft-Virginien und Wisconfin gaben jebt 3,982,011
Stimmen gegen 3,870,222 im Sabre 1860. Dazu find ferner zu
rechnen 33,762 Stimmen von den neuen Staaten Kanſas und
Nevada, die im Jahr 1860 nicht ſtimmten. Es ergiebt fich fomit
ein Aggregat von 4,075,7735; die Netto-Zunahme der vierthalb
Sahre des Krieges beträgt 145,751 Stimmen.
„Diefer Anzahl nun müffen alle im Felde ftehenden Soldaten
son Maffachufetts, Rhode Fsland, New Jerſey, Delaware, In»
diana, Illinois und Californien hinzugefügt werden, Die nad) den
Gefeten ihrer Staaten nicht außerhalb des Staates flimmen
dürfen, und deren Zahl nicht weniger als neunzigtaufend betragen
kann. Noch ift dies Alles, Die Anzahl in den organifirten Ter-
ritorien tft jeßt Dreimal fo groß, als fie vor vier Jahren war, wäh—
rend Taufende, Weiße wie Schwarze, ung zufloßen, je weiter die
Lincolns Wiedererwählung. 363
Nationaltruppen die Inſurgenten zurücktreiben. All' Dieſes er—
giebt ſich aus der Wahl.
„Es iſt kaum der Mühe werth, nach der Urſache dieſer Zunahme
zu fragen, oder zu behaupten, daß dieſelbe ohne den Krieg größer
geweſen wäre, was theilweiſe wahr iſt. Die wichtige Thatſache iſt
bewieſen, daß wir jetzt mehr Männer haben als ehe der Krieg be—
gann; daß wir noch nicht erſchöpft oder der Erſchöpfung nahe ſind;
daß wir an Stärke zunehmen und den Krieg, wenn es ſein muß,
auf unbeſtimmte Zeit fortſetzen können. So viel in Bezug auf
Männer,
„Allein auch unfere Nationalrefourcen find jest vollftändiger
und reichlicher als je; fie find unerfchöpft und, wie wir glauben,
unerfchöpflih. Die Abficht des Volkes, die National-Autorität
swieder herzuftellen und zu behaupten ift unverändert und, wie wir
überzeugt find, unveränderlih, Nur über die Art und Weife, die-
fen Zwed zu erreichen, Tann eine Wahl ftattfinden, Nach forg-
fältiger Erwägung aller zugänglichen Beweiſe fcheint es mir, daß
fein Berfuch, Unterhandlungen mit dem Jnfurgenten-Chef anzu=
Inüpfen, zu irgend etwas Gutem führen könnte.
„Er würde auf nichts Anderes als eine Trennung der Union
eingehen. Er hat dies zu wiederholten Malen und auf dag Be-
ftimmtefte erklärt. Er fucht uns nicht zu täufchen. Er läßt uns
feine Entſchuldigung, uns felbft zu täufchen, Wir können es nicht
freiwillig zugeben, Zwifchen ihm und ung liegt eine deutliche, ein»
fache, aber unüberfteiglihe Schranke. Es ift eine Frage, die nur
durch Krieg befprochen, nur durch Sieg entfchieden werden kann.
„Geben wir nach, fo find wir gefchlagen; laßt ihn das ſüdliche
Volk im Stich, fo ift er gefchlagen—in jedem Falle würde Sieg und
Niederlage dem Kriege folgen. Was fich indeffen auf den In—
furgenten-Chef bezieht, das bezieht fich nicht nothwendigermeife auch
auf feine Anhänger, Er kann nicht in die Union willigen, fie aber
können es. Wir wiffen, daß bereits Einige von ihnen Friede
und Wiedervereinigung wünfchen. Die Zahl derfelben mag zu—
nehmen,
„Ste können jeden Augenblid Frieden haben auf die einfache
Bedingung hin, daß fie die Waffen ftreden und fich der Nationals
364 Das Leben Abraham Lincolns.
Autorität unter der Eonftitution unterwerfen. Thun fie dies, fo
könnte die Regierung den Krieg nicht gegen fie fortfegen, felbft wenn
fie wollte. Das Ioyale Bolt würde es nicht dulden. Sollten ir-
gend welche Streitfragen verbleiben, fo könnten wir diefelben durch
friedliche Mittel, wie 3. B. Legislation, Conferenzen, Gerichtshöfe
und Abftimmungen fchlichten.
„Einige gewiffe und mögliche Fragen könnte allerdings die Ere-
futive nicht auf conftitutionelle Weife entfcheiden, fo 3. B. die Zu—
lofjung von Mitgliedern zum Congreß oder Dinge, die Geldver—
willigungen erfordern,
„Die Macht der Erefutive felbft würde durch das Aufhören des
Krieges bedeutend gefchmälert, Begnadigungen und Eonfisfationg-
erlaffe blieben jedoch der Exekutive noch immer unbenommen. In
welchem Geifte dieſe Prärogative ausgeübt werden würde, läßt fich
aus der Vergangenheit ſchließen. Cine allgemeine Begnadigung
und Amneftie wurde vor einem Jahre auf fpezifizirte Bedingungen
hin fämmtlichen Infurgenten, mit Ausnahme einigew beſonders bes
zeichneten Klaffen, angeboten, und zu gleicher Zeit wurde befannt
gemacht, daß felbft diefen ausgenommenen Klafjen nicht alle Hoff-
nung auf Önade benonmen fei.
„Diele zogen ſich während des legten Jahres dieſes Anerbieten
zu Nuten, und noch viele Andere würden es gethan haben, wenn
nicht Mißbrauch und Treubruch gewiſſe VBorfichtsmaßregeln noth—
wendig gemacht hätten, die die praftifche Wirkſamkeit gewiffermaßen
erfchweren mußten. Während derjelben Periode wurden auch ei-
nigen Individuen der ausgenommenen Klaffen Spezial-Pardons
gewährt, und noch Fein einziges freimilliges individuelles Gefuch
um folchen ift bis jegt verweigert worden,
„So war denn das Thor ein volles Jahr lang Allen offen, aus-
genommen Denen, die nicht im Stande waren, eine freie Wahl zu
treffen; daß heißt mit andern Worten Denen, die in Haft oder un
ter Zwang waren. Noch ift es Allen offen; allein die Zeit mag
fommen und wird mwahrfcheinlich fommen, wenn die öffentliche
Pflicht verlangen wird, daß es gefchloffen werde, und daß ftrengere
Mapregeln als bisher zur Anwendung fommen follen.
„Indem ich das Aufgeben des bewaffneten Wivderftandes gegen
Die Rreife sieben fid) enger. 865
die National-Autorität von Seiten der Infurgenten zur einzigen,
unerläßlichen Friedensbedingung mache, nehme ich Nichts von dem
zurüd, was binfichtlich der Sklaverei gefagt wurde, ch wieder-
hole die fhon vor einem Jahr gegebene Erklärung, daß ich, fo lange
ich in meiner gegenwärtigen Stellung verharre, feinen Verſuch ma=
chen werde, die Emaneipations-Proflamation zurüdzunehmen oder
zu modifiziren, und daß ich Feine einzige Perfon, die laut diefer
Proklamation oder irgend einer der Congreßakten frei geworden ift,
in die Sklaverei zurüdliefern werde,
„Sollte es das Bolf jemals auf irgend eine Art, oder durch ir—
gend welche Mittel, der Erefutive zur Pflicht machen, folche Per>
fonen wiederum der Sklaverei anheimzugeben, jo muß es fich einen
Andern, und nicht mich, zum Werkzeug feines Willens wählen.
„Indem ich von einer einzigen Friedensbedingung rede, will ich
einfach Damit fagen, daß der Krieg von Seiten der Regierung auf-
hören wird, fobald er von Seiten Derer aufhört, die denfelben be—
gonnen haben,
Abraham Sincoln.”
Dreiundzwanzigftes Kapitel.
Die Rreife ziehen fidh enger
Rede bei einer Serenade — Antwort auf eine Präfentations-Adreffe— Frie-
densgerüchte — Rebellen-Lommiffäre—Inftruktionen an Sekretär Seward
— Die Conferenz in Hampton Roads— Refultat— Ertrafigung des Senats
— Die militärifhe Situation — Sherman — Charlefton— Columbia — Wil-
mington — Fort Fifher — Sheridan — Grant— Der Rebellen-Longreß —
weite Snauguration — Snaugurations-Adreffe — Englifche Urtheile —
Proklamation an Deferteurs.
Folgende Antwort auf eine Serenade am 6. Dezember 1864 lie⸗
fert einen Beweis von der angenehmen, launigen Gemüthsart des
Präfidenten :
„Freunde und Mitbürger:—Ich glaube, ich werde in meinem
Leben nie lernen ohne Berlegenheit zu fprechen, wenn ich Nichts zu
366 Das Leben Abraham Lincolns.
fagen habe. Ich kann Ihnen feine guten Nachrichten mittheilen,
ebenfo wenig aber ſchlechte. Wir haben fo lange von den Wahlen
gefprochen, bis ung nichts mehr darüber zu fagen verblieb. Die
intereffanteften Neuigkeiten, die wir jebt haben, find von Sherman.
Wir Alle wiffen, in welches Loch er hineinging, allein ich weiß nicht,
aus welchem Loch er herausfommen wird, ch will nun fchließen,
indem ich ein Dreifaches Hoch für General Sherman und feine Ar-
mee vorſchlage.“
Um 24. Januar 1865 wurde Herr Lincoln mit einer prachtvollen
Vaſe von getrocneten Blättern befchenkt, die auf dem Schlachtfeld
von Gettysburg gefammelt worden waren. Diefe Bafe war bei
der großen Sanitäts-Ausftelung in Philadelphia für den Präfi-
denten fubferibirt worden und wurde ihm nun mit einer gewählten
und fchmeichelhaften Anrede vom Vorfiker der Präfentationsadreffe
überreicht. Herr Lincoln ermwiederte wie folgt:
„Hochwurdiger Herr, meine Damen und Herren : — Mit Ges
fühlen der tiefften Dankbarkeit nehme ich das ſchöne Gefchenf an,
das Sie die Güte hatten, mir zu überreichen. Sie erwarten na—
türlich, daß ich einige Worte bei diefer Gelegenheit reve. Es ift
ſchon fo Vieles und fo Vortreffliches in Bezug auf Gettysburg ge=
jagt worden, daß jeder meiner Berfuche, mehr darüber zu fagen,
wohl nur dazu dienen kann, die Kraft des fchon Gefagten zu
ſchwächen. |
„Bei Selegenheit der Einweihung des National-Gottesaders zu
Gettysburg wurde von unferem berühmten Freunde Edward Everett,
der jett leider dag Zeitliche gefegnet hat, dem Patrivtismus und
der edlen Selbftaufopferung der amerifanifchen Damen ein wun—
derichöner und beredter Tribut dargebracht. Sein Leben war
wahrlich ein großes, und der ſchönſte Theil defjelben gehört wohl
feinen legten Jahren an,
„Ich wünfche, daß Sie die glühenden und wahrheitögetreuen
Worte, mit denen er damals von den Frauen Amerikas ſprach,
lefen möchten, wenn Sie diefelben nicht bereits gelefen haben,
MWahrlich, die Dienfte, die unfere edlen Frauen den Vertheidigern
unferes Landes geleiftet haben und noch leiften, können nie nach
Gebühr gewürdigt werden.
Die Rreife ziehen ficd) enger. 367
„Für die gütigen Wünfche, die Sie mir perfönlich darbrachten,
fage ich Ihnen ebenfalls meinen verbindlichiten Danf, Ich ver-
fichere Ihnen, daß ich diefelben von Herzen ermwiedere. Und num,
meine Damen und Herren, möge Gott Sie Alle ſegnen!“
Zu Anfang des neuen Jahres war die Luft wiederum, wie fchon
oft zuvor, voll von Gerüchten, daß die Infurgenten Friedensunter-
handlungen anzufnüpfen mwünfchten. Sogar einige von Herrn
Lincolng Freunden und Anhängern meinten, daß fein „Wen es
angehen mag” vom vorigen Jahre etwas zu fehroff und furzange-
bunden gemwefen fei. Wohl wiffend, daß fie nicht im Stande waren,
über die Prämiſſen zu urtheilen wie der Präfident, konnten fie fich
des Gedanfens doch nicht erwehren, daß irgend ein beftimmtes Re—
fultat aus einer Unterredung mit den Repräfentanten der Rebellen
folgen möchte — zum Mindeften eine unummwundene Erklärung,
daß fein Friede ohne Trennung ftattfinden könne, es fei denn, Daß
der Süden unterjocht würde.
Sp gut unterrichtet Herr Lincoln über die Pläne und Abfichten
der Rebellenführer war, und fo gut er wußte, daß jeder Derartige
Verſuch fehlſchlagen mußte, fo bejchloß er dennoch, feinen Oppo—
nenten, wie auch feinen Freunden feine Urfache zu laffen, ihm den
Borwurf zu machen, daß er nicht alle feine Kräfte aufgeboten habe,
eine friedliche Beilegung des Streites herbeizuführen,
Als er daher in der legten Woche des Januar von feinem Freunde
Francis P. Blair, der mit feiner Erlaubnig Richmond befucht hatte,
erfuhr, daß die Führer der Rebellion Commiffäre zu fenden wünſch—
ten, um zu hören, auf welche Bedingungen hin die Regierung der
Bereinigten Staaten in eine Beilegung der Streitigkeiten willigen
würden, und daß A. 9. Stephens von Georgia, R. M. T. Hunter
von Birginien und J. U. Campbell von Alabama von eff. Davis
durch die feindlichen Linien gefandt worden feien, um den Weg zu
einer Eonferenz zu bahnen, da betraute Präſident Lincoln— nicht
Willens, daß die Rebellen nah Waſhington kommen follten— den
Sekretär Seward mit diefer Angelegenheit und übergab ihm fol-
genden Inſtruktionsbrief:
368 Das Leben Abraham Lincolns.
„Exekutiv-⸗Gebäude, Wafhington, 31. Januar 1865.
„Hon. William H. Seward, Staatsfefretär — Sie werben
fi) nach Fortreß Monroe, Birginien, begeben und dort auf die
Bafis meines Briefes an Herrn F. P. Blair, datirt vom 13. Ja—
nuar 1865, wovon eine Copie bier beifolgt, mit den Herren Ste—
phens, Hunter und Campbell Rüdfprache nehmen.
„Sie werden denfelben ankündigen, daß drei Dinge unerläßlich
find, nämlich:
„J. Die Wiederherftelung der National-Autorität in ſämmt—
lichen Staaten,
„2. Keine Beränderung des Standpunftes, den die Erefutive
der Vereinigten Staaten in der lebten Jahresbotfchaft an den Con—
greß und in früheren Dokumenten in Bezug auf die Sklayereifrage
eingenommen hat.
„3. Keine Unterbrehung in den militärifchen Operationen der
Vereinigten Staaten, bis fämmtliche gegen die Regierung fämpfen-
den Truppen aufgelöft fein werden,
„Sie werden jenen Herren ferner mittheilen, daß ſämmtliche Vor—
ſchläge ihrerfeits, fo fern fie mit obigen Bedingungen nicht unver-
einbar find, in Erwägung gezogen und mit aufrichtiger Liberalität
entfchieden werden follen.
„Sie werden Alles anhören, was die Herren zu fagen mwünfchen,
und mir darüber Bericht erftatten.
„Sie werden unter feinen Umftänden über irgend einen Punkt
eine definitive Entſcheidung geben.
„Hochachtungsvoll, ꝛc.
Abraham Sincoln.”
Am 2, Februar reifte der Präfident ſelbſt nach Fortreß Monroe
ab und empfing am Morgen des 3, in Herrn Seward's Beifein die
Herren Stephens, Hunter und Campbell an Bord eines Vereinig-
ten Staaten Dampfers, der in Hampton Roads vor Anfer lag.
Die Eonferenz war ganz und gar informeller Natur. Keine
Sefretäre, feine Zeugen waren zugegen, und Nichts wurde gefchrie-
ben oder gelefen. Das Geſpräch mar beiderfeits ernft und fret,
aber höflich und zunorfommend. "Die Herren von Richmond nä—
Die Kreife ziehen ſich enger. 869
herten fich der Discuffion etwas indirekt, ftellten Feine categorifchen
Forderungen, machten Feine formellen Bedingungen und fchlugen
Nichts pofitiv aus; dennoch wurden während der vierflündigen
Eonferenz die verfihiedenen Streitpunfte zwifchen der Regierung
und den Inſurgenten ausführlich, beftimmt und auf freundliche
Art befprochen, Was die Rebellencommiffäre befonderg zu begün-
ftigen fchienen, war ein Auffchub der Trennungsfrage und ein ge-
meinfames Handeln in Bezug auf irgend eine äußere Politil. Da-
durch, meinten fie, würde Zeit gewonnen, während welcher die
Leidenfhaften fich legen, die Armeen reduzirt und der Vekehr und
Handel zwifchen dem Volke beider Sektionen wieder hergeftellt wer-
den könnten.
Durch einen ſolchen Auffchub, glaubten fie, könnten wir fofor-
tigen Frieden haben mit ziemlich guter Ausficht auf endliche befrie-
digende Beilegung der politifchen Differenzen zwifchen der Regie-
rung und den mit derfelben Krieg führenden Staaten.
Der Präfivdent erwiederte, daß diefer Vorfchlag einen Waffen-
ftillftand bezwede, und daß wir und zu Feiner Einftellung oder
Sufpenfion der Feindfeligfeiten verftehen fünnten, ausgenommen
auf die Bafis der Auflöfung fammtlicher Infurgententruppen und
der Wiederherftellung der National-Autorität in ſämmtlichen Staa-
ten der Union.
Die Antifklaverei-Politif der Vereinigten Staaten wurde in allen
ihren Einzelheiten befprochen, und der Präfident fündigte an, daß
er fein Haarbreit von dem Standpunkte abweichen würde, den er in
feiner Emaneipationg-Proflamation und andern Dofumenten an-
genommen und in feiner legten Jahresbotſchaft wiederholt und auf
das Beftimmtefte behauptet hatte,
Gerner erklärte der Präfident, daß die vollftändige Wiederher-
ftellung der National-Autorität im ganzen Lande eine unerläßliche
Bedingung der Einwilligung in irgend einen Friedensvorfchlag fei.
Er verficherte ven Commiffären, daß er feſt auf diefer Pofition ver-
barren müffe, jedoch aber die größte Liberalität walten laffen wolle,
fomweit dies in feiner Macht ftehe. Diefe Macht fei allerdings Durch
die Conftitution beſchränkt, und beim Abfchluß des Friedens müſſe
es dem su überlaffen bleiben, Gelvverwilligungen zu machen
370 Das Leben Abraham Lincolns.
und über die Zulaffung von Mitgliedern aus den Snfurgenten-
ftaaten zu entfcheiden.
Sodann wurden die Commiſſäre in Kenntniß gefebt, daß der
Congreß am 31, Januar durch eine conftitutionelle Majorität einen
Geſammtbeſchluß angenommen habe, um den einzelnen Staaten
den Vorſchlag zu machen, die Sklaverei in den ganzen Vereinigten
Staaten abzuſchaffen, und dag Hoffnung vorhanden fei, daß der
Vorſchlag von drei Bierteln fammtlicher Staaten angenommen und
dadurch zu einem Theile des organifchen Nationalgefetes gemacht
werden würde,
Die Eonferenz fam auf gegenfeitige Einwilligung zu Ende, ohne
daß ein Einverftändniß oder ein Befhluß über irgend einen der
befprochenen Punkte erzielt worden wäre.
Am folgenden Morgen kehrten der Präfivent und der Staats-
fefretär nach Wafhington zurüd und wenige Tage darauf wurde
dem Congreß auf deffen Erfuchen ein ausführlicher Bericht über
die Conferenz, deren Beranlaffung und Refultat mitgetheilt,
Damit waren denn alle Berfuche zu Unterhandlungen mit den
Nebellen abgethan. Welche Anfichten auch zuvor im Norden
über die Möglichkeit eines ehrenvollen Friedens mit den Inſur—
genten geherrfcht Haben mochten, fo viel ward jegt Allen klar, daß
den Armeen im Felde, die fi) von allen Seiten Richmond näher-
ten, und nicht dem Präfidenten es vorbehalten war, einen Frieden
zu bewerfftelligen, ven loyale Bürger indofjiren könnten.
In Uebereinftimmung mit der gewöhnlichen Sitte bei Ablauf
eines Präfidentfchafts-Terming wurde am 17, Februar der Se—
nat durch folgende Proflamation zu einer Ertrafigung zufammen-
berufen:
„Sintemalen Öegenftände, die das Intereſſe der Vereinig-
ten Staaten betreffen, es erforderlich machen, daß der Senat auf
den fommenden vierten März um zwölf Uhr zufammenberufen
werde, um Mittheilungen von der Erefutive in Empfang zu neh—
men und in Erwägung zu ziehen:
„Deshalb erachte ich, Abraham Lincoln, Präfivent der
Bereinigten Staaten, es für meine Pflicht, kraft Diefer meiner
Die Rreife ziehen ſich enger. 371
Proflamation zu erklären, daß eine außerordentliche Beranlaffung
es nothwendig macht, den Senat der Vereinigten Staaten zur Er—
ledigung son Gefchäften im Capitol der Stadt Wafhington auf
den vierten Tag des Monats März, um zwölf Uhr Mittags, zu—
fammenzuberufen, und daß alle Mitglieder dieſes Körpers hier-
mit aufgefordert find, von diefer Proflamation Notiz zu nehmen.
„Geſchehen in der Stadt Wafhingion, am fiebzehnten Tage des
Monats Februar, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert
und fünfundſechzig und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit
der Bereinigten Staaten von Amerifa.
„Auf Befehl des Präſidenten: Abraham SFincoln.”
„William 9. Seward, Staatsfefretär.“
Um diefe Zeit nahm die militärifche Situation das Intereſſe
eines jeden Freundes der Union in Anfpruc, welche Gefühle fie
auch bei Denen erregen mochte, die k lange die Waffen gegen die
Regierung geführt hatten.
Nach einem außerordentlihen Marfch von Atlanta direkt durch
das Herz von Georgia war Sherman endlich bei Savannah
„herausgeſchlüpft,“ das er ohne Schwertſtreich einnahm und der
Nation zum Weihnachtsgeſchenk machte. Lange hatten ſich die
Rebellen-Journale über dieſen Marſch luſtig gemacht und dem
General alles mögliche Unheil prophezeit, das ihm durch die Geor—
gia Miliz und „andere Löwen in ſeinem Pfade“ zubereitet werden
ſollte.
General Thomas war mittlerweile nach Naſhoille zurückgefallen
und hatte es nach einer blutigen, aber fiegreichen, Schlacht in der
Nähe jener Stadt feinem Gegner Hood, dem Nachfolger John—
fton’s, überlaffen, fich, fo gut er vermochte, über den Berluft des
größten Theiles feiner Armee zu tröſten. Mit den Trümmern
feiner gejchlagenen Truppen hatte fih Hood aus dem Staube ge—
macht — Niemand wußte, wohin.
Nach Furzer Raft verließ Sherman Savannah und marfdirte
direkt nah Süd-Carolina. Abermals prophezeiten ihm die ſüd—
lichen Zeitungsfchreiber feinen gewiffen Untergang in den Süm—
pfen und Einöden jenes Staates, Er aber marfchirte weiter,
872 Das Leben Abraham Lincolns
flanfirte Charlefton, jene Wiege des Verrathes, die das Land fo
lange infultirt hatte, und zwang fie zur fchleunigften Evacua—
tion; marfchirte dann weiter, belagerte und eroberte Columbia,
die Hauptftadt des chevaleresken Palmetto-Staates, marfchirte
abermals meiter und bedrohte Raleigh, die Hauptftadt von Nord—
Carolina, und marfchirte endlich auf Goldsborough zu, wo er eine
Verbindung mit einer andern Armee bewerkitelligte, die nach der
Einnahme von Wilmington — dem Schlupfloch der Blodadebre-
cher — nad jenem Drte gelangt war, Die Einnahme Wilming-
tons erfolgte bald nach der Erftürmung des den Eingang zum
Hafen beherrfchenden Forts Fifher, bei welcher Gelegenheit fich ein
General-Major feine Sporen verdiente und ein anderer die fei-
nigen verlor. Ob Butler’s Fiasco dem Nichtmitwirfen des Ad—
mirals, der die Marine-Erpedition commandirte, zuzufchreiben ijt
oder nicht, wollen wir unerörtert laffen. Genug, bei Big Bethel
ging fein Stern oder Unftern auf und bei Fort Fifher ging er
unter, |
Wohin Sherman zunächft marfhiren würde, machte den Rebel-
len viel Kopfzerbrechen. eff. Davis war von feinem Congref
gezwungen worden, dem abgedankten Johnſton wieder ein Com—
mando anzumeifen und Lee zum Ober-General über fammtliche
Rebellen-Armeen zu machen. Sohnfton erhielt nun den figlichen
Auftrag, Sherman im Schach zu halten, wofern fich dieſer Die
„mwahnfinnige Idee“ in den Kopf fesen follte, auf Richmond los—
zumarfchiren — eine Art Wahnfinn, zu der Sherman allerdings
eine ganz marlirte Tendenz gezeigt hatte,
Auch Sheridan, der Early aus dem Shenandoah-Thal Hinaus-
gejagt hatte — jenen Early, von dem die Truppen zu behaupten
pflegten, daß fein Lieblingsgefchäft darin zu beftehen fcheine,
„conföderirte Kanonen gegen Yankee-Whiskey umzutauſchen“ —
trieb fih nun frei und ledig um Richmond herum, fehnitt die
Communifationen ab, bemächtigte fich der Zufuhren für die Re—
bellen-Armee und verurfachte den Herren in Richmond eine unge-
heure Beftürzung,
Der General-Lieutenant aber ſaß noch immer mit grimmiger
Ruhe vor Petersburg und hielt Lee's Armee wie in einem eifernen
Die Rreife ziehen ſich enger, 373
Schraubſtock. Mochte Lee fih Frümmen und minden, wie er
wollte — mochte er feine Kräfte auf das Hebermenfchliche anftren«-
gen — es half ihm Alles nichts; er Fonnte Das Unvermeidliche
höchſtens auf kurze Zeit hinausfchieben.
Der Rebellen-Congreß hatte im allerlegten Augenblid feiner
legten Sitzung eine Bill zur Bewaffnung der Sklaven paffirt und
Davis wünfhte nun den Herren mit bitterem Hohne eine fichere,
vergnügte Reife nach ihrer Heimath. Es war indeffen zu fpät für
die Negerbewaffnung, wie für die. „vergnügte Reife,’
Mittlerweile fam Samftag, der vierte März — der Tag der
Snauguration, heran, Was die Elemente anbelangte, fo eröffnete
fich der Tag ungünftig. Der Himmel war mit drohenden ſchwar—
zen Wolfen bedeckt und bald fam der Regen in Strömen herab,
Jedoch vor Mittag zertheilten fich die Wolfen und die Sonne
ftrahlte in reinftem Glanze hernieder. Um die feftgefebte Stunde
leiftete Herr Lincoln zum zweiten Male den Amtseid; jedoch nicht
vor dem nämlichen Dberbundesrichter, denn Roger B. Taney
fehlief bei feinen Vätern, und an feiner Stelle ftand Salmon P.
Chafe. Nach geleiftetem Eide verlag der Präfident von dem öſt—
lichen Portifo des Capitols mit Flarer, deutlicher Stimme feine
zweite Inaugural-Adreſſe, die kaum zehn Minuten in Anfpruch
nahm:
„Mitbürger: — Heute, da ich zum zweiten Male erfcheine, um
den Eid des Präfiventen-Amtes zu leiften, bedarf es feiner fo aus—
gedehnten Adreffe, wie bei meinem eriten Amtsantritt, Damals
ſchien eine ausführliche Anteutung der zu verfolgenden Politik
nothwendig und geziemend. Heute, nach Verlauf von vier Jah-
‚ ren, während deren bei jeder Phafe, jedem MWendepunft des gro-
fen Kampfes, der noch immer die Aufmerffamfeit und die Energie
der Nation in Anfpruch nimmt, beftändig öffentliche Erklärungen
gegeben wurden, ließe fich wenig Neues fagen,
„Der Fortfchritt unferer Waffen, von denen Alles hauptfächlich
abhängt, ift dem Publikum fo gut befannt, mie mir, und tft, wie
ich hoffe, für Alle ziemlich befriedigend und ermuthigend. Mit
hohen Hoffnungen für die Zukunft wage ich Feinerlei Prophe—
374 Das Leben Abraham Lincolns.
zeihung. Bei der nämlichen Gelegenheit heute vor vier Jahren
waren die Gedanken Aller ängftlich auf den drohenden Bürger-
frieg gerichtet, Alle fürchteten ihn — Alle fuchten ihn zu vermei—
den. Während die von diefer Stelle hier verlefene Inaugural—
Adreffe ganz und gar die Rettung der Union ohne Krieg bezweckte,
befanden fich Infurgenten-Agenten in der Stadt, die die Union
ohne Krieg zu zerftören fuchlen — die bemüht waren, die Union
aufzulöjfen und deren Eigentbum durch Unterhbandlungen zu
theilen.
„Beide Theile waren dem Krieg abgeneigt; der Eine aber wollte
eher Krieg führen, als die Nation fortbeſtehen laſſen, während der
Andere lieber den Krieg annehmen, als die Nation untergehen
laſſen wollte. Und ſo kam denn der Krieg.
„Ein Achtel der Geſammtbevölkerung beſtand aus Negerſklaven,
die nicht gleichmäßig über die ganze Nation vertheilt, ſondern
größtentheils im ſüdlichen Theile derſelben wohnhaft waren.
Dieſe Sklaven machten ein eigenthümliches und mächtiges In—
tereſſe aus. Alle wußten, daß dieſes Intereſſe die Urſache des
Krieges war. Um dieſes Intereſſe zu ſtärken, zu verewigen und
auszudehnen, waren die Inſurgenten bereit, die Union durch
Krieg zu zerſtören, während die Regierung kein anderes Intereſſe
beanſpruchte, als die Gebietserweiterung deſſelben zu verhindern.
Keine Partei ahnte die Größe und die Dauer, die der Krieg bereits
erreicht hat. Keine vermuthete, daß die Urſache des Kampfes vor
dem Kampfe ſelbſt aufhören könnte. Jede hoffte auf einen leich—
teren Triumph und auf ein minder fundamentales und erſtaun—
liches Reſultat. Beide leſen dieſelbe Bibel, beten zu demſelben
Gott, und jede fleht ſeine Hilfe gegen die andere an. Es mag
ſonderbar erſcheinen, daß ein Menſch den Beiſtand eines gerechten
Gottes anzuflehen wagt, um ſein Brod aus dem Schweiße anderer
Menſchen zu erpreſſen.
„Das Gebet beider Theile ſollte nicht erhört werden. Das
Gebet keines Theiles iſt ganz erhört worden. Der Allmächtige
hat ſeine eigenen Pläne. „Wehe der Welt der Aergerniß halber;
es muß ja Aergerniß kommen, doch wehe dem Menſchen, durch
welchen Aergerniß kommt.“ Wenn wir nun annehmen ſollen,
Die Rreife ziehen ſich enger. 875
daß die amerifanifche Sklaverei eines jener Xergerniffe ift, die
nach dem Rathſchluß des Ewigen fommen müffen — daß er aber,
nachdem das Aergerniß bis zu feiner gefegten Zeit beftanden hat,
Willens ift, dafjelbe zu vertilgen, und daß er dem Norden, wie
dem Süden diefen fchredlichen Krieg als das angedrohte Weh
giebt, — können wir darin eine Abweichung von jenen göttlichen
Eigenfchaften erbliden, welche die Gläubigen ftets dem lebendigen
Gotte zugefchrieben haben ?
„Sehnlic hoffen wir, brünftig flehen wir, daß dieſe furchtbare
Geißel des Krieges bald vorüber gehen möge. Wenn es aber
Gottes Wille ift, daß der Krieg fortdauere, bis all’ der Reichtum
dahin tjt, den der Sklaven zweihundert und fünfzigjährige unbe-
Iohnte Mühe und Arbeit aufgehäuft hat; bis jeder Blutstropfen,
den die Peitfche verurfachte, Durch einen andern Blutstropfen,
den das Schwert verurfacht, vergolten ift, wie vor dreitaufend
Sahren gefagt wurde — felbft dann müffen wir Ingen, daß das
Urtheil des Herrn gerecht und richtig ift.
„Mit Haß gegen Niemand, mit Liebe für Alle, mit Standhaf-
tigfeit in dem Rechten, wie Gott ung das Rechte zu erfennen giebt,
laßt ung bemüht fein, das begonnene Werk zu beendigen, die
Wunden der Nation zu heilen, für Den zu forgen, der unfere
Schlachten fhlagen half, fowie für feine Wittwe und feine Wai—
fen; und Alles zu thun, was einen gerechten Frieden unter ung
felbft und mit allen Nationen befördern und bewahren kann.“
Diejenigen, die Nichts fo fehr freute, als bei jeder Gelegenheit
wie ein Pad mwüthender Hunde über Herrn Lincoln herfallen zu
können, überhäuften natürlich dieſe Adreffe mit den größten und
gemeinften Schmähungen. Ein englifches Journal indeffen, das
feinem andern an Fähigkeit und Ehrenhaftigfeit nachfteht, und da=
her das Organ der beffern Klafje von Denkern in jenem Lande ift,
äußerte fich folgendermaßen darüber:
„Es ift das merfwürdigfte derartige Ding, das je ein Präfivent
der Vereinigten Staaten vom erjten Tage an bis auf den lebten
hervorbrachte. Das Alpha und Omega der ganzen Adreſſe ift der
allmäcdtige Gott, der Gott der Gerechtigkeit, der Vater der
376 Das Leben Abraham Lincolns.
Gnade, der feine liebevollen Abfichten ausführt. Das Dokument
befist ein Pathos, eine Würde, die es hoch über jedes andere in der
alten und neuen Welt erhebt. Das Ganze erinnert und an die
beften Männer der englifchen Republik; in der That mahnt e3 ung
ftarf an die Propheten des Alterthums.“
Sn Gemäßheit einer Congrefalte wurde am 16. März den De-
ſerteurs durch folgende Proflamation Gnade angeboten :
„Sintemalen der einundzwanzigfte Paragraph der am 3ten
d. M. genehmigten Congreßakte, betitelt: „Eine Alte zur Amendi-
rung verfchiedener früher pafjirten Akten für die Enrollirung und
das Aufgebot von Nationaltruppen und für andere Zwede,” erfor=
dert, daß außer den übrigen geſetzlichen Strafen für das Verbrechen
der Defertion vom Militär- und Marinedienft, „alle Perfonen, die
vom Militär- und Marinebienft der Vereinigten Staaten defertiren
und nicht binnen fechszig Tagen nah dem Erlaß nachfolgender
Proflamation zum befagten Dienfte zurüdfehren over fich bei einem
Profogmarfhall melden, betrachtet werden follen, als hätten fie
freiwillig auf ihre Bürgerrechte Verzicht geleiftet; und daß ſolche
Deferteurs für immer unfähig fein follen, ein Amt des Vertrauens
oder des Gewinnes unter der Regierung der Vereinigten Staaten
zu halten, oder irgend eines der Bürgerrechte derfelben auszuüben ;
und dag alle Perfonen, die künftig vom Militär- oder Marinedienft
defertiren — und alle Perfonen, die, nachdem fie förmlich enrollirt
wurden, fi) aus der Jurisdiktion des Diftriktes entfernen, in mwel-
chem fie enrollirt wurden, oder mit der Abficht, der Ziehung für den
Militär» oder Marinedienft zu entgehen, fich außerhalb der Grenzen
der Vereinigten Staaten begeben, den in diefem Paragraphen be-
zeichneten Strafen verfallen follen. Und der Präfident wird hier—
mit autorifirt und erfucht, fofort nach Paſſirung dieſer Akte eine
Proflamation zu erlaffen und darin die Beftimmungen dieſes Pa-
ragraphen zu verfünden, fowie darin alle Deferteurg, die innerhalb
ſechszig Tagen, wie oben befagt, zurüdfehren, in Kenntniß zu ſetzen,
daß fie begnadigt werden follen unter der Bedingung, daß fie zu
ihren Regimentern und Compagnien zurüdfehren, oder zu andern
Organifationen, denen fie zugewieſen werben mögen, es fei denn,
In Richmond. 377
daß fie bereits eine ihrem urfprünglichen Anmwerbungstermine
gleihfommende Periode gedient haben“ —.
„Deshalb erlaffeich, Abraham Lincoln, Präfivent der Ber-
einigten Staaten, diefe meine Proflamation befagter Akte gemäß,
und ich verfünde hiermit allen Deferteurs, die binnen fechszig Ta-
gen vom Datum diefer Proflamation an, das heißt, an oder vor
dem zehnten Mai 1865, zu ihrem Dienft zurückkehren oder fich bei
einem Profoßmarfchall melden, daß fie auf die Bedingung hin be—
gnadigt werden follen, daß fie zu ihren Negimentern oder Compag—
nien zurüdfehren, oder zu folchen andern DOrganifationen, denen
fie zugemwiefen werden mögen, und den Reft ihres urfprünglichen
Anwerbungstermins ausdienen und überdies noch eine Periode, die
der Durch ihre Defertion verlorenen Zeit gleich kommt.
„Zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Umnterfchrift beigefebt
und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen lafjen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington, am elften Tage des Mo-
nats März, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
fünfundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit der
Bereinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präfidenten : Abraham Fincoln.“
„William 9 Seward, Staatsſekretär.“
Vierundzwanzigſtes Kapitel.
In Richmond.
Der Präfident beſucht City Point — Cee's Mifgriff — Grant's Bewegung —
Präſident Lincoln in Kichmond — Lee’s Uebergabe — Rede des Präfiden-
ten — Rede in Bezug auf die Reconftruktion — Proklamation zur Schlie-
kung gewiffer Häfen — Proklamation über Seerechte — Ergänzende Pro-
klamation — Ordres vom Kriegsdepartement — Der Rebellen-Präfident,
Am Nachmittag des 23, März 1865 verließ der Präfident in
Begleitung von Madame Lincoln, feinem jüngften Sohne und ei—
nigen eingeladenen Gäſten Wafhington und machte einen Ausflug
378 Das Leben Abraham Lincolns.
nach City Point, Die Reife ward auf den Rath feines Leibarztes
vorgenommen, da feine Gefundheit unter den großen Anjtrenguns
gen in der Verwaltung feines Amtes gelitten hatte,
Lee hatte einen verzweifelten Verſuch gemacht, die Linien zu durch—
brechen, von denen er eingefchloffen war, Nach einem ungeflümen
Ungriff auf unfer rechtes Centrum mußte er fich indefjen mit un-
geheurem Berlufte zurüdziehen.
Kurz darauf beſchloß Grant, daß der Augenblid zum VBorrüden
für ihn gekommen fei, Es wurde daher eine Bewegung an der
ganzen Linie entlang angeordnet — Petersburg fiel — Richmond
wurde in größter Eile von den Rebellen evacuirt und Lee’s deci-
mirte Armee fuchte ihr Heil in der Flucht,
Mährend diefer Bewegung telegraphirte der Präfivent die Ein-
zelheiten von Zeit zu Zeit an das Kriegsdepartement, machte fich
dann auf den Weg nach der Rebellenhauptitadt, zug dafelbft trium—
phirend ein, umringt von einer ungeheuren Maffe von Männern,
Frauen und Kindern aller Farben, die vor Freude hüpften, tanzten,
fhrien, ihre Hüte, Kappen und Zafchentücher ſchwenkten, kurzum
ſich wie unfinnig geberveten—fegte unter dem enthufiaftifchen Ju—
belgefchrei der aufgeregten Menge feinen Zug fort, bis er zu der
verlaffenen Amtswohnung des Rebellen-Chefs gelangte—ftieg da—
felbft ab, bHielt in der Kanzlei „feiner vebellifchen Ercellenz” eine
Levee, fehrte an demfelben Abend nach City Poini und bald darauf
nah Wafhington zurüd.
Lee, der fih von allen Seiten durch ungeheure Truppenmaffen
eingefchloffen ſah, capitulirte einige Tager fpäter unter Bedingun-
gen, die ihm der großmüthige Präfident durch General Grant
ftellen ließ, und die aus folgendem Brief erfichtlich find:
„Appomator Conrt Honfe, April 9. 1865.
„General Robert E. See, C. ©, A.:; -In Uebereinftimmung
mit meinem geftern an Sie gerichteten Schreiben bin ich bereit, Die
Vebergabe der Armee des nördlichen Virginiens auf folgende Be—
dingungen hin in Empfang zu nehmen, nämlich:
„Liften fämmtlicher Offiziere und Mannfchaften find in Dupli»
faten auszuftellen; eine Copie derfelben foll einem von mir ernann«
In Richmond. 379
ten Offizier eingehändigt, die andere yon einem Offizier, den Sie
ernennen mögen, aufbewahrt werden, Die Offiziere follen ihre
individuelle Parole geben, daß fie die Waffen nicht eher gegen die
Regierung der Bereinigten Staaten ergreifen wollen, big fie regel-
mäßig ausgewechfelt find; jeder Compagnie- oder Regimentscom-
mandant wird eine ähnliche Parole für die Mannfchaft feines Com-
mandos unterzeichnen, Die Waffen, Artillerie und das öffentliche
Eigentbum find den yon mir zu ernennenden Offizieren auszulie-
fern. Den Offizieren foll geftattet fein, ihre Seitenwaffen, Privat-
baggage und Pferde zu behalten, _ Nachdem dies gefchehen, werden
fämmtliche Offiziere und Soldaten Erlaubniß erhalten, nach Haufe
zurüdzufehren, und follen von den Behörden der Vereinigten Staa-
ten nicht beläftigt werden, fo lange fie ihre Parole halten und die
in ihrer Heimath beftehenden Geſetze beobachten,
„Hochachtungsvoll, ꝛc.,
Wlyfes S. Grant, Öeneral-Lieutenant.”
Johnſton fam zunächſt an die Reihe, und gegen ihn fegte fich
Sherman jebt in Bewegung.
Am Abend nach der Ankunft des Präfidenten in Wafhington
bildeten die Arbeiter in der Navy Yard eine Prozeffion, marfchirten
nad dem „Weißen Haufe,” vor deſſen Fronte fich Taufende ver-
fammelt hatten, Es waren Mufilbanden vorhanden, Die patriv-
tifche Melodien fpielten, während die größte Aufregung fich der
ganzen Menge bemächtigte.
Verſchiedenen Aufrufen Folge Teiftend erfchien der Präfivdent am
Tenfter nahe dem Eingangsportal, Ruhig und gefaßt ftand er da
unter dem Tumult, dem Freudengefchrei und dem Hütefchwenfen
des Volkes. |
Nachdem die Ruhe einigermaßen hergeftellt worden war, fagte er:
„Seine Freunde: —Es freut mich von Herzen, daß endlich ein-
mal ein folch” glorreiches Ereigniß ftattgefunden hat, daß fich das
Volk in feinem Jubel darüber nicht zügeln kann. Wie ich glaube,
werden Anftalten zu einer formellen Demonftration getroffen, die
heute Abend oder vielleicht morgen Abend ftattfinden fol, Natür-
ih wird man dabei eine Rede yon mir erwarten; wenn Sie mir
380 Das Leben Abraham Lincolns.
diefelbe aber jetzt ſchon entpreffen wollen, bliebe mir Nichts zu fagen
übrig.
„Sie haben eine Mufifbande hier, mie ich fehe, und ich möchte
Sie daher um eine Melodie bitten. „Dixie“ hat mir von jeher be—
fonders gefallen. Zwar habe ich gehört, daß unfere Gegner im
Süden diefes Stud monopolifirt hätten; wir haben es aber, mie
ich geftern behauptete, ehrlich erobert. ch legte die Frage dem
Öeneral-Staatsanwalt vor, und er fprach feine Anficht dahin aus,
daß „Dixie“ unfere rechtmäßige Prife fei. Ich bitte daher die Mu-
filbande, das Stüd vorzutragen.“
Das Stüf wurde mit großem Eflat gefpielt; dann folgten „drei
Hurrahs und ein Tiger,“ worauf „Yankee Doodle” gefpielt wurde,
Sodann ſchlug der Präfident ein dreifaches Hoch auf Grant und
feine Armee, desgleichen auf die Marine vor und 309 fih dann
unter Kanonendonner und Beifallsgefchrei, fowie unter ven Tönen
von “Hail Columbia” zurüd,
Am Abend des 11, April wurden die Departementsgebäude, der
Palaft des Präfiventen nebft vielen öffentlichen und Privatgebäuden
iluminirt, Allenthalben fah man Transparente und National»
flaggen, Freudenfeuer und dergleichen,
Zaufende von Zufchauern beider Gefchlechter hatten fich vor dem
Präfiventenpalaft eingefunden und begehrten Herrn Lincoln zu
ſehen. Diefer erfchien endlich am obern Fenfter, und als der ftür-
mifche Applaus, mit dem er begrüßt wurde, nachgelaffen hatte, hielt
er folgende Rede—es war feine lebte:
„Mitbürger -—Mit Freude, nicht mit Trauer, verfammeln wir
ung diefen Abend, Die Einnahme von Petersburg und Richmond,
fowie die Kapitulation der hauptfächlichften Infurgentenarmee ge-
ben uns Hoffnung auf einen ruhmvollen, baldigen Besen, und der
Jubel darüber läßt fich nicht unterdrüden,
„Inmitten unferer $reude aber dürfen wir Ihn, von dem aller
Segen fommt, nicht vergeffen, Demnächſt wird ein Nationaldanf-
feft angeordnet werden,
„Auch Derer, die uns diefe Freude verfchafften, dürfen wir nicht
vergeffen; wir dürfen nicht unterlaffen, ihnen die gebührende Ehre
In Richmond. 381
zu erweiſen. Ich war mit einigen Andern nahe der Fronte und
hatte das Vergnügen, Ihnen einen großen Theil der guten Nach—
richten direft zukommen zu laſſen; allein nicht der mindeſte Theil
der Ehre und des Ruhmes gebührt mir, General Grant, feinen
geſchickten Offizieren und tapferen Soldaten gebührt Alles. Die
ftattliche Marine ftand bereit, war aber außer dem Bereich der thä—
tigen Mitwirkung. Diefe glorreichen Ereigniffe drängen die Wie-
derherftellung der National-Autorität und die Reconftruftion, Die
faft feit vem Beginne des Krieges unfere Gedanken befchäftigt hat,
unferer Aufmerkfamfeit aufs Neue und mit größerem Ernte als
je auf.
„Die Aufgabe ift mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Un—
gleich dem Falle eines Krieges zwifchen unabhängigen Nationen,
giebt es hier Fein autorifirtes Organ, mit dem wir unterhandeln
fönnten, Kein Individuum befist Autorität, im Namen eines an-
dern die Rebellion aufzugeben. Wir müſſen den Wiederaufbau
einfach mit Disprganifirten und widerftrebenden Elementen begin-
nen, Nicht die geringfte Schwierigkeit Dabei ift. die, daß wir, Das
loyale Volk, unter uns felbft über die Art und Weife der Recon-
firuftion nicht einig find.
„Sch enthalte mich gefliffentlich, die Berichte perfünlicher Angriffe
auf mich zu lefen, um mich dadurch nicht zu unpaffenden Antworten
reizen zu laffen. Trotz diefer VBorfichtsmaßregel aber ift es mir zu
Ohren gefommen, daß man mich wegen unbefugter Einmifchung in
die Wiederherftelung und Aufrechthaltung der neuen Staatsregie-
rung in Rouifiana bitter getadelt habe. In diefer Angelegenheit
habe ich nur fo viel gethan, als das Publikum weiß, und fonft
Nichts weiter. In meiner Jahresbotfchaft vom Dezember 1863
und der diefelbe begleitenden Proflamation ſchlug ich einen Recon-
ftruftionsplan vor und verfprach, daß derfelbe, wenn er von irgend
einem Staater adoptirt würde, die Unterftüsung der Exekutivregie—
rung erhalten folle,
„Sch erklärte indeffen ausdrücklich, daß dies nicht der einzige Plan
wäre, der angenommen werden könnte; ebenſo ausbrüdlich erklärte
ich, daß die Erefutive fein Recht beanfpruche, zu entfcheiden, ob und
wann Mitglieder aus folchen Staaten zum Congreß zugelaffen
382 Das Leben Abraham Lincolns.
werden follten. Diefer. Plan war vor feiner Beröffentlihung dem
damaligen Cabinet vorgelegt und von jedem Mitglied deffelben voll=
kommen gebilligt worden.
„Einer der Sefretäre fchlug vor, daß ich die Emancipationg-Pro-
Hamation auch auf die früher ausgenommenen Theile von Virgi-
nien und Louiſiana ausdehnen; daß ich Die Bemerkungen über die
Lehrlingichaft der befreiten Farbigen auslaffen, —und daß ich den
Proteft gegen meine eigene Machtbefugniß binfichtlich der Zulaffung
von Congregmitgliedern fallen laffen folle ;—allein ſelbſt er billigte
jeden einzelnen Theil des Planes, der feither von Louiſiana ange-
nommen wurde, Die neue Conftitution von Louiſiana, welche Die
Emaneipation für den ganzen Staat erklärt, dehnt ausdrücklich die
Proflamation auf die früher ausgenommenen Theile defjelben aus,
Sie verwirft die Lehrlingfchaft der freien Farbigen und ſchweigt —
wie es kaum anders fein Eonnte—über die Zulaffung von Congreß—
mitgliedern. Daraus geht denn hervor, das jedes Cabinets—
mitglied den Plan vollkommen billigte, foweit verfelbe fich auf
Louiſiana bezieht,
„Die Botfchaft gelangte an ven Congreß, und ich erhielt viele
fhriftliche und mündliche Belobungen über den Plan, während mir
fein einziger Einwand von Seiten irgend eines Emancipationiften
zu Ohren gelangte, bis die Nachricht nach Wafhington Fam, daß
das Volk von Louiſiana mit der Ausführung des Planes begonnen
habe. Vom Juli 1862 an hatte ich mit verfchiedenen Perfonen
eorrefpondirt, die meiner Anficht nach ein Intereffe an der Recon-
ftruftion der Staatsregierung von Louiſiana hatten, Als im Fahre
1863 die Botfhaft mit dem erwähnten Plane nach New Orleans
gelangte, und als General Banks mir fchrieb, daß feiner Ueberzeu—
gung nach das Volk mit feiner militärifchen Mitwirkung die Recon
ftruftion nach jenem Plane vornehmen würde, da fchrieb ich ihm
und Andern, fie möchten es verfuchen, Sie verfuchten es und dag
Refultat ift befannt,
„Dies war al’ der Antheil, den ich an der Reconftruftion der
Regierung von Louifiana hatte, Wie ich bereits erwähnte, habe
ich verfprochen, Diefelbe zu unterflüßen. Da es nun aber befjer
ift, ein unrechtes Berfprechen zu brechen, als zu halten, fo werde
In Richmond. 383
ich diefes als ein unrechtes Verfprechen behandeln und es brechen,
fobald ich überzeugt fein werde, daß das Halten deffelben dem
öffentlichen Sintereffe von Nachtheil wäre, Bis jet aber war ich
noch nicht im Stande, mich davon zu überzeugen,
„Man hat mir einen Brief über diefen Öegenftand gezeigt; der
Schreiber defjelben drüdt darin fein Bedauern aus, daß ich noch
nicht zu einer bejtimmten Entfcheidung gelangt zu fein feheine, ob
die fogenannten fecedirten Staaten innerhalb oder außerhalb der
Union feien. Zu feinem Bedauern wird fich vielleicht Erftaunen
gefellen, wenn er hört, daß ich, feit ich Unionsmänner gefunden
habe, die fich bemühen, Dies zu einer Frage zu erheben, mich ge=
fliffentlich jeder öffentlichen Erklärung darüber enthalten habe, da
meines Erachtens jene Frage noch Feine praftifch materielle ift,
und daß jede Discuffion derfelben, fo lange fie praftifch immate-
riell bleibt, nur die fchlimme Wirkung haben könnte, Zwift unter
unfern Freunden zu ftiften, |
„Die fich auch dieſe Frage künftig geftalten mag, bis jest ift fie
als Bafis einer Controverfe zu Nichts tauglich — fie ift eine ver-
derbliche abftrafte Theorie. Wir find alle darüber einverftanden,
dag die fogenannten fecedirten Staaten fich nicht in ihrer eigent-
lichen, praftifchen Beziehung zur Union befinden; und daß der
einzige Zwed der Regierung in Bezug auf jene Staaten der ift,
diefelben wieder in diefe eigentliche, praftifche Beziehung zu brin-
gen. Ich glaube, daß es nicht nur möglich, fondern fogar leichter
ift, Dies zu thun, ohne zu entfcheiden, oder auch nur darnach zu
fragen, ob diefe Staaten jemals außerhalb der Union waren,
Sind fie erft wieder innerhalb derfelben, fo ift es von Feinerlei
materiellem Belang, ob fie je außerhalb dverfelben waren,
„Laßt ung Alle die nöthigen Schritte thun, um die eigentlichen,
praftifchen Beziehungen zwifchen Diefen Staaten und der Union
wiederherzuftellen; nach vollbrachtem Werfe aber mag jeder nad)
Herzensgelüften darüber fpefuliren, ob mit feiner Hilfe die Staa—
ten, die außerhalb der Union waren, in diefelbe gebracht worden
feien, oder ob er ihnen nur aus ihrer verfchrobenen Stellung in-
nerhalb der Union zur richtigen Pofition verholfen habe.
„Befriedigender wäre es allerdings, wenn die Anzahl der Con—
384 Das Leben Abraham Lincolns.
ftituenten, auf denen die neue Regierung beruht, 50,000 oder
30,000, oder fogar nur 20,000 betrüge, ftatt der bloßen 12,000,
aus denen fie befteht.
„Andern mag e8 unbefriedigend erfcheinen, daß den Farbigen
das Wahlrecht nicht verliehen wurde. Sch felbft Hätte gewünfcht,
daß es den intelligenteren Farbigen verliehen worden wäre; na=
mentlich Denjenigen, die uns als Soldaten dienen. Es handelt
fich indefjen nicht darum, ob die Louifiana Regierung, wie fie jebt
befteht, ganz fo ift, wie fie fein könnte oder follte; es handelt fich
vielmehr darum, ob es meifer ift, fie fo zu nehmen, wie fie ift, und
an ihrer Berbefferung mitzuwirken, oder fie zu verwerfen., Die
Frage ift die: Kann Louifiana durch die Unterftügung feiner
neuen Staatsregierung, oder durch die Verwerfung derjelben
am eheften zu feiner eigentlichen, praftifchen Heriehnng zur Union
zurückgebracht werden?
„Etliche zwölftauſend Stimmgeber des ehemaligen Sklaven—
ſtaates Louiſiana haben der Union Treue geſchworen, ſich zur
rechtmäßigen politiſchen Macht des Staates erklärt, Wahlen ab—
gehalten, eine Staatsregierung organiſirt, eine freie Staats—
Conſtitution adoptirt, die Wohlthat öffentlicher Schulen den
Schwarzen wie den Weißen verliehen, und der Legislatur die
Macht übertragen, den farbigen Männern das Wahlrecht zu
geben. Ihre Legislatur; hat bereits das Fürzlich vom Kongreß
pafjirte Amendment ratifieirt, wodurch die Sklaverei im ganzen
Lande abgefchafft wird. Diefe zwölftaufend Perfonen find fomit
vollkommen der Union und der ewigen Freiheit des Staates ver-
pflichtet und fordern nun die Anerkennung und Unterftügung der
Nation, Wenn wir fie nun abweifen und ihre Forderung ver-
mweigern, fo thun wir unfer Aeußerftes, um fie zu disorganifiren
und zu zerfireuen. Wir fagen damit thatfächlich zum weißen
Mannes „Du bift von gar feinem Werthe; wir wollen dich weder
unterftüßen, noch von dir unterftügt werden.“ Zu den Schwar—
zen aber jagen wir: „Diefen Kelch der Freiheit, den euch eure
alten Meifter an die Lippen gehalten, wollen wir von euch werfen
und es euch überlaffen, den verfchütteten und zerftreuten Trank
auf irgend eine unbeftimmte und unfichere Weife, wann, wo und
In Richmond. 389
wie ihr Fönnt, von der Erde zu fammeln.” Wenn diefe Methode,
Durch welche fowohl Weiße wie Schwarze entmuthigt und paraly>
firt werden, irgendwie geeignet ift, dem Staat Louiſiana zu feiner
eigentlichen, praftifchen Beziehung zur Union zu verhelfen, jo war
ich bis jegt noch nicht im Stande, e8 einzufehen. Wenn wir da—
gegen Die neue Regierung von Louiſiana anerkennen und unter-
ftügen, fo ermweifen wir ihr und ung felbft die größte Wohlthat.
„Dir ermuthigen dadurch die Herzen und ftärken die Arme
jener Zwölftaufend, um bei ihrem Werke zu beharren, daffelbe zu
argumentiren, dafür zu kämpfen, zu ringen und Profelyten zu
machen, es zu nähren, zu hegen und zum vollftändigen Erfolge zu
reifen. Auch der farbige Mann wird mit Wachfamkeit, Energie
und Muth befeelt werden, wenn er die Andern für ihn einig fieht. .
Zugeftanden, daß er das Stimmrecht begehrt, wird er es nicht
eher erlangen, wenn er die fehon dazu gebauten Stufen rettet, ala
wenn er über diefelben rüdlings herabftürzt? Zugeftanden, daß
die neue Regierung von Louifiana erft das ift, mag das Ei im
Bergleich zum Huhn, fo werden mir doch ficherlich das Huhn eher
haben, wenn wir dag Ei ausbrüten, als wenn wir e8 zerflampfen.
[Selächter.]
„Doch weiter, Wenn wir Lonifiana verwerfen, fo vermwerfen
wir damit auch unfere eigene Stimme zu Gunſten des vorgejchla=
genen Amendments zur Conftitution, Diefem Argumente wird
entgegengehalten, daß es zur endgiltigen Ratififation des Amend-
ments nur drei Viertel jener Staaten bedürfe, die niemals Seceſ—
fion begangen haben. Darauf habe ich weiter Nichts zu erwies
dern, als daß eine ſolche Ratififation eine höchſt zweifelhafte
wäre und ficherlich hartnädig angefochten werden würde ; während
bei einer Ratififation Durch drei Viertel aller Staaten jeder
Zweifel und jede Anfechtung von vorne herein mwegftele.
„Ich wiederhole daher meine Frage: Kann Louifiana durch die
Unterſtützung feiner neuen Staatsregierung, oder durch die
Bermwerfung derfelben am eheften zu feiner eigentlichen, praf«
tifchen Beziehung zur Union zurüdgebracht werden? — Was ich
nun in Beziehung auf Louifiana fagte, das bezieht fich ebenfalls
auf jeden einzelnen der andern Staaten, So groß aber find Die
25
386 Das Leben Abraham Lincolns.
Eigenthümlichfeiten eines jeden Staates, fo wichtige und plößliche
Beränderungen finden in demfelben ftatt, und fo neu und ohne
Präcedenz ift ver ganze Fall, daß fich Fein erclufiver und infleribler
Plan mit Sicherheit vorzeichnen laßt. Ein folder würde in feie
nen Details und Eollateralpunften ganz beftimmt neue Berlegen-
heiten herbeiführen. Wichtige Prinzipien dagegen können und
müffen ftarr und unbeugfam bleiben.
„Bei der gegenwärtigen Geftaltung der Umftände mag es bald
meine Pflicht werden, dem Volke des Südens eine neue Anfündi-
gung zu machen, Sch erwäge jeden Umftand und werde nicht
verfehlen zu handeln, fobald ich die Heberzeugung gewinne, daß
das Handeln am Platze iſt.“
An demfelben Tage (am 11, April) erſchien folgende Prokla-
mation:
„Sintemalen durdh meine Proflamation vom 19ten und
27jten April 1861 die Vereinigten Staaten Häfen von Virginien,
Nord-Carolina, Süd-Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Mif-
fiffippt, Zouifiana und Teras in Blodadezuftand erflärt wurden;
„Sintemalen aber befagte Blodade feither in Folge mili—
täriſcher Occupation feitens Diefer Regierung bedingungsmeife
befeitigt oder aufgehoben wurde in Bezug auf die Häfen von
Norfolt und Alerandria im Staate PVirginienz Beaufort im
Staate Nord-Carolinaz Port Royal im Staate Süd-Carolina;
Penfacola und Fernandina im Staate Florida, und New Orleans
im Staate Louiſiana; und
„Sintemalen laut des vierten Paragraphen der am 13. Zuli
1861 genehmigten Congreßafte, betitelt: „Eine Akte zur ferneren
Beftimmung über das Colleftiren der Einfuhrzölle und zu andern
Zweden” — der Präfivdent aus den darin angegebenen Gründen
autorifirt ift, gewiffe Eingangshäfen zu fehließen.
„Deshalb proflamire ih, Abraham Lincoln, Präfivent der
Bereinigten Staaten, daß die Häfen von Richmond, Tappahannod,
Cherry Stone, Yorktown und Petersburg in Virginien — Cam—
den, Elizabeth Eity, Edenton, Plymouth, Wafhington, Newbern,
Ocracoke und Wilmington in Nord-Earolina — Charlefton,
In Richmond. 387
Georgetown, und Beaufort in Süd-Carolina — Savannah, St,
Marys, Brunswid und Darien in Georgia — Mobile in Ala-
bama — Pearl River, Shieldsborn, Natchez und Vicksburg in
Miſſiſſippi — St. Auguftine, Key Weft, St, Marks, Port Leon,
St. Johns, Jackſonville und Appalachieola in Florida — Teche
und Franklin in Louifiana — Galveſton, La Salle, Brazos de
Santiago, Point Zfabel und Brownssille in Teras hiermit ge>
fchloffen find und alle Importations- und Waarenlagerrechte,
fowie andere Privilegien in Bezug auf oben genannte Häfen auf>
hören follen, bis diefelben auf Order des Präfidenten wiederum
eröffnet werden; und dag, fo lange befagte Häfen gefchloffen find,
alle Schiffe von auswärts, mit verzollbaren Artikeln an Bord, falls
fie in irgend einen der obigen Häfen einzulaufen verfuchen, fammt -
allem Geräth, Zubehör, Takelwerk und fammt der ganzen Ladung
zum Nuten und Frommen der Vereinigten Staaten ceonfiscirt
werden follen.
„Zum Zeugniß deffen babe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefest und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Begeben in der Stadt Wafhington am elften Tage tes
Monats April, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert
und fünfundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigfeit
der Bereinigten Staaten,
„Gegengezeichnet: Abraham Lincoln.”
„William 9. Semward, Staatsſekretär.“
An demfelben Tage erfchien folgende weitere Proflamation :
„Sintemalen feit einiger Zeit Kriegsfchiffen der Vereinigten
Staaten in gewiffen auswärtigen Häfen die Privilegien und Im—
munitäten verweigert wurden, zu denen fie durch Verträge, das
Völkerrecht und die International-Comität berechtigt waren, die-
weil zur felben Zeit die Kriegsfchiffe des Landes, in welchem be—
fagte Privilegien und Immunitäten verfagt wurden, diefelben in
den Häfen ber Vereinigten Staaten voll und unverfürzt genoffen
haben, gegen welchen Zuftand der Dinge die Vereinigten Staaten
nicht immer gewaltfamen Widerftand leifteten, obfchon fie zu Feiner
388 Das Leben Abraham Lincolns.
Zeit verfehlten, Dagegen zu proteftiren und ihre Unzufriedenheit
darüber zu erflären; und
„Sintemalen nad der Anficht der Regierung der Vereinig-
ten Staaten es feinen Umftand mehr giebt, der die Verweigerung
der üblichen Marinerechte feitens irgend einer der befagten Na—
tionen unfern Kriegsfchiffen gegenüber rechtfertigen kann, wie big-
ber fo unnöthigerweife und grundlos gethan wurde:
„Deshalb thue ih, Abraham Lincoln, Präfivent der Ver—
einigten Staaten, fund und zu wiffen, daß, wenn nach Verlauf
einer hinreichenden Zeit zur Bekanntwerdung diefer Proflamation
in irgend einem fremden Lande, in deſſen Häfen befagte Privile-
gien und Immunitäten verweigert wurden, die letzteren fernerhin
verweigert werden follten, den Kriegsfchiffen eines folchen Landes
hinfortan diefelben Privilegien und Immunitäten in den Häfen
der Vereinigten Staaten verweigert werben follen, und daß diefe
Verweigerung fortdauern foll, bis den Kriegsfchiffen der Vereinig-
ten Staaten in fremden Häfen die nämliche Behandlung zu Theil
wird, wie den Kriegsfchiffen anderer Länder. Welder Grund
oder Vorwand auch bisher beftanden haben mag, fo find die Per-
einigten Staaten jetzt wenigftens berechtigt, diefelbe vollkommene
und freundfchaftliche Gleichheit der Nechte und Hofpitalitäten zu
fordern und beanfpruchen, die allen andern Seemächten zu Theil
wird.
„zum Zeugniß deffen habe ich hier meine Namensunterfchrift
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Gegeben in der Stadt Wafhington am elften Tage des Mo-
nats April, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
fünfundfechzig, und im neunundadtzigften der Unabhängigkeit
der Vereinigten Staaten, !
„Auf Befehl des Präfidenten : Abraham Sincoln.
„William 9. Seward, Staatsfefretär.”
Am folgenden Tage erfchien nachftehende ergänzende Profla-
mation:
„Sintemalen in meiner Proflamation vom heutigen Tage
der Hafen von Key Weft im Staate Florida aus Verſehen unter
den Häfen angeführt wurde, die für den Handel gefchloffen find:
In Richmond. 380
„Deshalb thue ih, Abraham Lincoln, Präſident der Ver—
einigten Staaten, hiermit kund und zu wiſſen, daß beſagter Hafen
von Key Weſt nach wie vor dem auswärtigen und einheimiſchen
Handel offen iſt und bleiben ſoll, und zwar auf dieſelben Bedin—
gungen hin, denen dieſer Handel bisher unterworfen war.
„Zum Zeugniß deſſen habe ich hier meine Namensunterſchrift
beigeſetzt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laſſen.
„Gegeben in der Stadt Waſhington, am elften Tage des Mo-
nats April, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
fünfundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit der
Dereinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präfidenten: Abraham Fincoln.“
„William 9. Seward, Staatsfefretär.“ |
Das Licht, in welchem die Adminiftration den jebigen Zuftand
der Dinge betrachtete, läßt fich am beften aus folgendem am 13,
April 1865 erlaffenen offiziellen Bulletin des Kriegsdepartements
erfehen:
„Nach reiflicher Erwägung der Refultate der legten Feldzüge
und nad Berathung mit dem ©eneral-tieutenant kam dieſes
Departement zu folgendem Entfchluffe, der durch fofort zu erlaf-
fende angemeffene Ordres in Ausführung gebracht werden foll:
„Erftens. Alle Ziehungen und Rekrutirungen follen fofort in
den loyalen Staaten eingeftellt werden.
„Zweitens. Die Ankäufe von Waffen, Munition, Duartier-
meifters- und Commiffariats-Vorräthe find zu verringern, und die
Ausgaben des militärifchen Etabliffements in ſämmtlichen Zwei-
gen zu reduziren.
„Drittens, Die Anzahl der Generäle und Stabsoffiziere foll
auf die Nothwendigkeit des Dienftes herabgefegt werben,
„Viertens. Alle militärifchen Befchränfungen des Handels
und Berfehrs follen aufhören, foweit es mit der öffentlichen Si—
cherheit vereinbar ift.
„Sobald diefe Mafregeln zur Ausführung gebracht werden
Tonnen, wird es durch öffentliche Ordres befannt gemacht werden.
„Auf Befehl des Präfiventen:
Edwin M. Stanton, Kriegsfefretär,”
890 Das Leben Abraham Lincolns.
—
Der Rebellen⸗Präſident aber, der am 5. April in einer bomba-
ftifchen Proffamation befannt gemacht hatte, dag er Richmond
nicht im Stiche Taffen, daß er Virginien gegen die ganze Macht
der Vereinigten Staaten vertheidigen werde — mo war er um
diefe Zeit, wo?
Fünfundzwanzigſtes Kapitel.
Der legte Aft.
Unterredung mit Mr. Colfar — Tabinets-Berfammlung — Epifode —
Abendunterhaltung — Die Möglichkeit eines Meucelmordes — Herr
Lincoln geht in’s Theater — Vorfihtsmaßregeln des Mörders — Der
Piſtolenſchuß — Flucht des Meuchelmörders — Tod des Präfidenten —
Erfülung feiner Derheißungen — Buftand des Landes — Wirkung des
Mordes — Die Dbfequien zu Wafhington — Hein letter Zug — Trauer
des Bolkes — Er ruht in Frieden.
Freitag Morgen, den 14. April 1865 hatte Präſident Lincoln eine
intereſſante Unterhaltung mit ſeinem älteſten Sohne, Robert Lin—
coln, der als Capitän in General Grant's Stabe diente. Das
Geſpräch bezog ſich hauptſächlich auf die Uebergabe Lee's, mit de—
ren Details der Sohn natürlich vollkommen vertraut war. Bald
darauf wurde dem Präſidenten gemeldet, daß Schuyler Colfax, der
Sprecher des Repräſentantenhauſes, um Audienz bitte. Herr
Lincoln ließ ihn in das Empfangszimmer beſcheiden und beſprach
ſich daſelbſt über eine Stunde lang mit ihm in Bezug auf ſeine
künftige Politik gegen die Rebellion; eine Angelegenheit, die er im
Begriffe ſtand, mit ſeinem Cabinet zu berathen.
Nach einer kurzen Unterredung mit John P. Hale, dem kürzlich
ernannten Miniſter nach Spanien, und einigen Senatoren und
Repräſentanten wurde um elf Uhr eine Cabinetsſitzung gehalten,
bei welcher General Grant zugegen war. Dies war eine der be—
friedigendſten und wichtigſten Conſulationen, die der Präſident
ſeit ſeiner erſten Inauguration gehalten hatte. Die künftige
Politik der Adminiſtration wurde harmoniſch und einſtimmig be—
Der legte Akt, 391
fhloffen, und nachdem die Situng fich vertagt hatte, machte der
Kriegsfefretär die Bemerfung, daß die Regierung jest ſtärker
fei, als zu irgend einer Periode feit dem Ausbruch des Krieges.
Eine intereffante Epifode hatte fich während der Situng zuge—
tragen. Der Präfivdent wandte fih nämlich an den General-
Lieutenant und frug ihn, ob er Feine Nachrichten von General
Sherman habe, Orant ermwiederte, er habe Nichts von ihm gehört,
erwarte aber ftündlich Depefchen mit der Ankündigung von John—
fton’s Uebergabe.
„Run,“ fagte der Präfivent, „Sie werden bald von ihm hören
und zwar Wichtiges.‘
„Darum denken Sie dies?” frug der General.
„Beil ich legte Nacht einen Traum hatte,” erwiederte der Prä—
fivent. „Seit dem Anfang des Krieges hatte ich vor jedem be—
deutenden militärifchen Ereigniß denfelben Traum,” Er eitirte
dann Bull Run, Antietam, Gettysburg, u. f. w., und fagte, daß
derfelbe Traum ihm vor jedem dieſer Ereigniffe erfchienen fei.
Dann wandte er fih an den Marinefetretär und fagte:
„Der Traum fchlägt auch in Ihr Fach ein, Herr Welles. Ich
fah ein Schiff, das fehr rafch fegelte, und ich bin überzeugt, daß
es eine Borbedeutung eines bedeutenden Nativnal-Ereigniffes iſt.“
Am Nachmittag hatte er eine lange und angenehme Unterhal-
tung mit einigen hervorragenden Bürgern von Fllinvis.
Am Abend hatte er eine Unterredung mit den Herren Eolfar
und Aſhman (Letzterer hatte bei der Chicago Convention im Jahre
1860 den Borfig geführt,) wobei er auf feinen Abftecher nad
Richmond zu fprechen fam. Einer der Herren machte hier die Be—
merkung, daß während feines Aufenthaltes in der ehemaligen Re—
bellenhauptftadt im Norden große Unruhe um feinetwillen geherrfcht
habe, aus Furcht, daß er son irgend einem Berräther erfchoffen
werden möchte. Herr Lincoln erwiederte foherzend, daß er ſich
felbft beunruhigt haben würde, wenn irgend ein Anderer Präfivent
gemwefen und dahin gegangen wäre, daß er aber für fich felbft
durchaus feine Gefahr befürchtet habe,
Die Möglichkeit einer Ermordung war dem Präfidenten oft vor-
geftellt worden, allein fie hatte ihn noch nie einen Augenblid be=
392 Das Leben Abraham Lincolns.
unrubigt. Ein Mitglied feines Cabinets fagte eines Tages zu
ibm: „Herr Prafident, Sie find nicht beforgt genug um fich felbft.
Es giebt böfe Menfchen in Wafhington. Haben Sie noch nie
bedacht, daß es Rebellen genug unter ung giebt, die fich fein Ge—
wiffen daraus machen würden, einen Angriff auf Ihr Leben zu
wagen?” Der Prafivent öffnete einen Pult und zog einen Pad
Briefe heraus. „Hier,“ fagte er, „jeder dieſer Briefe enthält eine
Drohung, mich zu ermorden, Ich könnte zaghaft werden, wollte
ich über den Gegendſtand nachdenken; allein ich bin zu dem
Schluß gefommen, daß es jeden Tag Gelegenheit giebt, mich zu
tödten, wenn irgend Jemand Dazu geneigt wäre. Es ift nicht
möglich, einem ſolchen Schidfal zu entgehen, und ich werde mich
deshalb nicht beängftigen.”
„An dem erwähnten Abend, während er über eine Gefchäftsan-
gelegenheit mit Herrn Aſhman fprach, gewahrte er, daß derfelbe
über eine feiner Bemerkungen frappirt war und fagte fofort (e3
war ftets fein Streben, beleidigende Aeußerungen zu vermeiden):
„Sie haben mich nicht verftanden, Aſhman; die Sache war nicht
fo gemeint, wie Sie zu denken foheinen, Sch will Alles zurüdneh-
men und um Entfehuldigung bitten.’ Später gab er Herrn Aſh—
man eine Einlaßfarte für ihn und einen Freund zu einer ferneren
Unterredung am folgenden Morgen.
„zu Herrn Eolfar gewendet, fagte er: „Sch hoffe, Sie werden
Madame Lincoln und mich in das Theater begleiten.” Der Prä-
fivent und General Grant hatten am Bormittag eine Einladung
für den Abend nach Ford's Theater angenommen, allein der Ge—
neral hatte fich fpäter genüthigt gefehen, nach dem Norden abzu—
reifen. Herr Lincoln, deffen Erfcheinen im Theater öffentlich an—
gezeigt worden war, wollte das Auditorium nicht gänzlich täufchen
und bejchloß daher, die Einladung anzunehmen.*)
*) Biele europäische Blätter rügten das Anftatthafte — doppelt unftatthaft für
einen Präfidenten der Vereinigten Staaten — am Charfreitag das Theater zu
befuchen, Derartige alberne Kritteleien können natürlich nur von einer gänzlichen
Unfunde amerikanischer Sitten und Gebräuche herrühren, Während in Europa —
auf dem Eontinent wenigſtens — der Charfreitag ald ein ftrenger Faft- und
Trauertag betrachtet wird, feiern ihn die Amerifaner mehr ald einen Feftl- und
Der legte Akt. 393
Herr Colfax entfchuldigte fich indeffen wegen anderer Engage-
ments, die ihm die Annahme unmöglich machten, Beim Abfchied
fagte Herr Lincoln zu ihm: „Senator Sumner eroberte in Rich-
mond den Hammer des Rebellen-Congreffes und beabfichtigt, die
Relique dem Kriegsfefretär zu überbringen. Ich beftand indeffen
darauf, daß Sie ihn haben müßten; fagen Sie ihm daher, daft
ich ihn bitten laffe, Ihnen das Euriofum zu übergeben.“ Herr
Aſhman bemerkte darauf, daß der Hammer, den er zu Chicago ge=
braucht hatte, noch in feinem Beſitze fei.
Etwa eine halbe Stunde nad) der feftgefegten Zeit erhoben fich
der Präfident und Madame Lincoln, um ſich in’s Theater zu be-
geben; Herr Lincoln zögerte und wünfchte noch eine halbe Stunde
länger zu Haufe zu bleiben, Bei der Thüre hielt er an und
fagte: „Herr Colfar, vergeffen Sie nicht, wenn Sie durdy die Mi—
nen-Regionen fommen, dem Volke zu fagen, was ich Ihnen dieſen
Morgen über die Entwidelungen bemerkte, die ftattfinden werden,
wenn der Friede hergeftellt iftz ich werde Ihnen nah San Fran-
eisco telegraphiren,’ Nachdem er nun den beiden Herren die
Hand gereicht und ihnen freundlich einen vergnügten Abend ge-
wünfcht hatte, begab er fich mit feinen Begleitern in das Theater,
Die Präfiventenloge befand fich in der zweiten Etage über der
Bühne, rechts von dem Auditorium; den Eingang dazu bildete
eine Thüre von der anftogenden Gallerie. Das Sceufal, welches
die Ermordung des Präfidenten mit außerordentlichen Vorſichts—
maßregeln gegen ein Mißlingen arrangirt hatte, verfchaffte fich
Eingang, indem e3 die Garde täufchte, und befand fi) nun in ei=
nem dunklen Corridor, deffen Wand einen fpiben Winkel mit der
Thür bildete. Nun fchnitt der Mörder eine Vertiefung in die
Wand und zwängte ein ftarfes Brett zwifchen diefelbe und den
Flügel der Thür,
Freudentag, Dort liegt der Feier des Tages die Trauer über die Paſſion, hier die
Freude über dad Verſöhnungswerk Chriftt zu Grunde — es ift mithin nur eine
Berichiedenheit der Auffaffung. Man wird das amerifanifche Volk ficherlich nicht
der Vernachläſſigung chriftlicher Gebräuche befchuldigen, am allerwenigiten aber Tann
man Herrn Lincoln ſolche Vorwürfe machen,
Anmerkung des Ueberſetzers.
394 Das Leben Abraham LincoIns.
Nachdem auf diefe Art der Eintritt unmöglich gemacht war,
wandte er fich zunächft zu den beiden Thüren der Präfivdentenloge,
die Durch eine bewegliche Scheidewand nad) Belieben in zwei Lo—
gen verwandelt werden fonnte. Die Thür am untern Ende des
Ganges war offen; die dem Meuchelmörder zunächft liegende da—
gegen verfchloffen. Beide hatten Springfederfchlöffer, allein Die
Schrauben, mit denen diefelben an der Wand befeftigt waren,
mußten forgfältig gelodert worden fein, fo daß fie dem geringjten
Drud von außen nachgaben.
Der Mörder näherte fih nun der dieffeitigen Thür, in die er
ein Kleines Loch gebohrt hatte, und verfchaffte fich zuerft einen
Ueberblid über das Innere der Loge. Die Partie hatte ihre Sitze
in folgender Ordnung eingenommen: Der Präfident faß in einem
Armſtuhl zunächft dem Auditorium; neben ihm fa Madame Lin-
coln; eine beträchtliche Strede weiter Miß Klara Harris in der
der Bühne nächftgelegenen Ede; auf einem Kanapee an der ent»
gegengefebten Wand ſaß Major H. R. Rathbone.
Das Stüd, das gegeben wurde, hieß: “Our American Cousin”
(unfer amerifanifcher Better). Plöglich, während Aller Augen
auf die Bühne gerichtet waren, verkündete der Knall einer Piftole
die Anmwefenheit des Meuchelmörders, der fi mit dem Worte
„Freiheit“ der Sronte näherte. Der Major erblidte ven Schur—
fen durch den Rauch, fprang hinzu und padte ihn; dieſer aber
ließ fein Piftol fallen und zielte mit einem Meffer nach der Bruft
feines Gegners, der den Hieb mit dem obern Theil feines linken
Armes parirte, jedoch ohne im Stande zu fein, den Kerl feftzuhal«
ten, obſchon er ihn fofort wieder anpadte. Diefer entrang fich
feinem Griffe, ſchwang fih auf das Parapet und fprang auf die
zwölf Fuß unter ihm liegende Bühne hinab. Bei feinem Sprunge
verwickelte fich indeffen fein Sporn in die Falten der Flagge unter-
bald der Loge, und er fiel.
Rafch erhob er fich indeffen mieder, ſchwang feinen Dolch, rief:
“Sie semper tyrannis !” (das Motto des Staates Virginien) und:
„Der Süden ift gerächt!” und entfam dann durd die Sin-
terpforte des Theaters, mit deffen Einrichtung er vollfommen ver-
traut war, nach einem dunkeln Gäßchen, wo fein Pferd in Bereit-
Der legte Akt. 395
[haft ftand. Kaum eine Minute verftrich zwifchen der blutigen
That und dem Entfommen. Es mochte etwa Halb zehn Uhr fein.
Nur ein Mann unter den Hunderten von Zufchauern hatte
Geiftesgegenwart genug, dem Mörder zu folgen, allein es war zu
fpät.
Bald wurde Die Bedeutung des Piftolenfchuffes befannt. Der
Präſident war in den Hinterkopf hinter dem linken Ohr gefchoffen
worden und die Kugel war in fchräger Linie bis zum rechten Ohr
gedrungen. Er fiel augenblidlih in Bewußtlofigfeit, aus der er
fich nicht wieder erholt. Man brachte ihn fo fehnell wie möglich
nad) einem dem Theater gegenüberliegenden Haufe, und hier ver-
ſchied er am andern Morgen, den 15. April 1865, zweiundzwan-
zig Minuten nad) fieben Uhr im Beifein faft ſämmtlicher Mitglie-
der feines Cabinets und anderer Freunde, denen die herzzerreißende
Scene Thränen des Kummers entpreßte. Madame Lincoln be-
fand fich mit ihren beiden Söhnen im anftoßenden Zimmer — die
Geelenqual, die Verzweiflung, die hier herrfchte, vermag feine
Feder zu befchreiben. Eine troftlofe Wittwe und zwei trauernde
Söhne bilden jegt die ganze Familie. Bald nad neun Uhr wurde
die Leiche unter militärifcher Esforte nach dem Präfidenten-Palaft
gebracht,
So endete Abraham Sincoln, der fechzehnte Präfident der Ber-
einigten Staaten, feine irdifche Laufbahn auf der Schwelle feines
fiebenundfünfzigften Jahres und zweiten Amtsterming,
“Sic semper tyrannis I? — Dies die Rechtfertigung der Ermor-
dung eines Regenten, der
= fo milde feine Würde trug, fo fanft
Sn feinem hohen Amte war, daß feine Tugenden
Gleich Engeln mit Trompeten- Tönen fchrei’n
Zum Himmel über die verruchte That.”
„Der Süden gerät!" — Gerächt durch die Faltblütige
Ermordung des beiten Freundes, den reumüthige Rebellen jemals
hatten — eines Freundes, der gleich dem Engel der Barmherzig-
feit fo lange zwifchen ihnen und dem Zorn feiner wärmften poli-
tifchen Anhänger geftanden hatte, die ihn beftändig um weniger
Milde und größere Strenge gegen die Berräther beftürmt hatten !
396 - Das Leben Abraham Lincolns.
Es ftand in dem Buche des Ewigen gefchrieben, daß er durd
die Kugel fallen follte — doch ach! nicht auf dem Schlachtfelde,
deffen traurige Mahnungen er fo oftmals vernommen hatte, ſon—
dern im Kreife feiner Familie, als er nad den drüdenden Sorgen
feines Amtes Erholung ſuchte — und durch eines Mörders Hand!
Er war der erfte unferer Präfidenten, dem ein ſolches Schidfal zu
Theil wurde; ehren wir fortan fein Andenken gleich dem eines
heiligen Märtyrers!
Allein dem bittern Kelche war auch ein füßer Tropfen der
Barmherzigkeit beigemifcht. Er fiel erft, nachdem die gütige Vor—
fehung ihm mwenigftens einen Vorgefhmad der Segnungen gege—
ben hatte, die durch fein treues Wirken dem Lande, das er fo fehr
liebte, vorbehalten waren.
Er hatte die Verheißungen feiner erften Inaugural-Adreſſe
treulich und volllommen erfüllt — jene Berheißungen, deren Er-
füllung von fo Bielen für unmöglich gehalten und von nicht
Wenigen als übermenfchlich verfpottet und verlacht wurden. Er
hatte die ihm verliehene Macht erfolgreich angewandt, um „das
Eigenthum und die Plätze der Regierung zu behaupten und im
Befis zu halten.” In dem Augenblide feines Todes wehte von
feinem Fort der Vereinigten Staaten die Flagge des Verraths
mehr. An dem Tage feiner Ermordung wurde die alte Flagge
mit feierlichen Ceremonien auf den Zinnen des Forts Sumter
wieder aufgepflanzt, und zwar von denfelben Händen, die vier
Jahre zuvor an dem nämlichen Tage von dem Höllenpad der
Derräther gezwungen worden waren, biefelbe herabzunehmen;
während die Freunde allgemeiner Freiheit ohne Anfehen der Race
oder Hautfarbe durch die Straßen von Charlefton — jebt eine
Stätte der Verwüſtung, das Skelett feines früheren Selbftes —
wandelten und frohlodten, daß mit Gottes Hilfe die ganze Nation
der Freiheit gewidmet und die Sklaverei dem Moder der Bergan-
genheit anheimgegeben warb.
Als Abraham Lincoln fiel, hatte fih die Nation — durch die
firenge Nothwendigfeit des fürchterlichen Krieges zu einem edle—
ren, männlicheren Bewußtfein erwacht — zu Gunften eines
Amendments zur GConftitution erklärt, wodurd das Menfchen-
Der legte Aft. | 397
eigenthum und der Menfchenhandel für ewig verboten ward,
Und zwar nicht eine blos allmälige Emancipation, als Folge mili-
tärifcher Nothwendigfeit, war es, was das Herz eines jeden Bie—
dermannes erfreute, fondern die abfolute, radifale Vernichtung
jenes fcheußlichen Molochs, der in Sünde gezeugt, im Verbrechen
erftarkt, das Land fo lange in feinen eifernen Krallen gehalten,
die Nation an den Rand des Verderbens geführt und im Augen-
blid feines eigenen Berendens noch dem Edelſten diefer Nation
durch Die Hand eines gedungenen Meuchelmörders den Todesftoß
verfegte, Allerdings war es unferem Märtyrer-Präfidenten nicht
vergönnt, die vollftändige Ausführung jener großen Maßregel
zu erleben; allein er hatte die fefte Meberzeugung, daß das Ende
nicht mehr ferne, Daß es bereits fehon vor der Thür war.
Als er fiel, war jene Berrätherbande, die ſich die Befugniffe
einer Regierung angemaßt hatte, mit ihrer geraubten Beute nach
unbefannten Regionen entflohen; ihre Hauptarmee hatte capitu-
lirt und der Reſt ihrer militärifchen Macht ftand im Begriffe, daf-
felbe zu thun. Aus ihrer Hauptftadt, aus der Behaufung des
Erzverräthers, des modernen Lucifers — Jeff. Davis — hatte
der Liebling der Nation wenige Tage vor feinem Fall Worte des
Grußes und des Friedens in das Land hinaus gefandt,
Als er fiel, lag der Berrath im ganzen Lande im lebten Todes»
röcheln,
Es bedurfte nicht jenes fehauerlichen, regnerifchen und ftürmi-
Shen Apriltages, um die Trauer der Nation zu erhöhen. Wie
von den Schwingen des Blites getragen, flog die Kunde durch
das Land: — „Der Präfident wurde gefchoffen 1!" — „Er liegt am
Sterben !" — „Er ift todt!“ — Anfangs mollte e3-faft Niemand
glauben, für fo unmöglich hielt man die teuflifche That. Als
aber die ſchreckliche Gewißheit Fam, da beugten ftarfe Männer das
Haupt und mweinten — Frauen und Kinder fohlucdhzten. Ohne
Zwang, ohne Aufforderung nahm die gemeinfame Trauer ein ge-
meinfames Gewand an. Die Häufer in Stadt und Dorf und
Weiler wurden mit Schwarz behangen, die Flaggen auf Halbmaft
gefegt, die Läden gefchloffen, die Geſchäfte eingeftellt, und nur Die
398 Das Leben Abraham Lincolns.,
Zeitunggerpeditionen waren thätig, fowie auch die Verkäufer von
Zrauerflor und Porträts des geliebten Todten.
Traurig war der Tag, als die Unglüdsfunde durch Das meite
Land flog; weit trauriger aber noch waren die Herzen der Pa—
trioten. Keine Feder vermag die Scene zu befchreiben. Es war,
als ob Chaos, Nacht und Finfterniß wieder über das Land her»
einbrechen wollten.
Mittlerweile ruhte der große Todte im Capitol des Landes in
Staat,
An jenem lauen, füßen, träumerifchen neunzehnten April —
hätten nicht die Inofpenden Zweige, das grünende Gras und dag
Wirbeln und Zwitfchern der gefiederten Sänger an den Frühling
gemahnt, man wäre verfucht gemefen, fich in den „goldenen Spät-
fommer, den der Indianer fo fehr liebt, verfegt zu glauben — an
jenem Tage, deffen frühe Stunden fchon zur Ruhe und zum
Schlummer einluden, fand die Todtenfeier Abraham Lincolng in
der Metropole des Landes ftatt.
Und um die zmwölfte Stunde diefes Tages wurden im ganzen
Lande Minutenfhüffe abgefeuert, die Gefchäfte gefhloffen und
jedes Geräufch vermieden, während von ſämmtlichen Thürmen
die melancholifchen, gedämpften Töne der mit Tuch behangenen
Glocken in abgemeffenen Paufen erfhallten. In allen Kirchen
wurde feierlicher Trauergottesvienft gehalten, Selbſt die Vögel
unter dem Himmel ſchienen in den allgemeinen Chor einzuftim=-
men und ließen aus ihren zarten Kehlen ein Requiem erfchallen,
Am Abend deffelben Tages trat der Leichenzug die Reife nach
der legten Ruheftätte des theuren Märtyrers an, und zwar auf
derfelben Route, die der Präfident eingefchlagen hatte, als er feine
Heimath verließ, um auf den Wunſch des Volkes die Zügel der
Regierung zu ergreifen. Die Gebeine des Fleinen Willie Lincoln,
der zwei Jahre früher geftorben war, begleiteten die feines erlauch—
ten Vaters. Che die Hälfte der Reife zurüdgelegt war, fam die”
Kunde, daß des Rächers Hand den Meuchelmörder getroffen und
vor den Richterftuhl des Höchften geladen hatte, Sein lebtes
Der legte Akt. 399
Röcheln, ehe er fein ruchlofes Leben verhauchte, war: „Umfonft!
umfonft !'”*)
Als im Jahre 1861 Abraham Lincoln, der Lebende, diefen Weg
gezogen Fam, hatten fi Hunderte, von bloßer Neugierde oder
Parteifympathie angetrieben, an den Stationen eingefunden, um
ihn zu fehen. Jetzt aber, vier Jahre fpäter, als Abraham Lincoln,
der Todte, defjelben Weges wiederfam, fanden fih an den näm—
lichen Stationen Tauſende ein, diesmal aber von Liebe, yon Ehr=-
furcht und tiefer, herzinniger Trauer herbeigelodt.
Blumen bevedten die leblofen Gebeine, Hymnen wurden ge-
jungen, und das große Herz des Volkes fuchte fih durch Thränen
und Schlucdhzen Erleichterung zu fchaffen.
Weftwärts, immer weiter weftwärts durch die Prärien trugen
fie ihn, den die Nation noch nicht kannte, als er vor vier Jahren
gelommen war, den fie aber während der Stürme und Drangfale
des Bürgerfrieges als einen Bater und Freund fennen und lieben
lernte.
Auf dem Oak Ridge Gottesader in feinem eigenen, geliebten
Springfield Iegten fie ihn am vierten Mai 1865 am Fuß einer klei—
nen Anhöhe zur Ruhe. Grüne Waldbäume — feltene Gäfte in
den Prärien — neigen fi anmuthig auf die Stätte hernieder, wo
er mit feinem Eleinen Willie fchlummert.
Dort ruhet der fterbliche Theil von Abraham Fincoln.
Der unfterbliche aber? Droben über den Sternen!
*) Bald darauf faßte der Arm der Gerechtigkeit auch Das Scheufal, das den Höle
liſchen Plan erfonnen und den Meuchelmörder zur Ausführung gedungen hatte —
den ehemaligen RebellensChef Jefferſon Davis, SPräfident Iohnfon hatte
in einer Proflamation eine Belohnung son einhunderttaufend Dollars für die Ver«
baftung dieſes Teufels in Menfchengeftalt geboten, und eine Abtheilung der Bundes⸗
Eavallerie holte ihn auf feiner Flucht durch Georgia ein und ergriff ihn — in den
Kleidern feiner Frau, Sept fchmachtet dDiefer Dämon der Empörung, des Verrathes
und Mordes in einer Celle zu Fortreß Monroe, mo er Gelegenheit hat, fich auf fein
Verhör und — wie zu hoffen fteht — auf feinen ſchmachvollen Tod am Galgen vor»
zubereiten, Anmerkung des Ueberſetzers.
Sehsundzwanzigftes Kapitel.
Abraham Lincoln als Menſch.
Gründe für feine Wiedererwählung — Was er leiftete — Wie er ſich auf das
Dolk übte — Staatspapiere — Seine Willensfeftigkeit — Wafhington und
£ineoln — Der Menſch — Seine Autobiographie — Seine Befheidenheit —
Seine hriftliche Gefinnung — Schluß.
Was follen wir nun zum Schluffe über Abraham Lincoln, den
Staatsmann und den Menfchen fagen? Daß er fich von fo geringer
Herkunft, unter fo ungünftigen Umftänden zum Oberhaupt einer
der hervorragendften Nationen der Welt emporfchwang, würde in
jedem andern Lande als ein Beweis der höchften Fähigkeit be-
trachtet werden. Hier aber haben fich fchon fo viele ähnliche Fälle
ereignet, daß diefer Umftand allein ung den Mann nicht vollkom—
men und in feiner wahren ©eftalt vor Augen ftellt. Er hätte als
gefchidter und gewandter Politifer in den Bordergrund gefchoben
werden können; als ein Mann, von defien Erhebung ganze
Schaaren von Parteifleppern felbitfüchtig perfünlichen Nugen und
Bortheil fuchten. Oder er hätte ein erfolgreicher General fein
fönnen, oder ein Mann von rein negativen Eigenfchaften, ohne
hervorfpringende Charakterzüge; ein Mann, deſſen Eden und
Enden abgerundet worden waren, bis er jene Zwedmäßigfeit
(availability) erreicht hatte, die fchon fo oft zur Wahl eines Prä—
fiventen erforderlich erachtet wurde. Wiederum hätte er ein
Mann fein können, der feit langen Jahren in den vorderften
Reiben einer alten und fiegreichen Partei geftanden und daher,
wie es bei ung fo oft zu gefchehen pflegt, ſtarke Anfprüche
an feine Partei hatte, Endlich aber fonnte er ein Mann fein,
der fich feit geraumer Zeit unabläffig für die Nomination bemüht
und geplagt hatte, bis es ihm endlich gelang, feinen Zwed zu
erreichen.
Wir hatten Präfiventen aus allen diefen Klaffen; er aber ge-
hörte feiner derfelben an, ——— erreichte er den höchſten
00)
Abraham Lincoln als Menfch, 401
Gipfel, den nur ein Amerikaner erreichen kann. Nothwendiger-
mweife muß er deshalb Kraft und Werth befeffen Haben.)
Er wurde mwiedererwählt — der erfte Präſident feit Jadfon,
dem diefe Ehre zu Theil wurde, Zmweiunddreißig Jahre — acht
Präfidentfchaftstermine — waren feit Jadfons Wiedererwählung
serftrichen, Und überdies erhielt er bei feiner zweiten Erwählung
eine bedeutend größere Stimmenanzahl, als bet feiner erften.
Die vier Jahre feiner Adminiftration waren die ftürmifchften in
der amerifanifchen Gefchichte; hoch „angehäuft mit Schwierigkeiten,”
wie er fich felbft ausprüdte, Kein Präfivdent wurde je fo bitter an—
gegriffen, fo fhonungslos geſchmäht wie er. Noch Feiner wurde fo
wie er verhöhnt und herabgeſetzt. Dennoch aber wurde er trium—
phirend wieder erwählt. Warum? Aus demfelben Grunde, der
zuerft die Aufmerkfamfeit des Landes auf ihn lenkte; nämlich er—
tens und hauptfächlich, weil die Maffe des Volkes unbegrenztes
Vertrauen zu feiner Ehrlichkeit und Grundfaßtreue hatte, Obſchon
diefe Eigenfchaften Teineswegs felten unter unfern Präfidenten —
namentlich den älteren— waren, fo fehien dennoch Abraham Lincoln
fo gänzlich von denfelben dDurchdrungen und aus denfelben gefchaffen
zu fein, daß er in dem Herzen des Volkes einen Halt gewann, wie
ihn fein anderer Präftdent feit Wafhington gehabt hatte. Selbft
die bitterften Gegner feiner Politik fahen fich genöthigt, wenn fie
anders aufrichtig waren, die Eriftenz diefer Eigenfchaften, oder we—
nigftens den im Volke herrfchenden Ölauben an diefelben zuzu-
geben. . |
*) Leider find die obigen Bemerkungen des Verfaſſers nur zu fehr begründet,
Seit vielen Jahren hatte das amerikaniſche Volk entſchiedenes Unglüd in der Wahl
feiner Präfidenten, Harriſon, Tyler, Polk, Taylor, Fillmore waren höchſt mittel-
mäßige Geftalten. Trauriger noch als dieſe war der armfelige, ſchwache Pierce ;
am allerunheilsoliften aber war die Wahl des erbärmlichen Buchanan, der durch ein
entichtedenes Auftreten den Bürgerkrieg hätte im Keim erfticten fünnen, Ob fein
Verſäumniß, dies zu thun, feiner Schwäche, feiner Sympathie mit dem Verrath,
oder einem Gemisch yon Beiden zuzufchreiben ift, Darüber wird die Fünftige Gefchichte
richten, In Lincoln fand die Nation fich felbft wieder, An ihm war in That
und Wahrheit jeder Zoll ein Mann, Das Gleiche darf son feinem Nachfolger,
Andrew Johnſon, behauptet werden, Anmerkung des Ueberſetzers.
26
402 Das Leben Abrabam Lincolns.
„Bas aber foll als Staatsmann von ihm gefagt werden ?”
Daß er den Bau unferer National-Regierung von der Zinne
bis zum Fundament wanfend antraf, und daß er ihn nad) vier
Fahren eines unerhörten Bürgerfrieges felfenfeft und ficher hinter-
ließ. Dies mag als allgemeine Antwort auf obige Frage dienen.
„Iſt aber diefes Refultat nicht ganz oder größtentheils der Fähig-
feit feiner Rathgeber zuzufchreiben 2”
Unzmweifelhaft gebührt venfelben großes Lob. Allein wir follten
bedenken, daß noch wenige Präfiventen in Angelegenheiten ber
Staatspolitif fo frei und unabhängig handelten wie Herr Lincoln,
Ueber manche Punkte berieth er fih mit feinem Cabinet—einem
Cabinet, dag die verfchiedenften Gedanfenfchattirungen, die verfchie-
denften Fortfchrittsftadien des Volkes repräfentirte—und nach der
Berathung handelte er, In den meiften Fällen jedoch prüfte er für
ſich felbft und wählte nach reiflicher, gemwilfenhafter Ueberlegung
feine Politif—überzeugt, daß er das Wahre getroffen und daß er
fich nicht geirrt habe. Und felten hatte er fich geirrt,
Da er feinen Weg meiftens im Finftern fühlen mußte, fo konnte
er nicht fo raſch vorwärts gehen, Daß er das Bolf athemlog und
verwundert hinter fich ließ, Doch muß man nicht annehmen, daß
er niemals dem Willen des Volkes zumider gehandelt habe. Er
gehörte nicht jener gefchmeidigen, nachgiebigen Klaffe an. Unzwei—
felhaft handelte er oft in Bezug auf England und Frankreich in
direktem MWiderfpruch mit der öffentlichen Stimmung, Nichts wäre
leichter für ihn gemefen, als das Land in einen auswärtigen Krieg
zu vermwideln; und in feiner folden Handlung wäre er, auf eine
Zeit lang wenigftens, von der Öefammtmaffe des Volkes unterftügt
worden, Ebenfo in Bezug auf rahfüchtige Maßregeln gegen die
Rebellen, da die Anficht, daß dieſelben rückſichtsloſer behandelt wer-
den follten, ziemlich allgemein im Volke wurzelte. In diefen beiden
Fällen—wir wollen feine weiteren Beifpiele anführen—hatte er den
Muth, fih dem Wunſche des Volkes ftandhaft zu widerfegen. Um—
fihtiger und mweifer als die Maffe fah er vom Anfang an das Ende;
im erften Falle 309 er es vor, die Ungerechtigkeit der europäifchen
Mächte geduldig zu überfehen, und im zweiten befchloß er, fich für
die allgemeinen Intereſſen der Menfchlichfeit zu erheben, anftatt
Abraham Lincoln als Menſch. 403
dem augenblidlichen natürlichen und leicht zu entfehuldigenden Ver-
langen nad) Rache nachzugeben.
Mit andern Worten, er fuchte in allen Angelegenheiten dem
Wunſche des Volkes Rechnung zu tragen (fo lange dies feinem
Prinzip Eintrag that) und ihm den Willen zu laffen. Erwies fich
dies als ein Fehlgriff, fo follte das Volk fühlen, daß es fo gut die
Berantwortlichfeit zu tragen habe wie er. Er bemühte fich ernftlich,
ibm den befferen Weg anzudeuten und ihm feine eigene Ueberzeu—
gung beizubringen ; zögerte es nun, fo wartete er ruhig, bis es fich
feinem Standpunft näherte, Dies wurde gewöhnlich gefühlt, und
e3 ftärkte das Vertrauen auf ihn nicht wenig. Dadurch gelang es
ihm, die Zuftimmung des Bolfes in manchen feiner Mafregeln viel
eher zu gewinnen, als es ihm auf irgend eine andere Art möglich
’ gewefen wäre. Wir Amerikaner find in mancher Beziehung ein
eigenthümliches Volk. Wir laffen ung nicht gerne von irgend einem
Manne leiten. Wir leugnen fogar beftimmt, daß wir geleitet wer-
den. Wir werden e8 auch nicht, fo lange wir— das Gängelband
fehen können.
Herrn Lincoln's Staatspapiere waren, was Styl und Diktion
anbelangt, nicht immer fo, wie die gelehrten Kritifer wünſchten.
Biele behaupten, daß feine Dokumente allzuoft im Negligee darge-
boten wurden. Das Volk im Allgemeinen ift nicht fehr Fritifch,
Die Lefer verftanden jedes feiner Worte, Sie fühlten, daß er fie
als Mitbürger anredete, Die gewöhnlich fo hochgeſchraubten und
ftelzenfüßigen offiziellen Dokumente famen aus feiner einfachen Fe-
der zu ihnen wie ein vertrauliches Geplauder am häuslichen Herde.
Er fagte immerdar genau, was und wie er dachte, und fagte es auf
feine eigene Elare, überzeugende Weife, ohne eitles Wortgepränge,
Seine Sprache war oft derb, verrieth aber ftets die tiefite Intelli—
genz und innere Heberzeugung. Und gewöhnlich traf er den rechten
Sled. Seine Worte „hielten Takt mit dem allgemeinen Puls der
Menſchheit.“ Wie reich an treffenden Flluftrationen feine Papiere
find! wie durchfichtig, ehrlich und aufrichtig gleich dem Berfaffer
ſelbſt!
Er beſaß eine merkwürdige Willensfeſtigkeit. Als er am Nach—
mittag des erſten Januar 1863 —nach dem üblichen ſtundenlangen
404 Das Leben Abraham Lincolnse.
Neujahrs-Handſchütteln —jene unfterbliche Proflamation unterzeich-
net hatte, die ihn zum DBefreier Amerifa’s machte, fagte er zu feinen
Freunden: „Die Unterfchrift fieht ein wenig unficher aus; meine
Hand war müde, allein mein Entfhluß war feſt. ch fagte ihnen
im September, wenn fie nicht zu ihrer Treue zurüdfehrten und auf-
hörten, unfere Soldaten zu ermorden, fo würde ich diefem Pfeiler
ihrer Macht einen Schlag verfegen. Das Berfprechen foll gehalten
werden; ich werde niemals ein Wort davon zurüdnehmen.” In
all’ den verſchiedenen Scenen, durch die er als unfer Führer paffirte,
ging er fohnurftrads feinen Pfad und vermied die Ertreme allzu
voreiliger Freude wie unzeitiger Niedergefchlagenheit, Ruhig, ge-
faßt und entfchloffen feyritt er vorwärts, dieweil die Pflicht ihm zum
Leitftern und fein Gewiſſen zum Rathgeber diente, Er wußte, daß
er in feiner gefährlichen Stellung fo gut fein Leben auf’s Spiel
feßte, als der Soldat, der feine Pflicht auf dem Schlachtfeld ver-
richtet; allein er mwanfte nicht, zögerte nicht, unterhandelte nicht,
nahm Nichts zurüd, entfchuldigte fich nicht, fondern ging feines
Weges meiter mit einer Unbeugfamleit, die ebenfo erhaben und er-
muthigend als felten if. Mochten Andere zweifeln—er zweifelte
nicht. Er fah das Ziel, nach welchem die Nation wie er felbft rin-
gen mußte. Diefes Ziel war ihm ſtets vor Augen und unaufhör=
lich ftrebte er ihm zu. Seine Miffton als Präfivent war, wie er fo
oft und fo nachdrücklich erklärt hatte, die Union zu retten, Und er
rettete fie. Es mag Leute geben, die behaupten, daß fich dieſes
Ziel durch andere Mittel hätte erreichen Iafjen, als die er anwandte,
Dies ift Theorie, Er rechtfertigte die feinige Durch die Prarie,
Er felbft konnte nur in feiner eigenen Rüftung arbeiten, und ge-
duldig, mühſam und beharrlich arbeitete er bis das Ziel erreicht
war,
Mit Recht wurde Wafhington der Vater feines Landes genannt.
Dies ift indeffen mehr der Verehrung als der Liebe zuzufchreiben,
denn die Meiften fühlten eine folche weite Kluft zwifchen fich felbft
und dem Heldenpatrioten, daß er ihnen wie ein Wefen anderer Art
vorfam. |
Abraham Lincoln dagegen war ſowohl der Retter als der Vater
feines Landes; denn er rettete, was in der alten Drbnung der
Abraham Lincoln als Menſch. 405
Dinge am Werthvollſten war und fihuf eine neue, die eine Würde
und Bedeutung befibt, wie fie die alte nie gehabt. Retter und
Bater—bdiefe Titel legt ihm die Liebe des Volfes bei.
Die Charakteriftif des Menfchen zeigte fich deutlich in der Stel—
lung des Staatsmannes. Er trug nicht ein Gewand als Beamter
und ein anderes als Bürger. Er führte am Unterhaltungstifch
wie im Cabinet diefelbe Sprache. Was er in der einen Lage war,
das war er auch in der andern, Sein eigenthümlicher Humor war
nicht feine gewöhnliche Gemüthsftimmung; dies bezeugen Alle, die
ihn genau fannten. Er befaß mehr Melancholie und Ernft, als
die Meiften ahnten, *)
Kein Menfch war befcheidener ala Herr Lincoln, Man fehe nur
den Bericht feines Lebens, den er felbft im Jahre 1858 für Lan
man’s Congreß-Lexikon lieferte: R
„Geboren den 12. Februar 1809 in Hardin County, Kentudy,
„Erziehung mangelhaft.
„Profeflion: Rechtsanwalt.
„War ein Capitän bei ven Boluntären im Blad Hawk Kriege,
„Poftmeifter in einem fehr kleinen Amte,
„Viermal ein Mitglied der Illinois Legislatur.
„Und war ein Mitglied vom Unterhaufe des Congreffes.
Abraham Sincoln.”
Dhne Selbftüberfhägung, in der Schule des Lebens herange-
bildet, ſchämte er fich nie zu lernen, und dadurch reifte fein Geift
niit jedem Tage. Don Temperament war er gleichmüthig, nie jäh-
®
*) Seine Gegner, befonderd Diejenigen, die Feinen Umftand uubenüht Tiefen,
ihr Gift und ihre Galle über ihn auszufchütten, höhnten und fpotteten in der ge—
meinften Weife über feine Späße, Anekdoten und dergleichen, Hierbei find meh—
rere Umftände im Auge zu behalten, nämlich 1) daß die meiiten der cirfulirenden .
Anekdoten ihm angedichtet find; 2) daß er oft unter der Wucht feiner Sorgen
hätte zufammenbrechen müffen, wenn er fich nicht Durch derartige unfchuldige Scherze
Erleichterung verfchafft hätte; 3) daß er fich mancher diefer Anekdoten mit feltener
Geichieklichkeit bediente, um dem Volke irgend einen Sab Har zu machen, und daß
er ftetö dabei den Nagel auf den Kopf traf.
Anmerkung des Ueberſetzers.
406 Das Leben Abraham Lincolns,
zornig oder leidenfchaftlich; und Niemand konnte fein Feind fein,
der nicht von Natur ein Feind des Menfchengefchlechtes war. Mild
und verföhnlich, Tieß er fih nicht im Geringften durch die Schmä—
hungen, mit denen er überhäuft wurde, zur Wiedervergeltung hin—
reißen. Ja felbft feine Schwächen entfprangen feiner übergroßen
Herzensgüte; nur allzu oft ließ er Gnade für Gerechtigkeit ergehen.
Es giebt kaum ein Dorf oder einen Weiler in den Ioyalen Staaten,
in welchem nicht ein Zeuge feiner Milde und Barmherzigkeit lebt.
Eine höchſt rührende Epifode trug fich bei feinem Leichenbegängniß
in Waſhington zu. Eine junge Dame von Bofton hatte einen
Blumenfranz gefhict, mit der Bitte, derfelbe möge auf feinen Sarg
gelegt werden. Das Mädchen war die Schweiter eines jungen
Mannes, der wegen eines militärifchen VBergehens zum Tode ver-
urtheilt, vom Präfiventen aber begnadigt worden war.
Geehrt als Privatbürger, glüdlich in feinem Familienleben, er-
folgreich als Staatsmann, war er überdies auch ein frommer Ehrift,
Dftmals pflegte er zu jagen, daß er in den dunfeliten Stunden fein
Vertrauen auf Gott fege und fih im Gebet an ihn wende. Geine
vielen Buß- und Dankfagungs-Proflamationen geben Zeugniß
son feinem chriftlichen Sinne. Bor feinem lautern, moralifchen
Charakter mußten felbft feine bitterften Feinde fchweigen.
Dies ift eine unvollfommene Skizze in allgemeinen Umriffen von
Abraham Lincoln. Die Art und Weife feines Todes umgiebt fei-
nen Namen mit einem tragifchen Intereſſe; doch wird daffelbe nur
jur eine Zeit beftehen, Je mehr aber der Mann befannt wird, wie
er war; je tiefer die Einficht in feinen wahren Charakter; je mehr
fein öffentliches und Privatleben ftudirt wird; je forgfältiger feine
Handlungen geprüft werden, defto höher wird er in der Achtung
Aller fleigen, deren Achtung mwünfchenswerth if. Je länger die
Zeit, die hinter ihm liegt, defto glänzender wird fein Name in der
Geſchichte ftrahlen, der er jet angehört. Kein Freund der Ehr-
lichfeit und Unbefcholtenheit, Fein Bewunderer der Feftigfeit, Ent-
Ihlofenheit und gemwiffenhaften Ueberzeugung, fein Menfchenfreund
fei beforgt um das Urtheil der Nachwelt über—
Abraham Lincoln.
Anhang.
Herrn Sincoln’s RUeden im Congreß und anderwarts, Proklama-
tionen, Briefe, u. ſ. w., die nicht dem Werke felbft einverleibt
find.
Rede über den merifanifhen Krieg.
(Gehalten vor der Committee des ganzen Haufes am 12. Januar 1848.)
Herr Lincoln redete die Committee folgendermaßen an:
„Herr Vorſitzer: — Einige, wenn nicht alle, von den Herren
auf der andern Seite des Haufes, die feit den leßten zwei Tagen
die Committee anredeten, beklagten fich, wenn ich fie anders recht
verftanden habe, über die vor acht oder zehn Tagen abgegebene
Stimme, wodurd erklärt wurde, daß der Krieg mit Mexiko unnö-
thigerweife und conftitutionswidrig vom Präfidenten angefangen
worden fei. Sch gebe zu, daß eine derartige Stimme nicht aus
bloßer Parteileivenfchaft abgegeben werden follte, und daß diefelbe
fehr zu tadeln ift, wenn fie auf feiner andern und beffern Grund—
lage beruht. Sch felbft habe mich jenem Votum angefchloffen,
und zwar mit der Heberzeugung, daß jene Erflärung auf Wahr—
beit beruße. Wie ich zu diefer Heberzeugung gelangte, und wie
diefelbe möglicherweife geändert werden kann, will ich jet zu zei—
gen verfuchen. Als der Krieg begann, war ich der Anficht, daß
alle Diejenigen, die das Benehmen des Präfidenten (beim Be—
ginne nämlich) nicht mit gutem Gemiffen billigen konnten, fei es,
weil fie zu wenig, oder weil fie zu viel wußten, dennoch ale gute
Bürger und Patrivten über den Punkt fchweigen follten, wenig-
ftens fo lange, bis der Krieg beendigt wäre, Einige hervorra—
gende Demokraten, Er-Präfivdent Ban Buren unter ihnen, haben
denfelben Standpunlt u wenn ich fie nicht mißver-
408 Das Leben Abraham Lincolns.
ftand, und ich blieb dabei und handelte danach, bis ich meinen
Sit bier einnahm; und ich würde noch jebt dabei verharren,
wenn es der Präfident und feine Freunde mir nicht unmöglich
machten. Außer dem beftändigen Beftreben des Präfidenten, jede
Stimme, die ftillfchweigend für Armeelieferungen abgegeben wird,
als ein Indoſſement der Gerechtigkeit und Weisheit feines Ver—
fayrens auszulegen; — außer jenem merkwürdig aufrichtigen Pa—
ragraphen feiner legten Botjchaft, in welchem er uns ſagt, daß
der Congreß mit großer Einmüthigfeit (mit nur zwei abweichen-
den Stimmen im Senat und vierzehn im Haufe) erflärt habe, daß
„einem Akt ver Republik Mexiko zufolge Krieg zwifchen jener Re—
gierung und den Vereinigten Staaten beftehe,” wenn doch diefel-
ben Journale, die ihn hiervon in Kenntniß festen, ihn ebenfalls
belehrten, daß jene Erklärung, wenn von der Frage über Ar—
meelieferungen getrennt, fiebenundfechzig Gegner im Haufe hatte,
und nicht blos vierzehn; — außer diefem offenen Verfuch, durch
die Wahrheit zu beweifen, was er nicht durch Die ganze
Wahrheit zu bemweifen vermochte, wodurch Alle, die fich nicht in
eine falfche Pofition verfegt zu fehen wünfchen, aus Gerechtigkeit
gegen fich felbft gezwungen find, frei herauszufprechen; — außer
alledem brachte einer meiner Kollegen (Mr. Richardfon) in den
erften Tagen der Sitzung eine Reihe Befchlüffe ein, wodurch Die
urfprüngliche Gerechtigkeit des Krieges, foweit es ſich auf den
Präfiventen bezieht, ausdrüdlich indoffirt wird. Sollten diefe
Beichlüffe zur Abftimmung kommen, jo werde ih gezwungen
fein, meine Stimme abzugeben; ich kann fomit nicht fehmeigen,
felbft wenn ich wollte. Dies vorherfehend, bereitete ich mich vor,
meine Stimme nach beftem Wiffen und Gewiffen abzugeben. Ich
prüfte die Botfchaften des Prafiventen forgfältig, um zu fehen,
was er felbit über den Punkt gefagt und bewiefen habe. Durch
das Nefultat diefer Prüfung gelangte ich zu der Ueberzeugung,
daß der Präfident weit entfernt ift, feine Nechtfertigung darzu—
thun, fellift wenn alle feine Angaben wahr find; und daß er mit
feinem Beweife weiter gegangen wäre, wenn die Wahrheit es ihm
geftattet Hätte. Mit der alfo gewonnenen Ueberzeugung gab ich
meine Stimme dann ab, wie ich oben erwähnte, Ich will jebt
Anhang. 409
furz darthun, auf welche Weife ich die Prüfung vornahm, und
wie ich zu meinen Schlüffen gelangte.
„Der Präfivent erklärt in feiner erften Botſchaft vom Mai
1846, daß der Boden, auf dem die Feindfeligkeiten von Mexiko
begonnen wurden, ung gehörte, und er wiederholt diefe Erflä-
rung faft mit denfelben Worten in jeder folgenden Jahresbot—
Schaft. Dies beweift, daß er ein wefentliches Gewicht auf diefen
Punkt legt. Ueber die Wichtigkeit diefes Punktes ſtimme ich voll=
fommen mit dem Präfidenten überein, Nach meinem Ermeffen
ift e8 gerade der Punkt, auf welchen hin er gerechtfertigt oder
verdammt werden follte, In feiner Botfchaft vom Dezember 1846
fchien e8 ihm in den Sinn gekommen zu fein, — was ganz gewiß
wahr ift, — daß das Anrecht auf den Boden, oder der Beſitz def-
felben, nicht eine einfache Thatfache fei, fondern eine Folgerung,
die aus einer oder mehreren einfachen Thatfachen hervorgeht, und
daß es ihm obliege, die Thatfachen anzuführen, aus denen er die
Tolgerung 309, daß der Boden, auf dem dag erfte Blut im Kriege
vergoffen war, ung gehöre.
„Unterhalb der Mitte der zwölften Seite in feiner lebten Bot-
fchaft macht er fich denn auch wirklich an das Werf, ftellt die Frage
auf und führt Beweife an, die fich bis zur Mitte der vierzehnten
Seite erftreden, Sch will nun bemeifen, daß das ganze Machwerf
von Abis Z ein Gewebe von Lug und Trug iſt. Die ftreitige
Trage kleidet er in folgende Worte: „Es giebt jedoch Leute, die
dies Alles als wahr zugeben, dennoch aber behaupten, daß die
eigentliche Weftgrenze von Texas der Nueces und nicht der Rio
Grande fei, und daß wir deshalb die teranifche Grenze überfchrit-
ten und das Gebiet von Merifo betraten, als wir unfere Armee
nad) dem öftlichen Ufer des letteren Fluffes marfchiren ließen.“
Diefer Sat beftehbt aus zwei Affirmativen und einer Negative,
Die hauptfächliche Taufhung liegt darin, dag als wahr ange-
nommen wird, daß der eine oder der andere Fluß nothwen-
digerweife die Grenze bilden müffe, und daß dadurch der ober—
flächliche Denker zum Glauben verleitet wird, daß die wirkliche
Grenze möglihermeife irgendwo zwifchen den beiden
Hlüffen und nicht genau an irgend einem derfelben fei. Ein weis
410 Das Leben Abraham Lincolns.
terer Trug befteht darin, daß diefer Sab Bemweife zuläßt, die
ein wahrer Sat nicht zuließe. Hätte der Präfivdent einen wahren
Sat aufftellen wollen, fo würde derfelbe ungefähr folgendermaßen
lauten: „Sch fage, daß der Boden, auf dem das erfte Blut ver-
goffen wurde, uns gehörte; jedoch giebt es Leute, die das
leugnen.‘
„Ich fahre nun fort, die Beweife des Präfidenten zu beleuch-
ten. Analyfiren wir diefelben, fo reduziren fie fich auf folgende
Propofitionen :
„J. Der Riv Grande war die Weftgrenze von Louifiana, als
wir daffelbe im Jahr 1803 von Frankreich fauften.
„2. Die Republif Teras beanfpructe ftets den Rio Grande
als ihre Weſtgrenze.
„3. Sie hat denfelben in verfihiedenen Akten auf dem Pa-
pier beanfprucht.
„4. Santa Ana erfannte in feinem Vertrag mit Teras den
Rio Orande als die Grenze diefes Staates an.
„Hñ. Bor der Anneration hat Teras, und nach derfelben
haben die Bereinigten Staaten Jurisdietion jenfeits des
Nueces und zwifchen den beiden Flüffen ausgeübt.
„6. Unfer Congreß glaubte, daß fich die Grenze von Teras
über den Nueces hinüber erftrede.
„Diefe Punkte will ich nun der Reihe nach durchgehen.
„Das erfte Item des Präfidenten ift, daß ver Rio Grande die
Weftgrenze von Louifiana war, als wir daffelbe im Jahr 1803 von
Sranfreich Fauften. Er feheint jedoch erwartet zu haben, daß diefer
Punkt beftritten würde und fohreibt eine ganze Seite voll, um zu
bemweifen, daß derfelbe wahr ſei; am Ende angelangt, belehrt er
ung, daß wir durch den Vertrag von 1819 das ganze Land vom
Rio Grande oſtwärts bis zum Sabine-Fluß an Spanien verkauften.
Zugeftanden nun, daß der Rio Grande die Grenze von Louiſiana
war, was um’s Himmels willen hat das mit der jetzigen Grenze
zwifchen ung und Meriko zu thun? Wie die Linie, die dereinft
Ihr Land, Herr Borfiser, von dem meinigen trennte, fortfahren
Tann, die Grenze zwifchen uns zu fein, nachdem ich Ihnen mein
Land verkauft habe, das überfteigt alle meine Begriffe. Ebenfo un-
Anhang. 411
begreiflich ift es mir, wie ein Mann mit der ehrlichen Abficht, nichts
Anderes als die Wahrheit zu beweifen, auch nur daran denken
konnte, zum Beweife eines Sabes eine folche Thatfache anzuführen,
Die Berhöhnung der einfachen Gerechtigkeit, indem er als
unfer Eigenthum in Befchlag nimmt, was wir einft verkauft haben,
bloß darum, weil es unfer war, ehe wir es verkauften, wird nur
durch die Berhöhnung des gefunden Menfhenverftandes
übertroffen, indem er einen Verſuch macht, fein Gebahren zu vecht-
fertigen,
„Der nächte Beweis des Präfiventen ift, daß „pie Republif
Teras diefen Fluß (den Riv Grande) ftets als ihre Weftgrenze
beanfpruct habe” Dies ift eine Unmwahrheit, Texas hat
den Fluß als Grenze beanfprucht, aber nicht immer, Es ift we-
nigftens eine, und zwar bedeutende Ausnahme vorhanden. Geine
Staats-Conftitution—die feierliche, reiflich erwogene Alte des Vol—
fes, die ohne Anftand fein letzter Wille und Teftament, wodurch alle
früheren aufgehoben wurden, genannt werden darf— macht feinen
folhen Anſpruch. Doc, felbft zugegeben, Texas hätte den Fluß
ftet3 beanfpruchtz beanfpruchte Mexiko nicht ftets das Gegen-
theil? Somit hätten wir denn Anfpruc gegen Anfprud,
und ung verbleibt Tein Beweis, big wir ung an die Prüfung der
Anfprüche machen und ausfinden, welcher Anfpruch am beften be-
gründet ift,
„Obſchon es von der Drdnung abweicht, in der ung der Präfi-
dent feine Beweife vorführt, fohreite ich jet zur Beleuchtung jener
Klaffe feiner Angaben, die in der That weiter nichts enthält, als
daß Teras durch verfchiedene Alten feiner Convention und feines
Eongreffes den Rio Örande auf dem Papier als feine
Grenze beanfpruchte. Sch verftehe hiermit das, was feiner Be-
hauptung nad in der alten Conftitution von Teras (nicht der
Staats-Conftitution) über die Beftimmung des Rio Grande zur
Grenze, über die Bildung von Congref-Diftriften, Counties ꝛc.
gefagt ift. Alles dies ift indeffen nichts als ein nadter Anfpruch,
und was ich bereits über Anfprüche im Allgemeinen gefagt habe,
ift genau auf diefen anwendbar, Wenn ich mit bloßen Worten
Ihr Land beanfpruche, jo wird eg ficherlich Dadurch nicht mein
412 Das Leben Abraham Lincolns.
Eigenthum; beanfpruche ich es durch eine Urkunde, die ich felbft
ausjtellte und mit der Sie nichts zu thun hatten, fo wäre der
Anspruch feinem Wefen — oder vielmehr feiner gänzlichen Un—
wefenheit — nad) genau derſelbe.
„Sch komme jest zunächft auf die Angabe des Präfidenten, daß
Santa Ana in feinem Vertrag mit Texas den Rio Grande
als vie Weftgrenze von Teras anerkannt habe. Außer der fo oft
angeführten Ermwiederung, Daß Santa Ana, während er ein
Kriegsgefangener war, Mexiko nicht durch einen Vertrag binden
fonnte, was ich für felbftverftändlich Halte; — außer diefer Er—
wiederung wünfche ich noch Etwas über diefen fogenannten Ber-
trag mit Santa Ana zu fagen. Will ſich irgend Jemand dur)
einen Anblid dieſes Fleinen Dinges, dem der Präfident einen
fo großen Namen giebt, amüfiren, fo ſchlage er Niles’ Regifter,
Band 50, Seite 386 auf, Und follte irgend Jemand einwenden,
Niles’ Regifter fei ein curiofes Repofitorium für ein fo mächtiges
Dofument, wie ein feierlicher Bertrag zwiſchen Nationen ift, fo
kann ich hierauf entgegnen, daß ich durch Nachfragen im Staats—
Departement mit ziemlicher Beftimmtheit erfuhr, daß es der Präfi-
dent felbft nie anderswo ſah. Beiläufig gefagt, ich glaube nicht
im Irrthum zu fein, wenn ich erfläre, daß dieſes Dofument wäh-
rend der erften zehn Jahre feiner Eriftenz von feinem Menfchen
ein Bertrag genannt wurde; Daß es nie fo genannt wurde, bis
der Präfivent in feiner außerften Noth e3 fo nannte, um dadurch
etwas zur Rechtfertigung feiner felbft Hinfichtlich des merifanifchen
Krieges an die Hand zu befommen. Das Dofument hat feinen
der hervorragenden Züge eines Vertrages. Es nennt fich nicht
einmal felbft einen Vertrag. Santa Ana maßt fi darin nicht
an, Mexiko eine Berpflihtung aufzuerlegen; er handelt darin
nur als Präfivent und Oberbefehlshaber der merifanifchen Armee
und Flotte; ftipulirt, daß die: beftehenden Feindfeligfeiten auf-
hören follen und daß er nicht felbft die Waffen ergreifen, noch
das merifanifche Volk beeinfluffen wolle, die Waffen zu er-
greifen, nämlich gegen Texas, während des beftehenvden Unab—
hängigfeitskrieges. Er erfannte die Unabhängigkeit von Teras
nicht anz er maßte fich nicht an, dem Krieg ein Ende zu fegen,
Anhang. 413
fondern deutete im Gegentheil Far an, daß er die Fortdauer def-
felben erwarte. Er fagte fein Wort über die Grenze und dachte
höchſt wahrfcheinlich nie daran, Es wurde in dem Dokumente
ftipulirt, daß die merifanifchen Truppen das Gebiet von Teras
räumen und auf die andere Seite des Rio Grande
hinübergehen follten. In einem andern Artifel wurde
ftipulirt, daß, um Collifionen zwifchen den Armeen vorzubeugen,
die teranifche Armee nicht näher als fünf Meilen heranfommen
folle; wohin wird nicht gefagt, es geht jedoch aus dem Zuſam—
menhang hervor, daß fie nicht näher als fünf Meilen zum Rio
Grande herankommen folle. Wenn dies nun ein Vertrag ift, der
den Rio Grande als die Grenze von Teras anerkennt, fo enthält
er die curiofe Stipulation, daß ſich Texas fünf Meilen von fei-
ner eigenen Grenze entfernt halten-folle,
„Zunächſt bemweift der Präfivent, daß Teras vor der Annera-
tion und die Bereinigten Staaten nach derfelben Jurisdiktion
jenfeit des Nueces und zwifchen den beiden Flüffen ausge-
übt hätten. Diefe wirklihde Ausübung der Juriediktion ift
gerade die Art von Beweis, die wir wünſchen. Gie tft vortreif-
lich, fo weit fie reicht; allein reicht jie weit genug? Er fagt uns,
fie habe bis jenfeit des Nueces gereicht; allein er fagt ung
nicht, daß fie bis zum Rio Grande reichte, Er fagt ung, die Ju—
risdiktion fei zwifchen den beiden Flüſſen ausgeübt worden;
allein er fagt uns nicht, ob diefelbe über das ganze Gebiet zwi-
fchen denfelben ausgeübt worden fei. Einige fimple Leute halten
es für möglich, daß man einen Fluß kreuzen und vom jenfeitigen
Ufer eine Strede weiter gehen könne, ohne den ganzen Weg bis
zum nächften Strome zurüdzulegen; daß Jurisdiktion zwiſchen
zwei Slüffen ausgeübt werden könne, ohne daß diefelbe fich über
das ganze Gebiet zwifchen denfelben erftrede. ch kenne einen
Mann, — er fieht mir fehr ähnlich, — der über ein Stüd Land
zwifchen dem Wabafh und dem Miffiffippi Jurisdiktion ausübt;
diefelbe erftreckt fich jedoch Feineswegs über das ganze Gebiet
zwifchen den beiden Flüffen, fondern über nicht mehr und nicht
weniger ala 152 Fuß Länge und 50 Fuß Breite, und fein Theil
davon liegt dem einen oder dem andern Fluſſe viel näher als ein»
414 Das Leben Abraham Lincolns.
hundert Meilen. Er hat einen Nachbar zwifchen fih und dem
Miſſiſſippi — das heißt, quer über der Straße an der Weftfeite —
den er, wie ich verfichert bin, weder überreden noch zwingen
könnte, feine Behaufung aufzugeben; dennoch aber könnte er letz—
tere mit leichter Mühe anneriren, wenn er fich auf feine eigene
Seite der Straße ftellte und fie beanfpruchte, oder fich hinſetzte
und eine Urfunde darüber fchriebe,
„Doch weiter, der Präfivent fagt ung, der Congreß der Ber-
einigten Staaten habe bei der Aufnahme des Staates Teras in
die Union die Sache fo verftanden, daß jener Staat fich bis
jenfeit des Nueces erftrede. Mag fein — ich felbit verfiehe es jo —
allein wie weit jenfeits? Daß der Congreß die Sade nicht
fo verftand, daß er fich bis zum Rio Grande erftredfe, geht Deutlich
daraus hervor, Daß bei- den gemeinfamen Beſchlüſſen über die
Bulafjung des Staates alle Fragen hinfichtlich der Grenzen einer
fünftigen Abfindung überlaffen wurben. Texas aber hat bewie—
fen, daß e8 hierüber dafjelbe Verſtändniß hatte, wie der Kongreß,
indem es feine neue Conftitution jenen Befchlüffen anpaßte,
„Ich babe jest ſämmtliche Beweiſe des Präfiventen durchge—
gangen, Es ift nun ein fonderbarer Umftand, dag—follte irgend
Jemand erklären, der Präfivent habe eine Armee mitten in eine
Anfievlung merifanifcher Bürger gefandt, die ſich nie durch Ein-
willigung oder gezwungen der Autorität des Staates Teras oder
der Dereinigten Staaten unterworfen haben, und daß dort und
dadurch das erfte Blut in diefem Kriege vergoffen worden ſei—
fein Wort im ganzen Argumente des Präfidenten zu finden ift,
wodurch eine foldhe Erklärung zugegeben over geleugnet werden
fönnte, In diefer merkwürdigen Auslafjung eben befteht der
Trug der Beweiſe des Präfidenten — eine Auslaffung, die, wie
mir fcheint, nur abfichtlich fattgefunden haben fann, Mein Be-
ruf bringt mich häufig in die Nähe der Gerechtigfeitstribunale,
und in diefen bemerkte ich dann und wann, wie ein gefchidter Ad—
vofat in einem verzweifelten Falle den Hals feines Clienten zu
retten fuchte, indem er alle möglichen Kniffe anwendete und mit
taufenderlei Phrafen und Wendungen um einen vom Ankläger
aufgedrängten Punkt herumging, den er nicht zugeben durfte
Anhang. | 415
und ebenfo wenig leugnen fonnte. Es mag fein, daß die Par—
teineigung mir die Sache in dieſem Lichte erfcheinen läßt; den—
noch und troß alledem aber fcheint es mir, Daß ganz derart und
ganz aus derartiger Nothwendigfeit der Präfivent fich in dieſem
Valle rümmt und windet.
„Einige Zeit, nachdem mein College, Herr Richardfon, Die bereits
erwähnten Befchlüffe eingebracht hatte, Iegte ich eine Präambel,
einen Beſchluß und einige Fragen vor, mit ver Abficht, den Präfi-
denten wo möglich auf diefen bis jebt noch unbetretenen Grund
beraugzufordern. Um die Relevanz derfelben zu zeigen, will ich
bier in Kürze mein Berftändniß der wahren Norm zur Beftim-
mung ber Grenzen zwifchen Teras und Meriko angeben. Es ift
dies: Das ganze Gebiet, über das Teras Jurisdiction augübt,
ift fein; das ganze Gebiet, über welches Merifo Jurisdiction aus-
übt, gehört dieſem: was nun aber die faktifche Ausübung der Ju—
risdiction des einen von der des andern Theiles trennt, das ift die
wahre Grenze zwifchen beiden, Wenn nun, was nicht unwahr-
fcheinlich ift, Teras an dem meitlichen Ufer des Nueces entlang
Jurisdiction ausübte, und Mexiko an dem öftlichen Ufer des Rio
Grande entlang, dann bildete feiner der beiden Flüffe die Orenze,
fondern das unbewohnte Land, welches zwifchen beiden liegt, bildete
diefelbe. Die Ausdehnung unferes Gebietes in jener Region bing
von feiner vertragsmäßigen Grenze ab (denn es hatte fein
Bertrag ftattgefunden), fondern von der Revolution, Ein jedes
Bolf, wo es nur fein mag, hat das Recht, fo es anders den Willen
und die Macht hat, fich zu erheben, das och der beftehenden Re—
gierung abzumwerfen und fich eine neue Regierung zu bilden, die ihm
beffer convenirt. *) Dies ift ein werthvolles, ein heiliges Recht —
ein Recht, welches, wie wir hoffen und glauben, dereinft die Welt
befreien wird. Auch befchränft fich daſſelbe nicht auf Fälle, in de—
*) Diefer Sat wurde häufig yon den (fühlichen und nördlichen) Gegnern Herrn
Lincoln's während feiner Adminiftration angewandt, gleichlam um ihn mit feinen
eigenen Waffen zu bekämpfen. Wohlmweislich aber unterließen diefelben, auch bie
nachfolgende Stelle anzuführen, wo yon den Rechten einer Majorität der Mi»
norität gegenüber die Rede iſt.
Anmerkung des Ueberſetzers.
416 Das Leben Abraham Lincolns.
nen das ganze Volf einer beftehenden Regierung es zur Ausfüh-
rung bringen will, Irgend ein Theil eines folchen Volkes darf
Revolution machen, wenn es fann, und fich den Theil feines Ge—
bietes zu eigen machen, den es bewohnt, Sa, noch mehr, eine
Majvrität eines folhen Theiles eines Volkes darf revolutioniren
und die Minorität, die bei oder nahe ihr wohnt, zum Gehorfam
zwingen, wenn fich diefelbe ihren Bewegungen widerſetzt. Gerade
eine ſolche Minorität bildeten die Tories unferer eigenen Revolu—
tion. Es liegt in dem Wefen der Revolutionen, nicht nach alten
Vorſchriften oder nach alten Geſetzen zu gehen, fondern beide über
Bord zu werfen und neue zu machen, Was num das fragliche Land
anbetrifft, fo kauften wir es im Jahr 1803 von Frankreich, wie der
Präfident fagte, und verkauften es im Jahr 1819 an Spanien,
Später revolutionirte das ganze Meriko, Teras eingefchloffen, gegen
Spanien, und noch, fpäter revolutionirte Teras gegen Mexiko. So
weit Teras nun die Revolution vorfchob und fich den faktiſchen
willigen oder unwilligen Gehorfam des Volkes verfchaffte, fo weit
und nicht weiter gehörte meiner Anficht nach das Land diefem
Staate.
„Jetzt aber, um den beſten Beweis zu erhalten, daß Texas wirk—
lich die Revolution bis an den Ort vorgefchoben hat, wo die Feind-
feligfeiten des gegenwärtigen Krieges begannen, laßt den Präfi-
denten die obenerwähnten von mir vorgefchlagenen Fragen oder
andere ähnliche beantworten. Laßt ihn vollftändig, offen und aufs
richtig antworten, Laßt ihn mit Thatfachen und nicht mit Argus
menten antworten, Laßt ihn eingedenk fein, daß er fist, wo Wafh-
ington faß, und deffen eingedenf laßt ihn antworten, wie Wafhington
antworten würde, Eine Nation follte nicht, und der Allmäch—
tige will nicht mit Ausflüchten abgefpeift werden; deshalb laßt ihn
ohne Ausflüchte und Umgebungen antworten. Und wenn er in
feiner Antwort beweifen kann, daß der Boden unfer war, wo Das
erfte Blut floß —daß es nicht innerhalb eines bemohntes Landes
war, oder wenn fo, daß die Einwohner fich der Eivil-Autorität von
Texas oder der Vereinigten Staaten unterworfen hatten—und daß
bafjelbe von der Lage des Fort Brown gilt— dann werde ich feine
Rechtfertigung unterſtützen. Mit größtem Vergnügen werde ich in
Anhang. 417
biefem Fall die Stimme, die ich neulich gab, ändern. Ein egoiftifches
Motiv läßt mich wünfchen, daß der Präfivent Dies thue; ich habe
in Bezug auf diefen Krieg noch einige Stimmen abzugeben, über
deren Statthaftigfeit ich Zweifel hege, wenn er fich weigert, bei
denen aber jeder Zweifel hinwegfällt, wenn er es thut, Wenn er
dieg aber niht thun fann, oder nit thun will— wenn
er fih unter irgend einem Borwand, oder auch gar feinem Vorwand
weigert und es unterläßt — dann werde ich vollfommen von dem
überzeugt fein, was ich jetzt fchon mehr ala vermuthe, daß er fich
nämlich feines Unrechtes tief bewußt iſt; daß er fühlt, wie das
Blut diefes Krieges gleich dem Blute Abel’3 gegen ihn zum Himmel
fhreit; daß er abfichtlich, um einen Krieg herbeizuführen, General
Zaylor mitten in eine friedliche merifanifche Anfievlung beorderte;
Daß er urfprünglich ein ftarfes Motiv hatte, die beiden Länder in
einen Krieg zu verwideln, und daß er dem Tadel zu entgehen hoffte,
indem er den Blid des Volkes auf den blendenden Glanz des krie—
gerifchen Ruhmes richtete—auf jenen reizenden Regenbogen, der in
Strömen Blutes aufgeht—auf jenes Schlangenauge, das da be—
zaubert, um zu vernichten— dag er fich in den Krieg ftürzte und
tiefer und tiefer tauchte, bis er jet, in feinen Hoffnungen auf
einen leichten Sieg über Mexiko getäufcht, felbft nicht mehr weiß
wo er ift. Wie doch der ganze Kriegstheil feiner legten Jahres-
botfchaft dem halbwahnſinnigen Gemurmel eines Fieberfranfen fo
ähnlich it! An einer Stelle fagt er uns, daß wir in Mexiko Nichts
gewinnen fünnen als vielleicht Gebiet; an einer andern zeigt er
ung, daß wir den Krieg erhalten können, wenn wir den Merifanern
Eontributionen auferlegen. An einer Stelle nennt er ung die Ehre
der Nation, die Fünftige Sicherheit, die Verhütung auswärtiger
Einmifhung und fogar das Wohl Meriko’s felbft als die Zwede
des Krieges; an einer andern fagt er ung: „Das Ausfchlagen einer
Entſchädigung, indem wir uns weigern, eine Gebietsabtretung an—
zunehmen, hieße alle unfere gerechten Forderungen aufgeben und
den Krieg auf unfere eigenen Koften ohne beflimmten Plan
und Zwed führen!" So alfo, die Nationalehre, die Fünftige
Sicherheit und alle andern Dinge, mit Ausnahme der Gebiete-
Arquifition, gehören zu den unbeſtimmten Zweden und
27
418 Das Leben Abraham Lincolns.
Plänen des Krieges! Nachdem nun aber feftgeftellt if, daß die
Gebietö-Arquifition der einzige Zwed und Plan ift, werden wir
durch Legislation hier angetrieben, Alles zu ergreifen, womit er fich
vor wenigen Monaten noch begnügen wollte und obendrein noch)
die ganze Provinz Unter-Galifornien, und überdies den Krieg fort-
zufeßens;—wir werben genöthigt, Alles zu nehmen, wofür wir
fechten, und den Kampf fortzufeben. Der Präſident ift ent-
fchloffen, unter allen Umftänden für die Unfoften des Krieges Ent-
fhädigung an Gebiet zu haben; allein er vergißt, ung zu fagen,
wie wir den Ueberſchuß der Unkoften herausfchlagen follen, nach—
dem diefelben den Werth des ganzen merikanifchen Gebietes über-
fliegen haben werden, Er befteht darauf, dag die National-Eriftenz
der Republif Mexiko aufrecht erhalten werden folle; allein er fagt
uns nicht, wie dies gefchehen fol, wenn wir ihr ganzes Ge—
biet genommen haben, Damit die Frage, die ich hier berührte,
nicht als eine rein jpefulative betrachtet werde, fei es mir vergönnt,
noch einen Augenblick länger bei derfelben zu verweilen und zu be—
weifen, Daß dies nicht der Fall ift,
„Der Krieg hat nun bereits über zwanzig Monate gedauert,
Für die Koften vefjelben, ſowie für eine unbedeutende alte Schuld
verlangt der Präfident jebt die eine Hälfte des merifanifchen Ge-
bietes, und zwar bei Weitem die beffere Hälfte, infofern wir im
Stande find, Nuten daraus zu ziehen, Sie ift verhältnigmäßig
unbewohnt, fo daß wir Ländereien verkaufen und auf diefe Art Geld
erzielen könnten, Die andere Hälfte aber ift im Verhältniß zu der
Natur des Landes ziemlich Dicht bewohnt, und alle werthvollen Län—
dereien find bereits das Eigenthum von Privatperfonen, Wie denn
können wir aus dieſer Hälfte des merifanifchen Gebietes mit folchen
Hinderniffen Nuben ziehen, oder wie follen wir dieſe Hinderniffe
aus dem Wege räumen? Es wird wohl Niemand fagen, daß wir
die Leute tödten, oder vertreiben, oder Sklaven aus ihnen machen,
oder ihr Eigenthum confiseiren follen. Welchen Nuten daher
können wir aus diefem Theile des Gebietes ziehen? Wenn die
Unfoften des Krieges ſchon jetzt dem Werth des beffern Theils
des Landes gleichfommen, fo ift die Frage, wie lange die Fortfeßung
des Krieges dem Werthe der minder yortheilhaften Hälfte gleich-
Anhang. 49
kommen wird, keineswegs eine fpefulative, fondern eine praf-
tifche Frage, die fih ung mehr und mehr aufdrängt. Der Präfl-
dent freilich fcheint diefelbe nie bedacht zu haben. !
„Meber die Art und Weife, den Krieg zu beendigen und den Frie-
den herbeizuführen ift der Präfivdent nicht minder unklar und ver-
worren, Erfteng, fagt er ung, foll es durch eine Fräftigere Betreibung
des Krieges im Herzen des feindlichen Landes gefchehen, und nach—
dem er fich über diefen Punkt müde geſchwatzt, ffimmt er einen halb
verzweifelten Ton an und fagt: „Bei einem Volke, das durch feind-
felige Factionen unter fich felbft zerfpalten und uneinig ift, und bei
einer Regierung, die fo häufigen Wechfeln unterliegt mögen
wir felbft mit entfhiedenem Waffenerfolge nit
im Stande fein, einen fihbern und dauerhaften
Grieden zu erlangen.” Dann fucht er das merifanifche Volk
zu beſchwatzen, feine eigenen Führer im Stich zu laffen, ſich unſerem
Schuße anzuyertrauen und eine neue Regierung zu errichten, von
der wir einen vortheilhaften Frieden erhalten könnten, und fagt
ung: „Dies mag am Ende die einzige Art und Weiſe
fein, einen foldben Frieden zu erhalten.“ Bald
aber zweifelt er auch hieran und fällt dann auf den halbaufge-
gebenen Grund einer „Fräftigen Betreibung des Krieges’ zurüd,
Alles Diefes zeigt, daß der Präfident ganz und gar nicht mit feinen
eigenen Pofitionen zufrieden iſt. Erftens hält er ung eine derfelben
sor, und indem er uns in diefelbe hinein zu argumentiren fucht,
argumentirt er fich felbit Heraus; dann ergreift er eine andere
und macht vdenfelben Prozeß mit ihr durch; verworren und ver—
zweifelt endlich, da er an nichts Neues denken kann, faßt er die
alte Idee wieder auf, Die er bereits verworfen hatte, Leber Ver—
mögen angeftrengt läuft fein Geift hin und her, gleich einer gemar-
terten Creatur auf brennendem Grunde, und findet feinen Drt, mo
er fich niederlaffen und ruhen fann,
„Es ift auffallend, daß der Präfivent an feiner Stelle feiner Bot-
fhaft andeutet, wann er das Ende des Krieges erwartet, Zu An-
fang deſſelben fiel General Scott bei demfelben Präfiventen in Un—
gunft oder gar Ungnade, weil er feine Anficht dahin Außerte, daß
fich der Friede ſchwerlich vor drei bis vier Monaten erfämpfen ließe,
420 Das Leben Abraham Lincolns.
Sept aber, nach Verlauf von zwanzig Monaten, nachdem wir die
glänzendften Siege errungen, nachdem jedes Departement zu Waſſer
und zu Land, Offiziere und Gemeine, Reguläre und VBoluntäre,
Alles gethan hatten, was Menfchen zu thun vermögen, und über-
dies noch Hundert Dinge, die man bisher für unmöglich hielt —nach
alledem giebt uns diefer felbige Präfivent eine lange Botfchaft, ohne
darin anzudeuten, daß er auch nur die entferntefte Idee über das
Ende des Krieges habe. Wie ich zuvor bemerkte, er weiß nicht wo
er iſt. Er ift ein vermorrener, mit fchredlicher Blindheit gefchla-
gener Mann. Gebe Gott, daß er im Stande fein möge zu be—
mweifen, daß er nichts Schlimmeres auf dem Gewiſſen habe als diefe
geiftige Verwirrung !"
Nede über innere Verbefjerungen.
(Gehalte vor einer Committee des ganzen Haufes am 20. Juni 1848.)
Herr Lincoln fagte :
„Herr Vorſitzer:—Es ift jederzeit mein Streben, das Haus
oder die Committee auf Teinerlei. Weife zu täuſchen; desgleichen
fuche ich ftets Alles zu vermeiden, was den einzelnen Mitgliedern
unangenehm fein könnte. ch erkläre deshalb im Voraus, daß ich
mich erhebe, um eine Rede über den allgemeinen Gegenftand inne—
rer Verbefferungen zu halten; follte dies nun außer der Ordnung
fein, fo möge der Vorſitzer entfcheiden, worauf ich Dann meinen Sitz
wieder einnehmen werde,‘
Der Borfiger. —, Ich weiß nicht, was der Herr über den Gegen-
ftand zu fagen hat. Er möge daher mit feinen Bemerkungen fort-
fahren; follte irgend eine Frage über die Ordnung erhoben werben,
fo behalte ich mir Die Entfcheidung vor.“
Herr Lincoln, —,,Kurz nad dem Beginn diefer Sigung fandte
uns der Präfivent eine Beto-Botfhaft in Bezug auf innere Ver-
befjerungen. Die demofratifhe Convention, die vor Kurzem in
Baltimore tagte und General Caß für die Präfidentfchaft nomi-
nirte, adoptirte eine Reihe von Befchlüffen, die demofratifche Platt-
form genannt, yon denen einer folgendermaßen lautet:
Anhang. 421
„Beſchloſſen, daß dieſe Convention der Generalregierung die
Befugniß nicht zugeſteht, ein allgemeines Syſtem innerer Ver—
beſſerungen anzufangen und durchzuführen.“
„General Caß bedient ſich in ſeinem Annahmebrief folgender
Worte: af
„Ich habe die Befchlüffe der demofratifchen National-Conven-
tion, worin die Plattform unfereg politifchen Glaubens ausge-
fprochen ift, forgfältig erwogen. ch billige diefelben von Herzen
und werde fie ftandhaft vertreten.”
„Diefe Dinge beweifen in ihrem Zufammenhang, daß die Frage
über innere Verbefferungen jetzt deutlicher und intenfiver geworden
ift als fie je zuvor war. Sie fann nicht länger ignorirt werden.
Die Veto-Botfchaft und die Baltimore Befchlüffe belaufen fich mei-
nes Dafürhaltens im Wefentlichen auf ein und dafjelbe Ding;
leßtere bilden die allgemeine Angabe, während erftere eine Ermei-
terung derfelben—ein Detailregifter (bill of particulars) verfelben
iſt. Wohl weiß ich, daß es hier und anderwärts viele Demokraten
giebt, die jene Botfchaft mißbilligen; Alle indeffen, die für General
Caß flimmen werden, müffen in Zukunft betrachtet werden, als
hätten fie diefelbe gebilligt und alle ihre Doktrinen indoffirt. Sch
vermuthe, daß die meiften, wenn nicht alle Demokraten für ihn
ftimmen werden. Viele von ihnen werden es thun, nicht weil ihnen
feine Haltung in diefer Frage gefällt, fondern weil fie ihn, obſchon
er in diefem Punkte Unrecht hat, einem Andern vorziehen, der ihrer
Anfiht nach in andern Punkten noch weit mehr Unrecht haben
würde. Auf diefe Weife werden die Demokraten, Die zu Gunften
innerer Verbefferungen find, durch eine gleichfam erzwungene Ein-
willigung in das Lager der Gegner diefer Politit getrieben und
machen ihrer eigenen Ueberzeugung zuwider Oppofition gegen die—
felbe. Sollte General Caß erwählt werden, fo wird er fich wohl
fchwerlich die Mühe geben, ein conftitutionelles oder irgend ein an—
deres Argument anzuführen, wenn es ihm convenirt, eine Fluß—
oder Hafenbill mit feinem Veto zu belegen. Er wird fich damit be—
gnügen, jedes Gemurmel von demokratifcher Seite dadurch zum
Schweigen zu bringen, daß er auf Herren Polk's Botſchaft und die
„demokratiſche Plattform“ verweift, Unter ſolchen Umftänden nä—
492 Das Leben Abraham Lincolns.
hert fich Die Frage über innere Berbefferungen allmälig der Krifis,
und die Freunde dieſer Politif müffen daher jest männlich kämpfen
oder Alles aufgeben. Angefichts diefer Sachlage wünfche ich mit
meinen befcheidenen Kräften die allgemeinen Poſitionen diefer Veto—
Botfchaft zu beleuchten und zu befämpfen. Wenn ir von allge-
meinen Pofitionen rede, fo will ich damit fo viel augjchließen,
als fih auf den gegenwärtigen verworrenen Zuftand des Schab-
amtes in Folge des merifanifchen Krieges bezieht.
„Jene allgemeinen Pofitionen find: Daß innere Berbefferungen
nicht von der Generalregierung vorgenommen werden follten,
„I. Weil fie das Schatzamt ruiniren würden.
„2. Beil die Vortheile dverfelben Iofal und partiell
wären, während die Bürden allgemein fein würden, wo—
durch eine unheilvolle Ungleichheit entjtünde.
„3. Weil fie unconftitutionell fein würden.
„4. Weil die Staaten durch Auferlegung und Eintreibung der
„Zonnenzölle” (tonnage duties) hinreichende Mittel zu dieſem
Zwecke erhielten; oder wenn nicht,
„5. Weil dann die Conftitution amendirt werden Fünnte.
„Thue gar Nichts, damit du nichts Unrechtes
thueft,” Dies ift die Summa diefer Pofitionen—dies ift die
Summa diefer Botfchaftz und dies, mit Ausnahme deſſen mas
über die Conftitutionalität der Maßregel gefagt ift, bezieht jich
ebenfowohl auf die Ausführung der innern Verbefferung, auf die
Autorität der Staatenregierungen, wie auf die National-Autorität
hin. Somit müffen wir denn die Verbefferungen des Landes, fei
es auf welche Autorität hin es wolle, entweder ganz und gar unter-
laffen, oder wir müfjen die Doktrinen diefer Botfchaft allen Ernftes
befämpfen und diefelben repudiiren. Verſuchen wir dag Letztere.
„Die erfte Pofition lautet, daß ein Syſtem innerer Berbefferungen
das Schatamt ruiniren würde.
„Daß einem ſolchen Syftem eine Tendenz zu ungebührender
Ausdehnung innewohnt, ift nicht zu leugnen. Eine folche Tendenz
ift in der Natur der Sache begründet. Ein Congreßmitglied wird
feine Stimme lieber für eine Gelvverwilligung für feinen Diftrikt
abgeben, als für eine Appropriation zu Gunften eines andern Di-
Anhang. 428
ſtrikts; und wenn eine Bill ausgedehnt wird, bis jeder Diſtrikt
verſorgt iſt, ſo nimmt die Ausdehnung gewiß einen allzu großen
Umfang an, Iſt dies aber im Congreß mehr als in einer Staats-
legislatur der Fall? Wenn ein Eongreßmitglied eine Appropria=
tion für feinen Diftrikt haben muß, fo muß ein Legislaturmitglied
eine für fein County haben; und wenn die eine die Nationalfchas-
fammer ruinirt, fo ruinirt die andere die Staatsfchagfammer. Ge-
ben wir wohin wir wollen, die Schtwierigfeit bleibt diefelbe, Laffen
wir ung durch Diefelbe aus den Hallen des Congreſſes vertreiben, fo
vertreibt fie ung ebenso leicht aus den Hallen der Staatslegislatur.
Kämpfen wir jedoch mit diefer Schwierigkeit und erproben wir ihre
Stärke, Laßt ung, von der Vergangenheit auf die Zukunft fchlie-
Bend, ermitteln, ob dem Congreß nicht hinlängliche Macht zufteht,
diefe Tendenz zur Ausdehnung in die geeigneten und gerechten
Schranfen zu verweifen. Der Präfivent felbit legt großes Gewicht
auf die Beweiſe der Vergangenheit, Er fagt ung, daß zu einer ge-
wiffen Periode unferer Gefchichte mehr als zweihundert Millionen
Dollars gefordert worden wären, um damit innere Verbefferun-
gen vorzunehmen; und er thut Dies um zu beweifen, daß das Schab-
amt durch ein ſolches Syftem ruinirt werden würde. Warum aber
fagte er ung nicht, wie viel verwilligt wurde? Wäre das nicht
ein befjerer Beweis geweſen? Laßt uns denn fehen, was es be—
weißt, Der Präfident fagt in feiner Botſchaft: „Während der fol-
genden vier Fahre, unter der Aodminiftration des Präfidenten
Adams, wurde die Macht, nicht nur Geld zu vermilligen, fondern
auch daffelbe unter der Direktion und Autorität der Generalregie-
rung zum Straßenbau und zur Berbefferung der Häfen und Flüffe
anzuwenden, vollftändig beanfprucht und ausgeübt.“
„Sp, dies denn war Die Periode der größten Enormität! Dies
waren denn wohl Die Tage jener zweihundert Millionen, Und mie
viel, glauben Sie, wurde während jener vier Jahre wirklich für in-
nere Berbefferungen ausgegeben? Zweihundert Millionen? Ein-
Hundert? Fünfzig? Zehn? Fünf Millionen? Nicht Doch, es
waren weniger als zwei Millionen. Wie aus den authentifchen
Dokumenten erhellt, beliefen fich die Ausgaben für innere Ver—
befferungen während der Jahre 1825, 1826, 1827 und 1828 auf
424 Das Leben Abraham Lincolns.
$1,879,627.01. Sene vier Fahre begriffen faft die ganze Admini-
ftration des Präfiventen Adams in fih. Aus diefer Thatſache er-
giebt ich nun, daß wenn die Macht, öffentliche Verbefferungen vor—
zunehmen, „vollftändig beanfprucht und ausgeübt” wurde, der Con—
greß in der That fich in den geeigneten Schranfen hielt. Und was
gefchehen ift, das kann wieder gefchehen, wie mich dünkt.
„Betrachten wir nun die zweite Pofition der Botfchaft, nämlich,
daß die Bürden der innern Berbefferungen allgemein, die
Bortheile derfelben aber nur Lokal und partiell fein würden,
wodurch eine unheilvolle Gleichheit entftünde, Daß diefer Pofi-
tion einige Wahrheit zu Grunde Tiegt, will ich nicht in Abrede
ftellen. Kein commerzieller Gegenftand der Negierungs-Patro-
nage fann fo ausfchlieglih allgemein fein, Daß er nicht von
gewiſſem Iofalen Rechte wäre, Die Marine wurde gegründet
und wird mit großen alljährlichen Ausgaben unterhalten, theils
um fich für den Krieg bereit zu halten, follte ein Krieg fommen,
theils aber aud, und wohl hauptfächlich, zum Hip unferes
Handels zur See.
Diefer lebte Zweck ift, foweit ich e8 einzufehen vermag, dem
Prinzipe nach derfelbe wie der der inneren Berbefferungen. Das
Unſchädlichmachen eines Piraten auf offener See und das Aus—
rotten eines hervorftehenden Baumſtammes (snag) im Miffiffippi
fünnen dem Prinzipe nah wohl faum unterfchieden werden.
Beides gefchieht, um Leben und Eigenthum zu retten, und zu fei-
nem andern Zwede. Die Marine ift, was den Vortheil anbe-
trifft, der allgemeinfte unter allen diefen Gegenftänden; dennoch
aber ift viefelbe von einem befondern Bortheil für Charlefton,
Baltimore, Philadelphia, New York und Boston, — einem Vor—
theil, der den innern Städten von Illinois nicht zu Gute kommt.
Der nächte allgemeine Gegenftand, der mir eben einfällt, befteht
aus den Berbefferungen am Miffiffippiftrom und feinen Neben-
flüffen. Diefelben berühren dreizehn unferer Staaten — Penn—
ſylvanien, Virginien, Kentudy, Tenneffee, Miffiffippi, Louiſiana,
Arkanſas, Miffouri, Illinois, Indiana, Ohio, Wiseonfin und
Jowa. Niemand wird nun läugnen, daß Diefe dreizehn Staaten
ein größeres Intereffe an den Verbeſſerungen an diefem großen
Anhang. 425
Strome haben, als die übrigen fiebzehn. Diefe beiden Fälle, die
Marine und der Miffiffippi, zeigen Far und deutlich, daß felbft
die allgemeinften Gegenftände irgend einen lokalen Bortheil
haben, Allein auch das Gegentheil zeigt fih hier. Nichts ift fo
lokal, daß es nicht einen allgemeinen Bortheil böte, Man
nehme zum Beifpiel den Illinois und Michigan Canal, Bon
feinen Birfungen abgefehen ift derfelbe vollfommen lokal. Jeder
Zoll davon liegt innerhalb des Staates Illinois. Diefer Canal
wurde erft letzten April dem Handel eröffnet. Nach wenigen
Tagen hörten wir Alle, daß Zuder von New Drleans durch den
Canal nah Buffalo im Staate New York gebracht worden fei.
Diefer Zuder wurde wahrfcheinlich deshalb auf diefer Route ver-
fandt, weil der Transport billiger zu ftehen fam, als auf der
alten, Angenommen nun, daß Käufer und Verkäufer fich in den
durch die Reduktion der Transportkoften erzielten Vortheil theil-
ten, fo ift dag Refultat dies, dag der Kaufmann von New Or—
leang feinen Zuder ein wenig the urer verfaufte, und daß die
Leute von Buffalo fih ihren Kaffee ein wenig billiger ver-
füßten als zuvor; ein Vortheil, der aus dem Canal entfpringt,
allein nicht für Illinois, wo der Canal ift, fondern für Lonifiana
und New York, wo der Canal nicht if, In andern Gefchäfts-
operationen wird Illinois natürlich auch feinen Antheil und
vielleicht felbft ven größten Antheil an den VBortheilen des Canals
haben. Diefes Beifpiel vom Zuder indeffen beweift unmwiderleg-
bar, daß die Bortheile einer Amelioration Feineswegs auf die
befondere Lokalität derfelben befchränft find.
Aus dem Gefagten läßt fich der logiſche Schluß deduciren, daß
wenn eine Nation fich weigert, Amelivrationen der allgemeinen
"Art vorzunehmen, weil diefelben von irgend einem Iofalen
Bortheil fein könnten, ein Staat fih aus demfelben Grunde wei—
gern darf, Ameliorationen lofaler Art vorzunehmen, da diefelben
gewiſſe allgemeine Boriheile bieten könnten. Wohl darf ein
Staat zur Nation fagen: „Wenn du Nichts für mich thun mwillft,
fo will ich auch Nichts für dich thun.“ Es ergiebt fich fomit, daß
wenn dieſes Argument der „Ungleichheit” irgendwo genügt, es
überall genügen muß und damit den inneren Berbefferungen ins—
426 Das Leben Abraham Lincolns.
gefammt ein Ende macht. Ich hoffe und glaube, daß wenn Die
Nation fowohl wie die Staaten jedes in feiner Sphäre ihr Mög—
lichſtes Hinfichtlich der Verbefferungen thun wollten, jede Un—
gleichheit an einem Orte durch irgend eine andere anderwärts
ausgeglichen, und daß die Summe des Andern nicht fo gar un—
gleich fein würde, Geſetzt aber, daß dennoch ein gemwiffer Grad
der Ungleichheit verbliebe — natürlih würde Niemand diefelbe
um ihrer felbft willen annehmen — follen wir jedes gute Ding
verfchmähen, weil e8 ungertrennbar bis zu einem gemwiffen Grade
mit derfelben verknüpft fein mag? In diefem Falle müßten wir
die ganze Regierung verfchmähen. Diefes Capitol zum Beifpiel
wurde auf öffentliche Koften und zum öffentlichen Nuben erbaut;
zweifelt nun irgend Jemand daran, daß es für Die Grundeigen-
thümer und die Gefchäftsleute von Wafhington einen befonderen
Iofalen Bortheil habe? Sollen wir es aus diefem Grunde nie-
derreißen? Und wenn fo, wo follen wir es wieder errichten und
jener Schwierigfeit quitt fein? Um diefen Zwed zu erreichen,
müßten wir es nirgend errichten und den Congreß „überall und
allenthalben” feine Situngen halten laffen. Sch wünfche Feine
befondere Anfpielung auf den gegenwärtigen Präfidenten zu
machen, wenn ich fage, daß es in diefer Welt der „Bürden für
Diele und Würden für Wenige” nicht viele ftärfere Fälle der
„Ungleichheit“ giebt, als, wie Manche denfen, die Präſidentſchaft
ſelbſt. Ein ehrlicher Arbeiter grabt Kohlen für etwa fiebzig Cents
den Tag, dieweil der Präfivdent für etwa fiebzig Dollars den Tag
Abftraktionen grabt. Kohlen find ficherlich mehr werth als
Abftraftionen, und dennoch welch’ eine monftröfe Ungleich-
heit in den Preifen! Wünfcht der Präfivent aus diefem Grunde
die Präfidentfchaft abzufhaffen? Er wünfcht es nicht, und er
follte es nicht wünfhen. Die wahre Regel, wenn es fich um
die Annahme oder Verwerfung eines Dinges handelt, ift nicht zu
fragen, ob e8 irgend ein Uebel im Gefolge habe, fondern ob
das Uebel größer ſei, als der Vortheil. Es giebt wenige Dinge,
die nichts als Hebel, und wenige, die nichts als Gutes im Gefolge
haben. Faſt Alles, namentlich aber eine NRegierungspolitif, ift
ein ungertrennliches Gemifch von Beiden, fo daß es beftändig un»
Anhang. 427
feres fcharfen Urtheils hinfichtlich der Präponderanz des Einen
oder des Andern bedarf. Nach diefem Prinzip handeln der Prä-
fivent, feine Freunde und die Welt im Allgemeinen in den meiften
Dingen, Warum follten wir es daher nicht auch auf diefe Frage
anwenden? Warum follten wir in Bezug auf Amelivrationen
das Uebel vergrößern und ung hartnädig mweigern, das Gute
derfelben zu erbliden ?
„Weber die dritte Pofition der Botfchaft (Die conftitutionelle
Frage) habe ich nicht viel zu fagen. Sch fenne meine Stellung
und weiß, daß Fein Berfuch meinerfeits, ein Original-Argument
über die Eonftitution vorzutragen, mit Gunft und Geduld ange-
hört werden würde, Die fähigften und die beften Männer haben
ſchon längft ihre Anficht über die Sache fund gethan. Sch bes
gnüge mich daher mit einer Furzen Notiz über das, was Einige
von ihnen fagten, In Bezug auf Herrn Jefferſon's Anfichten
will ich eine Stelle aus Herrn Polk's Beto-Botfchaft vorlefen :
„„Präſident Sefferfon empfahl in feiner Botfchaft an ven Con—
greß im Jahre 1806 ein Amendment zur Eonftitution, hinfichtlich
der Verwendung eines erwarteten Heberfchuffes in dem Schatzamt
für die großen Zwecke der öffentlichen Erziehung, der Landftraßen,
Flüffe, Canäle und anderer Gegenftände öffentlicher Amelioratio-
nen, die zur conftitutionellen Aufzählung der Bundesrechte für
geeignet gehalten werden mögen.” Und meiter fügt er hinzu:
„Ich halte ein Amendment zur Conftitution dur Einwilligung
der Staaten für nothwendig, weil bie hier anempfohlenen Gegen-
fände nicht unter den in der Conftitution angeführten einge-
ſchloſſen find, für welche die öffentlichen Gelder verwendet werden
dürfen.” Im Jahre 1825 wiederholte er in feinen öffentlichen
Briefen die Anficht, Daß dem Congreß Feine folche Gewalt verlie-
hen worden ſei.“
„Ich führe dies an, nicht ſowohl, um dadurch die Anfichten über
die Conftitution zu widerlegen, fondern um zu zeigen, daß hin—
fichtlich der Frage über die Zweckmäßigkeit Herrn Fefferfon’s
Anficht von der des gegenwärtigen Präfiventen abwich — und in
den Händen deffelben gleih MeFingals Flinte
„Den, der fie handhabt, plumps zu Boden ſchleudert.“
428 Das Leben Abraham Lincolns.
„Jetzt noch ein Wort über die conftitutionelle Frage. Im Jahre
1826 veröffentlichte der Kanzler Kent zuerft feinen Commentar
über das amerifanifche Geſetz. Er widmete einen Theil feiner
Abhandlungen der Frage über die Autorität des Congreffes, öffent-
liche Gelder für innere Berbefferungen zu verwilligen. Er er-
wähnt, daß diefe Frage niemals zur gerichtlichen Entfcheidung
gebracht worden fei, und giebt dann eine furze Synopfis der
Discuflionen, die zwifchen dem legislativen und dem erefutiven
Zweig der Regierung in Bezug auf diefelbe ftattgefunden hatten,
Er zeigt, daß der legislative Zweig gewöhnlich für, der erefutive
aber gegen die Machtbefugniß gemwefen fei, und zwar bis zu
Sohn Duincy Adams’ Adminiftration; um welche Zeit der Ein-
fluß der Erefutive fih von der Oppofition zurüdgezogen und der
Unterftügung der Machtbefugniß zugewendet habe, Im Jahre
1844 publicirte der Kanzler eine neue Ausgabe feines Commen—
tars und erwähnte in einigen Noten der Discuffionen, vie feit
1826 über diefe Frage ftattgefunden hatten, Die Zeit geftattet
mir nicht, den Driginaltert und die Noten hier vorzulefen; das
Ganze findet fi) Seite 267 und auf den zwei bis drei folgenden
Geiten des erften Bandes der Ausgabe von 1844. Was der
Kanzler als die Summe des Ganzen zu betrachten fcheint, ergiebt
fich aus folgender Stelle aus einer der Noten:
„„Oberrichter Story hat in feinem Kommentar über die Con—
ftitution der Vereinigten Staaten, Band II, ©. 429—440 und
©. 519—538, ausführlich die Argumente für und wider den
Vorſchlag angeführt, daß nämlich der Eongreß eine conftitutionelle
Autorität habe, Taren aufzuerlegen und den Handel zu reguliren,
um dadurd die einheimifche Manufaktur direkt zu ermuthigen und
zu beſchützen; über die beftrittene Doftrine enthielt-er fich indeffen,
feine eigene Meinung anzugeben, und überließ es dem Lefer, feine
Schlüffe zu ziehen. Nach den angeführten Argumenten zu ur-
theilen, follte ich indeffen denken, daß jeder Unparteiifche, der kei—
nen Antheil an den Discuffionen genommen und fein Borurtheil
oder lokales Intereſſe an der einen oder der andern Seite der
Trage gehabt hat, die Argumente zu Gunften der congreffionellen
Machtbefugniß bei Weiten ftichhaltiger finden müßte,“
Anhanr. 429
„Bir erfehen hieraus, daß die Machtbefugnig, Amelivrationen
vorzunehmen, nicht ausdrüdlich in dieſem Auszug ermähnt ift;
prüfen mir indeffen Kanzler Kent’s, fowie Dberrichter Story’s
Eontert, fo finden wir, daß die im Auszug erwähnte Machtbefug-
niß und die Autorität, Ameliorationen vorzunehmen, als identifch
betrachtet werden. Es ijt nicht zu leugnen, daß viele große und
gute Männer gegen die Machtbefugniß gewefen find; nicht min—
der gewiß aber ift es, daß ebenfo viele große und gute Männer
für diefelbe waren, und nach einer genauen Prüfung des Ganzen
fehen wir, daß Kanzler Kent die Argumente der Lebteren für bei
Weitem ſtichhaltiger hielt. Dies ift nur die Anfiht eines
Mannes; wer aber war diefer Mann? Er war einer der fähigften
und größten Rechtsgelehrten feines Jahrhunderts und — in der
That — aller Zeiten. Es ift feine Schande für Präfident Polf oder
für irgend einen Andern, der feine meifte Zeit der Politik widmet,
wenn man fie als Rechtsfenner dem Kanzler Kent um ein Bedeuten-
des hintenanfegt. Kent’s Haltung war höchft günftig für correfte
Schlüſſe. Er fohrieb mit Faltem Blute und in Zurüdgezogenheit.
Er war bemüht, fih ein dauerndes Monument des Ruhmes zu
errichten, und wohl wußte er, daß die Wahrheit und gründliche,
gefunde Logik die einzige fihere Grundlage dazu bildeten. Kann
die Parteianficht eines Partei-Präfiventen hinfichtlich einer reinen
Rechtsfrage, wie diefe, mit der eines Mannes, wie Kanzler Kent,
auch nur verglichen, gejchweige denn derfelben entgegengefeht
werden ?
„Diefe Conftitutiond- Frage wird mwahrfcheinlich nie beffer ent-
fchieden werden, big fie der Entfcheidung des Gerichtshofes unter-
breitet wird; meiner Anficht nach aber braucht fein Mann, der
fich über den Zwedmäßigfeitspunft klar bewußt ift, Darüber große
Sfrupel zu hegen. \
„Der Präfident fcheint zu denken, daß ſich mit Einwilligung der
General-Regierung unter der Staaten- Autorität mittelft der Ton—
nenzölle genug für innere VBerbefferungen thun laſſe. Nun, diefe
Zonnenzölle find fo übel nicht in ihrer eigenen Sphäre. Sie mö-
gen wirkfam, vielleicht felbft genügend fein, um geringe Ame-
liorationen und Reparationen in Häfen vorzunehmen, Die bereits
430 Das Leben Abrabam Lincolns,
im Gebrauch und feiner bedeutenden Verbefferung bedürftig find.
Wenn ich aber eine richtige Idee von der Sache habe, fo müffen
diefelben gänzlich ungenügend fein für Amelivrationen von allge=
meinerem Bortheil, Sch verftehe fehr wenig oder vielmehr gar
nichts von der praftifchen Betreibung der Tonnenzölle; ich ver-
muthe indeffen, daß eines der Prinzipe derfelben ift, zur Amelio-
ration eines befondern Hafens einen Zoll aufden Tonnen-
gehalt zu legen, der in jenen Hafen fommt. Ein
anderweitiges Verfahren — wie 3. B. Zölle in einem Hafen zu
eollektiren, um damit Amelivrationen in einem andern vorzu—
nehmen — würde jene Ungleichheit, die der Präfivdent fo fehr ver-
abfcheut, bedeutend erfchweren. Wenn ich hierin Recht habe, wie
können wir mittelft der Tonnenzölle ganz neue Berbefferungen
vornehmen? Wie können wir damit eine Landſtraße oder einen
Canal errichten, oder einen mit Obftruftionen angefüllten Fluß
der Schifffahrt zugänglich machen? Die Behauptung, daß dies
gefhehen könne, ift ebenfo abfurd, wie die Anficht jenes Irlän—
ders über feine neuen Stiefel, „Arrah! ich werde fie nie anfrie-
gen,” fagte Patric, „bis ich fie ein paar Tage getragen habe!’
Wir werden nie im Stande fein, mittelft der Tonnenzölle einen
Canal zu machen; derfelbe muß erft gemacht werden, damit die
Boote darin einlaufen fünnen,
„Am Ende fommt jedoch der Präfivdent zu dem Schluß, daß es
möglicherweife etliche große Gegenftände der Amelioration geben
könne, die fich nicht durch Tonnenzölle bewerkftelligen laſſen, und
bei denen es daher zwedmäßig fein möchte, daß die General-Re-
gierung die Hand zur Ausführung biete. Demzufolge proponirt
er für den Fall eines ſolchen Vorfommniffes ein Amendement zur
Sonftitution. Weshalb? Wenn er, wie Herr Jefferſon, die in-
neren Berbefferungen für zweckmäßig, nicht aber für conftitu=
tionell hielte, wäre es allerdings fehr am Platz für ihn, ein folches
Amendement vorzufchlagen. Hören wir indeffen, was er in die—
fer nämlichen Botfchaft fagt
„„Angeſichts diefer bedeutungsfchweren Folgen kann ich nicht
umbin, zu denken, daß einer folchen Legislation Einhalt gethan
Anhang. 431
werden follte, felbft wenn das Fundamentalgeſetz unferer Union
feine Schranke in den Weg ſetzte.“
„Deshalb denn will er die Eonftitution amendirt haben? Bon
ihm fommt es als ein Vorſchlag, ein Hinderniß aus dem Weg
zu räumen, bloß um auf andere zu ftoßen, die feiner Anficht
nach nicht aus dem Weg geräumt werden können — um den Eon-
greß zuermächtigen, das zu thun, was derfelbe feiner Anficht
nad nicht thun follte, felbft wenn er könnte.
(Herr Meade von Birginien erhob fich hier und frug Herrn Lin-
eoln, ob er glaube, daß der Präfivent aus Zweckmäßigkeitsgründen
allen und jeden Amelivrationen opponire ?)
Herr Lincoln erwiederte: — „Gerade in dem Theil feiner Bot-
fchaft, von welchem ich jebt rede, giebt er, wie mich dünkt, einige
vage Ausdrüde zu Gunften möglicher Oegenftände der Ameliora-
tion; allein er thut dies, wie mir fcheint, in fchroffem Widerfpruch
mit feinen eigenen Argumenten in andern Theilen der Botſchaft.
Weder der Präfident, noch irgend ein anderer Mann vermag eine
Amelivration zu fpezifiziren, auf die fich nicht der eine oder der
andere der Einwände anwenden läßt, die er aus Zwedmäßigfeits-
gründen erhoben hat. Ich habe gezeigt und könnte wiederum
zeigen, daß fein Werk, Fein Gegenftand fo allgemein fein kann,
dag die Vortheile defjelben vollfommen gleichmäßig wären. Diefe
Ungleichheit aber ift die hauptfächlichfte der „beveutungsfchweren
Folgen,” um vderenthalben er den Ameliorationen Einhalt thun
will, Wenn der Präfivent nun andeutet, daß die General-Regie-
rung zu einigen inneren Verbefferungen die Hand bieten dürfte,
fo ftögt er die Schlüffe um, zu denen er ſich Durch feine eigenen
Argumente getrieben fieht. Er fühlt, daß die BVerbefferung in
diefem großen und fhönen Lande ein mächtiges Intereffe ausma—
machen, und er ift nicht Willens, dem Volke oder fich felbft zu ge-
ftehen, daß er ein Argument erbaut habe, das, wenn der logiſche
Schluß daraus gezogen wird, Diefes Intereſſe gänzlich vernichtet,
„Ich habe bereits gefagt, daß Niemand, der von der Zwed-
mäßigfeit der Ameliorationen überzeugt fei, fich über die Con—
flitutionalität derfelben große Skrupel zu machen brauche, Sch er»
432 Das Leben Abraham Lincolns.
Taube mir jet noch einige Eurze Bemerkungen über den allgemeinen
Vorſchlag eines Amendements zur Eonftitution. Im Allgemeinen
betrachtet, glaube ich, daß wir viel befjer daran thäten, die Sache
zu laffen wie fie ift. Keine unerhebliche Beranlaffung follte ung
in Verſuchung bringen, eine Aenderung an der Eonftitution vorzu—
nehmen. Es iſt beffer, den erften Schritt zu meiden, der zu einer
Gewohnheit, an derfelben zu ändern, führen mag. Es ift beffer,
uns an den Gedanken zu gemöhnen, daß diefelbe nicht geändert
werden könne. Sie kann faum beffer gemacht werden, als fie ift.
Neue Beitimmungen würden neue Schwierigkeiten herbeiführen und
damit ein Verlangen zu ferneren Aenderungen erzeugen. Nein,
laffen wir fie, mie fie if. Keine neuen Hände haben fie noch be-
rührt. Die Männer, die das Werk ſchufen, haben ihre Arbeit voll-
bracht und find dahingegangen. Wer will verbeffern, was fie
thaten ?
„Herr Borfiger, um dieſe Botfchaft in der möglichft kurzen Zeit
nach allen Seiten hin beleuchten zu fünnen, wie auch um Deutlich-
feit und Beftimmtheit zu gewinnen, habe ich die Argumente der-
felben nach beiten Kräften analyfirt und daraus die oben angege-
benen Propofitionen dedueirt. Diefe habe ich foeben im Detail
beleuchtet. Ich nehme jest die Geduld der Committee nur noch
einige Augenblide für etliche allgemeine Bemerkungen über innere
Berbefferungen in Anſpruch. Daß der Gegenftand ein fehwieriger
tft, kann nicht geleugnet werden. Dennoch find die Schwierigfeiten
im Congreß nicht größer als in den Staatslegislaturen, in den
Counties oder in den Heinften Munieipaldiftriften, die nur irgend-
wo eriftiren, Als Beifpiele folder Schwierigkeiten nenne ich nur
County-Landftraßen, Brüden und dergleichen, Der Eine befchmert
fi darüber, daß eine Landftraße über fein Gut paffirt; der Andere
ift ungehalten, weil fie nicht über fein Gut paffirt. Der Eine ift
unzufrieden, weil die Brüde, für die er tarirt wird, von einer an-
dern Straße aus über den Fluß geht als von derjenigen, die von
feinem Haufe nach der Stadt führt; ein Anderer murrt Darüber,
daß fi das County überhaupt um diefer Landftraßen und Brüden
willen in Schulden ſtürze. Noch Andere bemühen fih nach allen
Kräften, daß die Landftraßen über ihr Gut angelegt werden und
Anhang. 433
widerfegen fich dann der Eröffnung derfelben, bis fie zuerft ihren
Schadenerfab ausbezahlt erhalten, Selbſt in den verfchiedenen
Wards und Straßen der Städte und Fleden finden wir diefelben
Schwierigfeiten. Dies find nun ganz diefelben Schwierigkeiten,
gegen welche und aus welchen der Präfivent feine Einwendungen
der „Ungleichheit,“ „Spekulation“ und „Ruin für die Schagfam-
mer” anführt. Es giebt nur eine Alternative in Bezug auf die-
felben:—fie find entweder genügend, oder fie find es nicht.
Sind fie genügend, fo find fiees außerhalb des Congreffes
fowohl wie innerhalb deffelben, und damit hat die Sache ein
Ende. Wir müffen fie als ungenügend verwerfen, oder ung hin-
legen und gar Nichts thun, fei es auf welche Autorität es wolle,
Nun denn, obſchon Schwierigkeiten vorhanden find, laßt ung die—
felben befäupfen und überwinden,
„Beichließen wir, dag das Ding gefchehen kann und gefchehen
joll, fo werden wir den Weg dazu fehon finden. Die Tendenz zu
ungebührender Ausdehnung ift unzweifelhaft die Hauptjchwierig-
keit, Wie wir Etwas thun follen, und dennoch nicht zu Biel,
das tft die Frage. Trage Jeder fein Scherflein zur Beantwortung
derfelben bei. Der verftorbene Silas Wright trug in einem Brief
an die Chicago Convention fein Scherflein bei, und das war Etwas
werth. Ich will jegt das meinige beitragen, obfchon es Nichts werth
fein mag. Auf feinen Fall wird es Jemand irreführen und fann
daher Fein Unheil ftiften. — Ich würde fein Geld borgen. ch bin
gegen ein übermwältigendes, ruinirendes Syſtem. Geſetzt nun, der
Congreß ermittle bei jeder Sitzung zuerft, wie viel Geld für das
Jahr zu Amelivrationen zu entbehren fet, und dann apportionire
er diefe Summe auf die wichtigften Gegenftände. So meit
ginge Alles leicht; num aber fommt die Frage: Welches find die
wichtigften Gegenftände? Bei diefer Frage nun tritt die Collifion
der Sntereffen hervor. Mir würde es ſchwer, einzufehen, daß Ihr
Fluß oder Ihr Hafen wichtiger fei als der meinige, und fo um—
gefehrt. Um dieſe Schwierigfeit aus dem Wege zu räumen, gebe
man uns die ftatiftifche Belehrung, die der Herr von Ohio (Herr
Binton) beim Beginn dieſer Sigung vorgefchlagen hat. Dur
jene Bellsuns gewinnen wir eine flarre, unbeugfame Bafis der
434 Das Leben Abraham Lincolns.
Thatſachen — eine Bafis, die feinerlei Laune, Caprice oder %o-
falintereffe unterworfen if. Der vorher befchränfte Betrag der
Mittel wird ung verhindern, zu viel zu thun, und die Statiftif
wird ung verhindern, Etwas am unrechten Orte zu thun.
Adoptiren und befolgen wir diefen Plan, fo find, wie mir fcheint,
die Schwierigfeiten aus dem Weg geräumt.
„Einer der Herren von Süd-Carolina (Herr Rhett) ſchmäht fehr
auf dieſe Statiftif, Befonders anftößig ift ihm die Idee, alle
Schweine und Hühner im Lande zu zählen. Sch bemerfe indeffen
nicht viel Force in diefem Einwand. Es ift wahr, wenn jedes Ding
aufgezählt würde, fo hätte ein großer Theil einer ſolchen Statiftik
nur geringen Werth für diefen Gegenftand. Solche Yandespro-
dufte, die am Drt ihrer Produktion confumirt werden, bedürfen
feiner Zandftraßen und Flüſſe, keiner Transportmittel, und ftehen
in feiner engern Beziehung zu diefem Gegenftand. Der Ueber-
Ihuß, d.h. was an einem Drte produeirt und am andern
conſumirt wird; die Capaeität eines jeden Ortes, einen größern
Ueberſchuß zu produciren; die natürlichen Transportmittel und
deren Zugänglichkeit für Ameliorationenz; Berhinderungen, Ver—
zögerungen, Berlufte an Leben und Eigenthum während des Trans—
portes, fowie die Urfachen derfelben—dies wären die werthvollſten
Delehrungen einer folchen Statiftif. Aus einer folchen ließe es
fich leicht erfehen, mo eine gegebene Summe das meifte Gute er—
zielen würde, Eine ſolche Statiftif wäre der Nation wie den
Staaten gleich zugänglich und würde fich Beiden gleich vortheilhaft
erweifen. Auf diefe Art und Durch folche Mittel möge die Nation
die größern, und die Staaten die Fleinern Amelivrationen
vornehmen und alfo vorfichtig, aber feft und ftandhaft, Hand in
Hand arbeiten; was am einen Orte ungleich ausfiel, am andern
ausgleichen; Verſchwendung meiden und Das ganze Land dem
Grade der Wohlfahrt zuführen, der feiner Gebietsausdehnung,
feinen natürlichen Hilfaquellen, fowie der Intelligenz und dem Un-
ternehmungsgeifte feiner Bewohner entfpricht.“
Anhang. 435
Nede über die Präſidentſchaft und die Politik im Allges
meinen.
(Gehalten im Repräfentantenhaus am 27. Juli 1848.)
General Taylor und die Deto-GBewalt.
„Herr Sprecher: — Unfere demofratifchen Freunde ſcheinen in
großer Sorge um ung zu fein, da fie glauben, unfer Kandidat für
tie Präfidentfchaft gefalle uns nicht. Die Meiften von ihnen
zweifeln, ob ©eneral Taylor überhaupt Prinzipien habe; Einige
jedoch entdedten ein Prinzip in ihm, behaupteten aber, es fei ein
durchaus falfches. Diefes eine Prinzip ift feine Anficht über die
Veto-Gewalt. Der Herr von Tenneffee (Herr Stanton), welcher
foeben feinen Sit eingenommen hat, fagte in der That, dag in
Bezug auf dieſe Frage ein fehr geringer, wenn überhaupt ein Un—
terfchted zwifchen dem General und all’ den Präfidenten herrfche,
und meint, es thue General Taylor’3 Anficht darüber großen
Eintrag, da fie nichts Neues enthalte. Alle Uebrigen aber, die
ich fprechen hörte, greifen Diefelbe mwüthend an. Ein neues Mit-
glied von Kentudy (Herr Clarke), von fehr bedeutenden Fähigkei—
ten, war in befonderen Nöthen darüber. Er hielt es fürgänzlich
neu und unerhört, daß ein Präfivent oder Präfidentfchafts-Kan-
didat auch nur daran denken möge, Bills zu genehmigen, deren
Conftitutionalität feinem eigenen Geifte nicht völlig Har find,
Er hält die Arche unferer Sicherheit für verloren, wenn nicht die
Präfiventen folche Bills, Die ihrem Urtheile nach von zweifel-
hafter Eonftitutionalität find, fofort und ftets mit ihrem Veto
belegen. Wie Har ſich auch der Congreß feiner Autorität, eine
Alte zu paffiren, bewußt fein mag, fo muß fie der Präfivent ver
Unficht des Herrn von Kentudy zufolge mit feinem Beto belegen,
wenn er über diefelbe Zweifel hegt. ch habe weder Zeit noch
Luft, mich mit dem Herrn über die Veto-Gewalt als eine Drigi-
nalfrage auf ein Argument einzulaſſen; fondern ich wünfche ein—
. fach zu zeigen, daß General Taylor's Anfichten und nicht die fei-
nigen mit denen der früheren Staatsmänner hinfichtlich diefer
Trage übereinftimmen,. Als die Bill über den Charter der erſten
436 Das Leben Abraham Lincolns.
Bereinigten Staaten Bank dur den Congreß paffirt wurde, hörte
man ſtarke Zweifel über die Conftitutionalität derfelben ausſpre—
chen; Herr Madifon, damals ein Mitglied des Repräfentanten-
haufes, hatte fih nebft andern Herren auf jenen Grund bin der
Bill widerfegt. General Wafhiugton als Präfivent wurde auf-
gefordert, diefelbe zu genehmigen oder zu verwerfen. Er fuchte
und erhielt über die conftitutionelle Frage die feparaten fhriftli-
chen Gutachten Sefferfon’s, Hamilton’s und Edmund Randolph’s,
welche zu jener Zeit die refp. Stellungen des Staatsfefretärs, des
Binanzfefretärs und des General-Staatsanmwaltes inne hatten.
Hamilton ſprach fih für die Machtbefugniß aus; Randolph's
und Sefferfon’s Anfichten aber lauteten gegen diefelbe, In fei-
nem vom 15. Februar 1791 datirten Briefe, in welchem er feine
Meinung entfchieven gegen die Conftitutionalität jener Bill dar-
gethan hatte, fchloß Herr Zefferfon mit dem Paragraphen, den ich
bier vorlefen will:
„„Ich muß indeffen zugeben, daß, wenn nad) reiflicher Erwä—
gung aller für und wider die Bill vorgebrachten Grande das Ur-
theil des Präfidenten nicht ziemlich klar dahin Tautet, daß diefelbe
nicht durch die Eonftitution gerechtfertigt wird; wenn das pro
und das contra vollfommen gleich in der Wagfchale feines Ur—
theilg ſchweben, die billige Achtung vor der Weisheit ver Legisla-
tive ihn natürlich zu einer Entfcheidung zu ihren Gunſten beftim-
men müßte, Hauptfächlich für foldhe Fälle, wo die Legislative
dur Irrthum, Ehrgeiz oder Intereſſe zu einem Fehltritt verleitet
wurde, hat die Eonftitution dem Präfidenten die Macht der Nega-
tive verliehen.”
„Seneral Taylor's Anficht, wie er diefelbe in feinem Alliſon
Briefe ausfpricht, Iautet folgendermaßen:
un Die Macht, die der Erefutive durch das Veto verliehen wurde,
iſt eine hohe, confervatine Macht; meiner Anficht nach follte die—
felbe aber nie angewandt werden, ausgenommen in Fällen einer
flagranten Verlegung der Conftitution oder offenbarer Uebereilung
von Seiten des Congreſſes.“
„Es ergiebt fich hieraus, daß, wenn der Präfident nach Herrn
Jefferſon's Anficht an der Conſtitutionalität einer Bill zweifelt,
Anhang a 437
er diefelbe nicht, wie der Herr von Kentudy wünfcht, mit Veto
belegen, fondern dem Congreß nachgeben und die Bill approbiren
fol. Und vergleichen wir die Anfichten Sefferfon’s und Taylor’s,
wie wir fie aus den vorgelefenen Paragraphen erfehen haben, fo
werden wir finden, daß diefelben einander fo vollkommen gleich
find, wie wir es felten bei zwei Ausfprüchen von verfchiedenem
Wortlaut finden. Nur intereffirte Splitterrichter können einen
materiellen Unterfchied zwischen beiden entveden.
„Allein die Herren auf der andern Seite ſtimmen einmüthig
darin überein, daß General Taylor fein anderes Prinzip habe,
Sie befinden fich in äußerſter Finſterniß hinfichtlich feiner Anfich-
ten über die politifchen Fragen, die gegenwärtig das allgemeine
Intereffe in Anfpruch nehmen. Herrfcht indeffen ein Zmeifel über
das, was er im Falle feiner Erwählung in Bezug auf die promi=
nente Frage thun wird? Nicht der mindefte, Es ift unmöglich,
zu willen, was er in jedem denkbaren Falle thun wird oder thun
würde, weil viele ragen bereits aufgehört haben zu eriftiren, und
andere ohne Zweifel entftehen werden, an die bis jet noch Nie—
mand gedacht hatz allein in Bezug auf die prominenten Fragen
des Münz-Courrants, des Tarifs, der innern Verbefferungen und
des Wilmot Prosifo’s ift General Taylor’s Politif mindefteng fo
ſcharf definirt, wie die des Generals Cap. Weshalb wünfchten
mehrere demofratifche Mitglieder hier von General Taylor zu
wiffen, ob im Falle feiner Erwählung ein Banferott-Gefeg paffirt
werden würde? Können uns diefelben die Anficht des Generals
Caß über diefe Frage mittheilen? (Ein Mitglied antwortete: „Er
ift Dagegen.“) Ab! und wie wilfen Sie, daß er dagegen iſt.
Weder in der Plattform, noch anderswo habe ich irgend Etwas
darüber gefehen? Wenn der Herr irgend Etwas weiß, das mir
unbefannt ift, fo möge er es zeigen. Um jedoch von diefer Ab-
fhweifung zurüdzufommen, will ich eine Stelle aus dem Alliſon—
Briefe vorlefen, worin Gen. Taylor fagt:
„Dinfichtlich des Tarifs, des Münz-Courrants, der Amelioration
unferer Straßen, Flüffe, Seen und Häfen, ſollte der Wille des
Bolfes, wie er fih durch feine Vertreter im Kongreß ausdrüdt,
yon der Exekutive refpeftirt und ausgeführt werden,
438 Das Leben Abraham Lincolns.
„Dies nun ift die ganze Angelegenheit, die fich im Wefentlichen
auf Folgendes beläuft: Das Bolf fagt zu General Taylor:
„Denn Sie erwählt werden, follen wir dann eine Nationalbank
haben?“ Er antwortet: „Ihr Wille, meine Herren, nicht der
meine,’ — „Wie aber in Bezug auf den Tarif?" ... „Wie Sie
belieben,“ — „Sollen unfere Häfen und Flüſſe ameliorirt wer-
den?” ... „Sie haben nur zu befehlen. Wünſchen Sie eine
Banf, eine Aenderung des Tarifs, oder innere Verbefferungen, fo
will ich Ihnen feine Hinderniffe in den Weg legen; wünſchen Sie
diefelben nicht, fo werde ich feinen Berfuch machen, fie Ihnen auf-
zudrängen. Senden Sie aus den verfchiedenen Diftriften Ihre
Mitglieder zum Congreß mit Anfichten, die mit Ihren eigenen
übereinftimmen, und wenn diefelben für diefe Maßregeln oder für
irgend eine einzelne derfelben find, fo werde ich mich ihnen nicht
widerſetzen; find diefelben gegen dieſe Maßregeln, fo werde ich fie
durch Feinerlei Manövers zur Annahme derfelben zu bewegen
ſuchen.“ — Nun, ift diefe Sprache ſchwer zu verftehen? Ihnen,
meine Herren Demokraten, mag dies nicht wie ein Prinzip erfchei-
nen; ficherlich aber werden Sie die Pofition deutlich genug ein—
fehen. Der Unterfchied zwifchen ihr und der Pofition Ihres
Kandidaten ift groß und augenfcheinlich, und Ihnen fteht es zu,
zu bemweifen, daß die unfrige unrecht ift, wenn Sie können; allein
Sie haben fein Recht zu behaupten, daß Sie Diefelbe gar nicht zu
fehen vermögen. Wir fehen fie, und uns erfcheint fie als ein
Prinzip, und zwar als ein Prinzip der beiten Sorte — als dag
Prinzip, dem Volke die Controlle über feine eigenen Angelegen-
heiten zu überlaffen, Mein Freund von Indiana (Herr C. B.
Smith) hat die paffende Frage geftellt: „Sind Sie gemillt, dem
Bolfe-zu vertrauen?’ Einige von Ihnen haben im Wefentlichen
geantwortet: „Wir find gemwillt, dem Volke zu vertrauen; allein
der Präfident ift ebenfo wohl ver Vertreter des Volkes, als der
Congreß.“ In einem gemwiffen Sinne und bis zu einem gemiffen
Grade ift er der Vertreter des Volkes. Er wird fo gut wie der
Congreß vom Bolfe erwählt. Allein fann er der Natur der Dinge
nach die Bedürfniffe des Volkes ebenfo gut kennen, als dreihundert
andere Männer, die von al’ den verfchiedenen Pofalitäten ver
Anhang. 439
Nation kommen? Wenn fo, wozu fol dann der Congreß über-
haupt dienen? Daß die Eonftitution dem Präfivdenten eine Nega-
tive in Bezug auf die Gefesgebung verleiht, wiffen wir Alle; daß
aber diefe Negative dergeftalt mit Plattformen und andern Din
gen verknüpft fein folle, daß er dadurch in den Stand gefest und
in der That faft gezwungen würde, die ganze Geſetzgebung felbft
in die Hände zu nehmen, das ift es, was wir bekämpfen — was
General Taylor bekämpft — und was den großen Unterfchied
zwifchen Fhnen und ung ausmacht, Auf diefe Art die Geſetzge—
bung in feine Hände zu fpielen, heißt, diefelbe geradezu aus den
Händen Derjenigen zu nehmen, die mit den Intereſſen des Volkes
auf das Innigſte vertraut find, und fie einem Manne zu geben,
der diefe Intereſſen unmöglich fo gut verfteht oder verftehen kann.
Wenn ich nicht irre, fo ift Ihre Idee die, daß, wenn ein Präfident-
ſchafts-Kandidat feine Anficht über irgend eine Frage oder viel-
mehr über alle Fragen anfündigt, und das Volk mit völliger
Kenntniß feiner Anfichten ihn erwählt, es dadurch alle dieſe An—
fichten auf das Beftimmtefte billigt. Dies Flingt zwar höchſt plau-
fibel, ift aber nichtsdeftoweniger ein höchſt verderblicher Trug.
Mittelft diefes Truges werden gegen den Willen einer Partei, und
oft der Hälfte der andern Mafregeln adoptirt oder verworfen.
Gewöhnlich wird Dabei nach folgendem Prozeß verfahren: Drei,
vier oder ein halbes Dubend Fragen find zu einer gegebenen Zeit
prominent; die Partei nominirt ihren Kandidaten, und diefer
nimmt feine Pofition in Bezug auf jede diefer Fragen ein. Hin—
fichtlich aller diefer Fragen, eine einzige ausgenommen, find feine
Pofitionen fchon bei früheren Wahlen indoffirt worden, und feine
Partei hat fich denfelben vollkommen verpflichtet; die eine Frage
aber ift neu, und ein großer Theil der Partei ift dagegen. Was
aber follen diefe Dpponenten thun? Sämmtliche Fragen hängen
an einem Faden, und fie müffen fie alle nehmen oder alle ver-
werfen. Sie fünnen nicht nehmen, was ihnen convenirt, und
das Uebrige wegwerfen. Da das, wozu fie fchon verpflichtet find,
den größten Theil ausmacht, fo drüden fie die Augen zu und ver—
fhluden das Ganze mit einer Grimaffe. Bei der nächſten Wahl
wird auf diefelbe Art abermals eine neue Frage auf's Tapet
440 Das Leben Abraham Lincolns.
gebracht. Wenn wir unfern Blid an der Reihe der vergangenen
Tragen hinlaufen laffen, fo werden wir fehen, daß alle, oder bei-
nahe alle Artikel des demofratifchen Credo der Partei anfangs
ganz auf die befehriebene Art aufoctrogirt wurden, Und gerade
jest, und gerade fo fol der Partei die Oppofition gegen innere
Berbefferungen aufoetrogirt werden, wenn General Caß erwählt
wird. Faſt die Hälfte der Demokraten bier ift zu Gunften ver
Berbefferungenz; allein diefe Demokraten werden für Caß ftimmen,
und wenn er fiegt, fo haben ihre Stimmen den Ameliorationen
das Thor verfchließen helfen. Diefes Verfahren nun halten wir
für ein Unredt. Wir ziehen einen Kandidaten vor, der, gleich
General Taylor, mit Hintanfegung feiner Privatanfichten dem
Bolke feinen eigenen Willen lafjen will; und ich follte denken, daß
wenigftens die Ameliorations-Demokraten einen folchen Kandida—
ten vorziehen müßten. Er würde ihnen nichts aufzwingen, was
fie nicht wollen; und er würde ihnen geftatten, innere Berbeffe-
rungen vorzunehmen, was ihr eigener Kandidat, wenn erwählt,
nicht thun wird,
„Herr Sprecher, ich fagte, daß General Taylor’s Pofition fo
fcharf definirt fei, als die des General Caß. Sch gebe indeſſen zu,
daß ich nicht gewiß weiß, was er in Bezug auf das Wilmot Provifo
thun würde, Sch bin ein nördlicher Mann, oder vielmehr ein weft-
licher Sreiftaatsmann, und meine Conftituenten, fowie meine per=
fünlichen Gefinnungen, find gegen die Ausdehnung der Sklaverei.
Als folcher, und mit der Auskunft, die ich mir verfchaffen Fonnte,
hoffe und glaube ich, daß General Taylor, wenn erwählt, das
Provifo nicht mit feinem Veto belegen würde; allein ich weiß es
nicht gewiß. Dennoch aber follte er meine Stimme haben, felbft
wenn ich wüßte, daß er es thun würde, Er follte meine Stimme
haben, weil meinem Urtheile nach feine Erwählung allein die Er-
wählung des General Caß vereiteln fann, und weil—follte die
Sklaverei durch ihn auf die Territorien ausgedehnt werden— Dies
durch den Sieg des General Caß ganz beftimmt gethban werben
würde, und weil außerdem im lettern Falle eine Politik in Aus—
ficht ftünde, die zu neuen Kriegen, neuen Gebietsarguifitionen und
noch weiterer Ausdehnung der Sklaverei führen müßte. Einer
Anbang. 441
von den Beiden foll Präſident werden; welcher von ihnen ift vor—
zuziehen ?
„Allein es herrfcht ebenfo viel Zweifel über Caß in Bezug auf
Amelivrationen als über Taylor in Bezug auf das Provifo, Ich
felbjt hege feinen Zweifel über Caß in Bezug auf diefe Frage;
allein ich weiß, daß die Demokraten felbft darüber nicht einig find,
Mein Ameliorationg-College (Herr Wentworth) erflärte neulich in
dieſer Halle, er fei überzeugt, daß Caß für Amelivration fei, weil
derfelbe für alle Bills geftimmt habe, für die er (Herr Wentworth)
ſelbſt ftimmte. Ganz gut, fo weit, Allein Herr Polk belegte einige
diefer namlichen Billg mit feinem Veto; die Baltimore Convention
pafjirte eine Reihe von Bejchlüffen, worin dieſe Vetos gebilligt wur—
den, und Herr Caß erflärte in feinem Annahmefchreiben, daß er
diefe Beichlüffe forgfältig erwogen habe, diefelben von ganzem Her-
zen billige und ihnen getreu bleiben werde. Mit andern Worten,
General Caß ftimmte für die Bills und glaubt, der Präfivent habe
Necht gehabt, diefelben mit Veto zu belegen; feine Freunde hier
find nun fo liebenswürdig, ihn für die eine oder die andere Seite
zu beanfpruchen, je nachdem die eine oder Die andere mit ihren eige-
nen Wünfchen und Neigungen übereinftimmen mag Mein Col-
lege giebt zu, daß fich die Plattform gegen die Eonftitutionalität
eines allgemeinen Amelivrationsfpftems erkläre, und daß General
Caß diefe Plattform indoffire; dennoch aber glaubt er, daß Caß
zu Gunften gewifjer innerer Verbefjerungen fei. Nun, und welcher
Art find diefe? Da er gegen allgemeine Gegenftände ift, fo
müffen e8 partifuläre und lokale fein, für die er if. Dies
heißt nun aber die Sache bei dem unrechten Ende anfaffen. Par-
tilularität— Verausgabung der Gelder des ganzen Bolfes für
einen Gegenftand, der nur einem Theile deſſelben zu Statten
fommt—ift der größte wirkliche Einwand gegen Amelivrationen
und wurde von General Jackſon, Herrn Polk und, wie ich glaube,
allen Andern bis auf den heutigen Tag fo betrachtet. Jetzt aber
fehe man einmal, die allgemeinften Gegenftände, die diefer Einwand
am wenigften betrifft, follen verworfen werden, während diejenigen,
die ihm am meiften ausgefegt find, angenommen werden follen,
Um jedoch auf meinen Punkt zurüdzufommen: Ich ann nicht ums
442 Das Leben Abraham Lincolne.
hin zu glauben, daß General Caß, als er feinen Annahmebrief
fehrieb, wohl mußte, dag ihn Die Verfechter beider Seiten diefer
Stage beanfpruchten, und daß er dann abfichtlich allen ferneren
Meinungsäußerungen die Thür verfhloß, um fich Die Vortheile
diefer doppelten Pofition zu fichern, Sein fpäteres zweideutiges
Gebahren zu Eleveland feheint mir dies zur Genüge darzuthun.
„Nur noch ein Wort, und dann bin ich mit diefem Theil meines
Themas zu Ende, Sie, meine Herren Demokraten und Fhr Kan
Didat, find zu Gunſten der Gründung einer Plattform im Boraus ;
Sie ftellen eine Reihe von Parteipofitionen auf und zwingen dann
das Volk auf jede mögliche Weife zur Ratififation derfelben, wie
bitter fie au Manchem fohmeden mögen, Wir und unfer Kan—
didat dagegen fuchen die Präfiventenwahl und die Legislation des
Landes getrennt zu halten, damit das Bolf wählen fann, wen es
will, und nachher Gefebe machen kann, wie es will, und zwar ohne
Hinderniffe, folhe nur ausgenommen, die nothwendig find, um Ue—
bertretungen der Conftitution oder ungebührender Voreiligfeit vor—
zubeugen, Der Unterfchied zwifchen Ihnen und ung ift fo klar wie
der Mittag. Daß wir Recht haben, Fünnen wir nicht bezweifeln,
Wir halten die wahrhaft republifanifche Pofition. Wir können
nicht Unrecht haben, wenn wir dem Bolfe die Leitung feiner eigenen
Angelegenheiten überlaffen. Wir find bereit, wir wünfchen fogar,
über diefe Frage an das Volk zu appelliren.
„Es wird mir wohl kaum möglich fein, Sie zu überzeugen, daß
wir Prinzipien haben. Es bleibt mir fomit Nichts übrig als Ihnen
zu verfichern, dag wir welche haben und ganz zufrieden mit den-
felben find. Einer der Herren von Georgia (Herr Iverſon), ein
beredter und gelehrter Mann—foweit ich zu urtheilen vermag, der
ich felbft Fein Gelehrter bin—fiel neulich wüthend über uns her,
Er ſprach in einem „fengenden und brennenden Styl,“ wie fich der
Baltimore “ American” darüber ausdrückte. Am Ende feines
zweiten fulminanten Stoßes fühlte ich mich mit Blindheit gefchla-
gen und betaftete mich mit meinen Fingern, um mich zu überzeu-
gen, ob ich wirklich noch eriftirte. Allmälig erholte ich mich wieder,
Er ſprach in hohen und prachtvollen Wendungen von Henry Clay
und erklärte dann, wir hätten alle unfere Prinzipien im Stich ge-
Anhang. 443.
laffen und Henry Clay gleich einem alten nutzloſen Klepper aus
der Partei vertrieben. Dies ift entfeglich ſtrenge. Cs läßt ſich
nicht mit Argumenten beantworten; mir wenigftens ift es nicht
möglich. Ich wünfche bloß den Herrn zu fragen, ob die Whigs die
einzige Partei find, die zuweilen alte Klepper austreibt, Iſt nicht
ein gewiffer Martin Ban Buren fo ein alter Klepper, den Ihre
eigene Partei ausgetrieben hat? und macht er Ihnen gegenwärtig
nicht ziemlich viel Kopfzerbrechen? Allein Sie fagen, wir hätten
unfere Prinzipien im Stich gelaffen, da wir Henry Clay nicht no—
minirten, Sagen Sie ung doch, meine Herren Prinzipreiter, wel⸗
ches Prinzip wir verlegten. Wir fagen, daß Sie ein Prinzip ver-
legten, indem Sie Dan Buren bei Seite fehoben, und wir fünnen
Ihnen obendrein erklären, welches Prinzip Sie verlebten. Sie
verlegten das oberfte, das Cardinalprinzip, das einzig große leben
dige Prinzip aller, demofratifchen Nepräfentatio-Regierung — das
Prinzip, Daß der Repräfentant verpflichtet ift, den erklärten Willen
feiner Conftituenten auszuführen. Eine große Majorität der Bal-
timore Convention von 1844 war von ihren Eonftituenten inftruirt
worden, Ban Buren wo möglich die Nomination zu verfichaffen.
Mit Verlegung, mit offener Berachtung diefes Auftrags verwarfen
Sie ihn—verwarfen ihn, wie der Herr von New York (Herr Bird-
fall) neulich ansdrüdlich zugeftand, der Zwedmäßigfeit (avail-
ability) halber — jener „allgemeinen Zwedmäßigfeit” halber, die
Sie jest ung zum Vorwurf machen, und von der Sie jest täglich
mit breiten Baden als etwas ungemein Häßlichem und Prinzip»
Iofem reden. Allein der Herr von Georgia (Herr Iverſon) gab
ung geftern eine zweite wohl überdachte und fchriftlich abgefaßte
Rede, worin Ban Buren wegen feiner gegenwärtigen Pofition und
Umtriebe durch die Hechel gezogen wird, Sch kann mich der ge—
nauen Worte des Herrn nicht entfinnen, allein ich erinnere mid)
noch recht gut, wie er Ban Buren tiefer und tiefer herabzog, bis er
ihn endlich im Kothe ließ, um daſelbſt zu „ſtinken“ und zu „ver-
rotten.“
„Es iſt weder meine Pflicht noch meine Neigung, Martin Van
Buren zu vertheidigen. In dem Vertilgungskriege, der jetzt zwiſchen
ihm und ſeinen alten Bewunderern geführt wird, fällt mir das alte
444 Das Leben Abraham Lincolns.
Sprichwort beis „Hole der Teufel die Hinterſten“ —und faft möchte
ich hinzufeßen: „Und auch die Vorderften.” Der Urfprung des
Bruches läßt fich jedoch nicht verfennen; und wenn der Fluch des
„Stinkens“ und „VBerrotteng“ auf die erften und größten Prinzip-
verleger fallen fol, fo möge ihn der Herr von Georgia mit feinen
gegenwärtigen Mitarbeitern für fich felbft in Anfpruch nehmen, da
er ihnen am allererften gebührt.“
Herr Lincoln fuhr dann fort, von dem Einwand gegen General
Taylor als einen bloßen militärifchen Helden zu reden. Alg Er-
wiederung auf diefen Einwand führte er den Verfuch an, der ge—
macht worden war, General Caß zu einem Kriegshelden zu machen
und fpielte dabei fcherzhaft (wie im erften Kapitel diefes Buches er—
wähnt,) auf feine eigenen Dienfte im Blad Hawk Kriege an, Er
fagte dann:
„Dieweil ich eben von General Caß rede, wünfche ich ein Wort
über feine politifchen Prinzipien zu fagen. Zur Probe wähle ich
den Bericht über feine Anfichten Hinfichtlich des Wilmot Provifo,
In der “ Washington Union” som 2, März 1847 findet fich die
Rede, die General Caß den Tag zuvor im Senat über das Wilmot
Provifo hielt. Im Verlauf der Rede unterbrach ihn, wie berichtet wird,
Herr Miller von New Jerſey. ch will die Stelle hier vorlefen:
„Herr Miller drüdte große VBerwunderung aus über den Gefin-
nungswechfel des Senators von Michigan, der bisher ftets im Nord-
weiten, deffen Stolz und Zierde er war, als der große Kämpe der
Freiheit betrachtet wurde, Im legten Jahre hielt man den Sena-
tor von Michigan dem Wilmot Provifo entfchieden gewogen; und
da derfelbe die Urfache feiner Meinungsänderung nicht angegeben
habe, fo könne er (Herr Miller) nicht umhin, fein Erftaunen dar-
über fund zu geben.“
„Herr Caß fol dann darauf geantwortet haben wie folgt:
„Herr Caß fagte, das Benehmen des Senators von New Jerſey
fei ganz außerordentlich. Vergangenes Jahr würde er (Herr Caß)
für den Borfchlag geftimmt haben, wenn derjelbe zur Abftimmung
gefommen wäre; allein die Verhältniffe hätten fich ganz anders ge-
ftaltet, Der Senator verlas dann mehrere Stellen aus den obigen
Anhang. 445
Bemerkungen, die er niedergefchrieben hatte, um folche Befchuldi-
gungen wie Die des Senators von New Jerſey zu widerlegen,“
„Unter den niedergefchriebenen Bemerfungen lautet die vierte
wie folgt:
„4: Die Legislative würde Dadurch zu unumſchränkter Herrfchaft
gelangen, da Fein in Zufunft erworbenes Gebiet regiert werden
fönnte, ohne daß eine Congreßakte für die Regierung defjelben Be-
fiimmungen träfe. Eine folche Akte würde nach ihrer Pafjirung
den ganzen Gegenftand eröffnen und dem Congreß, der diefelbe
paffirt, vollfommene Freiheit laffen, nach Belieben zu fchalten und
zu walten, ohne fih um die Erklärungen des Statutenbuchg zu be=
kümmern.“
„sn Niles’ Regifter, Band 73, Seite 293, findet fich ein Brief
von General Caß an A. O. P. Nicholfon von Naſhville, Tenneffee,
Datirt vom 24, Dezember 1847, aus welchem ich folgende correfte
Auszüge verlefe: _
„Das Wilmot Provifo ift fchon feit einiger Zeit vor dem Lande,
Es ift wiederholt im Kongreß und von der öffentlichen Preffe be-
fprochen worden. Sch bin ftarf der Anficht, dag hinfichi‘ich dieſes
Gegenftandes eine bedeutende Gefinnungsänderung bei dem Publi-
kum ftattgefunden hat — auch bei mir war dies der Fall; daß die
Zweifel ficy in die Heberzeugung auflöfen, daß das Prinzip, um
welches es fich handelt, aus der National-Legislatur ferne gehalten
und dem Volke der Staaten durch ihre refpeftiven Lofalregierungen
überlaffen werden follte,
„Kurzum, ich bin gegen die Ausübung irgend einer Furisdiction
über diefen Gegenftand von Seiten des Congreſſes; ich bin dafür,
dem Volke irgend eines fünftig zu acquirirenden Gebietes das Recht
zu überlaffen, feine eigenen Angelegenheiten nach den allgemeinen
Prinzipien der Conftitution felbft zu regulirenz; weil ich nicht ein-
ſehen kann, daß die Conftitution dem Congreß die Befugniß ver—
liehen habe, und weil ich nicht geneigt bin, einen zweifelhaften Prä—
cedenzfall über die Grenzen der Nothwendigfeit auszudehnen, d. h.
über die Etablirung von Territorialregierungen, wobei den Ein-
wohnern alle Rechte überlafjen bleiben, die mit ihren Beziehungen
zum Bunde nicht unvereinbar find.“
446 Das Leben Abraham Lincolns.
„Diefe Auszüge bemeifen, daß General Caß im Jahre 1846
ganz und gar für das Provifo war; daß er im März 1847
noch theilmweife dafür, und daß er im Dezember 1847 ganz da—
gegen war, Dies ift ein wahrer Inder zum ganzen Mann. Als
die Frage im Jahr 1846 angeregt wurde, war er in größter Eile,
fi zu Gunzen vderfelben zu erklären. Er fuchte den Vortrab zu
gewinnen und die unintereffante Pofition eines bloßen Nachfolgers
zu vermeiden; bald aber fah er die große demofratifche Ochſen—
peitfche vor feinen Augen und vernahm eine undeutliche Stimme,
die da fagte: „Zurück! zurüd ein wenig!” Er ſchüttelte den Kopf,
zwinferte mit den Augen und ftolperte zu feiner Pofition vom März
1847 zurüd, Die Peitfche drohte ihm indeffen noch immer, und
die Stimme rief fehärfer und deutlicher als zuvor: „Zurüd! immer
weiter zurüd!” Und zurüdfiel er auf feine Pofition vom Dezember
1847. Hier ruhte die Peitfche, und die Stimme fagte befänftigend:
„So, bier bleib’ ftehen !“
„Seien Sie nicht beforgt um ihren Kandidaten, meine Herren.
Er paßt Ihnen volllommen und wir gratuliren Ihnen dazu. Wie
ſehr Sie au um unfern Kandidaten in Nöthen fein mögen, Sie
haben alle Urfache, mit dem Ihrigen zufrieden zu fein, Er mag
im Fall feiner Erwählung feine, oder vielleicht nur einige feiner
früheren Pofitionen behaupten; allein er wird ficherlich thun, was
die Parteinothwendigfeit für Die Zeit verlangen mag. Und das ift
e3 gerade, was Sie wünfchen. Er und Ban Buren find Männer
von einem Schlag, und gleich Ban Buren wird er Sie erjt ver—
laffen, nachdem Sie ihn verlaffen haben werden.
Nachdem Herr Lincoln ausführlich über die Angriffe gefprochen
hatte, Die von General Cap auf das Schakamt gemacht worden
waren, fuhr er fort:
„Ich habe die Berichte des General Caß hier angeführt, um
die wundervollen phyfifchen Eigenfchaften des Mannes zu zeigen,
Sie beweifen, daß er nicht nur die Arbeiten mehrerer Männer zu
der gleichen Zeit verrichtete, fondern daß er diefelben oft an
verfhiedenen Drten, viele hundert Meilen von einander
entfernt, zu gleicher Zeit vollbrachte. Auch in Bezug auf
Anhang. 447
das Eſſen erfcheinen feine Eapaeitäten in der That wundervoll.
Vom Oftober 1821 bis zum Mai 1822 aß er zehn Nationen per
Tag in Michigan, zehn hier in Wafhington und außerdem noch
beinahe für fünf Dollars per Tag auf dem Weg zwifchen beiden
Drten. Und dann liefert er und noch eine bedeutende Entdeckung
— die Kunft, fih für Das, was man ift, bezahlen zu laffen, an—
ftatt dafür zu bezahlen, Wenn hinführo irgend ein hoffnungs-
voller Jüngling feine Schulden nicht anders bezahlen kann, fo
möge er dieſelben getroft „auseffen‘ (board them out), Wir
haben Alle die Gefchichte von jenem „ſacktragenden“ Thiere ge-
lefen, das zwifchen zwei Schobern Heu in Zweifel fand und ver-
hungerte; dergleichen würde General Caß nie pafliren. Stellt
die beiden Schober taufend Meilen von einander auf, fo wird er
ftocdftill in der Mitte zwifchen beiden ftehen bleiben und fie beide
zu gleicher Zeit aufeffenz; auch das grüne Gras an der Linie ent-
lang würde dabei zu Schaden fommen, Machen Sie ihn daher
unter allen Umftänden zum Präfidenten, meine Herren. Er wird
Sie herrlich füttern, wenn — wenn — noch Etwas übrig ift, nach-
dem er fich felbft gefättigt hat.
Da jedoch General Taylor par excellence der Held des merifa-
nifchen Krieges tft, und da wir Whigs, wie Sie fagen, dem Kriege
ftets opponirten, fo glauben Sie, es müffe fehr peinlich und läftig
für ung fein, General Taylor zu unterftügen. Die Erklärung, daß
wir ftets dem Kriege opponirt hätten, ift wahr oder falfch, je nach-
dem man den Ausdrud „Oppofition gegen den Krieg“ verfteht.
Wenn er fo viel bedeutet, daß „der Krieg unnöthigerweife und con-
ftitutionswidrig vom Präfidenten angefangen worden fei,“ dann
haben die Whigs ziemlich allgemein opponirt, So oft fie nur
fprachen, erklärten fie dies, und zwar aus guten Gründen. Eine
Armee in die Mitte einer friedlichen merifanifchen Anfievelung
führen, die Einwohner hinwegfchreden und ihre Felder und anderes
Eigenthum der Zerftörung preisgeben, dad mag Ihnen volllom-
men libenswürdig, friedlich und recht erfcheinen; ung aber er-
jcheint e8 nicht fo. Einen ſolchen Akt zu rechtfertigen, erfcheint ung
als eine nadte, unverfchämte Abfurbität, und als folche behandeln
und bejprechen wir die Affaire, Wenn aber, nachdem der Krieg be—
448 Das Leben Abraham Lincolns.
gonnen hatte und die Sache des Landes geworden war, unfer Geld
und unfer Blut gemeinfam mit dem Ihrigen zur Unterftüßung des
Krieges gegeben wurde, dann ift es nicht wahr, daß wir demfelben
immer opponirt haben. Mit wenigen indivinuellen Ausnahmen
ftimmten wir immer mit Ihnen für alle nöthigen Armeelieferungen,
Sa, mehr noch als dies, Sie hatten die Dienfte, das Blut und dag
Leben unferer politifhen Glaubensgenoſſen in jeder Noth, auf je—
dem Schlachtfelde zu Ihrer Verfügung. Der unbärtige Jüngling
und der gereifte Mann — der Niedrige und der Angefehene — der
Arme und der Reihe — fie alle machten gemeinfame Sache mit
Ihnen. Sie kämpften, litten und ftarben an Ihrer Seite, Clay
und Webfter gaben Jeder einen Sohn, der nie wieder zurückkehren
follte, Mein eigener Staat fandte außer vielen anderen würdigen,
aber minder befonnten Whigs, einen Marfhall, einen Morrifon,
einen Baker und einen Hardin. Sie alle fochten und Einer fiel,
und durch den Fall diefes Einen verloren wir unfern beften Whig.
Auch waren die Whigs nicht gering an Zahl, noch faumfelig in ver
Stunde der Gefahr. Fan jener furchtbaren, blutigen Schlacht von
Buena Bifta, wo es eines Seven Aufgabe war, fünf Feinde zu-
rüdzutreiben oder felbft zu fterben, da fielen fünf hohe Offiziere und
vier davon waren Whigs.
„Ich will hiermit keineswegs einen gehäffigen Vergleich zwifchen
den löwenherzigen Whigs und Demokraten anftellen, die dort foch-
ten. Ohne Zweifel war bei andern Gelegenheiten und felbft bet
jener Gelegenheit unter den niedern Offizieren und Gemeinen
das Berhältnig umgekehrt. Alle jene tapfern Männer waren Ame-
rifaner, an deren Ruhm auch ich als Amerikaner meinen Antheil
habe. ch will daher Allen Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Viele
von ihnen, Whigs und Demokraten, find meine Conftituenten und
perfönlichen Freunde, und ich danke ihnen insgefammt für die hohe,
unvergängliche Ehre, die fie unferem gemeinfamen Staate bereitet
haben.
„Allein der Unterfchied zwifchen der Sache des Präfidenten
beim Beginn des Krieges und der Sache des Landes, nachdem
der Krieg begonnen war, ift ein Unterfchied, den Sie, meine Herren
Demokraten, nicht einſehen können. Ihnen ſcheint Präfivent und
Anhang. 449
Land ein und dafjelbe Ding zu fein. Ihr Intereſſe geftattet Ih—
nen nicht, den Unterfchied zu bemerken; ich wage fogar zu fagen,
daß möglicherweiſe Ihr Intereffe Sie ein wenig blendet.
Wir fehen den Unterfchied deutlich genug, und unfere Freunde,
die in dem Krieg Fämpften, haben ebenfalls feine Schwierigkeit, ihn
zu fehen. Was die Gefallenen fagen würden, wenn fie am Leben
und hier wären, fünnen wir natürlich nicht wiſſen; aber bei Denen,
die zurüdfehrten, hat die Sache feine Schwierigkeit. Oberſt Has-
tell und Major Gaines, beide Mitglieder diefes Haufes, fochten in
jenem Kriege, Einer von ihnen hatte ganz außerordentliche Ge—
fahren und Drangfale zu beſtehen; dennoch erklären Beide, gleich
allen andern Whigs hier, daß der Krieg unnöthigermweife und con-
ftitutionswidrig vom Präfidenten begonnen worden ſei. Und Ge-
neral Taylor felbit, ver evelfte Römer von Allen, hat erklärt, daß es
ihm als Bürger, befonders aber als Soldat genüge zu wiffen, daß
fich fein Land mit einer fremden Nation im Krieg befinde, um alle
feine Kräfte aufzubieten, denfelben durch energifche und Fräftige Ope-
rationen zu einem fchleunigen, ehrenvollen Ende zu bringen, ohne
ſich um die Gerechtigkeit oder die Urfache deffelben zu befümmern.
„Mögen ſich unfere demokratiſchen Freunde mit der Verficherung
tröften, daß wir mit unferer Pofition und unferem Kandidaten zu-
frieden find; daß wir feineswegs in Anfechtung und Elend leben,
obſchon fie in ihrer generöfen Sympathie denken, es follte fo fein,
und daß fie fich ihrer großen Sorgen um unferetwillen füg-
lich entfchlagen dürfen.”
Nede in Erwiederung auf Richter Douglas über Kanfas, bie
Dred Scott-Entſcheidung und die Ntah-Frage.
(Gehalten zu Springfield, Illinois, am 26. Juni 1857.)
„Mitbürger: — Sowohl der von Ihnen erhaltenen Einladung,
als auch meiner eigenen Neigung zufolge befinde ich mich Diefen
Abend hier, Bor zwei Wochen hat Richter Douglas hier über
Kanfas, die Dred Seott-Entfcheidung und Utah gefprochen. Ich
babe die Rede damals mit angehört und feither einen gedrudten
29
450 Das Leben Abrabam Lincolns.
Bericht darüber gelefen, Der Zweck derfelben war, Anfichten zw
widerlegen, die ich für gerecht halte, und — politifch, nicht perfün=
lich — jene Männer anzugreifen, die gemeinfchaftlich mit mir diefe
Anfibten hegen. Aus diefem Grunde wünfchte ich damals und
wünfche ich heute, einige Worte darauf zu erwiedern und ergreife
daher Diefe Gelegenheit, es zu thun.
„Ich beginne mit Utah, Wenn es ſich als wahr erweifen follte,
was nicht unwahrfcheinlich ift, daß Das Volf von Utah; in offener
Rebellion gegen die Bereinigten Staaten fteht, fo ift Richter:
Douglas dafür, ihm feine Territorial-Organifation zu entziehen
und e3 den angrenzenden Staaten einzuverleiben. Auch ich fage,
daß, wenn die Bürger von Utah in Rebellion ftehen, Zwang an=
gewendet werden follte, um fie zum Gehorfam zu bringen; und
ich will hier nicht entfcheiden, ob Richter Douglas’ Plan nicht
ebenfo gut wäre, alg irgend ein anderer. Die Republikaner kön—
nen demfelben beiftimmen, ohne ein Wort zurüdzunehmen, das fie
je geſprochen. Sicherlich wäre es ein großes Abmeichen feiteng
des Richters von feiner vielgepriefenen Doftrine der Selbftregie-
rug der Territorien; allein dies ift nur ein weiterer Beweis deffen,
was von Anfang an Har genug war, daß nämlich diefe Doktrine
weiter Nichts’ als ein trügerifcher Vorwand zu Gunften der Skla—
verei ift. Diejenigen, welche dies nicht in der Nebraska Akte felbft
zu fehen vermochten, durch die dem Bolfe der Territorien gegen:
feine Einwilligung Gouverneurs, Sekretäre und Richter aufge-
zwungen wurden, können nicht zum Sehen gebracht werben, felbft
wenn Einer von den Todten auferftände,
Aus alledem ergiebt es fich indeſſen deutlich, daß Richter
Douglag die einzige Frage umgeht, die jemals von den Republi-
fanern in Bezug auf Utah, an die Demokraten geftellt wurde.
Wohl wußte Richter Douglas, wie die Frage lautete, „Wenn
die Bürger von Utah friedlich zufammentreten und eine Staats—
Conftitution entwerfen, in welcher die Polygamie geduldet wird,
wollen die Demokraten dann Utah; als Staat in vie Union auf-
nehmen?” Dies war die Frage. Die Conftitution und die Ge—
jege der Vereinigten Staaten enthalten Nichts gegen die Polyga=
mie; warum zählt fie der Richter nicht feinem „heiligen Rechte der
Anhang. 451
Selbftregierung” bei und erlaubt dem Volke von Utah, diefelbe zu
haben oder vielmehr beizubehalten? Diefe Frage wurde meines
Wiſſens nie von dem Richter beantwortet; fie bereitet Den Demo—
traten ein Dilemma, deshalb bleibt fie unbeantwortet.
„Kommen wir nun zu Kanfas, Die Summe der Rede des
Richters über Kanfas ift, daß die Freiftaatsleute ſich im Unrecht
befanden, da fie bei der Wahl der Delegaten für die Conſtitutions—
Convention ihre Stimmen nicht abgaben. Er ſagt: „Es ift alle
Urſache vorhanden, zu hoffen und zu glauben, daß das Geſetz
richtig ausgelegt und unparteiifch verwaltet werden wird, fo daß
jeder bona fide Einwohner der freien und ungeftörten Ausübung
des Wahlrechtes verfichert fein Darf.“
„Es ift erftaunlich, dag Richter Douglas eine ſolche Behanp-
tüng wagt. Er weiß, daß dem Gefege nad Niemand flimmen
darf, der nicht regiftrirt worden iftz und er weiß, daß die Frei-
ftaatenmänner fich auf den Grund hin zu flimmen meigerten, daß
nur Wenige von ihnen regiftrirt wurden, Dies fünnte nun mög-
licherweiſe unwahr fein; allein Richter Douglas weiß, daß es in
Briefen, Zeitungen und öffentlichen Reden angefündigt, durch
jede Poft in das Land hinausgetragen und von jedem Wind in
der ganzen Welt umbergeweht und vor die Augen und Ohren
Aller gebracht wurde. Er weiß, daß die Bürger ganzer Counties
and ganzer Abtheilungen anderer Eounties fich laut befchwerten,
dag man fie nicht regiftrirt hHabez dennoch wagt er es nicht, der
Erflärung zu widerfprechen, oder anzudeuten, mie fie ſtimmen
könnten, ohne regiftrirt worden zu fein. Er ſchlüpft mitten hin-
durch und giebt fih den Anfchein, als mwiffe er nicht, daß irgend
eine folche Sachfrage eriftire, und erklärt mit größter Gemüths—
ruhe: „Es ift alle Urſache vorhanden, zu hoffen und zu glauben,
daß das Gefeg richtig ausgelegt und unparteilich verwaltet wer—
den wird, fo daß jeder bona fide Einwohner der freien und unge
ftörten Ausübung des Wahlrechts verfichert fein darf,”
„Ich gebe gerne zu, daß Alle hätten ftimmen follen, wenn man
ihnen eine Chance dazu gegeben hätte. Wenn dagegen, wie fie
behaupten, und welche Behauptung Richter Douglas nicht zu wi—
derfegen wagt, nur wenige Freiftaatenmänner eine Chance zum
452 Das Leben Abrabam Lincolns.
Stimmen hatten, fo thaten fie volllommen recht, wenn fie fich in
Maffe vom Stimmfaften entfernt hielten.
„Seit Richter Douglas feine Rede gehalten, hat die Wahl in
Kanfas ftattgefunden. Der Richter drüdte feine Zuverficht aus,
dag alle Demokraten in Kanfas — die „Freiftaats-Demofraten‘
natürlich eingefchloffen — ihre Pflicht thun würden. Die bis
jest eingelaufenen Wahlberichte find noch unvollftändig; fo weit
fie indeffen reichen, zeigen fie, daß nur etwa ein Sechftel der regi-
ftrirten Stimmgeber geftimmt haben. Wenn man nun aber be-
denkt, daß überhaupt kaum die Hälfte der berechtigten Stimmge-
ber regiftrirt wurden, fo fieht man fofort, daß das Ganze meiter
Nichts als eine erbärmliche Farce war, Ich bin fehr gefpannt
darauf, welche Figur die „Freiſtaats-Demokraten“ bei der Affaire
machten. Natürlich flimmten fie — alle Demokraten thun ja ihre
Pflicht — und natürlich flimmten fie nicht für Sklavenftaaten-
Kandidaten. Wir werden bald hören, wie viele Delegaten fie er=
wählten, wie viele Kandidaten fie zu einem freien Staate ver—
pflichteten, und wie viele Stimmen für diefelben abgegeben
wurden. |
„Es fei mir geftattet, mit leifem Flüſtern meinen Verdacht aus-
zufprechen, daß es in Kanfas überhaupt gar Feine „Freiſtaats—
Demokraten” gab — daß fie ganz und gar in das Reich der
Mythe gehörten und nur dazu dienten, in den Zeitungen und
Reden der freien Staaten zu figuriren. Sollte fi ein einziger,
wirklicher „Sreiftaats-Demofrat” in Kanfas vorfinden, fo fchlage
ich vor, dag wir ihn fangen und ausftopfen und feine Haut als
eine intereffante NReliquie jener demnächſt gänzlich ausgeftorbenen
Gattung der Demokratie aufbewahren.
„est einige Worte in Bezug auf die Dred Scott-Entfcheidung.
Jene Entſcheidung erflärt zwei Propofitionenz; diefe find: Er-
fteng, daß der Neger feine Klage in den Vereinigten Staaten
Gerichten anhängig machen fann, und zweitens, daf der Con-
greß die Sklaverei in den Territorien nicht verbieten darf, Die
Entfcheidung wurde von einem getheilten Gerichtshof abgegeben —
verſchieden getheilt hinfichtlich der verfchiedenen Punkte. Rich-
ter Douglas läßt fich in Feine Discuffion über die Verdienſte der
Anhang. 453
Entſcheidung ein, und in diefer Hinficht werde ich feinem Beifpiel
folgen, da ich glaube, ich würde ebenfo wenig im Stande fein, die
Anfichten MeLean's und Curtis? beffer darzuftellen, als er die An>
fihten Taney's.
„Er denunzirt Alle, die die Richtigkeit jener Entſcheidung be—
zweifeln, als ob fie verfelben heftigen Widerftand leifteten. Wer
aber leiftet ihr Widerftand? Wer hat der Entfcheidung zum Troß
Dred Scott für frei erflärt und fich der Autorität feines Meifters
über ihn widerfegt? |
„Serichtliche Entfcheidungen Haben zweierlei Nuten, Erftens .
dienen fie dazu, den beftrittenen Fall abfolut zu entfcheiden, und
zweitens deuten fie dem Publifum an, wie ähnliche Fälle in Zu-
kunft entfchieden werden follen, In letzterer Beziehung werden
fie „Präcedenzfälle” und „Autoritäten“ genannt.
„Dir find ebenso fehr, wie Richter Douglas, wenn nicht mehr,
zu Öunften des Gehorfams und der Achtung gegen das gerichtliche
Departement der Regierung. Wir halten dafür, daß die Ent-
fcheidungen deffelben über Eonftitutionsfragen nicht nur für die
einzelnen vorliegenden Fälle endgiltig fein follten, fondern felbit
für die allgemeine Politif des Landes; es fei denn, daß fie durch
Amendements zur Eonftitution felbft aufgehoben und wirkungslos
gemacht werden, Mehr als dies käme einer Revolution gleich.
Allein wir halten die Dred Scott-Entfheidung für irrthümlich,
Wir wiffen, daß der Gerichtshof, von dem fie ausging, ſchon oft
feine eigenen Entfcheidungen umgeftoßen bat, und wir werben
alle unfere Kräfte aufbieten, um den Gerichtshof zu veranlaffen,
diefe umzuftoßen. Wir leiften indeffen feinen Widerftand,
„Als Präcedenzfälle haben gerichtliche Entfheidung größere
oder geringere Autorität, je nach Umftänden. Dies ift ganz in der
Drdnung und flimmt mit dem gefunden Menfchenverftand und
dem gewöhnlichen Verſtändniß der Geſetze überein.
„Wäre diefe wichtige Entfcheidung mit der einmüthigen Bet-
flimmung der Richter abgegeben worden, ohne Parteihang, in
Uebereinftimmung mit der öffentlichen Erwartung und der fteten
Praris der Departements während unferer ganzen Gefchichte;
wäre diefelbe in feiner Hinficht auf angenommene hiftorifche That-
454 Das Leben Abrabam Lincolns.
ſachen, die nicht wirklich wahr find, baſirt geweſen; oder wenn
diefelbe fhon mehr als einmal dem Gerichte vorgelegen hätte und
während einer jahrelangen Periode beftätigt und wieder beftätigt
worden wäre — dann würde e3 fartiös, ja fogar revolutionär
fein, fie nicht als einen validen Präcedenzfall anzunehmen.
„Denn wir aber finden — wie e8 denn wirklich der Fall ift —
daß dieſe Entfheidung aller jener Anfprüche auf das öffentliche
Vertrauen entbehrt, fo ift es Fein Widerftand, fo ift es nicht factiög,
fo ift es nicht einmal unehrerbietig, diefelbe fo zu betrachten, als
wäre fie noch nicht zu einer feftetablirten Doktrine für das Land
geworden, Richter Douglas hält aber eine ſolche Anficht für ent-
feglih. Hören wir ihn:
„„Die Serichtshöfe find Die von der Eonftitution vorgefchriebe-
nen und von dem Volke gefchaffenen Tribunale zur Auslegung
und Ausführung der Geſetze. Wer fih nun der Entfcheidung des
höchſten Gerichts-Tribunals im Lande widerfegt, der bringt un—
ferm ganzen republifanifchen Regierungsipftem einen tödtlichen
Schlag bei— einen Schlag, der alle unfere Rechte und Freiheiten
vor die Füße der Leidenschaft, der Anarchie und der Gemwaltthat
legt. Ich wiederhole Daher, daß, wenn der Widerftand gegen Die
Entfheidungen des Dberbundesgerichts der Vereinigten Staaten
in ſolchen Angelegenheiten, wie der im Dred Scott-Falle entfchie-
denen Punkte, die deutlich innerhalb der dur die Eonftitution
definirten Jurisdiktion liegen, dem Lande als politifche Streitfrage
aufgeprängt wird, e8 ein nadter Streit zwifchen den Freunden
und Feinden der onftitution — zwifchen den Freunden und
Geinden der Suprematie der Geſetze wird,’
„Nun, diefes nämliche Dberbundesgericht entfchied einft für die
Conftitutionalität einer Nationalbanf; General Jadfon aber, als
Präſident der Vereinigten Staaten, feste fih über dieſe Entfchei-
dung hinweg und belegte eine Bill für den abermaligen Charter
derfelben mit feinem Veto, theils auf conftitutionellen Grund hin,
indem er erklärte, daß ein jeder öffentliche Beamte die Conftitution
„jeinem Berftändniffe nach” unterftügen müffe. Hören wir indef-
fen des Generals eigene Worte. Ich will fie Ihnen aus feiner
Veto-Botſchaft vorlefen ; ;
Anhang. 453
„„Es wird von den Vertheidigern der Bauf behauptet, daß die
Gonftitutionalität derfelben in allen ihren Zügen als durch Prä—
eedenz feftgeftelt und dur die Entſcheidung des Dberbundes-
gerichts dargethan betrachtet werden follte. Diefer Anficht kann
ich nicht beiftimmen. ine bloße Präcedenz ift eine gefährliche
Duelle der Autorität und follte nicht als maßgebend für Fragen
über conftitutionelle Gewalt betrachtet werden, ausgenommen
wenn die Einwilligung des Bolfes und der Staaten über allen
Zweifel erhaben if. So wenig ift dies jedoch in Bezug auf den
vorliegenden Gegenftand der Fall, daß fih ein Argument gegen
die Banf auf Präcedenz bafiren ließe. Ein Eongreß entfchied im
Jahr 1791 zu Ounften einer Bank; ein anderer entfchied im Jahr
1811 gegen diefelbe. Ein Congreß entfchied im Jahr 1815 gegen
die Bank; ein anderer entfchied im Jahr 1816 für dieſelbe. Bor
dem gegenwärtigen Congreß waren daher die aus diefer Duelle
gezogenen Präcedenzfälle einander gleih. Wenden wir ung nun
an die Staaten, fo finden wir, daß die Entfheidung der Legislative,
der Erefutive und der Gerichtshöfe ihrer Regierung gegen die
Bank im Berhältnig zu denen für die Bank wie vier gegen eins
ftehen. Eine Präcedenz enthält daher Nichts, das — felbft wenn
ihre Autorität zugegeben wäre — zu Gunften der mir vorliegenden
Alte entfcheiden ſollte.“
„Sch übergehe die Citate und bemerfe, daß alle in den Präce-
denzfällen bis zur Dred Seott-Entfheidung feftgeftellten Punkte
gegen jene Entfcheidung fprechen. Hören wir indeffen weiter, mas
General Jackſon fagt:
„„Selbſt wenn die Anficht des Oberbundesgerichtes Den ganzen
Grund diefer Akte deckte, dürfte fie die co-ordinirten Autoritäten
diefer Regierung. nicht controlliren. Der Congreß, die Erefutise
und der Gerichtshof müffen ſich alle von ihrer eigenen Anficht über
die Eonftitution leiten laffen. Jeder öffentliche Beamte, der einen
Eid zur Unterftüsung der Eonftitution leiftet, ſchwört, Daß er die—
felbe unterftügen wolle, wie er fie verftehe und nicht, wie Andere
fie verſtehen.“
„Zu wiederholten Malen hörte ich Richter Douglas jene Bank-
Entfoheidung denuneiren und Präfivent Jackſon für feine Um—
456 Das Leben Abraham Lincolns.
gehung derfelben rühmen. Es würde intereffant für ihn fein,
feine legte Rede durchzulefen und zu fehen, wie genau feine feurige
Philippik gegen uns (wegen unferes Widerftandes gegen die Ent»
ſcheidung des Dberbundesgerichtes) auf fein eigenes Haupt zurüd-
fallt. Es wird einen langen und heftigen politifchen Krieg in
diefem Lande in’s Gedächtniß rufen, einen Krieg über einen
Streitpunft, der feinen eigenen Worten und natürlich feiner eige-
nen unveränderten Anficht zufolge „ein Streit zwifchen den Freun-
den und Feinden der Conftitution war,” und in welchem er felbft
in den Reihen der Feinde der Eonftitution Fampfte.
„Ich habe im Wefentlichen gefagt, Daß die Dred Scott-Ent-
fcheidung theilweife auf angenommenen - hiftorifchen Thatfachen,
die nicht wirklich wahr feien, bafirt wäre, und ich follte mich nicht
von dem Gegenftand entfernen, ohne gute Gründe für meine Be-
bauptung anzugeben, Sch will daher ein paar Fälle nennen, die
mich vollkommen rechtfertigen werden. Indem Oberrichter Taney
die Anfichten der Majorität der Richter angibt, befteht er mit vie—
len Worten darauf, daß die Neger Fein Theil des Volkes feien,
das die Unabhängigfeitserflärung oder die Conftitution der Vers
einigten Staaten gegründet hatte und für das diefelben gegründet
worden waren,
„Dagegen zeigt Richter Curtis in feiner abweichenden Anficht,
daß in fünf der damaligen dreizehn Staaten, nämlich in New
Hampſhire, Maffachufetts, New York, New Jerſey und Nord»
Carolina, die freien Neger Stimmgeber waren und im Berhältniß
zu ihrer Anzahl vdenfelben Antheil an der Gründung der Confti-
tution hatten wie die weißen Leute. Er bemweift Dies mit folder
Umftändlichfeit, daß Fein Zweifel über die Wahrheit verbleiben
fann; und als eine Art Folgerung über diefen Punkt Außert er
fich in diefen Worten:
„Die Konftitution wurde von dem Volfe der Vereinigten Staa—
ten gegründet und etablirt, und zwar durd das Wirfen derjenigen
Perfonen in jedem Staate, die durch die Geſetze defjelben quali—
ficirt waren, für fich felbft und alle andern Bürger des Staates
zu handeln, Sn einigen der Staaten befanden ſich, wie wir ge-
ſehen haben, farbige Perfonen unter Denen, die durch das Geſetz
Anhang. 457
qualificirt waren, in Bezug auf jenen Gegenſtand zu handeln.
Und nicht nur waren diefe farbigen Perfonen in der Mafje des
„Dolfes der Vereinigten Staaten” einbegriffen, von dem die Con—
ftitution gegründet und etablirt ward, fondern in mindeftens fünf
der Staaten hatten fie die Macht, bei der Adoption derfelben zu
handeln, und ohne Zweifel hatten fie dieſe Macht ausgeübt.“
„Oberrichter Taney fagt: „Es ift heutigen Tages ſchwer, über
den Stand der öffentlichen Gefinnung zu urtheilen, die zur Zeit
der Unabhängigfeitserflärung und der Gründung der Eonftitution
der DVereinigten Staaten in den civilifirten und aufgeflärten
Theilen der Welt in Bezug auf jene unglüdliche Race herrſchte.“
Und wiederum, nachdem er eine Stelle aus der Unabhängigfeits-
erklärung eitirt hatte, fagte er: „Die oben eitirten allgemeinen
Worte feheinen Die ganze menfchliche Familie zu umfafjen, und
wenn fie heutzutage in einem ähnlichen Dokument angewendet
würden, müßten fie fo verftanden werben.“
„Sn diefen Worten behauptet der Oberrichter zwar nicht direkt,
allein er gibt deutlich als Factum zu verftiehen, daß die öffentliche
Gefinnung über die Schwarzen heutzutage günftiger ift als fie in
den Tagen der Revolution war. Diefe Annahme ift indefjen eine
irrthümliche. In einigen unbedeutenden Dingen ift der Zuftand
jener Race allerdings verbeffert worden; im Ganzen und Großen
aber ift ver Wechfel, der feit jener Zeit über diefen Gegenftand im
Lande ftattgefunden hat, durchaus fein Fortfchritt zu nennen;
denn nie erfchien das endliche Loos der ſchwarzen Race ſo hoff-
nungslos, wie in den legten drei oder vier Jahren. In zwei von
den fünf Staaten, die damals dem Neger das Stimmrecht ver-
lieben, ift ihm daffelbe feither entzogen worden, nämlich in New
Serfey und Nord-Carolina, In einem dritten Staate — New
York — wurde es bedeutend verkürzt, während es meines Wiffeng*
in feinem einzigen andern Staate eingeführt worden ift, obſchon
fich die Anzahl der Staaten mehr als verdoppelt hat. In jenen
Tagen konnten die Meifter ihre Sklaven nach eigenem Belieben
emancipiren; feither aber wurden der Emaneipation folche gejeb-
lichen Reftrictionen angelegt, daß es beinahe einer Prohibition
gleichfommt. In jenen Tagen hatten die Legislaturen Die unbe»
458 Das Leben Abraham Lincolns.
ſchränkte Macht, Die Sklaverei in ihren refpectiven Staaten abzu-
ſchaffen; jet aber wird es mehr und mehr fafhionabel für die
Staats-Conftitutionen, den Legislaturen jene Macht zu entziehen.
In jenen Tagen war wie durch allgemeine Berabvedung dis Aus—
Dehnung der Sklaverei über Die neuen Territorien prohibirtz jest
aber entfcheidet der Congreß, daß jene Prohibition aufhören fol,
und das Oberbundesgericht erklärt, daß es den Fortbeftand der-
felben nicht geftatten könnte, jelbft wenn es wollte. In jenen
Tagen ward die Unabhängigfeitserflärung von Allen heilig ge-
halten und umfaßte Alle; jegt aber wird fie, um die Knechtfchaft
des Negers univerfell und ewig zu machen, angegriffen, geſchmäht,
verhöhnt, mit Füßen getreten und entftellt, fo daß ihre Urheber,
fliegen fie aus ihren Gräbern, fie nicht mehr erlennen würden.
Ale Mächte der Erde ſcheinen fich gefchäftig gegen den Neger zu
verbinden, Der Mammon fegt ihm nach, der Ehrgeiz folgt, die
Philofophie folgt, und felbft die Theologie ftimmt in Das allge-
meine Gefchrei ein. Sie haben ihn geferfert; fie haben ihn durch—
fucht und ihm kein Werkzeug zur Rettung gelafien. Die ſchweren
eifernen Thüren haben fich eine nach der andern hinter ihm ge—
fchloffen, und jest haben fie ihn gleichfam mit einem Schloß von
hundert Schlüffeln verrammelt, das nie ohne die Mitwirkung
jedes einzelnen Schlüffels geöffnet werden kann; die Schlüffel
aber befinden fich in den Händen von hundert verfchiedenen Leu-
ten, die wiederum an hundert verfchtedenen Pläben zerftreut find;
und jebt ftehen fie grinfend da und finnen darüber nach, welche
neue Erfindung im ganzen Gebiete des Geiftes und der Materie
die Unmöglichkeit feines Entkommens noch vollftändiger machen
könnte, als fie ſchon ift,
„Es ift ein grober Irrthum, zu fagen oder zu behaupten, daß die
öffentliche Gefinnung über den Neger heutzutage günftiger fei, als
fie zur Zeit der Gründung unferer Regierung war.
„Bor vierthalb Zahren brachte Richter Douglas feine famofe
Nebrasfa-Bill zum Vorfchein. Das ganze Land gerieth darüber
in Aufruhr. Er verachtete alle Oppofition und führte fie fiegreich
durch den Congref. Seit jener Zeit fah er fich felbft bei einer Prä-
fidentfchafte-Nomination ausgeftochen, und zwar durch einen Mann,
Anhang. 459
der die allgemeine Doktrine feiner Maßregel indofjirte, zugleich aber
vom Ddium ihrer unzeitigen Agitation und ihres großen National-
treubruchs unberührt blieb; und er fah feinen erfolgreichen Riva—
len *) conftitutionsmäßig ermwählt, nicht durch die Stärke feiner
Freunde, fondern durch die Spaltung unter feinen Gegnern, da er
mit einer Bollsminorität von beinahe vierhundert taufend Stimmen
den Sieg errang. Er fah feine Hauptunterftüßer in feinem eige-
nen Staat, Shields und Richardſon, politifch verhört, überführt
und hingerichtet, und dies nicht für ihr eigenes Vergehen, fondern.
für das feinige. Und jebt fieht er feinem eigenen Prozefje ent-
gegen.
„Es berrfcht in den Gemüthern beinahe aller Weißen ein. fehr
natürlicher Widerwille gegen die Idee einer fehranfenlofen Amal-
gamation der weißen mit der ſchwarzen Race, und augenfcheinlich
bafirt Richter Douglas feine lebte Hoffnung auf die Möglichkeit,
fich dDiefen Widermwillen zu Nuben zu machen. Er glaubt ſich durch
den Sturm fhlagen zu können, wenn es ihm gelingen follte, durch
beftändiges Wiederholen und Wiederkäuen das Odium dieſer Idee
feinen politifchen Gegnern aufzubürden. Er Hammert fich daher
an diefe Hoffnung wie ein Schiffbrüchiger an die lebte Planfe, Er
benübt dazu die Oppofition gegen die Dred Seott-Entfcheidung. Er
fieht, daß die Republikaner darauf beftehen, die Unabhängigfeitser-
Härung umfaffe alle Menfchen, ſchwarze und weiße, und macht fich
nun allen Ernftes an das Argument, daß alle Bertheidiger diefer
Anficht mit den Negern ſtimmen, effen, trinken, fchlafen und fich mit
ihnen verheirathen wollen. Er befteht darauf, daß fie fich eine In-
eonfequenz zu Schulden kommen laffen, wenn fie dies nicht wollten,
Ich proteftire indeffen gegen eine folche Afterlogif, die aus dem Um—
ftand, daß ich eine Schwarze nicht als Sklavin haben will, fchließt,
dag ich fie nothwendigerweife zur Gattin begehren müſſe. ch
brauche fie weder zur Sklavin, noch zur Gattin zu haben; ich kann
*) Dieſes Individuum war der ſchmachvolle Samed Buchanan, der im
Sahr 1856 bei der Nomination der Cincinnati Convention den Sieg über Douglas
und bei der darauf folgenden Präfidentenwahl über Sohn C. Fremont, den repubs
likaniſchen Candidaten, davontrug.
Anmerkung des Ueberſetzers.
460 Das Leben Abraham Lincolns.
fie allein laffen. In einigen Hinfichten ift fie allerdings nicht mei-
nes Öleichen ; aber in Bezug auf das natürliche Recht, das Brod,
das fie mit ihrer eigenen Hände Arbeit verdient, zu effen, ohne ir-
gend Jemand um Erlaubniß zu * iſt ſie mir und allen Andern
ebenbürtig.
„In feinem Gutachten im Dred Scott-Fall gibt Oberrichter Taney
zu, daß die Sprache der Unabhängigkeitserklärung umfafjend genug
fei, um die ganze Menfchenfamilie einzubegreifen; allein er und
Nichter Douglas argumentiren, daß die Urheber jenes Inſtrumen—
tes die Neger nicht damit einzufchließen beabfichtigt hätten, da
fie diefelben nicht thatfächlich auf gleichen Fuß mit den Wei-
en ſtellten. Prächtig! Leider aber reduzirt fich dieſes ernite
Argument auf Nichte, da die Urheber jenes Dokumentes me-
der damals noch fpäter alle weißen Leute auf gleichen Fuß mit ein-
ander ftellten. Und dies ift das Stapelargument des Oberrichters
fowohl wie des Senators für diefe augenfcheinliche, ſchreiende Ver—
drehung der einfachen, unverfennbaren Sprache der Unabpängig-
feitserklärung,
„Ich glaube, daß die Autoren jenes denkwürdigen Dokumentes
alle Menſchen einzufchliegen beabfichtigten; nicht aber, daß fie Die
Abficht hatten, alle Menfchen in allen Beziehungen für
gleich zu erflären. Sie beabfichtigten nicht, zu fagen, daß alle an
Hautfarbe, Natur, Intelligenz, moralifcher Entwidelung und fo-
eialer Capacität gleich feien. Sie definirten mit ziemlicher Genau-
igeit, in welcher Hinficht fie alle Menfchen für gleich gefchaffen hiel-
ten, — gleich gefchaffen „mit gemwiffen unveräußerlichen Rechten,
wie 3.3. Leben, Freiheit und das Streben nach Glückſeligkeit.“
Dies fagten fie und dies meinten fie. Sie beabfichtigten nicht, Die
augenfällige Unwahrheit zu behaupten, daß fich Alle damals wirk—
lich im Genuß jener Gleichheit befänden, noch daß fie (die Grün-
der) im Begriffe ftünden, ihnen diefelbe fofort zu verleihen. Sie
hatten nicht einmal die Macht, dies zu thun. Sie wünfchten ein-
fach, das Recht zu erklären, fo daß die Thatwerdung deffel-
ben fo rafch erfolgen fünnte, als die Umftände es geftatteten,
Anhang. 461
Nede in Erwiederung auf Senator Douglas.
(Sehalten am Abend des 10, Juli 1858 zu Chicago.)
„Mitbürger: — Bei Veranlaffung des geftern- Abend dem Se—
nator Douglas bereiteten Empfangs, wurde mir ein höchft beque-
mer Sig angeboten, von welchem aus ichihn deutlich hören fonnte;
auch) außerdem wurde mir von ihm und feinen Freunden die zuvor-
kommendſte und höflichfte Behandlung zu Theil, wofür ich ihm und
ihnen inggefammt meinen verbindlichften Danf fage. Im Berlauf
feiner Rede wurde mein Name auf eine folche Weife genannt, daß
es mir nicht ungeziemend erfcheint, ihm eine Erwiederung zu geben,
Ich will nicht verfuchen, ihm in der genauen Ordnung zu folgen,
in der er bei jener Gelegenheit die verfammelte Menge anredete,
obſchon ich Diefelbe im Allgemeinen zu beobachten gedenke.
„Er lenkte die Aufmerkfamfeit der Menge auf eine Frage, die
mir von geringerer Wichtigfeit erfcheint — wenigſtens ziemt es mir
weniger, darauf einzugehen —, als die andern, dieer gegen das
Ende feiner Rede aufwarf, Dennoch glaube ich, dieſelbe nicht
ganz übergehen zu dürfen und will fie daher gleich jetzt befprechen,
da ich fie fonft ganz und gar vergeffen möchte, Vorerſt fei mir die
Bemerkung geftattet, daß ich gemöhnlich jene in öffentlichen Reden
ziemlich gebräuchliche Sneonvenienz, das Vorlefen aus Dofumen-
ten, vermeide ; ich werde mir diesmal jedoch eine Fleine Ausnahme
von meiner Regel erlauben und Ihnen eine Feine Pafjage aus
Senator Douglas’ Rede vorlefen, in der er den erften Gegenftand
berührt, über den ich reden werde — das heißt, wenn ich die Stelle
in der Zeitung finden fann. (Herr Lincoln überblidte die Zeitung
und las dann wie folgt :)
„„Ich habe mich entfchloffen, gegen die Combinationen, die wi-
der mich gebildet worden find, an das Volk zu appelliren! Die re-
vublifanifchen Führer haben eine Allianz, eine unheilige, unnatür«
lihe Allianz mit einem Theile unferupulöfer Bundesbeamten ein-
gegangen. Sch beabfichtige, dieſe alliirte Armee zu befümpfen, mo
ich fie nur treffe. Sch weiß, fie leugnen die Allianz; allein jene
Männer, welche bemüht find, die demofratifche Partei zu fpalten,
um einen republilanifchen Senator an meiner Stelle zu erwählen,
462 Das Leben Abraham Lincolns.
find nichts deftomeniger die Agenten und Werkzeuge der Anhänger
Herrn Lincoln's. Daher werde ich mit diefer alliirten Armee ver-
fahren, gerade wie die Ruffen mit den Alliirten zu Sebaftopol ver-
fuhren — d. h. die Ruffen befünmerten ſich beim Abfeuern einer
DBreitfeite nicht darum, ob diefelbe einen Engländer, einen Franzo—
fen oder einen Türfen traf, Ebenfo wenig nun werde ich darnach
fragen, ob meine Siebe die republifanifchen Führer treffen oder ihre
Aliirten, Die Bundesämter verwalten und dennoch mit Jenen ges
meinfame Sache machen.”
„Run, meine Herren, ift das nicht fehr alarmirend? Denfen
Sie nur daran! gleich beim Anfang des Kampfes foll ih, ein ar-
mer, liebenswürdiger, intelligenter Gentleman auf diefe Art er-
Schlagen werden! Nun, meine Freunde, es ftellt fich heraus, daß
der Richter weder ein lebendiger noch ein todter Löwe iſt — fondern
daß er ein zottiger ruffifher Bär if!
„Er befteht indeffen darauf, — er fagt fogar, wir leugnen es
— daß eine ſolche Allianz eriftire, und mir ift nicht viel daran
gelegen, die Wahrheit der Behauptung zu beleuchten, Da er
jedoch auf einer folhen Allianz zwifchen uns und den Admini-
firationsleuten befteht, wobei ung die Haltung der Engländer,
Sranzofen und Türlen und ihm die der Ruffen zugedacht ift, fo
will ich ihm nur befcheiden in’s Gedächtniß rufen, daß die Alli-
irten Sebaftopol nahmen,
„Meine Herren, nur noch einige Worte über diefe Allianz, Sch
meines Theils habe nur fo viel zu fagen, daß die Frage, ob eine
folhe Allianz beftehe, von einer richtigen Definition des Wortes
Allianz abhängt, Iſt es nun eine Allianz, wenn die republi=
fanifche Partei die andere große Gegenpartei unter fich felbft ge=
fpalten ſieht und nicht herbeiläuft, um den Bruch zu heilen, fondern
fich vielmehr über denfelben freut, fo geftehe ich die Eriftenz derſelben
zus; wird dagegen aber behauptet, die Republikaner hätten mit irgend
einer andern Partei einen Bund eingegangen, wobei von der einen
oder der andern Seite Beiträge von Geld oder Opfer von Prinzis
pien gebracht worden mären, fo erfläre ich, daß ich Nichts davor
weiß und auch nicht daran glaube, Ehe ich jedoch über dieſen Ge—
genftand fchmeige, will ich zum Nuten und Frommen Derer, die
Anhang. 463
daran betheiligt find, noch mittheilen, daß Einer von den Buchanan-
leuten einft mit mir von einem Argumente fprach, das er für feine
Oppofition gegen Richter Douglas zubereitet hatte, Er fagte, ein
Freund unfers Senators Douglas habe mit ihm gefprochen und
unter Anderem folgende Worte geäußert: „Nun, Sie wünſchen
doch nicht Douglas gefchlagen zu ſehen?“ „Ja,“ erwiederte er,
„ich wünfche ihn gefchlagen zu fehen, und ich will Ihnen fagen wa-
rum. Ich glaube, feine Nebrasfa-Bill war recht im Ahftraftum,
allein ich denke, daß er fie zur unrechten Zeit vorbrachte, Ferner
war fie unrecht in ihrer Anwendung auf ein Territorium, in mwel-
chem die Frage bereits entfchieden war; er brachte fie zu einer Zeit
vor, ala es ihn Niemand geheißen hattez fle wurde dem Süden an-
geboten, als der Süden fie nicht begehrte, doch auch nicht wohl ver⸗
mweigern konnte; aus diefem Grunde drängte er unferer Partei die
Frage auf. Sie hat die beiten Männer allenthalben in der Union
verwirrt; und jest, da unfer Präfident den ſchwierigſten Punft in
der ganzen Gefchichte, die dieſer Menfch einfädelte, erreicht hat,
dreht ihm Ddiefer den Rüden, und deshalb wünfche ic ihn für im-
mer unſchädlich zu machen.”
„Run, meine Herren, dies ift keineswegs mein nit: Ich
habe Ihnen nur das Argument eines Buchanan-Mannes mitge—
theilt. Urtheilen Sie ſelbſt, was Wahres daran iſt.
„Volksſouveränität! nimmer endende Volksſouveränität! Laßt
uns das mächtige Ding einmal prüfen. Was iſt Volksſouverä—
nität? Wir erinnern uns, daß zu einer frühern Periode in der
Gefhichte Diefes Kampfes es einen andern Namen für daffelbe
Ding gab— Squatterfouveränität. Es war nicht ganz ge-
nau Bolfsfouveränität, fondern Squatterfouveränität. Was bedeu-
ten jene Ausdrüde? Was bedeuten fie jest? Unſer Freund, der
Richter, rechnet es fich gar fehr zur Ehre an, daß er diefelbe unter-
ftüßte, denn er erflärt, die lebten Jahre feines Lebens feien der
Bolfsfouveränität gewidmet gewefen, und auch die fünftigen Jahre
feines Lebens follen ihr gewidmet fein. Nun, was ift es? Sa, es
ift eben die Souveränität des Volfes! Was aber war die Squat-
terfouveränität? Wenn das Wort überhaupt je eine Bedeutung
hatte, fo bedeutet es Das Recht des Volkes, fich ſelbſt zu regieren, in
464 Das Leben Abraham Lincolns.
feinen eigenen Angelegenheiten fouverän zu fein, wenn es fich in
einem Lande, das nicht ihm gehörte, nieverließ (squatted down)—
wenn es fih in einem Territorium niedergelaffen hatte, das nicht
ihm gehörte (in dem Sinne, in dem ein Staat dem Volke gehört,
das ihn bewohnt), fondern vielmehr das Eigenthum der Nation
war. Diefes Recht der Leute, fich felbft zu regieren, nannte man
„Squatterfouveränität.“
„Sch bitte Sie nun weiter um Gehör. Was ift aus jener Squat-
terfouveränität geworden? Können Sie jetzt noch Jemand finden,
der Ihnen fagen wird, daß das Volk eines Territoriume ein Recht
babe, ſich in Bezug auf die faule Sklavereifrage felbft zu regieren,
. ehe es eine Staats-Conftitution gegründet hat? Mit nichten; mag
auch darüber geſchwatzt, geftritten, argumentirt und gefannegießert
werden, bis Einem die Ohren klingen; mag auch noch fo fteif und
feft von der andern Partei behauptet werden, dag das Volk eines
Territoriums das Necht habe, fich in Bezug auf diefe Frage felbft
zu regieren— es ift Alles Wind und Nebel. Heute ift fie entfchieden
worden — vor faum einem Jahre wurde durch das Obergericht der
Vereinigten Staaten entfchieden, daß das Volk eines Territoriums
fein Recht habe, die Sklaverei von dem Territorium auszufchließen ;
daß wenn ed einem Mann beliebe, Sklaven mit ſich nach dem
Territorium zu bringen, das ganze übrige Volk fein Recht habe,
ihm dies zu verwehren. Da dies nun fo ift, und da der Richter
diefe Entfcheidung zu einem der Punkte macht, die er billigt, fo
wünfcht er mich damit zu ſtürzen; unglüdlicherweife aber wird dies
ihm kaum möglich fein, da ich noch nie en haut war. Er fagt, er
fet zu Gunften der Entfheidung, halte fich daran feft und erwarte
feinen Sieg von ihr — von diefer Entſcheidung, die da erflärt, daß
e3 feine Squatterfouveränität gebe, daß ein Mann Sklaven in
ein Territorium bringen dürfe, und daß alle andern Bewohner
des Territoriums zwar ungehalten darüber fein Dürfen, es ihm
aber auf Grund der Eonftitution hin nicht verwehren können.
Wenn das fo tft, fo möchte ich Doch wiffen, wie viel von der großen
Squatterfonveränttät noch übrig ift? (Eine Stimme :— Sie ift
zum Henker!“)
„Dliden wir nun zurüd, fo fommen wir auf das Recht des Vol-
J
Anhang. 465
fes, fich eine Eonftitution zu machen. Kanfas zum Beifpiel wurde
im Jahr 1854 angefievelt. Drei Jahre lang war es ein ZTerrito-
rium, ohne fich auf regelmäßige Weife eine Eonftitution gegründet
zu haben. Während diefer ganzen Zeit fonnte die Sklaverei von
einigen wenigen Individuen eingeführt werden, und laut jener Ent-
fheidung des Oberbundesgerichtes, die unfer Freund Douglas bil-
ligte, vermag das ganze übrige Volk diefelbe nicht auszufchließen ;
wenn es fich nun aber eine Eonftitution macht, mag es erflären, daß
es die Sklaverei nicht haben wolle. Allein fie ift nun einmal da;
das Volk ift genöthigt, fie auf irgend eine Weife zu dulden — alle
Erfahrung zeigt, daß es fo fein wird. Sie können die Negerfflaven
nicht mir nichts dir nichts hinweg nehmen. Ale Erfahrung
bemeift dies, Während der ganzen Zeit, vom erften Anfang
der Anfievlung des Territoriums an bis das Boll zahlreich ge-
nug ift, fich eine Staats-Eonftitution zu machen — während diefer
ganzen Zeit ift die VBolfsfouveränität dahin, Die Entſcheidung des
Dberbundesgerichts hat ihr Siegel darauf gedrüdt, und nun fommt
Senator Douglas und drüdt das feinige noch oben auf jenes; den-
noch aber muthet er dem Volke zu, ihm unbegrenzten Credit für
feine Hingebung für die VBolfsfouveränität zu geben.
„Werfen wir nun einen Blid auf das Recht eines Volkes, fich
nad einem Belieben eine Staats-Conftitution zu bilden — fie mit
oder ohne Sklaverei zu bilden. Wenn das etwas Neues ift, fo ver-
ftehe ich Nichts von der Sache, Hat es jemals eine Zeit gegeben,
als irgend Jemand behauptete, daß ein anderes Volk als das Volf
des Territoriums felbft die Eonftitution bilden fole? Wofür nun
hat Senator Douglas mehrere Jahre feines Lebens gefämpft, und
wofür will er die übrigen Jahre feines Lebens kämpfen? Kann
Richter Douglas wohl einen Menfchen finden, der gefagt hat, Je—
mand anders folle eine Eonftitution für ein Volk bilden? (Eine
Stimme: „Ja!“) Nun, fo nennt ihn Doch; ich möchte gerne wiffen,
wer er war. (Diefelbe Stimme: „Sohn Ealhoun.)
„Run, mein Freund, ich hörte nie, daß felbft John Calhoun je
etwas Derartiges behauptete. Er huldigte demfelben Prinzip
wie Richter Douglas; feine Methode aber, dafjelbe anzuwenden,
war in der That unrecht. Es genügt mir, diefe Menge zu fragen,
20
466 Das Leben Abraham Lincolns. '
ob ein Republifaner je ein Wort dagegen fagte? Die Republi—
faner fagten nie Etwas Dagegen, fprachen aber beftändig dafür;
und wer fi die Mühe geben will, die Plattform zu unterfuchen,
fowie auch die Reden verantwortlicher und unverantwortlicher
Männer, der wird finden, daß von feinem Manne in den Reihen
der Republifaner je ein Wort gegen jene Bolffouveränität ge-
Iprochen wurde, die Douglas für feine Erfindung hält. Ich ver-
muthe, Douglas wird in kurzer Zeit behaupten, er fei der Er-
finder der Idee, daß ein Volk fich felbft regieren ſolle; daß fein
Menſch vor ihm daran gedacht habe. Wir erinnern ung, daß es
in der alten Unabhängigfeits-Erflärung heißt: „Wir halten Diefe
Mahrheiten für felbftverftändlich, dag alle Menfchen gleich ge-
Ichaffen wurden; daß ihr Schöpfer fie mit gemwiffen unveräußer-
lichen Rechten begabte; daß zu dieſen Rechten Leben, Freiheit
und das Streben nach Glüdfeligfeit gehöre; daß zur Sicherung
diefer Rechte unter den Menfchen Regierungen eingefest feien,
deren Machtbefugniffe von der Einwilligung der Regierten her—
rühren.” Dies ift der Urfprung der Bolksfouveränität. Wer
nun darf heutigen Tages kommen und fie als feine Erfindung
beanfpruchen 2
Nachdem Herr Lincoln in angemeffenen Worten über den Credit
gefprochen hatte, den ſich Douglas für feine erfolgreiche Bekäm—
pfung von Buchanan’s Lecompton-Politif anmaßte, fuhr er fort:
„Ich fordere Sie — ich fordere einen Jeden auf, mir einen
gedrudten Befchluß irgend einer Heinen oder großen demofrati-
jhen Berfammlung zu Gunſten des Richters Trumbull oder
irgend eines der Fünfe gegen einen Nepublifaner aufzumeifen,
der die Bill befiegte, Alles muß für die Demofraten fein! Sie
thaten Alles, und die Fünfe gegen den Einen, die das Ding wirf-
lich thaten, werben bei Seite gefchoben und behandelt, ala ob fie
gar feine Eriftenz auf Erven hätten.
„Meine Herren, ich fürchte, ich werde langweilig, und wende
mich daher von dieſem Zweige des Gegenftandes zu einem andern.
Ih fomme nun an jenen Theil von Richter Douglas’ Rede, in
welchem er fih auf mich bezieht.
Anhane. 467
„Douglas z0g zwei Punkte an aus meiner neulichen Rede zu
Springfield, Er fagt, fie follen die Streitfragen diefer Campagne
bilden, Den erften diefer Punkte bafirt er auf die Worte meiner
Nede zu Springfield, die mir, wenn ich nicht irre, genau im Ge—
dächtniß geblieben find. ch fagte, daß „es jest ſchon ſtark in’s
fünfte Fahr gebe, feit eine Politik inaugurirt worden fei mit dem
erflärten Zwed und der zuverfichtlichen Hoffnung, der Sflaverei-
Agitation für immer ein Ende zu machen. Unter der Operation
jener Politif habe dieſe Agitation nicht nur nicht aufgehört, ſon—
dern beftändig zugenommen. Sch glaube,’ fagte ich, „daß fie
nicht aufhören wird, bis eine Kriſis erreicht und paffirt ift. Ein
Haus, das in fich felbft zerfpalten iſt, kann nicht beftehen. Ich
glaube nicht, daß diefe Regierung für die Dauer halb mit Skla—
verei und halb frei beftehen kann. Ich glaube nicht, daß die
Union aufgelöft werden, ich glaube nicht, daß das Haus fallen,
aber ich glaube, daß der Spalt aufhören wird, Es wird ganz
das Eine oder ganz das Andere fein. Entweder werden die Geg-
ner der Sklaverei der ferneren Ausdehnung derfelben Einhalt
thun und die öffentliche Gefinnung mit der Hoffnung tröften, daß
fie im Erlöfchen begriffen ift, oder die Bertheidiger derfelben wer—
den fie vorfchieben, bis fie in allen Staaten, im Norden ſowohl
wie im Süden gefeblich geworden tft.“
„In diefem Paragraphen, den ich eben eitirt habe und auf den
ich Ihre ernfte Aufmerffamfeit lenke, glaubt Richter Douglas eine
große politifche Keberei zu entdeden. ch made Sie befonders
aufden Schluß aufmerkfam, den er Daraus gezogen hat, Er fagt, ich
fei dafür, alle Staaten in diefer Union in allen ihren inneren Re-
gulationen gleichfürmig zu machen; ich fei dafür, fie in allen ihren
häuslichen Angelegenheiten volllommen gleichförmig zu machen,
Diefen Schluß zieht er aus den oben citirten Worten. Er fügt,
ich fei zu Gunften eines Krieges von Seiten des Nordens gegen
den Süden zur Ausrottung der Sklaverei; desgleichen fei ich da—
für, den Süden zu einem Kriege gegen den Norden aufzureizen,
um die Sklaverei zu „nationalifiren. Wenn Sie jene Stelle noch—
mals forgfältig durchlefen, werden Sie finden, daß ich nichts
Derartiges fagte. Ich fagte nur, was ich erwartete, daß ftatt-
458 — Anhang.
finden würde. Ich machte eine Prophezeiung — es mochte viel—
leicht eine ſehr alberne ſein. Ich ſagte nicht einmal, daß ich
wünſchte, die Sklaverei möchte endlich ausgerottet werden. Ich
ſage es indeſſen jest, damit Fein längerer Streit darüber ftatt-
finde, Es mag vielleicht in der nächften Rede niedergefchrieben
werden.
„Meine Herren, Richter Douglas belehrte Sie, daß dieſe meine
Rede wahrfcheinlich forgfältig vorbereitet worden fei. Ich gebe
es zu. Ich bin fein Meifter der Sprache; ich kann mich Feiner
eleganten Erziehung rühmen; ich verftehe nicht viel von Dialel-
tif; aber ich glaube nicht, daß Richter Douglas ein Recht hatte,
einen ſolchen Schluß aus meinen Worten zu ziehen. Es liegt
mir indeffen Nichts an Wortklaubereien, ch meiß, was ich
meinte, und wenn ich es verhindern kann, fo will ich Sie nicht
darüber in Zweifel laffen, mas ich wirklich mit jenem Paragra-
phen zu fagen wünfchte,
„Es ift mir erftens nicht unbekannt, daß diefe Regierung feit
zweiundachtzig Fahren halb frei und halb mit Sflaverei beftanden
bat. ch weiß das, ch bin ziemlich gut mit der Gefchichte des
Landes befannt und meiß, daß es feit zweiundachtzig Jahren halb
frei und halb mit Sklaverei beftanden hat. Ich glaube — und
das ift es, worauf ich dort anfpielen wollte — ich glaube, daß
fie beftanden hat, weil während jener ganzen Zeit bis zur Einfüh-
rung der Nebrasfa-Bill das Bolf ftets in dem Wahn befangen
war, daß die Sflaverei ihrem endlichen Erlöfchen entgegen fchreite,
Das ift es, was ung während jener zweiundachtzig Jahre Ruhe
verfchaffte; mwenigftens glaube ich es. Sch habe die Sklaverei ftets
gehaßt, wie fie nur ein Abolitionift haffen konnte. Sch war ein
Whig von der alten Linie (an Old Line Whig). Ich habe die
Sklaverei ftets gehaßt, allein ich blieb ftets ruhig darüber, bis die
neue Aera mit der Einführung der Nebraska-Bill begann. Ich
glaubte ftets, daß Jedermann die Sklaverei haffe, und daß fie in
ihrem allmäligen Erlöfchen begriffen fei. (Hier deutete Herr
Lincoln auf Herrn Bromning, der nahe bei ihm fand.) Herr
Browning dachte ebenfalls fo. Die große Maffe des Volkes war
Anhang. 469
in dem Wahn befangen, daß die Sklaverei in ihrem endlichen
Erlöſchen begriffen fei. Sie hatte Grund, es zu glauben,
„Die Annahme der Conftitution und die darauf folgenden
Ereigniffe veranlaßte das Bolt zu diefem Glauben und zu der
Meinung, daß die Gründer der Conftitution ſelbſt dieſer Anficht
waren. Weshalb erklärten jene alten Männer zur Zeit der An-
nahme der Conftitution, daß die Sklaverei fich nicht über die neuen
Territorien ausbreiten dürfe, in denen fie nicht bereits war?
Weshalb erklärten fie, dag binnen zwanzig Jahren der afrifanifche
Sflavenhandel durch den Congreß verboten werden könne? Wes—
halb alle jene Alte? ch Eönnte deren noch viel mehr aufzählen,
allein e3 genügt. Was waren diefelben anders als eine klare
Undeutung, daß die Gründer der Eonftitution das endliche Er-
löfchen dieſes Inſtituts bezwedten und erwarteten? Und jetzt,
wenn ich fage, wie ich in jener Rede fagte, aus der Richter Doug-
las eitirte — wenn ich fage, daß meiner Anficht nad) die Gegner
der Sklaverei der Ausdehnung derfelben Widerftand leiften und
dem Bolfe Hoffnung geben werden, daß fie im endlichen Erlöfchen
begriffen fei, fo will ich damit nur fagen, daß fie mit ihr verfahren
werden, wie die Gründer dieſer Regierung urfprünglich mit ihr
verfuhren. |
„Ich habe fchon hundertmal gefagt, und ich bin nicht gefonnen,
ein Wort davon zurüdzunehmen, daß ich glaube, das Volk ver
freien Staaten babe fein Recht und follte auch nicht den Wunfch
hegen, fich nach ven Sflavenftaaten zu begeben und fich dort in
das Inſtitut der Sklaverei einzumifhen. Ich habe dies immer
gefagt. Richter Douglas hörte mich es fagen — wenn auch nicht
hundertmal, doc) fo gut wie hundertmal; und wenn man behaup-
tet, ich fei zu Gunften der Einmifhung in die Sklaverei, wo fie
beiteht, jo weiß ich, daß eine ſolche Behauptung durch Nichts ge—
rechtfertigt ift, mas ich je beabfichtigte und, wie ich glaube, Durch
Nichts, was ich je ſagte. Sollte ich (was ich nicht glaube) mich
jemals einer Sprache bedient haben, die eine folche Deutung zu—
läßt, fo nehme ich hiermit jedes Wort davon zurüd,
„So viel über den Schluß, den Richter Douglas aus meiner
Nede zog, daß ich zu Gunften der Aufwiegelung beider Sektionen
—
470 Das Leben Abraham Lincolns.
zum Krieg gegen einander fei. Sch weiß, daß ich nie etwas Der-
artiges beabfichtigte, und ich glaube, daß Fein Menfch ehrlicher-
weife aus irgend einem Worte, das ” je fprach, einen ſolchen
Schluß ziehen kann.
„Jetzt einige Worte in Bezug auf feinen andern Schluß, dag
ich zu Gunſten einer allgemeinen Confolidation ſämmtlicher loka—
len Snftitute in den verfchiedenen Staaten fei. Ich will die Sache
unterfuchen und fehen, wie ein Mann mit gefundem Berftande
dazu fommen fonnte, einen folden Schluß aus irgend einer mei-
ner Neden zu ziehen. Sch habe oftmals in Richter Douglas’ An—
wefenheit gefagt, daß fein Menſch mehr als ich an das Prinzip
der Selbftregierung glauben könne; daß daffelbe allen meinen
Ideen von einer gerechten Regierung von Anfang big zu Ende zu
Grunde liege. Sch habe in Abrede geftellt, daß er die richtige
Anwendung von jenem Worte mache. Was aber die Sache felbft
anbetrifft, fo leugne ich, Daß es mir je ein Mann in feiner Dinge
bung für das Prinzip zuvorthat, wie wirkffam er daffelbe auch ver-
theidigt haben mag. Ich glaube, ich habe es in Ihrer Gegenwart
gefagt — daß nämlich meiner Anficht nach jedes Individuum ein
natürliches Recht habe, mit fich felbft und den Früchten feiner Ar—
beit zu fehalten und zu walten, wie ihm beliebe, fo lange feines
andern Menfchen Rechte dadurch beeinträchtigt werden; daß jeder
Staat ein Recht habe, mit allen feinen Angelegenheiten, die die
Rechte feines andern Staates beeinträchtigen, nach Belieben zu
verfahren, und daß die Generalregierung dem Prinzipe nach fein
Recht habe, fich in Dinge einzumifchen, die nicht die ganze Nation
im Allgemeinen angehen. Sch babe dies zu allen Zeiten gefagt.
Ich habe als Beifpiele angeführt, daß Illinois fein Recht habe,
fich in die Heidelbeerengefege von Indiana, Die Aufterngefebe von
Virginien, oder die Schnappsgefege von Maine einzumifchen. ch
habe diefe Dinge hundertmal gejagt und wiederhole fie hier als
meine wahren Öfinnungen....
„So viel über meine Neigung, meinen Wunſch, fümmtliche
Staatenlegislaturen umzuftürzen, um eine confolidirte Regierung
und eine Uniformität der innern Regulationen ſämmtlicher Staa-
ten herbeizuführen, was, wie ich vermuthe, fo viel bedeutet, daß
Anhang. | 471
wenn wir hier Welſchkorn ziehen, wir auch das Zuckerrohr hier
ziehen müſſen, und daß wir auch im Süden ziehen müſſen, was
wir im Norden ziehen. Dies iſt es wohl, was Douglas meint,
daß ich begünſtige. Genug indeſſen von all' dieſem Unſinn —
denn ich muß es ſo nennen. In Bezug auf eine Uniformität der
innern Angelegenheiten der Staaten kann er ſich nicht mit mir
ſtreiten.
„Jetzt noch einige Worte über den andern Punkt, — die Dred
Seott-Entfcheidung. Ein anderer feiner Streitpunkte mit mir iſt,
wie er fagt, feine Devotion für die Dred Scott-Entfcheidung und
meine DOppofition gegen dieſelbe.
„Ih habe meine Oppofition gegen die Dred Seott-Entfcheidung
ſchon zuvor erklärt und ich wiederhole fie hier; allein es fei mir
geftattet, die Natur diefer Oppofition zu zeigen, und ich nehme
daher Ihre Geduld auf eine kurze Zeit in Anſpruch. Was ver-
fieht Richter Douglas mit feinem Ausdrud: „Widerſtand gegen
die Entſcheidung?“ Ich widerftehe ihr nicht. Wenn ich Dred
Scott von feinem Meifter wegnehmen mollte, fo wäre das eine
Einmifhung in das Eigenthumsrecht eines Andern, und jene
fohredliche Schwierigkeit, wie Douglas fagt, würde aus viefer
Einmiſchung entfpringen. Es fällt mir indeffen nicht im Schlaf
ein, etwas Derartiges zu thun, und Alles was ich thue ift, mich
zu weigern, derfelben als einer politifhen Regel Gehorfam zu
leiften.. Wäre ich im Congreß und es erhöbe fich die Frage, ob
die Sklaverei troß der Dred Scott-Entfcheidung in einem neuen
Territorium prohibirt werden folle, fo würde ich dafür ſtimmen.
„Das iſt es, was ich thun würde. Richter Douglas fagte ge-
ftern Abend, daß er vor der Entſcheidung feine Anficht augsfprechen
dürfe, obfchon diejelbe mit der Entfcheidung, wenn fie erfolge, im
Widerſpruch ftünde; nachdem aber die Entfcheidung abgegeben
worden fet, wolle er dabei verharren, bis fie zurüdgenommen
werde. Ganz recht! Wir wollen diefes Eigentum bei der Ent-
ſcheidung verharren lafen, aber wir wollen verfuchen, jene Ent-
fheidung umzuftoßen. [Lauter Beifall.) Wir wollen verfuchen,
fie an einen Ort zu bringen, wo Richter Douglas Nichts Dagegen
bat; denn er fagt ja, er wolle ihr gehorchen, bis fie zurüdgenom-
472 Das Leben Abraham Lincolns.
men werde. Irgend Jemand hat jene Entfcheidung umzuftoßen,
da fie einmal gemacht worden ift, und wir gedenken es zu thun,
und zwar auf friedliche Weife.
„Wozu dienen gerichtliche Entfcheidungen? Sie haben zmeier-
lei Nuten. Als Regeln für Eigenthum haben fie zweierlei Nuben,
Erftens entfcheiden fie über die dem Gerichte vorliegende Frage,
In diefem Falle ward entfchieden, daß Dred Scott ein Sklave ift.
Niemand beftreitet das, Doch mehr noch, fie belehren Jedermann,
daß jede Perfon, die in derfelben Lage ift, wie Dred Scott, eben-
fallg ein Sklave iſt. Das heißt, fie entjcheiden, daß, wenn eine
Frage in Bezug auf eine andere Perfon erhoben werden follte,
diefe wiederum fo entfchieden werden wird; es fei denn, daß der
Gerichtshof anders entfcheide — es fei denn, daß der Gerichtshof
feine eigene Entfcheidung umftoße. Nun, wir gedenken alle un—
fere Kräfte aufzubieten, um den Gerichtshof zu einer andern Ent—
fcheidung zu veranlaffen. Dies ift ein Ding, das wir zu thun
gedenken.
„Der Mantel der Heiligkeit, den Richter Douglas über dieſe
Entſcheidung wirft, beſitzt einen ſolchen Grad von Heiligkeit, wie
er nie zuvor einer andern Entſcheidung beigelegt wurde. Ich
habe nie von etwas Derartigem gehört. Entſcheidungen, die gute
Rechtskenner jener Entſcheidung für zuwider hielten, wurden ſchon
mehrmals von demſelben Gerichtshofe abgegeben. Sie iſt das
erſte Ding der Art. Sie iſt ein coup d’etat in der Rechtsge—
ſchichte. Sie ift ein neues Weltwunder. Sie ift auf Unwahr—
ten in der Angabe der Thatfachen bafirt — Thatfachen, die in gar
vielen Fällen Feine Thatſachen find — und nicht auf eine Ent-
ſcheidung über irgend eine Frage. Es ift das erfte Beifpiel einer
Entjeheidung, die unter fo vielen ungünftigen Umftänden abgege-
ben wurde, und es bedurfte ftets der Beftätigung, ehe die Advoka—
ten fie als wirkliches Gefeg betrachteten. Richter Douglas aber
befteht darauf, daß Alle dieſe außerordentliche Entfcheidung, die
unter fo außerordentlichen Umſtänden abgegeben wurde, als Ge-
je betrachten, in Lebereinftimmung mit derfelben ihre Stimme
im Congreß abgeben, fich derfelben unterwerfen und ihr auf jede
mögliche Art Gehorfam leiſten müſſen. Umftände verändern Fälle,
Anhang. 473
Erinnern fich die Herren bier nicht des Falles, in welchem daffelbe
Dbergericht vor etwa fünfundzwanzig oder dreißig Jahren ent»
fchied, daß eine Nationalbank conftitutionell fei? Kann fi Nie-
mand erinnern? Nun, es ift wahr, ob ſich Jemand daran erinnere
oder nicht. Der Charter der Bank lief ab, und der Congreß be—
willigte einen neuen Charter. - Derfelbe wurde dem Präfidenten
Jackſon vorgelegt. Als er die Conftitutionalität der Bank in
Abrede ftellte, wurde ihm vorgeftellt, das Dberbundesgericht hätte
die Bank für conftitutionell erklärt. Präſident Jackſon aber er-
wiederte, daß das Oberbundesgericht Fein Recht habe, eine Regel
aufzuftellen, wodurch die coordinirten Zweige der Regierung con-
trollirt würden, deren Mitglieder die Eonftitution zu unterftügen
befchworen hatten; und daß jedes Mitglied gefchworen habe, die
Conftitution nach feinem Verſtändniß zu unterftügen. Ich will
hier nur noch hinzufügen, daß ich Richter Douglas felbft fagen
hörte, daß er jenen Akt des Präfidenten Jackſon billige, Was
wird nun aus feiner ganzen Tirade über den „Widerftand gegen
das Dberbundesgericht 2 wi — *
„sn Richter Douglas’ Rede geftern Abend wurden wir oft —
mehr als einmal wenigfteng — daran erinnert, daß dieſe Negie-
rung für weiße Leute gemacht fi — daß er glaube, diefelbe ſei für
weiße Leute gemacht. Nun, das heißt die Frage in eine Geftalt
Heiden, in der fie von Niemand beftritten werden wird; allein der
Richter wird dann hibig und zieht Schlüffe, die nicht gerechtfertigt
werden können. Sch proteftire jebt und für immer gegen jene
Afterlogif, welche behauptet, Daß ich eine Schwarze, weil ich fie
nicht zur Sklavin haben will, nothwendigermeife zur Gattin bes
gehren müffe. Meinem Urtheil nach brauche ich fie weder zur
Sklavin, noch zur Gattin zu haben; da Gott ung getrennt ge—
fchaffen hat, fo können wir einander allein laffen und dadurch einan-
der viel Gutes thun, Es giebt weiße Männer genug, um alle wei-
Ben Weiber zu heirathen, und es giebt fchwarze Männer genug, um
alle Schwarzen Weiber zu heirathen; drum laßt fie in Gottes Na—
men fo heirathen. Der Richter regalirt ung mit den fchredlichen
Enormitäten, die einer Racenvermifchung entfpringen, da die
niedere Race die höhere unterdrüden werde, Nun, Freund
474 Das Leben Abraham Lincolns.
Douglas, laffen Sie diefelben nur nicht in Gemeinfchaft nach den
Territorien gehen; hier werden fie fich nicht vermifchen!
„Es tft nun Sitte bei ung, daß wir ung jedes Jahr am vierten
Suli aus irgend einem Grunde verfammeln. Diefe Verſamm—
lungen am vierten Juli haben ihren Zwed, wie ich vermuthe.
Wenn Sie mir nun erlauben wollen, fo werde ich in Kürze dar—
thun, was ich für den Zweck derfelben halte, |
„Dir find jest eine mächtige Nation — etwa dreißig Millionen
ftarf — umd eignen und bewohnen etwa ein Fünfzehntel des
trodenen Landes der ganzen Erde, Laffen wir nun unfern Blid
ungefähr zweiundachtzig Jahre in der Gefchichte unferes Landes
zurüdfchweifen, jo werden wir entveden, daß wir damals ein fehr
eines Volk waren, unendlich geringer an Zahl, als wir jegt find,
mit bei MWeitem weniger Gebiet und bei Weitem weniger an Al-
lem, was Menfchen gewöhnlich wünfchenswerth halten. Wir
halten diefe Veränderung für außerordentlich vortheilhaft für ung
und unfere Nachkommen und betrachten ein gewiſſes Etwas, das
fich vor langer Zeit ereignete, als ein Ding, das gemiffermaßen
mit diefem Steigen, mit diefer Zunahme in Berbindung fteht.
Wir finden, daß in jenen Tagen eine Race Menfchen lebte, die
wir unfere Väter und Großväter nennen; es waren eiferne
Männer; fie kämpften für das Prinzip, das fie aufgeftellt hatten,
und ihren Thaten haben wir die Wohlfahrt zu verdanfen, derer
wir ung erfreuen, Wir halten diefen alljährlichen Feiertag, um
uns an all’ das Gute zu erinnern, das feit jener Zeit gefchah, ſo—
wie an die Art und MWeife, auf die es gefchah, und an die Perfo-
nen, durch die es bewirkt wurde, und an die hiftorifche Kette, die
ung mit ihnen verfnüpft. Wir verlaffen diefe Verfammlungen
gewöhnlich zufriedener mit ung ſelbſt; wir fühlen ung mehr an
einander gezogen und fefter an das Land gebunden, dag wir be—
wohnen. In jeder Beziehung macht ung diefe Feier zu befferen
Menfchen. Nachdem indeffen dies Alles gefhhehen, dürfen wir
ung nicht einbilden, daß der Gipfel erreicht fei. Es bleibt ung
noch etwas Anderes übrig. Außer den Menfchen, die vom Blute
unferer Vorväter abftammten, haben wir Andere unter uns — fie
mechen vielleicht die Hälfte der ganzen Nation aus — Die ganz
Anhang. 475
und gar nicht die Abkömmlinge jener Männer find; es find Leute,
die von Europa kamen, Deutfche, Srländer, Sranzofen und Skan—
dinavier; Leute, Die felbft von Europa famen, oder deren Vorfah—
ren hierher famen, fich hier niederliegen und in allen Dingen un—
feres Gleichen waren, Wenn Diefe nun einen Blid in die Ge—
fehichte werfen, um ihre Blutsverbindung mit den Männern jener
Tage zu fuchen, fo werden fie finden, daß fie feine haben; fie kön—
nen fich nicht in jene glorreiche Epoche zurüdverfegen und fühlen,
daß fie ein Theil von ung find. Wenn fie aber jene alte Unab-
hängigfeits-Erflärung durchlefen, fo werden fie finden, daß jene
alten Männer fagten: „Wir halten diefe Wahrheiten für felbit-
verftändlich, daß alle Menfchen gleich gefchaffen wurden; und
dann werden fie fühlen, daß jene moralifche Gefinnung, die an
jenem Tage gelehrt wurde, ihre Berwandtfchaft mit jenen Män-
nern nachweiftz daß jene Gefinnung der Vater eines jeden mora=
liſchen Prinzips in ihnen ift, und daß fie ein Recht haben, diefe
Verwandtſchaft zu beanfpruchen, als ob fie felbft Fleiſch vom Fleiſch
und Blut vom Blut jener Männer wären, die die Unabhängig-
Feitserflärung gefchrieben haben — und fie find ee. Dies ift
das eleftrifche Band in jener Erflärung, dag die Herzen aller pa-
triotifchen und freiheitsliebenden Männer mit einander verbindet,
und das die patriotifchen Herzen an einander binden wird, fo
lange die Liebe zur Freiheit die Gemüther der Menfchen in der
ganzen Welt befeelt.
„Run, meine Herreu, um die Dinge mit feiner Gleichgiltigkeits—
politif in Bezug auf die Sklaverei hinwegzuräumen, um die Dred
Scott-Entfheidung aufrecht zu halten, um zu beweifen, daß die Un—
abhängigfeitserflärung gar Nichts bedeute, giebt uns Richter Dou-
glas feine eigene Auffaffung derfelben und ſchwatzt ung vor, daß
das Volk von Amerika dem Volke von England gleich fei. Diefer
Auslegung zufolge habt ihr Deutfche Nichts mit der Sache zu ſchaf—
fen. — Ih frage Sie nun in aller Nüchternheit, ob dieſe Dinge,
wenn fie geduldet, beftätigt und indofjirt werden, wenn wir fie un-
fern Kindern wiederholen und einprägen, nicht geeignet find, das
Gefühl der Freiheit in Diefem Lande auszumerzen und unfere Re—
gierungsform mit einer andern zu vertaufchen? Diefe Argumente,
476 Das Leben Abraham Lincolne.
daß die niedere Race mit fo viel Nachficht behandelt werden folle,
als verfelben zuträglich ſei; daß man fo viel für fie thun müffe, als
ihr Zuftand geftatte— was follen fie bedeuten? Es find genau die—
felben Argumente, die zu allen Zeiten von Königen gemacht wur»
den, um die Völker zu Inechten. Sie werden finden, daß alle Ar—
gumente zu Öunften des Gottesgnadenthums der Könige und Fürften
aus demfelben Stoffe fabrizirt find; fie febten fich flets auf den
Naden der Völker, nicht fowohl zu ihrem Privatvergnügen, fondern
weil fie behaupteten, daß die Völker befjer gehorchten, wenn fie ge—
hörig zugeritten wären. Dies ift ihr Argument, und das Argu—
ment des Richters Douglas ift diefelbe alte Schlange, die da fagt:
„Ihr arbeitet und ich effe; ihr müht euch ab und ich will die Früchte
eurer Mühe genießen.” Drebet das Argument nach welcher Seite
ihr wollt—fomme es aus dem Munde eines Königs, als Entfchul-
digung für die Knechtung feines Volkes, oder aus dem Munde einer
Menfchenrace ald Grund, eine andere Race in Ketten und Banden
zu halten: es ift und bleibt diefelbe alte Schlange, und ich bin über-
zeugt, daß wenn wir ung jenen Argumenten fügen, die ung einreden
mollen, wir follten ung nicht um bie Sflaverei fümmern, die Knech—
tung nicht bei dem Neger ftehen bleiben wird. Wenn wir anfan-
gen, Ausnahmen mit der Unabhängigfeitserflärung zu machen,
welche alle Menfchen dem Prinzipe nach für frei erflärt, fo möchte
ich gerne wiffen, wo wir aufhören würden, Wenn ein Mann be-
hauptet, diefe Erklärung begreife den Neger nicht ein, fo fann ein
Anderer ebenfo gut behaupten, fie ſchließe andere Menfchenklaffen
oder Nationalitäten aus, Wenn jene Erklärung nicht wahr ift,
nun fo holen wir das Statutenbuch und reißen wir fie heraus. Wer
hat das Herz, es zu thun? Reifen wir fie heraus, wenn fie nicht
wahr ift! (Ruf: „Nein! nein!) Nun, fo laßt uns diefelbe heilig
halten und männlich vertheidigen.
„Es ließe fich argumentiren, daß gewiſſe Umſtände gewiffe Noth-
mwendigfeiten erzeugen und fie uns auferlegen, und daß wir ung
denfelben unterwerfen müßten. Sch glaube, daß dies unfer Zu-
ftand war, als wir diefe Regierung gründeten. Wir hatten Skla—
ven unter und; wir fonnten die Conſtitution nicht erhalten, ohne
diejelben in der Sklaverei zu laſſen. Wir konnten das Gute, das
Anhang. 477
wir erlangten, nicht erlangen, wenn wir mehr forderten, Indem
wir uns aber aus Nothwendigfeit diefem Uebel fügten, folgt daraus
feineswegs die Zerftörung des in der Unabhängigfeitserflärung
ausgefprochenen Prinzips. Laßt uns daher jenes Dokument zu
unferer Richtfehnur nehmen,
„Mein Freund hat mir vorgeworfen, daß ich mich fchlecht auf's
Citiren aus der Bibel verftehe. ch will es indeffen noch einmal
verſuchen. In einer der Mahnungen unferes Herrn heißt es:
„Seid vollfommen, mie euer Vater im Himmel vollfommen: ift.“
Unfer Heiland meinte damit wohl nicht, daß irgend ein menfchliches
Geſchöpf fo vollkommen fein könne, wie der Vater im Himmel, Er
wollte ung damit nur eine Vorfchrift geben, und Derjenige, welcher
der Vorſchrift am nächften fommt, erreicht den höchften Grad mora⸗
liſcher Vollkommenheit. So fage denn auch ich in Bezug auf das
Prinzip, dag alle Menfchen frei gefchaffen wurden: Laßt ung dem-
felben fo nahe wie möglich fommen! Wenn wir nicht jeder Crea—
tur Freiheit geben fünnen, fo laßt uns wenigfteng Nichts thun, mag
einer andern Creatur Sklaverei auferlegt. Laßt und denn diefe
Regierung wieder in den Canal zurüdlenfen, in den die Gründer
der Eonftitution fie urfprünglich feßten. Laßt uns einander ftand-
haft beiftehen, Wenn wir dies unterlaffen, fo ſchlagen wir die ent-
gegengefegte Richtung ein, nach der ung Senator Douglas fchlep-
pen möchte —nicht abfichtlich, wie ich glaube—und die ung am Ende
zu einer großen Sflavennation machen würde,
„Meine Freunde, ich habe Ihre Geduld länger in Anfpruch ge-
nommen als ich beabfichtigte, und ich fage daher nur noch: Laßt
uns alle unnügen Wortftreite über diefen Menfchen und jenen,
diefe Race und jene meiden und ung vielmehr als ein einmüthiges
Volk im ganzen Lande zufammenfchaaren und zufammenmwirken, bis
dag wir uns aufs Neue erheben und erklären können, daß alle
Menfchen gleich gefchaffen wurden.
„Ich könnte nicht weiter reden, ohne auf einen neuen Gegenftand
einzugeben, der Ihre Geduld zu lange feffeln würde, Sch danke
Ihnen für die Ehre, die Sie mir diefen Abend durch Ihre aufer-
ordentlich zahlreiche Anwefenheit erwiefen haben. Sch verlafje Sie
478 Das Leben Abrabam Lincolns.
mit der Hoffnung, daß die Lampe der Freiheit in Ihren Herzen
leuchten möge, bis daß fein Zweifel mehr darüber herrſcht, daß alle
Menfchen frei und gleich gefchaffen wurden,“
Einleitung der Rede Herrn Lincoln's zu Freeport.
„Seine Damen und Herren: — Letzten Samftag trafen Rich-
ter Douglas und ich zum erftenmal zu öffentlicher Diskufjion zu—
fammen. Er ſprach eine Stunde, ich anderthalb Stunden, und
er erwiederte dann eine halbe Stunde lang. Diesmal ift die Ord—
nung umgefehrt. Sch fol eine Stunde fprechen, er anderthalb
Stunden, und dann fol ich eine halbe Stunde lang ermwiedern,
Ich werde die mir zugewiefene Stunde dem inhalt feiner halbſtün—
digen Nede in Ottawa widmen, Natürlich enthielt diefe halbſtün—
Dige Rede etwas von feiner Eröffnungsrede. Im Berlaufe diefer
Eröffnungsrede legte mir Richter Douglas fieben verfchiedene Fragen
vor. Sn meiner anderthalbftündigen Rede behandelte ich einige
andere Theile feiner Rede und beantwortete zufälligermweife eine fei=
ner Fragen. Sch gab ihm dann deutlich zu verftehen, daß ich
feine übrigen Fragen beantworten würde, jedoch nur auf die Be—
Dingung hin, daß er mir eine gleiche Anzahl Tragen beantworte,
Er ließ fih zu jener Zeit nicht über den Vorſchlag vernehmen,
noch fpielte er in feiner Erwiederung auf denfelden an. Sch thue
ihm fein Unrecht, wenn ich fage, daß er mindeftens eine halbe
Stunde feiner Rede mich derart behandelte, als ob ich mich gewei—
gert hätte, feine Fragen zu beantworten. Sch mache ihm jet den
Vorſchlag, eine jede der Fragen zu beantworten, auf die Bedingung
hin, daß er eine gleiche Anzahl meiner Fragen beantworte, Sch harre
auf feine Einwilligung ..... Er bleibt ftumm. Sch fage jest,
daß ich feine Fragen beantworten will, ob er Die meinigen beant-
wortet oder nicht; und nachdem ich damit zu Ende bin, werde ich
ihm meine Fragen vorlegen,
„Seit der Organifation der republifanifchen Partei zu Bloom-
ington, im Mai 1856, habe ich mich ftets als Parteimann durch
Die damaligen und feitherigen Plattformen der Partet gebunden be-
Anhang. | 479
trachtet. Wenn ic) nun in der Beantwortung der Douglas'ſchen
Fragen aufirgend eine Weife die Tragweite jener Plattformen über-
fchreite, fo fällt natürlich die Verantwortlichkeit auf Niemand als
mich felbft.
„Sch gehe nun zu des Richters Fragen über, wie ich fie in der
Chicogo „Times“ abgedrudt finde und beantworte fie seriatim,
Damit fein Irrthum ftattfinden möge, habe ich die Fragen, fowie
auch meine Antworten fopirt, Die erfte Frage lautet wie folgt:
Stage 1. „Ich wünfche zu wiffen, ob Herr Lincoln heute noch
zu Öunften der unbedingten Widerrufung des Geſetzes über flüch-
tige Sklaven ift, wie er im Jahre 1854 war?“
Antwort. „Sch bin weder heute, noch war tch jemals zu Gun—
ften der unbedingten Widerrufung des Gefehes über flüchtige
Sklaven,”
Frage 2. „Sch bitte ihn, zu antworten, ob er heute noch, wie
im Fahre 1854, gegen die Zulaffung neuer Sktlavenftaaten in die
Union, felbft wenn das Volk es wünfcht, verpflichtet iſt?“
Antwort. „Sch bin weder heute, noch war ich je gegen Die
Zulaſſung neuer Sklavenftaaten in die Union verpflichtet.“
Srage 3. „Sch wünfche zu wiffen, ob er gegen die Aufnahme
eines neuen Staates in die Union mit einer foldhen Eonftitution,
wie fie das Volk diefes Staates zu machen beliebt, verpflichtet iſt?“
Antwort. „Ich bin nicht gegen die Aufnahme eines neuen
Staates in die Union mit einer ſolchen Eonftitution, wie fie das
Bolf diefes Staates zu machen beliebt, verpflichtet.“
Frage 4. „Ich wünſche zu mwiffen, ob er heute für die Ab-
fhaffung der Sklaverei im Diftrift Columbia verpflichtet ift 2”
Antwort. „Ich bin heute nicht für Abjchaffung der Sklaverei
im Diftrift Columbia verpflichtet.”
Frage 5. „Sch bitte ihn, zu antworten, ob er für die Dröble
bition des Sklavenhandels zwifchen den einzelnen Staaten verpflich-
tet ift 2”
Antwort, „Sch bin nicht für die Prohibition des Sklaven-
handels zwifchen den einzelnen Staaten verpflichtet.”
Stage 6. „Sch wünfche zu wiffen, ob er für die Prohibition
der Sflaverei in fünmtlichen Territorien der Vereinigten Staaten,
480 Das Leben Abraham Lincolns.
ſowohl nördlich wie fünlich von der Miffouri-Compromißlinie, ver-
pflichtet ift 2
Antwort, „Ich bin andeutungsweife, wenn nicht ausdrüd-
lich, zu einem Glauben an das Recht und die Pflicht des Con—
Hrefies, die Sklaverei in füämmtlichen Ver. Staaten-Territorien zu
prohibitiren, verpflichtet 2
Frage 7. „Ich erfuche ihn, zu antworten, ob er gegen die Ac—
quifition eines neuen Gebietes ift, es fei denn, daß die Sklaverei
zuerft darin verboten würde 2”
Antwort. „Ich bin nicht im Allgemeinen gegen ehrliche Ge-
biet3-Acquifition; gefegten Falls würde ich folcher Acquifition op=
poniren oder würde es nicht thun, je nachdem meines Erachtens
ſolche Acquifition die Sklavereifrage unter * ſelbſt agitiren würde
oder nicht.“ * *
„Nun, meine Freunde, bei genauer Prüfung dieſer Fragen und
Antworten wird ſich ergeben, daß ich bis jetzt blos geantwortet habe,
ich ſei nicht für Dieſes oder Jenes verpflichtet. Der Richter
hat ſeine Fragen ſo geſtellt, daß ich nichts anderes darauf antworten
konnte, weshalb ich fie denn auch dem ſtrengen Wortlaut gemäß be—
antwortete; und ich habe der Wahrheit gemäß geantwortet, daß
ich in Bezug auf feinen der verfchiedenen Punkte verpflichtet
fei. Ich bin indeffen nicht geneigt, mich an die genaue Form feiner
Fragen zu binden. Sch werde hingegen wenigfteng einige derfelben
nochmals aufnehmen und angeben, was ich wirklich Davon denke.
„Was nun die erfte, in Bezug auf das Geſetz über flüch—
tige Sklaven anbelangt, fo ftand ih nie an, und ftehe auch
jest nicht an, zu fagen, daß nah meinem Dafürhalten
das Bolf der ſüdlichen Staaten der Eonftitution der BVereinig-
ten Staaten gemäß zu einem congreffionellen Sklavengeſetz be—
rechtigt ift. Und nachdem ich dies erflärt hatte, bleibt mir in Be-
zug auf das beftehende Gefet über flüchtige Sklaven weiter Nichts
zu fagen übrig, als daß es meiner Anficht nach fo hätte abgefaßt
werden follen, daß es ohne Beeinträchtigung feiner Wirkfamfeit von
einigen gerechten Einwürfen frei geblieben wäre. Inſofern aber
gegenwärtig feine Agitation hinfichtlich einer Abänderung oder Mo-
dififation dieſes Geſetzes ftattfindet, würde ich mich nicht dazu ver-
Anbang. 481
ftehen, daffelbe zu einem neuen Gegenftand der Agitation über die
Sflavereifrage im Allgemeinen zu machen,
„Was nun die zweite Trage anbelangt, ob ich gegen die Zulaf-
fung weiterer Sklavenftaaten verpflichtet fei, fo will ih Ihnen frei
heraus fagen, daß es mir höchft unlieb fein würde, über diefe Frage
entfcheiden zu müffen, Sch würde außerordentlich froh fein, wenn
nie mehr ein neuer Sklavenſtaat in die Union aufgenommen würde ;
ich muß aber hinzufügen, daß, wenn die Sklaverei während der
Zerritorial-Eriftenz irgend eines Territoriums aus demfelben aus—
gefchloffen bliebe, und dem Volke, wenn es fich an die Adoption einer
Eonjtitution macht, eine redliche Chance gegeben würde, unbeein-
flußt von der faktifchen Anwefenheit des Inftituts, feinen Willen
zu erklären, und wenn diefes Bolf dann ein foldhes Monftrum, wie
eine Sflaven-Eonftitution, freiwillig adoptirte, ich Feine andere Al-
ternative fehen Fönnte, als den Staat in die Union aufzunehmen.
„Die dritte Frage ift ihrem MWefen nach diefelbe wie Die zweite,
und ift daher Durch die Antwort auf diefe beantwortet.
„Die vierte Frage bezieht fich auf die Abſchaffung der Sklaverei
im Diftrift Columbia, In Bezug hierauf bin ich längſt ſchon im
Klaren mit mir felbft. Es follte mich außerordentlich freuen, die
Sklaverei im Diftrift Columbia abgefchafft zu fehen. Sch glaube,
daß der Congreß die conftitutionelle Macht befist, fie abzufchaffen.
Dennoch würde ich als Kongrefmitglied mit meinen gegenwärti-
gen Aufichten die Anftrebung der Abfchaffung der Sklaverei
im Diftrift Columbia nur auf folgende Bedingungen bin be-
günftigen: Erfteng, daß die Abſchaffung allmälig ftattfinde;
zweitens, daß fie auf das Votum einer Majorität der qualifi-
eirten Stimmgeber des Diftriftes vorgenommen werde; drit—
tens endlich, daß den unwilligen Eigenthümern Entfhädigung
gegeben werde. Auf diefe drei Bedingungen bin würde ich
außerordentlich froh fein, die Sklaverei im Diftrift Columbia ab-
gefhafft zu fehen, und mit den Worten Henry Clay’s „diefen
Schandfled unferer Nation aus unferer Hauptftadt wegzufegen.“
„Bas nun die fünfte Trage anbelangt, fo muß ich hier fagen,
daß ich in Bezug auf die Abfchaffung des Sklavenhandels zwiſchen
den einzelnen Staaten wahrheitsgetreu antworten fann, dag ich
31
482 Das Leben Abraham Lincolns.
hierüber zu Nichts verpflichtet fei. Es tft dies ein Gegen—
ftand, dem ich nicht jene reiflliche Erwägung gewidmet habe, vie
mich autorifiren würde, eine Pofition anzunehmen, an die ich
gänzlich gebunden wäre. Mit andern Worten, diefe Frage hat .
mir noch nie fo prominent vorgefchwebt, dag ich dadurch veran-
laßt worden wäre zu unterfuchen, ob wir wirklich eine conftitu=
tionele Macht dazu haben. ch könnte fie unterfuchen, wenn ich
die erforderliche Zeit Hätte, mir einen Schluß über jenen Gegen—
ftand zu bilden; allein ich geftehe Ihnen und Richter Douglas,
daß ich es bis jegt noch nicht gethan habe. Ich muß indeffen
bemerken, daß wenn ich der Anficht wäre, der Congreß hätte die
eonftitutionelle Macht, den Sklavenhandel zwifchen den einzelnen
Staaten abzufchaffen, ich trotzdem nicht zu Öunften der Aus—
übung diefer Macht wäre, ausgenommen auf irgend ein confer-
vatives Prinzip bin, Ähnlich dem, daß _ich in Bezug auf die Ab-
Ihaffung der Sklaverei im Diftrift Columbia erwähnte.
„Meine Antwort auf die Frage, ob ich das Verbot der Sklaverei
in ſämmtlichen Territorien der Union wünfche, ift an und für fich
far und vollftändig genug, und könnte durch feinen weiteren
Commentar klarer gemacht werden. Das Gleiche gilt in Bezug
auf die Frage, ob ich der Acquifition weiteren Gebietes opponire,
wofern nicht zuerft die Sklaverei in demfelben verboten würde;
ih müßte meiner Antwort Nichts hinzuzufügen, was diefelbe
deutlicher und augenfcheinlicher machen Fünnte,
„In Bezug auf alle diefe Punkte nun hat der Richter meine
öffentlich ausgefprochenen und ſchriftlich ausgedrüdten Anfichten,
Sch vermuthe, er fehmeichelte fich nicht wenig mit der Anficht, daß
ich wirklich verfchiedene Anfichten über diefelben Gegenftände für
verfchiedene Orte in Bereitfchaft hätte — daß ich mich fürchtete,
an einem Orte zu fagen, was ich an einem andern geäußert hatte,
Was ich hier fage, Das fage ich zu einem großen Auditorium, das
fich fo ftark zum Abolitionismug hinneigt, wie irgend ein Audito=
rium im Staate Illinois; und ich glaube, daß wenn Das, was ich
fage, irgend einem Mann anftößig wäre und ihn mir zum Feinde
machte, es gewiß vielen Perfonen unter diefem Auditorium an
ftößig fein würde.
Anhang. | 483
Brief des Prafidenten Lincoln an General MeClellan.
Wafhington, am 9. April 1862,
„Geehrter Herr: — Ihre Depefchen, worin Sie fi über den
Mangel an gehöriger Unterftügung beflagen, beleidigten mich
zwar nicht, fchmerzten mich aber fehr,
„Blenker's Divifion wurde Ihnen entzogen, ehe Sie von bier
weggingen, Sie fennen den Drud, unter welchem ich es that
und darein willigte — ficherlich gefchah es nicht ohne langes
Zögern.
„Nach Ihrem Abzug erfuhr ich, Daß weniger als zwanzig Tau—
fend unorganifirte Truppen, ohne eine einzige Feldbatterie, Alles
war, was Sie zur Vertheidigung von Wafhington und Manafjas
Junction zu hinterlaffen beabfichtigten, und felbft ein Theil von
diefen war zu General Hoofer’s alter Pofition geftoßen, General
Banks’ Corps, das zuvor für Manaffas Junction beftimmt geme-
fen, war zurüdberufen und an der Linie von Winchefter und
Strasburgh poftirt worden und Fonnte feine Pofition nicht ver—
laffen, ohne auf's Neue den obern Potomac und die Baltimore und
Ohio Eifenbahn zu entblößen. Dies war eine ftarfe Berfuchung
für den Feind, vom Rappahannod zurüdzufallen und Waſhington
zu nehmen; befonders wäre dies jebt der Fall, wenn MeDowell
und Sumner gingen, Meine ausdrüdliche Ordre, daß Wafhing-
ton dem Urtheil der Commandeurs ſämmtlicher Armee-Eorpg zu—
folge vollkommen gededt bleiben follte, war vernachläſſigt worden,
Und gerade diefer Umftand beftimmte mich, MeDowell hier zu be=
halten,
„Ich habe Feineswegs vergeffen, daß ich mit Ihrem Arrange-
ment, Banks zu Manaffas Junction zu laffen, einverftanden war,
Nachdem aber diefes Arrangement bei Seite gefegt und nichts
Anderes dafür fubjtituirt war, war ich natürlich genöthigt, ſelbſt
in der Sache zu handeln. Und num geftatten Sie mir die Frage,
ob Sie wirklich denken, ich follte die Linie von Richmond via Ma-
naſſas Junction nach diefer Stadt gänzlich offen laſſen, ohne
irgend einen andern Schuß, als den zwanzig Taufend unorgani—
484 Das Leben Abraham Lincolns.
firte Truppen zu gewähren vermögen? Dies ift eine Frage, deren
Umgehung mir das Land nicht geftatten wird,
„Es herrſcht ein fonverbares Geheimniß über die Anzahl der
Truppen, die Sie bei fich haben, Als ich Ihnen am 6. telegra=
phirte und fagte, Sie hätten über hundert Taufend Mann bei fi, -
hatte ich eben vom Kriegsfefretär einen Bericht erhalten, der, wie
er mir fagte, von Ihnen felbft herrührte, woraus ſich eine Ge-
fammtzahl von einhundert und acht Tauſend Truppen ergab, die
‚Sie theils bei fich hatten, oder die im Begriffe ftanden, zu Ihnen
zu ftoßen. Sie fagen jebt aber, fie würden bloß fünfundachtzig
Taufend haben, wenn alle en route zu Ihnen geftoßen fein wer-
den, Wie fol ich mir den Unterfchied yon dreiundzwanzig Tau-
fend Mann erklären?
„Beneral Wool's Commando thut, wie ich höre, daſſelbe für
Sie, was eine gleiche Anzahl Shres eigenen zu thun haben würde,
wenn jenes Commando nicht an Ort und Stelle wäre,
„Die ganze Force, die mit Ihnen abging, ift gegenwärtig bei
Ihnen, wie ich vermuthe. Wenn dies der Fall ift, fo denke ich,
daß es endlich an der Zeit wäre, daß fie drauf los ſchlügen.
Durch Zögerungen wird der Feind verhältnifmäßig einen Vor—
theil über Sie erhalten — das heißt, er wird durch Verſchanzun—
gen und Berftärfungen mehr und rafcher gewinnen, als Sie durch
Berftärfungen allein gewinnen fünnen. Ich wiederhole, es ift
unumgänglich nothwendig, daß Sie drauf losſchlagen. Sch habe
nicht die Macht, es Ihnen zu erlaffen. Sie werden mir die Ge-
rechtigfeit widerfahren laffen, fich zu erinnern, daß ich ftet3 darauf
beftand, daß die Bai hinabzugehen, um ein günftiges Terrain zu
gewinnen, anftatt zu Manafjas zu Fampfen, die Schwierigkeit nur
verändern, nicht aber überwinden hieße, und daß wir an beiden
Plätzen denfelben Feind und diefelben oder gleiche Berfchanzungen
finden würden. Das Land wird nicht verfehlen, zu bemerken —
es bemerkt jest fhon — daß Ihr Zaudern, auf einen verfchanzten
Feind loszumarſchiren, nur eine Repetition der Manafas Af-
faire ift,
„Ich verfichere Ihnen, dag ich niemals mit wohlmollenderen
Gefühlen zu Ihnen geredet habe, als jest, noch mit aufrichtigerer
Anhang. 485
Abficht, Sie zu unterftügen, foweit es mir nach gewiffenhaftem
Urtheil möglich ift, Allein Sie müffen handeln,
„Aufrichtig der Ihrige,
Abraham Sincoln.”
„Seneral-Major MeClellan.“
Brief an General Schofield in Bezug auf die Abſetzung des
General Curtis.
„Erelntiv-Gebäude, Waſhington, den 27, Mai 1863,
„General 3. M. Schofield,
„Werther Herr: — Nachdem ich General Curtis abgefegt
und Ihnen das Commando des Miffouri-Departements übertras
gen habe, mag es vortheilhaft für mich fein, wenn ich Sie mit den
Gründen befannt mache, die mich dazu bewegten. Ich fette Gen.
Curtis nicht ab, weil er meiner Ueberzeugung nach Unterlafjungs-
oder Begehungsfehler gemacht hatte, Ich that e8 aus meiner
Veberzeugung, daß die Unionsleute in Miffouri, die, wenn verei-
nigt, eine große Majorität des Volfes ausmachen, einen abjcheu-
lichen, factiöfen Streit unter ſich felbft angefangen haben, bei
welhem Gen. Curtis (vielleicht nicht aus freier Wahl) das Haupt
der einen Faction und Gouverneur Gamble das Haupt der an—
dern war. Nachdem ich mich Monate lang bemüht hatte, die
Schwierigfeiten zu befeitigen, ſchien mir Das Uebel fchlimmer und
und fohlimmer zu werden, bis ich es endlich für meine Pflicht hielt,
demfelben auf irgend eine Art zu fteuern. Da ich nun Gouver—
neur Gamble nicht abfegen Fonnte, mußte ich General Curtis
abjegen. Sebt, da Sie deffen Stelle einnehmen, wünfche ich, daß
Sie fi weder um das befümmern, was Gouv. Gamble, noch um
das, was Gen. Curtis that, fondern daß Sie Ihrem eigenen Ur—
theile nach zum Beſten ver öffentlichen Intereſſen handeln,
Laffen Sie Ihre milttärifhen Maßregeln ftark genug fein, um
feindliche Einfälle zu verhindern und Frieden zu halten, und den—
noch nicht zu ftarf, daß das Volk dadurd bevrüdt und verfolgt
würde. Es ift eine fehwierige Nole, und um fo größer wird die
486 Das Leben Abrabam Lincolns.
Ehre für Sie fein, wenn fie dieſelbe gut fpielen. Wenn beide
Factionen oder Feine über Sie ſchmähen, fo werden Sie wahr-
ſcheinlich im Rechte fein. Hüten Sie fich aber davor, son der
einen angegriffen und von der andern gelobt zu werden.
„Aufrichtig der Fhrige,
Abraham Fincoln.“
Aufgebot von dreihunderttaufend Mann.
„Sintemalen der Dienfttermin eines Theiles der Boluntär-
truppen der Vereinigten Staaten während des fommenden Jahres
ablaufen wird; und |
„Sintemalen es für zwedmäßig erachtet wird, außer den
durch gegenwärtige Ziehung aufgebrachten Mannfchaften ein Auf-
gebot von dreihunderttaufend Mann zu erlaffen, und zwar für
eine Dienftzeit von drei Jahren oder auf Kriegsdauer — jedoch
nicht länger als für drei Jahre:
„Deshalb erlaffe ich, Abraham Jincoln, Präfident der Ber-
einigten Staaten und Oberbefehlshaber der Armee und Marine
derfelben, fowie der Miliz der verfchiedenen Staaten, wenn in
activen Dienjt gerufen, diefe meine Proflamation, wodurch ich die
Gouverneure der einzelnen Staaten auffordere, ihre Quoten von
dreihunderttaufend Mann aufzubringen und für den Dienft der
Vereinigten Staaten anzumerben, und zwar für die im Felde
ftehenden verfchiedenen Compagnien und Regimenter ihrer refpef-
tiven Staaten. ;
„Serner proflamire ich, daß alle fo aufgeforderten und gehörig
angeworbenen VBoluntäre Vorausbezahlung, Prämium und Bounty
erhalten follen, wie es bereits durch fpezielle Briefe vom Kriegs-
departement durch das General-Profog-Marfhalls Bureau den
Gouverneurs der Staaten mitgetheilt wurde.
„Ferner proflamire ich, daß alle durch dieſes Aufgebot erhaltenen
Boluntäre, fowie alle andern, die bisher nicht ereditirt wurden, von
den für nächfte Ziehung feftgeftellten Quoten abgezogen und credi-
tirt werden ſollen.
\
Anhang. 487
„Ferner proflamire ich, Daß wenn irgend ein Staat verfehlen
follte, die ihm unter diefem Aufgebot vom Kriegsdepartement ange»
wiefene Quote zu ftellen, für den fehlenden Reft befagter Quote in
befagtem Staate oder den Diftrikten befagten Staates, eine Ziehung
ftattfinden fol, um die Proportion befagter Quote zu füllen; und
diefe Ziehung fol am fünften Tage im Januar 1864 beginnen.
„Und ferner proflamire ich, dag Nichts in diefer Proflamation
den beftehenden Ordres zumiderlaufen fol, ſowie auch denen, die
für gegenwärtige Ziehung in den Staaten, wo diefelbe jet vor ſich
geht oder noch nicht begonnen hat. |
„Die Quoten der Staaten und Diftrifte werden von dem Kriegs—
Departement durch das General-Profoß-Marfchalls Bureau ange-
wiefen werden, wobei jedoch den zuvor durch freiwillige Anwerbung
oder Ziehung gelieferten Truppen gebührende Rechnung getragen
werden fol. Das Rekrutiren wird in Hebereinftimmung mit folchen
Snftruftionen betrieben werden, wie fie von jenem Departement
erlaffen wurden oder noch erlaffen werden mögen.
„Indem ich diefe Proflamation erlaffe, wende ich mich nicht nur
an die Gouverneurs der einzelnen Staaten, fondern auch an die
guten und loyalen Bürger derfelben und erfuche fie, den hiermit
angeordneten Maßregeln ihre willige und wirkfame Hilfe angedeihen
zu laffen zur Unterftügung und Verſtärkung unferer fiegreichen
Armeen im Felde, um unfere militärifchen Operationen zu einem
glüdlichen Ende zu bringen und die Quellen des Aufruhrs und
Bürgerfrieges für immer zu verftopfen.
„Zum Zeugniß deffen habe ich meine Namensunterfchrift hier
beigefebt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Segeben in der Stadt Wafhington am fiebzehnten Tag des
Monats October, im Jahre unferes Herrn eintaufend achthundert
und dreiundfechzig, und im achtundachtzigften der Unabhängigkeit
der Vereinigten Staaten.
Abraham Sincoln.
„Auf Befehl des Präfidenten :
„Billiam H. Seward, Staatsſekretär.“
488 Das Leben Abraham Lincolns.
Rev. Dr. MePheeters — Erwiederung des Prafidenten auf
ein Gejuh um Einmiſchung.
„Erelutiv-Gebäude, Wafhington, den 23. Dez. 1863,
„Soeben durchlas ich eine Petition, unterzeichnet von etwa drei
Dutzend Bürgern von St. Louis, fowie ihre begleitenden Briefe,
worunter einer von Ihnen felbft, einer von Mr. Nathan Ranney
und einer von Mr. John D. Coalter; fümmtliche in Bezug auf
den hochwürdigen Dr. Me Pheeters, Die Petition bittet mich im
Namen der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, dag ich Dr. MePhee-
ters wieder in alle feine Firchlichen Rechte einfebe.
„Die Petitign deutet jedoch nicht an, melcherlei Firchliche Rechte
ihm entzogen wurden. Sie fagen in ihrem Briefe, Profog-Marfchall
Die habe vor ungefähr einem Jahre Dr. MePheeters, Paftor der
Vine-Straße Kirche verhaften laffen, ihm die Verwaltung feines
Amtes unterfagt und die Leitung der Kirchenangelegenheiten der
Controle der erwählten Kirchenverwalter entzogen. Am Ende des
Briefes jagen Sie, daß ein gewiſſes Verfahren „feine Freilafjung
bewirken würde.’ — Mr. Ranney’s Brief gibt an: „Dr. Samuel
MePheeters ift im Genuß aller bürgerlichen Rechte, darf aber das
Evangelium nicht predigen!” — Mr, Eoalter frägt in feinem
Briefe: „Ift es nicht ein fonderbarer Zuftand der Dinge, daß die
Frage, wem es geftattet fein folle, in einer Kirche zu St, Louis zu
predigen, vom Präſidenten der Vereinigten Staaten entſchieden
werben foll 2 i
„Run ja, dies Alles klingt fehr fonderbar, und obendrein noch,
als ob Sie, meine Herren, den Caſus nicht gleichmäßig verftänden,
Einer von Ihnen belehrt mich, daß dieſer hochwürdige Doktor im
Genuß aller bürgerlichen Rechte fei, während der Andere mir fagt,
ein gewifjes Verfahren würde „feine Freilaffung bewirken.“ Am
zweiten Januar dieſes Jahres fchrieb ich an General Eurtis in
Bezug auf Profoß-Marſchall Dick's Ordre zur Verhaftung des Dr.
MePheeters; da ich nun vermuthe, daß fich ver Doktor jest im
Genuß aller bürgerlichen Rechte befindet, fo eitire ich nur jenen
Theil meines Briefes, der ſich auf die Kirche bezieht. Er lautete
wie folgt: „Ich muß indeffen hinzufügen, daß die Negierung der
Anhang. 489
Vereinigten Staaten fich nicht, wie mit dieſer Ordre gefchah, in Die
Kirchen mifchen darf, Wenn ein Individuum innerhalb oder
außerhalb einer Kirche für das öffentliche Intereſſe gefährlich wird,
fo muß es im Schach gehalten werden; die Kirchen aber müffen
als folche für fich felbft forgen, Es geht nicht an, daß die Regie-
rung der Vereinigten Staaten Auffeher, Verwalter oder andere
Agenten für die Kirchen beftelle.”
„Diefer Brief ging an General Eurtis ab, der fi) damals im
Commando befand, und ich glaubte, meine Befehle feien befolgt
worden, da ich faft ein ganzes Jahr lang Feine weitere Klage von
Dr, MePh. oder feinen Freunden hörte, Sch Habe nie daran ge-
dacht, mich in die Frage zu mifchen, wer in einer Kirche predigen
fol oder nicht; noch Habe ich jemals mit Wiffen und Willen gedul-
det, daß fich irgend Femand in meinem Namen darein mifche,
Sollte fi irgend Jemand auf meine Autorität eine folche Ein-
mifchung zu Schulden kommen laffen, fo wünfche ich davon fpezififch
in Kenntniß geſetzt zu werden.
„sh muß indeffen das Gefuh, Dr. MePheeters gegen den
Willen einer Majorität feiner eigenen Gemeinde wieder in fein
Amt einzufegen, entfchieden ablehnen. Ich wünfche Feine Eontrole
über Kirchenangelegenheiten irgend welcher Art zu haben,
Abraham Fincoln.“
Ordre in Bezug auf eine Wahl im Stant Arkanjas.
„Erefutiv-Gebände, Wafhington, Januar 20, 1864,
„Öeneral- Slajor Steele:—Berfhiedene Bürger des Staates
Arkanfas erfuchen mich, daß in jenem Staate eine Gouverneurs»
wahl abgehalten werden dürfe; — daß es bei diefer Wahl und
fortan zu verftehen fei, daß die Eonftitution und die Geſetze des
Staates in voller Kraft feien, wie vor der Rebellion; mit Aus—
nahme, daß die Eonftitution fo modifizirt werde, daß fie erkläre,
daß Feine Sklaverei oder unfreimillige Knechtſchaft ftattfinden dürfe,
ausgenommen als Strafe für Verbrechen, deren eine Perfon gefeb-
lich überführt worden ift ;—daf die General-Affembly Beſtimmun—
450 Das Leben Abraham Lincolns.
gen für die befreiten Farbigen treffe, durch welche ihre permanente
Freiheit erklärt und anerkannt und für ihre Erziehung geforgt
werde, die aber dennoch als ein temporäres, ihrem gegenwärtigen
Zuftand als einer arbeitenden, land- und heimathlofen Klaſſe an-
gemefjenes Arrangement betrachtet werden fünnen ;—daß befagte
Wahl am 28. März 1864 an al’ den verfchiedenen Drten des
Staates oder ſolchen abgehalten werden, wo die Stimmgeber fich
zu diefem Zwede verfammeln können; — daß die Stimmgeber am
Morgen des befagten Tages um 8 Uhr fi verfammeln und Wahl-
tichter und Clerks erwählen; — daß alle laut befagter Conftitution
qualifizirten Stimmgeber, die den in der Proflamation des Präfi-
denten vom 8. Dezember 1863 vorgeschriebenen Eid entweder vor
oder bei der Wahl leiften, und feine Andere, Stimmgeber feien >—
daß fümmtliche Wahlrichter und Elerks ihre Berichte an oder vor
tem —ten Tag des Monats direft an Sie einfenden ——
daß in allen andern Beziehungen befagte Wahl befagter Eonftitu-
tion und den Geſetzen gemäß vor fich gehe;— daß Sie, wenn nad)
Empfang befagter Berichte fünftaufend vierhundert und ſechs Stim—
men abgegeben fein werden, befagte Stimmen in Empfang nehmen
und jehen fünnen, wer durch diefelben gewählt fein wird; — Daß
am —ten Tage des Monats ſämmtliche erwählten Perfo-
nen, die in Little Rod vor Ihnen erfcheinen und einzeln vor Ihnen
den Eid leiften, die Eonftitution der Vereinigten Staaten und be-
fagte modificirte Conftitution des Staates Arkanfas zu unterftügen,
von Ihnen als qualificirt und autorifirt erklärt werden, fofort die:
Pflichten der refpeftiven Aemter anzutreten, zu denen fie erwählt
worden. |
„Sie werden daher anordnen, daß am 28. März 1864 eine
Wahl ftattfinde, und daß die Berichte fünfzehn Tage fpäter einge-
fandt werben,
Abraham Sincoln.”
Einige Tage darauf fehrieb der Präfivent folgenden Brief:
„William Fiſhback, Efg.:——Als ich einen Plan zur Wahl in
Arkanſas feftftellte, wußte ich nicht, daß fich Fhre Convention mit
berjelben Arbeit befchäftigte. Seitvem habe ich e3 erfahren und
Anhang. 491
dann beftändig verfucht, meinen Plan zu Gunften des Ihrigen zu-
rüdzuziehen. Ich fandte zwei Briefe an General Steele, und drei
oder vier Depefchen an Sie und Andere, worin ich erklärte, daß er
(Öeneral Steele) Meifter fein. müffe, daß es aber wahrfcheinlich
am beften für ihn wäre, der Convention ihren eigenen Plan zu
laffen. Irgend ein einzelner Geift muß Meifter fein, fonft kann
feine Harmonie ftattfinden ; General Steele, als Militär-Comman-
dant an Ort und Stelle, ift der geeignetfte Mann, um diefer Mei-
fter zu fein. Schon jegt telegraphiren einzelne Bürger an mich
und bitten mich, die Wahl auf einen fpäteren Tag zu verfchieben,
als fowohl von der Convention wie von mir dazu beftimmt war.
Es ift Zeit, daß diefem Zwift Einhalt gethan werde. _
Abraham Lincoln.”
Aufgebot von fünfhunderttaufend Mann.
„Sintemalen durd eine Alte, betitelt: „Eine Akte zur Re-
gulation und Beftimmung für die Enrollirung und das Aufgebot
der Nationaltruppen, und für andere Zwecke,“ vorgefehen ift, daß
der Präfivent der Vereinigten Staaten nach feinem Gutachten zu
irgend einer Zeit hinfortan irgend eine Anzahl von Voluntären zu
eine, zwei⸗, oder dreijährigem Militärdienft aufbieten kann; und
daß, im Falle die Quote, oder irgend ein Theil derfelben, in irgend
einer Stadt, Townſhip, Ward, Preeinkt, oder in irgend einem
County, das diefe Unterabtheilung nicht hat, binnen fünfzig Tagen
nach folhem Aufgebot nicht geftellt wird, der Präfident fofort eine
Ziehung für ein Jahr anordnen fol, um ſolche Quote, oder irgend
einen Theil derfelben, der nicht geftellt wird, auszufüllen ;
„Und fintemalen die früher angeordnete neue Enrollirung
jest fomweit vollendet ift, daß obenerwähnte Congreßafte in Opera—
tion gefett werden fann, um das Rekrutiren zu beginnen und die
Stärfe unferer Armeen im Felde, in Garnifonen und anderen mi-
litärifchen Operationen aufrecht zu erhalten, die zum Zwede der
Unterdrüdung der Rebellion und der Wiederherftellung der Auto-
rität der Vereinigten Staaten Regierung in den Jnfurgentenftaaten
erforderlich find:
492 Das Leben Abraham Lincolns,
„Deshalb erlaffe ich, Abraham Sincoln, Präfivent der Bereinig-
ten Staaten, dies mein Aufgebot von fünfhunderttaufend Bolun-
tären für den Militärdienftz wobei jedoch beftimmt ift, dag ſämmt—
lihe Gutfchreibungen, die laut des achten Paragraphen oben
erwähnter Alte für Perfonen gemacht werden, die während der ge—
genwärtigen Rebellion in ven Marinedienft traten, fowie für Per-
fonen, die außer den Quoten früherer Aufgebote von VBoluntärs
für den Militärdienft geliefert wurden, unter diefem Aufgebot für
ein, zwei oder drei Jahre, je nachdem es ihnen beliebt, angenom-
men werden follen; und diefelben follen zu der vom Geſetz bewil-
ligten Bounty für den Termin, für welchen fie fich anwerben ließen,
berechtigt fein.
„And ich proflamire, beordere und befehle hiermit, daß fofort
nad den fünften September 1864, das heißt, fünfzig Tage nach
dem Datum diefes Aufgebots, in jeder Stadt, Tomnfhip, Ward,
Preeinet und in jedem County, das Feine folche Unterabtheilung
hat, eine Ziehung für Truppen auf ein Jahr gehalten werden folle,
um die Quote, oder irgend einen Theil derfelben, auszufüllen, inſo—
fern Diefelbe nicht bis zum fünften September 1864 durch Bolun-
täre gefüllt ift,
„Zum Zeugniß deffen habe ich meine Namensunterfchrift hier
beigefegt und das Siegel der Vereinigten Staaten beifügen laffen.
„Geſchehen in der Stadt Wafhington, am achtzehnten Tag des
Monats Juli, im Fahre unferes Herrn eintaufend achthundert und
vierundfechzig, und im neunundachtzigften der Unabhängigkeit ver
Berrinigten Staaten.
„Auf Befehl des Präfiventen:
„William 9 Semward, Staatsfefretär,“
Abraham Sincoln.”
Brief an Mrs. Gurnep.
Folgenden Brief fchrieb der Präfivent kurz vor feiner Wiederer-
wählung an Mrs. Eliza P, Gurney, eine amerifanifche Dame,
die Wittwe des mohlbefannten Quäkers und Philanthropiften,
Joſeph John Gurney, eines der reichften Banquiers zu London,
Anhang. 493
„Seine geerhrte Freundin: — Ich habe die feierlichen Augen-
blide nicht vergeffen und werde fie wohl nie vergefien, als Sie
mich mit einigen Ihrer Freunde vor etwa zwei Jahren an einem
Sonntag Vormittag befuchten. Ebenſo wenig habe ich Ihren
gütigen Brief vergeffen, den Sie mir etwa ein Jahr fpäter fchrie-
ben. Es war allenthalben Ihre Abficht, mein Vertrauen auf
Gott zu ftärfen. Ich bin dem guten, chriftlichen Volke des Lan-
des fehr zu Dank verpflichtet für feine beftändigen Gebete und
Tröftungen, Niemand aber mehr als Ihnen, Die Zwede des
Almächtigen find volllommen und müffen fiegen, obſchon wir
irrende Sterbliche fie nicht immer vorherfehen können. Wir hoff
ten fchon lange auf eine glüdliche Beendigung diefes furchtba-
ren Krieges; allein Gott weiß am beften, was uns nutzt und
frommt und hat es anders befchloffen, Dennoch aber erfennen
wir feine Weisheit an und auch unferen eigenen Irrthum.
Mittlerweile müffen wir ernftlich fortarbeiten und, erleuchtet von
dem Lichte, Das er uns gibt, Hoffnung hegen, daß unfere Arbeit
dem großen Zmwede gemäß ift, den er fich geſetzt hat. Sicherlich
wird feinem Rathſchluß nad Gutes aus dieſer mächtigen Um—
wälzung entfpringen, die fein Sterblicher herbeiführen oder auf-
halten könnte.
„Ihre Leute, die Quäker, waren und find noch großen Prüfungen
ausgefebt, da ihre Grundſätze und ihr Glaube ſowohl gegen den
Krieg wie auch gegen die Untervrüdung find. Praktiſch können
fie ver Unterdrüdung nur durch den Krieg opponiren. In diefem
fhwierigen Dilemma haben Einige diefes und Andere jenes Horn
ergriffen.
„Für Diejenigen, die fich aus Gemwiffensgründen um Befreiung
vom Militärdienft an mich wenden, habe ich ftets Alles gethan und
werde ich ftets Alles thun, was ich mit meinem eigenen Gewiſſen
und meinem Amtseid vereinbaren kann, Sch zweifle nicht, daß
Sie diefes glauben, und daß Ihre ernften Gebete auch fernerhin
für unfer Land und für mich zum Vater im Himmel auffleigen wer-
den. —
Ihr aufrichtiger Freund, A. Sincoln.”
494° Das Leben Abraham Lincolns,
Der Tennefjee Tefteid.
„Srelntiv-Gebände, Wafhinston, D. E.,
„Samftag, den 22, Oftober 1864.
„An die Herren Wim. B. Campbell, Chomas A. R. Velfon,
James &. P. Carter, Iohn Williams, A. Bliszard, Henry
Cooper, Bailie Peyton, John Fillpett, Emerfon Eiheridge,
John D. Perryman.
„Seine Herren: — Am fünfzehnten d. M. wurde mir ein ge—
drucdtes Papiermanufeript mit etlichen Manufeript-Snterlineationen
vorgelegt. Daſſelbe nennt fich einen Proteft und ift mit Ihren
Namen unterzeichnet, und von einem Dofument begleitet, angeblich
einer Proflamation von Andrew Johnſon, dem militärifchen
Gouserneur von Tenneffee ; desgleichen von einem gefchriebenen
Papier, enthaltend Auszüge aus dem Geſetzbuch von Tenneſſee.“
(Der Proteft ift hier wiederholt; desgleichen auch die Proflama-
tion des Gouv. Johnſon, Datirt vom 30. September, nebft einer
Lifte der Counties von Oft-, Mittel- und Weft-Tenneffee; ebenfalls
Auszüge aus dem Geſetzbuch von Tenneffee in Bezug auf die Elef-
toren für die Präfivdentfchaft und Bice-Präfidentfchaft, Dualififatio-
nen der Stimmgeber für Mitglieder der General-Affembly, Wahl—
pläge und Wahlbeamten.)
„Zur Zeit, ald mir diefe Papiere vorgelegt wurden, hatte ich noch
Feines derfelben gefehen, noch irgend Etwas über den Gegenftand
gehört, auf den fie fich beziehen, ausgenommen in ganz allgemeiner
Weiſe einen eigenen Tag zuvor.
„Bis zum gegenwärtigen Augenblid hat noch Feinerlei Verhand—
lung über den Gegenftand zwifchen mir und Gouverneur Johnſon
oder irgend einem Andern ftattgefunden, der mit jener Proflama-
tion in Verbindung fteht.
„Seit ich die Papiere erhielt, habe ich dem Gegenſtand meine
Aufmerkfamfeit gewidmet, foweit meine drängenden Amtsangelegen-
heiten es geftatteten.
Anhang. 495
„Ich bin zu dem Schluffe gelangt, daß ich Nichts mit der Sache
zu thun haben fann, weder um den von der Convention und Gouv.
Johnſon ausgeftellten Plan zu unterftügen, noch denfelben Ihrem
Berlangen gemäß zu modificiren. Laut der Gonftitution und der
Geſetze ift der Präſident mit feiner Pflicht in Bezug auf die Präfi-
dentenwahl in irgend einem Staate betraut, Auch kann ich in
diefem Falle feinen militärifchen Grund zur Einmifchung in die
Sache erbliden,
„Die von der Convention und Gouv. Johnſon eingeleiteten Be—
wegungen gehen nicht, wie Sie anzunehmen fcheinen, von der Na—
tional-Erecutive aus, Sie laffen fich als nichts Anderes, als eine
unabhängige Bewegung eines Theiles des Ioyalen Volkes von Ten-
nefjee betrachten. — Sch kann in dem Plane weder eine Gemwaltthat,
noch eine Coercion, noch eine Drohung gegen irgend Jemand er=
bliden.
„Gouv. Johnſon hat gleich jedem andern loyalen Bürger von
Tenneſſee das Recht, irgend einen beliebigen politifchen Plan zu
bilden, und es ift feine Pflicht, als militärifcher Gouverneur, den
Srieden in jenem Staate aufrecht zu erhalten,
„Ich kann nicht einfehen, daß er mit feinem Plane mehr be—
zweckt, als dies. Sie jedoch haben an dem Plane auszuſetzen.
„Sie brauchen denfelben nur allein zu laffen, um vollfommene
Sicherheit vor demfelben zu haben. Niemand zwingt Sie, demfel-
ben beizuftimmen,
„Thun Site auf eigene Rechnung friedlich und Ioyal, mas Sie
wollen, fo wird Gouv. Johnſon Ste nicht beläftigen, fondern Sie
im Gegentheil, fo weit es in feiner Macht fteht, vor Beläftigungen
ſchützen.
„Die Abhaltung einer Präſidentenwahl in Tenneſſee ſtreng nach
dem alten Geſetzbuche des Staates iſt jetzt wohl eine Unmöglichkeit.
„Es iſt wohl kaum nöthig, hinzuzufügen, daß nach abgehaltener
Wahl für die Präſidentſchaft und Vice-Präſidentſchaft es nicht den
militäriſchen Agenten noch der Exekutive, ſondern ausſchließlich
einem andern Departement der Regierung vorbehalten ſein wird,
zu entſcheiden, ob die abgegebenen Stimmen in Uebereinſtimmung
E oz
496 Das Leben Abraham Lincolns.
mit der Conftitution und den Geſetzen der Vereinigten Staaten
berechtigt find, gezählt zu werden oder nicht.
„Ausgenommen, um etwaigen Schub gegen Gewaltthaten zu
gewähren, muß ich es ablehnen, mich irgendwie in eine Präfiden-
tenwahl einzumifchen,
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