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717
Das beben der Pflanze
VII. Band
Das beben der Pflanze
Mit zahlreichen Abbildungen im Text, Fakſimiles, Karfen und Tafeln
in Schwarz- und Sarbendruck
IV. Abteilung:
Die Pflanzen und der Menſch
Band |
pon
Barfenbaudirekfor W. bange, Prof. Dr. C. Fruwirth,
Prof. H. Schulz, Prof. Dr. H. Hausrath
Ko5Mos
GESELLSCHAFT
DER NATURFREUNDE
STUTTGART
Stuffgarf
Kosmos, Geſellſchaft der Naturfreunde
Geſchüäftsſtelle: Franckh'ſche Derlagshandlung
1915
Die Pflanzen und der Menid
Band |:
Garten : Selöwirfichait
Obſtbau :: Walo wirtſchaft
Don
Garfenbaudirekfor W. Bange, Prof. Dr. C. Sruwirth,
Prof. H. Schulz, Prof. Dr. H. Hausrafh
Mit 315 Abbildungen im Texf, 9 farbigen und 14 ſchwarzen Tafeln
nach deichnungen und Aquarellen pon W. Conz. B. Bahn. W. Jacobs, J. Kuttner.
R. Oeffinger, H. Wolff-Maage, ſowie nach Photographien von R. Amthor, Forſt-
allefior Boſch, H. Dopfer, Forſtaſſeſſor Saudi, Forſtaſſeſſor 0. Feucht, C. Foerſter.
Prof. Dr. €. Fruwirth, Forſtaſſeſſor Gauer, F. Goerke, B. Haldu. Prof. Dr. H. Haus-
rafh, 6. Heinemann, M. Hesdörffer, H. N. King, C. Krebs, W. bange, Nebelung,
H. Pflüger, W. Roſenthal. Hauptmann Scheimpflug, E. Schroeder, von der Trappen,
6. Urff, J. Wara, A. Waugh, Forſtamtmann Dr. Wimmer u. vielen a.
Stuftgart
Kosmos, 6ejellichaff der Naturfreunde
Geſchäftsſtelle: Franckh'ſche Verlagshandlung
1913
Copyrighf 1913
by Franckh'ſche Verlags-
handlung, Stuttgart
Alle Rechte — bejonders
das der Überſetzung in
andere Sprachen — por-
behalten
Inhaltsperzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Bilderverzeichnis für alle Abteilungen
1. Abteilung:
Der Garten
und ſeine Bepflanzung
von
6arfenbaudirekfor Willy bange.
1. Abſchnitt:
Eine Geſchichte vom Pflanzen
2. Abſchnitt:
Der neue Garten
3. Abſchnitt:
Die Pflanzen
Phyſiognomie und Charakter
Garten-Standorte der Pflanzen ..
Begrünung des Bodens e
höheren Pflanzen .. 78
Pflanzen⸗Anordnung 83
A. Pflanzen im Nebenbei oder lang⸗
ſam fließenden Waſſer mit nähr⸗
ſtoffreichem Boden . 84
B. Waſſerbecken als Brunnen⸗ oder
Springbrunnenbecken, Waſſerbeete 87
C. a) Offene ſonnige Bäche, auch
freinatürliche Abflüſſe von ge—
bauten Rinnſalen . 88
b) Beſchattete Bäche und Abflüſſe 94
D. Gebaute Rinnfale . 94
E. Ufer mit nährſtoffreichem Boden 96
F. Waſſerbeckenböſchungen . 98
a. Hügel mit nährſtoffreichem Boden 99
J. Ebene Lagen . 102
I. Mit allgemeingemiſchten Bo-
deneigenſchaften ohne ein—
ſeitige Eigentümlichkeiten 102
4. Abſchnitt:
Gartenkunſt und Gartenbau eh
Seite
Pflanzenzucht und Sr : 186
Weeiberei a 190
*
|
SEES
Die Einführung > Sn
II. Die einfeitig eigenartigen Stand—
orte naturgemäßer Geſtaltung .
Geſtein oder ſteiniger Boden.
. Naturgemäße Standorte für Lianen
Gebaute Standorte für Lianen n
Trockenmauerwerk N Mörtel mit
Erdfugen
. Böfchungen . .
und II. Ebene Standorte
J. Der Gemüſegarten .
Überſicht über die
Gemüſearten *
II. Der Obſtgarten
III. Der Roſengarten .
Blumengärten. 8
V. Waſſerpflanzenbeete 5
Beete von Steinpflanzen,
und e
Hecken
erzeugniſſe
2. Abteilung:
Die Pflanzen der Felòwirtſchaft
Prof. Dr. €. Srumirfh
1. Abſchnitt:
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen
2. Abſchnitt:
Die Gruppen der Feldpflanzen. Bau und Leben wichtiger Feldpflanzen
w ichtigſten
V
Seite
1
34
54
170
174
177
179
186
195
Seite
209
VI
Seite
1. Kapitel: Die Getreide . . . 227 4. Kapitel: Die Handelspflanzen
2. 5 Die Hülſenfruchter . 258 5. * Futterpflanzen
g. 5 Die Hadfrühte . . 279
3. Abſchnitt:
Wie entſtehen neue Formenkreiſe bei Kulturpflanzen?
Seite
1. Kapitel: Vererbung, Variabili— 3. Kapitel: Ausleſe . g
tät und Modifikabilität 320 4. 6 Die Züchtungsarten
2. „ Die Bariabtlität 138 |
Baſtardierung .. 326
4. Abſchnitt:
Seite
298
314
320
336
340
Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in Privat-, Volks- und Weltwirtſchaft 352
Anhang:
Die Technik der landwirtſchaftlichen Pflanzenkultur einſt und jetzt
Literatur⸗Verzeichnis .
3. Abteilung:
Der Ubſtbau,
ſeine Geſchichte und Praxis
Don
Prof. H. Schulz
1. Abſchnitt:
Zur Geſchichte des Obſtbaus und ſeiner Kulturverfahren
2. Abſchnitt:
Der moderne Obſtbau 8
Seite
Einleitung .. 379 Der Kirſchbaum
Wie ſoll eine moderne Obſtanlage be⸗ Der Pflaumenbaum
ſchaffen ſein? . 381 III. Schalenobit .
Die einzelnen Obſtarten und Sorten . 389 Der Walnußbaum
tt n Der Kaſtanienbaum.
ebam 390 Der Haſelnußſtrauch
aer 394 Der Maulbeerbaum 8
Der Speierlingsbaum . . . . 397 Der Sohannisbeerjtraud .
Der Quittenſtrauc h. . 398 Der Stachelbeerjtraud .
Der Mifpelfttau) . . . . 400 Der Himbeerftraud) .
II. Steinobit . . l Der Brombeerſtrauch
Der Aprikoſenbaum l Die Erdbeere .
Der Pfirſichbaum 402 Der Weinftod .
Der Mandelbaum 404
3. Abſchnitt:
Der Formobſtgarten 8
Seite
Einleitung . 423 Die Palmette
Welche Formen ſollen zur pflanzt A!Breigezogene Spaliere
kommen? ö 427 Die freiſtehenden Formen
Die Schnurbäume . | Die Unterfulturen im Formobſtgarten
4. Abſchnitt:
Kurze Bemerkungen über Baumpflege und Veredlung
Seite
Pflege der unterirdiſchen Teile . 431 Pflege der ee Teile
Die Düngung %. AR Der Schnitt
ies 434 | Das Auslichten
361
367
Seite
Seite .
Das Verjüngen. 435 Die Leiden der Obſtbäume
Das Umvere deal 435 4 Der Licht: und Luftmangel
Das Ausputzen . .. 436 Der Waſſermangel
Die Wundbehandlung! Pr 436 Die a
Das Reinigen des e und der | Der Froſt
Der Einfluß des Waldes
Karten Aſte 437
5. Abſchnitt: ’
Das Lagerobſt und feine lohnende Aufbewahrung
6. Abſchnitt:
Unter welchen Verhältniſſen kaun bei ungünſtigem Klima und unter beſtimmten
Bodenbedingungen noch Obſtbau getrieben werden?
7. Abſchnitt:
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der N und der ER des .
baus in den verſchiedenen Kulturſtaaten
Literatur
4. Abteilung:
Die Waldwirtſchaft
von
Prof. Dr. H. Hausrafh
1. Abſchnitt:
Aus der Geſchichte der Waldwirtſchaft
2. Abſchnitt:
Waldbau her.
Seite
Die Holzarten in ihrem Verhalten zu Der Überhalt ..
Boden und Klima . 487 Der Unterbau- und eich wuchsbetrieb:
Die klimatiſchen Waldeinheiten Euro- Mayrs Kleinbeſtandswald Ä .
pas und ihre . RER 493 Wahl der Verjüngungsweiſe
Die Holzarten. e 49 Der Mittelwald .
Die Betriebsarten. 3 Die Formen des Niederwaldes
Vorzüge gemiſchter Beſtände 2 Der Kopfholzwald 5
Der Femel- oder Sa 527 Die künſtliche Veſtandsgründung
Die Femelſchlag form . . . 532 Beſtandspflege . ; l
Die Schirmſchlag form.. 533
3. Abſchnitt:
Leiden und Feinde des Waldes 5
Seite
Licht und Ze SEIN Sn
Bulle..." . Pflanzen
TCC riere 5
Wind und Stumm . . 579 Der Menſch als Waldverderber
4. Abſchnitt:
Umfang und Ertrag der Waldungen
5. Abſchnitt:
Wohlfahrtswirkungen des Waldes und Waldſchönheitspflege
Literatur .
VII
Seite
438
438
438
439
439
440
441
441
446
468
Seite
570
580
583
584
588
591
596
611
VIII
Bilder -Verzeichnis
Sarbendruckfafeln
Reiches Gartenheim .
Pflanzung nach Naturmotiven im e Willy Lange Tafel A
Pflanzung nach Naturmotiven im Gartenheim Willy Lange Tafel B
Garten am Bürgerhaus nach Motiven des a
Hülfenfrüchter . N Vote,
Kartoffel (Solanum en h
Handelspflanzen
Futterpflanzen .
Schwarzwaldtanne
Schwarze Tafeln
Verzierter Nutzgarten in Wannfee .
Laubengang in Sansſouei bei Potsdam.
Garten mit Laubengang 3
Eingang zu einem ländlichen Garten 5
Der erſte Dampfpflug in Deutſch-Oſtafrika in Sohn
Dampfpflugapparat nach dem Zwei-Maſchinen-Syſtem 3
Lanzſche Dampfdreſchgarnitur mit Lanzſcher e
Vom Apfelſchorf eek: Aue im Winter g
Pfirſich a
Stachelbeere :
Haferpflaume oder erung .
Weymouthskiefer .
Kiefer . 5
MWetterfichte .
Seite
VIII -
48
64
128
258
296
298
314
576
32 -
96
160 —
192 -
208 -
360 —
368 —
384 =
400 —
416 —
432 —
496
520
560
1. Abſchnitt.
Eine Geſchichte vom Pflanzen.
Es war eins der wichtigſten Ereigniſſe in der Geſchichte der Menſchheit, als
einer entdeckte, daß eine Pflanze ſich von ihrem Standorte loslöſen ließ und am
neuen Orte weiterwuchs. Die Natur war hierbei die erſte Lehrmeiſterin: ſah
man doch, wie die Frühjahrskluten der Bäche Uferpflanzen losriſſen, fie talwärts
führten und dort am flachen Schwe n land mit Schlamm überdeckten; ungeſchwächt
wuchſen ſie hier weiter. So mußte man's auch machen: Pflanzen aus ihrer Gemeinſchaft
mit anderen auswählen und an der Hütte, im Flußtal mit „ſchwarzem“ Boden
bedecken; wo es recht feucht war, wo alle andern Pflanzen vorher entfernt waren,
da wuchſen ſie beſſer als in der Natur mit anderen zuſammen, wurden größer,
nützlicher. Es war eine Entdeckung, auf der — nächſt der Ausnutzung des Feuers —
alles übrige beruht, was der Menſch errungen hat; und doch war die Entdeckung des
Pflanzens nichts Fertiges; denn wir arbeiten heute noch daran, die beſte Art, Zeit,
Ernährung und Behandlung der Pflanzungen zu erforſchen. So nah ſtehen wir
überall, trotz unſeren Fortſchritten, dem Anfang!
Nur was irgendwie nützlich war, wurde geſammelt und gepflanzt. Auch was
andern vermeintlich oder wirklich ſchaden konnte, galt dem, der es beſaß, für nützlich.
So ſchwach, wie der Menſch ſich der Natur gegenüber fühlte, ſo ſchwach waren auch
ſeine Götter; jeder Gott hatte eine verletzliche Stelle, an der man ihm beikommen
zu können glaubte, wenn man nur den rechten Zauberſpruch beſaß und die rechten Mittel;
dann mußte er einem dienen. Und die rechten Mittel waren Dinge der Natur, die
man nur kennen mußte, um ſie anzuwenden, Pflanzen, Tiere und Bilder von Pflanzen
und Tieren, die man ſich machte. Das Bild eines Weſens galt ſo viel, daß man
das Weſen ſelbſt in ſeine Gewalt bannen konnte, wenn man ſein Bild beſaß. Bild—
zauber nennt man's heute, und jahrtauſendelang war er die Religion der Völker,
bis einſt die Gottheit ſo groß gefühlt wurde, ſo einheitlich und allein, daß das
Gebot lauten konnte: Du ſollſt dir kein Bildnis noch Gleichnis machen! Und im
Bildzauber ſpielen die Pflanzen eine große Rolle; waren ſie doch leicht zugänglich;
aber um ihnen beſondere Kraft zu geben, mußten fie zu beſtimmten Zeiten, an be—
= ſtimmten Orten und wenn Mond und Sterne beſtimmte Stellungen am Himmel
hatten, gewonnen, geweiht, „beſprochen“ werden. Kreuzweg, Mitternacht und Voll—
100
Lange, Der Garten. 2
LIBRAR
NEW VOI
BOTANIC.
GARDEN
2 1. Abſchnitt.
mond, Kirchhof und Richtſtätte ſind heute noch für viele Vermittler des Grauens.
Dort wurden die Pflanzen „beſprochen“.
Und wenn wir zu Pfingſten Birkenzweige an Haus und Brunnen ſtellen, zu
Oſtern „Palmkätzchen“ oder Palmblätter weihen laſſen und bis zum nächſten Oſter—
feſt am Haus befeſtigen, ſo weihen wir in Erinnerung an die Sitte der Ur—
eltern das Haus für das Gute und gegen das Böſe. So nahe ſtehen wir dem
Anfang. *)
Zahlreiche Pflanzen unſerer Gärten verdanken ihre Namen und auch ihre ur—
ſprüngliche Anſiedlung ſolchem Glauben; Sage und Märchen, der Menſch gaben
ihnen eine andere Bedeutung als die Natur. Heil- und Zauberpflanzen,
meiſtens ſtark riechende, von Tieren des Waldes gemiedene, als Giftpflanzen tod—
bringende, galten mit geheimnisvollen Kräften begabt und wurden abſichtsvoll ge—
pflanzt, früher als die, welche wir heute im Gemüſe- und Obſtgarten als Nutz-
pflanzen“) bezeichnen. Dieſe verdanken ihre Entdeckung dem Zufall; noch heute
ſehen wir, daß ab und zu Wildpflanzen „in Kultur“ genommen werden. Durch
jahrtauſendelange Zucht haben ſie, beeinflußt von kräftigem Boden und losgelöſt
von der Konkurrenz der Standortsgenoſſen in der Natur, einen ſo veränderten
Charakter angenommen, daß bei manchen die wilden Stammformen nicht mehr er—
kannt werden, vielleicht auch ausgeſtorben oder durch natürliche Ausleſe ſo verändert
worden ſind, daß wir ſie eben als Stammformen der Kulturpflanzen nicht mehr
erkennen.
Dieſe eigentlichen Nutzpflanzen mußten gegen die unterdeſſen gleichfalls ge—
züchteten Haustiere und die Tiere des Waldes und Feldes geſchützt werden; ein
Zaun wurde um ſie geſtellt zum Schutz für alles, was innerhalb, gegen alles,
was außerhalb iſt. So ward der erſte „Garten“. Selbſt in höchſter Beſchränkung
auf kleinſtem Raum zur Nutzpflanzenzucht entſteht ein „Garten“, wenn dieſer Raum
umzäunt iſt (Abb. 1). Im Spreewald trennt man auf dem „Hof“ oft ein nur 2
bis 4 qm großes Stück Land mit Gerten ab, als „Garten“.
Urſprünglich, wegen ſeiner Verwandtſchaft mit Gerte, Ger (— Speer) wurde
der Schutzbegriff im Worte „Garten“ beſonders betont. Und hierauf beruhen nicht
nur die Weſenszüge der erſten Pflanzungen im Garten, ſondern auch Übertragungen
des Begriffes auf andere Dinge, denen nachzugehen für den Freund der Sprachen—
kenntnis beſonders reizvoll iſt.““)
) Wie mächtig der Bildzauber noch heute im Aberglauben des Volkes iſt, dafür hat
Richard Andree ſehr beredte Beiſpiele zuſammengeſtellt in ſeinen Aufſätzen „Sympathiezauber“
und „Bildnis raubt Seele“ (erſchienen in dem Buch „Neue ethnographiſche Parallelen“). Willy
Paſtor wies darauf hin, daß dieſer Bildzauber eine ältere Weltanſchauung darſtellen müſſe als
der Animismus, den man bis dahin als den älteſten Jenſeitsglauben der Menſchheit anzuſehen
gewohnt war. Von Ethnologen, wie Preuß, wurde für dieſe Anſicht ein ſo reiches Material der
Beſtätigung beigebracht, daß ſie jetzt allgemeine wiſſenſchaftliche Geltung gewann. — Mit großer
Wahrſcheinlichkeit hat Willy Paſtor die berühmten tierfigürlichen Darſtellungen aus der „Renntier—
zeit“ als Dokumente des uralten Bildzauberglaubens in Anſpruch genommen. Eine Parallele hierzu
iſt der „Klangzauber“. Vgl. Willy Paſtor, „Geburt der Muſik“, Leipzig 1910.
**) Über die Anfänge der Pflanzen- und Tierzucht vgl. die Schriften von Dr. Ed. Hahn,
3. B. „Das Alter der wirtſchaftlichen Kultur der Menſchheit“, Heidelberg 1905, und „Die Ent—
ſtehung der Pflugkultur“, Heidelberg 1909.
) Siehe unter „Garten“ in „Deutſches Wörterbuch“, J. und W. Grimm, Leipzig 1854.
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 3
Wie tief
mußte im germa⸗
niſchen Weſen die
Gartenfreude
ſchon eingeprägt
ſein, wenn ſich
Worte wie
Wonnegarten für
den Himmel oder
für die ſinnig zar—
teſten Vorſtellun⸗
gen vom umheg—
ten Raume des
Liebesglückes bil-
den konnten;
wenn die Reize
Kriemhilds zu Abb. 1. Sure 5 Ye Landzunge in Cette, Südfranfreih. (Die kaſtenartigen
eh e e vor den Häuſern find die „Gärten“. t. Will 5
Worms miteinem en“.) (Phot. Willy Lange.)
Roſengarten verglichen wurden, um deſſen Beſitz ein Kampf entbrannte. Das ganze
mittelhochdeutſche Gedicht „Der Roſengarten“ baut ſich in ſeiner poetiſch-ſymboliſchen
Fabel auf der Vorſtellung auf, daß König Gibich in ſeiner Tochter einen Garten
pflege und verteidige:
„Der König Gibich hatte einen Garten an dem Rhein,
Wer in denſelben einbrach, des Diener wollt' er ſein;
Der hatte keine Mauern, kein Waſſer ihn umfloß,
Es war nur eine Borte von Gold?), die ihn umſchloß.
Es war in dieſem Garten an Freud' und Wonne genug,
Hei, was der Garten Roſen und lichte Blumen trug!
Es pflegte ſein Kriemhilde und hielt ihn wohlverwahrt,
Ihr halfen Frauen milde und Mägdlein edler Art.“
Ganze Länder, von Bergen umſchloſſen, mit üppigem Pflanzenwuchs werden
als Gärten bezeichnet; das Land, das vom Meer begrenzt iſt, wird dadurch zum
Landgarten, ja die ganze Welt zum „Garten Gottes“, der ſie hegt. So voll und
tief iſt dieſes Wort, daß es zum Sinnbild des Höchſten und Unausſprechlichen wird.
Das ſollten bedenken, die als „Gärtner“ beſtellt ſind, den „Garten“ zu hegen;
ſollten ſich der Pflichten bewußt ſein, die ihnen der uralte geſchichtliche Adel dieſes
Begriffes auferlegt. Der Garten umſchloß das erſte perſönliche Familieneigentum
mit feinem Garten- oder Steinzaun, welches vom „offenen“, gemeinſamen Acker- und
Weideland des Stammes abgetrennt wurde; dadurch ward eine Garteneinheit zum
Landmaß, wie noch jetzt im engliſchen Yard.
Die Übertragungen auf andere Dinge liegen dann nahe: Salzgärten ſind von
Landwällen umgebene Waſſerbeete, Auſterngärten (Abb. 2) dienen zur Zucht von
Schaltieren, durch hölzerne Wege zugänglich gemacht, und ein merkwürdiger Zweig
) Der Gürtel, den Kriemhilde trug.
4 1. Abſchnitt.
des Begriffes „Abſchluß von der Offentlichkeit“ wird in Spanien durch »jardin« in der
Bedeutung des engliſchen closet bezeichnet. (Eine Parallelauffaſſung zeigt das altſkandi—
naviſche „Skid-Gart“.) * *
*
Immer, wenn etwas, das als Urhandwerk zunächſt jeder kann, wie pflanzen,
graben, „gärtnern“, zu höherer Ausbildung gebracht wird, bildet ſich eine Technik
heraus, die ſchließlich dem Urbegriff, der in ſeiner erſten Einfachheit vergeſſen ward,
anhaften bleibt. So erhält der Nutzgarten bald ſeine Einteilung, ſeine Beete, eine zweck—
mäßige Verteilung der Pflanzen. Man findet, daß Ordnung und Regelmäßigkeit
zu guter Ausnützung der Fläche führen, daß die einzelnen Pflanzen am beſten ge—
5
W 2
N
Abb. 2. Auſterngarten in Cette, Südfrankreich. (Die „Beete“ enthalten die Muſcheln im Waſſer.) (Phot. Willy Lange.)
deihen, den größten Nutzen bieten, wenn jeder ein beſtimmtes Wurzelgebiet zu—
gewieſen wird, und alle bodenwüchſigen Pflanzen als Unkräuter neben ihnen ver—
nichtet werden. In einer Jahrtauſende alten Dauer wird ſo die Regelmäßigkeit und
Gradlinigkeit der Garteneinteilung wie untrennbar von der Gartenvorſtellung empfunden.
Eine Gartenpflege, welche der älteſten in Europa ſehr naheſteht und zu—
gleich ungeheuer ausgedehnt iſt, haben die Mittelmeergebiete; in den trockenen,
nicht der Bewäſſerung erſchloſſenen Gebieten ſind es wenige Pflanzenarten, be—
ſonders Olbäume, welche zugleich der Landwirtſchaft angehören; hier und dort Wein,
Johannisbrotbäume zur Ernährung der Maultiere. Dieſe Kulturen ſcheinen uns
dürftig, und doch genießen fie eine hohe gartenartige Pflege: ſtets iſt der Boden
locker und unkrautfrei durch Behackung; die geringſte Möglichkeit, eine kleine Ebene
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 5
zu gewinnen, wird durch Terraſſierung ausgenützt. Ganze Länder an der Küſte
zeigen den gleichen Charakter und führen uns in die Zeiten der erſten Bewirt—
ſchaftungsform des Bodens zurück, die immer mit der Hand und einem der
ſcharrenden Hand nachgebildeten Werkzeug, der Hacke, erfolgte, während es den
Völkern in fruchtbaren Ebenen mit humusreichem Boden vorbehalten blieb, Tiere
zu Hilfe zu nehmen und vor den Pflug zu ſpannen, der anfangs nichts anderes war
als eine große Hacke.“) Die Geſchichte der Werkzeuge iſt immer das Spiegelbild
der Entwicklung, und da die Hacke als Waffe und zugleich als Bodengerät in
dem Steinkeil des Steinzeitmenſchen ihren Urſprung hat, andererſeits aus ihr der
Pflug ſich erſt herausbildete, ſo wird auch auf dieſem Wege erwieſen, wie alt der
Abb. 3. Entſtehung der Gartengeräte.
1. Scharrende Hand. 2. Scharr- und Pflanzholz in der Hand. 3. Aſtgabel als Hacke. 4. Aſtgabel als
Pflug. 5. Fauſtteil. 6. Hacke tropiſcher Völter. 7. Axt. 8. Hacke 9. Rechen aus geſpaltenem Bambus.
Gartenbau iſt, wie aus ihm erſt die Landwirtſchaft mit tieriſchen Hilfskräften hervor—
ging. Das wollen wir uns beſonders eindringlich merken, denn die heutige Landwirtſchaft
betrachtet gern den Gartenbau als einen geringeren Verwandten, nicht als ihren Vater.
Stehen wir aber vor dem großen Glasſchrank im Berliner Völkermuſeum, der die Reſte
der bisher älteſten Menſchen unſerer Bekanntſchaft in dem Homo Mousteriensis Hauseri
birgt, ſo ſagt uns der Steinkeil neben des Toten Hand, daß ſchon dieſer älteſte Ahn
mit der Hacke kämpfen konnte und vielleicht auch den Boden mit ihr zu lockern verſtand.
) Zu gleichen Ergebniſſen wie Dr. Ed. Hahn bin ich ohne Kenntnis feiner Schriften ge—
kommen in bezug auf die Entwicklung der Gartengeräte und die frühere Entſtehung des Garten—
baues gegenüber der Landwirtſchaft in meinem Aufſatz: „Der Urſprung des Gartens“ in der Zeit—
ſchrift „Die Gartenwelt“, Bd. III, Berlin 1899, dem ich die Abbildung (3) entnommen habe.
6 1. Abſchnitt.
Abb. 4. Gartenartige Bodenwirtſchaft mit Bewäſſerung im ſpaniſchen Mittelmeergebiet.
(Phot. Willy Lange.)
Die Mittelmeerländer zeigen in den einfachen Formen der Ackergeräte, z. B.
beſonders auf den Kanariſchen Inſeln, — Inſeln ſind bis zu unſerer Zeit dem Neuen
immer ſchwerer zugänglich, — wie nahe ſie noch heute dem Anfang der Pflanzen—
zucht ſtehen, wie aber Grundelemente der Behandlung ſicher geübt wurden, ehe ſie in
den Urſachen verſtanden wurden: die Bodenlockerung führt zur Durchfeuchtung des
Bodens, indem die von Waſſerdampf geladene Luft in den lockeren Boden ein—
dringen und zur Nachtzeit (infolge des Wärmeunterſchiedes von Erde und Luft)
ihre Feuchtigkeit niederſchlagen kann an Bodenteilchen und Wurzelſpitzen, von
denen die Waſſerbläschen begierig aufgenommen werden.“) Die gelockerte Schicht
der Oberfläche ſchützt andererſeits die tieferen Bodenſchichten vor Verdunſtung;
dazu wird der Wettbewerb der Unkräuter um Waſſer und Nahrung ausgeſchloſſen.
Es wird wohl kaum ein ſpaniſcher Olivengärtner dieſe Erklärungen geben können,
aber die Erfahrung von der Nützlichkeit der Bodenlockerung iſt ihm Überlieferung
geworden. So ſieht man eine große Ordnung in der Bodenkultur, die ſich über weite
ſüdliche Länder erſtreckt und uns den Kraftaufwand, an dem Jahrtauſende beteiligt
ſind, bewundern läßt (Abb. 4). Alle Regelmäßigkeit und Ordnung iſt dort aber nur
auf praktiſche Ziele gerichtet. Wir, die wir durch ſtrenge geiſtige Schulung gegangen
ſind und an jeder Form prüfen, ob ſie auch wirklich den Maßverhältniſſen entſpricht,
*) Volger führte auch die Bildung des Bodenwaſſers in ſeiner „Quellentheorie“ zu einem
großen Teil auf die gleiche Urſache zurück.
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 7
welche ihr eigentlich zugrunde liegen, ſehen in dieſe Unzulänglichkeiten gern etwas
hinein, das wir als „maleriſch“ bezeichnen (Abb. 5). Dieſe Auffaſſung verführt aber
zu falſchen Einſchätzungen der gärtneriſchen Pflanzungskunſt in den Mittelmeerländern.
Soweit nämlich dort nicht germaniſcher Einfluß, germaniſche Leitung walten, iſt
die urwüchſige mittelländiſche Bevölkerung im Garten noch nicht bis zur Durch—
führung planvoller Regelmäßigkeit gelangt; zur Durchführung der Regelmäßigkeit
um ihrer ſelbſt willen, was immer eine gewiſſe Menge von Selbſterziehung, Willen
und Fleiß vorausſetzt (Abb. 6). Selbſt in Madrid, wo die klimatiſchen Verhältniſſe
nicht mehr ſo ſcharf eingreifen wie am Mittelmeer, iſt dort, wo man nach germani—
ſchen Vorbildern arbeiten wollte, deutlich zu ſehen, daß Wille und Urteil nicht ernſt
und ſtreng genug zur Ausführung waren.
Man kann ſagen, daß in der Geſtaltung der Gartenpflanzungen die Kultur—
länder des Mittelmeergebietes, dort, wo einheimiſche Gärtner am Werke ſind, und
germaniſche Leitung fehlt, den Entwicklungszuſtand des deutſchen Bauerngartens in
ſeinen charakteriſtiſchen Erſcheinungen kaum erreicht haben. Bedenken wir, wie alte,
ja klaſſiſche Kultur auf andern Gebieten jene Länder ſahen, einen wie großen Teil
Europas, Aſiens, Afrikas ſie geiſtig befruchteten und heute noch beherrſchen, be—
denken wir, daß von unſerem europäiſchen Standpunkt eine nordiſche Kultur von
ſüdlicher Kultur ſich ſcharf unterſcheiden läßt, ſo wird durch dieſe Ausführungen
a DIE = ö -
u N 8 ru *
4 7 nn 1
r 2 9
* WET, — — De.
Abb. 5. Maleriſche Wirkung einer Weinlaube und Ölfrüge antiker Form auf Teneriffa.
(Phot. Willy Lange.)
8 1. Abſchnitt.
klar, wie tief die ſüdliche große Hälfte Europas gegenüber der nördlichen in der
Durchführung der Gartenpflanzung ſteht.“)
Dieſe Tatſache iſt für eine gerechte Wertung der Geſchichte des Pflanzens und
des Gartens von großer Bedeutung. Von jeher ſahen die Germanen ſehnſuchtsvoll
nach dem Süden, dahin, wo in jedem Herbſt ihre Sonne ſank, wenn hoch im
Norden, dem Urſitz germaniſcher Völker, die ja längſt eine Kultur hatten, als noch
der Urwald Mitteleuropas hier jede Beſiedlung unmöglich machte, wenn hier im
Norden die lange Winternacht ſie umfing. Dieſe Sonnenſehnſucht ſteckt den Ger—
manen von Urbeginn im Blut, regte ihren Wandertrieb an, welcher ſüdlichen und
Abb. 6. Aus einem jungen Garten in Orotava. Die oberirdiſchen Waſſerzuleitungen zu jedem einzelnen Baum
ſtören die Wirkung der Pflanzung. (Phot. Willy Lange.)
öſtlichen Nachbarſchaften die Grundlagen einer Kultur gebracht hat, die dann erſt
wieder in die mitteleuropäiſchen Urwälder zurückſtrömte.“ “) Erfüllt der Süden die
nordiſche Sehnſucht nach dem Land, wo im dunklen Laub die Goldorangen glühen?
Jahrhunderte haben ſich in die Erfüllung der Sehnſucht hineinempfindelt. Heute
ſind wir ehrlicher, des Wertes der eigenen Heimat bewußter. Palmen und Orangen
ſind an und für ſich nicht wertvoller als Eichen und Apfel, ihr Unterſchied iſt nur
klimatiſch begründet (Abb. 7). Wo wir aber im kleinſten, gut gepflegten Gärtchen des
) „In der Durchführung der Gartenpflanzung“; die Gärten der italienischen Renaiſſance
ſind „gebaute“, nicht „gepflanzte“ Gärten. Eigene Anſchauung, die ich mir in einem großen Teil
des Mittelmeergebietes über die Einflüſſe der Römer und Mauren auf die Gartengeſtaltung ge—
wonnen habe, zwingt mich zu dieſem Urteil.
) Vgl. Willy Paſtor: „Der Zug vom Norden“, Jena und Leipzig 1906.
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Eine Geſchichte vom Pflanzen. 9
Nordens Ordnung, Plan und Sinn für das Ganze ſuchen und meiſtens finden, da ſuchen
wir im Süden alles dieſes vergeblich. Der Südgärtner, das Volk in ſeiner breiten Maſſe,
für das er Gärten ſchafft, hat noch keinen Sinn für ein Ganzes im Garten; er beſteht
ihm nur aus gleichwertigen Teilen (Abb. 8), und dieſe werden unabhängig voneinander
wie Einzelbeete und Einzelgärtchen behandelt; weder Umfang noch Form der Beete
und Gruppen zeigen genaue Maßeinhaltung, ſcharfe Form und Begrenzung, zielbewußte
ſymmetriſche Bepflanzung, Rückſicht auf das Nachbarbeet oder auf das Ganze des Gartens.
Abb. 7. Palmenpark in Barcelona. Die einzelnen Beete ſind wegen des felſigen Grundes durch Auffüllung des
Bodens gewonnen. Der Boden zwiſchen den Palmen iſt ohne Pflanzenwuchs, die Böſchungen ſind mit kanariſchem
Efeu (oft auch mit Mesembrianthemum) bekleidet. (Phot. Willy Lange.)
Sind wir nicht hier unverſehens in Fragen nach der Geſtaltung des Gartens
hineingekommen? Wir wollten doch eine Geſchichte der Pflanzung hören! — Die
große Ordnung und Bodenpflege der gärtneriſchen Landwirtſchaft der Mittelmeer—
länder brachte uns darauf, zu fragen, ob dieſe Ordnung, welche der Landwirtſchaft
hohen Wert gibt, im Gartenbau zu bewußtem, gewolltem Ausdruck kommt. Aus
eigener vielſeitiger Anſchauung und Vergleichung muß ich dies verneinen und weiß,
was ich ſage, wenn ich behaupte, daß der Formenſinn im germaniſchen Bauerngarten
höher als im Süden ſteht, daß er ſchon die Form um ihrer ſelbſt und der Wirkung
des Ganzen willen pflegt, nicht mehr nur Rückſicht auf das Gedeihen der Pflanzen
nimmt. *) * | *
*) Wo im Süden Anſätze zur proportionierten Formung der Pflanzung beſtehen, ſind ſie
10 1. Abſchnitt.
Abb. 8. Garten bei Orotava (Teneriffa) unter germaniſchem Einfluß gepflanzt und gepflegt. Die Formen ſtehen
fünftlerifch auf der Stufe des germaniſchen Bauerngartens; fie ſind mit Myrtenhecken gezeichnet. Jedes Beet iſt in
der Pflanzung unabhängig vom anderen. Ebenſo ſind die Bäume nicht in ſtrengen Beziehungen zur Heckenornamentit
gepflanzt. Die Beſonnung des Ortes geſtattet die Anlage von „Hecken unter Bäumen“, was unſer Klima nicht
erlaubt. (Phot. Willy Lange.)
Die Form der Pflanzung macht in der geſchichtlichen Entwicklung Fort—
ſchritte und beſtimmt ſchließlich ſo weit den Geſamteindruck des Gartens, daß er nach
den Formen feinen Namen empfängt. Bevor wir aber von dieſer Entwickelung weiter:
reden, müſſen wir uns bewußt werden, ein wie neues bedeutſames Ereignis es war,
als zum erſtenmal ein Menſch eine Pflanze um ihrer Schönheit willen pflanzte,
nachdem alle anderen ſeit vielleicht Jahrtauſenden nur Nutzpflanzen gepflanzt hatten.
Wer es war, wiſſen wir nicht; wenn die Alten nicht ſchon verlernt gehabt hätten,
ſich über die Tatſache zu wundern, daß man Pflanzen um ihrer Schönheit willen
pflanzt, — es muß wohl ſchon ſehr lange her ſein! —, dann hätten fie ein ſchönes
Märchen von einer Jungfrau gedichtet, die der Königsſohn erſehnte, und die zu ſchön
war, um ſeiner wert zu ſein; nur als Blume durfte er ſie alljährlich einmal ſchauen,
und als er ſtarb, wuchs dieſe Blume auf ſeinem Grabe. So etwa, nur viel ſchöner
wäre das Märchen geweſen von dem, der die erſte Blume um ihrer Schönheit willen
gepflanzt hat. Seine Volksgenoſſen werden ihn in den verſchiedenſten Sprachen mit
Worten genannt haben, die ſo viel wie Phantaſt, Schwärmer, Träumer geheißen haben
mögen, vielleicht auch ſchlimmer. Wir aber wiſſen: wer zuerſt eine Pflanze pflanzte
um ihrer Schönheit willen, der hatte den Idealismus entdeckt, er war der Urzeuger
nicht zur Vollendung des zugrunde liegenden Formenplanes gediehen. Es macht den Eindruck,
als ſei die Hand, die ſchaffen wollte, müde in den Schoß geſunken (vgl. Abb. 9)
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 11
jener geiſtigen Entwicklung, die mehr will als nur nützliche Zwecke erfüllen. Jener,
den wir im Anfang die erſte Nutzpflanze anbauen ſahen, war der Vater aller Zivili—
ſation, Technik, alles praktiſch-nützlichen Denkens, aller verſtandesmäßigen Berechnung;
er ſchuf die Grundlage für das Daſein jenes anderen, Späteren, der Pflanzen um
ihrer Schönheit willen pflegte, und der der Vater ward aller Kultur, Kunſt,
Dichtung und aller Gemütswerte, welche der Menſchheit die Wege weiſen zu immer
höheren Zielen, jenen, die auch alle Praktiker im tiefſten Grunde begeiſtern müſſen.
Schiller, allem Idealismus verwandt, ſieht die Quelle aller Kunſt im Erkennen der
Schönheit in der Natur, in Wahl und Vereinigung aus der Wildnis der Natur:
„Die Auswahl einer Blumenflur, mit weiſer Wahl zu einem Strauß gebunden —
ſo trat die erſte Kunſt aus der Natur.“
Sind wir uns der hohen kulturgeſchichtlichen Bedeutung bewußt, die es hatte,
als einer die erſte Pflanze aus „äſthetiſchen“ Gründen pflegte, ſo können wir kurz
ſagen, daß dieſe Tat im engeren Gebiet der Geſchichte des Gartens nichts anderes
bedeutete, als daß die „Ziergärtnerei“ geſchaffen war, die auf die „Nutzgärtnerei“
des Anfangs folgte.
Während die Nutzpflanzenzucht heute noch überall ähnlich betrieben wird, wie
im Anfang, unterſtützt nur durch höhere Wiſſenſchaft vom Pflanzenleben (Pflanzen—
phyſiologie) und beſſer entwickelte Kulturtechnik (Boden- und Düngerkunde, Bewäſſerung
und Entwäſſerung, planmäßige Anwendung von Wärme durch Heizung, Kälteſchutz,
Verlegung der Ruhe- und Vegetationszeit [Treibereiſ) und verſchieden nur in den
Kulturpflanzen je nach dem Landesklima, iſt die Zierpflanzenzucht mit ihrer Ver—
wendung im Garten verſchiedene Wege der Entwicklung gegangen.
Anfangs geduldet auf beſcheidenem Plätzchen, half ſie den Nutzgarten verſchönen;
im Bauerngarten find wir oft im Zweifel, ob wir mit Hermann Jäger“) von „ver
zierten Nutzgärten“ oder von „nützlichen Ziergärten“ ſprechen ſollen, je nachdem die
Zierde oder der Nutzen überwiegt. Und nicht anders ſind die heutigen Gärten des
Mittelmeergebietes entwickelt, ſoweit, wie geſagt, nicht germaniſcher Geiſt ſie
leitet. Da ſtehen Fruchtbäume zwiſchen Blumenpflanzen, in den ſubtropiſch gelegenen
Gegenden des Mittelmeergebietes ſind in den Gärten Pflanzen faſt aller Klimate ver—
einigt. Da von hier aus, anfangs durch die Küſtenkoloniſation, ſpäter durch die
planmäßigen überſeeiſchen Entdeckerfahrten, faſt alle außer-mittelmeeriſchen Länder ent—
deckt wurden, ſpiegelten die Pflanzen der Gärten des Mittelmeeres die Geſchichte der
entdeckenden und ſammelnden Botanik wieder. Vieles haben unſere Gärten und
Gewächshäuſer urſprünglich von dort erhalten.
* *
Auch das bedeutet wieder ein Ereignis von grundſätzlicher Bedeutung in der
Geſchichte des Pflanzens, als zuerſt Fremdlinge aus andern Ländern in den
heimiſchen Garten gepflanzt wurden. In nordeuropäiſchen Ländern empfingen die
Gärten durch Vermittlung der römiſchen Eroberungszüge, dann durch die chriſtlichen Be—
kehrer germaniſchen Heidentums, endlich durch die Kreuzzüge Arten und Kulturformen
aus dem Mittelmeergebiet. Die Gärten der Klöſter umſchloſſen mit ihren Mauern
) „Lehrbuch der Gartenkunſt“. Leipzig 1877.
12 1. Abſchnitt.
das geſamte Wiſſen und die geſamte Kultur der damaligen Zeit, und wie heute noch
die Miſſionare in wilden Ländern, ſo ſuchten damals die Mönche in Nordeuropa
durch Verbreitung nützlicher Garten- und landwirtſchaftlicher Kenntniſſe, durch Ver—
teilung von Kulturpflanzenraſſen, die in den Gärten des Mittelmeergebietes gewonnen
waren, ſich günſtig einzuführen. Die Verbreitung der Pflanzen erfolgte bis dahin
immer auf dem Landwege und beſchränkte ſich auf vorderaſiatiſche, ſüdeuropäiſche und
nordafrikaniſche Urſprungsländer.
Erſt die überſeeiſchen Entdeckungen erweiterten die Vorſtellung der Mannig—
faltigkeit im Pflanzenreich und erregten den Wunſch, die Pflanzen, je fremdartiger,
deſto lieber zu beſitzen. Alles, was anders war als die heimiſche Gartengeſellſchaft,
gewann beſondere Schätzung. Dieſe Tatſache wirkt noch heute bei der Wertung der
Pflanzen mit; ſonſt würde nicht ſo manche fremdländiſche Art, die weniger ſchön iſt
als heimiſche, dieſe verdrängt haben. Auch die Betrachtungsweiſe der Pflanzen als
Einzelweſen, losgelöſt vom heimatlichen Standort und von der Gemeinſchaft mit Stand—
ortsgenoſſen, gewann in jener Zeit des Bekanntwerdens immer zahlreicherer fremder
Arten eine allgemeingültige Bedeutung. Wir kranken noch heute daran, die vielen Dinge,
ſo auch die Pflanzen der Welt, einzeln zu ſehen, ohne ihre natürlichen Beziehungen in
Betracht zu ziehen. Die Einführung fremdländiſcher Pflanzen in den Geſichtskreis der
europäiſchen Natur-, Pflanzen- und Gartenfreunde bedeutet eine wichtige Stufe in der
geſamten geiſtigen Entwicklung des europäiſchen Kulturkreiſes. Schon die Tatſache,
daß es ganz andere Klimate, Landſchaften, Lebeweſen geben könnte, als bisher be—
kannt war, mußte die Gedankenwelt damaliger Zeit lebhaft beſchäftigen. Der Sinn
für Farbe, Form erweiterte ſich, die Fülle der Erſcheinungen war ſo groß, daß Ordnung
geſchaffen werden mußte; Pflanzſtätten wurden gegründet, welche die Fremdlinge auf—
nahmen, — die erſten botaniſchen Gärten entſtanden, und neben den bisher allein
geltenden Antworten auf die Fragen nach Nutzen, Schaden, Zauber — den man
zur Zeit der chriſtlichen Religion Aberglauben nannte, aber nicht minder übte —
gewann das Ordnen, Vergleichen, Beobachten der Pflanzen um der reinen Erkenntnis
willen Bedeutung: die erſten botaniſchen Gärten wurden wieder im Mittelmeergebiet
gegründet (Abb. 9 *); eine Aufzeichnung aller bekannten Pflanzen wurde verſucht, und
unter dem Einfluß der Erfindung des Buchdruckes, des Bildholzſchnittes verbreitete ſich
auch im Volk mit Hilfe der „Kräuterbücher“ “ ) eine praktiſche botaniſche Kenntnis.
Immer größer wurde die Fülle der Geſtalten! Herbarien, Fruchtſammlungen,
Bilder vermittelten die Bekanntſchaft der Pflanzenarten, welche ſich ſelbſt im milden
Klima Südeuropas nicht pflanzen ließen. Man ahnte wohl Verwandtſchaften unter
den Pflanzen, manche Äußerlichkeiten waren ja zu auffällig; aber der Gedanke, daß
Pflanzen ſtammmesgeſchichtlich verwandt ſeien, war doch zu ungeheuerlich, als
daß er vorgeſtellt werden konnte in einer Zeit, die annahm, daß Gott eigenhändig
jedes Weſen erſchaffen und ihm nur ſeinen „eigenen Samen bei ſich ſelbſt“ zur Ver—
) Im Beginn des 14. Jahrhunderts befinden ſich mediziniſch-botaniſche Gärten in Salerno
und Venedig; 1545 Gründung des botaniſchen Gartens zu Padua, 1547 zu Piſa, 1567 Bologna;
1577 Leiden, 1593 Heidelberg. (Weiteres vgl z. B. unter Botanik im Konverſationslexikon.)
) Berühmte „Kräuterbücher“, die noch heute bei alten Leuten im Gebirge und auf dem
Lande in Anſehen ſtehen, ſind beſonders die des Matthiolus.
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 13
breitung gegeben habe. Selbſt Goethe, vor Lamarck und Darwin, ahnte nur die
Verwandtſchaft:
„Alle Geſtalten ſind ähnlich, doch gleichet keine der andern,
Und ſo deutet der Chor auf ein geheimes Geſetz.“
Nur zwei Jahrhunderte aber trennen Goethes Wirken von der Zeit der Ent—
deckung Amerikas, Auſtraliens, Südafrikas und Oſtaſiens, und noch weniger ſind es,
wenn man die allgemeine Wirkungsverbreitung der Entdeckungen ein Jahrhundert
ſpäter anſetzt. Es iſt nicht verwunderlich, daß Verſuche zu einer natürlichen Ordnung
der Pflanzen anfangs nicht gelangen, jolange die Fülle des Neuen ungeſchwächt zu—
Abb. 9. Alter mediziniſch-botaniſcher Garten zu Cadix. In der Mitte ein Drachenbaum (Dracaena Draco) von
den Kanariſchen Inſeln. (Phot. Willy Lange.)
ſtrömte. Auch hier liegt es tief im Menſchengeiſt begründet, ſich zunächſt ſelbſt im
Gegenſatz zur Natur zu fühlen, erſt abhängig von ihr, dann im Machtgefühl der
Beherrſchung über ihr ſtehend. In dieſem Gefühl der Macht wendet er ſeine Denk—
formen, ſeine Maße, Zahlen an, wenn er der Natur gegenübertritt. Alles, was der
Menſch formt, macht er nach ſeinen von ihm ſcheinbar erfundenen Geſetzen; daß
ihm die Natur ſelbſt Vorbild iſt, daß er mit ihr verwachſen, daß er nur in Natur—
geſetzen denkt, — das weiß er nicht. Er iſt der Mittelpunkt der Erde, ſie die Mitte
des Weltalls; um ſeinetwillen hat Gott ſich bemüht, das alles zu ſchaffen, — das
iſt der Glaube des auserwählten Volkes, den unſere Kinder heute noch mühevoll
lernen müſſen, eine anthropozentriſche Weltanſchauung ſich bildend, die in der nächſten
Schulſtunde der „Naturkunde“ umgeworfen wird! Daß unſere Jugend in zwei
14 1. Abſchnitt.
Weltanſchauungen zugleich erzogen wird, in der altteſtamentlich-anthropozentriſchen
und in der neuteſtamentlich-naturgeſetzlichen, iſt die Wurzel der Hemmung aller
Entwicklung und — wir ſchweifen nicht ab! — auch der Grund, warum ſo viele
ſich nicht klar ſind, was ſie tun, wenn ſie pflanzen, einen Garten bilden; denn es
iſt ein tiefgreifender Unterſchied, ob man die Pflanze als Einzelerſcheinung be—
trachtet und, losgelöſt von ihrer natürlichen Geſellſchaft der Standortsgenoſſen, einzeln
pflanzt nach menſchlichen Ordnungen, — oder ob man ſie im Zuſammenhang
mit ihren Standortsgenoſſen empfindet und ſo im Garten anſiedelt.
Jedenfalls verdanken wir der altteſtamentlichen Anſchauung vom Herrſchaftsrecht
des Menſchen über die Lebeweſen die Art, willkürlich die verſchiedenſten Pflanzen in künſt—
licher Anordnung im Garten auftreten zu laſſen und ſie hier mit Waſſer zu tränken,
mit Nahrung zu füttern und in die Grenzen der Beete einzuſperren. Das entſpricht
menſchlichem Ordnungsſinn und dem jahrtauſendelang gepredigten Herrſchaftsrecht.
Aus menſchlicher Veranlagung und der Übertragung der Geiſtesbildung auf
die folgenden Geſchlechter folgt, daß überall, wenn man verſuchte, die Natur durch
Ordnen und „Teilen“ zu überſehen, künſtlich-menſchliche Ordnungsmittel angewendet
wurden, beſonders die Zählung. So ſchuf nach mancherlei Vorläufern Linné das
künſtliche Syſtem, die künſtliche Überſicht der Pflanzenwelt ir Grund der Zahlen
und Maßverhältniſſe der wichtigſten Blütenteile.
* *
*
Ein langes Ringen mit der Natur ſeit der Steinzeit ließ den Menſchen Herr
werden über ihre rohen Kräfte; die Ziviliſationsmittelpunkte des geſchichtlichen Alter—
tums, Agypten, Babylon, Griechenland, Rom, fanden ſich mit der Umwelt ab, die
ſie kannten, und die zuletzt im römiſchen Weltreich ihre Begrenzung fand, umſchloſſen
an der ultima Thule vom Ozean; alle muſiſchen Kräfte der Menſchheit fanden
vollendeten Ausdruck innerhalb der damaligen Grenzen der Gefühls- und Gedanken—
welt, in Dichtung, Baukunſt, Plaſtik und im Schmuck hochziviliſierten Lebens. Bis
zur Zeit der Entdeckungen zehrte der europäiſche Kulturkreis von dieſem Erbe, verlor
viel davon und ſah ſich dann vor eine neue Welt geſtellt; aber die Arbeit des Alter—
tums, die Schule des Denkens, die Sammlung von Mitteln und Kräften war nicht
vergeblich geweſen. Alles das mußte vorhergehen, damit die beſten Köpfe, unbelaſtet
von andern Aufgaben, ſich ganz der Erkenntnis der Natur widmen konnten.
Zunächſt aber ward das Entdecken, Finden, mit Wiſſen verwechſelt, und die
raſche Aneignung des Gefundenen, die raſche materielle Verwertung der Schätze
fremder Erde, ließ das Herrſchaftsgefühl der Menſchheit noch einmal mächtig an—
ſchwellen. So zeigt die Zeit der Renaiſſance mit ihrer Verbreitung von Italien
über Frankreich, Spanien, Nordeuropa, mit ihrer ſcheinbar unmittelbaren Anknüpfung
an die antike Zeit in allem Dichten, Bauen und Geſtalten die höchſte Ausbildung
des Herrſchaftsgedankens im Garten. Die Künſtlichkeit der Form im Gegenſatz
zu der Art, wie die Natur ſich zeigte, wird zum Geſetz in Geländegeſtaltung, Beet—
form, Wegeführung, Pflanzenwuchs. Geſetze, die aus der ſtrengſten Formkunſt des
Menſchen abgeleitet werden, gelten für die Bildung des lebendigen Gartens.“)
Hier könnte man einen Widerſpruch zu dem herausleſen, was über den Garten ſüdlicher
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 15
Die Entdeckung, daß mathematiſch ausdrückbare Geſetze die Ordnung des
Weltalls regieren, ſchien der Anſchauung recht zu geben, daß die Dinge dieſer Erde
in der Hand des Menſchen nach ſeinen mathematiſchen Zahlengeſetzen geſtaltet ſein
müßten. Militarismus und friderizianiſche Baumlinien, “) geometriſche Garten—
formen und ſymmetriſche Bauformen, die Abhängigkeit der Garteneinteilung von den
Richtlinien (Achſen) des Palaſtes, die geradlinige Raumbildung mit Heckenwänden
und die ſtrenge Silbenmeſſung in Dichtungen, die Erſtarrung der menſchlichen Geſell—
ſchaft in ſtreng geſchiedene Stände, die Regelung des Verkehrs, der Sprache, der
Schrift in feſten Formen, deren Einhaltung und Verletzung ungeheuerliche Bedeutung
hatten, — das alles hat ſeinen gemeinſamen Urſprung im Geiſt des Herrſchafts—
gedankens, der erſt durch die Revolution erſchüttert wurde. Und nicht minder ſtreng
geregelt war der Betrieb und die Arbeitsweiſe der Wiſſenſchaft. Das Linneſche
Syſtem der Pflanzen iſt ein Triumph des damals allgemein herrſchenden Zeitgeiſtes
in der Wiſſenſchaft, — die Ordnung der Pflanzen im Garten in künſtlichen Beet—
formen und ihre Vergewaltigung galten als Triumph gärtneriſcher Pflanzungskunſt
und wurden in dieſem Sinne zu einer Vollkommenheit gebracht, die keine Zeit vorher
erreichte, weil keine einen ſo ſtarken ſelbſtbewußten Willen zur Macht hatte, und
keine Zeit wird wieder dieſe Vollkommenheit erreichen, weil keine die Macht wieder
als höchſtes Gut in gleichem Maße ſchätzen kann. Jedenfalls: das Linnéſche
„künſtliche“ Pflanzenſyſtem und die höchſte Ausbildung des künſtlich
geſtalteten Gartens, ganz gleich in welchen Zierformen, müſſen wir uns als
gleichlaufende Ausflüſſe des gleichen Zeitgeiſtes, der gleichen Welt—
anſchauung von der Herrſchaft des Menſchen über die Natur, zuſammen merken.
* *
*
Ausgeprägteren Ausdruck, dauerhaften, gewinnt das Herrſchgefühl der Menſchheit
in den Bauten. Die nordiſchen Sonnentempel waren noch faſt ganz Natur; ohne
Dach, nur planmäßig geſetzte Steine. Anderes wollte der ſagenhafte Turmbau zu
Babel, der als warnendes Sinnbild der menſchlichen Überhebung über die Gott-Natur
galt, ſeit das babyloniſche Reich kräftigen Hirtenvölkern zum Opfer gefallen war. Die
ägyptiſchen Pyramiden wiederum ſollten dem Leib und dadurch der Seele der Herrſcher
ewige Häuſer bauen. Salomos Tempelbau bezeichnet die Glanzzeit der politiſchen
Macht des Judentums. Athens Akropolis, Roms hochgebaute Stadt wollten in
Bauten den Herrſchaftsgedanken verkünden. Ja, die einſt nomadiſierenden Mauren be—
gannen zur Zeit ihrer Eroberungen die Siege durch Bauten bei den unterworfenen
Völkern zu feiern und zu feſtigen. Als Italien in der Renaiſſance eine neue poli—
tiſche Macht gewann, baute es von neuem und befruchtete mit ſeinen Baugedanken
Länder auf S. 9 geſagt iſt. Das dort Geſagte bezieht ſich auf den Garten des Volkes, während die
berühmten Fürſtengärten der Renaiſſancepaläſte vor allem „gebaut“ ſind, unter dem Formenwillen
des Baumeiſters ſtehen, der ſein Garten-Bauwerk mit Pflanzen verziert. Dieſe Palaſtgärten haben
im Süden das Volk nicht zur Formenſicherheit in ihren gepflanzten Gärten erzogen; es war eben
im weſentlichen germaniſcher Geiſt, der die Renaiſſance ſchuf. Vgl. Literatur: Ludwig Wolt—
mann, „Die Germanen und die Renaiſſance in Italien“ (Leipzig 1905).
*) Die in Sansſouci auf Veranlaſſung Friedrichs des Großen wie Soldaten aufgepflanzten
Bäume; ſo auch bei vielen andern Schlöſſern aus gleicher Entſtehungszeit.
16 1. Abſchnitt.
den europäiſchen Kulturkreis: Frankreich, England, Rußland, daneben die katholiſche
Kirche, ſie alle haben Baudenkmäler ihrer Machtzeit.
Bauwerke gewähren ſicherere Dauer als Gärten, als alles andere menſchliche
Schaffen; und wenn die Volkskraft ſich in Bauten ehrt, dann beherrſcht der Bau—
künſtler alle anderen Schaffensgebiete. Das iſt naturgemäß. Denn Hochbauten
fordern größere Verantwortung, techniſche Kraft, zwingendere mathematiſche Kennt—
niſſe als alle anderen ſchmückenden Künſte, als Malerei, Plaſtik, Ornamentik, ja
Muſik und Gartengeſtaltung. Wo alſo die Baukunſt herrſcht, werden die andern
Künſte von ihr abhängig. Das beweiſt die Geſchichte der Kunſt und der einzelnen
Künſte, immer bis zu dem Zeitpunkt, wo die eine oder die andere ſich bewußt und
eigenwillig von der Baukunſt unabhängig machte: dann flüchten die Statuen ins
Freie, die Malerei wird im „Tafelbild“ beweglich, die Muſik wird weltlich, die Orna—
mentik wendet ſich als Kleinkunſt, Kunſtgewerbe den beweglichen Gebrauchsgegen—
ſtänden (Möbeln) zu, die Gartenkunſt wird „natürlich“.
Doch greifen wir nicht vor, ſondern betrachten wir die Abhängigkeit der
Gartengeſtaltung von der Baukunſt als hiſtoriſche Stufe, die jedes Volk
zur Zeit ſeiner Macht im Gange der Geſchichte erſtiegen hat. Die hängenden „Gärten
der Semiramis“ ſind ſprichwörtlich das erſte ſagenhafte Beiſpiel. Nennen wir
ſie „hangend“, mit dem Begriff, der dem Bergmann im hangenden Geſtein, d. h.
dem über ihm befindlichen, geläufig iſt, ſo haben wir uns vorzuſtellen, daß ſie eben
Gartenflächen auf übereinander liegenden Terraſſen darſtellen, die von oben her
bewäſſert wurden. Die geſamte Pflanzenzucht in der terraſſierten ſüdlichen Land—
ſchaft baut ſich heute noch ſo auf, die Gärten der Renaiſſance auf den terraſ—
ſierten Gebieten italieniſcher Gebirgsabhänge, die Terraſſengärten von Sansſouci,
Linderhof, — ſie alle ſtellen eine von höherer Baukunſt durchgebildete und be—
herrſchte Geländegeſtaltung dar; ſie alle verbindet der gleiche leitende Gedanke: von
höherer Baukunſt beherrſchtes Gelände, in welchem alles, Kleinbauten, Treppen, Waſſer⸗
läufe, Laubengänge, Bildwerke und Pflanzen, ihr untergeordnet ſind: den Geſetzen
der Baukunſt untergeordnet.
Denn Baukunſt iſt die geſetzmäßigſte von allen, eine Kunſt der Maß- und
Maſſenverhältniſſe verſchleierter mathematiſcher Ordnung. Das Ideal der Baukunſt
iſt Zweckerfüllung in einer Form, die Schöpfergeſetze ahnen läßt, wie Geſetze die
Ordnung des Weltalls regeln; — ſind beide ohne Geſetzgeber, ohne leitenden Geiſt
denkbar, der das Geſetz in ſich ſchuf, entwickelte: das Geſetz des Weltalls und das
Geſetz in jedem ſchaffenden Menſchen?
Eine jahrtauſendelange Übung der Schaffensfreude, die ſchließlich in den Meiſter—
werken der Baukunſt gipfelt, kann nicht ohne Einfluß auf das geſamte Denken, die
Vorſtellungsbildung und innere Anſchauung, auf das geſamte Schaffen der Menſch—
heit bleiben. Viele Völker wurden von der Höhe ihrer Herrſchaft durch andere herab—
geſtoßen, die der Geiſtesmacht rohe Kraft entgegenſetzten. Wenn ſie dazu fähig waren,
eigneten ſie ſich die Baugedanken der unterworfenen Völker an. So bauten die
Mauren in die römischen Bauformen ihre Teppich- und Zeltvorſtellungen hinein (Abb. 10
und 11). Die Römer erbten Griechenlands Kunſt und verarbeiteten im Rundbogen die
Baumathematik der Babylonier. Die aber entwickelten ihn aus dem Stufengewölbe, das
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 17
aus nordiſcher Ur—
heimat ſtammte und
im Trilithenſtil“)
ſeinen Urſprung hat;
kriegeriſch und fried—
lich eroberten ſich
Baugedanken den
europäiſchen Kultur—
kreis, die hiſtoriſch
gewordenen Bau—
ſtile: Romanik, Go—
tik, Renaiſſance, Ba⸗
rock, Rokoko, Klaſſi⸗
zismus. Übergänge
finden ſich, land—
ſchaftlich-völkiſche
Verarbeitungen,
Höhepunkt und Ver⸗
fall. Immer aber
ſind's Baugedanken,
die alles Geſtalten
beherrſchen. So auch
das Pflanzen!
Wir ſind nicht
abgeſchweift von un=
ſerer Geſchichte des
Pflanzens. Nach:
gewieſen mußte wer⸗ b. ze. ach Täuftier Mhotographie.m) p
den, wie tief die Mei⸗
nung wurzelt, daß ein Garten „gebaut“ werden müſſe. Der Begriff „Garten—
architektur“ für die Kunſt, einen Garten zu bauen, bildete ſich ſo; uralt, von Semiramis
her. Die Pflanzung muß ſich in dieſem Gedankengang den Baugeſetzen fügen: Flächen
werden gegliedert wie Gebäudegrundriſſe und geſchmückt wie Gebäudeflächen. Die
Raumgeſtaltung richtet ſich nach den Raumgeſetzen der Baukunſt. Die gefügigſten
Pflanzen, die ſich wie Baukörper, als Wände, Säulen, Pyramiden formen laſſen oder
ſolchen geſchloſſenen Wuchs haben, als Ornamente zeichnen, wie Buchsbaum und
Teppichpflanzen, werden bevorzugt. Die Schlingpflanzen dienen zur Be—
8 2 „Trilithenſtil“ — Dreiſteinſtil: Zwei Steine ſenkrecht geſtellt, überlagert von einem Deck—
ſtein, bilden die Elemente der älteſten Steinbaukunſt, wie ſie urſprünglich als Gehege des Sonnen—
und Jahreszeitenheiligtums, nach Willy Paſtors neuerlicher Vermutung, wo ſie ſelbſtändig auftreten,
als Throne unſichtbarer Götter, dann als Totenkammer vom hohen Norden an den Küſten ent—
lang bis nach Afrika und Aſien ſich verfolgen läßt.
25 „h Die mauriſchen Gärten Spaniens, beſonders Sevillas, kenne ich zwar aus eigener An⸗
ſchauung, photographierte aber nur wenig ſelbſt, da man ihnen nicht mehr abgewinnen kann, als
die käuflichen Bilder bieten. D. V. .
Lange, Der Garten. 2
18 1. Abſchnitt.
grünung der Bauten, wo dieſe ſelbſt nicht etwa mit baulichen Mitteln ſich ſchmücken;
es wäre ſinnlos, den baulichen Schmuck eines Gebäudes, reich geſchnitzte Stein—
oder Holzornamentik, von Pflanzen überwuchern zu laſſen (vgl. Abb. 10 und 11).
Über Verwendung und Nichtverwendung eines Pflanzenmittels entſchied alſo im ge—
bauten Garten der Baumeiſter. Er aber ward nur für Kirchen- und Palaſtbauten
gebraucht, und ſo bildete ſich eine beſondere Form von Palaſtgärten heraus, dekorativ,
für die Schauſtellung der Macht beſtimmt, benutzt nur bei Feſten und ſpäter dem
öffentlichen Beſuch überlaſſen; denn die Macht will ſich zeigen.
Alles in der Pflanzenwelt, was abweichend von den heimatlichen Pflanzen ge—
ſtaltet, abweichend gefärbt iſt, gewann auf dieſem Wege eine beſondere Schätzung.
Abb. 11. Einzeldarſtellung aus dem vorhergehenden Bilde. (Nach käuflicher Photographie.)
Das Seltene, weit Hergeholte, umſtändlich durch „Veredelung“ zu Züchtende, wie
Nadelhölzer, Laubhölzer mit merkwürdigem, ja krüppelhaftem Wuchs, wurde, weil
koſtſpielig, in den Gärten der Reichen geſehen, wurde nicht einmal geachtet, ſondern
man prunkte nur mit dieſen Pflanzungen; aber die große Menge, welche immer die
Mächtigen als Führer anerkennt und ihnen nachahmt, wurde in ihrem Verhältnis
zur Pflanze, in ihren Vorſtellungen von Pflanzen- und Gartenſchönheit gründlich
verbildet. *
Die Geſetzgebung des Baumeiſters in den Pflanzungen bildet einen beſonderen
Zuſtand in der Entwicklung des künſtlich geformten Gartens. Man kann einen
Architekturgarten den nennen, welcher, mit baulichen Mitteln geſtaltet,
*
55
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 19
von ihnen beherrſcht wird in dem Grad, daß die Pflanzungen ſich den von der Bau—
kunſt abgeleiteten Geſetzen unterordnen. Dieſe Stufe der Entwicklung iſt in ver—
ſchiedenen Zeiten und bei verſchiedenen Völkern erreicht worden: mehr oder weniger
folgerichtig durchgeführt; am folgerichtigſten jedenfalls in Nord-Europa im ſogenannten
franzöſiſchen Gartenſtil und den von ihm abhängigen Gartenformen in Deutſch—
land und England. Griechenland erſchöpfte ſeine Geſtaltungskraft völlig in Archi—
tektur und Plaſtik, hatte kein Bedürfnis für geregelte Gartenformung, dagegen
feinſten Sinn für die maleriſche Einheit von Gebäude und Landſchaft, ein ſtarkes
Gefühl für die Krönung freier Landſchaft durch Bauten. Den altrömiſchen
Fachgenoſſen, bei denen der »topiarius«, der Zier- und Kunſtgärtner, ſchon vom
»viridarius«, dem „Krauter“, unterſchieden wird, traue ich die dem Tuscum des
Plinius nachgerühmte Peinlichkeit in der Durchführung eines Stilprinzips nicht zu;
waren ſie doch Sklaven, und die Willenskraft des Südländers ſcheint nicht ſo weit
zu reichen, im Kampf mit dem Klima die Linie lebender Pflanzungen, ein beſtimmtes
Ziel der Form, dauernd feſtzuhalten. Die Wiederherſtellung von Plinius Garten,
wie ſie Guſtav Meyer im Bilde gegeben hat, iſt ſicher eine vom nordiſchen Geiſte
geleitete Darſtellung, die in Wirklichkeit nicht beſtanden hat. Mehr noch iſt ſein
„Garten im griechiſchen Stil“ ein Gebilde der Phantaſie der äſthetiſierenden Zeit:
ein Garten in Formen griechiſcher Ornamentik, wie ihn die Griechen nie erdacht, kaum
gewünſcht haben. Selbſt die Gärten der italieniſchen Renaiſſance verdienen mehr
als Bauwerk denn als gärtneriſche Pflanzungskunſt gerühmt zu werden. Wenn wir
ſie mit unſern heutigen kritiſchen Augen ſehen könnten zu der Zeit, als ſie entſtanden,
würden ſie uns vielleicht unerträglich geweſen ſein.“) Die Wuchskraft der Bäume in
Verbindung mit der Auflöſung des Starren ins Maleriſche infolge der Sprengung
der Feſſeln durch die Natur hat ſie unſerer heutigen Genußfähigkeit näher gebracht.
Der Baumeiſter hat jedenfalls folgerichtig aus ſeinem baulichen Denken heraus
den Willen, die Pflanzungen zu abgemeſſenen Formen zu führen, Raumgedanken, die
in totem Material gedacht ſind, im Garten mit lebenden Pflanzungen zu verwirklichen;
die Pflanze wird ihm: Material.
9
Stufen der Entwicklung! Wie ſie die Völker durchmachen, ſo auch die einzelnen.
Wer jung ſtirbt und normal veranlagt war, kommt nicht über die
Weltanſchauung hinaus, die ſeinem Lebensalter entſpricht. So gibt
es Völker, die ſtarben, unterdrückt wurden, als ſie die Stufe der Baugedanken erreicht
und die Baugedanken vielleicht zu hoher Vollendung geführt hatten. Der Völkerkreis
Europas und der von ihm abhängigen Geiſtesgebiete hat es am weiteſten darin ge—
bracht. Der aſiatiſche Kulturkreis nahm eine andere Entwicklung.
Indien iſt die Heimat der aſiatiſchen Geiſtesrichtung; China, dann Japan
wurden von ihm befruchtet. Alle Kämpfe ſpielten ſich hier zwiſchen Geſchlechtern ab,
) Da die neuere Gartenliteratur mit wenigen Ausnahmen die Empfehlung des „Architektur⸗
gartens“ auf die Schöpfungen der Renaiſſance Italiens und Frankreichs ſtützt, ſo ſind jetzt viele
Bilder alter Gärten nach alten Planzeichnungen verbreitet, und es kann daher hier darauf ver⸗
zichtet werden. Literatur: „Die Gartenkunſt der italieniſchen Renaiſſaucezeit“ von W. P. Tucker—
mann. Berlin 1884.
20 1. Abſchnitt.
Abb. 12. Kieferngruppe bei Maito im ſüdlichen Japan als Naturvorbild der Japaner bei der Stiliſierung ihrer
Pflanzen im Garten und Gefäßen. Zahlreiche japaniſche Pflanzen zeigen als Nachtommen der Tertiärflora eine
von unſeren europäifchen Arten abweichende Phyſiognomie; fie find im Aufbau gleichſam typiſcher geformt als ver—
wandte europäiſche Arten. Darin liegt auch für uns das Anziehende. Der Japaner aber iſt von eindringlichen
Baumphyſiognomien umgeben, die ihm den Sinn für die Beobachtung ſchärften und die Stiliſierung der „Pflanze“
in der japaniſchen Kunſt beſtimmen mußten. (Bei uns fand Leiſtitow den Stil der märtiſchen Kiefer!)
(Phot. R. Amthor.)
welche miteinander um die Macht im Innern rangen. Wo fie herſtammten? Biel-
leicht drangen ſie von Norden her ein und unterwarfen, gering an Zahl, große
Maſſen Südländer, gerade wie die Europäer in Afrika oder Amerika vor Einführung
der Feuerwaffen in kleiner Zahl gewaltige Erdteile beherrſchten. Aber Anpaſſungen
waren immerhin nötig; die geiſtigen Vorſtellungen mußten in gemeinſamer Welt—
anſchauung, gemeinſamer Religion verdichtet werden; denn die Maſſen wollen, daß
ihre Herren die Vertreter ihrer Götter ſind. Aufgehen im Allgeiſt der Natur, wunſchlos
werden iſt das Ziel aſiatiſcher Menſchheit. Dazu ſind Reinigungen nötig durch die
Wanderung der unſterblichen Seele durch Weſen verſchiedenen Entwicklungsgrades;
in jedem Tier, jeder Pflanze könnte eine Menſchenſeele wohnen, um ſich nach ihrem
Tode zur höheren Stufe aufzuſchwingen. Darum fühlt der indiſche Menſch und die
von ihm geiſtig abhängigen Völker ſich jedem Lebeweſen achtungsvoll verwandt. Er
ſieht in der Knechtung, Tötung, zweckloſen Qual alles Lebenden ein Verbrechen gegen den
Geiſt der Menſchheit, der nach oben ſtrebt. Freilich gibt es unter den Menſchen ſelbſt
Kaſten, Unreine und ſchon Reinere. Dieſe meiden die Berührung mit den Unreinen; ſie
halten ſich für ſchon vollkommener. Hier iſt der ſchwache Punkt dieſer Weltanſchauung! Aber
es iſt phariſäiſcher Dünkel, nicht Herrſchſucht, was die Menſchen ſcheidet. Im Hinblick
auf die Vollendung, die jede Seele durch Wanderung erlangen kann, beſteht Achtung
vor jeder Seele in jedem Weſen. Die lebloſe Natur hat Seelen, Götter niederen
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 21
Grades! Entwicklung aus Totem zu Lebendigem iſt auch hier möglich: Achtung
alſo vor der Natur im Ganzen. Kein Schrecken vor ihr; denn es gibt kein
Sterben, ſondern nur Wandern, Entwicklung; und wenn es auch ein Zurück—
ſinken iſt, dann war eben die Seele ihrer menſchlichen Hülle noch nicht würdig, wenn
ein Tiger oder Krokodil ſie fraß. Nur der war „ſelig“, der bewußt und wollend
wunſchlos vom Leben ſchied. Achtung vor der Natur, kein Schrecken, alſo auch
kein Streben nach Gewalt und Herrſchaft über ſie: das iſt das Verhältnis des in—
diſch⸗aſiatiſchen Menſchen zur Natur.
Mußte dieſer Gedankengang nicht andere Werke auslöſen als der Herrſchafts—
gedanke Europas?
Nicht Weltreiche wollten ſie gründen, ſondern Grenzen ſchützen, wie die chine—
ſiſche Mauer lehrt und Japans Abgeſchloſſenheit bis in die Neuzeit, und wie das
Himalajagebirge eine natürliche Mauer Indiens bildet. Im Innern leidlicher Friede,
geiſtiger Zuſammenſchluß durch das gemeinſame Band religiöſer, auf das Überirdiſche
gerichteter Wünſche. Daß dieſe Wünſche Formen, Symbole annehmen, die wir nicht
verſtehen, vor allem nicht nachempfinden können, darf uns nicht erlauben, ſie für
lächerlich zu halten. Sie ſind ſo ernſt, wie die unſrigen; im Bildzauber haben jene
und unſere Symbole gemeinſame, urmenſchliche Wurzel.
Weil der Wille zur Macht fehlt, hat der indiſch-chineſiſche Kulturkreis in der
Kunſt der Gartengeſtaltung nicht gewaltſam geformte Gärten, geometriſche und
bauliche, hervorgebracht, ſo wenig, wie eine gewaltige Architektur. Soweit die Geſchichte
in das Dunkel der Vorzeit hineinleuchtet, finden wir beſonders in China und Japan
Abb. 13. Typus einer japaniſchen Naturabſtraktion in einem Garten in Totio. Die Bäume im Vordergrund nach
dem Vorbild der Abb. 12 ſtiliſiert. (Phot. R. Amthor.)
99 1. Abſchnitt.
Gärten, welche die Natur ſymboliſch wiederzugeben ſuchen. Alles Denken und
Vorſtellen in dieſem Kulturgebiet iſt ja abgezogen (abſtrakt) vom Gegenſtand ſelbſt,
bewegt ſich in Bildern für den Sinn der Dinge. So iſt auch der Garten ein Bild,
eine abſtrahierte Wiedergabe der Natur. Daher kann alles klein ſein, wie viele unter
uns fälſchlich meinen: ſpieleriſch; in Wahrheit aber ſinnbildlich (Abb. 12 - 16). Sind
nun die japaniſchen Zwergpflanzen, die verkleinerten Wiedergaben der japa—
niſchen Baumgeſtalten, etwa weniger künſtlich hergeſtellt als die geſchnittenen Wände,
Pyramiden, Säulen der Architekturgärten europäiſcher Schöpfung?
Alles, was der Menſch macht, geſchieht mit Mitteln, die man im Gegenſatz
zur Art, wie die Natur ſchafft, künſtlich nennen kann. So ſchafft die Natur Farben
„natürlich“, der Menſch „künſtlich. Aber der Menſch kann zwei verſchiedene Beweg—
gründe (Motive) haben, nach denen er handelt: gegenſätzlich zur Natur oder nach
ihrem Vorbild; der Unterſchied liegt darin, ob der Menſch ſich mathematiſch tote
— oder natürlich-lebendige
Motive ſucht, ob ſeine
Ideale (d. h. die Ziele
des von ihm Gewollten)
in der von ihm erdach—
ten Geſetzmäßigkeit lie—
gen, oder ob er die Ideale
in der Geſetzmäßigkeit
der Natur ſucht. Wenn
wir auch heute uns nur
als Glied der Natur auf—
faſſen, als ihren geiſtig—
ſten Vertreter, jo treffen
wir doch wegen der Jahr—
tauſende alten Gewöh—
nung noch fortwährend
auf die Vorſtellung eines
Gegenſatzes zwiſchen uns
und der Natur, vor allem
im alltäglichen Sprach—
gebrauch. *)
) Hierin beruht auch
die Meinung von dem grund—
ſätzlichen Gegenſatz zwiſchen
„Kunſt“ und „Natur“. Die—
jenigen, welche nicht von ihm
loskommen, wodurch viel Ver—
wirrung in Kunſtbetrachtun—
gen angerichtet wird, werden
gebeten, die vorhergehenden
Sätze noch einmal zu leſen
und zu bedenken, daß auch
Abb. 14. Felſenpartie in Mitate, Japan. Beiſpiel japaniſcher Gebirgsnatur als ; - 1
Vorbild japaniſcher Gärten; vgl. Abb. 15. (Phot. R. Amthor.) die nach „Motiven der Natur
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 23
In dieſem Sinne darf
man ſagen, der europäiſche
Kulturkreis hat bis in die
Neuzeit die Ideale der Pflan—
zung in baulichen lalſomenſch—
lichen) Geſetzmäßigkeiten
verwirklicht, der aſiatiſche
Kulturkreis ſuchte bei Pflan—
zungen in der Kunſt des Gar—
tens — ſeit Beginn unſerer
geſchichtlichen Kenntnis — die
Ideale in der Befolgung
der Naturgeſetze. Der na—
türliche Wuchs großer heimat—
licher Bäume wird, beſonders
vollendet in Japan, ins Kleine
ſymboliſch übertragen, zu charak—
teriſtiſchem Ausdruck gebracht.
Der aſiatiſche Kulturkreis ſtili—
ſiert nach Motiven der Natur,
der europäiſche nach Motiven
der menſchlichen Baukunſt; die
Höhe der Gegenſätze ſind der
franzöſiſche und der japaniſche
Garten ; Abb. 15. Teehausgarten in Tokio. Abſtraktion der Natur, durchſetzt mit
0 religiöſen Symbolen; oben eine ſtiliſierte Kiefer. (Phot. R. Amthor.)
* *
*
Wir ſahen bis jetzt, wie die Motive der Pflanzung ſich nach zwei verſchiedenen
Richtungen entwickeln, ſobald man künſtleriſche Ziele in der Pflanzung verfolgte; wie
die geſamte Stellung zur Natur, d. h. die Weltanſchauung der Völker, entſcheidend
iſt. Man darf nicht fragen, was richtiger iſt, man kann nur die Tatſachen hiſtoriſch
ohne Voreingenommenheit werten. Man darf nicht, wie es viele Tagesſchriftſteller
heute getan haben, im baulichen Motiv allen Sinn und in den natürlichen Motiven
allen Unſinn ſehen wollen. Das hieße den ganzen aſiatiſchen, beſonders japaniſchen
Kulturgang als wertlos verwerfen, und das würde wieder bedeuten, die Leiſtungen
dieſes Kulturgebietes unterſchätzen, und das will doch wohl niemand! Vielmehr iſt
die Aufgabe: jede Richtung zu verſtehen, denn beide wurzeln tief im ehrwürdigen
Werden der Jahrtauſende. Und das Pflanzen, das wir kennen lernten als Beginn
der materiellen Ziviliſation und der ideellen Kultur, hängt eng zuſammen mit der
Entwicklung des Menſchengeiſtes und aller ſeiner Taten.
Der europäiſche Kulturkreis konnte erſt dann nach Motiven der Natur pflanzen,
als er begann, in der Natur geſetzliches Walten zu entdecken. Denn Geſetze braucht
ſchaffende „Kunſt“ die Natur nicht nachmacht, ſondern durch den Menſchen ein ganz neues, eigen—
artiges, von der Natur verſchiedenes Werk ſchafft.
24 1. Abſchnitt.
der Menſch zum Handeln in allen Dingen, verſtandesmäßige oder gefühlsmäßige.
Im Fühlen, Empfinden gehen die Künſtler den anderen Menſchen voran, zu allen
Zeiten — darum werden die Fortgeſchrittenſten am wenigſten verſtanden: Dichter,
Maler, Muſiker, Gartenkünſtler; das ſind die Vertreter des Empfindens in der Kunſt,
die Vertreter der Herzens- und Gemütsſprache. Baumeiſter und Plaſtiker, Zweck—
künſtler reden mehr zum Auge, zum Verſtand, wenn auch die Künſtler unter ihnen
ſtarke Empfinder ſind. Und ſo erklärt ſich, daß Dichter, Maler, Muſiker, Garten—
künſtler viel früher Geſetzmäßigkeiten in der Natur ahnten, empfanden, als die Ge—
lehrten ihrer Zeit ſie verſtandesmäßig erkannt hatten. Wir ſollen in der Kunſt
Abb. 16. Japaniſcher Haushof mit Zierpflanzen in Gefäßen. Die Pflanzen find im Sinne ihres wilden Vorbildes
ſtiliſtert. Während bei uns eine beſondere Freude an den fremdländiſchen Pflanzenformen beſteht, ſucht der Japaner
die Phyſiognomien ſeiner Heimatpflanzen in für ihn beſonders charatteriſtiſcher Stiliſierung um ſich zu hegen; was
iſt tiefer? nationaler? (Phot. R. Amthor.)
wiſſend werden durch Vermittlung des Gefühls, ſo etwa drückte Richard Wagner
es aus. Die Geſchichte der Malerei iſt die Geſchichte des Naturempfindens. Maler
lehrten die Menſchheit ſehen, was „ſchöne Natur“, was „ſchöne Landſchaft“ ſei.
Nachdem man an Bildern ſehen gelernt, ſah man die Bilder auch in der Natur.
Was von engliſchen Malern geſehen wurde, war jene milde Landſchaft, wo vom
bachdurchfloſſenen Wieſengrund ſich Baum und Buſch klar abhoben, wo Menſch
und Tier in Frieden wohnten. Das wollte man bald nicht mehr nur im Bilde
ſehen, in der Natur ſuchen, ſondern lebendig ſchaffen zum täglichen Genuß: der
engliſche Park entſtand, jene großzügige Pflanzung nach Motiven der engliſchen
Natur, zu dem Zweck, milde Bewegung, ſanfte Ruhe, friedliches Anſchauen zu ge—
nießen, mitzuatmen mit der Natur, den Wechſel ihrer Stimmung zu genießen
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 25
und dazu all die Stimmungen, welche die Dichter ſangen: romantiſche, einſame,
weltabgewandte, elegiſche. Der Park ſpiegelt die Stimmungen der Literatur wider,
die der Romantiker, Naturaliſten, Epiker, Klaſſiziſten, Helleniſten. Man hört an
dieſen Worten, wie das Denken und Empfinden verſchiedenartig wird, mannigfach
verflochten, und dadurch iſt bedingt, daß ſich ſeit der Neuzeit mehr und mehr
das Volk in Geiftes- und Empfindungsſchichten teilt. Jede Schicht hat ihre
Empfindungs- und Ausdrucksweiſe, jede ihre Kunſt.
Was das Mittelalter im nordeuropäiſchen Kulturkreis errungen hatte, war im
Beſitz der an Zahl kleinen Gelehrtenklaſſe einerſeits und des großen, gleichartig ge—
ſchichteten Volkes andererſeits. Die Neuzeit ſchuf viele Zwiſchenglieder, deren End—
punkte einander kaum verſtehen, von den feinſten Geiſtern aber verknüpft werden.
7 Tr
2 I
*
1 **
Abb. 17. Blumenbeete am Wege im Bürgergarten. (Ausführung und Photographie Willy Lange.)
Schichtung aber iſt charakteriſtiſch für das Werden der Neuzeit, Geiſtes—
gliederung, Arbeitsteilung, und ſo geht neben der Oberſchicht mit ihrer fortſchreitenden
Genußfähigkeit eine Unterſchicht: die „hohe“ Kunſt wird immer verflochtener, die ein—
fache bleibt als Volks- oder Bauernkunſt auf der Stufe des Mittelalters ſtehen. Neben
dem Park beſteht der Bauern- und Bürgergarten (Abb. 17 und farbige Tafel),
welch letzten man neuerdings nicht mit Unrecht als Bezeichnung für die Kulturſchicht,
der er entſprach, Biedermeiergarten nennt.
* +
*
Auch der engliſche Park ift ein Erzeugnis der Maleranſchauung, ver-
mittelt durch Literatur. Er leitet in der Geſchichte der Pflanzung ahnungsvoll
ein, was die Wiſſenſchaft ſpäter bewies: daß die Natur nach Geſetzen von Urſache
26 1. Abſchnitt.
und Wirkung ſchaffe, ſich geſtalte, daß der Menſch aber ein Glied von ihr, wenn
auch das ihm ſelbſt am wertvollſten ſcheinende, ſei. Jetzt wird Pflanzen nach Motiven
der Natur im europäiſchen Kulturkreis der Ausdruck des neuen Verhältniſſes, in dem
man ſich der Natur gegenüber fühlte. Man glaubte das Ganze der Natur zu be—
ſitzen, wenn man Parks ſchuf: Boden, Waſſer, Geſtein, Pflanzen in Gebüſch und
Wieſe, wenn man Licht- und Schattenwerte verteilte, wenn man die Perſpektive be—
rückſichtigte, wie die Maler, wenn man die „Stimmung“ von Licht, Sonne einfing
und genoß, wie die Dichter. Der Landſchaftsgarten ward im engliſchen Park erfunden,
mit ihm die Landſchaftsgärtnerei.“) 8
Das war zweifellos eine große Erfindung und dieſe engliſche Parkgärtnerei,
wie ſie dann nach Deutſchland, endlich weiter im germaniſch beeinflußten Norden
des alten und neuen Kontinents eingeführt wurde, ſtellte eine Errungenſchaft
von bedeutendem Werte dar: Pflanzung ſtiliſiert nach dem Vorbilde der
Natur.
Stiliſieren heißt ja nach Feuerbachs Ausſpruch die Fortlaſſung des Unweſent—
lichen; man könnte ebenſo richtig ſagen: die Betonung des Charakteriſtiſchen. Und
der engliſche Park und ſeine Nachbildungen ſind ſtiliſierte Landſchaften, denn
ſie wählen von allen möglichen Landſchaften auf der Erde nur die nordiſche
Kulturlandſchaft als Vorbild, jene milde mit runden Umriſſen der Baumaſſen
auf ſanft gewellten Raſenflächen; der engliſche Park läßt ſich auf „Baumgebüſch
auf Wieſengrund“ zurückführen; das iſt ſein Naturſtil, alles andere iſt ihm un—
weſentlich.
Das Plakat der Neuzeit hat uns ja das Stiliſieren geläufig gemacht; wollte
man den Park in der Art der Plakate malen, ſo brauchte man nur zwei Farben:
Hellgrün für die Fläche, Dunkelgrün für die Baumgebüſchkörper.
Der Park war nach Bildern geſchaffen; dieſe aber waren dem Volk zur Zeit
der Entſtehung des Parks nicht zugänglich, weil die Vervielfältigung bei weitem
geringer und vollkommener war als heute. Darum darf man ſagen, daß das Volk
überall durch die Parks zum Gefühl für ſchöne Natur erzogen wurde, daß es an
den Parks ſehen lernte und nun die freie natürliche Landſchaft daraufhin betrachtete,
wie weit ſie mit der als ſchön anerkannten Parknatur übereinſtimmte. Das Volk
fühlte, ahnte im Park die Geſetzmäßigkeiten, welche die Schöpfer bei ihrem Werk
geleitet hatte: „schöne Verhältniſſe freier Linien, Maſſen“. “) Wer die Parkbücher kennt,
weiß, wieviel Regeln für die Schönheitslinie darin enthalten ſind. Aſthetik nannte man
die Lehre vom Schönen, und ſo wurde die Natur zunächſt äſthetiſch gewertet, abgelehnt
) Wort und Begriff „Landſchaftsgärtnerei“ ſind in jüngſter Zeit durch die kunſtgewerbliche
Literatur ſehr in Mißachtung gekommen; ganz ungerechtfertigt. Denn das Wort bezeichnet eine
Gartengeſtaltung, welche die landſchaftliche Schönheit zum Ziel hat. Wenn ſich die Vorſtellung
„landſchaftlicher Schönheit“ auch verändert, erweitert oder verringert, ſo wird doch der Begriff für
alle Zeit Geltung haben. „Gartenarchitektur“ betont nur einſeitig die Geſtaltung nach baulichen
Motiven.
) Parkbücher: Hirſchfeld, Theorie der Gartenkunſt. Leipzig 1779—85. Schriften des
Fürſten Pückler-Muskau. — F. L. v. Sckell, Beiträge zur bildenden Gartenkunſt. München 1818.
— Guſtav Meyer, Lehrbuch der ſchönen Gartenkunſt. Berlin, Paul Parey. — Heute noch, mehr
als nur geſchichtlich wertvoll: Hermann Jäger, Lehrbuch der Gartenkunſt. Leipzig 1877.
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 27
oder gerühmt; vor der erſten Parkäſthetik konnte vieles, was uns heute reizvoll in
der Natur erſcheint, nicht Gnade finden. Entwicklung iſt auch hier das Geſetz aller
menſchlichen Errungenſchaften, aber unverlierbar iſt dem nordiſchen Sinn ge—
worden die Parkſchönheit als ein feſtes Maß, ein Vermittler des künſt—
leriſch empfundenen Naturgenuſſes.
Der engliſche Park und auch die erſten deutſchen Nachbilder waren weit gedehnt;
durch Vermittlung von Baumgebüſch-Vorpoſten gingen ſie in die freie Landſchaft oder
in Forſt und Feld über. Wegen der Bedeutung, welche die Gehölzmaſſen hatten,
begann eine einſeitige Bevorzugung aller Holzgewächſe; man ſuchte immer
neue Arten winterfeſter Gehölze einzuführen und Varietäten durch Zucht feſtzuhalten:
die Baumſchulen entſtanden ſo als ſelbſtändige handelsgärtneriſche Zweige, und
die „Dendrologie“ wurde ein Sonderfach der Botanik für Liebhaber. Alſo auch die
Pflanzenzucht, und im weiteſten Sinne die Heimat verdankt dem Park eine ungeheure
Bereicherung. Daß noch immer die Einzelpflanze, die Einzelſchönheit, der „So—
litär“, beſondere Schätzung genießt, hängt mit den Vorſtellungen zuſammen,
aus denen der baulich geformte Garten entſtand. Dieſer war eine Vereinigung
von Einzelſchönheiten, — der Park ſtellt als Ziel die Darſtellung einer ganzen
ſchönen Landſchaft dar. Der Park hat als Ideal ein natürliches Ganzes (die
Landſchaft), — der ältere künſtlich geformte Garten ein bauliches; aber die hiſtoriſche
Entwicklung, die nur Übergänge, keine Sprünge kennt, hinderte, den Schritt von der
Einzelheit zur höheren Einheit ganz zu tun: daher noch Blumengruppen, Regelmäßig—
keiten, Einzelſchönheiten und Bizarrerien in der Nähe des Palaſthauſes in beſonders
ſorgfältiger Pflege als „Pleaſureground“.
Die neuen künſtleriſchen Pflanzungsgrundſätze wurden bald als die einzig rich—
tigen von Kunſt⸗ und Gartenſchriftſtellern empfohlen, und z. B. Hirſchfeld' tritt
mit ſo heftigen Worten für die landſchaftliche Gartengeſtaltung ein, wie heutige Kunſt—
ſchriftſteller ſie bekämpfen. Nicht nur die landſchaftliche Gartengeſtaltung, ſondern
auch Hirſchfeld ſelbſt wird heute bekämpft; dabei ſollte man nicht vergeſſen, daß der
heute viel Geſchmähte immerhin Univerſitätsprofeſſor in Kiel war und für niemand
anders ſchrieb als für die literariſch-äſthetiſch Gebildeten ſeiner Zeit und aus ihrer
Geiſtes- und Weltanſchaungsrichtung heraus.
Eine hiſtoriſche Tatſache aber bleibt andrerſeits, unabhängig von nachträglicher
Kritik, daß das landſchaftliche Geſetz der Parkſchönheit, welches einſt für weitgedehnte
Flächen gedacht war, auf kleinere und ſchließlich kleinſte Gärten übertragen
wurde. Der Maßſtab war verloren, das Bewußtſein für Urſache und Wirkung in
der großen Natur, welche dem Park zugrunde lag; das Schema und Rezept der
Wegeführung in Schönheitslinien, der Pflanzungsanordnung, der Form der Raſen—
fläche, der Waſſerläufe, Teiche und Geſteine waren geblieben, und ein Parkplan, der
für 100 Morgen gedacht war, wurde in ſeinen Elementen auf einem halben dar—
) Theorie der Gartenkunſt, von C. C. L. Hirſchfeld. (5. Bd. Leipzig 1779.)
28 1. Abſchnitt.
der einſt leitenden Motive etwa jo, wie ein baulicher Ornamentſtil, der für den
Palaſt gedacht iſt, am kleinen Bürgerhaus zur Überladung führt. Die Baukunſt iſt
ſo wenig frei von dieſer häufig in der Kunſtentwicklung anzutreffenden Erſcheinung
wie die Gartenkunſt.
„Daß Neues übertrieben wird, ein Tor nur wird drob ſchelten,
Denn Übertreibung lehrt erſt recht, was uns als Norm ſoll gelten.“
Man kann dieſe Tatſachen der Kunſtentwicklung ohne Zorn verzeichnen, wenn
man genug gelernt hat aus der Geſchichte, um zu wiſſen, daß Auf und Ab, Wechſel
von Fortſchritt und Stillſtand, Wechſel der Anſchauungspole, ein Entwicklungsgeſetz
des menſchlichen Geiſtes iſt. Denn gerade daraus gewinnt man gelaſſen die Über—
zeugung von dem ſicheren, nur durch Ruhepauſen, d. h. Kraftſammlung, unterbrochenen
Fortſchritt.
So war nach dem Entſtehen der Pflanzungsgedanken, die man mit dem Be—
griff „Park“ umfaßt, welche einen wahrhaften Kulturfortſchritt bedeuten, eine Zeit der
Verirrung, Verflachung dieſer Gedanken in der gewerbsmäßig betriebenen Land—
ſchaftsgärtnerei eingetreten. Gärtner haben das ausgejprochen,*) lange bevor es die
Literaten des Kunſtgewerbes mit viel Aufwand von Worten über Knüppelbrücken,
Pfützenteiche, Bretzelwege bekämpften. Dieſe ſtellten dem „landſchaftlichen“ Motiv
das „architektoniſche“ als das allein richtige gegenüber und wieſen auf die Blüte der
Zeiten hin, als die Architekten der Renaiſſance die Gärten „bauten“, und in Frankreich
der Architekt Lenötre feine Fluchtlinien von der Palaſtmitte aus ſchlug. Wir haben
ja geſehen, daß die baulichen Motive von den natürlichen verdrängt worden waren;
große Anlagen, wie Schwetzingen, wurden damals landſchaftlich moderniſiert,
wenigſtens mit einem Parkrahmen umgeben. Aber eine ganze Bevölkerungsſchicht,
die Bauern und Bürger in den Landſtädten, die weniger von der Literatur- Aſthetik
überflutet wurden, hatten den regelmäßig gegliederten Hausgarten gepflegt, weil
es am äſthetiſchen Willen und den Mitteln fehlte, den Landſchaftsgarten einzuführen:
jo in allen nordiſchen Kulturländern, nicht weniger in Deutſchland als z. B. in Eng-
land. Da nun eine Zeitlang England für unſere „Wohnkultur“ als vorbildlich hin—
geſtellt wurde, nahmen die Literaten ihre Vorbilder von Bürgerhaus und Bürger—
garten dort her, obwohl fie z. B. zwiſchen Köſen und Eijenach**) alles in Deutſch—
land hätten finden können, was ſie weither ſuchten: das Bürgerhaus und ſeinen
Garten, welche beide abſeits der Hochziviliſation und literariſchen Aſthetik in ungeſtörter
Ruhe ſeit dem 18. Jahrhundert beſtanden.
Neben den Palaſtbewohnern mit Parken hatten ja immer die Kleinbürger
gelebt. Die Neuzeit ließ dieſe in den Mietwohnungen der Städte zuſammenſtrömen,
bis hier ein Mittel-Bürgerſtand zu einigem Wohlſtand gelangte, der ihm das Wohnen
im eigenen Gartenheim ermöglichte. Nun nimmt jede Erſcheinung in der Neuzeit
) Vgl. u. a. des Verfaſſers Aufſätze in „Die Gartenwelt“, Berlin 1898 u. ſ. f.
) Beſonders aus den Klein-Bürgergärten des Anfangs der achtzehnhunderter Jahre entnahm
Schulze-Naumburg ſeine Beiſpiele für Gärten und Garten-Kleinbauten. Vgl. des Genannten:
„Kulturarbeiten“. München. Georg D. W. Callwey.
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 29
fofort großen Umfang an, ſo auch ſtieg die Zahl der entſtehenden Eigenheime im
Umkreis der Städte, in den Villenkolonien, Land- und Gartenſiedelungen immer mehr,
und die Folge war, daß man den kleinen Bürgergarten als nützlichen Ziergarten
oder verzierten Nutzgarten in gleicher Anzahl brauchte. Das iſt folgerichtig
und hiſtoriſch begründet.
N Um die Werte, beſonders die Gebrauchswerte des Bürgergartens ins rechte
Licht zu ſetzen, um für ſeine Form, die ſich ganz aus den Zwecken der Benutzung
ergibt, auf die alten Gärten gleichen Zwecks zurückzugreifen, braucht man aber
nicht die Geſtaltung eines Gartens nach Motiven der Natur grundſätzlich zu ver—
werfen.
Alle die Motive verſchiedener Geſtaltung, über welche wir heute verfügen: geo—
metriſche, bauliche einerſeits, und natürliche andererſeits, ſind ja nur Mittel, nicht
Selbſtzweck.
Man kann die falſche Richtung erkennen, die ein Motiv in der Entwicklung
genommen hat, z. B. die falſche Verkleinerung des Parkgedankens in Anwendung
auf den Garten des Bürgerhauſes, und man kann den leitenden Grundgedanken
wieder aufſuchen und auf Grund bereicherter, vertiefter Naturauffaſſung unſerer Tage
dieſen Grundgedanken richtig weiterbilden.
Weiterbildung alles bisher entwicklungsgeſchichtlich Errungenen iſt Bedingung
und Ziel alles Fortſchrittes; nichts Erworbenes verlorengehen laſſen!
*
Wir wiſſen, daß es eine Stufe des geiſtigen Fortſchrittes bedeutete, als man
im europäiſchen Kulturkreis begann, nach Motiven der Natur zu pflanzen! Man
pflanzte nach den Geſetzen, die man ahnend äſthetiſch empfand. Seitdem haben wir
aber im Erkennen der Natur ungeheure Fortſchritte gemacht; wir haben eine Natur—
wiſſenſchaft, mehr noch! Denn was man bis dahin ſo nannte, war beſchreibend,
aufzeichnend, ordnend. Heute haben wir eine entwicklungsgeſchichtlich verſtehende,
eine erklärende Naturwiſſenſchaft, die, ſoweit es ſich um die Wechſelbeziehungen der
Lebeweſen zu ihrer Heimat und ihren Mitweſen handelt, Lebensgeſetze zu verſtehen
lehrt. Die Biologie durchdringt alles bisherige äußerliche Wiſſen, die Biologie —
auf die Kunſt übertragen — ſchafft eine neue, eine biologiſche Aſthetik: die Lehre von
den Erſcheinungen, welche biologiſch zuſammengehören und welche in dieſem Sinn, —
tiefer als früher das Wort gemeint war, — eine Harmonie bilden; eine Harmonie
der Erſcheinungen, die auch den Beſchauer ohne Kenntnis der Geſetze die lebendige
Zuſammengehörigkeit ahnen, tief empfinden, nacherleben, das heißt künſtleriſch ge—
nießen läßt.“)
Wir können heute Pflanzungen ſchaffen, Gärten geſtalten nach dem Motiv
der Lebensgemeinſchaften der Pflanzen in der Natur. Auch hierbei
ſtiliſieren wir, wir kopieren nicht; wir laſſen das Unweſentliche fort und bringen das
) Der Begriff „biologiſche Aſthetik“ wurde von mir zuerſt in der Leipziger Illustrierten
Zeitung 1909 gebildet behandelt. Vgl. auch Willy Lange, Land- und Gartenſiedelungen. Leipzig,
J. J. Weber 1910.
30 1. Abſchnitt.
Abb. 18. Kugeldiſteln und Königskerzen in Gemeinſchaft mit Kiefernſtämmen auf einem Teppich von Sedum spurium.
(Gepflanzt und photogr. von Willy Lange.)
Charakteriſtiſche zu geſteigertem Ausdruck (Abb. 18 und 19). Nicht mehr die „Land—
ſchaft“ in ihren großen Zügen, — in Hell- und Dunkelgrün — iſt unſer Vorbild, ſondern
die engere Gemeinſchaft all der Pflanzen, die in beſtimmtem Standortzuſtand boden—
ſtändig ſein könnten, wenn wir dafür das Anſehen oder die Phyſiognomie der
Pflanzen, die wir an dieſen Standorten in der Heimat anzutreffen gewöhnt ſind, als
vorbildlich betrachten. All unſere Gartenpflanzen prüfen wir darauf, welcher Standorts—
gemeinſchaft ſie wohl angehören würden, wenn ſie unſerer heimiſchen Natur zugeteilt
wären.“)
Dieſe Kleinbilder, ſinnige Zuſammenſtellungen, Symbole der Natur — ſie haben
Platz im kleinſten Garten. Und in dem feinen Reiz der Form, Farbe, der beziehungs—
reichen Zuſammengehörigkeit berühren wir uns dem Grade nach mit der Empfindungs—
fähigkeit — japaniſchen Naturgefühls. Dem Grade, nicht der Art nach! Japans
Naturgefühl iſt abſtrakt, abgezogen von der Wirklichkeit, das unſrige iſt konkret, ſteht
feſt auf dem Boden der Wirklichkeit, der Naturwiſſenſchaft.
Berührung, nicht Vereinigung iſt es, was in dieſer Zeit den europäiſchen dem
aſiatiſch-japaniſchen Kulturkreis näher bringt; beide ſchwingen um verſchiedene Mittel-
punkte, aber in gleicher Richtung; vielleicht vereinigen ſie ſich einmal in einem Mittel—
punkte des geiſtigen Weltkreiſes der Kultur. Doch, laſſen wir die Zukunft dem Ent—
„) Ausführliches hierüber im 3. Abſchnitt und in Willy Lange, Gartengeſtaltung der
Neuzeit. Leipzig, J. J. Weber.
Eine Geſchichte vom Pflanzen. 31
Abb. 19. Krokus zwiſchen Heidekraut unter Birken und Sanddorn.
(Gepflanzt und photogr. von Willy Lange.)
wicklungsgeſetz! Unſere gegenwärtige Teilnahme an japaniſcher Kunſt beruht aber
trotz aller ihrer Eigenart auf einem Ahnen der Verwandtſchaft mit unſerem modernen
Empfinden. 5
*
Blicken wir jetzt einmal zurück, jo ſehen wir: Die Gefchichte der Pflanzung geht
im gleichen Schritt wie das menſchliche Verhältnis zur Pflanze, zur Natur, gleichen
Schritt mit dem Wiſſen von ihr.
Der Frage nach Nutzen, der erſten Frage, entſpricht der Nutzgarten ohne ab—
ſichtsvolle Zierform.
Der Bauerngarten enthält zum erſten Male Pflanzen um ihrer Schönheit
willen und verſucht ſelbſt ſchön zu ſein.
Die künſtliche Formung des Gartens erreicht ihren Höhepunkt etwa gleich—
zeitig mit der Schaffung der künſtlichen Ordnung der Pflanzenwelt in der
Botanik; daneben ſind Baugedanken von geſtaltendem Einfluß.
Das natürliche Pflanzenſyſtem ahnt Verwandtſchaften infolge äußerlicher
Ahnlichkeiten, und der Park des europäiſchen Kulturkreiſes verwirklicht zu dieſer
Zeit geahnte Geſetze der Landſchaft.
Die biologiſche Lehre von den Standortsgemeinſchaften in der Botanik kommt
endlich in unſerer Zeit im künſtleriſch ſtiliſierten Naturgarten zum Ausdruck.
Das iſt der Gang der Geſchichte des Pflanzens, des Gartens in Europa und
den von ihm abhängigen Ländern: auf fünf Stufen gelangte ſie zur heutigen Höhe.
32 1. Abſchnitt.
Unabhängig hiervon blieb in der Zeit, die wir überſehen können, die Gejchichte des
künſtleriſchen Pflanzens in Aſien, ausgehend von anderer Weltanſchauung.
* *
Jede Stufe der Entwicklung war nötig für die Erreichung der nächſt höheren.
Heute überſehen wir den ganzen Weg, nachdem wir den Sinn für Geſchichte gewonnen
haben; keine Zeit vor uns war mit ſo feinem vielſeitigem Sinn für Geſchichte begabt
wie die unſere. Schon einmal erwachte dieſer Sinn, aber er richtete ſich nur auf
ein eng begrenztes Gebiet, auf die Antike, und daraus ward in Italien die „Renaiſſance“,
als die Zeit für ſie reif geworden war.
Unſere Zeit kann auf weitere, fernere Gebiete vergangener Völker zurückblicken
als Italien im 14. Jahrhundert, die Renaiſſance unſerer Tage muß alſo reicher ſein.
Wir leben denn auch — kunſtgeſchichtlich betrachtet — wirklich in einer Wiedergeburt
alles bisher Geſchaffenen, das wir nicht nur im Sinne des Stilkatechismus repetiert
und kopiert haben, ſondern zu neuem Ganzen, aus verſchiedenen Elementen, kompo—
nieren. Eklektizismus, d. h. Auswahl aus dem Formen- und Gedankenſchatz früherer
Tage, ſchuf die „moderne“ Kunſt in Verbindung mit den Einflüſſen der neuen Natur—
wiſſenſchaft, der aus ihr abgeleiteten Ingenieurtechnik, welche uns neue Zweckformen
errechnete, in Verbindung ferner mit vertiefter Ethik, hoch entwickelter Ziviliſation
auf der Grundlage allgemeinen Wohlſtandes und verbeſſerter Lebenshaltung, endlich
in Verbindung mit Bereicherung der Materialien, techniſchen Hilfsmittel, des Welt—
handels und geiſtigen Austauſches. Hierzu kommt eine allgemeine Verbreitung ſchärferen,
zielbewußten Denkens, man gibt ſich Rechenſchaft über die Empfindungen des ſoge—
nannten „Geſchmacks“, lernte Goethe beſſer verſtehen, iſt aufnahmefähig für jede neue
Erſcheinung, die ſofort kritiſch gewertet, verarbeitet wird, ſtatt kopiert zu werden, ſo
z. B. die Erſcheinung Japans und die Wiederentdeckung der ſogenannten Volkskunſt
aller Völkerſtämme. Japans Einfluß auf das moderne Kunſtempfinden und Schaffen
iſt viel größer, als allgemein zugegeben wird. Die moderne Renaiſſance gewinnt
eine viel größere, ſchnelle Verbreitung durch die modernen Vermittler: Ausſtellung,
Fabrikation, Abbildung und Literatur, die in breite Schichten dringen. Die Bildung
unſerer Zeit beherrſcht eine viel tiefere Volksſchicht als je in früheren Jahrhunderten;
darum hat die Kunſt als ſchönſte Blüte der Lebensarbeit eine tiefere, kulturbildende
Wirkung; darum iſt die Beſchäftigung mit ihr eine ernſte, alle praktiſche Arbeit durch—
dringende Angelegenheit des Volkes, nicht mehr ein Spiel für müßige Stunden von
begüterten Aſtheten. Die italieniſche Renaiſſance brachte eine Kunſt der Fürſten, die
neue Renaiſſance ſchafft eine Kunſt des Bürgertums.
Was bedeutet das für das Pflanzen in unſeren Tagen? Es wird viel
reicher als einſt. Wir wiſſen heute, was wir tun; wir pflanzen im Garten nach
Motiven, und zwar nach allen, deren wir fähig ſind, und all unſer Geſtalten wird
geleitet durch die weitere Fähigkeit, die Wohnung als charakteriſtiſche Lebensäußerung
des einzelnen Bewohners aufzufaſſen, an ſie den Garten anzugliedern, Haus und
Garten zur künſtleriſchen Einheit zu führen, zum „Gartenheim“.
Dazu dienen uns alle Mittel, alle, die hiſtoriſch in der Entwicklung des Gartens
geworden ſind. Jede Einſeitigkeit, z. B. nur geometriſch, baulich, nur bäuerlich, nur
(Coburg anigd Zogct)
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JAN 17 191?
Eine Geſchichte vom Pflanzen. a 33
palaſtgemäß oder nur biologiſch zu pflanzen, wäre ein Rückſchritt auf eine tiefere Stufe.
Modern ſein heißt, alles bisher Errungene bewußt, an rechter Stelle, nach- und neu—
erlebend, zum neuen Ganzen führen, weiterbilden. Der Zeitgeiſt iſt ſo vielſeitig wie keiner
vor uns; daraus haben wir die Folgerung zu ziehen für unſere Arbeit, für unſere
Kunſt, alſo auch für unſern Garten. Er gejtattet, alle Mittel anzuwenden, alle
Zwecke, die ihm z. T. erſt in neuerer Zeit geworden ſind, zu erfüllen. Nützlich und
ſchön, nicht nur nützlich oder nur ſchön, ſoll die kleinſte und die größte Anlage ſein;
allen neuen Zwecken ſoll ſie dienen, z. B. müſſen die öffentlichen Gärten, die einſt an
kleinen Städten — noch vor 40 Jahren waren unſere heutigen Großſtädte klein! —
dem Bedürfnis äſthetiſcher Spaziergänger genügten, heute an Millionenſtädten den
Tauſenden zur Erhaltung ihrer Lebensmöglichkeiten und ſtädtiſch angeſpannter Arbeits—
fähigkeit durch Körperpflege dienen. Dieſen neugewordenen Aufgaben muß die Garten—
geſtaltung folgen. Welche Formen dazu als Mittel angewendet werden, iſt eine An—
gelegenheit des künſtleriſch empfindenden Eklektizismus, kann in unſerer Zeit niemals
ein Stildogma bilden.
Die Kunſt des Pflanzens, der Gartengeſtaltung iſt zeitgemäß, wenn ſie die durch
ſie erreichbaren Zwecke erfüllt mit all den Mitteln, welche die Geſchichte ihr bisher
gewonnen hat. Die Geſchichte des Pflanzens, des Gartens iſt ein Glied der Kultur—
geſchichte der Menſchheit.
Abb. 20. Grabmal des Fürſten Pückler-Muskau zu Branitz,
des erfolgreichſten Verbreiters der engliſchen Parkgedanken
in Deutſchland. (Phot. Oswald Wölke.)
Lange, Der Garten. 3
2. Abſchnitt.
Der neue Garten.
Jedes Werk hat für unſere Erkenntnis ſowohl einen Inhalt als eine Form.
Der Inhalt eines Gartens folgt neben dem Weſentlichen, den Pflanzen, aus
den Zwecken, die durch ihn erfüllt werden.
Die Form iſt teils eine Folge dieſer Zwecke, denn für viele Zwecke ſind be—
ſtimmte Formen als beſonders zweckgemäß erwieſen; teils iſt aber auch die Form
inſofern unabhängig vom Zweck, als derſelbe Zweck mit mancherlei Formen gleich gut
erreicht werden kann.
Zum Beiſpiel: ein Raſenplatz, auf dem man ſpielen will, kann ſowohl geradlinig,
etwa durch Hecken, gerade Baum- oder Gebüſchreihen, begrenzt ſein als durch freie
unregelmäßige Pflanzungen; durch einen geraden Waſſerkanal ſowohl als durch einen
gekrümmten Waſſerlauf. In keinem Fall wird die Begrenzung, die Form alſo, den
Zweck eines ebenen Raſenplatzes zum Spielen irgendwie beeinfluſſen. Es wäre alſo
falſch zu ſagen: weil der Raſenplatz einem vom Menſchen gewollten Zweck dient,
darum müſſe er geradlinig begrenzt ſein; denn alles menſchliche Schaffen ſei durch
bauliche Geſetze bedingt.
So ſtehen wir vor der Frage, welche Form der Garten haben ſoll, welche
Geſtaltungsgedanken ihn in der Neuzeit beherrſchen ſollen: die menſchlichen Bau—
gedanken oder die Naturgedanken.
Am Anfang des vorigen Jahrhunderts lehrte man: nur Naturgedanken dürfen
die Gartengeſtaltung leiten; am Anfang dieſes Jahrhunderts heißt es in der geſamten,
vom Kunſtgewerbe beherrſchten Literatur: einzig die Baugedanken allein führen zur
richtigen Form.“)
Die Geſchichte vom Pflanzen hat uns gezeigt, daß beide Gedanken zur äußerſten
Entwicklung geführt wurden. Sollen ſie nun im Zeittakt abwechſeln, wie die geiſtloſe
Mode z. B. zwiſchen kleinſten und größten Hüten wechſelt? Was lehrt die Geſchichte
des menſchlichen Fortſchrittes? Sie lehrt, daß Einſeitigkeiten nötig ſind, um die Ge—
danken vollkommen durchzuarbeiten bis zu ihrer höchſten Entwicklungsmöglichkeit; ſie
lehrt weiter, daß darüber ältere Gedanken eine Zeitlang zurückgedrängt werden, die
*) Willy Lange, „Den Garten pflanzen oder bauen?“ Unterhaltungsbeilage der „Täg—
lichen Rundſchau“. Berlin 1907.
Der neue Garten. 35
ſich dann wieder gewaltſam zur Geltung bringen, die Alleinherrſchaft erlangen
wollen ſeitens der Partei, die ſie vertritt. Sie lehrt endlich, daß dann Männer auf—
ſtehen, die beide Gedankenrichtungen zu durchdenken wiſſen, die beide grundſätzlich
verknüpfen und ſo die Arbeit der verſchiedenen Richtungen gelaſſen zur höheren
Einheit führen: dann hat der Fortſchrittszeiger auf der Zeitenuhr der menſchlichen
Geiſtesentwicklung einen Schritt getan.
So vereint der neue Garten die verſchiedenen Gedankenrichtungen zur neuen
Einheit.
Wir wollen die leitenden Beweggründe der Kürze wegen „Motive“ nennen und
können dann kurz ſagen, daß der neue Garten alle Geſtaltungsmotive, über welche
wir heute rückwärts blickend verfügen, in ſich vereinigt.
Die Entſcheidung im einzelnen hängt ab: von der Ortlichkeit, der Neigung des
Gartenbeſitzers, den Koſten, den Zwecken, d. h. der Gebrauchsart des Gartens und
ſeiner einzelnen Glieder, dem Charakter des Hauſes. Darüber aber ſchwebt als künſt—
leriſches Gewiſſen das „Gefühl für das Richtige“. Für dieſes kann man keine An—
weiſungen geben. Aber man kann ſagen, was man im einzelnen denkt.
Verſuchen wir, ein Gartenheim uns vorzuſtellen. Ich meine kein beſtimmtes,
gebe auch keinen „Plan“, damit keine Schablone entſtehen kann, ſondern ſpreche nur
Allgemeingültiges aus.
Gartenheim! Das Wort will eine Einheit bezeichnen, in welcher Haus und Garten
zwar Glieder ſind, die aufeinander angewieſen ſind, einander bedingen, beeinfluſſen,
einander durchdringen. Nicht im Sinne bloßer Form, ſondern räumlich und geiſtig und
inhaltlich. Wir betrachten den Grundriß des Hauſes: die Lage der Räume und ihren
Zweck. Da zeigt ſich ſchon, daß vom erſten Feſtſtellen der Bedürfniſſe des Wohnens
neben dem Baumeiſter der Gärtner um Rat gefragt werden muß; denn wenn uns z. B.
der Baumeiſter den Wohnraum oder das Speiſezimmer an eine Stelle legt, wo eine
Entfaltung ſchöner Gartenbilder, von innen geſehen, nicht möglich iſt, etwa wegen
Platzmangels oder weil der ganze Platz vom Hauſe beſchattet wird, dann iſt ſchon
etwas verdorben. Der Gartenkünſtler muß alle Maßnahmen des Bau—
meiſters beurteilen können in bezug auf die Wirkung für den Garten;
und er muß alle Mittel kennen, welche das Werk des Baumeiſters zur
beſten Wirkung bringen. Da kann es wichtig ſein, das Haus, als Baukörper
betrachtet, auf eine breitere bauliche Grundlage zu ſtellen, eine Terraſſe zu ſchaffen.
Eine ſolche Terraſſe, z. B. 40 em höher als die Umgebung, wirkt im Verhältnis zu
den Koſten ungeheuer. Das Haus dringt dadurch mit den Baugedanken in den
Garten. Vielleicht aber iſt die Terraſſe nicht von allen Seiten nötig, weil nicht
ſichtbar; alſo können wir ſie an einigen Stellen ſparen und hier eine Pflanzung hoch—
wachſender Bäume anſiedeln, damit die Gartengedanken an das Haus dringen, Aſte
das Dach umfangen, ihre Schatten über Wand und Dach breiten. Baukörper und
Baumkörper werden fo für den Anblick zur Einheit, und das Gleichgewichts verhältnis
beider muß gewahrt werden.
Es ſpielt hier neben den Baugedanken und dem Naturgedanken in unſere Be—
trachtungsweiſe der Dinge noch ein Drittes hinein: die Fähigkeit, maleriſch zu ſehen;
denn die Malerei hat die Menſchheit zum Sehen und Schauen erzogen (Abb. 21).
36 2, Abſchnitt.
Das Bedürfnis
nach Gleichge—
wicht in einem
von uns inner⸗
lich vorgenom—
menen Bildaus—
ſchnitt bei Be⸗
trachtung der Na—
tur iſt heute all-
gemein verbreitet,
muß alſo bei dem
Zuſammenwirken
von Bau: und
von Baumkör⸗
pern wohl beach-
tet werden.
Neben der ma-
leriſchen Betrach—
tungsweiſe geht
aber noch vieles
andere einher in
unſerer vielartig
empfindenden
Zeit z freilich nicht
bei allen Men-
ſchen, ſondern nur
bei denen, die ein
Organ dafür ha—
ben. Ich möchte
dieſe Art des
Sehens und Emp—
findens als „gei—
Abb. 21. Beiſpiel maleriſcher Betrachtungsfreude. ſtig 7 beziehung3-
Eingang aus einem Hof in den Garten in Villa Orotava, Teneriffa. reiche“ bezeichnen
(Phot Willy Lange.) {
und es jedem
überlaſſen, welche geiſtige Beziehungen er zu den Dingen knüpfen will: hiſtoriſche, ſym—
boliſche, koloriſtiſche, dichteriſche, weit entlegene geographiſche und ganz perſönliche! Wo
ich Beiſpiele gab, die ich in dieſem Sinne empfand, wo ich dieſe Empfindungen durch
Worte zu vermitteln ſuchte, haben viele dieſe perſönlichſte Angelegenheit lebhaft be—
kämpft: als Romantik, Phantaſterei und anderes. Wo das bekämpft wird, fehlt das
Organ dafür, genau ſo, wie noch heute und für alle Zeiten vielen das Organ für
Richard Wagners beziehungsreiche Kunſt fehlt. So muß es jedem überlaſſen bleiben,
ob er mit mir in den Abb. 22 und 23 erinnert werden will an Hügelwellen von
Blütenſchaum in Werders Umgebung, ob ihm ein blühender Kirſchenſtrauch (in
D
2
er neue Garten. 3%
Abb. 22. Blühender Kirſchenſtrauch (Prunus tomentosa), den Zaun einer Anlage durchwachſend.
(Gepflanzt und photogr. von Willy Lange.)
Abb. 22) das nationale Kirſchblütenfeſt Japans mit ſeinem tiefen Genießen des ganzen
Volks nahebringt, wie es Abb. 23 andeutet. Das muß jedem überlaſſen bleiben,
und anderes! Aber die Gärtner müſſen wiſſen, daß in den geiſtigen und beſitzenden
Oberſchichten, dort, wo ihre Auftraggeber ſind, ein weltumſpannendes beziehungs—
reiches Denken und Empfinden das Selbſtverſtändliche iſt, und daß ſie dem Empfinden
ihrer Auftraggeber, die mehr wollen als „Genuß durchs Auge“, nicht gerecht werden
können in ihrem „Gärtnern“, wenn ſie dieſem beziehungsreichen Sehen und Empfinden
nicht nachleben, es wenigſtens voll Achtung zu befriedigen ſuchen.“)
Wir nehmen an, die Lage der Räume im Erdgeſchoß ſei nun erwogen. Die
Wirtſchaftsräume erhalten einen Ausgang nach einem kleinen Hof, dieſer einen
direkten Zugang von der Straße; ſei es auch nur, bei ſchmalen Grundſtücken, daß
der Zugangsweg zum Hof am Hauſe ſelbſt vom Haus-Eingangsweg abbiegt. Da—
) Hier fehlt der Platz zu weiteren Ausführungen in genanntem Sinne. Wer mehr davon
wiſſen will, leſe „Wald und Garten“ von Gertrud Jekyll, Leipzig 1907; ein Buch, das gleich—
zeitig erſchien und gefühlsmäßig andeutet, was meine „Gartengeſtaltung der Neuzeit“, Leipzig,
J. J. Weber, auf eine ſichere verſtandesmäßige Grundlage zu bringen ſucht. In „Stauden und
Sträucher“ von Karl Foerſter, Leipzig 1911, J J. Weber, iſt warmes Empfinden, geiſtreiche
Auffaſſung mit der Praxis des Spezialiſten in meiſterhafter Darſtellung vereint, gegeben.
38 2. Abſchnitt.
durch entſtehen ſchon viele Annehmlichkeiten bei dem Ein- und Ausgehen all derer,
die nicht unſere Gäſte ſind. Dieſer Hof fordert Abſchluß durch Hecke, Mauer, über—
ranktes Gitterwerk: aus einer Notwendigkeit, dem Hof, folgt eine andere, die Ab—
ſchließung, und daraus entſtehen Notwendigkeiten der Pflanzung. Solche Umſchließung
beeinflußt aber wieder die nächſte Umgebung; denn vierfach verſchieden ſind die Be—
lichtungs-, bzw. Beſchattungszuſtände an den Außenſeiten eines vierſeitig umſchloſſenen
Raumes. Ebenſo verſchieden, nur in entgegengeſetztem Sinne, an den Innenſeiten.
Hieraus entſteht eine ganz verſchiedene Möglichkeit der Pflanzung. Die Ausſicht
aus den Fenſtern der Wirtſchaftsräume iſt, von innen her betrachtet, bedeutungslos.
Ob wir die vor ihnen liegenden Flächen aber beſcheiden behandeln, hängt davon ab,
Abb. 23. Kirſchenblüte in Tokio. Unfruchtbare, weil gefülltblühende Kirſchen als Straßenzierbäume.
(Phot. R. Amthor.)
ob wir ſie von Teilen des Gartens aus betrachten können. Wo aber die Hausfrau
ſelbſt in der Küche waltet, ſoll ſie auch von hier aus einen ſchönen Gartenblick
haben; ſie will aber vielleicht von hier aus die Kinder beobachten können. Das
könnte bedingen, daß hier der Spiel- und Turnplatz anzuordnen iſt, und das wieder
könnte uns zwingen, die Lage des Hauſes im Grundſtück zu verſchieben. Da nun
ein Spielplatz gerade kein Schmuck des Gartens iſt, obwohl der Ausdruck des wert—
vollſten Reichtums des Gartenheims, ſo könnte wohl für eine rechte wirtſchaftliche
Mutter die Möglichkeit geſchaffen werden, bei der Küchentätigkeit mit ihren Kindern
im Garten zuſammen zu ſein. Alſo öffnen wir eine Tür neben dem Küchenfenſter
nach dem Garten, die auf eine Halle führt, wo die Mutter und die helfenden und
beaufſichtigenden Mädchen ſitzen, und legen den Spielplatz davor; dieſer wird durch
Der neue Garten. 39
eine unten geſchloſſene Pergola für den Eindruck zum Hauſe hinzugezogen, — als
Kinderſtube im Freien — und gegen den Garten abgeſchloſſen, ſo daß man von dort
aus die Sandburgen und Gärten der Kinder nicht ſieht. Vom Empfangs-, Wohn-,
Arbeits- und Speiſezimmer ſollen die Blicke in den Garten ſchön und abmwechilungsvoll
fein. Abwechſlungsvoll! (Abb. 24— 26.) Wir haben ja jo viele Motive: vielleicht legen
wir vor das Wohnzimmer der Hausfrau ein abgeſchloſſenes Blumengärtchen und öffnen
dem Hausherrn den Blick auf eine natürliche Pflanzengemeinſchaft, die hier bis dicht
an die Terraſſe herantritt. Veranden, Hallen, Erker geben überall Austritte aus
dem Hauſe und laſſen den Garten durch ihre Berankung gleichſam ins Haus dringen.
Abb. 24. Blick von der Speiſezimmerterraſſe auf einen großen Gartenplatz und über den Waldgarten zum See
und deſſen jenſeitigem Ufer. (Anlage und Phot. Willy Lange, ohne Verantwortung für die Gartenſchirme.)
Vom Oberſtock aus geſehen, müſſen ſich ganz andere Bilder zeigen. War z. B.
das Blumengärtchen der Hausfrau, von ihrem Zimmer aus geſehen, abgeſchloſſen durch
eine Heckenwand, ſo ſieht man oben über dieſe hinweg, ſeitlich vielleicht nach dem Hühner—
ſtall, an den die Pflanzengemeinſchaft nach Motiven der Natur heranreicht, ihn, vom
Garten aus geſehen, völlig verdeckend. Ein Blick nach einer Laube tut ſich auf, von
der wir bei einem Blick aus den unteren Fenſtern keine Ahnung hatten. An anderer
Stelle lockt ein freier Sitzplatz; hinten ſehen wir üppigen Salat leuchten, Bohnen
an Stangen klettern und Obſtbäume einzeln zwiſchen den Gemüſebeeten. Zwingt
uns die Vorſchrift, welche hoffentlich bald eingeſchränkt wird, einen von der Straße
aus ſichtbaren „Vorgarten“ zu ſchaffen, ſo erfüllen wir die Pflicht mit einfachen
Mitteln, welche dem Charakter unſeres Gartenheims angemeſſen ſind. Dabei müſſen
40 2, Abſchnitt.
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Abb. 25. Blick vom Eingang auf einen Gartenvorplatz, der durch flache Terraſſe und niedrige Schranke vom
Waldgarten ſich abhebt. Von der Straße geht der Blick andererſeits über die Wieſe zum Haus. Das Bild ſtellt
die Anordnung in entgegengeſetzter Richtung vom Hauſe aus dar, wie Abb. 24. (Anlage und Phot. Willy Lange.)
wir aber erwägen, wie der Anblick unſeres Hauſes, von der Straße geſehen, durch
gärtneriſche Anlagen beeinflußt wird; dieſe können den Wert, den materiellen Wert
des Hauſes weſentlich erhöhen, wenn ſie die Wirkung des Hauſes ſteigern. Die
Pflicht, für die Wirkung von der Straße aus zu ſorgen, iſt für die Allgemeinheit
notwendig und kommt uns ſelbſt zugute; denn unſere Zeit iſt endlich wieder ſo weit,
den Eindruck eines Hauſes neben der Zweckerfüllung hochzuſchätzen.
Überſehen wir den Inhalt in der bisher angedeuteten Weiſe noch einmal, ſo
haben wir das Ziergartenmotiv an der Straße und im Blumengarten, das Nutz—
gartenmotiv am Ende; bauliche Motive als Folge der Wohnungsanlage und des
Zweckes der Räume im Erdgeſchoß, welche in enger Beziehung zum Freien ſtehen,
womöglich durch Türen mit ihm verbunden ſind, und endlich, aber nicht zuletzt,
biologiſche Motive, überall, wo ſie ſich entfalten laſſen. Wie dieſe letzteren alle
anderen Motive durchdringen, ja durch die anderen erſt geſchaffen werden, ſehen
wir ſpäter.
Wenn wir bei einem kleinen, bürgerlichen Gartenheim ſchon die Fülle der Motive
vereinigen können, ohne Zwang und Gewaltſamkeit, ſondern unbefangen aus jeder
Ortlichkeit des Gartens heraus entwickeln, ſo kann der große Garten eines reicheren
Hauſes zwar dieſelben Motive, aber in reicherer Gliederung und Ausdehnung haben
(ogl. farbige Tafel II). Schon die Römer nannten den reichgegliederteu Garten »hortiæ,
Der neue Garten. 41
„Gärten“; ſo enthält auch unſer neuzeitlicher Gartenbegriff in ſeinen Gliedern
„Gärten“, abgeſchloſſen zwar, aber miteinander in Beziehung und voneinander
beeinflußt. Ein grundſätzlicher Unterſchied zwiſchen großen und kleinen Gärten be—
ſteht nicht. Nur die Ortlichkeit und Neigung entſcheiden, ob wir mehr oder weniger
Motive anwenden, vielleicht auch nur eines, z. B. das bauliche bei der Gelände—
geſtaltung zugrunde legen, während die Pflanzung nach biologiſch-phyſiognomiſchen
Leitgedanken gleichzeitig durchgeführt wird.
Das Kleinbürgerhaus und der kleine Garten, kurz das kleine „Gartenheim“,
erlebt in unſerer Zeit eine tauſendfache Auferſtehung. Früher, als das Kleinbürgertum
neben Fürſten und Großbürgern (Patriziern) die Mehrheit des „Volkes“ bildete, ein
grundbeſitzloſer Mittel- und Arbeiterſtand ſich noch nicht herausgebildet hatte, war das
Gartenheim die ſelbſtverſtändliche Wohnungsform; auch noch, als die Gärten außer—
halb der Mauern der Städte liegen mußten, weil dieſe zu eng wurden. Nachdem das
Miethaus der Großſtadt unerträglich geworden, nachdem die Innenſtadt nicht mehr
Wohnſtadt, ſondern nur Handels- und Arbeitsort geworden, folgt aus dem Be—
dürfnis, Kraft und Ruhe in Beziehung zur Natur zu finden, aus dem Bedürfnis,
im Freien zu wohnen, die „Gartenſiedelung“ vor der Stadt. Das iſt ein hiſtoriſcher
Vorgang, der auf materiellen Grundlagen ruht; eine Folge der Arbeitsweiſe der
letzten 30 Jahre in Deutſchland und im Auslande, eine Folge friedlich geſicherten
Handels. Künſtleriſche Beſtrebungen ſind nicht die Urſache der Stadtflucht, ſondern:
Abb. 26. Blick vom Balkon über den Eingang desſelben Hauſes wie in Abb. 24 und 25 auf den Hauptzugangs⸗
weg, der in den Waldgarten durch ſeine weiße Steineinfaſſung einſchneidet. (Anlage und Phot. Willy Lange.)
42 2. Abſchnitt.
die hiſtoriſch gewordene Möglichkeit, maſſenhaft Gartenheime zu ſchaffen, läßt nur
die Frage entſtehen, wie ſie künſtleriſch zu geſtalten ſeien.
Da müßte dann die Vorfrage zunächſt beantwortet werden, ob es wohl ein
Bedürfnis iſt, ſolche Frage nach einer künſtleriſchen Geſtaltung des Gartenheims ernſt
zu beantworten. Das von mir herausgegebene Werk „Land- und Gartenſiedelungen““)
verſucht die Antwort zu geben. Hier ſei nur daran erinnert, daß wir im Wohnen
in der Natur nichts anderes ſuchen, als in Harmonie mit ihr zu leben. In einfachen,
urſprünglichen Verhältniſſen bedarf es dazu keines künſtleriſchen Willens; wer ſich
unbefangen in der Natur anſiedeln kann, z. B. der Förſter im Walde, der Bauer
im Dorfe, der Fiſcher am Ufer, der befindet ſich im Einklang mit der Natur: fie
gibt ihm Bauſtoff zum Hauſe; deſſen Form hängt von ihm und den klimatiſchen
Bedingungen ab; ſeine Geräte, ſeine Lebensweiſe ſind den Bedingungen der Natur an—
gepaßt; ſoweit ſein Auge und ſein Schritt reicht, iſt er zu Hauſe in der Natur, in Wald,
Feld, auf dem Waſſer. Anders der in der Stadt Geborene! Er denkt und empfindet
in den ſtädtiſchen Vorſtellungen, in denen er aufgewachſen iſt. Gelingt ihm in reiferem
Alter, nach den Jahren der Lehrzeit, den ſteinernen Mauern zu entfliehen, ſo iſt er
ratlos und fremd der Natur gegenüber. Will er ſich in ihr anſiedeln, ſo bringt er
ſeine ſtädtiſchen Vorſtellungen mit in allem Bauen und Schaffen. Klein iſt das
Stückchen Land, das er erwerben kann; rechts und links und hinten und gegenüber
auf der andern Seite einer Straße ſitzen ſchon andere, ſtädtiſche Leidensgenoſſen.
Alle wollen ſie Natur! Sie kennen ſie aber kaum aus Büchern; ſie ſind mit allerlei
äſthetiſchen Vorſtellungen vom Landhausbau und Wohnkultur verbildet, von Stil—
forderungen erfüllt, und gehen ſie dann an die Geſtaltung des Gartens, ſo möchten
ſie Wald und Berg und Wieſe darin ſchaffen und Parkgedanken dazu vereinigen.
So entſteht, auf ausdrücklichen Wunſch der Anſiedler — ich weiß es! — was ſie
beim Gärtner beſtellen. Würde der eine es nicht liefern, ſo tut es ein anderer. Dann
kommen die Literaten und ſchreiben, das ſei doch Unſinn, die Gärtner verſtehen
nichts, „Künſtler“ müſſen kommen und zeigen, wie es zu machen ſei.
Künſtler, um ein einfaches Gartenheim zu ſchaffen? Hat der Menſch ſo ſehr
verlernt, was jede Schnecke kann, ſein Heim zu bauen im Anſchluß an die ihm von
der Natur gegebenen Mittel? Ja! Er hat es verlernt, in der Stadt. Der Künſtler
ſchlechthin kann ihm aber nicht helfen, irgendeiner, der in unſerer bild- und wort—
reichen Zeit über eine allgemeine „Geſchmacksbildung“ verfügt. Renaiſſance-Menſchen,
die, wie Michelangelo, Feſtungen bauen, Dome ſchaffen, höchſte Raumkunſt gliedern
und mit Malerei und Plaſtik erfüllen und die Probleme der Technik beherrſchen und
befruchten, laufen nicht dutzendweiſe herum. Nur eines kann helfen: ſelbſt den Anſchluß
an die Überlieferung derjenigen zu ſuchen, welche unbefangen Gartenheime ſchufen, weil
ſie nichts anderes kannten, und dieſe Überlieferung weiterzubilden mit all den
Mitteln, die wir unterdeſſen im Lauf des letzten, des wiſſenſchaftlichen Jahrhunderts
gewonnen haben. Da gibt es dann Leute, die hieraus ernſtes Studium, ernſtes Können
machen, von innen, vom Techniſchen her: Baukünſtler, die bauen können und den
Garten empfinden, Gartenkünſtler, die „gärtnern“ können und Baukörper zu fühlen
) Willy Lange, „Land- und Gartenſiedelungen“, unter Mitwirkung hervorragender Vertreter
der in Betracht kommenden Sondergebiete. (Leipzig, J. J. Weber, 1910.)
Der neue Garten. 43
vermögen. Für die Ausſtattung des Hauſes und Gartens können Ausſtattungskünſtler
(Kunſtgewerbler) herangezogen werden, die ein reiches Wiſſen von allen Möglichkeiten
des Materials und der Zweckerfüllung haben, — nicht Allkünſtler des Geſchmacks
oder einſeitige Vertreter einer Richtung, die ſo gern mit ihrem Namen verknüpft wird.
Man kann ſich alſo Können leihen; Geſchmack ſollte man nicht mieten, ſondern
ihn ſelbſt bilden aus ſich und aus der verſtandesmäßig begründeten Belehrung. Das
künſtleriſche Gewiſſen der Könner muß alſo heute, nachdem die Unbefangenheit des
einzelnen Siedlers verloren gegangen iſt, erſetzen, was einſt Allgemeinbeſitz war, um
bewußt zu erreichen, was einſt unbewußt wurde: Harmonie der Wohnung mit der
Natur. Denn die Übertragung der Stadtgedanken auf das Landleben führt nicht
zur Befriedigung, zur Erfüllung deſſen, was jeder erſehnt, wenn er ſich ein Garten—
heim wünſcht. |
Sind nun die Geſtaltungsmotive für große und kleine Gartenheime nicht grund—
ſätzlich verſchieden, ſo ſind ſie es vielleicht für den Park? Sehen wir zu! Wir wiſſen,
wie der Park wurde, daß er eine ſtiliſierte Landſchaft war, um ſich in ruhigem Wandel
in ihr zu ergehen, in erreichbarer Nähe der Stadt, um „anmutige Szenen der Natur“
äſthetiſch zu genießen. Dieſe Zwecke — andere wurden nicht gefordert — hat der
Stadt⸗ und Schloßpark in beſter Weiſe erfüllt. Wenn man's für geſchmackvoll hält,
ihn ein Surrogat der Natur zu nennen, ſo kann man nur dagegen Verwahrung ein—
legen, daß darin eine Herabſetzung liegen ſoll. Vor allem darf aus ſolcher Schreib—
ſtubenblüte nicht künſtlich die Frucht gezogen werden, daß man ſchnell zum modernen
Geſchmackskünſtler, d. h. Kunſtgewerbler eilen müſſe, um ſich den Park aufzeichnen zu
laſſen, „den wir brauchen“. Das hieße Baugedanken aufzwingen dem, was wirklich
und bewußt von Naturgedanken geleitet war.
Der alte Stadtpark erfüllte ſeinen Zweck vollkommen. Brauchen wir heute
Stätten zu Spiel und Sport, ſo ſchaffen wir ſie eben neben und mit den Gelegen—
heiten zu ruhigem erfreulichem Wandeln und Sitzen. Wenn die Zweckmäßigkeit es
fordert, einen Platz viereckig zu begrenzen, ſo tun wir's eben und haben zur Ein—
ſchließung das alte gärtneriſche Mittel der Hecke und unſere alte gärtneriſche Fähig—
keit, große Flächen in guten Maßverhältniſſen und Raumwirkungen aufzuteilen. Alles
das hatte man früher ſchon bei den Schau- und Spielgärten der Fürſtenſchlöſſer in
der Ebene, es ſei nur an Schwetzingen und Nymphenburg erinnert. Und wenn in
dieſen Gärten die Architekten den Gärtnern die Hand führten, ſo lag das damals
daran, daß es einen freien, wiſſenſchaftlich-künſtleriſch wirkenden Gärtnerſtand noch
nicht gab. Heute iſt das anders und ſchon lange, ſeit Wiſſen und Bildung allgemein
zugänglich ſind, und gärtneriſche Bildungsanſtalten beſtehen, die in bezug auf die An—
forderungen der Vorbildung und die wiſſenſchaftlichen und kunſthiſtoriſchen Leiſtungen,
vor allem in bezug auf die allgemein bildenden Grundlagen neben dem beſonders
Gärtneriſchen weit höher als die Kunſtgewerbeſchulen jtehen. *)
Es iſt ein ungeheurer Widerſinn, den nur eine vom Geſchmackskünſtler über—
äſthetiſch verbildete Zeit ertragen kann, daß eine jo gärtneriſche Pflanzungsangelegen—
) Die drei ſtaatlichen höheren Lehranſtalten zu Dahlem (Berlin), Proskau und Geiſenheim.
44 2. Abſchnitt.
heit, wie der Entwurf eines Volksparks, Leuten übertragen werden kann, die ſonſt
Kacheln, Töpferwaren, Teppiche, Tapetenmuſter, Möbel, Hausrat und Kleider ent—
werfen. Wie ſpätere Zeiten dieſe Vielgeſchäftigkeit werten, kann man ruhig der
Geſchichte überlaſſen. Hier und heute muß betont werden, daß alle Geſtaltungs—
pläne eines Gartens und Parks bedingt werden durch die Lebensanſprüche der
Pflanzen. Ich ſage bedingt! Man kann nicht als Gewerbekünſtler einen Garten
in der Aufteilung entwerfen und nun vom Gärtner fordern, die Aufteilung zu be—
pflanzen. Das iſt wohl möglich als Blendwerk auf einer Ausſtellung, wo die Hecken
es aushalten, ein paar Monate unter Bäumen zu ſtehen, wo im Heckenſchatten die
Pflanzen, welche mit vorgebildeten Knoſpen ausgepflanzt wurden, aufblühen; niemals
würden ſie hier neue Knoſpen bilden. Garten und Park ſind Dinge, die mit jedem
Jahre ſchöner werden, aber nicht vergehen ſollen. Was ſind dieſe Gärten, die uns
Geſchmackskünſtler in den letzten Jahren auf Ausſtellungen gezeigt haben? Samm—
lungen von Plaſtik und mehr oder weniger gutem Mauerwerk, Pflaſterung, Brunnen-
becken, Bänken, Spalierwerk, durchſetzt von einigen Pflanzen, oft in Mißfarben—
Anordnung, für die ein alter, verächtlich gemachter Teppichgärtner ſeinen Lehrling
geprügelt hätte. Und wo die Gärten erträglich waren, ſind's Nachbildungen von
Gärten geweſen, die zwiſchen Köſen und Eiſenach und überall, wo alte deutſche
Überlieferung das „Gartenheim“ erhalten hat, beſtehen; hiſtoriſch alſo, und zwar
einſeitig hiſtoriſch, im Sinne der Baugedanken.
Neu iſt, ich wiederhole es, die bewußte Vereinigung aller, auch der
biologiſchen Motive zu einem Ganzen des Gartens, wie es vor unſerer
Zeit nicht möglich war.
Hat alſo der „Volkspark“ im Gegenſatz zum Stadtpark oder neben ihm neue
Zwecke zu erfüllen, ſo nenne man ſie dem Gärtner, wie man dem Baumeiſter die
Zwecke ſeiner Wohnbedürfniſſe nennt oder dem Arzt feine Leiden ſchildert, und ſei
ſicher, daß er die Zwecke vernünftig erfüllt, wenn er ein Könner iſt. Und es gibt
Könner unter den Gärtnern, Könner der Gartengeſtaltung, wenn auch nicht mehr
als in anderen großen Berufszweigen, ſo doch auch nicht weniger.
Daß ein Volkspark heute anders ſein kann als zu der Zeit, da Biedermeiers
luſtwandelten, iſt eine Folge der Arbeit unſerer Zeit. Die iſt ſo angeſtrengt, alle
geiſtigen Kräfte fordernd und die körperlichen Kräfte einſeitig in Anſpruch nehmend,
dabei iſt die Stadt als Arbeitsſtätte ſo geſundheitsſchädlich, daß es eine geſundheits—
erhaltende Pflicht iſt, leicht und raſch erreichbar Gelegenheit zur Sport- und Spiel—
betätigung zu geben; denn was früher ein dreiſtündiger Spaziergang tat, zu dem es
heute an Zeit fehlt, muß jetzt eine halbe Stunde ſtärkſter Körperarbeit im Sport
erſetzen. Dazu muß Gelegenheit geſchaffen werden; das iſt eine Forderung der Zeit,
nicht einzelner Literaten; dazu brauchen wir uns auch kein Rezept aus England
oder Amerika verſchreiben zu laſſen. Dort iſt die Zeitforderung nur deshalb früher
aufgetreten, weil die Entwicklung der Stadt zur Großſtadt dort früher erreicht war.
Gleiche Entwicklung, gleiche Bedürfniſſe und Lebensbedingungen führen aber auch zu
ähnlichen Organen; das iſt ein biologiſches Geſetz.
Die Geſtaltung des öffentlichen Volksparks wird nicht minder alle Motive zu—
grunde legen, wie der Garten des einzelnen: bauliche, ſchmückende, zweckgemäße und —
Der neue Garten. a 45
biologiſche, wo zur Anſchauung, zum tieferen äſthetiſchen Naturgenuß auf Grund
biologiſcher Naturerkenntnis die Möglichkeit zur Entfaltung großer und kleiner Pflanzen—
genoſſenſchaften vorhanden iſt.
Man muß ſich einmal klar machen, daß „biologiſch pflanzen“ nichts anderes
heißt, als den Standortscharakter mit den Pflanzen beſetzen, welche ihm angepaßt
ſind (Abb. 27). Nehmen wir ein Beiſpiel: ein Waſſerbecken iſt angelegt worden in
ein nach Süden offenes Rechteck größerer Bäume. Die Ränder des Beckens liegen
tiefer als der Standort der Bäume; eine Böſchung überwindet den Höhenunterſchied,
der untere Teil der Böſchung wird durch hohen Waſſerſtand gelegentlich überflutet,
Abb. 27. Mit Flachſteinen belegte Böſchung In den Fugen zwiſchen den Steinen ſind durch Einſaat: Linaria
cymbalaria, Sedum spurium, Arabis albida, Cerastium tomentosum angeſiedelt. Rankroſen hängen von oben herab.
(Anlage und Phot. Willy Lange.)
feucht; der obere Rand der Böſchung iſt durch eine Bruchſteintrockenmauer ab—
geſchloſſen; die Mauer ſelbſt iſt außen mit einem Randbeet umgeben, das mit Buchs—
baum eingefaßt iſt.
Es ſind alſo bauliche Mittel, bauliche Formen, welche unſer Waſſerbecken und
die nächſte von ihm abhängige Umgebung begrenzen.
Wie können wir nun die Bepflanzung wählen? Grundſätzlich einmal ſo,
daß wir die Pflanze nur als Schmuckmittel benutzen und nach unſerem Sinn für
Farbe; Form in baulicher Ornamentik anordnen, jedenfalls die verſchiedenſten Pflanzen—
phyſiognomien nebeneinander ſetzen, wenn ſie nur dem Schmuck- und Farbenſinn ent—
ſprechen, alſo mit mehr oder weniger „Geſchmack“ und rein äußerlicher Wirkung.
46 2. Abſchnitt.
Alſo um das Beiſpiel durchzuführen: in jeder Ecke des Beckens (in Kübeln) Bambuſa.
Auf dem feuchten Teil der Böſchung: einen Randſtreif von Iris Kämpferi. Die
trockenen Teile der Böſchung werden bepflanzt mit Streifen geeigneter „Teppich—
beetpflanzen“. Auf den Mauerrand ſtellen wir in großen Tongefäßen in gleich—
mäßigen Abſtänden Pelargonien. Das Randbeet wird mit einem Pflanzenmuſter
bepflanzt, welches im Frühling aus Zwiebelblumen, dann aus Vergißmeinnicht und
Stiefmütterchen und im Sommer aus Begonien und Achyranthen beſteht; einige
Agaven und Drazänen betonen die Mittelfelder. Das ſind verſchiedenartigſte Pflanzen,
die durch gegenſätzliche Farbenwirkung in klare Formen gebracht werden. Das
kann ſehr farbenfreudig, prächtig wirken, aber ſehr verſchieden auf die einzelnen
Betrachter; dem einen zu bunt, dem andern nicht bunt genug, der eine möchte dieſes,
der andere jenes anders haben. Jedenfalls, die Wirkung iſt eine äußerliche, nur
aufs Auge berechnet. Und in einer Zeit, welche „Kultur durch das Auge“ zum
Schlagwort macht, kann das genügen.
Es gibt aber noch andere Pflanzungsmöglichkeiten, ſolche, die tiefer begründet
ſind, daher tiefer wirken: durch das Auge auf den Verſtand, wodurch dann eine
ſeeliſche Befriedigung ausgelöſt wird. Wir wollen uns einmal vorſtellen, was ent—
ſtehen würde, wenn wir unſer Beiſpiel, das Waſſerbecken, unter Baumkronen der
Natur überließen: Blätter fallen alljährlich in das Waſſer, werden maſſenhaft hinein—
geweht, werden auf dem Boden zu Moder; Samen von Waſſerpflanzen fallen hinein,
z. B. wenn ſich einmal in der Stille des Abends auf der Wanderung Wildenten
niederlaſſen; Waſſerlinſen werden ſogar ſchon durch Waſſerkäfer verbreitet; kurz,
Zeit und Gunſt vorausgeſetzt, wird ſich unſer Becken mit Waſſerpflanzen beſiedeln,
wie jeder Tümpel in der freien Natur. Ebenſo, nur leichter ſiedeln ſich am Rande
am untern Teil der Böſchung Sumpfpflanzen an; verſchiedenartige, unregelmäßig
ihre Ausläufer teils nach oben, teils nach dem Waſſer ſendend, je nachdem ſie mehr
zur Feuchtigkeit oder zur Trockenheit neigen. Die Böſchung in ihren trockneren
Teilen bietet mannigfache Belichtungsverhältniſſe; teils ſteht ſie unter dem Einfluß
des Laubſchattens und iſt, beſonders an der Weſtſeite, dadurch feuchter, teils iſt ſie
der Südſonne, Südoſtſonne ausgeſetzt, und ihre ohnehin für die Feſthaltung der
Niederſchläge ungünſtige Schrägung macht ſie hier zu einem trockenen Standort, den
man in der Natur an der Südſeite trockener Hügel und Abhänge findet. Sehr ver—
ſchieden werden daher auch die Pflanzen ſein, die ſich an den verſchieden gearteten
Böſchungsſeiten niederlaſſen; denn nur die, welche dem beſonderen Zuſtand an jeder
Stelle angemeſſen ſind, erhalten ſich. In den Fugen der Mauer wird ſich anſiedeln,
was wir ſonſt am Geſtein finden, ſehr verſchieden je nach der Beſonnung, verſchieden
auch, ob die Pflanzen etwa aus der Tiefe des Erdreiches Nahrung ziehen. Endlich
bietet das Randbeet mit ſeiner verſchiedenen Beſchattung durch die Mauer und die
Baumkronen, mit ſeiner verſchiedenen Feuchtigkeit und ſeiner ganz allgemein nährſtoff—
reichen Bodenmiſchung wieder einen beſonderen Standortszuſtand, wie wir ihn bald
auf Wieſen, bald in Waldlichtungen finden. Hier werden üppig wuchernde Kräuter
wachſen, die unſere Buchsbaumeinfaſſung bald vernichten.
Sehen wir nun nach zwei, drei Jahren unſer Becken im Sommer, ſo werden
wir alle einſtimmig ſagen, es ſei „verwildert“, d. h. wir empfinden, daß hier einſt
Der neue Garten. 47
Ordnung waltete, Schmuck, wir jagen, daß die Natur von unſerem Werk Beſitz er-
griffen hat. Die Gartenvorſtellung ſcheint dem Gegenſatz gewichen, der Verwilderung.
Alles aber iſt biologiſch begründet, und für Menſchen, deren Geiſt in gewiſſer Richtung
vorgebildet iſt, hat dieſe Erkenntnis großen Reiz, ſeeliſche Befriedigung: für Natur—
freunde, Botaniker, Maler. Ja, auch für Maler, denn auch die Verwilderung hat
maleriſche, äſthetiſche, ſeeliſche Reize; und die Malerei hat ſich zur unmittelbaren
Anſchauung der
Dinge und zur
Wiedergabe im
Seelenſpiegel des
Künſtlers durch⸗
gerungen. Was
Maler zur Wie⸗
dergabe reizt, kann
wohl ſo übel für
den Eindruck
„durch das Auge“
nicht ſein. Nur
muß man gelernt
haben, zu „ſehen“
und zu „ſchauen“, 2 Bir
äußerlich wahrzu⸗ Abb. 28. Schneeglöckchen in der Buchsbaumkante eines Weges zwanglos eingeſtreut.
2 Die Buchsbaumkante vertritt das Motiv des „Gepflanztſeins“, die Schneeglöckchen ſind
nehmen und inner⸗ nach dem Motiv des „Gewachſenſeins“, der freien Anſiedlung, eingeſprengt, d. h. gleich
- - beim Pflanzen der Buchsbaumkante eingelegt. Das Einlegen kann mittels Pitierholzes
lich zu verarbeiten. auch ſpäter geſchehen. Über die „Motive“ vgl. S. 49. (Pflanzung u. Phot. Willy Lange.)
Aber die gärt-
neriſche Vorſtellung, alles, was wir in der Geſchichte des Pflanzens uns er—
worben haben, kann das nicht befriedigen; denn der Garten darf nicht verwildert
ſein, nicht zur Natur geworden, wenn er ſeinem Grundbegriffe des Hegens und
Pflegens treu bleiben ſoll. Auch wenn wir alles, was unſere deutſche Natur hier
anſiedeln könnte, ſelbſt gepflanzt hätten, ſo würde das nur ein Abſchreiben, ein
Nachahmen der Natur ſein.
Die Nachbildung würde ſelten ſo gut gelingen, wie die Natur vorbildet; und
wenn ſie gelänge, wenn man gar nicht unterſcheiden könnte, ob die Natur oder der
Menſch geſchaffen hat, ſo wäre doch noch nichts gewonnen. Es hätte keinen Sinn
zu tun, was die Natur auch kann, ihr ins Handwerk zu pfuſchen. Der Garten iſt
eine menſchliche Schöpfung und ſoll und darf dies nicht verleugnen.
Er muß alſo etwas anderes ſein als Natur. Und wenn der Garten ein Kunſt—
werk ſein ſoll, von freiem, künſtleriſchem Schaffen geleitet, dann muß er in gewiſſer
Beziehung ein Mehr ſein, als die Natur zu bieten hat, eine „Steigerung der Natur“;
denn alle Kunſt iſt Steigerung der Natur in beſtimmter Richtung: die Dichtung
ſteigert Sprache, Empfindungen, Handlungen und Gedanken im Vergleich zu dem
Alltäglichen. Die Muſik verdichtet die Töne zu geheimnisvoller Ordnung; Plaſtik
zeigt uns Formen und Gebilde, die zwar an die natürlichen Weſen, denen ſie ähneln,
erinnert, aber in der Form vollkommener ſind, als die Natur ſie ſchaffen könnte;
18 2. Abſchnitt.
Baukunſt bietet mehr als bloße Zweckerfüllung; Malerei verdichtet uns Vorſtellungen
aus der Natur zu Bildern, indem ſie die Gegenſtände ſo vereint, aufeinander ab—
ſtimmt, beleuchtet, mit „Stimmungen“ erfüllt oder einen Vorgang oder Menſchen
darſtellt in einer Weiſe, wie ſie ſein könnten, aber nicht ſind; ſie veredelt, ſteigert
den Ausdruck des Dargeſtellten. Auch die Geſchmackskünſtler ſteigern die Gegenſtände
ihres Fleißes über die bloße Zweckmäßigkeit hinaus durch Form, Farbe, Material.
Alle Kunſt iſt alſo Steigerung, Veredlung im Ausdruck, ohne zu lügen; denn alle
Kunſt bleibt auch im Reiche der Phantaſie innerhalb der Geſetze von Urſache und
Wirkung, bleibt naturgeſetzlich.
Wenden wir das allgemeine Steigerungsgeſetz beſonders auf den Garten an,
ſo müſſen wir hier die Lebensgeſetze, die Lebenserſcheinungen der Pflanzenwelt zu
erhöhtem, charakteriſtiſchem Ausdruck bringen.
Wie das zu machen ſei? Durch Fortlaſſung des Unweſentlichen; durch Ver—
dichtung der für einen Standort charakteriſtiſchen Pflanzen zu Bildern ihrer Geſellig—
keit auf kleinem Raum; durch Auswahl der ausgeprägteſten Pflanzenphyſiognomien
für jeden Stand⸗
ort; durch Ver⸗
einigung ſolcher
Pflanzen, die,
außerhalb unſerer
Heimat lebend,
unſere Pflanzen—
geſtalten geſtei—
gert zeigen; durch
klare Standorts⸗
verſchiedenheiten
in der Garten-
gliederung und
deren Betonung
durch charakteri—
ſtiſche Pflanzen—
geſtalten für trof-
kene, feuchte, ſon⸗
nige, ſchattige,
nährſtoffreiche,
nährſtoffarme,
humoſe, humus⸗—
arme, ſandige,
ſteinige oder leh—
mige Standorts—
zuſtände und ihre
an RT A Übergänge. Hier⸗
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Sanddorn und Kiefer auf einem Teppich von Sedum spurium, unter denen Crocus ſtehen. en aus irgend—
(Anlage und Phot. Willy Lange) 9 9
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welchen baulichen
Einflüſſen: Mau⸗
ern, Treppen, Bö—
ſchungen, Haus—
wänden als
Standorts—
zuſtände im Gar—
ten aufzufaſſen.
Alſo können wir
unſer Beiſpiel, das
Waſſerbecken, bio⸗
logiſch, aber im
geſteigerten phy—
ſiognomiſchen
Ausdruck bepflan⸗
zen. Wir ſtellen
die Gartenpflan⸗
zen zuſammen,
vielleicht unter:
miſcht mit den
ſchönſten heimi⸗
ſchen, welche dem
Standort im ein⸗
zelnen in ihrer
Phyſiognomie
entſprechen; wä—
gen wir noch Far⸗
benverteilung und
Maſſenverteilung
nach äſthetiſchen
Geſichtspunkten
ab, ſo haben wir
die aus dem Zweck
hervorgehenden
baulichen Formen
Der neue Garten. a 49
Abb. 30. Pflanzengemeinſchaft an ſonnigem Garten-Standort, zwiſchen Kiefern — Juniperus
hibernica —, durchwachſen von Rantroſen, Chamaecyparis squarrosa mit Thymus vil-
losus; ferner Flächen von Arabis albida fl. pl. und Cerastium tomentosum. Zwiſchen
den Roſen Thymus serpyllum und Phlox setacea, auch Campanula pusilla und Campanula
carpatica. — Kein Raſen. (Anlage und Phot. Willy Lange.)
des Geländes, des Waſſers, der Mauer nach biologiſchen Motiven, aber in künſt—
leriſcher Steigerung des Ausdruckes bepflanzt. Während wir in unſerem erſten Bei—
ſpiel den Charakter des „Gepflanztſeins“ deutlich betonten, haben wir im letzten den
Charakter des „Gewachſenſeins“ ausdrücken wollen. (Wir pflanzten im erſten Falle
nach baulichen Motiven, im letzten nach Motiven der Natur.)
So, allgemein geſprochen, ſuchen wir die Gepflogenheiten der Geſelligkeit
unſerer heimiſchen Pflanzenwelt abzulauſchen, machen uns ein inneres Bild von
dieſen charakteriſtiſchen Geſellſchaften und ſuchen aus unſeren außerdeutſchen Garten—
pflanzen ähnliche charakteriſtiſche Geſellſchaften zuſammenzubringen. Da gibt es welche
4
Lange, Der Garten.
50 2. Abſchnitt.
bei uns, die ſich für einen ſonnigen, trockenen Standort einrichten; ſie haben be—
ſtimmte Merkmale: z. B. weißliche Behaarung, Beſchuppung, oder kleinſte Blättchen,
winzige Zweige, oder die Blätter und Stengel ſind zu ſchleimhaltigen Waſſerſpeichern
geworden oder roſettenartig zuſammengerückt oder flach dem Boden aufliegend, oder
dornig ſind ſie, ſparrig, oder ſie vereinigen mehrere ſolche Eigenſchaften in ſich, oder
es ſind Zwiebelpflanzen oder zweijährige. Jedenfalls ſind keine darunter, die große
dunkelgrüne Blätter haben oder ſehr groß werden in einem Lebensjahr oder in
jedem Jahr ſehr viel weiches, dünnes Blattwerk hervorbringen. Dieſe Gegenſätze
ins Menſchliche übertragen, hieße, daß die einen mit magerer Koſt haushalten müſſen,
Abb. 31 Sitzplatz in einer Geländemulde Das Gefühl, daß es hier feucht-kühl ſei, wird durch eine Gemeinschaft
üppiger, großblättriger Pflanzen verſtänkt: Herafleum, Rhabarber, Narziſſen, Farne, Forſythien, Mahonien auf
einem Teppich von Epheu als Bodendeckung. — Kein Raſen! Anlage und Phot. Willy Lange.)
nur einmal im Jahre, im Frühling, gute Zeit haben, während die anderen alle
Tage in Wohlleben ſchwelgen. Wie eine menſchliche charakteriſtiſche Berufsgemein—
ſchaft mit ähnlicher Lebenshaltung vereinigt alle dieſe Standortsgenoſſen, trotz der
individuellen Verſchiedenheit, eine gemeinſame Phyſiognomie. Man ſieht ihnen an,
daß ſie alle auf gleiche Standortserlebniſſe angewieſen ſind; manche hängen auch
von anderen in der Gemeinſchaft ab. Es ſcheint eine Art Rangordnung innerhalb
der Geſellſchaft zu beſtehen: manche gewinnen erſt durch andere ihre Lebensmöglich—
keit; führende „Leitpflanzen“ gibt es da.“)
*) Als wiſſenſchaftliche Literatur für dieſe Dinge kommen die erſten Bände (1—5) des Werkes
„Das Leben der Pflanze“ (Franckh'ſche Verlagshandlung, Stuttgart) in Betracht. Außerdem unter
Der neue Garten. 51
Nun hat aber Deutſchland keine Standorte und keine Klimate, die ſo bis zur
höchſten Möglichkeit ausgeprägt ihre Eigenſchaften zeigten, wie manche Länder ähn—
lichen Klimas außerhalb Deutſchlands; auch ſind nicht alle ſeine Charakterpflanzen in
der Ausbildung, deren der Charakter fähig iſt, vorhanden. Man kann alſo wohl, wenn
man ſich von den deutſchen Vorbildern leiten läßt, durch Auswahl ſolcher Pflanzen,
welche deutſche Charaktere in geſteigerter Weiſe zeigen, zu geſteigerten Charakterbildern
von Pflanzengeſellſchaften im Garten kommen, die eben den Standortszuſtand in aus—
geprägterer Weiſe durch ihre, mit den deutſchen ähnlichen verglichen, geſteigerte Phyſio—
gnomie zum Ausdruck bringen. Als Beiſpiele dienen unter anderen, in ſpäteren Abſchnitten
folgenden die hier eingeſchalteten Abb. 28—33 und im 1. Abſchnitt die Abb. 18. 19.
Abb. 32. Schneeglöckchen zwiſchen dem braunen Laube darüberſtehender Weißbuchenbüſche ſprießend. Später kommen
Leberblümchen, Szilla, in ähnlichen Trupps. Wenn die Blätter dieſer Frühlingsblumen zu welken beginnen, werden
fie von Farnen bedeckt, die ihre braunen Blattſpiralen dann aufrollen. (Pflanzung und Phot. Willy Lange.)
Die Phyſiognomie einer Pflanze, ihr Anſehen oder ihre Erſcheinung, iſt ja der
Ausdruck ihrer Lebenshaltung, welche durch den Standortszuſtand bedingt wird.
Wer dieſen Gedankenreihen zum erſtenmal nachdenkt, wird vielleicht meinen,
derartige Erwägungen beim Pflanzen im Garten ſeien doch zu umſtändlich. Die
Sache iſt aber ſehr einfach. Sehen wir bei einem Manöver Vertreter vieler Truppen—
gattungen am Wirtshaustiſch, ſo werden wir die Gemeinen von den Offizieren leicht
unterſcheiden, wenn auch alle gleichmäßig verſtaubt ſind; und dieſelben Leute werden
wir auch in ihrer Regimentstracht erkennen, wenn ſie an Kaiſers Geburtstag im
Paradeanzug zuſammenſitzen. Nur wird ihr Anſehen dann viel ſchmucker ſein.
anderen: P. Graebner, Die Pflanzenwelt Deutſchlands, Leipzig 1909. Die wiſſenſchaftliche Botanik
verhält ſich zur Gartengeſtaltung wie die Natur zur Kunſt, wie die Technik zum Kunſtwerk. Das
„Material“ findet eben im „Kunſtwerk“ eine völlige Verarbeitung, Veredelung durch den Künſtler.
52 2, Abſchnitt.
Wie alle Vergleiche, jo hinkt auch dieſer, denn alle find ja Deutſche. Aber wir
können nun wenigſtens verſtehen, was es heißt, daß viele außerdeutſche Pflanzen
den deutſchen ſehr ähnlich ſind, aber deren Formen, Farben, Haltung wie im Parade—
anzug zeigen.
Wer nun unter dieſem Geſichtspunkt die Pflanzen betrachtet, der weiß unter
allen uns zur Verfügung ſtehenden Fremdlingen auszuwählen und je nach der Ort—
lichkeit des Gartens zuſammenzuſtellen, was zuſammen paßt; er empfindet die bindenden
Naturgeſetze, um nach ihnen frei, ſelbſtändig als Künſtler zu ſchaffen.
Abb. 33. Veilchenteppich vor lichtem Gebüſch. (Phot. Willy Lange.)
Es iſt ein großer Irrtum derjenigen, welche die biologiſche Gartengeſtaltung
aus kunſttheoretiſchen Gründen — ich nehme wenigſtens dieſen Grund allein als
erwähnenswert an — alſo aus kunſttheoretiſchen Gründen bekämpfen. Sie ſagen:
„Kunſt iſt Ausdruck“, „Kunſt iſt Kultur“, „Kunſt iſt Idealiſierung“, „Kunſt iſt
Außerung des Subjektes (des Künſtlers)“, „Kunſt iſt nicht Nachahmung der Natur“.
Nein! Kunſt iſt dieſes alles, und Kunſt iſt nicht Nachahmung der Natur. Wir ſind
alſo völlig einig, jene und ich. Aber biologiſch-phyſiognomiſche Pflanzung iſt eben
auch nicht Nachahmung, ſondern Idealiſierung, Steigerung, Kultur der Natur nach
den Vorſtellungen,“) die der Künſtler von der Geſetzmäßigkeit der Natur ſich macht.
Der Gartenkünſtler dichtet durch ſeine Pflanzen, indem er ihre Geſelligkeitsgeſetze zu
) „Ideen“ Platös. „Illuſionen“ in K. Lange, Das Weſen der Kunſt. Berlin 1907.
Auf die Platoniſche Ideenlehre habe ich die kunſttheoretiſche Aufgabe der Gartenkunſt gegründet in
Vorträgen, die im Auszug wiedergegeben ſind in der Zeitſchrift „Die Gartenkunſt“, Frankfurt a. M. 1904.
Der neue Garten. 53
So ſteht die Gartenkunſt grundſätzlich in ihren Kunſtmitteln ebenbürtig
den anderen Künſten. Man kann ſie verſchieden ſchätzen, nach Neigung und Ver—
ſtändnis; aber in der Frage, ob ſie „Kunſt“ an ſich ſein kann, wie die anderen,
gibt es nur eine Antwort: ja! Denn auch ſie idealiſiert, dichtet, ſteigert, ſchafft, was
nie die Natur kann, ſondern nur der Künſtlermenſch. „Alle Kunſt iſt Dichtung,
alſo auch die Gartenkunſt.““)
* *
*
Haben wir den neuen Garten, den Garten unſerer Zeit des zwanzigſten Jahr—
hunderts, als letzte Blüte des geſchichtlichen Werdens gezeichnet, haben wir geſehen,
wie er alle hiſtoriſch errungenen Motive in ſich vereint und mit den neueſten bio—
logiſchen durchſetzt, ſo gilt es nun, an die praktiſche Arbeit zu gehen, wozu die
folgenden Blätter führen mögen.
) Vgl. Willy Lange, Gartengeſtaltung der Neuzeit, 2. Aufl. Leipzig, J. J. Weber 1909.
3. Abſchnitt.
Die Pflanzen.
Phyſiognomie und Charakter.
Jede Pflanze iſt eng mit ihrem Standort verbunden. Der Standort bietet das
Weſentliche ihrer äußeren Lebensbedingungen, und ihre innere Lebensarbeit richtet ſich
nach dieſen. Die eigene Lebensarbeit der Pflanze und die äußeren Lebensbedingungen
ſchaffen ihre Geſtalt.
Jede Pflanzengeſtalt iſt alſo der Ausdruck einer Wechſelbeziehung von äußeren
Bedingungen und eigenen Anpaſſungen. Anpaſſungen! Mit dieſem viel gebrauchten
Wort ſchleicht ſich ſchon ein Erklärungsverſuch ein: iſt die Pflanzengeſtalt wirklich
nur eine Anpaſſung an beſtimmte Lebensbedingungen, oder ließen beſtimmte Lebens—
Abb. 34. Fingerhut, Königsterze, Weidenröschen ſprießen an der Stelle des früheren Baumſchattens in der Dar—
ſtellung einer Waldblöße im kgl. botaniſchen Garten zu Dahlem. (Phot. Nebelung.)
Die Pflanzen. 55
Abb. 35. Raſen mit Primeln (Primnla acaulis) im fgl. botanifchen Garten zu Dahlem,
nach dem Vorbild einer Waldlichtung. (Phot. Nebelung.)
bedingungen nur beſtimmte Pflanzen entſtehen; Folge und Urſache werden hier
leicht verwechſelt, beſonders, wenn man die Zweckfrage einſchiebt und Erklärungs—
verſuche für beſtimmte Geſtalterſcheinungen macht. Dann zeigt ſich auch bald, wie
viele verſchiedene Mittel in der Pflanzenwelt demſelben Zwecke dienen, wie verſchieden
die Geſtalten ſein können, die den gleichen Lebensbedingungen unterworfen ſind.
Laſſen wir hier alle Erklärungsverſuche und kehren wir zurück zu der Tatſache,
die unumſtößlich iſt, daß die Pflanzengeſtalt in enger Beziehung zum Standort ſteht.
Wollen wir ein Wort einführen für die „Außerung der Standortszuſtände in
der Geſtalt der Pflanze“, fo gibt es kein beſſeres als: „Phyſiognomie“.
Weil wir's oft und nötig brauchen, wollen wir bei dieſem Wort ein wenig
weilen: physis, ſein einer Teil, iſt „Natur“, das von der Natur Geſchaffene und
Gegebene, Daſeinsbedingung, in unſerem Falle alſo Lebensbedingung oder Standorts—
zuſtand und davon abhängig der natürliche Leib der Pflanze. Das alles liegt in
dem Worte Phyſis! Und gnöme iſt eigentlich die Geſinnung, die aus dem Geſichts—
ausdruck ſpricht. Denn das griechiſche Wort wurde urſprünglich nur auf Menſchen
angewendet, nur ihnen traute man Geſinnungen, Meinungen zu, die ſich in ihrem
Geſichtsausdruck kundgaben. Von einer Geſinnung bei Pflanzen zu ſprechen, fiel bei
Bildung des Wortes niemandem ein, obwohl ſpätere Philoſophen ſchon behaupteten,
56 3. Abſchnitt.
daß aus der Steinſeele die Pflanzenſeele würde, aus dieſer die Tierſeele und ſchließlich
die Menſchenſeele. Aber das waren nur myſtiſche Klänge aus dem indiſch⸗aſiatiſchen
Kulturkreis! Alſo: den Pflanzen eine „Geſinnung“ zu unterſtellen, lehnen wir ab.
Wir finden aber weiter, daß auch rein äußerlich in den Menſchengeſichtern und
in der Haltung, im habitus, um den Botanikerausdruck zu benutzen, ſich Züge zeigen,
die uns bei Menſchen gleicher Berufs-, alſo Lebensbedingungen immer wieder begegnen:
wir können aus
der Phyſiognomie
auf die Zugehörig—
keit zu beſtimmten
Handwerken ſchlie—
ßen: Fleiſchern,
Tiſchlern, Zimmer:
leuten, Gärtnern,
Jägern, Schiffern,
Fiſchern, Schmie—
den und andern;
bisweilen wird die
Tracht, Arbeits—
kleidung uns
dabei unterſtützen.
Doch auch Geiſtes—
arbeiter der ver—
ſchiedenen Berufe
zeigen verſchiedene
Phyſiognomie —
man braucht nur
einmal viele Ber:
fonen gleichen
Standes zuſam—
menzuſehen, um
ſofort die heraus—
zufinden, denen
1 SEIEN g N man's „nicht an—
Abb. 36. Geſchichtetes Kaltgeſtein als Stütze einer Böſchung mit Pflanzen bepflanzt, 5 1
welche die Phyſiognomte von „Felspflanzen“ haben. (Phot. Willy Lange.) ſieht“, daß ſie da⸗
zu gehören: ſo
ſtark hat ſich ſchon eine Vorſtellung von der zu dem Stande, zur Lebensarbeit ge—
hörigen Phyſiognomie bei uns gebildet.
Am Beginn der achtzehnhunderter Jahre ſuchte Lavater eine ganze Menſchen⸗
kenntnis aus der Phyſiognomie zu begründen. Da aber dabei das Innere, Seeliſche
in Betracht kam als Ziel der Erkenntnis, ſo gab es viele Irrtümer und Trugſchlüſſe,
denn zu viele Menſchen laufen in Masken herum, die ſie dann auch noch wechſeln,
wenn ſie ſich in der einen erkannt glauben. Dadurch kam die Phyſiognomik in
Mißgunſt, und das Wort Phyſiognomie mußte darunter leiden. Nun waren aber,
Die Pflanzen. 57
wie alles Geiſtige-literariſche in damaliger Zeit, „Phyſiognomiſche Studien“ einmal
Mode geworden, und man begann in den äſthetiſierenden Kreiſen damaliger Zeit unter
dieſem Geſichtspunkt die geſamte Natur zu betrachten, beſonders die Pflanzen; ja man
kann ſagen, die Pflanzen wurden vermenſchlicht: leichtſinnig war die luſtige Birke,
Kraft verkörperte die knorrige Eiche, elegiſch ſtimmten Trauerweiden, düſter die dunklen
Nadelhölzer, feindlich waren ſtechende Gewächſe, mild und heimlich die Linde, ſtarke
Gegenſätze wurden empfunden, wo helle, heitere und dunkle, ernſte Bäume zuſammen
waren, und „Kontraſt“ wirkungen galten als höchſt wertvoll in Park und Garten.
Daher konnte man kaum eine Blutbuche irgendwo ſehen, ohne daß der weißbunte
Eſchenahorn neben ihr ſtand. Die Stimmungswerte, welche in die Pflanzen menſchlich
Abb. 37. Schattenpflanzen am und unter Gebüſch. (Farne und Asarum europaeum.) (Phot. Carl Foerſter.)
hineingelegt wurden, waren ein wichtiges Kunſtmittel im Garten. Noch heute ſind
viele Gärtner und Gartenfreunde, Naturfreunde nicht frei von dieſer Auffaſſung, denn
in der Literatur klingt ſie noch ſtark nach. Pflanzen-Phyſiognomie in unſerem Sinne,
als Ausdruck des Standortes in der Geſtalt, iſt das nicht. Jene Auffaſſung der
Pflanzenphyſiognomie war ſubjektiv, vom Betrachter in die Pflanzen hineingetragen.
Wir faſſen den Begriff objektiv, als ſelbſtändige eigene Lebens—
äußerung der Pflanze, mit der ſie auf ihre Standortszuſtände in
ihrer Geſtalt antwortet. Ihre Lebensarbeit prägt für uns ihre
Arbeitskleidung, ihre Tracht.
Das Wort Phyſiognomie wurde andrerſeits in dem Sinne gebraucht, wie wir
heute von einem Typus ſprechen. Man ſuchte nach einer Überſicht über die ver—
ſchiedenen Pflanzengeſtalten der Welt, indem man eine Anzahl zu „Typen“ erhob
und die anderen dieſen Typen unterordnete. So unterſchied Alexander von
58 3. Abſchnitt.
Humboldt in ſeinen „Ideen zu einer Phyſiognomik der Gewächſe“ 16, ſpäter
21 Typen, Grieſebach gliederte die Pflanzen in 54, wodurch die Überſicht bereits
verloren ging. In großen Zügen nur wurden die Phyſiognomien von Humboldt auf
die geographiſch verſchiedenen Heimatszuſtände bezogen und ihre Verbreitung feſt—
gelegt (Pflanzengeographie) “). Die Beziehungen der Pflanzengeſtalt zum Standorts—
zuſtand wurden aber erſt ſpäter verſtändlich (Okologie)“), wenn auch in dem künſt—
leriſch veranlagten Alexander von Humboldt ſehr vieles Spätere vorgeahnt wurde.
Doch nicht genug hiermit: dem Botaniker Zollinger wurden die vielen Phyſio—
gnomien zu unüberſichtlich; da es ihm nur auf eine klare Überſicht ankam und da er
Abb. 38. Primula japonica, welche nach Art der deutſchen Primeln in einer Gartenlichtung angepflanzt iſt.
Kal botaniſcher Garten zu Dahlem. (Phot. Nebelung.)
beſonders die Verbreitung der Pflanzen in dem ihnen zur Verfügung ſtehenden Raum
ins Auge faßte, etwa wie der Architekt ein Bauwerk zurückführt auf deſſen kon—
ſtruktive, raumbildende Elemente und die Verzierungen als nebenſächlich geſondert
betrachtet, ſo gliederte Zollinger die geſamte Pflanzenwelt in folgende Maſſen:
Die „Teppichvegetation“ ſind alle wenig ſich über dem Boden oder Waſſer—
ſpiegel erhebenden Gewächſe; ihre Maſſenwirkung iſt horizontal, gleichſam die Baſis
der anderen.
) Pflanzengeographie iſt die Beſchreibung der Verteilung der Pflanzen auf der Erde.
A. von Humboldt iſt der Vater der wiſſenſchaftlichen Pflanzengeographie.
) Pflanzenökologie iſt die Lehre vom Haushalt der Pflanzen in Beziehung zu ihrem Standort
und die Lehre von den auf gemeinſamem Standort einen zum Teil voneinander abhängigen Haus—
halt führenden Pflanzengemeinſchaften.
Die Pflanzen. 59
.
Abb. 39. Beiſpiel für die große Wirkung des Zuſammenpflanzens mehrerer Vertreter einer Art:
Wacholder im kgl. botaniſchen Garten zu Dahlem. (Phot. Willy Lange.)
Abb. 40. Geſchichtetes Geſtein als Träger von Felspflanzen im fgl. botaniſchen Garten zu Dahlem.
(Phot. Nebelung)
60 3. Abſchnitt.
Die „Stockvegetation“ umfaßt die mäßig hoch, in geſchloſſenen Körpern auf—
tretenden Büſche der großen Stauden, Sträucher und Buſchbäume — gleichſam die
Quadern bildend, auf denen ſich erhebt:
Die „Kronenvegetation“. Dieſe liefert in den Baumſtämmen mit ihren Kronen
die Pfeiler und das Dach der Pflanzenräume. (Zollinger unterſcheidet unter ihnen
noch die Schopfvegetation, d. h. Bäume und Bäumchen mit ſchopfartigen Kronen:
Palmen, Drazänen, Baumfarne, Grasbäume und andere, die in unſerem Klima nicht
5
„r.
‘ 4 8 5 8 4
Abb. 41. Treppenwange und Treppe aus Hauſtein; als Beiſpiel für die Vereinigung von Felspflanzenphyſiognomie
mit gebautem Stein-Standort; im Gegenſatz zu dem vorigen Bilde, in welchem die Felspflanzenphyſiognomie in
Verbindung mit naturgemäßem Standort gezeigt wird. (Phot. Willy Roſenthal.)
vorkommen. Wir wollen dieſe Sondergruppe teils in die zweite, teils in die dritte
Hauptgruppe einordnen, da hierdurch die „architektoniſche“ Grundauffaſſung Zollingers
durch Einfachheit und Klarheit um ſo beſſer wirkt.)
Die vierte Gruppe, den übrigen im Raum untergeordnet, wird gebildet durch die
„Verzierungsvegetation“ — die Lianen, Schling-, Kletterpflanzen, Überpflanzen
(Flechten, Mooſe, Baumwurzler aller Art), entſprechend der Ornamentik in der Architektur.
Dieſe Gliederung der Pflanzenräume durch Zollinger hat bleibende Bedeutung,
weil die künſtleriſche Auffaſſung des Raumes, beſtehend aus Grundfläche, Wand (be—
züglich Pfeiler) und Dach, neben der Verzierung zu den Grunderfahrungen der Menſch—
Die Pflanzen. 61
heit gehört. Dieſe Auffaſſung wird uns neben vielen anderen Motiven beim
Pflanzen leiten müſſen, wenn wir die Gartenräume mit dem vollen Reichtum an
Maſſengliederung, welche uns die Natur bietet, erfüllen wollen.
Wenn ein Wort wie „Phyſiognomie“ jo viele Wandlungen!) ſeiner Bedeutung
durchmacht, iſt es nicht verwunderlich, daß ſich jeder einen anderen Sinn darunter
denkt, der es hört oder lieſt. Wir aber, d. h. der Verfaſſer dieſer Zeilen und ſeine
Leſer, wollen vereinbaren, das Wort nur in dem von ihm gemeinten Sinne im
folgenden zu benützen, d. h. alſo, um es zu wiederholen, für uns iſt Phyſiognomie
einer Pflanze der Ausdruck ihrer Stand—
ortszuſtände, durch welche ihre Geſtalt
beſtimmt wird: angeborener Ausdruck
(gnome) ihrer Natur (physis).
Dabei bliebe zunächſt unbeſprochen,
ob der Standortszuſtand ein für die
einzelnen Pflanzenarten normaler, natur—
gemäßer war, alſo auch ihre Phyſio—
gnomie normal entwickelt iſt. Eine
ſolche normale Beziehung von Phyſio—
gnomie und Standort war uns ſtill—
ſchweigende Vorausſetzung.
Wir kennen ja aber die große An—
paſſungsfähigkeit der einzelnen Arten
innerhalb weiter Grenzen außerordent—
lich günſtiger und außerordentlich un—
günſtiger Standortszuſtände (optima
und minima) und wiſſen, daß die einzelne
Art mit ihrer beſonderen Phyſiognomie
auf dieſe Unterſchiede antwortet. Man
vergegenwärtige ſich nur, wie z. B. die
Fichte im Gebirge ſich anders baut als
in der Ebene, im Tal anders als auf der
Höhe, in guter Lage anders als auf
VVV
mauer (als Forſtbaum erwirbt ſie dann
durch die gleichmäßige Pflanzung einen „Charakter“ im Gegenſatz zur „Phyſiognomie“
des Wildbaumes; vgl. unten!). Waſſerpflanzen, wie Seeroſen, können zu Sumpf—
pflanzen werden, wie Kiefern und Birken zu Moorpflanzen, und immer zeigt ihre
Phyſiognomie ihr Standortsbefinden an.
Derartige phyſiognomiſche Studien ſind wichtig auch für die Pflanzung, da
z. B. auf einem mager und trocken ſcheinenden Gartenabhang keine Pflanze gepflanzt
) Zahlreiche Wortwurzeln werden ja durch den Sprachgebrauch in ihrer Bedeutung ver—
ändert, oft in kurzer Zeit. So iſt das Goetheſche „der Natur nachahmen“ nicht in unſerem heutigen
Sinne des Wortes nachahmen, d. h. nachmachen, nachäffen, kopieren gemeint, ſondern im Sinne
unſeres heutigen „ſchaffen nach Motiven der Natur“.
62 3. Abſchnitt.
werden darf, die noch von der Zuchtgärtnerei her eine wohlgenährte Phyſiognomie
zeigt. Ja die Beachtung der Abweichung der einzelnen Pflanzenperſönlichkeit vom
normalen Typus iſt oft für Anwendung oder Verwendung einer Art in der Garten—
pflanzung mehr entſcheidend als die Artzugehörigkeit zu einer beſtimmten Standorts—
gemeinſchaft. Hierher gehören auch die „Kümmerformen“, welche als dendrologiſche
Varietäten vermehrt werden.
Die Standortsgemeinſchaft (Genoſſenſchaft, Formation der Botaniker) vereinigt
verſchiedene Pflanzenarten und verſchiedene Einzelphyſiognomien infolge ähnlicher
Abb. 43. Randbeet (Rabatte) nach Art bäuerlichen Geſchmacks bunt bepflanzt.
(Pflanzung und Phot. Willy Lange.)
Lebensbedürfniſſe oder infolge des Umſtandes, daß durch das Vorhandenſein einer
Art der andern erſt das Leben möglich gemacht wird: ſo ſind die Schattenpflanzen
auf die über und neben ihnen befindlichen angewieſen, die Kletter- und Schlingpflanzen
bedürfen des Haltes der Sträucher und Bäume; kurz, die Lebensgemeinſchaften der
Pflanzen bilden die höhere Einheit des Pflanzenlebens auf gemeinſamem Standort *).
Neben der Einzelharmonie der Beziehungen der Einzelpflanze zu ihrem Standort
beſteht die gemeinſame Harmonie aller Standortsgenoſſen. Auch die Pflanzen—
gemeinſchaften zeigen als ſolche ausgeprägte Phyſiognomie, und an den verſchiedenen
) Hierauf beruhen die ökologiſchen Syſteme der Pflanzenökologen innerhalb der Pflanzen—
geographie.
Die Pflanzen. 63
Gartenſtandorten ſollten dieſe Gemeinſchaftsphyſiognomien zu deutlichem, im Vergleich
zur Natur geſteigertem Ausdruck kommen. Unter dieſem Geſichtspunkt ſind die
Pflanzungsvorſchläge für die „naturgemäßen“ Standorte (vgl. S. 73) auf Seite 83 ff.
zuſammengeſtellt“). Als Beiſpiele für phyſiognomiſch zuſammengehörige Pflanzen—
genoſſenſchaften ſind hier zahlreiche Bilder eingeſchaltet.
Von der Phyſiognomie unterſcheiden wir ſtreng den Charakter der Pflanzen.
Charakter iſt etwas Erworbenes im Gegenſatz zum Angeborenen. Durch wen
ſollte die Pflanze Charakter erwerben, wenn nicht durch den Menſchen, indem er das
Abb. 44. Beiſpiel von Architekturpflanzen in Sansſouci bei Potsdam. (Phot. Willy Lange.)
Naturweſen, die Pflanze mit ihrer angeborenen Phyſiognomie ſich nutzbar macht in
den verſchiedenen Verwendungszwecken.
Ganze große Gruppen von Pflanzen haben ſo ſehr einen Charakter erhalten,
daß wir ihre urſprüngliche Phyſiognomie als Naturgeſchöpfe entweder verändert haben
oder völlig vergeſſen: die Gruppe der Gemüſe- und Obſtpflanzen ſei hier zuerſt
*) Steigerung der deutſchen Phyſiognomien durch ähnliche fremdländiſche im einzelnen und
in der Standortsgemeinſchaft habe ich dieſe von mir zuerſt in die Literatur und Praxis eingeführte
und ſyſt ematiſch begründete Pflanzungsweiſe in meiner „Gartengeſtaltung der Neuzeit“ (Leipzig,
J. J. Weber, III. Aufl. in Vorbereitung) genannt. Es werden alſo nicht nur deutſche zuſammen—
gepflanzt; ſondern die fremdländiſchen verwandten, aber ausgeprägteren Phyſiognomien, allein oder
mit deutſchen zuſammen, wenn die Phyſiognomie dieſer ausländiſchen zu dem Gartenſtandort in
Harmonie zu ſtehen ſcheint.
64 3. Abſchnitt.
genannt. Ihr Charakter iſt ſo ausgeprägt, in unſerer Betrachtung ſo unzertrennlich
mit ihrem Verwendungszweck verbunden, daß wir ſie mit Pflanzen, die wir nur nach
ihrer Phyſiognomie einer beſtimmten Naturgemeinſchaft zurechnen, gar nicht mehr in
Gemeinſchaft ertragen können. Wenn wir im Walde einem Reh begegnen, dann.
betrachten wir es als zum Walde gehörig, empfinden es als Steigerung der Waldes—
ſchönheit; begegnen wir dort einer Kuh, ſo werden wir dabei an die Herde denken,
der ſie entlaufen, an das Gehöft und den Beſitzer, dem ſie zugehörig iſt — im Walde
iſt ſie ein Fremdling. Wer mir hier einwendet, daß doch auch eine Herde im Walde
Abb. 45. Beiſpiel von Architekturpflanzen in Sansſouei bei Potsdam. (Phot. Willy Lange.)
erfreulich ſei, mit ihrem Geläute, der hat den angegebenen Gedanken nicht zu Ende
gedacht; denn „zugehörig“ zum Walde, wie das Reh, iſt die Herde nicht, ſo wie ein
in ein Gehöft verirrtes Reh — an ſich erfreulich — hier ein Fremdling iſt.
Bei den Nutzpflanzen alter Kultur iſt der Gegenſatz von „Charakter“ zur
„Phyſiognomie“ in unſerem Sinne wohl am deutlichſten. Darum wird auch an dieſer
Stelle am deutlichſten werden, warum dieſe langen Darlegungen gegeben werden:
weil man durch Vermiſchung von Phyſiognomien und Charakteren bei der
Pflanzung die Einheit des Motivs unrettbar zerſtört. Und bei allem Pflanzen müſſen
klare Motive feſtgehalten und durchgeführt werden, wenn nicht jenes Durcheinander
entſtehen ſoll, das man noch in einem großen Prozentſatz aller Gärten ſieht.
In dieſem Sinne müſſen wir auch die anderen Charaktere betrachten: „Haus—
zierpflanzen“ haben gemeinſam, daß fie dem Haufe und ſeiner nächſten Umgebung
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JAN 17 1977
Die Pflanzen. 65
zum Schmuck dienen, ihre einzelnen Vertreter aber haben innerhalb dieſer großen
Gruppe beſondere Eigenſchaften für unſere Betrachtung erworben je nach den Beſitzern
von Häuſern und Gärten, in denen wir ſie am meiſten verwendet ſehen; ſo entſtehen
die Charaktere der Bauerngartenpflanzen; um hier nur einige zu nennen:
Sonnenblume, Malve, Nachtviole, Kapuzinerkreſſe, Feuerbohne, Zinnie, Zentifolien—
roſe, Strohblume, Balſamine, Studentenblume, Winde, Fuchsſchwanz, Weiße und
Feuerlilie, Kaiſerkrone, Bandgras, Akelei.
Die genannten etwa ſind heute noch für unſer Empfinden ausgeſprochene Bauern—
blumen; viele, die einſt nur dem ländlichen Garten des Kleinbürgers angehörten, ſind
Abb. 46 Beiſpiel für die Verwendung einjähriger Beetpflanzen („Sommerblumen“) als Einfaſſungsbeete eines
Weges im Gemüſegarten. Die Blumen quillen über die Buchsbaumkante, nach der Manier des Bauerngartens.
(Phot. Willy Lange.)
durch die hervorragenden Züchtungsergebniſſe zu ſtrahlenden Modeſchönheiten geworden,
die frühere kleinblumige und trübe Farben gleicher Art weit hinter ſich ließen: Phlox,
Ritterſporn, Nelke, Georgine, Schwertlilie, Narziſſe, Tulpe, Spiräe, Päonie, Aſter.
Von dieſen kann man geradezu ältere bäuerliche Charaktere von neueren ſtädtiſchen
unterſcheiden.
Andere Blumen, die man in der bisherigen Aufzählung vermiſſen könnte, haben
wieder einen gemeinſamen Charakter: es ſind „Allerweltslieblinge“: Veilchen,
Vergißmeinnicht, Reſeda, Roſe, Tulpe, Nelke, Hyazinthe, Levkoie, Märgzglöckchen,
Aurikel, Primel, Krokus, Maiblume — Flieder, Schneeball, Goldregen, japaniſche
Lange, Der Garten.
RB
66 3. Abſchnitt.
Quitte, Jasmin, Linde; ſie gleichen die menſchlichen Standesunterſchiede aus. Nie—
mals kann man mit ihnen im Garten nach baulichen Motiven etwas verderben.
Eigentlich ſtädtiſch vornehm wirken Pflanzen, die für nur einen Sommer in
Miſtbeetkäſten herangezogen werden: Begonie, Ageratum, Lobelie, Heliotrop, vor
allem dann, wenn ſie in ganzen einheitlichen Gruppen und Beeten auftreten: Pelar—
gonie, Fuchſie, Mar⸗
guerite, Feuerſalvie.
Allen Palmen,
Drazänen, Agaven,
* Bananen — kurz allen
€. Pflanzen mit ansge—
* — 4 prägt fremdländiſcher
* undeutſcher Phyſio—
gnomie iſt im deutſchen
Garten ein Platz an—
zuweiſen, der die Zu—
gehörigkeit zum Hauſe
klar zeigt: auf Ter-
raſſen, Randbeeten,
am Hauſe; denn dieſe
Pflanzen haben Haus—
und Zimmerpflanzen—
charakter erworben.
Ferner alle Teppich-
beetpflanzen, welche
ähnlicher kunſtgärtne—
riſcher Maſſenzucht
und Verwendung ihre
alljährliche Verbrei—
tung verdanken. —
Hierher gehören auch
alle krautigen und hol—⸗
zigen buntblättrigen
Pflanzen, auch die,
welche eigenartigen
ar oder künſtlich erreich—
Abb. 47. Gemeinſchaft von Waldrebe (Clematis vitalba) und Kornelkirſche (Cornus 2
mas) im tgl. botaniſchen Garten zu Dahlem. (Phot. Willy Lange.) ten abſonderlichen
Wuchs haben, wie die
„Trauerbäume“ außer Trauereſchen und-Ulmen und Trauerroſen, welche gegenüber jenen
ſtädtiſchen Charakteren im Bauerngarten bereits heimatberechtigt wurden. Unter den
Gehölzen ſeien ein paar beſonders vornehme Charaktere erwähnt: Magnolie, Hydrangea,
rotblühende Kaſtanien, Perückenſtrauch, Paeonia arborea, Rhododendron, Tamariske,
gefüllt blühende Prunus — nur Prunus triloba fängt ſchon an, ſich wegen ſeiner
allgemeinen Beliebtheit überall heimiſch zu fühlen.
Die Bilanzen. 67
Es geht mit den Pflanzen in Beziehung zu uns wie mit den Tieren; unter
dieſen ſind manche ſo ſehr Haustiere, daß wir die Wildformen nicht mehr kennen,
manche freilebenden ſiedeln ſich nur dann unter den Menſchen an, wenn ihnen das
„Milieu“ zuſagt, wie die Schwalben in bäuerlichen Gehöften; andere ſind längſt
Stadtvögel geworden, wie die Sperlinge, andere ſind dabei, es zu werden, wie die
Schwarzdroſſeln und
männlichen Finken.
So finden ſich auch
unter den Pflanzen
ſolche, die ihren Cha—
rakter anpaſſungs—
fähig zeigen, zu denen
wir mehr als eine
Beziehung haben, je
nach ihrer Verwen—
dung, ihrem, Milieu“,
d. h. in dieſem Falle
nach dem Charakter,
den der ganze Garten
hat. Als Beiſpiele
hierfür ſeien genannt:
Rhabarber, als Kü—
chen⸗Nutzpflanze noch
jung, betrachten wir
ſie nicht nur als „Ge—
müſe“, ſondern finden
fie an-Wegeecken des
geometriſchen Gartens
oder einzeln auf Ra⸗
ſen von „vornehmem“
Charakter, und die—
ſelbe Pflanze hat ihre
Eigen-Phyſiogno—
mie für uns noch
nicht verloren, wenn
wir fie dort anpflan-
zen, wo ſie unſere
4
1
ı
*
y 1
)
99
Abb. 48. Gemeinſchaft von Birte, Wacholder und Ginſter im kgl. botaniſchen Garten
zu Dahlem. (Phot. Willy Lange.)
Natur anſiedeln würde, wenn ſie bei uns heimiſch wäre: auf feuchtem nährkräftigem
Boden, etwa in Geſellſchaft von Herakleum, Petaſites, üppigen Farnen und anderen
kräftigen Krautpflanzen. Ähnliches gilt von manchen anderen: jo haben Farne neben
der Phyſiognomie ſchon einen Charakter als Haus-Schattenpflanzen. Holunder iſt
als Charakter Hauspflanze — der Schwalbe vergleichbar — und Wildpflanze als
Phyſiognomie.
Unſere deutſche Fichte und Tanne hat für mein Gefühl noch keine Spur von
68 3. Abſchnitt.
Anpaſſung an den Hausgarten gefunden, kaum an den Park — ihre Waldesſeele iſt
zu ſtark und frei. Darum bringt ſie als „Weihnachtsbaum“ mit dem Symbol des
wiedergeborenen „Lichtes“ germaniſche Naturpoeſie ins Haus! Und darum iſt ihre
häufige Verwendung als „grüner Buſch“ im Garten ganz falſch, während ausländiſche
Verwandte, Koniferen ſchlechthin, teils Hauspflanzen-, teils Parkpflanzen-Charakter
erlangt haben, teils mit ihrer Phyſiognomie zwanglos in deutſchen Genoſſenſchaften
aufgehen. Ein Gegenbeiſpiel zur Fichte bildet Taxus (urdeutſch): die Eibe iſt aus
dem Walde faſt verſchwunden und hat den Charakter der Hausgartenpflanze, Park—
pflanze, Hecken- und Architekturpflanze erlangt.
Abb. 49. Eibe und Efeu im Schatten von Laubbäumen im kgl. botaniſchen Garten zu Dahlem.
(Phot. Willy Lange.)
Mit der letzten Bezeichnung, Architekturpflanze, ſind die Charaktere gemeint,
welche in ihrem Wuchs oder durch ihre künſtliche Form uns an Baukörper erinnern:
an Säulen (Taxus fastigiata als Beiſpiel); Pyramiden (Juniperus hibernica glauca;
Pyramideneiche [Qu. fastigiata] geſchnittene Taxus, Buxus); Quadern (Würfel)
geſchnittene Taxus, Buxus; Wände (zahlreiche geſchnittene Nadel- und Laubpflanzen);
Kugeln (Bux und Abarten von Nadelhölzern) und andere geſchloſſene Körper bildende,
wie Kochia triphylla. Dieſe ſind neben allen irgendwie regelmäßig geſchnittenen
oder an Geſtellen zu regelmäßigen Formen gezwungenen Pflanzen (z. B. Roſenpyra—
miden, Bogen, -Feſtons) ſeit alter Zeit wie freiſtehende Baukörper verwendet und
empfunden worden. Sie dienten nicht nur dazu, ganze Gärten rhythmiſch zu gliedern,
Die Pflanzen. 69
ſondern auch die Gliederung der Gebäude ins Freie zu tragen. In einfacher Weiſe
verwendet, gleichſam als Torpfeiler, oder zu Heckenwänden, Baumſchutzwänden ge—
ſchnitten, treten ſie ſchon im Bauerngarten auf, wie ja auch die Elemente des Bauern—
hauſes — Pfeiler, Wände, Dach — in der höchſten Baukunſt wiederkehren. Dieſe
Pflanzen haben einen ſo ſtark ausgeprägten Charakter erhalten, daß ſie im Park,
zwiſchen „natürlichen
Gruppen“ für mich
wie Fremdkörper wir—
ken, wie einzeln auf—
geſtellte Säulen, Py⸗
ramiden, Quadern.
Früher billigte man
dieſe Aufſtellung unter
dem äſthetiſchen Ger
ſichtspunkt des Kon-
„wir
wiſſen ja, daß man
damit nur die Er—
innerung an die Wir-
kung der Einzelpflanze
aus dem hiſtoriſch
früher entſtandenen
geometriſchen Garten
in den Park hinüber⸗
trug. Andererſeits
haben einige beſondere
Arten, wie Säulen—
wacholder, ihre Natur—
phyſiognomie bewahrt
für den, welcher ſie
auf der Heide, im
lichten Kiefernwald
kennt, aber immer nur,
wenn ſie in verſchie—
denen Größen und in
Mengen zuſammen
auftreten. Sie ver:
lieren dann viel von
der ſtarren Form und
Abb. 50. Brombeere im Spätherbſt, in Gemeinſchaft mit einem Buſchbaum, deſſen
Laub bereits abgefallen iſt. Als Beiſpiel einer Liane an naturgemäßem Standort
im kgl. botaniſchen Garten zu Dahlem.
(Phot. Willy Lange.)
auf mich machen ſie den Eindruck wie die Wichtelmännchen des Märchens, die im
Walde wandern. Andrerſeits iſt der Wacholder am Bauernhaus als „Machandelbom“
gern gepflanzt, weil ſeine Beeren und Zweigſpitzen Verwendung finden und mancherlei
Sage in ſeinen Zweigen raunt.
Die Bäume haben in ihrer Nutzbarkeit und Größe, ſpäter durch die Auffaſſung
70 3. Abſchnitt.
ihrer Schönheit ſtets die größte Bedeutung gehabt, und daher haben viele von ihnen
ihren beſonderen, nur an ihrer Art haftenden Charakter erworben. Während einzelne,
wie die Linde, „Hausbäume“ geworden ſind, verwachſen mit dem Leben der Familie
und Generationen, haben andere in dieſem Sinne eine völkiſche, ſtammeszugehörige
Eigenſchaft erworben (Eiche, allgemein „deutſch“, Roßkaſtanie im Spreewald als
Wahrzeichen der Siedelung), mit anderen, wie der Pyramidenpappel, verbinden ſich
geſchichtliche Erinnerungen an die Zeit ihrer Einführung (Napoleon J.); manche
Fremdlinge haben Heimatsrecht erworben, wie die Akazie, anderen haftet noch Fremdes
Abb. 51. Laubengang mit Randbeet im Innern, welches mit Schattenpflanzen beſetzt iſt; Italieniſcher Garten
in Sansſouci. (Phot. Willy Lange.)
an, wie der Platane; viele haben die Zugehörigkeit zum Walde noch nicht aufgegeben,
wie die Buche, Lärche, Fichte, Birke, einige ſind in ihrer Form und Behandlung zu
Charakterbäumen der Kulturlandſchaft geworden, wie Kopfweiden, Pappeln, und viele
nehmen den Parkcharakter überall hin, wo ſie auftreten. Dem Friedhof ſind einige
eigentümlich, wie Lebensbaum, Efeu — wenn auch dieſe einſt hervorragende Charakter—
eigenſchaft mehr und mehr im Bewußtſein verblaßt. Auch hier iſt vieles in lang—
ſamer Veränderung. Das Geſagte mag aber zunächſt genügen, um anzudeuten, daß
unter den Baumarten viele einen ihrer Art feſt zugehörigen Charakter erworben haben.
Daneben beſtehen allgemeine Beziehungen unſeres Empfindens zu den
Pflanzen, die geſchichtlich anerzogen und tief in der Art unſerer menſchlichen ſinn—
Die Pflanzen. 71
lichen Wahrnehmung begründet ſind: leicht gebaute Arten wirken leicht, geſchloſſen
gebaute wirken ſchwer; helle, bunte, farbige löſen andere Sinnesempfindungen aus
als dunkle, trübe; gelagerte breite Formen bilden den Gegenſatz zu ſteil aufgerichteten,
ſchmalen: was neben uns, unter unſerer Augenhöhe breit ſich lagert, das glauben
wir zu beherrſchen; was uns überragt, beherrſcht unſer Gefühl, was ſich über uns
wölbt, drückt uns nieder. Ein Abwägen unſerer Kraft mit den Kräften der Pflanzen
liegt hier rein körperlich (phyſiſch) zugrunde, und das Ergebnis der Abwägung ſetzt
ſich ſeeliſch (pſychiſch) in Empfindungen um. Derartige Erkenntniſſe laſſen frühere,
oben angedeutete „phyſiognomiſche“ Auffaſſungen Lavaterſcher Art in ganz anderem
Abb. 52. Fichtengeſellſchaft und Birkengeſellſchaft, ineinander übergehend, im kgl. botaniſchen Garten zu Dahlem.
(Phot. Willy Lange.)
Lichte für uns erſcheinen: wir leugnen nicht die verſchiedenen Wirkungen der ver—
ſchiedenen Pflanzen, beſonders der Baumarten und Wuchsformen auf unſer Gefühl,
aber wir wiſſen, daß dieſe Wirkungen nicht in den Pflanzen liegen, ſondern in unſeren
Beziehungen zu ihnen, in dem Charakter, den fie erſt durch uns erworben haben *).
*) Wenn man hier einen Dualismus, eine Gegenüberſtellung von „Menſch“ und „Natur“
herausleſen ſollte, ſo bemerke ich, — wiederholt — daß es ſich hier um das Ziel einer klärenden
Darſtellung handelt, bei der man den „Menſchen“ der „Natur“ gegenüberſtellt und prüft, was wohl
die Dinge an ſich ohne die menſchliche Betrachtung ſind, und wie wir auf ſie und ſie auf uns
einwirken. Betrachten wir uns nur als „Menſch“ gewordenes geiſtiges Maß der Natur, dann freilich
gehören alle Beziehungen, welche die Naturdinge zu unſerem Geiſte haben, zu ihrem Weſen. „Die
—1
deo
3. Abſchnitt.
Der Garten in ſeiner Geſamtheit ſpricht beſonders durch ſeine Pflanzen zu uns,
darum iſt es wichtig, ja Grundlage und Vorausſetzung aller Pflanzung als Kunſt,
die beſtimmte Wirkungen im Genießenden auslöſen ſoll, daß ſich der Pflanzende über
alle Wirkungen, die ſich im allgemeinen erwarten laſſen, klar iſt. Wo das nicht der
Fall iſt, wo man zuſammenpflanzte, was einem im einzelnen gefiel, was man gerade
in Gärtnereien an
und für ſich Schönes
fand — da entſteht
keine höhere Einheit,
kein charakteriſtiſcher
Garten als Ganzes,
ſondern nur eine
Summe von Einzel-
heiten. Daher die
Unruhe und zugleich
die Gleichartigkeit der
meiſten Gärten in ihrer
charakterloſen Zuſam—
menſtellung der Pflan⸗
zen; in kleinen Gärten
iſt es ſo, und ich kenne
rieſige Gärten, die un⸗
geheuer viel Geld ge—
koſtet haben und doch
nur eine Sammlung
gründlich durcheinan—
der gemiſchter Einzel—
ſtücke enthalten.
Wer ſich inner:
halb eines Zaunes nur
eine Pflanzenſamm—
lung anlegen will, für
den waren alle vor—
hergehenden Betrach—
tungen überflüſſig,
Abb. 53. Schattenpflanzen an naturgemäßem Standort unter Laubbäumen im kgl. 5 A
botaniſchen Garten zu Dahlem. (Phot. Willy Lange.) und nicht minder wür⸗
den es die folgenden
ſein. Mehr als Pflanzenſammlungen, nämlich Gärten nach künſtleriſchen Motiven
Sonne iſt dann nicht nur ein Ball von Feuer, ſondern zu ihrer Weſenheit gehört auch noch die
ganze ihr entblühte Geiſteswelt ihres Tochterſternes ‚Erde‘, einſchließlich aller Gefühlsfäden, die
ſich von Seele zu Sonne ſpinnen bis zu dem Liede: „DO goldene Abendſonne“!“ — Hierin ſtimme
ich Karl Foerſter zu, der beim Mitleſen der Korrektur die angeführten Worte an den Rand
ſchrieb. — „Wär' nicht das Auge ſonnenhaft, wie könnt' es ſonſt die Sonne ſchau'n!“ ſagt der
Dichter. Für eine Klärung der Wirkungen und Wirkungsmittel bei der Pflanzung unterſcheiden
wir aber hier ſcharf: „Phyſiognomie“ von „Charakter“.
Die Pflanzen. 13
geſtaltet und bepflanzt, können nur entjtehen, wenn man in allen Beziehungen zum
Ganzen des Gartens und zu einzelnen Gartengliedern berückſichtigt: die Phyſio—
gnomie und den Charakter der Pflanzen.
Garten⸗Standorte der Pflanzen.
Übereinſtimmung — künſtleriſche Harmonie — zwiſchen dem Standorte einerſeits
und Phyſiognomie und Charakter anderſeits iſt das Ziel der Pflanzung in unſerem Garten.
Alle Pflanzenſtandorte im Garten ſind von uns irgendwie bearbeitet; auch ſolche,
Abb. 54. Laubengang mit Zierkürbis und Lianen. Ein Baumſtamm, welcher hindurchwächſt, bietet dem Efeu
naturgemäßen Standort. Italieniſcher Garten in Sansſouci. (Phot. Willy Lange.)
die ſo ausſehen, als ſeien ſie von Menſchenhand unberührt. Was wir aber auch an
ſolchen Standorten des Gartens getan haben, das iſt doch ſo geſchehen, als wenn
die Natur es ſelbſt getan hätte, die ſich nur längere Zeit genommen haben würde,
z. B. durch Laubabfall den Bodennährſtoff zu verändern oder jäh hervortretende
Bodenerhöhungen auszugleichen. Führen wir ſolche Bearbeitung mit bewußtem, künſt—
leriſchem Ziele durch, ſo haben wir „nach Motiven der Natur“ gearbeitet, wir haben,
um eine kurze Bezeichnung zu benutzen, naturgemäße Pflanzenſtandorte im Garten
geſchaffen.
Wir können aber auch Standorte herſtellen, wie es nie die Natur getan haben
könnte, ſolche, denen man auf den erſten Blick die deutliche Ausprägung durch menſch—
liche Eingriffe anſieht: das ſind, kurz geſagt, gebaute Standorte im Garten.
* *
*
74 3. Abſchnitt.
Naturgemäße
Standorte im Garten!).
Waſſer mit nährſtoffreichem Boden, in Teich, See, Fluß A**).
Bäche mit und ohne Waſſerfälle; auch Abflüſſe von gebauten Waſſerbecken, Quellen G;
a) offen, ſonnig; b) beſchattet;
J. für kleine Raumverhältniſſe. II. für große Raumverhältniſſe.
Ufer mit nährſtoffreichem Boden E:
a) gelegentlich überflutet, jedenfalls b) nicht überflutet, oben trocken, nur
feucht; in der Tiefe feucht;
d ohne höhere Gehölze. 3 mit höheren Gehölzen.
Hügel und Abhänge, nährſtoffreich G:
a) mit ſüdlicher Neigung; b) mit nördlicher Neigung;
«ohne Sträucher und Bäume. p mit Sträuchern.
Ebene Lagen J.
J. Mit allgemein gemiſchten Bodeneigenſchaften ohne einſeitige Eigentümlichkeit:
a) mit höherem Baumwuchs; p) ohne höheren Baumwuchs;
d nährſtoffreich oder nährſtoffarm;
3 mäßig feucht oder trocken;
„beſchattet von Baumkronen
und Schlagſchatten oder
II. Einſeitig eigenartig:
a) moorig; b) ſumpfig; c) wieſenartig; d) ſandig oder dünenartig; e) heide—
artig; f) kieſig mit Untergrundfeuchtigkeit; g) Holzſchläge.
ſonnig.
Geſtein oder ſteiniger Boden L:
a) gewachſenes natürliches Geſtein b) Boden mit Geſteintrümmern;
mit Fugen und Klüften;
a trocken; feucht;
nährſtoffarm; nährſtoffreich;
„ ſchattig; ſonnig;
o mit Gebüſch; ohne Gebüſch.
Naturgemäße Standorte der Lianen N:
Baumſtämme, Felſen, Gebüſch.
*) Dieſe und die nebenſtehende Seite zeigen eine zuerſt von mir aufgeſtellte Tabelle der
Standortsmöglichkeiten; ſo daß den naturgemäßen auf Seite 74 die gebauten auf Seite 75 ent—
ſprechen und die zuſammengehörigen auf gleicher Seitenhöhe anfangen.
) Die Buchſtaben und Zahlen dieſer Tabelle ſtehen in Beziehung zu den entſprechend be—
zeichneten Teilen des Abſchnittes der Pflanzen von Seite 83 an.
Die Pflanzen.
1
Qu
Gebaute
Standorte im Garten.
Waſſerbecken als Brunnen- und Springbrunnenbecken, Waſſerbecken B.
Gebaute Rinnſale gemauert, gedichtet, mit ganz flachen, nicht über das daneben
liegende Erdreich hervorragenden Rändern, ſcharf begrenzt. — Gefaßte Quellen,
Vogelbrunnen. — Kanäle, flach oder tief. — Kaskaden, Fontänen D.
Waſſerbecken-Böſchungen mit nährſtoffreichem Boden F:
a) überflutet, jedenfalls feucht; p) trocken (auch nährſtoffarm).
Beſonnung und Beſchattung verſchieden je nach Himmelsrichtung oder Schlag—
und Baumkronen-Schatten.
Böſchungen nährſtoffreich mit verſchiedener Beſonnung je nach Himmelsrichtung
und verſchiedener Feuchtigkeit, je nach dem Böſchungswinkel I.
Ebene Standorte K.
J. Mit allgemein nährſtoffreichen Gartenbodeneigenſchaften: Beete, Randbeete,
Flächen auf Terraſſen, Erdreich an Gebäuden.
a) ſonnig (auch vor Hecken, Mauern, p) beſchattet; & durch Schlagſchatten
Gebäuden). von Gebäuden, Mauern, Hecken;
durch Baumkronen (Druck),
auch in und unter Hecken, Alleen,
II. Eigenartig: Hausbäumen, Zierbäumen.
Obſtland, Gemüſeland, Blumengarten, Roſen- uſw. Garten, Kulturland
(ackerbauartig bewirtſchaftet), Beete mit beſonderem Boden für Moorpflanzen,
Heidepflanzen, Steinpflanzen (Alpenpflanzen), Sumpfpflanzen, Waſſerpflanzen.
Trocken-Mauerwerk ohne Mörtel mit Erdfugen M:
Flache Trockenmauereinfaſſungen von Becken; Stufen, Terraſſenmauern, alle
verſchieden je nach Beſonnung oder Beſchattung; Steineinfaſſungen von
Beeten; Steinplattenwege, Wegeränder neben Beeten, Mauern.
Gebaute Standorte für Lianen O:
Laubgänge, Pergolen, Säulen, Mauern, Terraſſen, Gebäude und allerlei
Bauwerk und Plaſtik.
3. Abſchnitt.
I
D
Das Pflanzen ſelbſt geſchieht dann in Anpaſſung an naturgemäße und an
gebaute Standorte. Im erſten Falle werden Pflanzen gewählt, die in ihrer
Phyſiognomie eine Gemeinſchaft bilden, welche den Standortsbedingungen entſpricht.
Am gebauten Standort wird meiſtens eine Vereinigung von beſtimmten Charakteren
auftreten, obwohl auch in dieſem Falle eine phyſiognomiſch dorthin gehörige Pflanzen—
gemeinſchaft nach Motiven der Natur angeſiedelt werden kann: das Lebendige hat
eben dann, ſeinen Geſetzen entſprechend, von dem gebauten Standorte durch unſere
Hilfe Beſitz ergriffen.
Wir kennen ja die Wichtigkeit, über die Motive des Pflanzens klar zu ſein.
* *
*
Abb. 55. Roſengärtchen mit Sonnenuhr. (Phot. Willy Lange.
Bei der vorhergehenden Nebeneinanderſtellung der Standorte ſind die außer—
ordentlichen Möglichkeiten unberückſichtigt gelaſſen, z. B. Salzſümpfe, Warmquellen,
Kalkwäſſer, ebenſo die außerordentlich nährſtoffarmen Ortlichkeiten. Der Garten will
ja Reichtum des Lebens und nicht Armut; auch tritt uns hier alles mehr ausge—
glichen entgegen, und nur, wo Gegenſätze durch die Standorte bedingt ſind, dienen
ſie dazu, einander gegenſeitig in der Wirkung zu ſteigern: aus jedem Standorte
wird das höchſte, ihm eigenartige Wachstum gelockt.
Der „Geiſt des Ortes“, die Lage des Gartens im großen Geſamtorganismus
der Gegend bedingt die Entſcheidung über die Wahl der verſchiedenen Standorte:
im gärtneriſch-baulich kultivierten Gelände einer Villen-Kolonie werden gewiſſe natur—
gemäße Standorte, wie ſumpfige, heideartige, dünenartige, ſteinige Boden und Geſtein,
Die Pflanzen. 77
faſt widerſinnig ſein; doch ſind auch hier die Gegenden ſo verſchieden, daß ſich
allgemein Gültiges oder Ausſchließendes nicht ausſprechen läßt; ſo finden ſich in
Villen⸗Kolonien, z. B. in Wannſee, mit weiträumiger Bauweiſe, Siedelungsgebiete,
die mehr in die Natur- als in die Kulturlandſchaft eingebettet erſcheinen: hier iſt
manches ſinnvoll, was an anderer Stelle ein Verſtoß gegen den Charakter des Ortes
Abb. 56. Gebaute Pflanzenſtandorte und Vergewaltigung der Pflanzen zu Tier- und Architekturformen in einem
Garten „holländiſchen Stils“. (Hampton Court; Phot. H. N. King, Hofphotograph, London.)
ſein würde. Vor allem gilt in der Schaffung von Standorten für Pflanzen eine
Grundregel unumſtößlich: nichts gewaltſam ſchaffen, alles organiſch, mit den ein—
fachſten, nächſtliegenden Mitteln erreichen. Dadurch iſt dann auch die Aufgabe
künſtleriſcher Gartengliederung und Geländegeſtaltung zum guten Teil in gutem
Sinne gelöſt. Fortlaſſen, was irgendwie erſt gewaltſam motiviert werden muß, und
das Gewünſchte mit harmloſen ſelbſtverſtändlichen Motiven erreichen!
78 3. Abſchnitt.
Begrünung des Bodens zwiſchen höheren Pflanzen,
eine techniſch-künſtleriſche Einſchaltung von großer Wichtigkeit.
Zur Begrünung von Flächen, die von höheren Kraut- und Strauchpflanzen
frei ſind, zum Überpflanzen über die Flächen der Frühlings-Zwiebelpflanzen eignet
ſich in Sonne und Halbſchatten wie keine andere Pflanze Sedum spurium. Man
kann ſie überall in ihrer neutralen Wirkung anwenden, wo zwiſchen und neben einer
ie
Pflanzung nach Naturmotiven Raſen und feine nötige Behandlung ſchwierig wäre.
Aber nicht allein dieſe techniſche Rückſicht veranlaßt die Empfehlung, ſondern eine
künſtleriſche, empfindungsmäßige Auffaſſung, welche dringend einer allgemeinen Ver—
breitung und Schätzung ihrer tiefgehenden äſthetiſchen Bedeutung bedarf. Nämlich:
„Raſen“ iſt ein künſtliches Produkt, dem immer die Gewaltſamkeit anhaftet. An
„naturgemäßen“ Standorten liegt aber das Motiv freien Wachstums zugrunde. Bringt
man beide durcheinander, Raſengrün und freies Wachstum, ſo entſteht ein „Konflikt der
Motive“, ein Widerſtreit der Leitgedanken, und jede Zerfahrenheit der Motive macht die
künſtleriſche Wirkung unmöglich. Denn es iſt eine unbeſtreitbare Vorausſetzung alles
reinen äſthetiſchen Genuſſes: Klarheit der Empfindungen, die aus dem Werk auf uns
einwirken, in uns erregt werden. Man muß alſo „Raſen“ als eine künſtliche, ge—
waltſame Vereinigung von geſchnittenen Gräſern auffaſſen und ſich klarmachen, daß
Die Pflanzen. 5 79
dieſe einen Widerſpruch bilden zu jeder Pflanzen-Vereinigung nach Motiven der
Natur. Der Raſen wirkt viel zu wenig plaſtiſch, körperlich, um mit den größeren
Pflanzen zur Wachstums-Einheit zu werden; er wirkt wie grüner Farbeanſtrich und
die Pflanzen in ihm wie „eingepflanzt“, aber nicht wie aus ihm „gewachſen“. Dazu
kommt, daß ſich keine Pflanze im dichten Raſenfilz wohl fühlt — denn es iſt eben
der Kunſtraſen wider
die Natur. (Eine
Naturwieſe beſteht
nicht bloß aus filzen—
den Gräſern, ſondern
iſt viel lockerer gebaut,
und die Pflanzen—
gemeinſchaft in ihr
mannigfach und ein—
ander ergänzend in
den Lebensbedürfniſ—
ſen!) Feuchtigkeit, Bo-
denluft, Wärme wird
den Pflanzen im Raſen
entzogen. Hilft man
dem durch raſenfreie
„Pflanzſcheiben“ ab,
ſo iſt jede Pflanze für
den Eindruck noch
mehr vereinzelt.
Pflanzſcheiben zerſtö—
ren jedes Naturmotiv
im Garten. Daher ge—
hört Raſen mit allem,
was daraus folgt,
nur in die Garten—
gebiete, welche nach
Baugedanken be—
pflanzt ſind (auch für
Spielplätze, Bleich—
plätze, kurz zu allen
7 Abb. 58. Weg auf einer Gartenterraſſe, welche durch verſchiedene Beſonnungs- und
Zweckerfüllungen, de⸗ dadurch Feuchtigkeits verhältniſſe zwar allgemein trockenere, aber doch im einzelnen
nen „Raſen“ dient) vr verschiedene Standorte zeigt und daher Pflanzen verſchiedener Phyſiognomie Lebens⸗
. möglichkeit bietet.
oder nur bei großen
räumlichen Verhältniſſen kann Raſen als gefchnittene Naturwieſe gelten. Jeder, der
einen kleinen Garten hat und „möglichſt große Raſenflächen“ bei gleichzeitiger Pflanzung
nach Naturmotiven fordert, ſpricht aus der Vorſtellung, daß große Raſenflächen — im
Park, in engliſchen Gärten etwas Schönes ſind; aber klein bleibt klein, auch wenn es
„möglichſt“ groß iſt, und an Stelle kleiner Raſenflächen gibt es viel ſchönere Freuden.
80 3. Abſchnitt.
Man kennt ſie nur nicht! Seit Jahren pflanze ich Sedum spurium in den verſchiedenſten
ſonnigen und halbſchattigen Verhältniſſen in größeren und kleinen Flächen und fand
nur Freude daran: zauberhaft ſchnell hat ſich Blättchen an Blättchen zum Teppich
gefügt; nie iſt Schnitt erforderlich; eine anfangs kleine bepflanzte Fläche gibt bald
maſſenhaft Steck—
linge, die, wurzel—
los in lockere Erde
geſteckt, dazu die—
nen, weitere Flä—
chen zu erobern;
überallhin zwiſchen
alle Horſte und Ko—
lonien der Einzel—
pflanzen kann man
mit dem Sedum
dringen, ohne daß
ſie eine beängſti⸗
gende verwildernde
Verbreitung an—
nehmen oder an—
dere Pflanzen über⸗
wuchern; wo ſie
dieſen zu nahe kom⸗
men, greift man
eine Handvoll Se—
dum heraus; nie-
mals kann, wie bei
Raſen, eine ſtille
heimliche Schädi⸗
gung der Nachbar-
pflanzen entſtehen,
die man etwa erſt
merkt am Schaden
ſelbſt. Sedum läßt
alle Pflanzenwur—
zeln der Nachbarn
unter ſich atmen,
Abb. 59. Efeu an der Hausmauer (alfo an gebautem Standort) und auf dem Erdboden 12 13H
des Randbeetes. (Pflanzung und Phot. Willy Lange.) ſchützt durch jähr⸗
liches mäßiges
Höherwerden und das lockere Niederliegen ſeiner Triebe alle unter ihm befindlichen,
alljährlich ja auch höher wachſenden Zwiebeln. Alle Zwiebelpflanzen-Selbſtſaat
kommt zur Entwicklung, ſo daß man nicht nur auf Erhaltung, ſondern auch anfangs
Brutzwiebel-, dann Samen-Vermehrung der einmal gelegten Blumenzwiebeln rechnen
kann, während ſie im Raſen bekanntlich bald verſchwinden, mindeſtens immer ſpär—
12 *
177
7
»-
*
[53
*
7.
Die Pflanzen. . 81
licher blühen. Sedum braucht nie gedüngt, geſchnitten, irgendwie behandelt zu werden.
Fünf Jahre unberührt, hat ſich bei mir noch kein Nachteil bemerkbar gemacht.
Am wenigſten ſchön iſt ſein Name: weder der lateiniſche noch der deutſche
— Fetthenne — geben eine Ahnung von dieſem lieblichen Pflänzchen, das uns in
ſeinen Teppich auch noch roſa Blüten ſtickt, wo Sonne genug iſt. Wollte man das
mollig weiche Grün mit einem Namen nennen — ich wüßte keinen, der den Reiz
ſeiner wechſelvollen, immer eigenartig ſchönen Erſcheinung wiedergibt. Selbſt im
Winter, wenn an den nackt werdenden Trieben nur die Endknoſpen bräunlich ſchim—
*
5
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: „
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3
. ” *
5 7 4
1
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RO N
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*
Abb. 60. Birten auf Raſenfläche. (Phot. Willy Lange.)
mern, iſt die Geſamtheit der verflochten liegenden Triebe zwar nicht friſchgrün, wie
der Raſen manchmal noch im ſchneeloſen Dezember, aber doch nicht erſtorben, wenn
auch bräunlich. Das iſt mir aber gerade ein beſonderer künſtleriſch-koloriſtiſcher Wert!
Denn in „Braun“ klingt die Symphonie des Herbſtes, in „Grün“ das Sommerlied:
und gerade das Grün des Raſens empfinde ich in der Herbſtmelodie als Diſſonanz.
Wenn ich dieſer einen Pflanze, der ziemlich unbekannten, faſt zwei Seiten opfere, ich
weiß, warum! Durch dieſe Pflanze, die ich nach vielen Verſuchen mit anderen für
ſonnige, halbſchattige, trockene und mäßig feuchte Stellen in ihrer neutralen, nichts
5, verderbenden, ſich nie vordrängenden Art allein behalten habe, nachdem ich fie von
— ihrer alten gelegentlichen Verwendung als Beeteinfaſſung zur Freiheit führte und
hier ihre gärtneriſch praktiſche und künſtleriſche Eigenart entdeckte, — 1 dieſe
Lange, Der Garten.
EH 5
32 3. Abſchnitt.
Pflanze ſind wir erſt in der Lage, mit einem einfach zu handhabenden techniſchen
Mittel die Stiliſierung unſerer Pflanzengemeinſchaften durchzuführen; denn ſie bietet
den ruhigen Grund — der doch nicht arm und unnatürlich kahl iſt, wie bloße Erde
ſein würde — um aus ihm alle nach Motiven der Natur von uns angeſiedelten
Pflanzen hervorwachſen zu laſſen. Sie vertritt uns jenen einheitlichen
Grundton, aus dem auch in der unberührten Pflanzenwelt alles Wachstum hervor—
ſprießt, den wir in der Natur aus einiger Entfernung wahrnehmen, wenn auch dort
dieſer einheitliche Ton aus vielen kleinen Pflanzenarten beſteht, die ſich zum Teppich
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Abb. 61. Obſtſpaliere mit eingetüteten Früchten in der kgl. Gärtnerlehranſtalt Dahlem.
(Als Beiſpiel der Vereinigung von Nutzpflanzen mit gebautem Standort.) (Phot. Willy Lange.)
vereinen, an dem Gräſer, kriechende Pflanzen, nicht unbedeutend oft auch Moos be—
teiligt ſind. Was alſo Raſen uns bisher war, notgedrungen, weil man für den
Grundton keinen beſſeren wußte, das ſollte Sedum werden! In gleichem Sinne,
doch nur im Schatten, bei größerer Feuchtigkeit, kommt nur kleinblättriger Efeu und
Immergrün (Hédera Helix und Vinca minor) zu umfangreicher praktiſcher
Anwendung. Alle anderen bodendeckungs- und teppichbildenden Pflanzen ſind für
die Pflanzung nach Motiven der Natur für die Erwähnung in dem auf das praktiſch
beſte und ſchönſte beſchränkten Rahmen, den ich mir hier geſteckt habe, entbehrlich.
Die Pflanzen. 83
Pflanzen⸗Anordnung.
Im folgenden ſollen die wichtigſten Pflanzen nach Phyſiognomie und
Charakter für die verſchiedenen Standorte zuſammengeſtellt werden. Da—
bei werden die berückſichtigt, welche leicht in Handelsgärtnereien zu haben ſind,
aber auch die ſchönſten deutſchen Wildpflanzen nicht vergeſſen. Für die empfohlenen
Zuſammenſtellungen (auch bei den phyſiognomiſch-genoſſenſchaftlichen in bezug auf
die Harmonie zum Standorte) ſind einzig künſtleriſche Vorſtellungen und An—
ſchauungsergebniſſe für mich beſtimmend. Mag man über den künſtleriſchen Eindruck
im Sinne von „ſchön“ oder weniger „ſchön“ verſchiedener Meinung ſein: Schablonen
ſollen nicht gegeben
werden, auch kommt
alles noch ſehr auf die
Ausführungsweiſe in
der Wirklichkeit an,
zum Teil darauf, ob
jemand auch in der
Form, Raumwirkung
„künſtleriſch zu pflan⸗
zen“ verſteht. Alſo
nochmals, von ſo be—
ſtimmten, durch Er-
fahrung erprobten und
von praktiſchen Ge-
ſichtspunkten gelei⸗
teten Vorausſetzungen
ich ausgehe: ich über⸗
nehme die künſtle⸗ Abb. 62. Bulbocodium vernum zwiſchen Laub als Bodendeckung.
riſch e Verantwor⸗ (Phot. Karl Foerſter.)
tung dafür und über—
laſſe jedem, auch anders zu empfinden. Aber: rein botaniſch-ökologiſche Einwände über
„wiſſenſchaftlich falſch“ lehne ich ab; denn es handelt ſich eben im Garten nicht
darum, nach botaniſchem Wiſſen zu pflanzen, ſondern nach dem Gefühl für eine
im höheren, künſtleriſchen Sinne naturgemäße Harmonie “).
Für die Zahl der Vorſchläge iſt Beſchränkung das Ziel, nicht eine Fülle,
welcher der einzelne ratlos gegenüberſteht. Es handelt ſich in der heutigen Garten—
) Soviel ich als Begründer der künſtleriſchen „phyſiognomiſch-biologiſchen Pflanzung“ der
wiſſenſchaftlichen Oekologie im Sinne einer ſyſtematiſchen Beſtätigung verdanke, ſo ſelbſtändig, intuitiv
gefunden und künſtleriſch empfunden ſind meine gärtneriſchen Pflanzungsvorſchläge. Wiſſenſchaftliche und
künſtleriſche Richtigkeit haben nur Beziehungen — Goethe empfing „der Dichtung Schleier“ aus der
Hand der Wahrheit — ſind aber nicht gleich (kongruent). Von der wiſſenſchaftlichen Wahrheit
iſt die künſtleriſche Wahrheit zu unterſcheiden (vgl. Böcklin). (Als Beiſpiel für botaniſche Einwände,
welche vom künſtleriſchen Standpunkt abzulehnen ſind, verweiſe ich hier ein für allemal auf das,
was S. 89 über die Verwendung von Iris germanica geſagt iſt.)
84 3. Abſchnitt.
geſtaltung zunächſt einmal darum, die uns alltäglich zur Verfügung ſtehenden Garten—
pflanzen gärtneriſch-künſtleriſch richtig anzuwenden, d. h. keine Verſtöße gegen die
Harmonie mit dem Standorte und Charakter des Gartens und engeren Garten—
gebietes aufkommen zu laſſen. Harmonie von Pflanze und Standort klingt wie eine
Selbſtverſtändlichkeit; wir haben ja aber geſehen, wie in der Geſchichte dieſe Har—
monie bis in die Neuzeit überſehen wurde. Und noch immer pflanzt man viel—
fach „Deckſträucher gemiſcht“, ohne ſich Gedanken über die künftige Wirkung zu
machen. Die Erfahrung
lehrt täglich in den gemüſe—
haft gemiſchten „Grün—
Anlagen“, wie wenig von
dem Gefühl für richtige
Pflanzen-Anordnung in
die Maſſe gedrungen iſt,
wie falſch und motivlos
die Pflanzen nebeneinander
geſtellt werden.
A. Pflanzen
im ſtehenden oder
langſam fließenden
Waſſer mit nährſtoff—
reichem Boden.
J. Schwimmende und
ſchwebendeldeutſche, welche
leicht geſammelt werden
können, auch in Waſſer—
pflanzenhandlungen käuf—
lich find). Waſſerfarn,
Salvinia nätans, kann
im Sommer auf kleinen
Waſſerbecken gehalten wer-
den, deren Waſſer ſich
durch die Sonne leicht
Abb. 63. Pflanzen in ſtehendem Waſſer mit ſteinigem Ufer; Beiſpiel für erwärmt; für natürliche
ſtarten Gegenſatz eng benachbarter verſchiedener Pflanzengemeinſchaften, be: Waſſerflächen zu unbedeu—
gründet durch 1 n Standortszuſtand. tend, während die ſammet⸗
artige Beſchaffenheit der
tiefgrünen Pflanzen beſonders auch in höheren Becken dem Auge nahegebracht wird.
In gleichem Sinne Az lla caroliniäna; Lémna, Entengrütze ſiedeln ſich nur
zu leicht und bisweilen läſtig an; auf Weihern, die durch ſchwarzen Grund und von
Bäumen umſchattet dunkel erſcheinen, ſind die lichtgrünen Streifen von Lémna nicht
ohne Reiz. Froſchbiß, Hydrochäris mörsus ränae, ſchwimmt und wurzelt
in flachem Waſſer feſt; überwintert durch Brutknoſpen; für kleine Waſſerflächen ge—
3. Abſchnitt. 85
eignet, auch für Becken. Waſſer-Aloe, Stratiötes aloides, ijt beſonders dort
wertvoll, wo man im Aufblick von oben (an Brücken, Stegen, Waſſertreppen, ſteilen
Ufern) in die geheimnisvollen Blattſterne unter dem Waſſerſpiegel ſehen kann. Ihr
Auf- und Abtauchen im Sommer und Herbſt iſt beſonders anregend für die Beobachtung,
die weiße Blüte ragt über dem Waſſer empor und läßt zu dieſer Zeit auch die Blatt—
ſchöpfe auftauchen; die Vermehrung und Überwinterung erfolgt durch Sproſſung und
Winterknoſpen, die im Schlamm des Grundes wurzeln.
II. Feſt wurzelnde Waſſerpflanzen (deutſche, welche leicht geſammelt werden
Abb. 64. Beiſpiel für Waſſer in gebauter Form. (Im italieniſchen Garten in Sansſouci.)
(Phot. Willy Lange.)
können). Vermehrung leicht durch Stecklinge, Ausläufer, faſt jedes abgebrochene
Stengelglied; Überwinterung der mehrjährigen durch Knoſpen oder knollenartige
Rhizome. Alle Arten, welche nicht Blätter auf oder über der Waſſerfläche ent—
wickeln, ſind im Garten faſt ohne Wert. (Dagegen kommen ſie für Aquarien be—
ſonders in Betracht.) Nur im nahen Aufblick von oben wirken zierlich und reiz—
voll, weil ſie unſere Gedanken in das uns fremde Reich des Waſſerlebens locken:
Myriophyllum, Callitriche und beſonders Hottönia palustris, die
auch durch ihre Blüten erfreut. In ſtark ſtrömendem Waſſer können Nymphaé a-
Pflanzen keine Schwimmblätter bilden, wirken aber, untergetaucht, beſonders ſtark in
ihrer der Strömung ausweichenden Bewegung. Hier mögen dann auch einige
Potamogeéton mitfluten.
Von größter äſthetiſcher Wirkung ſind die Pflanzen, welche ihre Blätter auf
86 3. Abſchnitt.
Abb. 65. Gebaute Geländegeſtaltung und Pflanzung in freier Anordnung.
(Madresfield Court.) (Phot. H. N. King, Hofphotograph, London.)
oder über dem Waſſer entwickeln: Seeroſen (Nymphaéa und Nüphar);
Waſſerknöterich, Polygonum amphibium; Froſchlöffel, Alisma nätans;
Waſſerhahnenfuß, Ranünculus aquätilis; Waſſernuß, Träpa nätans.
Seeroſen find vielen erfolgreichen Züchtungsverſuchen unterworfen worden.
Die wertvollſten ſind folgende: Für niedrige Waſſertiefe bis 30 cm. Ny mphaéa
pygmäea gelb, kleiner als die einheimiſche N. älba, die immer eine der ſchönſten bleibt
und aus Stammſchnittlingen koſtenlos zu beſchaffen iſt, auch mit mitteltiefem Waſſer
fürliebnimmt. Ferner N. Leydéckeri purpuräta rot. N. Seignouretti orange.
Für hohe Waſſertiefe: N. Marliacea-Raſſen in Gelb, Roſa, Weiß. Mummel,
Nüphar lüteum. — Pflanzboden: lehmig mit Kompoſt, kein Kalk. Pflanzen werden
in Körben feſt eingepflanzt und mit dieſen erſt in flachem Waſſerſtand, ſpäter in tieferem
am endgültigen Standort eingelaſſen, wenn man nicht vor dem Anlaſſen des Waſſers
in den freien Grund pflanzen kann. Sonnige Lage begünſtigt die Blütenfülle.
In flachem Waſſer, welches ſich durch die Sonne ſtark erwärmt, laſſen ſich
auch Lotus, Nelümbo nucifera, Papyrus, Papyrus alternifölius,
während des Sommers pflanzen, indem man ſie in flache Tonſchalen pflanzt, in
welchen ſie bleiben, wenn man ſie während des Winters in Kübeln im Gewächshauſe
oder in Kellern aufbewahrt. (Die moderne Hausbauweiſe mit hellen heizbaren Keller—
räumen bietet hierzu beſte Gelegenheit.)
Die Pflanzen. 87
B. Waſſerbecken als Brunnen- oder Springbrunnenbecken, Waſſerbeete.
Da „Waſſer“ als Standort für Pflanzen überall Waſſer bleibt, ſo iſt kein
Unterſchied in natürlicher oder baulicher Form bei der Bepflanzung zu machen. Hier
ſei nur bemerkt, daß eigentliche Waſſerbeete, welche ja nicht billig in der Herſtellung
ſind, ſelbſt dort viel zu wenig hergeſtellt werden, wo die Mittel dazu vorhanden ſind.
Man begnügt ſich meiſtens mit einem unbepflanzten Waſſerbecken, während gerade
eigentliche Waſſerbeete in ſchmaler, langgeſtreckter Form im Ziergarten, Roſengarten,
Blumengarten, am Hauſe eine große Bereicherung der Pflanzengeſtalten des einzelnen
Gartens darſtellen
würden: um ſo mehr,
als man durch ver—
ſchieden hohe Boden—
lage in den Waſſer—
becken alle Stand—
ortsbedingungen für
die Pflanzen der
Feuchtigkeit aller
Grade ſchaffen kann,
auch durch flach auf
dem Waſſer ruhende
und darüber hinaus—
wachſende in abge—
meſſenem Rhythmus
oder in freier Ent—
faltung alle die Zier—
wirkungen erreichen
kann, welche man mit
Erdbeeten erſtrebt.
Will man in einem
Beet Waſſer⸗- und
Sumpfpflanzen ver—
einen, ſo ſchafft man
für letztere durch Quer—
wände mittels durch—
brochener Ziegelſteine
das nötige Erdbereich.
Herſtellung der Beete
am beſten aus Beton
mit Ablaßvorrichtung.
Im Winter: Laube.
beſchüttung; darüber
Fichtenreiſig. Gegen Abb. 66. Bachufer im Parkgarten mit reichem Pflanzenwuchs. Der Stufenweg aus
Mücken: einige Fi Hauſteinen deutet an, daß die Stelle unter der Pflege der Menſchenhand ſteht.
uden: einige Fiſche (Madresfield Court.) (Phot. H. N. King, Hofphotograph, London.)
88 3. Abſchnitt.
aus dem Karpfengeſchlecht oder Stichlinge. (Die Beläſtigung durch Mücken infolge
eines Waſſerbeetes wird gewaltig überſchätzt.)
Ca. Offene, ſonnige Bäche, auch frei-natürliche Abflüſſe von gebauten
Rinnſalen.
Zwiſchen niedrigen Krautpflanzen ſtehen einige locker geſtellte Sträucher, die,
auch von ferne geſehen, den Bachlauf zeigen und die räumliche Gliederung geben, den
Zuſammenhang mit den höheren Baum- und Strauchmaſſen der Umgebung herſtellen.
J. Bachufer-Pflanzen für kleine Rinnſale, Quell-Ränder,
ſickernde Waſſeradern: |
1. Forſythia, Forsythia suspénsa, überhängend früh blühend, einzeln
oder in lockerer Stellung; darunter gelbe Narziſſen, Narcissus pseudo-
nareissus, nicht weit davon gelbe Tulpen auf dem mehr trockenen Gelände.
Zwiſchen Narziſſen der Feuchtigkeit liebende Königsfarn, Osmünda regälis,
welcher die welkenden Narziſſenblätter verdeckt, und Waldfarne, Strutiöpteris
germänica, Aspidium aculeätum (faſt immergrün) — fo daß die Farne und
Narziſſen und Tulpen immer auf der Schattenſeite der Forſythien ſtehen.
2. Goldranunkel, Trollius, nur in Gartenſorten, welche alle gelbe
Tönungen haben; am Rande dieſer Kolonien und ſo verteilt, daß zur Blütezeit der
Bachlauf ein blaues Band bildet: Vergißmeinnicht, Myosötis semperflörens
in der Gartenſorte Stabiäna. Mit ihr kann Cältha palustris in der Garten—
ſorte monströsa ins Waſſer hineinwachſen. Alle genannten vertragen Rückſchnitt
nach der Blüte und gelegentliche Einſchränkung ihres Wachstums.
3. Roſaprimel, Primula rösea (mit Beigabe von Moorerde zu pflanzen);
auf kleinen Gelände-Erhöhungen buſchige, durch Rückſchnitt vor Verwilderung be—
wahrte und reicher blühende Prünus triloba und Prünus tomentösa. Hier
iſt auch zur Gliederung und Struktur einmal ein über dem Boden wenig hervor—
ragender Stein von guter Wirkung, der zu den Steinen im Bachbett in Beziehung ſteht.
4. Funkie, Funkia, in kleineren grün- und weißblättrigen Gartenſorten;
ſie ſtehen beſonders gut frei, z. B. an einem Stein oder in größeren Mengen dort,
wo eine dauernd gleichbleibende Wirkung erwünſcht iſt, auch zur Trennung von
Farben⸗Gruppen, z. B. zwiſchen Gelb (1., 2.) und Roſa (3.).
5. Iris ſind gleichfalls von dauernd ſauberer Wirkung durch ihr ſchönes
Blattwerk und als Phyſiognomie unentbehrlich am ſonnigen Bachlauf. Sie ſtehen
einzeln oder in kleineren Gruppen, aber ſo zahlreich, daß ſie, wie die Vergißmeinnicht
mit der Farbe, mit ihrem Blattwerk den ganzen Bachlauf kennzeichnen.
Wer einmal Talwieſen-Bäche geſehen hat, wie fie ihr blühend blaues Band
mit Silberſchaum durch die grünen Matten weben, den läßt die Erinnerung daran
nicht frei, und er will das im Garten haben, wo ein Bächlein rinnt, und er weiß
dann: Einheitlichkeit der Farbe und Form iſt ein ſtarkes Mittel der Wirkung und
ruhevollen Genießens; tauſend Vergißmeinnicht, tauſend Roſaprimeln ſind ihm mehr
als tauſend Pflanzen verſchiedener Art, und in den tauſend Vergißmeinnichten und
Primeln iſt alles andere, ſtandorts-phyſiognomiſch dazu Paſſende nur juwelenartig
auf dem einheitlichen Farbenband eingeſtickt, und die Sträucher ſind wie gelegent—
Die Pflanzen. 89
liche Schleifen des Bandes. Das hier am Beiſpiel Geſagte gilt mit den nötigen
Veränderungen allgemein.
So können auch Pflanzen formen, unabhängig von der Blüte und deren Farbe,
einheitlich zuſammenpaſſend und phyſiognomiſch betonend wirken, — hier die Iris.
Japaniſche Sumpf-Schwertlilie, J. Ka&mpferi, fordert Winter—
bedeckung, feuchten, ſelbſt überfluteten, aber luftreichen Boden; alſo in ein nährſtoff—
reiches, aber geröllhaltiges Erdgemiſch zu pflanzen. Hier nur als Einzelſchönheit und
Vertretung des Iris-Typus im Waſſer. Am trockenen Ufer: I. germanica. Sie
Abb. 67. Glyzine in warmer Lage (Teneriffa) als Beiſpiel zur Verwendung von Lianen an gebautem Standort.
(Phot. Willy Lange.)
iſt eine Anpaſſung des Typus Schwertlilie an trockene Standorte (im Süden ſogar
auf Mauern, wie ja viele Waſſerpflanzen Trockenheits-Anpaſſungen in ihrer Tracht
zeigen aus bekannten phyſiologiſchen Gründen). Unſere Vorſtellung, von der heimiſchen
Sumpf-⸗ Schwertlilie hergeleitet, ſchließt aber aus ihrer Schwertlilien-Phyſiognomie
auf Durſt! Die künſtleriſche Anwendung, welche von botaniſchem Wiſſen unabhängig
iſt, muß im Sinne einer Harmonie von Phyſiognomie und Standort daher der Iris
einen ſolchen Wohnort geben, der feucht ſcheint, ohne es zu ſein; die höheren Ufer—
ſtellen ſind alſo in jedem Sinne geeignet.
Zahlreich ſind beſte Gartenſorten: früh, mittelfrüh und ſpät blühend, hoch und
halbhoch. Da die Phyſiognomie immer einheitlich iſt, kann trotz der Sortenfülle
auch auf kleinem Raum keine Unruhe entſtehen. Hier kann man alſo, ohne das
90 3. Abſchnitt.
einheitliche Naturmotiv zu ſtören, der Mannigfaltigkeitsfreude ſolgen. Die ver—
ſchiedenen Wuchshöhen geſtatten eine wechſelvolle Anordnung unter Hinzunahme der
kleinſten Iris pümila, deren Kreuzungen mit der vorigen eine Mittelhöhe in Wuchs
und Blütezeit ſchuf: Iris interregna. Selbſt eine ganze Iris-Sammlung kann
durch die Beziehung zu einem Waſſerlauf nur gewinnen; die Schönheit und der
Sortenreichtum erlauben es, eine Sonderliebhaberei aus ihrer Pflege zu machen.
6. Iris sibiriea — gleichfalls nicht zu naſſen Standort liebend — iſt in der
vorigen Zuſammenſtellung ausgeſchloſſen worden, weil ihre Phyſiognomie ſie für die
künſtleriſche Anſchauung und Verwendung mehr zu dem Typus der Ufer-Gräſer
geſellt. Dieſer Typus ſteht gut zwiſchen Funkien und einzeln. Bei kleinen Rinnſalen
genügt ein ſolcher üppiger
Grastypus auch, um eine
Biegung des Laufes zu
begründen. Für kleine
Rinnſale — wo ja die
geſamten Verhältniſſe
kleiner ſind und die
Pflanzen ſich gegenüber
der Menge des Waſſers
in ihrer Größe beſcheiden
müſſen!) — ſind zu
9 — 2 empfehlen: Glyceria
178 spectäbilis, Typha
name. ina, Daneus
U wee zehrinus,CQyperus
N maximus, Cyperus
alternifölius (aus
Abb. 68. „Kletterroſen“ an ein Eiſengeſtell gezwungen; als Beiſpiel der Ver— Gewächshäuſern 4 En
gewaltigung einer Pflanze an gebautem Standort. (Phot. Willy Lange.) überwintert, alljährlich
auszupflanzen); alle ver-
tragen Überflutung. — (An ſehr trockenen Uferſtellen, wo die Feuchtigkeits-Phyſiognomie
aus beſonderem Grunde erwünſcht iſt: Elymus glaucus, Strandhafer, und
Phälaris arundinäcea fol. var., Bandgras, auch Cärex japönica
f0 l. vär.) — Für kleinſte Beſchränkungen kann Iris sibirica allein den Gräſer—
Typus vertreten. — Auch Tradescäntia virginica in Edelſorten kann im
Sinne von Iris sibirica verwendet werden.
So haben wir mit lebenden Pflanzen ein Bachbild gemalt; auch der Land—
ſchaftsmaler würde nicht mehr Typen und Phyſiognomien auf einem kleinen Natur—
Ausſchnitt vereinigen, weil Klarheit, Gliederung, Zuſammenhalten der Farben und
deutlicher Ausdruck auf einem Bilde ſo wichtig ſind, wenn es nicht nur eine Häufung
) Dies ſchließt nicht aus, daß man auch bei wenig Waſſer oder ſelbſt nur in Boden—
tiefungen durch Anſiedelung großer Feuchtigkeits-Phyſiognomien ſtarke Wirkungen hervorrufen kann;
dann ſind aber auch die übrigen Ausmaße des Gebietes größer als in dem Beiſpiel, welches hier
gedacht iſt: kleiner Bachlauf in kleinem Gartengebiet für nahe Wirkung.
Die Pflanzen. 91
von Einzelheiten darſtellen ſoll. Hiernach muß auch in Gartenbildern geſtrebt werden,
weil hier aus der Betrachtung der lebendigen Dinge erſt ein inneres Bild von
uns gewonnen werden muß.
Viel, viel mehr Pflanzen gibt es noch, die man zu kleinen Gruppen zuſammen—
ſtellen könnte; aber mehr in einem Gartenblick zu vereinigen, iſt nicht ratſam. Wir
wollen die folgenden Arten, weil ſie uns häufig zur Verfügung ſtehen, daher nur
als Erſatz für die eine oder andere der vorherſtehenden betrachten oder aber mit
ihnen ganz andere Bachbilder malen. — a) Montbrétia crocosmiaeflöra
kann in größeren Mengen, dicht beieinander den Typus Ufergräſer vertreten, etwa
1 2
2 2 957%
7 Pi; —
Abb. 69. Pergola mit Edelwein in Teneriffa. Als Beiſpiel einer Liane im „Haus pflanzencharakter“ an gebautem
Standort. (Phot. Willy Lange.)
wie Iris sibirica. — b) Farne aller Art find hier, im Schatten von Sträuchern,
brauchbar. — c) Als Sträucher kommen in Betracht, an Stelle von Forſythia:
Ribes sanguineum, Chionänthus virginica, Weigelia in Garten—
ſorten, Spiräea argüta, feinſte weißblühende (Mai), Sp. Bumälda »Walluf«
als niedrige Halbſtrauchſtaude, auch „tonangebend“ in kleinſten Verhältniſſen; Rösa
multiflöra: »Belle de Baltimore«, »Helene<«, »Rubin«, »Leucht-
stern«, Prünus Pissärdi, Pirus floribünda und spectäbilis in Garten—
ſorten, Kerria japönica, Kälmia angustifölia, Däphne mezeréum,
Deützia gräcilis (wie Spiraea Bumalda »Walluf« zu verwenden), Deutzia
crenäta »Pride of Rochester:, Bérberis vulgäris atropurpürea. —
d) Béllis per&nnis, Maßlieb. — e) Campänula carpäthica. — f) Hepä-
tica triloba (zu 7.), Leberblümchen. — g) Ib&eris sempervirens Gu 7.).—
b) Primula japönica, véris, elätior, acaülis (zu 1., 2.). — j) Viola
92 3. Abſchnitt.
odoräta (zwiſchen Primula elätior und einzeln gejtellten Farnen). — k) Seilla
sibirica mit Primula elätior und einzeln verteilten Farnen bilden farbenfrohe
Horſte zwiſchen 1. und 2. — |) Oxalis, Sauerklee, und Anemöne nemorösa,
Windröschen, wirken beſcheiden unter Gebüſch grünend. — m) Anemöne ja-
pönica einzeln in Gartenſorten. — Als Lianen an Sträuchern kommen hier nur
in Betracht: Ipoma6a, Tropa&olun mäjus, Latyrus odorätus.
Wo grüne Winterwirkung wichtig iſt, können
7. die Sträucher des Bachbildes vertreten werden durch Ligüstrum ovali-
folium, Liguſter, Tsuga canadensis, kanadiſche Fichte, die mit ihrem
buſchig hängenden Wuchs ſich gut in alle Raumlinien fügt; Mahönia aqui—
folium, Mahonie, Cotoneäster pyracäntha und multiflöra, welche
mit überhängenden Fruchtzweigen leuchten. Als Bodendeckung kommt dann klein—
blättriger Efeu (Hédera Helix) und Immergrün, Vinca minor, in Be—
tracht, in Horſten zwiſchen dieſen Schneeglöckchen (Galänthus nivälis und
Elvesii).
Als neutrale Bodendeckung ſei auch hier ganz allgemein Sedum spürium
empfohlen, wo nicht andere niedrige Pflanzen der genannten Arten eine beſondere
Bodendeckung überflüſſig machen.
II. Bachuferpflanzen für größere Rinnſale und größere Raum—
wirkungen.
Als Bodendeckung wirkt hier kleinblättriger Efeu, in Horſten abwechſelnd
mit Immergrün (V. minor) ruhig, einheitlich. Die kleineren der folgenden
Pflanzen ſtehen in Horſten dazwiſchen: Seilla, Galänthus, Tulpen, Anemone
japonica, Funkia, Tröllius, Primula elätior.
Als Sträucher kommen zur Verwendung neben den unter A. genannten: Sälix
cäprea, Salweide, nur in der männlichen, goldgelb blühenden Form. Sälix
pendula nôva, nur buſchige Trauerweiden (nie im Bachbild nach Natur—
motiven hochſtämmige „Trauerbäume“ pflanzen! ſie haben gekünſtelten Ziergarten—
Charakter). Silberpappel und Erle nur in ſehr großen Raumverhältniſſen. —
Magnolien in allen Gartenſorten: man ſollte ſich doch bewußt werden, welche
— für unſer Klima-Gefühl faſt überirdiſche — Schönheit wir durch zahl- und
ſortenreiche Pflanzung von Magnolien im Garten haben können; beſonders, wenn
ſie einen Bachlauf begleiten oder ein Ufer umſtehen, iſt eine tief geheimnisvolle, aber
tief empfundene Harmonie von Standort und Pflanze geſchaffen. Vergißt man nicht,
die billigeren, niedrigeren Magnolia stellata als räumliche Verbindung zwiſchen
die größeren Sorten zu verteilen, ſo hat man die Melodie des Magnolienliedes
gleichſam in zwei Tonarten hintereinander; wenn auch Magnolien immer noch teuer
ſind, ſo iſt doch eine Ausgabe von 200 Mark, wo ſie möglich iſt und wo der Wert
zur Geltung kommt, ſo gering gegenüber der Freude, die jährlich nicht nur Zinſen
trägt, ſondern bald den Kapitalwert verdoppelt. Wir ſparen wirklich am falſchen
Ende, wenn wir Pflanzenſchönheit ſparen, und viele geben für weniger treue, viel
vergänglichere Schönheit viel mehr aus! Durch die Winterdeckung braucht man ſich
ebenſowenig abſchrecken zu laſſen; wenn ſie ſtatt mit häßlichen Strohpuppen mit
Die Pflanzen. 93
Schilf gemacht wird, wie unſer Bild 70 zeigt, jo bereichern wir geradezu durch eine
neue maleriſche Schönheit unſern Garten und geben den Vögeln dazu noch ſchützende
Winterherberge. Beſonders gut iſt es, wenn wir etwas Schilf, Phragmites
communis, nicht gar zu fern von den Magnolien anſiedeln. Ferner kommen zur
Wahl: Pawlöwnia imperiälis mit den größten Baumblättern, die unſer Klima
noch hervorzubringen vermag; ferner Catälpa, Rhus. — Der Typus der Ufer—
gräſer wird vertreten durch Acorus Cälamus, Kalmus, neben Iris pseudä-
Abb. 70. Magnolien, mit Schilf gedeckt, in der Nähe des Waſſers. (Im Hintergrund Erlen mit Hopfen berankt.)
Im kgl. botaniſchen Garten zu Dahlem. (Phot. Willy Lange.)
corus, der Schilflilie mit den unter Ca 5, 6 genannten kleineren Arten. — Weitere
große Pflanzen und Gruppen größerer Ausdehnung mit der Phyſiognomie der Ufer—
gewächſe: Rhabarber, Rheum offieinäle und palmätum tangütinum mit
roten Blüten; nur erſterer in Gartenſorten eßbar. Nicht an zu naſſer Stelle, von
kleinblättrigem Efeu unterpflanzt. — Petasites, Huflatticharten, ſehr wuchernd,
aber maleriſch. — Cucürbita pépo, der Speiſekürbis, wird in ſolcher Geſell—
ſchaft als heimiſch glaubhaft; natürlich nicht an naſſen Stellen zu pflanzen. —
Alisma plantägo, Froſchlöffel, und Sagittäria sagittifölia, Pfeilkraut,
mit Bütomus umbellätus ſind in die Nähe der Ufergräſer zu ſtellen. — Wer
die Möglichkeit froſtfreier Überwinterung hat, kann exotiſche Sagittäria-Arten,
wie fie der Katalog von Henkel-Darmſtadt verzeichnet, und Calla aethiöpica hier
94 3. Abſchnitt.
pflanzen, letztere umpflanzt mit Mengen unſerer heimiſchen Calla palüstris. (Calla
aethiopica kennen wir faſt nur als Winterblume, weil wir ihre Vegetationszeit ver—
ſchoben haben; wir könnten ſie aber leicht ruhend überwintern und durch ihre Pracht
den Garten zieren.) — Hemerocallis- Arten können nur in Verbindung mit der
Vorſtellung feuchten Standortes ihre Phyſiognomie zu uns ſprechen laſſen.
Ebenſo Gladiolus in vielen Gartenſorten der neueſten Edelzüchtungen; ſie können
zu verſchiedener Zeit gepflanzt werden, und da dies erſt geſchieht, wenn die Vegetation
der winterharten Pflanzen ſchon vorgeſchritten iſt, eignen ſie ſich vortrefflich zur nach—
träglichen Ergänzung und zur Verbeſſerung kleiner Fehler in der Raumwirkung. —
Auch einfache Georginen — aber nur einfache, weil die gefüllten Hausgarten—
Charakter haben — ſind in räumlich ausgedehnten Bachbildern weithin leuchtend
in Verbindung mit anderen kräftigen Phyſiognomien. — Polygonum sacha—
linense, wuchernd, nur für ganz freie, halbwilde Verhältniſſe; für gepflegte
Orte P. polystächium, mit ſchöner Herbſtblüte, die vor rotem Herbſtlaub be—
ſonders leuchtet, alſo neben Rhus, Viburnum zu ſetzen. — Senécio Wilsoniänus,
Spiraèéa in den großen Stauden-Edelſorten, weiß, gelblich und roſa. Actaéa,
Fünkia in großblättrigen Sorten. Leucänthemum mäximum, die große
Sommer-Marguerite. An Steinen, nicht zu naß, Méegaséa in roſa und weißen
Gartenſorten zuſammen. — Verönica, große Ehrenpreisarten in Gartenſorten. —
Heracléum barbätum, das ausdauernde Herkuleskraut, und andere große
Doldenblüter. — Die unter A. genannten niedrigen Stauden und Farne können hier
in Maſſen- und Flächenwirkungen auftreten. Als Lianen an Erlen Hopfen; an
Sträuchern Clemätis vitälba (auch an großen Buſchbäumen), Brombeeren,
Zaunwinde (Gonvölvulus sépium) neben den unter Ca 6 genannten. Beſonders
Tropäeolum mäjus eignet ſich auch zur blühenden Begrünung weiter Strecken.
b. Beſchattete Bäche und Abflüſſe.
Wo die Geſamtheit oder größere Teile eines Bachlaufes unter dem Einfluß
voll Schlagſchatten ſtehen, kommen nur Pflanzen mit kurzer Frühlingswachstumszeit
zur Anwendung und außerdem Farne, Efeu, Immergrün; „Blattpflanzen“ (Fünkia,
Rheum u. a.), von Sträuchern ſolche, auf deren Blüte wenig Wert gelegt wird:
Ribes alpinum, Spiräea sorbifölia, Mahönia und die auf Seite 92 unter 7 ge
nannten. Die Beſchattung bedeutet für die Geſamtheit einer Gartengenoſſenſchaft
immer eine Verringerung des Blütenreichtums. (Auch die für Schatten empfohlenen
ſchön blühenden Sommer- und Herbſtſtauden und Sträucher blühen in der Sonne
beſſer. Es ſind biologiſche Gründe, welche Schatten und Blumenſchönheit im all—
gemeinen in der Natur als Gegenſätze erſcheinen laſſen.)
D. Gebaute Rinnſale.
Wenn die gemauerten Ränder nicht über das danebenliegende Erdreich hervor—
ragen, iſt die natürliche Beziehung zwiſchen „Waſſer“ und „Pflanze“ leichter gegeben,
als wenn höhere Mauerränder beide trennen. In dieſem letzten Falle iſt man in der
Wahl der Pflanzen von den Beziehungen zum Waſſer ganz unabhängig. Doch wird
immerhin eine geiſtige Beziehung leicht geknüpft, und es iſt nichts dagegen zu ſagen,
Die Pflanzen. ö 95
wenn Becken, Fontänen, Brunnen und Brunnen-Abflüſſe von Waſſer-Phyſiognomien
umpflanzt ſind. Aber eben: „umpflanzt“, ſelten, und nur in feiner, künſtleriſcher
Abwägung „umwachſen“. Wie das Waſſer ſelbſt durch feſte Ränder gebunden iſt,
ſo ſollen hier auch unter den Feuchtigkeits-Phyſiognomien der Pflanzen die aus—
gewählt werden, welche mehr geſchloſſenen Wuchs zeigen und kein ſtärkeres Feuchtig—
keitsbedürfnis haben, als daß es ſich
in gutem Gartenboden leicht befrie—
digen läßt. Es kommen alſo unter
den vorhergenannten Arten und
anderen beſonders die in Betracht,
welche neben ihrer Feuchtigkeits-Phy⸗
ſiognomie ſich deutlichen Garten—
pflanzen-Charakter erworben
haben: Edle, ſauber wachſende Far—
ne, Rhabarber, Trollblume,
Typha minima, Gartenſorten von
Iris, beſonders auch sibirica als
Vertreter des Grastypus (vgl. oben!).
— Gladiolen, Calla aethiö-
pica, Bambus-Arten, Cypeèrus,
Phörmium tenax (froſtfrei zu
überwintern). — Garten-Vergiß—
meinnicht, Gartenſtauden-Spi—
räen in neueſten Züchtungen, Ane-
möne japönica, Actaèa ja-
pönica, Funkie, auch in bunten
Sorten, Hemerocällis in Edel—
ſorten, Negaséa, dicht an die Rän-
der angedrückt, Günera scäbra,
Tradescäntia virginica. —
Von Sträuchern: Forſythia (Sä-
lix pendula nova) (nicht Magno—
lia, die im Garten nach Baugedanken
anders zu verwenden iſt; ſiehe Ab—
ſchnitt: „Ebene Standorte.“) —
Abb. 71. Spiralige Leitung von Efeu um eine runde Säule,
Tsuga canadensis. im Sinne menſchlich⸗architektoniſcher Verzierungskunſt.
Alle werden ſo frei geſtellt, (Phot. Willy Lange.)
daß ſie ihren Wuchs vollkommen auf—
und ausbauen können. Es handelt ſich hier alſo nicht um geſchloſſene Wachstums—
bilder, ſondern um Darſtellung von Einzelſchönheiten, die durch das geiſtige Band
der Beziehung zum Waſſer vereint ſind. Die „Idee“ wird ſtiliſiert dargeſtellt. Darum
muß auch die Bodendeckung zwiſchen den einzelnen ziemlich frei ſtehenden Pflanzen
oder Pflanzengruppen (zu drei, fünf und mehr einer Art, z. B. Gladiolen, Iris, Calla)
ruhig, gleichmäßig ſein: Sedum spürium oder in ganz kleinen Verhältniſſen: moos—
96 3. Abſchnitt.
artig wirkende Steinbrech-Arten, Saxifraga. Endlich im Schatten kleinblättriger,
niedergehaltener und im Zaume gehaltener Efeu. (Die Bepflanzung der Randmauern
ſelbſt, wenn deren Fugen ſie zulaſſen, iſt im Abſchnitt über „Trockenmauerwerk“
nachzuleſen.)
E. Ufer mit nährſtoffreichem Boden.
ac. Uferpflanzungen ohne höhere Gehölze umfaſſen dort, wo eine gelegentliche
Überflutung jtattfindet oder das Gelände feucht iſt, unſere deutſchen Sumpf—
waſſer⸗ und Feuchtigkeitsarten. Wenn man die ſchönſten deutſchen krautigen Pflanzen
mit edelem Wuchs und Blüte auswählt und vereinigt, was die deutſche Natur an Schön—
heiten über weite Gebiete verteilt hat, ſo entſteht ſchon dadurch eine Steigerung, eine
künſtleriſche Wirkung. Da alle dieſe Arten durch eine gemeinſame, ausgeprägte Phyſio—
gnomie die Folge des eigenartigen Standortes vereinigt ſind, ſo kann nicht leicht
*
\
Süden. Norden.
Abb. 72. Tulpenbeet mit ungleichmäßiger Blütezeit infolge verſchiedener Erwärmung der beiden Hälften
durch die Sonne. Im Kgl. botaniſchen Garten zu Dahlem. (Phot. Nebelung.)
Unruhe entſtehen. Für den Park und größere ans freie Ufer tretende Gärten und
für die landſchaftliche Verſchönerung neu geſchaffener Ufer iſt alſo die Wahl nicht
ſchwierig, wenn die Wirkung nicht mehr ſein ſoll als die kultivierter Natur.
* *
*
aß. Wenn es die Raumwirkungen erlauben, können folgende Gehölze gepflanzt
werden: Sälix vitellina und Salix v. brizensis, Salix babylönica; letztere
nicht einzeln, ſondern zu mehreren, unter großen landſchaftlichen Verhältniſſen ſo
viele, daß ganze Uferſtrecken durch ſie ihre Phyſiognomie erhalten. Höher am Ufer
Populus älba und argentea, nigra, beide nur in ganz großen, auf Fern—
wirkung berechneten Verhältniſſen. Populus itälica pyramidälis vereinigt ſich
gut in Gemeinſchaftswirkung mit Sälix babylönica. Die Gemeinſchaftswirkung
iſt ein weſentliches Mittel zu ſtarkem, geſchloſſenem, üppigem Eindruck; ſie wird er—
reicht durch Zuſammenpflanzen geeigneter Arten an gemeinſamer Urſprungsſtelle,
alſo durch Vereinigung mehrerer in einem Pflanzloch. Nach einigen Jahren des
Anwachſens können Hopfen, Goldhopfen, Clemätis vitälba, Wildwein und
Lange, Der Garten
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(Phot. Willy Lange.)
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Die Pflanzen. 97
Efeu in den Gemeinſchaftspflanzungen angeſiedelt werden. Älnus glutinösa und
Efeu, an trockeneren Stellen Haſel und Salweiden können eingeſprengt werden.
* *
Soll die Uferpflanzung bei räumlich beſchränkten Verhältniſſen einen mehr
gartenmäßigen Eindruck machen, ſo iſt die krautige Geſellſchaft der Waſſer- und
Feuchtigkeitsarten in
dem Sinne zu wählen,
wie es beim „Waſſer“
geſchildert iſt und bei
der Bepflanzung der
Bäche dargeſtellt
wurde. Dann kom—
men auch von den
dort genannten klei—
neren Gehölzen be—
ſonders Forsythia,
Ribes sangui—
neum, ferner Gold—
regen hinzu. Mag—
nolien, Rhus, Ca—
tälpa ſeien hier noch—
mals erwähnt.
* 0 *
b. Sind die Ufer
durch Befeſtigungen
ſcharf begrenzt, alſo
trocken, nur in der
Tiefe feucht, ſo beſteht
faſt keine Beeinfluſ—
ſung des Standortes
am Ufer durch das
Waſſer; aber die
Gedankenverbindung
zwiſchen,Waſſerufer“
und „Pflanze“ bleibt
beſtehen. Wir pflanzen
daher diejenigen Ar-
Abb. 73. Sedum maximum auf der Sonnenſeite eines berantten Spaliers, welches
ten, welche den „Stil einen Gartenteil abgrenzt. Im italieniſchen Garten zu Sansſouci.
Phot. Willy L .)
der Uferpflanzen“ am (Phot. Willy Lange
ſtrengſten zum Ausdruck bringen: Iris sibirica, Bambüsa, Cälla aethiöpica,
Montbretia, Tritöma Uväria, Iris germänica, furz: die, welche für gebaute
Rinnſale S. 94 empfohlen ſind. Baluſtraden, Schutzmauern, Geländer geben Ge—
legenheit zur Anpflanzung von Kletterpflanzen; über die Mauern hängen herab:
Wildwein, Clemätis, Efeu. Eine einzelne Trauerweide kann dicht an der
Lange, Der Garten. 7
98 3. Abſchnitt.
Abb. 74. Breitblättriger Rohrkolben (Typha latifölia) an feuchtem Ufer. (Phot. Max Hesdörffer).
Baluſtrade, Mauer ſtehen und ſich über das Waſſer neigen. Vor der Anpflanzung
von Trauereſchen iſt zu warnen, weil ſie jahrelang mit ihrer künſtlich erzeugten Form
das quellend-üppige Wachstumsbild ſtören.
Wenn das Ufer gemauert iſt, ſo braucht doch das Waſſer am Rande nicht
ohne Pflanzen zu ſein, wenn dieſen nicht Bootsverkehr oder Wellenſchlag hinderlich
ſind: an einzelnen Stellen wird der Ufergrund ſo erhöht, daß ſich Schilfmaſſen,
Seeroſen, Rohrkolben pflanzen laſſen. Auch kann man am Ufer ſchwimmende
Schilfmaſſen feſtpfählen.
F, Waſſerbeckenböſchungen.
Waſſerbeckenböſchungen werden als gebaute Standorte entweder nach Motiven
der Natur bepflanzt, alſo ſo, wie es eben bei „Ufern“ geſchildert iſt. Der Standorts—
zuſtand iſt ja unabhängig von der Form, die er beſitzt. Wenn man ſich deſſen
erinnert, was auf S. 76 geſagt wurde, wird dieſer kurze Hinweis verſtändlich ſein.
Oder man führt den Baugedanken der Böſchung weiter in der Pflanzung; dann
kommen weitere zwei grundſätzliche Möglichkeiten in Betracht: einerſeits können wir
die Böſchung als den weſentlich charakteriſtiſchen Standort auffaſſen und die Zu—
ſammenſtellung wählen, welche für „gebaute Böſchungen“ genannt iſt, andererſeits
eine Gedankenverbindung mit dem Waſſer betonen. Wollte man beide Pflanzmotive
anwenden, ſo müßte die Böſchung ſehr hoch ſein, ſo daß man ein ſtarkes Gefühl für
Die Pflanzen. .
„feucht“ in den unteren Teilen und „trocken“ in den oberen Teilen empfindet.“) Für
die Gedankenverbindung mit dem Waſſer wählen wir aus den Pflanzen, welche für
gemauerte Rinnſale genannt ſind; ſie haben die Phyſiognomie der Feuchtigkeits-
pflanzen und einen ornamentalen Charakter.
G. Hügel mit nährſtoffreichem Boden.
a. Lehmſandig mit Kompoſtbeimiſchung, bieten in ſüdlicher Neigung, wenn
ſie nicht von Bäumen beſchattet ſind, Gelegenheit, die warme Lage mit frühblühenden
Pflanzen auszunützen. Handelt es ſich doch darum, in unſerem Klima die Garten—
freude möglichſt durch Wintergrün und Vorfrühlingsſchmuck und ſpäter wieder durch
Herbſtblumen zu verlängern.
Welche Bedeutung die Erwärmung des Bodens durch ſeine Neigung zur Sonnen—
beſtrahlung hat, geht eindringlich hervor aus dem Seite 96 eingeſchalteten Bilde eines
Tulpenbeetes (Abb. 72), deſſen ſüdliche Hälfte blüht, während die nördliche erſt
Knoſpen zeigt.
In großem Umfange kommen ſüdlich geneigte Abhänge ja nur in Parken vor,
weniger in kleinen Gärten. Aber gerade hier muß ein ſolcher Standort von wenigen
5 ) Bei der „künſtleriſchen Wahrheit“ kommt es eben auf die Empfindungen, den Schein
(Aſthetik) mehr an als auf das Sein, die natürliche Wahrheit. Kunſtwahrheit iſt deshalb noch
lange nicht eine „Lüge“, ſo gut wie keine Mutter, die ihren Kindern Märchen erzählt, das Gefühl
hat, Lügen zu ſprechen: in dem Lande, wo das Märchen zu Hauſe iſt, im Lande der Poeſie, iſt
die Erzählung wahr.
Abb. 75. Schilfrohr (Phragmites communis) und Peſtwurz (Petasites officinalis), am Bachufer. (Phot. Max Hesdörffer.)
100 3. Abſchnitt.
Quadratmetern Fläche die Grundlage für ein blühendes Frühlingsbild geben, das
ſich zwanglos in die nächſte Umgebung einfügt und von ihr umrahmt und unterſtützt
wird. Nicht alle der folgenden Pflanzen ſollen an einem ſolchen Sonnenplätzchen
auftreten; das würde zu bunt und unruhig wirken und die naturgemäße Harm—
loſigkeit vermiſſen laſſen. Wo aber größere Flächen zur Verfügung ſtehen, können
die ſchönſten, liebſten unter ihnen größere Kolonien bilden und einander mit Vor—
poſten durchdringen. . N
b. Bei ſolchen größeren Abhängen wird dann auch der Unterſchied zwiſchen
ſtrauchloſen und mit einzelnen Sträuchern beſetzten Abhängen ſich verwiſchen, da zur
Gliederung und Raumwirkung einige Sträucher Bedürfnis werden. Gleichfalls zur
Unterbrechung ſind einige nur flach über den Abhangboden hervorragende, möglichſt
glatte Findlingsſteine angenehm, und ein naturkundiger Bodenplaſtiker wird innerhalb
des Abhanges Erhöhungen (die in den Steinen ihre Höhepunkte finden) und Ver—
tiefungen herausarbeiten. Hieraus folgt dann wieder, daß das Profil des Abhanges
wechſelvoll wird. Da nun das Pflanzenwachstum dieſe Bodenplaſtik teilweiſe ver-
wiſcht, kann ſie bei der Herſtellung etwas übertrieben werden: die höheren Pflanzen
werden dann an dem höheren Rücken angeordnet, die niederen in den Tiefen —
aber auch darin muß Wechſel ſtattfinden. Jede Ausführung, die nicht vermag,
ſich über die Regel zu erheben, iſt vom Übel; erſt der freie Vortrag läßt
ein Gedicht zur Wirkung kommen. Gerade größere Abhänge laſſen abſichtsvolle und
abgeſtimmte Farbenwirkungen in der Pflanzung voll und leuchtend zur Geltung kommen.
Ganz allgemein geſprochen gehören hierher: Zwiebelpflanzen, Roſettenpflanzen,
Polſterpflanzen, zweijährige, ferner alle mit Lichtſchutz- und Verdunſtungsſchutz⸗—
vorrichtungen verſehenen, ferner dornige, zwergige, niederliegende. So mannigfach
die Phyſiognomien ſind, ſo werden ſie doch alle bedingt durch das Leben in Sonne
und Sommertrockenheit; alſo paſſen viele der Felſen- und Hügelpflanzen der Natur
hierher.
Jede Erquälung von „Raſen“ an ſonnigen Abhängen iſt wider die Natur und
läſtig. Es gibt genug Pflanzen, die hier niedrig, farbig, blütenfroh, naturgemäß
teppichartig wachſend, hergehören, alſo viel ſchöner ſind als Raſen. Wenn ich ſie
zuerſt nenne, weil ſie das lebendige Grundgewebe bilden, aus dem alles andere hervor—
ſprießt, jo werden fie doch zuletzt gepflanzt. Allen voran Sédum spürium als
neutrale Maſſe (vgl. S. 78). Ferner dort, wo ſie nicht von Sedum und anderen
Pflanzen überwuchert werden: Arméria maritima, Strandnelke; dieſe als Einfaſſungs—
pflanze in ländlichen Gärten viel angewandte Pflanze iſt von dort her leicht maſſen—
haft bei Gelegenheit zu erwerben und kann an „ungünſtigen“ Stellen (vgl. oben)
einzeln und in Trupps ſtehen. Thymus villösus, blaugrauer, filzigmooſiger Thymian,
an recht ſonnigen, mageren Stellen und nur für größere Flächen, ſo, daß er von
anderen Pflanzen nicht beſchattet wird; beſonders auch geeignet, einzelne Steine,
zwiſchen die er gepflanzt wird, raſch „zuſammenwachſen“ zu laſſen. Saxifraga
caespitösa, Raſenſteinbrech, grün, teils moosartig, gleichfalls zwiſchen Steinen. —
An recht abhängigen Stellen, mit Beimiſchung von Gartenerde kann Erica cärnea,
Die Pflanzen. 101
Frühlingsheidekraut, gepflanzt werden. (Callüna vulgäris, Herbſtheidekraut, wirkt
in Mengen, die für ſie eigentümlich ſind, zu wild und bringt große Enttäuſchungen,
weshalb ich bei allen gartenmäßigen Wirkungen von ihr abrate.)
Alle genannten, niedrig teppichartigen Pflanzen ſind grünlich bis friſchgrün im
Gegenſatz zu den beiden folgenden Arten; es iſt aber wichtig, die ähnlichen Farben—
maſſen zuſammenzuhalten, alſo grünliche und weißliche nicht durcheinander zu pflanzen.
Höhere weißliche Pflanzen erhalten alſo auch weißliche als Bodendeckung, und die
höheren grünen kommen auf den grünlichen Teppich. Übergänge zwiſchen beiden
Abb. 76. Das echte Mädeſüß (Spiräea [Filipendula] ulmäria) und Farne am Gebüfchrande, (Phot. Max Hesdörffer.)
Gegenſätzen bilden die blaugrünen, blaugrauen Arten. Der künſtleriſche, d. h. alſo
empfindbare Eindruck lebendiger Wechſelwirkung von Standortszuſtand und Pflanzen—
phyſiognomie muß hinreichend klar ſein und iſt wichtiger als der gedankenmäßige
wiſſenſchaftliche Nachweis, daß eben die Pflanzenwelt verſchiedene Mittel der
Anpaſſung an einen beſtimmten Standort hat. Einzelne weißliche Pflanzen zwiſchen
grünlichen und umgekehrt verderben die Empfindung von Urſache und Wirkung
vollſtändig. Die „Gegenſätzlichkeit“ als abſichtsvolles Wirkungsmittel ſteckt aber vielen
Pflanzern von der geometriſchen Ziergärtnerei her noch im Blute. Als weißliche
Bodendeckungspflanzen ſeien genannt: Antennäria tomentösa, weißlich, will ſehr frei
und trocken ſtehen, alſo für ſolche Stellen, die ſonſt als „ungünſtig“ gelten. Diänthus
plumärius, Federnelke, läuft gern über Geſtein, auch in den Weg, fällt aber meiſtens
den Mäuſen zum Opfer. ö
102 3. Abſchnitt.
H. Ebene Lagen.
J. Mit allgemein gemiſchten Bodeneigenſchaften ohne einſeitige Eigentümlichkeiten.
a) mit höherem Baumwuchs.
Die in der Überſchrift dieſes Abſchnittes gekennzeichnete Lage erſcheint recht un—
beſtimmt, und man könnte es als unmöglich erachten, für derartig häufige und wenig
beſtimmte Fälle von einem beſonderen Geſichtspunkte aus Pflanzungen auszuführen.
So hat man auch in den meiſten Gärten, ſobald ſie „landſchaftlich“ angelegt
waren, durcheinander gepflanzt, was an Gehölzen ſich gerade bot. Man pflanzte
gewöhnliche Arten vom Standpunkt des Weges aus in das Innere der Gruppen
oder an die Grenze des Gartens, ſo daß hier eine nach dem Garten zu unregelmäßig
begrenzte grüne Wand entſtand, während man die „beſſeren“ Gehölze entweder einzeln
auf den Raſen ſtellte oder als ſogenannte Vorſträucher am Rande der Gruppen ver—
teilte. Dieſe Pflanzungsweiſe iſt das Ergebnis eines für den großen Park urſprüng—
lich richtigen Grundſatzes, der in unendlicher Wiederholung jedoch in kleinen Gärten
zur geiſtloſen Manier führen mußte. Dazu kam, daß die einzelnen Gehölzpflanzen
in den Gruppen einen gleichmäßigen gegenſeitigen Abſtand hatten, daß ſie alljährlich
zur Erhaltung der äußeren Umriſſe geſchnitten wurden und im Intereſſe einer ge—
wiſſen Sauberkeit der Boden zwiſchen ihnen alljährlich umgegraben wurde, ſo daß
die Wurzeln bloßlagen oder zerriſſen.
Mancherlei weitere Übel ſind hiervon die Folge: immer iſt der Boden zwiſchen
den Gehölzen kahl, ſauber nur unmittelbar nach der Aufharkung. Die Frühjahrsſonne
trifft auf den nackten Boden und erwärmt ihn übermäßig, ſo daß die derartig be—
handelten Pflanzungen ſehr frühzeitig antreiben, bald aber infolge der Verletzung
ihrer Wurzeln an Waſſernot leiden und ſchon im Hochſommer einen müden Eindruck
machen, weil ſie eben ihr Wachstum frühzeitig begonnen haben. Das Schlimmſte
bei dieſer Pflanzungsweiſe liegt aber darin, daß eigentlich kein Menſch an ihr Freude
hat und daß ſie uns durch ihr Vorhandenſein um unendliche Schönheiten bringt, die
wir an derſelben Stelle im Garten haben können.
Wie machen wir's nun beſſer? Zunächſt, indem wir uns von der grundſätz—
lichen Form der Gruppenbildung im kleineren Garten und in Gartenteilen, die nach
Naturgedanken gepflanzt ſind, vollſtändig losmachen. Die Natur pflanzt nämlich auch
nur in ziemlich ſeltenen Fällen ſo, daß Gruppen in dem alten landſchaftsgärtneriſchen
Sinne entſtehen. Dies geſchieht ja nur in der natürlichen Auenlandſchaft, wo an
den Flußufern ſich Gruppen beſtimmter Pflanzen, beſonders Erlen, Pappeln, Weiden
anſiedeln, Pflanzenarten, die, ob einzeln oder zu mehreren ſtehend, immer zu einer
rundlich abgeſchloſſenen Form neigen; zwiſchen ihnen befindet ſich dann in der Natur
die Wieſe, auf der urſprünglich des Eisganges wegen, ſpäter wegen des Mähens,
keine Gehölze aufkommen.
Sehen wir von dieſer Gruppenbildung in der Auenlandſchaft ab, ſo zeigt
ſich vielmehr, daß die freien Pflanzungen der Natur keine beſtimmte, irgendwie
in Regeln zu bannende Form annehmen. Hier herrſcht in bezug auf die Form die
allergrößte Freiheit und Unregelmäßigkeit. Beſtimmend für die Anſiedlung der ein—
zelnen Pflanzen und ihre Vergeſellſchaftung ſind vor allem die Lichtzuſtände, die
Die Pflanzen. 103
mit dem Wachstum der Pflanzen ſelbſt dauernd wechſeln, indem die größeren die
kleineren mehr und mehr beſchatten.
Daher können an einer und derſelben Stelle
bald Pflanzen, die dort urſprünglich angeſiedelt waren, allein infolge der veränderten
Lichtverhältniſſe ihr Daſein nicht mehr friſten, ſie gehen zugrunde und überlaſſen
anderen ihre Stelle, die gerade hier in
dem gewordenen Schatten ihr Auskom—
men finden. Einen ähnlichen Vorgang
kann man in alten Parken beobachten,
wo die Gruppen nicht mehr gepflegt
werden, das Meſſer des Gärtners die
ſtarkwüchſigen Arten gegenüber den
ſchwachen nicht mehr zurückhält. In
ſolchen Parken findet man dann ſchließ—
lich nur noch wenige Baumarten er—
halten, in deren Schatten von den ur—
ſprünglichen Sträuchern nur diejenigen
erhalten und maſſenhaft von ſelbſt ver—
mehrt ſind, welche Schatten ertragen;
zwiſchen ihnen hat ſich dann eine wilde
Pflanzengeſellſchaft eingefunden, die oft
ihre hohen Reize hat.
Wir machen uns alſo von der
Vorſtellung los, in Gruppen zu pflan—
zen. Nun iſt ſchon viel gewonnen; denn
wir geben jetzt jedem Baume oder jeder
Pflanze, die ſich zum Baum dereinſt
entwickeln kann, ſo viel Platz, daß er
ſich voll entfalten kann. Wird da nicht
nur für ſehr wenig Bäume im Garten
Platz ſein? Ja, für die Zukunft viel—
leicht nur für einen oder zwei, und da
iſt dann die Entſcheidung nicht immer
leicht. In der Zwiſchenzeit kann man
wohl in der Umgebung des Baumes,
der künftig allein einen beſtimmten
Gartenteil beherrſchen ſoll, mehrere
andere, aber zu ihm paſſende Arten
pflanzen, in dem vollen Bewußtſein, ſie
nach einer Reihe von Jahren allmählich
zu entfernen, und zwar immer dann,
einer Weiſe hinderlich werden können.
Abb. 77. Kleinblumige Königsterze (Verbäscum thäpsus)
als zweijährige Pflanze eingeſprengt zwiſchen niedrigen
Bodendeckungspflanzen. (Phot. Max Hesdörffer.)
wenn ſie dem ſtehenbleibenden in irgend
Den fortwährenden Wechſel, den die Natur
in ihrem Werden und Vergehen uns zeigt, müſſen wir bewußt und planvoll im
Garten wirkſam ſein laſſen; denn ein nach Motiven der Natur geſtalteter Gartenteil
iſt nichts Fertiges und Unveränderliches,
ſondern ein ununterbrochen Werdendes.
104 3. Abſchnitt.
Wir werden uns aber weiter losreißen müſſen von der Vorſtellung, daß für
einen Garten oder Gartenteil kleineren Umfanges gerade die Baumentwicklung das
erſtrebenswerteſte Ziel ſei. Wir werden uns von der Vorſtellung befreien, daß die
ſtarke Wirkung neben und über uns befindlicher grüner Maſſen das Ziel der Garten—
freude darſtellte; wir müſſen uns vielmehr bewußt werden, daß niedrige, flächige,
unter unſerer Augenhöhe befindliche Pflanzenſchönheiten uns viel reicher beſchäftigen
und erfreuen als über uns befindliche Baumwipfel.
Auch die Vorſtellung von dem Wert der Gebüſchmaſſen im Raume haben wir
ja von der alten Parkgärtnerei übernommen. Dort hat ſie bei den gewaltigen Raum—
verhältniſſen des alten Parks ihren Wert; im kleinen Garten ſind große räumliche
Wirkungen nun einmal ebenſo ausgeſchloſſen wie große Raſenflächen, und da ich das
einmal ausſpreche, ſo ſei hier gleich erwähnt, daß viele auch vom Raſen in ſeiner im
großen beruhigenden Flächenwirkung nicht loskommen. So erquälen ſie z. B. ſtatt
bunter, flächig wirkender Blumenpflanzen, mit Rückdrängung einer Fülle von mög—
lichen Schönheiten, immer wieder ein möglichſt großes Stück Raſen, obwohl doch bei
der für den Raſen notwendigen techniſchen Behandlung wirklich kaum ein anderer
Eindruck entſteht als der einer grün gefärbten Fläche.
Viel wichtiger als irgend eine äußerliche Form, wichtiger als räumlich große
Wirkungen, ſollte für uns das Erleben jener Schönheit ſein, die wir heute aus der
richtigen, naturgemäßen, aber künſtleriſch zum höchſten Eindruck geſteigerten Vergeſell—
ſchaftung von Pflanzen im Garten ſchaffen können.
Die Vergeſellſchaftung der Pflanzen richtet ſich in der Natur nach den Zu—
ſtänden des Bodens, ſeiner Nährkraft, Feuchtigkeit, ſeiner abhängigen Lage und nach
der Menge Sonne oder Schatten, die den Pflanzen zuteil wird. Als ſchattenſpendende
Gegenſtände kommt in der Natur mancherlei in Betracht: Felswände, Berge, die Ab—
hängigkeit der Lage nach der einen oder anderen Himmelsrichtung hin; vor allem
iſt für jede kleinere Pflanze von großem Einfluß der Schatten, den eine größere
benachbarte auf ſie wirft. So iſt denn bei der Vergeſellſchaftung der Pflanzen im
Garten vor allem der Einfluß von Bedeutung, der durch die gegenſeitig entſtehende
Beſchattung ausgeübt wird. Der Gedanke an den in Zukunft entſtehenden Schatten
muß in jedem einzelnen Falle, bei jeder einzelnen auch nur mittelgroßen Pflanze,
denjenigen leiten, der eine Pflanzung nach Motiven der Natur herſtellt; vor allem
iſt dabei gleichzeitig zu berückſichtigen die Entwicklung in den nächſten Jahren und,
wie weit man einer übermäßigen Beſchattung der einen oder anderen Pflanze durch
Zurückhaltung oder Fortnahme einzelner anderer in der Zukunft vorbeugen kann.
So bequem wie die alte Pflanzweiſe iſt dieſe neue, die ich nach Motiven der natür—
lichen Vergeſellſchaftung vorſchlage, eben nicht. Wer aber einmal geſehen hat, welcher
Reichtum nur auf dieſem Wege im Garten möglich iſt, den werden die Schwierig—
keiten anfeuern und nicht abſchrecken.
Unſere Aufgabe iſt es nun, an einigen Beiſpielen, wie ſie am häufigſten vor—
kommen, die Pflanzung auf dem oben gekennzeichneten Standorte darzuſtellen.
Wir haben angenommen, es ſei hoher Baumwuchs vorhanden. Dieſe Annahme
iſt aber wieder eine zu allgemeine, und wir müſſen zunächſt feſtſtellen, um welche
Baumart es ſich im einzelnen Falle handelt, um ihr die paſſende Geſellſchaft zu geben.
Die Pflanzen. 105
Wollten wir da alle durchſprechen, die möglich find, jo würde es ins Grenzenloſe
führen. Wir wollen daher nur folgende Fälle unterſcheiden:
1. Die Bäume, die wir vorfinden, tragen eine ausgeſprochen fremdländiſche
Phyſiognomie, z. B. Ailäntus, Paulöwnia, Catälpa.
2. Die Bäume ſeien ſolche, die einen ausgeſprochenen Charakter als Hausbaum
erhalten haben, z. B. Linde, Nußbaum, Obſtbaum, Roßkaſtanie, Eſche.
3. Die Bäume gehören zu denen, die wir in der freien Natur zu finden ge—
wohnt ſind. Es ſeien entweder ſolche, deren Phyſiognomie auf mehr trockene, ärmere
Abb. 78. Künſtleriſche Steigerung einer Kiefern-Baumgeſellſchaft durch Hinzufügung phyſiognomiſch
hierher gehöriger Pflanzen.
(Der Weg iſt als Pfad ausgebildet, ohne feſte Kanten; gepflanzt in einem Parkgartenteil nach Motiven der Natur
von Willy Lange).
Bodenernährung deutet: unter den Laubbäumen alſo Birke, Akazie, Zitterpappel;
unter den Nadelhölzern Kiefer; oder andrerſeits ſolche, deren Phyſiognomie auf Er—
nährung in feuchterem, nährkräftigen Boden hinweiſt: unter den Laubhölzern z. B.
Erle, Pappel, Weißpappel, Eiche; unter den Nadelhölzern Fichte, Tanne, Lärche.
Wenn wir nun Bäume vorfinden, die ſich nicht unter den hier genannten be—
finden, fo werden wir fie jo behandeln, wie ihr Eindruck nach der eben dargeſtellten
Einteilung es von uns fordert. Entweder ſind ſie deutlich fremdländiſch, oder wir
können ſie als Hausbaum⸗Charaktere gelten laſſen, oder ſie ſchließen ſich in ihrer
Phyſiognomie, ſelbſt wenn ſie fremdländiſch ſind, nahe an unſere heimiſchen Wald⸗
bäume an. Nun ſind wir, bei allgemeiner Vorſtellung unſerer Kapitelüberſchrift,
106 3. Abſchnitt.
doch ſchon ziemlich eng begrenzt in der Wahl der Pflanzen, die wir neben und unter
die Bäume ſtellen, welche wir in irgend einer Lage des Gartens vorfinden.
Das Vorbild für unſere Pflanzengeſellſchaft im Garten bietet uns die Natur
unſerer Heimat, wie ſie auf den verſchiedenen Standorten eigenartige Geſellſchaften
vereint. Dieſe natürlichen Zuſammenſtellungen wollen wir jedoch nicht im Garten
einfach wiederholen, indem wir lediglich etwa die Natur abſchreiben, ſondern wir
entnehmen der Natur mehr den allgemeinen Eindruck, beſonders die Harmonie von
Standort und Pflanzengeſellſchaft, und führen ihn im Garten zu der Klarheit und
Abb. 79. Waſſerpflanzen im Parkteich.
Am Ufer Trauer-Weiden und andere Gehölze feuchter Ufer. Im flachen Waſſer Sumpfpflanzen, im tieferen Waſſer—
pflanzen, vorzugsweiſe winterharte roſa, rote, gelbe und weiße Seeroſen.
(Aus dem Parkgarten von Rudolf Röber, Wutha; Phot. von Heinemann, Hofphotograph in Eiſenach.)
Steigerung, die das Weſentliche des Natureindruckes in erhöhtem Maße darzuſtellen
geſtattet. Mit anderen Worten, für Pflanzen unſerer Heimat können wir ſolche wählen,
die ihnen ähnlich find, welche die Natur an dem betreffenden Standort, wohl hätte wachen
laſſen können, die aber infolge der erdgeſchichtlichen Ereigniſſe in verſchiedene Länder
verteilt worden ſind. Jeder weiß ja, wie ähnlich unter den Gehölzen die verſchie—
denen Arten der einzelnen Gattungen, z. B. auf der nördlichen Halbkugel der Erde
ſind; wie alſo nordamerikaniſche, norddeutſche, mittelaſiatiſche und japaniſche Pflanzen—
arten einander ſo ähneln, daß man innerhalb eines beſtimmten Typus von ſehr ähn—
lichen Phyſiognomien ſprechen kann. So iſt es denn auch in den Pflanzengeſell—
ſchaften; beſtimmte Standorte ergeben überall in der Welt ähnliche Gemeinſchafts—
Phyſiognomien, oft in ausgeprägterer Weiſe, als ſie uns zufällig in Deutſchland ent—
Die Pflanzen. 4100
gegentreten. Schon Alexander v. Humboldt ſprach es aus, daß dem Reiſenden in
fremden Ländern die dortige Pflanzenwelt wie erhöht und veredelt — d. h. alſo
geſteigert — aus der deutſchen Pflanzengeſellſchaft erſcheint. Ob man z. B. an Stelle
der Kiefer im Süden die Pinie ſieht: die e der ihr zugehörigen Pflanzen—
geſellſchaft iſt ähn⸗
lich. So wird unſer
Ginſter dort durch
ähnliche Gattun—
gen, unſer Heide—
kraut dort durch
größere Arten ver-
treten. Wo nun
eine deutſche Art
nicht gerade durch
eine ausländiſche in
ihrer Geſtalt beſſer,
geſteigerter vertre-
ten wird, oder wo,
wie bei den Bäu⸗
men, ohnehin den
deutſchen Arten
wegen ihrer beſſe—
ren Anpaſſung an
unſer Klima die
Herrſchaft bleibt,
da wird auch den
deutſchen Arten der
Vorzug zu geben .
ſein. Werden da- . ze, "ein
durch unſere Gär—
ten verarmen an
Pflanzenſchön⸗
heiten? Wird die
Beſchränkung zur
Einſeitigkeit füh⸗
ren? Ohne dieſe
Fragen hier einzeln zu beantworten, ſei hier nur kurz darauf hingewieſen, wie einſeitig
ſelbſt ganze Gartenſiedlungen mit bezug auf ihre Pflanzenwahl heute dadurch wirken,
daß ein und derſelbe Grünkram von Spiraeen gewöhnlichſter Arten, Schneebeeren,
Ribes, Loniceren, Prunus mit einem vollſtändig grundſatzloſen Gemiſch von höheren
Gehölzen überall auftritt. 1 *
*
Abb. 80. Einzelheiten aus dem Parkteich, welcher in Abb. 79 beſchrieben iſt.
Verfolgen wir nun zunächſt einmal an einigen Beiſpielen, was dabei heraus—
kommt, wenn wir uns in der Wahl der Pflanzen einige Beſchränkung auferlegen,
108 3. Abſchnitt.
welche ſich einer beſtimmten vorhandenen Baumart in größeren Exemplaren zu—
geſellen.
Ich beginne mit dem Zuſtande, den wir oben als dritten Fall ſetzten: dem
Vorhandenſein einheimiſcher Waldbäume. Nehmen wir an, ein Haus ſei
auf einer Parzelle erbaut, die einen Teil eines früheren Kiefernforſtes darſtellt, wie
dies häufig vorkommt in Norddeutſchland und überall, wo ſandiger, armer Boden,
der dem Forſtmann keine beſſere Nutzung zu ermöglichen ſchien, zur Bebauung er—
ſchloſſen wird. Ein Teil der Kiefern iſt dem Hausbau zum Opfer gefallen; der
Vorgarten, der meiſtens vorgeſchrieben wird, enthält noch einige Kiefern, die ſorg—
fältig vom Bauherrn geſchützt wurden. Nun iſt das Haus entſtanden. Die Kiefern
des Vorgartens werden nun mit ihren meiſt langen, kahlen Stämmen das Haus,
von der Straße aus geſehen, gleichſam mit unregelmäßigen Linien durchſchneiden.
Sind alſo die Stämme nicht mehr ſchön, ſo iſt es beſſer, ſie aus dem Vorgarten,
wenigſtens ſo weit ſie in die Blicklinie des Hauſes fallen, überhaupt zu entfernen.
Auf dieſe Weiſe werden wir in der Wahl der Pflanzen und der ganzen Anlage im
Vorgarten auch unabhängiger von den Kiefern. Sollten dagegen ſchöne Kiefern-Er-
ſcheinungen vorhanden ſein, ſo wird man einzelne davon ſtehen laſſen, ſoweit ſie
das Bild des Hauſes zur maleriſchen Wirkung zu bringen geeignet ſind; ebenſo rechts
und links. Bei unſerem klein gedachten Grundſtück wird die Antwort auf die Frage,
ob Kiefern ſtehen bleiben ſollen, alſo beſonders von dem Zuſtande dieſer Bäume ab-
hängen.
Auch in dem hinteren Teile des Gartens werden manche Kiefern fallen müſſen.
Einerſeits entwickeln ſich die ſtehenbleibenden viel beſſer, andrerſeits wünſcht man
doch nicht nur Kiefern als herrſchende Bäume im Garten zu haben, ſondern ihnen
auch andere Baumſchönheiten anzuſchließen. Beim Fällen der Bäume darf man alſo
nicht zu zaghaft ſein; denn die Erfahrung lehrt, daß nach einigen Jahren der ſtehen—
gebliebene Beſtand doch zu dicht wird. Wenn dann nicht mit erheblich größeren
Schwierigkeiten das Zuviel entfernt wird, ſo verfällt ſchließlich die ganze Anlage der
Beſchattung, ſie wird einſeitig und dürftig. Am beſten iſt es daher, an einer oder
einigen Stellen, je nach der Größe des Gartens, einige ſchöne Kiefern ſo ſtehen zu
laſſen, daß ſie ſich zu einer kleinen Geſellſchaft zuſammenſchließen. Auf dieſe Weiſe
bekommen wir viel ungebrochene Sonne in den Garten und können an den von
Kiefern freien Stellen andere Baumarten anſiedeln. Zu den Kiefern, wie ſie in
Gruppen ſtehen geblieben ſind, fügen wir nun Pflanzen hinzu, ſo daß die in den
folgenden Pflanzungsbeiſpielen zuſammengeſtellten immer eine einheitliche typiſche Ge—
ſellſchaft darſtellen.
1. Beiſpiel:
Zu den Kiefern werden, dicht zuſammen, Gruppen geſtellt von Pinus
pumilio, Müghus, Zwergkiefer. Dieſe machen denſelben Eindruck wie junge Kiefern
der alten Art; ſie haben den Vorzug, keine eigentlichen hochſtrebenden Stämme zu
bilden, ſondern ihre buſchige Haltung dauernd zu bewahren. Einen ſtarken Gegen—
ſatz zu ihnen in der Form, aber der Art nach zur Kieferngeſellſchaft gehörig, bilden
die verſchiedenen Wacholderarten. Juniperus communis, unſer Heidewacholder,
kommt noch in großen Beſtänden in Deutſchland vor, ſowohl in freier Heide,
Die Pflanzen. 109
die Herden der Erikabüſche bewachend, als unter dem lichten Schatten breitkroniger
Kiefern. Mehr und mehr wird freilich auch der Wacholder durch die Kultur zurück—
gedrängt, und beſonders ſchädigend wirkt auf ihn die immer mehr verbreitete Unſitte,
die Beete in den Gärten der Städte mit Wacholderreiſig zu decken. Das ſieht hier
zwar für ein paar Wochen recht hübſch aus, auch iſt Wacholderreiſig wirklich ein
vorzügliches Deckungsmaterial, aber unſere deutſche Landſchaft wird wiederum durch
einen neuen Einfluß der Städte geſchädigt. Wer nun glaubt, daß er unſeren ge—
wöhnlichen Wacholder, ſelbſt in jungen Exemplaren einfach aus der Heide mit Ballen
Abb. 81. Blick auf den Parkteich der Abb. 79.
ausſtechen und in den Garten pflanzen kann, der wird üble Erfahrungen machen:
die wenigen Pflanzen, die wirklich anwachſen und auf die Dauer einen leidlich
guten Zuſtand bewahren, werden durch das Herausnehmen, den Transport und die
Pflanzung im übrigen ſo teuer geworden ſein, als wenn man Wacholder aus der
Baumſchule gekauft hätte. Auch die Baumſchulen wiſſen, daß unſer gewöhnlicher
Wacholder in der Kultur am wenigſten dankbar iſt. Er kommt daher keineswegs
billiger zu ſtehen als andere ausländiſche Arten. Dieſe können ohne weiteres mit
unſerem Heidewacholder vereinigt werden oder an deſſen Stelle treten: Juniperus
hibernica, chinensis und ähnliche. Machen wir die Pflanzung im Herbſt, jo können
wir, nachdem die Fläche geglättet iſt, zwiſchen ſie, beſonders dort, wo wir die Blüte
im Frühjahr vom Haufe aus erblicken, Crocus pflanzen. Von dieſen geht eine
große Anzahl auf eine kleine Fläche und gerade in der Verwendung aller Vorfrüh—
lingspflanzen haben wir in unſerem Klima ein Mittel, Gartenſchönheit zu bereichern
110 3. Abſchnitt.
und länger zu genießen. In ſandigem Boden können die Krokus etwa 15 em tief
gepflanzt werden. Wollen wir dem Ganzen ſchon im nächſten Frühjahr zur Zeit der
Krokusblüte einen fertigen Eindruck abgewinnen, ſo können wir im Herbſt die Fläche,
die unſer Pflanzungsbeiſpiel einnimmt, mit Kiefernnadeln ſo dicht bedecken, daß
man keinen rohen Erdboden ſieht. Die Krokus arbeiten ſich leicht durch die Kiefern—
nadeln hindurch, und das Ganze macht einen warmen, harmoniſchen Eindruck. Nach
dem Verblühen der Krokus bedecken wir nun die ganze, von den geſamten Gehölzen
freie Fläche mit Sedum spürium, deſſen Eigenſchaften (auf Seite 78) hinreichend
dargeſtellt ſind. Von nun an haben wir zwiſchen den einzelnen Gehölzen einen grünen
Teppich, der niemals des Schnittes bedarf, der den Boden dauernd locker hält, ſo
daß wir niemals zwiſchen unſeren Gehölzpflanzen zu graben brauchen, der den Krokus
bei ſtrengſtem Froſt den nötigen Schutz gibt und ihre Vermehrung durch Brutzwiebeln
und ſogar durch Saat ermöglicht. Wir wollen uns nun einmal klarmachen, wie
viele Pflanzen wir für unſer Beiſpiel brauchen.
Wir nehmen an, daß drei Kiefernbäume in einem gegenſeitigen Abſtand der
Stammbaſis von etwa 2 m ſtehen und daß ihre Kronen einander nach außen aus—
weichen, daß alſo die Stämme nicht vollſtändig gerade ſtehen. Wollten wir die
Fläche, auf der wir unſere eben genannten Pflanzen als Beiſpiele angeordnet haben,
uns als ein Quadrat vorſtellen, jo könnten wir 5 m Länge und 5 m Breite an-
nehmen, was 25 qm Fläche ergibt.
Denkt man ſich nun die Kiefern etwa in der Form eines langgezogenen Drei—
ecks angeordnet und die zur Verfügung ſtehenden 25 qm nicht als Quadrat, ſondern
als längliches, etwas gekrümmtes Oval, ſo ergibt ſich, daß wir etwa auf 2 qm
5 Pinus müghus zufammenpflanzen, auf einen anderen Quadratmeter 3 Pinus
müghus, auf drei weitere Quadratmeter 4 Pinus müghus, bezw. pumilio und zwei
Wacholder. Weitere 8 Wacholder können wir uns einmal zu zwei, drei und drei⸗
mal zu je einem auf der übrigen Fläche verteilt denken. Sie nehmen einen eigent-
lichen Flächenraum uns gar nicht fort. Infolgedeſſen haben wir noch etwa 18 qm
zur Bepflanzung mit Crocus übrig. Auch fie werden innerhalb der freien Fläche
zu Trupps verſchiedener Anzahl vereinigt. Rechnen wir einen Haupttrupp, der etwa
I qm Fläche einnimmt, zu 150 Stück, weiter 5 Trupps zu 75 Stück, weiter 6 Trupps
zu 30 Stück, ferner 100 Stück zur zwangloſen Verſtreuung zwiſchen den einzelnen
Trupps, jo ergibt ſich, daß auf unſerer freien Fläche etwa 800 Croeus ſtehen.
Rechnet man unſere 12 verſchiedene Pinus in unterſchiedlicher Größe zu einem Durch—
ſchnittspreiſe, ſo ergeben ſich insgeſamt:
für 12 Pinus zu 45.— . . bee eh 60.
für 8 Wacholder ce Größe im Durchſchnit
zu 6. „ 48.—
für 800 Krokus, wischt in verfeiedenen Haben das
Hundert zu M 2.— . . 18
ferner für 18 qm Sedum spürium 1 N 2. „ BO
Sa. für 25 qm zu bepflanzende Fläche . 4 160.—
oder auf den Quadratmeter l(einſchließlich Pflanzungsarbeiten) rund / 6.—.
Die Pflanzen. 111
Es bleibt jedem überlaſſen, ſich auszurechnen, was dieſe 25 qm koſten, wenn
er weniger Pinus und Wacholder nimmt oder kleinere Pflanzen, oder wenn er ſich
mit weniger Krokus begnügt. Dann ſtellt ſich der Quadratmeter vielleicht auf
MN 3.50 — 4.—. Hier ſollte nur gleich im erſten Falle feſtgeſtellt werden, daß
eine Pflanzung nach phyſiognomiſch geſellſchaftlichen Grundſätzen mit dem Reichtum
an Vegetation, der in unſerem Klima möglich iſt, weſentlich teurer wird, als
hätten wir uns an den beſtehenden Kiefern genügen laſſen, die Fläche mit Raſen
beſät und vielleicht irgend einen nicht zu den Kiefern paſſenden Strauch oder eine
Abb 82. Auenlandſchaft.
Ruhige Gewäſſer in ebenen oder leicht gehügelten, fruchtbaren Geländen, deren Vegetation aus Wieſen und Ufer—
gehölzen beſteht. Die Nutzung des Holzwachstumes führt zur Bildung der Kopfweiden; auch Pappeln und andere
Bäume werden zurzeit geköpft. Zu den eigentlich einheimiſchen Pflanzen treten angepflanzte wie z. B. italieniſche
Pappeln. Dieſe Landſchaftsform gewinnt daher durch die überall ſichtbaren menſchlichen Eingriffe den Charakter
der Kulturlandſchaft. In dieſem Sinne iſt ſie vorbildlich geweſen für die Parkſchöpfungen des Fürſten Hermann
v. Pückler-Muskau und feiner Schüler. (Phot. von E. Schröder in der Elſterau bei Köſtritz.)
Konifere hingeſtellt. Die Höhe der Koſten darf uns jedoch keineswegs an der Be—
urteilung der künſtleriſchen und dadurch perſönlichen Werte für den Beſitzer oder
Genießer irre machen. Unſere Gärten müſſen reicher an Leben und dadurch an
Freuden werden, und die berufsmäßigen Vertreter des Gartenbaues und der
Handelsgärtnerei müſſen ſich auf einen größeren Abſatz einrichten, der es dann
vielleicht ermöglicht, die Preiſe für manche Maſſenartikel niedriger zu ſtellen. So—
lange ſolche Pflanzen, wie Sedum spürium, noch nach dem Satz der gewöhnlichen
Stauden berechnet werden, bleibt der Gartenfreund darauf angewieſen, ſich nur
wenige Pflanzen zu kaufen und die Vermehrung an Ort und Stelle vorzunehmen.
Übrigens hätten unſere 25 qm uns wohl noch die Möglichkeit gegeben, ein paar
112 3. Abſchnitt.
Azaléa pöntiea auf den freien Flächen zu verteilen, die auch wieder keinen eigent—
lichen Flächenraum in Anſpruch nehmen. Dazu hätten wir noch einige Erika cärnea
zu einem Trupp von etwa 10 Stück mit einigen Vorpoſten verteilen können. Dieſe
Erika cärnea hätten uns dann etwa 1 qm Sedum erſpart. Der Reichtum an
Pflanzenſchönheit auf dieſem Fleckchen Erde wäre aber durch die genannten Arten
beträchtlich erhöht worden.
Wir verlaſſen unſer eben
genanntes erſtes Pflanzungs⸗
beiſpiel mit dem Hinweis darauf,
daß ein allgemein einheitlicher,
grünlich-bräunlicher Farbenton
die ganze Gruppe beherrſcht, daß
wir beſonders auch im Winter
das herrſchende Grün der ge—
ſamten Nadelhölzer, der Erika
cärnea und der bräunlich-grünen
Zweige des allerdings entblät-
terten Sedums genießen. Betrach-
ten wir dieſes Grün als Mittel-
ton, ſo wird verſtändlich ſein,
was es heißt, wenn wir im
folgenden
2. Beiſpiel
einen helleren Ton anſchlagen.
Wir denken uns, dem vorigen
Beiſpiel benachbart, eine Fläche,
ohne hohe Kiefernſtämme von
etwa 30 qm Größe und ver—
einigen auf dieſer Fläche fol—
gende Arten:
Beſenginſter, Spärtium
scopärium, gleichfalls eine deut—
ſche, vielfach verbreitete Pflanze,
die aber in der Gartenkunſt zu
Abb. 83. Winterbild aus dem Parkgarten von Rudolf Röber, Wutha. ‚ ‚ 1
Durch den Zuſammenſchluß mehrerer Gehölze der gleichen Art wird wenig angewendet iſt, was ledig⸗
eine ruhige Wirkung erreicht. lich ſeinen Grund in dem Um⸗
(Phot. Georg Heinemann, Hofphotograph, Eiſenach.)
ſtande hat, daß ſie ſich vom
zweiten Jahre an ſchwer verpflanzen läßt. Dafür wächſt ſie ſo äußerſt ſchnell und kräftig,
daß es durchaus lohnt, aus etwa 30 bis 40 Körnern des kräftigen Samens, an Ort und
Stelle ausgeſät, Pflanzen zu ziehen, wenn man nicht zufällig aus einer Forſtbaumſchule
einjährige Pflanzen beziehen kann. In von mir durch Ausſaat erzielten Fällen haben ſich
Pflanzen unſeres gewöhnlichen Ginſters innerhalb 4 Jahren zu Büſchen von über 3 m
Höhe entwickelt. Daraus folgt ſchon, daß Ginſter zu denjenigen Pflanzen gehört, die man
durch gelegentlichen, vollſtändigen Zurückſchnitt bis auf den Boden in die Raumverhältniſſe
Die Pflanzen. 13
zwingen muß, die man ihnen urſprünglich hat zur Verfügung ſtellen können. Ginſter
blüht herrlich gelb, und in Gärten, wo ich ihn in großen Maſſen verteilen konnte,
erſcheint zur Blütezeit alles goldig flimmernd. Auch die ſchwarzen Früchte ſind ein
Schmuck, und hat man den Ginſter einmal zur Blüte gebracht, was ſchon im zweiten
Jahre nach der Ausſaat erreichbar iſt, ſo braucht man ſich um die weitere Erhaltung
keine Sorge zu machen. Er geht überall von ſelbſt auf, und manchmal nur wird man
ihn an ſolchen Stellen ſtehen laſſen können. Derartige ordnende Arbeiten, wie ſie
wiederholt ſchon angedeutet ſind, ein gelegentliches Zurückdrängen allzu üppiger
Abb. 84. Amelanchier Canadensis in Kanada als Beiſpiel für die phyſiognomiſche Ähnlichkeit nordamerikaniſcher
Landſchaftsformen mit entſprechenden mittel- bezw. nord-europäiſchen. (Phot. Carl Krebs, Cleveland, Ohio.)
Pflanzenfülle, ſind aber viel fruchtbarer als z. B. das ununterbrochene Raſen—
ſchneiden, durch das grundſätzlich immer wieder entfernt wird, was gewachſen iſt,
gewachſen mit Düngung, Sprengung und allerlei Pflege. Spärtium scopärium iſt
im Winter friſch grün, ja dann faſt grüner als im Sommer. Als niedrig bleibende
Pflanze kann man ihm die ganz anders gearteten Schmetterlingsblumenpflanzen
Cytisus purpüreus zugeſellen. Neben dem Ginſter wirken als Vertreter der Wa—
cholderphyſiognomie Junſperus sabina procümbens und andere dunkle, ausgebreitete
Arten. Als Bedeckung des Bodens dient wiederum Sedum spürium. Crocus treten
hier nur einzeln auf, dafür ſtreuen wir etwa 10 em tief in ſandigen Boden Eränthis
hiemälis, und im Schatten der Juniperus procümbens dürfen wir wohl klein—
Lange, Der Garten. 8
—
—
—
2
3. Abſchnitt.
Abb. 85. Aspidium spinulosum am Fuße eines geſtürzten Baumes als Beiſpiel für den Reichtum des Pflanzenlebens,
den die Natur an jedem für Pflanzenleben geeigneten Ort verbreitet. (Phot. Carl Krebs, Cleveland, Ohio.)
blättriges Immergrün (Vinca minor) oder kleinblätterigen Efeu anpflanzen. Wenn
wir dem Efeu eine größere Fläche, vielleicht 3 bis 4 qm im Zuſammenhang ein-
räumen, dann dürfen wir vor ſeiner Pflanzung etwa 10 em tief einige 100 Schnee—
glöckchen verſenken. Natürlich trennt ſich im Garten nicht ſo, wie hier beſprochen,
die 25 qm-Fläche des erſten Pflanzungsbeiſpiels von der 30 qm-Fläche des zweiten
Beiſpiels. Wir ſehen vielmehr von irgend einem Standpunkt aus dieſe Flächen mit
einem Blick nebeneinander, und es ergibt ſich, daß durch das Hinzutreten des zweiten
Beiſpiels zum erſten eine beträchtliche Bereicherung entſteht. Vielleicht iſt es aber
möglich, ein
3. Beiſpiel,
ich möchte ſagen, keilförmig zwiſchen die beiden vorhergehenden einzuſchieben. Da
könnten dann einige Olweiden, Elaeägnus argéntea und Hippöphaes, einen
grauen Ton anſchlagen. Vielleicht geſtattet auch eine leichte Erhöhung des Erd—
bodens, bei dieſem Pflanzungsbeiſpiel eine beſondere Trockenheit des Standortes an—
zudeuten. Wir laſſen dann einige Wacholder der hochgrauen Arten hinzukommen,
ſogar einige der charakteriſtiſchen blaugrauen Nadelhölzer, vorzugsweiſe ſolche mit
ſparrigem, dürftigem Wuchſe, z. B. Cédrus atläntica, Chamaecyparis squarrösa
glauca. Der graue Ton dieſer Gehölze wird verſtärkt, wenn wir dem Boden eine
flächige, graue Wachstumſchicht geben. In voller Sonne wirken zum Beiſpiel die ge—
Die Pflanzen. . 115
wöhnlichen Federnelken weißgrau und blütenreich zugleich. Auch Krabis älbida können
zu Teppichpolſtern verwendet werden. Endlich Cerästium tomentösum, noch beſſer
die wie graue Erd⸗Flechten wirkende Antennäria tomentösa allein. Liegt die Stelle nahe
am Wege, ſo laſſen ſich noch mancherlei andere kleine graue Pflänzchen zur Geltung
bringen, doch darf man hierbei, wie ſtets, keine kleinliche Zerſplitterung eintreten
laſſen; auch die Natur zeigt ja überall, wohin wir blicken, irgend eine Erſcheinung
als herrſchend, während ſich die übrigen unterordnen. Wirkung und Gedeihen der
kleinen Pflanzen wird unterſtützt, wenn man Steine mit möglichſt glatten neutralen
Flächen vor der Pflanzung ſo tief in den Boden hineingräbt, daß nur eine glatte
Fläche in gleicher Höhe mit dem Erdboden zutage tritt.
Was haben nun dieſe kleinen Pflänzchen mit den Kiefern zu tun? Warum
paſſen ſie zu ihnen ebenſo wie das Sedum spürium oder der noch größere Ginſter?
Der botaniſche Vertreter der Okologie antwortet uns darauf, daß ſowohl die Kiefer
als auch Dickblattgewächſe, pfriemenzweigige wie Ginſter, und alle graubehaarten,
roſettenförmigen, dicht an den Boden angeſchmiegten Pflanzen, — daß alle dieſe An—
paſſungen an trockene, ſonnige Standorte darſtellen. Die Kiefer als die mächtigſte
dieſer Geſellſchaft führt bei der gemeinſamen Tafel gleichſam den Vorſitz, die übrigen
ſpeiſen an ihrem Tiſch, und die Ernährungsgeſellſchaft trägt fo eine Geſellſchafts—
phyſiognomie, die ſich trotz ihrer Mannigfaltigkeit ſo recht eigentlich dadurch kenn—
zeichnet, daß gewiſſe andere Phyſiognomien, z. B. Pflanzen mit großen grünen
Abb. 86. Farne an Felſenwand. (Vergl. Abb. 85.) (Phot. Carl Krebs, Cleveland, Ohio.)
116 3. Abſchnitt.
Blättern, mit dichten markigen Zweigen, mit dunklen, ſaftreichen Geweben, ſich nicht
unter ihnen finden.
Auch wenn wir uns die Kiefern fortdenken, bleibt die Geſellſchaftsphyſiognomie
in den genannten Beiſpielen gewahrt. Durch die Abwechflung von niedrigen, den
Boden bedeckenden Pflanzen und mehr oder weniger hohem Gebüſch aus den ge—
nannten größeren Arten entſteht eine große Mannigfaltigkeit in der Raumwirkung,
ein Wechſel von Licht und Schatten, von hoch und niedrig, ein Wechſel von Formen
und ein dichter Zuſammenſchluß einzelner Pflanzen zu kleinen Gruppen. Andrerſeits
ergibt ſich eine Einzelwirkung, ſo daß die ältere Landſchaftsgärtnerei mit ihren
alten Gruppenpflanzungen, — wenn wir annehmen, daß die gleiche Pflanzenanzahl für
dieſe verwendet ſei, — bei weitem nicht ſo große räumliche Wirkungen erreicht, wie die
eben geſchilderte Pflanzungsweiſe. Bei dieſer iſt ſelbſt im kleinen Raum das Zu—
ſammengehörige zuſammengehalten und ſchlingt ſich durch Übergänge und Vorpoſten
ineinander. Praktiſch geſprochen muß man ſich bei dieſer Pflanzungsweiſe alſo von
der Vorſtellung der Gruppenpflanzung, von gleichmäßigen Pflanzabſtänden, von der
Iſolierung der Strauch- und Baumpflanzungen gegenüber der grünen Fläche vollſtändig
loslöſen, und immer nur die Art und Weiſe zum Vorbild nehmen, wie die Natur ihre
Pflanzen verteilt, indem von einem oder mehreren größeren, älteren Exemplaren jüngere
ſich in der nächſten oder ferneren Nachbarſchaft verteilen. Ein wichtiges Mittel für
künſtleriſche Geſellſchaftspflanzung iſt daher auch die Anſchaffung von Pflanzen ver—
ſchiedenſter Größe einer und derſelben Art. In faſt unendlicher Mannigfaltigkeit
können wir die zu den Kiefern paſſenden Pflanzenarten vereinigen, wenn wir in jeder
Geſellſchaft innerhalb des Gartens jeweilig etwa drei Arten herrſchen laſſen und die
übrigen dieſen unterordnen. Andrerſeits darf in ein und demſelben Garten die
Mannigfaltigkeit auch wieder nicht zu groß werden, weil ſonſt die für jeden künſt—
leriſchen Eindruck als Vorbedingung erforderliche Wirkung der Ruhe, Geſchloſſenheit
und Klarheit beeinträchtigt würde. Selbſt wenn man ſich aber beſchränkt in der
Wahl der Arten, ſo wird doch meiſtens bei dieſer Pflanzungsweiſe und einiger Über—
legung die Zahl der Arten größer ſein als bei einem gleichgroßen Stück eines Gartens
älterer Herſtellungsart. Wer ſich die Mühe macht, einmal zu zählen, wieviele ver—
ſchiedene Arten auf einer beſtimmten Fläche in den handwerksmäßig gepflanzten
Gärten vorhanden ſind, der wird erſtaunt ſein, wie wenig Arten er nur vertreten
findet, und wie einſeitig in der Hauptſache, nur Gebüſche auf blumenloſer Raſenfläche.
Es mögen nun im folgenden einige weitere Beiſpiele von zuſammenzupflanzen—
den Arten im Sinne der Kieferngemeinſchaft aufgezählt werden.
4. Beiſpiel:
Brombeeren (Rubusarten), Strauchwildroſen, Rosa arvénsis in Sorten; als
Bodenbedeckung zwiſchen ihnen Vinca minor.
5. Beiſpiel:
Azaléa mollis und pöntica in ihren leuchtenden Farben gemiſcht, in größeren
Mengen ziemlich dicht gepflanzt, fo daß zwiſchen ihnen nur Sédum spürium und
darunter gepflanzte Krokus Platz haben. 5
5. Beiſpiel: N
Als ſonnige Fläche Federnelken und Pulſatillaarten. Dazwiſchen einige Cen-
Die Pflanzen. 117
Abb. 87. Pilze an moderndem Baumſtamm. (Vergl. die Worte unter Abb. 85.) (Phot. Carl Krebs, Cleveland, Ohio.)
taürea candidissima, Scabiòôsa canescens, Sälvia argentea; Artemisia absinthium
als hellgrau, jtrauchartig wirkende Staude. Dazwiſchen können am beſten durch
Ausſaat ſich ſelbſt überlaſſene und dann alljährlich wiederkommende (weil ſich ſelbſt
ausſäende), graublättrige Königskerzen, Verbäscum- Arten, ſtehen (Abb. 77). Die
herrlichen, zweijährigen Verbascum phoeniceum mit ihren prachtvollen leicht ge—
bauten vielfarbigen Blütenſtänden ſollten ebenſo an lichten Stellen ausgeſät werden,
wo Sedum den Boden bedecken.
6. Beiſpiel:
Flächen von Sédum spürium, in denen Sédum mäximum purpüreum in
größeren Mengen und gruppenartigen Maſſen ſowie einzeln verteilt ſind. Es gibt
noch mancherlei andere Pflanzen, die ihrer Phyſiognomie nach dorthin geſetzt werden
können. Jedenfalls muß jede Pflanze, die wir der Kieferngeſellſchaft hinzufügen, eine
ſolche Phyſiognomie zeigen, daß wir nicht erſtaunt wären, wenn wir ſie in unſerer
Heimat in freier Natur zwiſchen Kiefern anträfen; vor allem ſind alſo ſolche Pflanzen
ausgeſchloſſen, die Hauspflanzencharaktere gewonnen haben. Wo Kiefern auf feuchterem
Boden ſtehen, wo die geſamte Lage einen nährkräftigen Eindruck macht, können ihre
dunkelgrünen üppigeren Verwandten, die uns die Baumſchulen zur Verfügung ſtellen,
Anwendung finden. Es ſei genannt als
7. Beiſpiel:
Pinus laricio, die langnadelige Schwarzkiefer; Pinus excélsa mit langen hängen—
den Nadeln; die friſch grüne Pinus cémbra (Zirbelkiefer) und als dunkler Wacholder—
typus ihnen zugeſellt: Juniperus sabina procümbens und prosträta.
118 3. Abſchnitt.
Charakteriſtiſch für feuchte Standorte in unſerer Heimat, beſonders auch für
Standorte mit feuchter Luft iſt die Fichte und Tanne. Beide gehören alſo nicht in
die Geſellſchaft der Kiefer, wohl aber haben uns die Baumſchulen ſehr beliebt ge—
wordene graue Arten und Abarten verſchiedener Nadelhölzer zur Verfügung geſtellt,
die zwar feuchten, nährkräftigen Boden, aber volle Sonne und trockene Luft brauchen.
Durch ihren grauen Ton kennzeichnen ſie ſich als Genoſſen der Kiefern und ihrer
Begleitpflanzen. Daher kommen in Betracht als
8. Beiſpiel:
Trupps von Picea püngens glauca und argentea, Abies concolor violäcea,
Abb. 88. Frauenſchuh-Orchidee im Walde als Vorbild für ihre Anſiedelung im Garten.
(Phot. Carl Krebs, Cleveland, Ohio.)
Cédrus atläntica und andere. Je weniger gerade gewachſen, ſondern je krüppliger,
deſto beſſer paſſen ſie ſich der Kieferngeſellſchaft an. Ihr grauer Farbenton wird
unterſtützt durch graue Bodenbedeckungspflanzen, von denen hier nur kurz wiederholt
genannt ſeien: Antennäria tomentösa, Cerästium tomentösum. Beiden Arten find
flach im Boden liegende Steine angenehm, und es iſt wichtig, um den grauen Ton
feſtzuhalten, nur ſolche Steine zu verwenden, welche weißlich grau ſind, die jedenfalls
ſich in keiner Weiſe irgendwie als Steine an und für ſich vordrängen. Schwierig ſind im
Garten nach Naturmotiven die jetzt ſo beliebten winterharten Rhododendren unter—
zubringen. Am vorteilhafteſten vereinigen ſie ſich noch mit der Kieferngeſellſchaft auf
feuchtem Boden; noch beſſer aber behandelt man ſie als Hauspflanzencharaktere
Die Pflanzen. 9
und pflanzt ſie an gebaute Standorte. Von Laubpflanzen laſſen ſich in der Nachbar—
chaft von Kiefern oder unter ihren Kronen phyſiognomiſch nur Birken, Weißbuchen
und Robinien (Akazien) anſiedeln. Das genügt aber auch, um überall dort, wo man
die Birken zu einer größeren Gruppe vereinigen kann, das Laubwaldmotiv für die
weitere Vergeſellſchaftung vorbildlich ſein zu laſſen. Beſonders die Hainbuche kann
als leicht im Zaume zu haltendes Buſchwerk unter ſelbſt niedrigen Birkenſtämmchen
ſtehen, ſo daß man mit dieſen beiden Pflanzenarten in der Lage iſt, die oft ja dringend
erwünſchte Deckung nach irgend einer Seite hin zu erreichen. Dabei ſei ſchon hier
bemerkt, daß im allgemeinen für jede Grenzpflanzung ein für allemal die Hecke das
Abb. 89. Beiſpiel für die Nebeneinanderſtellung von Gartenteilen nach baulichen und nach Naturmotiven.
Auf dem Randbeet ſtehen folgende Arten als Kronenbäumchen verſchiedener Höhe verteilt, in regelmäßigem Wechſel:
Prunus triloba; Flieder; Hydrangea paniculata; Roſen. Auf dem Boden dazwiſchen in zwangloſer Verteilung ver—
ſchiedene niedrige bis halbhohe Stauden. Einfaſſung Buchsbaum. (Anlage und Phot. von Willy Lange.)
einzig künſtleriſch Richtige iſt, im Gegenſatz zu den ſchon oben erwähnten Kuliſſen—
pflanzungen gemiſchter Sträucher. Immerhin aber kann einmal auch innerhalb eines
Gartens in freier Anordnung eine Pflanzung lediglich deswegen erwünſcht ſein, weil
man ſonſt zum Teil von der Straße aus in die tiefer gelegenen Teile des Gartens
hineinſieht. Steht in einem ſolchen Falle der Garten unter der Herrſchaft der Kiefer
und iſt er nur klein, ſo ſind wir in der Wahl der Pflanzen eng beſchränkt. Denn
wir dürfen keineswegs im Intereſſe irgendeines Zweckes, alſo der Deckung, die
Grundſätze der phyſiognomiſchen Pflanzung etwa dadurch verletzen, daß wir irgend—
welche nicht zu der Lage des Ortes paſſende Pflanzen verwenden.
Im einzelnen muß man ſich ein ſtarkes Gefühl für das Zuſammengehörige oder
120 3. Abſchnitt.
wenigſtens, vom phyſiognomiſchen Standpunkt aus betrachtet, für das nicht ſtörend
Wirkende bei der Vergeſellſchaſtung der Pflanzen ſchaffen.
Es gibt eine Menge Pflanzen von ſo neutraler Phyſiognomie, daß man mit
ihnen nicht leicht etwas verderben kann. Praktiſch geſprochen, wird man nicht immer
ſeine phyſiognomiſchen Vorſtellungen genau verwirklichen können, da das, was man
ſich zur Ergänzung des Bildes wünſcht, entweder nicht im Handel iſt oder nicht in
ſo großen Mengen angewendet werden kann, weil der Preis zu hoch iſt, oder weil es
nicht in der gewünſchten Größe vorhanden iſt. Von allen dieſen praktiſchen
Hinderniſſen bleibt aber die künſtleriſche Idee unberührt: dieſe muß der
Gartenſchöpfer feſt im Auge behalten, wenn auch zunächſt nur als Zukunftsziel, damit
er bei ſeiner Gegenwartsarbeit wenigſtens nichts verdirbt und damit er vorbereitet,
was ſpäter vollkommen fein ſoll. Beſonders die Fülle der nötigen Bodendeckungs—
pflanzen, die Kleinmalerei des Blütenteppichs in ſeinem Wechſel, mit dem er den
Jahreslauf begleitet, ſind meiſt nicht gleichzeitig mit der Pflanzung von Sträuchern,
Bäumen, Nadelhölzern möglich, weil dieſe nach dem Pflanzen am liebſten einen
offenen, dem Waſſer und der Hacke leicht zugänglichen Boden haben. Während dieſer
Wartezeit kann man aber Mutterpflanzen auf beſonderem Beete pflanzen, um ſie ſpäter
durch Stecklinge, Teilung uſw. zu vermehren oder auch um die Handelsware, meiſt
ziemlich klein, auf dem Pflanzbeete erſtarken zu laſſen.
Die innere künſtleriſche Vorſtellung mit ihrer Hoffnung, einſt verwirklicht zu
werden, muß über alle Beſchränkungen und Hemmungen hinweghelfen.
K* *
*
Bisher gingen wir von der Vorausſetzung aus, daß Kiefern vorhanden ſeien
oder wenigſtens, daß eine Kieferngeſellſchaft den phyſiognomiſchen Eindruck unſerer
Pflanzung beherrſchen ſollte.
Im Gegenſatz hierzu mögen einige Vorſchläge für Pflanzungen folgen, wenn
Laubbäume vorhanden ſind.
Dieſe gehören entweder ſolchen Phyſiognomien an, die große Mengen an Nähr—
ſtoffen fordern, was wir aus ihrer üppigen Blattentwicklung ſchließen können, oder
ſie ſcheinen geringere Anſprüche an die Ernährung des Bodens zu ſtellen, da ſie
uns kleine Blätter, feine dünne und weniger lange Zweige zeigen. Buche, Ahorn,
Linde, Erle, Kaſtanie, Pappeln, Eiche, Eſche, Platane gehören etwa der erſteren
Gruppe, Birke, Akazie, Gleditſchie, Zitterpappel, Ebereſche, Ulme der zweiten Gruppe
an. Da nun die Nährſtoffbedürfniſſe von weſentlicher Bedeutung
für eine Pflanzengeſellſchaft ſind, ſo haben wir der Gruppe der
ſtarktriebigen Bäume von den zahlreichen, uns zur Verfügung ſtehen—
den Laubpflanzen wieder ſowohl unter den krautigen als unter den
niedrigen Gehölzpflanzen die wuchshaften üppigen Phyſiognomien
zuzugeſellen. Der zweiten Gruppe jener bedürfnisloſen Bäume da—
gegen wird eine Pflanzengeſellſchaft ähnlicher Bedürfnisloſigkeit
zugeſellt.
Bei kleinem Raum iſt nun nicht anzunehmen, daß man größere Geſellſchaften
unter dieſen phyſiognomiſchen Grundſätzen bilden kann. Dennoch aber muß man
ſelbſt hier vermeiden, daß ſtärkſte Gegenſätze nebeneinander geraten, während die
Die Bilanzen. 121
Bodenzuſtände die gleichen ſind. Wir haben unter unſeren Baumſchulpflanzen
eine Fülle von einzelnen ſchönen Arten, und der Wunſch nach Mannigfaltigkeit und
nach dem Beſitz ſolcher Arten führt leicht dazu, daß Gegenſätze entſtehen, die vom
Standpunkt einer höheren künſtleriſchen Einheit nicht zu billigen ſind. Wem machte
nicht z. B. im Frühling die Hängeweide mit ihren frühtreibenden wehenden Zweigen
Freude? Aber man darf ſie nicht neben eine Birke ſetzen oder an irgend welche
Stellen, die von Pflanzen eingenommen werden, die auf einen trockenen Standort
hindeuten. Denn die Hängeweide bleibt für uns der phyſiognomiſche Ausdruck feuchten
Standortes, wenn ſie ſich auch mit dem Waſſer begnügt, das ihr der Gärtner zu—
Abb. 90. Gärtnerhaus, von Blumen im Hauspflanzen-Charatter umgeben. Die Ecken eines Raſenſtückes werden
durch 2 Pflanzen im Architekturpflanzencharakter betont. (Phot. Willy Lange.)
führt. Die horizontale Fläche des Waſſerſpiegels iſt uns Bedürfnis, um bei Be—
trachtung einer Hängeweide die Harmonie einer biologiſchen Aſthetik zu empfinden“).
Der Raum verbietet es, hier einzelne Pflanzungsbeiſpiele für die große Mannig—
faltigkeit von Pflanzen, die zuſammengehören, zu geben. Aber auch hier entſcheidet
in erſter Linie das künſtleriſche Gefühl, und wer ſich in die Einzelheiten vertiefen
will, der muß einmal ein Werk über die Pflanzengeſellſchaften Deutſchlands, wie es
). Ihr äſthetiſcher „Kontraſt“ iſt die ebene Linie, nicht die ſenkrechte der Pyramiden-⸗Eiche,
wie frühere Gartenäſthetik, die den „Kontraſtbegriff im Sinne einer harmoniſchen Ergänzung“ oft
mit bloßem Gegenſatz verwechſelte; dies geſchah auf einem umſtändlichen Wege von Irrungen, ab—
geleitet aus der Theorie der Kontraſt-Farben und aus dem Farbenkreis.
122 3. Abſchnitt.
z. B. Prof. Dr. Gräbner*) verfaßt hat, ſtudieren, und wer ſein künſtleriſches
Gefühl weiter üben will, der mag nach meinem Werk „Gartengeſtaltung der Neu—
zeit“ greifen (Leipzig, J. J. Weber. Preis M. 12,—). Um aber die Leſer dieſer
Zeilen nicht gänzlich ratlos zu laſſen, mögen unter Benutzung des eben genannten
Buches hier einige Beiſpiele von phyſiognomiſchen Gemeinſchaften, die zu Laubbäumen
gehören, aufgeſtellt werden.
1. Zur Weißbirke paſſen Akazie und Lärche. Ihnen können ſich zugeſellen
von Sträuchern: Brombeeren, Rankroſen, Ginſter, verſchiedene Sträucher aus der
Gruppe der Schmetterlingsblüter.
Da nun die Birke geſellſchaftlich der Kiefer (unter den Nadelbäumen) naheſteht,
jo können, wenn wir Kiefern auftreten laſſen (z. B. in den niedrig bleibenden Formen
der Berg- und Zwergkiefern), die Pflanzen, welche bei jenen als Genoſſen genannt
ſind, auch der Birke vergeſellſchaftet werden. Stehen Birken und Akazien in lichtem
Stand, ſo gedeiht noch vortrefflich Raſen unter ihnen und er kann wieder durch Nar—
ziſſen (aber nur einfache, nicht gefüllte Arten) belebt werden. (Die gefüllten Nar—
ziſſen, wie alle gefüllten Blumen, haben Hauspflanzencharakter!) Hier
und da in der Nähe der Stämme verteile man Farne und einzelne höhere Stauden
wie Königskerzen, ferner Forſythien, ungefüllte Glockenblumen. In größeren Flächen
können Waldprimeln, Maiblumen, Vergißmeinnicht, Veilchen auftreten. Je nach dem
Vorherrſchen eines der drei Bäume Lärche, Birke oder Akazie wird trotz der Ahn—
lichkeit der eben genannten kleineren Pflanzen ein mannigfaltiger Eindruck erreicht
werden.
Zahlreiche Sträucher unſerer Baumſchulen können, wenn ſie nicht einen aus—
geprägten Hauspflanzencharakter haben, bei ſehr neutraler Phyſiognomie den genannten
Bäumen als Unterholz dienen: Lonizeren, Spiräen, Weißbuchen, die unter den ge—
nannten Bäumen beſonders in dichteren Maſſen allerlei deckende Zwecke z. B. Ber:
deckung von Sitzplätzen, von Grenzen, Gebäuden erfüllen können, ferner Prunusarten,
Cornus mas (Kornelkirſchen), Weißdornbüſche, japaniſche Quitten, Deutzien, Kerrien,
Liguſter, verſchiedene japaniſche Pirusarten, Ribes aureum, feinzweigige, ſchmalblättrige
niedrige Weiden, ferner Ebereſchen, Schneebeeren, Perſiſcher Flieder (nicht Chineſiſcher),
allenfalls Rüſtern. Die Rüſtern ſtehen phyſiognomiſch in der Mitte zwiſchen den
eben genannten Bäumen geringen Mährſtoffbedarfes.
2. Wenden wir uns den Bäumen üppigerer Phyſiognomien zu, wie ſie auf der
vorigen Seite etwa genannt ſind: Buche, Eiche in den großblättrigen Arten, Eſche.
Wir fügen ihnen die zahlreichen amerikaniſch-aſiatiſchen Arten hinzu, die ihrer Phy—
ſiognomie ſehr nahe ſtehen.
Es iſt ein falſcher Grundſatz, nur etwa deutſche Pflanzen im Garten zuſammen—
zupflanzen und den außerdeutſchen eine beſondere Stelle in größeren Gärten oder
Parks anzuweiſen. Dieſe Pflanzung nach geographiſchem Geſichtspunkt mag unter
Umſtänden wiſſenſchaftlichen Zielen dienen, wird aber niemals künſtleriſchen Forde—
rungen zugrunde gelegt werden können. Andererſeits ſoll durchaus nicht gefordert
*) „Die Pflanzenwelt Deutſchlands“ (Leipzig, Quelle & Meyer); ferner ſei empfohlen „Das
Leben der Pflanze“ (Stuttgart, Franckh'ſche Verlagshandlung).
Die Pflanzen. 123
und behauptet werden, daß bloß dadurch eine Steigerung des Geſamteindruckes zu
erreichen ſei, daß man eben den deutſchen Pflanzen außerdeutſche hinzufügt.
Nur dann, wenn durch außerdeutſche die Phyſiognomie des deutſchen Typus,
z. B. in bezug auf Blattbildung, Blattfarbe, Blüten- oder Fruchtentwicklung zu einem
höheren, wirkungsvolleren Eindruck — innerhalb des deutſchen Typus — gebracht
wird, iſt eine Steigerung erreicht. Es iſt ſehr merkwürdig, daß die Baumſchulen
ſich nicht mehr um dieſe Dinge kümmern. Viele Gattungen, z. B. Weide, Erle und
andere unſerer Heimat haben z. B. in Japan und Amerika Vertreter, die unſere mit
ihrem „Begriff“ verbundene Vorſtellung in höherer Weiſe verkörpern als eben die
deutſchen Arten.
Jenen eben genannten Bäumen üppigeren Wuchſes können wir hinzufügen:
großblätterige Ahorne, an feuchtſcheinenden oder feuchten Stellen Erlen, Weiden
üppigeren Wuchſes, beſonders die ſchöne Salweide, auch Acer dasycärpum; ferner
Ailänthus, Cratäegus und Meſpilusarten, freiwachſende Buchsbaumbüſche, Ilex,
Castänea vesca, Chionänthus, Colütea, ferner die ſtarkwüchſigen Kornusarten, Haſel,
ſtarkwüchſige Forſythien mit hängenden Zweigen, Hibiscus, Hydrängea, Tulpen-
bäume und Magnolien, Maulbeerbäume, großblättrige Pirus- und Prunusarten, die
verſchiedenen Eichen bis zu den großblättrigen; Ribes, Rubus und Roſen üppigen
Wuchſes, Buxus und großblätterige Sorbus, wuchshafte Spiräen und wilde Schnee—
ballarten; wuchshafte, grüne, blattzweigartige Koniferen.
Wollte man ſowohl bei den erſteren wie beij den letztgenannten alles vereinigen,
was hier zuſammenſteht, ſo würde man hier in denſelben Fehler verfallen, der vor—
her als Eigentümlichkeit der älteren Gartenanlagen gerügt wurde; die Mannigfaltig—
keit würde ſo groß werden, daß Klarheit und Gliederung für den Eindruck aus—
geſchloſſen wäre. Darum kann immer wieder nur vor einem Zuviel gewarnt werden
und dieſer negativen Warnung als Ergänzung die pofitive Mahnung zur Seite ge—
ſtellt werden, immer das eine vom andern abhängig ſein zu laſſen, ſo daß nur
wenige Pflanzenarten in einem überſehbaren Bilde herrſchend ſind. Die Sträucher
ſeien alſo in wenigen Arten abhängig von wenigen Baumarten, und von den Sträuchern
ſeien wieder abhängig wenige Arten niedriger, krautiger und den Boden bedeckender
Pflanzen.
Wieder ſind hierzu größere Maſſen von jeder Art notwendig, und wer ſich
einmal in dieſe Pflanzungsweiſe eingelebt hat, wird erſtaunt ſein, welch große
Pflanzenfülle der Zahl und Art nach untergebracht werden kann. Meiſt wird der
Preis abſchrecken, und man iſt wieder darauf angewieſen, allmählich vorzugehen.
Zur Begrünung größerer Flächen wird dann zunächſt immer noch die billige Raſen—
ſaat dienen in der Erwartung, daß durch allmähliche Vermehrung anderer Pflanzen
der Raſen durch eben dieſe verdrängt werde. Als Bodendeckungspflanzen für üppigere
Laubholzgeſellſchaften bleiben Efeu und Immergrün die bewährteſten. Alles andere
iſt immer nur unter beſonders günſtigen Bedingungen und mit gewiſſen Einſchrän—
kungen zu empfehlen.
Auf der Grundlage bewährter Erfahrungen mit unſern bewährten Garten—
pflanzen, wie z. B. Efeu, Immergrün, müſſen zunächſt großzügige Wirkungen erſtrebt
und erreicht werden, ſo daß die Anlage von vornherein einen fertigen und ziel—
124 3. Abſchnitt.
bewußten Eindruck macht. Später iſt es dann Zeit, dieſe großzügigen Pflanzungen
zu bereichern, mannigfaltiger zu machen durch Einzelheiten, die man hinzufügt; noch
ſpäter kann man dann vorſichtig Verſuche machen.
Sind die Mittel beſchränkt, ſo verzettele man ſie nicht über das ganze Garten⸗
gebiet, ſondern vereinige
die zur Verfügung ſtehen⸗
den Mengen an einer oder
wenigen Stellen; ein Bei⸗
ſpiel mag dies erläutern:
Wenn man eine farben⸗
glühende Schilderung in
einem Gartenbuch lieſt
über die prächtige Wir⸗
kung von Forſpythien,
Mahonien, gelb blühen-
den Narziſſen, die bald
nach dem Verblühen durch
üppige Farne verdeckt
werden, wenn man hört,
daß Primeln mit Doroni⸗
kum ſich verbinden und
blaue Szilla deren Gelb
ins rechte Leuchten ſetzt,
ſo muß man ſich nach den
oben bei den Kiefern
(S. 110) zahlenmäßig ge⸗
gebenen Beiſpielen ſagen,
daß man auf nur 20 qm
für eine derartige Wir⸗
kung etwa 100 Mk. ver⸗
brauchen würde. Wenn
uns dieſe Summe nun
nicht zur Verfügung ſteht,
. 2 i ; Hi fo dürfen wir hier nicht
Abb. 91. Magnolia stellata als Hauspflanzen-Charakter angepflanzt. (Wollte 5
man dieſe Art im Sinne ihrer Phyſiognomie im Garten nach Naturmotiven ans etwa für 10 ME. ſolche
W ee eisen denten die droßblumigen Gat. Pflanzen kaufen und dieſe
tungsverwandten und träftige Uferpflanzenphyſiognomien zugeſellt werden.) auf die 20 qm verteilen
(Phot. Willy Lange.) 0
ſondern wir kaufen uns
für die zur Verfügung ſtehenden 10 Mk. vielleicht für 4 Mk. Sträucher, und, was
uns dann von den eben genannten Pflanzen für 6 Mk. erreichbar iſt, das pflanzen
wir beiſpielsweiſe an eine dieſer Forſythien; wir freuen uns des Bildes, das uns
ſchon im erſten Frühling nach der Pflanzung geboten wird und hoffen von der Zu—
kunft, auch zu den übrigen Sträuchern im Laufe der Jahre die erforderlichen Pflanzen
hinzuerwerben zu können. Farne können wohl einmal aus dem Walde gewonnen
Die Pflanzen. 125
werden, Doronikum laſſen ſich durch Teilung leicht vermehren, und auch die Narziſſen
und Szilla werden im Laufe der Jahre ſtärker werden.
Würden wir aber die gleichen Mittel auf die 20 qm verteilt haben, ſo würde
der Eindruck ein armer ſein, uns gegenüber der Schilderung der goldenen Fülle ent—
täuſchen, und wir würden den Mut verlieren, jenem Ziele näher zu kommen.
Alſo wo Beſchränkung der Mittel erforderlich iſt, ſollte dieſe Vereinigung aller
vorhandenen Mittel zu beſchränkter, geſchloſſener Wirkung eine zwingende Folge ſein.
* *
*
Die Laubpflanzengeſellſchaften können durch Schlingpflanzen üppigeren Wuchſes
bereichert werden; auch die Schlingpflanzen laſſen ſich in zwei grundſätzliche Gruppen
gliedern: die bedürfnisloſen und die anſpruchsvollen Phyſiognomien.
Zu den bedürfnisloſen Phyſiognomien gehören nur wenige: etwa Clemätis
vitälba und viticella, ſchwachwüchſige Brombeeren und Glyzinen; dagegen zeigen alle
üppigen Schlingpflanzen die Phyſiognomie größeren Nährſtoffreichtums des Bodens,
vor allem Edel- und Wildweinarten, Ariſtolochien, die großblumigen Waldreben,
Efeu und Geißblatt, Tecöma und Celästrus, endlich Actinidia. Ganz allgemein aber
iſt die Schlingpflanze immer ein Ausdruck eines gewiſſen Überſchuſſes an Nährfähigkeit
des Standortes.
* *
Auf Seite 105 war unter 2 erwähnt, daß wir Bäume im Hauspflanzencharakter
vorfinden könnten: Linden, Pappeln, Rüſtern, Ahorn, Nußbaum, Obſtbaumarten,
Eſchen, Kaſtanien. Wenn dieſe größer, älter ſind, geben ſie tiefen Schatten. Unter
alten, ehrwürdigen Hausbäumen hat es keinen künſtleriſchen, d. h. die Wirkung
ſteigernden Sinn, Raſen, Beete, Gebüſch zu erquälen. Die Bäume wirken am
würdigſten, wenn man ihnen einen freien Platz gewährt, Bänke, Stühle, Tiſche da—
runter verteilt. Oder: wenn deren zu viele ſein würden, wird der Platz auf die ge—
eignete Lage in bezug auf das Haus beſchränkt, und die übrigen Flächen unter den
Bäumen werden mit Efeuteppichen überzogen, denen Farne und Frühlingsblumen
entſprießen, weil die Sonne ſie unter den noch blattloſen Zweigen erreicht. Im
Sommer huſcht dann nur bisweilen ein Strahl über die dunkle Fläche, während
das zerſtreute Schattenlicht dem Efeu, den Farnen genügt; Ruhe der Wirkung, Stili—
ſierung im Sinne des gebauten Standortes iſt hier das einzige Ziel.
Iſt eine Gliederung des Gebietes nötig, ſo erfolgt ſie nach Baugedanken; oft
iſt eine kleine Terraſſierung von größerer Wirkung; außerhalb der Kronentraufe der
Bäume kann eine heitere Blumenbepflanzung auf der Sonnenſeite der Bäume den
Gegenſatz zur Schattentiefe erhöhen. Soviel etwa läßt ſich in kürze empfehlen, wenn
wir Bäume im Hauspflanzengarten vorfinden; ſie werden beſtimmend ſein dafür, daß
wir einen Garten nach Baugedanken um das Haus legen.
Die Ausnahmen, das freie Walten in ſolchen Lagen, das Ausnützen des ganzen
vorgefundenen Stimmungsgehaltes zur höchſten Wirkung von Haus und Baum und
Garten, ja alles Genannten mit der Umgebung, die Herausarbeitung der Perſönlich—
keit des Eigentümers im ganzen, die ſchließliche Beſeelung des Ganzen, das ſind
Außerungen und Wirkungen künſtleriſcher Schöpfungskraft, dazu bedarf es des Taktes,
126 3. Abſchnitt.
den neben dem fachlichen Können, Wiſſen und dem Beherrſchen alles Handwerks—
mäßigen nur eine allgemeine und tiefe Bildung in reifen Menſchen entwickelt. Wir
wollen uns nichts vormachen: Kunſt im höheren Sinne iſt in Gartenſchöpfungen ſo
ſelten wie in anderen; aber allgemein erreichbar und lehrbar iſt eine gewiſſe an—
gemeſſene, d. h. durchſchnittliche, vernünftige und anſprechende Leiſtung ohne Verſtöße
gegen das Gute.
* *
*
Wenn die Bäume, die wir vorfinden, eine ausgeſprochen fremdländiſche Phyſio—
gnomie haben (vergl. S. 105, 1), ſo können wir ſie, wenn ſie nahe am Hauſe ſtehen,
als Hauspflanzencharaktere behandeln und etwa ebenſo die Umgebung geſtalten, als
wenn es ſich um Hausbäume handelte.
Stehen ſie fern vom Hauſe und iſt das Gelände groß genug, ſo geſellen wir
ihnen Jungpflanzen der gleichen Art zu und ſuchen mit deren Hilfe eine phyſio—
gnomiſch angemeſſene Geſellſchaft herzuſtellen unter Berückſichtigung des Standorts—
zuſtandes, wie er iſt, oder wie er hergeſtellt werden kann; auch paſſende deutſche
Phyſiognomien werden hinzugeſellt, ſo daß die fremdländiſchen in dieſen aufgehen
und nicht mehr aus dem Geſamtbild einer deutſchen Pflanzengemeinſchaft nach
Naturmotiven heraustreten. Das klingt vielleicht ſchwieriger, als es iſt: in Wirk—
lichkeit ähneln die meiſten fremdländiſchen Gehölze, beſonders unter den Bäumen, in
ihrer Phyſiognomie irgend einer deutſchen Art. Man kann ſich hiervon leicht in den
Katalogen der Baumſchulen, in Dendrologieen überzeugen, und wenn man z. B. im
Berliner Humboldthain, der nach geographiſchen Gemeinſchaften gepflanzt iſt, wandelt,
wird man kaum auffällig bemerken, daß man ſich unter japaniſchen oder amerika—
niſchen Gehölzen ergeht.
II. Die einſeitig eigenartigen Standorte naturgemäßer
Geſtaltung
kommen für den kleineren Garten ſelten in Betracht, dagegen darf man ſagen, daß
ſie in der Geſtaltung von Parken noch zu wenig ausgenutzt werden.
Hier werden häufig heideartige, dünenartige, ſumpfige und moorige
Gelände im Sinne eines normalen Gartenbodens umgewandelt und dann ſchließlich
mit jenen nichtsſagenden Parkgehölzen bepflanzt, die ebenſogut an anderen Stellen
auftreten. Hier wäre meiſtens der richtige Weg der, jene eigenartigen Gelände un—
berührt zu laſſen und diejenigen Pflanzengeſellſchaften dort zu vereinigen, die ſolchen
eigenartigen Standorten angepaßt ſind.
Auch hier ſind wieder die entſprechenden deutſchen Pflanzengeſellſchaften vor—
bildlich, und wir werden die Steigerung hier mehr in der Auswahl und Be—
tonung typiſcher Arten Deutſchlands ſuchen als in der Hinzufügung fremd—
ländiſcher, deren Beſchaffung im allgemeinen größere Schwierigkeiten macht. Andrer-
ſeits haben wir unter unſeren beliebten Gartenpflanzen manche, die gerade auf nor—
malem Gartenboden wie Fremdlinge wirken, während ſie dagegen jenen eigenartigen
Standorten eine beſonders eindringliche Wirkung geben würden.
Wir betreten hier ein gartenkünſtleriſch ſchwieriges Gebiet, und es bleibt der
Zukunft vorbehalten, wenn einmal das Verſtändnis für die Zuſammenhänge von
Die Pflanzen. 127
Pflanzen⸗Erſcheinung und Standorts-Erſcheinung allgemein verbreitet iſt, für dieſe
einzelnen verſchiedenen Standortseigenarten beſondere gartenkünſtleriſche Abhandlungen
zu ſchaffen.
Soweit im engeren Raum möglich, habe ich in meinem mehrfach genannten
Werk „Gartengeſtaltung der Neuzeit“ hierüber einiges Grundſätzliche geſagt. Auch
hier ſei nur erwähnt, daß in bezug auf den Heidegarten viel Unrichtiges, oft ge—
radezu Ungeheuerliches geſchrieben wird von Gartenäſtheten, die auf dem Umwege
über Literatur, Malerei und Dichtung alle die eigenartigen Reize der Heide erlebt
haben und nun in den Fehler verfallen, das, was eben nur die Natur uns zu bieten
vermag, im Garten uns geben zu wollen.
Heidepflanzengeſellſchaften laſſen ſich nur ſchaffen, wo die örtlichen Vorbedingungen
gegeben find und dieſe durchaus nicht künſtlich verändert werden. Denn gerade Heide,
Sand⸗, Geröll⸗, Kies- und Steinpflanzen find ungemein empfindlich gegen jede Ver—
änderung ihrer Forderungen in bezug auf Boden, Nährſtoffe, Feuchtigkeit, Nähr—
kraft, Beſonnung, Waſſerdurchläſſigkeit und noch zahlreiche andere Umſtände, an die
ſie angepaßt ſind; ſie ſind empfindlicher als die Pflanzen von Bodenarten gemiſchter
Eigenſchaften, ja, empfindlicher noch als die Feuchtigkeitspflanzen, denn deren An—
paſſungsfähigkeit an veränderte Umſtände, ſelbſt an beträchtliche Trockenheit iſt
größer, als die Anpaſſungsfähigkeit der Pflanzen anderer einſeitig ausgeprägter Boden—
arten an irgendwelche Veränderungen.
* *
*
Sobald der Feuchtigkeitszuſtand des Bodens ſo ſtark ift, oder wenigſtens z. B.
durch Vertiefungen gegenüber höheren Geländegebieten ſo ſtark erſcheint, daß Bäume
eigentlicher Feuchtigkeits-Phyſiognomie angeſiedelt werden können, treten die Geſell—
ſchaften der Ufer, Bäche uſw., wie ſie auf Seite 88 ff. geſchildert ſind, in ihr Recht.
Von den vorherigen Pflanzenarten treten dann eben die größtblättrigen und
üppigſten auf, die man ihrerſeits wieder mit den üppigſten und großblättrigſten
Stauden und Sträuchern vereinigt.
Um nur einige zu nennen: Erlen, Götterbäume, Catälpa, Paulöwnia, groß-
blättrige Eſchen, Hydrangea, Tulpenbaum, Magnolien, Pappeln, die großblättrigen
Eichen, die Weiden in eigentlicher Feuchtigkeitsphyſiognomie, großblättrige Linden,
unter den Stauden Heracl&um, Rhabärber, Günera und andere, die ſich ſchon mehr
der eigentlichen Uferpflanzen-Phyſiognomie nähern.
* *
*
Auch die Sümpfe und Moore können in weiträumigen Verhältniſſen, beſonders
durch ihre eigenartigen Pflanzengeſellſchaften ſehr reizvoll ſein.
Im Königlichen Botaniſchen Garten zu Dahlem, wo in der ökologiſchen Ab—
teilung jene eigenartigen Landſchaftsformen Deutſchlands und anderer Länder dar—
geſtellt ſind, finden ſich geradezu künſtleriſch wirkende Beiſpiele jener Reize. Künſt⸗
leriſch deswegen wirkend, weil die wiſſenſchaftliche Darſtellung bei beſchränktem Raum
eine gewiſſe Konzentration und die Ausſchließung von irgendwelchen Zufällen, wie
ſie die Natur bieten würde, mit ſich bringt. Es findet hier, vom künſtleriſchen Stand—
punkt betrachtet, eine Hervorhebung des Weſentlichen, eine Unterdrückung des Zu—
128 3. Abſchnitt.
fälligen ſtatt und das heißt ſtiliſieren: wiſſenſchaftkiche Anordnung kommt hier, ohne
ſie zunächſt zu beabſichtigen, zu künſtleriſcher, den Natureindruck ſteigernder Wirkung.
Auch die kleine Gruppe der Pflanzengeſellſchaften der Holzſchläge iſt im Kgl.
Botaniſchen Garten zu Dahlem in einem künſtleriſch anmutenden Bilde dargeſtellt.
Iſt es doch eine ganz beſtimmte Geſellſchaft von Pflanzen, unter der Fingerhut, Berg—
weidenröschen typiſch ſind, und die ſich immer einſtellt, wenn die Beſchattung des
Bodens durch Fällung der Bäume geſchwunden iſt.
Wer es zu empfinden vermag, wie in ſolchem Kahlhieb auf den Tod das
Leben folgt, wie mannigfach das Licht- und Schattenſpiel im kleinen wechſelt, wie
die Schattenſeiten der Stämme andere Pflanzen nähren als die Sonnenſeiten, wie
eine Moos-, Pilz- und Flechtenvegetation aus dem modernden Holze Nahrung ſaugt
(Abb. 87), wie ganze Geſchlechter einander folgen, andere ablöſen, bis der ſonnige, blühende
Holzſchlag einſt wieder unter ſchattigem Baumdach ſteht, der wird gerade ſolchen
eigenartigen Pflanzenſtandorten beſondere Teilnahme widmen. Dem Baumfällen im
Garten oder Park braucht dann nicht ein Roden, Rigolen oder Düngen zu folgen,
ſondern im Sinne deſſen, was die Natur tun würde, handeln wir hier künſtleriſch,
wenn wir neben abgeſchnittenen Bäumen die Blumengeſellſchaft der Lichtungen und
Holzſchläge in ihren ſchönſten Erſcheinungen anſiedeln.
L. Geſtein oder ſteiniger Boden“).
Die Pflanzengemeinſchaft zwiſchen Geſtein und auf ſteinigem Boden PATE in ihrer
Phyſiognomie viel Gemeinſames mit der Geſellſchaft, die wir an Böſchungen vereinen.
Die Beſonnung richtet ſich nach der Himmelsrichtung und danach, ob Sträucher oder
andere Gegenſtände irgendwelche Schlagſchatten werfen. Da der Feuchtigkeitsgehalt
und auch der Nährſtoffgehalt in den einzelnen Fugen und Klüften des Geſteins ſehr
verſchieden iſt, kann man nicht überall, wo Geſtein im Garten ſinngemäß auftritt,
auch die typiſchen Felspflanzen anwenden. Liegen die Geſteintrümmer oder einzelne
Steine nur oben auf der Oberfläche oder nur in mäßiger Tiefe, ſo wird die Phyſiog—
nomie der Pflanzen dadurch keineswegs beeinflußt; denn ſie hängt vielmehr ab von
den Nährſtoff- und Feuchtigkeitszuſtänden des Bodens, in dem ſie wurzeln. Finden
wir doch häufig im Walde unter üppigen Baumkronen gewaltige Steintrümmer, die
auf die Pflanzenwelt der nächſten Nachbarſchaft faſt gar keinen Einfluß ausüben.
Geſtein und Geſteinpflanzen ſind daher nicht immer eine notwendige Wirklichkeits—
und Gedankenverbindung. Die Geſteine ſelbſt ſollen in ihrer Wirkung ſo viel wie
möglich zurücktreten; denn Garten und Fels find Gegenſätze, und ſelten laſſen fich
künſtleriſche Wirkungen erreichen, wenn Geſteine um ihrer ſelbſt willen angewendet werden.
Will man andrerſeits Pflanzen im Garten haben, für die Geſtein Lebensbedingung
iſt, ſo kann man dieſes in Form gebauter Standorte anwenden und jene Pflanzen
f dieſen gebauten Mauern, Einfaſſungen, Steinplattenwege uſw. anſiedeln. Auch der
9 Um die Darſtellung möglichſt kurz zu geſtalten, laſſe ich den vorhergehenden natur—
gemäßen Standorten gleich die nächſten naturgemäßen folgen, um dann die ihnen entſprechenden
gebauten Standorte mit ihrer Pflanzung am Schluß gemeinſam zu behandeln.
Einen Druckfehler bitte ich hier zu berichtigen: S. 102 muß es ſtatt „H. Ebene Lagen“
heißen: „I. Ebene Lagen.“
(apppzut⸗Hioqt obng uoa ya anıvyz a YPvyr)
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(Doluuvat u sßupz Aıar unegus noch) 88
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Die Pflanzen. 129
Begriff „Alpenpflanzen“ vereint ſich nicht notwendig mit dem Vorhandenſein von
Geſtein. Jene zahlreichen Alpenpflanzen, die auf Wieſen, Matten, an Bächen, in
hochgelegenen Mooren wuchern, haben mit dem Geſtein keine Beziehungen. Alle dick—
blätterigen, kleinen, zierlichen, mit Roſettenblättern, mit Schuppen, Haaren verſehenen
Pflanzen, alle mit niedrigem oder ſparrigem Wuchs, alle, die ſich lagern und auf
dem Boden zu ducken ſcheinen, alle, deren Blüten im Verhältnis zur Größe der
Pflanze groß erſcheinen, alle, die ein Polſter bilden, kriechenden Wuchs haben, dabei
aber noch mehrere der vorhergenannten Eigenſchaften in ſich vereinen, z. B. die Be—
haarung, Beſchuppung oder Roſettenbildung — alle dieſe tragen die Phyſiognomie
der Geſteinpflanzen, und wo das Geſtein mit einer gewiſſen Nährſtoff- und Feuchtig—
keitsarmut auftritt, ſind ſie am Platz. Wer „Alpenpflanzen“ kultiviert hat, weiß,
wie verſchieden die Bedürfniſſe innerhalb dieſer großen geographiſchen Gemeinſchaft
ſind. Ein und dieſelbe Pflanze kann auf der Nordſeite eines einzelnen Steines fröhlich
gedeihen, während ſie auf der Südſeite dieſes gleichen Steines zugrunde geht und
umgekehrt. Die eine gebärdet ſich als „Durſtkünſtler“ in glühender Sonne, holt aber
ihre Feuchtigkeit heimlich aus naſſen Tiefen der Geſteinsfugen, und wenn ihr das nicht
möglich iſt, muß ſie zugrunde gehen. Andere wieder wollen häufig trinken, aber nie—
mals ſtehende Feuchtigkeit um ſich herum haben. Manche halten ſtrengſte Kälte aus,
wenn ſie an raſchem Auftauen gehindert werden, andere wieder, aus höchſter Höhe
ſtammend, in der die Lufttemperatur weit niedriger iſt als in unſeren Ebenen im Winter,
erfrieren hier in der Ebene, weil ihnen die dauernde, meterdicke Schneedecke ihres
Höhenſtandortes fehlt. Kurz, das Gebiet der Alpenpflanzen- und Geſteinpflanzenpflege iſt
ſo umfangreich, daß hier nur darauf hingewieſen werden kann, damit man ſich durch
Sonderwerke in ihre Lebensbedingungen einlebt. Die junge botaniſche Wiſſenſchaft
der Okologie hat auf dieſem Gebiete vieles geklärt und iſt noch an der Arbeit, die
Lebensbedingungen im einzelnen zu erforſchen. Aus den oben gemachten Ausführungen
wird ohne weiteres klar, daß hier Einzelzuſammenſtellungen nicht gegeben werden
können. Die Staudenkataloge der Handelszüchter enthalten zahlreiche hierher gehörige
Arten, die auf gewöhnlichen Gartenbeeten in ihrer Eigenart gar nicht zur Geltung
kommen. Dem Plan des Buches getreu, ſeien hier nur die bekannteſten genannt:
Alyssum saxätile mit gelber Blüte und wintergrünem Laub, verſchiedene Ane—
monen, beſonders A. Pulsatilla, Antennäria tomentösa, hellgrau, Ärabis älbida,
Armeria maritima, unter den Staudenaſtern die kleinſten und feinſtzweigigen; Aubrietia
in ihren zahlreichen Varietäten, Carlina acaulis, graue Gräſer. Cerästium Biber-
steini, Chionodoxa Luciliae, Seilla bifölia, grau- und grünblättrige Nelken, Erica,
cärnea, Gentiäna acaülis und andere, Gypsöphila paniculäta, Heuchera sanguinea,
Iberis sempervirens, Saxifraga-Arten, kleine Verönica-Arten, im Schatten kleine
Farne, wie Adiäntum pedätum, Asplenium rüta muräria. Werke über Stauden
und Kataloge führen auch noch eine große Menge von Sorten unter den Geſteins—
pflanzen an, leider aber mehr unter dem Geſichtspunkt, daß dieſe Pflanzen zu dem
genannten Zweck der Anſiedelung gekauft werden ſollen, als unter künſtleriſchen Ge—
ſichtspunkten. Denn wenn auch der Botaniker nachweiſt, daß in höheren Gebirgen
zwiſchen Geſtein auf üppigem Boden dieſe oder jene Pflanze mit entſprechend üppiger
Phyſiognomie vorkommt, ſo fordert doch gerade der üppige Eindruck ir Phyſiog⸗
Lange, Der Garten.
130 3. Abſchnitt.
nomie, daß wir ſie im Garten nicht mit Geſtein in Beziehung ſetzen; denn im
Garten handelt es ſich eben darum, den Eindruck des Standortes mit dem Ein—
druck der Phyſiognomie der Pflanze in klare Harmonie zu ſetzen, weil nur hierdurch
die einzelnen typiſchen Pflanzenbilder auf dem doch ſtets im Vergleich zur Natur be—
ſchränkten Raume zur Wirkung kommen können. Ich beklage es tief, wenn vor—
treffliche Staudenbücher im Drange, möglichſt viel zu empfehlen, immer wieder
das mühſam zu erringende Empfinden für typiſche Zuſammengehörigkeit verwiſchen,
und ich beklage es noch immer, daß ſich die Kataloge der Handelsgärtner der ver—
ſchiedenſten Pflanzenklaſſen, der Gehölze, der Stauden, der Sommerblumen, der
Zwiebelgewächſe nicht entſchließen können, ihre Pflanzenangebote nach den künſtleriſchen
Standortsgeſetzen im Garten zu ordnen.
Von den bekannteſten Gehölzen, wie ſie in Baumſchulkatalogen erſcheinen, ſeien
in phyſiognomiſchen Beziehungen zu Geſtein genannt:
Die feinſten japaniſchen Ahornarten: Amygdalus näna, geörgiea, Azalea mollis
und pöntica; Berberis Thunbergi; Zwergbirke; CGotoneäster horizontälis; dornige,
kleinblätterige Cratäegus; 9 japonica; feinſtzweigige Spiräen, z. B. pruni-
folia, Däphne mezereum; Elaeägnus argentea, die mit ihrem graublättrigen Laub
am beſten in Harmonie geſetzt wird mit grauen Bodenbedeckungspflanzen aus der
Klaſſe der Stauden. Hamamelis virginica, Hypöpha® rhamnöides, welche dem
Elaeägnus nahe zu ſtellen iſt; Kerria japönica, kleinſte Pirusarten, kleinblättrige,
einfach blühende Prünus, feinzweigige Roſen und Brombeeren, welche die Wildpflanzen—
phyſiognomie deutlich zeigen (im Gegenſatz zu den Arten und Sorten, welche Haus—
pflanzencharakter gewonnen haben). Tämarix gehören nach ihrer Phyſiognomie
hierher, können aber auch in ebenen Lagen zuſammen mit mancherlei feinzweigigen
Bäumen auftreten; Hypöpha& eignet ſich für kieſige Standorte mit Untergrunds—
feuchtigkeit. Keinesfalls ſind irgendwelche Gehölze üppiger Phyſiognomie mit Geſtein
in Beziehung zu ſetzen. Wenn auch in der Natur zwiſchen Geſtein ſehr üppige
Baumgeſtalten ſtehen können, ſo haben dieſe dann eine meiſt ganz anders geartete
Ortsphyſiognomie als diejenigen Pflanzen, die wir, aus der Baumſchule bezogen, an
den betreffenden Stellen anſiedeln. Ebenſowenig dürfen wir Phyſiognomien, die wir
mit Feuchtigkeit in Beziehung zu ſetzen gewöhnt ſind, auf ſteinigem Gartenſtandort
anſiedeln, weil ſonſt die künſtleriſchen Begriffe der Anſchauung, das Gefühl für
das Richtige, Bodenſtändige verwirrt werden.
N. Naturgemäße Standorte für Lianen.
Sie klettern, klimmen, ſchlingen, ſaugen ſich an Baumſtämme, Felſen und
ſpreizen ſich mit ihren Blättern und Zweigen zwiſchen Gebüſch. Die Liane dringt
aus der Tiefe des Schattens zum Sonnenlicht, um hier zu blühen. Darum erfordern
alle ziemlich viel Feuchtigkeit und Nährſtoff im Boden, vor allem die Bedeckung des
Bodens mit Bodenbedeckungspflanzen, um jene Feuchtigkeit und Lockerheit des Stand—
ortes zu haben, an die ſie von Natur angepaßt ſind. In der Jugend ſind ſie viel—
fach Schattenpflanzen wie der Efeu, wie Jelängerjelieber, während ſie im reiferen
Alter zur Zeit der Fruchtbarkeit Sonne brauchen. Manche aber blüht richtig nur in
ſonnigſten Lagen, wie die Clematis, deren großblumige Arten mehr als Hauspflanzen—
Die Pflanzen, 131
charaktere behandelt werden jollten, während die kleinblumigen, vitälba, und die wohl—
riechende paniculäta eine gute phyſiognomiſche Gemeinſchaft eingehen mit den Sträuchern
ſelbſt der ſonnigen Abhänge und mit den Laubgehölzen, die trocknere ſonnige Stand—
orte lieben. Je dunkler, üppiger, glänzender das Laubwerk iſt, deſto mehr Nährſtoff,
Feuchtigkeit und Schatten fordert die Liane. Darum gehören Ariſtolochien, Efeu,
Wildwein, Jelängerjelieber ſchattigen Standorten an, während Waldrebe, die klein—
blättrigen Wildweinarten, der kleinblättrige Efeu, die kleinblättrigen Jelängerjelieber—
Arten, die Rankroſen, Brombeeren, Bignonien und Glyzinen Sonne fordern. Edel—
wein und Hopfen müſſen, ihrer Phyſiognomie nach, als Schattenſchlingpflanzen be—
—
Abb. 92. Glyzinen (Wistäria chinensis) im Süden (Teneriffa) in naturgemäßer Wuchsart. (Hier zwiſchen Orangen,
Mandelbäumen und Banks-Roſen.) (Phot. Willy Lange.)
handelt werden. Jeder weiß zwar, daß der Edelwein in ſeinen Zuchtraſſen in
unſerem nordiſchen Klima nicht Sonne genug haben kann, aber in der Heimat des
Südens, wo die Stammart zu Hauſe iſt, iſt in dem Buſchwerk ſeines natürlichen
Auenſtandortes ſo viel Sonne, daß ihm in der Jugend der Schatten nur lieb iſt
und er ſeine natürlichen Früchte über den Bäumen und Gebüſchkronen reift. Sobald
wir vom Edelwein keine Früchte erwarten, ſtellt ſeine Phyſiognomie eine vortreffliche
Pflanze für den Halbſchatten dar.
O. Gebaute Standorte für Lianen.
Auch an gebauten Standorten müſſen Lianen ihrer beſonderen Phyſiognomie
und Eigenart entſprechend angeſiedelt werden. Nur wenige von ihnen haben eigent—
132 3. Abſchnitt.
lichen Hauspflanzencharakter erworben, vor allem die Kletterroſen, die an Spalieren
angeheftet zu werden pflegen. Hierbei muß jedoch vom künſtleriſchen Standpunkt die
Einſchränkung gemacht werden, daß dieſe Verwendungsart der Phyſiognomie dieſer
Pflanzen widerſpricht. Man ſollte ſie vielmehr in die Nähe des Hauſes pflanzen,
ſo daß man einige Loden gleichſam unbeabſichtigt hier und da anzuheften vermag,
während die übrigen ſich frei in natürlichem Schwung entfalten, damit die Eigenart
des Wuchſes der Rankroſen nicht durch widernatürlichen Zwang aufgehoben wird; in
dieſer Weiſe leiden ſie auch nicht ſo vom Meltau und die Blüte vergeht nicht ſo raſch.
Ebenſo haben ſich die ſogenannten winterharten Schlingroſen den ſtarken Fröſten
nicht gewachſen gezeigt. In freien Lagen, wenn die Temperatur niedriger als 12° R.
ſinkt, pflegen ſie zurückzufrieren. Am Spalier werden am beſten die eigentlichen
Schlingpflanzen angeſiedelt, die die ſenkrechten Stäbe des Spaliers umwinden. Zu
dieſem Zweck muß das Spalier mit dem Abſtand einiger Zentimeter von der Haus—
wand an Haken abnehmbar befeſtigt werden, damit bei Hausreparaturen die ge—
wachſene Pracht nicht zerſtört werden muß.
Die gewöhnlichen Wildweinarten, ſowohl die kletternden als die mit Ranken
verſehenen, ferner Ariſtolochien, Jelängerjelieber, die großblumige Clematis, Glyzinen
und Efeu haben am meiſten Hauspflanzencharakter gewonnen. Eine gute Harmonie
zwiſchen einem berankten Haufe und der nächſten Umgebung entſteht, wenn die Schling-
und Kletterpflanzen des Hauſes teils den Boden überziehen — die meiſten wuchern
auf dem Boden ſehr üppig, beſonders Wildwein, Efeu — oder die nächſten Bäume
erklettern.
In dieſem Falle dürfen ſogar die Phyſiognomien der Schlingpflanzen von der
Geſellſchaftsphyſiognomie der nächſten Umgebung abweichen, weil ſie gleichſam vom
Hauſe aus in die Umgebung gewandert ſind, ohne auf dieſe abgeſtimmt zu ſein.
Schwierigkeiten macht die Berankung von Säulen und freiſtehenden Architektur—
teilen; am beſten find hierzu die Selbſtklimmer geeignet, Ampelöpsis hederäcea
oder die kleinere muralis. Auch die verſchiedenen Varietäten von Ampelöpsis tricus-
pidäta Veitchi und wieder vor allem der Efeu. Man kann jedoch auch Säulen und
freiſtehende Architekturteile mit Schlingpflanzen, in gleichſam ſtiliſierten Girlanden,
umwinden, etwa wie die Abbildung 71 zeigt.
Schlingpflanzen bieten das beſte Mittel, um das Haus, jedes Gebäude, allerlei
Plaſtik und Architekturteile im Garten lebensvoll mit der Natur zu vereinigen und
Bauwerk und Garten durch Pflanzenwachstum zur maleriſchen Einheit zu verbinden.
M. Trockenmauerwerk ohne Mörtel mit Erdfugen.
Flache Trockenmauereinfaſſungen von Becken, ferner Stufen, aus Hauſtein ge—
bildet, Terraſſenmauern, Steineinfaſſungen von Beeten, Steinplattenwege, ja die Wege—
ränder neben den Beeten und Mauern bieten am rechten Platze Gelegenheit, Stein—
und Mauerpflanzengeſellſchaften anzuſiedeln. Je nach Beſonnung oder Schatten, je
nach dem Feuchtigkeitsgehalt der Erdfugen müſſen die Pflanzen verſchieden gewählt
werden.
Die Erdfugen müſſen am beſten mit dem gewachſenen Boden in Beziehung
ſtehen, damit von hier aus den Pflanzen ſtets die nötige Feuchtigkeit zugeführt wird.
Die Pflanzen. 133
Dies gilt beſonders von ſolchen Fugen, die horizontal liegen, weil die Schichtung des
Trockenmauerwerkes dies erfordert.
Im Schatten gedeihen in ſolchen Fugen Asplénium rüta muräria, ferner kleine
Sedumarten, während in der Sonne und im Halbſchatten Linaria cymbaläria eine
bewährte Mauerpflanze iſt. Samen von Cerästium tomentösum, Krabis älbida,
Sedum spürium, Steinbrecharten können beim Ausfüllen der Fugen mit Lehm und
Kompoſt eingeſät werden.
In paſſende Fugen kann man auch bei der Packung der Trockenmauern Farn—
klumpen, Efeuranken und Sedumpflanzen einbetten. Für die moos artige Begrünung
Abb. 93. Eine Blumenfreundin im Süden zwiſchen ihren Pfleglingen in allerlei Gefäßen, die nach unferer Auffaſſungs⸗
weiſe nicht anmutig und der Größe der Pflanzen entſprechend ſind. Aber mit gleicher Liebe wie im Norden werden
hier die „Allerweltslieblinge“ unter den Pflanzen (Vergl. S. 65) gepflegt. Aus der Mauerfurche wächſt ein mit Kalt
beſtrichener Feigenbaum und ein Weinſtock. (Photogr. in Cette, Südfrankreich von Willy Lange.)
der Fugen der Steinplattenwege eignet ſich Liguläria subuläta und Sedum lydium.
Man ſollte ſchon, um die reizende kleine Pflanzenwelt der Berge im Garten anſiedeln
zu können, jede vernünftige und die künſtleriſche Wirkung des Gartenganzen ſteigernde
Gelegenheit ſuchen, um Mauerwerk anzubringen (z. B. an Terraſſen mit ihren Treppen,
Beckenrändern).
Der Reichtum des Pflanzenlebens und die vernünftig begründete Anwendung
der verſchiedenen Pflanzengeſellſchaften iſt — neben allen Gebrauchszwecken — immer
das wichtigſte Ziel der Kunſt im Garten. Hat man eine derartige Wirkung der
Pflanzen feſt ins Auge gefaßt, ſo iſt dieſes Ziel oft Urſache und Motiv grund—
134 3. Abſchnitt.
legender Geſtaltungspläne. Wer dieſe Geſtaltungsgründe, die aus der Kennt—
nis der Pflanzen und des Pflanzenlebens hervorgehen, nicht beherrſcht,
der kann kein im Sinne des Gartenkünſtlers vollwertiges Gartenkunſtwerk
mit ſeinen höchſten Möglichkeiten ſchaffen. Der Garteninhaber hat natürlich
nicht minder die verhältnismäßig zur Architektur notwendigen Elemente der Bau—
mittel des Gartens zu beherzigen.
Wo die Lage es nur geſtattet, ſollte man Waſſerbecken nach baulichen Motiven
anwenden, wenn Naturmotive uns verſagt ſind, damit die Waſſer- und Sumpf—
pflanzenvegetation uns nicht verſagt bleiben; und die Ränder dieſer Waſſer—
becken, aus Trockenmauerwerk gebildet, ferner Plattenwege, die zu dem Becken
führen, Stufen zu höher gelegenem Gebiet, das ſeinerſeits wieder mit einer geraden
oder ſchrägen Hausſteinmauer nach der Tiefe abgeſtützt iſt, bieten dann Gelegenheit
zur Beſiedelung mit Steinpflanzen. Höhe und Tiefe in ein und demſelben Gelände
bieten, ganz allgemein geſprochen, die ſtärkſten unterſcheidenden Motive in der Be—
pflanzung, jo daß die Tiefen durch Feuchtigkeitsphyſiognomien in Gegenſatz zu der
trockeneren Höhe gebracht werden.
Bei allem, was man auf dieſem künſtleriſchen Gebiet in eine Regel und Formel
faßt, beſteht die Gefahr, daß ſie mißverſtanden, einſeitig oder ſchematiſch angewendet
werde, ja, daß hier ein im Schöpferwillen des Künſtlers tiefer Sinn in reinen Unſinn
verkehrt wird. Es kann immer nur wieder warnend betont werden, daß die einzelnen
Motive im Garten in ihrer Vielſeitigkeit begrenzt werden, daß alle aber voneinander
in vernünftiger Abhängigkeit ſich befinden müſſen.
H. Böſchungen.
Nach unſern Standortstabellen entſprechen die gebauten Böſchungen den hüge—
ligen und abhängigen Standorten nach Naturmotiven. Böſchungen werden ja immer
in Beziehung zu irgend welchen anderen Baulichkeiten ſtehen, z. B. zu Terraſſen, zu
Vertiefungen, zu Gebäuden — kurz die Böſchung iſt immer ein Mittel, mit Hilfe des
Erdbaues Höhenunterſchiede im Gelände zu überwinden.
Die Beſiedelung mit Pflanzen braucht ja, ähnlich wie dies bei den Waſſerbecken—
böſchungen eingehend ausgeführt iſt, nicht in Beziehung zu dem baumäßigen Stand—
ort zu ſtehen. Denkbar iſt vielmehr, daß man von dem Leitmotiv ausgeht: man
pflanze ſo, wie die Natur von dem baulichen Standort Beſitz ergriffen haben würde.
In vielen Fällen würde aber dieſe Auffaſſung dem Geiſte und dem Geſtaltungs—
willen der ganzen Gartenörtlichkeit widerſprechen, und in dieſem Falle iſt es not—
wendig, dem baulichen Standort Pflanzungen nach Baugedanken entſprechen zu laſſen.
Alsdann handelt es ſich um einfache Begrünung der Böſchungsfläche mit Raſen,
die aber nur an mäßig beſchatteten Stellen ohne Schwierigkeiten zu erzielen iſt, oder
um eigentliche Beetanlagen, welche die Böſchungsfläche verzieren. Solche Beete können
dann ihrerſeits wieder mannigfach gegliedert, aufgeteilt und in einzelne Farbenflächen
zerlegt werden, die in gegenſeitigen Beziehungen einen rhythmiſchen Wechſel darſtellen.
Über den mehr oder weniger großen Reichtum der Beete entſcheiden im einzelnen die
Bedeutung und Beziehung der Böſchungsanlage zum Ganzen. Man kann hier nur
im allgemeinen ſagen, daß die Wirkung der Böſchung nicht durch höhere Pflanzen auf—
Die Pflanzen. 135
gehoben werden darf, ſondern daß alle Beetbepflanzungen nur als Ornament der
Böſchungsfläche zu gelten haben.
In unſeren großen öffentlichen Anlagen, wo noch die Überlieferung der Teppich—
beete gepflegt wird, z. B. im Palmengarten zu Frankfurt a. Main, ſind derartige
Beete auf Böſchungsflächen zu farbenfroher Wirkung gebracht worden. Die gärtneriſche
Erfahrung und vor allem eine ſorgfältige Pflege hat die Nachteile des abſchüſſigen
Standortes durch Bewäſſerung, Düngung des Bodens auszugleichen und vor allem
in der Wahl der Pflanzen im einzelnen die verſchiedene Beſonnung bezüglich Be—
ſchattung der Böſchungsflächen zu beachten.
Ihre Eigenſchaft als gebaute Geländeformen muß meiſtens deutlich zu Tage
treten. Es iſt daher widerſinnig, wenn Böſchungen, ſeien ſie hoch oder niedrig, in
eine „Felspartie“ verwandelt werden. Ungemein oft ſieht man bei Geländeeinſchnitten
an Grundſtückseingängen, die rechts und links von Böſchungen begrenzt ſind, jene
zuſammengetragenen, möglichſt maleriſchen Steine, die weſentlich dazu beigetragen
haben, die Gartengeſtaltung und -pflanzung nach Naturmotiven mißächtlich zu machen.
Gilt es, Böſchungen zum Zweck der Feſtigkeit vorteilhaft mit Steinen zu durch—
ſetzen, dann ſollte man dabei wieder nur von Baugedanken ſich leiten laſſen, d. h. die
Steine, wenn ſie plattig ſind, an den beſonders gefährdeten Stellen einfach neben—
einander legen, ſo daß ſie eine glatte Fläche bilden, deren Fugen mit Mauerpflanzen
bepflanzt werden mögen (ſ. Abb. 27).
Sind keine plattigen Steine vorhanden, ſondern nur andere, unregelmäßigere
Formen, dann kann man ſie ſo weit in den Boden einlegen, daß ſie nur mit ihrer
Fläche in gleicher Höhe mit der Böſchungslinie zutage treten. Auf dieſe Weiſe dienen
ſie der Befeſtigung, ſie fallen gar nicht auf, können aber dazu benutzt werden, manche
Pflanzen beſſer anzuſiedeln, beſonders ſolche, die gern ihre über den Boden hin—
laufenden Zweige auf Geſtein legen. Jede maleriſche Ausgeſtaltung von Böſchungen
mit Hilfe von Geſtein iſt alſo vom Übel.
Für die Bepflanzung einer Böſchung beſtehen grundſätzlich zwei Möglichkeiten:
Entweder die Böſchung wird als ein ſchief liegendes Beet behandelt, in dieſem Falle
auch oben, unten, an den Seiten regelmäßig begrenzt, oder die Pflanzen werden
maleriſch unregelmäßig auf der Böſchung verteilt. In beiden Fällen wird man bei
der Bepflanzung beſonders die Beſonnungs- und Feuchtigkeitszuſtände berückſichtigen
müſſen. Auf ſtark beſonnten Böſchungen können nur ganz beſtimmte Pflanzen ge—
deihen. Schattige Böſchungen unterſcheiden ſich für den Standortszuſtand wenig von
wagrecht gelegenen Standorten. Man iſt infolgedeſſen bei ſchattigen Böſchungen in
der Wahl der Pflanzen etwas unabhängiger, braucht nur die Beſchattung zu berück—
ſichtigen.
Auf einen Fehler muß noch beſonders aufmerkſam gemacht werden: Vielfach
ſieht man bei der Bepflanzung von Böſchungen ſtufenartige Stellen herausgearbeitet,
die gleichzeitig als Gießkränze dienen. Derartiges iſt notwendig, wenn z. B. Obſt—
bäume auf Böſchungen gepflanzt werden. Doch ſind gerade Böſchungen meiſtens ſehr
ungünſtige Standorte für Obſtgehölze. Pflanzt man ſie aber, ſo ſind ſolche Gieß—
kränze, wie geſagt, nicht zu vermeiden. Wenn aber die Bepflanzung der Böſchungen
nur Schönheitszwecken dient, dann muß die Wahl der Pflanzen derart getroffen
136 3. Abſchnitt.
werden, daß Gießkränze nicht nötig find, oder aber die Stufen find in der Böſchung
ſo anzuordnen, daß entweder die Böſchung in einzelne Terraſſen gegliedert wird und
nun die des Waſſers am meiſten bedürftigen Pflanzen auf den kleinen Flächen dieſer
Terraſſen ſtehen, oder aber, daß die geſamte Bodenplaſtik innerhalb der Böſchung eine
unregelmäßigere wird, ſo daß in gewiſſen Mulden die waſſerbedürftigeren Pflanzen
ſtehen. Eine derartige unregelmäßige Geländeplaſtik darf jedoch nicht ſo weit ge—
trieben werden, daß der Charakter eines gebauten Pflanzenſtandortes verloren geht,
wenn ſolche grundſätzlich beabſichtigt iſt. ö
Bei unregelmäßiger maleriſcher Bepflanzung kommen die Pflanzen des
Abſchnittes 6 Seite 99 in Betracht. Für regelmäßige Böſchungsbeete ſeien folgende
genannt:
1. Niedrige Pflanzen. Aubriétia-Arten und ihre zahlreichen Abarten.
Dieſe ſind beſonders geeignet, in die Fugen gepflanzt zu werden, die ſich bilden, wenn
man Böſchungen ganz flach mit Steinen belegt hat. Ahnlich Cerästium Bibersteini,
beſonders für trocken-ſonnige Stellen. Für ſonnige, aber nährſtoffreichere Stufen:
Campänula carpäthica und Diänthus plumärius, die Federnelke mit ihren zahlreichen
Sorten. Auch die winterharten Opuntien, deren herrliche Blüten ſich nur in voller
Sonne entfalten, können zu Böſchungsbeeten benutzt werden, beſonders, wenn die
einzelnen Pflanzen durch flache Steine voneinander getrennt ſind. Zur Begrünung
ſelbſt ſchmaler Fugen in mäßiger Sonne bei Luftfeuchtigkeit eignet ſich Sagina subuläta.
Dieſes kleine Pflänzchen, das einen moosartigen Eindruck macht, bedarf einer be—
ſonderen kurzen Empfehlung: es iſt ungemein leicht vermehrbar durch Zerreißen der
kleinen Polſter in einzelne Teile. Werden dieſe an Ort und Stelle angepflanzt, ſo
wachſen ſie bald aneinander heran und bilden eine geſchloſſene grüne Fläche, die ſich
mit kleinen weißen Blumen überzieht; ſie bleibt auch im Winter grünlich und ergibt
auf gut durchläſſigem Boden dauernd ſaubere, grüne Flächen. Niemals bedarf Sagina
subuläta irgendwelchen Schnittes; ſie iſt daher beſonders dort, wo nur ſehr wenig
Platz zur Verfügung ſteht, befähigt, das zu leiſten, was wir oft mit ſchmalen kleinen
Raſenflächen vergeblich erſtreben. Für kleine Fugen eignen ſich weiter verſchiedene
kleine und große Sedumarten, Sedum spurium, ferner Saxifraga und Sempervivum,
die aber als Maſſenwirkungen ziemlich bedeutungslos ſind. Faſt alle Teppichbeet—
und niedrigen „Gruppenpflanzen“ ſind für Beete auf Böſchungen geeignet.
2. Höhere Pflanzen. Eine Böſchung mit höheren Pflanzen zu beſetzen,
empfiehlt ſich im allgemeinen nur dann, wenn der obere Rand der Böſchung durch
eine Mauer oder eine Hecke gekrönt wird. In dieſem Falle bilden für die höheren
und auch für die oben ſtehenden Pflanzen die Mauer und die Hecke einen wirkſamen
Hintergrund; ſo kommen beſonders die höheren Gartenſtauden zur Geltung, und zwar
für feuchtere Böſchungen Georginen; Stauden-Sonnenblumen; Eiſenhut, Acönitum;
Herbſtaſtern; Boceönia; Centauréa montäna, die Bergkornblume; Herbſtchryſan—
themum der verſchiedenen winterharten Sorten; das Sommerchryſanthemum, Pyré—
thrum röseum, Coreöpsis verticilläta; Delphinium, Ritterſporn in den ſchönen
Gartenſorten; Dicéntra spectäbilis, das fliegende Herz; Echinops, die blaue Kugel:
diſtel; Eryngium in verſchiedenen Arten; Staudengaillardien; Harpälium in Garten-
Die Pflanzen. 137
ſorten; die Staudenſonnenblumen, Heliänthus; Johanniskraut; Ibéris sempervirens.
— Die häufig an Böſchungen angebrachten Iris, ebenſo verſchiedene dekorative Gräſer
empfehle ich für Böſchungen nicht, da ihre Phyſiognomie zu lebhaft an feuchte
Standorte erinnert, während die Böſchung die Vorſtellung des Waſſerabfluſſes
deutlich macht. Weiter find dagegen zu empfehlen: Leucänthemum vulgäre, die
Frühlingsmarguerite; Staudenlupinen in Gartenſorten; Lychnis chalcedönica, die
brennende Liebe; der Rieſenſteinbrech, Megaséa in verſchiedenen Gartenformen; Pä—
onien nur am Fuße einer Böſchung, da nur hier die nötige Feuchtigkeit geſichert iſt.
In den oberen Teilen dagegen Rieſenmohn, Papäver orientale in den Gartenſorten.
Ferner eignen ſich die höheren Gartenphloxe, beſonders für einheitliche Böſchungs—
bepflanzungen, Rudbeckia und andere Rieſenſtauden nur für ganz große Raum—
verhältniſſe; dagegen find hier noch zu nennen: Solidägo, die Goldrute; Verönica
und — in Beziehung zu den Opuntien zu bringen —, Yücca filamentösa, die
Palmenlilie.
Für ſchattige Böſchungen iſt das Weſentliche eine einheitliche Bedeckung des
Bodens, möglichſt mit immergrünen Flächen, wofür Immergrün (Vinca minor) und
kleinblättriger Efeu die bewährteſten ſind. Dieſe eignen ſich auch vortrefflich, um
ſowohl Frühlingszwiebelpflanzen zwiſchen ſich aufzunehmen, deren abſterbendes Kraut
ſie ſpäter bedecken, als auch verſchiedene kräftige Farne, Astilbe, und größere Spiräen—
arten, Helleborus niger, die Weihnachtsroſe (die aber auch Sonne liebt). Die ſchattige
Lage iſt hier für die Zufammenftellung der Pflanzen das Entſcheidende.
Die größeren Halbſtauden: Malven, Althäéa; Fingerhut, Digitalis; Königs—
kerze, Verbäscum; Goldlack, Cheiränthus; Hesperis matronälis werden wie die
größeren Stauden auf der unregelmäßig bepflanzten Böſchung verteilt, auch ſind ſie
beſonders wirkungsvoll, wenn ſie ſich von einer Hecke oder Mauer abheben.
* *
*
In bezug auf die äſthetiſche Wirkung der Böſchung iſt beſonders zu betonen,
daß ſie keine eigentlich tragende Kraft beſitzt, d. h. einen Höhenunterſchied zwiſchen
einer Terraſſe neben einem Gebäude einerſeits und dem tiefer liegenden Gelände
andrerſeits ſollte man möglichſt nicht durch Böſchungen überwinden, ſondern an deren
Stelle Mauerwerk treten laſſen; ſei es nun, daß dieſes Mauerwerk vom Architekten
gebaut oder vom Gartenkünſtler als Trockenmauerwerk behandelt wird. Ein Gebäude
ſtellt äſthetiſch eine gewiſſe „Laſt“ dar, die durch ruhende „Kräfte“ getragen werden
muß. Legt man nun die Böſchung einer Terraſſe, die ſich unmittelbar am Hauſe
befindet, ſo daß alſo das Haus höher ſteht als das umliegende Gelände, nahe an das
Haus, ſo erſcheint dieſes „auf Sand gebaut“, und man erhält nicht den Eindruck,
als könnten die ruhenden Kräfte dieſer Erdterraſſe die Laſt des Hauſes tragen. Legt
man andrerſeits die Böſchung in weitem Abſtand vom Hauſe an, ſo fällt dieſes Be—
denken fort. Dagegen ergibt ſich leicht eine unangenehme „Überſchneidung“ der Haus—
baſis, wenn die Böſchung hoch iſt. Für die Geſtaltung des Geländes in Beziehung
zum Haus iſt eben ein ſtarkes Gefühl für Bau- und Raumwirkung erforderlich.
138 3. Abſchnitt.
K. I u. II. Ebene Standorte.
Betrachten wir die Standortstabelle auf Seite 75, ſo finden wir in dieſer Ab—
teilung der gebauten Standorte, daß wir uns ſo recht in jene Gebiete begeben, die
mit der Vorſtellung Garten ſeit uralten Zeiten verknüpft ſind.
Alle dieſe Standorte laufen mehr oder weniger, einfacher oder verzierter,
kleiner oder größer, auf Anlagen von eigentlichen Beeten hinaus, und es iſt das
Charakteriſtiſche dieſer gebauten Standorte, daß wir ſie ſo herrichten, wie die ver—
ſchiedenen Pflanzenarten, die wir auf den Beeten pflegen wollen, es verlangen.
Hier iſt vielleicht der Ort, noch einmal nachdrücklich darauf hinzuweiſen, wie ſtark
ſich in der künſtleriſchen Verwertung und Belebung der Gartenſtandorte mit Pflanzen
die naturgemäßen von den gebauten grundſätzlich unterſcheiden: Das Motiv
aller naturgemäßen Standorte gipfelt darin, nach ihrem wirklichen oder künſt—
leriſch ſcheinbaren Zuſtand die anzuſiedelnde Pflanzenwelt einzurichten, während wir
alle gebauten Standorte in bezug auf die Pflanzen, die dort gepflegt werden ſollen,
vorbereiten; einzig und allein Beſonnung und Beſchattung (bisweilen auch die Grund—
feuchtigkeit) ſpielen bei beiden eine entſcheidende natürliche Rolle und greifen mit
einem gewiſſen Zwang ihrerſeits in unſere Wahl ein.
Da wir die gebauten Standorte, wie geſagt, für die Pflanzen einrichten, die
wir pflegen wollen, ſo wird es für die folgenden Betrachtungen richtiger und kürzer
ſein, die verſchiedenen großen Gartenpflanzengruppen geſondert zu betrachten: den
Gemüſegarten, den Roſengarten, den Blumengarten, den Steinpflanzen—
garten, den Waſſerpflanzen-, Heidepflanzengarten, kurz jene Gartenkulturen,
denen wir in unſerem Garten entweder ganz beſtimmte ſelbſtändige Gebiete oder
wenigſtens einzelne ihnen beſonders zugewieſene Beete geben.
Nun iſt es nicht die Aufgabe dieſes Buches, das ſich weſentlich mit der künſt—
leriſchen Geſtaltung des Gartens befaßt, einzelne Kulturanweiſungen zu geben, um ſo
weniger, da dieſe in zahlreichen Gartenſchriften enthalten ſind. Andrerſeits fordert die
Darſtellung der Beziehungen zwiſchen Menſch und Pflanzen, von der die vorliegende
Schrift ein Teil iſt“), ein Eingehen auf die wichtigſten Hauptgruppen gärtneriſcher
Pflanzen verwendung, die in folgendem gegeben werden ſollen.
J. Der Gemüſegarten.
a) Früher hat man die Lage des Gemüſegartens in Beziehung zu den übrigen
Gartenteilen ſo gewählt, daß man möglichſt wenig von ihm ſah. Das Nützliche galt
ja noch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts als weniger wertvoll wie das Schöne.
Neuerdings iſt man in den Anſchauungen ins Gegenteil verfallen, hat uns von der
Schönheit betauten Kohls und all den Reizen des Gemüſegartens durch Wort und
Pinſel ſo viel erzählt, daß es Fälle gibt, in denen der Gemüſegarten mittels einer
Randverzierung mit Rabatten, mit dazwiſchen verteiltem Obſt das Hauptſtück der ge—
) „Die Pflanzen und der Menſch.“ J. Bd.: Die Nutzpflanzen, bearbeitet vom Kgl. Garten—
baudirektor Willy Lange, Prof. C. Fruwirth, Prof. H. Schulz, Prof. Dr. H. Hausrath. — II. Bd.:
Die Verwertung der pflanzlichen Produkte, bearbeitet von Privatdozent Dr. V. Grafe, Prof. Dr.
S. Fränkel, H. Welten, Prof. H. Brüggemann, S. Ferenczi. (Kosmos, Franckh'ſche Verlags—
handlung, Stuttgart.)
Die Pflanzen. 139
ſamten Gartenanlage bildet. Das Richtige liegt auch hier in der Mitte beider gegen—
ſätzlichen Anſchauungen.
Der Gemüſegarten braucht nicht verſteckt zu werden, vor allem nicht durch eine
unwahre Buſchkuliſſe von nichtsſagendem Geſträuch, aber man braucht ihn auch nicht
zum Hauptſtück zu machen, denn es gibt nur wenige kurze Zeiten, in denen ein Ge—
müſegarten wirklich einen hübſchen Eindruck macht, — wenn nicht bei ſeiner Behand—
lung mehr auf die ſchöne Seite, als auf die Nützlichkeit von vornherein geachtet wird.
Am beſten iſt es, eine Trennung zwiſchen Gemüſegarten und den übrigen Gartenteilen
durch ein Spalierwerk, durch Gebäude, durch Terraſſen, wo Höhenunterſchiede mög—
lich ſind, durch Hecken herbeizuführen, ſo daß man dann wohl einen Einblick auf die
blumigen Randbeete des Gemüſegartens und die übrigen Teile des Gartens gewinnt,
ohne dabei auf die halbabgeernteten Kohl- und Salatbeete, auf die welkenden Gurken—
beete, auf die Spargelhügel und niedergetretenen Zwiebelbeete ſehen zu müſſen.
Gemüſe haben eine derart wichtige Beziehung zu uns, daß wir ſie in jeder Lage
des Gartens erzwingen müſſen, ſelbſt wenn die Vorbedingungen noch ſo ungünſtig ſind.
Iſt der Boden zu trocken und durchläſſig, ſo lohnt es ſich, den Gemüſegarten
um 30—40 cm tiefer zu legen als die übrigen Teile, weil ſchon hierdurch eine größere
Feuchtigkeit, ein Schutz gegen Winde entſteht. Iſt andrerſeits der Boden zu naß
infolge hohen Grundwaſſerſtandes, ſo muß durch Aufſchüttung, durch Grabenbildung
die Kulturmöglichkeit geſchaffen werden. Schutz gegen Winde bieten Heckenpflanzungen
und Gebäude. Luftfeuchtigkeit wird erreicht durch häufiges Spritzen nicht nur der
Beete und Pflanzen, ſondern auch der Umgebung.
Faſt ſämtliche Gemüſe ſtellen Maſtraſſen dar, die aus urſprünglich weniger
bedürfnisvollen Pflanzen durch Anpaſſung an üppigere Bodenzuſtände zu dem geworden
ſind, was ſie uns heute bieten. Durch Zuchtwahl, durch Freiſtellung bei der Kultur,
erhöhte Ernährung ſind ſie zu dem geworden, was ſie ſind, und nun an dieſe Kultur—
zuſtände angepaßt, ſo daß ſie ſie gebieteriſch fordern. Je größer die Blatt- und all—
gemeine Körperentwicklung der einzelnen Gemüſe iſt, deſto größer ſind ihre Anſprüche
an Nährſtoffe, ſo daß man zwei Gruppen unterſcheiden kann:
Zu den blattreichen und anſpruchsvollen gehören u. a. Kohle, Salate, Spinate,
Kohlrüben, große Kohlrabi, Artiſchocken, Cardy (ſpaniſche Artiſchocken), Gurken; zu
den weniger anſpruchsvollen Zwiebeln, Porree, Schotenfrüchtler, Tomaten, Mohrrüben.
Andrerſeits darf man behaupten, daß innerhalb der einzelnen Gemüſeraſſen
diejenigen die größten Anſprüche ſtellen, die das für uns nutzbare Erzeugnis in kurzer
Zeit und mit wenig Aufwand von Blättern bringen. So ſind die niedrigen, früh—
zeitigen, blattarmen Raſſen anſpruchsvoller als die ſpäten und blattreichen. Demnach
ſind Karotten anſpruchsvoller als Mohrrüben, Frühkohlrabi anſpruchsvoller als ſpäte,
Zwergblumenkohl anſpruchsvoller als Rieſenblumenkohl, niedrige Erbſen und Bohnen
anſpruchsvoller als hohe. Spargel, in der Wildform anſpruchslos, gehört durch die
eigenartige Schwächung bei der Ernte zu den Gemüſearten, welche wegen der von
uns erwünſchten langen Dauer ihrer Leiſtungsfähigkeit hohe Anſprüche an den Boden
ſtellen..
Die gegenſeitige Entfernung der Pflanzen auf der Kulturfläche richtet ſich nach
den Einflüſſen von Bodenzuſtand, Feuchtigkeit, Sorte, Größe, die wir erzielen wollen,
140 3. Abſchnitt.
Frühreife oder Spätreife, Gunſt oder Ungunſt der Lage: je nahrungsreicher der Boden,
je günſtiger überhaupt alle Wachstumsfaktoren ſind, deſto größer muß alſo ihr
Abſtand ſein.
Dem ſteht aber die Tatſache entgegen, daß man auf armem Boden nur bei
weiter Pflanzung noch leidliche Ernten gewinnt, weil ſonſt die Pflanzen ſich einen
zu ſtarken Wettbewerb um Nahrung machen. Je früher und dadurch kleiner das
Ernteerzeugnis ſein darf, deſto enger kann man pflanzen, auch auf Boden mit vor—
trefflichen Eigenſchaften, den ja gerade die Frühgemüſe fordern.
Alle Gemüſe ſind empfindlich gegenüber den beſonderen ört—
lichen Eigenſchaften ihres Standortes. In dieſem Sinne ſind für die
verſchiedenen Kulturzwecke beſondere Raſſen herausgezüchtet worden. Freilandſorten
eignen ſich nicht für das Miſtbeet und umgekehrt, und für das Gewächshaus ſind
wieder beſondere Raſſen im Handel. Spargelſorten, die an ſchwereren Boden an—
gepaßt ſind, finden ſich auf leichterem beeinträchtigt, Salatſorten für kühle Klimate
ſind in warmen unbrauchbar, kurz, die Anpaſſungs- und Entartungsvorgänge
innerhalb der einzelnen Raſſen kommen niemals zum Stillſtand; infolgedeſſen
ſind die beſten Sorten, nach denen man zuerſt zu greifen hat, die am Orte erprobten
Lokalſorten.
Sind ſolche nicht erprobt oder feſtſtellbar, ſo kann man gerade bei der Gemüſe—
kultur zu den Neuheiten greifen, weil die Züchter in dieſer Gruppe in der Regel
Sorten mit hochgezüchteten, vorzüglichen Eigenſchaften anbieten, ſo daß man alsdann
von einer vortrefflichen Urſprungsbeſchaffenheit bei dieſer Kultur ausgeht, die durch
Selbſtzucht feſtgehalten, geſteigert und an die beſonderen örtlichen Verhältniſſe an—
gepaßt werden können.
Die Hochzucht der Gemüſe iſt bei weitem noch nicht am Ende angelangt und
ſollte mit dem größten Eifer betrieben werden, mit dem die Landwirtſchaft ihre
Pflanzen und Tierraſſen hochzuzüchten ſucht. Dem ſteht leider in der Gärtnerei die
Sucht entgegen, möglichſt billige Saat zu kaufen, obwohl man ſich klar machen ſollte,
daß der Preis des Samens gegenüber einer ſicheren Mehrleiſtung der Raſſen an
Beſchaffenheit, Menge oder Gewicht der Ernte gar keine Rolle ſpielt.
Für die einzelnen Gemüſearten, z. T. auch für die Raſſen ſind die Bodenanſprüche
ſehr verſchieden. Da man im Hausgarten faſt immer nur mit einer einheitlichen
Bodenbeſchaffenheit zu tun hat, ſo muß man nach einem allgemeinen Durchſchnitts—
zuſtand des Bodens ſtreben, der als lehm-ſandiger oder als ſandig-lehmiger humoſer
Boden anzuſprechen iſt; will ſagen, daß in feuchteren, kühleren Lagen eine mehr
ſandige, in trockneren, mehr warmen Lagen eine mehr lehmige Beſchaffenheit zu
erſtreben iſt. Humus iſt für alle Gemüſe wichtig als Speicher für alle Nährſtoffe,
für Waſſer, Wärme, als Mittel zur Lockerung, wie zur Lüftung und Erwärmung
des Bodens.
Denn nur, wenn alle Wachstumsfaktoren im beſten Maße — im Optimum —
zu jeder Zeit vorhanden ſind, können die Gemüſepflanzen das leiſten, wozu ſie als
Raſſen fähig ſind. Sonne, Wärme, Regen ſtehen nicht in unſerer Macht, aber
wenn die Sonne ſcheint, wenn es regnet, wenn es warm iſt, dann darf es auch
an den Wachstumsmitteln, die in unſere Hand gegeben ſind, nicht fehlen: Feuchtig—
Die Pflanzen. 141
keit, Nährkraft, Durchläſſigkeit und Erwärmbarkeit des Bodens. Wie alle dieſe
Gaben von uns zu ſpenden ſind, lehren die Erfahrungen und Wiſſenſchaften der
Bodenkunde und Düngerlehre, der allgemeinen Pflanzenkultur — Erfahrungs-
wiſſenſchaften, die tief eingreifen in das geſamte Wirtſchaftsleben der Erde.
Die Anſprüche der Gemüſe an die Wachstumsfaktoren im einzelnen ſind ſehr
verſchieden, und wenn wir uns im Garten jeweilig in der Regel nur einem all—
gemeinen Zuſtand gegenüber befinden, ſo haben wir es doch in der Hand, für die
Hauptfaktoren beſtimmte Quartiere oder Beete in einen Zuſtand zu bringen, den
die Gemüſe fordern. Wenn Kohl tiefgründigen, nährſtoffreichen, feuchten Boden
will, ſo ſind dies Dinge, die auf jedem einzelnen Beete zu ſchaffen ſind. Wollen
Zwiebeln einen Boden, der im Sommer leicht abtrocknet, ſo bewirkt dies eine reichere
Kompoſtgabe, und wollen Frühgemüſe ganz allgemein humoſen warmen Boden, ſo
wird eine Düngung mit Kompoſt und Miſt ihre Wünſche erfüllen. Und iſt der
Boden zu ſtreng und zähe für Spargel, ſo muß er durch Sand und Torfſtreu ge—
eignet gemacht werden. Ganz allgemein kann man die Fülle der Bodenverbeſſerungs—
möglichkeiten in die Formel faſſen: Der Boden iſt im entgegengeſetzten Sinne zu den
Eigenſchaften zu verbeſſern, die er beſitzt. Denn wenn man ſich klar macht, daß das
Ideal: Humos⸗lehm⸗-ſandig iſt, wenn man weiß, daß Lehm und Sand in ihren
Eigenſchaften Gegenſätze darſtellen, daß Humus einen Vermittler zwiſchen beiden
bildet, ſo wird es klar, daß einem Boden, den man als lehmig oder humos oder
ſandig anzuſprechen geneigt iſt, zur Verbeſſerung eben diejenigen Zuſätze gewährt
werden müſſen, die ſeinen beſtehenden Eigenſchaften entgegengeſetzt ſind.
Auch im Hausgartengemüſebau iſt es vorteilhaft, auf ein und derſelben Stelle
möglichſt verſchiedenartige Gemüſe aufeinander folgen zu laſſen, damit die Entnahme
der Bodennährſtoffe nicht einſeitig erfolgt. Auf dieſe Weiſe wird die ſogenannte
Bodenmüdigkeit verhütet, vor allen Dingen aber auch dem vorgebeugt, daß Krank—
heiten tieriſcher und pflanzlicher Art, von denen die eine Art befallen wird, dann auf
die nächſte ähnliche Art übergehen, weil dieſe Krankheitsſchädigungen meiſtens, wenn
nicht an eine einzelne Art, ſo doch an beſtimmte Gattungen der Gemüſe gebunden ſind.
Die Wechſelwirtſchaft, wie ſie in der Landwirtſchaft von großer Bedeutung iſt,
läßt ſich andrerſeits nur in gewiſſen Grenzen im Gartengemüſebau durchführen, da
ja die Bodenzuſtände in jedem Garten nahezu einheitlich ſind und ſämtliche Pflanzen—
raſſen des Gemüſebaues ziemlich hohe Anſprüche ſtellen. Wohl findet man in älteren
Gemüſebaubüchern ein Schema, nach dem man das geſamte Kulturgebiet in vier Teile
zu teilen und jeden Teil jährlich mit einer beſtimmten Klaſſe von Gemüſe zu be—
pflanzen habe. Man geht dabei von der Vorausſetzung aus, daß friſche Düngung
nur wenige Gemüſearten, beſonders die Kohle, vertrügen. Wenn ſie auch die friſche
Düngung in bezug auf ihr eigenes Gedeihen leidlich ertragen, ſo iſt ſie doch nach—
teilig für unſere Gebrauchszwecke; infolgedeſſen macht man ſich im Gartengemüſebau
am beſten von derartigen Rückſichten auf friſche Düngung unabhängig dadurch, daß
man mit altem verrottetem Dünger die notwendigen Nährſtoffe bietet, indem man
alljährlich die eine Hälfte des zur Verfügung ſtehenden Landes mit derartigem kom—
poſtiertem Dünger beſchickt, während man auf die andere Hälfte diejenigen Gemüſe—
kulturen bringt, die weniger hohe Anſprüche an Bodennahrung ſtellen. Weiter kann
142 3. Abſchnitt.
man ſich von der friſchen Düngung dadurch unabhängig machen, daß man die künſt—
liche Düngung zu Hilfe nimmt; da dieſe in die geſamte Pflanzenkultur heute tief
eingreift, dürfte es lohnend ſein, hier ihre Vorteile und Nachteile kurz zuſammen—
zuſtellen, weil ſie für alle Zukunft das Verhältnis der Pflanze zum Menſchen zu be—
einfluſſen geeignet iſt und im vegetabiliſchen Wirtſchaftsleben der Erde große Be—
deutung hat.
Vorteile der Düngemittel anorganiſchen Urſprungs (fünftliche oder
Handelsdünger): |
1. Bei Überfluß von Humus auf Wieſen, Moor, Heide und altem humus—
reichem Gartenboden führen ſie Nährſtoffe zu, ohne, wie der Stalldünger, das Über—
maß an Humus zu vermehren.
2. Sie bringen eine weſentliche Unterſtützung der Wirkung organiſchen Düngers
(Miſt in jeder Form). Nur Chiliſalpeter iſt nicht mit Stalldünger zuſammenzubringen,
weil dadurch die Bakterien, welche Stickſtoff verzehren, überhandnehmen, wie denn
überhaupt die Beziehungen anorganiſcher Düngung zur Düngung organiſchen Urſprungs
beſonderer Berückſichtigung bedürfen.
3. Bei einſeitigem überwiegen irgend eines Nährſtoffes im Boden iſt man in
der Lage, die fehlenden Nährſtoffe einzeln mit Handelsdünger zuzuſetzen. Die Pflanzen
entwickeln ſich immer nur dann in beſter Weiſe, wenn alle wichtigen Nährſtoffe in
richtigem, hinreichendem und aufnahmefähigem Zuſtand im Boden vorhanden ſind.
Fehlt ein Nährſtoff, ſo wird die Entwicklung gehemmt, weil ſie nur nach dem Maß—
ſtab dieſes gering vorhandenen Stoffes erfolgt (ſ. Liebig's „Geſetz des Minimums“).
Wenn daneben aber andrerſeits die Pflanze von dem überreichlich vorhandenen Nähr—
ſtoff ſo viel wie möglich verarbeitet, dann treten Erſcheinungen auf, die infolge ein—
ſeitiger Überernährung als krankhaft angeſprochen werden.
4. Die künſtlichen oder Handelsdünger ermöglichen die ſogenannte Gründüngung,
d. h. Ausſaat ſolcher Pflanzen, die nicht abgeerntet, ſondern untergegraben alle ihre
in ihren Körpern aufgeſpeicherten Stoffe dem Boden als Nährſtoffſpeicher für künf—
tige Pflanzenkulturen zugut kommen laſſen. Die Gründüngung iſt eine planvoll durch—
geführte Maßnahme zum Erſatz der früher als notwendig erachteten Brache. Die
Brache ließ ein oder mehrere Jahre den Acker „ruhen“, man verzichtete auf Ernten
und grub die unterdeſſen gewachſenen Unkräuter ein, deren Körper alsdann eine ähn—
liche Aufgabe erfüllten, wie die heute planvoll ausgeſäten Gründüngungspflanzen.
Dabei nahm aber jedesmal die Verbreitung der Unkrautſamen ungeheuer zu, was die
nachfolgenden Kulturen ſtörte. Die wichtigſten Gründüngungspflanzen ſind Legumi—
noſen, die den teuren und wertvollen Stickſtoff mit Hilfe von Bakterien in ihren
Wurzelknollen aus der Luft entnehmen, zum Aufbau des Pflanzenkörpers benutzen
und ihn bei deſſen ſpäterem Zerfall dem Boden und künftigen Pflanzenkulturen zuführen.
Die Vorzüge der Gründün gung liegen in folgendem:
a) in der Lockerung des Bodens nach dem Zerfall der Pflanzenteile;
b) in der Humuszuführung;
c) in der Waſſerzuführung;
d) in der Zuführung von Nährſtoff, insbeſondere Stickſtoff.
Die Pflanzen. 143
Aus der Lockerung folgt ferner
e) eine Durchdringung des Bodens mit Luft, hierdurch mit Wärme und
ein Niederſchlag der Luftfeuchtigkeit im Boden, weil die warme feuchte
Außenluft an die kühleren Bodenpartikelchen die Feuchtigkeit abgibt, da
ja die untergegrabenen Pflanzenteile und die Wurzeln nach ihrem Zer—
fall Luftkanäle im Boden hervorrufen.
f) Endlich iſt die Gründüngung die beſte Vorbereitung für Großpflanz-
ungen (Plantagen), weil zugleich im Gegenſatz zur Brache durch den
dichten Stand der Gründüngungspflanzen die Unkräuter unterdrückt werden.
Weitere Vorteile der Düngung mit anorganiſchem Dünger ſeien in folgendem
genannt:
5. Die Wirkung erfolgt bei den waſſerlöslichen Düngemitteln ſofort. Daher iſt
dieſe Düngeart für Kopfdüngung zu benutzen.
6. Da Mift in größeren Bodentiefen ſich nicht zerſetzt, können wir in ſolchen
Tiefen beſonders für Dauerkulturen, wie Stauden, Spargel, Rhabarber, Fruchtgehölze,
Schnittſträucher, die nötigen Nährſtoffe mit Hilfe der künſtlichen Düngemittel bringen.
7. Weil die Düngemittel leicht löslich und, wie der Chiliſalpeter, nicht oder nur
wenig von den oberen Bodenſchichten feſtgehalten werden, hat man in ihnen die
Möglichkeit, in größere Tiefen Nachdüngungen dringen zu laſſen. In der Topf—
Abb. 94. Bananen (Musa paradisiaca) mit Blütenſtand. Die Früchte dieſer Kulturraſſe entſtehen ohne Befruchtung
und ohne Samenbildung. Die Sorten ſind zahlreich und örtlich verſchieden; im ſubtropiſchen Gebiet durch Bewäſſe—
rung kultiviert, neuerdings unter Zuhilfenahme künſtlicher Düngung, wodurch der Geſchmack vielfach (infolge über-
mäßiger Salpeterdüngung) fader geworden iſt. (Auf Teneriffa phot. v. Willy Lange.)
144 3. Abſchnitt.
kultur, die ja auch im Gemüſebau vorbereitend eine Rolle jpielt, erſpart die künſt—
liche Düngung wiederholtes Verpflanzen und dadurch Raum bei der Aufſtellung der
Pflanzen. Es werden auf dieſe Weiſe unwirtſchaftliche Hungerzuſtände vermieden, die
die Pflanzen zu ihrem und unſerem Nachteil erleiden, wenn das Verpflanzen ſich
einmal verzögert. Daß dabei Arbeitszeit, Gewicht bei der Verpackung und Erde
erſpart wird, ſei nicht zuletzt erwähnt.
8. Durch die künſtliche Düngung find wir in der Lage, die Blüten-, Blatt⸗
oder Fruchtentwicklung einſeitig zu beeinfluſſen, ein ſchnelles Wachstum zu fördern,
weil es niemals bei der
Aſſimilation an den
nötigen Nährſtoffen
des Bodens zu fehlen
braucht.
9. Die Vermeidung
ſchlechter Gerüche iſt von
weſentlichem Wert in der
Kultur der Wintergarten⸗
und Zimmerpflanzen ſo⸗
wie derjenigen Gemüſe,
die, wie Salate, Radies⸗
chen, Rettiche, Bleich-
ſellerie und Erdbeeren,
roh gegeſſen werden.
10. Nährſtoffarme
oder einſeitig nährende,
aber unkrautfreie oder
Abb. 95. Alte Bananenſtümpfe auf neuem Acker ausgepflanzt, zunächſt ohne unkrautarme Stoffe, wie
Bewäſſerung, um Seitenſproſſen zu treiben. Alsdann ſetzt die Bewäſſerung, fl
Düngung, Behackung ein. So entſtehen „Bananenhaine“! Ein wenig erfreu— Torf, Moorerde, Heide⸗
licher Anblick! Zugleich im Vergleich mit dem vorigen und den Bildern 96 und 3
104 ein Beiſpiel für die Unabhängigkeit ſubtropiſcher Gebiete von der Jahreszeit, erde und Lehm können
und die willtürliche Beeinfluſſung der Pflanzenkultur durch Bewäſſerung; denn unter Hinzufügung von
alle genannten Bilder find zur gleichen Jahreszeit — Anfang April — auf 1
Teneriffa vom Verfaſſer phot. Ahnliches gilt von Abb. 99. Kalk und Sand mit
Hilfe der künſtlichen
Dünger in ein vortreffliches, allſeitig nährſtoffreiches Bodengemiſch verwandelt
werden. Solche humoſen, nährſtoffreichen, aber unkrautfreien Erden ſind beſonders
für Ausſaaten in Käſten und bei Saatbeeten von großem Wert; denn Unkraut be=
deutet für die Edelſämlinge ſtets einen Wettbewerb um Licht, Luft, Nährſtoff, Feuchtig⸗
keit und dadurch eine Schädigung. Auch verhindert ſelbſt eine niedrige Unkrautſchicht
den Zutritt der Wärmeſtrahlen zum Boden und die rechte erwärmende Durchlüftung;
die Schaffung einer unkrautfreien, nährſtoffreichen Erde iſt für alle Gartenkultur und
Gartenkunſt eine wichtige Vorbedingung, jo auch beſonders zur Kopfdüngung des
Zierraſens und für geſellſchaftliche Pflanzungen nach Naturmotiven.
11. Die künſtlichen Dünger ſind billig anzuwenden, erſparen Arbeitslohn, Trans⸗
portkoſten und find daher auch in der Kolonialkultur und in der viehloſen Landwirt-
ſchaft von größter Bedeutung geworden.
Die Pflanzen. 145
12. Weil die fünftliche Düngung vielfach eine allgemein aufſchließende Kraft
für die im Boden vorhandenen Nährſtoffe beſitzt, ſo kann ſie zur Ausnützung dieſer
von Natur im Boden vorhandenen Nährſtoffe mitwirken. Allerdings trägt ſie zur
Verarmung des Bodens in der Zukunft bei, was aber in ſolchen Fällen kein Nach—
teil, ſondern ein wirtſchaftlicher Vorteil iſt, wo der Boden ohnehin bald anderen
Zwecken, z. B. der Bebauung, zugeführt werden ſoll.
13. Die künſtlichen Dünger befreien uns zu einem großen Teil von der Wechſel—
wirtſchaft; dieſe will die Bodenmüdigkeit, deren Urſachen nur zum Teil bekannt ſind,
vermeiden, die Vernichtung von Krankheiten tieriſcher und pflanzlicher Art erſtreben,
Abb. 96. Bananenfeld, bereits zur Berieſelung eingerichtet. Dieſe Pflanzen ſind aus Sproſſen erzogen, die den
alten Pflanzen entnommen ſind. Im Hintergrund Orotava auf Teneriffa. (Phot. im April von Willy Lange.)
zur Unterdrückung des Unkrautes beitragen, die Nachteile einer friſchen Düngung auf
diejenigen Pflanzen beſchränken, die am wenigſten darunter leiden, vor allem aber
einen Ausgleich der Nährſtoffe des Bodens im Verhältnis zum Verbrauch erreichen.
Hierzu ſind nun die einſeitig verwendbaren künſtlichen Düngemittel von beſonderem
Wert.
14. Die Waſſerhaltigkeit des Bodens wird durch die Salze der künſtlichen
Düngemittel vielfach erhöht.
15. Auf armem Boden bieten die künſtlichen Düngemittel die Möglichkeit einer
ſofortigen vollwertigen Kultur in der Vorausſetzung, daß das nötige Waſſer vor—
handen iſt; denn ohne Waſſer keine volle Düngerwirkunng. Andrerſeits darf man
ſagen, daß
Lange, Der Garten. 10
146 3. Abſchnitt.
16. ſelbſt geringe Regenmengen oder Waſſerzuführungen ihre wachstumfördernde
Ausnutzung finden, wenn die nötigen Nährſtoffe im Augenblick der Waſſerzufuhr in
reichlicher, löslicher Menge vorhanden ſind, wie ſie gerade die höchſtwertigen „künſt—
lichen“ Düngemittel zur Verfügung ſtellen.
17. Wenn vorher darauf hingewieſen wurde, daß die Raſſenkultur häufig eine
Anpaſſung an hohen Nährſtoffverbrauch darſtellt, daß alle dieſe hohen Nährſtoff—
mengen von den Raſſen gefordert würden, ſo wird hier die Behauptung verſtändlich,
daß mit Hilfe der hochwertigen künſtlichen Nährſtoffzuführungen die Leiſtungsfähigkeit
der Raſſenindividuen aufs höchſte geſteigert wird und nun deren Nachkommenſchaft
gleichfalls beſte Vorausſetzungen für die Zukunft bietet. Auf dieſem Umwege fördert
die künſtliche Düngung die Raſſenhochzucht.
Demgegenüber ſind die Nachteile der künſtlichen Düngemittel gering und
durch Studium und Erfahrung zu vermeiden. Manche verkleben den Boden, wenn er
ohnehin dazu neigt; in zu ſtarker Maſſe ſind ſie ſchädlich, ja giftig wirkend; ſie
können niemals die Wirkung des Humus, den wir mittels des Miſtes dem Boden
zuführen, erſetzen. Darum wird Miſt und jede in Zerſetzung befindliche organiſche
Subſtanz, wofür man die kurze Bezeichnung Humus eingeführt hat, von größtem
Vorteil fein. Da es ſich im Gemüſebau um die raſcheſt wachſenden und anſpruchs—
vollſten Pflanzen unſeres Klimas handelt, ſo tritt auch hier die Bedeutung des Humus
am deutlichſten zu Tage.
Die Werte des Humus ſeien kurz zuſammengeſtellt:
1. Durch die große Waſſerhaltungsfähigkeit erhält er dem Boden ſeine
Feuchtigkeit.
2. Er lockert den Boden und macht ihn krümelig; durch ſeine Lockerung und
Schwärzung trägt er zur Durchlüftung und Erwärmung bei. Weil nun das Trans—
portmittel für Nährſtoff das Waſſer iſt, ſo haben wir bei allen Maſtraſſenkulturen,
beſonders im Gemüſebau, ein großes Intereſſe, möglichſt viel Waſſer durch die
Pflanzen hindurchzuleiten, ſo daß ſelbſt die waſſerhaltigen Lehmböden, die aber nach
Austrocknung ſchwer Waſſer annehmen, durch Humuszufuhr wertvoller werden. Auch
Sandboden wird durch Humuszuführung waſſerhaltender, wenn auch noch wärmer
und — bei Waſſermangel — noch leichter austrocknend.
3. Humus nimmt Wärme auf ſchon infolge ſeiner dunklen Farbe, gibt fie aber
bei hinreichender Waſſermenge ſchwer ab und führt ſo, als Wärmeſpeicher, während
der Nacht einen Ausgleich zwiſchen der Tages- und Nachttemperatur im Boden herbei.
Da nun die Wärmeſumme eines Pflanzenſtandortes einen wichtigen Teil aller gün-
ſtigen Wachstumsfaktoren bildet, da von der Höhe der Wärmeſumme zum Teil die
Wachstumsleiſtung abhängt, ſo darf man ſagen, daß Humus beſonders in kühleren
Klimaten eine Wachstumsverlängerung hervorruft, indem durch ſein Vorhandenſein
ſowohl das Frühlingswachstum früher beginnt, als auch das Herbſtwachstum länger
währt. Bei aller Ausnützung der gärtneriſchen Kulturmittel ſpielt aber neben dem
Kulturraum (Bodenfläche X Luftraum) die Wirkung der Zeit eine große Rolle. Da
uns die Sonne nur einen Teil des Jahres mit wuchsfördernder Wärme beiſteht, ſo kommt
es darauf an, dieſe warme Zeit mit Hilfe der Technik des Gartenbaues zu verlängern,
und ſo iſt denn die Mitwirkung des Humus von hohem volkswirtſchaftlichem Nutzen
Die Pflanzen. 147
in den Beziehungen zwiſchen Pflanze und Menſch. Denn auch die Luftſchicht über
einem erwärmten Humusboden wird durch Strahlung wärmer, ſo daß man ſagen
kann: Humus verbeſſert das örtliche Gartenklima.
Der eigenartige Zuſtand des Bodens, der durch richtiges Vorhandenſein von
Humus erreicht wird, bietet die beſten Vorausſetzungen für die Bildung von Wurzel-
ballen in der Pflanzenkultur, die ihrerſeits wieder die Möglichkeit bieten, die Pflanzen
ohne Störung zu verpflanzen, und dadurch jenen eben als wirtſchaftlich ſo wichtig
bezeichneten Zeitgewinn erzeugen; denn wir können im wärmeren geſchloſſenen Raum
die Pflanzen auf das Wachstum im Freien vorbereiten.
Abb. 97. Die rechte Seite eines Tales (Baranco) auf Teneriffa. In der Tiefe wälzen ſich gelegentlich die Fluten
von Regengüſſen aus dem Hochgebirge zum Meer. Die Seiten ſind mühevoll terraſſiert, zur Berieſelung des vulfa=
niſchen Bodens eingerichtet. Die Terraſſenmauern ſind mit roten und roſa Pelargonien (P. zonäle und peltätum),
die hier verwildert ſind, überwuchert (ſ. die hellen Flecken auf der Kurve, die ſich am Rande des Tales neben den
Bananen hinziehen). (Phot. im April von Willy Lange.)
4. Der Humus ſchafft einen günſtigen mechaniſchen Zuſtand für die chemiſchen
Wechſelwirkungen zwiſchen den organiſchen und mineraliſchen Beſtandteilen des Bodens
untereinander und dieſer mit der Pflanzenwurzel.
5. Die wichtige bakterielle Tätigkeit, das eigentliche Leben des Bodens, iſt
weſentlich an das Vorhandenſein von Humus gebunden. Eine Fülle von Kleinlebe—
weſen, vergleichbar dem Plankton des Waſſers, wirkt hier zum großen Ganzen im Schoße
der Erde; meiſt ſind ſie höchſt empfindlich für irgend welche Reize, andererſeits un—
glaublich zählebig, um Zeiten der Trockenheit, Kälte, kurz, Zeiten der Lebenshemmung
ſchließlich ohne Schaden zu überwinden. Noch lange ſind die Forſchungen auf dieſem
Gebiet nicht abgeſchloſſen, und manche Erſcheinungen in dieſem Reich des Kleinlebens
wirken bei ihrer Entdeckung im Kreiſe der Wiſſenden wie die größten Ereigniſſe und
umwälzenden Entdeckungen in unſerer deutlich ſichtbaren Umwelt. Beſtimmte Lehr—
148 3. Abſchnitt.
meinungen, wie die, daß Chlorophyllbildung an das Vorhandenſein von Licht gebunden
ſei, ſcheinen dann plötzlich erſchüttert durch die Entdeckung grüner Algen im Dunkel
des Bodens. Mikrokosmiſche Kräfte wirken hier gegenſeitig ſich verzehrend, gegen—
ſeitig ſich nährend, um an dem zu arbeiten, was wir höhere Pflanzen nennen, die
ihrerſeits als menſchliche Nahrung höchſte geiſtige Werte zu ſchaffen vermag.
Das Wort Fauſt-Goethes:
„Wie alles ſich zum Ganzen webt!
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf- und niederſteigen
Und ſich die goldenen Eimer reichen!
Mit ſegenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmoniſch all' das All durchklingen,“
dies hohe Lied der Himmelskräfte, der ſonnendurchfluteten Atmoſphäre, klingt nicht
minder laut zum Preiſe der Erdkräfte. —
6. Humus bindet alle Nährſtoffe, die mit ihm in Berührung kommen, außer
dem Chiliſalpeter. Daher iſt er ein rechter Speicher der künſtlichen Dünger und
in dieſem Sinne nicht minder als jene ein Mittel, die Raſſenkultur und die Raſſen—
zucht aufs höchſte zu ſteigern.
Abb. 98. Reife Bananentrauben auf dem Weg zum Schiff. Das Holz der Verpackung ſtammt aus Norwegen, das
gleichzeitig viel getrockneten Dorſch (Klippfiſch) nach Teneriffa liefert. Welcher Austauſch von Gütern von Süd
nach Nord, welche Ergänzung im Handel mit den Gaben der Natur! (Phot., im April von Willy Lange.)
Die Pflanzen. 149
7. Andrerſeits verhindert er die ſchädliche Anſammlung von Nährſtoffen, und
da er wie ein Filter wirkt, ſo bleiben die Nährſtoffe in den oberen Schichten des
Bodens haften, werden nicht vom Regenwaſſer in Tiefen fortgeführt, zu denen die
Wurzeln nicht gelangen, ſo daß durch alle Bewäſſerung des Bodens niemals eine
Verarmung an Nähr—
ſtoffen eintreten kann.
Welch wunderſame Er—
gänzung in den Eigen—
ſchaften dieſes einen,
von manchem noch als
Schmutz bezeichneten
Stoffes! Andrerſeits
wirken auch die Stoffe
des Untergrundes, die
mit Hilfe der Haar—
röhrchenanziehung (Ka—
pillarität) der Boden—
teilchen leicht durch das
ſteigende Waſſer empor-
geführt werden könnten,
nicht nach oben, weil ja
die Eigenſchaft, ein Filter
zu ſein, auch in dieſer
Richtung von unten nach
oben dem Humus bleibt.
8. Eine höchſt merf-
würdige und lebensvolle
Beziehung des Humus
bleibt uns zuletzt anzu—
deuten:
Er iſt die Voraus⸗
ſetzung, daß auf orga—
niſche Nahrung ange—
wieſene Pilzmyzele mit
vielen Pflanzenwurzeln
eine Ernährungsgemein—
ſchaft eingehen. Dies
bezieht ſich beſonders auf
e
RT f4
Abb. 99. Palmenzucht (Phoenix dactylifera) in Elche bei Alicante (Südſpanien),
durch Bewäſſerung erreicht. Die Oaſe liegt mitten in der Steppe, für deren
Vegetation das Halfa-Gras charakteriſtiſch iſt, aus dem die Körbe im Vorder—
grund geflochten ſind; ſie zeigen die Gegenſätzlichkeit von Trockenheit und
Bewäſſerung ).
viele Koniferen, Kupuliferen, Pflanzen des Wieſenhumus, viele Erdorchideen, Moor—
und Heideſträucher. Darum iſt es ſo wichtig, lebensfähige Pilzmyzele in humoſen
Kulturerden des Gartenbaues zu erhalten, wenn derartige Pflanzen kultiviert werden.
) Nach käuflicher Photographie, da mein Apparat bei meinem dortigen Aufenthalt ſo lange
außer Betrieb geſetzt war, bis mir der Bürgermeiſter von Alicante eine Kneifzange ſpendete, dem
ich für ſeine ſpaniſche Freundlichkeit hier ein Dankmal ſetze.
150 3. Abſchnitt.
Darum ſollte der Boden, wo Vertreter jener genannten Wald-, Wieſen- oder Heide—
pflanzen gezüchtet worden, mit ſolchem Humus beſchickt (geimpft) werden, der von
dem natürlichen Standorte dieſer Pflanzen ſtammt, aus Wald, Heide oder Wieſe, je
nach der Art, die in Betracht kommt. Vor allem aber müſſen beim Verpflanzen
dieſer Arten die Wurzeln nicht nur vor Austrocknung, ſondern auch vor Licht geſchützt
werden. Es kommt weniger auf einen Ballen an als darauf, daß arbeitsfähige
Mykorrhizen (pilzbehaftete Wurzeln) an den neuen Standort gebracht werden.
9. Da Humus Gaſe bindet, ſo dient er zur Verminderung der Gerüche von
Abortgruben, wirkt hier nützlich für die Bindung der flüchtigen Stoffe und erleichtert
die praktiſche Handhabung der Fäkalien.
Einen Nachteil beſitzt Humus: Bei reicher Waſſermenge und Mangel an Luft—
zufuhr bildet ſich Humusſäure, die als Pflanzengift wirkt. Dieſe kann nur dadurch
unſchädlich gemacht werden, daß man den Humus dem Froſt ausſetzt oder eine reich—
liche Menge Kalk zuführt.
Überſicht über die wichligſten Gemüſearken.
1. Kohlgemüſe,
vom wilden Kohl (Brässica oleräcea) abſtammend, deſſen Heimat auf den Nordſeeinſeln,
in der Normandie und an den Küſten des Mittelmeeres geſucht wird. Die Varietäten—
bildung beginnt ſeit früher Zeit, und Plinius kannte ſchon 6 Abarten. Die Ab—
ſtammungsbeziehungen werden durch folgende Stammtafeln dargeſtellt: “)
Weißkohl und Rotkohl
var. capitäta L.
Wirſing var. sabafida L. Kohlrabi var. gongylödes L.
Rojenfohl var. gemmifera Blumenkohl var. botrytis L.
Staudenkohl var.Jacephala D. G.
Wilder Kohl
Br. oleräcea L.
Dem wilden Kohl am nächſten ſtehend iſt hiernach der Staudenkohl, und er
macht am wenigſten Anſprüche, während Blumenkohl und auch die höchſte Blatt⸗
) Die vorliegende Stammtafel wie faſt alle rein botaniſchen und Heimatsangaben dieſes
Abſchnittes ſind aus dem ſo billigen wie lehrreichen Hefte: „Erläuterungen zu den Nutzpflanzen
der gemäßigten Zonen im Königl. botaniſchen Garten zu Dahlem“ von A. Engler entnommen,
das im Bureau des Botaniſchen Gartens käuflich iſt.
Die Pflanzen. 151
entwicklung im Weiß- und Rotkohl gleichzeitig die höchſten Ansprüche an Nährſtoff
und Feuchtigkeit machen.
2. Blatt- und Stengelgemüſe.
a) Salate, Lactüca sativa L., von Lactuca scariola L., dem wilden Lattich;
im ſüdlichen Europa heimiſch, ſchon von den alten Griechen und Römern kultiviert.
Teophraſt (um 312 v. Chr.) kannte 3 Varietäten. Die Raſſenzucht der Neuzeit hat
auch dieſe Art mehr vervollkommnet und den verſchiedenen Zwecken der Treib- und
Freilandkultur beſondere Sorten angepaßt.
b) Endivien, Cichörium endivia L., gilt als Varietät des im Mittelmeergebiet
heimiſchen Ciehörium pumilum (Jacq.). Endivien erſetzen den Blattſalat zur Herbſt—
und Winterzeit, ſind aber in ihrer Kultur geſchäftlich im deutſchen Klima nicht lohnend,
werden vielmehr maſſenhaft aus Frankreich eingeführt. Zahlreiche andere Pflanzen
ſind als Salate genießbar, wurden urſprünglich im Freien geſammelt und ſind neuer—
dings auch in die Gartenkultur übernommen, ohne mehr als örtliche Bedeutung für
den Kleingartenbau zu gewinnen, jo Löwenzahn, Taräxacum offieinäle (Weber);
Zichorienſalat, Cichörium intybus (L.) var. foliösum (Hort.), der unter der Be—
zeichnung »Chicoree« aus Frankreich eingeführt wird; Feldſalat oder Rapünzchen,
Valerianella olitöria (L.) Poll. var. oleräcea und carinäta (Loisel.); Gartenkreſſe,
Lepidium sativum (L.), wahrscheinlich aus Perſien ſtammend, Brunnenkreſſe, Nastur-
tium aquäticum (Wahlbg). mit. ihren Zuchtvarietäten, deren berühmte Kultur ſich
mit dem Namen Erfurt verbindet. Im übertragenen Sinne werden auch als Salate
Abb. 100. Eines der vielen Sammelbecken der Bewäſſerungsanlagen auf Teneriffa. (Phot. Willy Lange.)
152 3. Abſchnitt.
zubereitet einige Gemüſearten und Früchte, wie Spargel, Tomaten, Eierfrucht, die
aber der eigentlichen Salatgruppe nicht angehören.
3. Wurzelgemüſe.
a) Rettich, Räfanus sativus (L.). Seit alten Zeiten im Gebiet zwiſchen China
und Südeuropa kultiviert mit der Abart Radieschen.
b) Die rote Rübe, Béta vulgäris (L.); wild im Strandgebiet des Mittelmeers,
ſeit einigen Jahrzehnten vor Chriſti Geburt in Kultur.
Abb. 101. Rinne der Bewäſſerungsanlage auf einer Schutzmauer in Teneriffa. Die Entwäſſerungsdurchläſſe des
breiten Weges werden durch tleine Holzrinnen überbrückt. So leichte und doch haltbare Ausführung geſtattet das
froſtfreie Klima. (Phot. Willy Lange.)
c) Mohrrübe, Daücus caröta (L.), deren kürzeſte Varietäten als Karotten
bekannt ſind; in Mittel- und Südeuropa beheimatet.
d) Die Waſſerrübe oder weiße Rübe, Brässica rapa (L.) var. rapifera Metzger);
wahrſcheinlich von Brässica camp6stris (L.) abſtammend. Eine Hungerform und
Lokalraſſe ſtellt die Teltower Rübe dar, deren Waſſerreichtum gering, während die
Geſchmacksſtoffe konzentriert ſind.
e) Kohlrübe, Brässica näpus (L.) var. Napobrässiea (L.), in Europa heimiſch,
wird vielfach feldmäßig angebaut, iſt aber, von mildem Gartenboden ſtammend, in
richtiger Zubereitung ein wertvolleres Gemüſe, als man im allgemeinen annimmt.
f) Sellerie, Knollenſellerie, Kpium gravéolens (L.), heimiſch an den Oſtſee- und
Mittelmeerküſten; ſchon in der Odyſſee erwähnt und längſt in Kultur. Die Knollenbildung
beruht teils auf Raſſenzüchtung, teils wird ſie durch die Kulturweiſe begünſtigt.
Die Pflanzen. 153
g) Schwarzwurzel, Scorzonéra hispänica (L.), im Mittelmeergebiet und in
Südeuropa heimiſch, gehört zu den erſt etwa ſeit 100 Jahren kultivierten Gemüſen.
Die einjährige Kultur iſt der zweijährigen vorzuziehen; ſie fordert rigolten Boden
und günſtige Wärmelage.
Andere Rübengemüſe, wie Haferwurzel, Zuckerwurzel, Pastinäca rhapöntica,
Spargelrübe, Alant, Zieſt, Sauerklee, haben geringe Bedeutung. Die Wurzelpeterſilie
Abb. 102. Ein Tal (Baranco) mit Talſperre und einem von dieſer ausgehenden Aquädukt bei Santa Cruz auf
Teneriffa. Ganz links in der Tuffſchicht des vultaniſchen Geſteins Höhlenwohnungen; rechts Wohnungen, die zur
Peſtzeit zerſtört wurden. (Phot. Willy Lange.)
hebt ſich von ihnen wegen ihrer allgemeinen Verwendung als Würze in größerer Be—
deutung ab.
h) Die Kartoffel, Solanum tuberösum, gehört in dieſe Gruppe. Ihre welt—
wirtſchaftliche Bedeutung für die Volksernährung großer Gebiete weiſt ſie faſt ganz
der Landwirtſchaft zu. Die Kultur der Frühkartoffeln, die mit leichtem Antreiben
früher in Deutſchland eine handelsgärtneriſche Bedeutung hatte, iſt durch den Im—
port unreifer Kartoffeln aus dem Mittelmeergebiet (Algier, Marokko, kanariſche Inſeln,
Malta) und Holland zurückgedrängt worden. In jenen Mittelmeergebieten bildet ſie
einen wichtigen Teil der Bewäſſerungskultur (vergl. Abb. 100 bis 104), und z. B. auf
Teneriffa iſt es möglich, viermal von dem gleichen Gartenſtück im Jahre Kartoffeln
zu ernten. Hier ſteht Wärme, Sonne und Nährkraft des Bodens während des ganzen
Jahres nahezu gleichmäßig zur Verfügung. Ein Übermaß an atmoſphäriſcher Feuchtig—
keit tritt niemals ein, ſo daß die Bewäſſerung es durchaus ermöglicht, das
154 3. Abſchnitt.
Wachstum der Kartoffeln unmittelbar nach dem Legen in Betrieb zu ſetzen und nach
der Ausbildung der Knollen jäh durch Entziehung des Waſſers abzubrechen. Das
Kraut wird abgeſchnitten, wenige Tage läßt man den Boden austrocknen, gräbt die
Kartoffeln aus, die wiederum in einigen Tagen auf dem Erdboden abtrocknen
(Abb. 104), um dann auf dem Felde in Kiſten verpackt, auf die Schiffe verladen zu
werden. Derartige Kartoffeln ſind, vom Standpunkt des Nährwertes betrachtet, faſt
wertlos. In ihrer Unreife haben ſie eine gewiſſe Ahnlichkeit mit unſeren früheſten
Kartoffeln, deren Unreife gerade Feinſchmecker für eine kurze Zeit reizt. Die Sucht,
Abb. 103. Aquädutt der Bewäſſerungsanlagen auf Teneriffa. (Phot. Willy Lange.)
den Genuß der verſchiedenen Bodenprodukte im Gegenſatz zur normalen, bei uns
möglichen Erntezeit zu verſchieben, führt dahin, daß dem Auslande von uns der—
gleichen wertloſe Erzeugniſſe zu Preiſen abgekauft werden, die wir für unſere wert—
vollen Erzeugniſſe zu unſerer normalen Erntezeit niemals im Inlande erreichen. Es
iſt von größter Bedeutung für den heimiſchen Gartenbau, daß ununterbrochen plan—
mäßige Aufklärung uns vor der fortgeſetzten Schädigung am Nationalvermögen be—
wahrt. Um ſo mehr, als nicht einmal die ausländiſchen Produzenten den größten
Vorteil davon haben, ſondern nur einem internationalen verantwortungsloſen Händler—
tum ein leichter Gewinn aus einer derartigen, allgemein verbreiteten nationalen
Schwäche in die Taſche fließt. Gleiches gilt ſelbſtverſtändlich für alle Früchte, die
wir im Inlande erzeugen könnten, bei denen aber das Ausland durch ſeine klima—
tiſche Verſchiedenheit im Vergleich zu unſerem Klima mit einer ſcheinbaren Früh—
Die Pflanzen. 155
zeitigkeit uns den Rang abläuft. Vom gärtneriſchen und volkswirtſchaftlichen Stand—
punkt aus iſt es z. B. geradezu ein Jammer zu ſehen, wie unſre deutſchen Haus—
frauen, um im Juni Apfelmus zu bereiten, italieniſche Falläpfel teuerer bezahlen als
im Herbſt die beſten deutſchen Apfelfrüchte. — Vergl. hierzu die Abbildungen 96,
97, 100, 105, 107 ausländiſcher Fruchterzeugungsgebiete.
4. Spinate
ſind Gemüſe, deren Blätter gekocht und zerkleinert verzehrt werden. Hierzu können
ſchließlich alle unſchädlichen Pflanzen und Blätter benutzt werden, und in Zeiten der
Not hat man auf viele
zurückgegriffen, die man
im allgemeinen nicht
benutzt.
a) Die wichtigſten
ſind der Gartenſpinat,
Spinäcia oleräcea (L.);
erſt im 15. Jahrhundert
aus Perſien in die euro—
päiſche Kultur eingeführt.
In mehreren Varietäten
für Sommer und liber-
winterungsfultur ge—
züchtet.
b) Neuſeeländer Spi—
nat, Tetragönia ex-
pänsa (Murray), iſt für
heiße trockene Garten— Abb. 104. Kartoffeläcker, von Bewäſſerungswällen umgeben, auf Teneriffa:
J ˙ w ua
für Gartenſpinat. Von
geringerer handelsgärtneriſcher Bedeutung ſind andere in dieſer Klaſſe: Sauerampfer,
Eiskraut, Erdbeerſpinat, Gartenmelde, Ampfer, Kermesbeerſpinat und die Blatt—
teile des Mangolds.
5. Zwiebelgemüſe.
Die Zwiebel oder Bolle, Allium cépa L., in Südweſtaſien heimiſch, ſeit den
älteſten Zeiten in China, Indien und im öſtlichen Mittelmeergebiet kultiviert, von
dort ſchließlich durch die ganze Welt verbreitet. In der landwirtſchaftlichen Kultur
hat ſie dort große Bedeutung gewonnen, wo „Zwiebelboden“ ihre Erzeugung be—
günſtigt. Berühmte Orte für dieſe Kultur in Deutſchland ſind u. a. Zittau, Schwer—
ſtedt, Kalbe.
Die großen Varietäten unter der Bezeichnung „Rieſenzwiebel“ werden in Süd—
europa beſonders kultiviert, und in allen Abarten bildet die Zwiebel einen Gegen—
ſtand des Welthandels, an dem Nordafrika, Südfrankreich, England, Deutſchland
beſonders beteiligt ſind.
Demgegenüber ſind andere Zwiebelarten mehr von örtlicher oder hausgärt—
156 3. Abſchnitt.
neriſcher Bedeutung; fo der Porree, Allium pörrum L.; Knoblauch, A. sativum;
Schalotte, A. ascalönieum L.; Schnittlauch, A. schoenöprasum; Perlzwiebel, A.
ophioseörodon Don.), die man ebenſogut unter die Würzgemüſe abſcheiden könnte.
6. Die Gurkengemüſe.
Gurke, Cücumis sativus (L.), aus Indien ſtammend, iſt in zahlreichen Raſſen
vertreten, die in verſchiedener Weiſe kultiviert werden, an die verſchiedenen Kultur-
arten: Gewächshäuſer, Miſtbeete, Freiland angepaßt ſind und verſchiedenen Gebrauchs—
zwecken dienen (Abb. 106). Wenn auch die Gurke eine beträchtliche handels—
r
Abb. 105. Beiſpiel einer amerikanischen Obſtfarm mit Zwiſchenkulturen von Gemüſe, Obſt und Blumen.
(Phot. A. Wangh-Maſſachuſſets.)
gärtneriſche, ja landwirtſchaftliche Bedeutung gewinnt, ſogar — wenn man den be—
trächtlichen Export Hollands bedenkt — am Welthandel teilnimmt, ſo iſt doch ihre
Kultur, weil ſie große Sorgfalt und beſonders günſtige örtliche klimatiſche Vor—
bedingungen fordert, mit Gewinn und Erfolg nur im Kleinbetrieb möglich. So werden
denn auch die großen Maſſen, die im Handel auftreten, an den Produktionsorten
weſentlich durch viele Einzelzüchter erzeugt, die ſich der Aufkäufer und Händler be—
dienen, um fie dem Großhandel zuzuführen. .
Kürbis, Cucürbita pépo (L.), aus Amerika ſtammend mit vielen Zuchtvarietäten,
die alle erſt ſeit dem 16. Jahrhundert in Europa kultiviert werden. Im Gartenbau
iſt die Kultur des Kürbis nur auf Ausnutzung von Gelegenheiten beſchränkt, welche
keine anderen Kulturmöglichkeiten zulaſſen. Nur dekorativ wirken Kürbiſſe an Zäunen
Die Pflanzen. 157
ländlicher Gärten. In ihrem Verwendungszweck ſtehen den Gurken nahe die Frucht—
gemüſe in folgenden Arten: Tomaten, Solänum Lycopersicum (L.), im tropiſchen
Amerika heimiſch, deren Kultur ſich erſt in den letzten Jahrzehnten über England in
Nordeuropa verbreitet hat. Seitdem hier ein Bedürfnis danach entſtanden iſt, haben
ſüdliche Länder, beſonders Italien, Südfrankreich, Nordafrika und die Canariſchen
Inſeln, eine Exportkultur aus der Tomatenerzeugung gemacht, indem ſie feſtfleiſchige
Varietäten lange vor der völligen Reife pflücken, da die Tomate, wie ſo viele dieſer
ſüdlichen Exportfrüchte, die Eigentümlichkeit beſitzt, in einigen Wochen eine gewiſſe
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Abb. 106. Gurtenraſſe für Gewächshauskultur. Die mit Etitetten verſehenen ſind befruchtet.
(Phot. Willy Lange.)
Notreife zu erlangen. Auch hier wieder kauft die deutſche Hauswirtſchaft dem Auslande
Minderwertigkeiten für teures Geld ab. So nimmt heute dieſe noch ſo junge Gemüſe—
kultur bereits am Welthandel teil. Die Eierfrucht, Solanum melongena (L.), aus dem
tropiſchen Amerika ſtammend, mit bläulich mißfarbenen Abarten; Schotenpfeffer,
Capsicum ännuum (L.), aus Mexiko ſind demgegenüber bedeutungslos, treten aber auch
ſchon in Delikateßgeſchäften auf, aus günſtigen Klimaten eingeführt, und wirken in
ihrem Teil mit, daß Geld für Minderwertigkeiten ausgegeben wird.
Melonen, Cücumis melo (L.), aus Afrika und Vorderaſien ſtammend, ſtellen
hohe Anſprüche an die Lage und werden daher weſentlich in geſchützten Räumen ge—
zogen. Früher ein Hauptſtück gärtneriſcher Gemüſebautechnik, wird auch dieſe Frucht
heute durch den Import allgemein zugänglich gemacht.
158 3. Abſchnitt.
7. Blattſtielgemüſe
im engeren Sinne bilden: Mangold, Beta vulgäris L. var. cicla, der in Süddeutſch—
land noch unter leichtem Baumſchatten gedeiht und in ſeinen buntnervigen Sorten auch
als Zierpflanze einige Bedeutung hat. Die dicken Blattrippen und Stengel, beſonders der
hellrippigen Sorten, werden wie Spargel bereitet. Kardonen, Cynära cardünculus L.
var. ältilis (De.), werden in ihren unteren Stengelteilen durch Einbinden in Stroh
oder Matten gebleicht und als Salat verzehrt. Auch die Stiele des Bleichſelleries,
einer der wilden Pflanze des Selleries naheſtehenden Sorte, werden durch Bleichen
zart gemacht.
Das Bleichen hat zur Folge Entziehung des Lichts, dadurch eine Streckung
des Zellengewebes, hierdurch eine Verdünnung der Zellwände; größeren Waſſer—
reichtum der einzelnen Zellen, Verteilung der feſten Baubeſtandteile der Zellen auf
einen größeren Raum; dadurch zarteres Gewebe und ſchließlich eine Verdünnung
der Außenhaut, die man durch ſchützende Mittel Erde, Umhüllungen, Gefäße) vor
den härtenden, verdickenden, austrocknenden Einflüſſen der Luft und Sonne bewahrt.
Auch die Behäufelung der Kartoffeln und des Spargels, das Zuſammenbinden der
Endivien, das Antreiben der Zichorienwurzel und des Rhabarbers im Dunkeln, teil⸗
weiſe auch der Abſchluß der freien Außenluft und die Sättigung mit Feuchtigkeit
unter dem Einfluß erhöhter Wärme im Miftbeet ſtellen in ihrem Endergebnis Erzeug—
niſſe des Bleichverfahrens dar. |
8. Staudengemüſe,
d. h. vieljährig nutzbare, ſind folgende:
Spargel, Aspäragus officinalis (L.), deſſen Kulturmethoden nur noch wenig
in den einzelnen Gebieten abweichen, da man ſich über die phyſiologiſchen Einflüſſe
des Behäufelns, Einebnens, des hohen und tiefen Pflanzens heute völlig im klaren
iſt. Abweichungen der verſchiedenen Methoden der Pflanzungsweiſe finden in Rückſicht
auf gegenſeitigen Abſtand der einzelnen Spargelſtauden ſtatt, da er in manchen Gegenden
ohne jede Zwiſchenkultur feldmäßig gepflanzt wird, in anderen aber wieder die Spargel—
pflanzen vereinzelt oder in weit voneinander abſtehenden Reihen mit verſchiedenen Ge—
müſen als Zwiſchenbeete kultiviert werden.
Spargel iſt als Meeresſtrand- und Dünenpflanze von Natur befähigt, zeitweiſe
von Sandmaſſen beſchüttet zu werden. Für die verſchiedenen Bodenarten und Klimate
haben ſich örtliche Raſſen herausgebildet und angepaßt, und es iſt wichtig, den
Orten der Spargelkultur immer nur ſolche Raſſen zuzuführen, die aus ähnlichen Zu—
ſtänden ſtammen. Spargel bildet einen bedeutenden Teil des inneren Verſandhandels
und wird, da er raſch durch mangelnde Friſche an Wert verliert, wohl eine der
wenigen Kulturen bleiben, deren Handelswert in der Inlandzucht nicht gänzlich durch
die Einfuhr unterdrückt wird. Dazu kommt, daß unſer Hauptgemüſeimportland Hol-
land ſich wegen des hohen Grundwaſſerſtandes gerade in ſeinen fruchtbaren, für uns
konkurrenzfähigen Gebieten nicht zur Spargelkultur eignet.
Einen gewiſſen Gegenſatz in den Bodenanſprüchen ſtellt Rhabarber, Rheum
rhapönticum (L.), aus dem öſtlichen Sibirien, Rheum undulätum (L.), aus Südoſt⸗
ſibirien, Rheum offieinäle (Baill.), aus Tibet mit Zuchtraſſen dar. Verträgt der Spargel
ren
eh
— r
Die Pflanzen. 159
unter der Vorausſetzung der nötigen Düngung den leichtejten Sandboden, jo will
Rhabarber Boden von natürlicher Feuchtigkeit, vermeidet jedoch eigentlich naſſen Boden.
Er wird vielfach einem leichten Treibverfahren in milden Klimaten in der bäuerlichen
Kleinkultur unterworfen, und da der deutſche Frühling uns lange auf friſche Garten—
erzeugniſſe warten läßt, ſo gewinnt auch hier das Ausland die beſten Preiſe. Die
Einführung des Rhabarbers in die Kultur Deutſchlands und ſeine allgemeine Ver—
breitung als Volkserfriſchungsmittel in Form von Kompott ſtammt erſt aus den letzten
Jahrzehnten.
Artiſchocken, Cynära cardüneulus (L.) var. Scölymus, deren Blütenknoſpen
in ihren fleiſchigen Teilen verzehrt werden, wird immer ein Luxusgemüſe darſtellen,
geeignet, ohne eigentlichen Hunger, die Freude des Eſſens zu verlängern. Da die
Überwinterung Schwierigkeiten macht, haben günſtiger geſtaltete Klimate einen beſtän—
digen Vorſprung in der Handelskultur, beſonders, da die Artiſchockenknoſpen ſich ſehr
leicht verſenden laſſen und ſelbſt bei längerem Lagern ſcheinbar keine Einbuße erleiden.
Meerrettich, Cochleäria armoräcia (L.), im geſamten Oſteuropa heimiſch,
iſt zwar zu den Dauerpflanzen gerechnet, wird aber zweijährig kultiviert und bildet
einen wichtigen Handelsartikel in einzelnen beſonderen Kulturgebieten. Charakteriſtiſch
für ſeine Anſprüche iſt ein tiefer, gründlich rigolter, nährſtoffreicher Boden, mit hin—
reichender, aber nicht ſtehender Grundfeuchtigkeit.
Meerkohl, Crämbe maritima (L.), an der Oſt- und Nordſee heimiſch, deſſen
Blätter nach Art unſerer Kohlpflanzen verwendet werden können, hat nur örtliche
Bedeutung, dort, wo wegen des Windes, der ſtarken Sonnenbeſtrahlung unſere Kohl—
arten nicht vorteilhaft gepflegt werden können und andrerſeits der erhebliche Platz, den
er beanſprucht, keinen Wert hat.
9. Schotengemüſe
zeichnen ſich dadurch aus, daß ſie nicht mehr zu hohe Anſprüche an den Stickſtoff—
gehalt des Bodens machen. Als Leguminoſen ſind ſie auf die Symbioſe, d. h. Er—
nährungsgemeinſchaft mit Bakterien, angewieſen. Die Kulturraſſen, jedoch beſonders
die niedrigen frühzeitig Früchte bringenden, ſind an unmittelbare Salpeteraufnahme
aus dem Boden angepaßt und bedürfen daher eines nicht friſch und überreichlich
gedüngten Bodens, ſondern eines ſolchen in alter Kraft. Die niedrigſten Treibſorten
unter den Erbſen und Bohnen haben es ſogar gänzlich aufgegeben, Bakterienknollen
zu bilden. Ein Übermaß an freiem Bodenſtickſtoff führt jedoch zur übermäßigen
Staudenausbildung und geringer Blüte — eine Erſcheinung, die man in bezug auf
dieſen Nährſtoff faſt bei allen Pflanzen beobachten kann. — Je niedriger Erbſen und
Bohnen ſind, deſto frühzeitiger, aber auch deſto geringer iſt die Ernte. Stangen—
bohnen als die Urform ſind weniger anſpruchsvoll als Buſchbohnen, und die hohen
Erbſen ſind es weniger als die niedrigen. Auch hier ſind zahlreiche Raſſen und
innerhalb dieſer Sorten herausgebildet, deren Eigenſchaften jeder gärtneriſche Samen—
katalog verzeichnet.
Die Puffbohnen, Vicia faba (L.), auch Sau- oder Pferdebohnen genannt, nehmen
inſofern eine Sonderſtellung ein, als ſie feuchte Luft und warme Lage wollen. Ihre
160 3. Abſchnitt.
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Abb. 107. Weinreben neben Bananen-Feld, über Lavageröll an dünnen Stäben geleitet, als Beiſpiel für die Mühe—
loſigteit, mit der klimatiſch uns gegenüber begünſtigte Länder die Fruchterzeugung betreiben.
(Phot. in Teneriffa von Willy Lange.)
Kultur iſt meiſtens örtlich beſchränkt, wie bei Erfurt, aber in Südeuropa vielfach
verbreitet.
Unter den 10. Pilzen
werden im großen einzig die Champignons als wohlſchmeckendes Nahrungsmittel
kultiviert. Ihre Kultur iſt ſo häufig beſchrieben, daß hier keine weiteren Ausführungen
gegeben zu werden brauchen, doch ſei bemerkt, daß ſie nur dann lohnend iſt, wenn
man ihr den Platz und die Räume, die vielleicht aus irgend einem Grunde ohnehin
vorhanden ſind, nicht zur Laſt zu rechnen braucht. Da auch die Champignons raſch
an Friſche einbüßen, hat örtliche Kultur bei nahem Abſatz Ausſicht auf Erfolg,
namentlich wenn die erforderliche Düngermenge nicht zu hoch im Preiſe ſteht und die
verarbeiteten humoſen Maſſen günſtige Verwendung in anderen Kulturen finden.
Morcheln, Trüffeln und zahlreiche Waldpilze ſind der Kultur bisher in lohnender
Weiſe nicht zugänglich geweſen, jedenfalls nicht in unſerem Klima, und der Bedarf wird
leicht durch die eigene Produktion und durch das Ausland gedeckt; ſo kommen viele
Morcheln aus Rußland, Steinpilze aus den Oſtſeegebieten, Trüffeln aus Frankreich.
Das Heer der
11. Küchengewürze und Duftpflanzen
ſetzt ſich aus ſolchen Pflanzen zuſammen, die meiſt aus ſüdlichen Klimaten ſtammen,
in deren Blüten und Blättern unter dem Einfluß der heißeren Sonne jene auf der
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Die Pflanzen. 161
Ausbildung ätheriſcher Ole beruhenden Gerüche ihre größte Ausbildung erfahren. Dieſe
ätheriſchen Ole bedeuten gleichzeitig ein Schutzmittel gegen die übermäßige Ver—
dunſtung. Urſprünglich kamen ſie mit den Römern nach Deutſchland, dann verſahen
die Kreuzzüge zuerſt die Kloſtergärten, ſpäter auch die Bauerngärten mit dieſen Ge—
würzen, die Jahrhunderte lang über die fade Kochweiſe und einfache Bereitung der
Speiſen im Volke hinwegtäuſchen mußten. Nachdem beſonders die Kenntnis einer
verſtändigen, die Eigenart jedes einzelnen Geſchmackes erhaltenden Gemüſekochweiſe
Verbreitung gefunden hatte, haben auch die Gewürze des Küchengartens einſchließlich
der aus dem Ausland eingeführten, wie Muskate, Nelken, Pfeffer und andere an
Bedeutung im Haushalt verloren. Während früher die Zahl der Küchenkräuter ziem—
lich beträchtlich war, ſind heute nur wenige im Markthandel und in der Hausgarten—
kultur geblieben. Die wichtigſten ſind:- Bohnenkraut, Majoran, Eſtragon, Schnitt—
peterſilie, Kerbel, Fenchel, Thymian, in Bauerngärten allenfalls Gurkenkraut, Salbei.
Für den Großhandel werden kultiviert und haben große wirtſchaftliche Bedeutung,
auch für den Welthandel: Eſtragon, Majoran, Bohnenkraut, Fenchel, Kümmel, Thymian,
Anis, Pfefferminze, Beifuß vielfach in der Feldkultur; ſie dienen der Fabrikation von
Wurſtwaren, mediziniſchen und Parfümerie-Zwecken.
12. Erdbeeren.
Erdbeeren nehmen in der üblichen Einteilung der Nutzpflanzen eine Mittel—
ſtellung zwiſchen Obſt und Gemüſe ein. Hier ſei beſonders darauf aufmerkſam ge—
macht, daß ſie während des ganzen Jahres einen erfreulichen Eindruck machen, ſo
daß man ihnen auch in den Gartenteilen, die der Zierde dienen, z. B. auf Randbeeten,
vor Hecken oder am Tennisplatz, einen Platz anweiſen kann; endlich als Randbeete
um Gemüje- und Obſtſpaliere; dabei können dann die Ecken der Randbeete durch
Rhabarber betont werden, ja es laſſen ſich in großen gleichmäßigen Abſtänden von—
einander Trupps von Spargelpflanzen auf den Randbeeten verteilen, ebenſo Trupps
anſehnlicher und duftender Kochkräuter.
Dieſe Andeutung möge genügen, um dazu anzuregen, alle Pflanzen, welche einen
erfreulichen, ſauberen Eindruck während des ganzen Jahres machen, nicht in beſon—
deren Quartieren im abgeſchloſſenen Nutzgarten, ſondern als Randbeete, z. B. auch
vor Mauern, angrenzend an einen Ziergarten, anzuordnen. Hierdurch wird viel Platz
geſpart, und die ſchönen Teile des Gartens werden mit nützlichen Pflanzen durchſetzt.
Selbſt aus ſehr kleinen Gärten kann auf dieſe Weiſe, mit Hinzuziehung des Strauch—
obſtes in Buſch- und Hochſtammform, neben der Zierde ein Nutzen erzielt werden.
Zahlreiche Erdbeerſorten ſind nach Einführung amerikaniſcher Arten durch Kreu—
zungen entſtanden; ſie werden in der Raſſe der Ananas-Erdbeeren vereinigt.
Die Monatserdbeeren ſind Gartenraſſen europäiſcher Herkunft. Vierlander und
Kötſchenbrodaer Weinbergs-Erdbeeren ſtellen berühmte örtliche Raſſen dar. Durch
die verſchiedenen Reifezeiten iſt eine lange Fruchtfolge möglich, wenn man die Sorten
hiernach wählte. — Auch die Erdbeeren bilden durch den Import von Holland nach
Deutſchland bereits einen Teil gärtneriſchen Welthandels.
Lange, Der Garten. 11
162 3 Abſchnitt.
II. Der Obſtgarten.
Die Obſtgehölze in ihren Kulturanforderungen, Sorten und Art-Beziehungen zu be—
ſprechen, liegt nicht im Plan dieſes Buches, da es ſich weſentlich mit der Geſtaltung
des Gartens und der Verteilung der einzelnen uns zur Verfügung ſtehenden Pflanzen—
gruppen in ihm beſchäftigt. Unter dem letzten Geſichtspunkte ſei aber beſonders betont, daß
wir heute die Schönheit auch der Nutzpflanzen tiefer empfinden als unſere Vorfahren.
So wenig wie wir den
Gemüſegarten dem Auge
gänzlich entziehen, ſo
wenig wollen wir eine
größere oder kleinere
Obſtpflanzung verſtecken.
nnn 198 KCrreilich, die Gliederung
W des Gartens, die künſtle⸗
8 . riſche klare Raumbildung,
5 die wir vom Garten
als Geſamtkunſtwerk for-
dern, läßt es oft er⸗
wünſcht ſein, durch Hek—
ken, Spaliere, niedrige
Mauern, vielleicht auch
Terraſſen, wo das Ge—
lände dies ermöglicht,
die Obſtpflanzung, welche
ihrerſeits wieder mit der
Gemüſepflanzung eine
Einheit bilden kann, von
den eigentlich zierenden
Gliedern des Gartens zu
trennen; aber dieſe Tren-
nung iſt mehr eine Grenz-
Abb. 108. Formobſtzucht und Erdbeerpflanzungen in der Kgl. Gärtnerlehranſtalt betonung zwiſchen beiden
Dahlem. (Phot. W. Lange.) als eine Teilung im
Raum. Wenn alſo z. B.
eine Hecke, niedrige Mauer oder Terraſſe eine Trennung bilden, ſo beſteht dieſe mehr
für die denkende Wahrnehmung als für das Schauen bei der Betrachtung. Es iſt
dann beſonders reizvoll, auf jene Schranken hinzuſehen, die mit ihrer horizontalen
und vertikalen Begrenzung einen ſtarken Gegenſatz zu den freien Linien der Baum—
kronen bilden, deren Blütenäſte und fruchtſchwere Zweige über ſie hinausragen. Gerade
die Schranke läßt den Wunſch aufleben, jene abgetrennten Gebiete aufzuſuchen; und
wenn wir ſie betreten, ſollen uns auch dort auf Randbeeten, an den Grenzen, viel—
leicht auch an Wegekreuzungen, leuchtende Blumen grüßen. Bänke laden uns zum
Sitzen ein, und unter all dem hoffnungsvollen Blütenſchnee und roſigen Frühlings-
Die Pflanzen. 163
ſchimmer ſoll uns von hier aus der Ziergarten locken. Im geiſtigen und räumlichen
Sinn gibt es im heutigen Garten keine Trennung mehr von nur Nützlichem oder nur
Schönem; alles Nützliche ſei ſchön, und alles Schöne deute den Nutzen an.
In unſerer Standortstabelle auf Seite 75 war auch das Obſtland genannt,
darum iſt es hier erwähnt worden, wobei für alle Einzelheiten, welche den Obſtbau
betreffen, auf die Sonderliteratur hingewieſen ſei. Die Beziehungen der Raſſen zu
den Obſtarten gehen aus der mehrfach erwähnten Schrift von A. Engler hervor.“)
Abb. 109. Ananaskultur in der Kgl. Gärtnerlehranſtalt Dahlem. (Phot. Willy Lange.)
Neben dem wirtſchaftlichen Obſtbau im Groß- und Kleinbetrieb behauptet der
Hausgarten⸗Obſtbau auch in ſeinen zierenden Formen fein Recht. Iſt des erſteren
Ziel auf wirtſchaftlichen Nutzen gerichtet, ſo bietet der letztere die Möglichkeit — in
Verbindung mit der Obft-Treiberei in Gewächshäuſern — zu zeigen, welcher hohen
Vollendung die Obſtzucht auch in unſerem Klima fähig iſt; nicht zu unterſchätzen ſind
die Freuden des Obſtbaues für die Heimkultur (Abb. 108).
III. Der Roſengarten.
Der Standort für den Roſengarten fordert Schutz gegen Winde; für die roten,
beſonders die dunklen Sorten auf der Südſeite des Geländes, Schutz gegen die
Mittagsſonne durch höhere Pflanzungen, Gebüſch oder Gebäude-Schatten, ferner einen
*) Erläuterungen zu den Nutzpflanzen der gemäßigten Zone im Königl. botaniſchen Garten
zu Dahlem von A. Engler.
164 3. Abſchnitt.
tiefgründigen, rigolten Lehm-, kalkhaltigen humoſen, nährſtoffreichen Boden, der
einerſeits natürliche Feuchtigkeit hält, anderſeits im Frühjahr ſich leicht erwärmt,
während man im Sommer gegen die übermäßige Sonnen-Durchheizung gern eine
Bedeckung des Bodens mit kurzem Dünger, Torfhumus, anwendet. Die rein kultur—
techniſchen Fragen werden ja in zahlreichen billigen und meiſtens guten Werken über
die Roſe behandelt. Hier handelt es ſich um die künſtleriſche Geſtaltung und Ein—
gliederung eines Roſengartens in ein größeres Ganzes.
Wohl iſt ein Hausgarten denkbar, deſſen Pflanzungsleitmotiv die Roſe bildet.
Wir müſſen aber in unſerem Klima die Erfahrung machen, daß es lange Zeiten gibt,
in der ein Roſengarten uns für die Zukunft wohl hoffen, oft auch ſorgen läßt, für
die Gegenwart aber keine Freude bereitet. Die lange Winterzeit mit ihrer meiſt not—
wendigen Deckung, welche auf die weitere Bepflanzung hemmenden Einfluß hat, das
raſche Verblühen in heißer Sonne, allzuviel Regen und der Eintritt kühler Witterung,
die ſommerliche Blütenpauſe und die grauſamen Herbſtfröſte bringen traurige Zeiten
in den Roſengarten. Darum fordert im nördlichen Klima die Anlage eines Roſen—
gartens eine beſonders ſtraffe Gliederung, die mit Hilfe von Buxbaum-Einfaſſung
gebildet wird. Nadelhölzer, Hecken, Wände, Holz- und Stein-Architekturen ſollen Fläche
und Raum gliedern, umrahmen, ſo daß für die blumenarme Zeit gleichſam ein formales
Gerüſt vorhanden iſt, welches das Gefühl der Unordnung oder der Armut vermindert.
Peinlichſte Sauberkeit durch Abſchneiden verblühter Blumen, durch Abfegen aller
Blütenblätter von Raſen, Beeten und Wegen, durch Reinigen und Lockern des Bodens
zwiſchen den einzelnen Pflanzen, peinliche Pflege etwa vorhandener Raſenflächen, Raſen—
ſtreifen, Beet- und Wegekanten ſind Vorausſetzung für eine befriedigende Wirkung
des Roſengartens. Die Form, d. h. die Aufteilung der Fläche, ſei ſo klar und einfach
wie möglich. Gradlinige Grundformen ergeben eine beſſere Wirkung als Rundformen.
Terraſſierungen, ſo daß die Mitte entweder den tiefſten oder den höchſten Teil dar—
ſtellt, ſind von größter Wirkung für den klaren Aufbau und deſſen Anſchauungs—
möglichkeit.
| Die amphitheatraliſche Anordnung großer Roſengärten iſt meines Wiſſens noch nicht
verſucht. Gerade durch ein Über-Einanderſtellen der verſchiedenen Roſenraſſen mit
Hilfe von ſchmalen Teraſſen und Mauerbeeten, können jene großen Wirkungen üppiger
Roſenpracht erreicht werden, die uns ſonſt nur ſüdliche Länder bieten. Was dort die einzel—
nen Pflanzen leiſten, kann bei uns durch eine Fülle von Stückzahl in den verſchiedenen
im Wuchs einander ergänzenden Raſſen geboten werden, und ſo fordert denn die
künſtleriſche Wirkung eines Roſengartens, daß die Raſſen und Formen ihrer Weſens—
art entſprechend zur Schau geſtellt werden.
An] Formen ſtehen uns zur Verfügung: die Buſchform als niedrig veredelte oder
wurzelechte Roſe, die Lodenform, d. h. jene als „Rank- oder Kletterroſe“ bekannte wild—
roſenartige Form in ihrem natürlichen Wuchs ohne Aufbinden; ferner werden dann
aus ihr mit Hilfe von Geſtellen die Pyramiden-, Säulen-, Bogen- und Spalierform
erzogen. Eine weitere Kunſtform ſtellen die Halb-Hochſtamm- und Trauerroſenformen
dar. Für die Wirkung kommt es nun darauf an, möglichſt viele der genannten
Formen jo zu vereinigen, daß entweder in gemeinſamer Blütezeit eine möglichſt große
Blütenmaſſe auf einmal erzielt wird oder durch verſchiedene Blütezeit eine möglichſt
Die Pflanzen. 165
lange Blütendauer erfolgt. Endlich müſſen die Formen den Rhythmus in der räum—
lichen Gliederung des Roſengartens betonen.
Einige beſondere Eigenheiten der Formen ſeien erwähnt: die Pyramide auf
Geſtellen bedarf meiſtens der ſchützenden Deckung. Dieſe erfolgt am beſten mit Fichten—
zweigen, ſo daß die Deckung ſelbſt wieder während des Winters einen erfreulichen
Eindruck macht, was am beſten in der Weiſe erreicht wird, daß von oben ange—
fangen Fichtenzweige mit den Spitzen aufwärts um die Seite der Pyramide ge—
bunden werden. Vor allem iſt hierfür die Wahl winterharter Sorten dringend
erforderlich. Als winterhart haben ſich bei ſtrengem Froſt bewährt (ſelbſt an Eiſen—
gerüſten !)“) die folgenden Sorten: Gerbe rose, Dorothy Perkins (Lady Gay), La Perle.
Während des Sommers ſind die Pyramiden in den unteren Teilen kahl und
es empfiehlt ſich, um ſie herum niedrig veredelte Buſchroſen kräftigen Wuchſes zu
ſtellen. Überall, wo die ſogenannte Rank- oder Kletterroſe angeheftet wird, ſollte
dies geſchehen, ohne ihrem Wuchs all zuviel Gewalt anzutun; denn durch die Sucht,
eine Hauswand z. B. ordentlich zu erhalten, indem die dort angeheftete „Rankroſe“
nicht nur durch Heften, ſondern auch durch Schneiden in ſtrenger Zucht gehalten wird,
geht die maleriſche Wirkung blühender Loden verloren, die ſchönſte Eigenart dieſer
Roſenraſſen.
Hochſtämme ſollten entweder zwiſchen Buſchroſen- oder zwiſchen Sommerblumen—
Rabatten angeordnet werden. Wer nur wenige hochſtämmige Roſen pflegen will,
ohne einen eigentlichen Roſengarten anzulegen, vergeſſe nicht, daß man ſie ſehr wohl
im Gemüſegarten zwiſchen hochſtämmigen Johannis- und Stachelbeeren, oder auch
ganz frei auf den Gemüſe- und Erdbeerbeeten pflegen kann. Hier ſtört ihr Anblick
im Winter nicht; im Sommer veredeln ſie den Krautgarten, und ihre Blumen bilden
den Schmuck des Hauſes, ohne daß man nach dem Abſchneiden der Blumen im
Gemüſegarten das Gefühl hat, einen Raub begangen zu haben. Es iſt ja keine „Ent—
thronung“ der „Königin“ Roſe, wenn ich der Hochſtammform einen Platz auch im
Gemüſegarten anweiſe; hier ſoll uns ja die Roſe alle Freuden bieten, ohne daß wir
den Nachteil der Winterdedung empfinden; und überall gilt: „Wenn die Roſe ſelbſt
ſich ſchmückt, ſchmückt ſie auch den Garten“. Wieviel Roſen hätten Platz, wenn ihre
Freunde daran dächten, daß ſie ſich auch in den „Gemüſegarten“ pflanzen läßt! Aber wir
ſind eben ſo durch die Klaſſifizierung des Schönen und Nützlichen verbildet, daß wir
beides nicht immer leicht zu vereinen wiſſen. Ein wenig epikureiſche Eudämonie tut uns not!
Dagegen ſtört den frei geſtalteten Luſtgarten eine „Gruppe“ oder eine Reihe hoch—
ſtämmiger Roſen viel mehr, als ſie ſchmückt. Wenn z. B., wie man das häufig
leider ſieht, ein Weg, welcher durch ein nach Naturmotiven gepflanztes Gelände
hindurchführt, zu beiden Seiten oder auf einer, mit hochſtämmigen Roſen bepflanzt
iſt, ſo liegt hier ein Konflikt der Motive vor, weil die Form des Roſenſtammes in
Widerſpruch zu der naturgemäßen Pflanzung der Umgebung ſteht. Mit dem Begriff
des Kontraſtes darf man derartige Leiſtungen nicht entſchuldigen.“)
) Eiſengerüſte und Geſtelle find vom äſthetiſchen Geſichtspunkt verwerflich; auch führen fie
die Kälte in den Erdboden, ſchaden durch Erkältung und Erhitzung in gleicher Weiſe.
% Vergleiche Seite 121, Fußnote, wo hinter „verwechſelte“ das Wort „lehrte“ berichtigend
zu ergänzen iſt.
166 3. Abſchnitt.
3
Selbſt im geometriſchen Ziergarten ift ein Rund- oder Ovalbeet hochſtämmiger Roſen
meiſt nicht von der kraftvollen Wirkung, welche dem vorgeſchwebt hat, der auf dem Plan
das Rund- oder Ovalbeet zeichnete; denn man ſieht zu ſehr unter den Kronen hindurch
zwiſchen den dünnbeinigen Stämmen. Dazu kommt, daß der Roſenſtab eine pein⸗
liche Linienkonkurrenz mit dem Stamm hervorruft. Der Roſenſtab verlangt eine be—
ſondere äſthetiſche Behandlung. Er ſei erſtens tadellos gerade, im Querſchnitt am
beſten kantig und ſchließe mit einer gedrehten Spitze ab. Alle Stäbe gleicher
Roſenſtammhöhe müſſen gleiche Länge haben. Die Farbe ſei entweder ſteingrau
oder — nach altem Herkommen — grün mit weißer oder roter Spitze. In Fürſt
Pücklers „Andeutungen über Landſchaftsgärtnerei“ wird von Roſen an goldenen Stäben
erzählt. Sollten wir dieſe poetiſche Wirklichkeit nicht öfter auftreten laſſen, wo es
erwünſcht iſt, einmal beſonders prächtig und reich der „Roſe“ das „Gold“ zu ver—
mählen? Beſonders iſt zu warnen vor einem Fehler, der häufig gemacht wird: Hoch—
ſtämmige Roſen in einer Reihe gleichlaufend zu einer Hauswand zu ſtellen; während
nämlich der Sockel des Hauſes horizontal wirkt und als Baſis horizontal wirken muß,
wird dieſe Wirkung durch ſenkrechte (vertikale) Linien, wie ſie die Roſenſtämme bilden,
zu einem großen Teil aufgehoben. Hierdurch entſteht für jeden mit Liniengefühl be—
gabten Beſchauer eine Unruhe, die unkünſtleriſch wirken muß, denn, um es noch ein⸗
mal hier zu betonen: künſtleriſche Wirkung beruht auf derklaren Heraus-
arbeitung alles deſſen, was bei der Geſtaltung beabſichtigt war.
Wenn alſo die klare Wirkung einer horizontalen Hausbaſis durch vertikale Zerſchnei—
dungen aufgehoben wird, ſo wird der Zweck der horizontalen Baſis verwiſcht und unklar.
Die Zahl der Roſenſorten iſt im Laufe beſonders der letzten Jahrzehnte ins
Ungemeſſene gewachſen. Wie auf ſo vielen Gebieten der Sortimentsgärtnerei iſt unter
den zahlreichen Sorten viel entbehrlich, und es wäre zu wünſchen, daß die Ver—
mehrungsarbeiten ſich auf wenige vorzügliche Sorten beſchränken. In der Tat hat
der Schönheitsſinn der zahlreichen Roſenfreunde auch eine Auswahl getroffen, und
man kann wohl eine Reihe ſchönſter Roſen für die verſchiedenſten Zwecke zuſammen—
ſtellen, wobei für unſer unwirtliches Klima die Winterhärte wichtigſte Bedeutung hat.
Für die züchteriſche Arbeit der Schaffung von neuen Sorten iſt es zwar erfor—
derlich, die zahlloſen beſtehenden Sorten weiter zu kultivieren, denn die Erfahrung
lehrt, daß die Vermehrung nur weniger Sorten in unzähligen Exemplaren auf unge—
ſchlechtlichem Wege dieſe Sorten „lebensmüde“ macht, wofür die berühmte La France
ein Beiſpiel bietet, die nur noch in wenigen Exemplaren in unſere Tage herübergrüßt.
Caroline Testout gilt als ihr Erſatz, und doch weiß der Kenner, wieviel dieſer im
Vergleich zur La France fehlt. Aus den angedeuteten Gründen müſſen immer wieder
junge Roſen aus geſchlechtlicher Kreuzung gezüchtet werden, und weil man nie wiſſen
kann, welche ſonſtigen Eigenſchaften aus der Paarung entſtehen — wenn man ſich auch
bemüht auf Grund der Mendelſchen Verhältniszahl das Zuchterzeugnis einigermaßen
vorher zu beſtimmen — ſo iſt doch das Zuſammentreffen „überſchwenglicher Eigen—
ſchaften“, um einen Goetheſchen Ausdruck zu benutzen, vorher unſerer Beſtimmung
entzogen; und die Erzeugung einer höheren Schönheit findet in unzähligen Geſchlechter—
vereinigungen der Pflanzen nicht häufiger ſtatt als die Geniebildung in der menſch—
lichen Geſellſchaft. Um alſo ein gleichſam plaſtiſches Elternzuchtmaterial zu erhalten, be—
Die Pflanzen. 167
darf es der fortgejegten geſchlechtlichen Neuzüchtung. Wenigſtens „das Gute“ dieſer Züch—
tung wird dann von den Urhebern als Neuheit angeboten, was auch vom Standpunkt
der ſpezialiſtiſchen Roſenliebhaberei ſeine Berechtigung hat, ſchon deswegen, weil ja
die umſtändlichen Züchterarbeiten ihre Entſchädigung finden müſſen. Wenn auch land—
wirtſchaftliche Pflanzen- und Tierzucht ſeit längerer Zeit planmäßiger bei der Züch—
tung verfahren iſt, ſo haben doch die Kunſtgärtner dieſen Vorſprung raſch eingeholt;
ſie züchten jetzt planmäßig auf beſtimmte Ziele hin, wobei dann oft ſcheinbar weite
Umwege gemacht werden müſſen: Wünſcht man z. B. Farbe, Duft, Wuchs einer Roſe
.
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Abb. 110. Stellagen für die Samenzucht von Topfpflanzen der Quedlinburger Zuchtgärtnerei.
(Phot. Willy Lange.)
wärmeren Klimas (empfindliche Sorte) einer deutſchen Neuzüchtung anzueignen, ſo iſt
es notwendig, jene) empfindliche Sorte zunächſt mit ihr naheſtehenden, beſonders
harten Raſſen oder Arten, zu kreuzen, um dieſe Produkte dann als Eltern zu be—
nutzen für jene als Ziel erwünſchte Sorte, in der Hoffnung, daß ſich in einem oder
wenigen Nachkommen auf Grund des Mendelſchen Verhältnis-Geſetzes und auf Grund
des Geſetzes von den Rückſchlägen einmal das gewünſchte Ziel ganz oder wenigſtens
nahezu erreicht findet, ſo daß dann Winterhärte und die Eigenſchaften jener emp—
findlichen Sorte ſich in einem neuen Nachkommen vereint finden.
Die künſtleriſche Wirkung der Gartengeſtaltung, ganz beſonders der Pflanzungen
in ihr, hängt einmal in hohem Grade von den natürlichen Eigenſchaften der Pflanzen,
dann von der Steigerung der Schönheit der einzelnen Pflanzen ab. In jeder Pflanze,
wie ſie von der Natur gegeben iſt, ſchlummert ein Bildungsgeſetz. Die „Natur“ hat
dieſes Bildungsgeſetz in den Pflanzen unſerer Heimat „ſo gut ſie unter unſeren kli—
168 3. Abſchnitt.
matiſchen Zuſtänden konnte“ in die Erſcheinung treten laſſen. Aber ſchon in günſti—
geren Klimaten, unter erhöhten oder geſteigerten Lebensreizen (Licht, Wärme, Feuchtig—
keit, Nahrung) finden wir Pflanzen, die offenbar denen unſerer Heimat verwandt ſind,
aber in der Verkörperung ihrer Bildungsgeſetze über unſre heimatlichen Arten hinaus
gelangten. Dieſe gewaltige plaſtiſche Dehnbarkeit im Pflanzenleben, dieſe Möglichkeit
der Anpaſſung, dieſer Drang über ſich ſelbſt hinaus zu wachſen, iſt ein Vorbild für
alle menſchliche Geiſtesarbeit, für alle Entwicklungsmöglichkeit des Menſchengeſchlechtes,
indem es bewußt über das bisher Erreichte, zunächſt Erreichbare, hinaus zu gelangen
|
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|
.
Abb. 111. Dieſe, die vorhergehende und die folgende Abbildung zeigen, wie ſorgfältige Einrichtungen für die Zucht
von Blumenſamen erforderlich ſind. (Phot. Willy Lange.)
ſucht. Da kann es nicht Wunder nehmen, daß der gärtneriſche Pflanzenzüchter mit
den Mitteln der Natur künſtlich die Lebensreize zu erhöhen trachtet, die Gelegenheiten
geſchlechtlicher Paarung zu vermehren, und die Ergebniſſe durch ungeſchlechtliche Ver—
mehrung feſtzuhalten ſucht. Der züchtende Kunſtgärtner tut nichts anderes als das,
was die Natur in langen Zeiträumen erreicht, über weite geographiſche Gebiete verteilt
und durch langſame Ausleſe feſthält. Wer ſich mit geographiſchen Bildern des
Pflanzenlebens beſchäftigt, wird Beiſpiele für die züchtende und ausleſende Arbeit der
Natur in Fülle finden. Viel zu wenig ſcheint ſich der Gartenkünſtler, d. h. der
ſchöpferiſche Geſtalter von Gärten, bewußt zu ſein, wie viel an Wirkungen, an Mitteln
er allein der ſtillen Arbeit des züchtenden Kunſtgärtners verdankt, wie viel auch
dem großen Austauſch von Pflanzenſchönheit zwiſchen den einzelnen Ländern. Darum
Die Pflanzen. 169
ſoll in den letzten Zeilen dieſes Buches der Verſuch gemacht werden, die Beziehungen
der Gartenkunſt zur Geſamtgärtnerei in großen Zügen darzulegen.
Wenden wir uns hier wieder der Roſe zu, ſo ſei als eine Entſtehungsart neuer
Sorten nicht unerwähnt die der „Knoſpenvariation“ oder der ſogenannte „Sport“. Es
kommt bisweilen vor, daß an einer Roſenpflanze aus einer Blattknoſpe ein Trieb ent—
ſteht, welcher in Blattform und Blüten anders geartet iſt, als der Stamm ſie trug,
aus dem die Knoſpe entſprang. Auf dieſem Wege iſt z. B. entſtanden die Sorte
Niphetos als Sport von Maréchal Niel.
Da hier einmal von der ungeſchlechtlichen Geſtaltveränderung die Rede iſt, ſei
Abb. 112. Die Blumenſamenzucht erfordert größte Sorgfalt in der Zuchtwahl und Hochkultur der Mutterpflanzen.
(Phot. Willy Lange.)
auch erinnert an die ſogenannte „Mutation“, d. h. eine plötzliche Abänderung von
Eigenſchaften, welche im Samenkorn eingeboren bei der Pflanze auftreten, die aus
ihm entſteht. Während die meiſten Pflanzen aus Samen den Elternpflanzen ihrer
Art ähneln, kommt es unter den unzähligen Sämlingsnachkommen vor, daß eine
einmal ganz anders ausſieht als die Eltern, und dieſer Tatſache verdanken viele
gärtneriſche Züchtungen (als Zufallserſcheinungen mit zielbewußter Feſthaltung) ihre
Entſtehung. Innerlich phyſiologiſch dürfte Mutation und Knoſpenvariation ſo wenig
verſchieden ſein, wie die beiden Bezeichnungen ſelbſt, da ja der „Same“ einer ſelb—
ſtändig gewordenen Knoſpe naheſteht. Zahlreiche Gehölze aber, die man in der Haupt—
ſache auf ungeſchlechtlichem Wege vermehrt, haben Knoſpenvariationen erzeugt, und
auch ſie ſind alsdann ungeſchlechtlich feſtgehalten worden. Hierdurch hat dann der
Vorrat an Gehölzformen ſowohl unter den Laub- als den Nadelhölzern eine derartige
170 3. Abſchnitt.
Fülle bekommen, daß ernſtlich zu erwägen iſt, das wenig Wertvolle im künſtleriſchen
und geſchäftlichen Intereſſe auszuſcheiden. Insbeſondere ſollten alle Monſtroſitäten
der pathologiſch-anatomiſchen Schauabteilung der Botaniſchen Gärten vorbehalten
werden. Die Zeiten der Freude am Andersſein, als das Naturgemäße es bietet, ſind
vorbei. Wir müſſen heute nur die Edelraſſen und deren Veränderungen (Sorten)
pflegen, um aus unſeren Gärten das zu ſchaffen, was ſie ſein können: Entwick—
lungen des Pflanzenlebens aus der Natur durch den wählenden, künſtleriſchen
Menſchengeiſt. —
IV. Blumengärten
laſſen ſich leicht mit den Roſen vereinen, die heute gegenüber den ſtrahlenden
Schönheiten ihr altes Königinnenrecht im Garten beſtritten ſehen. Blumen—
gärten ſollen ſich auszeichnen durch höchſte Mannigfaltigkeit, Reichtum, Farben—
pracht, vermählt mit Duft und Formenſchönheit, durch lange Dauer des Blumen—
zaubers im Jahre. Die regelmäßigen Formen bieten die beſten Möglichkeiten hierzu,
wenn auch nicht ausgeſchloſſen iſt, daß man biologiſch geſtaltete Gärten zu hoher
Blumenſchönheit führt. Die höchſte Zuſammenwirkung aber an Maſſen iſt doch ſchon
aus techniſchen Gründen im regelmäßigen Garten zu erreichen. Insbeſonders eignet
ſich für einen geſonderten „Blumengarten“ jene von Holland überkommene Form,
welche die Wege mit Steinfließen oder Backſteinen, etwa 40 bis 45 em breit, befeſtigt.
Dieſe Wege werden gleichzeitig als Einteilungs-Ornament benutzt und um die Form
auch im Winter zu beleben, mit Buxbaum eingefaßt, ſo daß ſich kleine buxbaum—
umgrünte Flächen bilden, welche mit verſchiedenen Pflanzen beſetzt werden. Iſt ſolche
Anlage auch bei ihrer Herſtellung nicht billig, ſo ſind doch die Freuden bei der jähr—
lichen, ſtarken Veränderungsmöglichkeit durch viele Jahre unbegrenzt neue; und Er—
fahrungen des einen Jahres kommen dem nächſten zugute, ſo daß man ſchließlich an
dem beſonderen Ort, an dem das Blumengärtchen liegt, das höchſte, was an
Pflanzenvereinigung möglich iſt, zu erreichen hoffen kann. Dabei brauchen wir uns
nicht genügen zu laſſen, die Fläche gleichſam in einer Schicht und für eine einmalige
Blüte zu bepflanzen, ſondern es laſſen ſich für die verſchiedenen Jahreszeiten auf—
einander folgend ſowohl als auch gleichſam in mehreren Schichten übereinander Zu—
ſammenſtellungen mit großem Reichtum an Stückzahl und Wirkung ſchaffen. In
Skandinavien, wo man den kurzen Sommer mit höchſter Blumenfreude auszunutzen
ſucht, hat man es meiſterhaft verſtanden, drei- und vierſchichtige Pflanzenzufammen-
ſtellungen auf den Beeten zu erzeugen. Im Grunde genommen iſt dies möglich
durch Vereinigung z. B. hochſtämmiger Pflanzen mit halbſtämmigen, ſehr hohen
krautigen und niedrigen krautigen. Um ein Beiſpiel zu bilden: Sehr hochſtämmige
Füchsia gräcilis, hochſtämmige Fuchsia, Hyazinthus eändicans, niedrige Pelargonien.
Kommt hierzu eine mannigfaltige Formung der Beete in rhythmiſchem Wechſel,
ſo daß man auch mit der Zuſammenſtellung wechſelt, dann entſteht eine Fülle, welche
neben künſtleriſcher Klarheit der Form eine Freude gewährt, die wir uns in Deutſch—
land zum Teil, ganz beſonders in den Großſtädten, verſagen müſſen, weil wir ver—
wöhnt ſind durch die ſogenannten großzügigen, in Wahrheit aber oberflächlichen,
mechaniſchen Maſſenwirkungen einfacher, mit „einer“ Farbe beſetzter Beete. Nur
Die Pflanzen. 171
noch in mittleren Städten und wo die Bürgerſchaft ſich einen von Kunſtſchlagworten
unabhängigen Sinn bewahrt hat, findet man jene liebevollen Blumenvereinigungen.
Mögen dieſe Zeilen dazu anregen, wieder der alt-nordiſchen Sehnſucht nach Farben—
fülle in ihrer Mannigfaltigkeit Erfüllung zu geben!
Große Gruppen beſtimmter Pflanzen ſind es, über welche die gärtneriſche
Sonderliteratur im einzelnen Auskunft gibt, die uns im Blumengarten zur Ver—
fügung ſtehen; hier können ſie nur in ihren typiſchen Eigentümlichkeiten zuſammen—
geſtellt werden:
1. Gruppenpflanzen ſind ſolche, zu deren Heranzucht und Überwinterung ge—
ſchloſſene Kulturräume (Gewächshäuſer und Frühbeete) gehören. Beiſpiele: Pelargonien,
Salvien, Koleus, Cinerarien.
2. Zweijährige ſind ſolche, deren Blütezeit und Tod in das zweite Jahr nach
der Ausſaat fällt.
a) Frühlingsblüher z. B. Stiefmütterchen, Vergißmeinnicht, Tauſendſchön.
b) Sommer- und Herbſtblüher.
c) Halbſtauden, d. h. ſolche, die ſchon im zweiten Jahr nach der Ausſaat
blühen, aber vielfach mehrere Jahre lebensfähig bleiben: Fingerhut, Malven.
3. Sommerblumen oder einjährige, d. h. ſolche Pflanzen, die im Jahre ihrer
Ausſaat blühen, zum Teil aber zu dieſer Ausſaat eines Frühbeetes bedürfen: Lev—
kojen, Aſtern, Reſeda.
4. Zwiebelpflanzen ſind ausdauernde Gewächſe, die mit Hilfe von Zwiebeln,
Abb. 113. Cinerarien⸗Kreuzungen in der Kgl. Gärtnerlehranſtalt Dahlem als Beiſpiel von Gruppenpflanzen, die
zum Schmuck von Gartenbeeten mit oder ohne Topf in den Beetgrund eingelaſſen werden. (Phot. H. Pflüger.)
172 3. Abſchnitt.
Scheinzwiebeln überwintern und zu ihrer Anzucht mehrerer Jahre bedürfen; ſie
werden beſonders in Holland herangezogen. Wenn man ſie auf Beeten im Blumen—
garten auspflanzt, ſo pflegt man ſie gleich nach der Blüte vorſichtig aus dem Boden
zu heben und an heller Stelle, ziemlich dicht aneinander, vorſichtig wieder einzu—
pflanzen, ſo daß die Weiterentwicklung der Blätter, die Neubildung der Zwiebel
möglichſt ungeſtört bleibt. Derartige Zwiebeln ſind dann vorzüglich geeignet, um im
Frühherbſt zwiſchen und vor Gebüſch im biologiſch geſtalteten Gartenteil angepflanzt
zu werden, wenn es ſich um ſolche Formen handelt, die phyſiognomiſch nicht aus
dem Typus) deutſcher Naturpflanzen herausfallen. In dieſem Sinne kann man
z. B. mit den neuen
Darwin-Tulpen,
mit Rembrandt⸗
Tulpen, Papagei⸗
Tulpen, ja auch
ſchon mit den jpä-
teren größeren
Tulpenſorten, mit
Hyazinthen ein
Naturgartenbild
verderben, wäh—
rend ſich die be—
ſcheidenen Crocus,
Chionodoxa,
Scilla, kleine frühe
Tulpen zwanglos
jedem Frühlings⸗
Naturgarten ein⸗
fügen. Jenen erſt⸗
genannten, maſti—
Abb. 114. Blumengarten unter alten Obſtbäumen, im Schmuck der Zwiebelpflanzen. - - 2
(Vergl. auch Abb. 115. Phot. Willy Lange.) geren Zwiebel⸗
blumenarten muß
man aber immer im „Blumen“ garten ein Plätzchen anweiſen, damit ſie, um es zu
wiederholen, im biologiſch geſtalteten Garten kein Unheil anrichten. Das iſt wohl auch
ſehr gut möglich, wenn man im Blumengarten der ganzen Zwiebelgeſellſchaft aus den
Zierbeeten des vorigen Jahres in bunteſter Miſchung oder wenigſtens nach Klaſſen
geſondert, dicht gedrängt, einen Platz auf ſymmetriſch zueinander liegenden Beeten an—
weiſt; dann iſt die Wirkung heiter, ſtört nicht den Geſamtcharakter des Blumengartens
und für die eigentlich ſtrahlenden Zierblumenbeete werden neue Zwiebeln angeſchafft.
? ) „Typus“ wird wohl am beiten mit „Geſtaltmuſter“ überjegt; in dieſem Sinn kann man
ganz allgemein vom Typus deutſcher Naturpflanzen ſprechen, von denen viele außerdeutſche oder
Garten-Maſtraſſen ſtark abweichen. Alexander von Humboldt führte die Pflanzengeſtalten der Erde
auf 21 Typen — er nannte dies allerdings Phyſiognomik — zurück; Grieſebach ſtellte 54 auf;
bei dieſer Zahl hört die Überſichtlichkeit bereits auf, und es erſcheint, nachdem heute der Sinn für
Geſtaltunterſchiede viel mehr ausgebildet iſt, richtig, den Begriff „Typus“ auf ein allgemein gültiges
„Geſtaltmuſter“ zu beſchränken und z. B. vom deutſchen Typus der Pflanzenphyſiognomien zu ſprechen.
Die Pflanzen. 173
5. Stauden find Pflanzen, welche mit Hilfe von Knollen, Scheinzwiebeln, Zwiebeln“)
unterirdiſchen Knoſpen, Stolonen oder auch halbunterirdiſch überwintern und von längerer
oder kürzerer Lebensdauer ſind; ja in manchen Arten ſcheinbar unſterblich, weil ſie
die Fähigkeit der Verjüngung durch Sproſſung beſitzen. Die Stauden ſind neuerdings
zu hoher Schönheit emporgezüchtet, ſo daß alte Lieblinge des bäuerlichen Gartens zu
ſtädtiſchen Modeſchönheiten wurden. Eine umfangreiche Sonderliteratur dient ihrer
Kenntnis und Pflege. Wenn die Dauer dieſer Pflanzen immer wieder betont wird,
ſo muß demgegen—
über, ſo oft wie
möglich, geſagt
werden, daß ſie
auch in der Pflege
der Erneuerung des
Standortes, durch
Umpflanzen, Tei-
len, Düngen, einer
Bodenerneuerung
bedürfen, und daß
ihre gegenſeitige
Zuſammen⸗
wirkung eines be⸗ nic: 5 N
ſonderen Studiums 57 A — —
bedarf, wenn nicht
eine Stauden⸗
pflanzung während
eines großen Teiles
des Jahres einen
9 0 0 Abb. 115. Zeichnung eines Blumengartens nach holländiſchem Vorbild (mit Steinfließen—
armen oder wirren wegen, Buchsbaumkanten und kleinen Beetflächen).
Eindruck machen
ſoll. Für den Blumengarten gilt ganz beſonders die Goetheſche Mahnung: „Laßt
uns vielſeitig ſein.“ Bei weiſer Wahl werden die ſchönſten und reichſten Wirkungen
gewonnen, wenn man ſich die Perlen aller fünf genannten Gruppen hier zunutze
macht und nicht vergißt, daß unter den Sträuchern eine ganze Menge ſind, die in
Hochſtammform gezogen werden können, wie Garten-Hortenſien, Flieder, Schneeball,
um mit ihren Kronen gleichſam über den Blumenbeeten zu ſchweben; wie andererſeits
unter den buſchigen Sträuchern viel ſchöne blühende und buntblättrige ſich befinden,
die wir wie mittelhohe Stauden verwenden können. Die ſachgemäße Verteilung von
ſchön blühenden Sträuchern in Blumengärten läßt auch am beſten die winterliche
Kahlheit überwinden, die ſonſt eintreten würde. Dem gebauten Charakter des
Blumengartens entſprechend werden die dicht gebauten Formen der Sträucher beſon—
ders zur Betonung von Hauptpunkten benutzt.
) Zwiebelpflanzen gehören alſo auch zu den „Stauden“; man ſondert fie nur aus prak—
tiſchen Gründen ab.
174 3. Abſchnitt.
V. Waſſerpflanzen-Beete.
Die Blumengärten werden meiſtens einſeitig behandelt, da man nur Landpflanzen
in ihnen verwendet; darum ſei hier erinnert, daß man mit beſter Wirkung auch
Waſſerpflanzen in Beetform auftreten laſſen kann, indem man einzelne Waſſerbeete
in den Formenplan des Blumengartens aufnimmt. Derartige Waſſerbeete ſind am
beſten quadratiſch oder ſchmalrechteckig wie auch in Rundformen, z. B. zur Betonung
von Mitten, ausführbar. Im Botaniſchen Garten zu Dahlem findet ſich im Freien
eine Waſſerbeetanlage, die in einzelnen Teilen ſogar heizbar iſt, ſo daß die härteren
Waſſerpflanzen wärmerer Zonen hier ihre Blätter und Blütenkelche entfalten können.
Wenn im Botaniſchen Garten die Beete in einzelne Fächer geteilt ſind, ſo hat das
ſeinen Grund in der Abſicht, einzelne Pflanzenarten geſondert zu zeigen. In einem
Waſſerbeetgarten, der zierenden Zwecken dient, kommen nur die ſchönſten Pflanzenarten
zur Auswahl, und man wird für die klare Wirkung den Schwimmpflanzen oder
Pflanzen mit Schwimmblättern, wie die herrlichen farbigen Seeroſen, durchſetzt mit
den zierlichen Azölla, Salvinia, Hottönia (deren untergetauchte Blattroſetten auch im
froſtfreien Winter reizvoll ſind), beſondere Waſſerflächen anweiſen, während die hohen,
über das Waſſer weit hinaus ragenden Arten kleiner Rohrkolben, Schilfe, Schwert—
lilien, Pfeilkräuter und Binſen mehr zur räumlichen Gliederung benutzt werden.
Die Preisverzeichniſſe unſerer großen Sortimentsgärtnereien, beſonders in Erfurt,
Leipzig, Stuttgart, Darmſtadt geben Auskunft über die große Fülle von Waſſer- und
Sumpfpflanzen edler Formen- und Blütenſchönheit, deren Freuden wir im Ziergarten,
beſonders im Blumengarten in regelmäßiger Form uns faſt noch gar nicht, jedenfalls
bis jetzt noch nicht in allen ihren Möglichkeiten, nahe gebracht haben.
Die techniſche Herſtellung der Waſſerbeete bietet durchaus keine Schwierigkeiten,
wenn nur mit Rückſicht auf die Froſtgefahr in unſerem Klima die Mauerung durch—
aus zuverläſſig und ohne engherzige Materialerſparnis durchgeführt würde. Dringend
erwünſcht, ja für große Anlagen durchaus notwendig, iſt die Möglichkeit des Ab—
fluſſes (ſo daß man ſämtliche Beete, jedoch einzeln, völlig entwäſſern kann) und des
Überlaufes, ſowie eines mäßigen, aber beſtändigen Zulaufes, wodurch eine dauernde
Waſſererneuerung in langſamer Zeitdauer geſichert iſt.
Gegen die Mücken ſchützen am beſten in den Waſſerbeeten eine Anzahl Stich—
linge; in den Sumpfpflanzenbeeten eine größere Anzahl Fröſche, ſowohl grüne Gras—
fröſche, als auch Laubfröſche. Die Sumpf- und Waſſerpflanzenbeete bedürfen einer
beſonders liebevollen Pflege, deren eigentlicher Lohn ja aber eben erſt die Freude
am Gelingen iſt.
Der Kampf mit Algen und Waſſerlinſen iſt nicht immer leicht und man kommt
bald dahin, einen Mikrokosmos des Waſſerlebens zu ſchaffen, damit Tier- und Pflanzen⸗
welt zueinander ins Gleichgewicht geſetzt werden, indem man zur Vernichtung von
Algen die Waſſer- und Sumpfſchnecken und zur Vernichtung von allerlei Abfällen die
kleinen Krebstierchen unſerer Teiche ihrer natürlichen Vermehrung überläßt. Eine der-
artige Aquarienliebhaberei im Freien eröffnet uns ein weites Gebiet neuer Garten-
freuden. Empfindlichere Pflanzen und ganze Anlagen überhaupt können im Winter
geſchützt werden durch Überdecken mit paſſenden Brettern, einer Laubſchicht, die wieder
Die Pflanzen. 175
durch Fichtenzweige feſtgehalten wird, alſo mit all den Mitteln, die wir auch in der
Pflege der Landpflanzen anwenden. Wenn alles dieſes recht ſauber gemacht wird,
ſo iſt der Anblick von gedeckten Waſſer- und Sumpfpflanzenbeeten im Winter nicht
unangenehmer als der eines gedeckten Roſariums. Vielleicht iſt es nicht überflüſſig,
zu erwähnen, daß die Waſſerbeete ſo tief hergeſtellt werden müſſen, daß eine Schicht
von etwa 15 em grober Steinſchlag und darauf eine Schicht von etwa 30 em lehm—
jandiger humoſer Erde (der Humus wird am beſten durch Moorerde gegeben) ein—
gebracht werden kann. Der Abſtand zwiſchen Erdbodenoberfläche und Waſſerſpiegel
25
— 1; | x
1 » Bd, 8 *
2% a 2
Abb. 116. Stechapfelpflanze als Schmuck auf gebauten Gartenjtandorten. (Als Beiſpiel einer Pflanze fremd—
ländiſcher Phyſiognomie, die Hauspflanzencharakter erworben hat. Vergl. S. 66. Phot. Willy Lange.)
braucht dann allerdings nicht groß zu ſein und er ſoll es nicht ſein, damit niemals
kleine Kinder in Gefahr kommen können. Eine eigentliche Waſſertiefe von 25 em
genügt für alle Pflanzen vollſtändig.
Die Beete für Sumpfpflanzen können flacher ſein, bedürfen aber auch der Stein—
ſchlagſchicht, um die Nachteile der Luftundurchläſſigkeit des Beckenbodens möglichſt aus—
zugleichen, damit die bei Sumpfpflanzen ohnehin geringe Wurzelatmung nicht ge—
hemmt wird.
Soweit es ſich um deutſche Arten handelt, werden die Sumpfpflanzen am beſten in
ganzen Bulten mit allem Erdbeiwerk ihres Standortes aus der Natur auf die Beete
gebracht. Gerade die Sumpfpflanzen zeigen eine derartige innige Gemeinſchaft ver—
ſchiedener Arten untereinander, deren feinſte Beziehungen wohl noch gar nicht von uns
erkannt ſind, daß eine Vereinzelung einer Art die Pflege in höchſtem Maße erſchweren
176 3. Abſchnitt.
oder unmöglich machen würde. So laſſen ſich die Sonnentauarten, Pirola, Pinguicula,
Moosbeeren, kaum aus den zarten Umarmungen des Sumpfmooſes entwinden. Doch
dieſes im einzelnen zu verfolgen, iſt wieder Sache der gärtneriſchen Sonderliteratur,
die ganz beſonders auf der wiſſenſchaftlichen Erkenntnis der natürlichen Lebens—
bedingungen der Pflanzen fußt. Noch mehr als bei den Landpflanzen wird ſich die
Schwierigkeit zeigen, Waſſer- und Sumpfpflanzenbeete in eine ornamentale, dem
Rhythmus des Ganzen gut eingegliederte Wirkung zu bringen. Wieder ſind es nur
wenige Sumpf- und Waſſerpflanzen, die während des ganzen Sommers einen
|
Abb. 117. Kanariſcher Efeu als Begrünung einer großen Gartenfläche in Barzelona, wo „Raſen“ nicht gedeiht.
ſauberen, geſchloſſenen Eindruck machen; und im Anfang beſchränkt man ſich am beſten
auf dieſe, wenigſtens in der Weiſe, daß man ſie vorherrſchen und alle Pflanzenarten,
mit denen man Verſuche macht, untergeordnet ſein läßt.
Wichtig iſt, daß die Einfaſſung der Sumpf- und Waſſerpflanzenbeete in bezug
auf die Einfaſſung der übrigen Landbeete in einem Blumengarten, in welchem beide
Pflanzengruppen vertreten ſind, geprüft wird. In beiden Fällen müſſen die Ein—
faſſungen den Zierformen zeichnen helfen und entweder gleichartig ſein oder der—
artig verſchieden, daß durch die Einfaſſungsverſchiedenheit neue Formen- und
Farbenreize entſtehen. Dankbar ſind z. B. Einfaſſungen für Land- und Waſſerbeete
von glaſierten weißen oder andersfarbigen Ziegeln; oder die Landbeete werden mit
Buxbaum eingefaßt; die Sumpf- und Waſſerbeete entweder mit glaſierten Ziegeln oder
bei entſprechender Breite mit einer Mauerrandung von Kalk- oder anderen, mäßig be—
hauenen Naturſteinen; keinenfalls aber mit irgend welchen „wildromantiſch“ auf—
geſtellten Grotten- oder ſonſtigen Felsſteinen oder Findlingen. Man muß ſich durch—
Die Pflanzen. 177
aus auf den Standpunkt ſtellen, daß man in den Waſſer- und Sumpfbeetanlagen
gebaute Standorte ſchafft und jede Anwendung von Naturmotiven unterläßt. Bei
Anwendung von Waſſerpflanzen- und Sumpfbeeten dürfen die dazwiſchenliegenden
Wege nicht zu ſchmal ſein, wie es denn überhaupt ein Grundgeſetz iſt, daß je höher
die Beetpflanzen ſind, um ſo breiter die trennenden Wege ſein müſſen; weil ſonſt durch
das Überhängen der Waſſer- und Sumpfpflanzen über die Beete eine Unklarheit der
Ränder entſteht; und
auch aus techniſchen
Gründen ſind breite
Wege in ſolchen An—
lagen nützlich und an—
genehm.
VI. Beete von Stein—
pflanzen, Heide- und
Moorpflanzen.
Stellen wir uns
den Blumengarten vor
mit den drei Elementen,
die wir bisher beſprochen
haben, den Land-, Waj-
jer- und Sumpfpflanzen-
beeten, jo liegt der Ge—
danke nahe, auch den
Steinpflanzen, den Heide—
und Moorpflanzen beſon—
dere Beete zuzuweiſen.
So werden auf gebautem,
ſchöngegliedertem Stand—
ort die ſchönſten Vertreter
des Pflanzenreiches im
Blumengarten als zie—
rendes Mittel vereinigt. Abb. 118. Teppich von natürlichen abgeſchnittenen Blumen, auf denen die
11 1 ide⸗ Prozeſſion mit dem Allerheiligſten geht. Die Anwohner der Straße wetteifern
Für die Heide und in der Ausbildung der Muſter. Eine Fülle verwilderter Blumen ſteht zur Ver—
Moorpflanzen (die letzten fügung. Es beſteht eine gewiſſe Beziehung zwiſchen der teppichartigen Anwendung
War e ee egen met Abs. , e
pflanzen in bezug auf
die techniſchen Vorbereitungen nahe) werden die Beete ähnlich wie für die Land—
pflanzen eingefaßt; der vorhandene Gartenboden wird ausgehoben und auf eine mäßig
ſtarke Steinſchlagſchicht Heide- bezw. Moorerde an die Stelle des Aushubes ge—
bracht. Die Heideerde muß mäßig feucht ſein, darf jedenfalls bis zur Verwendung
nie völlig ausgetrocknet ſein und darf vor allem nicht in allen ihren Teilen durch
wiederholtes Umſchaufeln beim Transport der Sonne ausgeſetzt geweſen ſein, weil
ſonſt anzunehmen iſt, daß die zarten Pilzmyzele, welche ſich in dem natürlichen Heide—
Lange, Der Garten. 12
178 3. Abſchnitt.
boden befinden, und mit denen die Wurzeln der Heidepflanzen eine Lebensgemeinſchaft
eingehen, vernichtet werden. Auch hier wieder werden dem Pflanzenpfleger Aufgaben
geſtellt, die ihn in engſte Berührung mit der wiſſenſchaftlichen Naturerkenntnis bringen.
Da nun die äſthetiſche Wirkung der Pflanzungen zum großen Teil von dem Gelingen
ihrer Pflege abhängt, dieſe wieder in den Naturwiſſenſchaften wurzelt, ſo iſt eine
gartenkünſtleriſche, dauernd erfreuliche Schöpfung ohne tiefe naturwiſſenſchaftliche
Kenntnis des Gartenkünſtlers garnicht denkbar — wenn man ſich unter Ausübung
der Gartenkunſt mehr vorſtellt als die Feſtſtellung von Formen und Maſſen auf dem
Gelände und etwas Beiwerk von Gartenarchitektur, Plaſtik und Farbe. Dergleichen
gibt im beſten Falle ein „architektoniſches Gerüſt“, dem noch alles wirkliche Natur—
leben, alle Wechſelwirkung des Lebendigen zwiſchen „uns“ und „der Natur“ fehlt,
von höchſter denkbarer Gartenkunſt weit, weit entfernt!
Daß man ganze Heidegärten in regelmäßiger Form anlegt, wie es von Aſthe—
tikern befürwortet wird, die zwar für die Heide ſchwärmen, aber aus rein theoretiſcher
Überzeugung heraus jede Nachſchöpfung des natürlichen Pflanzenlebens im Garten
vermeiden und fordern, daß dieſe Pflanzungen regelmäßig angelegt ſeien; — daß man
derartige Heidegärten ſchafft, iſt ein überflüſſiges und widerſinniges Beginnen. Denn
die Heide iſt ſo groß und ihr Stimmungsgehalt ſo eigen, daß ſie ſich nicht in den
Garten bannen läßt, und wenn man ſie dann gar noch in architektoniſche Feſſeln
ſchlagen will, dann gleicht ſie einem Gefangenen. Man muß ſich eben genügen laſſen,
auf dem Heidebeet die einzelnen Heidepflanzen zu pflegen, und ganz beſonders Heide—
ſträucher des Auslandes (welche in vieler Beziehung ſchöner ſind als die unſrigen),
ſo daß alle zuſammen nicht ein Lebensbild ihrer Heimatsortſchaft darſtellen, ſondern
eine Summe von einzelnen Schönheiten, welche eben im Blumengarten nur die ge—
meinſamen gleichen Anforderungen an den Wurzelboden vereinen.
Die Steinbeete bedürfen einer beſonderen Beachtung, weil ſie geeignet ſind, die
Gliederung des Blumengartengeländes in Höhen und Tiefen durchzuführen z. B. in
der Weiſe, daß die geſamten Blumenbeete etwa 60 bis 80 cm tiefer liegen als ein
Mauerrand, der alſo eine Bodenjtufe des übrigen Geländes ſtützt. Ja, man kann
ſogar vor dieſe Mauer noch ein, gleichfalls durch Mauer geſtütztes Randbeet legen,
auf welchem Steinpflanzen wachſen ſollen. Gerade die zierlichen kleinen Pflanzen,
welche in der Natur auf und zwiſchen Steinen wurzeln, die ſogenannten Alpenpflanzen,
kann man ſich auf dieſe Weiſe nahe bringen. Bei einer rechteckigen Umfaſſung eines
Blumengartens mit derartigen Mauerbeeten hat man auch die Möglichkeit, die ver—
ſchiedenen Beſonnungszuſtände, welche ſich dabei ergeben, für die entſprechenden
Pflanzen auszunutzen.
Wollte man ſchematiſch, auf Grund des Bisherigen, einen Blumengarten an—
legen, ſo könnte man ſagen, die Mitte nimmt ein Becken mit Waſſerpflanzen ein,
um dieſes ſind Beete mit Sumpf- und Moorpflanzen angeordnet. Wiederum in
weiterem Umfang ſtehen die Beete mit ſchönblühenden- und ſchönblätterigen Land—
pflanzen; dabei ganze Beete mit Roſen und anderen Sortimentsblumen verſchiedener
Klaſſen (Georginen, Begonien), während weiterhin Heide- und Landpflanzenbeete ſtehen,
denen ſich die Mauerbeete mit ihren Steinpflanzen anſchließen. Ein ſolcher ſchema—
tiſcher Querſchnitt kann natürlich mannigfach gegliedert werden und durch Wieder—
Die Pflanzen. 179
holung der geſamten Elemente verſchiedenartig geſtaltet oder auch durch Bevorzugung
des einen oder des anderen eigenartig wirken. Jedenfalls braucht weder ein Roſen-,
noch Blumen-, noch Steinpflanzengarten jo einſeitig zu ſein, wie es bisher meiſtens
der Fall war. Daß man im gegebenen Falle auch das angedeutete Querſchnittſchema
umkehren kann z. B. dort, wo ſich ein Hügel bietet, die Steinpflanzenbeete zum Mittel—
punkt machen kann, bedarf wohl nur beiläufiger Erwähnung. Ebenſo laſſen ſich ſinn—
gemäß an Abhängen mit Hilfe von Terraſſierungen die mannigfachſten Blumenbeet—
anlagen von der Steinhöhe bis zur Waſſertiefe ſchaffen, ſo daß auch hier wieder,
was noch einmal betont ſei, mit Hilfe gebauter Standorte, die Pflanzenwelt von
Felshöhe bis zur Waſſertiefe ſich uns darſtellt. Endlich kommen alle exotiſchen
Pflanzentypen im Blumengarten zur richtigen Geltung: die Palmen, Drazänen,
Agaven, Rieſen-Stechapfel — hier vereinigen ſich alle Fremdlinge unter der Pflege
des Pflanzenfreundes, im „gebauten“ Blumengarten.
VII. Hecken.
Hecken entſtanden einſt, als man das Verpflanzen gelernt hatte und fand, daß
ſich aus dicht nebeneinander geſetzten Pflanzen ein lebendiger dauernder, dichter und
höher werdender Schutzzaun ſchaffen ließ, beſonders wenn man die Pflanzen zwang,
durch Zurückſchneiden nahe am Boden und nahe am Stamm immer neue Triebe zu
entwickeln. Das Beſchneiden hat grundſätzlich zur Folge, daß die der Pflanze zur
Verfügung ſtehende Wurzelmenge alles aufgenommene Waſſer und alle Nährſtoffe den
wenigen Wachstumsanlagen zuführt, welche bei der Entwicklung länger werden als ſie
geworden wären, wenn ſie das zugeführte Waſſer und die Nahrung mit mehreren
Wachstumsanlagen hätten teilen müſſen, wenn alſo nicht beſchnitten worden wäre.
Damit hängt zuſammen, daß die Zweige beſchnittener Pflanzen waſſerreicher ſind als
die der unbeſchnittenen, und daß ſie infolgedeſſen im Winter leichter erfrieren. Daher
vertragen völlig kurzen Schnitt, bis zum alljährigen vollſtändigen Köpfen, nur wenige
Pflanzen in unſerem Klima mit ſeinem Winterfroſt, während man im Süden ohne
Sorge die Pflanzen alljährlich ſcharf zurückſchneidet. Das ſollten beſonders alle die
bedenken, welche von der ſogenannten „Raumkunſt“ ausgehend, auf dem Papier ſich
nicht genug tun können, uns gewaltige Wände, Baumhecken, ſcharf geſchnittene Pflanzen
zu zeichnen, indem fie auf die architektoniſche, d. h. baukörperähnliche Wirkung hinweiſen,
welche derartig zugeſchnittene Pflanzen machen ſollen. Die baukörperliche Wirkung
iſt da, wo ſie möglich iſt, kraftvoll und groß, weil gleichſam die Kräfte, welche zu
Knebelung des Pflanzenwuchſes erforderlich waren, aus der gezwungenen Form, in
die jene Kräfte gebannt ſcheinen, uns entgegentreten. Die Zeichner derartiger Wirkung
überſehen aber mancherlei:
1) Daß im nordiſchen Klima nur ſehr wenige Pflanzen vorhanden ſind, die
eine derartige Behandlung vertragen.
2) Daß es gerade bei dieſen Pflanzen eines Menſchenalters bedarf, um derartige
Wirkungen werden zu laſſen.
3) Daß die Folgen der Beſchattung und Bodenausſaugung durch ältere Hecken—
wände und Baumhecken tief eingreifen in das benachbarte Pflanzenleben, welches dann
vernichtet oder beſchränkt wird.
180 3. Abſchnitt.
4) Daß die meiſten Menſchen, welche ſich einen Garten ſchaffen laſſen, ſich in
vorgerücktem Alter befinden und die gezeichneten Wirkungen nicht abwarten können.
Endlich aber hat mich meine Erfahrung gelehrt, daß alle diejenigen, welche im
Alter zwiſchen 40 und 60 Jahren ſich heute einen Garten anlegen können, ganz andere
Beziehungen zur Pflanze haben, und dadurch zum Garten, als die jetzige kunſtgewerb—
liche und gartenfachliche Jugend es ſich vorſtellt. Jene älteren Gartenfreunde wollen
ſich im Garten ein Stück Natur nahe bringen, das Pflanzenleben ſich ausleben laſſen
und gerade von dem aufreibenden Kampf der eigenen Berufsarbeit, die ſich zwiſchen
Maſchinen und Technik, zwiſchen Berechnung und Erſchöpfung bewegt, ausruhen in
Betrachtung der ſtillen Hilfe, welche die Pflanzen in ihrer Gemeinſchaft einander ge—
währen; denn man kann gerade im Pflanzenleben den Satz vom Kampf ums Daſein
und vom Kampf ums Dableiben umkehren in die Tatſache der gegenſeitigen Hilfe, in
dem durch die eine Art der anderen das Daſein erſt ermöglicht wird, ja ganze
Pflanzengenerationen gelebt haben und ſterben mußten, um den höheren das Daſein
zu ermöglichen.
Man darf geradezu ſagen, daß die Kunſt heute die zweite Seite der menſch—
lichen Geiſtesform darſtellt und befriedigt; während die eine, ich will ſie die geſchäft—
liche nennen, kämpft und ringt im Leben der Arbeit, will die andere ruhen und
ſich erheben im Frieden der Kunſt und ſo auch im Frieden des Gartens. Es zeugt
von unglaublicher Kurzſichtigkeit, wenn man behaupten hört, daß dem materialiſtiſchen
techniſchen Zeitalter eine materialiſtiſche, techniſche Kunſt entſprechen müßte, und das
Zeitalter der Romantik endgültig vorbei ſei.
Gehören derartige Erörterungen in das Kapitel von der Hecke? Gewiß, denn
jener Pflanzenknechtung „moderner“ raumkünſtleriſcher Auffaſſung geben die Hecken Mittel
und Werkzeug. Gilt ihr doch vor allen Dingen, abgeſchloſſene Räume im Garten zu
ſchaffen, die wie die Räume des Hauſes gegliedert und im Zuſammenhang ſtehend
erſcheinen. Da iſt denn die Hecke ein immer wieder angewandtes Mittel hierzu, wäh—
rend ſie ihrer uralten Beſtimmung entſprechend, nur als Schutz angewendet werden
ſollte. Man darf daher jagen, daß dort, wo nicht ein Schutzmotiv nachweisbar iſt,
die Hecke unkünſtleriſch angewandt wird. Allerdings, im weiteren Sinne, kann das
Schutzmotiv auch gegen das Eindringen von Blicken aufgefaßt werden. Zur Krönung
von Böſchungen kann man gleichfalls Hecken anwenden in dem Gefühl, den Abſturz
von der Böſchung dadurch zu verhindern. Zur bloßen Ornamentik, zur bloßen Ein—
teilung eines Gartens iſt die Hecke widerſinnig. Die niedrigen Einfaſſungen
haben dagegen mit dem Weſen der Hecke wenig gemein. Wenn auch im franzöſiſchen
Garten die Hecke eine große Rolle ſpielt, ſo hat das ſeinen Grund in dem einmal an—
genommenen Stilgeſetz. Andererſeits bemühte man ſich, die baulichen Wirkungen
italieniſcher terraſſierter Renaiſſancegärten auf die Fläche zu übertragen. Außerdem
waren die franzöſiſchen Königsgärten repräſentativer Art und für die eigentlich intime
Benutzung des Gartens wurden neben- und abſeits von den gewaltigen Pflanzen—
gliederungen, Hecken-Stuben und Hecken-Labyrinthe geſchaffen. Beſonders in letzteren
gab es dann ein Haſchen, Necken und Koſen, das mit der Urform, aus der das Labyrinth
entſtand, nichts gemein hat. Sind doch die urſprünglich ſpiralförmig angeordneten
ſogenannten Labyrinthe nichts anderes als die Projektion der Umgänge um heilige
Die Pflanzen. 181
Sonnenberge, aus denen wieder die Kalvarienberge chriſtlicher Zeit hervorgegangen
ſind. Auf dieſem Wege gelangten im frühen Mittelalter die Formen der Sonnen—
umgänge (Abb. 119), welche vom hohen Norden bis in den mykeniſch-indiſchen
Kulturkreis zu verfolgen ſind, als vorgezeichnete Prozeſſionskreiſe in die Kirche, bis
ſchließlich ihre Bedeutung vergeſſen wurde. Die Form der Spirale aber blieb in
der Erinnerung haften; ſie ging in den Schmuckſchatz als Ornament über und lebte
als Heckenlabyrinth wieder auf und in einem heute noch viel geübten Spiel der
Kinder, welche ſich die Spirallinien in den Sand zeichnen und den von ihnen vor—
geſchriebenen Weg hüpfend zurücklegen: Der letzte Ausklang prieſterlicher, heiliger Um—
gänge, welche der allherbſtlich mehr und mehr ſchwindenden Sonne im Sinne des
alten Bildzaubers zu Hilfe zu kommen glaubten, indem ſie den Sonnenlauf nachzu—
ahmen ſuchten. So führt uns die Betrachtung der Hecke und ihrer äußerſten Ent—
wicklung als Zierform tief ins Urkulturgeſchichtliche, und unſere Kinder verknüpfen in
ihrem Spiel Urzeiten mit der Gegenwart.
Betrachten wir die Hecke vom gartentechniſchen Standpunkt, ſo iſt beſonders
ihr Einfluß durch Beſchattung und Bodenausſaugung in Betracht zu ziehen.
Heckenpflanzen.
Als Nutzhecken kommen zur Anwendung:
Fichte (Picea excelsa) nur in freien Lagen, mit feuchter Luft, friſchem Boden,
ſo daß die Hecke nord-ſüdliche Längsrichtung hat, damit die Sonnenbeſtrahlung auf
den beiden Seiten nahezu gleichmäßig iſt. Beſonders für Gebirgsgegenden brauchbar.
Lebensbaum (Thuja occidentälis), im Süden auch Biöta orientälis, nur bei
regelmäßigem ſtrengem Schnitt ſchön und widerſtandsfähig gegen Schneedruck, Wind.
Dichtere Varietäten von Thuja occidentalis find beſſer, aber teurer.
Hainbuche (Carpinus betulus), auch auf Sandboden brauchbar, vorzüglich zu
Nutz⸗ und Zierzwecken; Zweige laſſen ſich gut ineinander verflechten. Notwendig iſt
die Beſchaffung gleichmäßiger, wiederholt verpflanzter, ſäulenförmig gezogener Pflanzen.
Auch zu Laubengängen und Lauben verwendbar, beſonders für kleinere Raumverhält—
niſſe, während für große Raumverhältniſſe ähnlich die Rotbuche (Fagus silvätica)
Verwendung findet.
Kornelkirſche (Cornus mas) für feinere Entfaltung genügend, da die Langtriebe
ſehr kräftig, widerſtandsfähig, hartholzig ſind. Beſonders für große Grundſtücke in
der Feldmark brauchbar; auch unter ſeitlichem Druck von Waldrändern, Parkbäumen.
Weißdorn (Cratdegus monögyna) in Weſtfalen, am Niederrhein viel verwendet;
gut verzweigt; am beſten aus Jungpflanzen am Orte erzogen; wer warten kann,
ſollte Samen ſäen, der ein Jahr in Sand gelagert hat, und zwar zu beiden Seiten
eines billigen Drahtzaunes, der ſpäter in der Hecke bleibt. Die Inſekten, welche am
Weißdorn freſſen, ſind auch meiſtens den Obſtgehölzen ſchädlich; aber das ſollte gerade
Veranlaſſung ſein, Weißdornhecken um Obſtbaumpflanzungen zu legen, damit die nun
einmal doch vorhandenen Schädlinge, wenn ſie in die betreffende Gegend kommen,
am Weißdorn freſſen, wo ſie leicht gefunden werden können, und nicht mit ganzer
Macht über die Obſtgehölze allein herfallen. Weißdorn gibt aber den inſektenfreſ—
182 3. Abſchnitt.
ſenden Vögeln die beſten Niſtplätze, ſo allen Erd- und Buſchniſtern (Rotkehlchen, Nachti—
gallen, Droſſeln, Zaunkönig, Laubſänger aller Arten, Hänfling u. a.). Niſthöhlen
ſind nur für Meiſen und andere Höhlenbrüter brauchbar, die aber die großen
Schmetterlingsraupen unter den Obſtſchädlingen nicht verzehren. Alſo: Hecken zum
Abb. 119. „Trojaburg“ genannte Darſtellung des Sonnenlaufes, wie ihn nordiſche Vorſtellung ſich dachte, in Spiral⸗
form auf Wisby auf der Inſel Gotland. Aus dieſer Form gingen ſpäter, als man ihre Bedeutung vergeſſen hatte,
die „Labyrinthe“ im Mykeniſchen Kulturtreis hervor. Die Spirale, einſt heiliges Sonnenzeichen, wurde Zierform,
die auch mittels Hecken als „Labyrinth“ oder „Irrgarten“ in Gärten nachgebildet wurde.
[Vergl. Abb. 120 und 121. Phot. Willy Lange. )
Schutz der Gärten, Trutz den Schädlingen, Schutz den Vögeln — und dadurch uns
zu Nutzen und Freude.
Folgende Arten haben entweder wenig Nutzwert oder ſind wegen großen Um—
fanges nur als freiere, als „Wildhecken“ brauchbar:
Pfaffenhütchen (Evonymus europaeus). Sanddorn (Hippôphaéè rhamnöides),
wertvoll für ſandige, kieſige, dünenartige Böden (möglichſt mit Untergrundfeuchtigkeit),
viel Kalk vertragend, auch Wind und Sonne, oberflächliche Trockenheit aushaltend.
Schön durch Beeren, wenn viel weibliche Pflanzen wenig männlichen beigeſellt ſind;
als freie breite Hecke gut ſchützend; nur in der Jugend zur Verzweigung ſtark ſchneiden!
) Nur um mir eine Anſchauung ſolchen nordischen Sonnenheiligtums zu verſchaffen, beſuchte
ich die Inſel Gotland. Denn das Heckenlabyrinth, die Labyrinth- und Spiralform, welche in der
nordiſchen Kunſt ſowohl als in der alt-mittelmeeriſchen eine fo große Rolle ſpielt und einſt eine
weltumſpannende Bedeutung hatte, wie heute das chriſtliche Kreuzeszeichen, hat mich ſeit der Kenntnis
der Schriften Willy Paſtors (vergl. ſeine „Altnordiſche Monumentalkunſt“, Leipzig 1911 u. a.) leb⸗
haft beſchäftigt. Die Andeutungen im Abſchnitt „Hecken“ müſſen hier genügen, um wieder einmal
zu zeigen, wie ſich Gartenkünſtleriſches mit ſcheinbar Fernliegendem verknüpft, wenn man nur hin⸗
reichend weit zu ſehen vermag und die Beziehungen zwiſchen „Garten“ und „Welt“ aufſucht.
Die Pflanzen. 183
Liguſter (Ligüstrum vulgäre) wenig ſchützend; die Art L. ovalifölium, welche fait
immergrün iſt, bildet gute Zierhecken. Die Lonizere, Lonicéra tatärica, bietet faſt
keinen Schutz, iſt aber als Grenzbetonung brauchbar; ähnlich, nur noch größer der
Pfeifenſtrauch, Philadelphus coronärius.
Schlehe, Prunus spinösa, kann, gut gepflegt, wenn in der Jugend die Zweige
verflochten werden, gute und ſchöne Nutz- und Zierhecken geben; doch wenn einmal
vernachläſſigt, nicht verwildernd; große Zierde der Landſchaft iſt ſie als Wildhecke.
Ahnlich Prunus mähaleb, die Weichſelkirſche, nur größer, weniger ſchützend, wilder.
Bergjohannisbeere, Ribes alpinum, iſt eine wertvolle Heckenpflanze im Halb—
ſchatten; ähnlich die Gartenſtachelbeere,
doch letztere wilder.
Akazien (Robinia pseudacäcia) und
Gleditſchie (Gleditschiatriacänthus) eignen
ſich nur für knickartige Hecken in großen
Park⸗ und Landſchaftsräumen; zu ihnen
kommen dann noch viele andere Feldgehölze,
z. B. Pappeln, Rüſtern, Feldahorn; die
Anlage von Knicks geht aber bereits über
den hier aufgeſtellten Rahmen hinaus;
ebenſo bedürfen die zahlreichen Hecken—
pflanzen, welche ſich nur für milde oder
warme Klimate eignen (z. B. Evönymus,
Ilex, Prunus lusitänica, Laurus tinus,
Laurus nöbilis, Myrtus commünis und
Abb. 120. Labyrinthiſch verwirrende Heckenanlage,
viele andere, die ich ſah) gar keiner ein- welche aus der ins Eckige umgewandelten Spiralform
g N ins: fei hervorgegangen iſt. Nach einem Entwurf im 16. Jahr⸗
gehenden Beſprechung; N eins: keine hundert. Entnommen aus der Sammlung alter Garten—
der ſüdlichen Heckenbildungen wirkt ſo kunſt⸗Literatur des Kgl. Kunſtgewerbemuſeums zu Berlin.
wuchig, wie eta Taxus, in leihen Pente an une Sa we
nordiſchem Klima, als wie ſelbſt Thüja und
Carpinus. Wir brauchen den Süden um ſeine Lorbeer- und Myrtenhecken nicht zu beneiden.
Wie oben ausgeführt, ſoll jede Hecke aus einem Schutzmotiv hervorgehen. Oft
liegt uns aber gleichzeitig der Wunſch nahe, eine Zierde für den Garten oder Garten—
teile dadurch zu haben. In dieſem Sinne ſeien für
Zierhecken
folgende Pflanzen als geeignet genannt: Buchsbaum, Buxus arboréscens; in rauhen
Lagen nicht ganz winterhart; leidet auch auf der Sonnenſeite durch zu raſches Auftauen.
Mahönia aquifölium; etwas unregelmäßig durch ungleiche Ausbildung, Erhal—
tung und Färbung der Blätter, wenig dicht; nur ſchön, wenn ſehr ſorgfältig behandelt.
Zierliche Nadelhölzer der Gattungen: Juniperus, Chamaecyparis, Thuja, Thu—
jopsis und Picea, ja auch Zwergfichten-Varietäten bieten in günſtigem Klima mit
feuchter Luft und mildem Winde zierende Hecken.
Vor allen iſt Taxus baccäta und fascigiäta vorzüglich zu Zierhecken geeignet;
in günſtigen Lagen können fie auch hoch werden; ja beſchnittene, ältere Taxus-Wände
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184 3. Abſchnitt.
und Säulen gehören zu den wuchtigſten Erſcheinungen nordiſcher Gartenpflanzungen,
ſo im Garten der Wilhelma bei Stuttgart.
Sauerdorn, Berberis vulgäris und vulg. atropurpürea, geben gute Zierhecken
— doch beſonders wenn man fie alljährlich ſtark zurückſchneidet, ähnlich wie Ligü—
strum ovalifölium behandelt werden ſollte.
Japaniſche Quitte, Cydonia japönica, iſt eine der ſchönſten Zierheckenpflanzen,
beſonders wenn man ſie ziemlich hoch, aber ſehr ſchmal, etwa nach Art der Zwerg—
obſt⸗Spindelbäume durch Schnitt behandelt. Dann hat man eine prächtige Blüten—
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Art. 121. Heckenlabyrinth aus dem 18. Jahrhundert. (Herkunft der Abbildung wie vorige.) Das Labyrinth nimmt
die Spiralform wieder auf und führte auf tote Punkte, während die vorhergehende Form in einem Zuge zum
Eingang wieder herausführt.
wand. Auch ſie ſollte unter Anwendung des Bindens und Verflechtens der Zweige
gezogen werden.
Deutzia gräcilis, nur auf ſehr friſchem Boden, bei regelmäßigem Rückſchnitt
brauchbar, im Frühjahr weiß blühend. Ahnlich ſind Monatsroſen, Pimpinellröschen
zu benutzen; ſie leiten zur ornamentalen Anwendung von Pflanzen in Reihenpflanzung
über. Da es ſich hierbei um eine altüberlieferte gärtneriſche Technik und altüberlieferte
Kunſtformen handelt, wird hier nicht darauf eingegangen. Ahnliches gilt in dieſem
Sinne auch für „Teppichbeete“, welche ihre eigenen Zierwerte beſitzen, die nur
vorübergehend ein wenig außer Übung gekommen ſind; auch die Teppichbeete beruhen
auf der reihenförmigen Pflanzung, die zu Muſtern geordnet wird. Es wird nicht
mehr lange währen, dann werden die alten Muſter wieder hervorgeſucht werden;
„die Welt iſt rund und muß ſich drehen!“
Die Schottifche Zaunroſe (Rosa rubiginösa) wird am beſten in größeren Raum—
verhältniſſen, auch in der freien Landſchaft, angewendet; wie alle Wildroſen bedarf
Die Pflanzen. 185
fie viel Breitenausdehnung; fie eignet ſich für freieren Abſchluß von Parks und im
Sinn einer Wildhecke dort, wo man den Abſchluß nicht beſonders betonen will.
Von der Hecke ſind zu unterſcheiden:
Regelmäßige, reihenweiſe Grenzpflanzungen, am beſten von ſchön blühenden
Sträuchern in einer Art, die ſo weit voneinander ſtehen, daß ſich jede gut entwickeln
kann. Hierzu eignen ſich beſonders: Flieder, Syringa; Spirſträucher, Spiräea; Zier⸗
Johannisbeeren, Ribes sanguineum, Gordoniänum aureum; Pfeifenſtrauch (Jasmin),
Philadelphus in guten Abarten; Bluthaſel, Cörylus mäxima atropurpürea; Japa—
niſche Quitte, Cydonia japonica.
4. Abſchnitt.
Gartenkunſt und Gartenbau.
Die Gartengeſtaltung unſerer Tage wäre nicht ſo reich in ihrer Wirkung, das
Gartenleben mit dem Genuß des Schönen und Nützlichen nicht ſo mannigfach, wenn
nicht gegenüber früheren Jahrhunderten, ja Jahrzehnten, eine bis dahin ungeahnte Fülle
von Mitteln uns zur Verfügung ſtände, welche (neben dem erwachten Verſtändnis für
Architektur und plaſtiſche Kunſt) vor allem die Pflanzenwelt aus der Hand des
züchtenden Gärtners und ſammelnden Botanikers uns gab.
Aus dem einfachen Gartenbau, d. h. der Züchtung „von Pflanzen unter
dem jeweiligen Landesklima im Freien, ohne künſtliche Hilfsmittel“, hat ſich im Laufe
der letzten Jahrhunderte die Kunſtgärtnerei entwickelt. Die Kunſtgärtnerei ver—
ſtand es, mit künſtlichen Hilfsmitteln aller Art, ganz beſonders unter Überwindung des
Landesklimas, Pflanzen aller Länder einzuführen und zu pflegen, während durch die
eigentliche Züchtung eine ungeheure Bereicherung der Pflanzenſchönheit entſtand,
welche mit ihren eigenen Mitteln die Natur nicht geſchaffen hatte.
Nicht minder wurden durch die Züchtung die Nutzpflanzen beeinflußt, indem
ihre Ertragsmöglichkeit, die Feinheit des Geſchmacks, die Verwendungsart, die
Reifezeit vielfach zu unſerem Vorteil verändert wurden, und auch bei den Nutz—
pflanzen hat eine gewiſſe äſthetiſche Sortenwahl dahin geführt, daß ihre für uns nutz—
baren Erzeugniſſe gleichzeitig immer ſchöner wurden. Die Tatſache, daß wir heute
die Nutzpflanzen zugleich mit den Augen des Malers anzuſehen gelernt haben, führt
dazu, ihnen in der künſtleriſchen Gartengeſtaltung die gleiche Aufmerkſamkeit zuteil
werden zu laſſen, wie den bisher ſo einſeitig bevorzugten Blumen- und Blattpflanzen;
daher mag es verſtändlich erſcheinen, daß im folgenden ohne ſcharfe Trennung die
Beziehungen der Nutz- und Kunſtgärtnerei zur Gartenkunſt im
weiteſten Sinne in großen Zügen darzulegen verſucht wird.
Pflanzenzucht und Farbenſinn.
Sobald Pflanzen fremder Länder eingeführt worden ſind, die ſich entweder im
Garten unſeres Klimas oder im künſtlich erwärmten Wintergarten, im Zimmer, in
Gewächshäuſern mit ihrer Schönheit zur Schau ſtellen ſollen, beginnt die wählende
Arbeit des Kunſtgärtners, indem er die Eigenſchaften, um deren willen die Pflanze
Liebhaber findet, zum reinſten Ausdruck in den Individuen, die er weiter pflegt,
zu bringen ſucht. Bald aber zeigt ſich der Wunſch, über dieſe naturgegebene Eigen—
ſchaft hinauszukommen und der Pflanze innerhalb ihrer Entwicklungsmöglichkeit neue
Gartenkunſt und Gartenbau. 187
Eigenſchaften anzuzüchten. So entſtehen dann Raſſen, teils durch künſtliche Feſthaltung
von zufälligen Erſcheinungen (Knoſpenvariationen), teils durch Kreuzung auf geſchlecht—
lichem Wege, teils aber auch durch Feſthaltung plötzlicher Veränderungen unter der
Fülle der Saatnachkommen einiger Mutterpflanzen (Mutation); und ſchließlich entſtehen
innerhalb der Sorten beſondere Eigenſchaften, die bis dahin nicht vorhanden waren,
indem Mutation und Knoſpenvariation neben Kreuzung und Zuchtwahl ununterbrochen
auch innerhalb der „Sorte“ *) tätig ſind. Zur Bildung einer edleren Raſſe find, wie
überall, folgende Vorbedingungen erforderlich:
1. Die Auswahl des Vortrefflichſten aus verſchiedenen, aber einander nahe—
ſtehenden wertvollen Stämmen.
2. Eine „günſtige“ Miſchung in Folge der Kreuzung dieſer verſchiedenen Stämme.
3. Eine Auswahl aus der Nachkommenſchaft in bezug auf die Individuen,
welche eine Steigerung der Werte im Vergleich zu den Elternſtämmen zeigen.
(Zuchtwahl!)
4. Eine längere Zeit währende Inzucht derjenigen Kreuzungsnachkommen, welche
die gewünſchten Eigenſchaften am beſten ausgeprägt zeigen.
Dieſen Züchtungsergebniſſen verdankt die große Zahl der Sortimentsblumen der
Handelsgärtnereien ihre Entwicklung.
Für dieſe Züchtung haben die Städte Erfurt, Quedlinburg, Stuttgart bedeutenden,
hiſtoriſch feſt begründeten Ruf. Wenn man bedenkt, daß z. B. ſeit Einführung unſerer
altbekannten Georginen noch nicht hundert Jahre verfloſſen ſind, daß der Verfaſſer
dieſer Zeilen ihren erſten Züchter Chriſtian Degen in Köſtritz noch perſönlich kannte,
ſo wird durch dieſe Tatſache uns, die wir in einer ſo reichen Welt leben, recht klar,
wie ungeheuer Großes in der ſtillen Züchterarbeit in dieſer Spanne Zeit geleiſtet
worden iſt.
Vergleicht man Porzellanmalereien aus Urahnes Hausrat vom Beginn der acht—
zehnhunderter Jahre her, ſo ſieht man deutlich, an welch beſcheidenen Blümchen ſie,
an die uns noch perſönliche Erinnerung knüpft, ſich erfreute. Auch Blumenmalereien
jener Zeit, feine Nadelarbeiten gleichfalls, geben ein Bild von der Blumenluſt jener
Tage. Eine unvergleichlich reichere, üppigere Farben- und Formenfülle hat unſere Zeit.
Unſere Aufmerkſamkeit wird ja oft nur noch durch gröbere Reize wachgerufen;
beſonders die Art der Ausgeſtaltung öffentlicher Straßen und Plätze in den Städten
hat dahin geführt, daß man nur noch mit großen, einfach umgrenzten Farben-Flächen
Wirkungen hervorzurufen ſucht. Wirkungen, die den elektriſchen Lichtreklamen, während
des Tages wenigſtens, ſtandzuhalten ſuchen, wenn die haſtende Menge an jenen
Farbenſtreifen der Beete vorüberflutet. Es wird dann ein flüchtiger Eindruck von
rot, blau, gelb aufgenommen, und wenn das nicht mehr zu wirken ſcheint, ſieht
man wohl eines Tages ein Beet, in dem blau⸗-xroſa und ſchreiend-rote Pelargonien
gemengt ſind, denn „Farbengemiſch“ das iſt die neueſte Farbennuance, mit der die
Auslagen einer Modehandlung das Auge auf ſich zu ziehen ſucht. Wenn man dieſem
Anblick weiter nachgeht, ſo findet man deutlich, daß das Auge der Menſchheit ſich an
den Blumenfarben bildet, entwickelt: den Dingen der täglichen Lebenshaltung ſucht man
) Von reinen botaniſchen Arten entſtehen abweichende „Zucht-Stämme“ oder „Raſſen“;
innerhalb dieſer heißen Abweichungen „Sorten“.
188 4. Abſchnitt.
jene Farben mit Hilfe der Technik zu geben, und andererſeits werden, wenn die
Technik irgend welche Farben zu miſchen oder zu erfinden geſtattet, wie es ſeit Er—
findung der Anilinfarben ſo unbegrenzt erſcheint, dann wohl den Blumen ſelbſt wieder
dieſe Farben angezüchtet.
Iſt das möglich? Kann man planmäßig einer roten Blume ein Lila, ein Gelb
hinzufügen? Innerhalb eines beſtimmten, zum Ziele geſetzten Zeitraumes zwar nicht.
Wenn man aber ſein Augenmerk darauf richtet, ein Rot leuchtender oder ein Gelb
rötlicher, ein Lila bläulicher oder blau zu wünſchen, dann kann man wohl in der
geſamten Nachkommenſchaft der Zuchteltern immer diejenigen beſonders auswählen,
die in geringen Spuren dem Wunſche näher zu kommen ſcheinen als die anderen.
Durch Kreuzung derartiger Abweichungen untereinander werden ſie dann befeſtigt,
und ſchließlich iſt das Ziel nahezu erreicht. Man denke dabei an die bläulichen Nelken,
an die blauen Primeln, die blauen Gladiolen und Tulpen.
Im letzten Grunde alſo bleibt es immer weſentlich ein wählender Eingriff
des Kunſtgärtners, welcher die Sorten zu erhalten ſucht, die dem zurzeit herrſchenden
Farbenſinn entſprechen.
Nun geht der Farbenſinn in ſeiner Entwicklung ſelbſt wieder ſeinen eigenartigen
Weg. Als Teil des Geſichtsſinnes iſt er der züchteriſchen Entwicklung des Menſchen—
geſchlechts, in Darwiniſtiſchem Sinne, ebenſo unterworfen wie alle andern ſinnlichen
Fähigkeiten, welche die Grundlagen der geiſtigen und ſeeliſchen ſind. Nordvölker haben
ein anderes Farbenempfinden als Südvölker. Die Südſonne entkörpert alle Farben
und läßt grelle nebeneinander erträglich werden, auch für uns, ſolange ſüdliches Licht
ſie beſtrahlt. Des Nordländers Auge paßt ſich an feinſte Farbenunterſchiede ſeiner
Heimat an, wenn ſie monatelang im Dämmer der Nebelſonne verſchleiert iſt. Nieder—
ländiſche Maler erzählten dieſe Harmonie zuerſt. Es iſt alſo ein klimatiſcher Unter—
ſchied, welcher phyſiſch-pſychiſch das Farbenempfinden beeinflußt. Daneben beſteht
eine allgemeine phyſiologiſche Entwicklung, die ganz allmählich eine Farbe nach der
andern ins Bewußtſein der Menſchen bringt. Die Griechen noch hatten für alle mit
blau verwandten Farben nur ein Wort, und unſere moderne Farbenſkala kann mit
den alten Grundfarbenbezeichnungen nicht mehr auskommen, muß vielmehr im be—
kannteren Naturreich die Bezeichnung für Farben leihen, deren Wahrnehmung und
deren Wiedergabe ihr techniſch heute möglich iſt.
Die techniſche Möglichkeit der Farbenwiedergabe iſt alſo ein weiteres Erziehungs—
mittel zur Farbenempfänglichkeit, und daher hat nichts die Farbenfreude ſo geweckt,
wie im Mittelalter die Verbreitung der Glasmalerei in den Kirchen und die Farben
an Prieſtergewändern und Kirchengerät.
Weil ſo jahrhundertelang die Kirche der einzige Ort war, wo das Volk regel—
mäßig gleichbleibenden Farbeneindrücken ſtärkſter Art ausgeſetzt war gegenüber der Ein—
tönigkeit ſeiner Alltäglichkeit, bildeten die ſogenannten Kirchenfarben den Grundton,
mit dem alles andere verglichen wurde. Die Feſtkleidung, die ja immer mit den Feſten
der Kirche zuſammenhing, da ſie die Hoch-Zeiten des Leben leitete, war dann auch in
allen germaniſchen Ländern in den Kirchenfarben der Glasfenſter gehalten.
Die Kleidung tritt jetzt an Stelle des Körperſchmucks urſprünglicher Zeiten und
ſüdlicher Länder, und fortan bleibt die Kleidung, deren Färbung ſtark bei ihrer Wirkung
Gartenkunſt und Gartenbau. 189
mitſpricht, der Ausdruck der Geiſtesrichtung und Sinnesentwicklung des Volkes von
geſunder Kraft bäuerlichen Empfindens bis zu ſchwüler Schwäche der Überziviliſation,
von reiner Schönheitsfreude bis zur Frechheit.
So wurde denn eigentlich erſt zur Zeit der Glasmalerei die Blumenfarbe
künſtleriſch entdeckt, und eine neue Freude kam in die Welt. Was wir heute noch
Bauernblumen nennen, war zu jener Zeit Liebling des Volkes und gab dem einfachen
Gärtchen, hinter leichtem Stengelzaun, einen Abglanz jener ſonnigen Farben, die in
der Kirche mit Gottes Wort und Lied und Glockenklang die Seele zum feſtlichen All—
kunſtwerk erhoben, zur Erhöhung des Lebensgefühls. Die Feſtkleidung trug den Schein
davon ins Haus, die Blume den Zauber von ihm in den Garten.
In Zeiten der Hochziviliſation des internationalen Austauſches, wie es die unſrige
iſt, ſtrömen in ein Volk leicht fremde Einflüſſe, die ſein urſprüngliches Sinnesempfinden
ablenken. So haben uns Maler der Neuzeit ſtatt des Sehens das Blinzeln lehren
wollen, ſtatt Farbenwirkungen durch das Auge impreſſioniſtiſche und pointiliſtiſche Zu—
ſammenſetzungsaufgaben gegeben für den Farbenverſtand; Flecke ſtatt Maſſen;
Trübung ſtatt Reinheit; Hautgout ſtatt Geſchmacksfriſche im Inhalt der Bilder und
der Farbe. Die Großſtadttechnik mit ihren Lichteffekten, die Serpentintänzerinnen in
den Varités, deren metalliſche Stoffe, mit vielfarbigem Licht übergoſſen, dem Farben—
ſinn ganz neue Kompoſitionen und Analyſen zumuten und deren Genießungsfähigkeit
uns anerzogen, haben bis dahin ungekannte Farbenbedürfniſſe geſchaffen.
Die Stoffinduſtrie und die moderne Farbentechnik erfüllen für Kleidung und
Kopfputz das neue Farbenbedürfnis am ſchnellſten. Die alten Farbennamen reichen nicht
mehr. Die ſchillernde Reptilienfauna muß die Namen leihen für die chamäleonhaft
wechſelnden Farben; oft werden dieſe durch Übereinanderwerfen durchſchimmernder
Stoffe erreicht, und Stoffblumen werden nicht mehr naturaliſtiſch, ſondern in den
Tinten der herrſchenden Mode gefärbt; Blumen, die im Sinne des Pointilismus durch
Zuſammenſetzung von Farbenflecken jene Kompoſitionen und Analyſen der Maler
wiederzugeben verſuchen, werden künſtlich hergeſtellt, und die Mode, die ſonſt einer
Generation zum Stil wurde, iſt jetzt Saiſonerſcheinung, und die Jahreszeiten werden
in Hoch⸗, Früh- und Spätzeit geteilt, wie einſt die Renaiſſance in drei Jahrhunderten
ſich auslebte. Wohin geht die Sinnesentwicklung?
Was vor kurzer Zeit von Züchtern der Blumenſchönheit verworfen wurde, das
kommt nun zu Ehren. Nelken, Ritterſporn, Chryſanthemum werden, in kranken
Farben gezüchtet: ſchieferblau, braunblau oder in koloriſtiſchen Diſſonanzen gemiſcht.
Bei den Nelken kann man beobachten, daß die aus Amerika eingeführten Rieſen—
produkte in Frankreich die ſchwülſten Farben bekommen haben, während engliſche
Züchter nur geſunde friſche Farben gelten laſſen; ſie legen uns durch die Blumen
die Frage vor, wie unſere Sinne ſich wenden ſollen, germaniſch oder ungermaniſch.
Die Farbenfreude iſt der Ausdruck der Zeitſeele und der Perſönlichkeit innerhalb der
Zeit. Mag echte, germaniſche Blumenluſt helfen, allem Dekadenten abgewendet, den
Sinn friſch, froh und genußfähig zu erhalten — das iſt die Kulturaufgabe der
Blumenzucht “).
S) Vorſtehende Gedankenreihe habe ich meinem Aufſatz „Blumenluſt“ in der Leipziger Illu—
ſtrierten Zeitung (1911) entnommen.
190 4. Abſchnitt.
Freilich, vom Handelsintereſſe betrachtet, wird der züchtende Kunſtgärtner beſtrebt
ſein müſſen, den Tagesmoden der Farbenwahl zu folgen. Aber gerade, wenn er die
Farbenpſychologie hiſtoriſch erfaßt, wird er erkennen, daß auch hier ein Rhythmus im
Wechſel beſteht: Iſt das Auge von leuchtenden Farben geſättigt, dann verlangt es, auf
zarten, milden zu ruhen; und hat es eine Zeitlang im Genuſſe immer feinerer Unterſchiede
ſeinen Genuß gefunden, dann ſucht die lebhaften Reize ungebrochener Farbenfriſche.
Darum wird jeder Züchter gut tun, mit dieſem auf phyſiſchen Ermüdungszuſtänden
beruhenden Wechſel der Sinnesempfindung, d. h. des „Geſchmackes“ zu rechnen; und
wenn zarte Farben Mode ſind, wird er die friſchen nicht ganz verwerfen, ſie für
kommende Zeiten aufbewahren; und umgekehrt. Mögen dieſe Andeutungen genügen,
um die gärtneriſche Züchterarbeit, ſoweit ſie die Farbenſchönheit der Blumen betrifft,
in Zuſammenhang mit dem großen Zug der Kulturentwicklung zu zeigen.
Die Treiberei
ſtellt als ein kunſtgärtneriſcher Eingriff in das Pflanzenleben der Gartenkunſt im
weiteſten Sinne, dem Blumenſchmuck des Hauſes, der Feſte, dem Frühlingsſchmuck
der Gärten, ein Mittel zu Schönheiten beſonderer Art zur Verfügung. Weil dieſe
kunſtgärtneriſchen Eingriffe von großer Berechnung und der Fähigkeit zeugen, die
Lebensrichtung der Pflanzen in von uns gewollte Bahnen zu lenken, ſo mag in
dieſem Abſchnitt über die Mittel zur Gartenkunſt das Grundſätzliche der Treiberei
kurz zuſammengeſtellt ſein.
Die Treiberei beruht auf der Verſchiebung der naturgemäßen Wachstumszeit.
Hierdurch ſind wir in die Lage verſetzt, Pflanzen in ihren Blüten und Früchten früher
oder ſpäter, als es in unſerem Klima die Regel ſein würde, uns nutzbar zu machen.
Mancherlei Kunſtgriffe werden zur Verſchiebung der Wachstumszeit angewendet:
a) Der Verſand von Pflanzen aus nördlichem Klima in ein ſüd—
liches, wo ſie ein Jahr vor der Verwendung zur Treiberei kultiviert werden. So
ſendet Holland einen Teil ſeiner frühen Hyazinthenſorten nach Süd-Frankreich, um die
dortige frühere Frühlingszeit und den darauf folgenden trocknen Sommer zur früheren
Reife der Zwiebeln auszunutzen, welche für eine frühere Treiberei Vorausſetzung
iſt. Frankreich exportiert dann dieſe Zwiebeln nach dem Norden, und ſeitdem macht
es keine Schwierigkeiten mehr, Hyazinthen, Tulpen zur Weihnachtszeit in Blüte zu
haben, was früher bei Blumenzwiebeln holländiſcher Herkunft ohne Verluſte nicht
möglich war. Wer ſich alſo etwa Mitte Dezember eine Hyazinthe kauft, mag ſich
des weiten Umweges und des berechnenden Geiſtes bewußt werden, der nötig war,
ihm dieſe Blumenfreude zu ſchaffen.
b) Verlängerung der Ruhezeit wird erreicht durch Kühlhaltung der be—
treffenden Pflanzen in den Kühlhallen unſerer Großſtädte, wie ſie in Verbindung mit
den Markthallen, beſonders für die Friſcherhaltung von Nahrungsmitteln eingerichtet
ſind. Auf dieſe Weiſe werden Maiblumen, Lilien, im kleinen Umfange auch Treib—
ſträucher am Wiedererwachen ihrer Triebkräfte zur gewöhnlichen Zeit verhindert.
Wenn uns auf dieſe Weiſe die Kunſtgärtnerei Maiblumen im Juli und Auguſt
bietet, ſo war das anfangs ein intereſſantes Kunſtſtück, das aber bei ſeiner größeren
Verbreitung die Wertſchätzung getriebener Pflanzen zum Schaden der geſamten Mai—
Gartenkunſt und Gartenbau. 191.
blumenzucht beeinträchtigt hat. Die Maiblumenzucht ſelbſt hat in Deutſchland hohe
Bedeutung, da auf großen Flächen Millionenwerte zum Teil ſogar als Nebenbetrieb
der Landwirtſchaft erzeugt werden. Und in der Maiblume haben wir eine der wenigen
Pflanzen, welche Deutſchland ins Ausland, beſonders nach Frankreich, England,
Skandinavien und Rußland, ſendet. Jedes übermäßige und vorzeitige Auf-den-Markt—
bringen hat immer nur ganz wenigen Vorteil, der großen Menge und dem Geſamtberuf
aber Schaden gebracht; denn unſer Volksempfinden iſt ſchließlich zu geſund, um an
derartig erquälten Blumen Freude zu empfinden. Kein Japaner würde derartiges gut—
heißen; denn dort beruht die geſamte Gartenfreude auf der Herauszüchtung der
Heimatpflanzen, der Stiliſierung ihrer Phyſiognomie, in ſtrenger Beachtung der
heimatlichen Jahreszeit. Ein Zuſammenſtellen der Pflanzen verſchiedener Jahreszeiten
mit künſtlichen Hilfsmitteln würde dort in höchſtem Maße als unkünſtleriſch empfunden
werden.
c) Die Verkürzung der Ruhezeit. Es läßt ſich ſchwer jagen, wann
die Ruhe einer Pflanze beginnt, und wann ſie beendet iſt. Wenn z. B. der Bota—
niker den Beginn der Ruhezeit mit dem Blattabfall bezeichnet, ſo muß der Gärtner
demgegenüber feſtſtellen, daß bei der Fülle unſerer klimafremden Kultur-Pflanzen, die
ſich eben unſerem Klima gegenüber ſehr verſchiedenartig verhalten, dieſer Zeitpunkt
als Maßſtab für den Ruhebeginn ſehr unſicher iſt. Vom gärtneriſchen Standpunkt
erſcheint es daher richtiger, zu ſagen, daß die Ruhezeit beginnt mit dem Abſchluß des
Längenwachstums einer Pflanze; die Erfahrung lehrt dann, daß unmittelbar nach
dieſer Zeit die Pflanze durch Erhöhung der Wachstumsreize (Wärme und Feuchtig—
keit) ſich wohl in Trieb ſetzen läßt, daß aber dieſer Trieb keinen irgendwie handels—
gärtneriſchen Wert hat. Hierauf folgt dann eine Zeit, in der ein Trieb unmöglich
iſt, worauf dann jene Zeit kommt, in der das Treiben nur eine Abkürzung der
naturgemäßen Ruhezeit der Pflanze bedeutet; und je näher dem Zeitpunkt
des naturgemäßen Knoſpenſchwellens und Wachstums das Treibverfahren gelegt
wird, deſto beſſer und leichter wird ein gutes Ergebnis erreicht. Daher iſt vom
handelsgärtneriſchen Standpunkt heute die ſogenannte Spättreiberei die am meiſten
gewinnbringende, weil ſie wenig Wärmemittel erfordert, wenig Verluſte an Pflanzen—
leben bringt. Denn zu einem gewinnbringenden Verkaufe genügt meiſtens ein Vor—
ſprung von 2—3 Wochen gegenüber der Entwicklung in unſerem Landesklima, und
dieſer Vorſprung wird ſchon dadurch erreicht, daß bei der Kultur im geſchloſſenen
Raume alle Hemmungen durch Witterungsumſchläge, wie ſie im Freien bei uns
üblich ſind, ausgeſchaltet werden. Beſonders aber iſt die Spättreiberei freier von
der Konkurrenz des Importes; denn bei den günſtigen Verſandbedingungen, dem
ſchnellen Eiſenbahntransport, den außerdeutſche klimatiſch begünſtigtere Länder ein—
geführt haben, kommen die meiſten Erzeugniſſe, die einſt unſerer Treiberei ein
wichtiges Arbeitsfeld boten, in friſchem, wenigſtens brauchbarem Zuſtand in den
Handel, früher als eben die deutſche Treiberei ſie zu bieten vermag. Bei vorgerückter
Jahreszeit verbietet aber die zunehmende Wärme den Transport, darum hat Spät—
treiberei weniger den Wettbewerb des Auslandes auszuhalten.
d) Die Verſchiebung der Ruhezeit wird dadurch erreicht, daß man die dem
Treiben vorhergehende Wachstumszeit früher beginnen läßt, indem man z. B.
192 4. Abſchnitt.
Flieder und andere Treibſträucher in dem Frühjahr, das der Treiberei vorhergeht,
in geſchloſſenen Räumen früher in Trieb bringt, als es im Freien der Fall ſein
würde. Hierdurch entſteht dann auch eine frühere Ruhezeit.
Ein weiteres Mittel zur Verſchiebung der Ruhezeit liegt in der Unterdrückung des
zweiten, d. h. des ſogenannten Johannistriebes, um an deſſen Stelle Blütenknoſpen ſich
bilden zu laſſen und andererſeits eine frühere Ruhe herbeizuführen. Dieſe Unter—
drückung des zweiten Triebes erfolgt durch eine Entziehung des Waſſers, indem die
Wurzeln beim Herausnehmen der Pflanze am Schluſſe des erſten Triebes verletzt und
dadurch die Waſſerzufuhr beſchränkt wird; hierzu kommt dann eine Verhinderung allzu
frühen Austreibens durch Trockenheit, indem man die Pflanze weder gießt noch ihr
das Waſſer des Regens zukommen läßt. Zu dieſem Zwecke werden die Pflanzen,
die in Töpfen ſtehen, umgelegt, oder in luftige, gedeckte Räume gebracht.
So ſehr wir auch die Ruhe- und Wachstumszeit durch dieſe angedeuteten und
die weiter unten benannten künſtlichen Eingriffe zu beeinfluſſen vermögen, ſo hängt
doch das Ergebnis weſentlich noch von der Witterung ab. Ein an und für ſich trockener
Sommer wird uns bei den zuletzt genannten Maßnahmen unterſtützen; er führt ganz
allgemein eine frühere Trockenheitsruhe und Reife herbei als ein feuchter Sommer.
Dieſe Tatſache führt zu der Erinnerung, daß die Ruhe nicht nur, wie bei uns durch
Kälte, ſondern wie in vielen Ländern mit Sommerdürre durch Trockenheit hervorgerufen
werden kann.
e) In unſerem Klima aber hat ſich der Einfluß der Kälte als ein ſtarker
Helfer in der Treibfähigkeit der Pflanzen erwieſen.
Man behauptet in Gärtnerkreiſen ſchlechthin, daß Pflanzen, die einen Froſt
bekommen haben, ſich leichter treiben laſſen. Zweifellos führt der Froſt ſtarke chemiſche
Umſetzungen in der Pflanze herbei, insbeſondere in der Richtung, daß die als Stärke
abgelagerten, für die neue Vegetationszeit beſtimmten Stoffe in Zucker umgewandelt,
dadurch löslich und durch die Zellwände wanderungsfähig werden. Es ſcheint aber,
wie ſo oft in der praktiſchen Gärtnerei, bei den Erklärungsverſuchen eine Nebenerſchei—
nung fälſchlich zur Haupturſache erhoben zu werden, nämlich: Wenn es in unſerem
Klima friert, dann iſt die Wachstumszeit ſchon lange abgeſchloſſen, und die Ruhe
währt bereits ſo lange, daß jener, oben angedeutete Zeitpunkt gekommen iſt, in welchem
die Pflanzen nach ihrem angeborenen Rhythmus von Ruhe und Wachstumswilligkeit
wieder leichter in Trieb kommen. Die Länge der Ruhezeit wäre alſo die erſte Urſache
zur leichteren Treibfähigkeit, und der Einfluß der Kälte eine unterſtützende, zweite.
f) Ein ſehr merkwürdiges Mittel, die Pflanzen früher in Trieb zu bringen, tft
das Betäuben. Hierzu werden die Pflanzen in feſten, gasdicht geſchloſſenen
Käfigen bei einer Temperatur von etwa 17— 20 Grad Celſius 48 Stunden lang der
Verdunſtung von etwa 40 Gramm Schwefeläther auf 1 cbkm Luftraum ausgeſetzt.
Die unerklärten, aber ſichtbaren Folgen dieſer Einwirkung iſt die Tatſache, daß
ſo Pflanzen ſich um Wochen früher, vor allem aber mit einem beſſeren Ergebnis und
in kürzerer Zeit treiben laſſen.
Das Atherverfahren iſt auch in die praktiſche Handelsgärtnerei eingeführt, iſt
aber aus wirtſchaftlichen Gründen und vor allem, weil uns das Ausland ohne dieſe
Lange, Der Garten
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Hs Eingang zu einem ländlichen Garten.
STUTTGART Am Tor Flieder; der Zaun mit Schlingpflanzen durchwachſen.
(Phot. Willy Lange.)
Gartenkunſt und Gartenbau. 193
Mittel mit billigeren Erzeugniſſen um die gleiche Jahreszeit überflügeln kann, faſt
wieder aufgegeben worden.
0 g) Die Anwendung des Warmwaſſerverfahrens beruht darauf, Pflanzen,
nachdem ſie eine längere Ruhezeit durchgemacht haben, dem Einfluß von Waſſer,
37—38 Grad Celſius warm, 24 Stunden lang auszuſetzen. Das kann freilich nur
geſchehen mit blattloſen Pflanzen, insbeſondere den laubabwerfenden Treibſträuchern
und Maiblumen, während z. B. Azaleen in ihrem Blattwerk dadurch leiden würden.
Das Ergebnis dieſer Behandlung iſt überraſchend, und Verſuche, die in der Weiſe
Abb. 122. Südfranzöſiſcher Gärtnerkarren. In Verbindung mit Abb. 123 Beiſpiel für die Einfachheit der Betriebs-
einrichtungen in ſüdlichen Ländern. (Phot. in Montpellier von Willy Lange.)
angeſtellt ſind, daß man an ein und demſelben Strauch beſtimmte Zweige der Warm—
waſſerbehandlung ausſetzte, andere dagegen nicht, haben erwieſen, daß es ſich bei
dieſem Verfahren um eine phyſiſch-mechaniſche Beeinfluſſung handelt, die gleichzeitig
lehrt, wie unabhängig vom Ganzen eines Pflanzenſtockes bis zu einem hohen Grade
die einzelnen Teile ſind. Die Wurzeln der Sträucher pflegt man niemals in das
Warmwaſſer zu bringen; nur Maiblumenkeime bringt man mit den Wurzeln ein.
So zeigen ſich alſo die nicht dem Waſſer ausgeſetzten Teile unabhängig von den
anderen und umgekehrt. In dieſer Unabhängigkeit liegt aber zugleich die Mahnung,
beim Treiben rechtzeitig auch den Wurzeln die ihnen zukommende möglichſte Wärme und
Feuchtigkeit zu gewähren, weil ſonſt leicht die Zweige durch das Warmwaſſerverfahren
ſelbſtändig austreiben und ihnen ſpäter die nötige Zufuhr von Waſſer und auch Nähr—
ſtoffen durch die Wurzeln fehlt, wenn deren Arbeit gleichſam den Anſchluß an die
ihnen vorauseilenden Zweigtriebe verpaßt. Man kann annehmen, daß die intenſive
Erwärmung aller Teile bis ins Innere der Zellkerne unter gleichzeitigem Eindringen
Lange, Der Garten. 13
194 4. Abſchnitt.
von Waſſer auch durch ſolche Wege, die ſonſt für Waſſer undurchläſſig ſind, z. B.
durch die Lentizellen der Rinde, (die durch die Erwärmung eine Dehnung erfahren),
daß durch all dieſe mechaniſch-phyſiſchen Wirkungen auf das Innere in kurzer Zeit
das erreicht wird, wozu bei dem Verfahren durch die allmähliche Erwärmung im
Treibraum viele Tage gehören.
Iſt doch in erſter Linie bei dieſem Verfahren eine Erſparnis an Zeitdauer des
Treibens das ſehr wichtige Ergebnis; denn bei einer Pflanzenkultur Zeit gewinnen,
Abb. 123. Alte Weinpreſſe auf Teneriffa. Eines der ausſterbenden „Kulturdenkmäler“. Als Beiſpiel für die Ein⸗
fachheit der Betriebseinrichtungen ſüdlicher Gartenbau-Betriebe. Der Kelterraum iſt viereckig, nach Art der Mörtel-
fäften, die unſre Maurer benützen. Mittelſt einer (hier fehlenden) Querſtange wird der Hebel auf ein Quetſchbrett
gedrückt, wodurch das Auspreſſen des Weines erfolgt. Jedenfalls haben wir hier eine der Urformen der Wein-
preſſe vor uns. (Phot. Willy Lange.)
heißt: die Kulturmittel, alſo Gewächshausräume, häufiger ausnützen und anderer—
ſeits Wärmebildner, alſo Heizmaterial ſparen können.
Bei dieſer Gelegenheit ſei wiederum eine Bemerkung über die Beziehungen
des Kosmiſchen zum Garten erlaubt.
Wir müſſen nämlich beſtrebt ſein, um in unſerem ungünſtigen Klima das Wachs—
tum der Pflanzen in ſtärkſtem Maße zu beeinfluſſen, ſie dem Motor hierzu, den
Sonnenſtrahlen ſoviel wie möglich auszuſetzen. Und ſo bedeutet es denn auch eine Aus—
nutzung der Sonne mit ihren aſſimilationstreibenden Kräften und dadurch auch eine
weitere Ausnutzung des in der Luft befindlichen Kohlendioxyds, aus dem die Pflanzen
ihren Körper zu einem guten Teile aufbauen, es bedeutet alſo eine Ausnutzung
kosmiſcher Kräfte, wenn wir in unſeren kleinen Gewächshäuſern die Möglichkeit
Gartenkunſt und Gartenbau. 195
ſchaffen, eine größere Zahl von Pflanzenkultur auf ein- und demſelben Raume inner—
halb eines Jahres zur Vollendung zu bringen, als es möglich wäre, wenn wir die
vorhin angedeuteten Hilfsmittel nicht benutzten.
Von allergrößter Bedeutung im Sinne der Sonne- und Luftausnutzung iſt daher
die Einrichtung unſerer Gewächs häuſer.
In dieſer Beziehung hat die Technik in den letzten Jahrzehnten derartige Fort—
ſchritte gemacht, daß man einerſeits veraltete Gewächshäuſer handelsgärtneriſch wirt—
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Abb. 124. Beiſpiel für mühevolle Terraſſierungsanlagen, an deren allmählicher Ausbildung Generationen gearbeitet
haben, im Süden; die Terraſſen mit ihren Schutzvorrichtungen dienen der Orangenkultur.
(Phot. am Gardaſee von Willy Lange.)
ſchaftlich als faſt wertlos bezeichnen kann, während andererſeits Gewächshäuſer
modernſter Technik wohl in den nächſten Jahrzehnten kaum übertroffen werden können.
Die Einführung außerdeutſcher Zuchterzeugniſſe
bildet eine wichtige Ergänzung aller kunſtgärtneriſchen Eingriffe in das Leben der
Pflanze, eine Bereicherung der gartenkünſtleriſchen Mittel, eine Bereicherung der Volks—
ernährung, aber zum größten Teil eine Schädigung der Züchterintereſſen Deutſchlands.
Laſſen wir einmal die Länder, welche für uns in Betracht kommen, in ihren wichtigſten
Gartenerzeugniſſen an uns vorüberziehen, ſo iſt in erſter Linie Holland als das
älteſte Land der Neuzeit zu erwähnen, das für Exportzwecke Gartenbau betreibt. Sein
Vorſprung gegenüber Deutſchland beruht auf dem vorzugsweiſe milden Seeklima, auf
dem hohen Grundwaſſerſtand, auf dem eigenartig ſchweren Marſchboden und leichtem
196 4. Abſchnitt.
Sandboden und darauf, daß man in einer jahrhundertelangen Arbeit und Kultur einer—
ſeits den Grundwaſſerſtand zu regeln, andererſeits die gegebenen Bodenzuſtände ſo zu
miſchen und zu beeinfluſſen wußte, daß Boden und Bewäſſerung zur höchſten Leiſtungs—
fähigkeit im Pflanzenbau gebracht werden konnten, die unter dem beſtehenden Klima
nur denkbar iſt.
Das Klima Hollands begünſtigt ferner eine leichte, daher billige Ausführung
von Kulturräumen unter Glas, und da des milden Winters wegen auch die Heizungs—
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Abb. 125. Weinkultur bei Arco in Oberitalien in Pergolaform als Beiſpiel für die Leiſtungsfähigteit klimatiſch
begünſtigter Landſtriche in der Pflanzentultur. (Phot. Willy Lange.)
unkoſten unter Benutzung des im Lande gewonnenen billigen Torfes gering ſind, be—
deutet es eine unvergleichlich hohe, wirtſchaftliche Ausnutzung der Bodenkräfte, wenn
Holland in ſeinen Zuchtgärtnereien große Flächen glasüberdeckter Räume ſchafft.
Sowohl wegen der natürlichen Begünſtigung Hollands als wegen der jahr—
hunderte alten Kulturarbeit, die auf dem Wege des bäuerlichen kleinen Gartenbaues
geſchaffen iſt, werden wir niemals ſeinen Vorſprung uns gegenüber einzuholen ver—
mögen. Hinzu kommt, die Produktionsbedingungen Hollands mit Deutſchland ver—
glichen, daß die holländiſchen Lebensanſprüche, die Arbeitslöhne und Lebensbeding—
ungen weſentlich niedriger ſind als in Deutſchland. Derartigen Tatſachen dürfen wir
uns nicht verſchließen, wenn wir trotz der klimatiſchen Begünſtigung anderer Länder
den heimiſchen Gartenbau lebensfähig erhalten ſehen wollen. Der heimiſche Garten—
Gartenkunſt und Gartenbau. 197
bau bleibt die breite Grundlage auch der Gartenkunſt, denn es iſt nicht denkbar, daß
ſich um der Gartenkunſt willen allein ein heimiſcher Gartenbau von wirtſchaftlich ſtei—
gender Bedeutung aufrecht erhalten läßt, denn nichts iſt ſo ſehr von ungünſtiger Kon—
junktur beeinflußt als die Kunſt. Vorhandenſein von Brot im weiteſten Sinne iſt
immer die Vorausſetzung deſſen, daß man Kunſt braucht und kauft. Die Garten—
kunſt mit ihren reichen Bedürfniſſen an Pflanzen würde alſo den Gartenbau auf die
Dauer nicht ernähren können, wenn nicht dieſer ſeine breiten Wurzeln im wirtſchaftlich
Abb. 126. Weinkultur in Oberitalien (bei Arco) in Verbindung mit Mais als Zwiſchentultur als Beiſpiel für die
Leiſtungsfähigkeit klimatiſch begünſtigter Landſtriche in der Pflanzenkultur. (Phot. Willy Lange.)
Notwendigen und Nützlichen ſuchte und finden könnte. Das wird leider in Zeiten, die
viel Kunſt verbrauchen können, vergeſſen: daß es nicht immer ſo war, und daß es
nicht immer ſo bleiben wird. Auf dieſem höheren gärtneriſch volkswirtſchaftlichen
Standpunkte ſind daher alle Beſtrebungen abzulehnen, die auf eine immer größere
Trennung der Gartenkunſt vom Gartenbau, der Kunſt vom Handwerk hinzielen.
Die Einführung von Obſt- und Zierbäumen, beſonders Koniferen und Rhodo—
dendren, Azaleen und anderen immergrünen Gehölzen iſt aus Holland bedeutend. Wenn
man auch ſeit einigen Jahren durch Zölle die heimiſche Erzeugung zu ſchützen geſucht
hat, ſo hat einerſeits Holland vor Inkrafttreten der Zölle ungeheure Maſſen ein—
geführt, unter deren Nachwirkung wir zum Teil noch heute ſtehen; andererſeits vermag
Holland, verglichen mit den deutſchen Produktionskoſten, die Zölle ſelbſt leicht zu tragen.
Die Gartenkunſt unſerer Tage greift aber dennoch vielfach auf holländiſche Er—
198 4. Abſchnitt.
zeugniſſe über, wo ſie große Maſſen zu niedrigen Preiſen zu verwenden trachtet. Da—
bei macht man noch immer, trotz aller Wiederholungen, die Erfahrung, daß die hollän—
diſchen Gehölze erſt vor ihrer endgültigen praktiſchen Verwendung in Deutſchland
einer jahrelangen Akklimatiſation mit den nötigen Schutzvorrichtigungen bedürfen, weil
ſonſt eine große Zahl der eingeführten Pflanzen zugrunde geht.
Durch ein ſorgfältiges Akklimatiſationsverfahren ſtellen ſich aber holländiſche
Pflanzen in Deutſchland ſchließlich nicht billiger, als man fie hier hätte ziehen können;
woraus hervorgeht, daß man ſehr wohl auf die Einführung holländiſcher Zier- und
Obſtgehölze vollſtändig verzichten könnte, ohne der Gartenkunſt irgend welche Schwierig—
keiten zu bereiten. Denn wo kein Akklimatiſationsverfahren vorhergeht, da iſt meiſtens
der Auftraggebende der Leidtragende, und wenn andererſeits eine Erſatzpflicht von dem
übernommen worden iſt, welcher die Pflanzen geliefert hat, ſo kommt auch er um
einen großen Teil des anfangs erhofften Gewinnes. Rückſichtsloſe Klarlegung der
Dinge erſcheint auch hier als das einzige Heilmittel.
Holland bietet der Gartenkunſt und dem Blumenſchmuck des Hauſes Blumen—
zwiebeln, insbeſondere Hyazinthen, Tulpen, Narziſſen, Krokus; ferner Stauden. Neuer⸗
dings werden zum Verbrauch durch Vermittlung der deutſchen Blumengeſchäfte und
— leider — auch des Straßenhandels abgeſchnittene Blumen ſelbſt von Treibgehölzen
maſſenhaft eingeführt. Der deutſchen Nutzgärtnerei erwächſt ein ſtarker Wettbewerb
durch die Einführung von Erdbeeren, zum Teil in Fäſſern, von Weiß-, Rot- und
Blumenkohl, endlich auch von frühen Gurken. Man darf behaupten, daß die nutz—
bringende Gemüſetreibgärtnerei in Deutſchland durch die holländiſche (und franzöſiſche)
Einfuhr vernichtet iſt.
Daß der Import ganz allgemein ſo großen Umfang annehmen konnte, liegt
(neben der Begünſtigung des Auslandes durch die Verkehrsbedingungen) beſonders an
der Errichtung von Markthallen in den Großſtädten Deutſchlands; denn
während früher auf dem offenen Wochenmarkt alles, was nicht verkauft war, verdarb,
wenigſtens für den nächſten Markttag minderwertig wurde, ſicher aber faſt ganz aus
dem Angebot ausſchied, erhalten heute die Markthallen mit ihren Kühlvorrichtungen
die Gartenbauerzeugniſſe länger verkaufsfähig, ſo daß übrigbleibende Waren immer auf
die neue Anfuhr preisdrückend wirken, vor allem aber wird durch die Markthallen und
ihre halbamtlich arbeitenden Verkaufsvermittler ganz beſonders dem Auslande eine
ſichere Abnahmeſtelle für die Erzeugniſſe zur Verfügung geſtellt. Dies alles zum Nach—
teil des deutſchen Gärtners, zum Vorteil allerdings der deutſchen Volksernährung,
die durch dieſe Einrichtung billiger, geſünder möglich iſt, als es der Fall ſein würde,
wenn die deutſche Gärtnerei in dem Zuſtande verharrt hätte, den ſie vor Einführung
der Markthallen darſtellte.
Die Gärtnerei als ein Teil der Volkswirtſchaft wird ſich daher im Intereſſe
der Wohlfahrt des großen Ganzen mit der Tatſache abfinden müſſen und innerhalb
des Welthandels alle für fie günſtigen Umſtände ſuchen müſſen, ihre Tätigkeit gewinn—
bringend zu geſtalten.
Die Erkenntnis von Tatſachen des Welthandels iſt nun die Grundlage dafür,
daß man das eigene Land und ſeine Erzeugniſſe in den Welthandel
zum eigenen Nutzen richtig eingliedert, und es erſcheint daher vielleicht
Gartenkunſt und Gartenbau. 199
nicht überflüſſig, im folgenden den Einfluß des Importes auf den Inlandsmarkt klar—
zulegen und einige Bedingungen zu nennen, unter denen eine Stärkung des heimiſchen
Gartenbaues nach der Überzeugung des Verfaſſers denkbar iſt.
Einfluß des Importes auf den Inlands markt.
Schwache Inlandsernten rufen ſtarken Import hervor. Daher ſcheint dem Großhändler und
Verkaufsvermittler der ſtädtiſchen Märkte das Ausland mehr als ſicherer Erzeuger als das In—
land, und dieſe Tatſache wirkt noch in guten Inlands-Erntejahren nach, weil die einmal geknüpften
Handelsverbindungen feſtgehalten werden. Die inländiſchen Fabriken müſſen beſchäftigt bleiben,
daher pflegen ſie den Import, ſchon um die Fabrikationszeit zu verlängern, die Betriebsmittel aus—
zunützen, die Fabrikation vielſeitiger zu geſtalten. Die Konſerven aus guten Erntejahren drücken
den Preis noch im darauffolgenden ſchlechten. Deutſchland wird vom Import überflutet, da Eng—
land, das früher viel kontinentales Obſt einführte, jetzt nicht nur eigenen Bedarf durch Uberſee—
Import deckt, ſo daß Frankreich, Holland, Deutſchland nicht mehr dorthin importieren, ſondern
England ſein Überſeeobſt dorthin exportiert. Das Publikum gewöhnt ſich raſch an die ausländiſchen
Verkaufseinheiten und die Art der Verpackung. Die deutſche Ware erſcheint dagegen oft minder—
wertiger, weil einfacher verpackt, obwohl ſie es nicht iſt. Gleichzeitig mit unſeren Ernten eintreffende
Auslandserzeugniſſe drücken den Inlandspreis. Vor unſeren Ernten importierte Früchte beeinfluſſen
ungünſtig die eigenen Preiſe, da die vorzeitig eintreffenden Erzeugniſſe für den Reiz des Neuen
höhere Preiſe erlangen.
Die Einfuhr tropiſcher Früchte in dem jährlich ſteigenden Umfange läßt die heimiſchen Früchte
weniger geſchätzt erſcheinen; jedenfalls wird Geld für Tropenobſt und ſubtropiſches ausgegeben,
welches für heimiſches angelegt werden könnte. Durch Einfuhr billiger Erzeugniſſe mit dem aus
ihr folgenden Preisdruck auf die heimiſchen Erzeugniſſe wird die Ernährung (Gemüſe und Obſt )
und der Lebensgenuß (Blumen) für viele Schichten der Bevölkerung mannigfaltiger und beſſer.
Erſtrebenswert iſt daher vom volkswirtſchaftlichen Standpunkt: keine Verteuerung der
Gartenerzeugniſſe auf Koſten der Geſamtheit, neben einer derartigen Preishöhe, daß der heimiſche
Gartenbau mit hinreichendem Gewinn arbeiten kann: alſo ein Ausgleich der Intereſſen zwiſchen
einer beſtimmten Berufsgruppe, den Gärtnern, und der Geſamtheit. Würde dieſe Erkenntnis all—
gemein verbreitet ſein und allſeitig daran gearbeitet werden, ſo würde der heimiſche Gartenbau die
Kriſis, in der er ſich befindet, überwinden
Bedingungen, welche den heimiſchen Gartenbau gegenüber dem Import
begünſtigen können.
Genaue Kenntnis der Handelsüblichkeiten des Auslandsimportes iſt für alle wichtig, welche
ein Erzeugnis auf den Markt bringen, das vom Auslandsimport beeinflußt wird. Was hiervon
für den Großhändler wichtig ſcheint (Zahlungsweiſe, Mengeneinheit, Verpackungsweiſe, Lieferzeit)
muß möglichſt ebenſo und pünktlich eingehalten werden. Peinliche Einhaltung der Lieferungs—
bedingungen in bezug auf Menge, Güte, Zeit, Preis iſt nötig! Nicht mehr verſprechen als man
halten kann! Daran fehlt es noch ganz allgemein unter den deutſchen Gärtnern! Genaue Kenntnis
der Importzeiten des Auslandes iſt wichtig, damit man zu einer Zeit erzeugt, wann das Ausland
nicht liefert. Hiermit zuſammenhängend iſt erforderlich die Aufſtellung eines Klimakalenders und
einer Klimakarte der Welt in Rückſicht auf die im Ausland erzeugten Früchte und ihre Ankunfts—
zeit und Menge auf dem deutſchen Markt. Verwertung der Import-Packungsweiſe des Auslandes
für das Inland bis zur bewußten Nachahmung iſt zu empfehlen; Einbehaltung der Verpackungs—
gegenſtände aus dem Auslande und deren Nutzbarmachung für uns ſelbſt; der Handel mit Ver—
packungsgegenſtänden (Kartons, Kiſten, Fäſſern) bildet einen beſonderen Zweig in den Markthallen;
die Ausländer erwerben für billiges Geld (frachtfrei, weil die Auslandswagen als leer zurückgehen)
ihr Verpackungsmaterial zurück und haben dadurch eine beträchtliche Erleichterung ihres Exportes.
Erforderlich iſt Organiſation des Handels mit Verpackungsmaterial, um es billig und einheitlich
zu erlangen. Klarheit über die Poſition des Züchters im Verhältnis zum Händler muß ſich jeder
Erzeuger verſchaffen, — das Schwierigſte des ganzen gärtneriſchen Handelsbetriebes; ſelbſt Ver—
träge ſchützen nicht vor Schaden! Der Händler wird für den Großerzeuger nicht zu umgehen ſein.
Zuſammenſchluß aller Erzeuger auch ſehr verſchiedenartiger Gartendinge zu einer einheitlichen
Genoſſenſchaft dem Großhändler gegenüber iſt das einzige Mittel, um die Stellung des Einzelnen
zu ſtärken. Hierzu iſt eine ſtraffe Organiſation der Züchter nötig, wobei die Handelsfragen un—
200 4. Abſchnitt.
abhängig von allen übrigen Fachfragen behandelt werden ſollen: klar das Ziel des Vorteils im Auge;
keine Perſonalfragen, Fragen des Ehrgeizes oder der fachlichen Leiſtung, Größe des Betriebes uſw.
ſollen entſcheidend für die Wahl der Leiter ſein; wer kaufmänniſch fühlt und ſeine Kraft
dem Ganzen widmen will, muß willkommen fein und entſchädigt werden. Der deutsche Gartenbau
muß als beeinflußtes (und beeinfluſſendes) Glied des Weltgartenbaues betrachtet werden. Hierzu
iſt nötig die Kenntnis des Umfanges außerdeutſcher Gartenbauflächen, ihrer Erzeugniſſe und der
Neuanlagen in größerem Umfange. Intelligente Leute müſſen ins Ausland geſchickt werden und
Berichte ſenden. Das Ausland muß über unſere Erntezeiten und Mengen belehrt werden, denn es
kann dem Ausland auch nicht daran liegen, billig bei uns einzuführen. Vielleicht laſſen ſich Kon—
ventionen ſchließen, internationale Abmachungen, die für gewiſſe Zeiten die Einfuhr ganz verſchließen
oder nur beſtimmte Mengen zu beſtimmten Preiſen einlaſſen. Der Zoll wird leicht vom Ausland
getragen oder auf die Konſumenten abgewälzt; die Produzenten des Inlandes haben wenig Vorteil
davon. Die Volksernährung mit billigen Gartenerzeugniſſen muß zwar immer letztes Ziel ſein, aber
die Schleuderkonkurrenz des Auslandes, die nur zur vorübergehenden Bereicherung des niedrigſten
Zwiſchenhandels dient, muß bekämpft werden durch die angedeuteten Schranken, beſonders durch
Einfuhrverbote zu beſtimmten Zeiten und unter beſtimmten Preiſen. (Bei Jagderzeugniſſen be—
ſtehen ja ähnliche Verbote in bezug auf Einführungszeit, Alter uſw.) Mindeſtpreisſätze für Garten—
erzeugniſſe würden Ausland und Inland zugute kommen und verhindern, daß auch nach Aufhören
des Importes die Inlandpreiſe von vornherein zu niedrig einſetzen; der Gartenbau hat das Recht,
lebensfähig erhalten zu werden, ſo wie die Landwirtſchaft. Denn wenn ſie aus Mangel an Extrags—
möglichkeit zugrunde gerichtet ſind, leidet ſchließlich auch die Geſamtheit des Volles, denn ſie laſſen
ſich nicht, wie der Handel oder die Induſtrie, in kurzer Zeit neu ſchaffen.
Die Erzeuger brauchen weitſichtige, gewandte Vertreter ihrer Intereſſen bei Verhandlungen
mit der deutſchen Regierung, um dieſe bei ihren Verhandlungen mit dem Ausland zu unterſtützen.
Das Publikum muß über die Minderwertigkeit vieler ausländiſcher Erzeugniſſe, wo ſolche vorhanden
iſt, aufgeklärt werden; es muß belehrt werden, die richtigen Zeiten abzuwarten, wann das Inland
gute Qualitäten liefert. Wir werden uns entſchließen müſſen, da wir im Zeichen des Welthandels
ſtehen, unſer Klima, ſeine Spezialvorteile allein auszunützen und den heimiſchen Gartenbau darauf
einzurichten. Daher müſſen beratende Zentralſtellen geſchaffen werden, die von hohem Geſichtspunkt
aus begründete Ratſchläge in Rückſicht auf den Einfluß des Welthandels erteilen; ſie müſſen aber
raſch arbeiten! Dem deutſchen Gartenbau fehlt eine Erkundigungszentralſtelle, welche den Welt—
handel beobachtet und das Recht hat, alle Konſuln im Auslande ſtark in Anſpruch zu nehmen;
welche Sachverſtändige ins Ausland zu Erkundigungen ſendet; es genügt, wenn jedes in Vetracht
kommende Land alle 3 Jahre bereiſt wird. Jeder Kreis muß einen Gartenbeamten haben; dieſer
muß an der Produktionsentwicklung und an der Richtung der Produktion intereſſiert werden. Es
muß darüber Klarheit verbreitet werden, welche Kräfte an der Vergrößerung des Importes arbeiten:
1. die ausländiſchen Produzenten, 2. die ausländiſchen Exporteure, 3. die inländiſchen Importeure,
4. die Eiſenbahnen des Auslandes und Inlandes, 5. die ausländiſchen und inländiſchen Schiff—
fahrtsgeſellſchaften. (Faſt alle Linien ſuchen in ihren Transportſchiffen Kühl- und Konſervierungs—
anlagen zu ſchaffen.) Die Inlandsbahnen müſſen Spezialkühlwagen einſtellen. Hierzu iſt erforderlich
eine energiſche Vertretung der geſamten deutſchen Fruchtproduzenten; Vorbedingung hierfür iſt
Zuſammenſchluß der Vereine zu Zweckverbänden zur Förderung des Handels und der Produktions—
bedingungen. Aber Maſſenbau macht die Preiſe billig, daher kann man nicht für Maſſenbau und
hohe Preiſe gleichzeitig eintreten; ebenſo ſchwierig iſt es, für Friſchverbrauch und Konſervie rung
zugleich zu arbeiten. Die ſtaatlichen Eiſenbahngeſellſchaften werden in Deutſchland durch keine
Konkurrenz getrieben, gute Transportvorrichtungen und Erleichterungen zu ſchaffen! Hier zeigt ſich
die Schädlichkeit des Monopols gegenüber dem freien Wettbewerb!
Die Frachtkoſten müſſen, wie in anderen Ländern, eine beſtimmte Höchſtgrenze der Entfernung
haben, ſo daß die vom Abnahmeort weit Entfernten nicht ſchlechter geſtellt ſind, als die Nahe—
ſtehenden. Die Gartenbauerzeugniſſe dürfen bei Verhandlungen mit dem Ausland über Zollfragen
nicht als „Austauſchobjekt“ behandelt werden, indem z. B. für einen Vorteil, den das Ausland
einer deutſchen Induſtrie gewährt, die Gartenbauerzeugniſſe des Auslandes von Deutſchlands Re—
gierung begünſtigt werden! Hier muß geſagt werden: der Induſtrie ſoll durch induſtrielle Opfer
geholfen werden; der Gartenbau kann ihr keine Opfer bringen. Man ſollte nicht Handels- oder
induſtrielle Vorteile mit landwirtſchaftlichen oder gartenbaulichen Nachteilen bezahlen!
Deutſchland kann nur durch Qualitätserzeugniſſe ſeine Situation verbeſſern, weil deutſche
Erzeugniſſe beſſer als ausländiſche ſind. (Amerikaniſche müſſen — wie früher — als minderwertig gelten
gegenüber deutſchen. Amerika hatte früher keinen guten Ruf für ſeine Lebensmittel in Deutſchland:
Gartenkunſt und Gartenbau. 201
Fleiſch, Speck, Honig.) Eingehende Studien der Kühllagerung ſind zu machen. Das Publikum
muß über den Preis im Verhältnis zum Nahrungswert der tropiſchen Erzeugniſſe gegenüber den
heimiſchen aufgeklärt werden (Bananen, Khakipflaumen, Melonen, Ananas uſw.).
Frankreich
bringt auf den deutſchen Handelsmarkt, aus ſeinen ſüdlichen Teilen, einſchließlich
Algier und Marokko, beſonders Frühgemüſe und im Herbſt Bleichgemüſe (Zichorien
und Endivien) und ſolche Erzeugniſſe, die beſonders im warmen, trockenen Klima
gedeihen, wie: Artiſchocken, Tomaten, Eierfrüchte, Auberginenfrüchte, Pfefferfrüchte.
Abb. 127. Beiſpiel für die ſüdliche Garten-Vegetation bei Arco (am Gardaſee). (Phot. Willy Lange).
Im Verein mit
Italien
deckt es den großen Bedarf an Frühgemüſe und Früchten, die früher reifen als
in unſerer Heimat, heute dank den vortrefflichen Verbindungen zwiſchen Nord- und
Süd⸗Europa. Wie ſich Italien Tunis ſo hat Frankreich Marokko und Algier ſich
untertänig gemacht, wodurch dann die Lieferungsfähigkeit und die Verſchiebung der
Erntezeiten gegenüber Nordeuropa um ein bedeutendes erhöht werden.
Wie ich aus eigener Anſchauung überzeugt bin, wird Marokko der Gemüſe—
wintergarten Europas werden, und durch die hochwertige Kultur von Gemüſen
und Früchten gegenüber der bisherigen Zerealienwirtſchaft wird der Norden Afrikas
eine Verſchiebung der Pflanzenproduktion für die europäiſche Ernährung herbeiführen,
und der europäiſche Norden wird ſich darauf beſchränken müſſen, wie es einſt war,
zu den Zeiten zu produzieren (ohne Anwendung künſtlicher Hilfsmittel zum Zweck der
202 4. Abſchnitt.
Verſchiebung in den Produktionszeiten), wann es das nordiſche Klima geſtattet. Dann
fallen die heimiſchen Ernten in Zeiten, in denen der Süden und der klimatiſch be—
günſtigte Weſten infolge der Sommerhitze nicht bei uns einführen kann.
Italien beteiligt ſich von der äußerſten Südſpitze bis zum Fuße der Alpen an
der Einfuhr von Obſt und Gemüſen nach dem Norden, und da es ſich ſelbſt über
eine große geographiſche Breite und klimatiſche Verſchiedenheiten erſtreckt, verfügt es
über eine große Mannigfaltigkeit in bezug auf den Beginn und den Abſchluß der
Wachstumszeiten, ſo daß es längere Zeit für ganz beſtimmte Fruchtarten lieferungs—
fähig iſt, z. B. für Kirſchen, Pfirſiche, Aprikoſen, Tomaten, Melonen, Wein.
Da nun überall im Auslande die Produzenten durch Exporteure zu einer gleich—
artigen, gemeinſamen Lieferung erzogen werden, da die Exporteure als Abnehmer
eine ſtrenge Wahl und Beurteilung der Beſchaffenheit vornehmen, ſo iſt der nordiſche
Importeur dem Auslande gegenüber immer ſicher, eine Ware zu erhalten, die ſeinen
Anſprüchen angemeſſen ſein kann. Dazu kommt eine große Bequemlichkeit für den Im—
porteur, indem er nicht, wie es im Inland der Fall iſt, mit vielen eigenwilligen Er—
zeugern zu tun hat, ſondern nur eine, im Handel geſchulte Perſon ihm als Ex—
porteur des Auslandes gegenüberſteht.
Aus dieſen und anderen Gründen kauft der ſtädtiſche Verkaufsvermittler lieber
im Ausland als im Inland.
Ahnliches gilt von allen anderen gärtneriſchen Erzeugniſſen. Werden doch eine
große Menge von Palmen, immergrünen Blattpflanzen im Süden gezogen, beſonders
in Süd-Frankreich, Nord-Italien; dieſe Tatſache hat dahin geführt, die Blatt-
pflanzen- und Warmhausgärtnerei Deutſchlands, wenigſtens in den großen Städten,
faſt aufzuheben. Es iſt in Deutſchland nicht möglich, Palmen und andere Zimmer—
pflanzen zu Preiſen zu ziehen, wie ſie in Italien und Süd-Frankreich mit geringen
Schutzmitteln gegen Sonne und Froſt im Freien gezogen werden können. Infolge—
deſſen werden allherbſtlich maſſenhaft Zimmerpflanzen, beſonders Palmen, eingeführt,
die dann aber meiſtens nur ein kurzes Scheinleben führen, weil ſie eben aus
dem Boden des freien Landes in Töpfe geſetzt worden ſind, ſo daß ſie den Ein—
wirkungen der trockenen Zimmerluft, infolge der Verletzung von Wurzeln, nicht ge—
wachſen waren. Dieſem Übel aber ſucht man abzuhelfen, indem man neuerdings die
Pflanzen eine Zeit lang in Gewächshäuſern akklimatiſiert und zur Neubildung von
Wurzeln bringt, um ſie erſt dann zum Verkauf zu ſtellen. Aber auch in dieſem Falle
iſt dann noch das Verhältnis des Nährbodens zu der Wurzelmenge im Gefäß un—
günſtig, und man darf bei dieſen Pflanzen nur auf dauernde Haltbarkeit rechnen,
wenn man ihnen nach völliger Durchwurzelung bald einen reichlich großen Topf gibt.
Die Verminderung des Bedarfes an Zimmerpflanzen kommt hinzu, um die deutſche
Heranzucht derartiger Pflanzen mehr und mehr zurückzudrängen. Unſere Wohnräume
ſind für Zimmerpflanzen wenig geeignet. Gasbeleuchtung bringt ihnen Vernichtung,
und unſere Lebensgewohnheiten ſind aus der beſchaulichen Art freier, beweglicher ge—
worden; man ſucht ſeine Freude heute weniger in der ſtillen Pflege langſam wachſender
Blattpflanzen als in all den Zerſtreuungen an Sport, Spiel und Unterhaltung, welche
die Großſtadt beſonders bietet. Daher iſt die Zimmerpflanzenpflege mehr in kleinen
Städten und Dörfern erhalten, und hier, abſeits von den großen Importſtraßen des
Gartenkunſt und Gartenbau.“ 203
Handels, wird auch noch in den Handelsgärtnereien der Bedarf an Gummibäumen,
Drazänen, Palmen, Zimmerlinden und blühenden Topfpflanzen während des Winters
gedeckt.
Ein weiterer Umſtand hat die Zimmerpflanzenkultur beeinträchtigt: die Ein—
führung von Schnittblumen aus dem Süden.
41
N
15
Abb. 128. Eingang zu einem japaniſchen Tempel. Die Steinlaternen, vergleichbar mit unſeren „ewigen Lampen“,
werden auch in japaniſchen Gärten aufgeſtellt, aber als heilige Symbole. Derartige Laternen werden neuerdings in
außerjapaniſchen Gärten vielfach als bloßer Gartenſchmuck angewendet. (Phot. R. Amthor.)
Ganz beſtimmte Arten und Sorten haben ſich als verſandfähig und lange halt—
bar erwieſen, ſo daß man heute in der Lage iſt, in den Winterblumen die ſüdliche
Sonne im nordiſchen Winterlicht prangen zu laſſen. Die Margueriten, Levkojen,
Veilchen, Narziſſen, Roſen, die Mimoſen und allerlei Frucht- und Blattzweige von
Eukalyptus, Lorbeeren, Zypreſſen und andere im Süden bodenſtändige, eingeführte
Pflanzen ſchmücken das nordiſche Haus, und die Blumen und Zweige zeigen ſich
im abgeſchnittenen Zuſtande ſo haltbar, als wenn ſie an den Pflanzen ſelbſt uns
204 4, Abſchnitt.
erblüht wären. Infolgedeſſen wurde die Pflege und das Bedürfnis von Blumen—
pflanzen im nordiſchen Winter immer geringer. Alle Klagen der Gärtner, gegenüber
dem Import von Schnittblumen, werden daran nichts ändern. Aber dieſes Übel hat
auch ſeine guten Seiten: die Liebe für die Blume im Hauſe wird wach gehalten,
auch in der in unſerem Klima blumenarmen Winterzeit, und ein Bevölkerungskreis,
dem es niemals möglich ſein würde, zu den Preiſen der heimiſchen Produktion im
Winter Blumen zu kaufen, konnte ſich dieſe Freude mit Hilfe des Auslandes ver—
ſchaffen. Hierdurch iſt der Wunſch, ſich mit Blumen zu umgeben, in dieſe lieblichen
Naturgebilde künſtleriſche Empfindungen hineinzutragen, zu einem hohen ſeeliſchen
Lebensreiz und zur Förderung der Heim- und Lebenskultur geworden. Endlich haben
namentlich die Einführungen des Südens mit ihren Blatt- und Fruchtzweigen dahin
geführt, daß man auch die heimiſchen Gaben der Natur im Winter mehr achtet und
dieſe ins Haus trägt: Lärchen-, Kiefern- und Fichtenzweige, Fruchtzweige von Sand—
dorn, Pfaffenhütchen, Liguſter u. a., endlich Knoſpenzweige der frühen Weiden, Erlen und
Haſeln, im Verein mit den erſten Blumen, die unſer Garten bringt, und den letzten
Früchten, die hier reifen. Und ſelbſt der verachtete Straßenhandel iſt auf dieſem
Wege ein Vermittler von Blumenfreude, ſinniger Empfindungen und Kulturgedanken.
Auch hier heißt es für die deutſchen Gärtner: nicht klagen, ſondern innerhalb unabänder—
licher Entwicklung ſich einrichten; unabänderlich, weil durch klimatiſche Zuſtände und
Verkehrstechnik die Handelszuſtände hiſtoriſch geworden ſind. Die Entwicklungen der
menſchlichen Wirtſchaft als der Ausdruck einer immer höheren biologiſchen Stufe laſſen
ſich nicht zurückſchrauben. Wie einſt aus der Wirtſchaft der Sammelvölker, welche
ihren Lebensunterhalt ohne eigene Saat und Zucht durch Fang und Sammeln zu
ſichern ſuchten, die nomadiſierende vieh- und pflanzenzüchtende Wirtſchaft wurde, wie
dann aus dieſer die Seßhaftigkeit in Einzelſiedelung hervorging und aus dieſer ſchließ—
lich Weiler, Dörfer und Städte wurden, die einen geregelten Inlandsmarkt for—
derten, ſo führt dieſe Entwicklung in unſeren Tagen den Stadt- und Inlandsmarkt
zum Weltmarkt, und der nordiſche Gärtner muß ſein Augenmerk weit weniger auf
den Wettbewerb ſeines Nachbarn richten als auf die Konkurrenz des großen, ihm noch
zu unbekannten Auslandes. Vom Ortsmarkt, vom Inlandshandel ging auch der
Gartenbau an ſeinem Teil zum Welthandel über.
Oſterreich
ſteht uns politiſch und ſprachlich, geographiſch und klimatiſch ſo nahe, daß man kaum
vom Auslande ihm gegenüber als Deutſcher ſprechen möchte. Immerhin hat es be—
ſonders in ſeinen ungariſchen und tiroler Landesteilen einen bedeutenden, klimatiſchen
Vorſprung vor Deutſchland voraus, aber es wäre, wie geſagt, engherzig und vor
allem auch praktiſch undurchführbar, wenn man bei den langgeſtreckten Grenzen zwiſchen
Deutſchland und Oſterreich und dem dadurch bedingten lebhaften Austauſch von Gütern
irgend welche Schranken ſetzen wollte.
Böhmen mit ſeinem Winterobſt, Tirol mit ſeinen Tafelfrüchten und Trauben
bieten von jeher eine wichtige Ergänzung des deutſchen Obſtbedarfes, der in gleicher
Zeit und gleicher Beſchaffenheit, vor allem in gleicher Menge nichts zu bieten vermag;
mag man auch noch ſo ſehr den deutſchen Obſtbau mit Recht zu fördern trachten:
Gartenkunſt und Gartenbau. 205
jedes Land, welches geſtattet, dank günſtigerem Klima, als Deutſchland es hat, Obſt—
baumkronen über den landwirtſchaftlichen Kulturen in Wind und Sonne ſich wiegen
zu ſehen, hat einen nicht auszugleichenden Vorſprung vor unſeren klimatiſchen Zu—
ſtänden, welche die Kultur landwirtſchaftlicher Erzeugniſſe unter den Obſtbäumen
unmöglich machen. — Auch die Einführung von abgeſchnittenen Zweigen und Blättern
aus den öſterreichiſchen Waldgebieten iſt nicht unbedeutend.
Rußland
war früher ein guter Abnehmer deutſcher Gartenerzeugniſſe, beſonders die deutſche Roſen—
züchterei, Winterblumentreiberei und Fruchtgärtnerei lieferten zu guten Preiſen viel
Abb. 129. Die Verwendung von Steinlaternen, ſymboliſchen Steinwegen und ſymboliſchen Steinanordnungen in
einem japaniſchen Hausgarten. (Phot. R. Amthor.)
dorthin. Seit aber der Süden als Verſorger aufgetreten iſt, bezieht auch Rußland
von dort oder, mit faſt völliger Umgehung Deutſchlands, aus günſtiger geſtellten
Ländern. Dazu kommt, daß Rußland in den letzten Jahrzehnten, im Gegenſatz zu Deutſch—
land, nicht in ſteigendem Maße aufnahmefähig geworden iſt. Vielmehr breiten ſich hinter
ſeinen weſtlichen Kulturkuliſſen große Länderſtrecken, die bedürfnislos für Kulturgüter
ſind. Von pflanzlichen Produkten empfangen wir von ihm, abgeſehen von den hier
ſtets ausſcheidenden landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen, nur Pilze, wie beiſpielsweiſe
Morcheln.
5 Skandinavien
befindet ſich uns gegenüber in ähnlicher Lage wie Rußland. Auch dorthin hat die
Einführung von im Winter blühenden Pflanzen und Blumen aus Deutſchland faſt
206 4. Abſchnitt.
völlig aufgehört. Das Bedürfnis an Früchten und Blumen in Skandinavien iſt
nicht groß.
Einmal beruht die Ernährung im Norden auf der wärmebildenden Fleiſch—
und Fettkoſt, alſo weniger Früchten, andererſeits läßt der lange, dunkle Winter
—
r —
Abb. 130. Japaniſche Steinlaterne mit japaniſch ſtiliſierten Pflanzen in der Gärtnerei von Otto Beyrodt-Marienfelde,
deren Arbeitszweig neben der größten Orchideenzüchterei des europäiſchen Feſtlandes die Einfuhr japaniſcher
Pflanzen und Gartenkunſtgegenſtände bildet. (Phot. Willy Lange.)
Blumen, ſelbſt im Zimmer, faſt als einen Widerſinn erſcheinen. Endlich aber wird
der geringe Bedarf der wenigen Großſtädte, ähnlich wie in Rußland, heute vorzugs⸗
weiſe aus dem Süden gedeckt, und wenn Früchte importiert werden, ſo geſchieht dies
nicht in der ſaftigen, erfriſchenden, kühlen Form des friſchen Zuſtandes, ſondern ge⸗
trocknet und gleichſam konzentriert. So werden maſſenhaft aus dem Süden, be—
Gartenkunſt und Gartenbau. 207
ſonders Italien und Ungarn, Backpflaumen, getrocknete Kirſchen und andere trockenen
Früchte in Skandinavien eingeführt.
England
führte früher die feinſten und früheſten getriebenen Früchte nach Deutſchland ein, iſt
aber jetzt, infolge des überſeeiſchen Imports und gleichfalls durch die Produkte aus
dem Süden, endlich ganz beſonders durch den Aufſchwung des holländiſchen Garten—
baues in der Fruchtgärtnerei in eine bedrängte Lage gekommen, ſo daß die Einfuhr
ihrer Erzeugniſſe nach Deutſchland gering geworden iſt, wenn auch der Fruchtimport
Abb. 131. Japaner und Europäer bei der Bewunderung der Jrisblüte in einer japaniſchen Züchterei. (Phot. R. Amthor.)
über England, alſo im Durchgangshandel insbeſondere der Südfrüchte (Orangen,
Zitronen, Bananen), bedeutend iſt.
Auch hier ſehen wir wieder den Welthandel, den Händler am Werk, auf
Koſten des heimiſchen, gärtneriſchen Erzeugers. Betrachten wir kurz noch die außer—
europäiſchen Länder, ſo iſt
Amerika
das vor einem Menſchenalter noch guter Abnehmer deutſcher Pflanzen — ins—
beſondere gingen Roſenſträucher maſſenhaft dorthin — geweſen iſt, zu ſelbſtändiger
landwirtſchaftlicher Großgärtnerei emporgewachſen, und ſein Plantagenbau führt alle
transportfähigen Früchte nach Europa. Durch die ungeheure geographiſche Breiten—
ausdehnung, die ſich durch alle Klimate erſtreckt, wird ein immer ſchärferer Wett—
bewerb um die europäiſche Ernährung hervorgerufen, wobei der Süden Amerikas mit
dem Süden Europas, der Norden mit dem Norden Europas konkurrieren werden.
Schlimm iſt, daß nicht nur mit friſchem Obſt, ſondern ſogar mit dem Abfall
der Großproduktion (Apfelſchalen, Apfel-Kerngehäuſe, die bei dem Dörrverfahren übrig
208 4. Abſchnitt.
bleiben) der europäiſche Markt überſchüttet wird, Abfälle, die dann wieder zu Fabri—
faten in Europa Veranlaſſung geben, welche einer Fälſchung deſſen, was fie darſtellen
ſollen, ziemlich nahekommen. In ſteigendem Maße beteiligt ſich der Süden Amerikas
an der Einführung ſubtropiſcher und tropiſcher Früchte (Ananas, Bananen, Orangen).
Die Länder der ſüdlichen Halbkugel:
Süd -Afrika, Auſtralien
werden zu Konkurrenten der Kulturländer der nördlichen Halbkugel, indem ſie dieſen
nördlichen Ländern im Frühling geben, was eben dieſe nördlichen ſonſt im Herbſt zu
ernten pflegen. — Während ſonſt in Deutſchland im März ein wohlbewahrter Winter—
apfel mit einer gewiſſen Feierlichkeit verzehrt wurde, ſind jetzt auſtraliſche und ſüd—
afrikaniſche Apfel von März bis Mai eine alltägliche Erſcheinung, woraus denn hervor—
geht, daß die Zeit, in der die deutſche Erzeugung konkurrenzlos daſteht, immer ge—
drängter und kürzer wird, um ſo mehr, als zu allem Friſchimport noch die Friſch—
erhaltung durch Kühlverfahren kommt. — Von Mittel-Afrika, und beſonders von den
Kanariſchen Inſeln, empfangen wir vorzugsweiſe Bananen. Die Kanaren beteiligen ſich
auch lebhaft an der Verſorgung Nord-Europas mit Tomaten und beſonders Frühkartoffeln.
Aſien
bietet uns unter engliſchem Einfluß in Indien beſonders Ananaseinführungen neben
Gewürzen tropiſcher Herkunft, deren Beſprechung hier ausgeſchloſſen erſcheint. Sein
öſtlicher Teil, beſonders Nord-China und Japan, bereichert unſeren Garten mit einer
Fülle von Schönheiten, auf die wir verzichten müßten, wenn wir nur auf unſere euro—
päiſchen Gaben angewieſen wären.
Blicken wir über die Grenzen des deutſchen Gartens nach Norden und Süden,
nach Oſten und Weſten, ſo ſehen wir eine Fülle von Beziehungen, die alle dazu
beitragen, den deutſchen Garten zu bereichern. Nicht immer ſind dieſe Beziehungen
dem deutſchen Gärtner unmittelbar nützlich. Stellen wir uns aber auf einen höheren
Standpunkt als auf den, welcher ſich durch die ſcheinbaren, begrenzten Fachintereſſen
ergibt, ſo dürfen wir im ganzen einen gewaltigen Fortſchritt in den letzten drei Jahr—
zehnten für Gartenkunſt und Gartenbau feſtſtellen; denn die Beziehungen der Völker
untereinander führen zur Bereicherung jedes einzelnen, zur Erhöhung aller Werke der
Lebens-Arbeit und Lebens-Kunſt. Wie wir heute teilnehmen am Welt-Handel, ſo
ergibt ſich auch eine Welt-Kunſt! Muß die deutſche Kunſt dadurch international
werden, ihre Nationalität aufgeben? Nein! Wie unſer letztes Bild, auf welchem
man Europäer und Aſiaten bei der Bewunderung einer Blumengattung zuſammen
ſieht, ein Sinnbild des Gedanken-Austauſches der öſtlichen und weſtlichen Halbkugel
ſein möchte, ſo ſehe doch jedes Volk mit ſeinen Augen, wahre ſeine geiſtigen Güter,
empfange von anderen Anregungen, um ſie in ſeine Geiſtesſprache zu überſetzen.
Der Begriff der Kunſt, als eine allen Völkern gemeinſame Weltſprache der
Phantaſie, mag international ſein; aber die Ausdrucksformen ſeien in jedem Lande,
wie die Mutterſprache, national! So leuchte deutſche Sonne über deutſchem Gartenbau
und deutſcher Gartenkunſt!
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Die Pflanzen der Feldwirtſchaft
Von Prof. Dr. C. Fruwirth
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1. Abſchnitt.
Arſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen
Kulturpflanzen.
Der Beginn des Ackerbaus iſt in ebenſolches Dunkel gehüllt wie der Urſprung
der Mehrzahl unſerer Kulturpflanzen. Gehen die Anſichten über Nacheinander oder
Nebeneinander einzelner erſter Kulturſtufen auch auseinander, ſo einigen ſie ſich doch
darin, daß die Menſchen zuerſt Jäger waren. Dabei wird der Begriff Jagd nicht
nur im heute üblichen Sinn gebraucht, ſondern auch ſo, wie von Nowacki, nämlich als
ein Suchen und Erbeuten irgendwelcher Nahrungsmittel, — Jagd nach Wild, Jagd nach
von der Natur gebotenen Pflanzenteilen. Erſtere braucht Geräte, die wir in primitivſter
Ausführung von der älteren diluvialen Steinzeit ab finden: Keulen, und ſchon höher
ſtehend, Hämmer und Lanzen; zur letzteren genügten die Hände. Nichts läßt unter
den mitteleuropäiſchen Funden aus der älteſten Steinzeit auf Ackerbau ſchließen; erſt
in ſpäterer Steinzeit treten eßbare Körner und Spulen zum Aufwickeln der Leinfaſer
unter den prähiſtoriſchen Dokumenten auf.
Während man ſich nun die weitere Entwicklung früher ſo dachte, daß dem
Jägerleben ein Hirtenleben folgte und dieſem erſt der Ackerbau mit dem Seßhaft—
werden, neigt man beſonders ſeit den Ausführungen E. Hahns mehr anderen An—
ſichten zu, die der Verſchiedenartigkeit der natürlichen Verhältniſſe und den Neigungen
der Volksſtämme mehr Rechnung tragen. Danach hat ſich das Jägerleben in einzelnen
Gebieten und bei einzelnen Stämmen weiter erhalten; in Ebenen, die dem Ackerbau
günſtiger waren, auch geeignete Pflanzen boten, entwickelte ſich dieſer, und in gras—
wüchſigen Gegenden trat an die Stelle der Jagd nach Tieren das Halten von ſolchen:
das Hirtenleben; Kulturpflanzen und Haustiere traten in Erſcheinung. Es bedarf
keines beſonderen Hinweiſes darauf, daß ſich dieſe Übergänge in verſchiedenen Teilen der
Erde auch zeitlich ſehr verſchieden abſpielten. Zur Zeit, als im Römerreich hohe Kultur
herrſchte, befanden ſich doch die Stämme Mitteleuropas noch in der Entwicklungs—
periode der Steinzeit, ja heute noch ſtehen Stämme im Süden Südamerikas auf dieſer
Stufe der Entwicklung.
Die Stätten, an denen zuerſt Ackerbau betrieben wurde, ſucht man im Gebiet
des heutigen China, in Südweſtaſien und im intertropiſchen Gebiet
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 14
LIRRAI
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UARBE
210 1. Abſchnitt.
Amerikas, wobei man das letztere als das jüngſte dieſer drei Gebiete anſieht. Wir
können nicht daran denken, anzunehmen, daß eine beſtimmte Kulturpflanze nur an einem
Ort dieſer Gebiete zur Kulturpflanze wurde und ſich von dort aus verbreitete. Gewiß
vollzog ſich dieſer Übergang an mehreren Orten, und es mögen auch ſchon zu Beginn
Verſchiedenheiten innerhalb einer Art vorhanden geweſen ſein, indem die einzelnen
wildwachſenden Arten an verſchiedenen Orten ſchon in mehreren Formen auf—
traten.
Was den Menſchen bei der erſten Wahl trieb, iſt naheliegend. Was ihm von
Pflanzenteilen eßbar ſchien, wurde auf Geſchmack und Bekömmlichkeit hin geprüft
und das Zuſagende bald erkannt. A. P. de Candolle hat unbedingt recht, wenn er
annimmt, daß die gewählten Pflanzen ſchon damals Zweckmäßigkeit für den Menſchen
zeigen mußten. Als ſolche erachtete man zunächſt nur Nutzbarkeit für die menſchliche
Nahrung. Die Haustiere fanden ausreichend Futter, und zur Bekleidung diente das
Fell der erlegten Tiere. Einzig der Lein wurde als techniſch nutzbar ſchon frühzeitig
in den Kreis der werdenden Kulturpflanzen einbezogen.
Bald nach dem Auffinden nutzbarer Pflanzen mußte der Wunſch auftauchen,
die zuſagenden Gewächſe möglichſt immer in der Nähe zu haben, und die Erfüllung
dieſes Wunſches führte zu den Anfängen des Ackerbaus, zum Sammeln der Samen
auserwählter Pflanzen, zum Aufreißen der natürlichen Vegetationsdecke und zum
Einſäen des Geſammelten.
Wie dann die gewählten Pflanzen zu jener Geſtaltung herangebildet wurden,
die wir heute bei unſeren Kulturpflanzen kennen, wie ihr Formenreichtum ent—
ſtand uſw., auch darüber liegen Vermutungen nahe. Spontane erbliche Variationen
in der Geſtalt, wie ſie heute meiſt als Mutationen bezeichnet werden, traten gewiß
auch im kultivierten Zuſtand auf, ja die veränderten Verhältniſſe können das Ent—
ſtehen ſolcher Variationen begünſtigt haben, und Baſtardierungen konnten, wenn ver—
ſchiedene Formen den Ausgang bildeten, wirkſam ſein. Wie nun der Menſch bei
den wildwachſenden Pflanzen eine erſte Auswahl traf, ſo lag es ihm nahe, eine ſolche
auch dann zu treffen, wenn unter den gebauten Pflanzen Auffälliges erſchien, und
damit war die Möglichkeit der Erhaltung der Varianten gegeben, deren Nachkommen
ſonſt vielleicht wieder verdrängt worden wären. Daß bei dieſer Auswahl, die Darwin
eine unbewußte nennt, die Kulturpflanzen im Sinne der Nutzung durch den Menſchen
immer geeigneter, beſſer wurden, war zu erwarten, denn wenn der Menſch auch noch
keine Kenntnis von der Wirkung der Vererbung beſaß, ſo wählte er doch gewiß
ſolche auffällige Individuen, die für ihn vorteilhafte Abänderungen zeigten.
Aber auch auf einem andern Weg, den wir in der ausgebildeten Züchtung
Veredelungszüchtung nennen, konnten die Pflanzen verändert werden. Aller—
dings auch nur durch unbewußte Züchtung: durch eine Züchtung, die lediglich dadurch
erfolgt, daß die Pflanze in Kultur genommen iſt. Bei ungleicher Reife, bei ungleicher
Fähigkeit zum Verſtreuen der Samen und bei verſchiedenen anderen Ungleichheiten
wurde durch die Kultur als ſolche auf Einheitlichkeit hingearbeitet. Angehörige
ſehr frühreifer Formen zum Beiſpiel brachten ihre Samen nicht in die Ernte, weil
dieſe ſchon auf dem Feld verſtreut worden waren; Angehörige ſehr ſpät reifender
wurden vor erreichter Samenreife geſchnitten. Pflanzen, die ihre Samen leicht ver—
rens
ri
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. 211
ſtreuen, gelangten immer weniger in die Ernte und in die folgende Saat, da die
Samen eben ſchon auf dem Felde verſtreut worden waren.
Sehr allmählich wurden zunächſt die Kulturpflanzen vom Ort ihrer erſten Ver—
wendung aus weiter verbreitet. Raſcher nur zu Zeiten, da Wanderungen ganzer
Stämme die Samen der von ihnen gebauten Pflanzen mitnahmen und in oft ferne
Gebiete brachten, noch raſcher erſt in viel ſpäteren Zeiten, als der Verkehr der Völker
anfing, Weltverkehr zu werden.
De Candolle, Fraas, Hehn, Buſchan, Wittmack, Hoops, Hahn, Grad—
mann und andere haben es verſucht, im Geiſte den Kulturpflanzen auf ihren Wande—
rungen zu folgen. Es iſt oft ſchwankender Grund, der bei ſolcher Forſchung
betreten werden muß, und daher auch das Ergebnis oft ein unſicheres. Selbſt geſchicht—
liche Daten leiten häufig irre, weil ein und dieſelbe Bezeichnung oft verſchiedene
Pflanzen deckt: man denke nur an die vielſeitige Bedeutung des Wortes Bohne im
Deutſchen. Zudem fehlt es an geſchichtlichen Angaben für die Überführung einer
wildwachſenden Pflanze in eine Kulturpflanze faſt vollſtändig; wo geſchichtliche Nach-
weiſe überhaupt vorhanden ſind, geben ſie (in Schrift und Bild) nur über ſpätere
Wanderungen Aufſchluß. Wenn uns auch die Einführung der Kartoffel, des Tabaks,
der Sojabohne nach Europa wenigſtens auf einige Jahrzehnte genau bekannt iſt, ſo
wiſſen wir doch ſelbſt bei dieſen für uns Europäer jungen Kulturpflanzen nichts über
die Anfänge der Kultur, die für die erſten beiden bei den eingeborenen Völkern Nord—
amerikas, für die Sojabohne bei den Stämmen Inneraſiens zu ſuchen ſind. Nur
bei einigen Futter⸗ und Gemüſepflanzen, die ſich erſt in letzter Zeit als Kulturpflanzen
einbürgerten, wie Zottelwicke, Waldplatterbſe, neuſeeländiſcher Spinat, ſind wir über
ihre Anfänge als ſolche beſſer unterrichtet.
Zur Erforſchung der Geſchichte der übrigen Kulturpflanzen muß zumeiſt eine
Vielheit der Mittel herangezogen werden. Botaniſche wie prähiſtoriſche Forſchung
und Sprachforſchung müſſen Dienſte tun. Wenn zum Beiſpiel eine wildwachſende
Pflanze bekannt iſt, die als Ausgangsform der Kulturpflanze betrachtet werden kann,
ſo darf man vermuten, daß der Ausgang der Kulturpflanze im Gebiet dieſer Wild—
pflanze zu ſuchen ſei. Aber nur bei wenigen Pflanzen, wie bei der Kulturrübe, der
Kulturerbſe, der kultivierten Ackerbohne, dem kultivierten Rot- und Weißklee und
einigen andern iſt dies der Fall.
Greifbarere Anhaltspunkte liefern die Reſte von Kulturpflanzen, die uns im
Schutt prähiſtoriſcher Menſchenſiedelungen überliefert ſind und die unzweifelhaft feſt—
ſtellen, daß in der betreffenden Gegend zu der Zeit, der der Fund angehört, die
Pflanzen bereits kultiviert wurden. Die Reſte in Höhlenwohnungen und in jenen
Siedelungen auf Pfählen, die in den Seeboden getrieben wurden, den Pfahlbauten,
die Muſchelwälle nördlicher Küſten Europas, die mounds in Nordamerika, die Funde in
den Grabſtätten der Agypter, den Pyramiden, und in jenen der Germanen, den Tumuli,
bieten ſolche Anhaltspunkte. Teils ſind es Abfälle von Haushaltungen, teils in
ſolchen Abfällen verloren gegangene Gegenſtände oder aber Pflanzen und Pflanzen—
teile, die als Opfergaben den Toten mitgegeben wurden.
Auch die Epen einzelner Völker, welche die ſagenhafte Vorzeit zur Darſtellung
bringen — allen voran Ilias und Odyſſee — liefern gleich anderen Sagen eine
212 1. Abſchnitt.
Reihe von Anhaltspunkten. Endlich bietet die Sprachforſchung Hilfsmittel, den
Wegen, welche die Pflanzen genommen haben, nachzuſpüren. Wicke erinnert an vicia,
Kohl an caulis, Lattich an lactuca und verweiſt auf den Übergang von Römern zu
Germanen. Weizen leitet ſich von dem althochdeutſchen weizzi, dem gotiſchen hwaitis
ab, und dieſer Zuſammenhang allein läßt ſchon ſchließen, daß die Pflanze bereits in
alter Zeit in Mitteleuropa gebaut worden iſt.
Zu der heutigen Zuſammenſetzung der Kulturflora der Acker Europas haben
die einzelnen Weltteile in verſchiedener Weiſe beigetragen. Das wenigſte hat Auſtralien
geliefert, das auch in andere Weltteile, wenn von einem Gemüſe, dem neuſeeländiſchen
Spinat (Tetragonia expansa) abgeſehen wird, nichts an wertvollen Kulturpflanzen
entſendet hat. Europa ſelbſt hat einiges zu feiner heutigen landwirtſchaftlichen
Flora aus Eigenem beigeſteuert, ſo den Hafer und Roggen, die Rübe, Möhre und
Zichorie, den Kohl, Raps und Rübſen, den Rotklee, den Hopfen, die Erbſe und den Senf.
Mehr hat das ſüdweſtaſiatiſche Gebiet mit Agypten geliefert, dem wieder
manche Pflanzen aus dem Süden und Oſten Aſiens, dem heutigen China und Indien,
zugefommen find. Über die Wanderungen dieſer Pflanzen und der vielen dieſem
Gebiet entſtammenden Haustiere oder doch über den letzten Teil dieſer Wanderungen
hat uns beſonders Hehn unterrichtet. Nur wenige Pflanzen, die wir Aſien ver—
danken, haben ihren Weg direkt nach Mitteleuropa genommen. Die Heerſtraße für
ſie ging von Agypten, Babylonien, Aſſyrien über Griechenland und das Römerreich
oder auch, weniger betreten, über Nordafrika und die Pyrenäenhalbinſel. Nach Mittel—
europa drangen dieſe Pflanzen dann meiſt von Italien aus vor, und zwar zur Zeit
der Berührung der Römer mit den Germanen; manche nahmen aber auch ihren Weg
über das heutige Frankreich. Es iſt Gradmanns Verdienſt, nachgewieſen zu haben,
daß keine unſerer Getreidearten den Weg über das alte Griechenland und Rom ge—
nommen hat. Für Hafer und Roggen war dieſer Weg auch vor ihm nicht in An—
ſpruch genommen worden; Gradmann hat aber gezeigt, daß auch Gerſte, Weizen,
Spelz und Hirſe in vorrömiſcher Zeit ſchon in Germanien zu finden waren.
Amerika hat uns eine ſtattliche Reihe von Pflanzen überliefert, darunter
wirtſchaftlich ſehr wertvolle: die Kartoffel, welche die Ernährungsverhältniſſe von
Mittel⸗ und Nordeuropa geradezu umgewälzt hat, den Mais und die Fiſole
oder Vietsbohne, die beide, wenn auch nicht ſo ausgeſprochen wie im Norden die
Kartoffel, im Süden auf dieſe Verhältniſſe eingewirkt haben, und den Tabak, dieſe viel—
geſchmähte, vielgeliebte Genußpflanze. Andere amerikaniſche Sendlinge ſind von
geringerer Bedeutung: Topinambur, Kürbis, ſpaniſcher Pfeffer, Erdnuß und Madia
ſowie mehr dem Gemüſegarten und Gewächshaus angehörende Pflanzen: Liebesapfel,
Batate, Feuerbohne, Ananas und Champignon. Die amerikaniſchen Geſchenke an
Kulturpflanzen hat die Alte Welt reichlich vergolten; Kolumbus brachte ſchon den
Weizen in das neue Land mit, der Rotklee fand ſeinen Weg dahin und ihm folgten
ſpäter die Luzerne und Eſparſette; Reis und Baumwolle ſind ebenfalls Gaben
der Alten Welt.
Auch die wildwachſenden Pflanzenarten wandern. Manche von ihnen ſind
für ſolche Wanderungen ſogar ausgezeichnet eingerichtet. Die Früchte und Samen
beſitzen bei einer Anzahl von ihnen Flugorgane, die das Verwehen auf weite Strecken
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. 213
hin erleichtern, bei anderen Anheftungsvorrichtungen, die das Verſchlepptwerden durch
Tiere begünſtigen. Dazu kommt die Verbreitung von Samen, Früchten, ja ganzen
Pflanzen durch das Waſſer, deren Folgen im ſtreifen- oder inſelweiſen Vorkommen
hochalpiner Pflanzen in Schluchten und in der Ebene zutage treten.
Ob eine Wanderung erfolgreich iſt, darüber entſcheiden bei wildwachſenden
Pflanzen einerſeits die natürlichen Verhältniſſe der Gegend, in der die Verſchiebung
erfolgt, anderſeits die Variationsbreite der wandernden Pflanzen. Zu den natürlichen
Verhältniſſen ſind da nicht nur Niederſchlagsmengen und Niederſchlagsverhältniſſe
und der beſonders mächtige Faktor Wärmeausmaß und Wärmeverteilung zu rechnen,
ſondern auch das bisherige Pflanzenkleid der Gegend, mit deſſen Elementen die ein—
gewanderte Pflanze in Konkurrenz treten muß. Das mehrdeutige Wort Variations—
breite ſoll in dieſem Fall darſtellen: die Geſamtheit der einer Pflanze innewohnenden
Möglichkeiten, auf geänderte äußere Einflüſſe zu reagieren, ohne dadurch getötet zu
werden.
Die Wanderungen wildwachſender Pflanzen gehen mehr allmählich vor ſich; Schritt
auf Schritt erobert eine Art neue Gebiete. Zumeiſt erſtreckt ſich die Wanderung auf
nicht allzu große Strecken. Meere, Gebirgshöhen, Seeflächen, Wüſten bilden zwar
nicht unüberwindbare Hinderniſſe, genügen aber im allgemeinen, der Weiterverbreitung
Grenzen zu ziehen.
Ganz anders wandert die Kulturpflanze. Einigermaßen natürliche Wande—
rungen finden wir bei ihr, von wenigen Futterpflanzen abgeſehen, von der Zeit ab
nicht mehr, in der ſie zur Kulturpflanze geworden iſt. Ihre Wanderung hat der
Menſch beſorgt, und er verbreitet ſie auch heute noch über Gebiete, in die ſie allein
nie gelangt wäre und in denen ſie ſich nur mit ſeiner Hilfe erhält. Wohl nie wären
Weizen, Roggen, Rotklee, Luzerne auf natürlichem Wege nach Amerika gelangt, und
daß Mais und Kartoffel von ſelbſt in Europa feſten Fuß gefaßt und ſich daſelbſt
verbreitet haben würden, iſt wohl nicht anzunehmen. Kaum eine der Kulturpflanzen
würde auch über Wälder und Felshänge hinauf den Weg zu den letzten landwirt—
ſchaftlichen Siedelungen der Alpen gefunden haben. Die Mehrzahl der Kulturpflanzen
des Ackerlandes erhält ſich aber auch in ihrem heutigen Verbreitungsgebiet faſt aus—
nahmslos nur mit Hilfe des Menſchen. Würde in Europa die reife Ernte plötzlich
dem Felde gelaſſen und durchfurchte weiterhin kein Pflug mehr den Boden, ſo könnten
ſich manche Kulturpflanzen durch Selbſtſaat wohl noch einige Generationen hindurch
erhalten, aber gewiß würden auch ſie ſchließlich von der herandrängenden ungezügelten
heimiſchen Flora verdrängt werden. Mit dem Verſchwinden des Kulturlandes würde
die Kulturpflanze ſchwinden. Gewiß, der Beweis dieſer Anſicht iſt nicht durch eigens
angeſtellte Verſuche geliefert worden. Aber für manche Kulturpflanzen bedarf es
ſolcher Beweiſe wohl nicht: die Kartoffel würde in weiten Teilen ihres heutigen Ge—
bietes ſchon der erſte Winter vernichten, Selbſtſaaten des Tabaks, der Lupinen, der
Erbſe, die im Herbſt erfolgten und ohne Unterbringung dem Winter ausgeſetzt würden,
gingen teils als Samen, teils als Pflanzen während der kalten Jahreszeit ein. Daß
aber auch Pflanzen, die rauhe Winter zu überſtehen vermögen, ſich dauernd ohne
Kultur bei uns nicht erhalten könnten, dafür ſcheint mir die Tatſache zu ſprechen,
daß keine der verbreiteteren Kulturpflanzen des Ackers verwildert iſt und daß auf
914 1. Abſchnitt.
Ackern, die hie und da, veranlaßt durch beſondere Umſtände, unkultiviert liegen bleiben,
an Stelle der Flora des Ackers ſehr bald eine ſolche von Weideland ſich einſtellt.
Der Hinweis auf die verwilderten Individuen von Feigenkaktus, von Agave, von
Pelargonie, die ja allerdings nicht Acker-, aber doch Kulturpflanzen ſind, genügt nicht
als Gegenbeweis. Dieſe Pflanzen ſind verwildert, aber unter klimatiſchen Verhält—
niſſen, die jenen ihrer Heimat ähnlich ſind, und auf Böden, die ihrem natürlichen
Standort entſprechen.
Das Studium der heutigen Verbreitung unſerer landwirtſchaftlichen Kultur—
pflanzen, mit dem ſich Engelbrecht („Die Landbauzonen“) in hervorragender
Weiſe befaßt hat, wird uns nach dem Geſagten über die natürliche Verbreitung
dieſer Pflanzen keinen Aufſchluß geben und über die natürliche Verbreitungs mög—
lichkeit nur wenig ſagen können. Gewiß werden die natürlichen Verhältniſſe, trotz
künſtlicher Hilfe, dem Verbreitungsgebiet eine durch die Natur der Pflanze bedingte
Grenze ſetzen, aber dieſe Grenze geht immer weit hinaus über jene, welche die Pflanze
bei bloß natürlicher Verbreitung gefunden hätte. Am einſchneidendſten iſt auch bei dieſer
Schaffung einer Grenze wieder die Wärme wirkſam, weniger das Waſſer, noch weniger
der Boden und nicht merklich das Licht. Die Verbreitung der landwirtſchaftlichen
Kulturpflanzen unterſcheidet ſich aber auch darin von jener der wildwachſenden Pflanzen,
daß ſie vielfach ganz unabhängig von den natürlichen Verbreitungsmöglichkeiten erfolgt
und Pflanzen in Gegenden fehlen läßt, in denen fie vollkommen geeignete Wachstums⸗
verhältniſſe gefunden hätten und wohin ſie bei natürlicher Verbreitung gewiß gewandert
wären. Es bleibt in ſolchen Fällen demnach die tatſächliche Verbreitung hinter den
Grenzen der möglichen zurück.
In der heutigen Verteilung wichtiger Kulturpflanzen in Europa laſſen ſich, von
hohen Gebirgen abgeſehen, unſchwer vier Verbreitungsgebiete unterſcheiden, die man
etwa als künſtliche Vegetationszonen auffaſſen könnte. Im Norden zieht ſich die Vege—
tationszone der Sommergetreide hin. Sie entſpricht unter den natürlichen
Vegetationszonen dem nördlichen Teil der nördlichen winterkalten Zone, die durch
ſommergrüne Laubbäume und -ſtauden und immergrüne Zapfenbäume ſowie durch eine
3—7⸗monatige Vegetationsdauer gekennzeichnet iſt, deren Höhepunkt im Juli liegt.
Auf dem Acker wiegen, wie die Zonenbezeichnung es ſchon andeutet, Sommergetreide
vor, und zwar iſt es beſonders im nördlichen Teil des Gebietes die Gerſte, die geradezu
herrſcht; Hafer, noch mehr Roggen tritt zurück, Weizen fehlt. Von Hülſenfrüchten
ſind Erbſen vertreten, von Hackfrüchten Kartoffeln und Waſſerrüben, die bis in die
nördlichſten Teile des Gebietes gehen, von Handelspflanzen findet ſich etwas Lein
und Hanf.
Das ſüdlich anſchließende Gebiet des Sommer- und Wintergetreides
läßt ſich in zwei Zonen zerlegen: eine nördliche ohne Wein- und Maisbau und eine
ſolche mit Bau dieſer Pflanzen. Beiden Gebieten zuſammen entſpricht von den natür—
lichen Vegetationszonen der mittlere und ſüdliche Teil der nördlichen, winterkalten
Zone und im Oſten die Zone der ſommergrünen Wieſen und Grasſteppen, mit Sommer:
temperaturen, die bis 22“ C anſteigen. Alle uns bekannteren Kulturpflanzen
des Ackers finden ſich hier. Im nördlichen Teil, dem Mais zur Körnererzeugung
und Wein fehlt, herrſchen unter den Getreidearten der Roggen und Hafer vor, im
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. 215
ſüdlichen Teil der Weizen, neben dem ſich im Oſten die Hirſe ſtärker bemerkbar macht.
Tabak trifft man mehr im ſüdlichen Teil, aber immerhin auch noch im nördlichen
an; Kartoffel und Zuckerrübe werden mehr im nördlichen Teil gebaut, Hanf mehr
im ſüdlichen.
Der ſüdlichſten unter den künſtlichen Vegetationszonen, die Drude die ſub—
tropiſche Kulturzone nennt, entſpricht unter den natürlichen Vegetationszonen
die nördliche, ſommerheiße Zone mit ſommergrünen und immergrünen Laub- und
Zapfenbäumen, Gebüſchen und Kräutern und in regenärmeren Gebieten mit einer durch
Dürre bewirkten Vegetationsruhe um den Juni. Auf dem Acker herrſchen unter den
Getreidearten Weizen, Mais, noch mehr Gerſte und Hafer; Roggen tritt ſtark zurück,
Reis wird gebaut. Eine Vegetationsruhe, die durch Kälte erzwungen wird, fehlt.
Nach zeitig reifendem
Wintergetreide kann
noch Mais zur Körner:
gewinnung gebaut
werden; Sommergetreide
wird ſchon im Januar
und Februar geſät. Unter
den Hülſenfrüchten tritt
die Erbſe zurück, die
Fiſole herrſcht, Acker⸗
bohne und Linſe finden
ſich vor. Kartoffel,
Zuckerrübe, Lein werden
in geringerem Maße,
Hanf und Tabak dagegen
ſtark gebaut. Beträcht⸗
liche Flächen nimmt der ee
Weinbau für ſich in e ee
Anſpruch; die Dliven-
kultur ſchließt ſich an Bedeutung an, Limonen und Orangen gedeihen, Feigen und
Mandeln kommen hier erſt zur entſprechenden Entwicklung.
Tauſende von Kilometern müſſen durcheilt werden, will man das Bild der
horizontalen Verbreitung der Kulturpflanzen über Europa erfaſſen. Aber dieſer Ver—
breitung von Nord nach Süd entſpricht eine andere, jene der Höhe nach, und dieſe
läßt ſich auf einer Tageswanderung überblicken. Wer kennt nicht das Bild, das ſich
beim Überſchreiten unſerer Alpenpäſſe entrollt! Ein charakteriſtiſches Bild auch des—
halb, weil es den Unterſchied des Verlaufs der Vegetationsgrenze an Nord- und Süd—
ſeite vor Augen führt. Schon einige der Alpenpäſſe laſſen uns auf der Südſeite von
der Schneeregion bis in die Region — richtiger Stufe — mit ſubtropiſchen Pflanzen
herabſteigen. Noch mannigfaltiger wird das Bild bei Beſteigung eines ſüdlicher ge—
legenen hohen Berges, fo beſonders des Atna. Bis zu 800 m Höhe ſteigt der Ol—
baum herauf, bis zu 1400 die echte Kaſtanie, in beiden Stufen herrſchen immer—
grüne Pflanzen; in der unteren finden ſich Agrumen und vereinzelt Dattelpalmen.
216 1. Abſchnitt.
Bis 2000 m Höhe kann man durch Laubwälder ſchreiten, Kulturpflanzen des Ackers
gehen nicht höher, dann folgen Nadelwälder bis etwa 2200 m, dann ſubalpine
Sträucher bis 2400 m; über 2400 trifft man nur niedere Raſen alpiner Gewächſe
an, die bei 2600 m in die Region des ewigen Schnees übergehen, aus der noch immer
einzelne Inſeln mit Pflanzenwachstum hervorragen.
Die Kulturpflanzen haben auf den ihnen aufgezwungenen Wanderungen das
Landſchaftsbild einzelner Gegenden geändert, ja weiten Landſtreifen ein anderes Ge—
präge verliehen. Eindringlich hat uns Hehn dieſe Veränderungen für die Apenninen—
halbinſel vorgeführt. Was dem
Nordländer an der Flora des Landes
ſeiner Sehnſucht, an Italien, ſo echt
italieniſch erſcheint, entſtammt in Wirk—
lichkeit fremden Gebieten. Die Olive,
deren ſilbergraue Blätter und pitto—
reske Stammformen ſchon den Hängen
um den Benaco (Gardaſee) ein fo frem—
des Gepräge geben (Abb. 1), ſtammt
aus Paläſtina und Syrien, die
Agrumen find ſüdaſiatiſchen Ur:
ſprungs. Daß die Zitrone in den
Giardini des Gardaſees (Abb. 2)
dort nicht heimiſch iſt, darauf deuten
ja die weißen Pilaſter hin, die zwi—
ſchen dem dunkelglänzenden Laub
jichtbar werden und auf denen ein
Gerüſt von Balken ruht, das den
Bretterſchutz an Wintertagen tragen
ſoll; aber auch die Orangenhaine bei
Taggia an der Riviera di Ponente,
jene von Meſſina und auf Sardi⸗
FFF nien, der Zitronenwald von Poros
ſind erſt allmählich aus Pflanzen
entſtanden, deren erſte etwa im 1. Jahrhundert n. Chr., damals nur zur Zierde der
Gärten, auf die Apenninenhalbinſel gebracht worden iſt. Alle dieſe Agrumen ent—
ſtammen fernen Gegenden, die Zitrone und die herbe Pomeranze dem Norden und
Oſten Vorderindiens, die ſüße Orange und Mandarine dem Süden Chinas und
Hinterindiens.
Daß auch die Dattelpalme, die aus dem fruchtbaren Deltaland zwiſchen Euphrat
und Tigris kommt, ein Fremdling iſt, ſieht man den Exemplaren, denen man in
Abbazzia, in Trieſt, Miramare, auf Luſſin, an den oberitalieniſchen Seen und an
der Riviera begegnet, deutlich an. Auf Korſika, Kapri, um Neapel, auf Sizilien
trifft man wohl mächtige Stämme, deren Krone hoch über die Hausdächer emporragt,
aber ihr vereinzeltes Vorkommen läßt den Fremdling ſinnend verweilen, wenn es auch
genügt, das Landſchaftsbild ganz beſonders zu verändern. Eher täuſcht der Dattelpalmen⸗
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. 217
wald zu Elche in Südſpanien (Abb. 3) heimatliches Vorkommen der ſtolzen
Pflanze vor.
Noch zwei Pflanzen, von denen allerdings nur die eine als landwirtſchaftliche
Kulturpflanze gelten kann, haben ſich in das Landſchaftsbild Italiens eingefügt, ob—
gleich ſie erſt der Menſch aus dem neuen Kontinent gebracht hat. So wie auf Felſen—
klippen in Spanien und auf Steilwänden in Dalmatien, deren Fuß das Meer beſpült,
haben ſich auch auf felſigem Boden Süditaliens der Feigenkaktus und die Agave
Abb. 3. Dattelpalmenwald bei Elche.
angeſiedelt. Die Agave iſt gleich der Pelargonie den Ziergärten entwiſcht, haben ſich
im zuſagenden Klima ſchnell verbreitet und überraſcht den Nordländer durch ihre
mehrere Meter hohen Blütenſchäfte, die im Abenddunkel an Telegraphenſtangen mit
den Iſolatoren erinnern. Der Feigenkaktus wurde und wird auf den ſüdlichen Halb—
inſeln vielfach als Heckenpflanze verwendet, und von dort aus hat er nahe Felſenhänge
beſiedelt. Wer ſeine pittoreske Geſtalt zum erſtenmal erblickt hat, hält ihn gewiß
nicht für eine Kulturpflanze, und doch liefert er in ſeinen Früchten, den „indiſchen
Feigen“, ein wertvolles Nahrungsmittel und in den Stengelgliedern, aus denen er
ſich aufbaut, Viehfutter, das nach Abbrennen der Stachelbüſchel, oft ſelbſt ohne
ſolches, gefreſſen wird.
Gewiß, das Italien vor Einführung von Oliven, Agrumen, Palmen, Opuntien
und Agaven, ſowie von Zuypreſſen und Lorbeer, bot ein Landſchaftsbild, das den
218 1. Abſchnitt.
Italienreiſenden unſerer Tage bitter enttäuſchen würde, wenn es wieder vor ſeinen
Augen erſtehen könnte. Aber die Veränderungen, die Mittel- uud Süddeutſchland
und Sſterreich durch die Einbürgerung von Kulturpflanzen erlitten haben, ſind kaum
weniger einſchneidend.
Von dem Ausſehen Deutſchlands in prähiſtoriſcher Zeit entwirft
Gradmann ein Bild, das ja natürlich nur auf Schlüſſen aufgebaut ſein kann. Die
nomadiſchen Völker, die einwanderten, mußten offene Flächen gefunden haben, es
Abb. 4. Felder aus der Vogelperſpektive, aus 1230 m Höhe. (Ballonaufnahme von Hauptmann Scheimpflug.)
a Wieſe mit Heu in Haufen, b Feld mit aufgeſtellten Getreidegarben,
e Wieſe mit gemähtem Gras in Streifen (Schwaden).
konnte die Walddecke daher nicht über das ganze Gebiet gebreitet ſein, nur unter⸗
brochen von Flüſſen, Seen, Mooren und Sümpfen. Grasfluren, Waldſteppen, wie
er ſie nennt, waren zwiſchen den Wäldern zerſtreut, im Norden dehnten ſich Marſchen
und Heiden. Solche Gebiete konnten von den nomadiſierenden Germanen und Kelten
aufgeſucht und beſiedelt werden, Wälder werden von Nomaden nicht gerodet. Zu
den in der erſten Zeit beſiedelten Gebieten muß wohl auch die Umgebung mancher
Seen gerechnet werden, und gerade dieſe unterrichtet uns am meiſten über den Ader-
bau dieſer prähiſtoriſchen Zeit. Von den Roſten der Pfahlbauten verſank manches
Korn in den Schlick, der den Seeboden bedeckt, und manches primitive Werkzeug, das
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. 219
ſein Beſitzer ſchmerzlich vermißte, fand den gleichen Weg, um nach Jahrhunderten
als Pfahlbaufund wieder aufzutauchen. Pfahlbau- und Höhlenfunde haben uns die
Beweiſe dafür geliefert, daß wichtige Kulturpflanzen ſchon in der jüngeren Steinzeit
oder doch der Bronzezeit den Germanen eigen waren, nicht erſt durch die Römer zu
ihnen kamen. Weizen, Emmer, Einkorn, Gerſte, Mohn, Lein ſind durch Funde aus
der jüngeren Steinzeit Mitteleuropas nachgewieſen, Hirſe, Erbſe, Linſe, Bohne, Hafer,
Spelz und Roggen durch
mitteleuropäiſche Funde
aus der Bronzezeit.
Über die Zeit, in
der die Römer mit den
Germanen in Verbin—
dung traten, ſind wir
ſchon durch Schriſten, be—
ſonders durch jene von
Cäſar (50 v. Chr.), Plinius
(23 79 n. Chr.), Tacitus
(57—115 n. Chr.), unter⸗
richtet. Gerade weil es
Augen von Fremdlingen
ſind, die das Land ſahen,
darf man annehmen, daß
ihnen ſeine Beſonderheiten
nicht entgangen ſind, umſo
weniger, als dieſe Augen
gewöhnt waren, die blü—
hende Landwirtſchaft des
Römerreiches zu ſehen.
Zu Beginn des er—
wähnten Zeitraumes waren Abb. 5. Felder aus der Vogelperſpektive, aus 1530 m Höhe.
di 1 (Ballonaufnahme von Hauptmann Scheimpflug.)
l Kelten bereits ſeßhaft Oben rechts Felder an den Hängen einer Kuppe. Unten Mitte ganz
geworden, ja ihr Ackerbau ſchmale Feldſtreifen (Grundzerſtückelung).
ſtand, wie uns Plinius be-
richtet, bereits auf einer recht hohen Stufe. Für das rein germaniſche Land
nördlich vom Main und öſtlich von der Weſer wird ein Zurückſtehen des
Ackerbaues angenommen, ja man war lange Zeit hindurch geneigt, die Außerung
Cäſars über die Germanen „agri culturae non student“, dahin zu deuten, daß
ſie zur Zeit noch Nomaden waren, eine Anſicht, gegen deren Zutreffen von R. Much,
Hoops, Gradmann überzeugende Beweiſe beigebracht worden ſind. Ein
Jahrhundert n. Chr. finden wir jedenfalls auch in den nur von Germanen bewohnten
Teilen geregelten ausgedehnten Ackerbau, den uns Tacitus vor Augen führt. Aber
auch nach Tacitus' Beſchreibung iſt das Land noch weit entfernt, ein Ackerbauland
zu ſein: „Die Beſchaffenheit des Landes iſt zwar einigermaßen verſchieden, aber im
allgemeinen iſt es bedeckt mit ſtarrenden Wäldern und abſcheulichen Sümpfen, um ſo
990 1. Abſchnitt.
näſſer, je mehr es nach Gallien, und um ſo ſtürmiſcher, je mehr es nach Noricum und
Pannonicum gerichtet iſt, einigermaßen fruchtbar, aber für Obſtbau ungeeignet.“
Alles ſpricht dafür, daß auch etwa ein Jahrhundert n. Chr. keineswegs Drei-
felderwirtſchaft ſchon in Gebrauch ſtand, ſondern wilde Feldgraswirtſchaft, wie
Hanſen und nach ihm Roſcher annehmen, oder noch wahrſcheinlicher eine Vorſtufe
Abb. 6. Laubwald mit Blößen aus der Vogelperſpektive aus 1180 m Höhe.
(Ballonaufnahme von Hauptmann Scheimpflug.)
der letzteren. Immer noch waren die Stämme mehr zum Wandern geneigt, mehr
von Jagd und Viehhaltung abhängig, und gelegentlich zogen ganze Völker in neue
Wohnſitze. Wenn ein Stamm längere Zeit verweilte oder ſeßhaft geworden war, ſo
fand ein Wechſel des Ackerlandes ſtatt, indem — wie es der Feldgraswirtſchaft ent—
ſpricht — ein Stück in der Grasflur, das in ſeinen Erträgen als Acker nachließ,
verlaſſen und ein anderes Stück Grünland zu Acker gemacht wurde.
Die ebeneren und hügeligen Gebiete Mitteldeutſchlands boten zu Beginn
der chriſtlichen Zeitrechnung, etwa den Weſten und Norden ausgenommen, dem Be—
ſchauer das Grün der Wälder, Heiden und Grasflächen, das Braun der Moore und
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. 221
das Blau der Waſſerflächen, die Pflanzendecke brachte wohl nur zur Zeit der Blüte
der Beſenheide eine lebhaftere Farbe in das Bild. Erſt ganz vereinzelt tauchten
jene gelben Flecke auf, die Felder mit reifendem Getreide in das Landſchaftsbild
bringen, Hafer⸗, auch Gerſten- und Weizenfelder, und noch viel ſeltener erſcheint
außer dem Blau der Waſſerſpiegel das Blau blühenden Leines. Von den Hängen
der höheren Gebirge floſſen Waldmäntel herab, und ihr Saum reichte wohl meiſt bis
Abb. 7. Hanf auf dem Verſuchsfeld Hohenheim. (Phot. Prof. Fruwirth.)
unten an die Gerinne heran. Über dem Waldgürtel breiteten ſich Grasmatten aus.
Siedlungen fanden ſich auch in den Alpen, obwohl dieſe den Römern eine Schreckens—
gegend, aber auch den nördlich von ihnen wohnenden Völkern mehr nur ein Hindernis
auf dem Weg nach dem Süden waren. Wenn ſie aufgeſucht wurden, ſo geſchah es,
um ihre Päſſe zu überſchreiten oder Erz und Salz zu holen, auch um Viehhaltung
zu betreiben, nicht aber Ackerbau. Urbarmachung und Einführung des Ackerbaues in
das Gebiet der Alpen und das übrige Gebirge erfolgte erſt in ſpäterer Zeit nach
Untergang Roms, vorwiegend durch die Klöſter. Die Zeit von 600-1300 wird
Ja geradezu als die Zeit der Rodungen bezeichnet, es iſt die Zeit, in welche
F. W. Weber die Handlung ſeines „Dreizehnlinden“ verlegt:
222 1. Abſchnitt.
„In Gehorſam, Zucht und Armut
Schafften ſtill die tapfern Streiter,
Reuteten des Urwalds Rieſen,
Dorn und Farn und wüſte Kräuter,
Zogen Wall und Zaun und Hecke,
Hirſch und Keiler abzuwehren,
Daß im Tale wohlumfriedet
Grünten menſchenholde Ahren.“
2: * N
Abb. 8. Weinkultur bei Riva. (Phot. H. Dopfer.)
Das Bild, das heute Mitteleuropa bietet, iſt ein ganz einſchneidend verändertes.
Nicht der Veränderung durch Siedlungen, Bahnen, Straßen und Kanäle ſoll gedacht
werden, nur jener durch die Pflanzendecke. Vor allem hat das Zurückweichen
des Waldes das Bild der Ebenen und breiten Täler verändert; am wenigſten Ver⸗
änderung haben die Grasflächen oberhalb der Waldgrenze höherer Gebirge und die Heiden
des nordweſtlichen Deutſchlands erfahren. Die von Wald entblößten Flächen ſind
der Feldkultur zugeführt oder natürlicher Begraſung überlaſſen worden. Sümpfe
wurden trockengelegt und auf Moorflächen Wieſen, teilweiſe ſelbſt Acker angelegt.
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaſtlichen Kulturpflanzen. 223
Die Ausdehnung des Ackerlandes brachte Regelmäßigkeiten in das Land—
ſchaftsbild. Wer kennt nicht das Bild aus dem Fenſter eines in fruchtbarer Ebene
raſch dahinfahrenden Eiſenbahnwagens? Wie radiale Streifen eines ſich drehenden
Kreiſes, an deſſen Peripherie man ſich befindet, ſo dreht ſich ſcheinbar Feldſtrich auf
Feldſtrich vorbei. Oder das Bild von einem Berggipfel, der gegen die Ebene vor—
geſchoben iſt, die von der Höhe aus ſchachbrettartig geteilt erſcheint, ebenſo wie aus
der Gondel eines Luftſchiffes (Abb. 4 u. 5 gegen 6) oder vom Sitz eines Gleitfliegers.
Aber nicht nur durch ſeine Form bringt der Acker eine neue Erſcheinung in
das Landſchaftsbild, ſondern auch durch die Art der Pflanzen, die er trägt,
Abb. 9. Hopfenkultur.
ihre Farbe, ihre Geſtalt, endlich auch durch Bauten, die bei ihrer Nutzung benötigt
werden.
Wo allerdings die Pflanzen des Gartens in großen Beſtänden auftreten, wie
in den großen Handelsgärtnereien um Erfurt, Quedlinburg oder um Haarlem, da
können die Pflanzen des Ackers betreffs Farbenpracht nicht ſiegen.
Am auffälligſten wirken einzelne der Ackerpflanzen durch die Farbe ihrer Blüten;
im Frühjahr das Zitronengelb des blühenden Rapſes, im Sommer das leuchtende
Goldgelb der Sandlupine, das Blau des Leines, der ſchmalblättrigen Lupine, der
Luzerne, das Weiß oder Weiß mit Lila oder feuerige Rot des Mohnes, das ſelten
ſichtbare Roſa des Tabaks und der Eſparſette, das Rot des Rotklees. Weniger ver—
ſchieden iſt, aus einiger Entfernung geſehen, das Grün des Laubes der einzelnen
Gattungen. Dagegen tritt wieder das Gelb oder Braun vieler der reifenden
224 1. Abſchnitt.
Früchte hervor und die Erdfarbe der Brachfelder und der Felder mit noch jungen
Hackfrüchten.
Durch Geſtalt und Größe auch auf etwas weitere Entfernungen hin, wirkt
Mais, Tabak und Hanf, der letztere beſonders in Gegenden des nördlichen Italiens,
wo er weit über Manneshöhe emporſchießt. Daß ſolcher Hanf aber auch in Mittel—
europa geradezu tropiſche Entwicklung erlangt, zeigt das Bild eines Beſtandes von
Bologneſer Hanf, der mir in Hohenheim erwuchs (Abb. 7).
Im Lauf des Sommerhalbjahres wechſelt das Bild, das der Acker bietet,
mannigfach und je nach der Fruchtart verſchieden. Das Grün der mit Winter—
Abb. 10. Hintertal Bachwinkel. Wieſenhänge mit Heuhütten. (Phot. Prof. Fruwirth.)
getreide beſtellten Flächen unterſcheidet ſich im Frühjahr nur wenig von jenem der
Wieſen, am eheſten im zeitigen Frühjahr, das die Getreidefelder ſchon grün erſcheinen
läßt, während die Wieſen noch gelblichgrün daliegen. Das geſchoßte Getreide fällt
beſonders bei Wind, am meiſten bei Roggen, durch das Wogen ſeiner Oberfläche
auf. Die Reife löſt das Grün immer mehr durch das Gelb ab. Die Ernte bringt
wieder einen neuen Zug in das Landſchaftsbild: die regelmäßig in Zeilen ſtehenden
Erntehaufen, dann folgt auf das Gelb der Stoppelfelder das Braun der nach der
Ernte ſeicht gepflügten Fläche.
In einzelnen Gegenden hat die Bodenbebauung für Kulturpflanzen zu weit—
gehender Umformung des Bodens geführt; Hänge, ja ganze Berge haben nicht
nur ihre urſprüngliche Pflanzendecke verloren, ſondern durch Terraſſierung auch ihre
Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen. 225
urſprüngliche Geſtalt. Im Süden geben Wein und Olive, weiter nördlich der Wein
Anlaß zu ſolcher Umgeſtaltung, und Pflanzen des Ackers begleiten ſie nur; ſo auf
den von Wein eben freien Flächen oder im Süden unter dem Laubdach der Reben,
den Pergolas. (Abb. 8.) An der Riviera kann man derartige terraſſierte Flächen
häufig genug finden, geſchmückt mit Zierblumen, deren Blüten entweder im
Winter in den Läden des mittleren und nördlichen Europas ſommerliche Pracht
erſtehen laſſen oder in die Parfümfabriken der Riviera wandern, um ihren
Duft abzugeben. Auch an den Küſten Dalmatiens und den vorgelagerten Inſeln
ziehen ſich ſolche Hänge entlang. Dort iſt zwiſchen den Reben eine andere Pflanze
eingeſprengt, die weniger poetiſche Erinnerungen weckt: Pyrethrum roseum, die In—
ſektenpulverpflanze. Nördlicher treten Hänge und ganze Berge mit künſtlicher Ober—
fläche in Weingebieten auf, ſo in jenen der Donau, des Rheins, aber auch des
Neckars.
Ein beſonderes Gepräge, noch auffallender als das von Wein verliehene, gibt
Hopfen einer Gegend. Die Wälder von grün umwundenen Stangen oder die
Gerüſte aus Holz und Eiſen, an denen die mit den Hopfenreben beſchwerten Schnüre
oder Drähte befeſtigt ſind (Abb. 9), heben ſich von den umgebenden Acker- und
Wieſenflächen ſcharf ab. Auch die Häuſer in Hopfengegenden weiſen oft auf den
Bau dieſer Pflanze durch die auffallend hohen Dächer hin, deren Innenraum zur
Trocknung der Ernte verwendet wird.
Auch durch beſondere Baulichkeiten, die in Verbindung mit dem Bau be—
ſtimmter Pflanzen ſtehen, wird das Bild mancher Gegenden beeinflußt. Recht auf—
fallend ſind die zahlreichen kleinen Hütten, die in den Alpen das Grün der Wieſen
unterbrechen und zur Aufbewahrung des Heus dienen (Abb. 10). Dann, auch in den
Alpen, aber mehr auf beſtimmte Gebiete mit Leinbau beſchränkt, die gemauerten
Dörrhäuschen, die bei Verarbeitung der Leinpflanzen zu Flachs Verwendung finden.
Eigentümliche Stangengerüſte zum Trocknen findet man in Südſteiermark, Kärnten
und einem Teil Tirols auf dem Acker: die ſog. Harfen. Das feuchtere Klima
läßt es wünſchenswert erſcheinen, die Getreideernte mehr der Luft auszuſetzen, als
dies in geſchloſſenen Scheunen möglich iſt. Die Feldſcheune, die ſich in Deutſchland
und Oſterreich immer mehr an Stelle der maſſiven Scheuern, der Harfen und der
Triſten oder Feimen verbreitet, fällt viel weniger auf, da der Faſſungsraum des
einzelnen Gebäudes ein großer, die Zahl der Bauten daher eine geringere iſt.
Am meiſten haben zur Anderung des Landſchaftsbildes wohl die Einrichtungen für
künſtlichen Wärmeſchutz beigetragen, die am Weſtufer des Gardaſees den Agrumen
gewährt werden müſſen. An einigen Wintertagen, wenn Bretterwände die Pflanzen
abſchließen, iſt das Bild wohl unſchön, ſonſt aber wird das glänzende Grün der
Blätter wirkungsvoll von den ſchlanken weißen Säulen unterbrochen (Abb. 2).
Auch die Beziehungen, die zwiſchen Wieſe, Weide und Acker einer Wirtſchaft
und der Verteilung der Frucht auf dem Acker der Wirtſchaft beſtehen, beeinfluſſen
das Landſchaftsbild. Dieſe Beziehungen finden ihren Ausdruck im Feldſyſtem.
Wird nur Grasland bewirtſchaftet, ſo hat man die reine Graswirtſchaft vor ſich, wie
man ſie in Niederungen, an den Küſten und im Gebirge antrifft. In der zeitlichen
Entwicklung ſchloß ſich dieſer Wirtſchaft in vielen Gegenden Mitteleuropas die Ur—
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 1
296 1. Abſchnitt.
wechſelwirtſchaft an, bei der ein Teil der Grasfläche aufgebrochen, eine Reihe
von Jahren hindurch als Acker genutzt und dann wieder liegen gelaſſen wurde. Bei
dichterer Beſiedelung folgte in Gegenden, die zuerſt Urwechſelwirtſchaft hatten, die
Wechſelwirtſchaft mit regelmäßigem Wechſel von Acker- und Grünland: die Egarten—
und Feldgraswirtſchaft in den Alpen, die Koppelwirtſchaft der nord—
deutſchen Küſtengegenden. In Gegenden, die für Getreidebau günſtige Verhältniſſe
boten, führte ſich ſchon frühzeitig die Felderwirtſchaft ein, bei der der Acker ſtändig
als ſolcher bewirtſchaftet wird und vorwiegend Körnerfrüchte trägt, das Futter von
Wieſen und Weiden ſtammt. Auch in Gegenden, in denen der Körnerbau nicht ſo
von der Natur bedingt iſt, bürgerte ſich die Felderwirtſchaft dann ein, wenn der Bedarf
an Körnerfrüchten ein größerer wurde und alle für ihren Bau geeigneten näheren
Grundſtücke dazu herangezogen werden mußten. Seit etwa 800 nach Chr. iſt eines
der Feldſyſteme der Felderwirtſchaft, das Dreifelderſyſtem — Brache, Winter-
getreide, Sommergetreide — das in Mitteleuropa verbreitetſte. Das Streben nach
höherer Produktion, dann auch Ausdehnung des Viehſtandes bei Fehlen geeigneter
Grasflächen führte zu dem Wirtſchaftsſyſtem des Fruchtwechſels, bei dem
der Acker Körner und Futterpflanzen trägt und Halm- und Blattfrüchte regelmäßig
miteinander wechſeln, die Wieſen aber ſo wie bei der Dreifelderwirtſchaft für ſich
beſtehen.
Die Graswirtſchaft bietet dem Auge das Grün ihrer Flächen, das von den
mannigfachen, vielfach wirtſchaftlich weniger geſchätzten, Begleitern von Gräſern und
Kleearten farbig belebt wird. Die Wechſelwirtſchaft läßt neben den grünen Flächen
auch ſchon Acker mit Getreide, ja auch ſolche mit Hackfrüchten und Lein erſcheinen
und bringt in Schleswig-Holſtein durch die dort übliche Einfriedung der Abteilungen
mittels Hecken (Knicks) oder Gräben große Regelmäßigkeit in das Bild. Regel—
mäßigkeit auf dem Acker tritt auch dort hervor, wo die Dreifelderwirtſchaft herrſcht
und die urſprüngliche Teilung der Gemeindeflur in Gewanne erhalten blieb; alle
Felder, die Wintergetreide tragen, liegen beiſammen, ebenſo alle Felder, die mit
Sommergetreide beſtellt ſind, und ebenſo alle brachliegenden oder mit Brachfrüchten
bebauten. Am meiſten Abwechflung bringt in das Landſchaftsbild die Fruchtwechſel—
wirtſchaft mit ihrem Vielerlei an Pflanzen.
2. Abſchnitt.
Die Gruppen der Feldpflanzen. Bau und
Leben wichtiger Feldpflanzen.
1. Kapitel: Die Getreide.
Mit der Kartoffel bilden die Getreidepflanzen die Grundlage der Ernährung
des Menſchen mit pflanzlichen Erzeugniſſen. Sie beherrſchen in Europa den Acker
heute noch, wenn auch nicht mehr ſo, wie früher. Getraegede, was der Acker
trägt, ſo lautete das mittelhochdeutſche Wort für Getreide, ein Wort, das die domi—
nierende Stelle kennzeichnet, die dieſe Pflanzen früher innehatten, als der Acker noch
nicht zur Erzeugung von Grünfutter herangezogen wurde, Hackfrüchte auf ihm fehlten
und Handelspflanzen und Hülſenfrüchte nicht oder nur auf kleinen Flächen im An—
ſchluß an den Garten gebaut wurden.
Wenn wir vom Getreide reden, ſo denken wir an Brot; Brot zu liefern iſt
ja, ſo denken wir, die vornehmſte Aufgabe der Getreidearten. Tatſächlich ſind aber
ſchon bei uns nicht alle Getreidearten Brotfrüchte, wenn auch jede von ihnen Brot
liefern kann. Mais wird in Europa mehr in Form von Grütze denn als Brot
gegeſſen, Reis überhaupt nicht zu Brot verarbeitet, Haferbrot kannte man früher auch
in Deutſchland, heute wohl nur in Schottland, und Gerſtenbrot wird außer im Norden
Europas und in einzelnen Teilen der Alpen nicht bereitet. Nur Weizen und Roggen
ſind eigentlich Pflanzen, die in Europa verbreitet als Brotfrüchte Verwendung finden,
Roggen mehr im nördlichen Teil, ſoweit daſelbſt nicht die Gerſte herrſcht, Weizen im
mittleren und neben Mais auch im ſüdlichen. Die Trennung der Verwendung von
ſchwarzem und weißem Brot nach Nord und Süd hat auch Goethe erkannt, der
ſie für Germanen und Romanen ins Auge faßt, wenn er ſagt:
„Nein, hier hat es keine Not,
Schwarze Mädchen, weißes Brot,
Morgen in ein andres Städtchen,
Schwarzes Brot und weiße Mädchen.“
Von der Frucht oder von der Gruppe wird bei Getreide der Name auch auf
die Art übertragen, wenn es gilt, die wichtigſte unter den Getreidearten zu bezeichnen.
Korn nennt der Deutſche den Roggen, der Schwede die Gerſte, der Nordamerikaner
den Mais, Getreide ſchlechtweg benennt der Franzoſe den Weizen, der Inder den
Reis. Den Getreidearten Weizen, Roggen, Gerſte, Hafer, die wir in Europa als
228 1. Kapitel.
Hauptgetreidearten bezeichnen können, reihen ſich in warmen Gegenden
noch andere an, insbeſondere Reis, Mais, dann die daſelbſt ſehr verbreiteten Hirſe—
arten, die in Süd- und Oſteuropa auch Platz gefunden haben, vereinzelt auch als
Körnerfrüchte nördlicher gehen, in Mitteleuropa aber doch mehr als Futterpflanzen
Verwendung finden. Von ihnen iſt die Mohrenhirſe (Sorghum) die wärmebedürf—
tigſte, während die Riſpenhirſe (Panicum) auch in Norddeutſchland auf Sandböden
reif wird. Die Kolbenhirſen (Setaria), die
beſonders in Ungarn und im Süden Djter-
reichs gebaut werden, nehmen in den Wärme—
anſprüchen eine Mittelſtellung ein. In den
Körnern und in der erſten Entwicklung der
Keimpflanzen unterſcheiden ſich unſere Haupt-
getreidearten, die als Getreide des käl—
teren Klimas bezeichnet werden, deutlich
von den Getreidearten des wärmeren
Klimas: Mais, Hirſearten und Kanarien-
gras. Bei unſeren Hauptgetreidearten zeigt
das Korn, die reife Frucht, eine Längsrinne
und keimt mit Entſendung mehrerer Würzel—
chen (Abb. 17), bei den Getreidearten des
warmen Klimas fehlt der Frucht die Längs—
rinne, und der Keimling entſendet zunächſt
nur ein Würzelchen (Abb. 18).
Alle Getreidearten ſind botaniſch Gräſer
(Gramineen). Ihre Blätter (Abb. 11, A)
ſind daher zweiteilig, ſie beſtehen nicht nur
aus dem Teil, der vom Halm weghängt
und meiſt allein ſchon als das Blatt ange-
ſehen wird, ſondern auch aus der Scheide,
die den Halm röhrig umgibt und als welche
das Blatt bis zum Ende des Halmgliedes
Abb. 11. Halmſtück von Roggen, Secale cereale. weiterläuft. Wo der weghängende Teil, die
Weben, 5 Ste e ( erkiioten F. Sppeite, in die Scheide übergeht, sum
wachſende Zone des Halmgliedes). manchen Gräſern von der Oberhaut der letz—
a teren ein Stück empor, das Blatthäutchen,
und die Spreite läuft an dieſer Stelle bei einzelnen Arten in hakige Fortſätze, die
Blattöhrchen, aus (ſiehe Abb. 12). Das Blatthäutchen ſchließt dicht an den Halm an
und bildet eine Schutzwehr, die weitgehend verhindert, daß das an der Blattſpreite
fortfließende Waſſer in den Raum zwiſchen Halm und Scheide dringt. Die Ohrchen
ermöglichen es auf einem Feld, das noch keine Blütenſtände zeigt, die Hauptgetreide-
arten voneinander zu unterſcheiden. Bei Hafer fehlen ſie, bei Roggen ſind ſie klein, bei
Weizen größer und bewimpert, bei Gerſte am größten (Abb. 12). In der Zeit gleich
nach der Keimung iſt nur Roggen deutlicher von den übrigen verſchieden, indem bei
ihm das erſte Laubblatt, das über der Erde ſichtbar wird, rötlich überlaufen iſt.
|
|
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|
„ a: ° 7 Ge
Die Getreide, 229
Wenn ihre heutige durch den Menſchen erzwungene Verbreitung es auch nicht ahnen
läßt, ſo ſind die Hauptgetreide doch Pflanzen der Steppe. Die dicke Epidermis, die
arm an Spaltöffnungen iſt, die mehr auf—
rechte Stellung der Blattſpreiten deutet auf
Verdunſtungsſchutz, wie ihn xerophile Pflan—
zen oft aufweiſen und wie ihn auch der bläu—
liche Reif bietet, der mancher unſerer Getreide—
ſorten eigen iſt.
Der Stamm, die Achſe, wird bei den
Getreidearten Halm genannt (ſiehe Abb. 11)
und ſtellt bei den Hauptgetreidearten und bei
Reis eine mehr oder minder hohle Röhre vor,
während bei Mais das Mark vollſtändig er—
halten bleibt und das Innere füllt. Trag—
fähig muß der Halm einer jeden Getreideart
ſein, aber unſere Hauptgetreide werden auch
auf Biegungsfeſtigkeit ſtark in Anſpruch
genommen. Im wogenden Getreidefeld werden
die Halme hin- und hergezogen und müſſen
elaſtiſch genug ſein, um dabei nicht zu knicken.
Der Halm eines unſerer Hauptgetreide iſt,
ſo wie jener aller Gräſer, aus einzelnen
Gliedern zuſammengeſetzt, an deren Enden
ſich bei
. Abb. 12. Blatthäutchen der Hauptgetreidearten
einigen nach Schindler.
ſonſt a = Hafer, b= Roggen, e = Weizen, d S Gerſte.
(Zeichnung von H. Hahn.)
mark⸗
loſen etwas Mark erhalten hat. Die Grenzzone
5 zwifchen zwei Halmgliedern wird Halmknoten ge-
nannt (Abb. 11, A, E), tatſächlich wird, von den
Hirſearten abgeſehen, ein Wulſt, ein „Knoten“, an
dieſer Stelle, aber erſt durch das Ende der Blatt—
ſcheide (s) gebildet, iſt demnach ein Blattknoten.
Die Feſtigkeit des Halmes wird durch ſeinen röh—
rigen Bau bedingt ſowie durch die Anordnung der
= Gefäßbündel in ein oder zwei Ringzonen und durch
Abb. 13. Querſchnitt eines Roggenhalmes. die Einſchaltung eines Baſtfaſerringes peripher
Gewebe (Zeichnung don b. Hahn) unter dem grünen Gewebe, das an die Oberhaut
anſchließt (Abb. 13). Die beim Blattknoten be—
findliche Wand zwiſchen zwei Halmgliedern trägt auch zur Feſtigung bei, da ſie als
Querverſpannung die zylindriſche Form des Halmes bei Knickung zu erhalten trachtet.
Jede Blattſcheide kann das oberhalb folgende Halmglied während ſeiner Streckung
ſchützen und führen, da ſie früher ausgebildet iſt, und trägt ſpäter zur Feſtigung des
ausgewachſenen Halmes bei.
230 1. Rapitel.
Der normale Halm zeigt in feinem Aufbau eine gewiſſe Geſetzmäßigkeit, die
von Fechner und Nowacki ſtudiert, von letzterem ſchärfer zum Ausdruck gebracht
worden iſt, als ſie die Pflanzen immer äußern. Die Länge eines Halmgliedes be—
trägt nach Nowacki das Mittel der Länge des nächſt höheren und tieferen Halmgliedes.
Kraus, der ſich das Studium des Getreidehalmes ſehr angelegen ſein ließ und ein
Werk „Die Lagerung der Getreide“ ſchrieb, hat auf die bei verſchiedenen Standorts—
bedingungen mannigfachen Abweichungen von dieſem „Geſetz“ aufmerkſam gemacht.
De Bruyker hebt beſonders die nützlichen Abweichungen der ſtärkeren Verkürzung
der zwei unterſten und der Verlängerung der zwei oberſten hervor. Tatſächlich nimmt
die Länge der Halmglieder von unten nach oben zu, ihre Dicke ab, und einzelne
Halme zeigen dabei die erwähnte Geſetzmäßigkeit deutlich.
So zweckentſprechend nun auch der Bau des Halmes für ſeine Widerſtands—
fähigkeit iſt, ſo reicht dieſe Zweckmäßigkeit unter ungünſtigen Verhältniſſen doch nicht
aus. Der Halm wird gebogen, ohne ſich wieder aufzurichten, oder knickt ſelbſt ein,
das Getreide hat ſich gelegt. Echtes Lager
kann auch bei ſehr ſtark aufgeweichtem
Boden durch Umlegen der ganzen Pflanze
in Erſcheinung treten und iſt verſchieden
von dem unſchädlicheren Hinlegen der regen—
verbundenen Niederſchlägen, das durch die
Abb. 14. Halmſtück von Weizen, Triticum vulgare, Elaſtizität der Halme nach Abtrocknung
nach Lagerung ſich an den Knoten aufrichtend. wieder behoben wird. Wirkliches Lager
R wurde zumeiſt auf Vergeilungserſchei—
nungen bei zu dichtem Stand zurückgeführt; die unteren Halmglieder leiden
hierbei durch Lichtmangel, werden überverlängert und bilden die Wand ſchwächer aus.
Wie mannigfaltige andere Urſachen des Lagerns neben dieſer einen, wichtigen wirken
können, haben uns erſt in letzter Zeit die eingehenden Unterſuchungen von Kraus ge—
zeigt. Auch Übermaß an Feuchtigkeit, einſeitige reiche Ernährung mit Stickſtoff, beides
beſonders zur Zeit des Beginnes des Schoſſens, können Lager bewirken. Dagegen
find mäßiges Ausmaß von Wärme und Waſſer, das für eher langſame Entwicklung
ausreicht, ſowie ſtändige mäßige Windwirkung günſtig für die Ausbildung der Stand—
feſtigkeit, die durch kräftige Bewurzelung, kurze dickwandige untere Halmglieder und
allgemein entſprechendes Verhältnis von Tragfähigkeit zu Belaſtung bedingt wird.
Iſt Lager kurz vor der Ernte eingetreten, ſo bietet das Feld zur Zeit, da R
die Reife im nicht gelagerten Beſtand eingetreten wäre, ein unſchönes, ungleichmäßiges
Bild. An Stelle aufrechter Halme, die bei Schnitt des Getreides gut gefaßt werden
können, trifft man eine Mehrzahl von reifen, gelben Halmen, die nach einer Seite
hin, oft aber auch nach mehreren Seiten hin wirr durcheinander liegen, und eine
Minderzahl von emporſtehenden grünen Halmen mit unreifen Fruchtſtänden. Die
reifen Halme ſind oft winkelig gebogen, ſie haben es verſucht, ſich wieder emporzu—
richten (Abb. 14), dieſes wurde ihnen dadurch ermöglicht, daß bei niedergelegten
Halmen die Unterſeite des Blattknotens ſtärker wächſt und ſo das zugehörige Halm—
ſchweren Halme nach ſtarken, mit Wind
n
glied in die Höhe drängt. Die niederliegenden Halme laſſen Licht bis herunter ein—
Die Getreide, 291
fallen und es können nun ſpäter angelegte Seitenhalme zur weiteren Entwicklung
kommen. Sie täuſchen über die Reife des Beſtandes, da ſie ſich zwiſchen den reifen
Halmen empordrängen und dieſe dem Blick entziehen.
Als Flachwurzler hört man die Getreidearten bezeichnen. Fraas, der ſich als
einer der erſten mit dem Wurzelaufbau der Pflanzen befaßte, nennt ſie Krume—
pflanzen, Schultz-Lupitz Büſchel wurzler. Gewiß iſt, daß unſere
Hauptgetreidearten keine Pfahlwurzel entwickeln, ſondern neben den Keim—
wurzeln eine Anzahl von Wurzelkränzen, deren jeder ſich um einen Knoten \
legt. Die in Büſcheln ſtehenden Wurzeln find nun ſehr anpaſſungsfähig; bei
dünner Bodenſchichte oder ſeichter Ackerung verlaufen ſie in geringerer Tiefe,
entſprechen dem Begriff Flachwurzler. Wird ihnen aber das Herabſteigen
erleichtert, und dazu genügen Wurzelreſte vorangegangener tiefwurzelnder
Pflanzen oder Regenwurmröhren, ſo gehen die Wurzeln auch in erhebliche
Tiefe. Die Getreidewurzeln beſitzen ein minder ausgebildetes Vermögen,
Hinderniſſe zu überwinden, und dieſes und ihr Aufbau, nicht die Fähigkeit
zu Tiefengang, unterſcheidet ſie von den Pfahlwurzlern und zwingt den
Getreidearten oft die Rolle von Flachwurzlern auf.
| Den Abſchluß des Halmes bildet der Blütenſtand, der fich aus Ahrchen
aufbaut. Sitzen dieſe an dem oberſten Halmſtück, der im Zickzack gebogenen
Spindel (Abb. 15), ſo wird der Blütenſtand als Ahre bezeichnet; gehen
von der Achſe des Blütenſtandes eine Anzahl von Aſten ab, die ihrerſeits
wieder verzweigt ſein können, und hängen die Ahrchen an kleinen Stielen
von den Aſten weg, ſo nennt man den Blütenſtand eine Riſpe. Das ein—
zelne Ahrchen iſt ein- oder mehrblütig und weiſt im zweiten Fall auch wieder
eine Spindel, die Ahrchenachſe, auf. Das einzelne Blütchen (Abb. 16)
u beſteht bei den Hauptgetreidearten aus drei Staub-
blättern, dem Fruchtknoten und 2 Schwellkörper—
chen und iſt von der tiefer ſitzenden unteren derbe—
ren Blütendeckſpelze und der unbedeutend höher N
ſtehenden zweiten, oberen Blüten- oder Vorſpelze der Ahre.
umhüllt. Manche Sorten der Getreidearten tragen
Grannen, die beſonders dazu eingerichtet ſind, die Ver—
dunſtung zu fördern (v. Proskowetz, Zöbl) und bei ährentragen—
Abe, 46. duden den ohne den Getreiden, beſonders bei nickender Gerſte auch der Ab—
N führung des Niederſchlagswaſſers vom Korn dienen (E. v.
Proskowetz). Wenn wir die Getreidepflanze, vom Korn ausgehend und mit der Bil—
dung neuer Körner ſchließend, verfolgen, laſſen ſich noch weitere Einzelheiten in ihrem
Bau und Leben verfolgen. Wird die Saat in den Boden gebracht, ſo nehmen die
Körner Waſſer auf, ſie quellen, es erfolgt Löſung eines Teiles der Reſerveſtoffe,
Umwandlung eines andern und Zuleitung der wanderungsfähigen Stoffe zu der
Pflanzenanlage, dem Keimling. Dieſer ſchiebt dann, nachdem die zugehörige Wurzel—
ſcheide die Fruchtſchale durchbrochen hat, eine Wurzel hervor. Bei den Hauptgetreide—
arten folgen dann raſch weitere vom Keimling abgehende Nebenwurzeln, 2 bei Weizen
und Hafer, 4 bei Roggen, 5-8 bei Gerſte (Abb. 17), während bei Mais und Hirſe
232 1. Kapitel.
nur eine ſtarke Verzweigung der Hauptwurzel einſetzt (Abb. 18) und Nebenwurzeln
erſt viel ſpäter aus der Sproßbaſis hervorbrechen. Zur Entfaltung eines
Keimblattes kommt es bei den Gräſern nicht; es bleibt, Scutellum genannt,
an ſeiner Stelle zwiſchen dem Speichergewebe und dem Keimling und vermittelt
letzterem jene Reſerve—
ſtoffe, die aus dem
N % N Speichergewebe, dem
ER — \ Endoſperm, ſtammen.
2 2 W N Dagegen ſtreckt ſich das
\ N a Stengelchen und mehr
1 | 605 noch das erſte Blatt.
. In) Bei den nackten Getreide—
Sommerweizen Roggen Albhafer Gerſte ſamen erſcheint das von
Abb. 17. Keimpflanzen, e Sen Gekeimt in Erde. der Coleoptile umhüllte
erſte ergrünende Halm—
blatt oberhalb der Keimwurzeln, bei den beſpelzten wird es, in dieſer Hülle, erſt
viel jpäter nahe dem anderen Ende des Kornes ſicht— E aa: n
bar, da es zuerſt unter der Spelze dem Korn entlang 7
hinwächſt (Abb. 17, rechts).
Während bei anderen Pflanzen das Stengelchen
mit dem an ſeinem Ende ſitzenden Knöſpchen die Erde
durchbricht, wird bei den Hauptgetreidearten dieſe Auf—
gabe von der Scheide des erſten röhrenförmigen,
farbloſen, gelblichen, bei Roggen rötlichen Laub—
blattes übernommen. Dieſe Scheide, die Goleoptile,
iſt, wie v. Weinzierl gezeigt hat, an der Spitze
mit derberer Cuticula, derberer Epidermis und dichter—
zelligem Parenchym ausgerüſtet und durchbohrt mecha—
niſch die Erde. Erſt nachdem dies erfolgt iſt, bricht
an einer ſchon vorher beſtimmten Stelle das einge—
ſchloſſene Blatt, das erſte grüne Laubblatt, durch die
Keimſcheide. Die Kraft, mit der die Scheide durch
die Erde dringt, iſt eine erhebliche; bei zu großer
Tiefenlage des Korns reicht ſie aber doch nicht aus.
Während bei Weizen, Gerſte und Hafer die Scheide
Abb. 18. Mais am 9. Tage nach der
annähernd gleich ſtark iſt, fand ſie Niggl bei Ausſaat.
(Aquarell von R. Oeffinger.)
Roggen deutlich ſchwächer, und es ſtimmt dies mit
der Forderung nach ſeichterer Saat, die bei dieſer Pflanze ſchon in der Bauernregel
„Der Roggen will den Himmel ſehen“ ihren Ausdruck findet.
Der Hafer weicht nun bei der weiteren Entwicklung von den übrigen Haupt—
getreidearten ab. Während bei dieſen die Coleoptile unmittelbar über dem Schildchen
des Kornes, dem Scutellum, ſitzt, wird fie bei Hafer immer durch ein Glied vom
Korn abgehoben, an deſſen Ende ſie ſich befindet. Hafer verträgt daher, ſoweit das
Durchbrechen der Goleoptile in Betracht kommt, eher etwas tiefere Unterbringung,
CECT
—
Die Getreide. 233
da die Coleoptile gehoben wird, und ſolche tiefe Unterbringung wird ihm auch zur
Erleichterung der Waſſeraufnahme zuteil.
Winterroggen wird früher als Winterweizen geſät, damit er ſich im Herbſt ge—
nügend beſtocken kann, da er im Frühjahr zeitig zu ſchoſſen beginnt, während Winter—
weizen ſich auch noch im Frühjahr beſtocken kann. Dieſe Beſtockung, die ſich auch
bei Sommergetreide findet, iſt nun nichts anderes als eine Seitenachſenbildung,
eine Verzweigung (Abb. 31) und das folgende Schoſſen (Abb. 32) iſt das Austreiben
der angelegten Seitenachſen.
Die erſte Seitenknoſpe einer Getreidepflanze findet ſich ſchon in der Achſel der
Coleoptile, die durch das Fehlen eines Mittelnervs von den übrigen Blättern unter—
ſchieden iſt. Weitere Seitenknoſpen, die ſich zu Halmen erſter Ordnung entfalten
können, ſitzen je in der Achſel der höher an der Hauptachſe — und zwar immer
alternierend — befindlichen Blätter.
Die Stelle, von der aus die Beſtockung des Haupthalmes erfolgt, wird meiſt
als Beſtockungsknoten bezeichnet. Kraus, der gezeigt hat, daß es ſich dabei
um eine größere Zahl dicht aneinander gedrängter Knoten handelt, zwiſchen denen die
Halmglieder nicht oder nur wenig merklich zur Entwicklung kommen, nennt ſie richtiger:
Knotenanhäufung. Die Hauptgetreide trachten nun die Beſtockung nahe der
Erdoberfläche — Roggen beſonders hoch — vorzunehmen und heben die Beſtockungs—
zone des Haupthalmes daher bei tiefer Lage des Kornes in die Höhe, laſſen ſie bei
außergewöhnlich ſeichter unmittelbar beim Korn. Das Stück, das die Hebung be—
wirkt, nennt Schoute den Halmheber und bezeichnet damit deſſen einheitliche
Aufgabe. Dem Bau nach kann dieſes Stück Verſchiedenes vorſtellen, bei Weizen,
Roggen und Gerſte ein geſtrecktes Halmglied oder ſelbſt, wenn das Korn etwa 7 em
unter der Erdoberfläche liegt, deren zwei; bei Hafer das geſtreckte Glied zwiſchen der
Coleoptile und dem Korn, das ſog. Mesokotyl. Daß verſchiedene Belichtung auch
die Streckung des unterirdiſchen Stengelteiles beeinflußt, hat Schellenberg feſtgeſtellt;
der Reiz der ſtärkeren Beleuchtung, der wachstumshemmend wirkt, wird von der
Coleoptile bei Hafer oder von dem erſten grünen Laubblatt bei den übrigen Getreiden
auf die Achſenteile übertragen, von deren Baſis dieſe Blätter entſpringen. So wie
ſich der Haupthalm verzweigt, ſo kann ſich auch jeder der Seitenhalme wieder ver—
zweigen, wobei auch immer wieder die Knoſpe des Seitenhalmes in der Achſel eines
Blattes ſitzt. Der erſte Halm einer Getreidepflanze iſt immer der am kräftigſten
ausgebildete und entwickelt ſich zuerſt. Der erſte Seitenhalm iſt ſchwächer aus—
gebildet, verkümmert ſelbſt oft, dann folgen zunächſt immer kräftigere Seitenhalme
erſter Ordnung, dann wieder ſchwächere; die Seitenhalme einer Ordnung zeigen dem—
nach, wie Schoute nachwies, Periodizität.
Reichlicher Zutritt von Licht, langſamere, durch kühle Witterung bedingte Ent—
wicklung, ſeichtere Unterbringung, reichlichere Feuchtigkeit begünſtigen die Beſtockung,
die künſtlich durch weiten Stand, Hack- und noch mehr Häufelarbeit gefördert wird.
Bei gewöhnlicher Feldkultur iſt die Beſtockung eine mäßige, ja Schoute, dem die
für ſolche Beſtimmungen notwendige ſichere Erkennung der Einzelpflanzen im Be⸗
ſtand gelang, fand, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht über zwei
Halme pro Pflanze ausgebildet wurden. Demtſchinsky, ein ruſſiſcher Ingenieur,
234 1. Kapitel.
wurde durch ſeine Bekanntſchaft mit dem in China geübten Verpflanzen des Getreides
dazu gebracht, Maßregeln vorzuſchlagen, die auch auf außergewöhnlich ſtarke Be—
ſtockung und Bewurzelung hinzielen. Die Aufgabe ſolcher Maßregeln iſt, untere
Halmteile, die bei gewöhnlicher Kultur ſich über der Erde befinden, mit Erde zu be—
decken, um ſo weitere Seitentriebbildung und Bewurzelung aus den bedeckten Knoten
anzuregen. Im Großbetrieb werden jetzt mit zwei Methoden Verſuche angeſtellt,
deren eine die Bedeckung durch Behäuflung zu erzielen ſucht, während die andere
die Saat in Rillen vornimmt und dieſe Rillen ſpäter zuſchüttet (Zuſchüttmethode).
Die Beſtockungsfähigkeit iſt je nach Gattung mehr oder minder abgeſtuft,
nach Art und Sorte verſchieden ſtark. Für die Pflanze und für ihre Nutzung iſt ſie
von Wert, da ſie bei lückigem Beſtand durch vermehrte Seitentriebbildung zum Schluß
des Beſtandes und zur Erhöhung der Ernte beiträgt. Außer durch ſtärkere Beſtockung
kann die Pflanze aber auch durch ahhh des Gewichtes der Fruchtſtände auf zu
dünnen Stand reagieren.
Aus jedem unter der Erde befindlichen Knoten werden Wurzeln entſendet, die
ſogenannten Kronenwurzeln, die allein der erwachſenen Pflanze dienen, da die
Keimwurzeln nur kurze Zeit hindurch tätig ſind. Sowie Knoten, die bei gewöhnlicher
Kultur ſich über der Erde befinden, mit Erde bedeckt werden, bilden ſich auch bei
ihnen Wurzeln, ja bei Mais, ſeltener bei Hafer, geſchieht dieſes auch ohne Erd—
bedeckung bei Knoten, die näher der Erdoberfläche ſitzen. Die Feſtigung des Halmes
durch die Wurzeln tritt bei ſolchen oberirdiſch abgehenden Wurzeln beſonders deutlich
in Erſcheinung; ſie werden geradezu Stützwurzeln und ſehen wie Spreizen des
Halmes aus.
Die angelegten Halme kommen nach kürzerem oder längerem Stillſtand in der
Entwicklung der Pflanze zum Schoſſen. Der Stillſtand iſt bei Wintergetreide in
unſeren Gegenden durch den Winter gegeben, er findet ſich aber auch bei Sommer—
getreide, wenn auch abgekürzt. Die Urſache iſt wohl in der Notwendigkeit gegeben,
Bauſtoffe für den raſchen Fortſchritt beim Schoſſen zu ſammeln, aber der Vorgang
iſt damit nicht vollſtändig erklärt. Neben Winter- und Sommergetreide gibt es bei
Weizen und Roggen auch Wechſelgetreide. Sät man dieſes im Herbſt, ſo erfolgt
im Frühjahr normales Schoſſen, aber auch im Frühjahr geſät, ſchoßt ſolches Getreide.
Anders verhält ſich eigentliches Wintergetreide, wenn es ſpät im Frühjahr geſät wird.
Bei ſolchem geht die Beſtockung lange Zeit weiter, es bilden ſich große Horſte, die
Mehrzahl der Pflanzen bringt überhaupt keinen dieſer Triebe zum Ausſchoſſen, einzelne
einen und verhältnismäßig ſehr wenige und ſehr ſpät einige.
Der Herbſt 1908 war ſehr trocken, und es konnte die Winterſaat erſt ſehr ſpät
ausgeführt werden, auch der folgende Winter war ungünſtig und ließ ein Keimen
erſt gegen ſein Ende zu; Winterſaatfelder, die ſonſt im November begrünte Flächen
darſtellen, lagen noch im Februar, in einzelnen Fällen im März, nackt da, kein Keim
hatte die Erde durchbrochen. Damals wurde von beſorgten Landwirten vielfach die
Frage aufgeworfen, ob ſolches Getreide wohl zum Schoſſen kommen würde. Von
mancher Seite wurde ſie verneint, ich ſprach die Erwartung aus, daß zwar die Be—
ſtockung geringer ſein, ein Schoſſen aber ſtattfinden werde, und jene Landwirte, die
ihre Beſtände — entgegen der erſten Anſicht — ſtehen gelaſſen hatten, konnten die
Die Getreide. 235
Richtigkeit dieſer Anſicht beſtätigen. Sie ernteten normal, in einzelnen Fällen ſelbſt
beſonders gut; geſchoßt war das Getreide in allen Fällen.
Damit Wintergetreide zum Schoſſen kommt, iſt ein Reiz notwendig, der unter
natürlichen Verhältniſſen durch den Froſt oder doch durch niedere Temperaturen
geliefert wird. Ob, wie Gaſſner aus ſeinen Verſuchen ſchließt, der Reiz während
der Keimung erfolgen muß, oder ob, wie ich annehme, auch ein Reiz zu Ende der
Beſtockung das Schoſſen auslöſen kann, iſt noch unentſchieden. Jedenfalls ſchoßt —
wie mir ſpätere Verſuche gezeigt haben — Winterweizen
in Mitteleuropa noch bei Saaten, die im Januar oder
Februar gemacht werden.
Die Wintergetreide ſind über Winter manchen
Fährlichkeiten ausgeſetzt, deren Verſchiedenheit man oft
nicht beachtet. Verhältnismäßig ſelten erfriert das Getreide
bei fehlender Schneedecke und heftigen Fröſten. Sehr ſtarke
und lang lagernde Schneedecke kann Getreide, das ſehr
üppig in den Winter kam, erſticken. Beſonders ſchädlich
ſind Wechſel von Wärme und Kälte, wie ſie meiſt gegen
Winterende zu eintreten. Taut der Boden oberflächlich auf,
während die tieferen Schichten, in die die Wurzeln hinab—
reichen, gefroren ſind, und friert er dann auch oberflächlich
wieder, ſo wird der Boden „aufgezogen“ und die Pflanze
mit ihm gehoben, oder es werden Teile von ihr abgeriſſen.
Bleibt der Boden gefroren, wird aber die Luft ſtärker
erwärmt, ſo verdunſten die oberirdiſchen Teile der Pflanze,
die Wurzeln können kein Waſſer nachſchaffen, und die Pflanzen
vertrocknen im Winter.
Glied für Glied ſchiebt ſich beim Schoſſen empor, Abo. 19. Schnitt durch eine
bis ſchließlich der Blütenſtand emporgehoben wird. Schon "3 endende (10: D-
in dem ganz jungen, wenige Zentimeter langen Halm ſind c 6 Seien
die einzelnen Glieder und der Blütenſtand angelegt und Seid en 6. Ga,
laſſen ſich auf einem Längsſchnitt mit der Lupe gut erkennen
(Abb. 19). Es bedarf nur des Wachſens wodurch das Emporſchieben der Glieder und
des Fruchtſtandes bewirkt wird. Oberhalb jedes Halmknotens iſt ein ſogenanntes
Bildungsgewebe, deſſen Zellen teilungsfähig ſind und durch lebhafte Vermehrung
die Verlängerung des betreffenden Halmgliedes bewirken (Abb. 11, V). Nach und nach,
von unten ab, wachſen ſo die Glieder in ihren Blattſcheiden empor, und während
dieſes Wachſens wächſt auch der Blütenſtand weiter, ſo daß er, wenn er über die
oberſte Blattſcheide emporgehoben wird, ausgebildet iſt.
Bei Sommergetreide kann der letzte Teil des Schoſſens, das Emporſchieben
der Blütenſtände, durch Trockenheit geſtört werden; der Blütenſtand bleibt ganz oder
teilweiſe zwiſchen den Blattſcheiden, „in den Hoſen“. Bei Riſpen, wie ſie viele Gräſer
unferer-Wiefen beſitzen und wie ſie unter den Hauptgetreidearten nur der Hafer auf—
weiſt, geht dem Blühen noch eine Veränderung im Blütenſtand voran. Verfolgt man
ein Aſtchen einer Haferriſpe bis an ſeinen Urſprung, ſo bemerkt man daſelbſt eine
236 1. Kapitel.
Anſchwellung, das von Hackel Entfaltungspolſter genannte Gebilde. Woyeicki
hat die verſchiedenen Urſachen erforſcht, die dieſe Entfaltungspolſter befähigen, die Aſte
der Riſpe abzuſpreizen: Erhöhung des Turgors der Zellen, Schwellfähigkeit ihrer
Haut, Wachstum der Zellen. Wie locker iſt eine blühende Haferriſpe gegenüber der
Riſpe einer blühenden Reispflanze, die der Entfaltungspolſter entbehrt!
Mit dem Wort „Blüte“ verbindet man gewöhnlich die Vorſtellung von Schön—
heit oder Auffälligkeit, aber von Blütenpracht iſt bei den Gräſern und ſomit auch
bei den Getreidearten nichts zu ſehen. Auffallend kann etwa noch die Blüte des
Maiſes genannt werden, während von unſeren Hauptgetreidearten einige gar nicht
blühen, wenn man unter Blühen nur das Offnen der Blüten verſtehen will, andere
höchſt unſcheinbar.
Blühreif iſt eine Blüte, wenn ſie ihren Blütenſtaub, den Pollen, ausgereift hat
und die Narbe empfangsfähig iſt. Sie kann dann aufblühen, aber es kann die Blüten—
einrichtung auch ſo beſchaffen ſein, daß der Blütenſtaub in geſchloſſener Blüte auf die
Narbe kommt. Die ſechszeilige und die dichtährige zweizeilige Gerſte blühen
immer mit geſchloſſener Blüte ab, die lockerährige zweizeilige Gerſte zumeiſt,
da die Ähren zur Zeit des Blühens noch nicht ausgeſchoßt find. Auch Hafer blüht
oft, ſo bei kühler regneriſcher Witterung, mit geſchloſſenen Spelzen ab, dagegen blüht
vierzeilige Gerſte meiſt offen, Weizen faſt immer und Roggen durchweg.
Die ährentragenden Getreide, die offen blühen, öffnen ihre erſten Blüten am
Morgen, Hafer nachmittags von 2 oder 3 Uhr ab. Bei gutem Wetter verläuft das
Blühen der Zeit nach recht regelmäßig, es laſſen ſich Zeiten ſtärkeren und ſchwächeren
Blühens beobachten, und beſonders bei Weizen iſt dieſe Periodizität in der Blüh—
häufigkeit eine recht ausgeſprochene. Ich fand in Hohenheim bei verſchiedenen Sorten
von Weizen, daß ſich von 4½ —5 ½ Uhr früh ſchon viele Blüten öffneten, dann weniger
zahlreiche bis 9 Uhr, wieder mehr von 9—10 und wieder weniger von 10—12 ,
worauf zwiſchen 2½ und 3 ½ wieder eine größere Zahl von Blüten aufblühte,
während dann nur noch einzelne wenige folgten und ſolches vereinzelte Aufblühen
bis 7 Uhr abends ſtattfand. Auch Roggen beginnt zeitig am Morgen zwiſchen
5 und 6 Uhr mit dem Blühen, er ſetzt es aber mit annähernd gleicher Stärke bis 9,
10 oder 11 Uhr fort und zeigt nicht ſo ausgeſprochene Ordnung in der Blühſtärke,
wenn dieſe auch über Mittag nachläßt und in den Abendſtunden wieder ſtärker wird.
Kein Getreide läßt das Blühen jo gut verfolgen, wie der Roggen, ja bei!
ihm läßt es ſich zuletzt ſogar künſtlich hervorrufen. Eine blühreife Roggenähre,
die abgeriſſen und deren Stiel in den Mund gehalten wird, läßt bald eine Anzahl
Blütchen aufblühen, beſonders leicht am Morgen oder Abend. Auch ein leichter Druck,
der den Seiten ſolcher Ahren entlang ausgeübt wird, bewirkt, wie v. Tſchermak
beobachtet hat, raſches Aufblühen einzelner Blüten durch Reizung der Schwellkörper.
Die zwei Schwellkörper einer Blüte ſitzen zwiſchen Fruchtknoten und unterer Blüten—
ſpelze; ſie ſind es, die bei den Gräſern, deren Blüten ſich öffnen, dieſes Offnen
bewirken. Sie ſchwellen durch Eintritt von Waſſer in ihre Zellen zwiebelig an und
drängen dadurch die untere Blütenſpelze ab, die, weil unten feſtgewachſen, oben ſpreizt
und dann im Winkel abſteht. Tritt das Waſſer aus den Schwellkörperchen nach
erfolgter Befruchtung in den wachſenden Fruchtknoten aus, ſo werden ſie wieder
> a
Die Getreide. 237
ſchlaff, und die Elaſtizität der unteren Spelze läßt dieſe wieder in ihre frühere Lage
zurückkehren, die Blüte ſchließt ſich, was meiſt 25 bis 30 Minuten nach dem Auf—
blühen erfolgt iſt. Nowacki hat zuerſt darauf aufmerkſam gemacht, daß bei aus—
bleibender Beſtäubung Roggenblüten tagelang offen bleiben, und man kann
das bei Nachtrieben oder bei ganz ver—
einzelt ſtehenden Roggenpflanzen gut
beobachten; die Blüten „warten“ auf
die Beſtäubung und ſind ſo durch lange
Zeit dem Eindringen von Pilzſporen,
die auf dem Fruchtknoten auskeimen,
ausgeſetzt.
Die Beſtäubung iſt bei Roggen
immer eine Fremdbeſtäubung, wäh—
rend die geſchloſſen abblühenden Arten 5 ll
von Hauptgetreide ſolche überhaupt nicht,
die übrigen ſelten eintreten laſſen. \ N %%,
Eine blühreife Roggenblüte haelt ,
die drei Staubbeutel bis an das 119 aus jedem Beutel her⸗
aus. Die Beutel ent-
laſſen demnach ihren
Staub gleich zu An⸗
fang unter der Narbe,
weiterhin ſinken die
Beutel noch tiefer, da die Fäden
Ende des Spelzengehäuſes vorgeſchoben,
und beim erſten Beginn des Offnens
der Blüte erſcheinen ihre Beutelenden.
Die Fäden wachſen nun ſehr raſch und
ſchieben die Beutel aus der noch wenig
geöffneten Blüte empor. Iſt ein Beutel
vollſtändig vorgeſchoben und findet er
keine Stütze mehr, ſo fällt er um, er
kippt (Abb. 20). Vom erſten Offnen
bis zum Kippen des erſten Beutels ver—
ſtreichen nur zwei bis drei Minuten.
Mitunter, beſonders an warmen Abenden,
iſt der Beutel ſchon vor dem Kippen
an der Spitze aufgeriſſen, meiſt bildet
ſich aber das Loch, das in jedem der
beiden Pollenſäcke eines Beutels ſichtbar
wird, im Moment des Kippens, und es
ſchießen zwei Strahlen von Blütenſtaub
ihr Wachstum noch einige Zeit
hindurch fortſetzen. An den langen
Fäden pendelt, vom leiſeſten
Windhauch bewegt, jeder Beutel;
das Loch in jedem der zwei Pollen—
ſäcke erweitert ſich zu einem Riß,
und Eintrocknen der Wände bildet
an dem äußeren Ende der Beutel
jederſeits einen Schnabel, in dem
ſich der Pollen noch einige Zeit
hält, bis er endlich auch heraus⸗
geſchüttelt wird. Eigener Pollen
einer Blüte kann wohl durch den Wind auf die Narben derſelben Blüte gelangen,
wirkt daſelbſt aber nicht. Dagegen iſt eine Wirkung in anderen Blüten derſelben
Pflanze, ja derſelben Ahre, ſchon möglich, meiſt wird aber der Blütenſtaub vom:
Wind, der jede Fremdbefruchtung bei Getreide bewerkſtelligt, auf die federigen Narben—
äſte der Blüten anderer Roggenpflanzen vertragen und bewirkt dort Fremdbefruchtung.
Wenn nach kühlen und regneriſchen Tagen zur Zeit der Roggenblüte plötzlich
warmer Sonnenſchein einwirkt, ſo wird das Blühen ſo beſchleunigt, daß man Wolken
von Pollen wie Rauch ſich hinziehen ſehen kann. Immer iſt es der Wind, der bei
238 1. Kapitel.
den Getreidearten den Blütenſtaub überträgt, und es bedarf, wie bei allen Wind—
blütlern, großer Mengen desſelben, um die Befruchtung zu ſichern. So hat man bei
Mais berechnet, daß die Riſpe einer Pflanze etwa 30000 000 Pollenkörner erzeugt,
jo daß auf eine Samenknoſpe etwa 60000 entfallen, von welchen eines, wenn es die
Narbe erreicht, zur Bildung der Frucht genügt.
Der Pollen von Roggen, Mais und von Ambrosia artemisiifolia ſowie einigen
anderen Gewächſen kann beim Menſchen jene krankhafte Erregung der Schleimhäute
der Naſe hervorrufen, die unter dem Namen Heuſchnupfen oder Heufieber bekannt
iſt. Man hat berechnet, daß 1g Roggenpollen genügend giftige Stoffe enthält, um
bei über 4 Millionen Menſchen den Heuſchnupfen zu bewirken, gegen den man im
Pollantin ein Gegenmittel gefunden hat.
Nach erfolgter Befruchtung entwickelt ſich bei allen Getreidearten die Eizelle
zum Embryo, der ſeitlich am Korn ſitzt; das Endoſperm bildet ſich aus und lagert
Reſerveſtoffe ein, und die Samenknoſpenhaut verwächſt mit der Fruchtknotenwand,
ſo daß das reife Getreidekorn zur einſamigen Schließfrucht, zur Caryopſe, wird
und kein Same iſt. Das Endoſperm beſteht ſeiner Hauptmaſſe nach aus Zellen, die
mit reichlichen Mengen von Stärkekörnern und weit weniger reichlich mit Protoplasma
erfüllt ſind; außen, an die Samenſchale anſchließend, befindet ſich die ſogenannte Kleber—
ſchichte, die gleich dem Keimling reich an ſtickſtoffhaltigen Verbindungen iſt. Die
Füllung des Endoſperms, das ein Speichergewebe darſtellt, erfolgt während der Reife
nach und nach. Zuerſt iſt das Korn weich und läßt in dieſem Milchreife genannten
Stadium beim Drücken eine Flüſſigkeit austreten, die durch die mitgeführten Stärke—
körner dicklich und weiß iſt. Dann wird es härter, es läßt ſich, wenn man ſeine
Mitte auf eine ſcharfe Kante ſetzt und ſeine Enden herunterbiegt, leicht brechen;
weiterhin bewirkt fortſchreitende Austrocknung, daß das Korn immer härter wird.
In jenem Stadium, in dem das Korn über dem Nagel bricht, iſt die Roggenpflanze noch
gelbgrün (Forgwer), die Pflanzen der übrigen Hauptgetreide ſind dann ſchon gelb; bei
Roggen iſt in dieſem Zeitpunkt die Einwanderung der Stoffe in das Korn bald,
bei den übrigen Hauptgetreidearten ganz vollendet (Gelbreife). Die Art der Einlagerung
der Reſerveſtoffe bewirkt auch jene verſchiedene Beſchaffenheit der Kornes, die man bei
Weizen, Gerſte, Mais, Reis als glaſig und mehlig bezeichnet. Dichte Lagerung der
Stärkekörner aneinander und an die Protoplasmareſte bedingt Glaſigkeit, das
Korn iſt härter, dunkler gefärbt, läßt Licht durchſcheinen und erſcheint auf dem Schnitt
hornig. Lagern die Stärkekörner locker und ſchließen ſie Lufträume zwiſchen ſich ein,
ſo iſt das Korn weicher, heller gefärbt, lichtdicht und auf dem Schnitt mehlig.
Mit dem Befunde Pierres, daß die Einlagerung der ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen
zuerſt aufhört, könnte es erklärt werden, warum bei langer Vegetation, inbeſonders
langſamem Reifen, die Körner mehliger werden als bei kürzerer Reifungsperiode.
Hall in Rothamſted hat aber für Weizen eine für ſtickſtofffreie und ſtickſtoffhaltige
Stoffe gleichſinnig fortſchreitende Einwanderung nachgewieſen. Sicher iſt, daß bei
Getreidearten, die nicht als ſpezifiſche Eigentümlichkeit immer glaſige Körner ausbilden,
wie dies Hartweizen und Zuckermais tun, die Vegetationsverhältniſſe die Ausbildung
von Glaſigkeit und Mehligkeit ſehr erheblich beeinfluſſen. Eine ſolche Beeinfluſſung
kann ſchon in einer Gegend bei Verſchiedenheit von Düngung, Bearbeitung, Waſſer— 8
Die Getreide.
239
gehalt des Bodens in Erſcheinung treten; fie zeigt ſich in großen Zügen, wenn aus—
gedehnte Gebiete in Betracht gezogen werden.
gewöhnlichen Nacktweizen ge—
ſammelt; ſie zeigen, wie vom
Nordweſten Europas zum
Südoſten fortſchreitend die
Körner glaſiger werden. Im
Nordweſten herrſcht der Ein—
fluß des Meeres, ozeaniſches
ausgeglichenes Klima mit
mehr Feuchtigkeit, im Süd—
oſten kontinentales Klima
mit Extremen der Temperatur
und geringer Feuchtigkeit.
Wie beiſpielsweiſe auch in
der Umgebung der großen
Seen in Nordamerika, ſo
wird auch im Nordweſten
von Europa der Nackt⸗
Weizen langlebiger, beſtockter,
großkörniger und ſein Korn
mehliger.
Das Speichergewebe
tritt im Leben der Pflanze
bei der Keimung in Tätigkeit,
ihm wird die Nahrung des
Keimlings entnommen, der
ſich ſolche erſt ſelbſt verſchaffen
kann, wenn das erſte Blatt
dem Lichte ausgeſetzt iſt und
die Keimwurzeln in den
Boden gedrungen find. Keim—
linge ohne Speichergewebe
entwickeln ſich äußerſt dürftig,
dagegen gelingt es, künſtlich
eine gute Entwicklung durch
Erſatz des eigenen Endo—
ſperms eines Kornes
durch dasjenige eines
anderen zu erzielen. Das
Speichergewebe iſt bei Weizen
Square head (Zuchtgarten
Hohenheim).
(Zeichnung von H. Hahn.)
So hat Schindler Daten über den
und Roggen aber auch jener
Beſtandteil der Getreidefrucht,
der meiſt, von der Kleber—
ſchichte abgeſehen, ihr den
Wert als Brotfrucht und
auch bei den übrigen Ge—
treiden den Nutzungswert
verleiht. Die feinen Mehle
werden nach Entfernung
von Keimling, Schale und
Kleberſchichte bereitet, die
zuſammen als Kleie wert—
volles, ſtickſtoffreiches Vieh—
futter liefern. Nur Schrot-
brot, Pumpernickel, Grahamz,
Simonsbrot werden aus allen
Beſtandteilen des Kornes
erzeugt, ſind daher reicher
an Stickſtoffverbindungen und
Mineralſtoffen, aber auch
ſchwerer verdaulich.
Die wildwachſenden,
unſeren Hauptgetreidearten
naheſtehenden Getreide laſſen,
reif geworden, die Ahre in
Stücke zerfallen, bei
Wildhafer die Ahrchenachſe
in einzelne Stücke zerbrechen.
Die Ahrenſtücke ſind ſo für
die Weiterbeförderung durch
den Wind geeigneter als die
einzelnen Früchte. Dix hat
ermittelt, daß dieſes Aus-
einanderfallen der Uhren
durch Austrocknung be-
wirkt wird, durch die in
Trennungsſchichten, die ſchon
zur Zeit der Blüte gebildet
werden, eine Spaltung von
Zellen erfolgt, während das Auseinanderfallen der Haferährchen unabhängig
von Austrocknung vor ſich geht.
Von den kultivierten Getreidearten
beſitzen nur die Spelzweizen zerbrechliche Spindeln, und bei einem Über—
240
1. Kapitel.
ſehen des richtigen Erntezeitpunktes, bei heftigen Winden aber auch ſonſt, zeigen große
Verluſte an Ahren und Ahrenſtücken, wie ſtörend dieſe Eigenſchaft in wirtſchaftlicher
Beziehung iſt.
Bei den übrigen gebauten Getreidearten, Mais ausgenommen, kann
ein Ausfallen der Früchte, ihr Herausfallen aus den umhüllenden
Blütenſpelzen eintreten, das natürlich nicht abgewartet wird und bei
einzelnen Formen leichter als bei andern eintritt.
Zahlreiche Unterſuchungen von Fruchtſtänden der Getreide—
arten, die ich nach einzelnen vorangegangenen Unterſuchungen vor-
nahm, haben gezeigt, daß die verbreitete Erſcheinung der Periodi—
zität ſich auch bei den Fruchtſtänden der Getreidearten findet. In
Ahren blühen Blüten unter der Mitte zuerſt auf, in Riſpen ſolche an
der Spitze der Aſte, und an dieſen Stellen ſitzen im reifen Frucht⸗
ſtand auch zumeiſt die ſchwerſten Körner. In Ahren nimmt das
Gewicht der Körner von unten her raſch zu und nach oben zu
langſam ab, in Riſpen zeigen die an einem Aſt tiefer ſtehenden
Körner von oben nach unten zu die Neigung, leichter zu werden.
Neuere Unterſuchungen bei
Hafer haben für dieſen die
Regelmäßigkeit beſtätigt,
Abb a die immer vorhandenen
(Zeichnung von Ausnahmen mehr hervor:
R. Oeffinger.)
gehoben.
Das ausgefallene Korn kann gleich
keimen, ja wir ſehen bei Getreide, das ge—
ſchnitten und in Garbenhaufen auf dem
Felde aufgeſtellt worden iſt, Keimung oft
daſelbſt, noch in den Fruchtſtänden, ein—
treten. Derartiges Keimen, Auswachſen
genannt, iſt eine wirtſchaftlich ſehr un-
erwünſchte Erſcheinung, die bei anhaltenden
Niederſchlägen eintritt, welche die Frucht—
ſtände oft Wochen hindurch feucht erhalten.
Die Samenruhe iſt demnach bei Ge—
treide nicht ſo ausgeprägt, wie bei
manchen anderen Pflanzen. Daß aber auch
die Getreidearten dazu geneigt ſind, eine
ſolche zu halten, haben vergleichende Keim—
verſuche gezeigt, die mit friſch geernteten
und gelagerten Getreidekörnern eines Feldes
vorgenommen wurden. Je näher zur
Erntezeit die Keimung erfolgen ſoll, deſto
Abb. 23.
Schwellender Weizen, Triticum turgidum
geringer iſt die Zahl der gekeimten Körner.
Schnittreife entſpricht nicht auch der Keimreife, wie Kießling den Eintritt der
vollen Keimfähigkeit nennt. Die Samenruhe kann durch Reize verſchiedener Art,
welche die Atmungsſtärke erhöhen, abgekürzt werden, durch Einſchnitte, durch Wärme,
Die Getreide. 241
Athereinwirkung, verſtärkte Lüftung. So wie ganz junger Same ſchlechter keimt, fo
auch alter, ja die Keimfähigkeit kann mit zunehmendem Alter auch ganz ſchwinden.
Wie lange ſie erhalten bleibt, hängt von den Verhältniſſen ab, unter denen die
Aufbewahrung erfolgt, zum Teil auch von der Gattung des Getreides. Bei feuch⸗ A
terer Aufbewahrung leiden alle Getreidefrüchte mehr von den Schwankungen der BOTA!
Temperatur; trocken und bei gleichmäßiger Wärme aufbewahrt, erhalten auch war;
Abb. 24. Weizen.
a) Triticum durum, Hartweizen aus Afrika b) Triticum polonicum, dichtähriger polniſcher
(Sommerform). Weizen (Sommerform).
Getreideſamen ihre Keimfähigkeit viele Jahre hindurch, wenn auch keineswegs ſo
lange, wie die Erzählung von dem gekeimten Mumienweizen glauben laſſen möchte.
Bei gewöhnlicher Aufbewahrung iſt die Keimfähigkeit ſchon nach 2 Jahren bei Roggen,
nach 3—4 Jahren bei den übrigen Getreidearten eine erheblich, oft bis unter die
Hälfte geringere, als bei ein Jahr alten Früchten.
Weizen, Roggen, Gerſte, Hafer, Mais und Reis ſind nur Bezeichnungen für
Gattungen. Die Mehrzahl von ihnen enthält je eine Anzahl von Arten, die wieder
eine Reihe von ſolchen Formenkreiſen umſchließt, die der Landwirt Sorten, ſeltener
Raſſen nennt, ohne damit einen beſtimmten Begriff der Syſtematik zu verbinden.
Weizen (Abb. 21). Mitteleuropa baut von Weizen weit überwiegend nur
Nacktweizen. Von ſolchem trifft man wieder hauptſächlich Sorten des gemeinen
Weizens, der Art Triticum vulgare (Abb. 21, 22) daneben einige wenige Sorten des
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 16
242 1. Kapitel.
ſchwellenden oder ſtrotzenden Weizens (Triticum turgidum) (Abb. 23), Hartweizen
(Abb. 24a) hat in Südeuropa, polniſcher Weizen (Abb. 24b) in Oſteuropa Ver—
breitungsgebiete. Der Anbau des Nacktweizens nimmt von Norden nach Süden immer
mehr an Stärke zu und iſt auch im Weſten und Oſten Mitteleuropas ſtärker als
in den mittleren Teilen; er findet ſeine ſtark gewellte Polargrenze zwiſchen 64“
nördlicher Breite im Weſten und
60 nördlicher Breite im Oſten.
In einem ziemlich ſcharf um—
ſchriebenen Gebiete Mitteleuropas,
dann noch in einem Teil Belgiens
und Spaniens, wird echter Spelz—
weizen, Dinkel (Triticum Spelta,
Abb. 25), gebaut, der die Eigen—
tümlichkeit beſitzt, daß die Körner
beim Druſch nicht aus den Spelzen
treten, nicht „nackt“ werden, ſondern
die Ahre beim Druſch in einzelne
Stücke, Veeſen zerfällt, deren jedes
aus einem Stück Spindel und einem
Ahrchen beſteht. Die Frage, warum
Spelz gerade in dieſem Gebiet, in
Württemberg, Baden, der Nordoſt—
ecke der Schweiz, Vorarlberg und
einem Teil von Weſtbayern, gebaut
wird, liegt nahe. Standortsverhält—
niſſe, die ſich für den gemeinen
Weizen eignen, trifft man auch in
dieſem Gebiet an, und er wird
daſelbſt auch neben Dinkel gebaut.
Dagegen findet man Spelz in andern
Gegenden Mitteleuropas — ein
kleines Stück Belgiens und Spaniens
ausgenommen — nicht, obgleich
vielfach geeignete äußere Verhältniſſe
vorhanden ſind. Nach Gradmann
Abb. 25. Triticum Spelta, Spelzweizen. iſt der Bau des Spelzweizens in
dem erſtgenannten Gebiet ein Arte—
fakt aus der Zeit der Wanderungen der Alemannen. Zweikorn und das wenig
gebaute Einkorn, Arten, die oft, ſo auch von Engelbrecht, mit dieſem eigentlichen
Spelz, dem Dinkel des Schwaben, zuſammengeworfen werden, haben kein zuſammen—
hängendes Verbreitungsgebiet. Man trifft ſie in Belgien, im Dinkelgebiet Süddeutſch—
lands, in Spanien, auf der Balkanhalbinſel, in einzelnen Gegenden Ungarns und
in einem größeren für ſich zuſammenhängenden Strich im Oſten Rußlands.
Es wird uns in erſter Linie darum zu tun ſein, die bei uns verbreitetſten
Die Getreide. 243
Gattungen und Arten von Getreide voneinander unterſcheiden zu können. Wie ſich
die Gattungen der Hauptgetreidearten durch das Blatthäutchen unterſcheiden laſſen,
iſt bereits angedeutet; es ſei jetzt bei jeder der Arten Blüten- und Fruchtſtand ins
Auge gefaßt, deſſen allgemeinen Aufbau wir auch ſchon kennen. Gemeiner und
ſchwellender Weizen unterſcheiden ſich von den übrigen in Mitteleuropa gebauten Ge—
e,, Fu 2 es =
ES,
GET
Abb. 26.
a) Triticum dicoccum b) Triticum monococcum ce) Triticum dieoceum
(roter ſamtiger Emmer). (Einkorn). (weißer Sommer-Emmer).
treidearten im Blütenſtandteil dadurch, daß das einzelne Ahrchen, das von derben
Ahrchenſpelzen eingehüllt iſt, 3—7 Blüten aufweiſt, von denen nur ein Teil frucht—
bar iſt. Spelz, Ein⸗ und Zweikorn unterſcheiden ſich von allen übrigen Weizenarten
durch beſpelzte Früchte. Beim Druſch dieſer drei Arten bleiben, ſo wie dies beim
Spelz erwähnt worden iſt, die Körner in den Blütenſpelzen.
Eine kurze, ſyſtematiſche Überficht der Weizenarten führt dieſe mit ihren wichtigſten
übrigen Unterſcheidungsmerkmalen an:
244 1. Kapitel.
Triticum vulgare Vill., gemeiner W.; Korn nackt, Halm hohl, Ahrchenſpelze nur
an der Spitze gekielt, Ahre dicht, mittellang bis kurz.
Triticum compactum Host. (Abb. 26d), Binkel- und Igel-W.; Korn nackt,
Halm hohl, Ahrchenſpelze nur an der Spitze gekielt, Ahre ſehr dicht, ſehr kurz.
Triticum turgidum L., ſchwellender W.; Korn nackt, Halm an der Spitze mit
Mark, Ahrchenſpelze durchaus gekielt, Ahre lang und breit, Blätter ſamtig
behaart.
Triticum durum Desf., harter W.; Korn nackt, Halm an der Spitze mit Mark,
Ahrchenſpelze durchaus gekielt, Ahre immer begrannt, kurz, Korn glaſig.
Triticum spelta L., Spelz, Dinkel; Korn beſpelzt, Ähre locker, vierkantig, mittellang.
Triticum dicoccum Schrk. (Abb. 26a und c), Zweikorn, Emmer; Korn beſpelzt,
breite Ahre, breite Blätter, Ahrchen zweikörnig, zweigrannig, kurz.
Triticum polonicum L., polniſcher W., Gomer; Korn nackt, Halm an der Spitze
mit Mark, dünne, lange Ahrchenſpelzen, ſehr lange, ſchlaffe Ähre.
Triticum monococcum L. (Abb. 26 b), Einkorn; Korn beſpelzt, Ahre flach, kurz,
Ahrchen mit einem Korn und einer Granne.
wird von jenen, die
mit Recht mehrere
Stammformen
des Weizens vor—
ausſetzen, Triticum
aegilopoides als
Ausgangsform an—
genommen, deſſen
Heimat nach Klein—
aſien und in den
Nordoſten der
Balkanhalbinſel ver—
legt wird. Die
Stammform, die
Wenn auch alle
Forſcher die Heimat
des Weizens in
Aſien ſuchen, ſo
ſind ſie ſich doch
nicht darüber einig,
ob eine gemeinſchaft⸗
liche Ausgangsform
für alle heutigen
Weizenarten anzu—
nehmen iſt und wo
in Aſien, ob im
Weſten (de Can—
dolle, Körnicke) oder
im Zentrum des Ge— für das Zweikorn,
bietes (Graf Solms) Abb. 26. d) Triticum compactum (weißähriger ſamtiger VON Stapf auch
ſie zu ſuchen ſei. Binkelweizen). für Hartweizen, an—
Für das Einkorn genommen wird, iſt
Triticum dicoccoides, eine Form, die ſchon von Kotſchy in Paläſtina aufgefunden
worden iſt, neuerdings von Aaronſon. Die übrigen Weizenformen werden meiſt
alle auf Zweikorn und Dinkel zurückgeführt. Stapf nimmt für ſie aber zwei
weitere Ausgangsformen an, eine nicht bekannte für den gemeinen und Igel-Weizen,
und das in Bulgarien, Rumänien, Südrußland heimiſche Triticum eylindricum
für den Dinkel. Beſonders die neueren Funde von Triticum dicoccoides am Hermon
und die ſpäteren Funde vom öſtlichen Jordantal bis nach Dſcheraſch und von
dort nach Jabbok haben Aufſehen erregt. Am Hermon fand ſich die Art an den dürrſten
Die Getreide, 245
Stellen mit dünnſter Erddecke in Gemeinschaft mit Hordeum spontaneum, Triticum
aegilopoides und mit Secale montanum, das aus dem Orient bisher nicht nach-
gewieſen worden war. Vorderaſien, das de Candolle, Körnicke, Schweinfurth als
Ausgangsſtätte unſerer Hauptgetreidearten gilt, wird durch dieſe Funde immer mehr
als ſolche erwieſen. Aber auch für die Annahme, daß wilde Pflanzen, als ſie in
Kultur genommen wurden, ſchon vielförmig ſein konnten, haben die neuen Funde
vom Zweikorn einen Beweis geliefert. Friedrich Körnicke erhielt in Poppelsdorf bei
Anbau von am Hermon gefundenen Körnern von Triticum dicoccoides mehrere Formen,
deren einige im Berliner Bot. Muſeum vorgeführt werden.
Weizen wurde im alten Agypten gebaut, die homeriſche Zeit kennt bereits
ausgedehnten Weizenbau, ja in der Ilias und Odyſſee werden ſelbſt Gegenden er-
wähnt, die dadurch hervorragen. Bei den Römern war nach Verrius in den erſten
drei Jahrhunderten Spelzweizen, den Plinius übrigens auch als im alten Agypten
gebaut angibt, das herrſchende Getreide, und Nacktweizen wird von ihnen erſt in der
Kaiſerzeit immer mehr und mehr gebaut. In Aſien, ſeiner Heimat, iſt Weizen,
Sumana der Indier, ſeit uralten Zeiten gebaut, und unter den fünf heiligen Pflanzen,
deren Ehrung nach Plath Kaiſer Chen-nung in China 2800 v. Chr. anordnete, be—
fand ſich auch Weizen. Die Einzelgeſchichte der Weizenformen, mit der ſich viele
Forſcher beſchäftigt haben, hat in letzter Zeit in Gradmann einen berufenen Dar—
ſteller gefunden. Einkorn tritt erſt bei den Griechen auf, die Römer kannten es,
wie aus Funden zu Aquileja hervorgeht, bauten es auch, aber ein Übergang der Frucht
von ihnen zu den Germanen iſt nicht anzunehmen, da ältere mitteleuropäiſche Funde
aus der Steinzeit vorliegen. Die Funde, die Maſpero und Schweinfurth machten,
haben den verbreiteten Bau des Zweikorns im alten Agypten nachgewieſen; es iſt
das olyra und zea, von dem Herodot ſpricht, das küssemet des Alten Teſtaments.
So wie das Zweikorn bei den Agyptern verbreitet war, fo auch bei den Griechen.
Mehr Nachrichten ſind uns über Verbreitung des Zweikorns, far oder ador genannt,
bei den Römern zugekommen; die römiſchen Funde von Aquileja enthalten auch Körner
dieſer Pflanze. So wie bei Einkorn ſind in Mitteleuropa auch bei Zweikorn Funde
aus der Steinzeit gemacht worden, die die frühere Annahme einer Wanderung der
Pflanze aus dem Römerreich zu den Germanen widerlegen. Aber auch für Dinkel
und den Nacktweizen wird der verbreiteten Anſicht, daß dieſe Pflanzen den Ger—
manen erſt nach ihrer Berührung mit den Römern bekannt geworden ſind, durch die
neuere Forſchung widerſprochen. Kelten und Germanen bauten ſchon vor ihrer Be—
rührung mit den Römern Spelz; Spelzfunde reichen in Mitteleuropa bis in die
Bronzezeit, ja die Bezeichnung spelts ſelbſt iſt germaniſchen Urſprungs, und Grad—
mann ſchließt ſelbſt, daß den Römern Frucht und Name in ſpäterer Zeit von den
Germanen überliefert wurde. Bei Nacktweizen ſind die Zeugen älteſter Kultur in
Agypten nicht zu bezweifeln. Unger wies Weizenkörner in Ziegeln der über 5 Jahr—
tauſende alten Pyramide von Dahſchur bei Sakkara nach, Griechen und Römer bauten
Weizen, und es lag die bis in die letzten Jahre herrſchende Anſicht über die Wan—
derung von der Apenninenhalbinſel in das Innere Europas nahe. Ihr ſtehen die
zahlreichen Steinzeitfunde aus Mitteleuropa entgegen, und Hoops hat nachgewieſen,
daß die Bezeichnung Weizen ſich weit zurück verfolgen läßt, im gotiſchen hwaiteis,
246 1. Kapitel.
im altengliſchen hwaete, im altnordiſchen hveite, im althochdeutſchen weizzi. - Dem
ſteht nicht entgegen, daß, wie Gerſte, auch Weizen in der Zeit, in der die Germanen
in die Geſchichte eintreten, im eigentlichen Germanien ſehr wenig angebaut wurde.
Der Sortenreichtum der einzelnen Arten des Weizens iſt ſehr erheblich.
Vom gemeinen Weizen ſind eine große Zahl von ſogenannten Landweizen, wie
Frankenſteiner, Koſtroma, Probſteier, Wetterauer Fuchs, böhmiſcher Wechſel,
Banater in Deutſchland und Oſterreich, wie Rieti, Cologna,
Fucenſe, Richelle in Frankreich und Italien, alle als Winter—
weizen, dann Chiddam, Bordeaux, Saumur, Noe, galiziſcher
Kolben in Deutſchland als Sommerweizen verbreitet. Einige
der Züchtungen haben auch feſten Fuß gefaßt, ſo ins—
beſondere die zahlreichen Züchtungen, die den aus Schottland
nach Dänemark und Deutſchland gebrachten Dickkopfweizen
oder Square head zur Grundlage haben, dann die Baſtard—
weizen, die Vilmorin in Verrieres, Cimbal in Frömsdorf
erzielte; von Sommerweizen Svalöfs Perlweizen und andere.
Von Sorten des ſchwellenden Weizens ſind in England
mehrere verbreitet, in Frankreich und im Weſten Deutſch—
lands nur Rivetts Bart, das blé poulard velue d'Australie
der Franzoſen. — Mit der Verwendung des Weizen—
kornes zur Mehlbereitung iſt die Verwendung des Nackt—
weizens nicht erſchöpft; ſein Korn dient auch zur Gewinnung
von Stärke, wird in der Brennerei, bei uns ſelten, in
Nordamerika häufig, in der Brauerei verwendet; das Stroh
wird mehr zu Einſtreu, die Spreu als Futter benützt.
Die Körner von Hartweizen, zum Teil auch von polniſchem
Weizen, dienen zur Bereitung von Teigwaren, unter denen
die Makkaroni die bekannteſten ſind. Bei dem Spelzweizen
müſſen die Ahrenteile vor der eigentlichen Vermahlung von
5 den Ahrchenſpelzen befreit werden. Ein- und Zweikorn
Abb. 27. Secale cereale, werden auch als Viehfutter verwendet. Eine beſondere
(geichnung von Ce Hahn.) Nutzung des Spelzes oder Dinkels iſt die Bereitung von
Grünkern. Die Halme werden abgeſchnitten, wenn die Körner
milchreif geworden find, dann die Ahren mit kammartigen eiſernen Geräten entfernt,
gedörrt und hierauf gedroſchen.
Roggen (Abb. 27) galt bis in die letzten Jahrzehnte als eine formenarme
Fruchtgattung, es iſt der Züchtung aber jetzt gelungen, deutlich voneinander unter—
ſcheidbare, rein vererbende Formen auszuprägen. Der ſehr lange, elaſtiſche, dünne
Halm unterſcheidet ausgeſchoßten Roggen leicht von den anderen Hauptgetreidearten,
weiter dann der Bau des Ährchens, das ſpießförmige ſchmale Ahrchenſpelzen beſitzt,
drei-, ſelten mehrblütig iſt, aber meiſt nur in den zwei ſeitlichen Blütchen den Frucht—
knoten zur Frucht entwickelt. In der reifen Ahre ſtehen die Körner daher in vier
Längsreihen, jo daß die Ahre gewöhnlich vierkantig erſcheint und annähernd gleich
dick von der Baſis bis zur Spitze iſt. Dieſes Bild wird ein anderes, wenn die dritte
Die Getreide, 247
Blüte des Ährchens zur Entwicklung kommt, oder, wie bei dem Heinrichroggen, der
Beſatz der Ahre mit Ahrchen im untern Teil dichter als oben iſt.
Mehr als bei Weizen findet bei Roggen neben der Mehlbereitung auch
Verfütterung der Körner und ihre Verwendung in der Brennerei jtatt; das Stroh
wird als Futter wenig geſchätzt, eher die Spreu, dagegen wird es wegen ſeiner Länge
gerne zu Strohbändern, Matten und Dachbelag verwendet.
Plinius iſt der erſte, der des Roggens als secale oder asia gedenkt, aber
er erwähnt nur einen Anbau im nördlichen Alpengürtel und nennt ihn ein elendes
Nahrungsmittel. gen aus der Bronze—
Selbſt dieſe Stelle 8 e zeit vor, aber fait
aber wird ange— nur aus nicht—
zweifelt und von germaniſchem Ge—
Kerner auf Buch— biet. Die Sprach—
weizen bezogen. forſchung leitet
Stützt man ſich Hoops zu der An—
nur auf geſchicht— nahme, daß die
liche Daten, jo Germanen den
muß man anneh— Roggen jedenfalls
men, daß die Ger— erſt nach 400 vor
manen den Roggen Chr. kennen lern—
zur Zeit ihres Ein— ten. Von Zentral⸗
tritts in die Ge— aſien ſcheint ſich
ſchichte wohl nicht die Kultur des
kannten und ihn Roggens zuerſt
erſt nach Berüh⸗ über Südrußland
rung mit ſlawi— nach Mitteleuropa
ſchen Stämmen | verbreitetzu haben.
aus dem Diten Von den Ge—
erhielten. Urzeit— birgen Südſpa—
liche Funde aus Abb. 28. ordeum hexastichum, turze 6zeilige Gerſte. niens, Siziliens,
Mitteleuropa lie— Dalmatiens über
Griechenland bis nach Zentralaſien hinein trifft man wilde Roggenformen mit
zerbrechlicher Spindel und auseinanderſtrebenden Achſen: Secale montanum Guss.,
S. anatolicum Boiss., S. dalmaticum Vel., S. fragile M. B., unter denen man die
Stammform unſeres Kulturroggens ſuchen kann. Schindler hat Verſuche zur
Überführung der Wildform Secale montanum in Kulturroggen begonnen.
Im heutigen Europa iſt, von England mit ſeinem ſchwachen Roggenbau ab—
geſehen, der mittlere und nördliche Teil Rußlands, das nördliche Deutſchland und
Holland das Gebiet mit dichteſtem Roggenbau, nach Norden zu überwiegt die
Gerſte, nach Süden zu der Weizen, während der Hafer eher den Begleiter des Roggens
vbgibt. Von Intereſſe iſt es, die ganz unregelmäßig verlaufende Grenzlinie kennen
zu lernen, die das Gebiet des überwiegenden Weizenbaues von jenem des vor—
herrſchenden Roggenbaues trennt. Engelbrecht kennzeichnet ſie eingehend: Am
248 1. Kapitel.
Zuider See beginnend, folgt ſie der Grenze zwiſchen den fetten Marſch- und den
dürftigen Geeſt- (Moor- und Sand-)böden, dann biegt die Grenze ſcharf nach Oſten
ab, läuft längs der Südgrenze von Oſt⸗Flandern, Antwerpen und Limburg, ferner
längs der Nordgrenze von Elſaß⸗Lothringen herab, iſt deutlich erſt ſüdlich der Alpen
wieder zu verfolgen, woſelbſt ſie, vom Bezirk Sondrio ab, am Südfuß der Alpen
weiterläuft. Sie tritt dann in das Hügelland von Steiermark ein, wendet ſich
nach einem ſüd— vor, heute herrſcht
öſtlichen Bogen an die Züchtung von
die Grenze zwi— Lochow, der Pet—
ſchen Oſterreich kuſerroggen, in
und Ungarn und Deutſchland, hat
läuft mit dieſer bis ſich aber auch in
Mähren. Weiter⸗ anderen Teilen
hin macht ſie eine Mitteleuropas
Ausbiegung nach vielfach ſehr gut
Süden, die in der bewährt. Durch
Richtung der Bu- die auffallende
kowina geht, und Form ſeiner Ahre,
läuft dann öſtlich unten ſehr breit,
und weiterhin ſteil nach oben zu—
nordöſtlich bis den laufend, iſt der
57.0 nördl. Breite Heinrichroggen
hinauf. gekennzeichnet.
Einzelne Land— Züchtungen auf
grüne und gelbe
Kornfarbe brachte
Sperling-Buh-
lendorf und v.
Rümker⸗Breslau
auf den Markt. Alle
verbreiteten Rog—
roggen, wie Zee—
länder, Champag—
ner, Probſteier,
Pirnaer, Hanna,
haben ſich weite
Gebiete erobert.
Unter den Zücht—
ungsroggen ragte 2 genformen find
1 Abb. 29. Hordeum tetrastichum, gem. 4zeilige 8
früher der Schlan⸗ Wintergerſte. Winterformen,
ſtedterroggen her— Sommerroggen
wird als ſehr von der Witterung abhängige Frucht weniger gebaut. v. Lochow
hat aus ſeinem geſchätzten Winterroggen auch eine Sommerform gezüchtet. Im
Bergland Mitteleuropas, dann in Oſtpreußen, Nord- und Weſtrußland hat der für
dürftige Verhältniſſe und rauhe Lagen paſſende Johannisroggen, der ſich durch
beſonders ſtarke Beſtockung auszeichnet, Anwert gefunden. Bei früher Saat wird
er oft im Herbſt zu Futter, im folgenden Sommer als Körnerfrucht genützt.
Gerſte. Von den vielzeiligen Gerſten wird die vierzeilige als Winter,
weniger als Sommerform in Mitteleuropa etwas verbreitet gebaut. Ihr Haupt:
verbreitungsgebiet iſt der Norden Europas und — mit der ſechszeiligen gemein⸗
ſam — Südeuropa. Die in Mitteleuropa herrſchende Form der Gerſte iſt die
Die Getreide. 249
zweizeilige. Die Grenze der nördlichen Verbreitung iſt bei Gerſte weit hinauf—
gerückt, und ebenſo findet man Gerſte noch ſehr hoch im Gebirge. Die weiteſt
vorgeſchobenen Stätten landwirtſchaftlicher Kultur weiſen auch noch Gerſte auf, und
zwar die durch beſondere Kurzlebigkeit ausgezeichnete vielzeilige Gerſte. Wie im
hohen Norden die Gerſte den Hafer wegen ihrer
kürzeren Vegetationszeit überholt, ſo iſt ihr dieſe
auch im Süden von Vorteil, wo die Vegetations-
zeit durch die Sommerdürre eingeengt wird.
Wollen wir die Gerſtenähre von den Ahren
der übrigen Getreidegattungen unterſcheiden, ſo
gelingt dies am leichteſten bei der ſechszeiligen Gerſte.
Bei allen Gerſten ſtehen an jedem Abſatz der
Spindel, zum Unterſchied von den übrigen Ge—
treidearten, drei einblütige Ahrchen, deren Ahrchen—
ſpelzen ganz kleine, ſchmale, lanzettliche Blättchen
ſind. Bei der ſechszeiligen Gerſte (Abb. 28) iſt
der Fruchtknoten des Blütchens eines jeden dieſer
Ahrchen befruchtungsfähig, und die reife Ahre zeigt
daher die Körner in ſechs Längszeilen. Bei der
vierzeiligen Gerſte (Abb. 29) ſind zwar auch
ſechs Reihen Körner vorhanden, aber die beiden
ſeitlichen auf jeder Seite der Ahre vereinen ſich zu
einer unregelmäßigen Reihe, ſo daß vier Längszeilen
von Körnern in Erſcheinung treten. Betrachtet man
endlich die Ahre einer zweizeiligen Gerſte
(Abb. 30), ſo ſieht man nur zwei Längszeilen
Körner. Links und rechts von jeder dieſer beiden
Längszeilen fruchtbarer Ahrchen läuft eine Zeile
von hakenförmig gekrümmten ſchmalen Gebilden,
deren jedes ſich bei genauer Betrachtung in vier
Hochblätter zerlegen läßt, in 2 Ahrchen- und 2 Blüten- 5. , ee
ſpelzen; es ſind die Zeilen der unfruchtbaren ſeit— Zzeilige Gerſte.
lichen Blüten, die nur Staubblätter, oft ſelbſt dieſe
nicht enthalten. So wie bei den Spelzweizen und bei Hafer iſt das Korn auch bei
Gerſte beſpelzt; bei den Spelzweizen ſind die Ahrchenſpelzen mit dem Korn nicht
verwachſen, bei Hafer nur am Grunde, bei Gerſte über den ganzen Verlauf.
Bei vier- und ſechszeiliger Gerſte werden die Körner im Norden auch zur Brot—
bereitung, ſonſt als Viehfutter, in der Brennerei, in Amerika auch in der
Brauerei verwendet. Die Körner der zweizeiligen Gerſte ſind in Europa das ge—
ſchätzteſte Rohmaterial der Brauerei. Daneben werden ſie in beſchränktem Umfang
zur Graupenbereitung herangezogen, geſchält und gerollt als Suppeneinlage
benützt und — beſonders in den nackten Formen — in geröſtetem Zuſtand als Kaffee—
ſurrogat. Das Verzehren geröſteter Gerſtenkörner, das ſich im Altertum neben der
Verwendung der Körner zu Brot fand, trifft man heute nicht mehr an. Alle Gerſten
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250
1. Kapitel.
liefern ein zur Fütterung geeignetes Stroh, das bei den Sommerformen mehr ge—
ſchätzt wird.
Die in Südweſtaſien, nach neuen Funden aber auch in Nordafrika wild—
wachſende Gerſte mit zerbrechlicher Spindel (Hordeum pontsdeee Koch) ſehen
Hoch und Körnicke als Stammform unſerer
Gerſten an. Gewiß iſt, daß Gerſte wie Weizen
ſehr alte Kulturpflanzen ſind, deren erſte Kulti—
vierung ſich, eben wegen ihres hohen Alters,
der Forſchung entzieht. Die Agypter bauten ſie
nicht nur, ſie bereiteten aus ihr auch ein ge—
gorenes Getränk, den Zythos, der mit unſerem
Bier aber nicht auf eine Stufe zu ſtellen iſt.
Abb. 32. Gerſte (Grüße Gold=
thorpe). Schoßen.
(Zeichnung von H. Hahn.)
Hrozny, der feſt—
geſtellt hat, daß die
Sumerer und Akka—
der Babyloniens
von Getreidearten
Gerſte, Emmer,
Weizen und Hirſe
bauten und die Kör— g
. A. Be (Eeibe Grruanea)
genannten Pflanzen
zur Bierbereitung benutzten, macht auch Mitteilung über die
bei ihnen ſchon 2800 v. Chr. übliche Art der Bereitung
dieſes Getränkes, die jener im alten Agypten gleich iſt. Aus
geſchrotetem oder gemahlenem Malz wurden leicht gebackene
Brote bereitet, zerſtückelt und mit Waſſer begoſſen zur Gärung
ſtehen gelaſſen. Gerſtengraupen nimmt Telemachos als Pro—
viant nach Pylos mit, wie die Odyſſee berichtet, und Pferde
werden mit Gerſte — Hafer kennt man nicht — gefüttert,
ſagt eine Stelle der Ilias. Gerſtenbrot wurde im alten
Rom gegeſſen, ſpäter von Weizenbrot verdrängt, aber über—
haupt wurde Gerſte von den Römern weniger als von den
Agyptern und Griechen als Nahrungsmittel geſchätzt. So
wie Weizen wurde auch Gerſte für Mitteleuropa aus der
Steinzeit nachgewieſen. Hoops in ſeinem Werk: „Wald—
bäume und Kulturpflanzen im germaniſchen Altertum“ nennt
als ſolche Funde ein Bild der Gerſte in der Höhle von
Lorthet, das der Renntierzeit angehört, Gefäßſcherben von
Campigny, die aus der Steinzeit ſtammen und einen Ab—
druck eines Gerſtenkornes erkennen laſſen. Dieſen älteſten
Funden aus dem Weſten reihen ſich andere aus der jüngeren
Stein- und der Bronzezeit und aus dem Gebiet des heutigen Deutſchland an. Wenn
Tacitus den Übergang der Gerſte zu den Germanen in die Zeit um 100 n. Chr.
Die Getreide, 251
verlegt, ſo kann zu dieſer Zeit zwar Gerſte von den Römern zu den Germanen
gebracht worden ſein, aber die Germanen kannten, wie die Funde zeigen, die Pflanze
auch ſchon vorher.
Die vierzeilige Gerſte, die den Norden
Europas als Hauptgetreide beherrſcht, wird
daſelbſt als Sommerfrucht gebaut. In
Mitteleuropa findet man ſie ſelten als Sommer—
frucht, etwas mehr in einzelnen Alpenteilen.
Die Wintergerſte hat ſich wegen ihrer
Anſpruchsloſigkeit und Frühreife beſonders im
Weiten Anerkennung verſchafft. Warthebruch-,
Odergerſte ſind Landſorten der vierzeiligen
Sommergerſte, die meiſt ohne beſondere Be—
nennung gebaut werden; bei Wintergerſte haben
ſich einige Züchtungsſorten in Mitteleuropa
mehr Verbreitung verſchafft, ſo die in Ecken—
dorf gezüchtete Mammutgerſte und die von
Mansholt im Weſtpolder der Züchtung unter—
worfene Groninger- ſowie die Kleinwanz—
lebner und die ſpät reifende Beſtehornſche
Gerſte.
Von den lockerährigen zweizeiligen
Gerſten mit bei der Reife nickenden Ähren
(Hordeum distichum nutans) werden zwei
Gruppen von Sorten gebaut; auf ſehr guten
Gerſtenböden und bei mittlerer Feuchtigkeit ſolche
des Chevalliertypus: Hallets-, Spalöfs-,
Heines-Chevallier, Nole-Dregers Moravia,
Bahlſens Goldfoil; in Gegenden mit trockenem
Sommer, neuerer Zeit aber auch vielfach ſonſt
an Stelle der Chevalliergerſten, die ſog. Land—
gerſten: Probſteier-, Franken-, Hanna-, böh—
miſche, ſlowakiſche Gerſte als Landgerſten im
gewöhnlichen Sinne des Wortes, dann Nolc—
Dregers allerfrüheſte und Bohemia, Prosko—
weg’ Hanna, Spalöfer Hannchen, Loosdorfer E
Hanna und andere aus Landgerſten gezüchtete
Formen. Die dichtährigen zweizeiligen
Gerſten mit aufrechter Ahre und zur Zeit „„
der Reife ſpreizenden Grannen waren in
der Brauerei weniger beliebt, man zog dort das Korn der nickenden Gerſte, deſſen
dünne Spelzen feine Falten, Kräuſelung aufweiſen, vor, ſchätzt dieſes auch heute noch,
verwendet aber doch mehr als früher auch dichtährige Gerſten, bei denen man die
Korngröße lobend hervorhebt. In England iſt die Goldthorpe und Webbs grannen—
1
—
252 1. Kapitel.
abwerfende Gerſte verbreitet, in Mitteleuropa die Imperialgerſte, die die Grundlage
für verschiedene Züchtungen wie Nole-Dregers Imperial C und frühreifende Imperial A,
Fruwirths frühreifende Goldthorpe (Abb. 31 u. 32), Loosdorfer Brillant und andere
gegeben hat; in Schweden findet man die Spalöfer Sorten, Svanhals, Primus und
weitere.
Hafer. Durch den riſpenförmigen Blütenſtand iſt der voll ausgeſchoßte
Hafer deutlich von den übrigen Getreidearten unterſchieden. Die Riſpe kann zur
Abb. 34. Avena sativa, Riſpenhafer (Alb-Hafer) in Vollreife.
Fahne werden, wenn ihre Aſte nach einer Seite hin hängen, die Baſis der Riſpenäſte
keine Verdickung aufweiſt, aber mehrere Aſte daſelbſt auf eine kurze Strecke hin
miteinander verwachſen ſind. Die Teilung, die nach dieſen beiden Riſpenformen in
Fahnen- (Abb. 33) und Riſpenhafer (Abb. 34) erfolgt, hat man gerade in letzter
Zeit weiter nach feinerem Aufbau der Riſpe, Form und Behaarung des Kornes, Zahl
der Körner im Ahrchen und weiteren Merkmalen ausgebildet. Auch wenn keine
Granne vorhanden iſt, läßt ſich die Frucht des Hafers leicht von jener der übrigen
Die Getreide. 953.
Getreidearten unterſcheiden, fie iſt ſchmal und beſpelzt; nackte Hafer, die in China
gebaut werden, trifft man in Europa nur in botaniſchen Gärten.
Von allen Hauptgetreidearten wird das Korn des Hafers heute am meiſten
verfüttert, kleine Mengen werden von den Spelzen befreit und zu nahrhaftem
Mehl — das in Norwegen zu Fladbrot verwendet, in Schottland auch zur Brot—
bereitung herangezogen wird — oder zu Grütze verarbeitet. Stroh und Spreu
geben gute Futtermittel ab.
Das Alter des Hafers als Kulturpflanze ſteht gegen jenes des
Weizens und der Gerſte zurück, aber dennoch iſt auch über die Anfänge der Kulti—
vierung dieſer Pflanze nichts Sicheres bekannt. Die Agypter, Griechen, Römer kannten
ihn zwar, bauten ihn aber nur ſehr wenig, dagegen kennt ihn das Harbardslied der
Edda aus der Sagenzeit des Nordens. Als die Germanen in die Geſchichte traten,
bildete er ihre Hauptfrucht. Hafermus, heberin bröt, war bis ins Mittelalter
herauf ein verbreitetes Nahrungsmittel. Im deutſchen Mittelalter war Hafer auch
Rohmaterial der Bierbrauerei, in Nordamerika wird er zur Nährmittelerzeugung heran—
gezogen. Körnicke hält es nach einem Rezept des griechiſchen Arztes Dieuches aller—
dings für wahrſcheinlich, daß die Griechen ſchon mehrere Jahrhunderte vor Chr. den
Haferbau kannten, auch Columella ſpricht von dem Bau von Avena als Grünfutter,
aber verbreitet bauten Griechen und Römer die Pflanze nicht. Die Steinzeit liefert
aus Mitteleuropa keine Funde von Hafer, erſt die Bronzezeit: Pfahlbautenfunde
ſchweizeriſcher Seen und Gräberfunde bei Wittenberg.
Das äußerſt läſtige Unkraut unſerer Felder, der Flughafer, mit dichter brauner
Behaarung der unteren Blütenſpelze wird ſeit Hausknechts Forſchungen als die
Stammform des Kulturhafers angeſehen, um ſo mehr, als Körnicke, durch
mehrjährige Kultivierung von Wildhafer, Formen erhielt, die ſich ſolchen des Kultur—
hafers nähern. Die jüngſten Forſchungen Trabuts in Algier legen es aber nahe, daß
die Kulturhafer von mehreren Urformen abſtammen, die in Mitteleuropa verbreiteten
von Avena fatua, die in Nordafrika und zum Teil in Südeuropa verbreiteten von
Avena sterilis und Avena barbata.
Heute iſt Haferbau durch ganz Europa hindurch zu treffen, beſonders bevorzugt
iſt der Süden von Schweden und Norwegen, Schottland, Irland, der Oſten Frank—
reichs, das Innere Rußlands und die gebirgigen Teile von Deutſchland und Sſterreich—
Ungarn. Hafer geht nicht weit nach Norden und nicht hoch ins Gebirge, die
lange Lebensdauer hindert ſolches Vordringen; die höheren Anſprüche an Feuchtigkeit
laſſen ihn in trockenen Gegenden, beſonders aber im Süden Europas gegenüber
anderen Getreidearten zurückſtehen. Im Gegenſatz zu Roggen, der noch auf den
leichteſten Böden gebaut werden kann, läßt ſich Hafer auf gebundenen und naſſen
Böden heranziehen: „Roggen in den Klump, Hafer in den Sump“.
Die Riſpenhafer überwiegen in Mittel- und Nordeuropa, die ſteifhalmigeren
Fahnenhafer in Südoſteuropa. Von Riſpenhafern ſchätzt man in Frankreich die
dunkelkörnigen wie Brie, Houdan, Coulomnier, im übrigen Mitteleuropa die gelb- und
die gelbweißkörnigen wie die Landſorten: Flandriſcher, Duppauer, Fichtelgebirgs,
Tula und die Züchtungsſorten Strubes Schlanſtedter, Beſeler, Leutewitzer, Vilmorins
254 1. Kapitel.
und Svalöfs Ligowo, Svalöfs Hvitling und andere. Oft wechſelt die Vorliebe für
die Farbe des Hafers auf engerem Gebiet; ſo weiſt Schweden im Süden und Norden
mehr Weißhafer, in der Mitte mehr Schwarzhafer auf. Alle die genannten Hafer—
ſorten ſind Sommergetreide; Winterhafer iſt viel empfindlicher gegen Winter—
ſchäden, beſonders gegen Erfrieren, und wird nur in warmen Lagen Mitteleuropas,
und zwar außerhalb
Frankreichs nirgends
verbreiteter, gebaut.
Reis (Abb. 35).
Wie der Hafer, beſitzt
auch der Reis eine
Riſpe, die Körner ſind
beſpelzt, ähneln in
den verbreiteteren
gelbkörnigen Formen
etwas den Gerſten—
körnern, ſind aber
flacher und ohne oder
mit ganz kurzer
Granne. Seltener ſind
Formen mit grauen,
roten, braunen oder
ſchwarzen Körnern.
Als menſchliches
Nahrungsmittel wird
das ganze Korn ver—
wendet, das aber zu—
erſt von den Spelzen
befreit und poliert
wird, dann weiß und
glänzend erſcheint, wie
wir es bei dem in der
Küche verwendeten
Reis zu ſehen gewohnt
e
8
% x
Abb. 35. Oryza sativa, Reis; a Früchtchen, vergr.
(Zeichnung von R. Oeffinger.)
ſind. Reisſtärke, Reis⸗
ſchnaps ſind verbrei—
tete, aus dem Korn
erzeugte Produkte,
ſeltener wird Reis—
bier, das ſtark mouſ—
ſiert, gebraut. Reis
wird nach Oppel
Alwien ſchon 2356
v. Chr. aus China im
Schu-king erwähnt.
Reis war auch
unter den fünf Pflan-
zen, die im alten China
durch Umzüge alljähr—
lich gefeiert wurden ).
Daſelbſt und wohl
auch in Indien —
Erwähnung in der
Attharweda — iſt
Reis eine der älteſten
Kulturpflanzen, die
aber erſt zu Alexander
des Großen Zeit ihren
Wegzu unſerem Welt—
teil, Mitte des 17.
Jahrhunderts nach
Amerika fand. In
Europa hat der aus
den Sümpfen Indiens ſtammende Reis in Spanien, ſeit dem 16. Jahrhundert be—
ſonders in Italien, und zwar in den Niederungen Oberitaliens und im
Oſten Siziliens, feſten Fuß gefaßt und ſich auch an einigen Orten des öſterreichiſchen
Küſtenlandes und Ungarns eingebürgert. Als Sumpfpflanze muß der Reis mit ſeinen
unteren Teilen im Waſſer ſtehen; man kann ihn daher nur auf Flächen, die von
Natur aus mit einer mäßig hohen Waſſerſchichte bedeckt ſind oder künſtlich mit einer
ſolchen bedeckt werden, bauen. Die für den Menſchen unangenehmen Folgeerſcheinungen
größerer ſtehender ſeichter Wäſſer, die ſich auch in Italien bald nach ſtärkerer Ver—
) Heute gibt es auch in Japan das große Reisfeſt mit feierlichem Umzug aller am Reisbau
und Reishandel beteiligten Zünfte nebſt ihren Schutzgöttern.
Die Getreide. 255
breitung des Reisbaus zeigten, haben zur Einſchränkung ſeines Baus geführt, ins—
beſonders in der Nähe größerer Orte.
Mais (Abb. 36) allein hat von den hier beſprochenen Getreidearten die beiden
Geſchlechter auf verſchiedene Blüten verteilt. Der ſteife ſtarke Halm trägt
in der Achſel eines der mittleren Blätter den weiblichen Blütenſtand, der reif zum
Kolben wird, oder in :
einen ſolchen Blüten—
ſtand und endet in
der männlichen
Riſpe. Große Maj-
ſen von Blütenſtaub
werden von den
männlichen Blüten
entlaſſen und vom
Wind fortgeführt.
Sie müſſen, ſollen
ſie befruchtend wir—
ken, auf die Narben
der weiblichen Blü
ten gelangen. Dieſe
find zuerſt nicht ſicht—
bar; mächtige Hüll—
blätter, die Lieſchen,
wickeln den weib—
lichen Blütenſtand
ein, laſſen aber an
der Spitze eine Off—
nung frei, durch die
ſich ſpäter ein Bü—
ſchel ſeidiger Fäden
ſchiebt, die ſoge—
nannte Quaſte.
Dieſe Fäden ſind
die Narben, die
von den heran—
Abb. 36. Zea Mays, Ungariſcher Mais. a Korn, nat. Größe.
(Zeichnung von R. Oeffinger.)
—3 mehr in ten Höhe befindlichen Blattachſeln je
gewachſenen ſehr
langen Griffeln
emporgehoben wer—
den, um ſie dem
pollenführenden
Wind auszuſetzen.
Keines der Haupt—
getreide bringt ſo
große Körner, wie
der Mais. Ihre
Farbe iſt eine
mannigfaltige;
neben dem häufigſt
anzutreffenden Gelb
trifft man Weiß, Rot
und Blau. Eine
eigentümliche Er—
ſcheinung bietet der
Harlekin-Mais,
der durch Baſtar—
dierung verſchiede—
ner Maisſorten ent—
ſteht. Man brachte
Harlekin-Kolben zu—
erſt aus Nord—
amerika zu uns und
hielt ſie für Kolben
einer beſtimmten
Sorte. Erſt die durch
Nawaſchin und Guignard vermittelte Bekanntſchaft mit der ſogenannten doppelten
Befruchtung löſte das Rätſel. Die Farbe des Kornes iſt von der Farbe der Samen—
haut und des Endoſperms bedingt, und wenn das letztere nun, wie dieſe Forſcher
zeigten, auch ſo wie die Eizelle nach Vereinigung eines mütterlichen mit einem väter—
lichen Zellkern entſteht, ſo iſt die Möglichkeit gegeben, daß unmittelbar nach Be—
ſtäubung einer Sorte mit anders gefärbtem Endoſperm ein abweichendes, ein „Baſtard—
endoſperm“ entſteht, das die Farbe des Kornes ändert. Stehen nun mehrere Sorten
nebeneinander, ſo können die einzelnen Körner eines Kolbens von verſchiedenen Be—
fruchtungen ſtammen, und es kann der Kolben daher auch verſchiedene Farben zeigen.
956 1. Kapitel.
Vielfach iſt die Nutzung des Maiſes. Daß das raſch austrocknende, ſchwer
zu backende Maisbrot weniger beliebt iſt, wurde bereits erwähnt; verbreiteter iſt die
Nutzung der Körner in Grützeform (Polenta der Italiener, mamaliga der Rumänen,
hominy der Nordamerikaner, alles Breie aus grob zerkleinerten Maiskörnern). Mehl
von entöltem Mais kommt als Maizena, Mondamin, für menſchliche Ernährung be—
ſtimmt, in den Handel. Die Körner kleinkörniger Sorten werden geröſtet genoſſen,
unreife ganz kleine Kolben eingelegt, milchreife, beſonders ſolche von Zuckermais, in
Salzwaſſer gekocht gegeſſen. Sehr verbreitet iſt die Verwendung der Körner als
Schweine- und Geflügelfutter, zur Stärkemehlgewinnung und in der Brennerei, wenig
jene in der Brauerei. Aus Mais kann man Ol gewinnen; die Lieſchen werden zu
Zigarettenpapier verarbeitet, das Stroh eingeſtreut oder meiſt auf beſonderen
Maſchinen zerfaſert und dann verfüttert, die Spindel verbrannt. Früher hatte man
in Amerika in holzarmen Gegenden auch die ganzen Kolben als Feuerungsmaterial
verwendet und einen Heizeffekt wie von hartem Holz erzielt. Ausgehöhlte Kolben
werden gelegentlich als originelle Pfeifenköpfe verwendet. Unreifer, grüner Mais wird
vor oder in der Blüte in großen Mengen als Futter benützt und beſonders für Milch—
vieh geſchätzt, wenn er bei dieſem in Europa auch nicht eine ſo herrſchende Ver—
wendung findet, wie in Nordamerika, wo die Maisſilotürme ein kennzeichnendes
Merkmal der Milchviehſtälle geworden ſind.
Zur Zeit der Entdeckung Amerikas war Mais bereits eine verbreitete Kultur⸗
pflanze und mit den religiöſen Gebräuchen der Eingeborenen eng verbunden. Long—
fellow legte im »Song of Hiawatha« die indianiſche Sage vom Erſcheinen des Maiſes
nieder. Der perſonifizierte Mais ſprach zu Hiawatha, dem Propheten der Indianer:
„Lege mich an eine Stelle, wo mich der Regen erreichen und die Sonne erwärmen
kann. Laß die Erde nur leicht und locker mich bedecken, doch halte die Würmer ab,
daß ſie meinen Leib nicht benagen, und die Raben, daß ſie ihn nicht beläſtigen bis zu
ſeinem fröhlichen Auferſtehen im Sonnenſchein.“ Nachdem Hiawatha dieſes getan
und im Sommer wiedergekehrt war, fand er ein Maisfeld vor, bei deſſen Anblick er aus—
rief: „Das iſt Mondamin, der Menſchenfreund.“ Harshbergers Forſchungen weiſen
auf Süd-Mexiko als Urheimat des Maiſes. Daß der beſpelzte Mais, deſſen
Körner nach Entfernung der Lieſchen nicht ſichtbar, ſondern ganz von den Spelzen
eingeſchloſſen ſind, die Stammform des Maiſes iſt, hat wenig Wahrſcheinlichkeit.
Jen canina Watſon wurde auch als Ausgangsform angeſehen. Harshberger gelang
es aber, durch den Verſuch nachzuweiſen, daß dieſe Form ein Baſtardierungsergebnis
von Mais und Teoſinte, Euchlaena Mexicana Schrad. iſt. Schon von Kolum—
bus nach Europa gebracht, hat der Mais von Spanien aus ſich nach Italien und
der Türkei verbreitet, und von dort aus gelangte er nach Mitteleuropa; Welſchkorn,
Türken ſind Bezeichnungen, die auf dieſen Übergang hinweiſen. Das Neue Kräuter—
buch von Hieronymus Bock erwähnt des Maiſes in Deutſchland ſchon 1539: „Unſer
Germania wird bald Felix Arabia heißen, dieweil wir ſoviel fremder Gewächs von
Tag zu Tag aus fremden Ländern in unſere Gegenden gewöhnen, unter welchen das
groß Welſchkorn nit das geringſte iſt.“ So wie der Weizen, den Kolumbus ſchon
nach Amerika brachte, daſelbſt zuerſt ſehr wenig geſchätzt wurde, ſo ging es auch dem
Mais in Europa in der erſten Zeit nach ſeiner Einführung.
Die Getreide. 2957:
Südfrankreich, Südöſterreich, Ungarn, Südrußland und die ſüdlichen Halbinſeln
Europas bilden das hauptſächliche Maisanbaugebiet unſeres Kontinents, ſoweit Körner—
gewinnung in Betracht kommt. Der Bau von Körnermais hat ſich aber auch nörd—
f licher gezogen und in geſchützten tieferen Lagen Anwert gefunden;
* vereinzelter Anbau reicht in Deutſchland bis auf die Sandböden
ö der Mark. Als Grünfutterpflanze wird Mais auch in Norddeutſch—
land noch häufiger
gebaut. Bei der üb-
lichen Teilung der
Kulturpflanzen des
Ackers in Getreide,
Futterpflanzen,
Hülſenfruchter, Hack—
und Handelspflan—
zen findet der Buch—⸗
weizen (Polygo—
num fagopyrum,
Abb. 37 u. 38) keine
paſſende Stellung.
Man reiht ihn an
a) Frucht, nat. Größe. den Gramineen ge—
Geichnung v. 9. Hahn.) hört, wie alle übri-
gen Pflanzen dieſer Gruppe, ſondern
zu den Konvolvulazeen. Wie bei den
übrigen Getreiden iſt aber auch bei ihm
die Nutzung der mehlhaltigen Körner—
früchte die ßauptnutzung. Maximowicz
fand Buchweizen wild am Amur in
Dahurien. Nordchina, Südſibirien, Tur-
keſtan gilt als die Heimat dieſer Pflanze,
und bei den Einfällen aſiatiſcher Volks
ſtämme in Europa wurde er daſelbſt
verbreitet. Auf dieſen Urſprung deutet
wohl auch der Name Heidenkorn, der \
auf Heiden (Nichtgläubige), nicht auf W
1 ' 1 1 2 Abb. 38. Polygonum Fagopyrum, Buchweizen.
die Heide verweiſt, die heute allerdings (l ung von #9. Jakobs
ein beliebter Standort für Buchweizen
iſt. Ob Taterkorn auf Tataren weiſt oder auf Zigeuner, die in Norddeutſchland ja
Tatern genannt werden, iſt unentſchieden. Entgegen dieſer Anſicht ſpäten Eintritts
nach Europa, hielt Kerner einen viel früheren Bau der Pflanze für wahrſcheinlich,
da er Stellen bei Plinius, die für Roggen in Anſpruch genommen worden, auf
Buchweizen deutet. Erſte urkundliche Erwähnung der Pflanze fand Höck für Schwerin
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 17
258 2. Kapitel.
aus dem Jahr 1413. Das Korn, ein Nüßchen, eine Frucht, hat der Pflanze den
deutſchen Namen Buchweizen gegeben, da es in der Form der Buchecker ähnelt (Abb. 37a).
Es wird hauptſächlich in Grützeform zur menſchlichen Ernährung herangezogen. Die
Sprachgrenze in Tirol fällt mit der Verwendung von weißem und ſchwarzem Plenten
(von Polenta), alſo mit dem Gebrauch von Maisgrütze und Buchweizengrütze zu—
ſammen. Andere Nutzungen der Pflanze ſind jene der Körner als Futter, dann der
ganzen unreifen Pflanze als Grünfutter. Die ſogenannte Buchweizenkrankheit, die
man nach Verfütterung der Körner in einzelnen Fällen beobachtet hat, wird von
Fiſcher auf einen Farbſtoff der Fruchtſchale zurückgeführt; ſchalenloſe Körner erwieſen
ſich als unſchädlich.
Aus dem Buchweizenkorn wächſt nach Entfaltung der gelblich- oder rötlichgrünen
Keimblätter die Pflanze mit glaſig ſprödem Stengel heran, der bei ſehr leichtem Hagel
ſchon empfindlich geſchädigt wird. Der Buchweizen iſt raſchlebig, ſo daß er trotz
ſeiner ausgeſprochenen Froſtempfindlichkeit noch in höheren Lagen als Hauptfrucht,
in tieferen als Nachfrucht nach Getreide gebaut werden kann. Moor und Heide
ſind bevorzugte Standorte, und dort findet man auch den Wanderbienenbetrieb, bei
dem die Bienenſtöcke auf Wägen ſtehen und immer wieder in die Nähe blühender
Buchweizenfelder gebracht werden, die ihnen in den weiß mit roſa gefärbten Blütchen
reichlich Honig bieten. Die Blüte zeigt in ihren von Hildebrand aufgedeckten
Beſtäubungsverhältniſſen jene Beſonderheit, die man dimorphe Heteroſtylie
nennt. Bei einem Teil der Pflanzen, den kurzgriffeligen, ſind die drei Narben in
halber Höhe der Staubblätter, bei einem anderen Teil, den langgriffeligen, ragen die
Narben um die ganze Länge der Staubblätter über die Beutel hervor. Die Be—
ſtäubung, die durch Inſekten bewirkt wird, bringt hauptſächlich Blütenſtaub aus
kurzgriffeligen in langgriffelige Blüten oder umgekehrt, da bei Inſektenbeſuchen in
kurzgriffeligen Blüten jene Stelle der Inſekten mit dem Griffel in Berührung kommt,
die in langgriffeligen mit Blütenſtaub bedeckt wurde. Solche Beſtäubung zwiſchen
Blüten mit verſchiedenen langen Griffeln wird als legitime bezeichnet und gibt den
beſten Fruchtanſatz. Bei der illegitimen Beſtäubung zwiſchen langgriffeligen Blüten
oder zwiſchen kurzgriffeligen Blüten je untereinander wird geringer Anſatz erzielt, noch
geringerer, wenn überhaupt, bei Selbſtbeſtäubung.
2. Kapitel: Die Hüllenfruchter.
Der botaniſche Begriff Hülſenfruchter oder wie allgemein, wenn auch weniger
zutreffend geſagt wird, Hülſenfrüchte, iſt ein viel weiterer als der landwirtſchaftliche.
Botaniſch gehören Schmetterlingsblütler, Cäsalpiniazeen und Sinnpflanzen zu den
Hülſenfruchtern, landwirtſchaftlich werden dazu nur jene Pflanzen der botaniſchen
Untergruppe der Schmetterlingsblütler gerechnet, deren mehlhaltige Samen genutzt
werden. Auch die Hülſenfruchter liefern gleich dem Getreide in ihren Samen wert— £
volle menschliche Nahrungsmittel; Blattgetreide hat man ſie neben dem Halm—
en
Fruwirth, Feldwirtſchaft
90
Hülſenfruchter
5585 1. Blaue Lupine (Lupinus angustifolius). 2. Weiße Lupine (Lupinus albus). 3. Gelbe
ae Lupine (Lupinus luteus). 4. Ackerbohne (Vicia faba); a Same der kleinen, b Same
der großen Ackerbohne. 5. Grünſamige Viktoria-Erbſe (Pisum sativum); a Same
der grünſamigen, d Same der gewöhnlichen Viktoria-Erbſe
(Aquarell von R. Oeffinger)
Die Hülſenfruchter. 259
getreide genannt. Der Abſtand in der Bedeutung der beiden Gruppen iſt aber zu—
gunſten des Getreides ungemein groß. Die Verwendbarkeit der Körner der
Hülſenfruchter iſt weniger mannigfach, ihre Beliebtheit als Nahrungsmittel ſteht
weit hinter jener der Getreide zurück, und demgemäß iſt auch die dieſen Pflanzen
gewidmete Fläche ganz bedeutend geringer als die für Getreide verwendete: ſie bildet
nur einen kleinen Bruchteil davon.
Während die Getreide teils bei der menſchlichen Ernährung eine wichtige Rolle
ſpielen, teils wichtige Rohſtoffe für die Induſtrie abgeben, fehlt letztere Nutzung bei
den Hülſenfruchtern — Soja ausgenommen — und zur menſchlichen Ernährung
werden ſie in viel geringerem Grad und mit mehr Schwierigkeiten herangezogen.
Dieſe Schwierigkeiten liegen ſchon in der Unverwendbarkeit des Mehles der
Hülſenfruchter zur chen weich, brauchen
Bereitung eines daher viel Feuer⸗
Brotes vongutem ungsmittel bei der
Geſchmack. Wenn Zubereitung, ja
Hülſenfruchtmehl unter beſtimmten
ſchon zur Brot— Verhältniſſen ſtei—
bereitung heran— gert ſich dieſe Eigen—
gezogen wird, jo tümlichkeit derart,
geſchieht dies nur daß man von Hart⸗
nach Mengung mit kochen ſpricht.
Getreidemehl. Aber Hülſenfruchtſamen
auch bei Bereitung ſind aber auch
von breiartigen und ſchwer verdaulich
anderen Speiſen und werden beſon—
ſtören Eigentümlich- Abb. 39. Keimpflanzen von Vicia faba, Ackerbohne. ders von Leuten
ae Samen. en a Sn
Sie werden erſt (geichnung von H. Hahn.) wieiſe ſchlecht vertra-
nach längerem Ko— gen. Da die haupt⸗
ſächliche Urſache der ſchlechten Verdaulichkeit die Samenſchalen ſind, hat man mit
Vorteil deren Entfernung vorgenommen und bringt geſchälte Hülſenfruchtſamen, be—
ſonders Erbſen, Linſen, in den Handel. Oder man geht noch weiter und vermahlt nach
Entfernung der Schalen den Inhalt, ſchließt ihn durch Dämpfen auf und erhält ſo ver—
daulichere und raſcher zubereitbare Nahrungsmittel, als deren bekannteſtes wohl noch
immer die Konſerve des Deutſch-franzöſiſchen Krieges, die Erbs wurſt, gilt.
Hinſichtlich der Verſendungs- und Transportfähigkeit ſtehen die Körner der
Hülſenfruchter jenen der Getreidearten nicht nach. Die Kultur dieſer Pflanzen iſt
auch gleich jener der Getreidearten einfach und erfordert keine außergewöhnlichen
Aufwendungen oder beſonders gute Böden. Die Erträge ſind weniger gleichmäßig
als jene der Wintergetreidearten, aber wenn nicht Schädlinge verheerend auftreten,
iſt dieſes Schwanken in den Erträgen weniger erheblich, als meiſt angenommen wird,
und bewegt ſich ungefähr in der Höhe der Ernteſchwankungen der Sommergetreide.
In der Fruchtfolge kommen zwei Eigentümlichkeiten der Hülſenfruchter beſonders zur
Geltung: die dichte Beſchattung des Bodens und die Eigenſchaft der Stickſtoff—
260 2. Kapitel.
ſammlung. Beides zuſammen bewirkt, daß die Hülſenfruchter ſehr gute Vorfrüchte
für Getreide abgeben. Die ſtarke Beſchattung, die beſonders beim Bau der Hülſen—
fruchter zu Futter oder Gründüngung zur Geltung kommt, läßt das Unkraut weit—
gehend unterdrücken.
Haben die Getreidearten die bei der Keimung notwendigen Reſerveſtoffe im
Endoſperm abgelagert, ſo müſſen ſie bei den Hülſenfruchtſamen, denen Endoſperm
ganz oder nahezu fehlt, anderswo geſucht werden. Bei
ihnen ſind es Teile des Keimlinges ſelbſt, ganz beſonders
ſeine Keimlappen, in denen die Auſſpeicherung ge—
ſchieht, und naturgemäß iſt der Keimling bei ihnen
auch mächtig ausgebildet. Wie wichtig die Keimlappen
bei den Hülſenfruchtern für die erſte Ernährung und
erſte Entwicklung der Pflanzen
ſind, haben Verſuche von
Portheim an der Wiener bio—
logiſchen Anſtalt ſchön gezeigt.
Die Größe der aus gleich ſchweren
Samen erwachſenen Pflanzen
nahm immer mehr zu, je nach—
dem beide Keimlappen, nur
einer davon, ein Stück eines
ſolchen abgetrennt oder der
Keimling unverletzt gelaſſen
worden war. Helene Jakobi
beobachtete, daß eine derartige
Entfernung der Keimlappen
das erſte Wachstum beſchleu—
f nigt, was für die Pflanze gewiß
. untertrdiſch entfaltete nützlich wäre, da ſie den Mangel
(Beichnung von N. Deffinger) an Reſervenahrung durch früher
einſetzende Aſſimilation auf—
wiegen kann. Meiſt, ſo bei allen Pflanzen mit unter der
Erde bleibenden Lappen, aber auch bei der Vietsbohne
(Abb. 41) mit oberirdiſch ſich entfaltenden, ſchrumpfen dieſe
auch nach erfolgter Keimung ein, die Hülle iſt nach Ver— Be
brauch der Nahrung bedeutungslos geworden. Einige Hülſen— Busch oder Wietsbohne, Sole,
fruchter, und zwar Lupine, Serradelle und Soja, ver— eee
langen von den Keimblättern eine doppelte Rolle, zuerſt
ſollen ſie als Speicher-, dann aber als Aſſimilationsorgane dienen; die Keim—
blätter dieſer Pflanzen ergrünen denn auch während ihrer oberirdiſch erfolgenden
Entfaltung. Keimpflänzchen jener Arten, welche die Keimblätter oberhalb der
Erde entfalten, ſchieben dieſe durch die Erde empor, eine beträchtliche Leiſtung; die
Samenſchale iſt während der Quellung oder bald nachher geplatzt, die Schale wird
aber meiſt mit emporgehoben. Bei jenen Arten, die unter der Erde bleibende Lappen
e W
En)
Die Hülſenfruchter. 261
beſitzen, wird die Samenſchale auch frühzeitig geſprengt, ſie bleibt um die Keim—
lappen, und das Knöſpchen zieht ſich zwiſchen dem Lappen heraus und wächſt
Abb. 42. Gelbe Lupine, Wurzelknöllchen. (Zeichnung von H. Hahn.)
262 2. Kapitel.
empor (Abb. 39 und 40). Nur eine Wurzel wird bei der Keimung entſendet, die
Hauptwurzel, die ſich als Pfahlwurzel weiter entwickelt. Die Hülſenfruchter
laſſen ſich, wie ich feſtſtellte, nach der ſchließlichen Ausbildung ihres Wurzelſyſtems
in mehrere Gruppen bringen. Bei der Lupine, wohl dem ausgeſprochenſten Tief—
wurzler unter den (kultivierten) Hülſenfruchtern, iſt die Hauptwurzel, die ſehr
leicht Hinderniſſe überwindet,
mit unregelmäßig verteil—
ten Nebenwurzeln beſetzt, die
ſich nicht weit ſeitlich erſtrecken
und ſich nicht ſpäter weiter
verzweigen (Abb. 42). Von
Lupine, Fiſole und Soja ab—
geſehen, zeigen alle übrigen
1 N
1 2 n Hülſenfruchter, deren hier ge—
Ne I dacht wird, eine Hauptwurzel,
e die nicht ſo dick und kräftig
N 8 wie bei der Lupine iſt, aber
N NDR immerhin als Hauptwurzel deut-
lich überwiegt und Hinder—
niſſe gut überwindet. Neben-
wurzeln ſind viel reich—
licher vorhanden, verzweigen
ſich reichlich und zeigen in
ihrer Entwicklung jene bei
homologen Organen verbreitete
Periodizität, wonach zuerſt
ſchwächere kürzere, dann immer
ſtärkere längere Teile gebildet
werden und dann wieder ſchwä—
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, chere kürzere. Denkt man ſich
| die Nebenwurzeln alle in ihrer
5 | natürlichen Länge von der
Hauptwurzel aus ausgebreitet,
ſo bildet die umgrenzte Fläche
zwei mit der Baſis gegen—
Abb. 43. Rottlee, Wurzeltnöllchen. (Zeichnung von H. Hahn.) einandergeſtülpte Dreiecke. Bei
Fiſole und Soja tritt die
Hauptwurzel weniger deutlich hervor, lange Nebenwurzeln, die ſich vielfach
verzweigen, werden entſendet, und einzelne davon entwickeln ſich ſo mächtig, daß ſie
die Hauptwurzel an UÜppigkeit erreichen oder übertreffen, die bei dieſem Typus am
leichteſten durch Hinderniſſe abgelenkt wird und daher nur ſelten ſenkrecht herab—
wächſt.
An den Wurzeln der Hülſenfruchter- und Kleearten finden ſich, Auswüchſe,
auf die man ſchon frühzeitig aufmerkſam geworden iſt, die man aber nicht deuten
Die Hülſenfruchter. 263
konnte: die Wurzelknöllchen (Abb. 42, 43 u. 44). Anderſeits war es ſchon bei
den Römern bekannt, daß die Hülſenfruchter ſich für die Ernährung der ihnen
folgenden Früchte auffallend günſtig verhalten. Bei Plinius findet man Stellen,
die das Erfaſſen dieſer Beſonderheit deutlich erkennen laſſen: „Der Boden, auf
dem Bohnen gebaut, freut ſich, gleich als ob er eine Düngung erhalten habe.“ —
„Man ſoll den Spelt ſäen, wo vorher 55
Luzerne, Wicken oder Bohnen geſtan— 2
den haben.“ Die Verbindung zwi—
ſchen der Erſcheinung der Knöllchen-
bildung und jener des beſonderen
Verhaltens als Vorfrucht wurde durch
die Forſchung von Hellriegel und
Wilfarth 1885 hergeſtellt. Dieſe
Forſcher wieſen die Fähigkeit der
Hülſenfruchter nach, ungebundenen
Stickſtoff der Luft unter Mit⸗
wirkung von Bakterien (Bacterium
radicicola Prazmowski, Rhizo- /
bium leguminosarum Fran), die
in den Knöllchen leben, zu ihrer
Ernährung zu verwerten, „Stickſtoff
zu ſammeln“. Nobbe und Hiltner
hatten dann feſtgeſtellt, daß nicht
eine Bakterienform bei allen Hülſen—
fruchtern tätig iſt, ſondern zwei Grup—
pen von Hülſenfruchtern unterſchieden
werden können, deren jede eine eigene
Art von Knöllchenpilz beſitzt, einer—
ſeits Lupine, Serradelle und Soja,
andererſeits die übrigen Hülſen—
fruchter. Bei erſteren iſt Rhizobium
Beijerinckii tätig, bei letzteren Rhi—
zobium radicicola.
Man hatte das Verhältnis zwi—
ſchen Hülſenfruchtern und den Bak⸗ Abb. 44. Erbſe, Wurzelknöllchen. (Zeichnung von H. Hahn.)
terien urſprünglich als ein ſymbio—
tiſches aufgefaßt, bei dem den Hülſenfruchtern gebundener Stickſtoff zur Verfügung
geſtellt wird, während den Bakterien Kohlenhydrate geliefert werden. Hiltner hat
ſpäter gezeigt, daß nicht immer ein ſymbiotiſches Verhältnis vorliegt.
Bei ſehr geringer Kräftigkeit oder Virulenz der in die Wurzel eingedrungenen
Bakterien werden dieſe ſofort von den Hülſenfruchtern reſorbiert, es bleibt
Knöllchenbildung und weitere Stickſtoffſammlung aus. Bei beſonders großer
Kräftigkeit, wie ſie in Verſuchen beobachtet worden iſt, kann die Stickſtoffſammlung
auch ganz unterbleiben; die Bakterien leben nur von dem Hülſenfruchter und ver—
264 2. Kapitel.
wandeln ſich nicht in Bakteroiden. Der gewöhnliche Fall der mittleren Virulenz
führt zur Verwandlung der Bakterien in Bakteroiden, die gegen vollſtändige
Reſorption geſchützt ſind und von denen nur ausſproſſende Plasmateile durch die
Pflanze aufgenommen werden, wodurch dieſer Stickſtoff zugeführt wird. Kürzlich hat
Lemmermann den Verſuch gemacht, den von Hellriegel feſtgeſtellten Unterſchied in
der Ernährung von Gräſern und Hülſenfruchtern weiter zu begründen. Gräſer
zeigen ſtärkere Waſſerdurchſtrömung und beſitzen daher ein größeres Ver—
mögen, im Waſſer gelöſte Nährſtoffe ſich anzueignen. Für die Hülſenfruchter wird
nun ein Ausgleich dadurch geſchaffen, daß ihre Wurzeln mehr Säure ausſcheiden,
daher — worauf ſchon Dietrich hinwies — mehr Mineralnährſtoffe liefern, daß ihre
Wurzeln leichter in den Boden dringen, ſowie endlich, daß ſie in den Bakterien der
Knöllchen Helfer für die Verſorgung mit Stickſtoff beſitzen.
Die Verſuche Hellriegels legten es nahe, eine künſtliche Zufuhr von geeigneten
Bakterien, eine Impfung, zu verſuchen, und eine ſolche wurde auf Hochmoorboden
zuerſt von Salfeld, auf mineraliſchem Boden zuerſt von mir in Mödling
durchgeführt. Die damals vorgenommene Impfung mit Erde von einem Feld, das
einen guten Beſtand des betreffenden Hülſenfruchters getragen hatte, wurde dann durch
die Impfung mit Reinkulturen vielfach verdrängt, beſonders als Hiltner auf die
Virulenz der in ſolchen Kulturen enthaltenen Bakterien Rückſicht nahm. Immerhin
hat ſich die Erdimpfung auch heute noch erhalten und ſie hat ſich in einzelnen Fällen
ſelbſt der Impfung mit Reinkulturen als überlegen erwieſen. In der gewöhnlichen
Fruchtfolge einer Wirtſchaft hat die Impfung mit an die betreffende Art angepaßten
Bakterien weitaus nicht ſo durchſchlagende Erfolge gegeben, wie bei Neueinführung
eines bisher nicht gebauten Hülſenfruchters. Dort, wo in Europa Lupinen oder Serra—
della oder in Spanien und Nordafrika Sulla auf einer Wirtſchaft erſt eingeführt
wurden, erzielte man mit der Impfung geradezu glänzende Erfolge.
Bei einem der Hülſenfruchter, bei der zu den kleeartigen Futterpflanzen zu
rechnenden eben genannten Sulla, wurden von Mottareale neben den Knöllchen
noch andere Gebilde, die als ovale Scheiben auftreten, beobachtet. Man ſchreibt
ihnen Kalkabſonderung und Waſſerſpeicherung als Aufgabe zu.
Die Achſe bildet bei einem Teil der Hülſenfruchter, bei Erbſe, Linſe, Wicke
und Ackerbohne, oberhalb der Keimblätter an zwei Stellen je ein Blatt mit feinen
Nebenblättern nur rudimentär aus. Dann folgen bei dieſen Pflanzen die Laub—
blätter, die ſich aus einer Anzahl gegenſtändiger Blättchen und dem Blattſtiel
zuſammenſetzen. Bei Lupinen folgen oberhalb der Keimblätter gleich die aus—
gebildeten, bei ihnen fingerförmigen Laubblätter (Abb. 42), dagegen trägt die Achſe
von Fiſole und Soja oberhalb der Keimblätter zuerſt gegenſtändig ein paar einfache,
einſcheibige Blätter (Abb. 41) und dann folgen erſt die bei dieſen Pflanzen aus drei
Blättchen beſtehenden Laubblätter. Bei ihrer weiteren Entwicklung zeigt die Achſe
der Hülſenfruchter, ob ſie ſich vollkommen ſelbſtändig erhalten kann oder ob dieſes
Aufrechtbleiben nur in größeren Beſtänden dadurch möglich wird, daß die Pflanzen
ſich mit den Ranken, in die der Blattſtiel ſolcher Arten ausläuſt, aneinanderklammern,
oder ob endlich ein Winden eintritt.
. e
Die Hülſenfruchter. 265
Die Ranken können ſich nach allen Richtungen hin krümmen und beginnen
mit der wirkſamen Krümmung, ſobald ſie einen feſten Gegenſtand berühren, dadurch,
daß an der der Berührungsſtelle entgegengeſetzten Seite das Wachstum raſcher er—
folgt. Als Ranken ſind Teile der Fiederblätter ausgebildet. Bei dem puniſchen
Kicher ſehen wir ein vollſtändiges, unpaariges Fiederblatt, das ſeitlich mit Blättchen
beſetzt iſt; auch der Blattſtiel endet bei ihm in ein ſolches. Dagegen ſehen wir bei
vielen anderen Hülſenfruchtern mit Fiederblättern das endſtändige zu einer Spitze
oder häufiger zu einer Ranke umgebildet und bei einigen der Hülſenfruchter aus der
Gruppe der Viciae auch die beiden äußerſten Seitenblättchen zu ſolchen umgewandelt.
Anders erfolgt das Emporſteigen windender Hülſenfruchter, wie wir es bei Formen
der Fiſole, der Feuer-, Faſel-, Mond- und Langbohne finden. Solche windende
Pflanzen ſteigen nur an ſenkrechten oder ſchwach geneigten Stützen empor und be—
dürfen dazu keines beſonderen Reizes. Ihr Winden iſt durch das ſtärkere Wachſen
einer ſeitlichen Kante der Achſe bedingt, und da bei einer Art immer nur eine be—
ſtimmte Seite, die linke oder rechte, ſtärkeres Wachstum zeigt, erfolgt auch das
Winden bei derſelben Art immer in beſtimmter Drehungsrichtung, ſo von rechts
unten nach links oben bei Hopfen, von links unten nach rechts oben bei Fiſole
oder dem Ackerunkraut, der Ackerwinde.
Die Blätter der Hülſenfruchter ſind, wie bereits erwähnt worden iſt, aus
mehreren Blättchen zuſammengeſetzt. Die erſt entwickelten Laubblätter ſind
bei jenen Hülſenfruchtern, die Fiederblätter tragen, einfacher zuſammengeſetzt als die
ſpäteren und tragen dort, wo die ſpäteren eine Ranke beſitzen, nur eine Stachelſpitze.
An der Anſatzſtelle des Blattſtieles an der Achſe und an der Anſatzſtelle der Blättchen
beſitzen die Hülſenfruchtblätter Gelenke, die es ihnen ermöglichen, Bewegungen
auszuführen, die bei fortgeſchrittener Entwicklung ſchön zu beobachten ſind (Abb. 45).
Bei Lupinen dreht ſich die Blattfläche vor- und nachmittags derart, daß ſie ſenk—
recht zu den Sonnenſtrahlen ſteht, ſie fängt möglichſt viele von dieſen auf. Mittags
ſowie abends ſenken ſich die Blättchen und verkleinern ſo die Fläche, die mittags
bei zu ſtarker Beſtrahlung geſchädigt werden könnte und nachts zu ſtark Wärme durch
Ausſtrahlung abgeben würde. Bei Fiſolen klappt mittags das Mittelblättchen
gegen die beiden andern, ſenkt ſich abends herab und bewirkt ſo in beiden
Fällen Verringerung der beſtrahlten oder ausſtrahlenden Fläche. Während der übrigen
Tageszeit dreht ſich meiſt nur das Mittelblättchen derart, daß es wie bei Lupine
möglichſt ſtark beſtrahlt wird. Stahl findet den Wert der Verringerung der aus—
geſetzten Oberfläche nicht ſo wie Ch. und Fr. Darwin in der Herabſetzung der
Wärmeausſtrahlung, ſondern in der Verringerung der Taubildung und da—
durch geringeren Störung der Tranſpiration.
Die Blüten ſitzen einzeln (oder zu wenigen) beiſammen, wie bei Erbſe, Wicke und
Linſe, oder aber es ſind je mehrere zu Trauben vereint, wie bei Ackerbohne, Lupine, im
oberen Teil bei Fiſole oder Vietsbohne, Feuerbohne und Soja. Nur bei Soja ſind die
Blüten unſcheinbar und verſteckt; ſie ſind eng an die Achſe geſchmiegt und von
den Laubblättern überdacht. Die übrigen Hülſenfruchter zeigen ihre Blüten deutlich,
und die Mehrzahl läßt ſie recht auffällig werden. Dieſe Auffälligkeit wird durch
lebhafte Farben, Größe und Häufung (man denke an die Feuerbohne) oder doch durch
266 2. Kapitel.
eines dieſer Mittel erreicht, oder auch durch Farbenkontraſte, wie ſie die ſchwarzen
Flecken auf weißem Grund der Ackerbohnenblüte (Tafel Hülſenfruchter 4) bieten. Auch
der Bau der Blüten trägt ſchon zur Auffälligkeit bei. In der Vorderanſicht iſt es
das mächtige, nach aufwärts geklappte, große, mittlere Blütenblatt, das bezeichnend
die Fahne genannt wird, das die Blüte auffällig macht, von den Seiten die großen
gewölbten ſeitlichen Blätter, die Flügel. Wer immer von Befruchtung der Blüten
durch Inſekten gehört hat und der Anſicht iſt, daß nicht bloß der Geruch anlockt, ver—
mutet bei der Blüte der Hülſenfruchter ſchon wegen der Auffälligkeit beſondere Eig—
nung für ſolche Befruchtungsart. 8
Die genaue Unterſuchung der Blüheinrichtung hat gezeigt, daß die Blüten an
ihrem Grund Nektar bergen und daß die beiden unteren miteinander zum Schiffchen
verwachſe— ein Inſekt
nen Blüten⸗ — den Rüſſel
blätter und in den Nek⸗
die Flügel tar der
ſo angeord— Blüte tau⸗
net ſind, daß chen, ſo
fie durch be- drängt es,
ſuchende In— auf den Flü⸗
ſekten leicht 8 a geln ſitzend,
bewegt wer⸗ Abb. 45. 5 eee mit dem
den können. (Zeichnung von R. Deffinger.) Kopf nach
Will nun vorn und
drückt dabei mit den Füßen die Flügel nieder. Mit den Flügeln iſt aber nun das
Schiffchen gelenkig verbunden und wird auch herabbewegt; da nun die Geſchlechts—
ſäule in ihrer Lage bleibt, ſo taucht ihre Spitze, wenn das Schiffchen vorne voll—
ſtändig offen iſt, daſelbſt hervor (Klappeinrichtung), wobei das Emporbringen
des Blütenſtaubes durch ſteife Haare unter dem Narbenkopf gefördert werden kann;
in dieſem Fall ſpricht man von Bürſteneinrichtung. Beſitzt das Schiffchen an der
Spitze nur eine kleine Offnung, ſo drückt die Säule nur Pollen, der ſich oberhalb
der aufgeſprungenen Beutel angeſammelt hat, bei der Offnung heraus (Pump—
einrichtung). Klapp⸗, Bürſten- und Pumpeinrichtung, für die uns die mehr zu
den Futterpflanzen zu rechnende Serradelle, die Vietsbohne und die Lupine
je ein in gleicher Folge genanntes Beiſpiel geben, ſind von Delpino in ihren Leiſt—
ungen erkannt und benannt worden. Daß der Narbenkopf über die Beutel emporragt,
demnach bei der Bewegung des Schiffchens zuerſt mit dem Inſekt in Berührung
kommt, ſowie daß bei mehreren Hülſenfruchtern ein Kranz von Haaren unter der
Narbe den Zutritt von eigenem Pollen erſchwert, weiſt auch auf Begünſtigung der
Fremdbeſtäubung hin.
Für einige Hülſenfruchter wurde aber ſchon von Darwin durch Verſuche ge—
zeigt, daß Selbſtbeſtäubung ohne Inſektenhilfe zu befriedigender Befruch—
tung führt. In Mödling und in Meran hatte ich nun die ganze Reihe der
Hülſenfruchter auf dieſe Verhältniſſe hin unterſucht, und in Hohenheim wieder—
holte ich dieſe Verſuche unter wieder anderen klimatiſchen Verhältniſſen. Immer
LIE EN .
Ve
Die Hülſenfruchter. 267
war — von Feuerfiſole abgeſehen, die widerſprechende Ergebniſſe lieferte!) — das
Ergebnis, daß die Hülſenfruchter auch bei Ausſchluß von Inſekten nor—
malen Anſatz zeigen und daß ſich aus den derart erhaltenen Samen
normale Pflanzen entwickeln. Die typifche für Fremdbefruchtung geſchaffene
Blüte läßt demnach jedenfalls Selbſtbeſtäubung ungehindert wirken.
V. Kirchner wiederholte bei einigen der Hülſenfruchter die Verſuche, kam bei
ihnen zu gleichem Ergebnis und bezog auch Kleearten in die Beobachtungen ein,
wobei ſich nebenbei ungsart bei einer
das intereſſante Pflanzenart in Er—
Verhalten zeigte, daß ſcheinung tritt. Die
einige der letzteren, Verſuche mit Ein-
die als einheitliche ſchluß hatten die
Arten gelten, in Möglichkeit wirk—
verſchiedenen biolo- ſamer Selbſtbeſtäu—
giſchen Formen vor- bung dargetan,
kommen, die ſich weitere Verſuche,
durch verſchiedene die ich ausführte,
Lebensdauer in ein- haben die Rolle der
und mehrjährige Hülſenfruchter als
N Be \
X 2 4 —
n Pi EN -
3
Ss
*
*
unterſcheiden. Fremd befruchter
V. Kirchner kommt aber noch weiter
zu dem Schluß, daß eingeengt, indem ſie
bei einjährigen zeigten, daß auch
Hülſenfruchtern und bei ungehinder—
tem Abblühen
Fremdbefruch—
tung ſehr ſelten
eintritt. Dieſe
Verſuche wurden
von mir ſowohl
durch mehrjährigen
der Blüteneinrich⸗ Bau von mehreren,
tung genügt dem— | ſehr voneinander
nach nicht zur Ent— i e 5 abweichenden For—
5 darüber, Abb. 46. Pisum sativum, Erbſe. men Liner Art, die
welche Befrucht- Form mit der Reihe
wechſelnd, ausgeführt als durch Beobachtung der Nachkommenſchaft von ſpontan
abgewichenen Individuen, die in Feldbeſtänden aufgefunden worden waren. Die
in Reihen gebauten Pflanzenformen erhielten ſich bei mehreren Arten rein, die
ſpontanen Variationen gaben entweder nur — oder in einem Fall überwiegend —
Pflanzen, die die gleiche Abweichung zeigten. Dies wäre bei einigermaßen regerer
wirkſamer Fremdbeſtäubung nicht möglich geweſen, da die einzelne abweichende
Kleearten Selbſt—
beſtäubung durch—
aus wirkſam iſt,
mehrjährige bei jol-
cher keinen Anſatz
liefern.
Die Kenntnis
) Die Widerſprüche wurden ſpäter erklärt, als v. Wettſtein und Andere Vorkommen ein—
und mehrjähriger Individuen feſtgeſtellt hatten.
968 2, Kapitel.
Pflanze ja von einer erdrückenden Menge normaler umgeben war. Bei der Erbſe
war immer darauf verwieſen worden, daß in Mitteleuropa die Inſekten ihrer
Heimat fehlen, die den Blütenmechanismus in Bewegung ſetzen können. Aber Lock
auf Ceylon und Howard in Indien beobachteten nicht häufiger Baſtardierung als
wir in Europa, wo ſolche ja auch in ſeltenen Fällen als Ausnahme eintritt.
Die Reife der Früchte und Samen verläuft bei allen Hülſenfruchtern
recht ungleich; immer ſind die erſt abgeblühten Blüten ſchon zu reifen oder faſt
reifen Früch⸗ gehend, die
ten heran- endgültige
gewachſen, Färbung zu
wenn andere zeigen, ver—
Teile der ringern dann
Pflanze noch durch Waſſer⸗
eben blühende abgabe ihr
Volumen und
werden dabei
Blüten auf—
weiſen. Wäh-
rend der Reife härter. Wäh⸗
wächſt zuerſt rend der Reife
die Hülſe bis treten, wie
faſt zur vollen Pfennig und
Größe heran, Waſſilieff
dann erſt ſetzt zeigten, ſtick—
bei den Sa— ſtoffhaltige
men ſtärkeres und ſtickſtoff⸗
Wachstum freie Stoffe
ein. Die zur aus den im
größten von Wachstum
ihnen erreich- vorangeeilten
baren Größe Hülſen in die
herangewach— Samen über;
ſenen Samen die Hülſen
ſind weich und dienen dem—
grün. Sie be⸗ nach den Sa-
ginnen dann Abb. 47. Pisum sativum. Grünſamige Vittoria-Erbſe. men als eine
bald, vom Zuchtgarten Hohenheim. Mitte Juni. Art von Re⸗
Nabel aus⸗ ſerveſtoff—
behältern. — Die wirtſchaftliche Nutzung der gebauten Hülſenfruchter wird
nicht nur durch die ungleichzeitige Reife der Früchte ungünſtig beeinflußt,
ſondern auch durch das leichte Aufſpringen der Hülſen, begleitet von einem
Ausſchnellen der Samen, das die letzteren weit, bei Lupinen 3 — 4 m weit
werfen kann.
Die Liſte der in Europa gebauten Hülſenfruchter iſt recht ſtattlich. Neben
den in Mitteleuropa verbreitetſten: Erbſe, Ackerbohne, Wicke und Linſe, finden wir
noch die Lupinenarten, die Fiſole oder Vietsbohne, Feuerbohne, Platterbſe, einblütige
Die Hülſenfruchter. 26%
Erve, Narbonnerwide, dann, im Süden gebaut, Ervilie, puniſchen Kicher, Faſel—,
Spargel- und Langbohne und die Erdnuß.
Erbſe (Abb. 46, 47 und Tafel Hülſenfruchter 5).
Am Laub der Erbſe fallen beſonders die Nebenblätter auf, die an Größe
die Blättchen des Blattes erheblich übertreffen. Während Nebenblätter zumeiſt ganz
kleine reduzierte Blattſpreiten beſitzen, beteiligt ſich bei der Erbſe die Spreite der
Nebenblätter in beträchtlichem Grad an der Aſſimilation. Die Keimblätter bleiben
unter der Erdoberfläche, die Hauptachſe verzweigt ſich meiſt nicht und hängt ſich mittels
der Ranke, in die jeder Blattſtiel ausläuft, an benachbarte Pflanzen oder an Stützen.
Solche Stützen — Reiſer — werden auf dem Felde ſeltener gegeben, da ihr Herbei—
ſchaffen und Fortbringen viel Arbeit verurſacht, deren Koſten durch den (bei gereiſerten
Erbſen allerdings geſteigerten) Ertrag nicht gedeckt werden.
Die Erbſenſorten ſind, wenn man auch jene des Gemüſegartens ins Auge
faßt, zahlreich und werden zwei Arten zugeteilt, der Ackererbſe (Pisum sativum)
und der Futtererbſe (Pisum arvense). Die Ackererbſe hat nur kugelige, hellgefärbte
Samen, und zwar grüne oder gelbe, und ihr Blattwerk iſt nur grün. Bei der Futter—
erbſe ſind die Samen immer dunkler gefärbt, undeutlich kugelig, oft marmoriert, die
Blüte iſt violettrot, und violettrote Zeichnungen finden ſich auch auf den Nebenblättern,
wo die Blattſtiele abgehen, an den Blattſtielen, wo die Blättchen ſitzen. Einige im
Garten gebaute Erbſenformen weiſen bei Samen und Hülſen Beſonderheiten auf; es
gibt dort Sorten mit Samen, die normal ausgereift, runzelig ſind, und andere, deren
Hülſen wieder — auch bei voller Reife — um die Samen runzelig eingeſunken ſind.
Von den verſchiedenen Sorten trifft man dort, wo reife Erbſen genutzt werden,
die gelbkörnige Viktoriagerbſe und die kleinerkörnige blaugrüne engliſche Erbſe
in Mitteleuropa häufiger, daneben viele, meiſt gelbkörnige Landſorten. Die Viktoria—
erbſe war mehrfach Gegenſtand der Züchtung, Strubes frühe Viktoria iſt eine der
bekannteren dieſer Züchtung. Einer von mir in Hohenheim vorgenommenen Baſtar—
dierung von gelber Viktoria mit blaugrüner engliſcher Erbſe entſtammt die grünſamige
Viktoria (Abb. 47), welche die Größe der Samen der erſtgenannten Art mit grüner
Farbe der Keimlappen der zweiten vereint. Von Futtererbſen iſt die Rebhuhnerbſe
in Deutſchland und Frankreich verbreitet. Im Norden von Mitteleuropa, beſonders in
Oſtpreußen, findet man von Futtererbſen häufig die großkörnige grauſamige Erbſe,
auch „graue Weiber“ genannt, weiter ſehr allgemein die Peluſchke, mit Samen,
die auf braungelbem Grund dicht purpurſchwarz punktiert ſind. Züchtung durch
Formentrennung wurde bei Futtererbſen von Kraus und Kießling in Weihen—
ſtephan und von mir in Hohenheim vorgenommen. Svalöf, wo ſich Tedin mit
Erbſe und Wicke eingehend beſchäftigt hat, brachte die Sorte Kapitalerbſe zur
Verbreitung. Es gibt ſowohl von der Acker- als von der Futtererbſe auch Winter-
formen, überwiegend ſolche von der letzteren, aber verbreitet findet man keine
von ihnen.
Von keiner Seite ſind Angaben über ein Vorkommen der Ackererbſe in wildem
Zuſtand gemacht worden, dagegen iſt die Futtererbſe in Südeuropa und in
Südweſtaſien mehrfach wildwachſend angetroffen worden. Die Babylonier
270 2. Kapitel.
bauten keine Erbſen, für die Agypter iſt dieſes, wenngleich Nachrichten nicht vorliegen,
zweifelhaft, da Unger Samen, die in einem Ziegel der Pyramide von Dahſchur ge—
funden wurden, als ſolche der Erbſe anſah. Beſtimmt aber waren ſie den Griechen
bekannt und kamen von dieſen zu den Römern; Samen der Ackererbſe waren unter
den Pfahlbautenfunden der Bronzezeit der Schweiz und Savoyens; die
Germanen kannten Erbſen ſchon vor ihren kriegeriſchen Verwicklungen mit den Römern.
Alefeld nimmt an, daß die Ackererbſe ſchon während des Kulturzuſtandes der Futter—
erbſe aus dieſer entſtand; die Urheimat beider wäre demnach in Südeuropa bis nach
Indien (Royle) zu ſuchen. Intereſſant iſt, daß die prähiſtoriſchen Funde aus Europa
alle ſolche der Ackererbſe ſind, die Entſtehung daher ſehr früh erfolgt ſein müßte.
Heute trifft man Erbſen über faſt ganz Europa hin gebaut, wobei die Stärke des
Anbaus, von örtlichen Schwankungen abgeſehen, eher nach Norden hin zunimmt,
während gegen Süden zu vielfach die Fiſole an die Stelle der Erbſe tritt. So wie
die Erbſe ſehr hoch nach Norden bis faſt an die nördliche Verbreitungsgrenze der
Gerſte geht, ſo kann ſie auch noch in beträchtlichen Höhenlagen entſprechende Lebens⸗
bedingungen finden. In den Alpen um den Vintſchgau in Tirol traf ich Erbſen
noch in Höhen um 1300 bis ſelbſt 1500 m.
Sehr geſchätzt als menſchliches Nahrungsmittel ſind die reif gerne
Samen der weißblühenden Formen der Ackererbſe (Pisum sativum); reife Samen der
Futtererbſe finden nur als „Futtermittel“ Verwendung. Unreife, ſogenannte „grüne
Erbſen“ werden bei Feldgemüſebau auch auf dem Acker zur Verwendung als friſches
Gemüſe oder zur Bereitung von Konſerven geerntet, meiſt werden die für ſolche
Zwecke beſonders geeigneten Sorten im Gemüſegarten gezogen, wo man auch jene
Formen der Futtererbſe (Pisum arvense) findet, von denen die unreifen grünen Hülſen
als Gemüſe gegeſſen werden. Zur Gewinnung von Grünfutter auf dem Feld werden
überwiegend nur Formen von Pisum arvense gebaut. Wintererbſen haben bis—
her nur zur Gewinnung von Grünfutter Benützung gefunden und liefern zeitig ſolches.
Ackerbohne (Abb. 48 und Tafel Hülſenfruchter 4).
Der aufrechte Stengel und die wenigpaarigen Blätter, deren Stiel in
ein Spitzchen endet, kennzeichnen die Ackerbohne gut. Die Blüten ſtehen in kleinen
Trauben beiſammen, ſind länglich, entweder nur weiß oder roſa überlaufen und immer
mit einem ſammtſchwarzen Fleck auf jedem der Flügel verſehen. Die Sorten reihen
ſich zu zwei Varietätengruppen zuſammen: zu jener der großen Ackerbohne
(Vicia faba major) und jener der kleinen Ackerbohne (Vicia faba minor). Die
große Ackerbohne erhielt die Bezeichnung „groß“ wegen der Größe der Samen, die
Pflanze ſelbſt bleibt niederer als die der kleinen Ackerbohne; Hülſen und Blättchen
ſind aber auch größer als bei letzterer. Die große Ackerbohne wird mit Ausnahme
der Marſchländereien mehr im Garten gebaut; dort ſind viele Sorten mit grünen,
braunen und roten Samen in Verwendung, während die in Mitteleuropa auf dem
Feld verbreiteteren Sorten der kleinen Ackerbohne alle kleine gelbliche bis bräunliche
und braunſchwarze, mehr gedrückt kugelige Samen beſitzen. In Deutſchland hat man
ſich an mehreren Orten mit der Züchtung der kleinen Ackerbohne beſchäftigt; ſie iſt
dort mehr unter der Bezeichnung Pferdebohne bekannt, die auf die hauptſächliche
Die Hülfenfruchter, 271
Verwendung ihrer Samen als Pferdefutter hinweiſt. Halberſtädter, Thüringer,
Elſäſſer, Picardie-Pferdebohne, Marſchbohne, ſind bekannte Landſorten; Winteracker⸗
bohnen haben in Mitteleuropa keinen Platz gefunden, weil zu wenig winterfeſt.
Der Anbau der Bohne reicht weit zurück. Von ihrer aſiatiſchen Heimat, die im
Süden des Kaſpiſees vermutet wird, obwohl Trabut auch für Algier wildes Vor—
kommen der großen Acker- oder Saubohne angibt, wurde fie nach Oſten und Weiten ge—
bracht. Die Einführung ihres Anbaus
in China wird von Heize dem Kaiſer | 2] =
Ehin-nong zugeſchrieben; die Baby- \\\ I —
lonier bauten fie, wie Hrozny angibt.
Die Ägypter kannten ſie, ſchätzten fie
aber wenig, ja es wird nach einer
Stelle bei Herodot angenommen, daß
ſie die Pflanze als unrein betrachteten
und daß nur die Juden in Agypten
ſie verwendeten. Zwei Samen wur-
den von Schweinfurth in den Grä—
bern der XII. Dynaſtie gefunden.
Griechen und Römer bauten und
nutzten die Bohne, Kyametos wurde
als Verbreiter der Bohne gefeiert,
der Göttin Carna wurde Bohnen—
brei geopfert. Aus Mitteleuropa
liegen verſchiedene Funde von Samen,
die der Steinzeit angehören, vor
(Lengyel, Aggteleck), und der gleichen
Zeit gehören auch Funde, die in
Italien und Spanien gemacht wur—
den, an.
Die lange Vegetationszeit hindert
eine ſtärkere Verbreitung im Norden
Europas, nennenswerter Anbau reicht
über Südſchweden nicht hinaus. Recht
verbreitet wird die Ackerbohne im Abb. 48. Vieia faba minor, Ackerbohne.
Süden von Europa und im Norden Se
von Afrika gebaut, in dieſem Gebiet aber, um den Anſprüchen an die Feuchtigkeit
genügen zu können, als Winterfrucht. Zwiſchen dem ſüdlichen und dem nördlichen
Gebiet der ſtärkeren Verbreitung findet ſich in Mitteleuropa eine Zone mit recht ge—
ringem Anbau. Als Sommerfrucht gebaut leidet ſie dort durch Waſſermangel, als
Winterfrucht durch Kälte.
Als menſchliches Nahrungsmittel ſpielt die kleine Ackerbohne keine bedeutende
Rolle; die reifen Samen werden in Brei- oder Suppenform genoſſen, gelegentlich wird
Mehl aus ihnen (Kaſtormehl der Elſäſſer) mit Getreidemehl gemengt verbacken. Im
Norden Deutſchlands, beſonders in Weſtfalen, Hannover und am Niederrhein, liebt man
272
2, Kapitel.
die unreifen gekochten Samen der großen Ackerbohne, die mit Speck als „dicke Bohnen“
genoſſen werden. Daß Ackerbohnenſamen Blauſäure enthalten und in gekochtem Zu—
ſtand jene Krankheit
hervorrufen, die man
Lathyrismus nennt,
iſt wohl eine un-
erwieſene Behaup—
tung. Blauſäure⸗
vergiftungen ſind
allerdings bei Ver—
fütterung und nach
Genuß von Samen
der Mondbohne
(Phaseolus luna—
tus) beobachtet wor—
den, und Lathyris—
mus wurde gelegent—
Abb. 50. Vieia sativa, Saatwicke. Same a) natürl.,
b) dopp. Größe. (Zeichnung von R. Deffinger.)
— —
Abb. 49. Vieia sativa, gemeine Wicke.
lich nach ſtärkerer Verfütterung von Samen
der rotblühenden Platterbſe (Lathyrus
cicera) beobachtet. Hauptaufgabe der
Ackerbohne iſt die Lieferung von ſtickſtoff—
reichem Körnerfutter, ſelten findet ſich
die Verwendung der Pflanzen im grünen
Zuſtand.
Wicke Abb. 49 u. 50).
Die einzelne Wickenpflanze bildet einen
kleinen Buſch, deridadurch zuſtande kommt,
daß die Hauptachſe bald ihr Wachstum
einſtellt und aus ihrem unteren Teil einige
Seitenachſen entſendet, die nun lebhaft
weiterwachſen. Sie alle halten ſich nur dadurch aufrecht, daß ſie ſich mit der Ranke,
in die der Blattſtiel ausläuft, an andere Wickenpflanzen des Beſtandes oder an mit—
geſätes Halmgetreide anklammern. Die Nebenblätter ſind klein, eilanzettlich und ſcheiden
R
Die Hülſenfruchter. 273
an einer braun gefärbten Stelle Honig ab. Man nahm an, daß derartige Nektar—
fundorte außerhalb der Blüte, die jog. extrafloralen Nektarien, die regen Beſuch von
Ameiſen veranlaſſen, der Pflanze dadurch nützen, daß letztere andere Tiere, welche die
Pflanze ſchädigen können, abhalten. Hatſchko hat kürzlich feſtgeſtellt, daß auch ſehr
viele Inſekten, die zu den Blütenbeſuchern gehören und der Beſtäubung dienen könnten,
dieſe Stelle aufſuchen, die extrafloralen Nektarien, daher dem Blütenbeſuch eher
Eintrag tun. Die Anſicht Schwendts, daß es ſich bei dieſen Gebilden um Förderung
der Verdunſtung des jungen Blattes handelt, hat mehr für ſich. Eigentümlich iſt der
oberirdiſche Aufbau der Pflanze; die Hauptachſe bleibt nach kurzem Wachstum
zurück, ſtirbt ſpäter ſelbſt ab, und aus ihrem unteren Teil gehen Seitenachſen weiter.
Die verbreiteteren Formen der Saatwicke (Vicia sativa) blühen mit hell—
violetter Fahne und purpurroten Flügeln und liefern dunkel gefärbte, oft marmorierte
Samen. Dieſe Wicken werden teils als Grünfutterpflanzen verwendet, ſehr
APR 2 6 1913
beliebt mit einer Halmfrucht, meiſt Hafer, als Stütze, aber ſie werden auch zur
Lieferung von Körnerfutter gebaut. Die Körner der weißblühenden und gelb—
weißſamigen Wicken werden auch als menſchliches Nahrungsmittel wie Linſen ver—
wendet, ſo am Rhein, in Südfrankreich, in Dalmatien, ſeltener zu Mehl verarbeitet,
das, mit Getreidemehl gemengt, zur Brotbereitung herangezogen wird.
Mit Züchtung von Wicken hat man ſich erſt in letzter Zeit in Svalöf,
Hohenheim, Weihenſtephan befaßt, und zwar mit Züchtung durch Formentrennung;
im Handel ſind reine Formen der Wicke noch recht ſelten anzutreffen. Winter—
wicken werden in Mitteleuropa ſo wie Wintererbſen zu Futter, aber in recht geringem
Umfang gebaut; verbreiteter iſt der Anbau der Zottelwicke oder haarigen Wicke
(Vicia villosa) als Winterfutterpflanze.
Auch für Wicke nimmt Hehn den Weg, den ſo viele Pflanzen gewandert ſind,
an, jenen nämlich, der von den alten Griechen zu den Römern und von dort nach
Mitteleuropa führt. Zeitlich weiter als bis zu den Griechen herab iſt ihr Weg nicht
zu verfolgen. Urſprünglich heimiſch war ſie im Süden Europas und Weſten Aſiens.
Heute iſt die Saatwicke über ganz Europa verbreitet, beſonders ſtark in feuchterem
Klima. Ihre etwas kürzere Lebensdauer läßt die nördliche Verbreitungsgrenze etwas
höher als bei der Ackerbohne verlaufen.
Linſe.
Eine unſcheinbare Pflanze, ſelbſt wenn ſie blüht, iſt die Linſe, ein niederer
Buſch mit Blättern, die aus vielen kleinen Blättchen zuſammengeſetzt ſind und je in
eine zarte Wickelranke enden. Weiße Blütchen, deren Fahne zart lila iſt, ſtehen
zu zweien, ſeltener zu dreien oder einzeln. Die dürftige Pflanze nimmt aber auch
mit dürftigen Verhältniſſen verlieb, Böden, die an Feinerde ſehr arm ſind, Schutt—
böden auf trockenen Hügeln bringen noch befriedigende Ernten.
In Deutſchland iſt man hauptſächlich an den Genuß der großkörnigen
grünlichgelben oder braunen Linſe gewöhnt, die man auch als blonde oder wegen
ihrer Größe als Heller- oder Pfenniglinſe bezeichnet. Es gibt aber auch klein—
körnige Sorten (Lens esculenta minor), deren Samen grünlichbraun, aber auch ſo
bei der Puy⸗Linſe, auf grünem Grund ſchwarz gefleckt ſind. Dieſe kleinkörnigen Sorten
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 18
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274 2. Kapitel.
ſind ertragreicher, und ihre Körner, die ſchmackhafter ſind, werden in Frankreich be—
ſonders zu Wildbret von Feinſchmeckern ſehr geſchätzt. Die Linſe liefert in den
Körnern das unter den Hülſenfruchtern wohl ſchmackhafteſte Nahrungsmittel, in dem
dabei geernteten Stroh ein zartes, nährſtoffreiches Futter.
Die Totenſpeiſen, die in den ägyptiſchen Gräbern der XII. Dynaſtie zu Dra
Abu Negga gefunden wurden, waren Breie aus Gerſte und aus Linſen, deren hohes
Alter als Kulturpflanzen unzweifelhaft iſt. Juden, Agypter, Griechen, Römer
bauten die Linſe. Im Nildelta erinnert die Städtebezeichnung Phacuſſa, die Linſen—
ſtadt, an die Pflanze; ſo wie bei den Römern das Geſchlecht der Fabier nach der
Bohne benannt war, ſo Lentulus
nach der Linſe. Die Linſe bildete
im Altertum ſchon einen wichtigen
Handelsartikel; 120000 Scheffel
Linſen führte das Schiff mit, das
unter Caligula den Obelisken nach
Rom brachte, der ſpäter vor der
Peterskirche ſeinen Platz gefunden
hat. Buſchan zählt eine größere
Zahl von prähiſtoriſchen Funden
von Linſen aus Mitteleuropa auf,
von denen einige der Steinzeit
angehören. Das althochdeutſche
linsi, das flavifche lésta, das
ungariſche lenese erinnert an
lens, lentis der Römer und ver-
anlaßte Hehn, den Weg von Süd—
europa nach Mitteleuropa als
jenen anzuſehen, den die Frucht .
genommen hat; die mitteleuropä⸗ Abb. 51. Lupinus albus, weiße Lupine.
iſchen Funde, die aus Zeiten
ſtammen, die weit hinter jenen der Berührung der Römer mit den Germanen liegen,
widerſprechen dieſem. Lens Schnittsphahnii, die in Kleinaſien bis Afghaniſtan wild
vorkommt, wird von Engler als die Stammform unſerer Linſe angeſehen; ein wildes
Vorkommen unſerer kultivierten Linſe iſt mehrfach behauptet, aber von anderer Seite
immer wieder auf Verwilderung zurückgeführt worden. Die kürzere Vegetationszeit
würde eine weit nach Norden und ins Gebirge reichende Verbreitung der Linſe zu⸗
laſſen. Wenn für eine ſolche nur wenig Belege vorhanden ſind, ſo liegt dieſes in
dem Umſtand, daß die Kultur der Linſe nicht wie jene der Erbſe und Ackerbohne
verbreitet iſt. Gebiete mit ſtärkerem Linſenbau ſind Südfrankreich, Süddeutſchland,
Mähren, Galizien, Krain, Ungarn, der Norden der Balkanhalbinſel.
Lupinen.
So wie die Ackerbohnen, halten auch die Angehörigen jener Lupinenarten, die
bei uns verbreiteter find, ſich ſelbſtändig aufrecht. Die Hauptachſe geht, nad)
Die Hülſenfruchter. 275
dem die Keimblätter ſich über der Erde entfaltet haben, unverzweigt nach aufwärts
und iſt mit fingerförmigen Blättern beſetzt, deren Blattſtiel von zwei kleinen Neben—
blättchen begleitet wird. Die Blüten ſtehen in einer Traube beiſammen und ſind
je nach den einzelnen Arten verſchieden gefärbt. Wenn die endſtändige Traube zu
blühen beginnt, ſo ſchieben ſich weitere Blütentrauben empor; in dieſe enden Seiten—
achſen, die ganz oben von der Hauptachſe abgehen. Mehr als bei andern Hülſen—
fruchtern tritt bei der Lupine die Reife ungleich ein, da die zuerſt blühende Haupt—
traube auch in der Reife ſtark voraneilt.
Um eine gedrängte Überſicht über die hauptſächlichſten Merkmale der ver—
breiteteren Lupinenarten geben zu können, iſt eine ſolche in Tabellenform eingefügt:
Art Blättchen Blüten Samen
| der verbreite- der ſelteneren der verbreiteteren der jelteneren
Lupinus albus (Abb. 51 teren Form Formen Form Form
u. Tafel Hülſenfruchter, 2) breit, lang weiß eremeweiß
Lupinus luteus (Abb. 52
u. Tafel Hülſenfruchter, 3) breit, kurz gelb cremeweiß, ſchwarz ſchwarz
Lupinus angustifolius gezeichnet
(Tafel Hülſenfruchter, 1) ſchmal blau weiß, roſa grau, dunkler eremeweiß
| gezeichnet
Lupinus hirsutus .. breit, lang, rot violett, weiß rötlichbraun
ſtark be⸗
haart
Lupinen und zwar
die weiße Lupinus albus,
wurden im alten Agypten
ihrer Samen wegen ge—
baut, die mittels Salz—
waſſers entbittert gegeſſen
wurden. Bei den Römern
wurde dieſe Art, nach
Neumann-Partſch auch
Lupinus hirsutus und
L. angustifolius, viel zur
Gründüngung, aber
auch als Futterpflanze
genutzt. Columella er—
wähnt, daß Lupinenſamen
in Agypten dem Gerſten—
wein zugeſetzt wurden, um
dem fadſüßlichen Getränk
weißen und der haarigen
Lupine (Lupinus albus
und hirsutus) iſt in Weſt—
aſien und Nordafrika
zu ſuchen, jene der gelben
und blauen (L. luteus und
angustifolius) im europä⸗
iſchen Mittelmeer-
gebiet. Dagegen ſtammen
die wärmebedürftigen, in
Mitteleuropa kaum anzu—
treffenden Arten L. cruiks-
hanskii und L. mutabilis
aus den Anden Süd—
amerikas, während die
Heimat von L. poliphyllus
in Nordamerika zu ſuchen
iſt. Von den verbreiteter
— Hopfenverwendung I gebauten Formen iſt die
kennt man erſt viel ſpäter EN weiße Lupine, deren Bau
— das Bittere zu ver⸗ Abbo. 52. Lupinus luteus, gelbe Lupine. in Italien ſich ſeit der
leihen. Die Heimat der n Römerzeit erhalten hat,
früh nach Frankreich gelangt, nach Deutſchland erſt in neuerer Zeit. Die erſte Einführung
der Lupine nach Deutſchland erfolgte im 16. Jahrhundert, vielleicht auch früher. Heres⸗
276 2. Kapitel.
bach beſpricht ſchon 1571 Gründüngung mit weißen Lupinen, v. Hochberg nennt 1701
Lupinen unter den Gründüngungspflanzen. Die gelbe Lupine wurde (nach Langetal)
zuerſt von dem Bauer Borchardt bei Groß- Ballerſtadt in der Altmark gebaut, von der
blauen gibt Werner an, daß ſie ſchon 1682 in Deutſchland bekannt war. Die Be—
wegung für die Einführung der Gründüngung mit Lupinen auf Sand, die zu Ende
des 19. Jahrhunderts, von dem bekannten Landwirt, dem Kaliapoſtel Schulz in Lupitz
ausgehend, einſetzte, gab wieder und diesmal mächtigen Anſtoß zur Verbreitung der
Lupine in Deutſchland. Aber ſchon Friedrich der Große hatte 1777 empfohlen: „Es
müſſen Lupins ausgeſät und dann deren Kraut untergepflügt werden.“
Außer dem Süden Europas haben die Lupinen bisher nur in Deutſchland, und
zwar beſonders auf den Sandflächen des Oſtens, größere Flächen für ſich erobert;
in Oſterreich hat ſich ihr Anbau etwas eingebürgert, am meiſten in Galizien. Das,
was man in Deutſchland an der Lupine ſchätzt, iſt ihr gutes Gedeihen auf Sand—
böden, die ſich nur durch wenig andere Pflanzen ausnützen laſſen. Allen voran ſteht
dabei das „Gold des Sandes“, die gelbe Lupine, aber auch die ſchmalblättrige
Lupine verträgt noch ſehr leichte Böden. Beide Arten find typiſche Vertreter von
kalkfeindlichen Pflanzen, bei einigermaßen höherem Kalkgehalt des Bodens ſterben
ſie ſogar ab. Die weiße Lupine ſpielt in Mitteleuropa keine Rolle, da ſie zu lang—
lebig iſt; ihre Kalkempfindlichkeit iſt gering, dagegen werden gebundenere Böden
verlangt.
Die heutige Verwendung der Lupinen, Wolfs- oder Feigbohnen iſt in erſter
Linie die bereits erwähnte zur Gründüngung, dann jene zur Erzielung reifer Samen,
die zur Viehfütterung benützt werden. Wenig verbreitet iſt die Benützung der reifen
geröſteten Samen als Kaffeeſurrogat (Alpen) ſowie jene der in Salzwaſſer ge—
kochten zur menſchlichen Ernährung (Süditalien). Bittere Alkaloide, die die
Samen enthalten, bedingen, daß letztere nur von Schafen und Karpfen ohne Be—
handlung aufgenommen werden, für andere Tiere müſſen bei den Samen Entbitterungs—
verfahren angewendet werden, nicht nur, um die immer vorhandenen Bitterſtoffe zu
beſeitigen, ſondern auch die gelegentlich vorhandenen giftigen Stoffe, die Gelbſucht und
ähnliche Krankheitserſcheinungen, ſogar den Tod der Tiere herbeiführen können.
Fiſole.
In den Gemüſegärten ſieht man allenthalben, an Stangen emporkletternd, Fiſolen
oder Vietsbohnen, ſeltener, mehr um Lauben emporgeleitet, die Feuerfiſole. Auf
das Feld bringt man von den Vietsbohnen nur die nicht windenden ſog. Buſch—
fiſolen oder, dann in Gemeinſchaft mit Mais, die etwas windenden ſog. Reiſer—
fiſolen. Alle Fiſolen ſind durch die drei Blättchen ihrer Blätter gekennzeichnet, von
denen jedes wieder mit ganz kleinen Nebenblättchen verſehen und das mittlere länger
geſtielt iſt. Nach der Entfaltung der Keimblätter folgen zwei einfache Blätter, die
Primordialblätter (Abb. 41), und dann erſt die gewöhnlichen Laubblätter. Bei Buſch—
fiſolen verzweigt ſich die Hauptachſe mehrfach, bei windenden geht ſie meiſt unver—
zweigt hoch, windet dabei von links unten nach rechts oben. Die Blüten, die einzeln
oder zu zweien, erſt höher oben in kleinen Trauben (Abb. 53 u. 54) ſtehen, ſind durch die
Einrollung des Schiffchens und des Griffels ausgezeichnet, weiß, gelb, roſa bis violett
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Die Hülſenfruchter. DI
gefärbt. Form und Farbe der Samen iſt ungemein mannigfach und gibt Gelegenheit zu
einer vielverzweigten Syſtematik. Von flachen, nierenförmigen über walzlichen bis zu
kugeligen ſowie von einförmig weißen über gelbe, braune, rote bis zu ſchwarzen,
teilweiſe mit Fleckung oder Bänderung verſehenen, findet ſich eine ungemein große
Mannigfaltigkeit der Formen und Farben der Samen. Auch die Hülſen zeigen vielerlei
Formen; die Mehrzahl der Sorten beſitzt Hülſen, die in unreifem Zuſtand grün ſind,
aber einige Sorten tragen auch Hülſen, die unreif
gelb und violett gefärbt ſind.
Die auf dem Feld gebauten Vietsbohnen werden
meiſt zur Lieferung von reifen Samen gebaut,
die ein geſchätztes Nahrungsmittel liefern. Der
Norden bevorzugt dabei die weißen, der Süden die
Abb. 53. Phaseolus vulgaris, Fiſole, Vietsbohne, Stangenfifole:
lints Same, nat. Größe. (Zeichnung von R. Oeffinger.)
dunklen Samen, und im Süden ſpielt die Ernährung
mit Fiſolen, Ackerbohnen und Mais die Rolle, die ſich
in Mitteleuropa jene mit der Kartoffel errungen hat. Mehr dem Gartenbau gehört
die Kultivierung jener Fiſolen an, die zur Lieferung grüner unreifer Hülſen oder
grüner unreifer Körner dienen. Die Hülſen werden zu Salat genutzt, wenn ſie
noch ganz zart, etwa zwiſchen / bis „ ihrer ſchließlichen Größe herangewachſen, find;
als Gemüſe werden ſie auch bei etwas weiter vorgeſchrittener Entwicklung verwendet,
und noch länger wartet man, wenn man die unreifen Körner zu Gemüſe oder für die
Suppe nutzen will. Bei Verwendung der unreifen Hülſen zur menſchlichen Er—
nährung werden Sorten, die Hülſen ohne Fäden beſitzen, mehr geſchätzt. Die Fäden
ſind die Gefäßbündel, die keiner Sorte fehlen, bei einigen aber ſo zart ſind, daß ſie
bei jungen Hülſen die Nutzung nicht ſtören.
Lange Zeit hatte man die gemeine Fiſole (Phaseolus vulgaris) als eine den
278 2. Kapitel.
alten Völkern Europas bekannte Pflanze betrachtet. Dazu trug die bei den Hülſen—
fruchtern immer üblich geweſene Bezeichnung mehrerer Arten mit einem Namen bei.
Iſt es doch auch heute noch üblich, Ackerbohne, Fiſole oder Vietsbohne und Lupine
oder Feigbohne als Bohnen zu bezeichnen. Aber auch der Umſtand, daß die Bohnen
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Abb. 54. Phaseolus vulgaris, Fiſole, Vietsbohne, Buſchfiſole. (Zeichnung von E. Hahn.)
der Alten als geſprenkelt angegeben wurden, verleitete zu der Annahme, daß es ſich
um Phaseolus handle, da weder Faba noch die im Altertum gebaute weiße Lupine
geſprenkelte Samen beſitzt und die tropiſchen Vigna's in Mitteleuropa wenig gekannt
waren. Von Menelaus ſprang der Pfeil ab „wie von geglätteter Schaufel die Frucht
der geſprenkelten Bohne“ (Homer II, 13, 588). Auch in den Kapitularien Karls des
Großen wird von Fasiolum und Faba geſprochen. Es iſt in beiden Fällen Vigna
melanophthalmus, die heute noch in Italien vielfach gebaut wird, die unter den ge—
F
Die Hackfrüchte. 279
ſprenkelten Bohnen und unter Fasiolus zu ſuchen iſt. Erſt die Unterſuchungen von
Wittmack und Aſa Gray haben feſtgeſtellt, daß Phaseolus vulgaris aus Amerika
ſtammt; die altperuaniſchen Gräberfunde von Ancon bei Lima enthielten Samen von
3 Formen der Fiſole, ebenſo Gräberfunde von Los Muertos aus Arizona. Die
Bohnen der Alten ſind Vigna-Arten, deren Heimat Aſien und Afrika iſt. Für die
Feuerbohne galt immer Amerika, und zwar Mexiko als Heimat und Admiral Hains
als der Einführende. Heute ſind Fiſole und Feuerbohne in Europa wohlbekannte
Kulturpflanzen, aber das Verbreitungsgebiet, das ihnen zuſagende Wachstumsverhält—
niſſe bietet, iſt eng begrenzt, da die Vegetationszeit eine längere iſt, der Same erſt
bei 10° Wärme keimt, die Pflanze bei 0“ ſchon abſtirbt und auch während ihrer
Entwicklung reichliche Wärme liebt. Immerhin wird die Fiſole bis nach Holland und
dem Weſten Norddeutſchlands gebaut; nennenswert wird ihr Anbau auf den ſüd—
lichen Halbinſeln. Als äußerſter Vorpoſten, an dem man von einem regelmäßigen
feldmäßigen Bau der Pflanze nicht mehr ſprechen kann, gilt das von Schübeler
angegebene Throndjem und eine Höhenlage um 1200 m im Vintſchgau.
3. Kapitel: Die Backfrüchte.
Unter dieſem in der Landwirtſchaft üblichen Sammelnamen verſteht man Pflanzen,
die verſchiedenen botaniſchen Familien angehören, wegen der von ihnen gebildeten
Rübenkörper oder Knollen gebaut werden und während ihrer Lebenszeit eine
wiederholte Bearbeitung der oberen Schichten des zwiſchen den Pflanzen befindlichen
Bodens durch Hacken notwendig machen. Die wichtigſten dieſer Hackfrüchte ſind
Kartoffel und Runkelrübe, ihnen reihen ſich Kohl- und Waſſerrübe, Möhre, Kopfkohl
und Topinambur an.
Sie alle verlangen weſentlich mehr Arbeit als Getreide und Hülſenfruchter,
nicht nur wegen des Behackens, ſondern auch ſchon bei der Vorbereitung des Ackers
und bei der Ernte. Alle Hackfrüchte wollen bei ihrer Ernährung aus dem vollen
ſchöpfen, und der Aufwand für Düngung iſt daher auch ein großer. Trotzdem iſt
der Beſtand eines Bodens an Nährſtoffen bei ihnen meiſt leicht aufrechtzuerhalten,
da ſie entweder Futtermittel für die Tiere der Wirtſchaft geben oder aber, ſoweit ſie
in ſogenannten landwirtſchaftlichen Induſtrien verarbeitet werden, wie Zuckerrübe
und ein Teil der Kartoffeln, in den von der Wirtſchaft abverkauften Erzeugniſſen
Zucker, Branntwein, Stärke, keine Beſtandteile entführen, die aus dem Boden ent—
nommen wurden.
Zwei Verhältniſſe beeinfluſſen die Nutzung der Hackfrüchte erheblich: ihre geringe
Haltbarkeit und geringe Transportfähigkeit. Das ſind zwei Momente,
in denen ihr Ernteergebnis ſich weſentlich von jenem der Getreide und Hülſenfruchter
unterſcheidet. Alle Rüben und Knollen können nur über Winter, weitgehendſt von
einer Ernte bis zur nächſten, aufbewahrt werden, und ſchon dabei treten ſtarke Ver—
luſte an Maſſe und Gehalt ein. Allerdings hat man in den letzten Jahren bei
zweien dieſer Pflanzen, bei Rübe und Kartoffel, die künſtliche Trocknung in
größerem Umfang herangezogen und durch dieſe aus Rüben- und Kartoffelkraut, aus
280 3. Kapitel.
den Rübenſchnitten, die bei der Zuckergewinnung zurückbleiben, und auch aus den
entſprechend zerkleinerten Kartoffelknollen ein lange Zeit hindurch haltbares und
leichter transportfähiges Erzeugnis hergeſtellt. — Die geringe Transportfähigkeit der
unbehandelten
Ernte iſt auf den
u. 47 N Runkelrübe.
4 Die Körner der
Runkelrübe, die als
Saatgut dem Bo-
den einverleibt
werden, ſind keine
Samen, es ſind Teile des Frucht—
ſtandes, ſogenannte Knäuel, deren
ſehr hohen jeder mehrere einſamige Früchtchen
Waſſergehalt umſchließt. Ein ſolcher Knäuel läßt
dieſer Früchte daher auch mehrere Keimpflanzen
zurückzuführen, erwachſen, und da die Kultur der
der das im Ver—
hältnis zum Gehalt an
Nährſtoffen große Vo—
lumen bedingt, das den
Transport auf weitere
Strecken hin zu teuer
macht. Die Knollen und
Wurzeln werden da—
her entweder auf der
Wirtſchaft ſelbſt ver-
füttert oder aber in In⸗
duſtrien verarbeitet, die
ſich in landwirtſchaft—
lichen Gegenden befinden
und von der nächſten Um—
Rübe einzeln ſtehende Pflanzen not—
wendig macht, iſt bei jeder Saatſtelle
eine Entfernung überſchüſſiger Pflanzen
bis auf eine notwendig. Dieſe Maßregel,
Verziehen genannt, muß übrigens auch
deshalb vorgenommen werden, weil Hand- und
Maſchinenſaat immer mehrere Knäuel an eine
Stelle bringt.
Das Stengelchen des Keimlings zieht, nach—
dem das Würzelchen ſchon eine beträchtliche
Strecke zurückgelegt hat, die Keimlappen aus der
Samenſchale und hebt ſie über die Erde, wo ſie
ergrünen und einige Zeit hindurch erhalten bleiben.
Das Würzelchen zeigt weiterhin langſames Wachs—
tum, es entwickelt ſich die Blattroſette, deren
gebung mit Rohmaterial Aufgabe es iſt, die großen Mengen Bauſtoffe,
verſehen werden. Nur die die der Rübenkörper zu ſeiner Ausgeſtaltung
Kartoffeln tragen beim bedarf, zu beſchaffen. Aber auch das Wachs—
Verkauf zur menfchli- „ Abb % tum der Blattroſette geht nur langſam vor ſich
chen Ernährung noch 1, enen (Abb. 55 u. 56) ſo daß der mit Rüben beſtellte
die höheren Koſten eines der Saat. Acker ſich bis weit in den Sommer hinein in
weiteren Transportes. e. R. Seffnger) einem bracheähnlichen Zuſtand befindet. Erſt
ſpät, in Mitteleuropa gegen Ende Juli, Anfang Auguſt, bilden die Blätter eine ge—
ſchloſſene Decke, und nun wächſt auch der Rübenkörper raſch heran (Abb. 57), ſo
daß das Gewichtsverhältnis von Blatt zu Rübenkörper, das einige Wochen nach Ent—
faltung der Keimlappen etwa 10:1, Ende Juli 3:1 und Anfang Auguſt 1:1 war,
Die Hackfrüchte. 281
mit Ende September zu 1:3 wird. Normal kommt es im erſten Lebensjahr der Rübe
nicht zur Entwicklung eines Blütenſtandes, das Ernteprodukt iſt der reife Rüben—
körper. Reife iſt in dieſem Fall techniſche Reife, geeignetſter Zuſtand für die Nutzung;
botaniſch reif wird die zweijährige Rübe erſt im zweiten Jahr, nach dem Reifen ihrer
Samen. Der Rübenkörper iſt techniſch reif, wenn er mit Rückſicht auf die ſichere
Ermöglichung der Ernte vor dem Eintritt von Fröſten die möglichſt große Menge
Allen zweijährigen Rübenarten iſt aber eine
von Reſerveſtoffen eingelagert hat.
gewiſſe Neigung, zur Einjährig—
keit zurückzuſchlagen, eigen,
welche bei Störung in der
erſten Zeit der Entwicklung
— Fröſte, Trockenperioden —
zum Durchbruch kommt. Weit
ſeltener iſt das Unterbleiben
des Ausſchoſſens im zweiten
Jahr, das „Trotzen“. Man ſpricht von Rüben—
weniger zahl—
wurzel, aber der geerntete Rübenkörper iſt nur reiche ſchwä⸗
zum Teil eine ſolche, er iſt zugleich auch Achſe, chere.
Stamm. Bei einer reif gewordenen, geernteten Futter- und
Rübe kann man die einzelnen Teile und, wenn Zuckerrüben
die Erde vorſichtig abgeſpült wurde, auch die unterſcheiden
Verteilung der Nebenwurzeln gut erkennen. Von
der Spitze reicht die verdickte fleiſchige Pfahl—
wurzel ſo weit herauf, wie Nebenwurzeln
von ihr abgehen. Dann folgt eine Partie, die
weder Wurzeln entſendet noch Blätter oder
Knoſpen trägt, Hals genannt wird und ſich durch
Verdickung aus dem hypokotylen Glied der Achſe
des Keimlings entwickelt hat. Den Abſchluß
des Rübenkörpers nach oben bildet der verdickte
kurze Stamm der Rübe, der aus dem epikotylen
Glied der Keimlingsachſe herangebildet wurde.
Von der Pfahlwurzel werden in zwei Längszonen
Seitenwurzeln entſendet, im oberen Teil mehr
feine kurze, im mittleren ſtärkere lange und unten
Wachstum der Rübenkörperteile.
Abb. 56. Beta vulgaris,
Futterrübe, Eckendorfer
Runkel, 10 Wochen nach
der Saat. Feldbeſtand.
(Zeichnung von
R. Oeffinger.)
ſich nicht nur
dadurch, daß
die erſteren im-
mer maſſiger
entwickelt und
chemiſch anders
zuſammen⸗
geſetzt (trocken—
ub ſtanz-, be⸗
ſonders zucker—
reicher) ſind,
ſondern auch
durch das ver—
ſchiedene
Zuckerrüben laſſen nur einen kleinen Teil des
Kopfes über die Erde emporragen (Abb. 57 a), Futterrüben wachſen mehr oder
minder aber immer beträchtlich aus der Erde heraus (Abb. 57 5), was die Vor⸗
nahme der Ernte ſehr erleichtert. Auch im inneren Bau unterſcheiden ſie ſich. Eine
dünne Scheibe, die durch zwei Querſchnitte durch den Hals, noch beſſer durch die
Wurzel hergeſtellt wird, läßt dieſen Bau erkennen. Man ſieht innerhalb der Korkhaut,
die den Rübenkörper nach außen abſchließt, eine Anzahl von Kreiſen und eine Innen—
figur aus einer gleichförmigen Maſſe ſich abheben. Jeder dieſer Kreiſe iſt aus einer Anzahl
von Gefäßbündeln gebildet, die in den äußeren Kreiſen zahlreicher als in den inneren
282 3. Kapitel.
ſind. Die Innenfigur, der ſogenannte Stern, beſteht aus Gefäßbündeln, die durch die
Keimwurzelanlage in zwei Partien geſondert ſind. Jedes Gefäßbündel iſt mehr paren—
chymatiſch, entwickelt weder Holz noch Baſt typiſch zur Ausbildung. Zwiſchen den
Gefäßbündelkreiſen finden ſich Ringzonen aus Parenchym. Bei Zuckerrüben iſt die Zahl
der Gefäßbündelkreiſe größer, die Breite der Ringzonen kleiner, die Zellengröße geringer.
Viele Unterſuchungen haben die Art der Verteilung des Zuckers im Rübenkörper der
Zuckerrübe zum Gegenſtand gehabt. Durch Peklo, Strakoſch und Strohmer
wurde feſtgeſtellt, daß der Rohrzucker ſchon in den Blättern gebildet wird und in den
Siebröhren als ſolcher, nicht, wie man früher annahm, als Traubenzucker, herabwandert.
Peklo fand ihn auch hauptſächlich in dem Baſtteil der Gefäßbündel abgelagert. Jeden—
falls ſind die innerſten breiteren, zwiſchen den Gefäßbündeln liegenden Zonen zucker—
ärmer, dann ſteigt der Gehalt an und
fällt gegen außen zu wieder; der Länge
des Rübenkörpers nach nimmt der Zucker—
gehalt von dem immer an Zucker armen
Kopfe ab, bis etwa zur größten Breite der
Rübe zu und fällt dann gegen unten zu
Abb. 57 a. Zuckerrübe. Beta vulgaris. Abb. 57 b. Futterrübe; lints Same, nat. Größe.
: (Zeichnungen von R. Deffinger.)
wieder langſam. Die Futterrübe weiſt weniger Bündelkreiſe und in ihnen auf gleichem
Querſchnitt weniger Bündel auf.
Die Reſerveſtoffe, die im Rübenkörper aufgeſpeichert ſind, bedingen ſeine
Nutzung bei Fütterung oder Verwendung zur Zuckergewinnung; ſie ermöglichen es
auch der Pflanze, nach der Winterruhe den Samenſtengel zu treiben, zu deſſen weiterer
Ausbildung aber immerhin noch Aufnahme aus dem Boden und Aſſimilation vor
ſich gehen muß. Vom Herbſt des erſten bis zum Frühjahr des zweiten Jahres werden
die Rüben außer der Erde in Kellern oder in Haufen, die man mit Erde bedeckt
(Mieten), aufbewahrt. Wenn auch der Blattſchopf vor der Überwinterung abgeſchnitten
wurde und die Aufbewahrung kühl erfolgt, ſo geht die Vegetation doch, aber ſehr ver—
langſamt weiter und ſetzt ſtark ein, ſowie der zeitig ausgepflanzten Rübe mehr Wärme
Die Hackfrüchte. 283
geboten wird. Das Fortlaufen der Lebenstätigkeit über Winter bringt Verluſte an
den Reſerveſtoffen mit ſich; der bei der Zuckerrübe wichtigſte derſelben, der Rohr—
zucker, wird dabei teilweiſe in Trauben- und Fruchtzucker umgewandelt. Die im
zweiten Jahr austreibenden Achſen verzweigen ſich vielfach, und ihre langen,
dünnen Enden ſowie ihre ſeitlichen Verzweigungen find dicht mit Blütenknäueln
beſetzt. Jeder Blütenknäuel ſitzt über einem kleinen Tragblatt und beſteht aus 3 bis
5 Blütchen, jedes von ihnen mit einfacher grüner Blütenhülle. Die über dem Trag—
blatt ſitzende Blüte blüht immer zuerſt auf, dann folgen an der Hauptachſe die Knäuel,
die über den Seitenachſen derſelben liegen; die Entfaltung ſchreitet weiter an der
Hauptachſe ſowie an jeder Seitenachſe, von unten nach oben zu fort.
In den einzelnen Blüten ſtäuben die Beutel der fünf Staubblätter gleich
bei dem Offnen der Blüten (von morgens 8 Uhr ab). Die drei Narben ſind zur
Zeit des Stäubens noch nicht ausgebreitet, die Rübenblüte zeigt demnach, wie Rim—
pau zuerſt beobachtete, deutliches Voraneilen der Reife der männlichen Geſchlechts—
produkte: protandriſche Dichogamie. Sie iſt ſomit auf Fremdbeſtäubung an—
gewieſen, wenn auch der Pollen einer Blüte bei künſtlicher Aufbewahrung und ſpäterer
Aufbringung auch auf die eigene Narbe wirken kann, wovon mich Verſuche überzeugten.
v. Proskowetz machte darauf aufmerkſam, daß in der erſten Zeit der Entwicklung
der Rübe durch die Blätter eine Zuleitung des Regenwaſſers zum Wurzel—
körper hin erfolgt, daß aber gegen die Reife zu die Blätter ſich derart neigen, daß
Waſſer auf ihnen nach außen abfließt.
Nach erfolgter Befruchtung bildet ſich Samen und Fruchtknoten aus, das fünf—
teilige Perigon erhärtet, und die zu einem Blütenknäuel vereint geweſenen Blüten fallen
als Fruchtknäuel, ſogenannter Same der Rübe, ab, wenn die Ernte nicht recht—
zeitig erfolgt.
Die Runkelrübe gehört zu den Gänſefußgewächſen (Chenopodiazeen)
und ſtammt von Beta maritima, einer Form, die wildwachſend ſchon an den
Küſten des Mittelländiſchen Meeres in ein- und zweijähriger Form angetroffen wird.
Ihre Urheimat ſucht Radde am Kaſpi⸗See. Mit dem Studium der vielgeſtaltigen
Wildformen der Rübe und mit Verſuchen zur Umwandlung ſolcher in Kultur—
formen hat ſich v. Proskowetz in Kwaſſitz viele Jahre hindurch beſchäftigt. Als
Kulturpflanze war die Rübe bereits den Agyptern, dieſen um 2000 v. Chr., den Griechen
und Römern bekannt, bei letzteren wurden Blätter und Rübenkörper als Gemüſe und
Futter genutzt. Karl der Große führt ſie in den Verordnungen für ſeine Wirtſchafter,
in den Kapitularien, an; ſtärkere Verbreitung in Deutſchland und Oſterreich fand fie
erſt im 16. und 17. Jahrhundert von Frankreich aus; die Bezeichnung „Burgunder“
erinnert daran. Als Zuckerrübe wird ſie erſt ſeit Ende des 18. Jahrhunderts
genutzt. Achard hatte zuerſt den von Marggraf in der Rübe entdeckten Zucker
aus dieſer dargeſtellt. 1798 entſtand die erſte Zuckerfabrik in Cunern in Schleſien.
Seither hat ſich die Gewinnung des Rübenzuckers zu einer hochbedeutſamen Induſtrie
entwickelt, die in günſtiger Weiſe auf die Hebung der Landwirtſchaft einwirkte und
das Wirken Marggrafs und ſeines Schülers Achard mehr in Erinnerung bringen
ſollte, als es die zwei Büſten tun, die ihnen die Berliner Akademie der Wiſſenſchaften
in der Dorotheenſtraße ſetzte.
284 3. Kapitel.
Das Produkt, der Zucker, enthält keine Beſtandteile, die die Pflanze dem Boden
entnehmen muß; alle Bodennährſtoffe gelangen durch Blätter, Köpfe und die Neben—
produkte der Zuckerfabrikation in Form von Futter und dann weiterhin als Dünger
oder direkt als Dünger wieder in die Erde zurück. Die tiefe Bearbeitung des Bodens,
die von der Rübe verlangt wird, wirkt auch auf andere Früchte günſtig, ebenſo die
weitgehende Bekämpfung des Unkrauts durch das Behacken, der Zuſtand der ganzen
Wirtſchaft wird durch die Einführung des Rübenbaus ähnlich, aber mehr gehoben
als früher durch die Einführung des Rapsbaus.
Die Geſtalt des Rübenkörpers iſt bei den Futterrübenformen viel mannig—
faltiger als bei der Zuckerrübe; man baut walzliche, pfahl-, birn- und apfelförmige
und neben weiß- auch rot- und gelbhäutige. Recht verbreitete Sorten find die in
Deutſchland und f von der weißen
Oſterreich beliebten ſchleſiſchen Rübe
Formen, die walz— aus, mit der bald
liche Eckendorfer, nach Einführung des
die birnförmige Zuckerrübenbaus in
Leutewitzer und Deutſchland Zücht⸗
die mehr kugelige ungsverſuche ge—
Oberndorfer, macht wurden. Auf
Sorten, deren Kör— höhere Stufe wurde
per in gleicher Folge, die Züchtung zuerſt
von Vilmorin in
Frankreich gebracht,
der die Zuckerrübe
in dieſes Land ein⸗
führte. Alle Formen
ſind ſpindelförmig,
und ihre über⸗
wiegende Zahl iſt
weißhäutig. Die ein⸗
zelnen Zuchtſtätten
berückſichtigen zwar
wie ihre Namen hier
genannt ſind, reicher
an Trockenſubſtanz,
ärmer an Maſſe
wird. In Frank⸗
reich und England
überwiegen mehr
Rüben mit Pfahl⸗
oder mit Dliven-
form ihres Körpers
wie Mammut, Vau⸗
riac und die Halb- alle den Zucker⸗
zuckerrüben oder wie ; * gehalt, aber doch in
Tancard. etwas abgeſtufter
Alle Biden) bee we A e F. bh) Weise o Ru
rübenformen gingen zwiſchen beſonders
zuckerreichen Formen: „Vilmorin Richtung“, und ſolchen, die hohen Zuckergehalt
möglichſt mit großer Maſſe zu verbinden ſuchen: „Klein Wanzlebner Richtung“, unter:
ſcheidet. In Frankreich kennt man dann noch eine dritte Zuchtrichtung, die Rüben mit
noch niedererem Zuckergehalt für die direkte Verarbeitung in den Brennereien liefern ſoll.
Die hauptſächliche Nutzungsart, jene zu Futter bei der Futterrübe, zur
Zuckergewinnung bei der Zuckerrübe, iſt ſchon im Namen angedeutet. Immerhin
werden auch bei Zuckerrüben die Blätter als Futter genutzt, und die jetzt vielfach
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Die Hackfrüchte. 285
eingeführte künſtliche Trocknung der Blätter und der bei der Ernte abgetrennten
Köpfe durch künſtliche Wärme erweitert dieſe Nutzungsmöglichkeit. Seltener iſt die
direkte Gewinnung von Spiritus aus Rüben, meiſt wird erſt die bei der Zucker—
gewinnung nebenbei — bitter. Über den
erhaltene Melaſſe 4 7 55.“ nördl. Breite
dazu benützt, und un— Ä geht die Zuckerrübe
bedeutend iſt die Ver⸗ nur im Süden Däne-
wendung des gedarr— marks und Schwe—
ten Rübenkörpers
zur Bereitung eines
Kaffeeſurrogates.
Weit mehr wird die
Zichorie (Abb. 58
u. 59) dazu heran
gezogen, die bei uns
nur zu dieſem Zweck
angebaut wird, da
man die in Frank⸗
reich ſtellenweiſe üb-
liche Nutzung dieſer
Pflanze zu Grün⸗
futter nicht kennt.
Wild wachſend trifft
man die Zichorie oder
Feldwegwarte (Ci-
chorium intybus)
allenthalben, und
dens hinaus, nach
England tritt ſie
nicht über. An und
für ſich iſt die Zucker⸗
rübe nicht wärme⸗
bedürftiger als die
Futterrübe, die man
noch in Dänemark
in großem Umfang
angebaut trifft, aber
ausreichende
Mengen von Zucker
erzeugt ſie nur in
wärmeren Gegen-
den. Das haupt-
ſächliche Verbrei—
tungsgebiet der
Zuckerrübe ſind
die Ebenen⸗ und
ihr ſperriger Stengel Hügelländereien
mit den vereinzelten Mitteleuropas,
blauen Blütenköpf⸗ nördlich fehlt die
chen, die bei trübem Wärme, und füdlich
wird ihr ein Über⸗
maß an ſolcher und
an herbſtlichen Nie⸗
derſchlägen geboten,
das zwar ihr Ge—
deihen als ſolches
nicht hindert, aber
für einen der Zucker⸗
Wetter geſchloſſen
bleiben — Sonnen⸗
braut nennt der
Volksmund die
Pflanze — fällt auf.
Die Blätter ſchme⸗
cken, als Salat ge⸗
noſſen — eine Nu⸗
Abb. 59. Cichorium intybus, Zichorie. : x
zung, welche ſchon Rechts: Frucht, nat. Größe. (Zeichnung von J. Kuttner.) gewinnung entſpre⸗
Columella erwähnt chenden Abſchluß
der Vegetation im erſten Jahr ungünſtig iſt. Gebiete mit beſonders ausge—
dehntem Zuckerrübenbau, wo man dem charakteriſtiſchen Bau der Zuckerfabriken
allenthalben begegnet, ſind Südbelgien und Nordfrankreich, die Provinz Sachſen, dann
286 3. Kapitel.
Böhmen und Mähren und Ruſſiſch-Polen. Bis über 35% der dem Getreidebau
gewidmeten Fläche wird in Teilen dieſer Gebiete der Rübe gewidmet. Von der Kar-
toffel abgeſehen, nimmt keine andere Ackerpflanze eine im Verhältnis zur Getreide—
fläche annähernd ſo große Fläche in Anſpruch. Die hohen Anforderungen der Zucker—
rübe an die Beſchaffenheit des Bodens —
milder humus- und kalkreicher Lehmboden
iſt am günſtigſten —, dann jene ihres
Baues an Arbeit und Kapital bedingen die
Bildung der erwähnten Gebiete.
Die Futterrübe geht ſüdlicher und
nördlicher als die Zuckerrübe, vor allem
aber reicht ihr Hauptanbaugebiet weiter
Abb. 60. Brassica Napus rapifera, Kohlrübe. — — G
(Zeichnung von R. Deffinger.) \ 2 —
nach dem Weiten. Der Süden Englands und > —
Irlands, Gebiete im mittleren Frankreich, a
längs des Rheins, in Südmähren und Weſt— Sr
ungarn zeichnen ſich durch beſonders ſtarken
Bau dieſer Pflanze aus, deren Anforderungen
an das Klima wegen der Nutzung andere ſind,
wie bei der Zuckerrübe; es reicht weniger
Wärme aus, und mehr Feuchtigkeit iſt günſtig.
Andere Rübenarten.
Kohl⸗ und Waſſerrübe, Brassica- DER 71 e
Arten find Kreuzblütler mit parenchymöſer „ ads; Sa a 1
oder fleiſchiger Ausbildung des unteren Stengel— Gehn eee
teiles und der Wurzel. Wie die Runkel und die Möhre, werden auch ſie im erſten
Jahre zur Futtergewinnung herangezogen und treiben erſt im zweiten Jahr einen
Samenſtengel empor. Ihre geringere Kälteempfindlichkeit bringt es mit ſich, daß man
die zur Samengewinnung beſtimmten Pflanzen auch auf dem Felde überwintern kann,
wenn ſie dort etwas höher mit Erde bedeckt werden. Mannigfaltiger als bei der Runkel-
Pr
Die Hackfrüchte. 2877
rübe ſind Größe, Form und Farbe des Rübenkörpers, weit
weniger als bei dieſer iſt bei den beiden Rübenarten bis—
her für die Gewinnung reiner Formen durch Züchtung
getan worden. Äußerlich hat, abgeſehen von dem Bau der
unterirdiſchen Teile, die Kohlrübe mit dem Raps, die Waſſer—
rübe mit dem Rübſen Ahnlichkeit. Die Angaben über die
Geſchichte der beiden
Rübenarten, deren eu—
ropäiſcherUrſprung
ſicher iſt, ſind ſpärlich.
Sicher iſt, daß die
Römer ſie zwar nicht als
Acekerfrüchte, wohl aber
als Gemüſepflanzen des
Gartens kannten, und
daß Karl der Große
in ſeinen Wirtſchafts—
anweiſungen die eine
von ihnen, die Kohlrübe,
neben der Runkelrübe
und der Möhre anführt.
Auch im Mittelalter 5
waren ſie noch nicht aus dem Garten auf den Acker
gedrungen; geſotten und gedämpft wurden ihre
Rübenkörper gegeſſen.
Die Verbreitung wird weitgehend dadurch
beeinflußt, daß die Kohlrübe größere Feuchtigkeits- —
anſprüche ſtellt als die Waſſerrübe und wegen ihrer
längeren Lebensdauer mehr Wärme beanſprucht.
Die Kohlrübe (swede der Engländer, Brassica
Napus rapifera) (Abb. 60), auch Steck-, Krautrübe,
Rutabaga genannt, wird ungemein ausgedehnt in
England, Schottland und Irland gebaut, ſehr ſtark f
in Norddeutſchland (Wrucke), in den Gebirgen Süd—
deutſchlands und Oſterreichs, allgemein in Gegenden,
die durch Gebirgs- oder Seeklima gekennzeichnet ſind.
Weniger ausgeſprochen treten uns in Mitteleuropa
Gebiete des ſtarken Baues der Waſſerrübe (eng-
liſch: turnip, Brassica Rapa rapifera) als Haupt- . e den
frucht entgegen (Abb. 61), wenn auch dieſe Frucht
wieder in England ſehr ſtarke Berückſichtigung findet. Auf dem Feſtland wird die Waſſer—
rübe in Mitteleuropa häufig als zweite Frucht, als Stoppelfrucht, gebaut — Herbſt—
ſtoppelrübe —, in Schweden und Norwegen als Hauptfrucht. Beſonderes Intereſſe ruft
die Waſſerrübe dadurch hervor, daß ſie die letzten Vorpoſten auf Ackerflächen ſowohl im
—yy— — —-
288 3. Kapitel.
Norden als in größeren Höhen bezieht. Schübeler hob als nördlichſtes Vorkommen
von Ackerpflanzen ein ſolches von Waſſerrüben nächſt Vardöhus in Norwegen hervor,
und in den Alpen ſehen wir ſie nahe von Gletſcherzungen auf den letzten Ackerfleckchen
noch gebaut, ſo beiſpielsweiſe unterhalb des Suldengletſchers. Die vorherrſchende
Nutzung beider Rübenarten iſt die zur Fütterung, immerhin findet auch eine beſchränkte
Verwendung zur menſchlichen Ernährung ſtatt, ja bei der Waſſerrübe iſt eine Form
mit kleinem Rübenkörper, die Teltowerrübe, als Speiſerübe ſogar recht beliebt.
Von den beiden Schirmblütlern, die der Gruppe der Hackfrüchte angehören, iſt
nur die eine, die Möhre (Daucus Carota) (Abb. 62) verbreiteter. Die zweite, die
Paſtinake (Pastinaca sativa), wird in Mitteleuropa nur ſelten, in Frankreich etwas
mehr gebaut. Bei der Keimung der Möhre werden die beiden länglichen Keimblättchen
über der Erde entfaltet, und dann erſcheint ſchon eines der mehrfach gegliederten Laub—
blätter. Weitere Blättchen folgen, und ganz langſam wächſt der Rübenkörper heran.
Der mit vier Längsreihen von Nebenwurzeln beſetzte Wurzelteil dringt bei einigen
Feldſorten tief in den Boden ein, ſo daß die Ernte auf den weniger zuſagenden ge—
bundenen Böden erſchwert wird und die Spitze der Pfahlwurzel meiſt im Boden bleibt.
Gegenüber den übrigen Rübenarten zeigt bei der Möhre der Wurzelteil beſonders ſtarkes
Längenwachstum, Hals und Kopf ſind kurz. Durchſchneidet man den Wurzelteil
einer Möhre quer, jo ſieht man eine innere gleichmäßig gefärbte Zone, das parenchy—
matiſch entwickelte Holz der Gefäßbündel, von einer hellen Linie eingefaßt, die die
Lage des Bildungsgewebes anzeigt. Außerhalb dieſes liegt der gleichfalls parenchy—
matiſch entwickelte Baſtteil und das parenchymatiſche Grundgewebe der Rinde, dem
nach außen zu die Korkhaut folgt. Wildwachſende Möhren ſind im Wurzelteil ver—
holzt und ihre Rinde iſt wenig mächtig; bei der kultivierten Rübe iſt die Breite der
Rindenzone beträchtlich. Wie die übrigen Rübengewächſe, treibt auch die Möhre erſt
im zweiten Lebensjahr den Blütenſchaft empor. Die Dolde, die er trägt, iſt viel-
fach verzweigt und baut ſich aus Teildolden auf, dieſe wieder aus Döldchen. Fremd—
beſtäubung wird bei der Möhre geradezu erzwungen. Soweit eingeſchlechtige, nur
männliche oder nur weibliche Blüten in den Döldchen vorhanden ſind, iſt ſolche ja
ſelbſtverſtändlich. In den zweigeſchlechtigen Blüten ſchließen die Griffel zur Zeit des
Stäubens der Beutel noch feſt zuſammen, ſpreizen erſt am folgenden Tag, nachdem
die Beutel ſchon vollſtändig welk ſind, und ſetzen dann erſt die Narbe der Beſtäubung
aus, die daher auch wieder Fremdſtäubung ſein muß. Bei kultivierten Möhren fehlt
bei der Mehrzahl der Sorten die ſog. Anthozyanblüte. Bei wildwachſenden
Möhren fällt dieſe als dunkelrote Blüte zwiſchen den weißen übrigen auf. Es iſt
immer die mittelſte Blüte des innerſten Döldchens; ſie iſt zweigeſchlechtig, ſelten
weiblich, und bei ihr tritt Selbſtbefruchtung ein. Die Früchte ſind Spalt—
früchte, die zu zweien beiſammenſtehen. Jede Frucht iſt mit drei höheren und vier
niederen Längsleiſten verſehen. Letztere find mit hakig gebogenen Haargebilden aus—
geſtattet, die für die Verbreitung der Früchtchen wertvoll find, da fie die Frucht an
vorübergehende Tiere anheften. Bei der Saat ſind ſie läſtig und müſſen, um
Klumpenbildung zu verhindern, vor ihr abgerieben werden.
Gleich der Waſſer- und Kohlrübe hat auch die Möhre Europa als Heimat,
ihre wilde Ausgangsform findet man ja auch jetzt noch allenthalben. Die Griechen
Nee
u Dh —
e
ver
e
Die Hackfrüchte. 289
und Römer nutzten den Rübenkörper der Pflanze als Gemüſe, ihr Anbau wurde aber
auch frühzeitig, ſchon in vorrömiſcher Zeit, in Deutſchland betrieben. Darauf weiſen
ſchon die althochdeutſchen Bezeichnungen der Möhre: moraha oder morha hin, aus
welchen das mittelhochdeutſche mörhe oder morhe wurde, beſonders aber Funde von
Möhrenfrüchten in den Pfahlbaureſten der jüngeren Steinzeit (Robenhauſen, Pfäffikon).
Die violette Möhre — staphylinos, die weintraubenfarbige — die der Grieche
Dioskorides beſchrieb, iſt heute faſt vollſtändig von den weißen, gelben und roten
verdrängt. Helweg meint, daß ſie zum Färben benutzt worden iſt. Heute iſt
neben der Nutzung als Gemüſe die Nutzung der Möhren mit großem Körper zu
Futter üblich. Ein Gebiet, in dem der Möhrenbau ſo ausgedehnt iſt, daß er der
Gegend ein charakteriſtiſches Ausſehen verleiht, iſt nicht vorhanden. Möhrenbau auf
dem Felde wird bis in das mittlere Norwegen herauf betrieben, meidet in Mitteleuropa
die Teile mit ſtarker Ausprägung des kontinentalen Klimas und fehlt im Süden.
Jene Pflanze, welche die Nahrung liefert, die nach der Meinung der Fran—
zoſen von dem Begriff „Deutſcher“ nicht zu trennen iſt, der Kopfkohl, das
Kraut (Brassica capitata), findet nicht nur in den Gemüſegärten, ſondern auch
auf dem Felde geeigneten Standort. Es ſind die mittelfrühen und ſpäten
Sorten, die dort kultiviert werden; die ganz frühen Weißkrautſorten und
die rotblättrigen, das
Blau- oder Rotkraut,
werden fajt nur in
Gärten herangezogen.
Einzelne Gegenden
zeichnen ſich durch be—
ſonders ausgedehnten
Krautbau aus und
liefern vorzügliches ©
Speiſekraut, ſo die Um⸗ |
gebung von Braun
ſchweig, Erfurt, jene
von Tulln in Nieder-
öſterreich und die Filder II
hochebene bei Stuttgart. i
So wie die Rüben⸗ anna om , eee,
gewächſe der Felder,
von denen Kohlrübe und Waſſerrübe nahe botaniſche Verwandte des Krautes ſind,
iſt auch dieſes zweijährig. Im erſten Jahr wird der ſog. Kopf gebildet, indem die
an verkürzter Achſe ſitzenden zahlreichen Blätter enge zuſammenſchließen und ein kuge—
liges oder oben ſpitz zulaufendes (Abb. 63), feſtes Gebilde entſtehen laſſen, das von
dem unteren Teil der Achſe, dem Strunk, abgetrennt wird und den zur Fütterung
oder zur menſchlichen Ernährung dienenden Teil der Pflanze abgibt. Als menſchliche
Nahrung dient ſowohl das friſche Kraut in verſchiedener Zubereitungsart, das ſchon
im alten Griechenland und Rom Verwendung fand, als auch das eingeſäuerte, das
Sauerkraut. So unnatürlich feſt iſt bei den geſchätzten Sorten des Krautes der
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 19
290 3. Kapitel.
Zuſammenſchluß der Blätter, daß man bei Samengewinnung im zeitigen Frühjahr,
vor dem Ausſetzen der mit den Wurzeln überwinterten Pflanze, die Köpfe oben übers
Kreuz anſchneiden muß, um der den Blütenſtand tragenden Achſe den Austritt zu
ermöglichen.
Die Kartoffel (ſ. Tafel „Kartoffel“).
Von de Candolle herauf zu v. Wettſtein iſt man darin einig, daß die
Heimat der Kartoffel (Solanum tuberosum), eines Nachtſchattengewächſes, auf
den Hochflächen der Anden Südamerikas zu ſuchen iſt. Heckel hat die Anſicht
ausgeſprochen, daß unſere heutigen Kartoffelſorten aus in Südamerika wildwachſenden
Solanum- Arten durch plötzliche Variationen größeren Umfanges oder Mutationen
entſtanden ſind. Veranlaſſung zur Bildung dieſer Anſicht gaben mehrere Beob—
achtungen, wonach aus Solanum commersoni und Solanum Maglia, die de Candolle
als die Urform der Kartoffel betrachtete, Formen entſtanden ſind, die Sorten unſerer
gebauten Kartoffel naheſtehen. Allerdings wurde die Entſtehung dieſer Formen
auch wieder bezweifelt, wenngleich es auffallend erſcheinen muß, daß bezügliche Irr—
tümer mehreren Beobachtern an verſchiedenen Orten unterlaufen ſein ſollten. Spon—
tane Variationen, die als Knoſpenvariationen auftreten, wurden bei Sorten
unſerer kultivierten Kartoffel mehrfach beobachtet, ſonſt allerdings nie ſo weitgehende, wie
fie in den erwähnten Variationen wildwachſender Solanum Arten vorliegen würden,
nach denen eine wohl unterſchiedene Art in eine andere verwandelt worden wäre.
Eine Überführung von Solanum commersoni in eine Kulturform gelingt jedenfalls
nicht einfach durch Erziehung der Pflanze unter Verhältniſſen des Kulturlandes.
Pflanzen dieſer Art erwuchſen ſchon bei Heckel ſeit 1896 in Marſeille, dann ſeit
1903 1907 bei mir in Hohenheim in Württemberg und nun ſeit 3 Jahren in der
Umgebung von Amſtetten in Niederöſterreich, und doch zeigen die Knollen trotz mehrfach
von mir verſuchter Einwirkungen, wie Impfung, Überdüngung, keinerlei Veränderung.
Gaſſner berichtet allerdings über einen 35 Jahre zurückliegenden Verſuch eines
Landwirtes in Montevideo, bei dem überraſchenderweiſe ſchon im dritten Jahr der
Kultivierung Knollen von Fauſtgröße und von angenehmem Geſchmack erhalten worden
waren. Wittmack und Berthault zu Grignon gelangten zu dem Schluß, daß
die Stammform unſerer Kartoffel nichts mit den Arten Solanum Maglia und Solanum
commersoni zu tun hat, wenn ſie es auch für möglich halten, daß deren ſpontane
Variabilität zu neuen Formen führen kann, die Kulturpflanzen mit eßbaren Knollen,
wenn auch nicht Solanum tuberosum find.
Die Urgeſchichte der Kartoffel, die in Amerika ſpielt, iſt ganz dunkel;
wir wiſſen nur, daß zur Zeit der Entdeckung Amerikas ſchon die Nutzung der Pflanze
ſeit langem bekannt war. Die Geſchichte der Einführung der Kartoffelpflanze nach
Europa wird mehrfach ſich widerſprechend mitgeteilt. Von den meiſten wird an—
genommen, daß die erſten Knollen 1560 nach Spanien gebracht worden ſind, von
wo ſie zuerſt nach Italien gelangten, ferner daß die Pflanze 1565 von Hawkins, 1586
von Drake nach England gebracht wurde. Hawkins hat nun aber nicht die Kartoffel,
ſondern die Batate nach Europa gebracht, dagegen nimmt man an, daß Franz
Drake bei der Expedition, die er 1585 gegen die Spanier und dann nach den
Raleighſchen Kolonien in Virginien unternahm, tatſächlich Knollen der Kartoffel nach
D ˙¹öwwm ˙ Ä
Die Hackfrüchte. 291
Europa brachte. Jackſon gelangte auf Grund ſeiner Forſchungen zu der Anſicht,
daß Drake ein ſpaniſches Schiff, das Kartoffeln zur Ernährung ſeiner Bemannung
führte, kaperte, die eingeführten Knollen demnach nicht von ihm ſelbſt aus Amerika
geholt worden ſind.
In der erſten Zeit ihres Auftretens in Europa hat man die Kartoffel auch
ſchon im Bilde dargeſtellt, und zwei dieſer Bilder ſind erhalten geblieben; die erſte
Darſtellung, ein Aquarell, erhielt Cluſius von de Sivry; fie bezieht ſich auf die
über Spanien und Italien eingewanderte Kartoffel, von der er auch Knollen durch
Sivry erhalten hatte, dem ſie wieder von dem päpſtlichen Legaten aus Italien zu—
gegangen waren. Die farbige Abbildung iſt im Muſeum Plantin zu Antwerpen er—
halten und ſtammt aus dem Jahr 1589. Das andere farbige Bild rührt von
Gerard her, wurde in ſeinem Werk »The Herball« 1597, 8. Aufl. 1636 veröffentlicht
und, wie Eaſt glaubt, nach einer Kartoffel angefertigt, die den direkt nach England
eingeführten angehört.
1588 brachte der eben genannte Botaniker Cluſius (Charles de l'Ecluſe) Knollen
der Kartoffel von Frankreich nach Wien, 1621 pflanzte Profeſſor Matthias Herborn
ſolche, die er aus England erhalten hatte, in Deutſchland. Die nennenswerte Ver—
breitung der Pflanze erfolgte in Spanien und Italien zu Beginn, in England gegen
Mitte des 16. Jahrhunderts und bald darauf auch in Belgien, Holland und Frankreich,
während ſie in Deutſchland und Oſterreich erſt in den letzten Jahren des 17. und zu
Beginn des 18. Jahrhunderts ſtattfand.
In manchen Landesteilen mußte die Verbreitung der Kartoffel geradezu er—
zwungen werden. In Frankreich war es Ludwig XVI., der ihre durch Parmentier
angeregte Verbreitung energiſch förderte. Friedrich der Große mußte Bauern durch
Landdragoner zur Kultur anhalten laſſen und auf den königlichen Domänen die Auf—
nahme der gekochten Kartoffeln durch Gewalt erzwingen. Mächtig gefördert wurde
der Kartoffelbau in Deutſchland und Sſterreich nach der Hungersnot 1771 und 1772,
die nur Preußen mit feinem damals ſchon eingebürgerten Kartoffelbau mehr ver:
ſchonte. Von den deutſchen Namen, die der Kartoffel urſpünglich beigelegt wurden:
Grüblingsbaum, Jakobsbirne, Erdbirne, Grundbirne, Erdäpfel haben ſich nur die
letzten zwei mehr erhalten; am verbreitetſten findet ſich die Bezeichnung Kartoffeln,
Toffeln, die ſich von dem italieniſchen Namen taratufoli herleitet, der wegen der
Ahnlichkeit mit den Trüffeln verliehen wurde.
Heute hat ſich der Kartoffelbau in allen Ländern Europas feſtgewurzelt und
zeigt in Irland, Norwegen, Deutſchland, Teilen von Oſterreich und Schweden die
gegenüber Getreide ſtärkſte Verbreitung. Das typiſche Kartoffelland iſt wohl
Irland, man nennt in Amerika daher auch die Kartoffel irish potato zur Unter—
ſcheidung von der Batate, die sweet potato genannt wird. Im Süden und Oſten
von Europa hat die Kartoffel geringere Verbreitung gefunden; ſoweit der Süden in
Betracht kommt, iſt dabei wohl der heiße Sommer eine der Urſachen, im Oſten ſind
es gewiß weniger die natürlichen Verhältniſſe, die ihre Verbreitung hinderten. Immer⸗
hin trifft man Kartoffeln bis in den Süden Siziliens herab und bis an die Grenze
Europas gegen Aſien. Obgleich die Kartoffel ausgeſprochen empfindlich gegen Froſt
iſt, finden wir ſie doch hoch im Norden, ja ſie geht nicht nur vereinzelt, ſondern auf
292 3. Kapitel.
großen Flächen angebaut in Norwegen noch über die Nordgrenze der Gerſteverbreitung
hinaus. In den Alpen treffen wir mit Kartoffeln bebaute Fleckchen als letzte Vor—
poſten des Feldbaues in großen Höhen, und Birger erwähnt in Trädgard och aker
(1909) für die nordſchwediſche Provinz Härjedalen höchſtes Vorkommen der Knollen—
pflanze bis 770 m Höhe, ſelbſt oberhalb der letzten Gerſtefeldchen. Es iſt allerdings
fraglich, ob es ſich dabei um eine vollkommen natürliche Entwicklung handelt, denn
Härjedalen erſtreckt ſich bis über den 63. Grad n. Br., und zwiſchen dem 63. und
64. Grad werden die Kartoffeln in Schweden meiſt vorgekeimt gelegt, um ſie in der
Entwicklung zu fördern. Die Pflanze hat für rauhe Lagen den Vorteil, daß die Ernte
bei frühen Schneefällen geſchützt iſt und, wenn auch die oberirdiſchen Teile nach
ſolchen abgeſtorben ſind, aus der Erde hervorgeholt werden kann.
Verfütterung und Verwendung als menſchliches Nahrungsmittel ſtehen bei
der Nutzung der Kartoffel obenan. Eine weitere Verwendung findet ſie als Rohſtoff
für Spiritus- und Stärkegewinnung. Den Umfang der beiden letztgenannten
Nutzungen, beſonders jenen zur Spirituserzeugung, überſchätzt man oft. Von der
geſamten Kartoffelernte Deutſchlands werden nur etwa 6% in der Brennerei, 4%
in der Stärkefabrikation verwendet, gegen 18 %,, die zur menſchlichen, und 47 0/0,
die zur tieriſchen Ernährung dienen. Als Nahrungsmittel iſt die Kartoffel in manchen
Gegenden geradezu unentbehrlich geworden, aber auch in anderen, wo ſie nicht die
vorherrſchende Winternahrung bildet, vermißt man ſie nur ungern als Beigericht.
Seit einigen Jahren ſtellt man aus zerkleinerten Kartoffelknollen durch Abdampfen,
bei einigen Verfahren auch durch Auspreſſen und Abdampfen des Waſſers ein Dauer—
präparat her. In Bolivia hat das Verfahren rohe Vorläufer gefunden. Die Ein—
geborenen laſſen die Knollen daſelbſt frieren, preſſen das Waſſer, das ſich dann leicht
entfernen läßt, aus und erhalten ſo Chuus, ein aufbewahrungsfähiges Produkt.
Die Wichtigkeit der Pflanze kommt in dem Sprichwort:
Bei Kartoffeln und Brot
Leidet der Bauer keine Not,
ebenſo zum Ausdruck wie in einem anderen:
Kartoffeln füllen wohl den Balg,
Geben aber keinen Talg,
ein Hinweis auf den geringen Gehalt an Nährſtoffen.
Von großem Wert wurde die Kartoffel in Sandgegenden, als man begann, ſie
in der Brennerei zu verwenden, und in den Nebenprodukten der Spirituserzeugung
reiche Mengen von Futtermitteln erlangte, mit denen ſich Mäſtung durchführen läßt.
Anders wie bei den bisher vorgeführten Kulturpflanzen vollzieht ſich bei der
Kartoffel die Saat. Kein Same wird dabei verwendet, man legt ihre Knollen oder
Stücke davon. Eine ſolche Knolle iſt ein Vermehrungsorgan, ein Pflanzenteil, der
dazu beſtimmt iſt, den Ausgang für eine neue Pflanze zu bilden, ohne daß ein Ge—
ſchlechtsakt dazwiſchentritt. Ließe man die Knollen einer Kartoffelpflanze über Winter
in dem Boden, ſo würde ſich der Verband, der im erſten Jahr beſtand, löſen, und
jede Knolle würde, wenn der Froſt nicht eindrang, im Frühjahr zu einer neuen
Pflanze heranwachſen.
Eine Kartoffelknolle zeigt äußerlich mehr oder minder vertiefte Stellen,
c / / /
Die Hackfrüchte. 298
die Augen, und bei genauer Betrachtung erkennen wir, beſonders leicht gegen Ende
des Winters hin, daß in jeder ſolcher Vertiefung eine beſſer ausgebildete Knoſpe
ſitzt, die von einer oder zwei weiteren mehr zurückgebliebenen begleitet iſt. Jede
ſolche Knoſpe oder Knoſpengruppe wurde hinter einem Niederblatt angelegt, das nur
als Schuppe entwickelt worden iſt und im Herbſt oder über Winter meiſt verſchwindet.
Die Augen ſind über die Knolle hinweg in einer Spirale verteilt, und bei Be—
ginn ihrer Schwellung, gegen Winterende zu, können wir verfolgen, daß ſie an jener
Seite, an der die Knolle am Mutterſtock an dem Tragfaden hing, ſchwächer, an dem
entgegengeſetzten Ende kräftiger entwickelt ſind. Die Stelle, an der die Knolle mit
dem Tragfaden verbunden war, der Nabel, verleiht dieſem Teil der Knolle die
Bezeichnung Nabelhälfte, während der andere Kronenhälfte genannt wird. Die kräf—
tigſten Triebe werden vom Kronenende entſendet, es iſt daher berechtigt, wenn in
Jahren, in denen Mangel an Kartoffeln herrſcht, das Nabelende verfüttert und nur
das Kronenende gelegt wird.
Schneiden wir vom Nabel zur Kronenhälfte ein ganz dünnes Blättchen aus
der Knolle, ſo ſehen wir außen eine dunkle, dünne Umrißzone, die der als Korkhaut
ausgebildeten Oberhaut entſpricht, und die darunter liegende Farbſtoffſchicht,
die bei entblößten Kartoffeln grün wird. Auf der von dieſer Zone eingeſchloſſenen
Fläche des ausgeſchnittenen Blättchens zeigt ſich eine hellere Linie und im Kern eine
unregelmäßige Innenzone, die das Licht viel mehr durchfallen läßt als die übrige
Partie. Die Linie verläuft näher der Oberhaut, zweigt zu den Knoſpen ab und ent—
ſpricht den vom Holzteil aus gebildeten Gefäßen, die ſich innen an die Wachstums—
ſchichte, das Kambium, anſchließen. Grundgewebe, Baſt- und Holzteil der Gefäß—
bündel und Mark ſind in der Knolle weit überwiegend aus Parenchymzellen
aufgebaut, in denen hauptſächlich Stärkekörner abgelagert ſind. Die Hauptmaſſe
der Knolle iſt ein Reſerveſtoffſpeicher, der die für das Austreiben der Knoſpen und
die erſte Entwicklung der Stengel und Wurzeln dienenden Stoffe enthält. Neben
ihrem Hauptvertreter, der Stärke, die über 80 %8V der Trockenſubſtanz der Knolle
ausmacht, finden ſich geringe Mengen von Pentoſanen, Zucker, Fett und
Rohfaſer ſowie, mehr in der Farbſtoffſchicht abgelagerte, Eiweißkörper und
Amide. Die Menge der Stärke nimmt von außen ab raſch anſteigend zu, fällt dann
allmählich gegen das Innere und iſt in dem wäſſerigen Mark, das bei einem dünn
aus einer Knolle ausgeſchnittenen Blättchen beſonders durchſcheinend iſt, am geringſten.
Anordnung der Knoſpen und innerer Bau weiſen darauf hin, daß die Knolle
eine Achſe, ein Stamm iſt. Die Achſe ſelbſt iſt mächtig verdickt und verkürzt, die
Blätter ſind zu Schuppen rückgebildet, die Knoſpen ſind vorhanden, und wie bei einer
oberirdiſchen Achſe ſind — es wurde dies ſchon erwähnt — auch bei der Knolle die
näher dem Gipfel zu ſitzenden am kräftigſten, treiben auch zuerſt aus.
Dieſes Austreiben der Knollen, die Entwicklung der Knoſpen, das als Ver—
zweigung aufzufaſſen iſt, erfolgt mitunter ſchon im Winterlager. Bleiben die
Knollen längere Zeit in dem Keller liegen, in dem ſie über Winter aufbewahrt wurden,
ſo bilden ſich gegen das Frühjahr zu aus den Knoſpen lange, dünne, gelbe Triebe.
Die Triebe ſind lang und dünn, weil ihnen die Einwirkung des Lichtes auf die
Achſen fehlt, ſie ſind gelb, weil bei Lichtmangel kein Chlorophyll gebildet werden
994 3. Kapitel.
fann. Bringt man gegen das Frühjahr zu eine ruhende Knolle in einen warmen
und ſehr lichten Raum, jo bilden ſich auch Triebe aus, aber dieſe werden unter Ein-
wirkung des Lichtes dick, kurz und grün.
Die im Frühjahr in die Erde eingebettete, noch ruhende Knolle beginnt, wenn
die Temperatur ſich über 8“ bewegt, auch dort auszutreiben. Bettet man im Herbſt
Knollen in die Erde und bietet ihnen Wärme, ſo erfolgt kein Austreiben, die Ruhe—
periode iſt noch nicht vorbei. Bei der Keimung werden die Reſerveſtoffe, unter dieſen
vor allem die in Zucker verwandelte Stärke, den Knoſpen zugeführt, und auch Waſſer
wird der Knolle entnommen. 0
Nur bei einigen Kulturverfahren, die bei ſehr waſſerreichem Boden angewendet
werden, liegt die Knolle ganz nahe der Erdoberfläche; meiſt müſſen die Triebe
eine dicke Erdſchichte durchbrechen und zeigen erſt nach einiger Zeit die Gipfelknoſpe
über der Erde. Von dem Teil eines Triebes, der ſich unter der Erde befindet,
werden nach einiger Zeit Seitenachſen entſendet. Jede ſolche geht aus der Achſel
eines ſchuppenförmigen Niederblattes ab, verläuft meiſt ſeitlich, kann ſich unter Um—
ſtänden aber auch nach oben wenden und zu einem Laubtrieb werden. Verläuft ſie
unterirdiſch ſeitlich, ſo wird fie zum Tragfaden, Stolo, einer Knolle. Sie läßt
dann an ihrem Ende bald eine hakenförmige Krümmung wahrnehmen; dieſe wird
weiterhin zu einer kleinen, weißen, kugeligen Verdickung, die gegen den Sommer oder
Herbſt zu mächtig heranwächſt und zur Knolle wird (ſ. Tafel Kartoffel). Die erſtangelegte
Knoſpe iſt eine ſolche des Kronenendes der fertigen Knolle, die übrigen Knoſpen werden
nach und nach gebildet, ſo daß jene des Nabelendes die jüngſten ſind. Für die Pflanze
im Naturzuſtand ſind lange Tragfäden günſtiger, da die Entwicklung der Tochter—
pflanzen im folgenden Jahr bei ſolchen beſſer erfolgen kann. So zeigen die ge—
nannten wildwachſenden Arten Solanum commersoni und Maglia ungemein lange
Ausläufer. Für die Nutzung ſind wegen der Erleichterung der Ernte kurze Aus—
läufer günſtiger, und man hat immer Sorten mit ſolchen gewählt. Sehr ſelten
bilden ſich Knollen in der Achſel oberirdiſcher Triebe aus; ſolche Luftknollen zeigen
meiſt ergrünte Blattſchuppen. Sowohl von dem unterirdiſchen Teil der nach auf—
wärts gehenden Achſen als von den ſeitlich verlaufenden Achſen gehen Wurzeln
aus. Sie gehen von den Enden der Stengelglieder ab, die durch eine Blattſchuppe
gekennzeichnet ſind. Ahnlich wie bei den Getreidearten ſind die Wurzeln zwar be—
fähigt, in ſehr große Tiefen hinabzudringen, aber nur dann, wenn ihnen keine erheb—
lichen Hinderniſſe geboten werden oder geradezu Wurzelbahnen benutzt werden können.
Solche Bahnen werden von den Röhren der Regenwürmer, aber auch von den
zurückgebliebenen Wurzelreſten von Tiefwurzlern geboten. Wie wenig die Wurzel
ſonſt zum Eindringen in größere Tiefen geeignet iſt, hat v. Seelhorſt in einem
beſtimmten Fall feſtgeſtellt. Auf kräftigerem Lehm war keine Wurzel über 75 em
Tiefe hinausgegangen, während Getreidearten ſolche über 100 und 150 em herab
entſendeten.
Die oberirdiſchen Achſen ſind kantig, mehr oder minder verzweigt, die
Blätter unpaarig, leierförmig gefiedert. Bevor die Verdickung der Enden unter—
irdiſcher Triebe kräftiger einſetzt, ſchicken ſich die oberirdiſchen Teile an, Blüten—
ſtiele zu entwickeln. Der ſchwäbiſche Dichter Gerok hat der Kartoffel ein Gedicht
Die Hackfrüchte. 295
gewidmet, das die Reize eines blühenden Kartoffelfeldes hervorhebt und in dem
es heißt:
„Mit der Büſche Laubgezelt,
Mit der Blüten Rötlichblau
Hebſt du wie ein Blumenfeld
Dich hervor aus grüner Au.“
Nicht nur rötlichblau, wie es in dem Gedicht heißt, auch in anderen Farben—
miſchungen, die Blau enthalten, dann aber auch gelblich und weiß blüht die Kartoffel.
Nicht alle ihre Sorten blühen. Allerdings hat Eaſt feſtgeſtellt, daß von 721 beob—
achteten Sorten nur 31 keinerlei Anſatz zur Blütenbildung zeigten, aber Eaſt ver—
folgte die einzelnen Sorten unter verſchiedenen Standortsverhältniſſen und rechnete
als Anſatz zur Blütenbildung auch ſchon die Bildung eines Blütenſtandes, der keine
Blüte zur Entfaltung bringt. Beobachtet man eine größere Anzahl von Sorten in
einer Gegend, ſo kann man faſt immer die verſchiedenen Zwiſchenſtufen von der
Bildung normaler Blüten, von denen ein Teil auch fruchtet, bis zum Unterbleiben
der Bildung eines Blütenſtandes ſinden. Sehr häufig iſt Ausbildung normaler
Blüten, die keine Früchte hervorbringen, weil der Pollen fehlt oder verkümmert iſt,
häufig die Bildung von Blütenknoſpen, die noch vor dem Aufblühen abgeworfen
werden.
Die Blüten ſtehen in meiſt zwei Wickeln zuſammen. Aufgeblühte Blüten zeigen
die Blumenkrone, die in der Knoſpe gefaltet war, radförmig ausgebreitet und innen
die kegelförmig zuſammengeneigten Beutel der Staubfäden, in deren Mitte der Griffel
mit der kopfförmigen Narbe emporragt. Am oberen Ende eines jeden Beutels laſſen
ſich meiſt am zweiten Tage des Blühens, das 3— 4 Tage lang dauert, zwei braun-
geſäumte Offnungen erkennen, aus denen der Blütenſtaub austritt. Da die Blumen—
krone ſenkrecht abſteht und die Narbe überragt, kann Blütenſtaub der eigenen Blüte
erſt bei dem abends erfolgenden Schließen der Blumenkrone auf die Narbe gelangen
oder im weiteren Verlauf des Blühens, wenn der Griffel ſich herabgeneigt hat.
Durchwandert man ein abgeblühtes Kartoffelfeld, ſo findet man an der Mehr—
zahl der Pflanzen, meiſt an allen die Stielchen, an denen die Blüten ſaßen, kamm—
artig emporſtehen. Die Blüten ſind mit einem kurzen Stielſtückchen abgefallen, und
die Trennungsſtelle war ſchon vorher durch einen Ring verkorkter Zellen zu er—
kennen. Bei Sorten, die an dem Standort und im betreffenden Jahr fruchten, kann
man aber bei einer oder der anderen Pflanze an einigen der Stielchen je eine
Frucht hängen ſehen. Dieſe iſt grün, reif gelblich-grün gefärbt und entwickelt
noch an der Pflanze oder bei der Nachreife einen fein getönten, an Ananas—
und Erdbeerfrucht erinnernden Geruch. In der Frucht, einer Beere, ſind ähnlich
wie bei dem Liebesapfel (Tomate) viele Samen in das Fruchtfleiſch eingebettet, die
bei allmählichem Faulen des Fleiſches oder künſtlich bei Durchtreiben des weich ge—
wordenen Fleiſches durch ein Sieb bloßgelegt werden.
Ungefähr gleichzeitig mit dem Reifen der Frucht fängt das Laub an gelblich—
grün zu werden und von unten ab allmählich abzuſterben. Sehr oft wird es vor—
zeitig durch einen Pilz zum Abſterben gebracht und täuſcht dann über den Abſchluß
der Vegetation. Gräbt man vor dem vollen Eintritt der Reife einen Kartoffelſtock
296 3. Kapitel.
aus, ſo findet man die Knollen an ihren Tragfäden im Umkreis herum liegen, ſehr
oft aber auch noch die Mutterknolle. Dieſe dient, nachdem die Reſerveſtoffe ver—
braucht ſind, noch lange Zeit hindurch als eine Art Waſſerſpeicher (Alex. Müller,
Sikorski) und füllt ſich mit von außen aufgenommenem Waſſer.
Die Knollen ſind von verſchiedener Farbe der Haut (weiß, gelb, rot, blau) und
des Fleiſches, das weißlich, gelblich, gelb und bei einigen wenigen blau iſt. Die
Form der Knolle der verbreiteteren Sorten iſt platt kugelig, kugelig oder länglich.
Noel Bernard glaubte für die Bildung der Knollen die Mitwirkung eines
Pilzes annehmen zu müſſen und betrachtet als ſolchen Erreger der Knollenbildung
Fusarium solani. Allerdings erhielt er in ſteriliſiertem Boden bei Impfung mit
dem in dem Ackerboden ſehr häufigen Pilz nur reichlichere Knollenbildung, die aber
auch ohne Impfung nicht ganz fehlte.
In trockenen Sommern iſt bei der Ernte das Gefüge der Mutterknolle noch
gut erhalten — eine Erſcheinung, die ſchon Cluſius beobachtete — in feuchten Sommern
iſt ſie zur Erntezeit zerſetzt. Tritt in trockenen Jahren, nach trockenem Sommer, der
den Abſchluß der Entwicklung der Pflanzen befördert hat, wieder naſſe Zeit gegen
den Herbſt hin ein, ſo zeigen die Knollen das ſog. Durchwachſen, auch Kindel—
bildung genannt; das Waſſer regt Wachstum an, und da die Ausbildung der Knollen
ſchon dem Abſchluß zugeht, ſo wächſt nur noch das Kronenende, oder aber es treiben
Knoſpen, die erſt im Frühjahr Achſen gebildet hätten, direkt zu Knollen, Kindeln aus.
So wie bei anderen Arten, laſſen ſich auch bei der Kartoffel neue Indi—
viduen aus Samen erziehen. Wenn dies bei Kultur auf dem Acker nicht geſchieht,
ſo iſt der Grund nicht darin zu ſuchen, daß genügende Mengen von Samen nicht zu
beſchaffen wären, ſondern darin, daß die Feldſaat ſehr ſchwer durchzuführen wäre,
und die Pflänzchen, die überhaupt auf dem Acker zur Entwicklung kommen, nur
wenige und kleine Knollen liefern würden. Auf die Samen greift man zurück, wenn
man neue Formen erhalten will. Die Samen enthalten keine Spur von der in der
Knolle maſſenhaft abgelagerten Stärke, ihr ſtickſtoffreier Reſerveſtoff iſt fettes Ol.
Sie liefern bald Keimpflänzchen mit zarter Pfahlwurzel und oberirdiſch ſich entfalten—
den Keimblättern. Die Pfahlwurzel verzweigt ſich und beſitzt, ſo wie die übrigen
Wurzeln der Pflanze, geringes Vermögen, Hinderniſſe zu überwinden. An der Achſe
erſcheinen oberhalb der Keimblätter wechſelſtändig die Laubblätter, aber es findet all—
mählich erſt ein Übergang zum normalen Fiederblatt ſtatt.
Wenn die Knollen für menſchliche Ernährung oder für Fütterung bis in den
Winter oder das Frühjahr hinein aufbewahrt werden müſſen, iſt man darauf bedacht,
ihren Wert möglichſt zu erhalten. Die Knolle ruht während des Winters
nicht vollſtändig, fie veratmet ſtändig Zucker, der aus der Stärke gebildet wird,
und Mikroorganismen an ihrer Oberfläche entnehmen ihr Subſtanz. Je wärmer nun
der Ort der Lagerung iſt, deſto ſtärker wird geatmet, und deſto größer ſind die Ver—
luſte an wertbildenden Stoffen, die die Knollen erleiden, und die Gewichtsverluſte
durch Verdunſtung. Temperaturen unter 0% bis — 29 werden von der Knolle im
Winterlager zwar vertragen, aber die Atmung wird eingeſtellt. Da die Zuckerbildung
aber weiter vor ſich geht (Müller-Thurgau), ſo ergibt ſich eine Anhäufung von
Zucker, die Knollen ſchmecken, zu ſolcher Zeit gekocht, ſüßlich. Bleiben die Knollen
Fruwirth, Feldwirtſchaft
Kartoffel (Solänum tuberosum)
(Aquarell von X. Oeffinger)
8
DER AATURFREUNDE
STUTTGART
Die Hackfrüchte. 297
im Lager, und die Temperatur ſteigt wieder, ſo wird der aufgeſpeicherte Zucker all—
mählich veratmet und die Knolle erhält wieder normalen Geſchmack. Sinkt dagegen
die Temperatur unter — 2°, jo erfolgt Kältetod der Knolle, und es tritt allmählich
Zerſetzung ein.
Ein Heer von Sorten iſt bei der Kartoffel vorhanden, noch größer iſt die Zahl
der Sortennamen. Schon frühzeitig verſuchte man, aus Samen von aufgefundenen
Beeren Pflanzen zu erziehen, und erhielt dabei auch Formen, die von der Eltern—
pflanze abwichen. Später wurde von Züchtern künſtliche Baſtardierung aus—
geführt, und man wählte unter den Nachkommen des Miſchlings die erwünſchten aus.
Aber auch zufällig gefundene Beeren wurden weiter benutzt; die in Amerika ſo ver—
breitete Sorte Burbank beiſpielsweiſe entſtammt einer ſolchen. Jede Baſtardierung
kann eine ganze Reihe von Formen geben, und wenn auch nur eine davon behalten
wird, ſo mehrt ſich, da viele Züchter arbeiten, die Zahl der Sorten derart, daß ein
Überblick nicht mehr möglich iſt. Dazu kommt, daß manche vorhandene Sorte zu—
fällig neu benannt wird, da ihr alter Name in Vergeſſenheit geriet, oder daß alte
bewährte Sorten abſichtlich mit neuen Namen verſehen werden, um ihre Knollen als
Neuheiten zu höheren Preiſen an den Mann bringen zu können.
Man hat davon geſprochen, daß Kartoffelſorten altern, im Ertrag nachlaſſen
und an Empfänglichkeit gegenüber Krankheiten zunehmen, und hat dieſes Altern darauf
zurückgeführt, daß die Sorten nur durch vegetative Vermehrung erhalten werden.
Nun werden aber auch bei geſchlechtlicher Erzeugung von Sorten ſehr viele wenig
ertragreiche erhalten, und Variabilität iſt auch bei vegetativer Vermehrung keines—
wegs ausgeſchloſſen. Wenn beiſpielsweiſe die von der Deutſchen Kartoffelkulturſtation
erhobenen Erträge auf einer großen Zahl von Wirtſchaften Deutſchlands 1888-1892 bei
zwei alten Sorten Daber und Imperator 217 dz vom ha betrugen, 1908 211,
1909 256, ſo ſpricht dieſes nicht für Abbau. Die Erträge aller geprüften Sorten
— und es wurden doch möglichſt gute neue herangezogen — waren bei den gleichen
Verſuchen in gleicher Zeit 216, 223, 266, was die Anſicht vom Abbau gewiß
nicht ſtützt. In der Praxis wird als Abbau das phyſiologiſche Altern einer Sorte,
der eigentliche Abbau aber auch das Nachlaſſen der Erträge bezeichnet, das als Folge
fortgeſetzten Anbaues unter ungünſtigen Standortsverhältniſſen oder mit dürftigen
Knollen eintritt. Daß langjähriger Bau unter beſtimmten Standortsverhältniſſen bei
Bau an anderem Ort eine gewiſſe Nachwirkung zeigt, habe ich vor Jahren durch
Verſuche nachgewieſen. Störmer hat dieſes in letzter Zeit beſtätigt, aber auch nach—
gewieſen, daß einjähriger Auſenthalt unter günſtigen Standortsverhältniſſen — Kur—
orte für Kartoffeln — wieder zur Geſundung führen kann.
Wie die Kartoffel, kam auch der Topinambur (Helianthus tuberosus), eine
andere Knollenpflanze, aus Südamerika zu uns. Dieſe Pflanze, die zur botaniſchen Familie
der Korbblütler zu zählen iſt, ſpielt der Kartoffel gegenüber eine weit untergeordnete
Rolle. Immerhin hat ſie Beſonderheiten, die ſie für beſtimmte Verhältniſſe geſchätzt machen,
ſo ihre Fähigkeit, auf dürren, ſteinigen Böden noch größere Mengen von Futter zu
liefern, und die Widerſtandsfähigkeit ihrer Knollen gegen Kälte, die es geſtattet, ſie
bis zum Frühjahr im Boden zu laſſen und während des Winters oder im Frühjahr
den Bedarf nach und nach zu ernten, endlich auch das große Ausſchlagsvermögen
298 4. Kapitel.
ihrer unterirdiſchen Teile. Ein Topinamburſeld bleibt viele Jahre auf derſelben
Stelle, da die Pflanze ausdauernd iſt. Alljährlich kann nun geerntet werden, indem
man pflügt, die knolligen Wurzelverdickungen auslieſt, dann eggt und nachlieſt, und
doch wächſt im Frühjahr wieder ein Beſtand von Topinambur heran. Die Knollen
werden ſelten zu menſchlicher Ernährung, wenig in der Branntweinbrennerei, meiſt
(gleich der Kartoffel) als Viehfutter verwendet, ſind wäſſeriger als jene und ent—
halten (ſtatt Stärke) als hauptſächlich vorhandenen Reſerveſtoff Inulin. Auch das
mächtige Kraut läßt ſich mit Vorteil verfüttern, in unſerem Klima gelangt es aber
ſelten ſo weit, einzelne gelbe Blüten zu bilden, nie dazu, Samen auszureifen. In
letzter Zeit macht eine Neueinführung: Helianthus macrophyllus, Helianti, dem
Topinambur zunächſt bei Gewinnung von Wintergemüſe Konkurrenz.
4. Kapitel: Bandelspflanzen.
Die Namengebung bei dieſer Pflanzengruppe kann irreführen. Im Welthandel
ſpielen Ernteprodukte dieſer Pflanzen eine untergeordnete Rolle, die ungemein weit hinter
jener der Getreidearten zurückſteht. Der Name iſt davon abzuleiten, daß die Mehrzahl
der Gewächſe, die in dieſe Gruppe eingereiht werden, ſolche nutzbare Teile liefert,
die nicht auf der Wirtſchaft ſelbſt verbraucht oder verarbeitet, ſondern dem Handel
übergeben werden. Darauf, daß dieſe Ableitung auch nicht allgemein zutrifft, braucht
nicht erſt beſonders hingewieſen zu werden. Bezeichnender iſt erſt die Benennung der
Untergruppen Ol-, Faſer-, Gewürz-, Arznei-, Farbpflanzen, denen, für ſich ſtehend,
Hopfen und Tabak angereiht werden, die man heute wohl nicht mehr den Arznei—
pflanzen zuzählen kann. f
Olpflanzen.
Gegenſtand der Nutzung iſt das fette Ol der Samen, das als Reſerveſtoff
aufgeſpeichert wird. Soweit es als Beleuchtungsmaterial Verwendung findet,
iſt der Verbrauch in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zurückgegangen, die
Rüböllampe wurde von Petroleum, Gas, elektriſchem Licht abgelöſt. In manchen
Gegenden geſchieht die Gewinnung des Oles, das Olſchlagen, auch heute noch auf dem
Wirtſchaftshof ſelbſt, und die Preßrückſtände, die Olkuchen, ſind in dieſem Fall, da
das Preſſen weniger ſcharf erfolgt, auch an Fett reicher. Bei Olgewinnung in Fabriken,
die ſchärfer preſſen, oft auch noch Extraktion des Oles vornehmen, ſind die Kuchen
feſter, fettärmer, haben aber durch ihren Gehalt an den übrigen Beſtandteilen der
Samen, beſonders den ſtickſtoffhaltigen, immer noch hohen Wert als Kraftfuttermittel.
Die Olgewächſe ſtellen an die Düngung höhere Anforderungen, verlangen mehr
Arbeit als Getreide und Hülſenfruchter und ſind unſicherer in den Erträgen. Neben
der Hauptpflanze dieſer Gruppe, dem Raps, zählt ſie noch Rübſen, Mohn, Leindotter,
Senf, Sonnenblume, Madie und Olrettich zu ihren Vertretern.
Raps (Brassica Napus oleifera, Abb. 64) iſt ein Kreuzblütler, ein naher Ver—
wandter der Kohlrübe, von ihr nur dadurch unterſchieden, daß bei ihm die unteren
Stengelpartien und die Wurzel nicht parenchymös verdickt ſind. Die bläulich be—
reiften Blätter, die an die Kohlrübe erinnern, verſchwinden bei der üblicheren Herbſtſaat
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Handelspflanzen. 299.
oft über Winter, es bleibt nur das Herz der Pflanze erhalten, und das Feld ſieht
zu Ende des Winters dann oft troſtlos aus. Bald aber regt es ſich, die Stengel
ſchießen raſch empor, verzweigen ſich zu mächtigen Büſchen, und über ein kurzes
tauchen einzelne gelbe Blütchen auf, zu denen ſich immer mehr und mehr geſellen, bis
das Feld, in Deutſchland meiſt in der erſten Maihälfte, eine weithin ſichtbare leuchtend—
gelbe Fläche darſtellt. Die Blüten (ſ. Tafel Handelsgewächſe, 2) begünſtigen Fremd—
befruchtung, da ſie Honig bergen und die Beutel der vier längeren Staubblätter beim
Beginn des Stäubens die ſtäubende Seite nach außen &
kehren, jo daß Inſekten, die zum Honig wollen, ſich Bee
mit Pollen bedecken, der in anderen bejuchten Blüten * EN 2
auf die Narbe gebracht werden kann. Fehlt Inſekten— NY
befuch, jo gelangt bei Neigung der Staubblätter 2
immer noch Pollen auf die eigene Narbe und be— \ V, I
wirkt dort Selbſtbefruchtung. Die Schoten N 2
(ſ. Tafel Handelsgewächſe, 2) ſpringen, wie die N \
Hülfen der Hülfenfruchter, leicht auf, aber das Auf- \\ari 7
ſpringen erfolgt in anderer Weiſe wie bei letzteren. | /
Die Hülſe beſteht nur aus einem Fruchtknotenblatt
und ſpringt an der Naht und am Rücken auf, wobei
die beiden Hälften ſich meiſt ſpiralig einrollen und
die an der Naht ſitzenden Samen ausgeſchleudert
werden. Die Schote iſt aus zwei Fruchtknoten—
blättern gebildet, die bei der Reife an den Nähten
auseinanderweichen, zwiſchen denen ſich ein mit
einem häutigen Gebilde überſpannter Rahmen be—
findet, der die Samen trägt. Die erheblichen Ver—
luſte an Samen (ſ. Tafel Handelsgewächſe, 2), die
beim Aufſpringen einer größeren Zahl von Schoten
eintreten, zwingen den Landwirt, Raps bei der Ernte
äußerſt vorſichtig zu behandeln. Man ſchneidet, bevor
die Körner die braune Farbe erreicht haben, ſchon
dann, wenn ſie braune Backen zeigen, und trachtet
bei der Trocknung auf dem Felde, die abgetrennten
Pflanzen möglichſt wenig zu rühren. >
Raps und Rübſen (Brassica rapa oleifera) Y
leiten ſich von wilden Formen ab, die ſich an der N
Nordwefiküfte Europas finden. Ihre Geſchichte N % mann don N. Ceffinae) )
als Kulturpflanzen hängt zum Teil mit jener von
Kohl⸗ und Waſſerrübe zuſammen, aber die Nutzung der Pflanzen als Olfrüchte erfolgte,
wie es ſcheint, viel ſpäter als die Nutzung der Rübenkörper jener Formen, bei denen
die Wurzeln parenchymös entwickelt ſind. Aus Deutſchland wird erſt aus dem 16. Jahr—
hundert über Olbau berichtet, und in den folgenden zwei Jahrhunderten ſowie bis
in die Mitte des 19. Jahrhunderts gewann der Bau von Raps und auch von Rübſen
immer mehr an Ausdehnung. Von Holland, Belgien und den Küſtengegenden Frank—
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300 +. Kapitel.
reichs und Deutſchlands zieht ſich heute der Rapsbau bis nach Ungarn und Rumänien
hin und entſendet einzelne Ausläufer in das ſüdliche Schweden. In Südeuropa würde
der Anbau der Pflanze wohl möglich ſein, aber dort herrſcht das Ol der Olive.
Rübſen nimmt mehr rauhere Lagen ein und geht auch weiter öſtlich als Raps.
Das Ol der Samen von Raps und Rübſen diente als Brenn- und Schmieröl,
aber es wurde auch als Speiſeöl genutzt. Seine Bedeutung als Brennöl war bis
zur Einführung des Petroleums anſehnlich; mit dieſer ging auch der Bau von Raps
und Rübſen immer mehr zurück, und heute wird das Ol vorwiegend nur noch zum
Schmieren benutzt. In Oberitalien findet man eine beſondere Nebennutzung der Pflanze:
ſie wird dort gebaut, um ihre veräſtelten Stauden der Seidenraupe zum Ein—
ſpinnen geben zu können.
Sowohl Raps als Rübſen wird in Mitteleuropa im Herbſt geſät. Es gibt zwar
bei beiden auch Sommerformen, ſo wie anderſeits Mohn und Leindotter auch als Winter—
form gebaut werden können, aber in Mitteleuropa hat es ſich am beſten bewährt,
Raps und Rübſen als Winter-, Mohn und Leindotter als Sommerfrucht zu bauen.
Der Rübſen iſt dem Raps ſehr ähnlich, läßt ſich aber bald nach dem Aufgang durch
die grasgrünen, ſteif behaarten und nicht bläulich bereiften Blätter erkennen und iſt
auch in der Blüte vom Raps zu unterſcheiden. Die Blüte entbehrt des braunroten
Punktes auf der Spitze eines jeden Beutels, die Kelchblätter ſtehen mehr als bei
Raps ab, und der Blütenſtand fängt beim Haupttrieb von oben nach unten zu blühen
an, während das Aufblühen bei Raps von unten nach oben erfolgt. Gegenüber dem
Raps hat der Rübſen im Anbau den Vorteil, daß er widerſtandsfähiger iſt und auch
bei ſpäterer Saat und auf leichtem Boden noch befriedigende Erträge gibt.
Eine Zierde des Feldes iſt der Mohn (Papaver somniferum) (ſ. Tafel Handels—
gewächſe, 3), wenn auch die Blüten ſeiner auf dem Feld verbreiteteren Formen nicht mit
der Farbenpracht des im Garten gebauten Ziermohns wetteifern können. Winzig klein iſt
der Same, und oft wird er mit Sand gemiſcht, um ihn in entſprechend geringer Menge
auf dem Feld ausſtreuen zu können. Aus der Roſette der blaugrünen, länglichen,
eingeſchnitten geſägten Blätter ſteigt ein Blütenſtiel empor, deſſen Knoſpe vor dem
Aufblühen herabgeneigt iſt, ſich aber am Abend vor dem Blühtag durch Streckung
des Stengels erhebt. Während der Nacht oder zeitig am Morgen des nächſten Tages
löſen ſich die zwei Kelchblätter ab und fallen ab, und zeitig am Morgen, ſchon zwiſchen
4 und 5 Uhr, entfalten ſich die in der Knoſpe faltig zuſammengelegten großen Blumen—
blätter. Die kopfförmige Narbe, die von einem Kranz zahlreicher Staubblätter
umgeben iſt, wird ſichtbar, und bald fliegen Inſekten heran, klammern ſich an die
nach außen hängenden Beutel, tragen Pollen fort, bringen dabei aber auch ſolchen J
der eigenen oder fremden Blüte auf die Narbe. Bis zum Abend des Blühtages ſind
Staubblätter und meiſt auch Blütenblätter abgefallen, ſeltener bleiben die letzteren
noch bis in den zweiten Tag herein erhalten, und die Blüte ſchließt ſich erſt am
Abend dieſes Tages. Der Fruchtknoten zeigt bereits beim Aufblühen die Form der
reifen Frucht deutlich und braucht nur heranzuwachſen. Ritzt man 8—14 Tage nach
dem Abblühen die Wand der noch grünen Kapſel, ſo quillt dicker weißer Milchſaft
aus der Verletzung. Im Orient wird das Ritzen mit mehrklingigen Meſſern aus—
geführt, der etwa / Stunde darauf zäh gewordene Saft wird mit ſtumpfen Meſſern
Handelspflanzen. 301
abgelöſt, auf Tellern an der Sonne trocknen gelaſſen und zu Kugeln geknetet, die,
von Mohnblättern umhüllt, als rohes Opium abgegeben werden. Von den ſechs
Hauptalkaloiden, welche kleinaſiſches Opium enthält: Morphin, Narkotin, Papaverin,
Thebain, Kodein und Narzin findet ſich nur Papaverin in einzelnen anderen Her—
künften nicht. Der Same des Mohnes weiſt nur Spuren von Narkotin und amorphem
Alkaloid auf, 3 Tage alte Keimpflanzen enthalten ſchon viel Narkotin, 5—7 em hohe
Pflanzen auch die übrigen Alkaloide, welche in der blühenden Pflanze nur in den
Staubblättern fehlen, in der Kapſel mit Fortſchreiten der Reife immer mehr abnehmen.
Auch in Europa entquillt der Morphium enthaltende Saft der verletzten Kapſel, ja
der Gehalt an dieſem Stoff iſt, wie jüngſt erſt wieder Thoms nachwies, eher höher
als im Orient, aber die Arbeitskoſten bei der Gewinnung ſind zu hohe.
Bei der Reife kommen, ebenſo wie bei Blüten- und Samenfarbe, zum Teil auch
bei der Färbung der Achſen, Formenunterſchiede zur Geltung. Ein Teil der Mohn—
formen gehört der Formengruppe des Schließmohns, ein anderer der des Schütt—
mohns an. Bei Schließmohn bleibt die Kapſel zur Zeit der Reife geſchloſſen, eine
Eigenſchaft, die vom Standpunkt der Pflanze aus ungünſtig iſt, da ſie die Ver—
breitung der Samen erſchwert. Die Kultur ſchätzt dieſe Eigenſchaft, da ſie Verluſten
vorbeugt, und verwendet Schließmohn viel häufiger als den Schüttmohn, bei dem
zur Zeit der Reife die Häutchen, die die Offnungen unter dem Narbenkopf über—
ſpannen, zerreißen.
Geſpinſtpflanzen.
Zahlreich ſind die Pflanzen, die in unſeren Tagen ſpinnbare Faſern liefern.
Früher, als Europa mehr auf ſeine Erzeugniſſe allein angewieſen war, kannte man
deren nur drei: Hanf, Lein und die Brenneſſel. Auch heute hat ſich zu dieſen Pflanzen,
von denen die Neſſel als Nutzpflanze verſchwunden iſt, in Europa ſelbſt nur wenig
hinzugeſellt. Man hat wiederholt verſucht, die Samenhaare der ſyriſchen Seiden—
pflanze (Asclepias syriaca) zu nutzen, und im Süden des Erdteiles wird etwas
Baumwolle gebaut. Dagegen haben die Tropen und Subtropen viele Geſpinſt—
pflanzen geliefert.
Bei Lein und bei Hanf ſind es Baſtfaſern des Stengels, die Ver—
wendung finden und zu dieſem Zweck erſt durch beſondere Verfahren von den übrigen
Teilen des Gefäßbündels, von Mark und von Rinde, getrennt werden müſſen. Eine
derartige Trennung erfolgt bei Tau- und Waſſerröſte durch die Tätigkeit von Bak—
terien oder bei Dampf- und chemiſcher Röſte durch Einwirkung von Dampf oder
chemiſchen Mitteln. Die Bakterien, welche die zwiſchen den Zellen befindliche pektin—
haltige Subſtanz zerſtören und dadurch den Baſt abtrennen laſſen, ſind verſchiedene,
je nachdem die Leinſtengel auf Wieſen ausgelegt werden (Tauröſte) oder in Gruben
oder Waſſerläufen unter Waſſer gebracht werden (Waſſerröſte). Bei Tauröſte von
Hanf wirken nach Behrens ein Bazillus der Amylobacter-Gruppe, beſonders aber
eine Schimmelpilzart: Mucor stolonifer im Herbſt, Mucor hiemalis in kälterer
Zeit. Bei Waſſerröſte von Lein fand Beijerinck beſonders Granulobacter pectino-
vorum und G. urocephalum tätig, Störmer Plectridium pectinovorum. Die mecha—
niſche Trennung der losgelöſten Faſer erfolgt beim Lein durch das Brechen, ein mehr—
faches Knicken des Stengels und Schwingen, ein Abſchaben der losgelöſten zerkleinerten
302 4. Kapitel.
Teilchen von der Faſer. Der derbere Hanfſtengel macht etwas veränderte Verfahren
notwendig, läßt auch bei ſehr üppiger Stengelentwicklung die Faſer der Länge nach
herabziehen.
Lein (ſ. Tafel Handelsgewächſe, 1). Einer wenig verzweigten, ſchmächtigen, tief
herabgehenden Wurzel entſpricht ein erſt in der Blütenregion veräſtelter ſchlanker dünner
Stengel. „Der Flachsſtengel“ betitelt ſich ein ſchönes umfangreiches Werk von gegen
300 Seiten, das die holländiſche Botanikerin Tine Tammes der Unterſuchung der Ver—
hältniſſe der Achſe des Leines gewidmet hat und das uns über manche, bis dahin
unklare Verhältniſſe aufklärt. Der jugendliche Leinſtengel weiſt unter der Oberhaut
eine 3 — 5 Zellagen dicke Schicht
von Rindenparenchym auf, an
die ſich hinter der Endodermis
(Stärkeſcheide) eine Zone von
Parenchym anſchließt, in die,
je in einem Kreiſe angeordnet,
Faſerbündel und Prokambium—
ſtränge gebettet ſind. Ziemlich
regelmäßig wechſelt in der Zone
der Prokambiumſtränge ein
primäres aus Baſt- und Holz-
teil beſtehendes Gefäßbündel
mit einem nur aus primärem
Baſt beſtehenden Strang, innen
befindet ſich Mark (Abb. 65).
Wenn ſpäter das Kambium
deutlich zur Ausbildung gelangt
iſt — dies tritt unten im
Abb. 65. Linum usitatissimum, Lein. Teil eines Querſchnittes : ” =
durch einen ſehr jungen Stengel. Stengel immer früher ein als
E Epidermis, R= Rinde, I = Interzellularraum, 8 = Stärkeſcheide, — 8 2
F = Fafern, pP = primärer Phloémſtrang, K S Kambium, pX = oben wird von dieſem nach
primärer Xylemſtrang, M = Mart. innen zu ſekundäres Holz, nach
Nur in den Zellen der Stärkeſcheide und des primären Phloems iſt der 5
Inhalt angegeben. Vergr. 210 mal. außen zu etwas ſekundärer
Baſt gebildet. Die Epidermis⸗
zellen tragen dem fortſchreitenden Dickenwachstum des Stengels durch Ausdehnung in
tangentialer Richtung Rechnung, es kann aber trotzdem zu ſtellenweiſem Reißen der
Epidermis kommen. Bei der weiteren Entwicklung — wie ſie ein älterer Stengel
(Abb. 66) zeigt — wird die unter der Oberhaut befindliche Rindenparenchymſchicht
zuſammengedrückt, ihre Zellen verlieren den Inhalt, die Endodermis wird in einzelne
Teile getrennt, die Faſerbündel werden zuſammengedrückt, die primären Baſtſtränge
verſchwinden, ein äußerer Teil des Markes verholzt. Entgegen der verbreiteten An—
ſicht, daß Baſtfaſern zum Teil auch ſekundär entſtehen, findet dieſes nach Tammes nicht
ſtatt; die Faſern wären daher beſſer ſtatt Baſtfaſern Perikambialfaſern zu nennen.
Die einzelne Baſtfaſer iſt eine einzelne Zelle von beträchtlicher Längenausdehnung.
Alle zuſammen bilden einen Hohlzylinder aus Faſerbündeln, der ſich zwiſchen Rinde
und Baſt befindet.
e
Handelspflanzen. 303 *
Die Nutzung der Leinpflanze verlangt Zartheit und Länge der Stengel,
die man durch möglichſt dichte Saat zu erreichen ſucht, da Lichtmangel Über ver—
längerung der Stengel und geringe Verholzung bewirkt. In den Zeiten der
Blüte des belgiſchen Leinbaues hat man die Überverlängerung ſo weit getrieben, daß
die Pflanze ſich in den Beſtänden nicht mehr ſicher aufrechterhalten konnte. Es
wurde dann ein künſtliches Stützen, das ſog. Ländern, vorgenommen; in den Boden
wurden Aſte getrieben, die oben in eine Gabel ausliefen, und in die Gabeln wurden
dünne Reiſer gelegt, derart, daß das ganze Feld mit einer Art Netz von Reiſern
überzogen war, an deſſen Maſchen ſich die Leinpflanzen lehnen konnten. Wenn auch
der Lein ſelbſt gegen Unkraut nicht beſonders empfindlich iſt, ſo ſtört ſolches doch
ſehr bei der Gewinnung der Faſer und muß dort, wo es trotz guter Vorbereitung
Abb. 66. Linum usitatissinum, Lein. Topographiſche Darſtellung eines Querſchnittes durch einen mitteldicken
Stengel in etwa ½ der Höhe.
E = Epidermis, R Rinde, Ss Stärkeſcheide, F= Faſern, Pk = Peritambium, pP primäres Phloöm, K =
Kambium, sX = ſekundäres Xylem, Ms S Martſtrahlen, pX primäres Xylem, vM = verholztes Mart, M S Mark,
Mh = Markhöhle.
des Feldes auftritt, durch Jäten des halbhohen Leines entfernt werden. Zunächſt
macht nach ſolcher Arbeit das Feld einen traurigen Eindruck, aber bald haben die
Pflanzen ſich erholt, und eine im Wind wogende hellgrüne Fläche bietet ſich dem
Auge, die einige Wochen ſpäter, wenn die Vollblüte eingetreten iſt, zu einer tiefblauen
wird. Die ſchöne Blüte gehört den fog. hinfälligen Blüten an, die meiſt nur einen
Tag oder ſelbſt kürzer dauern. Sie läßt die Möglichkeit der Fremdbeſtäubung
zu, da beim Aufblühen die Beutel von der Narbe abſtehen und ihre mit Pollen be-
deckte Seite nach außen kehren. Befruchtung iſt aber auf alle Fälle geſichert, da die
Beutel ſich bald nach dem Aufblühen der Narbe nähern und ſich an ſie andrücken;
hat keine Fremdbeſtäubung ſtattgefunden, ſo erfolgt nun doch Selbſtbefruchtung.
Vielfache Beobachtungen haben mir gezeigt, daß nebeneinander abblühende Sorten
von Lein ſich rein erhalten, Fremdbefruchtung daher ſelten ſein muß. Die fünfteilige
Fruchtkapſel bleibt bei dem gewöhnlich gebauten Lein auch dann geſchloſſen, wenn
304 +, Kapitel.
die Samen ihre braune oder gelbe Farbe erreicht haben und reif geworden find.
Anders bei dem heute nur ſehr felten anzutreffenden Springlein. Bei dieſem
ſpringt nach eingetretener Reife die Kapſel oft hörbar (Klanglein) auf, ſtreut die
Samen, ſchließt ſich dann wohl auch wieder, wenn feuchteres Wetter eintritt.
Lein wird meiſt gerauft, das heißt bei Handarbeit mit der Wurzel aus—
gezogen, damit auch die Faſer der unterſten Stengelſtücke noch gewonnen werden kann.
Die Faſer iſt eine beſſere, wenn die Ernte frühzeitig erfolgt, das Raufen nimmt man
daher ſehr bald nach dem Abblühen des Feldes vor, ja, wenn auf den Samen kein
Wert gelegt wird, ſelbſt während der Blüte. Die hervorragenden Leingebiete Europas
kennen nur den echten Lein (Linum usitatissimum). Springlein wird in Europa nur
ganz vereinzelt angetroffen, ſchmalblättriger Lein etwas im Süden Europas. Wichtigere
unterſcheidende Merkmale der Formen laſſen ſich in Tabellenform zuſammenſtellen.
Blüte Reife Kapſel Lebensdauer Stengel
Schließlein (Linum usitatissi- |
mum L.) blau, einige geſchloſſen bleibend, einjährig unten nicht
Formen weiß Scheidewände ſchwach verzweigt
Springlein (Linum usitatissi- und ſtark behaart |
mum, var. crepitans Schübl. N
Ma,. blau aufſpringend, Scheide-⸗ Teinjährig unten nicht
Schmalblättriger Lein (Linum wände kahl | verzweigt
angustifolium Hud3.) . . blau aufipringend, Scheide- ausdauernd |an der Baſis,
wände behaart verzweigt,
niederer
Man kennt von Schließlein allerdings einige auch äußerlich ſofort unterſcheid—
bare Formen, ſo den weißblühenden, den Königslein, den groß- und gelbſamigen Lein,
aber verbreitet iſt nur der gewöhnliche blaublühende Lein in ſeinen verſchiedenen
Herkünften. Dieſe Herkunft wird bis jetzt allein geſchätzt, und in Gegenden, die dafür
bekannt ſind, daß ſie weniger feine Faſer liefern, wird Leinſamen aus den ruſſiſchen
Oſtſeeprovinzen oder auch aus den Alpen Tirols bezogen. Von ſolchen Samen ge—
winnt man 2—3 Abſaaten, bezieht dann neue Originalſaat, da nach den Erfahrungen
die guten Eigenſchaften ſich unter ungünſtigeren Standortsverhältniſſen nur einige
Generationen hindurch erhalten. Gewiß läßt ſich in Gegenden mit für Lein aus-
geſprochen ungünſtigem, beſonders zu trockenem Klima keine feine Faſer erzielen, aber
in Gegenden mit einigermaßen geeignetem Klima läßt ſich auch ohne wiederholtem 1
Bezug von ungezüchteter Originalſaat aus berühmten Leingegenden durch Züchtung
weiterkommen. Ein Beſtand von Lein, deſſen Vorfahren viele Generationen hindurch
in einer Gegend erwuchſen, bietet eine Fülle von Verſchiedenheiten, die züchteriſch be
nutzt werden können, um wertvollere Formen abzutrennen. 1
Wiederholt wurden zwar Funde von wildwachſendem Kulturlein (Linum usita-
tissimum) angegeben, aber immer wieder — am wenigſten von de Candolle — wurde
bezweifelt, daß es Fälle von urſprünglichem wildem Vorkommen ſeien, und Ver⸗
wilderung angenommen. Linum angustifolium, der ausdauernde, ſelten aber auch
einjährige, ſchmalblättrige Lein, wächſt dagegen im Süden Europas wild.
MAY 2 1 1913
Handelspflanzen. 305
Die Geſchichte des Leines wurde zuerſt darauf aufgebaut, daß Heer Lein—
ſamen, die man in den Pfahlbautenreſten der Schweizer Seen gefunden hatte, als
ſolche des ſchmalblättrigen Leins beſtimmte. Darnach wäre dieſer damals in der
Schweiz gebaut und erſt ſpäter durch den heutigen Kulturlein verdrängt worden.
Wettſtein ſtellte jedoch feſt, daß der Same aus den Schweizer Pfahlbauten ge—
ſchloſſenen Kapſeln entſtammt, daher nicht dem ſchmalblättrigen Lein angehören könne,
und Neuweiler bezweifelt die Zugehörigkeit zu Linum usitatissimum, glaubt eher
an jene zu Linum austriacum und perenne. Die Geſchichte des Leines, die man
aufgehellt glaubte, wurde ſo wieder verdunkelt, und wir wiſſen heute nur, daß Lein
ſchon unter den erſten Dynaſtien Agyptens, dann in der Steinzeit, in der heutigen
Schweiz und in dem heutigen Oberöſterreich gebaut wurde und daß die Leinſamen
altägyptiſcher Funde wirklich Linum usitatissimum angehören (Unger, Schweinfurth),
und zwar der heute in Europa nur noch verſchwindend gebauten Form des Spring—
leins. Über den ägyptiſchen Leinbau ſind wir auch durch bildliche Darſtellungen
unterrichtet. Zu Chum el Achmar fand man in dem Grab des Sciamnes Malereien,
die die Ernte vorführen, und altägyptiſche Darſtellungen, die an anderen Orten gefunden
wurden, unterrichten uns über die Ausführung der Waſſerröſte, des Brechens, Hechelns
und Spinnens, ja, zwei altägyptiſche Hecheln ſind im altägyptiſchen Muſeum in Berlin
aufbewahrt. Wie hoch die Agypter Leinengeſpinſt ſchätzten, geht beſonders aus
Außerungen Herodots hervor: „Ihre Prieſter durften nur Gewebe aus Flachsfaſer
tragen, aber ſolche wurden auch ſonſt zur Bekleidung viel verwendet, die Mumien wurden
in Leinenbänder gewickelt.“ Das ägyptiſche Klima war der Verwendung von Leinen—
geweben zur Bekleidung gewiß günſtiger als jener von Stoffen aus tieriſchen Haaren.
In Mitteleuropa gewann der Flachs beſondere Bedeutung im Mittelalter;
die berühmten Handelsgeſchlechter Süddeutſchlands leiteten ihren Reichtum haupt—
ſächlich vom Handel mit Flachs her, Flachsabgaben ſpielten eine hervorragende Rolle,
die Zuſammenkünfte der ländlichen Bevölkerung fanden in den Spinnſtuben ſtatt.
Heute kann man in Europa Leinfelder vom äußerſten Norden Schwedens bis
zum aſiatiſchen Erdteil hin antreffen. Wohl das hervorragendſte Leinbau—
gebiet, hervorragend durch ſeine Ausdehnung und durch die Stärke des Anbaues
der Pflanze, iſt das ruſſiſche, das in den Oſtſeeprovinzen bis etwa gegen 70“ nörd—
licher Breite gegen Oſten hinzieht. Weitere Gebiete mit ſtärkerem Leinbau ſind das
belgiſche, holländiſche, nordirländiſche und oberitalieniſche, dann die kleineren Gebiete
im Otztal, Erzgebirge und den nördlichen Karpathen. See- und Gebirgsklima wird
von Lein, der gute Faſer geben ſoll, bevorzugt, und in den Alpen wird er noch in
Höhen gebaut, die ſein Ausreifen nicht mehr ſichern, aber doch die Faſernutzung zu—
laſſen, die vom Erſcheinen der erſten Blüten ab möglich iſt.
Olgewinnung wird auch heute noch in Europa neben der Nutzung der Faſer
betrieben, wenn auch die Faſergewinnung immer an erſter Stelle ſteht. Das Ol wird
bei der Malerei ſehr geſchätzt, iſt jedoch als Speiſeöl nicht zu verwenden. Die Nutzung
der Samen zur menſchlichen Ernährung iſt bei uns nicht üblich. Im alten Agypten
und in Griechenland wurde Leinſamen mit Honig als Nahrungsmittel verwendet, was
in Nordafrika noch heute üblich iſt. Nebennutzung bei der Bereitung von Leinöl iſt
die Verfütterung der Preßrückſtände: der Olkuchen.
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 5
LIBR
NEW
50 TAN
GARB
306
Der Genoſſe des Leins unter den europäiſchen Geſpinſtpflanzen gibt ein ganz
anderes Bild wie dieſer. Auch wenn man den Hanf (Cannabis sativa, Abb. 67)
nur von den Schlägen im Elſaß oder in Baden kennt, weiß man, daß es ſich bei
ihm um eine mächtige Pflanze handelt, die ſteife, verholzte Stengel beſitzt und den
Lein an Höhe zwei—
bis dreimal über—
trifft. Aber der Hanf
dieſer Gegenden ſteht
wieder weit zurück
gegen die baumartig
entwickelten Hanf⸗
pflanzen der humus⸗
und waſſerreichen
Niederungen um
Ferrara, wo die
Stengel eine Höhe
von 3—4 m er
reichen; ihr Nach⸗
bau in Deutſchland
ergab mir Pflanzen
von bei uns nie ge-
ſehener Mächtigkeit
(Abb. 7).
Im Hanf be⸗
gegnen wir der erſten
Pflanze unter den
hier beſprochenen, bei
der die beiden Ge—
ſchlechter auf
zwei verſchiedene
Individuen
verteilt ſind. Die
männliche Pflanze,
durchſchnittlich die
kleinere, wurde eben
ſchen als Fimmel
(von femella — die
Jungfrau ſtam⸗
mend) bezeichnet,
während die weib—
liche Pflanze, gleich⸗
falls irrtümlich,
Mäſchel (nach der
römiſchen Bezeich—
nung masculus —
männlich) genannt
I wird. Die Blätter
find drei- bis fünf-
teilig, aber auch jie-
benteilig, mit Drü-
ſen beſetzt, die Harze
und flüchtige Stoffe
abſcheiden. Bei den
männlichen
Pflanzen iſt die
Blüte deutlich ſicht⸗
bar; eine reichblütige
Riſpe ſchließt die
Achſe ab, und das
einzelne Blütchen
mit ſeinem fünfteili⸗
gen Perigon und
den an langen Fäden
herabhängenden
Beuteln erinnert an
die Einzelblüte bei
wegen ihrer Kleinheit Ak der männlichen
4 7 A, a FR SEX 5
von den Römern als He = Hopfenpflanze (mit
die weibliche be- Abb. 67. Cannabis sativa, Hanf. dem der Hanf ja nahe
trachtet, und wird a männliche, b weibliche Pflanze, c „Same“ — Frucht (1:1). verwandt iſt). Ganz
auch noch im Deut- i unanſehnlich ſind die
weiblichen Blüten, von denen je eine zu jeder Seite eines Blattes hinter deſſen
Nebenblättern ſitzt. Die Farbe hebt die Blüte nicht ab, die Form iſt unſcheinbar
und wird noch von einem Hochblatt verhüllt, nur die zwei Griffelſchenkel, die empor⸗
ragen, laſſen die Blüte raſcher unter dem Blätterdach kenntlich werden. Die ganze Ein⸗
Handelspflanzen. 307
richtung der Blüten weiſt auf Windbeſtäubung hin, der auch die ungemein große
Menge von Blütenſtaub entſpricht. 12 500 000 Pollenkörner ſtellte Strasburger bei einer
männlichen Hanfpflanze feſt. Der „Same“, eine Frucht, enthält einen gelblichweißen,
großen Keimling und nur wenig Eiweiß; er iſt von der Fruchtſchale umſchloſſen, die
verſchiedene Färbung zeigt. Als Farbe der Frucht, des Nüßchens, finden ſich von
Grünlichweiß bis zu Schwarzbraun mehrfache Abtönungen. Durch Züchtung laſſen
ſich, wie ich feſtgeſtellt habe, ſowohl die Farbe als auch Unterſchiede in der Größe
und Form der Nüßchen rein zur Ausprägung bringen.
Aus den Gegenden im Süden des Kaſpiſees und aus Südſibirien, wo der Hanf
wild vorkommt, hat er ſich nach Indien, China und Europa verbreitet. Im alten Indien
kleidete ſich die 1. Klaſſe, jene der Prieſter, in Hanfgewebe, die Krieger verwendeten
Flachsfaſer, die 3. Klaſſe, die Handwerker, Wolle, die Sklaven Baumwolle; aus
China wird Hanfbau aus der Zeit um 500 v. Chr. erwähnt. Die Agypter kannten
den Hanf nicht; ſie verwendeten neben der Faſer der Papyrusſtaude jene des Leines
auch zu Stricken und Tauen. Die Griechen wurden mit dem Flachs zu Herodots
Zeiten bekannt, die Römer erheblich ſpäter; Lucilius ſpricht 100 v. Chr. von einem
hänfenen Strick. Karl der Große nennt den Hanf in ſeinen Wirtſchaftsanweiſungen.
Als Gegend mit hervorragend gutem Hanf gilt heute die Umgebung
von Bologna und Ferrara in Italien, die von Apatin in Ungarn, von Freiburg
in Baden. Obwohl ſich die Gebiete mit ſtarkem Hanfbau in Mitteleuropa ſüdlich
des 50.0 nördl. Breite befinden, iſt ſeiner Verbreitung bei der kurzen Lebensdauer
keineswegs eine ſo tief verlaufende nördlichſte Grenze gezogen. Man findet in Rußland
ſtarken Bau von Hanf bis über den 70.“, in Schweden ſelbſt bis über den 75.“ nördl.
Breite. i
In alten Zeiten diente der Hanf in Aſien als Narkotikum, und dieſe Nutzung
der flüchtigen Stoffe der Blattdrüſen findet ſich dort noch heute. Die Betäubung
durch einen Extrakt aus den Blättern von Cannabis indica wird von Herodot als
bei den Szythen üblich erwähnt. In Europa iſt die Nutzung des Baſtes, der
derber als die Leinfaſer iſt, für gröbere Gewebe, Stricke und Seile vorherrſchend,
daneben jene der Früchte zur Gewinnung eines Oles, das für Firnis in der Seifen—
fabrikation, in Rußland auch zur Bereitung von Speiſen verwendet wird. Die
weniger verdaulichen Olkuchen werden als Kraftfutter für Rinder verfüttert, die ganzen
Früchte an Geflügel.
Hopfen.
Wie bei der Kartoffel werden auch bei Hopfen (Humulus lupulus) (ſ. Tafel
Handelsgewächſe, 5) neue Individuen durch vegetative Vermehrung gewonnen.
Während bei der Kartoffel der Teil, aus dem ein neues Individuum erwächſt, die
Knolle, als Vermehrungsorgan bereits gekennzeichnet iſt, wird bei Hopfen ein Stück
der Achſe als Steckling abgetrennt und zur Erzeugung eines neuen Individuums
verwendet. Solche Stecklinge werden einzeln, weniger gut je zu zweien oder dreien
auf ein Feld gepflanzt: man legt einen Hopfengarten an. In der Tat hat es eine
gewiſſe Berechtigung, von einem Garten ſtatt von einem Felde zu ſprechen, denn der
Hopfen verlangt viel und ſorgſame Arbeit wie die Bäume des Obſtgartens, und
308 4. Kapitel.
die Pflanzen bleiben wie dieſe viele Jahre auf der Fläche ſtehen. Allerdings iſt die früher
allgemein übliche Handarbeit im Hopfengarten jetzt zumeiſt durch Geſpannsarbeit erſetzt
worden; es mußte einer wirtſchaftlichen Forderung entſprochen werden, die durch hohe
Löhne und Arbeitermangel bedingt war. Hopfenpflanzen, die aus Stecklingen erwachſen,
geben oft ſchon in dem Jahr, in deſſen Frühjahr die Stecklinge oder Fechſer geſetzt
* * * 8
N 7 =: “ar | N
2 2 »
12
Abb. 68. Hopfenernte bei Saaz in Böhmen. (Phot. J. Wara.)
wurden, weibliche Blütenſtände, Zapfen jedenfalls aber im darauffolgenden Jahr.
Aus Samen gezogener Hopfen liefert meiſt erſt im dritten Jahr einen Ertrag.
Wenn wir in einem älter als einjährigen Hopfengarten die Entwicklung der
Pflanzen verfolgen, ſo ergibt ſich auch Gelegenheit, einen Blick auf die mannigfaltigen
Kulturarbeiten, die während des Sommerhalbjahres notwendig werden, zu
werfen. Zeitig im Frühjahr zeigen ſich die Spitzen einzelner Triebe über der Erd—
oberfläche. Gräbt man nach, ſo findet man andere noch unter der Erde, weißlich,
roſa angelaufen, mit hakig gebogener Spitze. Solche noch nicht grüne Triebe ſind
es, die man als Hopfenſpargel genießt und in Frankreich ſelbſt durch Antreiben
ausgegrabener Hopfenſtöcke frühzeitig gewinnt. Iſt eine größere Zahl von Trieben
über der Erdoberfläche erſchienen, ſo iſt es Zeit, den Schnitt vorzunehmen. Bei
dieſer Arbeit wird, nachdem die Erde von der Pflanze weggebracht wurde, entweder
der ganze unterirdiſche, verdickte Teil aller vorjährigen Reben abgeſchnitten oder doch
Handelspflanzen. 309
ein beträchtliches Stück von ihm. Das Abgeſchnittene kann Stecklinge und Hopfen—
ſpargel liefern oder wird einfach beſeitigt. Neuerdings muß nun der Hopfen aus—
treiben, diesmal aus den Rebenſtumpfen oder aus dem bleibenden Teil der Hopfen—
pflanze, dem ſog. Wurzelſtock. Von den erſcheinenden Trieben wird ein kleiner
Teil, zwei oder drei Reben, belaſſen, und nach einigem Längenwachstum werden die
belaſſenen Reben an das Aufleitungsmittel geführt. Wie die Fiſole iſt der Hopfen
ein Schlinggewächs, nur iſt die Richtung des Windens bei ihm eine andere: die
Reben winden von rechts unten nach links oben. Das Haften der Reben an der
Stütze wird bei Hopfen noch durch eine beſondere Einrichtung unterſtützt: Klimm—
haare mit nach zwei Seiten gerichteten Spitzen, die in ſechs Längsreihen an der
Rebe ſtehen. Zeitig im Frühjahr bietet eine Gegend mit vorherrſchendem Hopfenbau
ein wenig ſchönes Bild, ein Wald von Stangen ſtarrt auf den Flächen empor, oder
aber es werden hohe Gerüſte (Abb. 68) ſichtbar, an denen Drähte und Schnüre ſenkrecht
oder ſchief emporgeführt werden. Stangen oder die jetzt immer mehr in Anwendung
kommenden vorteilhafteren Drähte oder Schnüre ſollen den Reben das Emporſteigen
ermöglichen, das bei Stangen durch zweimaliges Anbinden unterſtützt werden muß.
Raſch wächſt die Pflanze heran, zur Zeit des ſtärkſten Wachstums kann man Tag
für Tag ein beträchtliches Stück Längenzunahme feſtſtellen. Das Bild der Gegend
iſt nun freundlicher geworden, die Laubgirlanden haben die Aufleitungsmittel um—
wunden, ſeitliche Aſtchen entſendet und beginnen nun Blütenſtände, die Zapfen oder
ſog. Hopfendolden auszuhängen. Raſch wie die geſamte Hauptentwicklung der
Hopfenpflanze geht auch das Erſcheinen der weiblichen Blütenſtände vor ſich (ſ. Tafel
Handelsgewächſe, 5) — den „Anflug“ nennt es der Hopfen bauende Landwirt.
Jeder der Zapfen beſteht aus einer großen Zahl von weiblichen Blüten, zwiſchen
denen ſich Blattanlagen befinden, die erſt ſpäter (ſ. Tafel Handelsgewächſe, 5) zu
Hochblättern, den Zapfenſchuppen, auswachſen. Unter den Zapfen bemerkt man
öfters auch ſolche, bei denen neben den gelblichgrünen Zapfenſchuppen grüne Laub—
blätter oder Teile ſolcher vorhanden ſind. Dieſe Erſcheinung, das Durchwachſen,
die Narrenkopfbildung, zeigt ſich bei reicherer Waſſerzufuhr und Vorhandenſein
von viel Stickſtoff im Boden. Während ſonſt nur die Zapfenſchuppen vorhanden
ſind, von denen ein Teil, die Deckblätter, als die zwei Nebenblätter je eines Blattes
aufzufaſſen ſind, gelangt in dieſem Fall auch das zu zwei ſolchen Nebenblättern
gehörige Laubblatt zur Entwicklung.
Die Perigone der Blüten und die Deck- und Vorblätter des techniſch reifen
Zapfens laſſen goldgelbe Kügelchen erkennen, mit denen ihre Oberfläche dicht bedeckt
iſt. Dieſe Kügelchen ſind die Becherdrüſen des Hopfens, die in erſter Linie ſeinen
Wert für die Brauereien bedingen. Die Becherdrüſen bilden ſich je aus einer Epi—
dermiszelle, die ſich lebhaft teilt und dabei ein ſchalenförmiges Gebilde entſtehen läßt.
Die Oberhaut der Zellen der Schale wird dann durch Abſonderungen der Zellen
abgehoben und wölbt ſich becherartig über die Schale empor. Zwiſchen Becher und
Schale befindet ſich das Sekret, das bei Druck auf die Drüſe als hellgelbe Flüſſigkeit
austritt.. Außer den Becherdrüſen finden ſich an gleichen Stellen auch Scheiben—
und Köpfchendrüſen; beide Arten von Drüſen treten aber auch auf jungen Achſen
und der Unterſeite der Blätter auf. Das Sekret der Drüſen enthält an Stoffen, die
310 4. Kapitel.
bei der Bierbereitung wichtig ſind, ätheriſches Ol, Hopfenbitterſäure, zwei Weich—
harze, ein Hartharz und Gerbſäure.
Bisher wurden nur weibliche Blüten- und Fruchtſtände erwähnt. Männliche
Pflanzen muß man in Mitteleuropa außerhalb der Hopfengärten an Hecken und in
Auwäldern ſuchen. In den Gärten werden ſie nicht gepflanzt, da man eine Frucht—
bildung bei der Art der Nutzung der Pflanzen nicht wünſcht. Die männliche Hopfen—
pflanze hat die Blüten, aus denen die Staubbeutel an langen Fäden hängen, in
Riſpen vereint, die im Winde pendeln und dabei reiche Maſſen von Blütenſtaub
entſenden, der Typus eines Windblütlers. Kommt es bei wildwachſendem Hopfen
zur Befruchtung, ſo bilden ſich die Fruchtknoten der Blütchen zu Nüßchen aus,
von denen je eines unten in dem umgebogenen Rand eines nach dem Blühen
zur vollen Größe herangewachſenen Vorblattes ſitzt. Wenn die Frucht reif iſt und
heftige Herbſtwinde die Pflanze ſchütteln, ſo löſen ſich die kahnförmigen Vorblätter
ab und dienen dem Früchtchen als Flugorgan, das fie weit von der Mutterpflanze
niederfallen läßt.
Durch ganz Europa und in einem großen Teil Aſiens wächſt Hopfen wild,
und wenn Linns die Anſicht ausſprach, daß der Hopfen während der Völkerwanderung
aus Rußland zu uns gekommen ſei, ſo dachte er wohl nur an den Gebrauch der
Pflanze. Braungart, der ſich zuletzt eingehend mit der Geſchichte der Pflanze be—
faßte, führt die Verbreitung der Nutzung der Hopfenpflanze auf die Oſſeten im Kau—
kaſus zurück, einen germaniſchen Stamm, der ſie auf ſeinen Wanderungen verbreitete,
zunächſt aber nur die Zapfen der wildwachſenden Pflanzen verwendete. Sichere
Nachrichten über die Kultivierung von Hopfen liegen aus dem 8. und 9. Jahrhundert
vor. Pipin der Kurze ſchenkte Hopfengärten (Humulariae) an das Kloſter St. Denis;
Abt Adolard befreite 822 die Müller des Stiftes Corvey von der Arbeit in den
klöſterlichen Hopfengärten. Viel ſpätere Urkunden aus den Jahren 1052, 1348,
1380 berichten über Hopfenbau in Böhmen und um Spalt in Bayern. Erſt im
Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Hopfenkultur nach England gebracht, im
17. nach Nordamerika, wo ſie erſt um die Mitte des 19. Jahrhunderts vom Oſten
bis nach dem fernen Weſten, nach Kalifornien, gelangte. Die nördlichſte Grenze, bis
zu der in Europa Hopfen gebaut werden kann, iſt weit hinausgerückt. Schübeler
ſpricht von einem Anbau in Throndhjem, und zweifellos läßt der geringe Wärme—
bedarf der Pflanze einen Bau im Norden von Norwegen noch zu. Wirtſchaftliche
Bedeutung beſitzt aber nur der Bau zwiſchen ungefähr dem 48.“ und 55.“ nördl. Breite;
zwiſchen dem 48.“ und 52.0 nördl. Breite liegen die wegen ihres Erzeugniſſes be—
rühmten Hopfengegenden von Saaz in Böhmen, Spalt in Bayern, das wichtige eng—
liſche, belgiſche und elſäſſiſche Hopfengebiet und die außer Saaz und Spalt in
Böhmen und Bayern Hopfen bauenden Gegenden.
Die heute herrſchende Nutzung des Hopfens iſt die der Zapfen zur Bierbereitung,
bei der der Hopfen andere Bitterſtoffe, die früher allein verwendet wurden, verdrängt
hat. Daß Hopfen auch zur Bereitung von Likören, in England auch zur Tee—
bereitung herangezogen worden iſt, ſpielt keine Rolle, da der Bedarf für dieſe
Zwecke nur ſehr gering iſt. Die wiederholten Beſtrebungen, den Baſt der Reben
zu verwerten, haben nicht zu dauerndem Erfolg geführt.
% ² uͥ˖Äͤ0̃Ä˙ßh Ä̃œC ̃ ů!-!·⸗ß . 6 ˙ A ˙¹ꝑ0ͤʃ 1
Handelspflanzen. 311
Tabak.
Nahezu oval, an einem Ende etwas ſchmäler, iſt der braune, mit netzartig ver—
teilten Grübchen verſehene Tabakſame, deſſen Reſerveſtoffe hauptſächlich Eiweiß und
Ol ſind. Bis zu 40000 Samen kann auch eine ſchwächere Pflanze erzeugen, jo daß,
wenn alle zur Entwicklung kommen würden, eine ſolche Pflanze ſchon nahezu genügend
Samen für ein ha mit feinen 30 —50 000 Pflanzen liefern würde. Jettas fand in
Italien an einer einzigen Pflanze in zuſammen 49 Kapſeln ſelbſt 245000 Samen.
Der Same wird in Mitteleuropa in Beete geſät, oft ſogar vorher einen Tag
lang in lauwarmem Waſſer vorgequellt, und es wird den Beeten durch darüber ge—
ſtülpte Käſten mit Fenſtern oder Pergaminrahmen Schutz gewährt. Bald erſcheinen
die erſten Blättchen, die ſich flach auf den Boden hinbreiten. Mit 6 Blättern wird
der Tabak aus dem Beete genommen, wenn er aus dem Beet direkt auf das Feld
gebracht wird, — mit 4 Blättern, wenn er vorher nochmals verpflanzt werden ſoll.
Bei der in Deutſchland üblichen Kultur wird vielfach vor Eintritt der Blüte
die Spitze der Pflanze abgenommen, die Pflanze wird „geköpft“, und es werden
die hierauf aus den Achſeln der oberen Blätter erſcheinenden Seitentriebe ent—
fernt, es wird „gegeizt“. Beides tut man, um größere und nikotinärmere Blätter
zu erzielen, und unterläßt es dort, wo der Tabak zur Bildung gröberer Blätter neigt
oder wenn man keine zu Deckblättern geeigneten Blätter erzielen kann. Auf die
entſprechende Ausbildung des Blattes wird natürlich bei ſeiner hohen Be—
wertung beſonderes Gewicht gelegt. Die Zuſammenſetzung wird durch Vermeidung
aller chlorhaltigen Dünger, mäßige Zufuhr von Stickſtoff und ſtarke Zufuhr von
Kalidüngern günſtig beeinflußt; das getrocknete, zum Rauchen beſtimmte Blatt ſoll,
wenn angezündet, gleichmäßig fortglimmen, nicht rußen, nicht mit Flamme brennen.
Die Zartheit des Blattes trachtet man bei uns jetzt durch dichteres Zuſammenpflanzen
zu erzielen, während man in Amerika ſelbſt künſtlichen Schatten durch Gerüſte gibt,
die mit dünnen Geweben überſpannt ſind.
Die nicht geköpften Pflanzen laſſen im Blütenſtand die oberſte Blüte zuerſt
aufblühen, die Seitenäſte, Wickel, blühen von oben nach unten auf, verlängern ſich dabei
aber beträchtlich, ſo daß zuerſt aufgeblühte Blüten von ſpäter blühenden überragt werden.
Die Blüte läßt Fremdbeſtäubung zu, meiſt erfolgt aber Selbſtbeſtäubung, die ſehr gut
wirkt. Die Kapſeln ſind in reifem Zuſtand braun und ſpringen ausgereift auf.
Man erntet die Blätter vor der natürlichen Reife der Pflanzen, in einem Zeit—
punkt, in dem ihr Grün einen leicht gelblichen Stich annimmt, die Ränder der unteren
Blätter ſich leicht einzurollen beginnen und das ganze Feld ſtarken Duft aushaucht,
herrührend von den Drüſenhaaren, mit welchen die Blätter beſetzt ſind. Der Tabak iſt ein
Geſchenk des Neuen Kontinents, das zunächſt in Europa verachtet war, aber raſch
an Wertſchätzung gewann. Zur Zeit der Entdeckung Amerikas war der Tabak eine
dort wohlbekannte und genutzte Pflanze. Die Eingeborenen rauchten Rollen, die aus
Tabakblättern oder aus ſolchen und einer Hülle von Maislieſchenblättern gebildet
waren. Aber auch Pfeifen waren in Gebrauch; ſolche ſind ſelbſt in den prähiſtoriſchen
Fundſtätten, den mounds, angetroffen worden. Von der zweiten Expedition des
Kolumbus gibt uns bereits der Mönch Romano Pano in »de insularium ritibus«
312 4. Kapitel.
1497 Nachrichten über die Nutzung der Tabakpflanze in Amerika, weitere dann
Hernando de Ovieto 1535, der im Jahre 1519 Blätter der Tabakpflanze nach Spanien
brachte. Der franzöſiſche Geſandte in Liſſabon, Nicot, der Blätter an ſeine Königin
Katharina von Medici ſandte, gab Veranlaſſung zu der ee Bezeichnung der
Pflanze Nicotiana und der franzöſiſchen
herbe de la reine. Die Bezeichnung
Tabak iſt auf das karaibiſche tabaco
zurückzuführen, das ſowohl trockene Tabak—
blätter als auch Pfeife zum Rauchen be—
deutet. In Frankreich wurde Tabak ſchon
1556 gebaut, in der Pfalz 1598, im Elſaß
1620, um Amersfort in Holland um 1615.
Zuerſt wurde Tabak vielfach als Heil—
mittel bei Ausſchlägen gebraucht, ſehr
bald aber kam die Nutzung des Rauchens
und Schnupfens in Aufnahme, gegen die
ſich verſchiedene
Regierungen wen—
deten. Murad IV.
belegte das Rau-
chen 1633 mit
Todesſtrafe, 1656
wurde in Württem-
berg ein Rauch⸗ Abb. 69. Nicotiana tabacum,
verbot erlaſſen, . Rotblühender Tabat.
(Zeichnung von R. Deffinger.)
Rußland beſtrafte
die Raucher mit Ohrenabſchneiden und Verbannung,
Papſt Urban belegte fie 1624 mit ſeinem Bann. Die
feindliche Haltung der Regierungen wandelte ſich
ſpäter um, an Stelle von empfindlichen Körper:
ſtrafen treten Geldbußen und ſchließlich wurde der
Tabak zu einem wichtigen Objekt der Beſteuerung,
indem teils die Ernte, teils das Erzeugnis aus ihr
i verſteuert werden muß, teils der Staat die Ernte
übernimmt, ſelbſt zu Zigarren, Zigaretten u. dgl.
verarbeitet und dieſe zu entſprechend hohen Preiſen
0 Abb. 70. Nicotiana rustica, abſetzt.
rünblühender-, Bauern-, Veilchentabat. . : 2 ex, -
(Zeichnung von R. Deffinger.) Bei wenig anderen Pflanzen gibt uns das Bild
ihrer heutigen Verbreitung weniger Aufſchluß über
die Verbreitungsmöglichkeiten als beim Tabak. In erſter Linie deshalb, weil die Ver—
breitungskarte nicht erkennen läßt, ob es ſich, wie in Südeuropa, um Pflanzen handelt,
die ihren ganzen Lebenslauf ohne Schutz durchgemacht oder aber, wie in Mitteleuropa,
in der Jugend künſtlichen Schutz empfangen haben. Dann aber auch, weil in ein—
zelnen Ländern ein künſtliches Zuſammendrängen des Tabakbaues auf beſtimmte
Handelspflanzen. 313
Gebiete und ein Ausſchluß anderer ſtattgefunden hat. So iſt in Oſterreich, das
ein Anbaumonopol für Tabak beſitzt, der Bau auf Galizien, Bukowina, Südtirol und
Dalmatien beſchränkt worden. Es geſchah dies, damit die Überwachung beſſer erfolgen
kann, und eine Beſchränkung aus gleichem Grunde kennt man in Frankreich. In aller—
dings kleinem Umfang wird Tabak in Südſchweden, ja ſelbſt an der Weſtküſte von
Norwegen gebaut, man kann aber immerhin die nördliche Grenze verbreiteteren An—
baues zwiſchen 55 bis 569 nördl. Breite ſuchen.
In Europa werden weitaus überwiegend rotblühende Tabake, die zu
Nicotiana tabacum (Abb. 69 u. 71) gehören, gepflanzt, während man in Indien auch die
gelbgrünblühenden Formen von Nicotiana rustica (Abb. 70 u. Tafel Handels—
gewächſe, 4) ausgedehnt kultiviert. Johann Nean— **
der, dem wir das erſte, 1626 bei Iſak Elzevir ge—
druckte Werk über die Pflanze: »Tabacologia« ver:
danken, bildet ſchon zwei Formen von tabacum, eine
von rustica ab. Die Syſtematiſierung der
Tabakformen iſt eine ſehr ſchwierige, da die Mehr:
zahl der in der Kultur verbreiteten Formen das Er—
gebnis mehrerer Baſtardierungsakte iſt. Comes und
Anaſtaſia haben ſich um die Syſtematik der Formen
von N. tabacum, Howard um jene von N. rustica
beſonders bemüht. Comes unterſcheidet bei N.
tabacum die Varietäten havanensis, brasiliensis
und virginica, dann die beiden Formen fruticosa
und lancifolia, die Anaſtaſia ausläßt, und die Form
macrophylla, die Anaſtaſia purpurea benennt und
als Baſtardierungsergebnis von N. tabacum mit
einer unbekannten Art auffaßt. Die Syſtematik
verſucht die vorhandenen Sorten auf die Varietäten
zurückzuführen und die Abſtammung durch die 8
Übereinſtimmung äußerer Merkmale, zwiſchen der Abb. TI Nie oba Ea
Sorte einerſeits, der reinen Varietät andererſeits, menen e
2 (Zeichnung von R. Oeffinger.)
zu ermitteln. So werden zwei Sorten, der in
Deutſchland verbreitete Friedrichsthaler und der in Holland viel gebaute Amers—
forter, als Baſtardierungen betrachtet, und zwar ſchließt man, daß erſterer eine
ſolche von brasiliensis, havanensis und macrophylla, letzterer eine ſolche von brasi-
liensis mit havanensis iſt. g
Die Nutzung der Blätter als Rauchgut iſt die herrſchende, ihre Verwendung
zu Kau⸗ und Schnupftabaken bleibt weit zurück. Bei der Verwendung als Rauchgut
werden jene Blätter am beſten bezahlt, die als Deckblatt zu Zigarren verwendet werden
können, groß, heller gefärbt und leichter ſind. Zu Pfeifentabak laſſen ſich auch die
ſchwereren, minder feinen und dunkleren Blätter verwenden. Abfälle der Pflanzen
werden zu Inſekten tötenden Mitteln verarbeitet.
314 5. Kapitel.
5. Kapitel: Jutterpflanzen.
Die urſprüngliche Dreifelderwirtſchaft und Feldgraswirtſchaft kannte keinen Futter—
bau auf dem Acker, nur Wieſen und Weiden, zu denen der Acker bei der letzt—
genannten Wirtſchaft je nach den Jahren mit Feldfruchtbau wurde. Bei der Frucht—
wechſelwirtſchaft kommen Gemenge von Futterpflanzen, und zwar beſonders von Gräſern
und Kleearten, in Form von Kleegras auch auf dem Acker vor; es werden dort aber
auch einzelne einjährige Grünfutterpflanzen in Reinſaat oder in Gemiſchen, die ein—
jährig genutzt werden, gebaut, und es werden Hackfrüchte zu Futter kultiviert.
Die Pflege, die die Futterpflanzen verlangen, iſt gering. Bei einjährigen
wird nach der Saat das Feld bis zur Ernte nicht mehr betreten, bei mehrjährigen
über eine leichtere Bodenlockerung im Frühjahr ſelten hinausgegangen. Einen ſehr
günſtigen Einfluß auf die folgende Pflanze üben die Futterpflanzen aus dem Grunde,
weil die dichte Beſchattung, die ſie gewähren, einesteils den Boden in günſtigem
phyſikaliſchen Zuſtand hinterläßt, anderſeits zur Unterdrückung des Unkrautes bei—
trägt. Wie Werner ermittelt hat, beträgt auf 1 qm Bodenfläche die geſamte Blatt—
oberfläche eines blühenden Rotkleefeldes 246 qm. Bei ſo ſtarker Beſchattung iſt es
Keimpflänzchen von Unkräutern unmöglich, zu kräftigen Pflanzen heranzuwachſen, ſie
kümmern oder ſterben ſelbſt ab, da ihnen das ſpärliche Licht keine ausreichende Aſſi—
milation geſtattet. Die einjährigen Futterpflanzen werden meiſt grün als Sommer—
futter genutzt, die mehrjährigen teils auch ſo, teils ergänzen ſie als Heu das von den
Wieſen gelieferte Winterfutter.
Es würde zu weit führen, auf die einzelnen verhältnismäßig minder wichtigen
Grünfutterpflanzen einzugehen, ſo auf die allgemeiner verwendbaren Pflanzen: Spörgel,
Senf, Buchweizen, Zottelwicke oder die für beſtimmte Verhältniſſe geeigneten: Serradella,
kaukaſiſcher Beinwell, Waldplatterbſe, Sacchalinknöterich und andere. Die Futternutzung,
die bei den beſprochenen Pflanzen der Gruppen Getreide, Hülſenfruchter und Handels—
pflanzen nebenbei auch erfolgt, iſt bei dieſen bereits berückſichtigt worden, ebenſo wurde
der Futternutzung der Hackfrüchte gedacht, die bei dieſen Pflanzen recht weitgeht. Die
Gräſer ſowie die weniger verbreiteten Kleearten haben ihre Bearbeitung ja im bota—
niſchen Teil des Werkes gefunden. An dieſer Stelle ſoll noch dreier Grünfutter—
pflanzen von großer und allgemeiner Bedeutung gedacht werden, deren eine: der
Rotklee, in der Fruchtfolge des Ackers auch im Reinbau Aufnahme findet, während
man die beiden anderen wegen ihrer längeren Lebensdauer zwar auf dem Ackerland
baut, aber auf Schlägen, die zeitweiſe aus der Folge ausgeſchaltet werden.
Bei keiner Kleeart iſt die Züchtung bereits ſo weit gediehen, daß nennenswerte
Mengen an Samen von Züchtungen ſich im Handel bemerkbar machen. An Stelle
von Sortenbezeichnungen wird bei den Kleearten von „Provenienzen“, von Herkünften
geſprochen. Solche Benennungen entſprechen, wenn fie wirklich zutreffend find, immer-
hin dem Begriff Landſorten. Bei ihrer Aufſtellung und Bewertung geht man von
der Anſicht aus, daß durch den viele Generationen hindurch erfolgten Anbau der be—
treffenden Kleeart unter den beſtimmten Standortsverhältniſſen der fraglichen Gegenden
die Pflanzen beſtimmte Eigentümlichkeiten in der Entwicklung erworben haben, die
ſich auch bei Anbau an anderem Standort zeigen. Derartige Nachwirkungen zeigen ſich
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auch ſeine Blättchen nehmen abends eine andere Stellung ein,
Futterpflanzen. 315.
ja auch bei anderen Pflanzen, können aber auch wirkliche Vererbung ſein, da es ja
denkbar iſt, daß im Laufe der Zeit durch den Standort beſtimmte Formen des Ge—
miſches zur Abſcheidung gebracht wurden, während andere in den Vordergrund traten.
In Mittel⸗ und Nordeuropa angeſtellte Verſuche haben beiſpielsweiſe gezeigt, daß
weſtliche und ſüdliche Herkünfte von Rotklee dort wenig winterfeſt ſind, daß fran—
zöſiſche Luzerne an Wichtigkeit andere Herkünfte überragt, daß amerikaniſcher Rotklee
gegen Meltau empfindlicher iſt. Die Erkennung der Herkünfte ſchon an den Samen—
proben iſt allmählich ausgebildet worden und ſtützt ſich auf die Verunreinigung der
Probe mit Samen und Früchten von in der betreffenden Gegend
beſonders häufigen Unkräutern. Beſondere Verdienſte um die
Ausbildung dieſer Herkunftsbeſtimmung durch beigemengte andere
Samen hat ſich der Vorſtand der Züricher Samenprüfungsſtation
Rotklee (Trifolium pratense) (ſ. Tafel Futterpflanzen, 3).
Als gelb mit violetten Backen wird der Same des Rotklees be—
ſchrieben, aber man findet in einem Muſter immer auch rein gelbe
und rein violette Samen, und durch Züchtung läßt ſich die Farbe
auch ſo rein zur Ausprägung bringen, daß ganze Pflanzen und
ihre Nachkommenſchaften nur Samen einer Farbe hervorbringen.
Der Umriß des Samens bildet einen deutlichen Abſatz, es macht
ſich eben das den Keimlappen auf einen Teil ihrer Länge an—
liegende Würzelchen kenntlich. Bei der Keimung werden die
Keimlappen über die Erde gehoben, und das Knöſpchen entſendet
nach ſeiner Entfaltung zuerſt ein Blatt mit nur einem, mehr
kreisrunden Blättchen (Abb. 72). Erſt dann folgen die bekannten
Kleeblätter mit je drei Blättchen, von denen das mittlere nicht,
wie bei der Luzerne, weiter abſteht. Auch der Rotklee „ſchläft“,
0 ’ 5 A 2 2 Abb. 72. Trifolium
deren Wirkung die gleiche iſt, wie bei der Nachtſtellung der pratense, Rottlee (Keim-
Blätter vieler Hülſenfruchter. Die Hauptachſe kommt bei der „Zeichnung von 5. San).
Pflanze nicht zur weiteren Entwicklung, bleibt verkürzt und wird
ſelbſt ſpäter durch Zuſammenziehung der Wurzel etwas in den Boden hineingezogen.
Wie bei der Wicke entwickeln ſich zur Stellvertretung der Hauptachſe aus ihrer Baſis
kräftige Seitentriebe, die den Rotkleebuſch bilden, der ſich ſo wie bei Luzerne und
Eſparſette ſelbſtändig aufrecht erhält. Die Hauptwurzel entſendet zahlreiche Neben—
wurzeln und iſt gleich dieſen reichlich mit den fleiſchfarbigen Wurzelknöllchen beſetzt
(Abb. 43).
Die Schmetterlingsblütchen ſtehen zu vielen in Köpfen (f. Tafel Futter-
pflanzen, 3) beiſammen und bergen in ihrem Innern Nektar. Zuckerblümlein nennt
der Schweizer den Rotklee, und die Kinder ſaugen auch wohl den ſüßen Saft. Beide
Geſchlechter ſind in einer Blüte vereint. Dennoch wird kein Same gebildet, wenn
Inſektenbeſuch abgehalten wird. Der Klee braucht, woran ſchon eine alte Anekdote, in
der alte Jungfern, Mäuſe, Katzen, Hummeln und Klee vorkommen, erinnert, Inſekten,
vor allem Hummeln zur Befruchtung. Erſt wenn die Tiere bei ihrem Beſtreben, zum
316 5. Kapitel.
Honig zu gelangen, die Narbenfläche aufgerauht und mitgebrachten Pollen aufgetragen
haben, bildet ſich der Fruchtknoten zur kleinen, einſamigen Hülſe aus. Dieſe iſt
anders wie die Mehrzahl der Hülſen ausgebildet: auf einem faltigen becherartigen -
Gebilde, durch deſſen Zerreißen der Same frei wird, ſitzt ein glattes Käppchen.
Nicht immer verläuft der Inſektenbeſuch bei Klee ſo einfach, und die Samenernte
des Klees, die von ihm abhängt, wechſelt ſehr. Es gibt einen kürzeren Weg zum
Honig: das Durchbeißen der Blumenkronenröhre, dort, wo die Kelchzähne
ſich befinden, führt unmittelbar zu ihm und wird auch von Hummeln ausgeführt.
Bienen, deren Rüſſel zu kurz iſt, um unter gewöhnlichen Umſtänden von der Kronen—
mündung herab bis zum Honig zu reichen, benützen dieſe „Blumeneinbrüche“, die
natürlich für die Befruchtung des Klees wertlos ſind und nicht zum Anſatz von Samen
führen. Wie faſt alle Naturerſcheinungen gern gelegentlich von der Schablone abweichen,
ſo gibt es auch bei Klee, wenn auch ſelten, Formen, die wirkſamen Beſuch durch
Bienen zulaſſen; Martinet in der Schweiz hat ſolche bei ſeinen Züchtungsverſuchen
gefunden.
Wenn man von einer zweijährigen Lebensdauer des Rotklees ſpricht, ſo iſt dies
ebenſo unrichtig, wie die Angabe der Lebensdauer nach einer beſtimmten Zahl von
Jahren bei anderen Kleearten und vielen Gräſern. Es kommen bei Kleearten und Gräſern
nicht nur Formen vor, die unter einheitlichen Verhältniſſen verſchiedene Lebensdauer
zeigen; auch Gemiſche von ſolchen, die durch Züchtung nicht beeinflußt worden ſind,
laſſen ſich unter verſchiedenen äußeren Verhältniſſen verſchieden lang nutzen. Während
Rotklee im Gebirge 2— 3 Jahre lang genutzt wird, iſt in Ungarn einjährige Nutzung
die Regel. Dieſe wirtſchaftliche Nutzungsdauer meint man, wenn man von
Lebensdauer ſpricht, und dieſe hängt nur loſe mit der botaniſchen Lebensdauer
zuſammen. Es kann ein Beſtand, der lückig geworden oder vergraſt iſt, umgebrochen
werden, weil ſeine weitere Nutzung wirtſchaftlich nicht mehr lohnt, aber er kann noch
viele Tauſende von Pflanzen enthalten, die weitere Jahre am Leben bleiben würden,
da ihre Lebensdauer nicht abgelaufen iſt.
Obwohl der Rotklee ein in Europa ſelbſt heimiſches Gewächs iſt, ſind wir doch
nicht imſtande, ſeine vollſtändige Geſchichte zu ſchreiben. Das, was wir von ihm
kennen, reicht nicht bis in die erſten Anfänge zurück und fängt gleich mit Angaben
über ſchon blühenden Kleebau an. Von zwei Seiten her wird uns aus der Mitte
des 16. Jahrhunderts davon berichtet, von Holland durch Dodonäus und von
Oberitalien durch Agoſtino Gallo und Camillo Tarello. Zahlreich find die An—
gaben über die weitere Verbreitung des Kleebaues in Mitteleuropa, die Ende des
18. Jahrhunderts einſetzte — nach England war er ſchon im Anfang des 17. über—
gegangen. In Deutſchland kannte man Klee (chléo, klée) ſchon im Altertum und
Mittelalter, aber der Name bezeichnete nur die wildwachſende Pflanze. Kleebau begann
auch in Deutſchland erſt ſpät, zuerſt am Rhein, daſelbſt beſonders durch die Bemühungen
der ökonomiſchen Sozietät zu Lautern. Ein kurſächſiſcher Gutsbeſitzer Schubart
(1734-1787) hat ſich ganz beſonders um ſeine Einführung verdient gemacht, Kaiſer
Joſeph II. verlieh ihm dafür den Adel mit der Bezeichnung von Kleefeld. Neben Schubart,
zum Teil nach ihm, wirkten dann im gleichen Sinne Pfarrer Frommel in Baden,
Pfarrer Meyer in Kupferzell in Württemberg, Landwirt Berg in Norddeutſchland.
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W. a
Futterpflanzen. 317
Magiſter Stumpf in Böhmen, Samuel Teſchedik in Ungarn und Tſchiffeli
und v. Fellenberg in der Schweiz.
Jetzt liegt das Hauptgebiet der Verbreitung des Klees, der feuchteres Klima
liebt, in Mitteleuropa und in England. Nach Oſten hin, in kontinentalem Klima,
ſchränkt die Trockenheit und die Härte der Winter ſeinen Anbau ein, auf den ſüd—
lichen Halbinſeln ſchädigt ihn höhere Wärme in Verbindung mit Trockenheit, ſobald
der Klee das Gebirge verläßt.
Luzerne (Medicago sativa) (ſ. Tafel Futterpflanzen, 2). Dieſer verbreitetſte
Name, den die nun zu beſprechende Pflanze führt, gibt uns keinen Hinweis auf ihre
Herkunft oder Beſonderheit. Wenn ſie auch Blauklee genannt wird, ſo iſt dies
durch die Blütenfarbe, wie beim Rotklee, zu erklären; wenn man ſie Monats-, Fünf—
ſchnitt⸗, Dauer- oder Hochklee benennt, jo wird damit auf das raſche Nachtreiben
der geſchnittenen Pflanze ſowie auf ihre im Vergleich zum Rotklee viel längere Lebens—
dauer und größere Länge hingewieſen.
Die Seitenachſen ſtreben in ſteilerem Winkel als bei Rotklee empor, die
Teilblättchen ſind länglicher, und das mittlere davon ſteht mehr ab als die beiden
ſeitlichen. Die Wurzel überwindet Hinderniſſe im Boden, gleich jener der Eſparſette, ſehr
leicht. Sie kann in beträchtliche Tiefen eindringen und Waſſer daraus emporheben,
daher die hohe Schätzung, die Luzerne und Eſparſette in trockenen Klimaten finden.
Überraſchungen bietet die Blüte. Wenn man mit einer Nadel oder einem dünnen
Hölzchen in einer jugendlichen Blüte, von der Schiffchenſpitze aus langſam drückend, ent—
lang der Oberſeite des Schiffchens gegen die Fahne zu fährt, ſo drängt ſich die Ge—
ſchlechtsſäule empor und hält ſchließlich ſelbſt ſchwerere Hölzchen gegen die Fahne
gepreßt. Dieſe Emporbewegung erfolgt bei Inſektenbeſuch, ſowie Flügel und Schiffchen
niedergedrückt und dadurch die niederdrückenden Fortſätze von der Säule entfernt
worden ſind. Die Säule ſchnellt gegen den Körper des beſuchenden Inſekts, wobei
die Narbe mit dort abgelagertem Blütenſtaub in Berührung kommt und die Beutel
erneut ſolchen abſetzen. Die Bewegung der Blüte genügt bei Luzerne, unterſchiedlich
vom Rotklee, zur Erzielung von Selbſtbefruchtung, wovon man ſich durch künſt—
liche Bewegung der Blüten einer Pflanze überzeugen kann, die gegen Inſektenbeſuch ge—
ſchützt find. Bei unbeeinflußten Pflanzen iſt Fremdbefruchtung die Regel, und
dabei kommen auch mannigfache Baſtardierungen mit der an Rainen und Wieſen—
hängen häufigen gelbblühenden Sichelluzerne (Medicago falcata L.) oder mit Baſtarden
dieſer vor. Dabei entſtehen Zwiſchenformen, die mannigfache Ausbildung von Blüte
und Frucht zeigen und ſich — worauf ich vor Jahren ſchon verwies — durch große
Üppigfeit und Winterfeſtigkeit auszeichnen. Die Blüte ſolcher Baſtarde iſt auffallend,
reines Gelbweiß, Hellblau, Dunkelblau, Schwarzblau findet ſich neben Zeiſiggrün und
neben beſonders häufiger Blaufärbung, die mit metalliſchem Schillern der abblühenden
Blüte verbunden iſt.
In den Trauben, in denen die Blüten beiſammen ſtehen, erſcheinen bald nach
erfolgter Befruchtung die Hülſen, die ſchneckenhausartig gewunden ſind und je
mehrere Samen umſchließen. Dieſe ſind größer als die Samen des Rotklees, ihr
Umriß iſt etwas eckiger, ihre Farbe nur gelb, in hellerer oder dunklerer Tönung.
318 5. Kapitel.
Was man in älteſter Zeit in Griechenland unter der Bezeichnung „mediſches
Kraut“ (Medicai) nutzte, war eine andere Bapilionazee: die Baumluzerne Medicago
arborea). Erſt zwiſchen dem 5.—3. Jahrhundert vor Chr. wurde die Luzerne von
Perſien aus nach Griechenland gebracht; Ariſtomachos von Athen ſchrieb noch über
Uytisus (Geißklee), Amphilochus von Athen über dieſe Pflanze und Luzerne. Im
2. Jahrhundert vor Chr. fand fie dann ſchon ihren Weg auf die Apenninenhalbinſel.
Schon in Medien war die beſonders gute Eignung der Luzerne zur Fütterung der
Pferde bekannt. Dieſe Eigenſchaft ſowie die große Ergiebigkeit der Pflanze wurde
auch von den Römern genutzt. Columella berichtet, daß ein jugerum (2518 qm)
Luzerne ſo viel Futter gebe, daß man drei Pferde ein Jahr hindurch nähren könne.
Für Milchkühe, an die ſie in unſeren Tagen mit Vorliebe gefüttert wird, war ſie im
Altertum weniger geſchätzt. Ariſtoteles ſpricht ſogar davon, daß fie den Milchertrag
drücke. Nach Mitteleuropa drang ſie erſt im 16. Jahrhundert vor, und zwar, wie
es ſcheint, von Spanien aus über Frankreich. Auf den Weg über Frankreich weiſt
auch hin, daß Heresbach von der eingeführten Pflanze als vuelsch kleen ſchrieb
und man fie in Ofterreich „burgundiſches Heu“ nannte.
Wenn in unſeren Tagen der Verbreitung der Luzerne in Europa nach—
gegangen wird, ſo trifft man ein ſehr ſtarkes Anbaugebiet in Frankreich und dem
nördlichen Deutſchland. Nach England reicht Luzernebau nur wenig herüber, und
im Norden und Oſten findet er bald ſeine Grenze, da die Luzerne — wenigſtens in der
Mehrzahl der bei uns verbreiteten Formen — gegen Winterkälte empfindlicher iſt
als Rotklee und Eſparſette; im Gebirge wird ihre Verbreitung durch die dort größere
Gefahr der Vergraſung eingeengt.
Bis zu fünf Schnitten in einem Jahr können von Luzernefeldern genommen
werden, und wenn nicht Näſſe im Untergrund, Kalkarmut oder in feuchten Gegenden
ſtarke Vergraſung frühzeitig ein Ziel ſetzten, vermag die Nutzung 10—15 Jahre hin—
durch anzudauern. Meiſt wird grün verfüttert, ſeltener zu Heu getrocknet.
Eſparſette (Onobrychis sativa) (ſ. Tafel Futterpflanzen, 1). Mit einer
äußeren Erſcheinung, die von jener des Rotklees und der Luzerne weſentlich abweicht,
tritt uns die Eſparſette entgegen. An Höhe kommt ſie der Luzerne gleich, aber die
Blätter ſind unpaarige Fiederblätter mit einer großen Zahl von Blättchen. Die
in Trauben beiſammenſtehenden Blüten ſind roſenrot, mit dunkler Ader verſehen, und
die Frucht iſt eine einſamige Hülfe Die Hülſe (ſ. Tafel Futterpflanzen, la) iſt
durch Leiſten gefeldert und am unteren, dünneren Rand mit Zähnchen beſetzt.
Auch die Eſparſette dringt gleich der Luzerne mit ungemein kräftiger Wurzel
in den Boden ein und hält auch ihre oberirdiſchen Achſen ſelbſtändig aufrecht. Die Be—
ſtäubung erfolgt auch bei ihr durch Inſekten als Fremdbeſtäubung, die Frucht entläßt
den bohnenförmigen Samen zur Zeit der Reife nicht durch Aufſpringen, und der
Keimling muß ſich ſeinen Weg durch die Fruchtſchale bahnen.
In vielen Gegenden Europas findet ſich in trockener Lage, beſonders auf Kalk—
boden, in verſchiedenen Ausbildungsformen wildwachſende Eſparſette, die man
als die Stammform der gebauten anſehen kann. Kunde von einer Verwendung der
Eſparſette als Kulturpflanze wird uns erſtmals aus der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Von Frankreich aus verbreitete ſie ſich zuerſt weſtlich und nördlich und erſt Ende
Futterpflanzen. 319
des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts nach Deutſchland, in die Schweiz und
nach Oſterreich und Ungarn.
Frankreich bildet auch jetzt noch den Hauptſitz des Eſparſettebaues, aber auch
in der weſtlichen und nördlichen Schweiz, in Süddeutſchland längs des Rheins, in
Niederöſterreich und in Ungarn findet man Gegenden, wo zur Zeit der Eſparſette—
blüte die roſenroten Flächen das Auge erfreuen. Mergel- und Kalkböden, ſonnige,
trockene Hügel und Hänge bis höher ins Gebirge hinauf werden bevorzugt. Im
Süden wird die Eſparſette durch eine verwandte Art, die Sulla (Hedysarum coro-
rarium), vertreten, die mitteleuropäiſche Winter, wie mir mehrere Verſuche zeigten,
nur ſelten überdauert.
Man nützt die Eſparſette mehr zu Heu als die übrigen Kleearten, da im Gegenſatz
zu dieſen das Abfallen der Blättchen bei ihr nicht leicht eintritt; sain foin nennen
ſie die Franzoſen, eine Bezeichnung, die allerdings auch der Luzerne zuteil wird. So
raſch wie dieſe wächſt Eſparſette nicht, wenn ſie ihr auch in der Lebensdauer un—
gefähr gleichkommen kann. Meiſt wird nur ein reichlicher und ein zweiter mäßiger
Schnitt erzielt, oft nach dem erſten Schnitt nur Weide, für die die Pflanze ſich aller—
dings wenig eignet, da ihre Fähigkeit, Knoſpen zu bilden, nur gering iſt.
Einige andere Kleearten erfreuen ſich in Europa noch größerer Verbreitung. So
der Weißklee (Trifolium repens, Tafel Futterpflanzen, 5), der durch niederliegende
Achſen ausgezeichnet iſt und nur Blättchen und Köpfchenſtiele emporſendet. Die Art iſt
in Europa heimiſch und neben gebautem Weißklee überall in wildem Zuſtand anzutreffen.
Zu außergewöhnlich üppiger Entwicklung hat es eine Form des Weißklees, die als
Klee von Lodi bekannt iſt, in Oberitalien gebracht. Daß ſie auch in Mitteleuropa
verwendbar iſt, habe ich durch wiederholten Anbau feſtgeſtellt, und die Pflanze hat
ſeit meinen bezüglichen Veröffentlichungen dort auch mehrfach Eingang gefunden.
Weißklee iſt der typiſche Weideklee, der mit engliſchem Raygras den herrſchenden
Beſtand der geſchätzteſten engliſchen Weiden ausmacht. Er zeigt beſonders häufig jene
Bildungsabweichung der Blätter, die als Vierſcheibigkeit des ſog. „Glücksklees“ bekannt
iſt. Auch der Baſtardklee (Trifolium hybridum, Tafel Futterpflanzen, 4) iſt eine in
Europa heimiſche Pflanze, die aber aufrechte Achſen entſendet, deren Blättern die für
Rot⸗ und Weißklee kennzeichnenden helleren Flecke fehlen. Man nimmt an, daß ſeine
Verbreitung als Kulturpflanze von Schweden ausgegangen iſt, und führt darauf die
Benennung: ſchwediſcher Klee oder die nach einem Kirchſpiel Schwedens gegebene:
Alſike zurück. Selten iſt die ſchönſte unter den Kleearten, der Inkarnatklee
(Trifolium incarnatum), anzutreffen, deſſen Alter als Kulturpflanze gering iſt.
Werden Weiß⸗ und Baſtardklee noch mehrjährig genutzt, ſo findet bei Inkarnatklee,
deſſen Heimat Südſpanien und Algier iſt, nur eine einmalige Nutzung ſtatt. Meiſt
wird im Herbſt geſät, und es erſcheinen dann (in Mitteleuropa) im April bis Mai
die aus purpurnen Blüten gebildeten ährenförmigen Blütenſtände.
3. Abſchnitt.
Wie entſtehen neue Formenkreiſe bei
Kulturpflanzen?
1. Kapitel: Pererbung, Pariabilität und Modiftkabilität.
Es erſcheint uns nicht auffallend, daß aus einem Stück Hopfenrebe, das Wurzeln
bildet, eine Hopfenpflanze, aus einem Weizenkorn eine Weizenpflanze erwächſt. Eher
ſind wir ſchon davon überraſcht, daß die heranwachſende Hopfenpflanze in wichtigen
Eigenſchaften wie Rebenfarbe, Zapfenform, Aroma des Lupulins jener Hopfenpflanze
gleicht, von welcher der Steckling genommen worden iſt, oder daß die Weizenpflanze
in Ahrenform, Spelzenfarbe, Kornfarbe und anderen Eigenſchaften ſo ausgebildet iſt,
wie die Pflanze, von der das Korn ſtammt. Es erwächſt nicht nur Hopfen und Weizen
ſchlechtweg, ſondern Hopfen und Weizen, der einem beſtimmten, äußerlich erkennbaren
Formenkreis innerhalb der großen Art Hopfen und Weizen angehört.
Daß dies geſchieht, iſt Vererbung, und um ſie zu verſtehen, müſſen wir von
der Pflanze, von dem Individuum auf die Zelle zurückgehen. Zellen werden nur
wieder aus Zellen, und wir können uns gut mit dem Gedanken vertraut machen, daß
bei dem herrſchenden Vorgang der Zellneubildung bei der Zellteilung jede der ent—
ſtehenden Zellen ähnlich beſchaffen iſt, wie die Mutterzelle. Wenn daher aus einem
Steckling ein neues Individuum heranwächſt, das im weſentlichen der Mutterpflanze
gleicht, ſo werden wir den Vorgang eher begreifen können, da ein ſolcher Steckling
eine große Zahl von Zellen dieſer Mutterpflanze aufweiſt, die bei der Teilung ähnlich
veranlagte Zellen erſtehen laſſen.
Bei jener Art det Entſtehung neuer Individuen, die man im Gegenſatz zu der-
artiger Vermehrung oder ungeſchlechtlicher Fortpflanzung: geſchlechtliche Fort—
pflanzung oder Fortpflanzung ſchlechtweg nennt, muß die neue Pflanze aus einem
kleinen Bläschen, aus der Eizelle eniſtehen. Dieſe Eizelle muß daher alles enthalten,
was die erwachſende Pflanze der Mutterpflanze gleichmacht, — fie muß die Ver⸗
erbungsſubſtanz bergen. Dieſe Vererbungsſubſtanz ſtellt man ſich als eine große
Zahl von Anlagen vor und ſucht ſie im Kerne der Zelle, und zwar in jenem Teil des
Kernes, der Farbſtoffe leichter aufnimmt, dem Chromatin. Gewiß, die Anſichten darüber,
ob nur der Kern Träger der Anlagen iſt oder Kern und Plasma der Eizelle zuſammen,
ſind geteilt. Sicher iſt nur, daß dieſe Anlagen in der Eizelle enthalten ſein müſſen,
Vererbung, Variabilität und Modifikabilität. 321.
denn wenn die Eizelle ſich zum Embryo und dieſer weiter ſich zur erwachſenen Pflanze
entwickelt, tritt nichts Neues mehr hinzu, das die Entwicklung grundlegend ändert.
Die Eizelle teilt ſich und überträgt auf jede der neuen Zellen ihre Anlagen. Zell—
teilung folgt auf Zellteilung, und immer wieder geſchieht Gleiches. Jede der Zellen
des erwachſenden Pflanzenkörpers enthält ſo die Anlagen in ſich und ſomit auch jene
Zellen, die ſchließlich in den Geſchlechtsorganen vor der Befruchtung gebildet werden.
Bei dieſer Befruchtung, der geſchlechtlichen Fortpflanzung, können nun zwei
Zellen mit gleichen Anlagen zuſammen treten, wie dies meiſt bei Selbſt- und Nachbar—
befruchtung der Fall iſt —, es können aber auch mehr oder minder verſchieden ver—
anlagte Zellen ſich vereinen, wie meiſt bei der Fremdbefruchtung. Sind gleiche Anlagen
zuſammengetreten, ſo iſt zu erwarten, daß die befruchtete Eizelle ein Individuum er—
ſtehen läßt, das der Mutter im weſentlichen gleicht, ſind verſchieden veranlagte Zellen
vereint worden, ſo wird — von Ausnahmefällen abgeſehen — die neu entſtehende
Pflanze von Mutter wie Vater abweichen.
Wir haben nicht von Eigenſchaften geſprochen, ſondern von Anlagen,
die übertragen werden, und damit iſt ſchon geſagt, daß auch bei voller Vererbung
nicht alles, was bei der Mutter ſichtbar iſt, auch in dem neuen Individuum erſcheint.
Es können Anlagen vererbt, aber nicht entfaltet werden. Es tritt uns aber noch
eine andere Erſcheinung entgegen: die Anlagen können verſchieden entfaltet
werden, je nachdem verſchiedene äußere Verhältniſſe auf die erwachſende Pflanze ein—
wirken, ſie können modifiziert werden. Daß eine durch Selbſtbefruchtung entſtandene
Eizelle einer Weizenpflanze wieder eine Weizenpflanze erwachſen läßt, iſt Vererbung,
auch daß aus dieſer Eizelle gerade eine Weizenpflanze von einer beſtimmten, durch
morphologiſche Eigenſchaften zu erkennenden Weizenpflanzenform erwächſt, z. B. eine
ſolche mit bläulich bereiften Blättern, begrannten Ahren, lockerer Stellung der Ahrchen,
behaarten Spelzen, weißgelber Farbe des Kornes, iſt Vererbung. Daß aber bei
Waſſermangel die erwachſende Weizenpflanze nieder bleibt, ſich wenig beſtockt und
geringen Ertrag gibt, während die bei reichlicher Feuchtigkeit erwachſene Mutterpflanze
hoch, ſtark beſtockt, üppig und ertragreich war, iſt eine Einwirkung der Standorts—
verhältniſſe auf die Entfaltung der Anlagen, iſt Modifikabilität.
Neben Vererbung und Modifikabilität kann aber auch Variabilität wirken.
Soweit die Anlagen betrachtet werden, iſt Variabilität im engeren, eigentlichen
Sinn — die Vererbbares ſchafft — durch Anderung der Vererbungsſubſtanz bedingt.
Dieſe kann ſpontan, durch äußere Einwirkung oder durch Miſchung verſchiedener
Vererbungsſubſtanzen bei geſchlechtlichen Zuſammentritten erfolgen. — Reiht man die
Ahren aller nach Selbſtbefruchtung erwachſener Nachkommen einer Gerſtenpflanze
nebeneinander, ſo werden die Grannenbündel untereinander und gegenüber den Ahren
der Mutter verſchiedene Länge zeigen. Wir haben hier die Folge jener Erſcheinungen
vor uns, welche man individuelle kleine und partielle kleine Variabili—
tät nennt. Eigentlich muß man in dieſem Beiſpiel ſchon von Modifikabilität
ſprechen, da Selbſtbefruchtung vorausgeſetzt worden iſt und bei Selbſtbefruchtung
dieſe Verſchiedenheiten nur von äußeren Verhältniſſen bedingt ſind. Könnte man
die Nachkommen unter vollſtändig gleichen Verhältniſſen heranwachſen laſſen, und
beſäßen alle Achſen und alle Blütchen einer Achſe gleiche Lebenskraft, ſo würden die
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 21
322 1. Kapitel.
Grannenbündel bei allen Individuen gleich lang ſein. Nun erwachſen aber die einzelnen
Individuen auch dann, wenn man ſich bemüht, die Verhältniſſe ſo gleichmäßig als
möglich zu geſtalten, immer unter gewiſſen Verſchiedenheiten, und dies bedingt auch
Verſchiedenheiten zwiſchen den Individuen: die individuelle kleine Varia—
bilität — richtiger die individuelle kleine Modifikabilität innerhalb einer ſolchen Nach—
kommenſchaft. Weiterhin ſind die einzelnen Achſen nicht gleichwertig; die erſtange—
legte iſt die kräftigſte, dann folgen die Seitenachſen erſter Ordnung, wie dieſes Schoute
gezeigt hat, mit einer Periodizität, die von der erſten bis zur letzten im Anſteigen,
dann wieder im Fallen der Üppigkeit zum Ausdruck kommt. Aber auch bei den Blüten
einer Ahre iſt, wie ich nach der Verteilung der Kornſchwere gezeigt habe, Periodizität
vorhanden. Von unten ab an der Ähre ſteigt das Gewicht der einzelnen Körner und
mit ihm die Länge der Grannen raſch an und fällt dann wieder, entſprechend der
Länge der Grannen, langſam bis gegen die Spitze der Ahre zu. Dieſe Verſchieden—
heit in der Entwicklung der Teile innerhalb der Individuen iſt die partielle kleine
Variabilität, die ſich zwiſchen den Grannenbündeln der Uhren einer einzelnen
Pflanze zeigt und auch wieder richtiger partielle Modifikabilität zu nennen wäre.
Reiht man nun die Ahren der bei Selbſtbefruchtung gewonnenen Nachkommen
mehrerer Gerſtenpflanzen in gleicher Weiſe aneinander, aber derart, daß ſie nach
Abſtammung von einzelnen Mutterpflanzen getrennt bleiben, ſo werden ſich die einzelnen
Nachkommenſchaften im Mittel der Länge der Grannenbündel voneinander unter—
ſcheiden. Man wird Nachkommenſchaften mit durchſchnittlich ſehr langem, andere mit
mittellangem, wieder andere mit kurzem Grannenbündel beobachten können.
Auch dieſe Erſcheinung wird, um die Züchtungsarten gut kennzeichnen zu können,
in das Gebiet der individuellen kleinen Variabilität gereiht. Wollen wir dieſe Er—
ſcheinung aber von dem früher beſprochenen Verhalten innerhalb der Nachkommen
einer Pflanze trennen, ſo muß auf die Art der Vererbung zurückgegriffen werden.
Wenn ich aus der Nachkommenſchaft einer Pflanze ein Individuum mit ſehr kurzem
und ein ſolches mit ſehr langem Grannenbündel wähle, ſo wird die Nachkommen—
ſchaft beider, wieder Selbſtbefruchtung vorausgeſetzt, ſich in der mittleren Länge des
Grannenbündels nicht weſentlich unterſcheiden: es findet eine Vererbung der indivi—
duellen Variante der Länge nicht ſtatt. Wenn ich dagegen ein Individuum aus
einer Nachkommenſchaft mit durchſchnittlich größerer Grannenbündellänge wähle und
ein ſolches aus einer Nachkommenſchaft mit durchſchnittlich kleinerer Grannenbündel—
länge, ſo wird das erſtere eine Nachkommenſchaft mit wieder durchſchnittlich längerer,
das zweite eine ſolche mit wieder durchſchnittlich kürzerer Grannenbündellänge liefern.
Dabei muß natürlich die abſolute Länge in den beiden Generationen nicht überein—
ſtimmen, da ja vorausſichtlich alle vererbten Anlagen durch die Verhältniſſe der
Jahreswitterung bei der Entfaltung verſchieden beeinflußt worden ſind. Ich habe
Taf. I. Variabilität, Modifitabilität, Linienmutabilität und ſpontane Variabilität.
Die 1899 gewählten Pflanzen gehören einer Linie mit geringerer (lints) und einer ſolchen mit größerer (rechts) durch⸗
ſchnittlichen Länge an (J). Die durchſchnittliche Länge der Nachtommenſchaften iſt daher auch 1900 lints geringer als
rechts (Variabilität, ID. Innerhalb einer jeden Nachtommenſchaft findet aber je ein Schwanken der Länge der
Individuen ſtatt Modifitabilität, ID, das nur bei ganz gleichen — nur theoretiſch denkbaren — Verhältniſſen
fehlen würde (Ii) Bei größerer Feuchte (IV) iſt die abſolute Höhe der Mittel aller Linien höher als bei Trockenheit
(V), auch Modifitabilität. Ob innerhalb einer Linie ein niederes oder hohes Individuum als Elitepflanze
gewählt wird VI), bleibt für die Nachtommenſchaft (VII) gewöhnlich gleich. Es kann aber eine längere Pflanze
als Linienmutation (x), eine begrannte als ſpontane Variation (o) auftauchen. Erſtere als Elitepflanze aus⸗
gewählt (VIII) gibt dann eine durchſchnittlich längere Nachtommenſchaft (IX), letztere eine durchaus begrannte (IX).
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Taf. I. Unterſchrift ſiehe nebenſtehend S. 114. Zeichnung von H. Hahn.
Kapitel.
.
324
Variabilität im weiteren Sinne.
Verſchiedenheit von Eltern und Kindern ſowie Kindern untereinander.
Nicht erbliche Variabilität. Erbliche Variabilität
Modifikabilität. Variabilität im engern Sinn.
Die erzeugte Verſchiedenheit wird nicht vererbt, iſt durch Die erzeugte Verſchiedenheit wird vererbt. Die Anlage
äußere Einflüſſe während des Lebens des Individuums, wurde ſpontan oder durch äußere Verhältniſſe, oder durch
zum Teil auch durch Ernährungseinflüſſe während der Zuſammentritt mit anderen Anlagen oder lange dauernde
Bildung der Samen, aus welchen das Individuum entſtand, Einwirkung äußerer Verhältniſſe geändert.
veranlaßt.
Et er 5 a) ſpontane
Br die Anderung zeigt quantitative (kleine) b) nach Baſtardierung.
arkielle quantitative (kleine) ſich an einem Teil a bell
1 qualitative (große) eines N a) ſpontane
Individuums. qualitative (große) (Knoſpenmutabilität)
b) nach Baſtardierung.
a) ſpontane
|
|
quantitative (£leine) (Linienmutabilität)
b) nach Baſtardierung.
a) ſpontane, Mutabilitä
b) nach Baſtardierung.
titative (kleine
individuelle en ; 3 ive (kleine) 8
f qualitative (große)
ſich an einem ganzen
| individuelle
Individuum .
| die Anderung zeigt
| qualitative (große)
Nachfommen] Saft. |
quantitative (kleine)
qualitative (große)
e Minnie kleine) Iſſich an einem Ort
qualitative (große) bei allen
Individuen.
die Anderung zeigt
— allgemeine
Vererbung, Variabilität und Modifikabilität. 325
dieſe Vererbung als eine verhältnismäßige bezeichnet; erhalten bleibt das Ver—
hältnis, in welchem das Ausmaß der Eigenſchaft der einen Linie zu jenem der
anderen ſteht. Demnach trennt die Vererbung die beiden Erſcheinungen, die zur
individuellen kleinen Variabilität zuſammengefaßt werden, und kennzeichnet die letzt—
beſprochene als wirkliche Variabilität, die erſtbeſprochene als Modifikabilität.
Fragen wir nach der Entſtehung der Verſchiedenheiten ſolcher Nachkommen—
ſchaften, jo begegnen wir, wenn fortgeſetzte Selbſtbefruchtung angenommen wird,
einer weiteren Form der Variabilität: der ſpontanen Variabilität. Dieſe kann
bewirken, daß die Vererbungsſubſtanz aus unbekannten Urſachen eine Anderung er—
fährt und daß dieſe Anderung erhalten bleibt. Betrifft dieſe Anderung der An—
lagen eine Erſcheinung, die wieder von Individuum zu Individuum und innerhalb
eines Individuums Schwankungen im Ausmaß zeigt, wie in dem Beiſpiel vom
Grannenbündel, ſo nennt man die Urſache der Anderung der Vererbungsſubſtanz:
ſpontane individuelle kleine Variabilität oder Linien mutabilität, die Eigenſchaft
iſt ſpontan quantitativ variiert. Betrifft ſie aber eine ſichtbare Erſcheinung, die bei
jedem einzelnen aller Nachkommen des ſpontan variierten Individuums zu erkennen
iſt, z. B. Verluſt der Grannen oder Schwarzfärbung der Grannen, ſo nennt man die
Variabilität eine ſpontane individuelle große oder eine Variabilität morpholo—
giſcher Eigenſchaften oder Mutabilität; die Eigenſchaft iſt qualitativ variiert.
Liegt eine fremd befruchten de Pflanze vor, fo iſt die Außerung der individuellen
kleinen Variabilität, richtiger Modifikabilität und jene der Linienmutabilität nicht
auseinanderzuhalten, da die geſchlechtliche Miſchung verſchiedener Vererbungsſubſtanzen
ſtändig wirkt und die Erſcheinung trübt, indem ſie ſelbſt Variabilität, und zwar Varia—
bilität, nach Baſtardierung veranlaßt. Tafel I läßt einen Überblick über individuelle
kleine Variabilität und Modifikabilität ſowie über ſpontane Variabilität gewinnen.
Die geſchlechtliche Miſchung verſchiedener Vererbungsſubſtanzen kann ein Zu—
ſammentritt von zwei Individuen ſein, von denen das eine andere morphologiſche,
jog. botaniſche Merkmale beſitzt, oder aber ſich nur durch quantitativ variable Eigen—
ſchaften von dem andern unterſcheidet. Beides kann als Baſtardierung bezeichnet
werden, und es werden die Verſchiedenheiten vererbt, im erſten Fall voll, im zweiten
verhältnismäßig; meiſt wird aber nur der geſchlechtliche Zuſammentritt von morpho—
logiſch verſchiedenen Individuen als Baſtardierung angeſehen, ſo beiſpielsweiſe
der Zuſammentritt einer begrannten mit einer unbegrannten Gerſtenform. Ganz be—
ſonders in der Züchtung führt es zu größerer Klarheit, wenn man innerhalb der
Baſtardierung im weiteren Sinn die Vereinigung morphologiſch verſchiedener
Individuen als Baſtardierung, die Vereinigung nur quantitativ verſchiedener
als Fremdbefruchtung bezeichnet.
Die Folgen des Zuſammentrittes verſchieden veranlagter Individuen kommen in
der Variabilität nach einer Baſtardierung — Baſtardierung hier im
weiteren Sinn genommen — zum Ausdruck. Dieſe Variabilität nach einer Bajtar-
dierung galt bis an das Ende des letzten Jahrhunderts als regellos. Allerdings
waren — für einander näherſtehende Formen — Geſetzmäßigkeiten bei ihr bereits
vor 1865 von dem Auguſtinermönch Mendel in Brünn und von Naudin erkannt
worden, aber überraſchenderweiſe wurde die Arbeit, in der erſterer die Ergebniſſe
326 2. Kapitel.
ſeiner nicht nur äußerſt intereſſanten, ſondern auch hochwichtigen Forſchungen nieder—
legte, nicht weiter gewürdigt. Erſt nach der Wiederentdeckung der von Mendel
gefundenen Geſetzmäßigkeiten, die durch die Botaniker Correns und de Vries und
den landwirtſchaftlichen Forſcher v. Tſchermak erfolgte, fand das „Mendeln“
gebührende Beachtung; es wurden auch die Originalarbeiten Mendels von v. Tſchermak
und anderen in Neudruck veröffentlicht. Man führte beſonders in Oſterreich, England,
den Vereinigten Staaten, Holland und Deutſchland zahlreiche Verſuche mit Pflanzen und
Tieren aus, und dabei wurde das Verhalten verſchiedener Eigenſchaften der einzelnen
Pflanzen- und Tierarten feſtgeſtellt und die Theorie der Baſtardierung weiter ausgebaut.
Daß es nicht leicht iſt, die Verſchiedenheiten zwiſchen Eltern und Kindern und
Kindern untereinander, das, was zuſammenfaſſend als Variabilität bezeichnet wird,
nach ihren Urſachen zu ordnen, das zeigt ſchon die verſchiedene Verwendung ein und
derſelben Benennung in der Literatur. Es ſoll daher eine Überſicht (S. 116) das Geſagte
nochmals zuſammmenfaſſen. Da die Unterſcheidung in kleine und große Variabilität
nicht ſo allgemein anerkannt iſt, habe ich die Bezeichnungen quantitative und qualitative
Variabilität beigeſetzt, die dann als gleichbedeutend mit kleiner und großer Variabilität
anzuſehen ſind. Verſchiedenheiten im Zuckergehalt von Rüben, in der Halmlänge,
dann in der Länge der Grannen bei Weizen, Breite der Körner bei Erbſen ſind da—
nach kleine Unterſchiede oder quantitative, dagegen ſind Schwarz oder Gelb bei Korn—
farbe, oder bei Farbe der Haferſpelzen, Grün oder Gelb bei Farbe der Keimlappen der
Erbſen, Grannen oder Grannenloſigkeit bei Weizen große Unterſchiede oder qualitative.
Eine weſentliche Erſchwerung in der Erfaſſung der Variabilitätsformen iſt darin
gegeben, daß ſpontane Variabilität als Variabilität nach Baſtardierung in Erſcheinung
treten kann und daß andererſeits Variabilität nach Baſtardierung ohne Baſtardierung
auftauchen und ſpontan verſchwinden kann. Spontane Variabilität morphologiſcher
Eigenſchaften tritt dann als Variabilität nach Baſtardierung auf, wenn nicht ganze
Achſen einer Pflanze oder viele Geſchlechtszellen ſpontan variierten, ſondern nur einige
wenige der letzteren. Dieſe müſſen dann mit nicht variierten zuſammentreten. Ein
Fall für die erſte Erſcheinung wird bei Beſprechung der Züchtung durch Baſtardierung
für Hafer mitgeteilt. Fälle für die zweite Erſcheinung ſind von Correns und mir
vorgeführt worden. Correns hat die Erſcheinung als Autohybridiſation bezeichnet
und durch die ſpontane Anderung der Anlagen in einem Teil einer Pflanze erklärt.
Pflanzen, die ſo wie ihre Vorfahren von einem Paar Merkmale, die beide ſichtbar
werden können, nur das eine zeigten, werden ſpontan — ohne Baſtardierung —
befähigt, nun einen Teil Geſchlechtszellen zu bilden, die beide Merkmalsanlagen ent—
faltungsfähig enthalten, oder aber Baſtarde und ſpaltende Baſtardabkömmlinge verlieren
pontan die Fähigkeit, Geſchlechtszellen zu bilden, die beide Merkmalsanlagen des
Paares entfaltungsfähig enthalten.
2. Kapitel: Die Pariabilität nach Baſtardierung.
Die Vererbungsweiſe nach Baſtardierung iſt ſo intereſſant und für die Züchtung
landwirtſchaftlicher Kulturpflanzen ſo wichtig, daß es ſich wohl lohnt, ſich mit ihren
Grundzügen vertraut zu machen. Dabei ſoll auf die ſchwierigeren Fälle nicht ein—
Die Variabilität nach Baſtardierung. 327
gegangen werden und es ſoll auch der Verhältniſſe bei der Baſtardierung zwiſchen ver—
ſchiedenen Arten und Gattungen nicht gedacht werden, da dieſe noch wenig geklärt und ſolche
Baſtarde für die Züchtung wegen Unfruchtbarkeit der 1. Generation meiſt ohne Wert ſind.
Nur das Grundlegende bei Baſtardierung einander näherſtehender Formen ſoll und
zwar zuerſt in der Betrachtungsweiſe Mendels und dann in jener der ſog. Faktoren—
theorie vorgeführt werden.
Mendel hatte zu ſeinen erſten Verſuchen die Erbſe herangezogen, demnach
eine Pflanze, bei der Selbſtbefruchtung die Regel iſt. Die Wahl war glücklich, weil
Geſetzmäßigkeiten bei der Vererbung nach einer Baſtardierung bei einer ſelbſtbefruchtenden
Pflanze klar in Erſcheinung treten, da man mit geſchlechtlich unvermiſchten Eltern
arbeiten kann und auch in der Nachkommenſchaft der Baſtardierungserzeugniſſe ge—
ſchlechtliche Miſchung nicht ſtört. Bis zu Mendels Forſchungen war es üblich, den
Erfolg einer Baſtardierung als Ganzes zu betrachten, davon zu ſprechen, daß das
Baſtardierungsergebnis als Ganzes größere oder geringere Ahnlichkeit mit der einen
oder der anderen Elternpflanze zeigt oder, auch wieder in ſeiner Geſamtheit, als Mittel—
bildung in Erſcheinung tritt. Mendel führte die ungemein fruchtbringende Betrach—
tungsweiſe nach einzelnen Eigenſchaften durch.
Als nun Mendel mehrere Erbſenformen miteinander baſtardiert hatte, die ſich
in Geſtalt der reifen Samen (kugelig oder kantig), Färbung der Speichergewebe der
Samen (grün oder gelb), Färbung der Samenſchale (farblos oder dunkel gefärbt),
Form der reifen Hülſe (einfach gewölbt oder zwiſchen den Samen tief eingeſchnürt),
Farbe der unreifen Hülſe (grün oder gelb), Stellung der Blüte (längs der Achſe oder
am Ende der Achſe gehäuft), endlich in Achſenlänge (lang oder kurz), voneinander
unterſcheiden, erhielt er in der 1. Generation nach der Baſtardierung Pflanzen, die
nur je eine Eigenſchaft von den angeführten Eigenſchaftenpaaren aufwieſen. An den
Individuen der 1. Generation erſchienen von den genannten Eigenſchaften einheitlich:
Kugelform der Samen, gelbe Färbung der Speichergewebe, Färbung der Samenſchale,
einfache Wölbung der reifen Hülſe, grüne Färbung der unreifen Hülſe, Verteilung
der Blüten längs der Achſe und größere Länge der Achſe. Dieſe von den einzelnen
Paaren überkommenen Eigenſchaften wurden als dominierende bezeichnet, die korre—
ſpondierenden, aber unterdrückten Eigenſchaften als rezeſſive und das Geſetz, das
dieſe Erſcheinung beherrſcht, als das Geſetz von der Dominanz.
Die rezeſſive Eigenſchaft eines Paares tauchte nun in der 2. Generation
nach der Baſtardierung wieder auf, und zwar bei einem Viertel der Individuen, d. h.
die 2. Generation zeigte eine Spaltung nach den Eigenſchaften des einzelnen
Paares. Eine rezeſſive Eigenſchaft, die in der 2. Generation auftauchte, blieb
weiterhin bei Selbſtbefruchtung erhalten, fie vererbte voll. Es vererbte demnach "Ja
der Individuen der 2. Generation voll. Aber von den reſtlichen / Individuen ver—
erbte ein Teil auch noch voll, nur war dieſer, eben wegen der Dominanz der einen
Eigenſchaft des Paares nicht von den weiter ſpaltenden der 2. Generation zu unter—
ſcheiden. Das in der 2. Generation nach einem beſtimmten Zahlenverhältnis erfolgte
Erſcheinen beider Eigenſchaften eines Paares wurde als das Geſetz der Spaltung
nach einer Baſtardierung bezeichnet. Dieſes Geſetz iſt das wichtigere, all—
gemeinere und kann, wie wir ſpäterhin ſehen werden, wirken, auch ohne daß in der
328 2. Kapitel.
1. Generation Dominanz in Erſcheinung tritt. Ein Beiſpiel, das durch eine Bildtafel
anſchaulicher gemacht wird, ſoll uns das Verhalten in der 1., 2. und 3. Generation
Geschlechtszellen aus welchen 23
Fa dieEltern entstanden Sind.
Elrern Same. 2
Geschlechtszellen der Eltern.
Generation nach der
EUER 8
©) Bostardierung i
Geschlechtszellen eines jeden Individuums der 1.
Generation noch der Bastardierung.
Zusammentritte dieser
Geschlechtszellen.
2.Generation nach der Bastardierung - Same
? 7 7 7 Geschlectszellen eines j 57
— — en == jeden
373 22 GR — Individuums der 2. Generation.
— — [6] um
3.Generation nach der Basrardierung:
Some-
Y — Geſchlechtszellen —Geſchlechtszellen e BR
Wh 2172 en — mit R S Werbe 9 0
Taf. II. Baſtardierung einer grün- mit einer gelbſamigen Erbſe. Zeichnung von H. Hahn.
bei einem einfachen Fall näher bringen und gleichzeitig die von Mendel dafür gegebene
Erklärung vorführen (Taf. II). Eine Erbſe mit grünem Speichergewebe oder, wie man
verſtändlicher ſagt, grünen Keimlappen, ſei durch Vereinigung einer männlichen und
Die Variabilität nach Baſtardierung. 329
einer weiblichen Geſchlechtszelle, je mit der Anlage für Grünfärbung des Speicher—
gewebes, entſtanden, eine ſolche mit gelbem Speichergewebe oder gelben Keimlappen
durch Vereinigung zweier Anlagen für Gelbfärbung. Die Erbſe mit grünem Speicher—
gewebe erzeugt nun wieder Geſchlechtszellen mit der Anlage für grüne Färbung, jene
mit gelbem Speichergewebe ſolche für gelbe Färbung. Wird bei Baſtardierung eine
Geſchlechtszelle mit der Anlage für Grün mit einer ſolchen für Gelb zuſammengebracht,
ſo wird, gleichgültig ob die Pflanze mit grünem Speichergewebe oder jene mit gelbem
als Mutter verwendet wurde, ein Baſtard 1. Generation erwachſen, der gelbes
Speichergewebe beſitzt, da Gelb über Grün dominiert.
Ein Erbſenſame iſt, ſoweit die Samenſchale in Betracht kommt, aus mütter—
lichen Zellen gebildet, das Innere aber, der Embryo, wenn auch noch an der Mutter
ſitzend, iſt ſchon die nächſte Generation, alſo in dieſem Falle die 1. Generation nach
Baſtardierung. Hatte man die Pflanze mit grünem Speichergewebe bei der Baſtar—
dierung als Mutter verwendet, ſo ſind, da von Grün und Gelb Gelb dominiert,
an der Mutter in den Hülſen ſo viele Körner mit gelbem Speichergewebe ent—
ſtanden, wie Samenknoſpen von dem gelbſamigen Vater befruchtet worden ſind.
Eine normale grünſamige Erbſenſorte zeigt ſo nach Baſtardierung eines Teiles ihrer
Blüten die auffallende Erſcheinung, daß einige Hülſen ganz oder, wenn auch eigener
Blütenſtaub befruchten konnte, zum Teil gelbe Samen enthalten. Man hat ſolche
Erſcheinungen Kenien genannt, und zwar zur Unterſcheidung ſolcher Kenien, die rein
mütterliche Teile treffen, Embryoxenien.
Die 1. Generation, die aus den gelben Baſtardſamen erwächſt, bringt nun Geſchlechts—
zellen hervor, von denen jede eine der beiden Anlagen für Grün- oder Gelbfärbung
enthält, und zwar jede dieſer Arten von Geſchlechtszellen in gleich großer Zahl. Dieſe
Spaltung bei der Geſchlechtszellenbildung, im Verein mit der Bildung von gleich viel ? (weib—
lichen) und g' (männlichen) Geſchlechtszellen mit je einer Anlage, erklärt nun die
Bildung von ¼ Individuen der 2. Generation mit Anlage für die eine, die rezeſſive
Eigenſchaft grün, von ½ ſolcher mit Anlage für die zweite, die dominierende Eigen—
ſchaft gelb, und von ¾ Individuen mit beiderlei Anlagen. Die letzterwähnten 50%
Individuen ſehen ſo aus, wie die 25% Individuen mit nur der dominierenden Eigen—
ſchaft, da eben — bei Zuſammentreffen der Anlagen für Gelb und Grün — Gelb
dominiert. Individuen der 2. Generation, die nur die eine Anlage beſitzen, können
auch nur Geſchlechtszellen mit dieſer abgeben, und dieſe können nur Individuen liefern,
in denen nur dieſe Anlage zur Entfaltung kommt, die demnach konſtante, volle Ver—
erbung zeigen. Die Individuen mit der rezeſſiven Eigenſchaft, die konſtante Nach⸗
kommenſchaft geben, ſind ſchon in der 2. Generation kenntlich, jene mit der domi—
nierenden Eigenſchaft, die konſtante Nachkommen geben, dagegen nicht, da ſie ebenſo
ausſehen wie die noch ſpaltenden mit der Anlage für Gelb und Grün. Wir haben
bei der Beurteilung der Farbe eines Speichergewebes die Individuen der 2. Generation
natürlich auf den Pflanzen der 1. Generation, jene der 3. Generation auf den Pflanzen
der 2. Generation zu ſuchen! Die 1. und 2. Pflanzengeneration kann in den Hülſen
grüne und gelbe Samen gemengt enthalten, da eben bei der Selbſtbefruchtung die
Spaltungsverhältniſſe der 2. und 3. Generation ſchon in den auf der 1. und 2. Pflanzen⸗
generation ſitzenden Samen in Erſcheinung treten! Man kann ſo ſelbſt oft gerade
330 2. Kapitel.
drei gelbe neben einem grünen Samen in einer Hülſe finden. Seit der Wieder—
entdeckung der Mendelſchen Geſetzmäßigkeiten nach einer Baſtardierung wurden nun
viele Abweichungen von dem erwähnten, beſonders häufigen Verhalten gefunden.
Man hat dieſes häufigſte Verhalten, da es bei vielen Eigenſchaften der Erbſe zuerſt
feſtgeſtellt worden iſt, als jenes nach dem Pisum-Schema bezeichnet.
Unterſcheiden ſich die bei der Baſtardierung vereinten Eltern durch mehr als eine
Eigenſchaft voneinander, ſo bringt die Spaltung nach der Baſtardierung ſchon bei Geltung
der Dominanzregel neue Formen zum Vorſchein, da die bei den Eltern vorhandenen
Eigenſchaften in verſchiedener, den Eltern gegenüber neuer, Weiſe kombiniert werden.
Wenn wir uns vor Augen halten, daß jedes Eigenſchaftenpaar — von einzelnen
Ausnahmefällen abgeſehen — unabhängig von dem anderen ſpaltet, ſo iſt damit
dieſe Erſcheinung ſofort erklärt. Man nennt eine Baſtardierung, deren Eltern ſich
nur durch eine Eigenſchaft unterſcheiden, eine monohybride, eine ſolche, deren Eltern
ſich durch 2, 3 uff. Eigenſchaften unterſcheiden, eine di-, tri- uff. hybride.
Die Spaltungszahlen einer mendelnden Baſtardierung ſind im Falle von Dominanz,
wenn jede Anlage eines Paares eine ſichtbare Eigenſchaft bewirkt, bei einer mono—
hybriden Baſtardierung in der 2. Generation 3: 1. Es ſind in der 2. Generation
zweierlei äußerlich voneinander unterſcheidbare Formen vorhanden, von welchen die
eine durchaus voll vererbt. Bei einer dihybriden Baſtardierung ergibt ſich ein Spaltungs—
verhältnis von 9:3:3:1 [3 1) 3 J), allgemein (a + b)? S a? 2 ab g= be,
alſo (3 1)? = 3 2.3 + 122 93 + 31], allgemein bei n Anlagenpaaren
(3 -I) n. Bei einer monohybriden Baſtardierung kommt in der 2. Generation ſchon
auf je 3 Individuen eines, das die rezeſſive Eigenſchaft beſitzt und in der 3. Gene—
ration voll, rein vererbt, bei einer dihybriden erſt auf 15 Individuen eines, das für
beide rezeſſive, bei einer trihybriden auf 51 eines, das für alle drei rezeſſiven Eigen—
ſchaften voll vererbt.
Ein anderes, auch recht häufiges Verhalten nach Baſtardierung iſt jenes nach dem
Zea-Schema, das von Correns zuerſt bei mehreren Eigenſchaften der Maispflanze beob—
achtet worden iſt. Bei dieſem Zea-Schema kommt Dominanz in der 1. Generation nicht
zur Geltung, die beiden Eigenſchaften eines Paares vereinen ſich, wenn die Geſchlechts—
zellen mit Anlagen für dieſe zuſammentreten, zu einer Mittelbildung. So er—
geben ſich bei Baſtardierung von langhalmigen und kurzhalmigen Weizenformen in
der 1. Generation nach der Baſtardierung nur mittellange Individuen. Die 2. Gene—
ration weiſt dann / langhalmige, ½ kurzhalmige und ¼ mittellanghalmige auf.
Während nun, ſo wie beim Pisum-Schema, die 25% Individuen mit der einen und die
25% Individuen mit der anderen Eigenſchaft bei Selbſtbefruchtung konſtante Nach—
kommenſchaft geben und die 50% mit den Anlagen für beide Eigenſchaften weiter—
ſpalten, ſind dieſe letzteren aber bei dem Zea-Schema deutlich zu erkennen, da eben die
Anlagen für beide Eigenſchaften des Paares bei ihrem Zuſammentritt wieder ſo wie
in der 1. Generation Mittelbildung geben.
Bei dem Zea-Schema iſt auch bei nur einer unterſcheidenden Eigenſchaft gegen—
über den Eltern eine neue äußere Eigenſchaft in Erſcheinung getreten: die Mittel—
bildung in der 1. Generation und bei einem Teil der Individuen der 2. Generation.
Allerdings iſt dieſe Mittelbildung nicht konſtant zu erhalten, ein ähnlicher Fall wie
Die Variabilität nach Baſtardierung. 33K
bei den blauen Andaluſierhühnern, die auch, miteinander gepaart, immer wieder
ſchwarze und weiße Hühner neben den blauen abgeben. Man konnte ſich dieſes
unreine Vererben bei den blauen Andaluſiern früher nicht erklären, erſt die Bekannt—
ſchaft mit den Mendelſchen Geſetzmäßigkeiten bot die Erklärung.
Die Ausführung von Baſtardierungen bot aber noch andere Überraſchungen, wie
die Neukombination von Eigenſchaften der Eltern und das Entſtehen von Mittel—
bildungen. Es wurden Fälle bekannt, in denen eine ganz neue Eigenſchaft, die
an jene der Eltern gar nicht erinnert, entweder in der 1. Generation nach der Baſtar—
dierung oder in der 2. auftauchte. v. Tſchermak, der ſolche Fälle, wie ſie zuerſt
von Correns beobachtet wurden, genauer ſtudierte, betrachtet die Erſcheinung als Aus—
löſung von Eigenſchaften, die bei einer der Elternpflanzen ver—
borgen waren. Jene Elternpflanze, welche die Eigenſchaft verborgen enthielt, wurde
von ihm als kryptomer bezeichnet.
Von Correns wurde dann zuerſt ein Erklärungsverſuch für Fälle mit Auf—
tauchen von ſolchen Neuheiten nach Baſtardierung gegeben, der dann beſonders von eng—
liſchen und amerikaniſchen Forſchern ausgebaut und zur Faktorenhypotheſe ent—
wickelt wurde, die auch nach einem ihrer Leitſätze als presence and absence-Hypotheſe
bezeichnet wird. Der Botaniker Correns hatte bei Baſtardierung einer weißblühenden
mit einer gelbblühenden Form von Mirabilis in der 1. Generation roſablühende
Individuen erhalten. Die Erklärung für das Verhalten war gegeben, wenn er an—
nahm, daß in den beiden Eltern nicht Weiß und Gelb einander gegenüberſtanden,
ſondern zwei Faktoren oder Anlagen vorhanden waren:
weiße Form:
1a Anlage für Modifizierung des Farbſtoffes in Rot
2b Fehlen der Anlage für Farbſtoffbildung.
gelbe Form:
2a Anlage für Farbſtoffbildung
1b Fehlen der Anlage für Modifizierung des Farbſtoffes in Rot.
Die geſperrt geſetzten Anlagen find dominierend. Die Anlage la kann in der weißen
Elternform nicht wirken, da eben fein Farbſtoff vorhanden iſt, die Anlage Ib be—
wirkt Gelbfärbung in der gelben Form, da die Anlage für Modifizierung des Farb—
ſtoffes fehlt. Im Baſtard 1. Generation kommt nun aber die Anlage für Farbſtoff—
bildung mit der Anlage für Modifizierung zuſammen, und die Blüte iſt rot.
Von den meiſten Forſchern werden jetzt die Spaltungsverhältniſſe durch den
ſchon in dem Corrensſchen Beiſpiel benützten Teil der Faktorenhypotheſe durch die
Hypotheſe von Gegenwart und Abweſenheit erklärt. Darnach wird das, was
nach der Mendelſchen Erklärung ein Paar von antagoniſtiſchen Eigenſchaften iſt, erſetzt
durch ein Paar, das aus der Anlage für eine Eigenſchaft und dem Fehlen der
Anlage für dieſe Eigenſchaft beſteht. Schwarz und Gelb ſind bei der Mendelſchen
Erklärung ein Eigenſchaftenpaar, bei der Hypotheſe von Gegenwart und Abweſenheit
iſt Vorhandenſein der Anlage für Schwarz mit Fehlen der Anlage für Schwarz,
ebenſo Vorhandenſein der Anlage für Gelb mit Fehlen der Anlage für Gelb je ein
Paar. Das Dominieren oder die Mittelbildung erfolgt nach dieſer Hypotheſe nicht
zwiſchen zwei ſichtbaren Eigenſchaften, ſondern zwiſchen Vorhandenſein und Fehlen.
Wird eine Eigenſchaft, die ſichtbar werden kann, von einer anderen ſolchen am Sicht—
332 2. Kapitel.
barwerden verhindert, jo bezeichnet man dieſes nach dieſer Hypotheſe als Epiſtaſie
und nennt die verdeckte Eigenſchaft die hypoſtatiſche. Wenn wir ſo von Anlagen
und ihrem Fehlen ſprechen, ſo liegt es nahe, daß wir uns die Anlagen als etwas
Stoffliches vorſtellen und ſie in Beziehung bringen mit Teilen der Chromoſomen
und der Verteilung dieſer bei den Reduktionsteilungen. Tatſächlich geben dieſe Re—
duktionsteilungen eine gute Erklärung für die Spaltungserſcheinungen, aber Nachweiſe
für den Zuſammenhang einer beſtimmten Anlage mit einem beſtimmten Chromoſom
oder einem Teil eines ſolchen beſitzen wir nicht.
Die Hypotheſe vom Vorhandenſein und Fehlen einer Anlage läßt allerdings auch
nicht ohne weiteres die Erklärung aller Fälle zu. So muß, um einen uns bereits be—
kannten Fall heranzuziehen, zur Erklärung der Spaltung, wie ſie bei Baſtardierung einer
Erbſe mit gelbem und einer ſolchen mit grünem Speichergewebe eintritt, eine Hilfs—
annahme gemacht werden, die aus den zwei Paaren, die nach dieſer Hypotheſe da
ſein ſollten, eines macht, wie es den Spaltungszahlen entſpricht. Man nimmt nach Hurſt
an, daß in der Mutterpflanze die Anlage für Grün (Gr) und für Gelb (G) vorhanden
iſt und daß die Gelbfärbung die Grünfärbung nicht in Erſcheinung treten läßt. Gelb
iſt epiſtatiſch zu dem hypoſtatiſchen Grün. In der Vaterpflanze iſt dann Fehlen der
Anlage für Gelb (g) mit auch wieder der Anlage für Grün, die nun zur Wirkung kommt,
vereint. Soll das, wie üblich, durch Buchſtaben ausgedrückt werden, ſo ſind bei
Mutter und Vater an Geſchlechtszellen vorhanden:
G, Gr g, Gr
Mutter (2) Vater (07)
Die Vereinigung ergibt dann Gig Gr, r.
Da die Anlage für Grün nicht zur Wirkung gelangt, wenn die Anlage für Gelb
vorhanden iſt, erſcheint das Baſtardierungsprodukt mit gelbem Speichergewebe. Die
Geſchlechtszellen der Eltern, die 1. Generation und die Zuſammentritte der letzteren,
welche die 2. Generation geben, ſind in der Tafel zur Darſtellung gebracht (Taf. III).
Viel ungezwungener ergibt ſich die Anwendung der Hypotheſe in anderen
Fällen, ſo bei der Baſtardierung eines ſchwarzkörnigen mit einem weißkörnigen Hafer,
wie ſie Nilsſon-Ehle, ein ſchwediſcher Forſcher, durchführte. Bei der Baſtar—
dierung ſolcher Hafer tauchen in der 2. Generation einzelne weißkörnige Individuen
auf, und das Verhältnis von ſchwarzkörnigen zu gelbkörnigen iſt auch nicht annähernd
3:1, ſondern es ſind viel mehr ſchwarzkörnige Individuen vorhanden. Nimmt man
an, daß der ſchwarzkörnige Hafer die Anlage für Schwarz (S) und das Fehlen der
Anlage für Gelb (g) und der gelbkörnige die Anlage für Gelb (6) und das Fehlen
der Anlage für Schwarz (s) aufweiſt, ſowie, daß Vorhandenſein einer Anlage über
ihr Fehlen dominiert, ſo laſſen ſich die Geſchlechtszellen der Eltern ſo ausdrücken:
BVaterpflanze Mutterpflanze
Er [Se] E
G O
Der 6 5 iſt 19 0 KEXTE S5 Gg | und 1 5 eee für
EEE E
Die Variabilität nach Baſtardierung. 333
Schreibt man die weiblichen Geſchlechtszellen auf einen Streifen Papier und ver-
ſchiebt ihn ſo gegen die aufgezeichneten männlichen Geſchlechtszellen, daß jede weib—
liche nacheinander mit allen männlichen in eine Linie kommt, ſo erhält man alle
= Geschlechtszellen aus welchen Maren
GR FT die Elfern entstanden sind. GGG, uun
9 oO ch Eltern- Same. d
Vater Mutter
Geschlechtszelten derElfern 1
—
Bastard ierung
Bell) .,
2 Ta
‚Generation nach der
3 ae =
| Geschlechtszellen eines jeden Individuums der l. Generation
mL] BTL | RUN
ZA GEB WEA I e
„
e . W 1
2. Generation nach der Bastardierung - Same
=
Zu ti mit der III —Geſchlechtszelle mit
> nlage für Grü d | der Anl für Grü grüner gelber
.,, dem ene dor en HR 499 BR ng für 2 5 3 Br 5
ür Gelb. 5 Gelb.
Taf. III. Baſtardierung einer grün- mit einer gelbſamigen Erbſe. Zeichnung von H. Hahn.
möglichen Zuſammentritte von Geſchlechtszellen, welche die 2. Generation geben. Das
Ergebnis der Zuſammentritte entſpricht dann jenem einer Baſtardierung mit zwei
Eigenſchaftenpaaren. Von 12 ſchwarzkörnigen Individuen enthalten 9 die Anlage
für Schwarz und Gelb, 3 nur jene für Gelb. Auf die 12 ſchwarzen Individuen
334 2, Kapitel.
entfallen 3 gelbkörnige Individuen mit der Anlage nur für Gelb und ein Individuum
mit Fehlen beider Anlagen, das weißkörnig iſt. Wir haben die Spaltungszahlen
dihybrider Baſtardierung 93:3: 1, und das eine Individuum unter 16, das die
beiden rezeſſiven Anlagen beſitzt, vererbt für dieſe voll weiter.
Das Weſentliche der neuen Erklärungsverſuche liegt nicht in der Annahme, daß
einer ſichtbaren Eigenſchaft ein ſpaltendes Paar Anlagen: Vorhandenſein und Fehlen
der Anlage entſpricht, ſondern in der Zurückführung der Spaltung auf An—
lagen ſtatt auf ſichtbare Eigenſchaften. So wie die Betrachtung einzelner Eigen—
ſchaften an Stelle des Geſamteindruckes der Pflanze die Baſtardierungsforſchung ganz
weſentlich förderte, ſo brachte auch die Betrachtung der Anlagen an Stelle der ſicht—
baren Eigenſchaften die Erkenntnis weiter.
Es kommt vor, daß eine ſichtbare Eigenſchaft von einer Anlage bedingt iſt, es
kommt aber ſehr oft vor, daß ſichtbare Eigenſchaften durch das Wirken mehrerer
Anlagen zuſtande kommen. Dabei kann die Wirkung der Anlage einer ſichtbaren
Eigenſchaft die Wirkung der Anlage von anderen Eigenſchaften einfach verdecken, ſo jene
der Anlage für Schwarzfärbung der Haferſpelzen jene der Anlage für ihre Graufärbung
oder die Wirkung der Anlage für gelbe Haut der Tomate die Wirkung der Anlage für
rotes Fleiſch. Es können aber neben dieſen ganz einfachen Fällen, bei denen eigentlich
noch keine Beſonderheit der Anlagenwirkung zur Geltung kommt, ſondern eine Wirkung
von Eigenſchaften, die für ſich allein beide ſichtbar werden können, ſchwieriger zu erklärende
vorkommen. Es kann eine ſichtbare Eigenſchaft durch zwei Anlagen bedingt ſein, die beide
bei der einen der Elternpflanzen vorhanden waren; bei den Spaltungen, welche die Anlagen
trennen, erſcheint die Wirkung der einzelnen Anlagen dann als Neuheit. Es kann
aber eine ſichtbare Eigenſchaft auch durch die Wirkung zweier Anlagen bedingt ſein, von
denen beiſpielsweiſe die eine bei der einen Elternpflanze, die andere bei der anderen
vorhanden iſt, deren Baſtard dann durch Zuſammentritt der beiden Anlagen eine
neue Eigenſchaft in Erſcheinung treten läßt. Von anderen gegenſeitigen Einwirkungen
von Anlagen muß hier abgeſehen werden, für Getreide hat ſolche beiſpielsweiſe
v. Tſchermak überſichtlich in dem vierten Band meines Buches „Die Züchtung der
landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen“ zuſammengeſtellt.
Dagegen ſoll noch der Erklärung von Abſtufungen gedacht werden, die Nilsſon—
Ehle und nach ihm Eaſt gegeben hat und die gleichfalls auf der Faktorenhypotheſe
ruht. Bei Haferſorten iſt die Behaarung der Kornbaſis des Außenkornes eines
Ahrchens eine Eigenſchaft, auf deren züchteriſche Bedeutung ich vor vier Jahren auf—
merkſam gemacht habe und die ich ſeither in mehreren Verſuchen weiter verfolge.
Nilsſon-Ehle hat nun, auch wieder nach der Hypotheſe von Gegenwart und Fehlen
einer Anlage, erklärt, wie Abſtufungen in der Behaarung bei der Baſtardierung
als ſcheinbare Neuheit zuſtande kommen können. Eine Haferform mit der Anlage
für Langhaarigkeit L und dem Fehlen der Anlage für Kurzhaarigkeit k tritt mit
einer anderen Form, welche die Anlage für Kurzhaarigkeit K beſitzt und der die An—
lage für Langhaarigkeit l fehlt, zuſammen. Die Geſchlechtszellen, die in der 2. Gene—
ration gebildet werden, ſind dann ſowohl für männliche wie für weibliche je gleichartig:
B = ‚ 15 ; | 1: Die einzelnen Zuſammentritte ſollen hier nicht alle weiter verfolgt
Die Variabilität nach Baſtardierung. 335
werden; wie ſie zuſtande kommen, haben wir ja an dem Beiſpiel (Taf. II) geſehen.
Es ſei nur hervorgehoben, daß der Zuſammentritt der Geſchlechtszellen 11
Haarloſigkeit gibt, da keine der Anlagen für Behaarung vorhanden iſt, und der
Zuſammentritt 8 == u eine andere Neuheit: Vorhandenſein von kurzen und
langen Haaren. Wir haben ſo von unbehaart zu kurzen Haaren, kurzen und langen
Haaren und zu langen Haaren Abſtufungen.
Die Analyſe der Anlagen nach der Faktorentheorie iſt nicht ſo weit gediehen,
wie die Feſtſtellung der äußerlichen Eigenſchaften. Wohl das vollſtändigſte Bild der
Anlagen einer Pflanze, das heute vorliegt, iſt uns durch Baur für die Formen von
Löwenmaul (Antirrhinum majus) gebracht worden, mit dem ſchon de Vries, Correns
und Miß Wheldale ſich beſchäftigt hatten.
Es iſt auf Grund zahlreicher Verſuche eine größere Zahl von Anlagen feſt—
geſtellt worden, und Baur erwartet, daß es möglich ſein wird, durch weitere Ver—
ſuche insgeſamt 40 —50 Anlagen zu ermitteln. Alle Anlagen laſſen ſich nicht er—
mitteln, da nur eine Form, der eine Anlage fehlt, die Feſtſtellung des Vorhandenſeins
dieſer Anlage bei Baſtardierung zuläßt. Die Feſtſtellung der Anlage läßt dann die
Kennzeichnung einer Form durch Buchſtaben zu, wobei meiſt für das Vorhandenſein
einer Anlage ein großer Buchſtabe, für das Fehlen ein kleiner verwendet wird,
und zwar in beiden Fällen, wenn die Anlage eine ſichtbare Eigenſchaft bewirkt,
der erſte, mit dem dieſe benannt wird. Gleiche Veranlagung der Form für
eine Anlage wird durch Wiederholung des Buchſtabens bezeichnet, während Vor—
handenſein des großen und kleinen gleichen Buchſtabens Vorhandenſein und Fehlen
der Anlage, alſo Spaltung in der Nachkommenſchaft andeutet. So bedeutet die
Formel AA BGC DdEEFfgghhllmmNNPP RR, daß die Form einheitlich
veranlagt iſt, alſo bei Selbſtbefruchtung in der Nachkommenſchaft nicht mehr ſpaltet
für die Anlagen A, C, E, N, P und R, und für das Fehlen der Anlagen g, h, I, m,
daß ſie dagegen Spaltung bei den Anlagen B, D und F zeigen wird. Eines darf
natürlich nicht vergeſſen werden; auch eine ſolche ſehr weitgehende Anlagenanalyſe
läßt immer noch einen beträchtlichen Reſt von Eigenſchaften zurück, deren Anlagen
wir nicht kennen, da das Vorhandenſein einer Anlage nur erkannt werden kann, wenn
wir eine Form finden, die ſie nicht beſitzt; es entziehen ſich ſo die Anlagen für die
wichtigſten Eigenſchaften der Pflanzen dieſer Analyſe.
Die Vereinigung von Teilen zweier Individuen, die man als Pfropfung
bezeichnet, hat man auch vegetative Baſtardierung genannt. So wie bei ge—
ſchlechtlicher Baſtardierung erwartet man auch bei ihr das Entſtehen von Baſtarden.
Zahlreiche Verſuche haben dieſe Erwartung zunächſt vernichtet und die Forſchungen
Winklers und Baurs haben uns über die Natur jener ſonderbaren Gebilde auf—
geklärt, die gelegentlich nach ungeſchlechtlicher Baſtardierung entſtehen und die man
Chimären genannt hat. Gewöhnlich leben Pfropfreis und Unterlage das ihrer Art
eigene Leben und das Reis wird durch die Unterlage nur ähnlich beeinflußt, wie eine
wurzelechte Pflanze durch den Standort. Gelegentlich aber erwachſen aus der Pfropf—
336 2. Kapitel.
ſtelle, beſonders nach Verwundungen an dieſer, Knoſpen, deren Triebe, die Chimären,
ein ganz abweichendes Ausſehen beſitzen und die Gewebe der beiden Formen gemengt
enthalten, ohne daß aber auch in dieſen Fällen die Zellen der beiden Gewebe ihre
Eigenart aufgegeben hätten.
3. Kapitel: Auslele.
Alle Anfichten über die natürliche Formenkreisbildung der Lebeweſen ziehen die
Ausleſe als eine der Urſachen heran. Freilich kann ſie nur in einem Fall eine Urſache
der Formenbildung ſein: ſie kann nur bei Fremdbefruchtung dadurch, daß fie be—
ſtimmte Individuen oder ſelbſt beſtimmte Formenkreiſe vernichtet, die Variabilität be—
einfluſſen, da eben nur beſtimmte übriggelaſſene Individuen oder Formenkreiſe mit—
ander zuſammentreten. In allen andern Fällen muß die Abweichung ſchon vorhanden
ſein und muß vererbt werden; Ausleſe kann nur Vorhandenes ausſcheiden oder
herausgreifen.
Auch die Züchtung, die Formkreisbildung der Kultur, arbeitet mit Ausleſe.
Auch ihr muß die Abweichung geboten werden, und ſo wie in der Natur kann Aus—
leſe auch in der Kultur nur im Fall der Fremdbefruchtung die Bildung der Ab—
weichung ſelbſttätig beeinfluſſen.
Während die Ausleſe der Natur ausſcheidet, hebt die Aus leſe bei Züchtung
heraus; man hat daher auch die Selektion der Natur der Elektion der Züchtung
gegenübergeſtellt. Die Ausleſe in der Natur vernichtet die Individuen und Formen,
die minderwertig ſind, die Ausleſe in der Züchtung greift die Individuen und Formen
heraus, die hochwertig ſind. Was minderwertig, was hochwertig iſt, wird von der
Natur auch ganz anders beurteilt, wie von dem züchtenden Menſchen. Für die Natur
iſt die Widerſtandsfähigkeit gegen ungünſtige äußere Verhältniſſe und die Fähigkeit,
viel neue Individuen zu erzeugen, wertvoll. Für die Menſchen kommt in erſter Linie
die Nutzbarkeit und Menge jener Teile in Betracht, die bei der einzelnen Art verwendet
werden. Widerſtandsfähigkeit ſchätzt er wohl auch, aber ſo manche der Kulturpflanzen be—
ſitzt dieſe nach manchen Richtungen hin in ſo geringem Grad, daß ſie ohne beſonderen
Schutz im freien Kampf ums Daſein mit der wilden Flora in kurzer Zeit ver—
ſchwunden wäre.
Der Züchter unſerer Tage denkt, wenn er von Ausleſe ſpricht, faſt nur noch
an Ausleſe von Pflanzen oder ſelbſt darüber hinaus an die Ausleſe von Nach—
kommenſchaften. Nur wenige Jahre aber ſind verſtrichen ſeit der Zeit, in der
bei Getreide und Hülſenfruchtern noch Ausleſe von Fruchtſtänden und Körnern
im Züchtungsbetrieb herrſchte, eine Ausleſe, wie ſie ſchon von Schriftſtellern des alten
Rom erwähnt wird.
Im dritten Band von »Progressus rei botanicae« habe ich verſucht, die
Geſchichte der Ausleſeverfahren zu ſchreiben. Hier ſei nur des vorgeſchrittenſten
Standes gedacht, bei dem die Pflanze oder dieſe und ihre Nachkommenſchaft
Gegenſtand der Ausleſe iſt. Bei dieſem Stand dreht es ſich auch nicht mehr
um Maſſen- oder Individualausleſe, ſondern es kommt nur die letztere in An—
wendung, und die zur Entſcheidung ſtehende Frage iſt nur, ob einmalige oder mehr—
malige Ausleſe.
JUNo 1913
Ausleſe. 3372
Bei Individualausleſe wird von einer Pflanze ausgegangen, und die
Ausleſe findet, ſoweit fie fortgeſetzt wird, nur in der für ſich gehaltenen Nachkommen—
ſchaft dieſer Pflanze ſtatt. An Stelle einer Individualausleſe laſſen ſich aber auch
— und es iſt dieſes das zweckentſprechendere Verfahren — mehrere ſolche durchführen.
Ausgang von mehreren Pflanzen hat auch die Maſſenausleſe, aber bei dieſer
LIBR
NEW \
wird bei Fortſetzung der Ausleſe in jeder Generation die Ernte aller Ausleſepflanzen BOTAn
Abb. 73. Zuchtgarten. Vorne: Hülſenfruchterausleſen. Hinten links: Schoßverſuche mit Wintergetreide,
dahinter: Graspflanzen gegen Fremdbeſtäubung geſchützt; hinten rechts: Getreideausleſen.
zuſammen ausgeſät, bei Nebeneinanderführung von Individualausleſen dagegen bleibt
die ganze Nachkommenſchaftsfolge einer jeden Ausgangspflanze für ſich.
Die am weiteſten gehende Beurteilung für die Züchtung wird aber erſt möglich,
wenn nicht nur von einzelnen Pflanzen ausgegangen wird, ſondern wenn auch die
Nachkommenſchaft einer jeden ausgeleſenen Pflanze beurteilt wird. Ob die Aus—
leſe länger fortgeſetzt werden muß oder ob nur eine eingeſchränkte Fortſetzung zweckmäßig
iſt, hängt davon ab, ob eine fremdbefruchtende Pflanze gezüchtet wird oder ob die
Züchtung bei einer Pflanze erfolgt, die gewöhnlich Selbſtbefruchtung aufweiſt. Die
Forſchungen Johannſens über die Ausleſewirkung in reinen Linien und jene von
de Vries über Mutationen haben, ohne daß die Mitteilungen der beiden Forſcher
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 22
UARD
338 3. Kapitel.
dies ſtützten, mannigfach die Anſicht veranlaßt, daß einmalige Ausleſe bei Züchtung
allgemein genüge. Es war daher notwendig, gegen dieſe Anſicht aufzutreten,
und ich habe gelegentlich des letzten landwirtſchaftlichen Kongreſſes auch auf den
grundlegenden Unterſchied im Verhalten zwiſchen Fremd- und Selbſtbefruchtung
hingewieſen und ihn in zwei Arbeiten durch Beiſpiele aus fremden und eigenen
Züchtungen belegt.
Wenn die Ausleſe nur äußere Merkmale ins Auge faſſen ſoll, ſo kann ſie
4 * m %
Dart,’
+
7 Kal Pi 7 BE
73 107 DB
I:
1 * 5
1
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8
4:
Abb. 74. Zuchtgarten. Ganz vorne rechts: Kartoffelausleſen, dahinter links: Ausleſen von Hülſenfruchtern,
zum Teil an Stäben angeleitet, zum Teil auch gegen Fremdbeſtäubung geſchützt, dahinter: Getreideausleſen.
dies auch dann, wenn die einzelnen Individuen unter verſchiedenen Standorts—
verhältniſſen erwachſen. Bei jener Ausleſe nach quantitativ variablen Eigenſchaften,
wie ſie der Veredlungszüchtung angehört, müſſen aber alle Individuen und alle
Nachkommenſchaften unter möglichſt gleichen äußeren Verhältniſſen ſich befinden, da
ſonſt die Modifikation die Variation ganz verdeckt. Möglichſt gleichwertige Verhält—
niſſe werden bei der Züchtung durch gleichartige Behandlung des Bodens, gleich—
mäßige Bemeſſung des Wachsraumes für jedes Individuum und gleichmäßige Saat
geſchaffen. Auch Schutz gegen Beſchädigung durch Menſch und Tier muß gegeben
werden, und die regere Beſchäftigung mit den Pflanzen macht es wünſchenswert, ſie
nahe beim Haus zu haben. Meiſt werden die Pflanzen daher auf einem abgegrenzten
Ausleſe. 339
Stück Feld, einem Zuchtgarten erzogen, der mit Drahtnetzwänden umgeben und zeit—
weiſe von Fadennetzen überdacht iſt (Abb. 73, 74).
Die Behelfe für die Züchtung ſind bei jenen Züchtungen, die chemiſche Unter—
ſuchungen notwendig machen, ſolche eines für dieſe eingerichteten Laboratoriums
(Abb. 75), für die übrigen nicht zahlreich. Meſſen und Wägen iſt neben der Be—
obachtung während der Vegetation die Grundlage der Ausleſe, und es ſind ſehr
ſchöne Ergebniſſe mit einfachem Maßſtab und einfacher Wage erzielt worden.
7
! ee Be
Abb. 75. Hauptarbeitsfaal des chemiſchen Laboratoriums der Rübenzuchtwirtſchaft Wohanka's in Uholicky.
Immerhin ſind mannigfache Erleichterungen durch Schaffung verſchiedener Kon—
ſtruktionen von Maßſtäben und beſonders ſolcher von Wagen geſchaffen worden, ſeit
v. Neergaard ſich dieſem Gebiet zugewendet hat (Abb. 76). Lang hat darüber
eine Überſicht geliefert. Die Aufzeichnung der Ergebniſſe der Ausleſe macht die An—
wendung eines geeigneten Syſtems notwendig, das bei Fortſetzung der Ausleſe alle
Aufzeichnungen der Vorfahren einer Ausleſepflanze raſch finden und ſo ihren Stamm—
baum konſtruieren läßt.
Weitgehend ſind die Anderungen, die in einem gewöhnlichen Landwirtſchafts—
betrieb getroffen werden müſſen, wenn er zu einem Züchtungsbetrieb wird. Freilich
fordert die Züchtung als ſolche, außer Zuchtgarten und einem Raum zur Aufbewahrung
von Ausleſepflanzen und zu ihrer Verarbeitung, nichts, aber die Züchtung wird ja
340 4. Kapitel.
erſt durch die Vervielfältigung der Zuchtergebniſſe wirkſam, und dieſe Vervielfältigung,
der Saatgutbau, macht mannigfache Vorkehrungen in der Scheuer, auf dem Boden,
(Abb. 77), bei Saat und Ernte nötig.
4. Kapitel: Die Züchtungsarten.
Züchten iſt Ausleſe allein oder aber Lenkung oder Anregung der Variabilität
und Ausleſe. Jene Züchtung, bei der die individuelle kleine oder individuelle quanti—
tative Variabilität benützt wird, iſt Veredlungszüchtung. Sie ſoll innerhalb
morphologiſch einheitlicher Formenkreiſe das Ausmaß einzelner Eigenſchaften verändern,
meiſt ſteigern. Daneben kann Neuzüchtung betrieben werden, und zwar Züchtung durch
Ausleſe ſpontaner Variationen morphologiſcher Eigenſchaften, durch Formentrennung,
und durch Baſtar⸗
dierung. Beiſpiele
werden uns das
Weſen dieſer von
mir unterjchtede-
nen Züchtungs⸗
arten näher
bringen, die nicht
immer ſtreng aus—
einander gehalten
werden können.
1. Der erfolg⸗
reichſte Roggen⸗
züchter Deutſch⸗
lands, v. Loch ow
Abb. 76. Einige Apparate zur Pflanzenzüchtung. zu Petkus, betreibt
1 Halmmeßapparat, 2 Pflanzenbündelwage, 3 und 4 Wagen mit Pflanzenſchalen. bei dieſer der
Saatzuchtanſtalt Weihenſtephan, Leiter Prof. Kießling.
Fremdbefruchtung
unterworfenen Pflanze Veredlungszüchtung durch Nebeneinanderführung
von Individualaus leſen und mit ſtändiger Fortſetzung der Auslefe von Nach—
kommenſchaften und Pflanzen.
Von jeder ausgeleſenen Pflanze werden die Körner für ſich, als eine Nach—
kommenſchaft, in 20 em voneinander entfernten Reihen, mit 13,3 em Entfernung in
den Reihen, im Zuchtgarten geſät. Bei der Ernte wird jede Pflanze mit dem Wurzel—
ballen ausgezogen und jede Nachkommenſchaft in einen Bund zum Trocknen aufgehängt.
Bei jeder Nachkommenſchaft wird dann Pflanzenzahl, Geſamtgewicht und, wenn dieſes
und das allgemeine Ausſehen befriedigt, weiter Korngewicht und Litergewicht beſtimmt.
Hat das Geſamtgewicht und allgemeine Ausſehen einer Nachkommenſchaft entſprochen,
ſo werden einige dem Ausſehen nach gute Pflanzen zurückbehalten. Bei dieſen Pflanzen,
den Ausleſe- oder Elitepflanzen, wird Zahl und Länge der Halme, Beſchaffenheit der
Halme, der Ahren, des Beſatzes und der Körner, Kornform-, -farbe und -zahl feſt—
geſtellt. Es wird weiter das Geſamtgewicht der Pflanze, das Korn- und Stroh—
Die Züchtungsarten. 341
gewicht, der Kornanteil und das Gewicht von 100 Körnern, endlich das Volumen
der Körner ermittelt. Jede in einem Jahr derart gewählte Pflanze, Elitepflanze,
gibt im nächſten Jahr wieder eine Nachkommenſchaft, die in gleicher Weiſe, wie oben
erwähnt worden iſt, bearbeitet wird. Aus den beſten Nachkommenſchaften werden
noch weitere gute Pflanzen einzeln entkörnt, und es wird, wenn ſie befriedigen, ihre
zuſammengeſchüttete Körnermaſſe auf das Feld gebracht und dort der Vervielfältigung
zugeführt. Bei den minderen Pflanzen der beſten Nachkommenſchaften wird der Korn—
ertrag gewogen, man ſät die Körner aber nicht weiter. Das Korn- und Litergewicht
der einzelnen, zuerſt als beſte ausgeſchiedenen Nachkommenſchaften kann natürlich erſt
Abb. 77. Speicher mit Zuchtſaatgut. Zentralſtelle der Züchtervereinigung Nole und von Dreger-Chlumetz a. C.
ermittelt werden, wenn die Beſtimmungen bei den einzelnen Elitepflanzen durchgeführt
ſind, aber es können, wenn es ſchließlich nicht befriedigt, auch wieder Pflanzen, die
man ſchon als Elitepflanzen verwenden wollte, wieder ausgeſchieden werden, da eben
die Leiſtung der Nachkommenſchaft höher als die Beſchaffenheit der Einzelpflanze
geſchätzt wird.
Bilder, die v. Lochow aus den einzelnen Ausleſejahren mitteilte, und die Ahren—
und Kornproben, die er auf den Ausſtellungen der Deutſchen Landwirtſchafts-Geſellſchaft
brachte, laſſen erkennen, daß die während der Jahre etwas geänderte Zuchtrichtung
auch Erfolg hatte: die längere und bei der Reife mehr nickende Ahre (Abb. 78) wurde
kürzer, aufrechter, dichter mit Ahrchen beſetzt (Abb. 79).
Sehr intereſſant iſt die Züchtung, die von Hopkins und Smith an der Ver—
ſuchsſtation des Staates Illinois in den Vereinigten Staaten von Nordamerika
durchgeführt worden iſt. Bei dem Fremdbefruchter Mais wurde Ausleſe nach ver—
ſchiedenen Richtungen, zur Steigerung und Drückung des Fettgehaltes der Körner
342 4. Kapitel.
und zur Steigerung und Drückung des Proteingehaltes der Körner, durchgeführt und
ein deutlich ausgeſprochenes Ergebnis erzielt. Von der Züchtung ſind uns Zahlen
mitgeteilt worden, die während der erſten zehn Jahre der Durchführung eine zu⸗
nehmende Wirkung der Ausleſe erkennen laſſen.
Die bedeutſamen Züchtungsverſuche Johannſens bei Fiſole, die als Ausleſe—
moment die Samengröße
ins Auge faßten, hatten
ſo wie die zu gleicher Zeit
von mir mit Erbſen
(Kornprozentanteil,
Hülſenbeſatz) und Gerſte
und von Nilsſon-Ehle
mit Weizen (Winter⸗
feſtigkeit) durchgeführten
keinen Erfolg der Ausleſe
gezeigt, ſoweit die Ausleſe
in einer Individualausleſe
weitergeführt wurde.
Wirkſamkeit der Aus-
leſe iſt Erfolg der Züch—
tung. Die Frage darnach,
warum in einem Fall die
Ausleſe eine Wirkung zeigt,
im andern Fall nicht, iſt
daher für die Veredlungs—
züchtung hochwichtig.
Roggen und Mais ſind,
wie Rübe und die kulti—
vierten Gräſer- und Klee—
arten, Fremdbefruchter.
Wenn wir bei ihnen Aus-
leſe treiben, ſo treten immer
verſchiedene Anlagen zu—
2842 10 ſammen, deren Zuſammen—
f wirken, da es ſtets für die
Abb. 78. Petkuſer Roggen. Urſprüngliche Ahrenform der Elitepflanzen. Zuchtrichtung günſtige An:
lagen ſind — es kommen
ja nur Elitepflanzen zuſammen —, eine Steigerung der erkennbaren Eigenſchaften
mit ſich bringt. Die Ausgangspflanze hat meiſt nicht eine beſtimmt gerichtete Ver—
erbung, da ſie ja auch durch Fremdbefruchtung entſtanden iſt, und wenn auch ihre
Nachkommen für ſich gehalten werden, müſſen ſich die von verſchiedenen Vorfahren
überkommenen Anlagen doch geltend machen, und zwar bei verſchiedenen weiteren
geſchlechtlichen Zuſammentritten in verſchiedenem Grad. Fremdbefruchter werden
daher auch unbedingt eine Fortſetzung der Ausleſe notwendig machen, und wenn dieſe
Die Züchtungsarten. 34
bei ihnen aufhört, ſo muß der Ausleſeerfolg nicht erhalten bleiben, da dann bei
weiteren geſchlechtlichen Zuſammentritten die Richtung der Vererbung fehlt.
Bei den Verſuchen von Johannſen, von mir und von Nilsſon-Ehle hat die
Ausleſe, ſoweit ſie in einer Individualausleſe durchgeführt wurde, nicht gewirkt, weil
es ſich um ſelbſtbefruchtende Pflanzen gehandelt hat. Bei der Erörterung der
Variationsformen wurde 3
ja ſchon darauf verwieſen,
daß die nach Selbſt—
befruchtung gewonnene
Nachkommenſchaft einer
Pflanze ein Mittel für eine
Eigenſchaft zeigt, deſſen
Tendenz, trotz verſchieden—
artiger Ausleſe von Pflan—
zen aus dieſer Nach—
kommenſchaft, in der
nächſten Generation wie—
der erſcheint. Die ge—
ſamten bei Selbſtbefruch—
tung gewonnenen Nach—
kommen einer ſelbſtbefruch—
teten Pflanze hat Johann—
ſen eine Linie genannt,
und wir können daher
auch ſagen: Ausleſe in
einer Linie verändert deren
individuelle kleine oder
quantitative Variabilität
nicht. Auf Ausnahmen,
bei welchen nicht durch,
aber während der Ausleſe
eine Veränderung des
Liniencharakters eintritt, 28 39
auf die Linienmutationen, I
auf die Möglichkeit gele- Abb. 79.
gentlicher Fremdbefruch—
tung trotz normaler Selbſtbefruchtung, auf ſpontane Variabilität morphologiſcher Eigen—
ſchaften oder geſchlechtlichen Zuſammentritt mit anderen morphologiſch abweichenden
Linien ſoll hier nicht näher eingegangen werden. Solche Ausnahmen ſprechen aber
dafür, eine kontrollierende, einfacher geführte Ausleſe doch auch bei Selbſtbefruchtern
vorzunehmen.
Ausleſe bei Selbſtbefruchtern iſt aber keineswegs wirkungslos. Wir haben
nur geſehen, daß ſie in einer Linie nicht wirkt. Wenn man aber eine größere Zahl
von guten Pflanzen eines Feldes nimmt und ihre nach Individuen getrennt gehaltene
Sue: Roggen. Spätere Ührenform der Elitepflanzen.
A
Johannſens Verſuch,
\
Ausleſe auf
Steigerung
des
Korngewichtes in Milligramm
Drückung
2
Kapite
|
|
|
|
1902 63,15
4,
344
1
*
Fruwirths Verſuch,
1900.
Erbſe.
Linie 41.
Ausleſe auf Steigerung
Hopkins und Smiths
Verſuch, 1897.
Po
Mais.
pulation.
Ausleſe auf
D
Johannſens Verſuch,
1902.
Fiſole.
Linie I Linie XIX
Ausleſe einer Linie mit
von
| Korn „/ anteil Satemabl hohen niederen een 180 i een
Korn Hülſen⸗ Korn Hülſen— & 10 0 / Korngewicht in Milligramm
0 0 Olgehalt in / De
1 % zahl 0 zahl (in der Linie je Ausleſe auf Drüctung)
o er st re Eier: re
1900 10 I 4 e 161897 4,73 4,06 1902 63,15 | 35,85
1905 54,3 | 8,5 54,3 8,1 1903 6,50 2,97 1907 69,07 37,36
|
Die Züchtungsarten. 345°
Nachkommenſchaft vergleicht, jo findet man verſchiedenes Verhalten bei ihnen und
kann eine Ausleſe von Linien vornehmen. Die Ausleſe ſteigert dann nicht das Aus—
maß einer Eigenſchaft in einer Linie, aber ſie wählt Linien oder Typen mit durch—
ſchnittlich höherem Ausmaß aus und kann ſo eine Veredlung gegenüber dem urſpüng—
lichen Liniengemiſch erzielen. Iſt durch einmalige oder — ſicherer — mehrmalige
Ausleſe von Nachkommenſchaften und Prüfung der weiteren Generationen die beſte
Linie abgeſchieden, ſo wird dieſe im weſentlichen durch weitere Ausleſe nicht verbeſſert
werden, und es wird die Tendenz ihrer Vererbung auch nach Aufhören der Ausleſe
erhalten bleiben. Das Geſagte über die Ausleſewirkung bei Veredlungszüchtung kann
nicht beſſer beſtätigt werden als durch einige Zahlen von tatſächlich durchgeführten
Züchtungen. Es ſollen dieſe Zahlen das mittlere Ausmaß für eine Eigenſchaft nach
3 und nach 6 Jahren beſtimmt gerichteter Ausleſe vorführen, und zwar Ausleſe in
einer Population eines Fremdbefruchters, Ausleſe in einer Linie auf Drückung und
Steigerung, Ausleſe in einer Linie auf Steigerung zweier verſchiedener Eigenſchaften
und Ausleſe zwiſchen zwei Linien (ſ. Tabelle S. 136).
Es hat ſomit die Ausleſe in einer Linie einer ſelbſtbefruchtenden Pflanze nicht
gewirkt, die Ausleſe auf Steigerung des Korngewichtes brachte nach 6 Jahren ſelbſt
eine niedrigere Zahl als die Ausleſe auf Drückung (A) und die Ausleſe auf Kornprozent—
anteil einerſeits, nach Hülſenzahl anderſeits brachte gleiche oder faſt gleiche Zahlen (B).
Dagegen hat die Ausleſe bei einem Fremdbefruchter deutlich gewirkt (C), aber auch
bei Selbſtbefruchtern zeigt Ausleſe eine Wirkung, allerdings nicht in einer Linie, aber
zwiſchen den Linien: Linie 1 (D) bringt immer Körner mit höherem Korngewicht als
Linie XIX.
2. Bei Futterpflanzen genügt die botaniſche Art, Art als große Art aufgefaßt,
auch heute noch zumeiſt dem Landwirt. Er baut einfach Rotklee, Luzerne, Knaul—
gras, Wieſenſchwingel und unterſcheidet höchſtens noch nach Herkünften, wie z. B.
ſteyriſchen, ſchleſiſchen, franzöſiſchen Rotklee. Aber auch bei den übrigen Kultur—
pflanzen werden noch von vielen Landwirten keine feineren Unterſcheidungen gemacht,
fie begnügen ſich damit, Winter- oder Sommerweizen, Futter- oder Ackererbſe, Ader-
bohne zu bauen. Daneben hat ſich aber bei Getreide, Hülſenfruchtern, Hackfrüchten,
weniger bei Handelspflanzen unter den fortgeſchritteneren Landwirten eine Wertſchätzung
der Sorten eingebürgert, die durch die Sortenverſuche immer mehr und mehr ver—
breitet worden iſt. Die Bezeichnung Sorte oder Raſſe in dem Sinne, wie ſie der
Landwirt verwendet, deckt nicht einen ſcharf umſchriebenen Formenkreis, ſondern wird
auch ſchon in dem Sinne wie Herkunft bei Klee- und Futterpflanzen benützt. Die
in einer Gegend ſeit langer Zeit gebaute Sorte wird als Landſorte der Gegend be—
zeichnet und meiſt mit dem Namen der Gegend in Verbindung gebracht. So ſpricht
man von Wetterauer Weizen, ebenſo wie von Hannagerſte, böhmiſcher Gerſte oder
Otztaler Lein. Auch auf einzelne, durch Züchtung entſtandene Formenkreiſe wird
die Sortenbezeichnung angewendet, gleichviel ob ſie wirklich morphologiſch einförmig
oder mehrförmig ſind.
Landſorten geben eine Fülle von Material für jene Art von Züchtung, die als
Züchtung durch Formentrennung bezeichnet wird und als Analyje einer Sorte
betrachtet werden kann. Unter der Bezeichnung ſchwediſche Futtererbſe hatte ich rot⸗
346 4. Kapitel.
blühende Pisum arvense bezogen, die ſchon durch die Samenfarbe, dann auch durch die
Blütenfarbe anzeigten, daß ein Gemiſch von Formenkreiſen vorlag. Die Trennung war
leicht, es war nur notwendig, die abweichenden Samen zu ſäen und ebenſo die Samen
der in der Blütenfarbe abweichenden Pflanzen. Weitere Ausleſe war in der Mehrzahl der
Fälle nicht notwendig, ſondern lediglich Vervielfältigung. Es konnten ſo in einigen Jahren
einheitliche Beſtände herangezogen werden, deren jeder von einer Pflanze abſtammte, die
demnach, da die Erbſe eine ſelbſtbefruchtende Pflanze iſt, je
einer Linie und in dieſem Fall zugleich einem Typus „
Abb. 80. Veredlungszüchtung nach Früh- und Spätreife bei Gräſern. Von lints nach rechts Lieſchgras, Wiefen-
ſchwingel, Knaulgras, franzöſiſches Raygras, je zwei Reihen, erſte von lints ſpäte, zweite frühe.
ſprachen. Dieſe Linien, die durch botaniſche Merkmale: Samen-, Blütenfarbe von—
einander getrennt waren, verhielten ſich auch in Ertrag, Lebensdauer, Korngröße
und anderen landwirtſchaftlich wichtigen Eigenſchaften verſchieden. Die Züchtung
durch Formentrennung, die ich in dieſem Fall an der Saatzuchtanſtalt Hohenheim
durchführte, hatte eine Reihe von Formenkreiſen geliefert, die in Anbauverſuchen ge—
prüft wurden und von denen noch jetzt, wie von der gleichfalls von mir durchgeführten
Formentrennung bei Wicken, in Hohenheim einige weitergeführt werden, während
andere von dort aus bereits im Lande verbreitet wurden, ſo die roſablühende Futter—
erbſe, die von der Inſtitutswirtſchaft Hohenheim weitergebaut wird, oder die grün—
ſamige Wicke, die die Domäne Sindlingen weiterbaut.
Derartige Züchtung durch Formentrennung iſt bereits von Le Couteur vor—
Die Züchtungsarten. 347
genommen worden, und in Svalöf legte man ſeit H. Nilsſon auf ſie beſonderes
Gewicht. Ich hatte wiederholt darauf verwieſen, daß ſo wie nach den in Svalöf
zuerſt immer allein betonten botaniſchen oder morphologiſchen Merkmalen auch eine
Trennung in Formenkreiſe nach biologiſchen oder phyſiologiſchen Merkmalen durchgeführt
werden kann. In den letzten Jahren, beſonders durch Nilsſon-Ehle angeregt, iſt man
auch in Spalöf auf derartige Trennung übergegangen. So wie Landſorten und viele
Züchtungsſorten je eine Reihe morphologiſch unterſcheidbarer Formenkreiſe gemiſcht
enthalten, jo find in ihnen auch Linien (Typen) und geſchlechtliche Linien-(Typen)-
gemiſche mit verſchiedenem mittlerem Ausmaß von Leiſtungseigenſchaften anzutreffen.
Derartige Linientrennung bei phyſiologiſchen, quantitativ variierenden Eigenſchaften
rechne ich zur Veredlungszüchtung. Die Abb. 80 führt aus meinem Zuchtgarten je
zwei in der Entwicklung verſchiedene Typen bekannter Grasarten vor, die durch ſolche
Typentrennung nach Leiſtung entſtanden ſind.
Auf der Zuchtwirtſchaft Chlumetz a. Z. in Böhmen, die zugleich öſterreichiſche
Zentralſtelle der Züchtervereinigung Nole, v. Dreger, v. Lochow und Strube iſt, wurde
von ihrem Inhaber v. Dreger eine Züchtung durch Formentrennung bei Weizen
mit der Ausleſe von Herkünften verbunden. Es ging ſo die Prüfung einer Anzahl
hervorragender Herkünfte mit der Prüfung von in ihnen enthaltenen Formenkreiſen,
alles in nebeneinander geführten Individualausleſen, einher.
Auch bei Fremdbefruchtern iſt Züchtung durch Formentrennung möglich, aber
die Konſtanz iſt nicht gleich nach der erſten Ausleſe da, es gelingt erſt allmählich,
die unerwünſchten Vererbungstendenzen auszumerzen. Roggenbeſtände zeigen, wenn
ſie nicht auf Farbe der Körner gezüchtet wurden, mancherlei Abſtufungen der Korn—
farbe von Braun zu Gelb, von Silbergrau zu Blaugrün. Von Rümker hat durch fort—
geſetzte Ausleſe nach 6— 7 Jahren farbenreine Formenkreiſe erhalten, die auch dem
Handel übergeben ſind. Bei dieſer Züchtung waren die Nachkommenſchaften von—
einander nur durch einen Mantel von in der Zuchtrichtung ähnlichen Pflanzen ge—
ſchützt und nur von Pflanzen anderer Zuchtrichtung räumlich getrennt. Aber auch
bei meinen Verſuchen, bei denen jede Nachkommenſchaft jährlich geſchlechtlich iſoliert
wurde, wurde die Reinheit der Farbe nicht raſch erreicht; es galt eben auch, die in
jeder der urſprünglich ausgeleſenen Pflanzen vorhandenen Anlagen erſt allmählich
zu richten.
3. Wenn in einem nach äußeren Eigenſchaften einheitlichen Formenkreis ein Indi—
viduum auftaucht, das durch ſeine äußere Erſcheinung von den übrigen abweicht und
vererbt, ſo bezeichnet man es als eine ſpontane Variation morphologiſcher Eigenſchaften
oder als eine Mutation. Die sports und aceidents der Gärtner ſind die ent—
ſprechenden auffallenden Erſcheinungen bei Gartenpflanzen. Allerdings läßt ſich der
Schluß, daß eine derartige Variante wirklich eine ſpontane Variation iſt, erſt dann
ziehen, wenn man mehrere Vorfahrengenerationen kennt, und wenn in dieſen
Baſtardierung ausgeſchloſſen war. Aufgefundene auffallende Varianten können auch
konſtante Formen nach einer Baſtardierung ſein, deren Folgen in den früheren Jahren
nicht beachtet wurden oder vielleicht wegen Rezeſſivität der auffallenden Merkmale
nicht bemerkbar waren.
Für die Durchführung der Züchtung durch Ausleſe ſpontaner Vari—
348 4, Kapitel.
ationen morphologiſcher Eigenſchaften iſt es ja allerdings gleichgültig, ob das
aufgefundene abweichende Individuum, das voll vererbt, eine ſpontane Variation einer
morphologiſchen Eigenſchaſt oder ein konſtantes Spaltungsprodukt einer Baſtardierung
iſt. Maßgebend iſt die konſtante Vererbung, und ſo wie bei Züchtung durch Formen—
trennung, die Prüfung des Nutzungswertes durch den Anbauverſuch.
Ein ſicheres Beiſpiel einer ſpontanen Variation iſt die weißblühende Wicke,
die in einer von mir 1900 begonnenen Individualausleſe einer violettblühenden Wicke
nach fünf Ernten, die konſtante Vererbung des Violettblühens zeigten, auftauchte und
hierauf vier Jahre hindurch rein die weiße Blütenfarbe weiter vererbt hat. Ein
weiteres ſicheres Beiſpiel hat eben Nilsſon-Ehle mitgeteilt: Auftauchen von ſtarker
Begrannung und Behaarung bei Hafer. Bei dieſem Fall wurde mendelndes Ver—
halten feſtgeſtellt, das ſich dadurch erklären läßt, daß eine ſpontane variierte Ge—
ſchlechtszelle mit einer nicht abgeänderten zuſammentrat.
4. Die Erörterung der Variabilität nach Baſtardierung gab bereits Gelegenheit, jene
Geſetzmäßigkeiten zu kennzeichnen, deren Kenntnis bei der Züchtung auf dem Wege
der Baſtardierung benützt werden kann. Sie bot aber auch Anlaß, jener Über—
raſchungen zu gedenken, die bei Baſtardierung auftauchen und die man zunächſt, als
man nur die äußerlich erkennbaren Eigenſchaften betrachtete, als Ausnahmen von den
Geſetzen anſah.
Die Züchtung kann nur mit den in Erſcheinung tretenden Eigenſchaften arbeiten.
Wenn der Züchter einen ſchwarz- mit einem weißkörnigen Hafer baſtardiert, ſo weiß
er nicht, ob, wie in einem der bereits erörterten Beiſpiele, der Hafer neben der Anlage
für Schwarz noch eine Anlage für Grau enthält, die dann bei den Spaltungen eine
Überraſchung im Auftauchen von graukörnigem Hafer und in anderen als den er—
warteten Spaltungszahlen liefert.
Der Züchter zielt auf Kombinierung von Eigenſchaften ab, die er bei den Formen
wahrnimmt. Dabei ſind ihm morphologiſche Eigenſchaften meiſt nicht ſo wichtig wie
biologiſche. Die Forſchung hatte zunächſt das Verhalten von morphologiſchen Eigen—
ſchaften feſtgeſtellt, aber jetzt iſt doch auch ſchon für einzelne quantitativ variable
biologiſche Eigenſchaften die Art des Verhaltens nach Baſtardierung ermittelt worden.
Eine Baſtardierung zweier Formen, die ſich nur durch eine Eigenſchaft unter—
ſcheiden, ergibt, wenn auch nur eine Anlage zugrunde liegt, nichts Neues, wie dies
eine von mir durchgeführte Baſtardierung von blaublühender mit ſpontan aufgetauchter
weißblühender, ſchmalblättriger Lupine zeigt (ſ. Tafel IV).
Ein fremdes und ein eigenes Beiſpiel mag noch den Zweck der Baſtardierungs—
züchtung vorführen, ſoweit eine Neukombination von qualitativ variierten Eigenſchaften
in Frage ſteht.
Biffen hatte einen ſehr dichtährigen Weizen, wie er dem Bingelweizen oder
dem Kölbelweizen der Tiroler Zentralalpen (Triticum compactum) entſpricht, mit
einem locker- und langährigen begrannten Landweizen von Triticum vulgare baſtar⸗
diert. Nach einer erſten Generation mit unbegrannten mitteldichten Ahren wurde
eine zweite Generation erhalten, die neben den Kombinationen äußerer Eigenſchaften,
wie ſie die Eltern aufwieſen, auch zwei neue Kombinationen zeigte. Die Individuen—
zahl der Formen
Die Züchtungsarten. 349
unbegrannt begrannt unbegrannt begrannt
dicht dicht locker locker
verhielt ſich wie 9: 3:3: 1, wenn Abſtufungen in Grannenbildung und Ahrchendichte
nicht weiter berückſichtigt wurden.
Eine Baſtardierung zweier Mo hnformen, die ich 1899 ausführte, ſoll durch
ein Schema dargeſtellt werden:
(| Blüte: lilarot, unten dunkelrot [Blüte: weiß, unten lila
Samen: weiß Samen: grau
1. Generation:
Blüte: weiß, unten lila
Samen: grau.
2. Generation:
Blüten: lilarot, unten dunkelrot lilarot, unten dunkelrot weiß, unten lila weiß, unten lila
Samen: weiß grau weiß grau
theoretiſch zu
erwarten: 6,25 18,75 18,75 56,25%
tatſächlich er-
halten: 5,52 22,1 19,3 53,08°/o
Die einzelnen Kombinationen, die das richtige Spaltungsverhältnis einer dihybriden
Baſtardierung zeigten, wieſen aber noch Abſtufungen in Blüten- und Samenfarbe auf.
Jene der Samenfarbe waren auffälliger; in der Gruppe mit Weiß als Samenfarbe
trat außer Weiß noch Gelblichbraun, Fleiſchfarben und Blaurötlichgrau auf, in der
Gruppe mit Grau neben dieſem Grüngrau und Blaugrau. Bei den Blütenfarben
war nur das Auftreten reinweißer Blüten auffallender, das auch konſtant zu machen
war und einen Formenkreis lieferte, der von der Zuchtwirtſchaft Neuhaus von Skonomie—
rat Zeiner weitergeführt wird. Neben den elterlichen Formen waren demnach zwei
neue Kombinationen: rote Blüte, grauer Samen und weißlila Blüte, weißer Samen,
ſowie je mehrfache Abſtufungen in Samen-, aber auch Blütenfarbe als neue Formen
erhalten worden (ſ. Taf. IV).
Auch dort, wo das Verhalten einer äußerlich erkennbaren Eigenſchaft nach
Baſtardierung ermittelt worden iſt, wird man vor Überraſchungen nicht ſicher ſein.
Das Verhalten, das ſich bei einer Eigenſchaft bei beſtimmter Vereinigung von
Formen gezeigt hat, kann bei einer anderen äußerlich gleichen, innerlich anders ver—
anlagten ein anderes ſein. Wenn aber auch zwei äußerlich erkennbare Eigenſchaften
ein beſtimmtes bekanntes Verhalten zeigen, ſo können neue Erſcheinungen dadurch zu—
ſtande kommen, daß vorhandene Anlagen ſich gegenſeitig etwas beeinfluſſen — ein
Verhalten, wie es Nilsſon-Ehle beobachtet hat.
Bei quantitativ variablen biologiſchen Eigenſchaften wie: Halmlänge, Vegetations—
dauer, Krankheitsfeſtigkeit führt ihre Vereinigung mit anderen derartigen wünſchenswerten
Eigenſchaften meiſt eher zu beſonderer Erhöhung des Wertes der Form, als die
Vereinigung nur qualitativ verſchiedener Eigenſchaften. Bei ſolchen Eigenſchaften iſt
das Verhalten nach einer Baſtardierung oft noch ſchwerer zu überblicken, da es ſchwie—
riger zu erfaſſen iſt, daß eine ſolche Eigenſchaft wie Länge oder Behaarung oft von
mehreren Anlagen bedingt iſt, deren jede mit ihrem Fehlen ein ſpaltendes Paar bildet.
350 4. Kapitel.
Ein Troſt bleibt dem Züchter, der ob der Fülle der verſchiedenen Möglichkeiten
nach Baſtardierung verzweifeln will: ein Weg iſt allen dieſen Möglichkeiten gegen—
. Generation
Ba
Generation
Eltern
3. Generation
*
N N
7
weiss grau
O * ©
weiss fleischfarben braungelb blaurötlichgrau
grau blaugrau grüngrau
u .
ee: —
Tafel IV. Züchtung durch Baſtardierung. Zeichnung von H. Hahn.
Oben‘: Weißblühende mit blaublühender, ſchmalblätteriger Lupine baſtardiert gibt blaublühende 1. Generation, dann
in der 2. Generation eine weiß- auf 3 blaublühende Pflanzen. In der 3. Generation vererben die weißblühenden
der 2. und ½ der blaublühenden der 2. voll. — Unten: Baſtardierung von weiß- mit grauſamigem Mohn (obere
Reihe) gibt, nach grauſamiger 1. Generation, in der zweiten Generation Pflanzen mit den angegebenen Samenfarben.
Die zu Weiß zu rechnenden (zweite Reihe) ſind der Zahl nach, gegenüber den zu Grau zu rechnenden (dritte Reihe)
wie 1:3 vertreten.
über gangbar. Wenn die bei der Baſtardierung gewonnenen Samen bei einer ſelbſt⸗
befruchtenden Form einheitlich ſind, ſo können ſie zuſammengebaut werden. Weichen
einzelne Individuen der 1. Generation von den übrigen ab, obwohl die Samen ein-
heitlich waren, ſo ſchließt man ſolche aus, die den Verdacht aufkommen laſſen, daß
Die Züchtungsarten. 351
es Nachkommen einer ungewollten Selbſtbefruchtung der Mutter oder geſchlechtlicher
Unreinheit einer der Elternformen ſind; der Same aller übrigen Individuen der
1. Generation wird nach feiner Abſtammung individuenweiſe getrennt geſät, und es
läßt dieſe Anbauweiſe alle Spaltungen, Beeinfluſſungen und Neuheiten äußerlich er—
kennbarer Eigenſchaften verfolgen. Die Kenntnis der Spaltungsregeln läßt ſchon
einen gewiſſen Schluß zu, welche äußeren Eigenſchaften bei weiterem Anbau konſtant
bleiben werden. Jedenfalls gibt der weitere Anbau in der 3. Generation, der wieder
nach Abſtammung von einzelnen Pflanzen des Vorjahres getrennt vorgenommen wird,
die Möglichkeit, die Konſtanz zu erkennen. Wird in der 2. und 3. Generation
mit vielen Nachkommenſchaften gearbeitet, jo läßt ſich im 3. Jahr auch ſchon die
Spaltung nach Anlagen feſtſtellen, das, was v. Tſchermak die innere
Vererbungsweiſe nach Baſtardierung nennt. Qualitativ variierte Eigen—
ſchaften ſind bei der Verfolgung der Spaltungen ja ohne weiteres an den einzelnen
Individuen zu erkennen, bei quantitativ variierten muß erſt in jeder Nachkommen—
ſchaft das Mittel für die Eigenſchaft feſtgeſtellt werden.
Pfropfung kann, wie wir aus den Erörterungen über die Variabilität nach
Baſtardierung erſehen haben, nicht zur Erzeugung von Baſtarden herangezogen werden,
wohl aber ſpielt ſie ſonſt bei Züchtung durch Baſtardierung bei einigen Pflanzen
eine wichtige Rolle. Man kann bei einigen Pflanzen die Variante, die ſich nach
Baſtardierung in der 1. Generation zeigt, nicht nur durch Vermehrung, wie bei der
Kartoffel, erhalten, ſondern auch durch Pfropfung. So ſind beiſpielsweiſe, mit Ver—
meidung der Spaltungen, von Webber verſchiedene Formen der Vereinigung von
C. aurantium mit C. trifoliata, die ſogenannten Zitrangen, durch ſtändige Pfropfung
erhalten geblieben.
4. Abſchnitt.
Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in
Privat-, Volks- und Weltwirtſchaft.
Neben Waſſer und anorganiſchen Stoffen müſſen Menſchen und Tiere ſowie die
an Zahl weit überwiegenden niederen Pflanzen organiſche Subſtanzen aufnehmen.
Nur die grüne chlorophyllführende Pflanze iſt — von wenigen niederen Organismen
abgeſehen — imſtande, ſolche zu erzeugen und den anderen Lebeweſen zur Verfügung
zu ſtellen. Bei Gegenwart von Licht bildet ſie aus Kohlenſäure und Waſſer, demnach
aus anorganiſchem Material, Organiſches und gibt ſo die Grundlage für die Ernährung
faſt aller niederen pflanzlichen Gebilde, aller Tiere und des Menſchen.
Alle Produktionsprozeſſe kommen, vom volkswirtſchaftlichen Standpunkt aus
betrachtet, durch Zuſammenwirken von Natur, Kapital und Arbeit zuſtande. Bei
verſchiedenen Vorgängen tritt der Faktor Natur aber ſo in den Vordergrund, daß
es oberflächlicher Betrachtung ſo erſcheint, als ob die Naturkräfte alle Werte ſchüfen:
ſo der Wind, der die Windräder treibt, das Waſſer, das in die Turbinenſchächte
herabſtürzt, das Licht, das beim photographiſchen Prozeß wirkt. Was bedeuten aber
alle dieſe und andere Vorgänge zuſammen gegen jene ſtändige Schaffung von Werten,
die durch die Aſſimilationstätigkeit der Pflanzen vor ſich geht?! Natürlich iſt nicht
nur der Acker die Stätte ſolcher Erzeugung; auch im Wald, auf Wieſen und Weiden
bis hinauf zur Alpenmatte wird, ſowie es die vorhandene Wärme zuläßt, immer
wieder organiſche Subſtanz gebildet und in Pflanzenleibern niedergelegt.
Das Gefühl für das Vorhandenſein einer beſondere Werte ſchaffenden Kraft
der grünen Pflanze knüpfte ſeit weit zurückliegenden Zeiten die Idee von Abgaben
an den Standort der Pflanzen, an den Boden. Dieſe Idee hat in der Form der
Grundſteuer ihren Ausdruck gefunden und bildete unter Ludwig XVI. die Grundlage
des nationalökonomiſchen Syſtems der Phyſiokraten. Auch die Agrarbewegungen im
alten Griechen- und Römerreich waren von dieſer Idee beeinflußt, und Ricardos,
Grundrententheorie iſt ein Ausdruck derſelben.
Erzeugen die Pflanzen des Ackers aber auch wirklich ohne Aufwendung Werte?
Gewiß nicht. Wenn von herrenloſem Wald oder herrenloſer Grasfläche Beſitz er—
griffen wurde, ſo hatte man damit Flächen erworben, die durch ihre Pflanzendecke
wirklich ohne Aufwendung von Kapital und Arbeit Werte ſchufen oder ſolche Auf—
wendungen doch nur bei der Einheimſung der geſchaffenen Werte erforderlich machten.
Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in Privat-, Volks- und Weltwirtſchaft. 353
Die Sicherung und Steigerung der Erzeugung machte aber auch bei Wald und
Grasflächen bald ſchon Aufwendungen notwendig, um wievielmehr erſt bei Ackerland,
das ja, ſich ſelbſt überlaſſen, ohne Bodenbearbeitung und ohne Saat, als ſolches
nichts mehr erzeugt und nur eine Nutzung als minderwertige Weide zuläßt. Zahllos
ſind die Acker, in denen Arbeit und Kapital früherer Eigentümer in reichem Maß
einverleibt worden ſind und bei denen die dadurch erhöhten Erträge dem Boden
einen höheren Wert verleihen, als er bei der Beſitzergreifung beſasß. Was Boden—
bearbeitung, Düngung wirkt, das kommt nicht ſchon in den nächſten Ernten voll zum
Ausdruck; ein in alter Kultur ſtehender Acker iſt bei gleicher urſprünglicher Beſchaffenheit
in ganz anderer Weiſe zur Produktion befähigt, wie ein roher, bisher wenig kultivierter.
Wie nun erſt, wenn größere Bodenbewegungen, Stützmauern, Entwäſſerungen, Be—
wäſſerungen notwendig waren! Zu Ackerland brauchbares Land wird aber, ebenſo
wie Wald oder Grasland, in unſeren Tagen nur äußerſt ſelten noch durch Okkupation
gewonnen. Für Maſſen von Leuten war eine der letzten größeren Gelegenheiten zu
ſolchem Erwerb die Eröffnung des Diſtriktes von Oklahama in den Vereinigten Staaten.
Einzelne Anſiedler können in mehreren Staaten von Nord- und Südamerika auch
heute noch nahezu koſtenfrei, oder durch Verpflichtung zur Ausführung von Kultur—
arbeiten auf dem Boden ſelbſt, Land als Eigentum erlangen.
Gewiß gibt es auch in Europa noch vereinzelte Acker, bei denen die Kapitals—
wertung nur durch die Übertragung des durch die einfache Beſitzergreifung geſchaffenen
Beſitzrechtes zu begründen iſt, aber ihre Zahl iſt wohl ſehr gering.
Heute müſſen wir jedenfalls damit rechnen, daß der Boden von ſeinem Eigen—
tümer gekauft oder geerbt worden iſt und gleich anderen Produktionsmitteln Kapital
darſtellt, wenn er auch immerhin noch dieſem gegenüber, beſonders durch ſeine Un—
zerſtörbarkeit, Unterſchiede aufweiſt. Die „koſtenloſe“ Produktion der grünen Pflanze
muß demnach in unſeren Tagen erſt die Aufwendungen für Düngung, Bodenbearbeitung,
Saat⸗, Pflege- und Erntearbeiten decken, den Anteil des umlaufenden und des ſtehenden
Betriebskapitals verzinſen und den Zins für Grundkapital mit den nötigen Gebäuden
aufbringen. Was da an Zins für das Grundkapital gefordert wird, iſt nicht viel,
2—4% , aber auch dieſe werden keineswegs immer erzielt. Die genauen Erhebungen,
die von dem Sekretär des ſchweizeriſchen Bauernvereins Laur oder von dem Sekretär
der mähriſchen Landwirtſchaftsgeſellſchaft Oſtermayr gepflogen worden find, haben
gezeigt, daß die Rentabilität bäuerlicher Wirtſchaften recht gering iſt. Zehn mähriſche
Bauernwirtſchaften haben nach der genannten Erhebung als Ergebnis der Verzinſung
von Grund- und geſamtem Betriebskapital und als Entlohnung für die Arbeit des
Beſitzers, bei durchſchnittlich 59589 Kronen Geſamtkapital, jährlich durchſchnittlich je
3175 Kronen geliefert. Nimmt man für das Kapital die ſchon mäßige Verzinſung
von 3½ %, die jede Sparkaſſe liefert, jo entfällt, da alle Bezüge an Wohnung und
Nahrung bereits als Einnahmen in Rechnung geſetzt ſind, für die Arbeit des Beſitzers
und ſeiner Familie ein Taglohn von 2 Kronen 98 Heller.
Vom kapitaliſtiſchen Standpunkt aus, wird man im Grundbeſitz daher wohl
keine beſondere Begünſtigung gegenüber anderem Kapitalbeſitz erblicken können, denn
in unſeren Tagen iſt auch die Sicherheit von Pfandbriefen und Renten kaum geringer
als jene des in Grund angelegten Kapitals. Die Vorzüge, die der Grund und Boden
Fruwirth, Feldwirtſchaft. 23
354 +. Abſchnitt.
für ſeine Beſitzer, die auch ſeine Bebauer ſind, hat, ſind in anderer Richtung zu
ſuchen, ſind keine ſolchen, die ſich in Geldeswert ausdrücken laſſen. Dieſe Vorzüge
waren es, die die römiſchen Krieger und Staatsmänner in Zeiten der Muße den
Pflug führen ließen, die Bismarck veranlaßten, gegen die großen Städte ins Feld zu
ziehen, und Meline, ſein vielgeleſenes Buch „Zurück zur Scholle“ zu ſchreiben.
Für die Wirtſchaft eines Volkes und für die Weltwirtſchaft iſt die Erzeugung
durch die Pflanzen und ganz beſonders durch die Pflanzen des Ackers von allergrößter
Bedeutung. Dieſe ſchafft nicht nur alljährlich ganz erhebliche Werte, die entweder
im Lande ſelbſt genutzt oder aber, zum weitaus geringeren Teil, in den Welthandels—
verkehr eingeführt werden, ſondern ſie iſt auch für die Selbſtändigkeit der Ernährung
des Volkes im Lande von weiteſttragender Bedeutung. Es iſt daher von großem
Belang, wieviel von der geſamten Fläche des Landes auf Acker entfällt, und weiterhin:
wieviel Boden überhaupt als produktiver im Sinne der pflanzlichen Produktion an—
zuſehen iſt. Dem geſamten in dieſem Sinne produktiven Boden, Acker, Garten und
Weinland, Wieſen und Weiden, Wälder, ſteht der übrige Boden gegenüber, der keine
Pflanzen erzeugt. Der letztere iſt ſolcher, der entweder indirekt der Produktion dient,
wie der auf Bauten, Bahnen, Kanäle, Straßen und Wege entfallende, oder ſolcher,
der anderweitige Nutzung gibt, wie der von Kalk-, Sand-, Kiesgruben, Stein—
brüchen, Lehm- und Schottergruben eingenommene, oder der endlich gar keine Nutzung
zuläßt, wie der Felsboden, die Gletſcherflächen und Schutthalden. Die »Apercus
stalistiques internationaux« (11. Jahrg.) laſſen einen Überblick über die Verteilung
in den einzelnen Staaten Europas zu.
Nur 28,6% der geſamten Erdoberfläche unſeres Kontinents ſind demnach als
Acker, Wein- und Gartenländereien — als Grabland zuſammengefaßt — nutzbar,
der Wald nimmt auch heute noch mit 33% den größten Teil der Fläche ein, und
die hohen Gebirge bewirken in erſter Linie, daß ein beträchtlicher Bruchteil (23,7%)
auf unproduktives Land entfällt. Wie ſehr die einzelnen Länder Verſchiedenheiten
in der Verteilung erkennen laſſen, das zeigen die prozentiſchen Zahlen noch mehr als
die abſoluten. Bei Acker-, Wein- und Gartenland ſtehen Dänemark und Italien mit
69,1% und 62,7% obenan, Norwegen und Schweden mit 2,1% und 8,8% zu
unterſt. An Wieſe und Weide beſitzen Großbritannien und Irland, die Niederlande,
Schweiz und Griechenland (mit 36,8, 30,6, 34,3, 30,9% ) am meiſten und Schweden
und Norwegen (mit 3,4 und 1,2 %%) am wenigſten. Ganz überraſchend iſt der Um—
fang der für die Bodenproduktion nicht nutzbaren Fläche in dem Gebirgsland Nor—
wegen. Er ſteigt dort auf 74,6%, während Deutſchland, das die geringſte Menge
ſolchen Bodens aufweiſt, nur 8,3% davon beſitzt. Verhältnismäßig am gleichmäßigſten
unter allen Staaten Europas iſt die Verteilung auf die drei Gruppen in Oſterreich—
Ungarn (mit Bosnien und Herzegowina): 39,2% Acker, Wein- und Gartenland,
20,5% Wieſen und Weiden, 31,3%, Wald. Wird eine Scheidung in Oſterreich
und Ungarn vorgenommen, ſo zeigt ſich bei dem an Gebirgen ärmeren, an Steppen
reicheren Ungarn ein ſtärkeres Hervortreten der Ackerfläche und der Wieſen- und
Weidefläche als in Oſterreich, ein leichtes Zurücktreten der Waldfläche.
Welche Werte auf dem Ackerland in Europa binnen einem Jahr erzeugt
werden, das läßt ſich natürlich nur ganz ungefähr ſchätzen. Wenn wir auch die
Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in Privat-, Volks- und Weltwirtſchaft. 355
Geſamt⸗ | 2 Davon i
ieſen und onſtiger
Land areale jr Grabland Walden Wälder Faden
in 10⁰⁰ Heltar
Belgien 2945 1576 412 521 436
Bulgarien 9 604 3 300 1100 2590 28614
Dänemark 3 801 2627 238 288 653
Deutſches Reich. 53479 | 26392 8.663 13 996 4428
Finnland . 33 194 | 1180 2 350 17 000 12 664
Frankreich 53 508 | 28507 5 920 9522 9 554
Griechenland 6466 1432 2000 850 2184
Großbritannien und Ir⸗ |
land. 31172 8133 11482 1162 10 395
Italien 23 448 17 832 3162 4156 3 298
Luxemburg 259 128 40 77 14
Niederlande . 3257 — 1193 257 777
Norwegen b 30 848 636 376 6 822 23014
Dfterreich- Ungarn Bi |
Bosnien-Herzegomina 67453 | 26459 13 843 21109 6 042
Portugal. 8885 2 466 1776 630 4013
Rumänien 12 949 6088 2032 2282 2547
Rußland. 485 889 122 985 73 000 196 530 93374
Schweden 41119 3 634 1394 21210 14 881
Schweiz 3 975 765 1469 856 88⁵
Serbien . 4811 1 502. 480 1500 1329
Spanien . 50414 11429 7012 8484 | 23489
Türkei 18 368 4000 2 000 4500 8 068
Europa 950 839 272101 139942 | 314137 224 659
Erhebungen über die Anbauflächen als im weſentlichen zutreffend betrachten können,
ſo tritt doch das nach den einzelnen Jahren ſchwankende Moment des Ertrages und
Preiſes hinzu. Dazu kommt aber weiter, daß für viele Gewächſe die Statiſtik die
nötigen Angaben nicht oder nur für einen Teil der Länder liefert. Es iſt daher
am zweckmäßigſten, nur die Getreideproduktion ins Auge zu faſſen, die auf dem
Ackerland, mit Ausnahme der Schweiz und Norwegens, durchaus und zwar meiſt
ganz beträchtlich überwiegt und für welche die umfaſſendſten und ſicherſten Angaben
vorliegen. In ganz Europa ſtehen (wieder nach den letzten »Apercus statistiques«)
einer Fläche von 160821000 ha, die mit Getreide bebaut iſt, die Flächen von
17 509 000 ha Wurzelfrüchten, 26 535 000 ha Futterpflanzen, 8 630 000 ha ſonſtiger
Pflanzen und 45550000 ha Brache gegenüber; es überwiegt demnach die dem
Getreidebau gewidmete Fläche die für alle übrige Ackernutzung zuſammen beſtimmte.
356 4. Abſchnitt.
In der letzten (1909) Ausgabe des Werkes „Das Getreide im Weltverkehr“ finden
wir Zahlen über die jährliche Getreideproduktion im Durchſchnitt der Jahre 1902
bis 1906, die uns wohl eine genügend ſichere Vorſtellung über die durchſchnittlich
auf dem Acker durch Getreide erzeugten Werte liefern. Dabei ſind Aufrundungen
in der Weiſe vorgenommen, daß Zahlen über eine Million weggelaſſen wurden, wenn
fie ſich unter 250000 dz bewegten, daß ſie zu 0,5 Millionen gerechnet wurden, wenn
fie ſich über 250000 und bis 750000 dz bewegten, und daß bei Zahlen über 750 000
die Zahl der Millionen um eine erhöht wurde.
4 Groß— K ; 2
- Frank⸗ 2 8 2 O = Ru⸗
Deutſch⸗ Fran Bekanmien Jide ſterreich tu aſiatiſches
land reich u. Irland Ungarn mänien Rußland Saen
8 6 — 2 30 15 13 6,5 3,5
Hafer 74,5 45 29 2 31,5 3,5 129 3,51
Gerſte . 31 9 16 30,5 6 74 14,5 2,5
Roggen 97,5 13,5 0,5 1 36 1,5 215,5 6,5 35
Weizen 38 90 15 45,5 63,5 23 165,5 32 6,5
| |
Stellt man den durchſchnittlichen Ertrag dieſer Getreide für die gleiche Zeit, einer-
ſeits für Europa (mit dem Anteil Rußlands an Aſien), anderſeits für die Vereinigten
Staaten und endlich für alle nennenswert Getreide erzeugenden Staaten der Erde,
für die Angaben vorliegen, in gleicher Weiſe gegenüber, ſo ergibt ſich das folgende Bild:
Millionen Doppelzentner.
8 85
mit e e re Weltproduktion
1 121 655 829,5
F 353,5 133 512,5
o 203 31,5 266
Roggen 402,5 7,5 419
Weizen 506 179 855
Daß die Angaben für Europa bei Rußland auch jene für den ruſſiſchen Anteil
an Aſien einſchließen, ſtört nur bei Weizen mehr. Im Jahre 1908 ſtand einer
Geſamtproduktion von 246000000 Pud Winter- und 700000000 Bud Sommer—
weizen eine Produktion von 156000000 Pud Winter- und 515000 000 Bud Sommer—
weizen im europäiſchen Rußland gegenüber, während bei den übrigen Getreidearten
der im europäiſchen Rußland erzeugte Anteil an der Geſamtproduktion noch weit
mehr den im aſiatiſchen Rußland erzeugten überwiegt.
Um den Wert der Weltproduktion in Geld ausdrücken zu können, ſeien
für je einen Doppelzentner Preiſe von 18 % für Weizen, 14 % für Roggen, 15
für Gerſte, 14 % für Hafer und 10 % für Mais angenommen. Dabei würde ſich
der Wert der Weltproduktion an Getreide, nach dem oben angeführten, im jährlichen
Durchſchnitt auf 15,390 Millionen / für Weizen, 5,866 Millionen / für Roggen,
3,990 Millionen / für Gerſte, 7,175 Millionen / für Hafer und 8,295 Millionen ,
für Mais ſtellen, für alle Getreide zuſammen demnach auf 40,716 Millionen /. Auch
Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in Privat-, Volks- und Weltwirtſchaft. 357
dieſer Wert entſpricht nicht dem ſchwerwiegenden Wort: Wert der Weltproduktion. Für
weite Gebiete der Erde fehlen genaue Erhebungen, ſo iſt von Aſien nur der ruſſiſche
Anteil, Indien und Japan, von Afrika nur Kap Natal, Algerien und Agypten in—
begriffen. Dann iſt der eingeſetzte Preis ein weitgehend willkürlich angenommener,
er iſt als ein loco-Hofpreis gedacht, der etwa für Mitteleuropa als durchſchnittlicher
gedacht werden kann und nach den hohen Preiſen der letzten Jahre angenommen
worden iſt. Daß andere Gebiete, wie beiſpielsweiſe Rußland, Teile der Vereinigten
Staaten, Indien niederere loco-Hofpreiſe aufweiſen, bedarf nicht erſt der Erwähnung,
ebenſo nicht, daß der loco-Hofpreis auch in Mitteleuropa vielfachen Abſtufungen
unterworfen iſt. Würde man den einheitlicheren Preis von Städten mit ausgedehntem
Getreidehandel wie Mannheim, Budapeſt, Odeſſa, heranziehen, jo würde man wieder
zu hohe Werte erhalten, da dieſer Preis ja auch Transportkoſten mit einſchließt.
Um aber auch über unſere Getreide hinaus wenigſtens der wichtigſten Pro—
dukte des Ackers zu gedenken, ſei noch, nach Umrechnung der bushels und pounds“),
die Welternte des Jahres 1908 nach dem Jahrbuch des Ackerbauamtes der
Vereinigten Staaten gebracht.
Hauptſächliche 8 n der Acker der Welt 1908:
Mais . „ „ 122 437 145 600 Liter
„127 n
enn
ccc 52 018 172 800 „
d 3A Ta
ee ie
1734508
ö 21247 744 Ballen
bes eee
1177 NER 880 365 024 „
Vc 48 959 769 „
affe: „1057 1567
Auch dieſe Überſicht 1 uns a jehr viel. Nicht nur, daß bei den an—
geführten Erzeugniſſen die Ernten vieler Länder mit mangelhafter Statiſtik fehlen,
nein, es fehlen auch viele wichtige Pflanzen, allen voran die Hirſen, die man für
Afrika geradezu als das Getreide bezeichnen kann, die Hülſenfruchter, der Hanf, die
Zuckerrübe, alle Futterpflanzen mit Ausnahme der Kartoffel, die Mehrzahl der Tropen—
früchte. Eines aber zeigt auch dieſe Überſicht wieder: das Überwältigende der Wert—
ſchaffung durch die Pflanzen des Ackers.
Die Bedeutung der heimiſchen Produktion für die Ernährung der Be—
völkerung des Landes iſt nicht mehr ſo weittragend wie früher, da die Entwicklung
des Transportweſens einen kaum geahnten Umfang genommen hat. Schlechte Ernte
bedeutete in früheren Zeiten Hungersnot, da dann eben einfach die notwendigen
1 in zu geringer Menge vorhanden waren. Schon in weit zurück—
) 1 bushel = 35,2 1
1 pound = 453,6 g
1 Ballen — 420 pounds.
358 4. Abſchnitt.
liegenden Zeiten trachtete man daher, Überſchüſſe reicherer Ernten für Jahre der Not
aufzubewahren. „Die Getreidehäuſer in ganz Aſſyrien ließ ich ſämtlich neu zuſammen—
richten und aufſchütten, Getreide zu dem meiner Väter ſchüttete ich auf,“ jagt Tiglath-
Pileſar I (etwa 1120—1100 v. Chr.). So wie in Babylonien und Aſſyrien, kannte
man auch in Agypten Kornhäuſer, und aus dem alten Rom werden aus der Zeit
des Kaiſers Auguſtus gegen 300 ſtaatliche Kornhäuſer erwähnt. In Mitteleuropa
brach die Idee derartiger Vorratsſpeicher ſich erſt viel ſpäter Bahn; in Deutſch—
land ließ Friedrich II. ſolche anlegen, in den öſterreichiſchen Alpen findet man noch
heute große Gebäude, „Kaſten“ genannt, die jenem Zwecke dienten.
Die ſtarke Ausfuhr von Getreide aus den Vereinigten Staaten, die Veranlaſſung
zur fog. amerikaniſchen Konkurrenz gab, war der Ausgangspunkt für die Schaffung
von Kornſpeichern größten Umfanges und einer Reihe von Verkehrserleichterungen.
Dieſe Kornſpeicher, die Elevatoren, die gegen Ende des letzten Jahrhunderts auch an
einzelnen europäiſchen Haupthandelsplätzen für Getreide errichtet wurden, dienten
lediglich dem Handelsverkehr, ſo wie die Becherwerke in ihrem Innern, nach denen ſie
benannt wurden, die pneumatiſchen Transporteinrichtungen, die Trausportſchnecken,
die Einlagerung von nicht geſacktem Getreide in Schiffe und Waggons.
Nicht allen landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen wohnt aber eine ſo hervorragende
Transportfähigkeit inne, wie dem Getreide und wie anderen Körnerfrüchten, welch'
letztere ſchon mehr Verluſt beim Lagern durch ſog. Schwendung (Waſſerverluſt, Ver—
atmung) aufweiſen. Während für 1 dz Weizen bei einem Preis von 20 .4 erſt bei
einem Bahntransport von rund 4000 km Wert und Transportkoſten annähernd gleich
hoch werden, iſt dies bei Kartoffeln, bei einem Preis von 3 % für den dz, ſchon
bei einer Weiterbeförderung auf Bahnen bei etwa 5— 600 km der Fall. Wie ſehr die
Transportmöglichkeit durch die Einführung der Bahnen zugenommen hat, zeigt, daß
dieſe Wertvernichtung durch die Transportkoſten bei Beförderung auf Wagen ſchon
bei gegen 400 km für Weizen und bei über 70 km bei Kartoffeln eintritt.
Die neueſte Zeit hat allerdings mehrfach auch bei der Transportfähigkeit Ver—
änderungen geſchaffen. Voluminöſe Erzeugniſſe, wie Stroh, Heu, wurden durch ſcharfes
Preſſen transportfähiger gemacht, ſehr waſſerhaltige und wenig haltbare, wie Kar—
toffeln, Rübenköpfe, Rübenblätter, Rübenſchnitzel, durch Entziehung des Waſſers trans—
portfähiger und haltbarer gemacht.
Die Entwicklung des Verkehrs ermöglicht es, die Erzeugung pflanzlicher Roh—
produkte in jene Gegenden zu verlegen, in denen ſie wirtſchaftlich am günſtigſten er—
folgt. Wenn aus dem Alpengebiet der Getreidebau mehr und mehr verdrängt wird,
ſo iſt das eine Folge der Erkenntnis dieſer Möglichkeit; Futtergewächſe und Vieh—
haltung finden dort günſtigere Produktionsbedingungen. Wenn man trotz der Ver—
kehrsentwicklung Wert darauf legt, daß die heimiſche Landwirtſchaft den heimiſchen
Bedarf an Brotfrüchten möglichſt weitgehend deckt, ſo ſind dabei Erwägungen maß—
gebend, die kriegeriſche Verwicklungen, ja auch unruhige Zeiten im Inland ins Auge
faſſen. Solche Erwägungen geben auch Anlaß dazu, durch Zölle die heimiſche Getreide—
produktion gegenüber Ländern mit niederen Erzeugungskoſten zu ſchützen. Dieſer
Schutz findet ſeine weitere Begründung darin, daß die dem Getreide gewidmeten
Flächen nur zu einem kleinen Bruchteil von anderen Pflanzen eingenommen werden
Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in Privat-, Volks- und Weltwirtſchaft. 359:
können, es daher notwendig iſt, eine Getreideerzeugung zu ermöglichen, die noch lohnt.
Schutzzölle für Bodenprodukte haben denn auch, ſo wie die ihnen vorangegangenen
Zölle auf Erzeugniſſe bereits eingebürgerter Induſtrien, vielfach in europäiſchen Ländern
Eingang gefunden, zur Begünſtigung der heimiſchen Produktion gegenüber jener des
Auslandes.
Herabdrückung der Getreidepreiſe fand in Europa in den letzten Jahrzehnten durch
die ſog. amerikaniſche Konkurrenz in ausgiebiger Weiſe ſtatt. Sie gab beſonders
den Anlaß zur agrariſchen Forderung von Einführung oder Erhöhung von Zöllen,
da es unmöglich war, die Erzeugniſſe heimiſcher Landwirtſchaft mit den auf dem
billigen Boden der neu beſiedelten Gebiete gewonnenen ſchutzlos in Wettbewerb treten
zu laſſen.
Dieſe ſog. amerikaniſche Konkurrenz, die von den Vereinigten Staaten und von
Kanada ausging und die Einfuhr von Weizen in erſter Linie, weit weniger von
Mais und noch weniger von Gerſte betraf, war im letzten Viertel des letzten Jahr—
hunderts ſtark fühlbar. Sie nimmt im laufenden Jahrhundert, ſoweit die Vereinigten
Staaten in Frage ſtehen, erheblich ab, da die zunehmende Bevölkerung der Union
immer größeren Bedarf an Brotgetreide entwickelt und auch die Produktionsbedingungen
in Amerika ungünſtiger geworden ſind. Wer hätte gedacht, daß in dieſem Lande,
deſſen Produktionsfähigkeit als eine geradezu unerſchöpfliche gefürchtet war, ſich jetzt
ſelbſt ſchon Stimmen erheben, die Vorkehrungen verlangen, um die Ernährung ſeiner
Bevölkerung mit eigenen Produkten zu ſichern! Man glaubt nicht nordamerikaniſche
Verhältniſſe vor ſich zu haben, wenn man beiſpielsweiſe lieſt, daß Cyrill G. Hopkins,
derſelbe, der ſich durch ſeine exakten Verſuche mit Maiszüchtung einen ſo guten Namen
gemacht hat, als eine dieſer Vorkehrungen die Einſchränkung des amerikaniſchen
standard of living und ſeine allmähliche Überführung in die Lebensführung der
Chineſen und Japaner vorſchlägt, bei denen Rinderfleiſch, Butter und Milch faſt un—
gekannte Nahrungsmittel ſind.
Tatſächlich iſt der heimiſche Konſum der Union geſtiegen, die Ausfuhr geſunken,
wenn auch heute die Vorſchläge Hopkins noch als verfrüht gelten können. Für Europa
iſt die Gefahr der Konkurrenz der Vereinigten Staaten aber jedenfalls zurückgetreten,
dagegen hat ſich die Konkurrenz Kanadas in den letzten Jahren auf ungefähr gleicher
Höhe gehalten und iſt noch einer Steigerung fähig. Eine ſolche Steigerung hat auch
die Ausfuhr Argentiniens und Auſtraliens erfahren. 6 Millionen acres find heute in
Argentinien mit Weizen, 3 Millionen mit Mais bebaut — 85 Millionen baufähigen
Landes liegen heute dort noch nicht unter dem Pflug. Damit ſind, außer Oſtindien,
auch die Länder genannt, die heute an erſter Stelle unter den nach Europa ein—
führenden genannt werden müſſen. Uruguay, Chile, Algerien und Agypten treten
zurück. So wie die Vereinigten Staaten ſich allmählich zurückziehen, ſo werfen ander—
ſeits einige andere Länder immer größere Mengen ihrer Bodenerzeugniſſe nach Europa,
und andere werden dies in abſehbarer Zeit tun. „Erwachende Agrarländer“, hat
Strakoſch das Buch betitelt, in dem er die großen Produktionsmöglichkeiten Agyptens
und des Sudans ſchildert, die beſonders durch die Durchdringung mit europäiſchem
Waſſerbau und europäifcher Landwirtſchaftstechnik geſchaffen worden find. Aber noch
näher ſchlummert ein Dornröschen unter den Ländern. Das alte Babylonien harrt
360 4. Abſchnitt.
nur der rationellen Bewäſſerung, um wieder als Land, „wo Milch und Honig fließt“,
zu erwachen, das es ſchon einmal war, zu Zeiten Hammurabis und feiner Dynaſtie,
als ein Netz von Kanälen und Tauſende von Hebewerken das fruchtbare Naß den
Flächen zuführten.
In Europa ſind heute als wichtige Einfuhrländer für Getreide England,
Deutſchland, Belgien und Holland, Italien, Spanien zu nennen, als wichtige Aus—
fuhrländer Rußland, Oſterreich-Ungarn (dieſes in erſter Linie für Gerſte), Rumänien,
die Türkei. Bei England, Belgien und Holland liegt die Fähigkeit, die Bevölkerung
durch die Getreideproduktion des eigenen Landes zu ernähren, ganz außer dem Bereich
der Möglichkeit. Oſterreich kann die Erzeugung von Bodenprodukten noch erhöhen,
iſt jedoch heute allein, ohne Ungarn, nicht mehr imſtande, ſeinen Bedarf zu decken.
Bei Deutſchland hat v. Rümker nachzuweiſen verſucht, daß es durch weitere
Urbarmachung und durch Verbeſſerung der Technik des Pflanzenbaues möglich wäre,
die Produktion von Getreide ſo weit zu heben, daß ſie in Verein mit den jetzt an
das Vieh verfütterten Mengen zur Ernährung der Bevölkerung ausreichen würde.
Aber neue Maſſen drängen heran, und der vielfach zu ſtarke Begehr nach Fleiſch—
nahrung, deren Erzeugung viel mehr Bodenfläche verlangt, erhöht die Abhängigkeit
Europas von der Ernährung durch andere Länder immer mehr und mehr. Dieſes
Anwachſen der Bevölkerung, verbunden mit dem vielfach übertriebenen Verbrauch
animaliſcher Nahrungsmittel einerſeits und dem Mangel landwirtſchaftlicher Arbeiter
anderſeits, der durch den Zug zur Stadt und höhere Löhne der Induſtrie bedingt
wird, bringen die großen Umwälzungen in der Bodennutzung der Länder mit ſich.
Die Nachfrage nach den Bodenprodukten und ihr Preis iſt der Anſporn zu
ihrer Gewinnung, die natürlichen und die wirtſchaftlichen Verhältniſſe gewähren oder
verſagen die Möglichkeit, die einzelnen Bodenprodukte an einem gegebenen Ort zu
erzeugen. Die natürlichen Verhältniſſe ſind die zwingenderen; es iſt unter be—
ſtimmten Verhältniſſen unmöglich, eine beſtimmte Pflanze zu bauen. Die wirt—
ſchaftlichen Verhältniſſe ſind elaſtiſcher; von ſehr günſtigen Verhältniſſen des
Arbeitsmarktes, der Bodenpreiſe, der Transportverhältniſſe bis zu ſehr ungünſtigen
gibt es eine große Zahl von Abſtufungen, die alle die Kultur einer beſtimmten Pflanze
zulaſſen, natürlich aber mit immer ſinkendem Gewinn.
Es iſt das Verdienſt eines öſterreichiſchen Landwirtes, Strakoſch, auf eine
bislang nicht beachtete Seite der wirtſchaftlichen Verhältniſſe der Pflanzenproduktion
aufmerkſam gemacht zu haben. Daß die einzelnen Pflanzen verſchiedene Mengen von
den einzelnen Nährſtoffen aus dem Boden entnehmen, wußte man, ebenſo auch, daß
ſie verſchieden viel nutzbare Subſtanz erzeugen, für die ja in dem Stärkewert Kellners
ein Bewertungsmaßſtab gegeben iſt. Strakoſch hat nun darauf verwieſen, daß einer
beſtimmten Menge entnommener Nährſtoffe, die ſich durch Vergleich mit ihrem Preiſe
in Handelsdüngern bewerten laſſen — eine bei den einzelnen Pflanzen verſchiedene
Menge von verwertbaren Produkten gegenüberſteht. Er bezeichnet als aſſimila—
toriſchen Effekt den Quotienten aus der Menge von nutzbaren Subſtanzen, die eine
Pflanze von einer beſtimmten Fläche liefert, und aus der Menge der entnommenen
Bodennährſtoffe. Von den Bodennährſtoffen ſind dabei nur jene berückſichtigt, welche
die Düngung normal ins Auge faßt: Kali, Phosphorſäure und — von Hülſenfruchtern
Bingaasoxe “od y gejado gs ugag vumg ad uoyynayluaxs
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Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in Privat-, Volks- und Weltwirtſchaft. 961
abgeſehen — Stickſtoff. Die Unterſchiede der einzelnen Pflanzen bei dieſem Ver—
halten ſind groß. Schon innerhalb der Hauptgetreide ſteht Roggen und Hafer mit
252 — 253 / als Überſchuß des Produktionswertes einer Mittelernte eines Hektars
gegenüber dem Konſumtionswert tief unter Weizen und Gerſte, die einen derartigen
Überſchuß von 328 bzw. 334 aufweiſen. Mais liefert 1075, Soja 617, Zucker—
rübe 1110, Futterrübe 397, Kartoffel 712, Topinambur 1161 / Überſchuß. Gewiß
laſſen ſich die in einer Gegend üblichen Ackerpflanzen nicht ohne weiteres durch andere
erſetzen. So wie im Hochſtand der amerikaniſchen Konkurrenzen oft der Vorſchlag
auftauchte, die dem Getreidebau gewidmete Fläche Pflanzen zuzuweiſen, die nicht der
ausländiſchen Konkurrenz unterworfen ſind, ſo lagen auch nach dem Erfaſſen des
aſſimilatoriſchen Effektes Vorſchläge nahe, Pflanzen mit geringem Effekt durch ſolche
mit hohem zu erſetzen. Ich hatte ſeinerzeit nachgewieſen, wie gering der Bedarf an
Fläche für Handelsgewächſe, Hülſenfruchter, ſelbſt für Hackfrüchte iſt, gegenüber der
Anbaufläche, die damals dem Getreide gewidmet war, wie unmöglich es iſt, größere
Flächen mit dieſen Früchten ſtatt mit Getreide zu bebauen. Ebenſo iſt es unmöglich,
einfach Pflanzen mit dem höchſten aſſimilatoriſchen Effekt an die Stelle bisher ge—
bauter zu ſetzen, aber innerhalb gewiſſer Grenzen iſt ein ſolcher Erſatz oft recht gut
durchführbar und geeignet, die Privat- und Volkswirtſchaft zu fördern.
Anhang.
Die Technik der landwirtſchaftlichen Pflanzenkultur einſt und jetzt.
Für die Pflanze im wilden Zuſtand genügt es, wenn von den vielen Samen,
die gezeugt werden, auch nur einige zu Pflanzen heranwachſen, wenn alſo die Art
erhalten wird. Die Kulturpflanze, die dem Menſchen dienen ſoll, muß wirt—
ſchaftlich produzieren, und damit ſie das tut, muß wieder der Menſch der
Pflanze dienen. Landwirtſchaftliche Pflanzenkultur, Ackerbau iſt in erſter Linie Be—
einfluſſung der Wachstumsfaktoren, die auf die Pflanze einwirken.
Wärme und Waſſer, die zwei vornehmſten dieſer Wachstumsfaktoren, wirken
direkt, aber auch durch den Boden, der ſeinerſeits nicht nur durch ſeine mechaniſche
Beſchaffenheit, ſondern auch durch ſeine chemiſche Zuſammenſetzung zu einem weiteren
Wachstumsfaktor wird. Dieſe Wachstumsfaktoren hat der Menſch immer mehr be—
herrſchen gelernt, Bodenbearbeitung, Entwäſſerung und Bewäſſerung, Moor- und
Heidekultur und Düngung ſind mehr und mehr ausgebildet worden. Die Vegetations—
faktoren Luft und Licht entziehen ſich mehr der Beeinfluſſung durch den Menſchen,
ſoweit das in einer Gegend gegebene Ausmaß dieſer Faktoren in Frage kommt; ihre
Ausnutzung kann aber bei Luft durch die Bodenbearbeitung, bei Licht durch ent—
ſprechende Ausführung der Saat oder durch ſpätere Eingriffe gefördert werden.
Die wirtſchaftliche Seite der Pflanzenkultur erforderte aber auch Maßregeln,
die über die Beeinfluſſung der Wachstumsfaktoren hinausgehen. Saat, Ernte, Druſch
362 Anhang.
und Reinigung des Erdrufches wurden in immer vollkommenerer Weiſe ausgebildet,
und Pflege der Pflanzen während ihres Wachstums ſchloß ſich an.
Mit einer Hacke oder mit einem Stück Holz, deſſen eines Ende in eine nach
unten gekrümmte Spitze auslief, wurde zuerſt das Antlitz der Erde durchfurcht, um
dann das Saatgut dem ſo gewonnenen Ackerland einverleiben zu können. Auf dem
weichen Boden, der in Agypten nach der Überſchwemmung durch den Nil zurückblieb,
war ſelbſt eine Hackarbeit oder Behandlung mit jenem Inſtrument, das den Ausgang
unſeres Pfluges bildete, dem Haken, überflüſſig. Auf das noch feuchte Land wurden
nach der Saat Schweine getrieben, und dieſe brachten, wie Herodot berichtet, die Samen
unter. Dieſer Vorgang, den uns Bilder aus der Zeit der 4. Dynaſtie vorführen,
kennzeichnet nicht eine allgemeine Rückſtändigkeit der Bodenkultur im alten Agypten,
ſondern war durch die beſonderen Verhältniſſe des Überſchwemmungsgebietes bedingt.
Auf nicht überſchwemmtem Boden wurden zu gleicher Zeit ſchon Hacke und Pflug
verwendet, letzterer als Pflug ohne Streichbrett als ſogenannter Haken, wie wir ihn
auch aus alten Zeiten im Norden Europas antreffen (Abb. S1, 82),
aber auch als Deichſelpflug mit Streichbrett und metallener Schar.
Auch die Juden in Paläſtina verwendeten, ſo wie die Babylonier, ſchon
Abb. S1. Prähiſtoriſcher Hatenpflug aus Dostrup in Jütland.
(Nach Hoops.)
Pflüge mit metallenen Teilen, denn ſie ſchmiedeten, wie der Prophet Jeſaias ſagt:
„aus Pflugſcharen Schwerter und aus Sicheln Lanzen“. Mehr als der eigentliche
Pflug war bei Agyptern und Griechen der Haken verbreitet, bei den Römern
tauchten daneben auch ſchon Schwingpflüge mit aures und culter, alſo Streichbrett
und Sech auf, aber erſt im rhätiſchen Gallien fand man einen von Plinius beſchriebenen
Karrenpflug, der dann nach Germanien überging und ſich in Mitteleuropa mit
Ausnahme der ſlawiſchen Teile, in denen der Haken lange Zeit hindurch herrſchte,
verbreitete.
Bei dem Pflug unſerer Tage ſind Schar, Sech, Streichbrett und die
übrigen Teile des Körpers aus Eiſen, meiſt auch Pflugbaum und Vorderkarre. Der
Pflug ſchlechtweg hat ſich in eine ganze Reihe von Geräten aufgelöſt, die den ver—
ſchiedenen Aufgaben des Pfluges, wie Aufreißen verſchiedener Bodenarten, ſeichtes,
tiefes, wendendes oder nur lockerndes Pflügen, Beet- und Ebenpflügen und Kämme—
formen, gerecht werden. So find Wende-, Wechſel-, Rajol-, Wühl- und Häufelpflüge
entſtanden, und bei den Pflügen mit Streichbrett flache, ſteilwendende und Krümmel—
pflüge und wieder je ein- und mehrkörperige. Endlich iſt auch ſeit 1851 die Dampf—
kraft zum Pflügen herangezogen worden und hat ſich nach mancherlei Verſuchen
hauptſächlich in der Form des Fowlerſchen Zweimaſchinenſyſtems auf großen Wirt—
ſchaften eingeführt. Hamm hat nachgewieſen, daß zwei Landſchullehrer, die Brüder
Fisken, und ein Schmied Rodger die Erfinder des Dampfpfluges ſind. Daneben
Die Technik der landwirtſchaftlichen Pflanzenkultur einſt und jetzt. 363
hat, wenn auch weniger, der elektriſche Pflug Eingang gefunden, und jetzt ſtrebt man
die Nutzbarmachung der Exploſionsmotoren bei der Bodenbearbeitung an.
Neben dem Pflug finden wir in den älteſten Zeiten ſchon die Egge. Aller—
dings war dieſe zuerſt nur eine Strauchegge, ein Balken mit daran befeſtigten Reiſern,
aber die Römer verwendeten doch auch ſchon Eggen mit eiſernen Zinken, und Plinius
berichtet, daß in Gallien crates dentatae verwendet wurden, alſo auch Eggen mit
Balkenrahmen und Zähnen. Die Vervollkommnung der Egge unſerer Tage beſteht
in der Verwendung von Eiſen für den Rahmen, in der Teilung des Rahmens, der
ſich ſo beſſer der Bodenoberfläche anſchmiegt, und in der Anpaſſung der Eggen an
die verſchiedene zu leiſtende Arbeit, eine Anpaſſung, die durch verſchiedene Schwere
der Egge und verſchiedene Querſchnittsform und Stellung ihrer Zähne erreicht wird.
Steinernen Walzen begegnet man zwar ſchon bei den Römern, aber es ſcheint
nicht, daß ſie auf dem Acker gebraucht wurden, denn Plinius erwähnt nur ihre Ver—
wendung beim Ebnen der Tenne und zum Eindrücken von Gartenſämereien. Das
Urbild der Walze iſt der Baumſtamm; die Teilung der Walze, die ſie erſt dem
Boden ſich anſchmiegen
läßt, und die B n . N een
äßt, und die Benutzung RINDE 17 BERG 8 SM SR N
unebener Oberfläche
(Ringel⸗, Stachel⸗,
Croßkillwalze) kam erſt
mehr in Anwendung,
als eiſerne Walzen ge—
baut wurden.
Neben dem Pfluge
verwendet der Ackerbau N ice. N 1 N
unſerer Tage Geräte = . f .
mit Scharen, die r ST Be
raſcher als diefer ar⸗ ß » RR AE R 1
beiten, den Boden un Abb. 82. Felſenbild von Bohuslän in Schweden aus der Bronzezeit: von Rindern
lockern, ohne ihn zu gezogener Hatenpflug mit Pflüger. Nach Hoops.)
wenden, die Grubber
und Exſtirpatoren mit feſten Scharen und die Federkultivatoren mit federnden
Stahlzinken.
Auf dem Felde kannte man bei den Hauptgetreidearten und den Hülſenfruchtern
bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts nur die unregelmäßige Verteilung der
Saat, wie ſie der Sämann zuwege bringt, wenn er dem Sätuch eine Hand voll Samen
entnimmt und im Bogen über das Feld ſtreut (Abb. 83). Erſt die Anwendung von
Maſchinen läßt auch bei den dichter ſtehenden Hauptgetreidearten, den Hülſenfruchtern
und Handelspflanzen, ja auch bei Futterpflanzen die Ausführung der Saat in Reihen,
die Drillſaat zu. Aus den Gebieten alter Kultur in Afrika und Europa iſt uns
keine Nachricht von der Verwendung ſolcher Maſchinen überliefert worden, dagegen
ſcheint man in China und Indien Drillſaat und Saatpflüge in weit zurückliegen—
der Zeit gekannt zu haben. Auch die im Anfang des 18. Jahrhunderts in England
verwendete Sämaſchine Jethro Tulls iſt nach einem indiſchen Vorbild gebaut worden.
364 Anhang.
Ungefähr ein weiteres Jahrhundert verging, bis die Reihenſämaſchine ſich allmählich
zum Drill unſerer Tage ausbildete. Ihr geſellte ſich dann für beſondere Zwecke die
Breit- und Dibbelſämaſchine, die Kartoffelſämaſchine, die Kartoffelpflanzgrubenmaſchine
der Düngerſtreuer und Jaucheverteiler zu. Behacken der Zwiſchenräume zwiſchen den
Reihen der Kulturpflanzen war früher nur bei den Hackfrüchten üblich und wurde nur
mit Handhauen ausgeführt. Die Drillſämaſchine hat der Hackkultur auch das Ge—
treide- und Hülſenfruchterfeld erſchloſſen und die Entſtehung der Hackmaſchine vorbereitet.
Das Erntewerkzeug von Jahrtauſenden iſt das gekrümmte, ſcharfkantige Stück
Metall, das in einem Holzgriff als Handhabe befeſtigt wird, die Sichel. Ihr be—
gegnet man auf Gräbern der älteſten Zeit Agyptens, griechiſche und römiſche Gott—
heiten, die mit dem Ackerbau in Verbindung ſtehen, ſind mit Sicheln ausgerüſtet.
Unter den Pfahlbaufunden aus Mitteleuropa trifft man auch Sicheln aus Bronze an;
erſt in der Zeit des Althochdeutſchen geſellte ſich der Sichel die Senſe zu.
Zwar ſchreibt Plinius ſchon den Bewohnern Galliens die Verwendung einer
Erntemaſchine zu, aber wenn auch der Wagen, der von einem Zugtier in das Ge—
treide geſchoben wurde und vorne mit Zähnen beſetzt war, die die Ahren abriſſen,
wirklich mehr Verwendung fand, ſo
mußten doch bis zur Ausgeſtaltung
zur vollkommenen Mähmaſchine
noch viele Jahrhunderte vergehen.
Jetzt hat ſich dieſe Maſchine bei der
e 0 Ernte auf Wieſen und Futterflächen
IN 11 als Grasmähmaſchine, bei jener auf
0 ö IN dem Acker als Getreidemähmaſchine
INN N N weitgehend eingebürgert, wenn auch
ni N immer noch im Kleinbetrieb und in
Gebirgen Sichel und Senſe ſich er—
Abb. 83. Säen (Grab des Chamhati). (Nach Ringelman.) halten haben. Die Arbeit des Auf—
leſens und Zuſammenbindens der
geſchnittenen Halme iſt auch von der Maſchine übernommen worden, die Getreide—
mähmaſchine iſt zum Garbenbinder ausgeſtattet worden.
Mannigfach iſt die Unterſtützung, die der Menſch durch die Maſchine bei der
Heubereitung und Einbringung des Heues gefunden hat: Pferderechen,
Heuwender, Heuſchleifen, Heulademaſchinen und die verſchiedenen Einrichtungen zum
mechaniſchen Transport des Heues beſchleunigen und verbilligen die Heuernte.
Dreſchwagen und Dreſchſchlitten quetſchten bei Juden, Agyptern, Griechen
und Römern die Körner aus dem Geſtröh. Von den heute verwendeten Einrichtungen
zur Ausbringung der Körner erinnert die in Süddeutſchland noch gebräuchliche
Dreſchwalze an dieſe Geräte. An die Stelle des Stabes zum Ausklopfen der
Körner aus dem Stroh, dem fustis der Römer, trat der Dreſchflegel, der jetzt
weitgehend durch die Dreſchmaſchine erſetzt iſt, deren rotierende mit Zähnen oder
Schlagleiſten beſetzte Trommel die Arbeit beſchleunigt.
Erſt die Möglichkeit, Dampfkraft oder die Kraft anderer mächtiger Motoren
zu verwenden, geſtattete den Bau jener Rieſen von Dreſchmaſchinen, wie wir ſie
tn Ga ; *
8 2 5
Die Technik der landwirtſchaftlichen Pflanzenkultur einſt und jetzt. 365
jetzt auf größeren Wirtſchaften mit Reinigungs- und Sortiervorrichtungen ausgerüſtet
und in Verbindung mit Ferneinleger, Spreugebläſe, Strohpreſſe oder Häckſler finden.
Noch heute wird in der Türkei in vielen Strichen das erdroſchene Getreide
dadurch von Spreu und Staub gereinigt, daß man es mit der Schaufel in die Höhe
wirft und dem Luftzug auf der Tenne die Wegführung der leichten Teile überläßt,
deren Reſt mit Federflügeln von den Haufen abgeweht wird. Soll ſchwereres Korn
von leichterem getrennt werden, ſo wirft man dort die Körnermaſſe in einem Bogen
hin, in dem die Fliehkraft die ſchwereren Körner nach außen hin lagert; ſoll Größeres
von Kleinerem getrennt werden, ſo ſiebt man. Das ſind Methoden, die ſchon im
Altertum Anwendung fanden (Abb. 84, 85) und heute bei uns durch die Arbeit von
Maſchinen verſchiedener Art, Putzmühlen, Windfegen, Sortierzylinder, 2 5
Trieur erſetzt ſind. In der ſog. Dreſchmaſchine für marktfertige Rei—
nigung ſind derartige Maſchinen mit dem Dreſchapparat als ſolchem
zu einem Ganzen verbunden.
Pflege der Pflanzen beſtand in früherer Zeit hauptſächlich
nur im Jäten. Eine Hackkultur, wie fie bei Körnerfrüchten mit —
der Reihen⸗ und Dibbelſaat unſerer Tage zuſammenhängt, kannte 15 8
man auf dem Acker, der keine Hackfrüchte trug, nicht, und eine Be- db
kämpfung von Schädlingen wurde nur wenig angewendet. Jetzt wird (Nach Ringelman.)
die Hackarbeit vielfach mittelſt Maſchinen ausgeführt und nicht nur bei Hackfrüchten,
ſondern in einzelnen Gegenden mit nicht zu trockenem Sommer auch bei Getreide
und Hülſenfruchtern angewendet. Bei der Schädlingsbekämpfung finden mannig—
fache Beizmittel und giftige Flüſſigkeiten weitgehende Verwendung, es wird aber auch
unter Berückſichtigung der Lebensgeſchichte tieriſcher Schädlinge durch entſprechende
Ausführung der gewöhnlichen Kulturmaßregeln Erfolg erzielt. Die Bekämpfung
des Unkrautes erfolgt nicht nur durch entſprechende Bodenbearbeitung vor der
Saat, durch geeignete Folge und durch Hackkultur, ſondern man hat auch chemiſche
Mittel herangezogen. Schutz
gegen Fröſte, die während der
Entwicklung der Pflanze ſich ein—
ſtellen, wird in Wein- und Hopfen—
gegenden, im Nordweſten der Ver—
| — einigten Staaten auch bei Objt-
Abb. 85. Reinigen der Körner (Sattarab). (Nach Ringelman.) plantagen, durch Decken gewährt,
die der Rauch langſam brennender
Stoffe über die Fläche breitet. Nicht ſo durchſchlagenden Erfolg wie dieſes Froſt—
räuchern hat das Wetterſchießen erzielt (Tirol, Züricherſee), bei dem die durch
Schüſſe erzeugte Luftbewegung durch Trichter bis in die Gewitterwolken geleitet wird
und ſtatt heftiger elektriſcher Entladungen Regen bewirken ſoll.
Spuren der Verwendung von Dünger finden wir weit zurück, wenn auch aus
dem alten Agypten wenig davon berichtet wird, wo der Nilſchlamm die Rolle des
Düngers übernahm. Die Juden in Paläſtina waren ein Volk von Landbebauern;
nicht nur tieriſcher Dünger und Verwendung von Streu bei ſeiner Gewinnung, wie
das auch im Sabbatjahr erlaubte Pferchen, war ihnen bekannt, ſondern auch die
366 Anhang.
Gewinnung von Trockendünger aus den menſchlichen Ausſcheidungen. Durch Trod-
nung der Ausſcheidungen an der Sonne wurde „Staubmiſt“ gewonnen. Ebenſo trifft
man Verwendung von Stallmiſt bei Griechen und Römern, bei erſteren wird ſeiner
ſchon im epiſchen Zeitalter gedacht: Vor Odyſſeus' Palaſt türmen ſich Haufen von
Maultier- und Rindermiſt, zur Düngung der königlichen Acker beſtimmt. Selbſt eine
Errungenſchaft, die man gelegentlich als ſolche unſerer Tage bezeichnen hört, die
Gründüngung, war nicht nur den Römern, ſondern auch ſchon den Griechen
bekannt, die Ackerbohnen und Lupinen als Gründüngung unterpflügten. Die Römer
waren über den verſchiedenen Düngerwert des Miſtes der einzelnen Geflügelarten faſt
ſo gut unterrichtet, wie wir es nach ſeiner Analyſe ſind. Aus Gallien erwähnt
Plinius Vertrautſein mit Aſche und Kalkdüngung wie mit Mergelung.
Zu dem Stallmiſt, den menſchlichen Ausſcheidungen und dem Gründünger hat
ſich eine Reihe von Kunſtdüngemitteln hinzugeſellt, die geſtattet, auch einzelne
Nährſtoffe zuzuführen und beſonderen Bedarf der einzelnen Kulturpflanzen zu be—
friedigen. Man beutet nicht nur Lager von Düngemitteln, wie jene von Guano,
Chiliſalpeter, Rohphosphaten und den für Deutſchland ſo wertvollen Abraumſalzen
(Kalimineralien) aus, ſondern hat auch gelernt, vorhandenen Dünger in paſſendere
wirkſamere Formen zu bringen, aus Rohphosphaten Superphosphate, aus Kali—
mineralien konzentrierte Kalidünger herzuſtellen und endlich durch chemiſche Vorgänge
neue Düngemittel zu ſchaffen.
Sehr alt iſt eine ausgebildete Beherrſchung des Waſſers. Die Waſſer
des Euphrats und Tigris wurden im 5. Jahrhundert v. Chr. durch ein Netz von
Kanälen über weite Flächen von Babylonien verteilt und zauberten Fruchtbarkeit her—
vor. Eine natürliche Bewäſſerung war jene durch den Nil, deren Segen aber ſchon
im alten Agypten weiten Landſtrichen künſtlich vermittelt wurde. Neben künſtlicher
Hebung des Waſſers durch Schöpfwerke — Hebebäume und Schöpfräder — wurden
ſchon im alten Agypten im Unterlauf des Nils Stauwerke angelegt, hinter denen ſich
der Waſſerſpiegel ſo hoch hob, daß beträchtlich größere Flächen überſchwemmt wurden.
Die Grundlagen der Bewäſſerung ſind bezüglich der Waſſerbeſchaffung
bis in unſere Tage die gleichen geblieben, Anſtauung des Waſſers von Flußläufen
im Unterlauf oder durch Stauweiherbildung im Oberlauf, Ableitung des Waſſers im
Oberlauf der Flüſſe durch Kanäle, deren geregeltes Gefälle die Verteilung des Waſſers
auf weite Flächen möglich macht, Hebung des Grundwaſſers. Allerdings ſind die
Fortſchritte der Technik bei den einzelnen Arten der Beſchaffung weitgehend ausgenützt
worden. Der 1305 km lange Gangeskanal mit ſeiner Fortſetzung, dem Unteren
Gangeskanal, die Wäſſerungskanäle Kaliforniens, die durch Tunnels über lange
Aquädukte Hunderte von Kilometern weit geführt ſind, geben ebenſo Zeugnis von
dieſer weitgehenden techniſchen Ausbildung, wie die Talſperre des Nils bei Aſſuan
oder der Stauweiher von Scholapur in Indien mit der Faſſung von 62 000 000 ebm
Waſſer, oder etwa der eben vollendete zu Phoenix in Arizona, der 16988000000 ebm
Waſſer zurückhalten kann.
Die Verteilung des Waſſers auf den einzelnen Grundſtücken erfolgt in
verſchiedener Weiſe. Man läßt es bei geneigten Flächen über den Hang herabrieſeln,
man führt es in einer größeren Zahl parallel laufender Gräben über den Acker oder
3
Die Technik der landwirtſchaftlichen Pflanzenkultur einſt und jetzt. 367
man überſtaut die Fläche, die mit Dämmchen umgeben iſt. Rieſelung iſt die bei
Wieſen herrſchende Bewäſſerungsart, Grabeneinſtauung wird bei Gemüſebau angewendet,
Überſtauung bei Wieſen oder aber bei Ackern, wenn dieſe nicht mit Pflanzen beſtanden
ſind. Neu iſt als Bewäſſerung des Ackers das im Gartenbau weitgehend verwendete
Beſpritzen hinzugetreten, mit dem man im Oſten Deutſchlands gute Erfolge erzielt
hat. Beſondere Ausbildung hat in Deutſchland ſchon frühzeitig die Wieſen—
bewäſſerung gefunden, bei der im Süden Weſtfalens im Siegener Land gegen
Ende des 18. Jahrhunderts der künſtliche Rückenbau eingeführt wurde, der es ge—
ſtattet, auch weniger geneigten Flächen eine — dabei künſtliche — Hangbewäſſerung
zu geben.
Daß die Geſchichte der Entwäſſerung, ſoweit der Acker in Betracht kommt,
weniger weit zurückreicht, hat ſeinen Grund wohl darin, daß die Gebiete der älteſten
Kultur Entwäſſerung der kultivierten Flächen weitaus nicht ſo notwendig machten
wie Bewäſſerung. Entwäſſerung durch Rohrſtränge finden wir allerdings ſchon in
Babylonien ausgeführt, aber nicht auf dem Acker, ſondern bei Hofanlagen in Ge—
bäuden. Bei den Griechen wurden einzelne Entwäſſerungsanlagen ausgeführt, und
die Römer legten ſchon auf naſſen Adern nicht nur Gräben, ſondern auch Röhren—
züge an, die aus Faſchinen oder Steinen, aber auch ſchon aus Flach- und Hohlziegeln
gebildet wurden. Grabenentwäſſerung wurde wohl auch in Mitteldeutſchland ſchon
frühzeitig in Anwendung gebracht. Die Bildung ſchmaler, hoher Beete, der Bifänge,
die ſich in vielen Gegenden auch heute noch finden, iſt ja eine einfache Art von
Grabenentwäſſerung des Ackerlandes. Auch die Römerbeete, Ackerbeete von 10—15 m
Breite und bis 1,5 m mittlerer Höhe, deren Spuren man in Oberbayern noch findet,
dienten wohl dieſem Zweck.
Eine hervorragende Ausbildung erhielt die Entwäſſerung durch die in England
eingeführte Verwendung von Tonröhren, den drains, deren Anwendung heute bei der
Durchführung von Entwäſſerungen — Drainage — vorherrſcht.
Von der Saat bis zur Ernte wird die Pflanze des Ackers von der Sorge des
Landwirtes begleitet und geſchützt, vor der Saat ſchon werden die Bodenverhältniſſe
durch Bearbeitung und Düngung günſtig geſtaltet, und die Ernte wird mit vielen
Hilfsmitteln in brauchbare Form gebracht. Neben der Vervollkommnung einzelner
Kulturmaßregeln und Einführung neuer tritt uns beſonders die immer weitergehende
Erſetzung von Handarbeit durch Geſpann- und von Geſpann- durch Motorenarbeit
entgegen. In der landwirtſchaftlichen Maſchine hat der Landwirt einen Freund ge—
funden, der ihm weſentlich hilft, die Produktionskoſten zu verringern und trotz der
Abwanderung der Menſchen vom Land in die Stadt oder in Fabriken und „über
das große Waſſer“ noch den Betrieb fortzuführen.
Literatur
Zu: Urſprung und Wanderung der landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen:
Engelbrecht: Die Landbauzonen. 1899.
Gradmann: Der Getreidebau im deutſchen und römiſchen Altertum. 1909.
Hahn: Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtſchaft des Menſchen. 1896.
Hehn: Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Aſien. 8. Aufl. von Schrader. 1911.
Hoops: Waldbäume und Kulturpflanzen im germaniſchen Altertum. 1905.
Zu: Die Gruppen der Feldpflanzen:
Krafft: Pflanzenbau. 9. Aufl. von Fruwirth. 1913.
Getreide:
Schindler: Der Getreidebau. 1909.
Koernicke und Werner: Handbuch des Getreidebaues. 1885.
Fruwirth: Der Getreidebau. 1907.
Hülſenfrüchte:
Fruwirth: Anbau der Hülſenfrüchte. 1898.
Hackfrüchte:
Remy: Der Hackfruchtbau. 1. Bd. Der Kartoffelbau. 1909.
Handelspflanzen:
Kießling: Handbuch der Tabakkunde, des Tabakbaues. 2. Aufl. 1905.
Fruwirth: Hopfenbau und Hopfenbehandlung. 2. Aufl. 1908.
Futterpflanzen: a
Stebler und Schröter: Die beſten Futterpflanzen. 3 Teile. 1893-95.
Werner: Handbuch des Futterbaues. 3. Aufl. 1907.
Zu: Vererbung, Variabilität, Modifikabilität und Ausleſe:
de Vries: Die Mutationstheorie. 1901— 1903.
Johannſen: Elemente der exakten Vererbungslehre. 1909.
Baur: Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. 1911.
Zu: Züchtung:
Fruwirth: Die Züchtung landwirtſchaftlicher Kulturpflanzen. 3. Aufl. 1909.
5 Die Züchtung von Mais, Futterrüben und anderen Rüben, Olpflanzen und Gräſern.
2. Aufl. 1909.
7 Die Züchtung von Kartoffel, Lein, Hanf, Tabak, Hopfen, Buchweizen, Hülſenfrüchten
und kleeartigen Futterpflanzen. 2. Aufl. 1910.
* Briem, v. Proskowetz und v. Tſchermak: Die Züchtung der vier Haupt—
getreidearten und der Zuckerrübe. 2. Aufl. 1910.
= mit vielen Mitarbeitern: Die Züchtung folonialer Gewächſe. 1912.
Zu: Die landwirtſchaftlichen Kulturpflanzen in Volks- und Weltwirtſchaft:
Laur: Bewertung, Buchhaltung und Kalkulation in der Landwirtſchaft. 1911.
Oſtermayer: Unterſuchungen über Ertragsfähigkeit der mähriſchen Bauernbetriebe. 1911.
Meline: Zurück zur Scholle.
Apercus statistique internationaux.
Strakoſch: Das Problem der ungleichen Arbeitsleiſtung unſerer Kulturpflanzen. 1907.
Zu: Technik des Pflanzenbaues:
Krafft: Ackerbaulehre. 9. Aufl. von Fruwirth. 1910.
v. Rümker: Tagesfragen aus dem modernen Ackerbau. 10 Hefte in 2.—5. Aufl. 1912.
Vogler: Grundlehren der Kulturtechnik. 4. Aufl. 1909.
Perels, Strecker: Ratgeber bei der Wahl landwirtſchaftlicher Geräte und Maſchinen.
10. Aff 1912.
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Lanz’sche Dampfdreschgarnitu'
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im Betriebe auf dem Ritt’g
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Lanz’scher Selbstbinderpresse
riesenow in Mecklenburg.
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Bin
Der Dbitbau,
feine Geschichte und Praxis
Von Prof. H. Schulz
1. Abſchnitt.
Zur Geſchichte des Obſtbaus und ſeiner
Kulturverfahren.
Bodenkultur und Obſtbau ſind eng miteinander verbunden; das zweite ohne
das erſte gibt es nicht und gab es wohl nie. Soweit die menſchliche Geſchichte
zurückdenken kann und alte Dokumente uns geſtatten, einen Blick in die Vergangen—
heit zu werfen, findet dieſe Annahme ihre Beſtätigung.
Sowie man jedoch ins einzelne geht und fragt, wo die Stätten gelegen haben,
an denen Obſtbau zuerſt betrieben worden iſt, und an welchen Früchten der Menſch
in der Frühzeit ſeines Aufſtiegs ſoviel Gefallen fand, daß er die Bäume und Sträucher,
woran ſie wuchſen, zu Genoſſen ſeiner Siedelungen zu machen begann, — ſowie
man derlei Fragen aufwirft, ſetzt die Wißbegier den Fuß auf ganz unwegſames
Gelände. Zwar bleibt es niemand verwehrt, den Blick über den letzten gangbaren
Randſtreifen geſchichtlicher Überlieferungen in die Vergangenheit weiter ſchweifen zu
laſſen, aber auch das ſcharfſichtigſte Auge bringt von dort nur Vermutungen zurück,
die zu verſchiedenen Zeiten ſehr verſchiedenen Wahrſcheinlichkeitswert haben. Vor
etwas mehr als einem Menſchenalter beiſpielsweiſe ſchien es ausgemacht, daß Haus—
tierzucht, Ackerbau und Obſtbau zuerſt im orientaliſchen Südweſtaſien, alſo in den
kurz als Morgenland bezeichneten fruchtbaren Gebieten ſüdlich vom Kaſpiſchen
Meer ſich entwickelt hätten und daß alles, was man Kultur nennt, von da zu den
Völkern der Mittelmeerländer, den Griechen und Römern, gekommen fei; ſchließlich
ſei dann die Kenntnis des Acker- und Obſtbaus von Rom aus den nördlich der
Alpen hauſenden Stämmen mitgeteilt worden. Heute ſcheuen wir uns nicht, dieſe
Anſchauung als veraltet zu betrachten und zu glauben, daß die Menſchen in ſehr
weit auseinanderliegenden Gebieten und zu ſehr verſchiedenen Zeiten, unabhängig
voneinander, aus Jägern oder Hirten zu Ackerbauern geworden ſind, wobei Haustier—
und Nutzpflanzenzucht von jeder Volksgemeinſchaft ſelbſtändig erfunden wurden und
je nach dem Erdteil, in dem ſich die Entwicklung vollzog, Tiere und Pflanzen von
ſehr verſchiedener Art in den menſchlichen Kulturbereich kamen. Einzelne Völker—
ſchaften brachten es, von der Natur unterſtützt, in beidem raſch weit, andere be—
gnügten ſich ſchon mit primitiven Erfolgen oder arbeiteten mit hartem Material,
deſſen geringe Bildungsfähigkeit überraſchende Ergebniſſe von vornherein ausſchloß.
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GAA.
372 1. Abſchnitt.
So entſtanden allmählich nebeneinander verſchiedene Zentren und Stufen landwirt—
ſchaftlicher Kultur, verſchiedene Haustier- und Nutzpflanzenarten, die ſich anfangs in
Abgeſchloſſenheit fortentwickelten, dann aber bei den erſten großen Völkerwanderungen
miteinander in Berührung kamen und ſich vermiſchten, ſich aufrieben oder ihre Er—
rungenſchaften gegenſeitig austauſchten, ſo daß aus dem Zuſammenſtoß der Anfang
eines neuen großen Fortſchritts ward.
Auch unſere Vorſtellungen über den Verlauf der uro Kulturbewegung
fließen nicht mehr in den Bahnen dahin, die man auf Grund der Forſchungen eines
Viktor Hehn ihnen ſeit den 1870er Jahren vorgezeichnet hatte. Wir wiſſen, daß
Nutzpflanzen und Nutztiere, deren Haltung (nach der früheren Anſicht) die Griechen
erſt in nachhomeriſcher Zeit von den ſemitiſchen Völkern des Orients kennen gelernt
haben ſollten, ſchon lange vor Homer und vor Vermiſchung ſemitiſcher mit alt—
helleniſcher Kultur in Griechenland gezüchtet worden ſind. Wir wiſſen ferner, daß
die Germanen bei Ankunft der Phönizier und Römer bereits Landwirtſchaft und
primitiven Obſtbau getrieben haben und daß der Anbau verſchiedener aſiatiſcher
Gewächſe, die nach älterer Auffaſſung erſt von den Mittelmeervölkern im Norden
eingeführt worden waren, ihnen längſt vor dem Zuſammentreffen mit ſüdlicher
Kultur durchaus geläufig war. Ja es hat ſich ſogar herausgeſtellt, daß in vorchriſt—
licher Zeit neben der Kulturſtrömung von Süden nach Norden eine ſolche vom
Norden nach dem Süden einherlief, ſo daß die Römer, Griechen und der Orient
keinesfalls bedingungslos als Väter germaniſcher landwirtſchaftlicher Kultur betrachtet
werden dürfen.
Eines allerdings iſt nicht zu leugnen: daß Landwirtſchaft und Obſtbau im
Morgenland früher den Hochſtand einer Blütezeit erreichten als weiter weſtwärts.
Begünſtigt durch das milde, glückliche Klima weiter Teile des Orients, unterſtützt
durch die beſten Bodenarten konnten die ſemitiſchen Völker des vorderaſiatiſchen
Kulturgebietes faſt überall Obſtbau betreiben. Da ſie es auch in der Pflege der
Bäume an nichts haben fehlen laſſen, entwickelte ſich, wie u. a. auch aus dem Alten
Teſtament hervorgeht, der Obſtbau im ganzen Morgenland bereits in alter Zeit zu
hoher Vollkommenheit.
Wie es mit der Obſtkultur auf der helleniſchen Halbinſel ſtand, wiſſen wir
weniger genau, da ausführliche Nachrichten über die Ausdehnung des Obſtbaus in
Griechenland fehlen und das durch die regen Ausgrabungen der Neuzeit zutage
geförderte hiſtoriſche Material noch nicht verarbeitet iſt. Immerhin haben die Griechen
das ernſtliche Beſtreben gehabt, ſich in der Behandlung und Pflege ihrer Obſtbäume
hervorzutun. Unter anderem wird von dem 500 Jahre vor Chriſti Geburt lebenden
griechiſchen Arzt Hippokrates behauptet, daß er die Kunſt des Okulierens erfunden
habe, und von Drako und Solon iſt bekannt, daß ſie ungefähr um die gleiche Zeit
ſtrenge Geſetze zum Schutz des Oſtbaus erließen. Diebſtahl von Feld- und Garten—
früchten ſollte darnach mit dem Tode beſtraft werden. Auch verſichern die griechiſchen
Naturlehrer, daß ſie viele Birnſorten im Lande gehabt hätten, beſonders im Pelo—
ponnes. Der berühmte griechiſche Philoſoph Theophraſtus, der um 300 vor Chriſti
Geburt lebte, redet häufig von ihnen als von hochgeachteten Früchten, vom Pfirſich
Zur Geſchichte des Obſtbaus und feiner Kulturverfahren. 373
als von einer fremden Frucht. 30 Jahre vor Plinius waren ſchon frühe Pfirſiche
bekannt; der Preis für auserleſene Stücke ſtand ſchon damals ſehr hoch.
Die Römer brachten feine Apfel- und Birnſorten zuerſt aus den Morgen—
ländern heim. Sie ſcheinen ſich auch ſchon früh mit der Zucht neuer Sorten befaßt
zu haben, denn bei Plinius werden bereits 35 Birnſorten als in Italien heimiſch
aufgeführt. Viele von ihnen ſind mit römiſchen Namen nach den Orten benannt,
an denen ſie auf italieniſchem Boden entſtanden waren, andere tragen den Namen
des Ortes, woher die Römer ſie erhalten hatten. Es ſind Städte oder Landſchaften
in Griechenland, Agypten und Syrien. Auch ziemlich viele Sorten von Pflaumen
kannte man ſchon zu Plinius' Zeiten auf
der Apenninenhalbinſel; er erwähnt ihrer
dreißig.
\ Von Italien, deſſen Klima der
Weiterentwicklung des Obſtbaus ſehr
günſtig war, breitete dieſer ſich dann
weiter nach Weſten aus, beſonders nach
Frankreich. Hüter und Beſchützer des
Obſtbaus wurden die Klöſter und Mönchs—
orden, und es muß dankbar anerkannt
werden, daß die geiſtlichen Brüder ſich
mit großer Liebe, viel Geſchick und un-
ermüdlichem Fleiß der Kunſt der Baum-
zucht und Baumpflege gewidmet haben.
Den franzöſiſchen Mönchen verdanken wir
die erſten Belehrungen in der Formbaum—
zucht; ſie waren die erſten, die die Be—
deutung der ſchwachwachſenden Unterlagen i ES
(Paradies, Douein und Quitte) für die Abb. 1. Pfropfen der Bäume. Holzſchnitt in Schäufe⸗
Erziehung von Formobſtbäumen erkannten; leins Art aus: Lonicerus, Kräuterbuch. Ulm 1679.
ſie waren endlich diejenigen, durch die der
feinere Obſtbau auch nach Deutſchland kam; denn überall, wohin ſie gingen, nahmen
ſie ihre Obſtbäume mit, begnügten ſich aber nicht, die Obſtarten und Obſtſorten nur
zu verbreiten, ſondern ſorgten in gleichem Maße dafür, daß auch die richtige Pflege
und Behandlung bekannt wurde.
Freilich verfloſſen Jahrhunderte, bis die Deutſchen der Obſtkultur größeren
Geſchmack abgewinnen konnten. Unſere älteſten Vorfahren begnügten ſich mit den
rauhen Früchten der Wildbäume. Der römiſche Geſchichtsſchreiber Tacitus, dem wir
ja ſo außerordentlich viel wertvolle Nachrichten über die Lebensweiſe der nordalpinen
Völker verdanken, erzählt in ſeiner „Germania“, daß das alte Germanien nur wilde
Holzäpfel (Poma silvestris) gehabt habe. Man hat wohl die verſchiedenen
Waldfrüchte zur Ernährung verwendet und ihren Wert zu ſchätzen gewußt, einen
Obſtbau. nach heutigen Begriffen aber erſt ſpäter kennen gelernt. Die Germanen
beſchäftigten ſich infolge der Völkerwanderungen und beſtändigen Kriege mehr mit
ſoldatiſchen Übungen, denn mit der Gartenkultur. Erſt als mehr Ruhe eintrat, der
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374 1. Abſchnitt.
Handel mit dem füdlichen Europa ſich erweiterte und die Aufklärung zunahm, er—
wachte auch der Hang und das Vergnügen an dieſer edlen und nützlichen Beſchäf—
tigung. Sie lernten die Vorteile und Annehmlichkeiten des Obſtbaus kennen und
ſchätzen, die Wohnſtätten, die ſonſt höchſtens von wildem Gehölz und Waldbäumen
umgeben waren, wurden mit edlen Fruchtbäumen bepflanzt und die Anhänglichkeit
an Haus und Scholle dadurch erhöht. Wurde der Wohnſitz gewechſelt, ſo wanderten
die liebgewordenen Obſtbäume, wenn fie mittlerweile nicht zu groß geworden waren,
mit. Es war zu einem notwendigen Bedürfnis geworden, Bäume mit genießbaren
Früchten ſowohl zum Nutzen als auch zur Verſchönerung des heimatlichen Herdes
anzupflanzen, zu hegen und zu pflegen.
Tobte draußen der Krieg, wurde alles Lebende zerſtört und dem Erdboden
gleich gemacht, ſo hatten die Mönche rechtzeitig Sorge getragen, daß der Obſtbau
hinter den ſchützenden Kloſtermauern eine ſichere Heimſtätte fand. Wie manche
gute und dankbare Obſtſorte iſt damals nur dadurch der Nachwelt erhalten worden,
daß die Mutterbäume in den Kloſtergärten einen ſicheren Verwahr fanden. Dabei
waren die Kloſterbrüder unermüdlich tätig, die Obſtkultur zu verbeſſern. Sie be—
gnügten ſich aber nicht allein mit den vorhandenen Sorten, ſondern verſuchten, ver—
beſſerten und vervollkommneten ſie. Es entſtanden neue Züchtungen, die geprüft und
wieder verbeſſert wurden. |
Während auf dieſe Weiſe die Mönche die Förderung und Hebung der Landes—
kultur und insbeſondere des Obſtbaus auf dem Lande ausübten, konnte es nicht aus—
bleiben, daß auch die Bewohner der Städte ſich den Vorteil und Nutzen des Obſt—
baus zu eigen machten und nun gleichfalls in ihren Gärten der Obſtkultur eine
Heimſtätte boten. Schon damals erfuhren die Stadtbewohner, welchen Genuß und
welche Erholung nach angeſtrengter geiſtiger Arbeit ein Spaziergang in einem mit
Obſtbäumen bepflanzten Garten bietet. So kann es denn nicht wundernehmen, daß
die ſtädtiſchen Gärten im Frühjahr im ſchönſten Blütenſchmuck prangten und im
Herbſt die Bäume mit den lachenden rotbäckigen Früchten zu weiterer Nachahmung
anregten.
Eine nicht zu leugnende Tatſache iſt es auch, daß von jeher begabte Fürſten,
Kaiſer und Könige dem Obſtbau das größte Intereſſe entgegenbrachten. In der
Geſchichte des Obſtbaus gebührt ihnen neben den Klöſtern ein ehrenvoller Platz, denn
nur mit dieſer kräftigen Hilfe konnte der Obſtbau ſich einbürgern und weiterentwickeln.
Kaiſer Karl der Große, der mit weitgehendem und ſicherem Scharfblick die gewaltigen
Vorteile und den erzieheriſchen Wert des Obſtbaus auf Land und Volk erkannte und
der beſondere darauf bezügliche Verordnungen herausgab, hat durch ſeinen Macht—
einfluß ungemein zur weiteren Verbreitung des Obſtbaus beigetragen. Er ließ aus
günſtig gelegenen Gebieten Apfel, Birnen und Kirſchen kommen, um ſie, je nach den
klimatiſchen Verhältniſſen, wieder in den einzelnen Teilen Deutſchlands anzupflanzen.
Er widmete ſich aber nicht allein dem Obſtbau; ſeine landesväterliche Fürſorge er—
ſtreckte ſich überhaupt auf alle Teile der Bodenkultur, und Landwirtſchaft ſowohl
wie Weinbau bekamen ſeine tatkräftige Unterſtützung zu fühlen. Nach ihm haben es
viele Fürſten gehalten wie er, und es konnte nicht ausbleiben, daß unter ihrem
Schirm und Schutz der Obſtbau in allen Teilen Deutſchlands ſich verbreitete und zu
Zur Geſchichte des Obſtbaus und feiner Kulturverfahren. 375
einer gewiſſen Blüte herangedieh, zumal der hohe Wert dieſer beſondern Art von
landwirtſchaftlicher Kultur immer mehr erkannt wurde. Im 16. Jahrhundert er—
ſchienen bereits Schriften, die umfangreiche Nachrichten über den Obſtbau in den
deutſchen Ländern bringen. Valerius Cordus berichtet in einem 1563 erſchienenen
Buch über den mitteldeutſchen Obſtbau, während Johann Bauhinus wertvolle An—
gaben über den Anbau in Württemberg, Baden, Elſaß macht.
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Sonnenschein und Unwetter im Dorfe. Holzſchnitt aus Petrarcas Troſtſpiegel.
Augsburg, Steyner, 1532.
Abb. 2.
Aber nicht allein, daß der Obſtbau durch Wort und Schrift gefördert wurde.
Nebenher wurden drakoniſche Beſtimmungen getroffen, um die Anpflanzung von Obſt—
bäumen durchzuſetzen. So ordnete der Große Kurfürſt an, daß bei jeder Eheſchließung
von dem jungen Ehepaar ſechs Obſtbäume gepflanzt werden mußten. Dieſem prak—
tiſchen Beiſpiel folgten andere Gebieter nach, und ſo ſehen wir überall einen lohnenden
Obſtbau entſtehen. Beſonders die württembergiſchen Herzöge nahmen ſich dieſes
Zweiges der Landwirtſchaft mit aller Energie und größtem Ernſt an. Mehrfach
376 1. Abſchnitt.
wird in Schriften auf die verſchönernden Obſtpflanzungen Schwabens hingewieſen,
und auch heute ſehen wir den Obſtbau Württembergs mit an der Spitze marſchieren.
Herzog Eberhard im Bart, Herzog Chriſtoph und König Wilhelm J. werden wegen
ihrer Verdienſte um den Obſtbau beim württembergiſchen Volk ſtets im beſten An—
denken ſein.
Zur Zeit Friedrichs des Großen tritt neben der Hochſtammzucht die Spalier—
zucht neu in Erſcheinung. Wer ſie erfunden hat und woher dieſe Art der Baum—
zucht ſtammt, läßt ſich nicht genau angeben. Ihre Anfänge dürften etwa 300 Jahre
zurückliegen; die weitere Entwicklung vollzog ſich faſt ausſchließlich in Frankreich.
Die erſte Mitteilung gibt J. Boyceau im Jahre 1638. Von Frankreich verbreitete
ſich die Spalierzucht nach Belgien, fand dort viele Anhänger und Freunde, und bald
ſehen wir die Obſtkultur des kleinen Gartens überall in Belgien eingeführt. Die
vielen dort mit Spalier bepflanzten Häuſerwände liefern den Beweis, daß hier die
Kultur der Formbaumzucht feſten und ſicheren Boden gefaßt hat. Nächſt Belgien
entwickelte ſich auch in Luxemburg und in Lothringen die Spalierzucht bei günſtigen
Verhältniſſen in kurzer Zeit.
In Deutſchland gelang ihre Einführung nicht ſo leicht, da dieſe Art der
Obſtzucht höhere Anſprüche an Klima und Lage ſtellt. Infolge des Vorgehens der
deutſchen Fürſten fand aber auch ſie mehr und mehr Freunde. Es war ja gerade
jene denkwürdige Zeit angebrochen, in der alles, was franzöſiſch war, als gut und
nachahmenswert galt. Faſt jeder Fürſt wollte einen Park nach Verſailler Vorbild
haben, und dazu gehörten auch Spaliermauern und Spalierbäumchen. Da die rich—
tigen Kenntniſſe für die Behandlung dieſer Bäume fehlten, wurden Gärtner aus
Frankreich herangezogen oder deutſche Gärtner nach Frankreich geſchickt, um die neue
Methode der Obſtzucht kennen zu lernen. Viele der damaligen Anlagen mißglückten
vollſtändig, denn man ahmte nur nach, ohne ſich den Verhältniſſen anzupaſſen. Mit
der Zeit erſt fand dieſe Kultur paſſende Verhältniſſe und breitete ſich dann mehr
und mehr aus. Muſteranlagen wurden geſchaffen, königliche Gärten gaben Vorbilder,
die nun mit beſſerem Erfolg nachgeahmt wurden. Einen gewaltigen Anſtoß erhielt die
Spalierzucht endlich durch den deutſch-franzöſiſchen Krieg 1870/71. Viele der deutſchen
Soldaten ſahen in Frankreich dieſe blühende und lohnende Obſtbauform, nahmen ſie
nach der Rückkehr in ihr Heimatland auf und pflegten ſie weiter.
In neuerer Zeit wird der Förderung des Obſtbaus allerſeits das größte Intereſſe
entgegengebracht. Kaiſer Wilhelm J. ließ ſchon als Prinz die Umgebung ſeines Schloſſes
Babelsberg in eine Obſtanlage verwandeln, und die Regierung Kaiſer Wilhelms II.
hat ſich um die Förderung der Landwirtſchaft und des Obſtbaus große Verdienſte
erworben. Durch ſtaatliche Fürſorge wurden in allen Ländern und Provinzen Muſter—
anlagen geſchaffen, Lehranſtalten, Gartenbauſchulen, Muſterobſtgärten gegründet, um
die Lehre vom Obſtbau in allen Kreiſen der Bevölkerung zu verbreiten. Mit ſtaat—
licher Unterſtützung wurden Baumſchulen ins Leben gerufen, um der Bevölkerung die
Möglichkeit zu bieten, die Anpflanzung von Obſtbäumen durch Beſchaffung guter und
billiger Bäume in weitgehendem Maße zu ermöglichen. So ſehen wir denn in allen
Teilen unſeres deutſchen Heimatlandes Obſtbaumwälder und ⸗alleen entſtehen, die ein
beredtes Zeugnis für eine hochentwickelte Obſtkultur abgeben.
Zur Geſchichte des Obſtbaus und ſeiner Kulturverfahren. 977
Man hat ſich jedoch nicht damit begnügt, einfach Obſtbäume zu pflanzen, ſondern
fing den Obſtbau auch wiſſenſchaftlich zu betreiben an. Wiſſenſchaftliche Forſchungen
über das Leben des Obſtbaums, praktiſche und ſachgemäße Verſuche über ſeine Behand—
lung, Schriften und Lehren über Obſtbau, erweiterte Sortenkunde, Gründung von
zahlreichen Obſt- und Gartenbauvereinen, Veranſtaltungen von Obſtausſtellungen,
Errichtung von verſchiedenartigen Lehrkurſen über Obſtbau, Obſtbehandlung und
Obſtverwertung, Gründung von pomologiſchen Lehranſtalten, von Obſtverwertungs—
ſtationen uſw. kennzeichnen die Entwicklung des heimiſchen Oſtbaus bis in die neuere
Zeit hinein, Namen verdienter Männer wie Chriſt, Diel, Oberdieck, Lucas, Lauche,
Abb. 3. Obſt⸗ und Weinernte. Kpfr. von Schleuen nach D. Chodowiecki (1726-182).
Nürnberg, Germaniſches Muſeum.
Stoll, Koch, Goethe, Gaucher werden im Gedächtnis fortleben und ihre Verdienſte
um den deutſchen Obſtbau werden nie vergeſſen werden.
In den letzten Jahren hat der deutſche Obſtbau aber doch mannigfaltige Ver—
änderungen erfahren. In früheren Zeiten beſchränkte er ſich in erſter Linie auf den
Hausgarten; in den Dörfern wurden die einzelnen Beſitzungen — die Gehöfte —
mit Obſtbäumen umpflanzt; ſo ſehen wir heute noch die meiſten Ortſchaften von
einem Wald von Obſtbäumen umgeben. Auf Auswahl der Sorten, Verwendungs—
zweck 2c. wurde wenig Wert gelegt, denn die Erträge wurden meiſtens im eigenen
Haushalt verwendet und Überſchüſſe in der nächſten Stadt zum Markt gebracht.
Die Verkehrswege waren noch nicht ſo ausgebaut, Einfuhr ausländiſchen Obſtes war
mehr oder weniger unbekannt, Konkurrenz kaum wahrnehmbar. Nur zu natürlich
war es, daß man den einzelnen wirtſchaftlichen Fragen des Obſtbaus keine große
378 1. Abſchnitt.
Beachtung ſchenkte und daß es in der Anpflanzung der verſchiedenen Sorten (in der
damaligen Zeit) überhaupt keine Grenze gab.
Die neuere Zeit ſtellte andere Anſprüche. Die Obſtbäume werden nicht allein
zur Liebhaberei angepflanzt, ſondern ſollen auch Einnahmen bringen. Die Anſprüche
an die Sorten, an die Verwendungsfähigkeit des Obſtes treten in den Vordergrund.
Der Erwerbsobſtbau muß unbedingt mit einer gewiſſen Einheitlichkeit durchgeführt
werden, wenn er nicht unlohnend werden ſoll. So ſehen wir den Obſtbau ſich in
den letzten zehn Jahren nach ganz anderen Grundſätzen entwickeln und ausbreiten.
Der Liebhaberobſtbau muß dem Erwerbsobſtbau das Feld räumen. Es entſtehen
große Pflanzungen, in Anlageart, Sortenwahl, Pflege und Behandlung einheitlich
durchgeführt, die zeigen, in welcher Richtung ſich der moderne Obſtbau ausbreiten muß.
2. Abſchnitt.
Der moderne Obſtbau.
Jahrhunderte hat der deutſche Obſtbau bedurft, um ſich zu der achtunggebietenden
Stellung aufzuringen, die er heute einnimmt.
Die Entwicklung iſt nicht eine ſich ſtets gleichbleibende geweſen, ſondern hat ſich
wie die Welle eines Sees auf- und abwärts bewegt. Nach Zeiten hoher Entwicklung
und Blüte kamen Perioden, in denen der Obſtbau vernachläſſigt und ihm nicht die
Beachtung geſchenkt wurde, die ihm auf Grund ſeiner wirtſchaftlichen Bedeutung
zukam. Dieſe Zeiten dürften heute überwunden ſein. Der Obſtbau geht dank ſeiner
zielbewußten Leitung in allen Teilen Deutſchlands ſeiner höchſten Entwicklungsſtufe
entgegen. Die Eigenbrödelei, die dem Deutſchen von Natur aus eigen iſt, hört beim
Obſtbau auf. Für den landwirtſchaftlichen Obſtbau, dem Erwerbsobſtbau, gibt es
nur ein Ziel, und dieſes heißt: den deutſchen Markt, der heute noch für 90 bis
100 Millionen Mark Obſt aus dem Auslande aufnimmt, möglichſt mit deutſchem
Obſt zu verſorgen.
Ob dieſes Ziel erreicht werden kann? Vorderhand läßt ſich nur ſagen, daß
in der Landwirtſchaft der Obſtbau leider noch immer nicht die Stelle einnimmt, die
ihm auf Grund ſeines hohen wirtſchaftlichen Wertes gebührt.
Zum richtigen Verſtändnis dieſer Tatſache und zur beſſeren Aufklärung müſſen
die Urſachen feſtgeſtellt werden, die unter der ländlichen Bevölkerung ein gewiſſes
ungünſtiges Vorurteil gegen den Obſtbau erzeugt haben.
Eine der Urſachen liegt ohne Zweifel darin, daß der Landwirt bisher den Wert
des Obſtbaus nicht genügend kennen gelernt hat. Meiſtens konnte nur für den Bedarf
des eigenen Haushaltes Sorge getragen werden, da dem Abſatz nach auswärts oft
Hinderniſſe entgegenſtanden, die den Verkauf wenig lohnend geſtalteten. Heute ſind
die Verkehrswege gebeſſert, der Abſatz entwickelt ſich auf geſunden wirtſchaftlichen
Bahnen, die ökonomiſchen Bedenken ſind alſo ſo gut wie aus dem Wege geräumt.
Dagegen iſt man vielfach noch wenig vertraut mit den Anſprüchen, die die einzelnen
Obſtarten an Boden, Lage und Klima ſtellen. Obgleich, wie wir ſehen, ſeit Jahr—
tauſenden Obſtbäume gepflanzt und gepflegt werden, begeht man heute noch mit
regelmäßiger Sicherheit die elementarſten Fehler. Der Obſtbaum wird zu ſehr als
Waldbaum und nicht als Kulturpflanze behandelt. Seit Jahrzehnten und ſelbſt
ſeit Jahrhunderten werden in manchen Gebieten und Dörfern immer dieſelben
380 2. Abſchnitt.
Ländereien für Obſtkultur benutzt. Boden, der durch die lange Obſtkultur baummüde
geworden iſt, wird wieder mit Obſtbäumen bepflanzt, die wachſen und Früchte tragen
ſollen. Es iſt allerdings ein erſtrebenswertes Ziel und kann vom Standpunkt der
Verſchönerung nur gutgeheißen werden, wenn Gehöfte und Häuſer im Kranz grüner
Obſtbäume verſchwinden, wenn jedes Dorf oder jede Gemeinde von einem Wald
blühender und Früchte tragender Bäume umgeben iſt. Wie freundlich und traulich
nimmt ſich ein kleines Häuschen aus, deſſen Wände mit Formobſtbäumen bekleidet
ſind und um deſſen Fenſter ſich die Rebe windet, während im Garten die ſchön—
geformten und ſauber gepflegten Obſtbäume mit ihrem Blütenſchmuck oder mit ihren
lachenden rotbäckigen Früchten zum Verweilen einladen. Aber wirtſchaftlich iſt
ununterbrochene Obſtkultur auf dem nämlichen Boden verfehlt, und nur aus
Unvertrautheit mit den Grundbedingungen, die eine geſunde Entwicklung des Obſtbaus
erfüllt ſehen will, wird ſo verfahren.
Auch durch den Brauch, Ländereien, die für andere Kulturen unbrauchbar
waren, für den Obſtbau als noch gut genug heranzuziehen, wird, bei aller Abſicht
zu fördern und zu helfen, manche Hoffnung und ſaure Arbeit ſchwer enttäuſcht und
viel Unmut geſchaffen. Kein Wunder, daß unter dieſen Umſtänden das Werk vielfach
mißlingt. Daneben fehlt es an der erforderlichen Kenntnis der Anſprüche der einzelnen
Sorten und Arten. Es genügt nicht, bloß anzupflanzen, ſondern es muß auch beurteilt
werden können, ob die betreffenden Bäume an der betreffenden Stelle fortkommen
werden und ihr Ertrag die Mühe bezahlt macht, oder ob eine andere Sorte unter
den gegebenen Bedingungen nutzvoller iſt.
Auch die Anordnung der Obſtbäume und die Gliederung der Anlage geſchieht
vielfach zu einſeitig. Sowohl Landwirte, wie Stadtbewohner denken ſich unter Obſt—
pflanzungen eine oder viele ſchnurgerade Reihen von Bäumen, ohne Abwechſlung und
Unterbrechung über das Feld verteilt. Und doch, wie ganz anders laſſen ſich Obſt—
plantagen in Wirklichkeit ſchaffen! Im allgemeinen wird es allerdings vorteilhaft
ſein, ſolche Pflanzungen regelmäßig durchzuführen, damit ſich die Bearbeitung
einfach und leicht geſtaltet. Eine gewiſſe Regelmäßigkeit wird auch dadurch bedingt,
daß alle Bäume zu ihrer geſunden Entwicklung einen entſprechenden Raum benötigen.
Sollen für die Bodenbearbeitung, das Lockern des Erdreichs uſw. Maſchinen benützt
werden, ſo muß unbedingt berückſichtigt werden, daß dieſe nur in lohnender Weiſe
anwendbar ſind, wenn die Möglichkeit zur Bewegung auf langen Flächen gegeben iſt.
Mit etwas Geſchick und Verſtändnis laſſen ſich jedoch für ſolche Anlagen die langen
Linien etwas unterbrechen, wodurch genügend Abwechſlung erzielt werden kann. Auch
die Wegführung kann oft in beſter Weiſe benützt werden, um hier helfend einzugreifen.
Wird die Obſtpflanzung von Wald begrenzt, ſo bietet ſich die denkbar beſte
Gelegenheit, beides miteinander zu verbinden. Dem Obſtgärtner iſt die Möglichkeit
gegeben, ſeine Anlage ſo zu ſchaffen, daß allmählich die Obſtanlage in den Forſt
übergeht. Schon der Obſtpflanzung muß ein waldartiger Charakter gegeben werden.
Für dieſen Zweck werden zunächſt diejenigen Obſtarten und Fruchtgehölze ausgewählt,
bei denen es weniger auf regelmäßige Anordnung und große Kronweite ankommt.
Solche Arten ſtehen in großer Menge zur Verfügung, z. B. Haſelnüſſe, Quitten,
Miſpeln, Brombeeren, Zieräpfel uſw. Bei entſprechender Pflege und ſachgemäßer
Der moderne Obſtbau. 381
Behandlung werden dieſe Fruchtgehölze in freier, ungezwungener Verwendung gute
Erträge liefern.
Fehlt an der Grenze eine Waldpflanzung, ſo empfiehlt es ſich, eine ſolche zu
ſchaffen, weil ſie nebenher als Schutzpflanzung gegen rauhe, ſtarke Winde unſchätzbare
Dienſte leiſten kann. Schon zur Herrichtung dieſer Schutzanlage können die verſchieden—
artigen Fruchtgehölze mit beſtem Erfolge Verwendung finden, und es wird leichter
ein Übergang zur eigentlichen Obſtfarm ermöglicht. Immer muß natürlich im Auge
behalten werden, daß eine Obſtanlage in erſter Linie Ernten und Erträge bringen
ſoll: darum muß die Anlage derart durchgeführt werden, daß die Bearbeitung des
Bodens, die Pflege der Bäume ungeſtört vor ſich gehen kann. Iſt dieſes nach jeder
Richtung hin geſchehen, ſo hat auch die Verſchönerungsidee das Wort.
Der heutige Obſtbau hat eine ganz andere Richtung angenommen als der
Obſtbau vor 20 bis 30 Jahren. Werfen wir einen Blick in die damalige Zeit, fo
ſteht der Liebhaberobſtbau in höchſter Blüte. Die Anpflanzung aller möglichen
Arten und Sorten wurde in weiteſtgehendem Maße durchgeführt, weil es dem Liebhaber
weniger darauf ankam, Einnahmen zu erzielen, als an den verſchiedenen Früchten
und den verſchiedenen Baumformen ſeine Freude zu haben. Wirtſchaftlich war das
nicht. Trotzdem hat ſich der Liebhaberobſtbau für die weitere Entwicklung und Förderung
der Obſtkultur bedeutende Verdienſte erworben. Erſt durch ihn hat die Obſtkultur in
allen Kreiſen Eingang gefunden.
Aus dem Liebhaberobſtbau entwickelte ſich mit den Jahren der Erwerbs—
obſtbau, d. h. jene Form des modernen Obſtbaus, die bei geringſten Unkoſten die
höchſtmöglichen Erträge zu erzielen ſucht. Dies iſt nicht ſo zu verſtehen, als ob bei
den einzelnen Arbeiten — der Pflanzung, Pflege, Düngung ꝛc. — geſpart werden
ſolle, ſondern es ſoll verſucht werden, durch geeignete Behandlung die erforderlichen
Unkoſten auf ein Mindeſtmaß zu beſchränken. Durch gleichmäßige Anpflanzung, ſorg—
fältige Auswahl der geeigneten Sorten, durch Pflanzung in langen Linien, durch
Einrichtung von ſonſtigen Erleichterungen, Anlegen von Feldbahnen uſw. müſſen die
Koſten verringert werden. Der moderne Großobſtbau ſucht eben nach jeder Richtung
hin zu vereinfachen. Was ſonſt mit Menſchenkraft und Menſchenhand geleiſtet worden
iſt, wird heute, wenn irgend möglich, durch Pferdearbeit oder Maſchinenkraft erſetzt.
Deutſchland mit ſeiner ſtetig zunehmenden Bevölkerung und ſeinem Wohlſtand wird
auch in Zukunft große Mengen Obſt gebrauchen und wird den Bedarf um ſo leichter
decken können, je rationeller es den zur Verfügung ſtehenden Boden bebaut.
Wie ſoll eine moderne Obſtanlage beſchaffen ſein?
Um einen Einblick in eine moderne Anlage zu erhalten, möchte ich den Leſer
bitten, mit mir eine Muſterplantage zu beſuchen. Auf dem gemeinſamen Spaziergang
iſt Gelegenheit gegeben, alle Einzelheiten genügend zu prüfen und zu beſprechen.
Die beſagte Anlage ſoll eine Größe von 100 ha (400 Morgen) haben. Der
Boden iſt im allgemeinen von nährſtoffreicher, guter und lockerer Beſchaffenheit. Zum
Teil iſt das Gelände hügelig und ſanft nach einem Flußtal neigend. Die Pflanzung
iſt nur für den Erwerb angelegt. Arbeitskräfte ſind nur ſchwer und mit hohen
382 2. Abſchnitt.
Koſten zu erhalten. Es muß daher die Handarbeit jo viel als irgend möglich durch
Pferde-, Eſel- oder Maſchinenarbeit erſetzt werden.
Die nach Norden anſteigenden Hügel ſind am Rücken dicht mit Wald beſtockt.
Hierdurch wird ein natürlicher Schutz gegeben, der der Pflanzung, beſonders den
empfindlichen Arten und Sorten, ſehr zugute kommt. Nach Weſten zu liegen die
Grundſtücke offen, ſo daß dem Weſtwind keine Wehr entgegenſteht und er frei
eindringen kann. Eine Schutzpflanzung an dieſer Stelle iſt daher unumgänglich
notwendig, denn mit ihrer Hilfe werden die heftigen Winde abgehalten und unter
Umſtänden wird ſogar eine geringe Erhöhung der Temperatur im geſchützten Teile
erzielt. Als Schutzdamm genügt die Anpflanzung einer Pappelreihe, die durch zwei
Reihen Rottannen und Roterlen verſtärkt wird. Auch andere Gewächſe laſſen ſich
verwenden, doch ſind nur ſolche anzupflanzen, die ſeitlich und in der Höhe leicht im
Schnitt gehalten werden können. Die Schutzpflanzung kann immerhin ausgenützt
werden, indem in der Richtung von außen nach innen der Boden mit Haſelnüſſen,
Quitten, Miſpeln, Zieräpfeln, Brombeeren u. dergl. beſtockt wird. Dieſe Fruchtgehölze
entwickeln ſich in der Schutzpflanzung ganz vorzüglich, doch darf nicht außer acht
gelaſſen werden, daß ſie einer entſprechenden Pflege bedürfen. Sie verlangen ſowohl
regelmäßigen Schnitt, wie entſprechende Bodenbehandlung und Düngung. Beſonderes
Augenmerk iſt darauf zu richten, daß die in der Nachbarſchaft angepflanzten Forſt—
gehölze nicht durch zu mächtigen Wuchs dieſe feineren und empfindlicheren Gehölze
erdrücken und in der Entwicklung aufhalten.
Zwiſchen der im Norden angrenzenden Waldpflanzung und der im Weſten
angelegten Schutzpflanzung breitet ſich die nach modernen Grundſätzen geſchaffene
Obſtanlage aus.
Es iſt Sorge getragen, daß neben der Erzeugung großer Mengen von Marktobſt
die Kultur des feinen und feinſten Tafelobſtes einen hervorragenden Platz einnimmt.
Boden, Lage und Klima ſind in denkbar beſter Weiſe hierfür geeignet und müſſen
dafür ausgenützt werden.
Der Schwerpunkt liegt allerdings in der Erzeugung großer Mengen Markt—
obſtes. Hierfür ſind Hoch- und Halbſtammanlagen vorgeſehen, während für
die Gewinnung des feinen Tafelobſtes und der Kabinettware umfangreiche Buſch—
und Formobſtanpflanzungen dienen. Durch geeignete Sortenwahl und entſprechende
Aufbewahrungsräume wird erreicht, daß faſt das ganze Jahr friſches Obſt zum Verkauf
zur Verfügung ſteht.
Die Garten- und Parkanlagen, die die Wohngebäude umgeben und eine
Erweiterung des Wohnhauſes darſtellen, ſind in erſter Linie für die Erholung
beſtimmt. Sie werden im allgemeinen mit Zierſträuchern und Ziergehölzen
bepflanzt, können aber ebenſogut mit Fruchtgehölzen und Obſtbäumen angelegt
werden. Denn auch Fruchtgehölze liefern dem Landſchaftsgärtner hinreichendes Material.
Mehr und mehr werden daher neuerdings obſttragende Gehölze zur Bepflanzung von
Zier- und Gartenanlagen verwendet. Es laſſen ſich mit ihnen bei richtiger Aus—
wahl auch ganz eigenartige und dabei überraſchende Wirkungen erzielen, da ſie ſich
ſowohl zu Solitär- wie auch zu Gruppenpflanzungen gleich gut eignen. Ein Buſch—
baum, z. B. eine ſchönblühende Kirſche, läßt ſich überall zur Ausſchmückung anbringen
Der moderne Obſtbau. 383
und wirkt auf den Beſchauer bei künſtleriſcher Verwendung ganz eigenartig. Im
Frühjahr das junge, friſchgrüne Laub und die reiche Blütenzier, im Sommer und
Herbſt die dunkelroten leuchtenden Früchte: das iſt ein Schmuck, wie ihn faſt keine
andere Nutzpflanze aufweiſen kann. In vornehmer Weiſe können ferner Pyramiden
von Birnen als Solitärpflanzen auf Raſenflächen Verwendung finden. Bei einer
regelmäßigen und ſachgemäß gezogenen Pyramide wird die äußere Form ſchon im—
ponierend wirken,
während im Herbſt
die mit Früchten
beladenen Bäum-
chen wahre Schmuck—
ſtücke darſtellen.
Aber nicht allein,
daß die Obſtgehölze
durch ihre Blüten-
pracht und ihren
Fruchtreichtum her—
vortreten; auch durch
ihren Blätter-
ſchmuck können
großartige Farben—
effekte erzielt werden.
Rotblätterige Haſel⸗
nüſſe, purpurblätte⸗
rige Pfirſiche können
in harmoniſcher
Weiſe die abwechs⸗
lungsreichſten Bil⸗
der ſchaffen. Mit
den verſchiedenen
Frucht⸗ und Zier⸗
ſträuchern, wie
Kirſchäpfel, Zier⸗
äpfel und Hage- Abb. 4. Buſchbaum einer Schattenmorelle in Blüte, die ſich ebenſogut auch in
2 2 Garten- und Parkanlagen verwenden läßt. Die Blüten wie die Früchte machen
butten, laſſen ſich ihn zu einem ſchönen Zierſtrauch. (Nach einer Photographie.)
die wundervollſten
Garten⸗ und Parkanlagen ſchaffen. Dabei wird nebenbei das Nützliche mit dem
Schönen verbunden.
Eine Garten- oder Parkanlage, aus Obſtgehölzen und Fruchtſträuchern in Ver—
bindung mit gewöhnlichen Gehölzen geſchaffen, bietet einen geeigneten Übergang zu
der eigentlichen Obſtanlage, die in regelmäßiger Form gehalten iſt, ebenſo wie
die Waldpflanzung an der Grenze oder die beſonders angelegte Schutzpflanzung
den Übergang zur Obſtplantage bilden muß. Sollen in der Hauptplantage keine
Mißerfolge eintreten, jo muß jede einzelne Obſtart und -ſorte einen Standort zugewieſen
384 2. Abſchnitt.
erhalten, der ihren Anſprüchen am beſten entſpricht. Jeder Mißgriff kann die
ſchlimmſten Nachteile im Gefolge haben, und die Anlage vollſtändig unlohnend machen.
Daher iſt vor Anfertigung des Entwurfs zu einer Obſtanlage eine genaue und
eingehende Unterſuchung des Bodens vonnöten. Es genügt hierbei jedoch
nicht, nur die Beſchaffenheit der oberen Kulturſchichten feſtzuſtellen, ſondern es muß
auch der Untergrund auf ſeine Mächtigkeit und Zuſammenſetzung erforſcht werden.
Bei leichten und lockeren Bodenarten kann dieſe Unterſuchung ſchon mit einem
Erdbohrer vorgenommen werden, während ein ſolcher im ſteinigen Gebirgsboden ver—
ſagt. Nur durch Auswerfen genügend großer Löcher, die mit der Grabſchaufel erſtellt
werden, kann man ſich im letztgenannten Fall über die Beſchaffenheit des Bodens
genügend unterrichten.
Nach der Unterſuchung des Bodens wird die Frage zu löſen ſein, ob etwa eine
künſtliche Bewäſſerung oder im Gegenteil eine Entwäſſerung am Platze
ſei. Hat ſich das eine oder das andere als notwendig erwieſen, ſo müſſen rechtzeitig
die entſprechenden Vorkehrungen getroffen werden.
Der nach Norden anſteigende Hügel unſerer Muſterpflanzung bietet das
geeignetſte Feld für die hochſtämmigen Apfel- und Birnbäume. An der Grenze
des Waldes finden die wenig anſpruchsvollen, widerſtandsfähigen und derben Moſt—
äpfel und Moſtbirnen ihren Platz. Sie geben gleichzeitig den dahinterſtehenden,
empfindlicheren Obſtſorten Schutz. ;
Führt der Hügelboden Verwitterungsprodukte, iſt er kräftig und nährſtoffreich,
ſo bietet er einen ſehr geeigneten Standort für Kirſchbäume, die hier in großer
Menge zur Anpflanzung kommen können. Kirſchanpflanzungen ſind im allgemeinen
bei günſtigen Bodenverhältniſſen außerordentlich lohnend, jedoch nur bei raſcher Abſatz—
möglichkeit für die Früchte, da ſie ſich nicht über längere Zeit aufbewahren laſſen.
In der Nähe großer Städte wird der Abſatz leicht ſein und große Nachfrage nach
dieſer beliebten Frucht herrſchen. Weite Transportwege werden die Rentabilität ſehr
beeinfluſſen. Immerhin zeichnet ſich der Kirſchbaum vor mancher anderen Fruchtart
durch regelmäßige und gute Erträge aus.
Zur Erzeugung großer Mengen von Kernobſt in beſſerer und mittlerer Qualität
kommen zunächſt Hochſtämme in Betracht. Sie liefern Maſſenernten und erfordern
verhältnismäßig wenig Arbeit. Einige Jahre Schnitt, gute Bodenbearbeitung, Düngung,
Bekämpfung der Krankheiten und Schädlinge, das ſind die Aufgaben, die erfüllt
werden müſſen, um in einigen Jahren größere Erträge zu ernten.
Die Anpflanzung dieſer Bäume iſt derartig vorzunehmen, daß noch eine leichte
Verbindung mit dem Walde oder der Schutzpflanzung beſteht. Auf der anderen
Seite muß ein Übergang zu den feinen Obſtkulturen geſchaffen werden. Durch die
Hochſtammanlage werden leichtgewundene Wege geführt, damit das Regelmäßige der
Obſtanlage nicht zu ſehr hervortritt. Auf dieſe Weiſe können trotz Verwendung dieſer
gleichmäßigen Pflanzungsart ganz abwechflungsreiche Bilder zuſtande gebracht und,
ohne die leichte Bearbeitung und Behandlung zu behindern, höchſt gefällige und
anmutige Obſtgartenanlagen hervorgezaubert werden.
Die Unterkulturen der Hochſtammpflanzung ſind rein landwirtſchaftlich
gehalten. Es wird in ſtetem Wechſel Getreide und Hackfrucht gebaut. Die für die
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Der moderne Obſtbau. 385
landwirtſchaftlichen Fruchtarten erforderlichen Bodenbearbeitungen genügen auch für
die Hochſtämme. Die Düngung kann für die Obſtbäume etwas ſtärker ſein.
Hinter der Hochſtammanlage und unter ihrem Schutz ſehen wir dann die An—
pflanzung der Halbſtämme ſich kräftig und üppig entwickeln. Halbſtämme bieten
Vorteile, die in einer modernen Obſtanlage unbedingt berückſichtigt werden müſſen.
Die Hauptvorzüge ſind: 5 Bern: | 8
frühere Fruchtbarkeit, NA |
leichtere Ernte, Pflege 5
und Behandlung, beſſe—
res Geſchütztſein vor
ſchlimmer Witterung,
Winden und Stürmen.
Die Kultur wird
jetzt intenſiver. Während
der Außenbezirk nur eine
reine Feldobſtpflanzung
mit landwirtſchaftlicher
Unterkultur aufweiſt,
wird die Halbſtamm—
kultur bereits mit ver-
ſchiedenen Unter- und
Zwiſchenkulturen loh—
nender geſtaltet. Wäh—
rend bei der Hochſtamm—
pflanzung jede Obſtart
am vorteilhafteſten ge—
trennt und für ſich ge—
pflanzt wird, um Be—
handlung und Pflege zu
vereinfachen, werden als
Halbſtämme verſchie—
dene Obſtarten und
Sorten ausgewählt. So
wird erreicht, daß in
ungünſtigen Jahren von
jeder Parzelle wenigſtens Abb. 5. Birnbuſchbaum der Sorte „Diels Butterbirne“ auf Quitten⸗Unterlage.
eine Fruchtart ſicher (Nach einer Photographie.)
eine Ernte und ausreichende Erträge liefert. Als Zwiſchenpflanzung und Unter—
kultur kommen Johannis-, Stachel- und Himbeeren zur Verwendung. Dieſe müſſen
derart verteilt ſein, daß der Gebrauch von Spanngeräten noch möglich iſt, um die
Handarbeit nach Möglichkeit zu ſparen.
Die Halbſtämme von Kernobſtbäumen erhalten eine Entfernung von je 10 m,
Steinobjtbäume von 5 m, dazwiſchen kommen Reihen von Beerenobſt. Bei dieſer
Schulz, Obſtbau. 25
386 2. Abſchnitt.
Anordnung wird die ganze Bodenfläche ausgenützt und die Bearbeitung und Offen—
haltung des Bodens kommt allen Obſtarten gleichmäßig zugute.
Der innere Bezirk bleibt den Buſch- und Zwergobſtpflanzungen vor—
behalten. Hier ſoll das feine und feinſte Tafelobſt gezüchtet werden. Das Buſch—
wie auch das Zwergobſt ſtellen an Lage, Boden und Klima die höchſten Anſprüche.
Pflege und Boden⸗
behandlung muß inten⸗
ſiv durchgeführt werden,
denn nur dann ſind be—
friedigende Erträge und
gut ausgebildete Früchte
zu erwarten.
Der Buſchobſt—
bau hat erſt in den
letzten Jahren eine grö—
ßere Verbreitung und
mehr Liebhaber gefun⸗
den, iſt aber ſehr dank⸗
bar. Denn die Buſch⸗
obſtform ermöglicht es,
in einer modernen Obſt⸗
anlage in verhältnis
mäßig kurzer Zeit große
Mengen feinſten Tafel-
obſtes zu erzielen. Der
frei nach der Natur ge-
wachſene Buſchobſtbaum
war allerdings bei den
ſtrengen Formobſtzüch—
tern anfangs wenig be—
liebt und fand nur eine
ſchlechte Aufnahme. Man
hatte ſich ſchon derart an
regelmäßige Formen und
Jſtrengen Schnitt ge⸗
Abb. 6. Dreijähriger Apfelbuſchbaum auf Paradies-Unterlage der Sorte wöhnt, daß die Meinung
„Lord Grosvenor.“ (Nach einer Photographie.) vorherrſchte, nur regel⸗
; mäßig gezogene Bäume
könnten befriedigende Ernten liefern. Aber gerade das Gegenteil hat ſich bewahr—
heitet: bei Auswahl entſprechender Sorten und ſachgemäßer Behandlung liefert der
freigewachſene Buſchbaum die ſchönſten Früchte und größten Erträge.
Vielfach beſteht noch Unklarheit darüber, was ein „Buſchbaum“ ſei. Zur
Erklärung mag geſagt ſein, daß er ein Zwergbaum mit einem Stamm von 40 bis
50 em Höhe iſt, bei dem die Aſte nicht regelmäßig und in gleichen Abſtänden gezogen
Der moderne Obſtbau. 387
werden, ſondern ſich entſprechend der Natur der Sorten entwickeln. Schnitt wird in
beſchränktem Maße nur zur Bildung eines kräftigen Aſt- und Kronengerüſtes und
zum Auslichten angewandt; ein Schnitt des Fruchtholzes iſt dagegen nicht erforderlich
und unterbleibt am beſten ganz. Da die Buſchbäume auf anſpruchsvollen Zwerg—
unterlagen veredelt ſind, ſo erfordert die Bodenbehandlung erhöhte Aufmerkſamkeit.
Regelmäßige Lockerung und intenſive Düngung des Erdreichs müſſen dazu beitragen,
die Buſchbäume dauernd in gutem Wachstum zu erhalten. Gut ernährte Bäume
verſprechen auch gute Erträge.
Die Buſchobſtanlagen werden gleichzeitig noch Unterkulturen zugänglich
gemacht. Die für letztere angewendete Arbeit der Bodenlockerung und Düngung
kommt ebenfalls den Buſchbäumen zugute, ſo daß höhere Ernten und Einnahmen
nicht ausbleiben. |
Die Wahl der Unterkultur wird ſich in erſter Linie nach dem Abſatzgebiet richten.
In der Nähe einer Großſtadt erfordert die Beantwortung dieſer Frage keine große
Schwierigkeit, da faſt alle Gemüſe- und Fruchtarten dort Verwendung finden können.
Lohnende Gemüſearten zur Unterkultur ſind: Weißkraut, Rotkraut, Wirſing, Sellerie,
Frühkartoffeln, Bohnen uſw. Daneben iſt die Anpflanzung von Erdbeeren vorteilhaft,
weil bei ihnen nicht jedes Jahr eine Neuanlage notwendig iſt. Andrerſeits ſpielt bei
Erdbeeren die Abſatzfrage eine ſehr große Rolle. Ihre Aufbewahrungszeit iſt nur
ſehr knapp bemeſſen und der Verſand auf größere Entfernungen ſehr beſchwerlich.
Bietet ſich in der nächſten Großſtadt nicht genügender Abſatz, ſo muß darauf gerechnet
werden, daß der Überſchuß von Konſervenfabriken oder Obſtweinkeltereien abgenommen
wird. Natürlich iſt zu berückſichtigen, daß beim Friſchverkauf die höchſten Preiſe
erzielt werden, während die Fabriken nur ſehr niedrige Preiſe anlegen. Trotzdem iſt
nicht zu verkennen, daß die Erdbeerkultur bei richtiger Durchführung als Unterkultur
äußerſt hohe Erträge abwirft.
Eine der wichtigſten Fragen der Rentabilität, mag es ſich nun um Hoch- oder
Halbſtämme, Buſch⸗ oder Formobſtbäume handeln, iſt die richtige Auswahl der
Obſtarten. Fehler, die hierbei begangen werden, laſſen ſich nicht jo leicht wieder
gut machen. Sind einmal falſche und ungeeignete Sorten angepflanzt worden, ſo
bleibt nur Umpfropfung der ganzen Anlage als Mittel zu baldiger Beſſerung übrig.
Freilich heißt es auch dabei: den Beutel auf!
Aber nicht allein die Anſprüche der einzelnen Obſtarten ſind zu berückſichtigen,
es müſſen unbedingt auch die Anſprüche des Obſthandels genau erwogen werden.
Es iſt natürlich ſehr unlohnend, Arten anzubauen, die nachher nur ſchwer oder gar
nicht vom Obſthandel aufgenommen werden.
Im allgemeinen iſt der Anbau von Apfeln zu bevorzugen, da augenblicklich
der Bedarf in Deutſchland noch lange nicht gedeckt werden kann. Außerdem laſſen
ſich Apfel bei großen Angeboten leicht und ohne große Koſten längere Zeit auf—
bewahren, um ſpäter, wenn ſich die Preiſe erholt haben, auf den Markt gebracht zu
werden. Die ſpäten Winterſorten ſind am widerſtandsfähigſten und erzielen die
höchſten Preiſe. Frühſorten dürfen nur in beſchränktem Maße angepflanzt werden,
da ſie ein längeres Hängenlaſſen am Baume nicht vertragen und ſich in den gewöhn—
lichen Aufbewahrungsräumen nicht lange lagern laſſen. Sie ſollen zum direkten
388 2. Abſchnitt.
Verkauf in der nächſten Großſtadt dienen. Die Frühſorten zeichnen ſich allerdings
durch große Tragbarkeit und regelmäßige Erträge aus, ſo daß im Durchſchnitt von
ihnen hohe Reineinnahmen erzielt werden.
Birnen haben in manchen Jahren unter ſehr ſtarker Überproduktion zu leiden,
wodurch dieſe Kultur unlohnend werden kann. Begründet iſt dies darin, daß Birnen
nur eine kurze Haltbarkeit haben und baldigſt verbraucht werden müſſen. Nur durch
Aufbewahrung in Kühlhäuſern iſt es möglich, ſie auf längere Zeit in verkaufsfähigem
Zuſtande zu erhalten. Die Anpflanzung größerer Mengen von Birnen muß alſo mit
genügender Vorſicht geſchehen.
Das verſchiedene Steinobſt bildet durchgängig eine geſuchte Handelsware.
Kirſchen erzielen meiſt gute Preiſe, Sauerkirſchen ſogar ſehr hohe. Die Tragbarkeit
iſt regelmäßig und gut.
Auch Zwetſchen und Pflaumen bilden einen bedeutenden Handelsartikel.
Größere Anpflanzungen müſſen aber mit Vorſicht durchgeführt werden, da bei reicher
Ernte die Abſatzmöglichkeit leicht auf Schwierigkeiten ſtößt. Anderſeits beſteht der
Vorteil, daß Pflaumen und Zwetſchen bald Erträge liefern, wodurch wenigſtens ein
Teil der Unkoſten gedeckt wird.
Aprikoſen und Pfirſiche ſind empfindlich; ſie können nur dort mit Vorteil
zur Anpflanzung kommen, wo die Vorbedingungen für gute Entwicklung in vollſtem
Maße gegeben ſind. Im allgemeinen ſind die Anbauverhältniſſe für dieſe beiden
Fruchtſorten ungünſtig. Die Ernten ſind ſehr unregelmäßig, und die Konkurrenz
des Auslandes iſt überaus groß.
Das Beerenobſt findet, wie geſagt, nur als Zwiſchenpflanzung Verwendung
und liefert in einfachſter Buſch- oder Strauchform gezogen, gute Erträge. Der Abſatz
geſtaltet ſich nicht ſehr ſchwierig, da das Beerenobſt die verſchiedenſten Verwendungs—
weiſen hat. Am lohnendſten iſt der Verkauf der friſchen Früchte.
Welche Sorten ſollen zur Anpflanzung kommen?
Sachverſtändige Auswahl der Sorten iſt, wie geſagt, für die Rentabilität
einer Obſtanlage eine der wichtigſten Fragen, und der finanzielle Erfolg hängt hiervon
in erſter Linie ab. Es kommt jedoch nicht allein darauf an, ob die Sorten ſich für
die beſonderen Verhältniſſe eignen; eine Reihe anderer höchſt wichtiger Anforderungen,
die befriedigt ſein wollen, dürfen nicht außer acht gelaſſen werden.
Bei Apfel- und Birnſorten wird man, wie erwähnt, Winterſorten vorziehen,
weil ihr Abſatz nicht ſo von der Marktlage abhängig iſt, wie der der Frühſorten.
Aber auch das Publikum ſtellt beſtimmte Anſprüche an das zu kaufende Obſt,
die keinesfalls unterſchätzt werden dürfen. |
Vielfach wird das Obſt nach der äußeren Erſcheinung beurteilt. Schön
gefärbte, rotbackige oder goldgelbe Früchte werden in den Augen des Publikums ſtets
bevorzugt, während man nach Geſchmack und Haltbarkeit weniger fragt. Nur bei
Sorten, die ſchon einen Namen haben und bekannt ſind, wird auf das Außere
weniger Wert gelegt.
Der moderne Obſtbau. 389
Bei den Steinobſtſorten liegen die Abſatzmöglichkeiten etwas anders. Die
höchſten Preiſe werden durchſchnittlich die früheſten oder die ſpäteſten Sorten erzielen,
während die mittelreifen Sorten, infolge des großen Angebotes, leicht im Preiſe ſehr
fallen. Bei der Anpflanzung muß dieſer Umſtand auf jeden Fall berückſichtigt werden,
wenn nicht die Anlage unrentabel werden ſoll.
Da ferner das Steinobſt von kurzer Haltbarkeit iſt und ſich nur wenige Tage
aufbewahren läßt, empfiehlt es ſich, ſolche Sorten heranzuziehen, die neben dem Roh—
genuß auch zur Konſervierung und Präſervierung geeignet find. Dadurch wird man
in die Lage verſetzt, bei großen Ernten durch Abgabe an die Konſervenfabriken ſeine
Ware wenigſtens mit einigem Nutzen los zu werden. Sowohl für Kern- als auch für
Steinobſt muß aber der Grundſatz gelten, nur möglichſt wenige Sorten anzubauen.
Hierdurch wird der Betrieb vereinfacht und der Abſatz ganz beträchtlich erleichtert.
7 Denn der Verkauf größerer Mengen Obſt von einer Sorte macht weniger
Schwierigkeiten, als wenn von vielen Sorten nur kleine Mengen verkauft werden
können. Der Obſtgroßhandel arbeitet eben mit Vorliebe mit nur wenigen Sorten,
die in großen Mengen, in Hunderten und Tauſenden von Zentnern, angeboten
werden und verkauft werden ſollen. Die Beſchränkung der Sortenzahl darf andrer—
ſeits jedoch nicht ſo weit getrieben werden, daß alles auf eine Karte geſetzt wird
und von einer Obſtart nur ein oder zwei Sorten ausgewählt werden. Ungünſtige
Witterungsverhältniſſe z. B. während der Blütezeit können die ganze Ernte einer
Sorte in Frage ſtellen. Sind mehrere Sorten angepflanzt, die zu verſchiedener Zeit
in Blüte ſtehen, ſo iſt wenigſtens von einer oder von einigen ein Ertrag zu erwarten.
Es werden auf dieſe Weiſe immer noch Einnahmen erzielt, wenn auch nur ſehr geringe.
Ein weiterer nicht zu unterſchätzender Punkt iſt, daß vornehmlich nur ſolche
Sorten ausgewählt werden, die ſich einigermaßen gegen Krankheiten und Schäd—
linge als widerſtandsfähig erwieſen haben. Die Bekämpfung der Krankheiten und
Schädlinge erfordert eine Unmenge Mühe, Arbeit und Koſten, ſo daß dadurch die
Rentabilität ſehr in Frage geſtellt wird. Wenn es auch keine Sorten gibt, die voll—
ſtändig frei von Krankheiten und Schädlingen bleiben, ſo ſteht doch eine Reihe ſehr
widerſtandsfähiger zur Verfügung, die jedenfalls zu bevorzugen ſind.
Die einzelnen Obſtarten und -jorten.
Nachſtehend wollen wir einzeln die Obſtbaumarten beſprechen, die vorzugsweiſe
in Deutſchland angebaut werden. Gleichzeitig ſoll eine Liſte von Sorten mitgeteilt
werden, die ſich in faſt allen Gegenden mehr oder weniger gut bewährt haben. Nach
der Größenentwicklung kann man unterſcheiden:
1) Obſtbäume, als: Apfel, Birnen, Kirſchen, Pflaumen, Aprikoſen, Pfirſiche,
Mandeln, Walnüſſe, echte Kaſtanien, Speierlinge und Maulbeeren.
2) Obſtſträucher, als: Quitten, Miſpeln, Haſelnüſſe, Stachel-, Johannis-, Him-
beeren und Brombeeren.
Wichtiger iſt die Unterſcheidung nach der morphologiſchen Beſchaffenheit und
dem Bau der Früchte. Hiernach können vier Gruppen aufgeſtellt werden:
390 2. Abſchnitt.
J. Kernobſt. Inmitten des Fruchtfleiſches find die Samen in einem fächer—
oder hautartigen Gehäuſe eingeſchloſſen; hierher gehören die Obſtarten aus der Unter—
familie der Pomazeen: Apfel- und Birnbaum, Miſpel, Quitte und Speierling.
II. Steinobſt. Im Fruchtfleiſch iſt ein einziger Same, der von einer jtein-
harten Schale umgeben iſt, eingebettet; dies ſind die Obſtarten aus der natürlichen
Unterfamilie der Amygdalazeen: Aprikoſe, Pfirſich, Pflaume und Kirſche.
III. Schalenobſt. Die von einer harten Schale umgebenen Samen ſind
genießbar und in einer aufſpringenden oder offenen, häutigen Hülle eingebettet; hier-
zu zählen Obſtarten teils aus den Familien der Juglandazeen, wie die Walnuß,
teils aus der Familie der Kupuliferen wie die echte Kaſtanie, teils aus der Familie
der Betulazeen, wie die Haſelnuß.
IV. Beerenobſt. In dem ſaftigen Fruchtfleiſch find die Samen zerſtreut.
Hierher gehören aus der Familie der Saxifragazeen die Stachel- und Johannis⸗
beeren, aus der Familie der Roſazeen die Brom- und Himbeeren, aus der Familie
der Morazeen die Maulbeeren und aus der Familie der Vitazeen der Weinſtock.
I. Rernobft.
Der Apfelbaum (Pirus malus).
Er gehört der Familie der Roſengewächſe und der Unterfamilie der Pomazeen
an und iſt neben dem Birnbaum die wichtigſte Kernobſtart. Als Stammart der ſehr
zahlreichen Apfelſorten wird gewöhnlich der in den Wäldern wildwachſende Holzapfel
betrachtet, der ſich in ganz Mitteleuropa vorfindet. Die Heimat des Apfelbaums
ſcheint das weſtliche Aſien zu ſein; darauf dürfte auch hindeuten, daß in keinem Lande
Europas die wildwachſenden Apfelbäume ſo verbreitet ſind wie im ſüdlichen Rußland,
wo ſie einen bedeutenden Beſtandteil der Wälder ausmachen. Den deutſchen Vegetations-
verhältniſſen hat er ſich ſehr gut angepaßt und iſt in allen Gebieten bis zu den höchſten
Lagen verbreitet. Selbſt in Strichen von 900 1000 m über Meer kommt er noch vor,
und man kann nicht ſagen, daß er da oben zurückginge.
Der Apfelbaum beſitzt eine ſich tafelförmig abſtoßende Rinde. Die rundlichen
oder eiförmigen Blätter ſind dicht behaart und von weicher Beſchaffenheit; hieraus
ergibt ſich, daß dieſe Obſtart zu ihrem Gedeihen einen höheren Feuchtigkeitsgehalt
der Luft verlangt. Er wächſt mehr in die Breite und bildet eine rundlich-flachkugelige
Krone von 8—10 m Breite und 6—8 m Höhe. Auch das Wurzelwachstum erſtreckt
ſich mehr in die Breite als in die Tiefe. Es werden daher die oberſten Bodenſchichten
zunächſt ausgenützt, während ein Eindringen in die Tiefe nicht in dem Maße wie
z. B. beim Birnbaum erfolgt. Damit ſoll aber keinenfalls geſagt ſein, daß die
Wurzeln des Apfelbaums gelegentlich nicht nach unten ſtreben. Je nach den Ver⸗
hältniſſen iſt auch dieſes möglich; er paßt ſich aber flachgründigem Boden leichter an
als tiefgründigem.
Sandiger Lehm-, auch Kalk, und leichter Tonboden mit entſprechender Feuchtigkeit
ſagen dem Apfelbaum entſchieden am beſten zu; auch für reichliche Luftfeuchtigkeit iſt
er ſehr dankbar. Trockene Lagen und nach Süden gelegene Hänge ſollen für ſeine
Anpflanzung keine Verwendung finden. Allerdings gibt es einzelne Sorten, die noch
Der moderne Obſtbau. 391
in geringem Boden ganz gut fortkommen und hohe Erträge liefern; es ſind dies
aber nur die anſpruchsloſen und widerſtandsfähigen Moſtobſtſorten.
In feuchten Tälern muß die Anpflanzung mit großer Vorſicht vorgenommen
werden, da der Apfelbaum in dieſen Lagen ſehr froſtempfindlich wird; auch die Blüte
leidet unter Kälte leicht; desgleichen iſt er gegen Krankheiten und Schädlinge ſehr
empfindlich. Je ungünſtiger ſeine Standortsverhältniſſe ſind, deſto ſchwieriger ge—
ſtaltet ſich der Kampf gegen Inſekten und Pilze, die manchmal in verheerender
Weiſe auftreten und die Ernte ganz erheblich vermindern können. Die Vermehrung
erfolgt durch Veredlung, meiſt durch Okulation auf Wildlinge, die aus Kernen ge—
wöhnlicher Sorten gezogen ſind.
Der Apfelbaum eignet ſich auch gut zur Anzucht in Zwergformen. Für dieſen
Zweck kommen als Unterlagen zwei Formen des Zwergapfelbaums (Pirus pumila),
die ſich durch ſtrauchartigen Wuchs und langſames Wachstum auszeichnen, in Be—
tracht; es ſind dies der Johannis- oder Paradiesapfel und der Splittapfel oder
Douein. Die Anzucht dieſer beiden Formen geſchieht durch Ableger oder Stecklinge.
Die zahlreichen Sorten des Apfelbaums werden nach äußern Merkmalen, Ge—
ſtalt, Größe, Farbe, Kelch, Stiel, und nach den innern Merkmalen, Fleiſch, Kernhaus,
Kelchröhre, ferner nach Reifezeit, Verwertung, Tragbarkeit und Wuchs des Baumes
unterſchieden und pomologiſch eingeteilt. Die 15 Klaſſen des natürlichen Syſtems
find: J. Kalville (Erdbeer- oder Himbeeräpfel), II. Schlotteräpfel (Klapperäpfel),
III. Gulderlinge, IV. Roſenäpfel, V. Taubenäpfel (Pigeons), VI. Rambour (Pfund—
äpfel), VII. Rambourreinetten, VIII. einfarbige oder Wachsreinetten, IX. Borsdorfer
Reinetten, X. rote Reinetten, XI. grüne oder graue Reinetten (Lederreinetten),
XII. Goldreinetten, XIII. Streiflinge (Strichäpfel), XIV. Spitzäpfel, XV. Plattäpfel.
Nach dem künſtlichen Syſtem werden 12 Klaſſen unterſchieden. Aus der
verschiedenen Reifezeit ergeben ſich: I. Sommeräpfel, die ihre Reife am Baum vor
Ende September erlangen; II. Herbſtäpfel, die von Anfang Oktober bis Mitte November
reifen, und III. Winteräpfel, die von Ende November an im Dezember bis Januar
oder erſt ſpäter völlig reif werden. Außerdem zerfallen die Apfel nach der Form
in vier Gruppen: a) Plattäpfel, b) rundliche Apfel, c) zugeſpitzte Apfel und d) läng-
liche Apfel. Nach der Farbe hinwiederum ergeben ſich drei Ordnungen: 1. grund—
farbige, 2. deckfarbige, 3. geſtreifte Früchte; ſowie drei Unterordnungen nach der
Beſchaffenheit des Kelches, der a) offen, b) halb offen oder c) geſchloſſen ſein kann.
Auch als Zierbäume werden verſchiedene Arten des Apfelbaums angepflanzt;
ſie zeichnen ſich aus durch ſchöne Blüten und Früchte. Hierher gehören P. spectabilis
fl. pl. mit ſchönen hellroſa Blüten; P. spectabilis floribunda Silb., eine niedere Pflanze
mit dunkelroten Knoſpen; Pirus prunifolia pendula hort. iſt ein hübſcher Trauerbaum;
P. baccata L. hat kirſchengroße, ſäuerliche, ſchön rot- und gelbbackige Früchte.
Apfelſorten.
Weißer Klarapfel. Frucht mittelgroß, von herrlich weißgelbem Ausſehen.
Früh⸗ und reichtragend, reift bereits Ende Juli. Der Baum iſt anſpruchslos und
unempfindlich.
392 2, Abſchnitt.
Charlamowsky. Die große, kugelförmig abgeplattete Frucht hat eine regel—
mäßige Form und iſt auf weißlich-gelbem Grunde rot geſtreift. Das Fleiſch iſt etwas
ſäuerlich. Reife Anfang Auguſt. Der Baum iſt geſund und anſpruchslos, dabei aber
von großer Fruchtbarkeit.
Lord Grosvenor. Die Frucht iſt groß und hat viele eigenartige Erhöhungen.
Die Schale iſt gelblich mit weißen Punkten. Reifezeit Ende Auguſt. Der Baum iſt
Abb. 7. Fruchtzweige der Apfelſorte Lord Grosvenor, die ſich durch frühe, regelmäßige und reiche
Tragbarkeit auszeichnet. (Maſſenträger.) (Nach einer Photographie.)
ſehr ſtarkwachſend und hat ein kräftiges, geſundes Blatt. Eine der reichtragendſten
Sorten.
Apfel von Croncels. Die Frucht iſt ſehr groß und regelmäßig gebaut, wachs—
gelblich, an der Sonnenſeite leicht gerötet. Das Fleiſch iſt zart, ſaftreich, leicht ge—
rötet und von angenehmem Gewürz. Reifezeit: September bis Oktober. Der ſtark—
wüchſige Baum iſt unempfindlich gegen Froſt.
Gravenſteiner. Frucht hochkugelförmig, ſonnenwärts karmoiſin gefleckt und
geſtreift. Das Fleiſch iſt von gewürztem, ausgezeichnetem Geſchmack. Der Baum
wächſt ſtark und bildet eine flachkugelige, breite Krone. Reife: September bis Oktober.
Gedeiht am beſten auf feuchtem Boden. Einer der wertvollſten Apfel Norddeutſchlands.
Der moderne Obſtbau. 393
Graue Herbſtreinette. Gelblichgrüne, mit Roſt bedeckte, große Frucht. Reife:
Oktober bis November. Eignet ſich noch für feuchten Boden.
Winter-Goldparmäne. Ziemlich große Frucht von regelmäßiger Form, gelb
mit rot verwaſchen und geſtreift. Reife: November bis Februar. Außerordentlich
früh⸗ und reichtragend.
Landsberger Reinette. Große Frucht, von regelmäßiger Form mit feiner
Schale, gelbgrün, ſpäter hellgelb, ſonnenwärts leicht gerötet. Reife: Oktober bis
Dezember. Anſpruchslos, ſehr fruchtbar und früher Träger.
Ananasreinette. Die regelmäßig gebaute Frucht hat eine goldgelbe Farbe.
Baum wächſt mäßig. Reife: November bis Januar. Eine unſerer beſten Sorten.
Cox' Orangenreinette. Mittelgroße, grünlichgelbe, ſpäter goldgelbe Frucht,
ſonnenwärts rot geſtreift und marmoriert. Reife: November bis Januar. Baum
hat ein gemäßigtes Wachstum, verlangt aber guten Boden.
Adersleber Kalville. Die Frucht ähnelt ſehr der weißen Winterkalville, von
der die Sorte auch abſtammt. Der Baum iſt jedoch weniger empfindlich und an—
ſpruchsvoll. Reife: Dezember bis Januar.
Kanadareinette (Pariſer Rambourreinette). Frucht groß bis ſehr groß; platt—
rund, gerippt. Baum von kräftigem Wachstum und fruchtbar. Reife: Dezember
bis April.
Baumanns Reinette. Frucht mittelgroß, abgeplattet, auf dunkelgelbem Grunde
ſtark rot verwaſchen. Baum anſpruchslos, von mäßigem Wuchs, jehr. früh- und reich—
tragend. Reife: Januar bis März.
Von Zuccalmaglios Reinette. Frucht mittelgroß, zitronengelb mit feinen
rötlichen Streifen. Hat Ahnlichkeit mit der Ananasreinette, von der ſie abſtammt.
Baum iſt ſehr wüchſig, geſund, früh- und reichtragend. Reife: Dezember bis Januar.
Eine Neuheit der letzten Jahre, die großer Beachtung wert iſt.
Freiherr von Berlepſch. Frucht mittelgroß, regelmäßig, hellgelb, rot geſtreift
und verwaſchen. Baum ſehr geſund und dankbar, reichtragend. Reife: Mitte bis
Ende Winter. Dieſe Neuzüchtung hat ſich bereits gut bewährt und verdient alle
Beachtung.
Weiße Winterkalville. Frucht groß, wachsgelb mit fünf Rippen. Feinſter
Tafelapfel. Verlangt guten Boden, warme und geſchützte Lage. Keine andere Sorte
wird derartig von Krankheiten und Schädlingen heimgeſucht wie dieſe edle Sorte.
Boikenapfel. Frucht groß, kalvilleartig. In der Baumreife hellgrün, ſpäter
glänzend gelb. Baum ſehr geſund und wüchſig, ſpät blühend, ſehr fruchtbar. Vor⸗
trefflich für rauhe Lagen. Reife: Januar bis März.
Schöner von Boskoop. Frucht ſehr groß, grünlichgelb, ſpäter zitronengelb,
ſonnenwärts rötlich verwaſchen. Baum ſehr ſtarkwüchſig. Vorzüglicher Tafelapfel.
Zum Maſſenanbau ſehr zu empfehlen. Reife: Dezember bis April.
Roter Eiſerapfel. Frucht mittelgroß bis groß; wegen ihrer großen Haltbar—
keit ſehr beliebt. Geſuchter Wirtſchaftsapfel. Gedeiht noch in Lagen mit feuchtem
Boden. Blüht ſpät, iſt ſehr fruchtbar. Reife: Januar bis März, hält bis Juni.
394 2. Abſchnitt.
Großer e rheiniſcher Bohnapfel. Frucht mittelgroß; harter, ausgezeichneter
Wirtſchaftsapfel. Baum wächſt kräftig und ſchön pyramidal. Darf nicht zu früh
geerntet werden. Reife: Dezember bis Mai.
Für beſondere Zwecke können nachſtehende Sorten empfohlen werden:
I Tafelobſt.
A. Sommeräpfel:
Weißer Klarapfel, Charlamowsky, Apfel von Croncels, Lord Grosvenor.
B. Herbſtäpfel:
Gravenſteiner, graue Herbſtreinette.
C. Winteräpfel:
Weiße Winterkalville, Wintergoldparmäne, Ananasreinette, Cox' Orangenreinette,
Adersleber Kalville, Baumanns Reinette, Landsberger Reinette, Kanadareinette,
von Zuccalmaglios Reinette, Freiherr v. Berlepſch, Schöner von Boskoop.
II. Sorten zur Weinbereitung.
Großer rheiniſcher Bohnapfel, Boikenapfel, Baumanns Reinette.
III. Sorten zum Trocknen.
Boikenapfel, roter Eiſerapfel, Landsberger Reinette, Kanadareinette, Schöner
von Boskoop.
IV. Schaufrüchte.
Apfel von Croncels, Kanadareinette, Schöner von Boskoop, weiße Winterkalville.
V. Sorten für rauhe Lagen.
Großer rheiniſcher Bohnapfel, Lord Grosvenor, Boikenapfel, Charlamowsky,
roter Eiſerapfel, Baumanns Reinette, graue Herbſtreinette, Landsberger Reinette.
VI. Sorten für trockene Böden.
Charlamowsky, Landsberger Reinette, Wintergoldparmäne, graue Herbſtreinette,
roter Eiſerapfel.
VII. Sorten für Buſchobſtanlagen.
Weißer Klarapfel, Apfel von Croncels, Wintergoldparmäne, Ananasreinette,
Cox' Orangenreinette, Landsberger Reinette, Kanadareinette, Freiherr v. Berlepſch,
Schöner von Boskoop, Lord Grosvenor, von Zuccalmaglios Reinette, Baumanns
Reinette.
Der Birnbaum (Pirus communis).
Der erſte beſchreibende deutſche Pomologe, Valerius Cordus, kannte in Thüringen,
Sachſen und Heſſen zu Anfang des 16. Jahrhunderts bereits 50 Birnſorten, darunter
befanden ſich Wirtſchaftsſorten, die noch heute bekannt ſind. In der Zucht feinerer
Birnſorten leiſteten die Franzoſen ganz Hervorragendes; unſere feinſten Sorten ſtammen
faſt alle von ihnen. Der Geiſtliche Nikolaus Hardenpont, der Apotheker Capiaumont,
der Major Eſperen haben die meiſten und beſten hervorgebracht.
*
Der moderne Obſtbau. 395
Der Birnbaum gehört gleichfalls der Unterfamilie der Pomazeen an. Die
Stammform der Birnbäume iſt die Holzbirne (Pirus communis IL. oder Pirus
Achras), die in unſern Wäldern als niedriger Strauch und hoher Baum verwildert
vorkommt. Die Holzbirne hat dornſpitzige Triebe, die bei den kultivierten Birnen
nicht mehr vorhanden ſind; die Früchte ſind klein, holzig und haben in der Umgebung
des Kernhauſes ſteinartige Konkremente (zuſammengeballte Hartkörper). Bei den
kultivierten Birnen fallen dieſe ſteinartigen Ablagerungen fort, doch zeigen ſie ſich
wieder bei einigen Sorten, wenn ſie unter ungeeigneten, nicht zuſagenden Verhältniſſen
angepflanzt ſind. |
Die Rinde des Birnbaums iſt dunkel. Die Blätter find rundlich oder eiförmig,
am Rande ſcharf geſägt, dick, lederartig, meiſt beiderſeits ohne jedwede Behaarung.
Dies iſt ein Zeichen, daß der Birnbaum an den Feuchtigkeitsgehalt der Luft weniger
hohe Anſprüche ſtellt als der Apfelbaum, er kommt darum auch in trockenen Lagen,
in denen der Apfelbaum verſagen würde, noch ſehr gut fort.
Die Blüten ſind groß und weiß, ſtehen in Doldentrauben. Während beim Apfel
die Griffel am Grunde verwachſen ſind, hat die Birnblüte freie Griffel und rote
Staubbeutel.
Nach K. Koch ſollen die kultivierten Birnſorten von dem in Südeuropa heimiſchen
langblättrigen Birnbaum (Pirus nivalis) ſowie von dem ölbaumblättrigen Birn—
baum (P. elaeagnifolia) abſtammen, deſſen Verbreitung ſich auf Kleinaſien, auf das
armeniſche Hochland bis zur Grenze Perſiens und auf das gebirgige Transkaukaſien
beſchränkte; vielfach wird auch der weidenblättrige Birnbaum (P. salicifolia) für
eine der Grundarten der Kulturbirnen angeſehen.
Der Birnbaum iſt ſeiner Wuchsform nach ein Gegenſtück zum Apfelbaum. Er
bildet pyramidale, 10— 12 m hohe und 8—9 m breite Kronen. In gleichem Maße
haben die Wurzeln die Neigung, in die Tiefe zu gehen und ihre Nahrung zu ſuchen;
daher ſollten für Birnbäume in erſter Linie tiefgründige Böden zur Anpflanzung
gewählt werden.
Die feineren Birnſorten ſtellen hohe Anſprüche an Bodenwärme und Klima.
In kalten, feuchten Lagen erreichen die Früchte nicht ihre höchſte Vollkommenheit.
Die derben Wirtſchafts- und Moſtſorten find dagegen ſehr anſpruchslos und kommen
ſelbſt in dem ungünſtigſten Boden und Klimaverhältniſſen noch gut vorwärts. Hohen
Grundwaſſerſtand verträgt der Birnbaum nicht; er leidet dann leicht an Gipfeldürre.
Von Feinden und Krankheiten bleibt der Birnbaum mehr verſchont als der
Apfelbaum, was wohl auf die kräftigen, widerſtandsfähigen Blätter zurückzuführen iſt.
Birnſorten.
Frühe von Trévoux. Frucht mittelgroß, hellgelb. Baum von mäßigem
Wuchs, ſehr fruchtbar. Reife: Anfang Auguſt.
Andenken an den Kongreß. Frucht ſehr groß. Baum iſt anſpruchslos,
verträgt noch kaltes Klima. Reife: Oktober.
Williams Chriſtbirne. Frucht groß. Baum wächſt mäßig, iſt ſehr fruchtbar.
Eine der ſchönſten Sommerfrüchte. Reife: Ende September.
396 2. Abſchnitt.
Clapps Liebling. Frucht groß. Baum wächſt lebhaft, iſt ſehr fruchtbar und
kommt noch in trockenen Böden fort. Reife: Auguſt bis September.
Marguerite Marillat. Frucht ſehr groß. Baum hat mäßiges Wachstum
und gute Tragbarkeit. Vorzügliche Marktſorte. Reife: September.
Alexandrine Douillard. Frucht iſt ziemlich groß. Hängt ſehr feſt am
Baume. Baum hat gutes Wachstum, iſt reichtragend. Das Laub iſt ſehr geſund
und wird nicht von Fuficladium befallen. Reife: Oktober bis November.
Birne von Tongre. Frucht mittelgroß. Baum geſund, von gutem Wachstum
und großer Tragbarkeit. Marktfrucht erſten Ranges. Reife: Oktober.
Clairgeaus Butterbirne. Frucht groß bis ſehr groß. Der Baum iſt
geſund, aber ſchwachwüchſig, von großer Fruchtbarkeit. Reife: Oktober bis November.
Vereins-Dechantsbirne. Frucht mittelgroß, eine der wohlſchmeckendſten
Tafelbirnen. Baum wächſt ſehr kräftig, iſt frei von Fuſieladium. Reife: Oktober
bis November.
Gute Louiſe von Avranches. Frucht ziemlich groß. Hält ſich auf dem
Lager ohne teigig zu werden. Baum iſt wüchſig, ſehr fruchtbar und anſpruchlos.
Reife: September bis Oktober. Eine der wertvollſten Tafelbirnen.
Herzogin von Angouléme. Frucht ſehr groß. Baum wächſt kräftig, ver-
langt guten Boden und warme Lage. Reife: Oktober bis November.
Köſtliche von Charneu. Frucht mittelgroß. Baum wächſt kräftig und geſund.
Trägt regelmäßig und reich; liebt etwas feuchten Boden. Bekannte Marktſorte.
Reife: Oktober bis November.
Paſtorenbirne. Frucht groß. Baum iſt ſehr geſund, ſtarkwachſend und ſehr
fruchtbar. Reift auf dem Lager nach und nach, welkt aber nicht. Reife: November
bis Januar.
Diels Butterbirne. Frucht ſehr groß. Baum hat kräftiges Wachstum,
verlangt guten, kräftigen Boden. Früh- und reichtragend. Reife: November bis
Januar.
Winter Dechantsbirne. Frucht groß. Baum von gemäßigtem Wuchs. Wegen
der ſpäten Reife verlangt ſie beſonders warme Lagen. Reife: Dezember bis April.
Sehr geſchätzte Winter-Tafelbirne.
Edeleraſſane. Frucht mittelgroß. Der Wuchs iſt mäßig, bildet viel Frucht—
holz. Verlangt warme Lagen. Reife: Dezember bis Februar.
Le Lectier. Frucht ſehr groß. Baum wächſt ſehr ſtark, trägt reich. Tafel—
frucht erſten Ranges. Reife: Dezember bis Januar.
Olivier de Serres. Frucht mittelgroß. Baum iſt geſund, wächſt mäßig und
iſt ſehr fruchtbar. Eine der beſten Tafelbirnen. Reife: Dezember bis März.
Für beſondere Zwecke können nachſtehende Sorten empfohlen werden:
J. Tafelbirnen.
A. Sommerbirnen:
Frühe von Trévoux, Williams Chriſtbirne, Clapps Liebling, Andenken an den
Kongreß.
|
Der moderne Obſtbau. 397
B. Herbſtbirnen:
Birne von Tongre, Alexandrine Douillard, Clairgeaus Butterbirne, Vereins—
Dechantsbirne, Gute Louiſe von Avranches, Herzogin von Angouleme, Köſtliche von
Charneu, Marguerite Marillat.
C. Winterbirnen:
Paſtorenbirne, Diels Butterbirne, Winter Dechantsbirne, Edeleraſſane, Le Lectier,
Olivier de Serres.
II. Sorten für geſchützte Lagen:
Diels Butterbirne, Williams Chriſtbirne, Clapps Lieblings, Winter Dechants—
birne und Edeleraſſane nur für ganz beſonders geſchützte Lagen, Le Lectier.
III. Sorten, die auf Wildlingsunterlage früh fruchtbar ſind:
Frühe von Trevour, Clapps Liebling, Clairgeaus Butterbirne, Williams Chriſt—
birne, Gute Louiſe von Avranches, Marguerite Marillat, Le Lectier.
IV. Sorten, die auf Quittenunterlage noch ein gutes Fortkommen zeigen:
Diels Butterbirne, Frühe von Trévoux, Gute Louiſe von Avranches, Olivier
de Serres, Paſtorenbirne, Le Lectier, Vereins-Dechantsbirne.
V. Sorten für Schaufrüchte:
Andenken an den Kongreß, Herzogin von Angouléme, Le Lectier, Marguerite
Marillat, Diels Butterbirne.
VI. Sorten für Buſchobſtanlagen:
Birne von Tongre, Clapps Liebling, Williams Chriſtbirne, Frühe von Trévoux,
Gute Louiſe von Avranches, Alexandrine Douillard, Marguerite Marillat, Diels
Butterbirne, Clairgeaus Butterbirne.
Der Speierlingbaum (Sorbus domestica).
Er geht auch unter dem Namen Speier-, Sperber- oder Spierlingsvogelbeere
und gehört zur Unterfamilie der Pomazeen. Er iſt in Deutſchland heimiſch und
kommt im Hunsrück, der Rheinpfalz und in Lothringen in größeren Beſtänden vor.
Der Speierlingbaum hat unpaarig gefiederte Blätter, kleine Blüten in endſtändiger
Traube und bien- oder apfelförmige, gelbe, an der Sonnenſeite rot gefärbte Früchte;
die durch Liegen teigig und genießbar werden. Er verlangt einen kräftigen und
genügend feuchten Boden; fängt erſt ſpät zu tragen an, um dann aber regelmäßige
Ernten zu liefern. Die Bäume erreichen eine Höhe bis zu 15 m und einen Kronen—
durchmeſſer bis 10 m.
Die Speierlingfrüchte ſind wegen ihres Gerbſtoffgehaltes ſehr begehrt, ſie ſind
für die Apfelweinbereitung von hohem Werte.
Die Vermehrung des Speierlingbaumes geſchieht durch Samen, doch macht die
Anzucht große Schwierigkeiten, da die Sämlinge ſtark vom Krebspilz befallen werden.
Erwähnt ſei noch der mit dem Speierling nahe verwandte Elsbeerbaum
(Sorbus torminalis), der im Laub dem großblättrigen Weißdorn ähnelt. Die Blätter
398 2. Abſchnitt.
verfärben ſich im Herbſt tiefrot. Die Früchte, die einer Mehlbeere gleichen, werden
ebenfalls zur Apfelweinbereitung verwendet, vielfach z. B. in den Vogeſen dienen ſie
zur Herſtellung eines wohlſchmeckenden Branntweines.
Hierher gehören auch noch zwei Formen der gemeinen Ebereſche (Sorbus
aucuparia), mit nicht ſauren, alſo genießbaren Früchten. Es find dies: Die Mähriſche
ſüße Ebereſche (Sorbus aucuparia duleis) und die Ruſſiſche ſüße Ebereſche
(Sorbus aucuparia rossica). Beide Abarten unterſcheiden ſich äußerlich nicht von
der gewöhnlichen Ebereſche; die Früchte geben ein recht wohlſchmeckendes Gelee. Die
Vermehrung erfolgt durch Veredlung; der Baum gedeiht noch in hohen, rauhen Lagen
und in dem ſchlechteſten Boden.
Der Quittenſtrauch (Cydonia vulgaris).
Der Quittenſtrauch gehört ebenfalls der Unterfamilie der Pomazeen an. Er
bildet baumartige Büſche, die hier und da im verwilderten Zuſtande vorkommen. Die
i Heimat iſt der
Orient. Von den
der Quitte zunächſt
ſtehenden Apfel⸗
und Birnbäumen
unterſcheidet ſieſich
durch die vielfami-
gen Fächer der
Frucht, durch die
holzige Bejchaffen-
heit des Frucht⸗
fleiſches und durch
die ſchleimhaltige
Schale der Samen.
Die großen, wollig
behaarten Früchte
ſind roh nicht ge-
nießbar, zeichnen
Abb. 8. Portugieſiſche Quitte. (Birnquitte von Portugal.) (Nach einer Photographie.) ſich aber durch
einen außerordent⸗
lich ſtarken aromatiſchen Geruch aus. Die großen Blüten ſtehen einzeln und ſind
eine Zierde für den Strauch.
Der Quittenſtrauch hat ein reiches, feinfaſeriges Wurzelwerk, er gedeiht am beſten
im nahrhaften, mehr feuchten und lockeren Boden, in warmer Lage. In rauhen
Gegenden verlangen die Sträucher einen Schutz gegen zu hohe Winterkälte.
Die Vermehrung der Quitten aus Samen iſt etwas langwierig und wird nur
ſelten angewendet, erfolgreicher iſt die Vermehrung durch Ableger und Stecklinge. Zu
großer Bedeutung hat es die Quitte als Unterlage für Zwergbäume gebracht.
Nach der Form der Früchte unterſcheidet man Apfelquitten (Cydonia vulgaris
Der moderne Obſtbau. 399
maliformis), von runder apfelförmiger Geſtalt, und Birnquitten (Cydonia vulgaris
piriformis), von länglicher birnförmiger Geſtalt.
Die Kultur der Quittenſträucher hat in Deutſchland bisher wenig Anklang
gefunden, da das ſtarke Aroma die Früchte nicht überall beliebt macht und der
Abſatz größerer Mengen Schwierigkeiten bietet. Immerhin iſt die Anpflanzung zur
Unterkultur in Apfel- und Birnpflanzungen zu empfehlen und auch lohnend. Ferner
laſſen ſich in Schutzpflanzungen Quittenſträucher mit Erfolg verwenden.
Wegen der großen, einzeln ſtehenden, hell roſenroten Blüten pflanzt man ihn
ſehr gern als Zierſtrauch an. Auch die japaniſche Quitte (Cydonia japonica)
F
Abb. 9. Reas Mammutquitte. (Nach einer Photographie.)
wird vielfach als Zierſtrauch angepflanzt. Sie zeichnet ſich beſonders durch die im
erſten Frühjahr ſich entwickelnden granatroten, ſchönen Blüten aus. Die kahlen Früchte
haben ebenfalls den charakteriſtiſchen Quittengeruch und geben ein feineres Gelee als
die gewöhnliche Quitte.
Sorten:
Champion. Frucht ſehr groß, birnförmig; ſehr reichtragend. Reift mittel—
früh, bereits Ende September.
Apfelquitte von Angers. Frucht iſt mittelgroß und hat eine ausgeſprochene
Apfelform. Der Baum iſt wüchſig und geſund. Dieſe Sorte findet faſt allgemein als
Unterlage Verwendung. f
Portugieſiſche Quitte. Frucht iſt ſtrohgelb, mit gelblicher Wolle über—
zogen, groß, birnförmig. Der Baum iſt ſtarkwachſend, ſehr geſund und reichtragend.
Reas Mammutquitte. Frucht groß, hellzitronengelb, feinwollig. Reift
früh. Der Baum iſt etwas ſchwachwachſend, bildet kugelige Kronen.
400 2. Abſchnitt.
Bereczkiquitte. Frucht enorm groß, birnförmig; mit zartem Fleiſch. Der
Baum wächſt ſehr ſtark, iſt reich- und frühtragend. An Größe der Frucht übertrifft
dieſe alle andern Sorten.
Der Miſpelſtrauch (Mespilus germanica).
Ein kleiner Baum oder baumartiger Strauch aus der Unterfamilie der Pomazeen,
ebenfalls zum Kernobſt gehörig. Er iſt in Deutſchland, Südeuropa und dem Orient
als Bewohner felſiger Hügel und Berghänge heimiſch. Die großen, weißen Blüten
ſtehen einzeln an der Spitze kurzer Zweige und haben fünf blattartige Kelchzipfel.
Aus dem unterſtändigen Fruchtknoten geht eine Frucht hervor, die zwei bis fünf harte,
einſamige Kerne enthält. Die auf der Unterſeite filzig behaarten Blätter ſind ungeteilt.
-
|
|
Abb. 10. Junger Apritoſen-Hochſtamm, mäßig im Schnitt gehalten, jedoch
ohne eine beſtimmte Form heranzuziehen.
Im Standort iſt die
Miſpel nicht wähleriſch,
ſie kommt im Halb⸗
ſchatten, unter hohen
Bäumen noch gut fort.
Kräftiger, nicht zu
ſchwerer Lehmboden ſagt
ihr am beſten zu. Die
Vermehrung geſchieht
meiſtens durch Vered—
lung auf Weißdorn oder
Quitte. Die rundlichen
braunroten Früchte haben
einen hohen Gehalt an
Gerbſtoff und ſind in
rohem Zuſtande nur
dann genießbar, wenn
ſie durch längeres Liegen
oder durch leichte Nacht—
fröſte teigig geworden
find. Als Zdwiſchen⸗
pflanzung und in Schutz—
pflanzungen kann der
Miſpelſtrauch mit Nutzen
Verwendung finden.
Sorten:
Holländiſche Rieſen—
miſpel. Frucht groß,
braun. Der Baum hat
mäßigen Wuchs und iſt
ſehr tragbar.
Schulz, Obſtbau
Pfirſich (Amygdalus Persica)
F 8
Kosmos Frühe Alexander-Sorte
SrürfeAkRr (Aufnahme von B. Haldy)
-
JUN 5 1913
Der moderne Obſtbau. 401
II. Steinobft,
Der Aprikofenbaumt (Prunus Armeniaca).
Er gehört der Familie Roſenblütler (Unterfamilie Amygdalazeen) an und
wird zu den Steinobſtgehölzen gezählt. Als Vaterland wird gewöhnlich Armenien
angenommen,
doch dürfte das
nicht zutreffend
ſein, da er dort
noch nirgends
wild gefunden
worden iſt. Nach
Köppen ſtammt
er aus der ſüd⸗
lichen Mongolei
und Mandſchurei
ſowie aus dem
nördlichenChina.
Die Blätter
der Aprikoſe ſind
ſpitzeiförmig,
glatt und doppelt⸗
gerändert, der
Blattſtiel iſt drü⸗
ſig. Die weißen
Blüten find feſt⸗
ſitzend und er-
ſcheinen vor den
Blättern. Die
Bäume erreichen
eine Höhe von
5—6 m, die
Krone wird 6 bis
7 m breit. Die
Aprikoſe ſtellt an
den Boden ſehr
hohe Anſprüche
Abb. 11. Franzöſiſche und holländiſche Obſtſorten.
1 = Portugieſiſche Quitte. 2 - Kernloſe Miſpeln. 3 = Reinette, carrée-Apfel.
4 Ananasreinette. 5 = Verdin d'automne-Apfel. Nach der Revue horticole.)
und liebt kräftiges, tiefgründiges Erdreich mit geringem oder gar keinem Kalkgehalt.
Gegen Grundwaſſer iſt der Baum ſehr empfindlich. Die Anbauverhältniſſe ſind in
Deutſchland im allgemeinen für die Aprikoſe ſehr wenig günſtig, auch die Lebens—
dauer des Baumes iſt ſehr gering, er erreicht durchſchnittlich nur ein Alter von 20
bis 25 Jahren. Die Blütezeit der Aprikoſe iſt außerordentlich früh, vielfach fällt ſie
noch in den Monat März, in eine Zeit, in der noch immer Spätfröſte zu erwarten
Schulz, Obſtbau.
26
LIR
NEW
BOTA
A.
402 2. Abſchnitt.
ſind; dabei iſt die Blüte ſehr kälteempfindlich, wodurch unregelmäßiger Fruchtanſatz
eintritt. Auf Grund der großen Froſtempfindlichkeit dürfte es ſich empfehlen, den
Aprikoſenbaum an höher gelegenen Stellen anzupflanzen, die weniger den Fröſten
ausgeſetzt ſind. In geeigneten Verhältniſſen fängt der Baum ſchon früh zu tragen
an und bringt bei ſtarkem Wachstum ſchon in der Jugend große Erträge. Das iſt
jedoch ſein Untergang, denn er überträgt ſich bald und erreicht eben deshalb nur
ein Alter von etwa 25 Jahren.
Anpflanzungen in leichten Bodenarten ſind nur dann zu erhalten, wenn durch
regelmäßige Düngung und Bewäſſerung das Fehlende ergänzt werden kann. Die
Vermehrung erfolgt meiſtens durch Okulation auf St. Julienpflaumen. Der Unter-
ſchied zwiſchen Unterlage und Edelreis iſt aber derartig groß, daß auch hierdurch
das Lebensalter der Aprikoſenbäume ganz beträchtlich herabgeſetzt wird. Aufgabe
aller intereſſierten Kreiſe muß es ſein, in Zukunft eine geeignetere Veredlungsunterlage
zu finden, damit die Aprikoſenbäume ein höheres Lebensalter erreichen und gegen
Krankheiten widerſtandsfähiger werden.
Wegen jeiner Neigung zum Gummifluß erfordert der Aprikoſenbaum einen ſehr
vorſichtigen Schnitt; ein Zuviel kann leicht die ſchlimmſten Folgen nach ſich ziehen.
In Norddeutſchland bedarf er gegen ſtrenge Winterkälte eines ausreichenden Schutzes.
Der vermehrte Anbau von Aprikoſen in den geeigneten Boden- und Klima—
verhältniſſen hätte wirtſchaftlich große Bedeutung, denn die deutſche Konſervenfabrikation
iſt gegenwärtig gezwungen, ihren Bedarf faſt ganz aus dem Ausland zu decken. —
Bei der pomologiſchen Einteilung werden Sorten mit bitterem und ſüßem Kern
unterſchieden.
Sorten:
Ungariſche Beſte. Frucht iſt groß; glänzend orangegelb, ſonnenwärts gerötet,
ſehr ſüß. Reife: Mitte bis Ende Juli.
Aprikoſe von Nancy. Frucht groß, etwas flachgedrückt, gelb bis orange,
ſonnenwärts rötlich verwaſchen. Baum iſt ſtarkwachſend, ſehr fruchtbar. Eine ſehr
geſchätzte Sorte, die Mitte bis Ende Auguſt reift. Beſte Konſervenaprikoſe.
f Große Frühaprikoſe. Frucht groß und von edlem Geſchmack, gut vom
Steine löſend. Eine der beſten Sorten zum Maſſenanbau. Reife: Ende Juli bis
Anfang Auguſt.
Ambroſia. Frucht ſehr groß, gelb. Baum wüchſig und fruchtbar. Reife:
Ende Juli bis Anfang Auguſt.
Der Yfirſichbaum (Amygdalus Persica).
Ein Steinobſtgehölz aus der Unterfamilie der Amygdalazeen. Er iſt am
ſüdlichen Himalaja, in Perſien und Transkaukaſien zu Hauſe und ſoll nach Köppen
in dieſe Gebiete von China eingeführt worden ſein. Die Früchte des Pfirſichbaumes
zählen zu den ſchönſten und wertvollſten der gemäßigten Zone.
Die Blätter ſind länglich-elliptiſch, geſägt. Die Blüten ſind in der Größe ſehr
verſchieden, teils anſehnlich, teils klein. Sie erſcheinen ſehr zeitig im Frühjahr —
März, April — vor dem Laubausbruch und zeichnen ſich durch eine ſchön hellrote
Der moderne Objtbau. 403
bis dunkelroſenrote Färbung aus. Die Früchte ſind rundlich mit einer Furche und
einer Vertiefung am Stiel. Die Oberfläche iſt bei den meiſten Sorten mit einem
ſamtartigen Überzug bekleidet, bei einigen jedoch glatt (Nektarinen). Der Stein iſt
hart und mit tiefen Furchen verſehen, das ſehr ſaftige Fleiſch löſt ſich bei einigen
Sorten nicht gut vom Stein.
Der Pfirſichbaum erreicht eine Höhe von 3—5 m, die Krone wird 4—5 m breit.
Pfirſichhochſtämme findet man eigentlich nur vereinzelt angepflanzt, meiſtens iſt man
dazu übergegangen, den Pfirſich in Buſchform zu ziehen. Das Alter des Pfirſich—
baumes iſt ſehr be—
grenzt; ſelbſt in klima—
tiſch günſtigen Lagen
kommt er nicht über 20
bis 25 Jahre hinaus.
An Lage und Boden
ſtellt er ſehr hohe An—
ſprüche; er wünſcht die
wärmſten Lagen und
einen durchläſſigen, war⸗
men, kalkreichen Grund.
Empfindlich iſt er gegen
Wind und Zug, ſowie
gegen Winterkälte. In
Norddeutſchland ver⸗
langt er einen angemeſ—
ſenen Schutz aus Stroh
oder Fichtenreiſig. Um
die Blüten vor den Früh—
lingsfröſten zu ſchützen,
ſpannt man bei un⸗
günſtiger Witterung vor
den Spalierpfirſichen
Schutzdecken aus Lein⸗
wand. In nicht zu⸗ Abb. 12. Fünfjähriger Pfirſichbuſchbaum.
ſagenden Verhältniſſen
und bei mangelhafter Ernährung leidet er leicht unter Krankheiten, insbeſondere am
Gummifluß und an der Kräuſelkrankheit.
Der Pfirſichbaum wird vielfach durch Samen vermehrt. Solche aus Samen
gezogene Pfirſichbäume haben ſich als widerſtandsfähiger erwieſen; wenn ſie auch nicht
immer ſo große und feine Früchte liefern, ſo zeichnen ſie ſich doch durch große Frucht—
barkeit aus. Meiſtens allerdings geſchieht die Vermehrung durch Veredlung auf
St. Julienpflaume. Auch bei dieſer haben ſich große Verſchiedenheiten zwiſchen
Unterlage und Edelreis gezeigt, wodurch das Alter der veredelten Pfirſichbäume ſehr
beeinflußt wird.
Beim Schnitt iſt zu beachten, daß der Pfirſichbaum nur am einjährigen
— 8
404 2. Abſchnitt.
Holz Blüten und Früchte hervorbringt. Der Ausbildung der einjährigen Triebe muß
daher die größte Aufmerkſamkeit gewidmet werden. An den einjährigen Fruchtzweigen
ſitzen die Blütenknoſpen teils neben Holzknoſpen, teils allein ohne Holzknoſpen; iſt das
letztere der Fall, jo nennt man die Fruchtzweige mangelhaft entwickelt, da der Frucht-
anſatz bei dieſen, trotz der vielen Blüten, ſehr ungewiß iſt.
Verſchiedene Abarten des Pfirſichbaumes werden auch als Ziergehölze ver—
wendet. Die ſchönſten Blütenſträucher find: Amygdalus Persica mit roſa
gefüllten, A. Persica fl. albo mit weiß gefüllten Blüten, A. Persica fol.
purpureis mit purpurrot gefärbten Blättern. :
Sorten:
Amsden. Frucht groß und ſchön gefärbt. Das grünlichweiße Fleiſch löſt ſich
leider nicht vom Steine. Baum wüchſig, ſehr fruchtbar und geſund. Zum Maſſen—
anbau zu empfehlen. Wegen ſeiner frühen Reife — Ende Juli — ſehr geſchätzt.
Früher Alexander. Frucht ziemlich groß; größer als Amsden. Baum
wächſt kräftig, ſehr geſund, trägt regelmäßig. Reife: Ende Juli bis Anfang Auguſt.
Große Mignon. Frucht ſehr groß, kugelförmig. Fleiſch löſt vom Stein.
Baum wächſt ſehr kräftig und trägt gut. Reife: Anfang September.
Königin der Obſtgärten. Frucht ſehr groß, purpurrot gefärbt. Baum
wächſt kräftig, ſehr reichtragend. Zum Maſſenanbau geeignet. Reife: Anfang
September.
Weiße Magdalene. Frucht groß, grünlich gelb, leicht hellrot gefärbt. Baum
hat mäßigen Wuchs, iſt ſehr reichtragend. Reife: Ende Auguſt. Wird wegen des
weißen Fleiſches von Konſervenfabriken bevorzugt.
Rivers Frühpfirſich. Frucht groß, ſonnenwärts ſchwach rot gefärbt. Baum
trägt früh und reich. Hat den Vorzug, daß ſie als frühe Sorte vom Stein löſt.
Reife: Anfang Auguſt.
Proskauer Pfirſich. Frucht ziemlich groß, ſchön rot mit gelb durchſcheinend,
ſaftreich vom Steine löſend. Eignet ſich beſonders für rauhe Lagen und hat bis
jetzt die ſtrengen Winter Schleſiens gut ausgehalten.
Frühſorten:
Amsden, frühe Alexander, Rivers Frühpfirſich.
Mittelfrüh- und Spätſorten:
Große Mignon, Königin der Obſtgärten, Weiße Magdalene, Proskauer Pfirſich.
Der Mandelbaum (Amygdalus communis).
Dieſe Pflanze gehört ebenfalls zur Unterfamilie der Amygdalazeen. Sie iſt
in Perſien, in Kurdiſtan und im öſtlichen Afghaniſtan zu Hauſe. Als Fruchtbaum
hat die Mandel nur für die wärmſten Gegenden Deutſchlands inſofern Bedeutung,
als die Früchte im grünen Zuſtande ſehr gern von den Konſervenfabriken gekauft
werden. Man findet ſie in den Weinbergen in der Rheinpfalz, an der Bergſtraße,
in Baden und im Elſaß angebaut. Am beſten eignen ſich zur Kultur in Deutſchland
Der moderne Objtbau. 405
die hartſchaligen, gegen den Winterfroſt widerſtandsfähigen Steinmandeln, während
die weichſchaligen Sorten gegen Winterkälte empfindlich ſind.
Der Mandelbaum unterſcheidet ſich vom Pfirſich nur durch die trocken-leder—
artigen, meiſt aufſpringenden Früchte. Ohne Blüten und Frucht ſind beide kaum von—
einander zu unterſcheiden. Er bildet Kronen von etwa 5—6 m Höhe und 6—7 m
Breite, gedeiht am beſten
m milden, warmen Bo—
den, während er ſchwere,
kalte Böden und Kalk
nicht liebt.
Es gibt ſüße und
bittere Mandeln, und
ſolche mit harter und
dünner Schale. Zu den
Mandeln mit ſüßen Ker-
nen gehören: die ſüße
Steinmandel (Amyg—
dalus duleis), die Krach—
oder Knackmandel
(Amygdalus fragilis).
Mandelſorten mit bit—
teren Kernen ſind: die ge—
meine bittere Mandel
(Amygdalus amara).
Die Vermehrung
mit Kernen, indem man
die Früchte an Ort und
Stelle auslegt, gelingt
zwar ſehr leicht, allein
die Veredlung anerkannt
guter Sorten iſt vor:
teilhafter, weil man
hierdurch reichlicher tra—
gende Bäume einer be—
währten Sorte erhält.
Abb. 13. Blühender Süßtirſchbaum (Prunus avium). (Originalaufnahme von
Auch als Zierſtrauch H. Dopfer-Münden.)
kann die Mandel erwähnt werden: die gewöhnliche Zwergmandel (Amygdalus
nana), ein kleiner Strauch von 1,50 m Höhe, deſſen lange rutenförmige Aſte ſich im
zeitigen Frühjahr mit roſenroten Blüten bedecken; Amygdalus Davidiana, ein
ſehr früh und weiß blühender Strauch, Amygdalus communis, die gefüllt
blühende Mandel.
i Der Kirſchbaum.
Auch dieſer Baum gehört zur Unterfamilie der Amygdalazeen. Die Frucht
hat einen glatten rundlichen Stein, die Blüten ſind rein weiß und einzeln oder in
406 2. Abſchnitt.
ſeitenſtändigen Dolden angeordnet. Von Kirſchen werden mehrere Arten als Obſt
gezogen; die wichtigſten ſind:
a. Der Süßkirſchbaum (Prunus avium). Er hat aufrechte Aſte; große, haut—
artige, ſchlaffe, oft überhängende, länglich-ſpitze, hell- oder mattgrüne Blätter, an den
Blattſtielen befinden ſich zwei oder mehrere Drüſen. Die Früchte der wilden Kirſche
(Vogelkirſche) ſind rot oder ſchwarz, ſehr klein, ſüßlich und wenig ſchmackhaft. In
den Gärten werden zahlreiche Formen als Herz- oder Knorpelkirſchen gezogen. Die
Herzkirſchen (Prunus juliana) haben Früchte mit weichem Fleiſch, während die
Knorpelkirſchen (Prunus duracina) ſolche mit hartem, brüchigem Fleiſch haben.
Der Kirſchbaum gedeiht in Höhenlagen bis 1600 m ü. M., nordwärts dringt
er bis nach Norwegen vor und wird in Europa überall, im ſüdlichen Sibirien, in
Nordamerika und Auftralien, ſelbſt in Japan kultiviert.
In ſeinen Anſprüchen an die Bodenverhältniſſe iſt er außerordentlich genügſam.
Nur gegen Näſſe im Boden iſt er empfindlich; in ſolchen Fällen wird er faſt regel—
mäßig von Gummifluß und Kirſchkrebs befallen.
Das kräftige, nach oben gehende Wachstum hat gewiſſe Ahnlichkeit mit dem des
Birnbaums. Der Süßkirſchbaum erreicht eine Höhe bis zu 10 m und einen Kronen-
durchmeſſer bis zu S m. Die Wurzeln entwickeln ſich gut in der Tiefe und durch—
dringen feſtes, ſteiniges Erdreich noch verhältnismäßig leicht. Die verwitterten
Geſteinsarten an Berghängen ſagen dem Kirſchbaum ganz beſonders zu; hier finden
wir auch die geſündeſten und üppigſten Exemplare. In den Tälern ſind die Erträge
nicht von gleicher Regelmäßigkeit wie in hohen Lagen, da Zugluft, Regen- und Tau⸗
feuchtigkeit einen ungünſtigen Einfluß auf die Befruchtung ausüben können. Keine
Obſtart iſt von den lokalen Verhältniſſen derart abhängig wie die Kirſche; die
Bedingungen für ein gutes Fortkommen laſſen ſich nicht angeben. Es muß von Fall
zu Fall ausprobiert werden, bei welcher Behandlung er zuweilen am beſten gedeiht.
Seit einigen Jahren wird in den Hauptkirſchgegenden Deutſchlands ein plötz—
liches Abſterben der Kirſchbäume, deſſen Urſachen noch nicht genügend bekannt ſind,
beobachtet. Wenn dieſe Krankheit weiter um ſich greift und keine geeigneten Mittel
zur Bekämpfung gefunden werden ſollten, ſo dürfte die Weiterkultur der Kirſchen ſehr
in Frage geſtellt werden. In manchen Jahren können die Maden der Kirſchfliege
ſowie die Moniliakrankheit große Schädigungen hervorrufen.
b. Die Baumweichſel oder Glaskirſche (Prunus cerasus). Sie hat ſteife,
abſtehende, elliptiſche, glänzend dunkelgrüne Blätter. Die Blattſtiele ſind drüſenlos,
die Frucht hat ſäuerlichen Geſchmack. In den Gärten und Obſtanlagen iſt die Baum—
weichſel durch eine Menge Varietäten als Süßweichſel und Glaskirſche vertreten;
unter dieſen gibt es Sorten, die viel begehrt ſind; ſie geben als Konſerve eingemacht
die wohlſchmeckendſten Erzeugniſſe. Leider iſt der Verſand auf weite Strecken infolge
der Weichheit der Früchte nicht möglich.
c. Die Sauerkirſche oder Strauchweichſel (Prunus acida). Sie hat ſchwache,
dünne, mehr oder weniger hängende Zweige. Die verhältnismäßig kleinen Blätter
ſind feſt, glänzend dunkelgrün; die Blattſtiele ſind mit 2 Drüſen verſehen. Die
Der moderne Obſtbau. 407
Frucht iſt ſtets ſauer. Der Baum erreicht eine Höhe bis zu 7 m und einen Kronen—
durchmeſſer bis zu 5 m.
Den dünneren Zweigen entſprechen auch ſchwächere Wurzeln, die nicht die Fähigkeit
haben, in die Tiefe zu wachſen, ſondern ſich vornehmlich in den oberſten Schichten
ausbreiten; daher kann der Sauerkirſchbaum noch in Lagen mit hohem Grundwaſſer—
ſtand erfolgreich angebaut werden. Warmer und leichter Boden ſind ihm aber am
liebſten und ſelbſt an trockenen, ſonnigen Hängen (Weinbergen) kommt er gut fort.
Gegen Winterkälte iſt der Sauerkirſchbaum weniger empfindlich als der Süß—
kirſchbaum. Da er überdies ſpäter blüht als die Süßkirſche, wird die Blüte ſeltener
durch Spätfröſte mitgenommen. Er wird auch nicht derartig von Schädlingen befallen
wie der Süßkirſchbaum, z. B. ſieht man Sauerkirſchen kaum je von der Kirſchmade
angeſteckt.
Die Heimat der Kirſchen iſt im weſtlichen Aſien, an den Küſten des Schwarzen
Meeres zu ſuchen. Es iſt anzunehmen, daß ſowohl Prunus cerasus als Pru-
nus avium annähernd zu gleicher Zeit nach Europa gekommen ſind. Die Süß—
kirſche findet ſich allerdings in Europa teilweiſe wildwachſend vor, dies dürfte aber
wohl darauf zurückzuführen ſein, daß ſie bereits lange Zeit durch die ſehr frühe
Kultur verwildert worden iſt. Die Einführung nach Europa iſt entweder durch den
Menſchen oder durch Vögel erfolgt. Die oft wiederholte Angabe, daß die Kirſchen
durch den römiſchen Feldherrn Lucullus aus Kleinaſien nach Italien gebracht worden
ſeien, iſt nicht zutreffend und beruht auf einer mißverſtandenen Bemerkung des
Plinius. Bereits lange Zeit vor Lucullus waren beide Kirſcharten in Europa bekannt;
es iſt wahrſcheinlich, daß Lucullus beſonders wohlſchmeckende Sorten von
Kleinaſien nach Italien einführte.
Die Vermehrung der Süßkirſchen geſchieht derart, daß durch Ausſaat der
Steine der Vogelkirſche oder anderer gewöhnlicher Sorten Wildlinge oder Unterlagen
gewonnen werden, die man ſpäter veredelt. Es iſt jedoch in den letzten Jahren feſt—
geſtellt worden, daß die auf Sämlingen der hellrindigen Vogelkirſche veredelten
Kirſchbäume geſünder bleiben und ein höheres Alter erreichen, als die auf Sämlingen
der dunkelrindigen Vogelkirſche oder auf ſolchen von edlen Kirſchen. Zur Anzucht
hochſtämmiger Sauerkirſchen werden ebenfalls Kirſchwildlinge verwendet, zu Unter—
lagen für Zwerg: und Spalierbäume dient die Mahalebkirſche (Prunus Mahaleb).
Eine pomologiſche Einteilung der Kirſchen verdanken wir dem Freiherrn
v. Truchſeß, der im Jahre 1819 ein Syſtem aufſtellte, das im Jahre 1867 von Lucas
in Reutlingen verbeſſert wurde. Bei dieſem Syſtem werden nach der Abſtammung
vier Geſchlechter unterſchieden, die Klaſſen und Ordnungen werden nach der Farbe
der Frucht, der Beſchaffenheit des Fleiſches und der Farbe des Saftes aufgeſtellt.
Die Reifezeit der Kirſchen wird in Wochen (1—6) angegeben.
Auch als Zierſträucher finden die Kirſchen mannigfache Verwendung. Durch
ſchöne Blüten zeichnen ſich aus Prunus sinensis fl. albo, ein aus Japan
ſtammender 1 m hoher Blütenſtrauch mit reinweißen, dichtgefüllten Blüten; Pr.
sinensis fl. roseo hat roſenrot gefüllte Blüten. Von Prunus cerasus ſind
zwei Varietäten (var. fl. pl. und var. Rhexii fl. pl.) ihres Blütenreichtums und ihrer
weißgefüllten Blüten wegen ſehr beliebt. Beachtung verdient auch Prunus avium
408 2. Abſchnitt.
var. pendula, als Trauerkirſche mit hängenden Zweigen, ebenſo Prunus
Mahaleb (Weichſel) der, wegen des wohlriechenden Holzes, das zu Pfeifenrohren
und Zigarrenſpitzen verwendet wird, bekannt iſt; er iſt ſonſt weniger ſchön als die
vorigen Arten.
Sorten.
A. Süßkirſchen.
Früheſte der Mark. Frucht mittelgroß, herzförmig, ſchwarzrot, ſehr reich—
tragend. Zum Maſſenanbau geeignet. Reife: Ende Mai (1. Woche).
Hedelfinger Rieſenkirſche. Frucht ſehr groß, rundlich oval, ſchwarzrot.
Baum kräftig wachſend, reich und regelmäßig tragend. Reife: Ende Juni bis An—
fang Juli (4. Woche).
Große Prinzeſſinkirſche (Lauermannskirſche, Napoleonskirſche). Frucht ſehr
groß, herzförmig, gelb mit rot. Baum wüchſig, ſehr fruchtbar. Reife: Ende Juni
bis Anfang Juli (4. Woche).
Große ſchwarze Knorpelkirſche. Frucht groß, herzförmig, dunkelbraunrot.
Baum kräftig, ſehr reichtragend. Reife: Mitte Juli (5. Woche).
B. Sauerkirſchen.
Oſtheimer Weichſel. Frucht ziemlich groß, dunkelrot. Baum iſt außerordentlich
reichtragend, hat eine kugelförmige, etwas hängende Krone. Reife: Ende Juni bis
Anfang Juli (4. Woche).
Große lange Lotkirſche (Schattenmorelle, Nordkirſche). Frucht groß, dunkel—
rot, bei voller Reife ſchwarzrot. Baum wächſt in der Jugend kräftig, iſt außer—
ordentlich fruchtbar. Als Buſchbaum und für Spaliere an nördlichen Wänden ſehr
geeignet. Beſte Sorte zum Einmachen. Reife: Auguſt bis September (6. Woche).
C. Halbſaure Kirſchen.
Königin Hortenſia. Frucht groß bis ſehr groß, länglichrund, hellrot. Baum
regelmäßig, aber nicht reichtragend. Eine der edelſten Kirſchen. Reife: Anfang
Juli (4. Woche).
Schöne von Chatenay. Früchte groß, herzförmig, hellrot, ſpäter braunrot.
Baum von gutem Wuchs, ſehr reichtragend. Reife: Ende Juli (5. Woche).
Kirſchſorten für Großkultur:
Große ſchwarze Knorpelkirſche, Hedelfinger Rieſenkirſche, Große Prinzeſſinkirſche,
Königin Hortenſia, Große lange Lotkirſche.
Für Konſerven geeignete Sorten:
Große Prinzeſſinkirſche, Große ſchwarze Knorpelkirſche, Königin Hortenſia, Oſt—
heimer Weichſel, Große lange Lotkirſche.
Der Pflaumenbaum.
Er gehört gleichfalls der Unterfamilie der Amygdalazeen an. Als Stamm—
formen der kultivierten Pflaumenſorten ſind folgende zu betrachten:
a. Der Zwetſchenbaum (Prunus domestica) mit rundlichen Blättern, die
anfangs auf beiden Seiten behaart ſind, ſpäter aber glatt werden. Die Sommer—
Der moderne Obſtbau. 409
triebe ſind kahl; die Blüten kommen zu zwei und drei aus einer Knoſpe und ſitzen an
behaarten Stielen; die länglichen, weichen Früchte haben eine violettblaue Farbe.
b. Krieche, Haferpflaume oder Spilling (Prunus insititia), die Urform
der echten Damaszenen. Die Blätter ſind breitelliptiſch und auf beiden Seiten
behaart. Die Sommertriebe ſind ebenfalls weich behaart; die Blüten ſtehen paar—
weiſe; die Frucht iſt rund und weich.
e. Die Reineclaude (Prunus italica) hat unbehaarte oder nur ſchwachhaarige
Jahrestriebe; die Frucht iſt rund und mit härtlichem Fleiſch.
d. Der Kirſchpflaumenbaum (Prunus cerasifera), auch Mirobalane genannt,
bildet einen buſchigen, ſehr veräſtelten Baum mit völlig unbehaarten Zweigen; die
Früchte ſind rundlich, mit härtlichem Fleiſch und ſtehen auf ziemlich langen Stielen.
Als Heimat des Pflaumenbaums iſt der Kaukaſus und Kleinaſien zu betrachten,
doch gibt es auch wilde Pflaumen in Deutſchland. Der Pflaumenbaum bildet nur
eine kleine Krone, die im Durchſchnitt eine Höhe von 5 m und einen Kronendurch—
meſſer von 4 m erreicht. Er iſt ein Flachwurzler und beſitzt die Fähigkeit, dem
Boden noch die kleinſten Mengen von Nährſtoffen zu entnehmen. Selbſt im armen,
trockenen Erdreich lohnt ſich ſeine Anpflanzung, und infolge der flachen Wurzel—
bildung kann er auch in Lagen mit hohem Grundwaſſerſtand Verwendung finden.
Warme Talſtriche mit genügend Waſſer eignen ſich am beſten zur Anpflanzung; er
verlangt aber Schutz gegen Wind, den er ſchlecht verträgt. Enge und zugige Orte
ſind ungeeignet, weil in ihnen die Blüten meiſtens durch Froſt notleiden.
Von allen Steinobſtſorten iſt die Zwetſche in Deutſchland vorherrſchend. In
obſtreichen Jahren iſt daher oft eine Überproduktion zu beobachten, der durch An—
pflanzung der beſſeren Pflaumenſorten, beſonders der Mirabellen und Reineclauden,
mehr als bisher entgegengearbeitet werden ſollte.
Die Vermehrung der Hauszwetſche geſchah vielfach aus Sämlingen und Aus—
läufern. Die ſo gezogenen Bäume gaben teilweiſe gute Früchte, daneben aber auch
viel unbrauchbares Material; aus dieſem Grunde empfiehlt ſich nur die Anpflanzung
von veredelten Bäumen.
Die Klaſſifizierung der Pflaumenbaumſorten geſchieht nach dem Liegelſchen Syſtem,
das von Lucas-Reutlingen ergänzt und erweitert worden iſt. Nach dieſem Syſtem
werden zehn Klaſſen aufgeſtellt, die nach der Farbe der Früchte in fünf Ordnungen
1. blaue, 2. rote, 3. gelbe, 4. grüne, 5. bunte Früchte und nach der Reifezeit in
ſechs, von Juli bis Oktober reifende Unterordnungen zerfallen.
Sorten.
Ontariopflaume. Frucht groß, eiförmig, goldgelb. Baum ſehr geſund,
reichtragend. Frühe Marktſorte. Reife: Mitte Auguſt.
Kirkes-Pflaume. Frucht groß, rundlich oval, dunkelviolett, gut vom Stein
löſend. Baum ſtark wachſend und ſehr reichtragend. Gedeiht noch in höheren Lagen.
Reife: Ende Auguſt.
Althanns NReineclaude Frucht mittelgroß, glattrund, braunrot. Fleiſch
löſt ſich gut vom Stein. Baum wächſt gut und trägt ſehr reich. Reife: Anfang
September.
410 2. Abſchnitt.
Große grüne Reineclaude. Frucht mittelgroß, rund, gelblichgrün. Baum
wächſt ſtark und iſt ſehr reichtragend. Beſte Konſervenfrucht. Reife: Ende Auguft.
Gelbe Metzer Mirabelle. Frucht klein, rot gefleckt. Baum iſt ſchwach—
wüchſig, trägt ungemein reich. Zum Einmachen die beſte Sorte. Reife: Ende Auguft.
Mirabelle von Nancy. Frucht mittelgroß, gelb. Baum iſt wüchſig und
ſehr fruchtbar. Reife: Mitte Auguſt.
Bühler Frühzwetſche. Frucht groß, dunkelblau. Baum iſt wüchſig, ſehr
früh und dabei außerordentlich reichtragend. Verſand- und Marktſorte erſten Ranges.
Reife: Ende Auguſt. a
Wangenheims Frühzwetſche. Frucht groß, ſchwarzblau. Baum wächſt
mäßig, trägt früh und ſehr reich. Reife: Ende Auguſt.
Hauszwetſche. Frucht mittelgroß, dunkelblau. Baum wächſt gut, ſehr geſund,
anſpruchslos und ſehr reichtragend. Allgemein beliebt. Reife: Mitte bis Ende
September.
III. Bchalenobſt.
Der Walnußbaum (Juglans regia).
Ein Baum aus der Familie der Juglandazeen; mit großen, abwechſelnd geſtellten,
unpaarig gefiederten Blättern von aromatiſchem Geruch. An der Spitze der vor—
jährigen Triebe entwickeln ſich aus blattloſen Knoſpen zurzeit des Laubausbruchs
dicke, hängende, grünliche Kätzchen mit männlichen Blüten, während die weiblichen
Blüten einzeln oder zu mehreren an der Spitze der neuen Triebe ſtehen; ſie haben
einen unterſtändigen Fruchtknoten und große fleiſchige rote Narben.
Die Heimat des Walnußbaums iſt Hochperſien. Als Kulturpflanze kommt er
in Deutſchland nur für einige bevorzugte Gegenden in Betracht; im ganzen ſüdlichen
und ſüdweſtlichen Deutſchland wird er angepflanzt, beſonders aber an der Moſel und
im Odenwald. Er hat ein ungemein raſches Wachstum und bildet Bäume von ge—
waltiger Ausdehnung; Exemplare von 15—20 m Höhe und von 12—15 m Kronen—
durchmeſſer ſind nichts Seltenes. Im Gebirge ſteigt er nicht ſehr hoch, da trockene
Böden mit ſteinigem Untergrund ihm nicht zuſagen; er liefert an ſolcher Stelle auch
nur kleine Früchte. Vorzüglich gedeiht er dagegen in warmen Flußtälern, beſonders
wenn ſeine weichen Wurzeln, die ſich unmittelbar unter der Oberfläche ausbreiten,
die Möglichkeit haben, nach allen Richtungen ungehindert in den Boden einzu—
dringen. Für den landwirtſchaftlichen Obſtbau iſt der Walnußbaum weniger geeignet,
da er die Unterkultur landwirtſchaftlicher Pflanzen faſt unmöglich macht und unter
ſeinem Schatten nichts aufkommt. An anderen Stellen, wo er nicht hindert, wie
z. B. auf Viehweiden, bilden feine mächtigen Kronen einen majeſtätiſchen Anblick
und prächtigen Schmuck für die Gegend. Er erreicht ein ſehr hohes Alter und wird
früheſtens im 15. Jahre fruchtbar; die Blüte leidet ſehr oft durch Spätfröſte.
Die Anzucht der Walnußbäume geſchieht aus Samen, die nach der Reife
ſtratifiziert und im Frühjahr ausgeſäet werden.
Die Früchte der zahlreichen Kulturformen unterſcheiden ſich meiſt durch die
Größe, die Dicke der Schale und den Wohlgeſchmack der Kerne.
Der moderne Obſtbau. 411
Als Ziergehölze verdienen einige in der Belaubung abweichende Formen
Beachtung: Juglans regia monophylla, der einblättrige Walnußbaum; J. regia
pendula mit hängenden Zweigen; J. regia laciniata mit ſehr ſchönen geſchlitzten
Blättern.
Der Kaſtanien baum (Castanea vesca).
Zum Unterſchied von der Roſtkaſtanie (Aesculus hippocastanum) wird dieſer
Baum als echte, gute, auch eßbare und Edelkaſtanie bezeichnet; er gehört der Familie
der Kupuliferen an. Die Heimat des Kaſtanienbaums iſt urſprünglich Kleinaſien;
ſeit langen Zeiten kommt er aber auch wild oder wenigſtens verwildert im wärmeren
Europa vor. Im ſüdlichen Teil von Deutſchland und am Rhein wird er als Frucht—
baum angepflanzt, aber ſelbſt in Norddeutſchland kommt er in geſchützten Lagen gut
fort. Die ſchönen, hellgrünen Blätter haben ſcharfe Sägezähne und werden bis zu
30 em lang. Der aus einer achſelſtändigen Ahre beſtehende Blütenſtand hat am
Grunde einen oder einige Knäuel weiblicher, ſonſt aber nur männliche Blüten. Die
weiblichen Blüten ſtehen zu zwei bis drei in einer weichſtacheligen Hülle, die ſich
ſpäter zu einem geſchloſſenen, lederartigen Becher (Cupula) ausbildet. Jede Frucht
ſchließt nur einen, ſelten zwei
Samen ein. Die Samen der
Kaſtanien werden auch Ma:
ronen genannt.
Im Gegenſatz zum Wal—
nußbaum beſitzt der Kaſtanien—
baum ein kräftiges Wurzel—
ſyſtem, das noch mit Leichtig—
keit in ſteiniges Erdreich und
Felsſpalten einzudringen ver-
mag. Er verlangt viel Wärme
und wird daher vorteilhaft
nur an ſüdlichen Hängen an—
gepflanzt, wie das noch im
Schwarzwald, im Taunus,
am Rhein und in den Vo—
geſen geſchieht. Der Baum
erreicht eine Höhe bis zu
20 m, einen Kronendurch—
meſſer bis zu 15 m und ein
Alter von mehreren hundert
Jahren. Im Wuchſe, in
Holz und Rinde ähnelt er
der Eiche. Die Vermehrung
geſchieht faſt nur durch Aus—
ſaat. Die Anpflanzung der
R R Abb. 14. Haſelnuß: Wunder von Bollweiler.
echten Kaſtanien geht leider (Nach einer Photographie.)
412 2. Abſchnitt.
von Jahr zu Jahr zurück, da durch die billige Einfuhr italieniſcher Kaſtanien die
Kultur in Deutſchland immer unlohnender wird, doch verdient er um ſeiner Schönheit
willen, daß man ihn die wirtſchaftliche Entwertung durch den Welthandel nicht allzu
hart entgelten läßt.
Der Haſelnußſtrauch (Corylus Avellana).
Er kommt vorzugsweiſe in Europa und Aſien vor und gehört zur Familie der
Betulazeen. Die männlichen Kätzchenblüten des nächſten Jahres werden ſchon früh
im Sommer angelegt; daneben entſtehen in beſonderen Knoſpen die weiblichen Blüten;
ſie ragen im Februar, wenn der Strauch zu blühen beginnt, mit ihren roten Griffeln
weit aus der geſchlitzten Hülle heraus. Letztere wächſt mit der Frucht heran und
umgibt ſie als Cupula. Die Nuß hat einen, ſeltener zwei wohlſchmeckende ſehr öl—
haltige Samen.
Corylus Avellana, der bei uns heimiſche Haſelnußſtrauch, iſt die Stamm—
form verſchiedener durch Größe und Form ſowie reicheres Tragen ſich auszeichnender
Sorten geworden. Bei dieſen Arten überragt die Fruchthülle die Nuß wenig oder
iſt kürzer als ſie, immer aber unregelmäßig gelappt. Andere Sorten ſtammen von
der Lambertsnuß (Corylus tuberosa) deren rundlich-ſpitze Früchte Lamberts—
(Langboats-ynüſſe in einem die ganze Frucht bedeckenden Becher ſitzen. Die Ver—
mehrung aller Haſelnüſſe findet ſowohl durch Stecklinge und Ableger als durch Ver—
edlung auf Sämlinge von Gorylus Avellana ſtatt.
Im Boden und Klima iſt der Haſelnußſtrauch anſpruchslos. Das hat dazu
geführt, daß man auf ſeine geringen Bedürfniſſe überhaupt keine Rückſicht mehr
nahm und mangelhafte Ernten waren die Folge. Vortrefflich eignet ſich der Haſel—
nußſtrauch zu Schutzpflanzungen. Es darf aber nicht außer Acht gelaſſen werden,
daß der Haſelnußſtrauch, um reiche Ernten zu geben, einer gewiſſen Pflege, Boden—
bearbeitung und Düngung nicht entbehren kann.
Auch vom Haſelnußſtrauch werden einige Varietäten, die in Form und Farbe
der Blätter und im Habitus von der Stammform abwdeichen, als Zierſträucher ver—
wendet. Zu nennen find Corylus Avellana atropurpurea mit dunkelroten,
C. Avellana aurea mit lebhaft gelben Blättern C. Avellana laciniata und
quereifolia mit tief eingeſchnittenen Blättern. Man hat auch eine Trauerform,
C. Avellana pendula.
Sorten:
Weiße Lambertsnuß. Frucht mittelgroß, zugeſpitzt, ſehr dünnſchalig, früh—
reifend. Sehr dankbare Sorte, auch zu Schutzpflanzungen vorzüglich geeignet.
Rotblättrige Lambertsnuß. Sehr dankbarer Träger, dabei durch die Be—
laubung ſehr wirkungsvoll.
Wunder von Bollweiler. Frucht beinahe rund, ſehr groß. Strauch wächſt
ſehr ſtark.
Zur Anpflanzung ſind ferner zu empfehlen: Webbs Preisnuß und Halliſche
Rieſennuß.
Der moderne Obſtbau. 413
Der Maulbeerbaum (Morus).
Er gehört der Familie der Morazeen an; die Blätter ſtehen abwechſelnd und
ſind herz⸗eiförmig. Die männlichen und weiblichen Blüten bilden ährenartige Blüten—
ſtände, die ſich in den Achſeln der Blätter entwickeln. Der Fruchtſtand wird zu
einer Scheinbeere, ungefähr von dem Ausſehen einer Brombeere.
Die bekannteſten und wichtigſten Arten ſind der weiße und der ſchwarze Maul—
beerbaum. Der weiße Maulbeerbaum (Morus alba) hat wahrſcheinlich ſeine
Heimat in China, wo er nach einigen Angaben ſchon ſeit 4000 v. Chr. Geb. ange—
pflanzt wird. Seine Blätter find das beſte Nahrungsmittel für Seiden raupen;
auch in Deutſchland wurden die Bäume zu dieſem Zweck vielfach gezogen.
Der weiße Maulbeerbaum gedeiht noch im dürftigſten Sandboden, verträgt
große Trockenheit, erreicht eine Höhe von 6—8 m und einen Kronendurchmeſſer von
6 m. Seine Früchte ſind wegen der faden, übergroßen Süßigkeit wenig beliebt.
Weit mehr kommt als Fruchtbaum der ſchwarze Maulbeerbaum (Morus
nigra) in Betracht. Die großen, ſchönen Früchte ſind zum Rohgenuß, zu Marme—
laden und Säften recht brauchbar, obwohl die ungleiche und auf einen langen Zeit—
raum ausgedehnte Reife, ſowie das leichte Abfallen der Früchte ſehr unangenehm
ſind. Die Beeren haben die Farbe P
und Form der Brombeeren, enthalten
einen dunkelroten Saft und haben
einen angenehmen, weinſäuerlichen
Geſchmack.
Seine Heimat iſt in Perſien und
anderen Teilen Kleinaſiens zu ſuchen.
Er iſt ebenfalls ſchon lange Zeit in
Kultur. Die dichtbehaarten Blätter
dienen gleichfalls als Futter für Seiden
raupen, doch eignen ſie ſich hierfür
weniger als die kahlen Blätter des
weißen Maulbeerbaumes.
Der ſchwarze Maulbeerbaum er—
trägt große Hitze und Trockenheit; er
gedeiht in Süddeutſchland und am
Rhein noch ſehr gut. Im Rheingau
findet man 50 jährige Bäume in voller
Geſundheit und reicher Fruchtbarkeit.
In Norddeutſchland leidet er leicht
durch Winterkälte und entwickelt ſich en ae a Berne dere
dann mehr ſtrauchartig; ſelten findet
man Bäume. Die Vermehrung geſchieht durch Samen, Ableger, Stecklinge und Okulation.
Einige Arten werden als Zierpflanze gezogen, ſo die in Nordamerika heimiſche
rote Maulbeere (Morus rubra); eine Form mit roten, ſüß ſchmeckenden Früchten,
die eßbar ſind.
414 2. Abſchnitt.
Der ZJohannisbeerſtrauch (Ribes rubrum und Ribes nigrum).
Er gehört zur Familie der Steinbrechgewächſe (Saxifragazeen) und iſt im
Norden Europas als Kulturſtrauch weit verbreitet. Der gemeine Johannisbeerſtrauch
(Ribes rubrum) ſoll aus Skandinavien ſtammen; von hier aus haben ihn die Nor—
mannen nach Frankreich gebracht. Die ſchwarzfrüchtige Johannisbeere, Gicht- oder
Ahlbeere, (Ribes nigrum) ſtammt gleichfalls aus Nordeuropa; ſie hat ſchwarze oder
grüne Beeren und Laub mit ſtarkriechenden Oldrüſen.
Die Johannisbeeren zählen zu den genügſamſten Obſtarten und laſſen ſich wohl
in jedem Boden anbauen, allerdings benötigen ſie dann, um reiche Ernte zu geben,
einer genügenden Nahrungszufuhr. Am beſten gedeihen ſie in kräftigem, lehmigem
Boden, der hinreichend Feuchtigkeit aufweiſt. Auch an das Klima ſtellt die Johannis—
beere nur geringe Anſprüche; ſelbſt in hohen Gebirgslagen, wo andere Kulturen ver—
ſagen, zeigen ſie noch ein gutes Wachstum. In ſonnigen Lagen werden die ſüßeſten
und aromatiſchſten Früchte geerntet, doch läßt ſich die Johannisbeere auch zu Unter—
kultur verwenden.
Die Vermehrung der Johannisbeere geſchieht durch Ableger, Wurzelhalstriebe
und Stecklinge.
Pomologiſch werden die Johannisbeeren nach der Farbe der Beeren eingeteilt
und zwar in: rote, roſenrote, ambrafarbige, weiße, ſchwarze und geſtreifte.
A. Rotfrüchtige Sorten.
Fay's Fruchtbare. Die Trauben ſind lang und reichbeerig, die Beeren ſind
ſehr groß und dunkelrot. Der Strauch wächſt etwas überhängend, trägt reich und
regelmäßig. Reift früh.
Rote Holländiſche. Die Trauben ſind mittellang, ebenfalls die Beeren,
mittelgroß und hellrot. Der Strauch wächſt kräftig und aufrecht. Sie trägt ſehr
reich. Reife: Ende Juli.
Rote Kirſch. Die Trauben ſind mittellang, die Beeren groß und dunkelrot.
Der Strauch hat einen geſunden Wuchs, trägt früh und reich.
B. Weißfrüchtige Sorten.
Weiße Holländiſche. Die Trauben ſind mittellang, die Beeren mittelgroß.
Der Strauch hat einen geſunden, aufrechten Wuchs, trägt früh und reich. Reife:
Ende Juni.
Weiße Verſailler. Die Trauben ſind lang, die Beeren groß. Der Strauch
wächſt kräftig, aufrecht und trägt reich.
C. Schwarzfrüchtige Sorten.
Bang up. Die Trauben ſind kurz, die Beeren ſehr groß. Der Strauch hat
ſehr geſunden, kräftigen Wuchs und iſt ſehr reichtragend. Die Früchte reifen gleich—
mäßig und früh.
Der Stachelbeerſtrauch (Ribes Grossularia).
Gleichfalls ein Strauch aus der Familie der Steinbrechgewächſe. Er kommt
in ganz Europa und Nordaſien verwildert vor. Seine Zweige ſind mit Dornen
Der moderne Obſtbau. 415
(verholzten Nebenblättern) beſetzt; die Blüten ſtehen einzeln, die Frucht iſt
eine kleine, ſaftige, wohlſchmeckende Beere. Durch langjährige Kultur ſind beſonders
in England, ſpäter auch in Deutſchland, großfrüchtige Sorten erzielt worden.
Im allgemeinen ſtellt die Stachelbeere keine hohen Anſprüche an Boden, Lage
und Klima, doch iſt ſie etwas anſpruchsvoller als die Johannisbeere, wenn ſie reiche
Ernte und vollkommen ausgebildete Früchte liefern ſoll; trockene Böden ſagen den
Stachelbeeren ſehr wenig zu. In freien, ſonnigen Lagen laſſen die Sträucher bei
anhaltender Hitze leicht die Blätter fallen. Im Halbſchatten kommt er zur vollſten
Entwicklung, weshalb der Strauch zur Zwiſchenpflanzung unerſetzlich iſt. Die Ein—
nahmen ſind bei den Stachelbeeren ſicherer, da die Verwendungsmöglichkeit größer
als bei den Johannisbeeren iſt und die Früchte ſowohl im grünen (unreifen) als im
reifen Zuſtand gut abgeſetzt werden können.
Die Vermehrung geſchieht durch Ableger, Stecklinge, Wurzelhalstriebe und durch
Veredlung.
Der kaiſerlich ruſſiſche Staatsrat v. Pausner hat die Stachelbeere ſyſtematiſch
geordnet und beſchrieben. Er teilte ſie nach der Farbe in vier Klaſſen ein — rote,
grüne, gelbe und weiße —; nach der Oberfläche der Schale in 3 Ordnungen —
glatte, wellige und haarige —; nach der Form in 6 Unterordnungen — runde,
rundliche, elliptiſche, längliche, eiförmige und birnförmige.
A. Gelbfrüchtige Sorten.
Hönings Früheſte. Die Früchte ſind mittelgroß, hellgelb gefärbt. Die
Schale iſt behaart, dünn, trotzdem aber feſt. Der Strauch wächſt kräftig, iſt geſund
und ſehr fruchtbar. Reife: Ende Juni. Marktſorte I. Ranges.
Früheſte Gelbe. Die Früchte ſind klein bis mittelgroß, goldgelb. Der
Strauch wächſt kräftig, aufrecht, trägt ſehr reich und früh. Reife: Anfangs Juli.
B. Grünfrüchtige Sorten.
Grüne Flaſchenbeere. Die Frucht iſt ſehr groß, flaſchenförmig, dünnſchalig.
Der Strauch wächſt kräftig, iſt geſund und reichtragend. Zum Grünpflücken im un—
reifen Zuſtande ſehr empfehlenswert. Reife: Mitte Juli.
Früheſte von Neuwied. Die Frucht iſt groß, behaart, gelblich grün.
Der Strauch wächſt mittelſtark und iſt ſehr fruchtbar. Zum Grünpflücken weniger
geeignet, deſto empfehlenswerter zum Rohgenuß. Reife: Ende Juni bis Anfang Juli.
C. Rotfrüchtige Sorten.
Rote Triumphbeere (Whinhams Industry). Die Frucht iſt groß, dunkel-
braunrot, behaart und ſehr ſaftig. Der Strauch wächſt kräftig und trägt alljährlich
ſehr reich. Zum Rohgenuß, weniger zum Grünpflücken geeignet. Reife: Mitte Juli.
Der Himbeerſtrauch (Rubus Idaeus).
Ein einheimiſcher Halbſtrauch aus der Familie der Roſazeen. Die Stengel
ſterben im zweiten Jahre, nachdem ſie geblüht haben, ab, um dem jungen, aus der
Wurzel treibenden Nachwuchs Platz zu machen. Die Frucht des Himbeerſtrauches iſt
eine ſog. Sammelfrucht, die ſich bei der Reife von einem kegelförmigen Blütenboden
416 2. Abſchnitt.
ablöſt. In der urſprünglichen Form findet ſich die Himbeere über ganz Europa ver—
breitet. Eine Neuzüchtung bilden die zweimal tragenden oder remontierenden Himbeer—
ſträucher, die im Spätſommer oder Herbſt an den Sommertrieben Blüten und Früchte
entwickeln, während die darunter befindlichen Knoſpen erſt im folgenden Frühjahr ſich
zu Blütentrieben entfalten und ſomit in einem Jahre zwei Ernten geben. Für den
Erwerbsobſtzüchter ſind die einmal tragenden vorzuziehen, während der Liebhaber an
den remontierenden eine größere Freude haben wird.
Der Himbeerſtrauch ſtellt keine beſonderen Anſprüche an Lage und Klima. Er
verlangt eine ſonnige Lage; im Halbſchatten angepflanzt, läßt die Triebbildung und
der Fruchtanſatz zu wünſchen übrig. Hinſichtlich des Bodens iſt er ſehr genügſam;
zu ſeiner vollen Entwicklung be⸗
darf er jedoch eines an Nähr-
ſtoffen reichen Bodens. In zu
ſchwerem und kaltem Boden fühlt
ſich die Himbeere nicht wohl. Die
Vermehrung erfolgt ausſchließlich
durch Ausläufer.
A. Notfrüchtige Sorten.
Superlativ. Die Frucht iſt
groß bis ſehr groß, feſt, zucferhut-
förmig. Der Wuchs iſt kräftig,
macht jedoch wenig Ausläufer.
Reifezeit früh.
Hornet. Die Frucht iſt groß,
rundlich, dunkelrot. Der Wuchs
iſt kräftig und bilden ſich zahlreiche
ſtarke Ausläufer. Reifezeit früh.
Eine für den Gartenbeſitzer als.
Abb. 16. Brombeerſtrauch, Rubus caesius L. Blühender Zweig; 1 Fi
a ein vergrößerter Samen, b eine Frucht. (Nach Thomes Flora.) auch für den Erwerbsobſtzüchter
gleich empfehlenswerte Sorte.
Billards Immertragende (Immertragende von Feldbrunnen). Die Frucht
iſt groß, dunkelrot und feſt. Der Wuchs iſt kräftig, aufrecht; bildet zahlreiche ſtarke
Ausläufer. Reife: Ende Juni.
B. Gelbfrüchtige Sorten.
Magnum bonum. Frucht groß bis mittelgroß. Hat einen ſtarken, auf—
rechten Wuchs; bildet viele Ausläufer. Sie trägt ſehr reich. Reife: Ende Juni.
Der Zrombeerftrauch (Rubus fruticosus).
Ein bei uns einheimiſcher Strauch aus der Familie der Roſazeen. Er unter-
ſcheidet ſich von der Himbeere durch den mehrjährigen Stengel. Die Sammelfrucht
löſt ſich auch nicht vom Blütenboden ab, wie ſolches bei der Himbeere der Fall iſt.
Die Tragbarkeit iſt reich und die
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Der moderne Obſtbau. 417
Die Stengel und Zweige ſind meiſt mit ſcharfen Stacheln bewaffnet, weshalb ſich
die Brombeeren vorteilhaft zu Schutz- und Heckenpflanzen eignen.
Die in Deutſchland in Gebüſchen, an Waldrändern und Hecken wildwachſenden
Brombeeren werden nicht mehr kultiviert; ſie ſind erſetzt worden durch die aus
Amerika eingeführte Rubus villosus, die mit anderen Arten gekreuzt worden iſt;
ihr Anbau nimmt ſtändig an Umfang zu.
Die Brombeere ſtellt dieſelben Anforderungen an Klima, Lage und Boden wie
die Himbeere, dürfte aber im allgemeinen noch anſpruchsloſer ſein. Sie kann ſehr
gut zur Bekleidung von Mauern und Häuſerwänden benützt werden; beſonders die
großfrüchtigen, amerikaniſchen Sorten eignen ſich zu dieſem Zweck. Für die Groß—
kultur iſt genügender Abſatz ſehr wichtig, denn augenblicklich iſt die Nachfrage nach
Brombeeren nur gering. Die Vermehrung erfolgt vorzugsweiſe durch Ausläufer.
Sorten:
Theodor Reimers. Die Frucht
iſt groß, glänzend ſchwarz, ſehr ſaftreich.
Das Wachstum iſt außerordentlich ſtark,
aufrecht, dabei ſehr reichtragend. Reife:
Mitte Auguſt.
Lucretia. Die Frucht iſt ſehr groß,
länglich, tiefſchwarz und von gutem Ge—
ſchmack. Sie bildet dünne, lange Triebe,
die ſich vorzüglich zu Feſtons oder zur
Bekleidung von Spalieren und Lauben
eignen. Ein leichtes Decken im Winter iſt
anzuraten.
c = > 55 o- * ;
Die Eröbeere (Fr agal ia). Abb. 17. Erdbeerſorten.
1 = Fraise Noctem Nicense. 2 = Fr. du Chili. 3 =
Eine ſtaudige Pflanze mit zahlreichen Fr. Cuthills black Prince. 4+= Fr. Béhnes d'Automne.
Ausläufern aus der Familie der Roſazeen.
Die Blätter ſind dreiteilig, die Blüten weiß. Auf einem ſaftigen, fleiſchigen Frucht—
boden ſitzen die zahlreichen Samen, ſo daß die Erdbeere nicht eine Beere im botaniſchen
Sinn, ſondern eine Scheinbeere iſt. Die Gattung Fragaria iſt in allen Weltteilen
zu Hauſe. Aus den Blattachſeln entwickeln ſich die Ausläufer, d. h. fadenförmige,
langgliedrige Aſte, die über den Boden hinlaufen und an den Knoten Wurzeln ſchlagen;
oberſeits bildet ſich eine kleine Blattroſette als Anfang einer neuen Pflanze.
Die in den Gärten angebauten Erdbeerſorten ſtammen von mehreren Formen
ab. Die wiſſenſchaftlich feſtgeſtellten Arten der Erdbeere ſind:
Die gemeine Erdbeere (Fragaria vesca). Sie hat die kleinſten, aber ſehr
aromatiſche Früchte. Durch die Kultur werden die Früchte doppelt ſo groß wie bei
den wildwachſenden Pflanzen. Eine wahrſcheinlich in den Gärten entſtandene Form
iſt die Monatserdbeere (Fr. semperflorens), die faſt den ganzen Sommer hin—
durch blüht und Früchte bringt.
Schulz, Obſtbau. 27
418 Der moderne Obſtbau.
Die Moſchuserdbeere (F. elatior) hat ziemlich große, moſchusartig gewürzte
Früchte; die Pflanze iſt zweigeſchlechtig, d. h. männliche und weibliche Blüten befinden
ſich getrennt auf verſchiedenen Stöcken. Ihre verbreitetſte Kulturform iſt die Vier—
länder Erdbeere.
Den vorgenannten Erdbeeren europäiſchen Urſprungs ſchließen ſich folgende
amerikaniſche Arten an:
Die Virginiſche oder Scharlacherdbeere (F. virginiana). Sie zeichnet ſich
durch frühe Reife und beſonders reiches Tragen aus. Die Früchte ſind mittelgroß
oder klein, lebhaft rot gefärbt, mit rotem, feſtem Fleiſch und ſehr wohlſchmeckend.
Die Chileerdbeere (F. chilensis). Sie hat enorm große Früchte mit ganz
vorzüglichem Geſchmack.
Die großfrüchtige Garten- oder Ananaserdbeere (F. grandiflora). Sie
bringt meiſt ſehr große, anſehnliche Früchte von verſchiedener Form, Farbe und
Reifezeit.
Die Erdbeere verlangt kräftigen, gelockerten, regelmäßig gedüngten, humus—
haltigen Boden. Als Unterkulturpflanze iſt ſie von unſchätzbarem Wert. Sie hat
allerdings nicht die lange Lebensdauer wie das Beerenobſt, denn mit dem vierten
Jahre werden die Früchte klein, trotz ſorgfältiger Pflege und Düngung; es muß
daher rechtzeitig für Neuanpflanzung Sorge getragen werden.
A. Großfrüchtige Sorten.
Laxtons Noble. Frucht ſehr groß, rundlich, leuchtend rot. Das Fleiſch iſt
ziemlich feſt. Der Wuchs iſt kräftig und geſund. Der Ertrag iſt alljährlich ein
reicher, doch geht derſelbe bei mangelnder Pflege bald zurück. Eine der beſten
Marktſorten.
Deutſch-Evern. Die Frucht iſt mittelgroß, von ſchönroter Farbe. Das
Fleiſch iſt feſt, daher zum Verſand gut geeignet. Die Fruchtbarkeit iſt ſehr groß.
Wertvoll iſt die Frühreife.
Jucunda. Frucht groß, herzförmig, glänzend rot. Das Fleiſch iſt feſt. Die
Reife mittelfrüh und die Tragbarkeit ſehr gut. Vorzügliche ſehr dankbare Marktſorte.
König Albert von Sachſen. Die Frucht iſt groß, hellblaßrot, mit weiß—
licher Spitze, desgleichen auf der Schattenſeite oft weißlich. Die Tragbarkeit iſt gut.
Reife: Mitte Juni. Eine der wohlſchmeckendſten Sorten.
B. Monatserdbeere.
Ruhm von Döbeltitz. Die Frucht iſt verhältnismäßig groß, dunkelrot und
von beſonderem Wohlgeſchmack. Die Pflanzen wachſen kräftig und ſind geſund. An
Boden und Standort ſtellt ſie keine Anſprüche. Reift ſchon ſehr früh.
Der Weinftock (Vitis vinifera)
iſt ein Schlingſtrauch aus der Familie der Vitazeen, der im wilden Zuſtand ſtarke
Stämme bildet; die Rinde löſt ſich in langen, baſtartigen Streifen ab. Die Blatt—
augen ſtehen am Weinſtock wechſelſtändig; ihnen gegenüber liegen Ranken oder
Blütenſtände von trugdoldiger Traubenform. Die drei- bis fünflappigen Blätter
Der moderne Obſtbau. 419
ſind handförmig geteilt. Die Frucht iſt rund oder oval, grün, gelb, rot, blau oder
ſchwarzblau.
Über die Heimat der europäiſchen Weinrebe gehen die Anſichten auseinander.
Früher nahm man an, ſie ſtamme aus Kleinaſien, ſei urſprünglich in den Ländern
ſüdlich des Kaspiſchen Meeres heimiſch und über die Mittelmeerländer nach Europa
gelangt. Neuerdings wendet man ſich gegen dieſe Wanderungstheorie. Der ruſſiſche
Botaniker Korſhinski hält die Weinrebe entſchieden nicht nur in Kleinaſien, ſondern
überhaupt in den das Mittelmeer umgebenden Ländern, in Turkeſtan, im Kaukaſus
und in ganz Südeuropa nördlich bis zur Donau und zum Rhein für urſprünglich wild.
Zu den gleichen Ergebniſſen kommt Baſſermann-Jordan. In ſeiner „Ge—
ſchichte des Weinbaus“ ſchreibt er: „Das Auffinden einheimiſcher (wilder) Reben in
der Neuen Welt hätte der Theorie von einer Wanderung der Rebe ſchon ein Ende
bereiten können; die Entdeckung wilder Reben in Europa, insbeſondere im Rheintal,
wollte man nicht gelten laſſen und erklärte dieſe Reben für verwildert, als aber die
Abfallhaufen der Pfahlbauten anfingen, Rebenkerne als Beweiſe der Exiſtenz prä—
hiſtoriſcher Reben in Europa vorzuweiſen, als gar die Braunkohlenſchichten der
Tertiärformation mit ihren Reſten von Rebenblättern und Trauben einen Einblick
in ihr hunderttauſendjähriges Tagebuch geſtatteten, da mußten die Vertreter der
Wanderungstheorie verſtummen, und doch herrſcht dieſe noch heute in den Köpfen
der überwältigenden Mehrzahl aller Gebildeten.“
Die Unterſcheidung von Arten bei den Reben der Tertiärperiode iſt ſehr ſchwierig;
die in Deutſchland gefundenen Arten hat man als V. teutonica, V. islandica
und V. arctica bezeichnet; fie ähneln mehr der amerikaniſchen V. cordifolia als
der V. vinifera. Aber auch letztere konnte in den prähiſtoriſchen Lagern foſſiler
Pflanzen, vornehmlich in den diluvialen Tuffen zu Montpellier und ähnlich alten
Schichten Italiens, nachgewieſen werden. Baſſermann-Jordan kommt zu dem Er—
gebnis, daß der ebene Wald unſerer Flußtäler urſprünglich der natürliche Standort
der Pflanze war; auch die berühmte bibliſche Rieſentraube des Landes Kanaan wuchs
in einem Flußtal: „und ſie kamen bis an den Bach Escol und ſchnitten daſelbſt einen
Reben ab mit einer Weintraube und ließen ſie zween auf einem Stecken tragen.“
Ebenſo ſind ja auch in Amerika Flußtäler die Standpunkte der wilden Reben (Texas,
Chile), desgleichen in Aſien (am Amur, und beſonders in den Ländern zwiſchen dem
Kaſpiſchen Meer, Ararat und Taurus), in Auſtralien, auf den Sandwichinſeln, und
in Europa (an der Etſch, der Save, der Donau, an zahlreichen franzöſiſchen Flüſſen,
endlich am Rhein). Baſſermann-Jordan ſtellt aber feſt, daß ſich die von der Natur
ſolcherweiſe der Rebe angewieſene Zone nicht nördlicher als Mannheim ausgedehnt
hat; auf der langen Strecke von Mannheim bis Bonn, die linksrheiniſch teilweiſe
ſeit Römerzeit, rechtsrheiniſch meiſt auch ſeit mindeſtens 800 Jahren mit Reben be—
pflanzt iſt, hat nie eine wilde Rebe gefunden werden können, der beſte Beweis dafür,
daß die wilden Reben des ſüdlicheren Rheintals nicht etwa als bloß verwildert an—
zuſehen ſind. Ebenſowenig haben wilde Reben in den ſeit langen Jahrhunderten
mit Wein bepflanzten Tälern der Saale, des Mains, der Tauber oder des Neckars
entdeckt werden können. Das Rheintal von Baſel bis Mannheim blieb in Deutſch—
420 2. Abſchnitt.
land die einzige Fundſtätte; es hat danach die Natur das Elſaß, Baden und die
Rheinpfalz für die Weinkultur ganz beſonders prädeſtiniert.
J. P. Bronner, dem das Hauptverdienſt bei dem Studium der wilden Reben
gebührt, konnte vor 50 Jahren noch 36 Sorten wilder Reben in den Rheinwaldungen
nachweiſen und durch Ableger und Kerne gärtneriſch züchten; er hat auch die ver—
ſchiedenen Sorten benannt.
Die heute in Kultur befindlichen Traubenſorten hält Korſhinski für Baſtarde
mehrerer Arten der Weinrebe und ihrer heterogenen Formen. Überhaupt wird ein
derartig weitgehender Formenreichtum, wie ihn die heutzutage kultivierte Weinrebe
zeigt, nur innerhalb der Formenkreiſe derjenigen Kulturpflanzen beobachtet, die ihren
Urſprung nicht nur einer einzelnen, ſondern mehreren Stammarten verdanken. Man
muß annehmen, daß die europäiſch-aſiatiſchen Stammarten der Weinrebe in vor—
hiſtoriſchen Zeiten ein ähnliches Bild zeigten wie heutzutage die amerikaniſchen Arten.
Mit der Weinkultur zuſammen tritt der Weinſtock in die Geſchichte ein. Die
Entſtehung der Weinkultur fällt in vorgeſchichtliche Zeiten und wird von
allen weinbautreibenden Völkern in die Sagenzeit oder die Göttermythe verlegt.
Baſſermann⸗Jordan meint, daß die Kenntnis, wie man aus Trauben Wein gewinnt,
zufällig von einem einzigen Volk erlangt worden ſein konnte und ſich von da zu
andern Völkern verbreitete; z. B. konnte ſie aus Vorderaſien ebenſowohl nach Europa
als nach Indien und China gelangt ſein. Es iſt aber ebenſogut möglich, daß ſie in
einer vorgeſchichtlichen Gleichzeitigkeit, ſowohl bei den Chineſen wie bei den Bewohnern
Indiens, Armeniens, Syriens uſw. aufkam. Dieſe Einzelheiten aus der Wanderungs—
geſchichte der Weinkultur werden wohl niemals ganz aufgeklärt werden können.
Die Weinkultur der Griechen und ganz beſonders die der Römer iſt für den
deutſchen Weinbau von großer Wichtigkeit geweſen.
Die älteſten griechiſchen Schriften zeigen den Weinbau bereits in voller Blüte,
er hatte bereits eine hohe Vollkommenheit erreicht. Welche Bedeutung der Wein—
kultur beigemeſſen wird, iſt daraus erſichtlich, daß dem Wein in den homeriſchen Dich—
tungen ein wichtiger Platz eingeräumt wurde.
Es iſt kaum zu bezweifeln, daß Italien die Weinkultur den griechiſchen
Koloniſten zu verdanken hat, doch findet ſich dieſe nicht nur in Unteritalien, der
Hauptſtätte der griechiſchen Kolonien, ſondern auch in der Poebene. Bereits im
5. Jahrhundert vor Chr. wird Italien als weinbautreibend gerühmt. Aber ſowohl
von den verwöhnteren Griechen als auch Römern ſelbſt wird der italiſche Wein noch
lange verachtet. Plautus (um 254 — 184 v. Chr.) und Cato (um 234 — 149 v. Chr.)
rühmen nur griechiſche Weine; auch ſpäter bedienten ſich die Arzte nur ihrer.
Trotzdem nahm der römiſche Weinhandel eine ungeheure Ausdehnung an, der
Export dehnte ſich bis nach Indien aus und ging tief nach Germanien hinein.
Nach Baſſermann-Jordan war für den deutſchen Weinbau der galliſche von
größter Bedeutung, „der, unabhängig von den Römern begründet, durch die römiſche
Kultur vervollkommnet und unter der Römerherrſchaft trotz entgegenſtehender Geſetze
derartig ausgebreitet wurde, daß er als Vater des deutſchen Weinbaus zu betrachten
iſt. Der galliſche Weinbau hat den linksrheiniſchen Weinbaugebieten die Rebenkultur
vermittelt, vermutlich ſchon im 2. Jahrhundert, ſpäteſtens aber bis gegen die Mitte
Der moderne Obſtbau. 421
des 3. Jahrhunderts; er war unabhängig von den Römern durch griechiſche Koloniſten
entſtanden, blieb aber vor der Zeit der römiſchen Herrſchaft in Gallien auf die
Umgebung ſeines Ausgangspunktes (Maſſalia) beſchränkt; erſt von der römiſchen
Kultur iſt er immer weiter nach Norden bis an den Rhein und an die Moſel getragen
worden.“
Als Begründer des deutſchen Weinbaus wird ſeit Jahrhunderten der Kaiſer
Probus (276—82) angeſehen; er verdankt dieſen Ruhm einigen wenigen Stellen
der römiſchen Literatur. Baſſermann-Jordan kommt aber zu dem Ergebnis, daß
dieſe Stellen, auf Grund deren Probus als Begründer des deutſchen Weinbaus wie
auch des Weinbaus in Ungarn, Britannien und Nordgallien gefeiert wurde, nichts
weiter beſagen, als daß dem Probus
1. die Erleichterung angeblich beſtehender rechtlicher Beſchränkungen im pro—
vinzialen Weinbau,
2. die faktiſche Ausbreitung des Weinbaus durch Neuanlagen zugeſchrieben wird.
Probus ſteht zweifellos da als einer der bedeutendſten Förderer des Weinbaus;
aber man hat mit Unrecht in die römiſchen Berichte hinein interpretiert, daß Probus
in verſchiedenen Teilen des römiſchen Reiches die erſten Weinberge angelegt habe.
Im Moſeltal, bei den keltiſch-germaniſchen Trevirern nahm die Rebenkultur
gegen Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. eine große Ausdehnung an. Auch am
Mittelrhein, wie im ganzen ſogenannten Dekumatlande, das durch die römiſche Grenz—
linie, den Limes, als römiſches Gebiet vom eigentlichen Germanien geſchieden war,
blühte die Rebenkultur auf.
Der Sturm der Völkerwanderung war über das deutſche Land gebrauſt und
die römiſche Herrſchaft war zuſammengebrochen. Am Rhein und an der ganzen
römiſchen Limes-Linie hatte der Sturm für eine Reihe von Generationen faſt ununter—
brochen getobt. Die Weinberge waren verwüſtet und verwildert. Der Weinbau an
der Moſel lebte erſt wieder auf, als die germaniſchen Völker ſeßhaft werden; alsdann
dringt er bald an den Rhein und in die Pfalz vor.
Iriſch⸗ſchottiſche Miſſionare und Benediktiner erſcheinen auf deutſchem Boden
und gründen bereits vor Karl dem Großen Klöſter, die den Weinbau hegen und
pflegen. Was insbeſondere die fleißigen Benediktinermönche für den Weinbau geleiſtet
haben, iſt heute kaum noch zu ermeſſen.
Erſt dann kommt Karl der Große, den die Sage zum Gründer des Weinbaus
im Rheingau macht; er iſt ähnlich wie Kaiſer Probus für den Weinbau in einigen
Gegenden zu einer Art von mythiſcher Figur geworden. Dieſer Kaiſer, ein großer
Freund der Rebe, unterſtützt ihre Anpflanzung, wo und wie er kann; ſeine Muſter—
anlagen, ſeine ſtrenge Beaufſichtigung, die Einführung beſonderer Rebſorten aus
andern Ländern, der Erlaß geſetzlicher Beſtimmungen üben auf die weitere Aus—
breitung des Weinbaus einen außerordentlich günſtigen Einfluß aus. Der Weinbau
dringt nun unaufhaltſam nach allen Seiten vor. Klöſter, Biſchöfe und weltliche
Regenten wetteifern in der Fürſorge für die Rebkultur und ſuchen die Anpflanzung
der Weinrebe in Deutſchland nach jeder Richtung hin zu unterſtützen.
Der Weinbau Deutſchlands iſt der nördlichſte der Welt, hier bedarf daher
die edle Rebe der liebevollſten und verſtändigſten Pflege. Die durch das Klima
422 2. Abſchnitt.
beſtimmten Grenzen für die Ausbreitung der Rebe liegen auf der nördlichen Halb—
kugel zwiſchen dem 52 und 20° nördl. Breite. Die nördliche Grenzlinie geht von
der Mündung der Loire (40.5% in Frankreich aus, erhebt ſich am Rheine bis zu 51,
in Schleſien bis zu 52° nördl. Breite. Die Höhengrenze des Weinſtocks geht bis zu
600 m über dem Meere. In den rauheren Gegenden Deutſchlands kann der Weinſtock
nur unter dem Schutz von Mauern oder Wänden als Spalier gezogen werden, da
die Trauben ſonſt nicht ihre volle Reife erlangen.
Die amerikaniſchen Reben haben weniger Verbreitung gefunden; ſie wurden
größtenteils als Zierpflanzen behandelt. Neuerdings haben ſie jedoch eine ſehr große
Bedeutung erlangt, da man erkannt hat, daß ſie widerſtandsfähig gegen die Reblaus
ſind. Sie werden nunmehr zu Unterlagen für die europäiſchen Reben verwendet.
Dieſe Art der Anzucht hat bereits in Frankreich und Sſterreich eine ſehr große Ver—
breitung gefunden, ſonſt geſchieht die Vermehrung meiſtens durch Ableger oder ſog.
Schnittreben.
Der Weinſtock wird von zahlreichen Krankheiten und Schädlingen heim—
geſucht, die ſeine Kultur unter Umſtänden ſogar vollſtändig unmöglich machen. Der
gefährlichſte Schädling iſt die Reblaus (Phylloxera vastatrix), die bereits in
einzelnen Ländern ungeheure Verheerungen angerichtet hat; während Deutſchland
bisher noch ziemlich verſchont geblieben iſt. Auch der Traubenwickler, der ſog.
Heu- und Sauerwurm (Conchylis ambiguella) kann oft bedeutende Schädigungen
hervorrufen und die ganze Weinernte eines Jahres in Frage ſtellen. Von pflanzlichen
Feinden ſind beſonders die Blattfallkrankheit oder der falſche Meltau (Pero—
nospora viticola) und der echte Meltau (Oidium Tuckeri) zu nennen.
Sorten:
Früher blauer Burgunder. Frucht ſehr klein, rundlich, frühreifend.
Beere klein, ſchwarzblau, Wuchs ziemlich kräftig; Schnitt vorwiegend kurz.
Früher Malingre. Frucht klein, Beeren ebenfalls klein, grün; ſehr fruchtbar.
Weißer Gutedel (Chasselas de Fontainebleau). Traube mittelgroß und
lang, Beeren ziemlich groß, hellgrün; Reifezeit etwas ſpät; Wuchs kräftig. Schnitt
kurz. Für Mauer und Hauswände eine dankbare und ſichere Sorte.
Gelbe Seidentraube (früher Leipziger). Traube mittelgroß, locker; Beeren
länglich, mittelgroß, hellgrün; Reifezeit früh. Wuchs ſehr ſtark. Verlangt Schnitt
auf Bogrebe.
Blauer Trollinger (Black Hamburgh). Traube groß, Beere ſehr groß,
ſchwarzblau, ſpät reifend; Schnitt auf Zapfen oder Bogreben.
Gelber Muskateller. Traube ziemlich groß, weißgelb, ſpät reifend. Wuchs
kräftig, ſehr reichtragend; für wärmſte Lagen an Mauern und Häuſerwänden. Ver—
langt Schnitt auf Zapfen und Bogrebe.
3. Abſchnitt.
Der Formobſtgarten.
Angeſchloſſen an den Ziergarten und gewiſſermaßen durch ihn mit dem Wohn—
hauſe verbunden, muß der Formobſtgarten die vorteilhafteſte Lage und den aller—
beſten Boden erhalten, weil er ausſchließlich zur Heranzucht der feinſten Tafelobſt—
ſorten dient. Richtig, ſachgemäß und am geeigneten Platz betrieben, iſt die Form—
obſtbaumzucht eine ſehr lohnende Art des Obſtbaus, wenn man ſich dazu verſtehen
kann, ſich den herrſchenden Klima-, Lage- und Bodenverhältniſſen anzupaſſen. Bor-
ſchriften und Anleitungen, die in anderen Ländern geeignet und paſſend ſind und
ſich dort auch bereits ſeit langen Jahren bewährt haben, ſollen nicht ohne weiteres
nachgeahmt werden, da ſie meiſtens verſagen und nur die Luſt und Liebe zu dieſem
ſchönen Zweig des Obſtbaus verleiden. Insbeſondere muß vor der Heranzucht ſehr
umfangreicher und ſchwer zu behandelnder Formen gewarnt werden. Dieſe geben
wohl Parade- und Schmuckpflanzen, die wegen ihrer ſchönen Form ſehenswert ſind,
jedoch die aufgewandte Mühe und Arbeit in keiner Weiſe lohnen. Dagegen kann
man bei Verwendung einfacher und leicht zu ziehender Formen zu ſehr ſchönen Reſul—
taten kommen, ohne daß man deswegen auf vornehme Sorten verzichten muß. Im
Gegenteil liefern noch die feinſten und empfindlichſten Obſtſorten ſichere Erträge, die
als Hoch- oder Halbſtamm unter gleichen Verhältniſſen verſagen würden.
Die Lage des Formobſtgartens iſt für die Entwicklung und das Gedeihen
der Bäume entſcheidend. Man wähle daher, wenn irgend möglich, ein Gelände, das
ſanft nach Süden neigt. Es iſt bekannt, daß ſich eine ſolche Lage leichter und ſtärker
erwärmt als eine vollſtändig ebene. Die höheren Wärmegrade üben einen außer—
ordentlich günſtigen Einfluß auf das Wachstum und die Ausbildung der Früchte
aus. Auf jeden Fall ſind für den Formobſtgarten keine Grundſtücke auszuwählen,
die noch im Frühjahr an Spätfröſten zu leiden haben, dadurch würde die Ein—
träglichkeit der Anlage ſehr in Frage geſtellt werden.
Vorhandene Haus- und Mauerwände können, ſofern ſie nach Süden liegen,
mit beſtem Erfolg ausgenützt werden und ſind insbeſondere für die Zucht der emp—
findlicheren Birn⸗ und Pfirſichbäume ſowie der Weinreben zu verwenden. Wo ſie
nicht vorhanden ſind und der Garten nach Oſten, Norden oder Weſten offen liegt,
iſt es ſogar wünſchenswert, ihn durch möglichſt hohe Mauern abzuſchließen. Nach
Süden dagegen ſoll er frei und offen ſein, damit die Sonne ungehindert Zutritt
424 3. Abſchnitt.
findet. Die Schutzmauern können auf Vor- und Rückſeite vorteilhaft durch Be—
pflanzen mit Obſtbäumen ausgenützt werden. An der Südſeite erhalten die feinen
Birn- und Pfirſichſorten ihren Platz, an den Oſt- und Weſtſeiten die Apfelſorten,
und ſchließlich können die Nordmauern noch mit Kirſchbäumen (Schattenmorellen)
verſehen werden.
Wie die Spaliere regelmäßig gezogen und geſchnitten werden, ſo wird auch die
ganze Anlage regelmäßig eingeteilt und durch Wege bequem zugänglich gemacht.
Schmale, gerade verlaufende Wege mit mehr oder weniger breiten Rabatten ſchaffen
im Verein mit hübſch geformten Obſtbäumen ganz abwechſlungsreiche Bilder.
Abb. 18 Teilanſicht eines rheiniſchen Formobſtgartens. Von 3 Seiten iſt er von einer Mauer umgeben,
um kalte Winde abzuhalten. (Nach einer Photographie.)
Die Wände werden mit ſenkrechten Schnurbäumen, mit U-Formen, zwei- und
mehrarmigen Palmetten bekleidet. Die Wege ſind mit wagrechten ein- oder doppel—
armigen Schnurbäumen eingefaßt, während die Rabatten abwechſelnd mit Erdbeeren
oder hochſtämmigen Stachel- und Johannisbeeren ausgenützt werden können. An den
Hauptwegen ſind die Rabatten breiter gehalten, um hier eventuell noch Blüten—
pflanzen: Roſen, Sommerblumen und dergleichen Verſchönerungspflanzen ein Plätzchen
zu bieten. Bei genügender Bodenbearbeitung ſind dieſe Zutaten ſo anſpruchslos, daß
den Obſtbäumen hierdurch kein Schaden erwächſt.
Ebenſo wichtig für die Entwicklung der Bäume iſt die richtige Auswahl des
Bodens. Die auf empfindlichen Unterlagen veredelten Formobſtbäume ſtellen an
den Boden ſehr hohe Anſprüche. Schwere, ſteinige Böden ſind abſolut ungeeignet.
Die Bäume treiben wohl genügend ſtarkes Holz, doch iſt der Fruchtanſatz nur gering.
Der Formobſtgarten. 425
Auch die Qualität der Früchte läßt viel zu wünſchen übrig, es werden ſteinige Früchte
geerntet, die ſehr ſchlecht verkäuflich ſind. Krankheiten und Schädlinge finden in
dieſen Verhältniſſen die beſte Gelegenheit zu üppiger Entwicklung, während die Be—
kämpfung hohe Koſten und viel Arbeit erfordert.
Leichte Böden ſagen den Bäumen beſſer zu. Sie fangen hier frühzeitig zu
tragen an, aber dementſprechend tritt auch bald eine Erſchöpfung ein. Um aus—
gleichend zu wirken, ſind regelmäßige und reiche Düngungen unbedingt nötig, ferner
muß durch Wäſſerung für genügenden Feuchtigkeitsgehalt geſorgt werden.
Am beſten iſt ein kräftiger Lehmboden, der reich an mineraliſchen Nährſtoffen
iſt und einen hinreichenden Kalkgehalt hat. In dieſem Boden haben die Bäume
ar. Rn
4 a E u; *
2 — 5 *
o
Abb. 19. Rabatte in einem Formobſtgarten. Hochſtämmige Stachel- und Johannisbeeren wechſeln mit Birn—
zwergbäumen ab, die guirlandenartig gezogen ſind, als Einfaſſung finden Erdbeeren Verwendung.
(Nach einer Photographie.)
genügende Triebkraft, ſetzen gut und frühzeitig Früchte an und bilden dieſe in größter
äußerer Vollkommenheit und in guter Qualität aus.
Das Wurzelwachstum der Formobſtbäume iſt nur flach, daher ſind an die
Mächtigkeit des Bodens keine beſonders hohen Anſprüche zu ſtellen; ein Meter Tiefe
genügt. Iſt ſie größer, ſo haben die Bäume das Beſtreben, in größere Tiefen zu
wurzeln. Dadurch tritt ein ſtärkeres Holzwachstum ein. Der Formobſtzüchter hat
aber lieber Bäume, die nicht einſeitig ins Holz wachſen, ſondern die mit Holzwachs—
tum auch eine entſprechende Fruchtbarkeit verbinden. Bereits ſeit langer Zeit kennt
man den überaus ungünſtigen Einfluß des Zutiefwurzelns der Formobſtbäume. Die
obſtbautreibenden Mönche des Mittelalters ſuchten dieſen Fehler dadurch auszugleichen,
426 3. Abſchnitt.
daß fie in die Tiefe von 1 m Steinplatten verſenkten, wodurch das weitere Vor—
dringen der Wurzeln verhindert wurde.
Die Vorbereitung des Bodens für die Pflanzung muß eine ſehr ſorgfältige
ſein, damit die zarten Wurzeln die allergünſtigſten Lebensbedingungen für eine ge—
ſunde Entwicklung finden. Es genügt nicht, für die Bäumchen kleine Baumlöcher
auszuwerfen, ſondern der ganze Boden muß auf eine Tiefe von 80 em bis I m
gelockert, d. h. rigolt werden. Bei dieſer Lockerung kann gleichzeitig eine Bodenver—
Abb. 20. Ein Weg, der an beiden Seiten mit ſenkrechten Schnurbäumen an freiſtehenden Spaliergeſtellen bepflanzt
iſt. Die Früchte ſind zur beſſeren Ausbildung in Papiertüten eingebunden. (Nach einer Photographie.)
beſſerung gegeben werden. Schwere Böden wird man durch ſandige und humoſe
Erde lockern und wärmer machen, während leichte Böden durch Ton- oder Kalk—
gaben in ihrer Zuſammenſetzung verbeſſert werden können.
Im Anſchluß an die Bodenlockerung ſollte auch gedüngt werden, vorzugsweiſe
mit mineraliſchen Stoffen, während verrotteter Stalldünger am beſten ſpäter mit den
oberſten Schichten vermiſcht wird, da er bei tieferem Unterbringen leicht vertorft.
Von einſchneidender Bedeutung für die Formobſtbaumzucht iſt die richtige
Auswahl der Unterlage, d. h. der Wurzel, auf der das veredelte Bäumchen wächſt.
Das Wurzelſyſtem der Formobſtbäume ſoll vielverzweigt ſein. Bäume mit ſchwachen,
zahlreichen Faſerwurzeln neigen außerordentlich zur Bildung kurzer Triebe, die am
Der Formobitgarten. 427
leichteſten Fruchtaugen und Fruchtholz anſetzen. Nur bei Auswahl von ſch wach—
triebigen Unterlagen wird man daher in der Formbaumzucht Erfolge zu ver—
zeichnen haben. Die Wildlingsunterlage bildet kräftige Wurzeln, die zu ſtarker Holz—
bildung neigen und daher im allgemeinen für die Formbaumzucht ungeeignet ſind.
Es iſt unmöglich, ja faſt gänzlich ausgeſchloſſen, dieſe ſtarktriebigen Bäume durch
Schnitt auf kleine Formen zu beſchränken und ſie zur Fruchtbildung zu zwingen.
Erſt im ſpäten Alter, wenn ſolche Bäume ausgewachſen ſind, tritt Fruchtbarkeit ein.
Für den Apfelbaum ſtehen mehrere ſehr geeignete Unterlagen zur Verfügung
und zwar der Splitt- und der Johannis apfel. Der Splittapfel (Doucin) hat ein
etwas ſtärkeres Wachstum als der Johannisapfel. Er wird daher vornehmlich für
die größeren Formen, wie Pyramiden und große Palmetten, benutzt. Der Johannis—
apfel (Paradies) wächſt erheblich ſchwächer und iſt die geeignetſte Unterlage für die
kleinen Formen. Eine Abart, der gelbe Metzer Paradies, hat ſich ganz hervor—
ragend bewährt und wird auch für größere Form- und Buſchbäume mit allerbeſtem
Erfolge verwendet.
Die Birne verlangt als Unterlage die Quitte von Angers, die allerdings
empfindlich gegen kalte Winter iſt und warmen Boden von genügender Feuchtigkeit
erfordert. Einzelne Birnſorten gedeihen freilich auf der Quitte nicht gut, d. h. ſie
tragen überreich, dabei wird das Holzwachstum faſt ganz unterdrückt. Solche Sorten
ſind: Andenken an den Kongreß, Clairgeaus B. B., Edel-Craſſane, Olivier de Serres,
Williams Chriſtbirne, Gute Louiſe von Avranches u. a. m. Für dieſe Sorten muß
die ſogenannte Zwiſchenveredlung angewandt werden, d. h. es werden zunächſt
auf der Quittenunterlage Sorten veredelt, die ſtark wachſen z. B. Paſtorenbirne oder
Amanlis Butterbirne, auf dieſe werden dann die Sorten gebracht, die auf der Quitte
ſelbſt verſagen.
Pfirſiche und Aprikoſen entwickeln ſich ſehr ſchön auf der Mandelunter—
lage. Sie iſt aber ſehr anſpruchsvoll und daher nicht überall geeignet. Eine Unter—
lage, die in allen Bodenarten und Lagen gut fortkommt, iſt dagegen die St. Julien—
pflaume, die gleichfalls für Pflaumen- und Zwetſchenbäume Verwendung finden
kann. Letztere werden aber nur in den ſeltenſten Fällen als Formbäume gezogen.
Für Kirſchenbäume kommt nur die Steinweichſel in Betracht. Süß—
kirſchen ſind als Zwergbäume weniger zu empfehlen, als Sauerkirſchen; von ihnen
haben ſich beſonders die Schattenmorellen bewährt.
Welche Formen follen zur Anpflanzung kommen?
„Die Form ſei ſtets nur das Mittel zum Zweck; ſobald ſie zur Hauptſache
wird und gar um ihretwillen die Ausſicht auf Ertrag, wenn auch nur vorübergehend,
geopfert werden muß, verliert die Spalierzucht ihre Berechtigung und ſinkt zur Form—
künſtelei, zur Spielerei herab,“ ſo ſagt der Altmeiſter der Spalierzucht, Landes—
ökonomierat Goethe.
Daher kann es ſich bei dieſer Betrachtung ausſchließlich nur um die einfachen
Formen handeln, die eine Berechtigung im Formobſtgarten haben. Alle mit zu viel
Künſtelei gezogenen Formen ſind unpraktiſch und ungeeignet.
428 3. Abſchnitt.
Die Zwergformen können in 4 Hauptgruppen eingeteilt werden:
1. Schnurbäume,
2. regelmäßige Palmetten,
3. freigezogene Spaliere,
4. freiſtehende Formen.
1. Die Schnurbäume.
Die Schnurbäume oder Kordons ſind leicht zu ziehen und geben bald Er—
träge; jede andere Form beanſprucht ein viel größeres Maß von Pflege und Arbeit.
Zur Bekleidung von Wänden und Mauern ſowie zur Anpflanzung an Geſtellen
werden die einfachen und doppelten ſenkrechten Kordons benutzt. Der einfache
ſenkrechte Kordon beſteht aus einem Stamme, der von oben bis unten mit Fruchtholz
Abb. 21. Wagerechter doppelarmiger Apfel-Schnurbaum als Einfaſſung für Wege, Rabatten u. dergl.
(Nach einer Photographie.)
gleichmäßig beſetzt iſt. Der doppelt-ſenkrechte Kordon oder die U-Form hat in der
gleichen Art 2 Stämme, die etwa 40 em voneinander entfernt ſind. Da ſich das
Fruchtholz bei dieſen Kordons dicht am Stamme entwickelt, ſo können die Bäume
ziemlich eng gepflanzt werden. Es genügt bereits eine Entfernung von 40 bis 50 em.
An niedrigen Mauern kann der ſchräge Kordon mit Vorteil angepflanzt werden.
Bei dieſem wird der Stamm in einem Winkel von 45 Grad geneigt.
Zur Einfaſſung von Wegen und Rabatten dienen die ein- und zweiarmigen
wagerechten Schnurbäume, die in einer Höhe von 40 em wagerecht über dem
Boden gezogen werden. Für dieſe Form eignet ſich vornehmlich der Apfel. Die
Entfernung richtet ſich nach dem Wachstum der einzelnen Sorten, da ſchwachwachſende
Sorten enger und ſtarkwachſende weiter gepflanzt werden müſſen.
2. Die Palmetten.
Dieſe kommen für Anpflanzung an Mauern oder an Wänden in Betracht.
Für den Erwerbsobſtzüchter können nur die einfachen Verrierpalmetten empfohlen
Der Formobſtgarten. 429
werden, die vielleicht 4 oder 6 Aſte haben. Bei der Palmette werden zunächſt die
Aſte wagerecht und dann ſenkrecht gezogen, die Entfernung der einzelnen Aſte ſoll un—
gefähr 30 em betragen, jo daß derartige Palmetten in einer Entfernung von 1,20
bezw. 1,80 m geſetzt werden müjjen.
3. Frei gezogene Spaliere.
Die Heranzucht nach einer beſtimmten Form erfordert ganz naturgemäß gewiſſe
Kenntniſſe und Erfahrungen. Wer über dieſe nicht verfügt, züchtet vorteilhafter eine
freie Form.
Die ſogenannte Fächerform hat ſich insbeſondere bewährt bei Pfirſichen und
Kirſchen. Bei dieſer Form beſchränkt man ſich darauf, den einzelnen Trieben durch
Abb. 22. Senkrechte Birn-Schnurbäume an freiſtehenden Spaliergeſtellen in einem Formobſtgarten.
(Nach einer Photographie.)
Anbinden und Anheften den richtigen Platz und die richtige Stellung zu geben. Der
Schnitt beſchränkt ſich mehr oder weniger auf ein leichtes Auslichten. Birnen und
Apfel laſſen ſich ebenfalls mit demſelben Erfolg als Fächerform ziehen.
4. Die freiſtehenden Formen.
Die gebräuchlichſte unter den freiſtehenden Formen iſt die Pyramide, die
vornehmlich für Birnen und Apfel verwendet wird, während ſie für Steinobſt weniger
gut geeignet iſt. Die Entfernung richtet ſich nach den Obſtſorten und anderſeits
430 3. Abſchnitt.
nach der gewählten Unterlage. Schwachwachſende Sorten können auf 4 m, ſtark—
wachſende müſſen auf 5 m angepflanzt werden.
Für kleine Anlagen muß auch der Spind elbaum erwähnt werden. Es iſt
dies ein mit langem Fruchtholz gezogener ſenkrechter Kordon. Er begnügt ſich ſchon
mit einer Entfernung von 1,50 bis 2 m. Dieſe beſchriebenen und einfachen Formen
können einzig und allein für denjenigen Obſtzüchter in Betracht kommen, der von
ſeinen Spalierbäumen Ernten haben will. Die Spielerei, möglichſt komplizierte
Formen zu ziehen, hat nur dort ihre Berechtigung, wo es ſich N um einen Er⸗
trag, als in erſter Linie um die Liebhaberei handelt.
Die Anterkulturen im Formoßfigarten.
Unterkulturen ſind im allgemeinen im Formobſtgarten nicht angebracht. Die
Zwergobſtbäume haben meiſtens einen dichten Stand. Die Wurzeln bewegen ſich
wie bereits erwähnt, vornehmlich in den oberſten Bodenſchichten, ſodaß der Raum
vollſtändig ausgenutzt wird. Immerhin kann in den erſten Jahren der Boden noch
etwas ausgenützt werden, damit die Pflege- und Bearbeitungskoſten aufgebracht werden.
Auch zwiſchen Pyramiden läßt ſich unter Umſtänden längere Zeit eine Unterkultur
durchführen, da dieſe einen weiteren Stand haben.
Am vorteilhafteſten laſſen ſich Erdbeeren im Formobſtgarten zur Unterkultur
verwenden. Dieſe geben bereits im zweiten Jahre ſehr gute Erträge und brauchen
nicht jedes Jahr neu angepflanzt zu werden. Erdbeeren halten etwa 3 bis 4 Jahre,
dann erreichen die Früchte auch bei beſter Düngung und Pflege nicht mehr eine
marktfähige Größe.
Die Anpflanzung der Erdbeere wird ſich aber nur dort als lohnend erweiſen,
wo ſich gute Gelegenheiten zum Abſatz bieten. Die Frucht iſt weich und ſehr emp—
findlich, ſodaß ſie meiſtens einen weiten Bahntransport nicht aushält.
Andere Unterkulturen, wenn nicht Gemüſe angepflanzt wird, find nicht empfehlens—
wert, namentlich in ſpäteren Jahren nicht, weil im Formobſtgarten durch öftere Be—
arbeitung der Boden ſtets locker und offen gehalten werden ſollte, damit Wärme,
Luft und Feuchtigkeit ungehindert zu den Wurzeln gelangen können.
4. Abſchnitt.
Kurze Bemerkungen über Baumpflege und
Veredlung.
Hand in Hand mit der richtigen Auswahl der Obſtarten, Obſtſorten und mit
einer ſachgemäßen Pflanzung muß unbedingt eine entſprechende Baumpflege gehen.
Eins ohne das andere iſt nicht gut angebracht und wird zu den ſchwerſten Mißer—
folgen führen. Wenn vielfach Klagen laut werden, daß der Obſtbau teilweiſe noch
unlohnend ſei, ſo iſt dies darauf zurückzuführen, daß der Pflege zu wenig Aufmerk—
ſamkeit geſchenkt wird. Der Obſtbaum iſt kein Waldbaum, ſondern eine Kultur—
pflanze, die an richtige Behandlung ungemein hohe Anſprüche ſtellt.
A. Pflege der unterirdiſchen Teile.
Zur Pflege der Wurzeln gehört hauptſächlich die Bearbeitung des Bodens,
ſein Lockerhalten, die Düngung und das Freihalten von Unkraut. Zu einer geſunden
Entwicklung des Wurzelwachstums müſſen Luft, Wärme, Froſt, Regen- und Schnee—
waſſer in den Boden eindringen können. Dies iſt jedoch nur denkbar, wenn der
Boden von Zeit zu Zeit bis in entſprechende Tiefen aufgehackt wird. Im Form—
obſtgarten und im Obſtpark wird die Bodenlockerung mit dem Spaten, Karſt und
der Hacke vorgenommen, während in der Buſchobſtanlage, in dem landwirtſchaftlich
betriebenen Feldobſtbau dieſe Geräte durch die Radhacke, Pferdehacke, Pflug, Egge,
und Baumkultivator erſetzt werden.
Im Herbſt muß die Lockerung ziemlich tief und grob vorgenommen werden,
damit durch die Einwirkung des Winterfroſtes der Boden verwittert. Im Frühjahr
und Sommer beſchränkt ſich die Behandlung mehr auf die Oberfläche zur Beſeitigung
des ſich etwa entwickelnden Unkrautes.
Die Düngung
dient dazu, die dem Boden entzogenen Nährſtoffe wieder zuzuführen. Ohne
Düngung wird der Boden verarmen, die Bäume gehen im Wachstum und im Frucht—
anſatz zurück. Je reicher die Ernten ausfallen, deſto ſtärkere Düngung muß gegeben
werden. Zwerg⸗ und Buſchobſtbäume verlangen eine möglichſt regelmäßige
Düngung, da dieſe verhältnismäßig flach wurzelnden Pflanzen die notwendigen Nähr—
ſtoffe nur aus den oberſten Schichten des Kulturbodens aufnehmen. Hoch- und
432 4. Abſchnitt.
Halbſtämme können ihre Wurzeln in große Tiefen ſenden, um dort nötigenfalls die
geeigneten Nährſtoffe zu finden. Immerhin iſt auch bei dieſen eine regelmäßige
Düngung wünſchenswert.
Die geeignetſten Zeiten zur Düngung ſind Herbſt und Winter. Die Nährſtoffe
werden alsdann gelöſt und dringen im Laufe des Winters mit Schnee- und Regen—
waſſer an die Faſerwürzelchen vor, die zur Aufnahme der Nährſtoffe beſtimmt ſind.
Bäume und Sträucher, die ſich durch großen Fruchtanſatz auszeichnen, werden vor—
teilhaft auch während der Vegetation durch Düngung in ihrer Ernährung unterſtützt;
ganz beſonders ſollte dies bei den Buſchbäumen ſowie bei den Zwergobſtbäumen
Abb. 23. Die Bearbeitung des Bodens in Buſchobſtanlagen mit dem Pflug.
(Nach einer Photographie.)
berückſichtigt werden, da hierdurch die Ausbildung der Früchte außerordentlich ge—
winnen kann.
Die beſten Düngerarten ſind die natürlichen, wie Stalldünger, Jauche, Kom—
poſt ꝛc. In Ermanglung und zur Ergänzung dieſer ſpielen die künſtlichen Dünge—
mittel eine große Rolle: Chiliſalpeter, ſchwefelſaures Ammoniak, Thomasmehl, Super:
phosphat und die verſchiedenen Kaliſalze.
Bei einer ſachgemäßen Düngung müſſen die drei Nährſtoffe: Stickſtoff, Kali
und Phosphorſäure und ſchließlich Kalk in genügender Menge gegeben werden. Es
hat keine Vorteile, einen einzelnen Nährſtoff in beſonders großer Menge zu geben,
da dadurch nur ein einſeitiger Einfluß erzielt wird — man müßte dann etwa gerade
einen ſolchen wünſchen. Es kann z. B. vorkommen, daß ſich ein Baum durch außer—
ordentlich ſtarken Fruchtanſatz auszeichnet, während das Holzwachstum vollkommen
Schulz, Obſtbau
su —
Haferpflaume oder Spilling (Prunus insititia)
KosMos (Aufnahme von B. Haldy)
SELLSCHAFT
DER AATURFREUNDE
STUTTGART 3
—
Kurze Bemerkungen über Baumpflege und Sortenveredlung. 433
unterdrückt iſt. In ſolchen Fällen wird man mit phosphorhaltigen Düngemitteln
ſparen, während ein ſtickſtoffhaltiges in größeren Mengen gegeben wird, da der
Stickſtoff ein ſtärkeres Holzwachstum bewirkt. Umgekehrt kann bei ſtarktriebigen
Bäumen mit Stickſtoff geſpart werden, während Phosphorſäure in einer ſtarken Gabe ns
das Anſetzen von Fruchtholz unterſtützen ſoll. F KN
Die Bedeutung des Kalks darf für die Entwicklung der Obſtbäume nicht
unterſchätzt werden. Kalk verbeſſert die phyſikaliſchen Eigenſchaften des Bodens und
iſt für ſchwere Böden nicht zu entbehren, dabei fördert er die Fruchtbarkeit und iſt bis
zu einem gewiſſen
Grade ein wirk—
ſames Mittel, um 0 Y
Steinobſtbäume
gegen Gummi-
fluß und Apfel⸗
bäume gegen den
Krebs zu ſchützen.
Bei der Unter⸗
bringung des
Düngers iſt zu
beachten, daß er
an die richtige
Stelle kommt.
Die Haar⸗ und
Faſerwürzelchen
ſind die Organe, „„ N
die die Nährſtoffe 1% „ * 1 &
aufnehmen. c s Ir zu . 8 7
müſſen die
Düngemittel da⸗
her in die Nähe
dieſer Würzelchen Er
gebracht werden. ;;
Je älter die b e N
Bäumeſind, deſto Abb. 24. Ungedüngter Buſchbaum der Sorte Ananasreinette in den Anlagen der Obſt—
weiter vom bauanſtalt Oberzwehren. (Nach einer Aufnahme vom Kaliſynditat, Berlin.)
Stamm befinden
ſich die Faſerwurzeln, es müſſen daher unter und außerhalb der Schirmfläche
der Krone die Düngemittel untergegraben werden.
1
Durch rationelle und regelmäßige Düngung gelingt es, die Obſtbäume zu regel—
mäßigem und reichem Fruchtanſatz zu zwingen. Bei reichem Fruchtanſatz entwickeln
ſich die Früchte auch am vollkommenſten. Anderſeits erhalten wir geſunde, gegen
Kälte, Krankheiten und Schädlinge widerſtandsfähige Bäume, denen ein hohes Alter
nicht vorenthalten bleibt.
Schulz, Obſtbau. 28
434 4, Abſchnitt.
Die Bewäſſerung.
Wo genügend Waſſer vorhanden iſt und keine koſtſpieligen Einrichtungen erforder—
lich ſind, lohnt ſich die Bewäſſerung im Obſtbau außerordentlich, da man auf dieſem
Weg die üblen Folgen anhaltender Trockenheit vollſtändig beſeitigen kann. Daneben
iſt gleichmäßige und ungeſtörte Nahrungsaufnahme die Folge der Bewäſſerung. Bei
jungen, friſch gepflanzten Bäumen wird das Anwachſen unterſtützt, während bei
älteren, mit Blüten und Früchten beladenen Bäumen ein Abſtoßen der Blüten
bezw. Abfallen der
Früchte verhindert
wird. In den mei⸗
ſten Fällen iſt in
großen Objtanla-
gen eine Bewäſſe—
rung nicht möglich,
da die Vorbeding-
ung, leichtes Be-
ſchaffen des Waſ—
ſers, fehlt. Man
ſollte aber wenig—
ſtens verſuchen, in
der Buſchobſt⸗
anlage oder im
Formobſtgarten
eine Bewäſſe⸗
rungs⸗Anlage ein-
zurichten.
B. Pflege der
oberirdiſchen
Teile.
Der Schnitt.
Abb. 25. Im gleichen Alter ſtehender Buſchbaum der Sorte Ananasreinette, die eine Zur Bildung
J ,
Kronengerüſtes
und zur Heranzucht des Fruchtholzes iſt die Durchführung eines ſachgemäßen Schnittes
unbedingt erforderlich. So großen Nutzen jedoch der Schnitt auf der einen Seite
haben kann, ſo große Schädigungen können angerichtet werden, wenn er über—
trieben wird.
Der Kronenſchnitt hat nur den Zweck, die zu dicht gewachſenen Zweige zu
entfernen und durch Austrieb des Mittelaſtes wieder neue Aſte nachzuziehen. Die
ſchwächeren Kronenäſte ſollen gekräftigt werden, ſo daß eine gleichmäßig entwickelte,
breit pyramidale Krone mit kräftigem Mittelaſt als Verlängerung des Stammes
gebildet wird. Der Fruchtholzſchnitt kommt nur für die Behandlung der Form—
Kurze Bemerkungen über Baumpflege und Sortenveredlung. 435
obſtbäume in Betracht. Dieſer Schnitt darf nicht mechaniſch ausgeführt werden,
ſondern muß ſich der Eigenart des Baumes, der Obſtart und -ſorte anpaſſen. Auch
hier hüte man ſich, des Guten zu viel zu tun. Es iſt nicht möglich, für den Schnitt
eine beſtimmte Regel aufzuſtellen, die ein für allemal eingehalten werden muß. Die
Kenntnis des Schnittes muß ſich aus der Praxis ſelbſt durch den Umgang mit den
Bäumen und durch ihre Beobachtung herausbilden. Die beſte Lehrmeiſterin zur Er—
lernung des Schnittes iſt und bleibt die Natur ſelbſt.
Das Auslichten.
Je nach Bedarf wird der Kronenſchnitt 2 bis 3 Jahre hintereinander durch—
geführt, dann muß die Krone genügend erſtarkt ſein, um den Schnitt entbehren zu
können. In den ſpäteren Jahren begnügt man ſich mit dem Auslichten, dem
Wegſchneiden der zu dicht ſtehenden Zweige und Aſte, damit Licht und Luft in das
Innere der Krone eindringen kann. So einfach dieſe Arbeit an und für ſich iſt, ſo
erfordert ſie doch großes Maß von Gewiſſenhaftigkeit und Sachkenntnis. Es iſt
leicht, einen Aſt mit der Scheere wegzuſchneiden, es erfordert aber Jahre, bis wieder
ein. neuer Aſt an dieſer Stelle gezogen iſt. In Verbindung mit dem Auslichten
werden auch die kranken Aſte entfernt und etwa vorhandene Schädlinge, Eier, Puppen
u. dgl. vernichtet.
Das Verjüngen.
Mit zunehmendem Alter verſagt trotz reichlicher Düngung das Wachstum, wo—
mit gleichzeitig das tragbare Holz mangelhafter wird. Bei Apfel- und Birnbäumen
tritt dieſer Zuſtand ſpäter ein als bei Steinobſtbäumen. Eine Ausnahme hiervon
machen einige Apfelſorten, die durch reiche Ernten ſchon frühzeitig erſchöpft werden,
während ſich bei Pflaumen, Zwetſchen- und Pfirſichbäumen ſchon in verhältnismäßig
jungen Jahren eine Erſchöpfung bemerkbar macht. Melden ſich ihre Anzeichen, ſo muß
verjüngt werden. Darunter verſteht man einen Rückſchnitt bis in das alte Holz,
wobei zu beachten iſt, daß die Hauptäſte dicht über einer Verzweigung ſo abge—
ſchnitten werden, daß der Baum ſeine charakteriſtiſche, pyramidale oder breitpyramidale
Form behält.
Die Verjüngung kann aber nur dann von vollem Erfolg begleitet ſein, wenn
gleichzeitig eine entſprechend reiche Düngung verabreicht wird. Wird ſie unterlaſſen,
ſo findet wohl ein ſtarker Austrieb ſtatt, aber nach kurzer Zeit treten Verkümmerung
der Triebe und Erſchöpfung ein.
Das Amveredeln (Ampfropfen).
Trotz allergrößter Sorgfalt bei der Auswahl der Sorten wird keine größere
Obſtanlage von der Umveredelung verſchont bleiben, da die eine oder andere Sorte
ſich doch nicht bewährt haben wird. Die Anſprüche der einzelnen Sorten find oſt
ſo verſchiedenartig, daß dieſelbe Sorte an der einen Stelle ſehr gut gedeiht und viel—
leicht einige hundert Meter weiter ſchon vollſtändig verſagt. Auch aus anderen Ur—
ſachen können ungeeignete und falſche Sorten zur Anpflanzung gekommen ſein, z. B.
durch falſche Lieferung. In dem Umveredeln ſteht ein Mittel zur Verfügung, durch
das dieſe Fehler in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder ausgeglichen werden können.
436 4. Abſchnitt.
Dem Umpfropfen muß ſtets ein Verjüngen der Bäume vorausgehen. Dabei
iſt es nicht nötig, daß ſogenannte Saug- oder Zugäſte ſtehen bleiben, da dieſe ſchließ—
lich das Wachstum des Edeltriebs unterdrücken können. Wohl aber ſollen alle kleinen
Nebenzweige belaſſen werden, damit der Baum noch genügend Organe zur Ernäh—
rung behält.
Das Umveredeln kann bereits im Februar beginnen und bis Ende Mai fort—
geſetzt werden. Solange der Baum noch nicht in Saft iſt, wird das Pfropfen in
den Spalt, ſpäter das Pfropfen hinter
die Rinde und das Geißfußpfropfen
angewandt. Letztere iſt die ſchwerſte,
allerdings auch beſte Art des Um⸗
pfropfens.
Von beſonderer Wichtigkeit iſt die
Auswahl der Edelreiſer, da mit
dieſen ſowohl Vorzüge als auch Mängel
weiter vererbt werden können. Als
Mutterbäume für den Schnitt der
Edelreiſer ſollten einzig und allein
reichtragende, geſunde, kräftig wach—
ſende Bäume ausgewählt werden.
Nachläſſigkeit rächt ſich hier bitter.
Das Ausputzen.
Unter dieſer Arbeit verſteht man
die Entfernung der abgeſtorbenen Holz⸗
teile, der zu dicht ſtehenden Aſte und
Zweige und der Aſtſtümpfe. Bei einem
Baume, der von Jugend an richtig
behandelt, geſchnitten und ausgelichtet
iſt, wird dieſe Arbeit faſt überflüſſig
ſein. Ein anderes Bild zeigen jedoch
l.
1
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Pfropfen hinter die Rinde Pfropfen hinter die Rinde diejenigen Bäume, die wenig oder
mit einem Reis. mit 2 Reiſern. 5 2 8
Abb. 26. Verſchiedene Pfropfarten. gar nicht gepflegt worden ſind. Bei
ihnen iſt das Ausputzen eine wichtige
Arbeit, die leider meiſtens zu oberflächlich beſorgt wird. Die Entfernung größerer
Aſte muß mit Vorſicht vorgenommen werden; man beſchränke ſich im erſten Jahr
nur darauf, das Notwendigſte fortzunehmen. Im nächſten Jahre kann dieſe Arbeit
fortgeſetzt werden. Das Ausputzen muß ferner mehr von außen nach innen erfolgen,
damit Luft und Licht in das Innere der Krone eindringen kann. Beſondere Beach—
tung muß erkrankten Zweigen geſchenkt werden, die ſich beim Ausputzen ohne Schädi—
gung der Krone entfernen laſſen.
Die Wundbehandlung.
Die ſich beim Ausputzen durch das Abſägen ergebenden Wunden müſſen glatt
geſchnitten werden. Bei größeren Wunden genügt es, die Ränder zu glätten, denn
Kurze Bemerkungen über Baumpflege und Sortenveredlung. 437
eine vollſtändige Überheilung findet doch nicht mehr ſtatt. Bleiben die Wunden offen,
ſo dringt Feuchtigkeit ein, das darunter liegende Holz wird durch Fäulnisbakterien
angegriffen und fault weg. So entſtehen hohle Aſte und Stämme, wodurch die
Bäume an Widerſtandskraft ungemein einbüßen. Es empfiehlt ſich daher, die grö—
ßeren Wunden mit Teer, die kleineren mit Baumwachs zu beſtreichen.
Das Reinigen des Stammes und der ſtarken Alte.
Bei älteren Bäumen bilden ſich im Laufe der Jahre auf der Rinde Schuppen;
in tiefgelegenen feuchten Lagen und beſonders in der Nähe des Waldes überziehen
Abb. 27. Umgepfropfter Apfelbaum. Die urſprüngliche Sorte war breitwachſend, die aufgepfropfte Sorte
(Ananasreinette) iſt hochwachſend. (Nach einer Photographie.)
ſich die Stämme mit Mooſen und Flechten, die den verſchiedenen Schädlingen will—
kommene Schlupfwinkel und Aufenthaltsorte bieten. Sollen die Bäume geſund und
frei von Ungeziefer gehalten werden, ſo müſſen die Bäume von dieſem läſtigen Unrat
gereinigt werden.
Das Abkratzen kann im Laufe des Winters vorgenommen werden, es ſoll aber
nicht zu energiſch geſchehen, damit die junge Rinde nicht verletzt wird, ſonſt kann der
Nutzen ins gerade Gegenteil umſchlagen.
Hand in Hand mit dem Reinigen der Stämme ſoll unbedingt gekalkt werden,
da Kalkanſtrich ein vorzügliches Schutzmittel gegen die ſchädlichen Einflüſſe ſchroffer
Temperaturwechſel iſt. Wird dem Kalk etwas Karbolineum zugeſetzt, ſo können gleich—
zeitig die auf der Rinde zurückgebliebenen Schädlinge abgetötet werden. Das An—
438 4. Abſchnitt.
kalken wird mit einem großen Pinſel oder noch beſſer mit einer Baumſpritze, z. B.
Holderſpritze, vorgenommen, wobei zu beachten iſt, daß alle Teile gleichmäßig von
dem Kalkanſtrich getroffen werden.
Die Leiden der Oöſtbäume.
a. Licht⸗ und Luftmangel.
Die Aufgabe der Blätter beſteht darin, den Kohlenſtoff zu ſammeln, den die
Pflanze zum Aufbau ihres Gerüſtes ſowie zur Erzeugung neuer Protoplasmaſubſtanzen
unbedingt gebraucht. Sie beſorgen ferner Atmung, Transſpiration (Verdunſtung) und
regulieren den Zufluß des Bodenwaſſers, mit dem die der Erde entnommenen Nähr—
ſtoffe aufwärts befördert werden. Das Blatt ſpielt alſo im Leben des Baumes eine
außerordentlich wichtige Rolle. Wird die Tätigkeit des Blattes in irgend einer Weiſe
ungünſtig beeinflußt, ſo wird damit auch die geſamte Ernährung mehr oder weniger
zum Stillſtand gebracht. Eine Hauptaufgabe für den Obſtzüchter muß es daher ſein,
den Blättern die allerbeſten Lebens- und Tätigkeitsbedingungen zu bieten. Dies iſt
aber nur möglich, wenn den Blättern in hinreichendem Maße Licht und Luft zur
Verfügung ſteht.
Bei zu engem, dichtem Stand fehlt den Bäumen Licht und Luft, die Ernährung
wird mangelhaft, und dies hat naturgemäß eine ſchlechte Ausbildung des Holzkörpers
zur Folge. Je ſchwächer aber die Holztriebe entwickelt ſind, um ſo ſpärlicher wird
ſich auch das Fruchtholz ausbilden, wenn es überhaupt zur Fruchtholzentwicklung
kommt. Krankheiten treten bei ſolchen nicht normal ernährten Bäumen leichter auf,
und die ſchwächlichen Teile unterliegen ihnen in den meiſten Fällen, da eine erfolgreiche
Bekämpfung kaum durchgeführt werden kann. Bodenbearbeitung und Düngung, auch
ſonſtige Pflege und Behandlung verſagen vollkommen. Nur durch Lichterſtellen der
Bäume und der Kronen kann dauernd geholfen werden.
b. Waſſermangel.
Tritt Waſſermangel ein, ſo wird gleichzeitig damit die Zufuhr von Nährſtoffen
unterbrochen; die Bildung von Pflanzenſubſtanz, von Holztrieben, Aſten und Zweigen
iſt unmöglich, ſchlechtes Wachstum und mangelhafte Triebkraft ſind die zunächſt wahr—
nehmbaren Folgen. Herrſcht Waſſermangel dauernd, ſo iſt Obſtkultur überhaupt
nicht durchführbar. Herrſcht er nur vorübergehend, ſo haben die mit Früchten
beladenen Bäume am meiſten zu leiden. Sie können die Früchte nicht genügend
zur Ausbildung bringen. Das Obſt bleibt klein und unanſehnlich, oder der Baum
hilft ſich aus der Not, indem er einen Teil der Früchte abſtößt. Bodenlockerung,
Düngung und Beſchattung des Bodens können dieſen Nachteil etwas lindern, aber
das Übel nicht vollſtändig beſeitigen. Erſt durch Einrichtung einer ſyſtematiſch an—
gelegten Bewäſſerungsanlage wird Abhilfe geſchaffen. In einzelnen Fällen kann
auch dadurch etwas erreicht werden, daß man unter den Kronenumfang der Bäume
mit einem Erdbohrer gegen 50 bis 60 em tiefe Löcher in Abſtänden von ½ bis 1 m
anlegt und ſie mit Waſſer füllt. Iſt öftere Wiederkehr von Trockenheit zu befürchten,
ſo werden an dieſen Stellen Drainröhren zur Einführung der Flüſſigkeit eingeſetzt.
Man braucht dann nicht jedesmal neue Löcher zu machen.
Kurze Bemerkungen über Baumpflege und Sortenveredlung. 439
c. Bodennäſſe.
Die Wurzeln bedürfen zu guter Entwicklung einer entſprechenden Menge von
Luftſauerſtoff. Fehlt er, ſo werden die unterirdiſchen Organe und damit der
ganze Baum krank. In naſſen Böden mangelt dieſe unumgänglich notwendige Luft—
ſauerſtoffmenge immer, und ein Zurückbleiben der Bäume, das ſich vielfach durch
gelbliche Färbung der Blätter wahrnehmbar macht, iſt die Folge davon. Übermäßige
Feuchtigkeit verurſacht auch die ſchwerſten Krankheiten, wie Krebs, Gummifluß, Brand,
Spitzendürre und Wurzelfäule; doch verhalten ſich die einzelnen Obſtſorten ſehr
verſchieden.
In den meiſten Fällen iſt der Untergrund bei Anlage der Obſtkultur nicht
genügend berückſichtigt worden. Man ſetzte die Bäume, ohne das Gelände überhaupt
auf ſeinen Grundwaſſerſtand zu unterſuchen. Letzteres hat aber immer zuerſt zu
geſchehen. Hernach iſt die Frage zu entſcheiden, ob das betreffende Grundſtück zu
einer Obſtanlage in Benutzung genommen werden kann oder nicht. Sind weitgehende
Aufwendungen nötig, ſo ſollte man lieber davon abſehen.
Stellt ſich Bodennäſſe erſt nach der Pflanzung der Bäume ein, ſo muß recht—
zeitig eingegriffen werden, damit die Bäume nicht in ſchweres Siechtum verfallen und
ſchließlich ſterben. Der Eingriff kann in zweierlei Weiſe geſchehen: Die gründlichſte
Verbeſſerung wird dadurch erreicht, daß man die Anlage mit einer Drainage ver—
ſieht. Durch dieſe Entwäſſerungsart wird der Waſſerſtand herabgeſetzt und dadurch
eine Verringerung der Feuchtigkeit erreicht. Das Verfahren iſt aber ſehr koſtſpielig.
Das andere Mittel, die Kulturhöhe des Bodens zu ſteigern, beſteht darin, daß
die einzelnen Bäume auf größere Erdanſchüttungen, ſogenannte Hügel gepflanzt werden.
Allerdings iſt nicht zu vergeſſen, daß dieſe Erdanſchüttungen einen Durchmeſſer von
etwa 2 m und eine Höhe von etwa 50 em haben müſſen, was ebenfalls bedeutende
Koſten erfordert. Vorteilhaft iſt es auch, Materialien, die Feuchtigkeit aufnehmen,
wie Kalkſchutt, Ziegelſteinbrocken, Aſche uſw. um die Wurzel zu legen.
d. Der Froſt.
Ein arger Feind junger Obſtbäume iſt der Froſt. Die ſchädigende Wirkung
macht ſich vornehmlich bemerkbar, wenn bei trockener Winterkälte die Sonnenſtrahlen
diejenigen Teile plötzlich erwärmen, an denen der Saft gefroren iſt. Der plötzliche
Temperaturwechſel und das Gefrieren während der Nacht bringt die Zellen zum Ab—
ſterben. Man kämpft in verſchiedener Weiſe gegen dieſe Gefahr.
Im Formobſtgarten kann es durch Verſtellen der Bäume mit Matten, Ver—
hängen mit Tüchern oder Bedecken mit Tannenzweigen geſchehen. Bei Hoch- und
Halbſtämmen ſowie bei Buſchbäumen kann nur durch Kalkanſtrich ein Schutz erreicht
werden; dieſer wirkt einesteils durch ſeine Deckkraft, andernteils durch die Farbe.
Sehr empfindliche Schädigungen können die Frühjahrsfröſte anrichten. Dieſe
zerſtören leider nur zu oft die Ausſicht auf einen Obſtertrag, ſo daß Lagen, die be—
kanntermaßen vor allen andern von den Frühjahrsfröſten heimgeſucht werden, nicht
für Obſtanlagen Verwendung finden ſollten. Selbſt in den beſten Obſtbaugebieten
finden ſich ſolche Lagen. Dieſe zeichnen ſich meiſtens dadurch aus, daß die Entwick—
lung der Bäume ſehr frühzeitig beginnt und dementſprechend die Blüte frühzeitig
440 4. Abſchnitt.
einſetzt. Man kann ſich in ſolchen Lagen einigermaßen helfen, indem Sorten ange—
pflanzt werden, die erfahrungsgemäß ſpät austreiben, alſo zu einer Zeit, in der
Frühjahrsfröſte nicht mehr zu erwarten ſind. Dieſes Hilfsmittel läßt ſich aber nur
für Apfel anwenden, da für Birnen und Steinobſt ſolche Sorten nicht zur Ver—
fügung ſtehen.
Neuerdings verſuchte man, die Froſtgefahr durch die Entwicklung von Rauch—
wolken zu beſeitigen. Hierzu gehört aber windſtilles Wetter, denn bei ſtarkem Wind
wird die ſchützende Rauchſchicht zerriſſen und unwirkſam. Im übrigen können die
Rauchwolken nur bis zu einem gewiſſen Grade Schutz bieten. Die Temperatur darf
nämlich nicht zu tief unter Null ſinken. — Jedenfalls ſollte im Formobſtgarten jedes
Hilfsmittel verſucht werden, damit nicht eine kalte Nacht jedwede Ausſicht auf Obſt—
ertrag zerſtört.
e. Einfluß des Waldes.
Wald kann — wie wir hörten — dem Obſtbau wertvolle Dienſte leiſten. Er
bietet, an der Nordſeite gelegen, eine unſchätzbare Wehr gegen rauhe Winde und
ermöglicht dadurch in ſonſt ungeeigneten Lagen die Obſtkultur.
Anderſeits kann aber der Wald auf die Obſtkultur einen ſehr ungünſtigen Ein—
fluß ausüben. Tieriſche Schädlinge und pflanzliche Krankheiten, die im Walde
heimiſch ſind, können in die Obſtplantage überſiedeln, ſo daß das Wachstum der
Bäume und ihre Tragbarkeit ſehr gefährdet wird. Goldafter, Schwammſpinner,
Borkenkäfer, Baumſchwämme, Krebs, Mooſe und Flechten ſind Feinde jedes lohnenden
Obſtbaus. Ihre Bekämpfung und Vernichtung erfordert dauernd viel Mühe, Zeit
und Geld. Einzelne Kirſchpflanzungen in der Nähe des Waldes dürften kaum Ernten
bringen, da die Vögel vorher die Ableſe beſorgen werden. Auch dieſe Nachteile ſind
nicht zu überſehen.
5. Abſchnitt.
Das Lagerobſt und ſeine lohnende Aufbewahrung.
Die jährlichen Arbeiten im Obſtgarten finden einen angenehmen Abſchluß in
der Ernte. Wenn die Früchte reif zu werden beginnen, wenn ſie vollſtändig aus—
gewachſen ſind und ihre charakteriſtiſche Farbe erreicht haben, kann die Ableſe vor—
genommen werden.
Die Sommer- und Herbſtſorten des Kernobſtes, des Stein- und Beerenobſtes
werden am Baum oder Strauch vollreif und ſind ſofort nach der Ernte genießbar.
Das Winter⸗ oder Dauerobſt dagegen iſt, vom Baum genommen, zum ſofortigen Roh—
genuß ungeeignet. Es hat allerdings die ſogenannte Baumreife, während ſich erſt
nach Wochen oder Monaten die Lager- oder Genußreife entwickelt. Schon dieſe
allbekannte Tatſache deutet darauf hin, daß das Obſt während der Lagerung weiter—
lebt und, wenn es ſich dabei verbeſſern ſoll, während der Aufbewahrung all der
Exiſtenzmittel bedarf, die auch der Baum nicht entbehren kann. Von dieſen Exiſtenz—
mitteln iſt das wichtigſte eine geeignete Temperatur. Sie ſoll möglichſt gleichmäßig
niedrig gehalten werden, zwiſchen 2-6° 0. Bei weniger Wärme erreichen die
Früchte nur eine Notreife, bei höherer wird der Reifeprozeß beſchleunigt und das
Wachstum von Schimmelpilzen und Fäulnisbakterien begünſtigt. Wird die Temperatur
dagegen ſo reguliert, daß ſie die genannten Wertgrenzen weder über- noch unter—
ſchreitet, ſo kann man ſicher ſein, daß die Genußreife zur vollen Zufriedenheit aus—
fällt. Die Früchte bilden allmählich das Aroma aus, das für ſie bezeichnend iſt;
das Fleiſch wird infolge Auflöſung der Zelluloſe und ähnlicher Körper weich, ſaftig
und nimmt einen ſüßeren, edleren Geſchmack an, da die in den Früchten aufgeſpeicherte
Stärke unter dem Einfluß der Wärme ſich langſam in Zucker umwandelt. Gleich—
zeitig verdunſtet Waſſer, wodurch eine Konzentration des Zuckers ſtattfindet. Wenn
die Stärke in Zucker umgewandelt iſt, kann wieder eine Abnahme des Zuckers beob—
achtet werden, da durch die Atmung Zucker verbraucht wird. Vom Beginn der
Lagerung an vermindert ſich ferner der Säuregehalt in den Früchten. Nach der
Ernte enthalten die Früchte Trauben-, Frucht- und Rohrzucker. Letzterer iſt ebenfalls
einer Umwandlung unterworfen und geht mit der Lagerung in Trauben- und Frucht—
zucker über. Die Erkenntnis, daß durch niedere Temperatur der Reifeprozeß auf—
gehalten werden kann, iſt wirtſchaftlich von größter Bedeutung, denn man iſt dadurch,
daß man das Obſt in beſonderen Kühlräumen aufbewahrt, in die Lage verſetzt, wert—
442 5. Abſchnitt.
volle Sorten auf längere Zeit genußfähig zu erhalten. Z. B. können die beſten
Herbſtbirnenſorten auf dieſe Weiſe bis Weihnachten gelagert und dann mit großem
Nutzen abgeſetzt werden. Anderſeits können in obſtreichen Jahren größere Mengen
Obſt dem Markt entzogen werden. Angebot und Nachfrage bedingen ja die Preiſe;
gelingt es, in geeigneter Weiſe das Angebot auf längere Zeit zu verteilen, ſo werden
ſich dadurch die Preiſe gleichmäßiger geſtalten.
An den Feuchtigkeitsgehalt der Luft im Obſtraum müſſen ebenfalls ganz
beſtimmte Anforderungen geſtellt werden. Reichlich feuchte Luft (mit hoher Wärme
verbunden) befördert ungemein die Entwicklung der verſchiedenen Schimmelpilze, die
ſich in jedem Obſtaufbewahrungsraum aufhalten und ſchon mit dem Obſt eingebracht
werden. Aeußerlich macht ſich die Tätigkeit der Schimmelpilze dadurch bemerkbar,
daß das Obſt zu faulen beginnt. Zeigt die Luft einen hohen Trockenheitsgrad,
ſo welken die Früchte, ſchrumpfen ein, werden unanſehnlich und verlieren ganz be—
deutend an Verkaufswert. Hierdurch ergibt ſich die dringende Notwendigkeit einer
Regulierbarkeit des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft im Obſtraum, will man nicht
unliebſame Erfahrungen machen. Trockene Räume können durch Aufſtellen von Be—
hältern mit Waſſer oder durch Befeuchten des Bodens, ja unter Umſtänden durch
Beſprengen des Obſtes verbeſſert werden. Schwieriger iſt es ſchon, feuchte Räume
trocken zu machen. Im Herbſt, wenn der Tag ſonnig und die Außenluft trocken
iſt, kann dies vielleicht durch Lüftung erreicht werden. Im Winter, und der kommt
hauptſächlich für die Obſtlagerung in Betracht, wird die Lüftung verſagen. Hier
kann nur das Aufſtellen von flachen breiten Gefäßen mit Chlorkalzium einen Erfolg
verſprechen. Das Chlorkalzium hat in hohem Grade die Fähigkeit, die Feuchtigkeit
der Luft aufzunehmen und ſie dadurch zu trocknen.
Licht unterſtützt den Reifeprozeß; daher ſoll Obſt nur wenig oder gar kein
Licht erhalten. Die für die Lüftung angebrachten und erforderlichen Fenſter müſſen
alſo gegen das Eindringen von Licht verwahrt werden können.
Ebenſo wie Licht und Wärme übt auch die Luft auf den Reifeprozeß einen
Einfluß aus. Will man Früchte ſehr lang aufbewahren, ſo iſt vollſtändiger Luft—
abſchluß ein äußerſt einfaches Mittel. Im kleinen läßt ſich das erreichen durch Ein—
bettung der Früchte in Holzaſche, Kohlenpulver oder Torfmull. Schon Einwickeln in
Seidenpapier oder Überziehen mit Kollodium kann die Haltbarkeit verlängern. Dieſe
Hilfsmittel laſſen ſich jedoch im großen infolge des Koſtenpunktes und der Arbeit
nicht durchführen. Unreine Luft muß auf jeden Fall ferngehalten werden, denn die
Früchte haben die Eigenſchaft, vermöge ihres Wachsüberzuges unangenehme Gerüche
aufzunehmen und feſtzuhalten.
Es iſt nicht zu vermeiden, daß ſich im Aufbewahrungsort Schimmelpilze
anſiedeln. Daher ſollte zunächſt vor dem Einlegen des Obſtes der Raum möglichſt
frei von dieſen ſein. Als wirkſames Mittel hat ſich hierfür der Schwefeldampf er—
wieſen. Für 10 ebm Luft genügt eine Schwefelſchnitte (20 g), die abgebrannt wird,
worauf das Lokal mehrere Tage gut verſchloſſen gehalten werden muß. Die ſich
entwickelnde ſchweflige Säure tötet die Pilzkeime und verhindert und verlangſamt
die Fäulnis.
Das Lagerobſt und feine lohnende Aufbewahrung. 443
Im Laufe des Winters kann ebenfalls in Zwiſchenräumen von drei bis vier Wochen
ein leichtes Ausſchwefeln vorgenommen werden. Das Obſt nimmt von dem Schwefel—
dampf keinen Geruch an. Nur hüte man ſich, zu große Mengen Schwefel zu ver—
brennen, da ſonſt leicht die Farbe des Obſtes angegriffen werden kann.
| Als vornehmſter Grundſatz für die Aufbewahrung des Obſtes muß gelten, daß
unter keinen Umſtänden verletzte Früchte in den Raum eingebracht werden. Dieſe
werden in kurzer Zeit zu faulen beginnen und dabei geſunde Früchte in Mitleiden—
ſchaft ziehen; außerdem nimmt die Luft die Pilzſporen auf, und ſonſt geſunde Früchte
werden in kurzer Zeit befallen und faulen.
Je weniger das Obſt angefaßt wird, um ſo länger wird es ſich halten. Bei
der Ernte und der Einlagerung ſollte dieſer Grundſatz niemals vergeſſen werden.
Ein Abreiben der Früchte iſt unter allen Umſtänden zu vermeiden, denn dadurch
wird die feine Wachshaut beſchädigt und entfernt, die insbeſondere einen Schutz
gegen das Eindringen von Schimmelpilzen bietet.
Von Zeit zu Zeit muß ſämtliches Obſt einer genauen Durchſicht unterzogen
werden, denn trotz aller Vorſicht iſt nicht zu umgehen, daß einzelne Früchte in ihrer
Reife verhältnismäßig ſchnell vorſchreiten und verfallen. Fäulnispilze unterſtützen
dieſen Vorgang, ſo daß in kurzer Zeit größere Mengen in Fäulnis übergehen. Bei
der Durchſicht ſollten daher alle verdächtigen Früchte ſorgfältig ausgeleſen werden, um
Anſteckungsherde rechtzeitig zu beſeitigen.
Ein niederer Wärmegrad, genügende Feuchtigkeit, wenig Licht und reine Luft
ſind alſo die Hauptbedingungen für gute Konſervierung. Wird hierin gefehlt und
die Früchte nicht fleißig nachgeſehen, ſo verliert man viel Obſt und hat viel Schaden.
6. Abſchnitt.
Anter welchen Verhältniſſen kann in ungünſtigen
klimatiſchen Verhältniſſen und unter beſtimmten
Bodenbedingungen noch ODbſtbau getrieben
werden? |
Lohnender Obſtbau iſt nur denkbar, wenn die für den Baum erforderlichen
Lebensbedingungen in vollkommenſter Weiſe geboten werden können. Es iſt möglich,
mit den verſchiedenſten Hilfsmitteln noch in den denkbar ungünſtigſten klimatiſchen
Verhältniſſen Obſtbäume zu ziehen; ebenſo wird man in der Lage ſein, in ungünſtigen
Bodenverhältniſſen mit menſchenmöglichſter Anſtrengung die Bäume zu erhalten und
geringe Ernten zu bekommen. Eine andere Frage iſt es aber, ob ſich unter derartig
ungünſtigen Verhältniſſen der Obſtbau noch lohnt. Dieſe Frage kann wohl ohne
weiteres verneint werden. Als Beiſpiel hierfür mag der Obſtbau in einzelnen Teilen
Hollands angeführt werden. An den Nordküſten würde es an und für ſich unmög—
lich ſein, geſunde und tragbare Obſtbäume heranzuziehen. Durch Anlage großer
Schutzpflanzungen iſt es jedoch gelungen, den ſtarken Winden und Stürmen ihre
Gewalt zu nehmen, und unter dem Schutze dieſer Pflanzungen entwickelte ſich ein
blühender und lohnender Obſtbau. Hand in Hand muß damit eine ſachgemäße Aus—
wahl der Obſtformen, arten und ⸗ſorten erfolgen.
Wie bereits geſagt, verlangt jede Obſtart und -ſorte eine beſtimmte Wärme—
menge. Iſt dieſe nicht vorhanden, ſo wird die Fruchtbarkeit und die Geſundheit
der Bäume ungünſtig beeinflußt. Je weiter das Anbaugebiet nach Norden liegt und
je höher der Obſtbau im Gebirge betrieben wird, deſto größer wird der Mangel an
Wärme ſein. Die Bäume zeigen dies äußerlich dadurch an, daß ſie kränkeln und
keine Früchte bringen. Es iſt bekannt, daß ſich die einzelnen Sorten hinſichtlich des
Wärmebedürfniſſes ſehr verſchieden verhalten. Die gewöhnlichen Wirtſchafts- und
Moſtobſtſorten ſind weniger anſpruchsvoll und gedeihen noch in Höhenlagen, in denen
die beſſeren Tafelſorten überhaupt nicht mehr fortkommen. Die edlen Wintertafel-
Unter welchen Verhältniſſen kann noch Obſtbau getrieben werden? 445
birnen erreichen in ungünſtigen Lagen, bei Mangel von Wärme, nur eine gewiſſe
Notreife. Der edle Geſchmack der Früchte kommt nicht zum Ausdruck, das Fleiſch
bleibt rübenartig.
Im gleichen Maße, wie Wärmemangel auf das Gedeihen einer Obſtſorte un-
günſtig einwirkt, kann eine Erhöhung der Wärme ſowohl auf das Wachstum als
auf die Ausbildung und den Geſchmack der Frucht einen unvorteilhaften Einfluß
ausüben. Der im Norden Deutſchlands einheimiſche Gravenſteiner Apfel erreicht
dort ſeine höchſte Vollkommenheit, während er in ſehr warmen trockenen Gebieten
an Wert bedeutend einbüßt und ſogar in dem warmen Mittel- und Südfrankreich
zu einem Sommerapfel herabſinkt.
In hochgelegenen Orten iſt es bei Beachtung aller einſchlägigen Punkte ſehr
gut möglich, Obſtbau zu betreiben. Dabei darf jedoch nicht vergeſſen werden, daß
ceein genügender Schutz gegen rauhe und kalte Winde geboten wird und eine ſach—
gemäße Auswahl der anzupflanzenden Sorten erfolgt. Von den Sorten werden
ferner diejenigen zu bevorzugen ſein, deren Früchte feſt am Baum hängen, alſo
nicht ſo leicht vom Wind abgeſchlagen werden. Es kann ja nicht ausbleiben, daß
der Wind in hohen Lagen, trotz natürlichen Schutzes und trotz Anlage von Schutz—
pflanzungen, eine große Gewalt ausübt. Lagen, in denen ſtändiger Zugwind
herrſcht, ſind daher vollſtändig ungeeignet für einen lohnenden Obſtbau. Alle Hilfs—
mittel verſagen, und die Bäume geben in den ſeltenſten Fällen Erträge her.
Ebenſo, wie die oberirdiſchen Teile des Baums Anſprüche an das Klima ſtellen,
die unbedingt bei einer Neupflanzung berückſichtigt werden müſſen, nehmen auch die
unterirdiſchen Teile — die Wurzeln — nicht mit jedem Boden vorlieb. Bei der
Beſchreibung der Obſtſorten wurde bereits darauf hingewieſen, daß die einzelnen
Arten beſondere Forderungen in dieſer Hinſicht ſtellen. Aber nicht allein, daß die
Arten voneinander ſich unterſcheiden, auch die Sorten gehen manchmal in ihren
Forderungen ſehr weit auseinander.
Bei richtiger und ſachgemäßer Ausnützung dieſer Eigenſchaften iſt es möglich,
noch in ſonſt ungeeigneten Bodenverhältniſſen mit beſtem Erfolg Obſtbau zu betreiben.
Für einzelne Obſorten genügt ein leichter ſandiger Boden, um ſie zur vollſten Ent—
wicklung zu bringen, während andere Obſtſorten im gleichen Boden erkranken; ſie
finden nicht die genügenden Nährſtoffe, das Wachstum ſtockt und von Fruchtbarkeit
iſt keine Rede. Wieder andere Sorten brauchen zur vollen Entwicklung viel Boden—
feuchtigkeit ufm. Natürlich kann man, wenn ein beſtimmtes Terrain von Natur ſich
für gewiſſe Sorten nicht eignet, den Boden durch geeignete Maßnahmen für dieſe
Sorten auch herrichten. Sandige Böden beiſpielsweiſe können durch ausgiebiges
Überfahren mit Ton, Mergel, Löß und anderer guter Erde in ihrer Zuſammenſetzung
verbeſſert und um vieles brauchbarer gemacht werden. Auch durch Düngung, ſei es
mit künſtlichen Düngemitteln, Gründüngung oder natürlichem Dünger, kann helfend
eingegriffen werden. Allerdings iſt zu berückſichtigen, daß nur bei fortlaufendem
Geben auf die Dauer ein Erfolg zu erwarten iſt. Dadurch werden die Koſten ſolcher
Anlagen ſehr beträchtlich erhöht, und von einer rentablen Pflanzung wird kaum die
Rede ſein können. Ahnliches gilt für die Verbeſſerung naſſer Gründe.
446 6. Abſchnitt.
Wer alſo aus der Obſt- und Weinkultur einen Reingewinn erzielen will, muß
die beſten Böden auswählen. Nachträgliche Verbeſſerungen und reiche Düngungen
ſind mit großen Unkoſten verbunden, ſo daß eine Einträglichkeit ſehr in Frage geſtellt
wird. Die Auswahl der richtigen Obſtarten und Obſtſorten je nach den Boden—
verhältniſſen kann wohl als ein Hilfsmittel betrachtet werden, jedoch wird es nicht
immer ausreichend ſein, um fehlende Nährſtoffe zu erſetzen oder den Nachteilen zu
großer Bodenfeuchtigkeit den Stachel zu nehmen.
7. Abſchnitt.
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur
und der Amfang des Obſtbaus in den
verſchiedenen Kulturſtaaten.
Die erſte allgemeine Obſtbaumzählung fand bei uns im Jahre 1900 ſtatt.
Derartige Zählungen laſſen ſich außerordentlich ſchwer durchführen und geben vielfach
nicht genaue Zahlen, da die Bevölkerung gegenüber ſolchen Feſtſtellungen zu gleich—
gültig iſt. Immerhin bietet die Statiſtik einen Maßſtab für den Obſtbau. Es kann
feſtgeſtellt werden, ob die Obſtkultur mit den Jahren zu- oder abnimmt.
Das Geſamtergebnis für das Reich betrug im Jahr 1900 168,4 Millionen
Obſtbäume ohne Rückſicht auf die Tragfähigkeit. Ausgenommen ſind nur die in den
Baumſchulen gezogenen, noch nicht bis zur Auspflanzungsreife erſtarkten Bäume.
Die Zählung erſtreckte ſich auf Apfel-, Birnen-, Zwetſchen-, Pflaumen- und Kirſch—
bäume. Von dieſen 168,4 Millionen Obſtbäumen entfielen:
52,3 Millionen — 31% auf Apfel
25,1 Millionen — 15% auf Birnen
69,4 Millionen — 41% auf Zwetſchen und Pflaumen
21,6 Millionen — 13% auf Kirſchen.
Auf 1 qkm der Geſamtfläche des Deutſchen Reiches kamen alſo durchſchnittlich 311
Obſtbäume, hiervon waren 128 Pflaumen- und Zwetſchen-, 97 Apfel-, 46 Birnen- und
40 Kirſchbäume. Wird jedoch nur die landwirtſchaftlich benützte Fläche gerechnet,
ſo erhöht ſich der Stand an Obſtbäumen auf 1 qkm ganz beträchtlich. Es kamen
dann auf 1 qkm 480 Obſtbäume, wovon 198 Pflaumen- und Zwetſchen-, 149 Apfel-,
72 Birnen⸗ und 61 Kirſchbäume waren. Auf je 100 Einwohner in Deutjchland
können ſonach 299 Obſtbäume gerechnet werden, nämlich 123 Pflaumen- und Zwetſchen⸗,
93 Apfel-, 45 Birnen- und 38 Kirſchbäume, etwa rund 3 Obſtbäume auf den Kopf
der Bevölkerung. Dieſes Verhältnis wird aber nur erhalten werden können, wenn
die Anpflanzung von Obſtbäumen mit der ſtetig fortſchreitenden Bevölkerungszunahme
Deutſchlands gleichen Schritt hält. Zu wünſchen wäre das ſehr.
Der bekannte rheiniſche Obſtzüchter Freiherr von Solemacher ſtellt den
Grundſatz auf, daß der landwirtſchaftliche Obſtbau ſtets extenſiv gehandhabt werden
448 7. Abſchnitt.
müſſe, d. h. auf weiten Flächen und in großen Zwiſchenräumen mit möglichſt
geringer Schädigung der landwirtſchaftlichen Unternutzung, auf einfachſte und natür—
liche Art ohne viel Kapital und Menſchenkraft, mit dem Endziel, große Mengen
Wirtſchaftsobſt und marktfähiges Tafelobſt zu produzieren. Dem intenſiven Obſtbau
iſt es vorbehalten, feines edleres Tafelobſt auf kleineren Baumformen mit meiſt
ſchwachwachſender Unterlage in engerer Pflanzungsweiſe hervorzubringen, wobei die
Unter⸗ und Zwiſchenkulturen mehr in den Hintergrund treten und meiſt nur für die
erſten Jahre Bedeutung haben.
Während der Anbau von Kernobſt faſt überall auf einen leichten und guten
Abſatz der Erzeugniſſe rechnen kann und daher in Deutſchland faſt allgemein ver—
breitet iſt, hat ſich der Anbau des Steinobſtes meiſt nur auf beſtimmte Gegenden
zuſammengedrängt. Die Obſtarten mit früher Reifezeit und von eng begrenzter Halt—
barkeit werden vorzugsweiſe nur in beſtimmten Anbaugebieten, die ſich meiſt nur auf
einige wenige Ortſchaften beſchränken, angebaut. Zum Beiſpiel der Anbau von
Zwetſchen in Bühl (Baden), von Kirſchen, Aprikoſen und Pfirſichen in Weiſen—
heim und Freinsheim (Rheinpfalz), von Kirſchen und Aprikoſen in Mombach
und Finthen (Rheinheſſen), von Kirſchen in Werder und Guben (Brandenburg),
in Thüringen, in Boppard und Salzig am Rhein, im Alten Lande bei Ham—
burg, von Kirſchen-, Stachel- und Johannisbeeren am rheiniſchen Vorgebirge
(zwiſchen Bonn und Köln), von Aprikoſen in Kamp und Keſtert am Rhein.
Beim landwirtſchaftlichen Obſtbau wird es ſich vornehmlich um die
Kultur des Hoch- und Halbſtamms handeln. Dieſe beiden Baumformen
werden ſtets das Rückgrat des landwirtſchaftlichen Obſtbaues bilden müſſen; ſie
bilden die Sparkaſſe des Landwirtes und müſſen möglichſt lange und viel produzieren,
um die aufgewandten Koſten in kleinen Raten zu amortiſieren und möglichſt hohe
Zinſen zu bringen.
Denn Obſt ſollte nicht allein als eine teure Näſcherei betrachtet werden müſſen,
ſondern ſollte jedem als Nahrungsmittel zugänglich ſein. Wer die Wohltat
regelmäßigen Obſtgenuſſes kennen und ſchätzen gelernt hat, wird ſo leicht auf ihn
nicht mehr verzichten wollen. Es iſt daher ein berechtigtes Verlangen weiter Kreiſe,
wenn durch Schrift und Rede verſucht wird, das Obſt zu einem regelmäßigen Be—
jtandteil der Alltagskoſt zu machen.
Auch die Volkswohlfahrt kann durch vermehrten Obſtgenuß gefördert und ge—
hoben werden, weil die Urſache vielen ſozialen Elends und der Alkoholmißbrauch
durch erhöhten Obſtgenuß vermindert wird. In demſelben Maße, wie der Verbrauch
von Obſt zunimmt, wird der Verbrauch von Alkohol eingeſchränkt werden.
Bei der fortſchreitenden Bevölkerungszunahme iſt es allerdings klar, daß der
augenblickliche Stand der Obſtkultur nicht ausreichen kann, um ſo viel Obſt zu liefern,
daß es in den breiteſten Schichten der Bevölkerung zu einem Nahrungsmittel wird.
Immerhin iſt Deutſchland in der Lage, ſeinen Obſtbedarf im eigenen Lande zu decken,
nur muß die Obſtzucht in Zukunft intenſiver und extenſiver betrieben werden. Alle
Ermahnungen und Belehrungen haben aber bisher noch nichts auszurichten vermocht.
So wandern denn alljährlich und ſich ſtetig ſteigernd ganz gewaltige Summen deutſchen
Geldes ins Ausland.
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 449
Die von Jahr zu Jahr ſich mehrenden und verbeſſernden Verkehrsmittel, die
außerordentlich günſtigen klimatiſchen Verhältniſſe anderer Länder und ihre billigeren
Arbeitskräfte haben es mit ſich gebracht, daß die Einfuhr fremden friſchen Obſtes
eine beträchtliche Höhe erreicht hat. Sie betrug im Jahre 1880 gegen 260000 dz,
beläuft ſich jedoch ſchon auf rund 2500000 dz, d. h. nahezu das zehnfache davon.
In ähnlicher Weiſe hat auch die Einfuhr getrockneten Obſtes zugenommen; ſie
kann im Durchſchnitt der letzten Jahre auf etwa 600000 dz berechnet werden.
Wie hoch ſich der Wert der Einfuhr in den 3 Jahren 1907 bis 1909 belief,
zeigt nachſtehende Tabelle:
1907 1908 1909
Obſtart
Mark Mark Mark
Friſche Apfel 21 415 000 18 808 000 21 366 000
und Quitten 5 672000 4088 000 10 489 000
Aprikoſen, Pfirſiche 2217000 4555 000
Kirſchen, Weichſeln a 2569 000 4015 000
C 405 000 1896000 2622 000
2788 000
—
Mirabellen, Reineclauden .. 1504000 1668 000 1532000
Hagebutten, Schlehen 5000 6000 1000
c 553000 612 000 866 000
Andere Beeren 4504 000 5 684 000 6 433 000
Friſche Trauben . 11461000 10 972 000 10 374 000
Haſelnüſſe und Kerne 9808 000 6 359 000 6 220 000
Walnüſſe und Kerne 3728 000 4324000 4 559 000
Getrocknete Apfel. . 10 685 000 8 632 000 7618 000
Verwertbare Abfälle 634000 408 000 355 000
Getrocknete Aprikoſen und Pfirſiche 1331000 2493000 2135 000
Getrocknete Zwetſchen .. 15 281000 13 942 000 14 400 000
Getrocknete Kirſchen, Prünellen. 1170000 793 000 858 000
( 1441000 2132000 252000
Summe 92 385 000 87 603 000 99 153 000
Wie die einzelnen Länder an der Einfuhr beteiligt ſind, zeigt umſtehende Tabelle.
Aus dieſer Zuſammenſtellung nach den Einfuhrländern iſt erſichtlich, daß in
erſter Linie Oſterreich-Ungarn für die Einfuhr friſchen Obſtes nach Deutſchland in
Betracht kommt, es folgen alsdann Italien, die Niederlande, die Schweiz, Frankreich
und Belgien. Amerika liefert vornehmlich friſche Apfel; ihr Wert betrug im Durch—
ſchnitt der letzten fünf Jahre nach den amtlichen ſtatiſtiſchen Nachrichten jährlich rund
2½ Millionen Mark, ferner werden von Amerika große Mengen getrockneten Obſtes,
wie Apfelſcheiben, Aprikoſen, Pfirſiche und Zwetſchen eingeführt.
Schulz, Obſtbau.
29
. Abichnitt.
‘
-
4
14881 | arg — 7 7 2s ag 2 — 5108 3 mmm aa ane
— * — 7198| — = 0185 989 976 reg OT 886 gs 691 K | a wagnwapaloz
= = — — = * 87⁴ 058 068 290 f 48g 001 180 61 Hans nu
= a — — — — — 14 8181 881 0 60 07% u uo qpſſeaid
= 699 PT Lor 981 — — — 889 201 081 09 68501 le 7 01188 F
— — — — — 01 6881 279 21 192 61 fer 9 207 L ee
150 69 — r61 99 g9oößf pls e
— a = = 2 En 987 86 240 19
5 > 85 5 = = og 8 pg 881 | VLLISG 820 25 ee 261 se 988 910 0666 gold
6061
I
668 | — 5 * 495 € > = — 902 9 2 = — uiid ao anne
198 8 + Fr . 88S 768 zes 49456 761 261 259 ll n
= : = — = Be 086 089 SLIL 100 2 8419 ses 88s Names sebnluos
2 = = + ea 8 = 65 516 809 — loge | BZGTIG I 0 un ne Sapiranıe
— 485 6 f — = = 90% 86 895 SY 60 7 9856 168 12 1150
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a5 0 |
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 451
Für gewiſſe Fruchtarten liefern auch die Balkanländer große Einfuhrmengen,
die ſich vorausſichtlich in den nächſten Jahren noch ganz beträchtlich erhöhen dürften.
Bosnien, Serbien und Bulgarien haben ihren Obſtbau ſeit einigen Jahren ungeheuer
gefördert. Es möge der Hinweis genügen, daß z. B. die Pflaumenpflanzungen
Serbiens im Jahre 1902 eine Fläche von etwa 125174. 59 ha, zwei Jahre ſpäter
bereits 136 826.38 ha einnahmen; auch die Apfelpflanzungen haben bedeutend zuge—
nommen, in den Jahren 1902 und 1903 hat ſich der Stand vom Jahre 1901 faſt
verdoppelt. Sind dieſe Bäume einſtweilen noch nicht tragbar, ſo muß doch damit
gerechnet werden, daß von hier aus in den nächſten Jahren größere Mengen nach
Deutſchland eingeführt werden. Bedingt durch niedrige Bodenpreiſe und billige
Arbeitskräfte vermag dieſes Obſt die Koſten einer weiten Fracht zu tragen.
Beträchtliche Mengen von Obſt werden jährlich von Böhmen eingeführt.
Böhmen iſt ein ſehr obſtreiches Land, wie nur wenige andere Länder; es gebraucht
ſelbſt ſo gut wie kein Obſt, denn es hat vorwiegend landwirtſchaftliche Bevölkerung.
Die wirtſchaftlichen vielſeitigen gemeinſchaftlichen Intereſſen, auch die geographiſche
Lage verweiſen vornehmlich auf Deutſchland als Abſatzland. Die Elbe erſchließt mit
ihren Nebenflüſſen das Herz Deutſchlands und deſſen kaufkräftige Gebiete und volk—
reiche Großſtädte; ſie führt bis zu unſerem größten Seehandelsplatz und ſteht durch
zahlreiche Kanäle mit den Stromgebieten der Oder und Weichſel in innigſter Beziehung.
Der Obſtverſand auf dem Waſſerwege hat gegenüber demjenigen auf der Bahn
ſehr viele Vorzüge. Er ſchont die Früchte ungemein, ermöglicht den Verſand ohne oder
wenigſtens mit allerbilligſter Verpackung und iſt vor allen Dingen ſechs- bis achtmal ſo
billig wie mit der Bahn. Dieſe Umſtände ermöglichen es, Tafelobſt für 16 Pfennig
den Zentner in einfachſter Packung aus dem obſtreichen böhmiſchen Elbtal nach Magdeburg
und für 20— 22 Pfennig nach Berlin zu liefern. Dieſe Früchte kommen hier in gutem
Zuſtande an, um nachträglich in Kiſten verpackt, als Tafelobſt verkauft zu werden.
Die Einfuhr von Birnen aus überſeeiſchen Ländern iſt nicht bemerkenswert
und wird auch wohl kaum größere Ausdehnung annehmen, da ihre leichte Vergänglich—
keit einen weiteren Transport nicht zuläßt.
Zwetſchen und Pflaumen bilden einen Haupteinfuhrartikel aus Oſterreich
und aus den Balkanſtaaten. Pfirſiche und Aprikoſen kommen aus Frankreich,
Italien, Belgien und den Niederlanden. Nüſſe ſenden Rumänien, Frankreich,
Italien und die Türkei. Für die Einfuhr getrockneten Obſtes mögen nachſtehende
Zahlen ein Bild geben. Es wurden eingeführt:
1907 1908 1909
dz dz dz
Ring⸗ und Scheibenäpfel, Apfelſchnitte . 140833 132910 117388
Verwertbare Abfälle von Apfel und Birnen . 28 803 25 528 22 195
ee 7059 26 806 22 953
JJ ĩ 4337794, 380008 392 468
en, Brünelen ee. 13 298 12 783 13 846
leiert, Mus ꝛee . 45 033 85 296 36 066
Summe 572 820 663 331 604 916
„>
ot
16)
7. Abſchnitt.
Das getrocknete Obſt geht hauptſächlich aus den Vereinigten Staaten von Nord—
amerika, Bosnien und Serbien ein, in kleinen Mengen aus Frankreich, doch ſchwankt
die Einfuhr von Jahr zu Jahr. Sobald die fremden Länder reiche Ernten haben,
werden ſie bemüht ſein, große Mengen auszuführen; andererſeits wird die Einfuhr
geringer, wenn Deutſchland ſelbſt eine gute Obſternte hat.
Demgegenüber iſt die Ausfuhr Deutſchlands vom Jahre 1880 bis heute nicht
nur nicht gewachſen, ſondern ſtetig zurückgegangen; ſie beträgt gegenwärtig
durchſchnittlich nur etwa 150000 dz, d. h. (je nach den Ernten) 3 bis 4% der
Einfuhr. Es wurden ausgeführt: ;
1907 1908 1909
| dz dz dz
einen zn rt 44022 22 408 14 382
% RE Eee. 29 148 13 702 23100
ion, Biicfiche. 0 #0: aaa Re 974 676 784
Mirabellen, Reineclauden, Miſpel . . .. | 8425 6455 11 302
ien, Schthen . J 420 134 64
Wies 41.847 13 865 15 894
Swatſch en 37097 20 160
e ee un Ber, Do 441 487 300
Him-, Johannis-, Stachel Heidel⸗u. Preiſelberen 30 468 24745 21781
Wenn SLR aeEe 2 Se SR 714 762 820
ie ee 320 216 238
r y ee Be 1206 1449
Dhſt getrocknet und gedörrt 2740 2908 7312
r 2 ee 352 387 212
Summe 149 952 1174121 160 732
Aus den mitgeteilten Zahlen ergibt ſich deutlich, daß Deutſchland längſt nicht
diejenige Menge von Obſt erzeugt, die es zu ſeinem eigenen Bedarf benötigt, obwohl
ſein Klima wie ſeine Bodenbeſchaffenheit es vorzüglich dazu befähigen, die ver—
ſchiedenſten Obſtarten und -ſorten von den gewöhnlichſten bis zu den feinſten mit
dem beſten Erfolg zu kultivieren. Faſt überall kann Obſtbau betrieben werden,
wenn die Anſprüche der einzelnen Arten und Sorten entſprechend berückſichtigt werden;
der Obſtbaum ſelber läßt ſich für alle Verhältniſſe in geeigneten Formen erziehen.
Im kleinſten Hausgarten, an der Wand eines Häuschens, wie auch im großen Park,
an den hohen Mauern eines herrſchaftlichen Wohnſitzes, auf weiten Ackerflächen, wie
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 453
auf fruchtbaren Wieſengründen liefert der Baum ſeine Früchte und gibt reiche und
regelmäßige Ernten, wenn er mit Verſtändnis gepflanzt und mit ſachkundiger Liebe
gepflegt wird.
Ein noch klareres Bild der Obſtproduktion erhält man, wenn man ſich die
gegenwärtige Ausdehnung des Obſtbaus in den verſchiedenen Kulturſtaaten etwas
näher anſieht.
Der Obſtbau Öfterreich-AUngarns.
Von Oſterreichs Obſtbau treibenden Ländern kommen hauptſächlich Böhmen,
Steiermark und Tirol in Betracht. Während Böhmen uns vornehmlich mit Wirt—
ſchaftsobſt verſorgt, liefert Tirol feines Tafelobſt, Steiermark beides.
A. Der Obſtbau Böhmens.
Eines der größten Obſtbaugebiete von Sſterreich iſt das deutſch-böhmiſche
Elbetal. Hier iſt der Obſtbau ſeit uralten Zeiten ein Maſſenobſtbau geweſen, der
feldmäßig betrieben wurde und in dieſer Form noch heute betrieben wird. Das Ge—
biet iſt für den Obſtbau außerordentlich geeignet. Gedeihen doch alle mitteleuropäiſchen
Obſtarten und Fruchtſträucher vorzüglich und liefern Früchte von hervorragender
Qualität.
Nach Prof. Em. Groß liegt das zuſammenhängende Obſtgebiet, der ſogenannte
böhmiſche Obſtgarten in den deutſchen Gauen des Landes und beginnt etwa an der
Sprachengrenze bei Loboſitz, um ſich entlang der Elbe als Hauptlinie bis an die
Landesgrenze oder, genauer geſagt, bis nach Tetſchen zu erſtrecken. Der mit Obſt—
bäumen bepflanzte Gürtel am rechten und linken Ufer der Elbe iſt bald ſchmäler,
bald breiter. Häufig ziehen ſich die Obſtkulturen bis weit in die Seitentäler hinein
und nicht ſelten finden wir noch Obſtpflanzungen hoch im Gebirge bei 400 bis 500 m
Seehöhe, wenngleich erfahrungsgemäß in dieſen Lagen in einzelnen ungünſtigen Jahr—
gängen das Obſt nicht mehr recht zur Reife gelangt.
Tetſchen gilt als Apfel- und Zwetſchenland, Auſſig als Birnen- und Zwetſchen—
land, Dux, Brüx und Teplitz als Birnenland. Loboſitz und Leitmeritz ſind Gebiete,
in welchen alle Obſtarten gleich gut gedeihen und ſich häufiger durch ganz reine
Kirſchengärten auszeichnen. Auch Edelpflaumen, Pfirſiche und Aprikoſen ſind nicht
ſelten anzutreffen. Größere Walnußgärten gibt es in Groß-Prieſen und in der Um—
gebung von Graupen.
Für Nordböhmen (deutſch-böhmiſches Elbetal), ein Gebiet, das einen Flächen—
raum von annähernd 249523 ha einnimmt, ergab eine genaue Zählung im Jahre 1905
folgenden Beſtand an Obſtbäumen und Objtjträuchern:
3094891 Stück Obſtbäume,
117118 „ Stachelbeerſträucher,
77934 „ Johannisbeerſträucher.
Auf die einzelnen Obſtarten verteilt ſich das Geſamtergebnis von 3094891 Stück
wie folgt:
454 7. Abſchnitt.
1605080 Stück Zwetſchen- und Pflaumenbäume — 51,86 9%
614860; iin Birnbaum 1M nne
577479 „ Apfelbäume „ HB
246506 „ Kirſchen- und Weicfelbäume BE
32248 „ Walnußbäum . . e
14594 „ Aprikoſenig — 9,
4406 „ Pfirſichbaume . =
Nach dieſer Aufſtellung entfallen auf 100 ira etwa 625 Obſtbäume und
51 Fruchtſträucher.
In neuerer Zeit wird der Anbau von Äpfeln und Birnen dem Zwetſchenbau
vorgezogen; ſchon in einigen Jahren dürfte das Kernobſt für den Exporthandel 65 bis
70 % der Geſamtproduktion ausmachen.
In den in Betracht gezogenen Gebieten kommen ſtrenge Winter nur ſelten vor,
eine Temperatur auf 15 Grad C unter Null gehört zu den Ausnahmen. Der Obſt—
bau findet ſich ſtellenweiſe noch in einer Seehöhe von 400 — 500 m. Die Reife der
Zwetſchen tritt hier dann ſehr ſpät ein, ſodaß mit der Zwetſchenernte erſt Anfang
November begonnen werden kann, manchmal ſogar noch ſpäter.
Im allgemeinen geſtaltet ſich die Ernte ungefähr ſo, daß die Kirſchenernte ge—
wöhnlich Ende Juni beginnt. Die Zwetſchenernte ſetzt mit dem 15. September ein
und dauert bis Ende Oktober. Die Frühbirnen beginnen Mitte Auguſt zu reifen.
Mitte September fällt der Höhepunkt der Kernobſternte, die Ende Oktober 1 Ab⸗
ſchluß findet.
Die kleineren Landwirte ernten ihr Obſt ſelber und liefern es ohne Zwiſchen—
handel direkt an die Obſtgroßhändler ab. Beim Großgrundbeſitz dagegen iſt es all—
gemein Regel, daß das Obſt bereits im Juni und Juli auf den Bäumen an Pächter
verkauft wird.
Das nordböhmiſche Obſt geht zum größten Teil nach Deutſchland, dann aber
auch nach Schweden, Norwegen und Rußland. Dem Verſand kommt der bequeme
und billige Waſſerweg „die Elbe“ ſehr zu ſtatten. Der Reſt des friſchen Obſtes
bleibt im Lande und wird zum größten Teil roh verzehrt. Außer der Pflaumen—
dörrinduſtrie und Musbereitung find andere Verwertungsmethoden faſt gänzlich un—
bekannt.
B. Der Obſtbau Steiermarks.
Für das verhältnismäßig kleine und nicht beſonders reiche Land Steiermark
bildet der Obſtbau eine Kultur von größter wirtſchaftlicher Bedeutung, die ſchon ſeit
langem betrieben wird. Das an e reiche Alpenland zeigt die mannig—
fachſten Boden- und Lagenverhältniſſe. Dem ſchließt ſich auch der Obſtbau, was Art,
Sorte und Ausdehnung der Kulturen betrifft eng an.
Im Oberlande, dem nördlichſten Landesteile, können wegen des vorherrſchen—
den Gebirgsklimas nur die allergünſtigſten Lagen mit gutem Boden der Obſtkultur
dienen. Das Wirtſchaftsobſt iſt vorherrſchend, obgleich bei ſachgemäßer Sortenwahl
auch gutes Tafelobſt gedeihen kann. Dieſes Gebiet umfaßt das Enns-, obere Mur—
und Mürztal.
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 455
Im Mittelland finden wir ſowohl Hügel- als auch Flachland mit tiefgründigem,
nährſtoffreichem Boden. In inniger Verbindung mit dem Acker- und Grasbau iſt
hier der Obſtbau anzutreffen. Ganze Berglehnen gleichen einem endloſen Obſtwalde;
jeder Landwirt beſitzt eine größere Anzahl, oft mehrere tauſend Obſtbäume. Das
Mittelland umfaßt das Raab-, Safen- und Feiſtritztal, ferner das Grazer und das
Leibnitzer Murtal.
Das Unterland muß als das Ideal eines Obſtlandes angeſehen werden. In
den fruchtbaren Tälern finden wir einen ausgedehnten, auf möglichſt einfache Art be—
triebenen Obſtbau in Verbindung mit Grasbau. In dieſem Landesteile gedeihen die
empfindlichſten Obſtarten und -ſorten, neben hochfeinen Pfirſichen werden hier ſaftige
Wintertafelbirnen geerntet und mächtige Baumrieſen der edlen Kaſtanien zieren die
ſonnigen Hänge. Im Unterlande ſind folgende Obſtbaugebiete von Bedeutung: Das
Sottla- und Savetal, das Saan-, Schaal- und Drautal, ferner das Bacherer Gebiet,
die Windiſchen Büheln und die Kollos.
Für den Obſtbaubetrieb kommt in erſter Linie der Hochſtamm in Betracht, da
Jaller beſtehenden Obſtanlagen als Unterkultur Grasbau haben. Niederſtämme würden
in ſchneereichen Wintern zu viel von Haſen und Kaninchen Not leiden. In geſchloſ—
ſenen Gärten werden daneben Halbſtämme, Buſchbäume und Spalierbäume angepflanzt.
Der Apfelbaum hat von allen Obſtarten die größte Bedeutung, da die
günſtigen klimatiſchen Verhältniſſe — hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft — dem
Apfelbaum am beſten zufagen. In den Neuanlagen werden 80 9% Apfelbäume an⸗
gepflanzt. Der Betrieb wird ſo einfach wie möglich geſtaltet, um die weitausgedehnten
Obſtanlagen überhaupt in Pflege halten zu können.
Die Verwertung der Obſternten geſchieht in den weitaus größten Mengen
durch Friſchverkauf an Händler. Steiermark iſt nicht in der Lage, ſein Obſt im
eigenen Lande zu verwerten, es iſt daher unbedingt auf Ausfuhr angewieſen. Die
Ausfuhr von Moſtobſt ſpielt die Hauptrolle. Von Jahr zu Jahr nimmt aber auch
die Ausfuhr von Tafelobſt zu. Erſt ſeit etwa 20 Jahren hat der Friſchobſtverkauf
eine größere Bedeutung gewonnen, weil ſeit dieſer Zeit die vielen edlen Reinetten—
und die ſteiriſchen Maſchanzkerbäume zu tragen begannen. Infolge der größeren
Ausdehnung des Obſtbaus in allen Landesteilen und der in Zukunft noch zu er—
wartenden Vermehrung und Vergrößerung der Obſtanlagen iſt es eine Hauptſorge
der Produzenten, zunächſt den Export des friſchen Obſtes zu heben. Bedingt durch
richtige Sortenwahl, ſorgfältiges Ernten, Sortieren und gutes Verpacken unterliegt
es gar keinem Zweifel, daß der Export bei der guten Qualität des ſteiriſchen Obſtes
noch einer bedeutenden Steigerung fähig iſt.
Die Geſamternte iſt in den einzelnen Jahren ſehr verſchieden. Eines der
günſtigſten Jahre war das Jahr 1900. Damals betrug ſie 1785000 dz Kernobſt,
322000 dz Steinobſt und 30000 dz Schalenobſt, in Summa 2137000 dz.
Die Erzeugung von Moſtobſt ſpielt in ganz Steiermark eine große Rolle, doch
wird die Moſtherſtellung faſt durchweg von den Produzenten unmittelbar ausgeführt.
In manchen Orten Unterſteiermarks werden Zwetſchen und Pflaumen in größeren
Mengen getrocknet. Von nicht zu unterſchätzender Bedeutung iſt die Verwendung
von Zwetſchen und Pflaumen zur Branntweingewinnung (Sliwowitzj).
456 7. Abſchnitt.
6. Der Obſtbau Tirols.
Die Obſtbaugebiete Tirols können in 3 Produktionsgebiete eingeteilt werden
und zwar dasjenige von Nordtirol, Deutſch-Südtirol und Italieniſchtirol.
Das Produktionsgebiet Nordtirol umfaßt hauptſächlich das Inntal von 400
bis 800 m Meereshöhe. Vorzugsweiſe werden Apfel gezogen, während von dem
Anbau von Steinobſt nur die Hauszwetſche und Aprikoſe (Marille) in Betracht kommt.
Die Obſtbaugebiete des deutſchen Südtirols zeichnen ſich weniger durch ihre
Ausdehnung als durch die intenſive Kultur aus. Das hervorragendſte Obſtbaugebiet
liegt im Etſchtal von Meran bis Bozen und Salurn in einer Höhe von 180-570 m
über dem Meeresſpiegel. In der Fortſetzung des mittleren Etſchtales oberhalb Meran
bis Mals, 510—900 m über dem Meere, dehnt ſich der Vintſchgau aus, ein Gebiet,
in welchem der Obſtbau ſtetig zunimmt.
Die Zahl der wirklich im großen angepflanzten Obſtſorten, namentlich Winter—
obſtſorten, iſt eine ganz beſchränkte; hierin hat die Stärke des Tiroler Obſthandels
ihren Grund; ihm iſt dadurch die Möglichkeit geboten, größere Mengen von dauer—
haftem Winterobſt in nur einigen Sorten liefern zu können.
Der landwirtſchaftliche Obſtbau hat ſich ſtets den Anſprüchen des Handels
angepaßt. Vornehmlich werden Apfel und von dieſen die beliebten Roſen- und
Taubenäpfel gezogen. Sorten von mittlerer Größe, die im gewöhnlichen Aufbe—
wahrungsraum gelagert werden können, ohne zu welken, werden bevorzugt. Von
Birnen werden im Großanbau nur wenige Sorten gebaut. In den wärmeren Lagen
herrſchen Pfirſiche und Frühkirſchen vor, in geringerer Ausdehnung daneben Aprikoſen
und Zwetſchen.
Einen bedeutenden Exportartikel bilden die Trauben. Von dieſen wird die
in der Meraner und Bozener Gegend faſt ausſchließlich angebaute Sorte Groß—
Vernatſch (Blauer Trollinger, Frankentaler) ausgeführt.
Die Obſtbäume ſtehen auf Wieſen und Ackern, zum Teil in Weinbergen in
weiten Zwiſchenräumen. Die beſten Obſtgelände ſind bewäſſerbare Grundſtücke, ent—
ſtanden durch Überſchüttung, oder Grundſtücke in der Talſohle, die von Natur aus
einen feuchten Untergrund haben.
Neben dem landwirtſchaftlichen Obſtbau entwickelte ſich in den letzten Jahren
ganz außerordentlich der Gartenobſtbau, die Formbaumzucht und Buſchobſtkultur.
Die Anzucht der edlen Winterkalvillen wurde in umfangreicher Weiſe in Meran vor—
genommen. In den beſten bewäſſerbaren Hügellagen von Obermais bei Meran
wurden Kalvillgärten angelegt. Lage, Boden und Pflege ſichern hier von dieſer
empfindlichen Sorte die höchſten Erträge. Neben der großen Haltbarkeit, dem feinen
Geſchmacke und der zumeiſt außerordentlich ſchönen Färbung und Reinheit der Schale
des Tiroler Obſtes verdankt der dortige Obſtbau ſein gewaltiges Emporblühen dem
muſterhaft organiſierten Obſthandel. Seinen Mittelpunkt bilden Bozen, Meran und
Lana in Deutſchtirol, Trient im italieniſchen Tirol. Die Behandlung des Tiroler
Obſtes iſt nach jeder Seite einwandfrei. Faſt ſämtliches Obſt wird ſorgfältig ge—
pflückt, ſortiert und tadellos verpackt, ſo daß es die weiteſten Reiſen aushalten kann.
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 457
Der Obſtbau in den italieniſchen Landesteilen zeigt große Verſchiedenheiten,
die Mannigfaltigkeit des Gebirgslandes in Lage und Boden macht ſich eben auch im
Obſtbau bemerkbar. Die Hauptgebiete ſind: die Fortſetzung des Etſchtales von
Mezocorona bis Ala, dann das Nons- und Suganatal.
Mit Vorliebe wurden Birnen und Steinobſt angepflanzt und beſonders das
Frühobſt vorgezogen. An vielen Orten, namentlich im Roveretaner Gebiete, werden
Kirſchen angebaut und in großen Mengen ausgeführt. Das Produktionszentrum iſt
Trient, das reich an Obſt aller Art iſt; in den ebenen Lagen des Campo Trentino
wie auch im Hügelgebiet finden ſich eingeſtreut in den Weingärten frühe und ſpäte
Tafelbirnen und Apfel.
Die Hauptmaſſe des Tiroler Obſtes — etwa vier Fünftel — geht nach Deutſch—
land, vornehmlich die mittlere und geringere Ware. Kleinere Mengen gehen nach
Rußland, für welches nur die feinſte Ware in Frage kommt, der Schweiz, Frankreich
und England. Für Deutſch-Südtirol kann eine jährliche Durchſchnitts-Verſandziffer
von 133000 dz Obſt, für den italieniſchen Landesteil etwa 44000 dz und für Nord—
tirol 5000-6000 dz angenommen werden, hiernach würde ſich ein Durchſchnittsexport
von jährlich etwa 180000 dz ergeben. Im deutſchen Landesteil kann man annehmen,
daß von dem zum Verſande kommenden Obſt etwa 65—70 % auf Kernobſt, viel—
leicht / auf Birnen und ¼ auf Apfel, dann 15% auf Trauben, 10% auf
Kaſtanien und der reſtliche Teil auf Steinobſt und anderes Obſt kommt; im italieniſchen
Landesteil dürften etwa 60 — 70 % auf Kernobſt, 10% auf Steinobſt, 15 % auf
Kaſtanien und Nüſſe und der Reſt auf Trauben entfallen.
Die Geſamtproduktion des Landes an Kernobſt dürfte gegen 145500 — 156 600 dz
betragen.
D. Der Obſtbau Ungarns.
Ungarn hat etwa 9383 682 tragbare Apfelbäume, 4701946 Birnbäume,
31670 679 Zwetſchenbäume, 2517403 Süßkirſchbäume, 4517403 Sauerkirſchbäume,
2688456 Nußbäume. Es baut außerdem noch Mandeln, Pfirſiche und Aprikoſen.
Trotz großer Temperaturunterſchiede (E 39 bis — 31) gedeihen allenthalben
faſt alle Obſtarten. Erſt ſeit 1850 werden die in Deutſchland heute allgemein ge—
bauten „internationalen“ Obſtſorten in Ungarn verbreitet, und neben ihnen erhalten
ſich die ungariſchen und zwar Apfel: Arany alma, Banffy Pal, Batul, Daru alma,
Hatrigana, Kenezsi, Muntinesco, Nemes sovari, Piros Parizs, Ponyik, Rozmarin
von Entz, Sikulai, Szeglet alma, Török Balint, Vajalma u. d. m. Birnen: Ara-
bitka, Buzaval erö Eerikorte, Nyari Kalman, Oskolai nyari.
Der Apfel gedeiht zumeiſt in den Karpathen, die Birne in den Südausläufern
derſelben, an den Ufern und auf den Inſeln der Flüſſe. Die Zwetſche (Pflaume)
iſt überall zu treffen, während Aprikoſen in den Hügelländern der Weinzone und
der Pfirſich nur in einzelnen beſten Weinlagen ſehr aromatiſch wird.
Der Verbrauch im eigenen Lande iſt nicht groß, ſo daß noch große Mengen
friſchen wie auch getrockneten Obſtes zur Ausfuhr kommen.
458 7. Abſchnitt.
Der Oöſtbau Englands.
Die landwirtſchaftlichen Betriebsverhältniſſe haben in England in den letzten
drei Jahrzehnten eine große Veränderung erfahren, der Getreidebau iſt zurückgegangen,
während die Viehzucht größere Fortſchritte gemacht hat. Hand in Hand iſt damit
die Ausbreitung des Feldgemüſebaus, der feldmäßigen Blumenkultur und der Auf—
ſchwung des Obſtbaus beachtenswert.
Nach Dr. Skalweit wuchs das Areal der Obſtpflanzungen im letzten Jahr—
zehnt jährlich um 1000 ha, während bei den Beerenfrüchten ein jährlicher Zuwachs
von 400 ha ſtattgefunden hat. Im Jahre 1906 wurden in Großbritannien nahezu
100000 ha Obſtgärten und rund 32000 ha Beerenfrüchte gezählt; da aber das
Beerenobſt vielfach als Unterkultur dient, ſo dürfte bei dieſer Zählung die gleiche
Fläche vielfach zweimal gezählt worden ſein. Die geſamte, dem Obſtbau gewidmete
Fläche kann daher kaum mehr als 120000 ha angenommen werden, d. h. etwas über
¼ „ der Geſamtfläche und noch nicht 1% der Kulturfläche Englands.
Im ganzen hat der Obſtbau ſein Hauptzentrum in Süd- und Mittelengland,
während der Beerenobſtbau mehr im Oſten und Südoſten ausgebreitet iſt.
Kent und die öſtlichen Grafſchaften, zum Teil auch Woreeſter und Gloueeſter
befaſſen ſich vornehmlich mit dem Anbau von Obſt zum Frühverkauf, während
Hereford, Devon und Somerſet etwa ¼ der geſamten Ernte zur Obſtweinfabrikation
(Cider und Perry) verwenden. In dieſen Grafſchaften ſind die Obſtgärten auf
Grasland angelegt und dienen gleichzeitig dem Vieh als Weide. In den andern
Grafſchaften finden wir Obſtgärten, die regelmäßig bearbeitet werden und nebenbei
als Unterkultur noch Gemüſe oder Beerenobſt tragen.
Von den einzelnen Obſtarten ſind Apfel faſt in allen obſtbauenden Grafſchaften
vertreten, Birnen vorzugsweiſe in Kent, Middleſex ſowie in den weſtlichen und
ſüdweſtlichen Grafſchaften; ſie dienen hier vorzugsweiſe zur Herſtellung von Birnen—
wein (Perry). Pflaumenanpflanzungen finden wir im Evesham- und Per—
ſhorediſtrikt in Worceſter; neben Kent kommen noch einige Bezirke in Cambridge und
Glouceſter in Betracht. Als Randpflanzung, zum Schutze der übrigen Obſtbäume,
iſt in Kent und vielen Grafſchaften Mittelenglands (Shropſhire), die Damaszener—
pflaume verbreitet, während Kirſchen in größerer Ausdehnung nur in Kent,
Middleſex und Cambridge vorkommen. Die Anpflanzung der Stachelbeere hat
die größte Verbreitung gefunden; die rote Johannisbeere dient ebenfalls viel
für Unterkulturen, doch wird ſie weniger angebaut. Die zur Jamfabrikation ſehr be—
liebte ſchwarze Johannisbeere gedeiht vorzüglich auf den Tonböden im weſt—
lichen Kent und in Cambridge. Himbeeren ſind namentlich in Kent, Cambridge,
Cornwall und im Blairgowriebezirk in Schottland vertreten; große Ausdehnung hat
die Erdbeerkultur in Weſtkent, Südhampſfhire, Cornwall, Devon, Cambridge und
Norfolk angenommen.
Obgleich der Obſtbau Englands in den letzten Jahren bedeutend zugenommen hat,
kann er noch ſehr ausgedehnt werden, da doch nur 1% der Kulturfläche bisher dem
Obſtbau dient. Nach den Schätzungen engliſcher Fachmänner beträgt die jetzige Pro—
duktion etwa 12 Millionen engliſcher Zentner Kern- und Steinobſt und 2 Millionen
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 459
engliſcher Zentner Beerenfrüchte; während andererſeits etwa 12— 14 Millionen Zentner
im Werte von 180 Millionen Mark eingeführt werden.
Eine hohe Bedeutung hat in England die Jamfabrikation (mit Zucker ein—
gemachtes Fruchtmark) erreicht; dieſe Fabriken bilden beſonders gute Abnehmer für den
Produzenten. Von 200—300 größeren und kleineren Betrieben verbrauchen allein fünf
der bedeutendſten ungefähr 4 Millionen engliſche Zentner Obſt im Jahr.
In Schottland hat der Obſtbau, insbeſondere der Beerenobſtbau ebenfalls
einen bedeutenden Aufſchwung angenommen. Namentlich kommen Clydetale mit Erd—
beer⸗ und Blairgowrie mit Himbeerkultur in Betracht.
Neuerdings hat der Obſtbau auch in Irland mehr Beachtung gefunden. Tafel—
äpfel werden beſonders im Süden und Weſten, Kochäpfel im Norden gebaut. Birnen
ſind ſelten anzutreffen, Kirſchen nur in kleinen Parzellen. Beerenobſt iſt allgemein ver—
breitet, aber nirgends in größerem Umfang; es werden etwa 2000 ha angebaut.
Erdbeeren u. a. in den Grafſchaften Armagh und Down in Ulſter; Himbeeren bei
Drogheda nördlich von Dublin; ſchwarze Johannisbeeren beſonders in den Graf—
ſchaften Waterford, Limerick und Wicklow. Unter Aufſicht von Obſtinſtruktoren
werden Obſtbäume und Beerenobſt angepflanzt und durch Einführung beſſerer Ver—
packung ſucht man dem iriſchen Obſt einen größeren Abſatz zu verſchaffen.
Der Obſtbau Staliens.
Von den übrigen Ländern Europas unterſcheidet ſich Italien durch das un—
ebene Gelände, die geologiſche Verſchiedenheit des Bodens, die ergiebige Sonnen—
beſtrahlung und das milde Klima, welches das Wachstum und Gedeihen der Bäume
ungemein fördert.
Die Natur ſpendet reiche Gaben, aber die Bevölkerung erkannte dies wenig
an und hat in der Hebung und Förderung des Obſtbaus nur wenig Fleiß und
Vernunft gezeigt. Denn das Volk ernährt ſich in der Hauptſache von Gemüſen
und Früchten, wobei es weniger auf die Güte als auf die Menge ankommt; man
hat daher für die Verbeſſerung der einzelnen Fruchtſorten und arten nur mäßig
geſorgt.
Italien hat eine Oberfläche von 28 658 000 ha, wovon 25000000 ha frucht—
bar ſind. Es kommen nach Prof. Dr. Tamaro folgende Anpflanzungen in Betracht:
Weintrauben . 3 400 000 ha mit einem Ertrag von 567 Millionen Mark
Olivenb ume . 1 000 000 „ 260
Agrumen, Orangen, Zi—
tronen und zitronen—
" " 2 1 I "
artige Früchte. 4000 % „ . 4 656,7 x F
Kaftanienbäume . . 412000 „ „ 5 J „ 36,45 8
Maulbeerbäume . . . 225 000 „ „ F 5 „„ 6.4 Fe
Haſel⸗, Mandel- und
Fruchtbäume in Gärten 250 000 „ „ R n 1 145,8 „ 1
Zuſammen 5 330 000 ha mit einem Ertrag von 110254 Mill. Mark
460 7. Abſchnitt.
Genaue ſtatiſtiſche Nachrichten über die eigentliche Obſtproduktion Italiens
fehlten bisher. Seinen Grund mag dies darin haben, daß im ganzen Lande Obſt—
gärten im wirklichen Sinne fehlen; die Bäume ſtehen in den Weinbergen, Feldern
und Gemüſegärten umher. Die folgenden Zahlen laſſen aber die Bedeutung des
Obſtbaus für die italieniſche Landwirtſchaft deutlich erkennen. Es wurden geerntet:
1909 1910
Mill. Mark Mill. Mark
Apfel, Bünen. Quitten u; 29,6 27,2
Fleiſchige Früchte n 25,6 19,2
Mandeln, Wal- und Haſelnüſſe N 84 108
Getrocknete Feigen und Pflaumen .. 24 22.
inte 48 30,4
Summe 210,2 207,2
Dieſe Angaben dürften genügen, um die wichtige Rolle der Kultur des Obſt—
baus, ſowie die Fruchtbarkeit des Landes nachzuweiſen; würde der Obſtbau ver—
nünftiger und ſachgemäßer betrieben, ſo könnte er eine der bedeutendſten Reichtums—
quellen des Landes werden.
Die Ausfuhr un im Ki 1908:
dz Marf
Frische Früchte (Trauben, Apfel, Birnen, Steinobſt ꝛc.) | 768043 18 798 158
ee e 3682091 28 301644
o 206 354 3628 946
Dürre Früchte Monde, wu Feigen, Sehen Wein⸗ |
trauben ꝛc.)) .. 5243 286 43 633 70
/// • 3 2, 6 1198 155 261
. Zufammen | 5.020972 94517716
|
Die Tafeltrauben bilden den bedeutendſten Ausfuhrartikel; für dieſe iſt
Deutſchland der beſte Abnehmer. Auch Apfel und Birnen bilden einen wichtigen Teil
der Ausfuhr, ferner frühe Pfirſiche und feſtfleiſchige Kirſchen. Die Zunahme der
Ausfuhr von Tafeltrauben iſt ſowohl den beſſeren Verkehrsmitteln wie auch be—
ſonders der neueren Verpackung zuzuſchreiben; letztere iſt derart vollkommen, daß ſie
mit der jedes anderen Landes den Vergleich aushalten kann.
Apfel- und Birnbäume werden ſelten in geſchloſſenen Pflanzungen gezogen;
meiſt wachſen beide mit anderen Pflanzen im offenen Land. Auch in Deutſchland
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 461
heimiſche Sorten werden in Italien mit Vorliebe gezogen wie z. B. Canada-Reinette,
Weiße Winterkalville, Clairgeaus Butterbirne, Paſtorenbirne, St. Germain, Williams
Chriſtbirne u. a. m. Von Kirſchen beſitzt Italien eine Reihe ſehr ſchöner Sorten,
und da die ausländiſche Nachfrage in den letzten Jahren geſtiegen iſt, ſo wird neuer—
dings ihrer Kultur größere Aufmerkſamkeit geſchenkt. Die Bäume werden frei auf
offenen Feldern gezogen und die Gebiete, welche die größten Mengen für die Aus—
fuhr ziehen, ſind Emilia, Toscana, Romagna und das Napoletano.
Pfirſiche werden meiſt in den Weinbergen gepflanzt. Infolge von Vernach—
läſſigung ſind im vorigen Jahrhundert viele Anlagen an Krankheiten (Gummifluß)
zugrunde gegangen, ſeit kurzer Zeit ſetzt aber hierin ein Umſchwung ein. In Nord—
italien, beſonders in den Provinzen von Cuneo, Porto Maurizio, Verona, Ravenna,
Ferrara und Bologna ſind Anlagen von frühen amerikaniſchen Pfirſichen entſtanden.
Die Kultur des Aprikoſenbaumes nimmt vornehmlich in Toscana und in den ſüd—
lichen Provinzen an Bedeutung zu, obwohl die Produktion nicht erheblich iſt. Der
Nußbaum kommt überall vor und dient vielfach als Stütze des Weinſtocks. Unge—
mein verbreitet iſt die Haſelnuß; am meiſten wird ſie in Sizilien gezogen, wo Piazza
armerina der Hauptort der Produktion iſt. In Mittelitalien und noch mehr in
Süditalien iſt der Mandelbaum verbreitet. Die jährliche Produktion von Mandeln
ohne Rinde ſoll ſich auf 130000 dz belaufen.
Alles in allem hat die in den letzten Jahren immer mehr wachſende europäiſche
Nachfrage nach friſchem Obſt unverkennbar einen außerordentlich günſtigen Einfluß
auf den italieniſchen Obſtbau ausgeübt.
Der Obſtbau Schwedens.
Die obſtbaulichen Verhältniſſe in Schweden ſind im allgemeinen nicht ungünſtiger
als in den Küſtengebieten Deutſchlands. Dies trifft insbeſondere für Schonen zu,
aber auch für die Küſtenſtreifen einige hundert Kilometer nördlich davon. Im Innern
des Landes wechſeln allerdings je nach Lage, Höhe und Bodenbeſchaffenheit die Ver—
hältniſſe. Da in günſtigeren Lagen bis nach Stockholm Walnüſſe noch gedeihen
und reife Früchte tragen, ſo iſt zu erkennen, daß Kern- und Steinobſtbäume daher
noch beſſer fortkommen müſſen. Im Mälartal — am öſtlichen Ende liegt Stockholm —
iſt der Obſtbau mancherorts ſehr einträglich; noch weiter nördlich trifft man in vielen
Herrſchaftsgärten Obſtbäume zu Erwerbszwecken angebaut, doch wird der Obſtbau
hier immer mehr zur Liebhaberei betrieben, bis er bei Pitea (65° n. Br.) ganz auf—
hört. Vornehmlich gut entwickelt ſich der Apfelbaum; ihm ſagen die klimatiſchen
Verhältniſſe ganz beſonders zu. Die ſpäteſten Sorten, wie die meiſten Reinetten
werden überall in den ſüdlichen Provinzen gebaut. Außer Akeröapfel und anderen
ſchwediſchen Sorten, ſind hier Gravenſteiner, Prinzenapfel, Ribſtons Pepping und
Gelber Richard vielfach wiederkehrende Sorten.
Je weiter man nach Norden kommt, deſto mehr treten Frühäpfel an ihre
Stelle. Sorten, die in Deutſchland zu den früheſten gerechnet werden, wie z. B. der
Säftaholmsapfel, halten ſich in Pitea bis Weihnachten und oft noch länger.
Birnen ſtellen bekanntlich höhere Anſprüche an das Wärmeklima und gedeihen
daher im allgemeinen weniger gut. Die in Deutſchland bekannten Sorten, wie
462 7. Abſchnitt.
Gute Louiſe von Avranches, Williams Chriſtbirne, Sparbirne, Eſperens Herrenbirne,
Gute Graue, ſind aber gleichfalls ſehr verbreitet. Ferner noch einige ſchwediſche
Sorten, wie Graf Moltke und Komteſſe Klara Friys.
Zwetſchen bäumen wird weniger Intereſſe entgegengebracht, die ſpäteren
Sorten ſind überhaupt nicht anzutreffen, da die Reifezeit zu ſpät fällt. Auch der
Anbau von Süßkirſchen iſt ſehr unſicher, da fie vielfach ſtark unter Gummifluß leiden;
Pfirſich⸗ und Aprikoſenbäume endlich kommen nur als Spalierbäume fort. Dagegen
gedeiht Beerenobſt, wie Stachel-, Johannis-, Erd- und Himbeeren ausgezeichnet in
Schweden und wird auch in größeren Mengen gebaut. Leider hatte die Stachelbeer—
kultur in den letzten Jahren viel unter dem amerikaniſchen Stachelbeermeltau
zu leiden.
Der Obſtbau wird in Schweden nur ſelten feldmäßig betrieben, immerhin wurden
in den letzten 20 Jahren einige große Obſtgüter angelegt, die den Beweis gebracht
haben, daß auch hier der Obſtbau lohnend betrieben werden kann.
Um den Obſthandel gleich von Anfang an in die richtigen Bahnen zu lenken,
wird der Ernte und Verpackung größte Beachtung gewidmet. Durch Einführung
—
einer entſprechenden Sortierung und durch Auswahl beſtimmter Verpackungsgefäße
ſucht man überall einheitlich vorzugehen.
Der Oöſtbau Frankreichs.
In keinem Lande iſt die Liebe zum Obſt- und Gartenbau ſo verbreitet und
mit der Bevölkerung ſo innig verwachſen wie in Frankreich. Das von der Natur
ſo außerordentlich begünſtigte Land hat es meiſterhaft verſtanden, ſeinen Nutzen aus
der Obſtkultur zu ziehen, und in keinem anderen Lande wird der Boden derartig
ausgenutzt wie in Frankreich. Die Kenntnis eines rationellen Obſtſchnittes und die
Formbaumzucht iſt erſt von Frankreich aus in den anderen obſtbautreibenden Ländern
verbreitet worden.
Seinen Ruf auf obſtbaulichem Gebiet verdankt Frankreich in erſter Linie ſeiner
Zucht von erſtklaſſigen Tafelfrüchten, von ſogenannten Schau- und Delikateßfrüchten.
Einer der Hauptorte für ihre Zucht iſt Montreuil bei Paris; hier dienen nahezu
250 ha Land der Kultur von Pfirſichen und ſonſtigen edlen Früchten. — Die ganze
Umgebung von Montreuil bildet einen zuſammenhängenden Mauergarten, mit vielen
kleinen Abteilungen, in welchen ſeit vielen Jahrzehnten Pfirſichkultur betrieben wird.
Auch Weinreben und Apfelſpaliere, vor allem Weiße Winterkalville, von Birnen,
die Winterdechantsbirne, Sorten, die geſchützte Lage und hohe Wärme bedürfen,
werden hier gezogen. In den einzelnen Abteilungen zwiſchen den Mauern wird noch
Beerenobſt gepflanzt, das ſich durch Frühreife auszeichnet. Der Franzoſe liebt es,
ſein Eigentum durch eine hohe Mauer abzuſchließen. Dieſe werden dann mit Obſt—
bäumen bepflanzt; Pfirſiche und Birnen ſind die bevorzugten Obſtarten, welchen ſich
noch Weiße Winterkalville als Apfelſorte anſchließt.
Neben den feinſten Tafeläpfeln erreichen in Frankreich die feinſten Tafel—
birnen ihre größte Vollkommenheit und Güte; kein anderes Land kommt ihnen darin
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 463
gleich. In hoher Blüte ſteht auch die Aprikoſen- und Pfirſichkultur. Im
Jahre 1909 wurden allein 49494 dz dieſer beiden Fruchtarten nach Deutſchland
eingeführt.
Große Ausdehnung hat die Erdbeerkultur in der Umgebung von Carpentras
angenommen. Der magere, aber waſſerdurchläſſige Boden, die dünne, kalkhaltige
Erdſchicht mit felſigem Untergrund ſcheint ſich beſonders für die Kultur der Erdbeere
zu eignen. Auf jungfräulichem Boden und bei guter Pflege ſteigt der Ertrag für
den Hektar im zweiten Jahre bis zu 12 000, ſogar 15000 kg Früchte. Welche Rolle
der Erdbeerenverſand ſpielt, zeigt die Statiſtik, die für 1907 einen Verſand von
3900 000 kg Erdbeeren aufweiſt, welche allein die Bahnhöfe des Departements
Vaucluſe verluden. Von dieſen gingen rund 2600000 kg nach Paris, von dem
Reſt gegen 500 000 kg nach Deutſchland. Für das Jahr 1908 weiſt die Statiſtik
allein für Carpentras eine Produktion von 2 100 000 kg auf.
Die jährliche Obſtproduktion Frankreichs wird auf etwa 15 Millionen Doppel—
zentner im Werte von gegen 400 Millionen Mark geſchätzt.
Der Handelsverkehr mit friſchem Obſt innerhalb des Landes iſt außerordentlich.
Frankreich ſelbſt verbraucht die größten Mengen, denn zur Ausfuhr kommen nur
etwa 300 000 dz, je nach den Obſternten ſchwankt dieſe Zahl.
Auch die Obftinduftrie ſpielt eine große, wichtige Rolle. Insbeſondere
kommt die Herſtellung von Prünellen in Betracht, wozu die gelben Katharinenpflaumen
und die rote Perdrigon Verwendung finden. Der hauptſächlichſte Diſtrikt für Prünellen—
bereitung iſt das Departement Lot et Garonne. Eine hohe Bedeutung hat endlich
die Obſtwein-(Cider)-Bereitung erlangt; hierzu werden große Mengen geringwertiger
Sorten verarbeitet, beſonders in den nordweſtlichen Departements der Normandie
und Bretagne. Nach amtlichen Mitteilungen ſoll dort die Produktion an 20 bis
30 Millionen Hektoliter jährlich betragen, die einen Wert von etwa 160 — 240 Mil—
lionen Mark entſprechen.
Der Obſtbau in den Niederlanden.
Über den Produktionsumfang der einzelnen Obſtarten laſſen ſich keine ziffern—
mäßigen Angaben machen. In der Reihenfolge werden Apfel und Birnen obenan
ſtehen, dann folgen Pflaumen, Kirſchen, Johannisbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren,
Himbeeren und Brombeeren. In den Gärtnereien werden hauptſächlich Trauben,
Pfirſiche und Aprikoſen gezogen. Nach Dr. Froſt betrug die Geſamtfläche der Frucht—
gärten 18 558 ha, wovon 1089 ha mit Obſtbäumen und Kleinobſt bepflanzt ſind.
759 ha dienen für Johannis- und Stachelbeerkultur, 544 ha für Erdbeeren und
141 ha für Himbeeren. Für die Produktion von Trauben, Pfirſichen uſw. dienen Ge—
wächshäuſer, deren Oberfläche für Traubenkultur auf 228 023 qm, für Pfirſichkultur
auf 19927 qm und für andere Kulturen auf 2540 qm angegeben wird.
Größere Ausdehnung hat der Obſtbau in den Provinzen Limburg, Gelderland
und Utrecht angenommen; hier ſind die großen Weideplätze der Bauernhöfe mit Obſt—
bäumen beſetzt und ihre Kultur bildet einen wichtigen Teil der Wirtſchaft. Leider
ſind die gärtneriſchen Kenntniſſe der Beſitzer im allgemeinen ſehr gering, die Behand—
lung des Obſtes iſt daher mangelhaft und die Ware nur zweitklaſſig.
464 7. Abſchnitt.
Das im Lande gezogene beſſere Obſt wird zum großen Teil in den nieder—
ländiſchen Großſtädten verbraucht, während das geringere Obſt, meiſt harte, unreife
Apfel oder Birnen, wie ſie vom Baum gepflückt oder geſchüttelt werden, in einfacher
Verpackung, d. h. frei in Waggons, Säcken oder großen Körben nach dem Auslande,
beſonders nach Deutſchland, verfrachtet wird. Für einige Fruchtarten, an denen
Holland eine größere Überproduktion hat, muß es ausländiſche Märkte aufſuchen;
ſo auch namentlich für das Kleinobſt. Im Jahre 1909 erhielt beiſpielsweiſe Deutſch—
land von Holland: 147072 dz Apfel, 62021 dz Birnen und Quitten, 17547 dz
Kirſchen, 26118 dz Erdbeeren, 34012 dz Himbeeren, Johannis- und Stachelbeeren.
Verarbeitung der Früchte in Fabriken iſt nicht üblich, da der Friſchobſtverkauf, ſei
es an einheimiſche oder ausländiſche Käufer, im allgemeinen lohnender und für Frucht—
konſerven der Zucker in Holland zu teuer iſt.
Der Obſtbau Belgiens.
Belgien iſt vorwiegend ein Land der Kleinbetriebe; ungefähr 67,6 “% der
Fläche nehmen die kleinbäuerlichen Parzellenbetriebe, die eine Größe von 1—5 ha
haben, ein. Den typifchen landwirtſchaftlichen Parzellenbeſitz zeigt beſonders die
Gegend zwiſchen Brüſſel und Gent. Zahlreiche Häuſer und Häuschen, deren Wände
mit Spalierbäumen bepflanzt und deren Gärten mit Obſtbäumen beſtanden ſind, bieten
ſich hier dem Auge des Beſuchers. Die Formobſtbaumzucht iſt von Frankreich früh
herübergekommen, aber infolge des Klimas erreicht das Obſt nicht die Vollkommenheit
wie im Nachbarland.
Die Produktion von Ker nobſt ſteht an erſter Stelle, doch wird, wie in den
Niederlanden, der Behandlung der Bäume nur wenig Sorgfalt geſchenkt; das belgiſche
Obſt kann daher ebenfalls nicht als erſtklaſſig angeſprochen werden. Die Obſtbäume,
die man überall im Land auf den Weiden angepflanzt ſieht, namentlich aber in der
Nähe des Hofes, enthalten meiſt Obſtſorten von ſehr geringer Qualität. Es ſind
Apfel, Birnen und Pflaumen, vereinzelt Kirſchbäume, letztere haben vielfach zurzeit
der Blüte unter Frühjahrsfröſten zu leiden; die ſpäter blühenden Fruchtarten werden
daher bevorzugt. Die Erträge von dieſen Obſtbäumen ſind im allgemeinen nicht ſehr
hoch. Modern angelegte, gut unterhaltene Obſtanlagen, die man allerdings ſelten
antrifft, liefern natürlich ſehr gute Erträge.
Hoch ſteht die Zucht von Tafeltrauben, Pfirſichen und Aprikoſen; ſie erfolgt
faſt ausnahmslos unter Glas. Die Brüſſeler Trauben und Pfirſiche haben in der
ganzen Welt einen guten Namen.
Der Bezirk, der Brüſſel mit Obſt verſorgt, liegt im Weſten der Stadt, zwiſchen
Ninove und Brüſſel; der Hauptſitz der Kleinobſtkultur ſind die Dörfer Schepdael,
Etterbeek und Dilbeek. Außer Erdbeeren werden hier Stachel-, Johannis- und Him—
beeren und im Garten am Hauſe Frühkirſchen gezogen. Die Organiſation des Obſt—
handels läßt in dieſen Gebieten noch ſehr zu wünſchen übrig, da die Bauern zu ſehr
an ihren alten Marktverkehr gewöhnt ſind und dieſen nicht aufgeben wollen.
Je nach den Ernten findet in einzelnen Jahren noch eine gewaltige Ausfuhr
ſtatt, jo wurden nach Deutſchland ausgeführt: im Jahre 1908 170959 dz Apfel
Avu I 11919
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 465
und 60 189 dz Birnen und Quitten; im Jahre 1909 122534 dz Apfel und
93486 dz Birnen und Quitten.
Der Oöſtbau der Schweiz.
Die kleine Schweiz hat nach ihrer Bevölkerungszahl den größten Obſtbaum—
beſtand, obgleich die Bodengeſtaltung dem Obſtbau eigentlich nicht günſtig iſt.
In den letzten Jahren hat der Obſtbau ganz gewaltige Fortſchritte gemacht, die
ſich insbeſondere dadurch zu erkennen gegeben haben, daß eine gewiſſe Einheitlichkeit
in der Anpflanzung und der Auswahl der Sorten durchgeführt wurde. Den außer—
ordentlich großen Sortenwirrwarr hat man durch planmäßiges Umpfropfen der alten
Bäume zu beheben geſucht, und es muß anerkannt werden, daß dies allerſeits im vollſten
Maße gelang. Die Kantone Thurgau, Freiburg und Luzern bereiten viel mouſſie—
rende Apfel- und Birnenweine; in manchen Bezirken miſcht man auch beide durch—
einander. Der Cider wird hier allgemein in der Familie wie im Hotel begehrt.
Für die Schweiz ſind beſonders folgende Sorten zum Anbau empfohlen:
Aargauer Herrenapfel, Beignets, Blanche à cötes, Bachelette, Frangaise, Großer
Bohnapſel, Palmapfel und Sauergränch, zwei fruchtbringende Sorten der Hochtäler,
beſonders in Grindelwald, Kleiner Spätling, Reinette Bovarde. Gemäß den zur
Apfelweinbereitung geeigneten Sorten werden neben der Reine des Reinettes, Rei-
nettes de Gaux, Chateignier, St. Nicolas, Osnabrücker Reinette, Baumanns Reinette,
gleicherweiſe verwendet: Bohnapfel, Breitacher, Fraurotacher, Spätlauber, Spitzweißer,
Waldhöfler. An Lokalbirnſorten ſind zu erwähnen: Barbeyron, Botzi, Chaune,
de Fraulerb, Gelbmoſtler, Guntershauſener, Gelbe Moſtbirne, Loup, Märxler, Theilers—
birne, Waſſerbirne, Lederbirne und Schwarzwälder, noch in der Höhe von 1200 m
gedeihend.
Die Schweiz baut vornehmlich Apfel und in zweiter Linie Birnen. Große
Mengen Obſt werden im eigenen Lande zur Herſtellung von Obſtwein gebraucht,
trotzdem kommt noch ſehr viel zur Ausfuhr. Sie betrug nach Deutſchland im
Jahre 1908 622 177 dz Apfel und 12116 dz Birnen, im Jahre 1909 281174 dz
Apfel und 61075 dz Birnen, ſchwankt alſo je nach der Ernte im eigenen Lande
und nach der Ernte im Ausland.
Der Obſtbau in Bosnien und Serbien.
Südlich der Donau bilden Pflaumen- und Zwetſchenanlagen faſt ge—
ſchloſſene Wälder. Begünſtigt durch guten Boden und mildes Klima, entwickelt ſich
dieſe Obſtart faſt ohne Pflege. Die Früchte werden entweder getrocknet oder zu
Mus oder Branntwein (Sliwowitz) verarbeitet. Mit der Verbeſſerung dieſer Ver—
wertungsinduſtrie und Schaffung guter Abſatzgelegenheiten hat die Pflaumenkultur
an Ausdehnung ganz beträchtlich zugenommen. Die Pflaumenanpflanzungen bedeckten
im Jahre 1904 in Serbien bereits eine Fläche von etwa 137000 ha. Auch die
Anpflanzung von Apfelbäumen nimmt man jetzt in größerem Maßſtabe auf.
Billige Bodenpreiſe, niedrige Arbeitslöhne bieten dieſen Gebieten die Möglichkeit
zu billiger Obſterzeugung. Der Verbrauch im eigenen Lande iſt verhältnismäßig
Schulz, Obſtbau. 30
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466 7. Abſchnitt.
gering, daher find dieſe Länder in erſter Linie auf die Ausfuhr angewieſen. Serbien
führte nach Deutſchland aus: im Jahre 1908 getrocknete Zwetſchen 191943 dz,
Zwetſchenmus 73 585 dz, im Jahre 1909 getrocknete Zwetſchen 135 107 dz und
Zwetſchenmus 28 903 dz.
Der Oöſtbau Rußlands.
Der Obſtbau Rußlands hat bisher noch keine wirtſchaftliche Bedeutung gehabt.
Da aber die Regierung in den letzten Jahren die Hebung und Förderung des Obſt—
baus außerordentlich unterſtützt, ſo iſt auch hier eine langſame Steigerung wahr—
zunehmen.
Der Ruſſe hat im allgemeinen wenig Sinn für Obſtbau, es dauert ihm zu
lange, bis die Bäume tragen und ihm Ernten bringen, andererſeits befürchtet er, daß
ihm das Obſt geſtohlen wird.
In den Provinzen Eſthland und Livland iſt das Klima für den Obſtbau
einigermaßen günſtig, hier werden faſt alle Sorten wie im benachbarten Deutſchland
gezogen. In Nordrußland iſt das Klima zu rauh und der Sommer zu kurz; in
dieſen Gebieten ſind daher keine Obſtbäume zu finden.
Obſtgärten finden ſich meiſt nur in den Gegenden, die von Deutſchen be—
wirtſchaftet werden, das ſind ganz bedeutende Landſtriche: an der Wolga bei Saratow,
in Wolhynien, in Beſſarabien, Taurien (Krim), in den Gouvernements Cherſon
und Jekaterinoslaw.
Die heißen Sommer Südrußlands machen es möglich, daß hier mit gutem Er—
folge Kirſchen, Pflaumen, Aprikoſen und Pfirſiche angepflanzt werden können. In
Cherſon, Beſſarabien und Taurien werden vielfach die bekannten Sorten wie Cham—
pagner Reinette, Landsberger Reinette, Rote Herbſtkalville, Danziger Kantapfel, aber
auch Kanada Reinette und Weiße Winterkalville, ferner von Birnen: Clapps Lieb—
ling, Gute Louiſe von Avranches, Diels Butterbirne, Williams Chriſtbirne und
Hardenponts Butterbirne angepflanzt.
In Taurien können 3 Gebiete unterſchieden werden. 1. Die Süduferregion,
in welcher ſelbſt die empfindlichſten Obſtſorten gedeihen, 2. das Krimſche Steppen—
land, in welchen ebenfalls noch gute Sorten gedeihen, wie Orléans Reinette, Winter—
goldparmäne, Diels Butterbirne und Paſtorenbirne, 3. das feſtländiſche Taurien.
Hier werden vorzugsweiſe gezogen Weißer und Roter Aſtrakan, Apfel von Croncels
(Eisapfel), Cellini, Rheiniſcher Bohnapfel (Bobowoje). Im Gouvernement Jeka—
terinoslaw werden die ruſſiſchen Sorten bevorzugt wie Borowinka, Pepinka, von
Birnen Gliwa, Pſanna und Iljinka.
Neuerdings werden größere Plantagen angelegt, die möglichſt einheitlich und
einfach durchgeführt werden. Man hat ſich eben die Erfahrungen in den anderen
obſtbautreibenden Ländern zunutze gemacht. Auch in den kleinbäuerlichen Betrieben
macht ſich entſchieden ein Fortſchritt bemerkbar, ſo daß Rußland mit der Zeit auch
in der Obſtproduktion eine wichtige Rolle ſpielen wird. Der billige Grund und
Boden, der noch in friſcher Kulturkraft ſteht, und niedrige Arbeitslöhne ſind günſtige
Vorbedingungen hierfür.
Die volkswirtſchaftliche Bedeutung der Obſtkultur. 467
Der Obftbau Noròamerikas.
Die außerordentlich hohen, auf- und abwärts gehenden Ziffern der amerikaniſchen
Obſterzeugung haben nach N. Kaumanns ihre Urſache in der Eignung ausgedehnter
Gebiete für den Obſtbau — Kalifornien, Oregon, Waſhington, Idaho, Montana,
Texas, Florida, Alabama, Miſſiſſippi, Miſſouri, Newyork, Pennſylvanien, Michigan,
Maine. Laſſen in einem Gebiete Güte und Menge der Erträge infolge Verarmung
des Bodens nach, wie z. B. in den öſtlichen Staaten, ſo ſtehen anderwärts, ſo in
Kalifornien, Utah, Oregon, Waſhington, ferner in den Südſtaaten unendliche Flächen
für den intenſiven Obſtbau zur Verfügung. Eine weitere Urſache der Ausdehnung
des amerikaniſchen Obſtbaus iſt die Einheitlichkeit, mit welcher er in den einzelnen
geeigneten Gegenden betrieben wird, meilenweite Pflanzungen einer Obſtart ſind keine
Seltenheit, ſo z. B. Apfel in Miſſouri und Neuyork, Pfirſiche in Maryland und
Georgia, Aprikoſen und Pflaumen in Kalifornien.
Im Gegenſatz zu anderen Ländern iſt der nordamerikaniſche Obſtbau in den
meiſten Fällen der Hauptbetrieb, ohne daß nebenher andere landwirtſchaftliche Pro—
dukte erzeugt werden. Der amerikaniſche Obſtzüchter iſt dadurch in der Lage, ſeinen
Bäumen größtmöglichſte Pflege angedeihen zu laſſen. Auch der Behandlung des
Obſtes ſchenkt man große Aufmerkſamkeit; ſchon während oder ſofort nach dem
Pflücken wird ſortiert und ſo ein nochmaliges Umpacken möglichſt vermieden.
In den Vereinigten Staaten werden faſt alle Obſtarten gezogen; ihr Wert ſteht
mit vielen Hundert Millionen Dollar zu Buch. Die Hauptarten ſind: Apfel, Pflaumen,
Pfirſiche, Birnen, Aprikoſen, Erdbeeren und Trauben. Nach Lage und Bodenver—
hältniſſen wird die einzelne Obſtart in dieſen oder jenen Gebieten bevorzugt. Die
größte Obſtproduktion hat Kalifornien; es hat nach dem Bericht der Regierung im
Jahre 1903 6 656 030 dz Früchte verſchickt.
Das Hauptprodukt Amerikas iſt der Winterapfel. Man findet ihn noch in
den kälteſten nördlichen und öſtlichen Staaten; in den ſüdlichen Gebirgslandſchaften
wird er bis 5000 Fuß hoch gebaut. In Kalifornien ſtanden im Jahre 1903
3½ Millionen, in Oregon etwa 2 Millionen Apfelbäume in Plantagen. Die Zwetſchen
werden größtenteils getrocknet, während Pflaumen mehr zum Rohgenuß und zur
Konſervierung in Büchſen Verwendung finden. Im Jahre 1903 wurden in Kalifornien
1000 000 dz getrocknete Pflaumen, 1100 Waggon friſche Pflaumen und etwa 125 000
Kiſten mit konſervierten Pflaumen zum Verſand gebracht. Auch aus Oregon wurden
1903 etwa 125 000 dz getrocknete, Pflaumen verſchickt.
Pfirſiche werden in faſt allen obſtbautreibenden Staaten gepflanzt, die meiſten in
Kalifornien, wo über 500 000 Pfirſichbäume bis zu 1000 Fuß über dem Meeresſpiegel
gezählt find. Im Jahre 1903 belief ſich die Produktion auf 1867 Waggon friſcher
Früchte, 676 000 Kiſten konſervierter und 255000 dz getrockneter Pfirſiche.
Weniger bedeutend iſt die Birnenkultur und der Anbau der übrigen Frucht—
arten, die in wechſelnden Mengen in den verſchiedenen Staaten angepflanzt werden.
Für den Verſand von friſchem Obſt iſt ſeitens der Eiſenbahngeſellſchaften beſtens
geſorgt. Bei längeren Reiſen werden Kühlwagen benützt, die auf verſchiedenen
Stationen mit friſchem Eis verſehen werden können. Ein anderes wichtiges Moment,
468 7. Abſchnitt.
welchem der amerikaniſche Obſtmarkt feine Aufnahmefähigkeit verdankt, find die Kühl:
häuſer, die ſowohl in den großen Verkehrs- als auch Verbrauchszentren beſtehen.
Hierdurch wird es möglich, daß zu jeder Jahreszeit faſt alle Obſtarten und-Sorten dem
Verbrauch angeboten werden können. Der Obſtzüchter iſt dadurch in die Lage ver—
ſetzt, bei großem Angebot und niedrigen Preiſen ſein Obſt in die Kühlhäuſer zu
bringen, um es ſpäter, wenn der Markt nicht ſo überfüllt iſt, mit guten Preiſen
zu verkaufen. Die kleinſten derartigen Kühlhäuſer haben einen Gehalt von 2000 bis
2700 ebm und 8000 —10 000 Faß Obſt können in dieſen gelagert werden.
Der Überfluß von Obſt, insbeſondere an Apfeln, wird in kleineren und größeren
Mengen nach allen Ländern ausgeführt. Die Hauptabnehmer waren bisher England
und Deutſchland. In den letzten Jahren iſt allerdings die Einfuhr nach Deutſchland
ganz merklich zurückgegangen. Wie ſich dies in Zukunft geſtalten wird, müſſen die
nächſten Jahre lehren.
Literatur.
Barfuß, Das Erdbeerbuch. Anzucht, Pflanzung, Pflege und Sorten der Erdbeere. Berlin 1901.
Barth, 5. Die Verwertung des Obſtes. 1900.
Böttner, J. Das Buſchobſt. 4. Aufl. 1900.
— Spalier- und Feinobſt. Frankfurt a. O. 1907.
Gärtner, R. Erziehung, Schnitt und Kultur der Form- oder Zwergobſtbäume. 6. Aufl. Frank-
furt 1907.
Gaucher, N., Handbuch der Obſtkultur. 4. Aufl. Berlin 1908.
— Obſtbaukunde. Berlin 1905.
— Die Veredlungen und ihre Anwendung für die verſchiedenen Bäume und Sträucher. 3. Aufl.
Berlin 1909.
Kalender, E. Der rationelle Obſtbau auf dem Lande und im Garten. 6. Aufl. Köln.
Lucas, Ed. Vollſtändiges Handbuch der Obſtkultur. 4. Aufl. Stuttgart 1902.
— Die Lehre vom Baumſchnitt. 8. Aufl. Stuttgart 1909.
Taſchenberg, E. L. und Sorauer, P. Schutz der Obſtbäume gegen feindliche Tiere und gegen
Krankheiten.
J. Gegen feindliche Tiere. Herausgeg. von E. L. Taſchenberg. 3. Aufl., Stuttgart 1900.
II. Gegen Krankheiten. Herausgeg. von P. Sorauer. Stuttgart 1901.
Werck, J. Die Kultur der Zwergobſtbäume ſowie die Kultur der Beerenfrüchte. 5. Aufl.
Ragaz 1905.
Wolffs praktiſche Düngerlehre. Bearb. von H. C. Müller. 14. Aufl. Berlin 1907.
Die Waldwirtſchaft
Von Profeſſor Dr. H. Hausrath
1. Abſchnitt.
Aus der Geſchichte der Waldwirtſchaft.
Deutſchland iſt die Wiege der Waldwirtſchaft und der Forſtwiſſenſchaft ge—
weſen. Die Romanen haben es wohl verſtanden, den Wald zu vernichten, ihn zu
roden, um Felder, Rebanlagen und Baumgärten an ſeine Stelle treten zu laſſen
oder ihn zu wertloſem Geſtrüpp und ertragsloſem Odland herunter zu wirtſchaften.
Auch in England und Frankreich iſt das Schickſal des Waldes kaum günſtiger ge—
weſen. Wohl hat Colbert durch eine Verordnung, die bis zur großen Revolution
in Kraft blieb, eine beſtimmte Wirtſchaftsweiſe für alle franzöſiſchen Wälder vor—
geſchrieben, aber deren ſtändigen Rückgang vermochte er nicht aufzuhalten. Réaumur
und Duhamel du Monceau verdanken wir eine Anzahl wertvoller Beobachtungen
und Unterſuchungen, die aber nie Einfluß auf die praktiſche Wirtſchaft erlangten,
ja Duhamel widerriet wegen der Unbrauchbarkeit und Unredlichkeit der damaligen
Forſtbeamten geradezu, ſeine fortgeſchrittenen Lehren über die Beſtandeserziehung im
Walde durchzuführen. Erſt im 19. Jahrhundert begann in Frankreich eine geregelte
Waldwirtſchaft und zwar vielfach nach deutſchem Muſter. Ebenſo ſind England,
Holland, Skandinavien, Rußland, Japan und die Vereinigten Staaten von Nord—
amerika auf dieſem Gebiet unſere Schüler geworden, die meiſten, nachdem ſie ihre
Urwaldſchätze zum größten Teil vernichtet hatten.
Auch in Deutſchland iſt der Wald durch lange Zeiten, und zwar mit Recht,
als ein Kulturhindernis und ſeine Bekämpfung als ein Verdienſt angeſehen worden.
Wir wiſſen heute, daß auch in der Urzeit in Deutſchland waldfreie oder doch wald—
arme Striche vorhanden waren, auf denen ſchon die älteſte Bevölkerung Viehzucht
und Ackerbau betrieben hat. Aber doch nahmen Wald und Moor wohl ¼ bis ¼
des Landes ein, und insbeſondere bildeten die Mittelgebirge geſchloſſene Urwald—
maſſen. Bis in die Karolingerzeit iſt in Deutſchland nur ein langſamer Fortſchritt
der Urbarmachung zu verzeichnen; denn damals erſt haben unſere Vorfahren unter
Vermittlung der Klöſter von den Romanen die Technik des Rodens im ungebrochenen
Urwald gelernt. Bis dahin haben ſie ſich begnügt, die verlichteten Außenteile der
Wälder in Feld und Weide umzuwandeln. Dann aber begann eine energiſche Rode—
tätigkeit, und etwa um 1300 — in einzelnen Gegenden früher, in anderen ſpäter —
war der Kampf gegen den Wald in der Hauptſache beendet.“) Die nächſten Jahr—
*) ber den Verlauf im einzelnen ſiehe Hausrath „Pflanzengeographiſche Wandlungen der
deutſchen Landſchaft“. Leipzig, B. G. Teubner. 1911.
472 1. Abſchnitt.
hunderte brachten vielerorts wieder eine Zunahme des Waldes, indem die Landwirt:
ſchaft Böden aufgeben mußte, die ihren Anſprüchen auf die Dauer nicht genügten.
Ganze Dörfer ſind ſo verſchwunden und mit ihren Gemarkungen dem Walde wieder
zugefallen; denn unſer Klima iſt dem Baumwuchs ſo günſtig, daß der ſich ſelbſt
überlaſſene Boden in kurzer Zeit wieder von Holzgewächſen überzogen iſt. Aus—
nahmen machen nur die über der Baumgrenze gelegenen Gebiete, ſteile Felsabſtürze,
denen die Feinerde mangelt, Hochmoore und ſalzhaltige Böden, die aber ſehr ſelten
ſind, und allenfalls noch ganz beſonders der Wut der Seeſtürme ausgeſetzte Küſtenſtriche.
Das günſtige Klima war die Vorbedingung für die Erhaltung des Waldes.
Und doch wäre dieſer gewiß noch in vielen Fällen vernichtet worden, wenn nicht die
Landes- und Grundherren ihn geſchützt hätten. Schon am Ausgang des 8. Jahr—
hunderts verpflichtete Karl der Große ſeine Gutsverwalter, nicht nur an geeigneten
Stellen Rodungen ausführen zu laſſen, ſondern auch anderſeits den Wald da zu
ſchützen, wo er erhalten bleiben ſolle. Beſtimmend hierfür war einmal die Jagd—
leidenſchaft der Herrſcher und ihrer großen Vaſallen. Die Bannforſten, in denen
nur der König oder ſein Lehensträger jagen durften, ſollten nicht geſchmälert werden.
Sodann verliehen dem Walde in jener Zeit die Einnahmen Wert, die durch den
Weidezins — den Dehmen — der großen Schweineherden geliefert wurden, die man
in Eichen- und Buchenforſten mäſtete. Die Abgabe beſtand urſprünglich in dem
zehnten Teil der eingetriebenen Tiere, und die Wertſchätzung, welche die „Maſt—
nutzung“ genoß, zeigt ſich in den Urkunden auch darin, daß die Größe der in einem
Walde zu mäſtenden Herde als Maßſtab ſeiner Größe und ſeines Wertes diente.
Durch das ganze Mittelalter, ja noch bis tief ins 18. Jahrhundert hinein hat die
Maſtnutzung dieſe hohe wirtſchaftliche Bedeutung behalten und iſt eine wichtige Ein—
nahmequelle für die Waldeigentümer geweſen. Erſt die durch Einführung des Kar—
toffelbaues bewirkte Verminderung des Fleiſchkonſums der ärmeren Bevölkerungs-
ſchichten und der Übergang zur Stallfütterung haben ſie allmählich verſchwinden
laſſen. Ihren Einfluß auf die Waldzuſtände werden wir noch kennen lernen.
Seit alter Zeit diente der Wald weiter als Weide für Rinder, Pferde, Schafe
und Ziegen. Doch waren hierzu nur die äußeren lichtbeſtockten Teile brauchbar;
denn im geſchloſſenen Urwald wächſt kein genügendes Futter. Für den Wald wurde
dieſe Nutzung vielfach verderblich. Der Verbiß der Tiere ließ keinen Nachwuchs auf—
kommen, die Feuer der Hirten, teils aus Nachläſſigkeit zu Waldbränden ausgewachſen,
teils planmäßig zur Verbeſſerung des Graswuchſes angelegt, zerſtörten den Baum—
wuchs und bereiteten vielfach die Umwandlung in Feld vor. Ziegen und Schafe
werden dem Walde am gefährlichſten, das hat man wenigſtens in vielen Gegenden
ſchon im ſpäteren Mittelalter erkannt und daher ihren Eintrieb bei ſchwerer Strafe
verboten, ja mit dem Totſchießen der Tiere bedroht. Wo die Ziegenweide, wie in
den Alpenländern, üblich blieb, führte ſie nur zu oft zur Vernichtung des Waldes.
Wenn in dieſen Gebieten die Waldgrenze heute oft 100 —200 Meter tiefer liegt, als
den natürlichen Bedingungen entſpricht, ſo iſt das in der Regel der Ziegenweide
zuzuſchreiben.
Was die Maſtnutzung in den Laubwaldungen war, bedeutete die Zeidlerei oder
Waldbienenzucht für die ausgedehnten Nadelholzforſten. Sie wurde teils mit Bienen—
Der Urwald. 475
ſtöcken, die jedes Frühjahr in den Wald gefahren wurden, betrieben, teils mit
Beuten, d. h. Höhlen, die der Bienenzüchter in die Stämme hieb und mit einem
Brette verſchloß. Die Bäume wurden dann meiſt entgipfelt oder doch weit hinauf
aufgeaſtet, damit die Sonne die Bienenwohnung erwärmen könne. Um die große Be—
deutung der Waldbienenzucht für jene Zeiten zu würdigen, muß man bedenken, daß
der Honig zur Bereitung des Nationaltrankes, des Metes, unentbehrlich war und
daß er bis zur Entdeckung des amerikaniſchen Zuckerrohrs überhaupt den Zucker
vertrat, während das Wachs das beſte Beleuchtuugsmaterial lieferte und für die
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— 5 7 8
Abb. 1. Motiv aus dem Haasbrook bei Bremen, als einem Reſt urwüchſigen deutſchen Niederungswaldes.
(Zur Verfügung geſtellt vom Verein Naturichugparf.)
kirchlichen Zeremonien in großen Mengen gebraucht wurde. Seit dem 16. Jahr—
hundert nahm daher die Zeidlerei immer mehr ab.
Von geringerer oder doch nur von örtlicher Bedeutung waren im Mittelalter
die Gewinnung von Rinden für die Gerberei, von Baſt zu Stricken und Flechtwaren,
von Harz und von Holzaſche für die Glasfabrikation.
Das gleiche gilt für die Urzeiten von der Holznutzung, ſolange eben der Wald
noch im Überfluß vorhanden war. So ſtellt das Volksrecht der Rheinfranken das
Holz den Gegenſtänden gegenüber, an denen Privateigentum beſteht (»quia non de
re possessa, sed de ligno agitur«), und ein Geſetz der Burgunder bedroht ſogar den
Waldeigentümer mit Strafen, falls er einem andern, der keinen Wald beſaß, den
Hieb von Brennholz wehren wollte. Nur die fruchtbaren Bäume — Eiche, Buche,
Wildobſt — genoſſen mit Rückſicht auf die Maſtnutzung und das Wild einigen
474 1. Abſchnitt.
Schutz. Im übrigen war noch in der großen Siedelungsperiode vor allem die
Möglichkeit, durch Rodung neues Ackerland zu gewinnen, um die eigene Baufläche
zu vergrößern oder es an Dritte gegen Zins und Dienſte auszugeben, das, was
dem Walde hauptſächlich Wert verlieh. Selbſt in den Bannforſten hat das Verbot
der Rodungen häufig in erſter Linie den Zweck gehabt, dem Bannherrn eine Ein—
nahmequelle zu eröffnen, indem dieſer dann die Rodungen doch gegen Entſchädigung
geſtattete.
Erſt als der Waldüberfluß verſchwunden, ja in einzelnen Gegenden ein Mangel
an Holz eingetreten war, der durch Zufuhr aus andern Gebieten gedeckt werden
mußte, änderte ſich die Bewertung des Holzes; es wurde in ſolchen Landesteilen
eine geſuchte Ware und die Erhaltung des Waldes daher Gegenſtand energiſcher
Fürſorge der Landesherren. So ſtammen die erſten Nachrichten über den Holzhandel
aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, und bald darauf — 1303 — ſind
die erſten uns erhaltenen Beſtimmungen erlaſſen worden, die vorſchreiben, daß zu
Unrecht gerodete Flächen liegen bleiben ſollten, damit ſie wieder zu Wald würden.
Dieſe Entwicklung führte natürlich auch tiefgreifende Anderungen im Zuſtande
der Wälder herbei. Völlig ungebrochenen, vom Einfluß des Menſchen unberührten
Urwald dürfen wir freilich ſchon zur Zeit der Völkerwanderung nur in den noch
unbeſiedelten Mittelgebirgen und im Innern der großen, zwiſchen den Siedelungen
gelegenen Waldgebiete vorausſetzen. Dieſe Naturwälder enthielten einerſeits aus—
gedehnte Flächen, beſtanden von hohen, ſcheinbar gleichalten Stämmen, deren Kronen
ſo dicht zuſammenſchloſſen, daß kein genügendes Licht in das Waldesinnere ein—
dringen konnte, um junge Bäume emporkommen zu laſſen. Daher war der Boden
von mächtigen Moderſchichten bedeckt. Anderſeits fanden ſich auch große Flächen,
auf denen zwiſchen und unter den ehrwürdigen Rieſenſtämmen, die zum Teil ſchon
abgeſtorben und der Rinde beraubt als bleiche Ruinen daſtanden, der Nachwuchs in
Gruppen des verſchiedenſten Alters vom Boden Beſitz ergriffen hatte. Auch auf den
verweſenden Reſten umgeſtürzter Baumleichen keimte und ſproßte bereits eine neue
Generation empor.
Der letztere Zuſtand entſpricht zwar der landläufigen Vorſtellung vom Urwald,
man darf aber nicht annehmen, daß er die Regel oder auch nur häufiger als der
erſtgeſchilderte geweſen ſei. Vielmehr ſind beide gleichberechtigte Glieder einer Ent—
wicklungsreihe, ſie gehen immer wieder ineinander über und auseinander hervor.
Befindet ſich ein Wald jetzt im zweiten Zuſtande, ſo werden im Laufe der Zeit die
meiſten der alten Stämme abſterben oder vom Sturm geworfen und gebrochen
werden. Dann wachſen die jungen Bäume herauf und bilden nach vielleicht 50 Jahren
ſchon einen geſchloſſenen Hochwald, in dem ſich der Unterſchied der Altersklaſſen
bereits zu verwiſchen beginnt; denn viele der jüngeren und ſchwächeren Stämme ſind
von ihren Nachbaren überwachſen worden und daraufhin aus Lichtmangel eingegangen,
neuer Jungwuchs konnte ſich aus der gleichen Urſache nicht entwickeln. Nach weiteren
50 Jahren ſind dann die Altersunterſchiede faſt ganz verſchwunden, jene erſte Ur—
waldform iſt entſtanden.
Aber auch dieſe bleibt nicht unverändert. Zuerſt bricht da und dort ein Baum
infolge hohen Alters zuſammen oder wird vom Blitz zerſchmettert. Auf der kleinen
Urwaldformen. 475
Lücke ſiedeln ſich Jungwüchſe an, die indes meiſt nach kurzer Zeit wieder ver—
ſchwinden, da die alten Bäume ihre Kronen verbreitern und das Loch ſchließen, ſo
daß wieder das zum Leben nötige Licht fehlt. Aber mit zunehmendem Alter ſterben
häufiger alte Stämme ab, während die Kronen nur noch langſamer zuſammenwachſen,
oder es reißt, ausgehend von der kleinen durch den Zuſammenbruch eines Baumes
verurſachten Lücke, ein Wirbelſturm ein Loch in den Wald, und nun erſcheinen die
erſten Jungwuchshorſte, die ſich dauernd erhalten und emporwachſen können. Die
Verlichtung des alten Beſtandes ſchreitet dann immer weiter fort und ſo entſteht
wieder die zweite Form. i
Für die Zuſammenſetzung des Urwaldes nach Holzarten iſt das verſchiedene
Lichtbedürfnis der Bäume von großer Bedeutung. Wichtig iſt ferner, daß dieſes
Abb. 2. Urwaldpartie am Kubani, Böhmerwald. (Zur Verfügung geſtellt vom Verein Naturſchutzpark.)
um ſo größer wird, je geringer und trockener der Boden; auf mineraliſch kräftigem,
friſchem Boden können auch viele „Lichthölzer“ den Schirm von Bäumen der eigenen
Art längere Zeit ohne großen Nachteil aushalten. Sind Boden und Klima den
Schatt⸗ und Lichthölzern gleich günſtig, ſo verdrängen im Naturwald erſtere die
andern faſt gänzlich; denn ſie finden ſich unter den alten Lichthölzern ſchon zu einer
Zeit ein, da deren Schatten für den eigenen Nachwuchs noch viel zu ſtark iſt, und
gewinnen ſo einen ſolchen Vorſprung, daß jener ſie nicht mehr einholen kann. Der
Urwald unſerer Breiten wird daher in den meiſten Fällen aus Tanne, Buche und
Fichte beſtehen. Jedoch gibt es immer mehr oder minder ausgedehnte Bodenpartien,
die den Lichthölzern mehr zuſagen, und auf dieſen konnten ſie auch im Urwald die
Herrſchaft behaupten, wie man noch heute in Bosnien beobachten kann.
Nach den geſchichtlichen Nachrichten müſſen wir annehmen, daß früher die Eiche
476 1. Abſchnitt.
im deutſchen Walde viel häufiger geweſen iſt als heute. Das erklärt ſich zum Teil
aus der großen Schonung, die ihr im Mittelalter angedieh, hauptſächlich aber aus
den Bodenverhältniſſen. Die beſten Böden hat im Laufe der Zeiten die Landwirt—
ſchaft in Anſpruch genommen, ſodann war vor Beginn der Flußregulierungen, der
Dränagen und ſonſtigen Entwäſſerungsanlagen auf den angrenzenden Feldfluren der
Boden im Walde vielfach bedeutend feuchter; denn jene Maßnahmen haben den
Grundwaſſerſpiegel oft in einem weiteren Umkreis tiefer gelegt. Feuchter, kräftiger
Boden ſagt aber der Stieleiche mehr zu als der Rotbuche; ſofern nun die Fichte
aus klimatiſchen Gründen ausgeſchloſſen war, fand die Eiche nur Erlen, Eſchen,
Hainbuchen und ähnliche Arten als Wettbewerber. Dieſen iſt ſie im Höhenwuchs
wie in der Lebensdauer überlegen und konnte daher die Vorherrſchaft erlangen.
Endlich iſt die Rotbuche in viele Teile Deutſchlands erſt erheblich ſpäter eingewandert
als die Eiche, in Dänemark gar erſt in geſchichtlicher Zeit. Daher hatte ſie auch
auf den für ſie geeigneteren Böden zu Beginn unſerer Zeitrechnung die Eiche noch
nicht ſo ſehr zurückgedrängt, wie dies ohne das Zutun des Menſchen heute der Fall
ſein müßte.
Tatſächlich war die Entwicklung aber nur ſelten eine ungeſtörte, nämlich nur
in abgelegenen Gebirgstälern, die der Beſiedelung und der Weidenutzung unzugänglich
waren. Ihre Zahl wurde im Laufe der Jahrhunderte natürlich immer kleiner. Daß
die Weidenutzung in den Randteilen das Aufkommen von Jungwüchſen verhinderte
und ſo der Umwandlung in Feld vorarbeitete, habe ich bereits erwähnt. Ahnlich
wirkten die ungeregelten Holzhiebe. Urſprünglich holte ſich jeder ſeinen Bedarf, wo
es ihm am bequemſten war, d. h. vorwiegend in den äußeren Waldteilen; denn die
Abfuhr aus dem Inneren des Waldes wäre zu ſchwierig geweſen. Traf der Hieb
jüngeres Laubholz, ſo entſtanden aus dem Wurzelſtock Ausſchläge, die dann dank
ihrer raſcheren Jugendentwicklung dem Maule des Viehes ſchneller entwuchſen als
Samenpflanzen und daher dieſe verdrängten. Ebenſo begünſtigte die Weide das
Aufkommen von Dorngeſtrüpp, welches das Vieh verſchmäht. Die Rückſicht auf die
Schweinemaſt aber führte dazu, daß alte Eichen und Buchen tunlichſt vom Hiebe
verſchont wurden.
Daher dürften um das Jahr 1000 größere Laubwaldungen in den dichter be—
völkerten Teilen Deutſchlands etwa folgendes Bild geboten haben. Ihr Kern war
ungebrochener Urwald, in dem nur ſelten eine Axt erklang, höchſtens daß ein Aſchen—
brenner oder Köhler hier einmal ſein Weſen trieb, die niedergeſtürzten Bäume ver—
arbeitete und vielleicht auch geſunde zu dieſem Zwecke fällte. Die ſo entſtandenen
Blößen überzog bald wieder junger Baumwuchs, denn die Herden werden nur ſelten
bis zu dieſen abgelegenen Teilen vorgedrungen ſein. Um dieſen Kern zog ſich ein
Gürtel von Beſtänden, in denen Althölzer mit Stangen und jungen Aufwuchsgruppen
wechſelten. Hier holte man Bauhölzer, ab und zu auch Brennholz, ſoweit dies in
den äußeren Waldteilen nicht zu bekommen war. Doch blieb die Holznutzung im
Verhältnis zur Wuchsleiſtung der Bäume mäßig, die Beſtockung daher ziemlich dicht,
und darum fanden die Viehherden ſo wenig Nahrung, daß ſie auch hierher nur ſelten
getrieben wurden, was wieder dem Jungwuchs zugute kam. Auch Samenpflanzen
konnten hier emporwachſen. Je mehr man ſich dem Waldrand näherte, um ſo mehr
Waldzuſtand um das Jahr 1000, 477
wogen im jungen Unterwuchs Stockausſchläge und Dornen vor und um ſo lichter war
die Stellung der alten Stämme. Schließlich löſte ſich der Wald auf in vereinzelte
alte, breitkronige Eichen und Buchen, er ging allmählich über in die Weide oder den
blumenreichen mit einzelnen Bäumen beſtandenen Anger, jenes Landſchaftsbild, das
Walther von der Vogelweide und ſeinen Zeitgenoſſen offenbar viel herrlicher erſchien
als der Wald.
Ahnlich war die Beſchaffenheit der Nadelholzforſten, nur treten hier an die
Stelle der Stockausſchläge verbiſſene, kümmernde Jungwüchſe, wie wir ſie noch heute
auf Weideflächen und in ſtark beſetzten Wildparken ſehen — Kollerbüſche nennt ſie
der Forſtmann —, weiter Wacholder und ähnliche Gewächſe.
Abb. 3. Fichte, vom Wild verbiſſen. (Phot. G. Urff.)
So lange die Bedürfniſſe der Bevölkerung aus dem Walde leicht befriedigt
werden konnten, änderten ſich dieſe Zuſtände nur inſofern, als immer weitere Wald—
teile gerodet wurden und der unberührte Urwald mehr und mehr verſchwand. Aber
mit dem Fortſchreiten der Rodungen kam eben für viele Gebiete der Augenblick, wo
die Verſorgung mit Holz nicht mehr ſo leicht war, und da dieſes eine geldwerte
Ware wurde, ſuchten die Waldeigentümer die ungemeſſenen, vor allem die unentgelt—
lichen Holzbezüge einzuſchränken oder doch eine Regelung der Nutzungen zu bewirken,
die einer völligen Verwüſtung des Waldes vorbeugte. Das gilt nicht nur für die
waldarmen, ſondern auch für holzreiche, an floßbaren Gewäſſern liegenden Gebiete.
Zu dieſem Zweck mußten nicht nur die Rodungen unterſagt, ſondern auch den
Jungwüchſen Schutz gegen den Verbiß durch das Weidevieh gewährt werden. Da
man die Waldweide nicht entbehren konnte, blieb nur der Ausweg, die Hiebe auf
einzelne Waldteile zu beſchränken und dieſe dann ſo lange von der Beweidung auszu—
ſchließen, bis das Vieh keinen Schaden mehr anrichten konnte. So ergab ſich von
ſelbſt eine Einteilung des Waldes in Schläge, deren Größe urſprünglich nicht feſt⸗
478 1. Abſchnitt.
gelegt war, ſondern nach dem Bedarf wechſelte. Die Nachrichten darüber reichen bis
ins 13. Jahrhundert zurück. Allmählich entſtand daraus eine dauernde Schlagein—
teilung, wie ſie zuerſt 1359 vom Erfurter Stadtwald überliefert wird. Der Wald
wurde in ſoviel Teile zerlegt, als Jahre erforderlich waren, damit das Holz die
gewünſchte Stärke erlangte. Indem man dann jährlich einen der Schläge nutzte,
ſicherte man auf einfachſte Weiſe die Nachhaltigkeit des Ertrags.
Die Zuſammenlegung der Hiebe führte aber auch zu neuen Waldformen. In
den Laubwaldgebieten entſtanden Nieder- oder Mittelwälder, je nachdem man auf
dem Jahresſchlag alles weghieb oder eine Anzahl fruchtbarer Bäume, als Laßreitel
oder Oberholz, ſtehen ließ. Der neue Wald beſtand in beiden Fällen zum größten
Teil aus den Ausſchlägen der Wurzelſtöcke. Der Niederwald wird erſtmals 1219
erwähnt, er erfreute ſich in vielen Gebirgen einer großen Beliebtheit, weil mit ihm
eine landwirtſchaftliche Nutzung des Bodens verbunden werden konnte. Man ſäte
die Schläge im Frühjahr nach dem Hiebe mit Korn oder Buchweizen ein und wieder—
holte das in den folgenden Jahren, bis die Stockausſchläge ſo hoch geworden waren,
daß das Getreide nicht mehr gedeihen wollte.
Da aber der Niederwald nur ſchwaches Brennholz liefert, wurde der Mittel—
wald mehr bevorzugt, deſſen Oberholz auch das für die Bauten erforderliche Material
und gleichzeitig Maſt für Schweine und Wild lieferte. Auch dieſe Waldform iſt
ſchon im 14. Jahrhundert bekannt geweſen, ſie war bis gegen 1750 in vielen Gebieten
die üblichſte, ja häufig ſogar die von den Forſtordnungen der Landesherren für alle
Wälder vorgeſchriebene Wirtſchaftsweiſe. An ſich, zumal für friſche und feuchte
Standorte, durchaus geeignet, führte ſie leider vielfach zu recht unerfreulichen
Zuſtänden.
Es liegt das z. T. daran, daß unſer verbreitetſtes Laubholz, die Rotbuche, nur
wenig Stockausſchlag liefert, daher durch minderwertige Arten verdrängt wurde, z. T.
und zwar wohl hauptſächlich daran, daß man meiſt zu viel Oberholz ſtehen ließ.
Unter deſſen dichten Schatten kam dann nichts Rechtes mehr auf, vor allem fehlten
ſchlanke Samenpflanzen, die zum Erſatz abgängiger Oberhölzer brauchbar geweſen
wären. Wenn auch einzelne Forſtordnungen gegen dieſen Fehler ankämpften, wurde
er doch offenbar immer wieder gemacht. Aber auch das Entgegengeſetzte kam vor,
daß nur ganz vereinzelte Oberhölzer beibehalten wurden. In beiden Fällen wurde
es dann ſchwierig, den Bauholzbedarf zu befriedigen, weil entweder ſchon jetzt zu
wenig Oberhölzer vorhanden waren oder doch der Nachwuchs fehlte, der die weg—
zunehmenden alten Bäume hätte erſetzen können. In vielen Gegenden half man ſich
durch die Ausſcheidung beſonderer Bauwälder. Dies waren in der Regel Eichen—
beſtände, die geſchloſſen emporwuchſen. Aus ihnen holte man die nötigen Bauhölzer
durch das Plentern, d. h. durch vereinzelten Aushieb der Stämme. Doch beſchränkte
man die Nutzung auf einen Teil, etwa ein Sechstel bis ein Viertel der Waldfläche,
der Reſt blieb unberührt. Auf der dem Hieb unterſtellten Fläche dagegen verminderten
ſich alljährlich die Althölzer, ſo daß vorhandener Jungwuchs ſich beſſer entwickeln,
neuer ſich einfinden konnte. Standen dann ſchließlich nur noch vereinzelte mittel—
ſtarke Bäume zwiſchen den Stangen- und Gertengruppen, ſo legte man dieſen Wald—
teil in Hege und zog einen andern zum Hiebe heran.
Aufkommen neuer Wirtſchaftsformen. 479
Auch in den Nadelwäldern fand eine ähnliche Wirtſchaft Eingang. Außerdem
verſuchte man im 16. Jahrhundert in dieſem dadurch eine Verjüngung zu erhalten,
daß man einzelne Bäume oder kleine Gruppen auf der Schlagfläche ſtehen ließ,
damit ihr Same den neuen Wald erzeuge. Hervorgegangen iſt dies Verfahren wohl
aus dem Brauch, bei flächenweiſem Abtriebe ſchwache Stämme und anbrüchige Hölzer,
die den Hieb doch nicht lohnten, ſtehen zu laſſen. Dieſe beſamten die Fläche, und
daher wurde die Belaſſung von „Samenbäumen“ dann vorgeſchrieben. Auch die
Erfahrung war damals ſchon bekannt 3
und verwertet, daß der Wind den
leichten Samen der Nadelhölzer ziem—
lich weit verbreitet, ſo daß auch ein
kahlgehauener Schlag ſich im Laufe der
Zeit wieder beſamt, wenn nur alte
Bäume in der Nähe ſtehen. In ab—
gelegenen Wäldern aber beſtand auch
noch die alte regelloſe Femelwirtſchaft
ſowohl bei Laub- wie Nadelholz fort. :
Da aber die verſchiedenen Ver⸗ FE
fahren nicht überall den gewünſchten
Erfolg hatten, kam auch die künſtliche 7
Verjüngung auf. Nach einer alten ii
Nürnberger Chronik hat der dortige
Forſtmeiſter Peter Stromeier 1368 die MEES
„Kunſt“ erfunden, Kiefern und dann
auch andere Nadelhölzer zu ſäen. Die
erſten ſo entſtandenen Wälder wurden
bereits 1449 zum Einſchlag gebracht. f
In der Nürnberger Gegend und den Be
angrenzenden Gebieten hat die Nadel-
holzſaat raſch Verbreitung gefunden,
ſchon 1400 beſtand zu Nürnberg die
Waldſamenhandlung der Gebrüder Abb. 4. Femelwald (Wolfach). (Zur Verfügung geſtellt von
Hülpüchel. 1426 ließ die Stadt Frank⸗ der Abteilung für Forſtweſen zu Karlsruhe.)
furt von dort Fichten- und Kiefern-
ſamen kommen, das gleiche taten am Ausgang des 15. Jahrhunderts Kaiſer Maxi—
milian für den Wienerwald und der Markgraf von Baden. Die Firma ſchickte auf
Wunſch mit dem Samen auch einen Vertreter, den Tannenſäer, der die Arbeiter unter—
wies und die Ausführung der Saaten überwachte.
Von Laubhölzern iſt wohl zuerſt die Eiche geſät worden. Schon die alten
Römer haben ſo Eichenhaine begründet. Dahingeſtellt mag bleiben, ob unſere Vor—
fahren von ihnen die Eichenkultur, wie den verwandten Obſtbau durch Vermittelung
der Klöſter gelernt haben. Nötig iſt dieſe Annahme nicht, da ja jeder Landwirt auf
*) Die eingehende Beſchreibung und Würdigung der einzelnen Waldformen bringt der folgende
Abſchnitt.
480 1. Abſchnitt.
den Gedanken kommen konnte, Eicheln wie Getreide zu ſäen. Die älteſten Nachrichten
über deutſche Eichenkulturen ſtammen aus dem Frankfurter Stadtwald und zwar vom
Jahr 1398. Auch die Pflanzung der Eiche iſt am Ausgang des Mittelalters geübt
worden, ja um 1500 finden wir ſchon Pflanzſchulen — Eichelgärten —, in denen
junge Eichen herangezogen wurden. Sie dienten vor allem zur Ergänzung des Ober—
holzes der Mittelwaldungen.
Wenn wir überſchauen, was uns über die Waldwirſchaft des 16. Jahrhunderts
bekannt iſt, ſo dürfen wir ſagen: es beſtand ein reges Streben, die Waldzuſtände zu
verbeſſern, und es ſind auch Erfolge erzielt worden. Die Forſtmeiſter und Holz—
knechte jener Zeit haben teilweiſe ſchon recht tüchtige, freilich rein empiriſch erworbene
Kenntniſſe beſeſſen. Die Schriften eines Konrad von Heresbach, eines Noe Mäurer
und Kolerus zeigen uns auch, daß in weiteren Kreiſen das Intereſſe an der Wald—
wirtſchaft erwacht war.
Aber dieſe Entwicklung wurde durch den dreißigjährigen Krieg jäh unterbrochen.
Zwar nahm infolge der Verödung ganzer Landſtriche der Umfang des Waldes
vorübergehend, in einzelnen Fällen auch dauernd zu, und ſein Zuſtand wurde
mancherorts ein beſſerer, weil nach Vernichtung des Viehſtandes der Verbiß auf—
hörte, daher auch eine Generation junger Samenpflanzen ungeſtört emporwachſen
konnte, zumal die Anſprüche der dezimierten Bevölkerung kleinere waren. Aber die
forſtlichen Kenntniſſe gingen verloren, die Kulturtätigkeit hörte auf und die Pflanz—
ſchulen verfielen, um in vielen Gegenden erſt nach mehr als hundert Jahren wieder
aufzuleben. Vor allen Dingen aber begannen in der zweiten Hälfte des Krieges die
Waldausſchlachtungen zum Zweck der raſchen Bereicherung, bei denen jede Rückſicht
auf den Nachwuchs wegfiel. Urſprünglich von den Heerführern in beſetzten Gebieten
unternommen, drängten ſie ſich nach dem endlichen Friedensſchluß den Regierungen
der ausgeſogenen Länder als ein geeignetes Mittel auf, die Finanzen zu verbeſſern,
ohne die verarmte Bevölkerung mit neuen Steuern belaſten zu müſſen. Und dieſem
Streben nach Erhöhung der Einnahmen aus dem Walde entſprach auf der andern
Seite der große Bedarf, den die aufblühenden Niederlande und England an ſtarken
Eichen, Tannen und Kiefern für Schiffsbauten, Pfahlroſte und dergleichen hatten.
Es entſtanden ganze Handelskompagnien, die ſich mit dem Ankauf und der Ver—
frachtung dieſer Hölzer befaßten. Der Ertrag für die Kaſſe der Waldeigentümer
war recht anſehnlich, aber er wurde mit ſchweren Beſchädigungen erkauft, zumal man
oft die Auswahl der zu fällenden Stämme dem Händler überließ, der dann die
ſchwerſten Bäume mit großen Kronen aus Stangenorten herauszunehmen befahl,
obwohl beim Hieb die ganze Umgebung verwüſtet und Löcher in den Beſtand gehauen
wurden, die ſich nicht von ſelbſt ſchließen konnten.
So war es noch ein Glück, daß die ſchlechten Landwege jener Zeit dieſen
Handel auf die unmittelbar an oder doch nur wenige Stunden von floßbaren Gewäſſern
gelegenen Wäldern beſchränkte. In abgelegenen Forſten, vereinzelt auch in bevölkerten
Gegenden, wie dem Neckartal bei Heidelberg, erlebte die Potaſcheinduſtrie damals eine
zweite Blüte, die Anlage von Glashütten wurde von vielen Landesherren begünſtigt,
um aus dem Buchenholz größeren Gewinn zu ziehen. Auch wurden in manchen
Waldgebirgen neue Anſiedlungen geſchaffen, teils unmittelbar zur nachdrücklicheren Aus—
Entſtehung der Schirmſchlagform. 481
nutzung des Waldes beſtimmt, indem Holzhauer und Flößer angeſiedelt, Hammer—
werke errichtet oder andere holzverzehrende Gewerbe organiſiert und den für ſie
nötigen Arbeitern aus dem Wald kleine Gütchen überwieſen, dieſer ſelbſt aber mit
Holz und Weiderechten belaſtet wurde. Teils waren ſie auch als Ackerbauſiedlungen
gedacht, ſind aber dann, da der Boden zu gering oder das Klima zu ungünſtig war,
ebenfalls zu richtigen Walddörfern geworden, deren Bewohner heute von den Erzeug—
niſſen des Forſtes und deren Verarbeitung leben. Zur weiteren Verſchlechterung der
Waldzuſtände trug das Überhandnehmen der Streunutzung und dann die übertriebene
Wildhege vieler Landesherren bei.
Dieſer Zeitraum der erneuten Waldverwüſtung reichte in einzelnen Gebieten
bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts, in vielen fand ſie ſchon zu deſſen Anfang
ihr Ende, da die Klagen der Bevölkerung über zunehmende Holzteuerung immer
lebhafter wurden. Und in dieſe Zeit fällt nun auch die Entſtehung einer neuen
Wirtſchaftsweiſe, der Dunkelſchlag- oder Schirmſchlagform. Sie hat ſich wohl in
verſchiedenen Gebieten unabhängig herausgebildet, teils aus dem veralteten Mittel—
waldbetrieb, teils aus der geregelten Plenterwirtſchaft der Bauwaldungen. Ihr
Weſen beſteht darin, daß der alte Beſtand auf einer größeren Fläche gleichmäßig
durchhauen wird, damit der abfallende Samen keimen und die entſtandenen jungen
Pflanzen ſich einige Jahre entwickeln können. Haben dieſe eine genügende Höhe
erreicht, um gegen die ſchlimmſten Forſtſchäden geſichert zu ſein, ſo werden die alten
Stämme mit einem oder mehreren Hieben entfernt.
Auf die Einzelheiten der Geſchichte der Schirmſchlagform kann ich hier nicht
eingehen. Die große Verbreitung, die dies Verfahren von 1790 —1830 gewonnen
hat, verdankt es zum guten Teil dem Wirken eines unſerer berühmteſten Forſtwirte,
Georg Ludwig Hartig (1764 —1837), der auch weit über Deutſchlands Grenzen als
Autorität anerkannt war. Uns Heutige muten ſeine Generalregeln etwas ſchablonen—
haft an, und wir können nicht verkennen, daß einzelne ſeiner Zeitgenoſſen, ſo vor
allem Heinrich v. Cotta (1763 — 1844), Hartig an waldbaulichem Verſtändnis über—
troffen haben, aber für die überwiegende Mehrzahl der damaligen Forſtbeamten, die
ihren Beruf im weſentlichen empiriſch erlernt hatten, war Hartigs leicht faßliche
Darſtellung die geeignete, und darin iſt ſein nachhaltiger Einfluß begründet.
Die Schirmſchlagform iſt in Buchenwaldungen entſtanden und für deren Ver—
jüngung auf guten und mittleren Böden durchaus geeignet, auf geringen verſagt ſie
auch bei dieſer Holzart leicht. Um 1800 wollte man aber nach dieſer Methode alle
deutſchen Holzarten verjüngen. Hartig ſelbſt glaubte, daß lediglich in der Schnellig—
keit der Lichtungen über dem Jungwuchs Unterſchiede zu machen ſeien. Um die Frage,
welche Anderungen für die verſchiedenen Arten und Bodenverhältniſſe erforderlich
ſeien, dreht ſich der literariſche Streit in der erſten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Verbeſſerungen, welche die Schirmſchlagform dabei erfuhr, ſind hauptſächlich
König, Pfeil, Grebe und K. Heyer zu verdanken.
Inzwiſchen hatte aber die künſtliche Verjüngung durch Saat oder Pflanzung
ebenfalls einen großen Aufſchwung genommen und drängte infolge der Mißerfolge,
die mit den Hartigſchen Generalregeln da und dort erzielt worden waren, die natür—
liche Verjüngung überhaupt vielfach zurück. Der Anſtoß zur eee >= künſt⸗
Hausrath, Die Waldwirtſchaft.
482 1. Abſchnitt.
lichen Kulturverfahren war durch die Notwendigkeit gegeben worden, die großen
Blößen aufzuforſten und die vielen verhauenen Beſtände durch geſchloſſene Jungwüchſe
zu erſetzen, die das 19. Jahrhundert als Erbſchaft aus den Kriegen gegen die
franzöſiſche Republik und Napoleon übernommen hatte. Die Leichtigkeit, mit der ſo
die Verjüngung des Waldes ſich vollzog, beſtimmte viele Waldeigentümer, grundſätzlich
den kahlen Abtrieb mit
folgender Saat oder
Pflanzung einzuführen.
Der Umſtand, daß durch
den Aufſchwung des
Steinkohlenbaues das
Brennholz entwertet
wurde, während die
Nutzhölzer, beſonders
Eiche und Nadelholz,
immer beſſer bezahlt
wurden, trug weiter da⸗
zu bei, den Übergang zur
Kahlſchlagwirtſchaft zu
beſchleunigen. Dieſer
entſprach aber ferner auch
dem lange herrſchenden
Beſtreben, zum Zweck
einer erleichterten Rege—
lung der Abnutzung
möglichſt einfache, über⸗
ſichtliche Waldverhält⸗
niſſe herzuſtellen.
Im Zuſammenhang
mit dieſer Entwicklung
ſtehen die großen Ver—
änderungen, die im Holz⸗
artenbeſtand unſerer
Abb. 5. Alte Eibe im Buchenjungwuchs. (Phot. G. Urff.) Wälder eingetreten ſind.
Nicht nur die Eiche iſt
früher viel häufiger geweſen, auch im ganzen haben die Laubhölzer einen viel
größeren Anteil an der Zuſammenſetzung des Waldes gehabt als heute. Zwar ſind
die Forſchungen über die Verbreitungsgrenzen der einzelnen Arten noch lange nicht
abgeſchloſſen, aber doch können wir nach dem Stande unſeres heutigen Wiſſens eine
Anzahl von Gebieten bezeichnen, in denen noch am Ausgang des Mittelalters das
Nadelholz ganz fehlte. Hierher gehören das Hügelland Lothringens, das rheiniſche
Schiefergebirge und der Taunus, der ſüdliche vom Buntſandſtein gebildete Odenwald,
die Rheinebene vom Neckar bis gegen Karlsruhe, die Rauhe Alb bis zum Eyach-
und Brenztal nebſt dem Schönbuch. Weiter der Speſſart und ein großer Teil des
Holzartenwechſel. 483
heſſiſchen Hügellandes, ſowie der weſtliche Teil des Thüringer Waldes bis zum
„Großen Inſelberg“ und der Kyffhäuſer. Endlich trugen nur Laubwälder Schleswig—
Holſtein und das nordweſtdeutſche Tiefland nördlich etwa der Linie Meppen,
Dümmerſee, Diepholz, Ehrenburg, Hitzacker an der Elbe. Aber auch ſonſt war das
Laubholz viel verbreiteter als das Nadelholz. Ein Überwiegen des letzteren dürfen
wir nur annehmen für Oſt- und Weſtpreußen, Poſen, den mittleren Teil der Mark
Brandenburg, Schleſien öſtlich der Oderniederung, ſodann für die höheren Teile des
Zugs der deutſchen Mittelgebirge von der mähriſchen Senke bis zur Leinequelle im
Thüringer Wald, im Bayriſchen- und Böhmerwald, ſowie der dieſen vorgelagerten
Keuperlandſchaft bis zum Mainhardter- und Welzheimer Wald in Württemberg.
Auch im Oberharz, in den über 900 Meter liegenden Teilen des Schwarzwaldes
und den Alpen herrſchte das Nadelholz vor. Aber auch in dieſen Gebieten war das
Laubholz viel häufiger als heute.
Während 1900 67,5% der deutſchen Waldfläche dem Nadelholz gehörten, war
um 1300 das Verhältnis wohl umgekehrt, ja der Anteil des Nadelholzes war eher
kleiner wie ein Drittel, als größer.
Dieſe Zunahme kam vor allem der Fichte und Kiefer, in beſcheidenerem Um—
fang der Lärche zugute. Die Weißtanne hat bis vor 40 Jahren wenigſtens an Ge—
biet verloren, ſie war im Harz ganz verſchwunden und im Thüringer Wald wie im
Erzgebirge ſehr viel ſeltener geworden. Erſt in neueſter Zeit iſt ihr Anbau wieder
ſtärker betrieben worden. Faſt ganz vernichtet wurde in vielen Gegenden die Eibe
(Taxus baccata), deren Holz im Mittelalter zur Anfertigung von Bogen und Arm—
brüſten ſo geſucht war, daß es von Deutſchland nach Italien und England aus—
geführt wurde. In dieſer Wertſchätzung liegt die erſte Urſache des Verſchwindens
der Eibe, die zudem ſehr langſam wächſt. Im 18. Jahrhundert hat man ſie übrigens
wegen ihrer giftigen Blätter in einzelnen Gegenden abſichtlich ausgerottet. Schließlich
wurde ihr auch verhängnisvoll, daß ſie plötzliche Freiſtellung nicht verträgt, ſie ging
daher beim Abtrieb des ſie überſchirmenden Beſtandes auch dort vielfach ein, wo ſie
der Wirtſchafter gern als Naturdenkmal erhalten hätte.
Aber auch viele Laubhölzer ſind ſeltener geworden. So fehlen die Wildobſt—
arten: Pirus communis, Pirus malus, Sorbus domestica, heute in vielen Gebieten
ganz, wo ſie im 18. Jahrhundert noch regelmäßig erwähnt werden. Das gleiche gilt
von der Elsbeere (Sorbus torminalis). Sodann find die Linden-, Ulmen-, Ahorn-,
Erlen⸗, Pappelarten, Eſche und Wildkirſche heute in vielen Gegenden ſeltener zu
finden als einſt. Auch die Strauchflora unſerer Wälder iſt verarmt, ſie hat ſich an
den Waldrand und auf Odlandsböſchungen zurückziehen müſſen. Dem ſteht ein
kleiner Gewinn an neueingeführten Arten gegenüber, die wir ſpäter näher kennen
lernen werden.
Der Holzartenwechſel iſt auf verſchiedene Urſachen zurückzuführen. Den Einfluß
der Rodungen haben wir bereits kennen gelernt, der Verluſt an Fläche hat haupt—
ſächlich die Laubhölzer betroffen, weil dieſe den beſſeren Boden einnahmen. Um—
gekehrt führten die meiſten Aufforſtungen zu einer Verſtärkung des Anteils der
Nadelhölzer, weil die raſchwachſenden Kiefern und Fichten dabei bevorzugt wurden,
und ebenſo ſind dieſe faſt ausſchließlich verwendet worden, wo verhauene Beſtände,
484 1. Abſchnitt.
durch Weide oder Streunutzung heruntergekommene Laubwälder durch neue Kulturen
erſetzt wurden; denn ſie ſind anſpruchsloſer als die meiſten Laubhölzer und auch
leichter zu verpflanzen. Ausſchlaggebend aber war die gänzliche Umgeſtaltung der
Abſatzverhältniſſe. Vor 150 Jahren war das Brennholz das wichtigſte Erzeugnis,
viele Leute hegten Sorge, ob die Nachkommen nicht elend erfrieren müßten, weil
Deutſchland die erforderlichen Brennholzmaſſen nicht erzeugen könne. Die Erziehung
reiner Buchenbeſtände galt als das wirtſchaftliche Ideal, ja auch die Anlage von
Nadelholzkulturen erfolgte vielfach in der Abſicht, die Brennholzproduktion zu er—
höhen, da man hoffte, das ſchnellwüchſige Nadelholz ſchon mit 40 oder 50 Jahren
einſchlagen zu können. Seit etwa 70 Jahren aber iſt überall das Nutzholz viel wert—
voller geworden als das Brennholz, daher ſtreben alle Forſtverwaltungen danach,
die Nutzholzausbeute zu erhöhen und darum wurden die Nadelhölzer ſo ſehr be—
günſtigt; denn ſie liefern überhaupt mehr Holz und ein höheres Nutzholzprozent.
Der Eiche gegenüber, die unbedingt das beſte Holz hat, haben ſie noch den doppelten
Vorteil, daß ſie anſpruchsloſer ſind und in viel kürzerer Zeit die wertvollen Stärken
erreichen als jene. Die Fichte wird in den meiſten Lagen mit 70 —100 Jahren
hiebsreif, Eichenſtarkholz iſt ſelbſt bei den günſtigſten Verhältniſſen nicht unter 140 Jahren
zu erziehen.
Während jo das Nadelholz auf Koſten des Laubholzes Gebiet gewann, vollzog
ſich gleichzeitig der Übergang von den gemiſchten zu den reinen Beſtänden. Soweit
dieſer nicht abſichtlich herbeigeführt wurde, war er die Folge der ausgedehnten An—
wendung, die Kahlſchlag- und Schirmſchlagform erfuhren; denn dieſe ergeben gleich—
alte und gleichmäßige Beſtände, in denen die in der Jugend langſamer wachſende
Holzart von der ſich raſcher entwickelnden nur gar zu oft vollkommen vernichtet wird.
Darauf beruht es, daß unſern Buchenwäldern ſo wenig Eichen mehr beigemiſcht
ſind und daß die Tanne ſo viel Gebiet verloren hat. Bei der Kultur auf der kahlen
Fläche bewirkt oft ſchon der Maifroſt allein, daß die empfindlicheren Holzarten aus—
ſcheiden und ein reiner Beſtand übrig bleibt.
Wir werden ſpäter die Gefahren und Nachteile der reinen Beſtände ausführlich
kennen lernen, hier ſei nur hervorgehoben, daß dieſe um ſo ſchlimmer ſind, je größer
die Flächen werden, die reine gleichalte Beſtände ohne Unterbrechung bedecken. Es
iſt das unvergeßliche Verdienſt Karl Gayers (1822 — 1907), mit allem Nachdruck
immer wieder darauf hingewieſen zu haben, daß derartige Waldformen in den
meiſten Fällen den naturgeſetzlichen Grundbedingungen der Waldwirtſchaft zuwider—
laufen, für die Erziehung ungleichaltriger, gemiſchter Beſtände eingetreten zu ſein und
auch Wege gewieſen zu haben, auf denen dieſes Ziel erreicht werden kann.
Gayer hat im Laufe der Jahre viel begeiſterte Zuſtimmung gefunden, die
Mehrzahl der Forſtwirte erkennt heute wenigſtens in der Theorie die Vorzüge der
gemiſchten ungleichaltrigen Beſtände an. Überblicken wir aber die heutige Forſtwirt—
ſchaft Deutſchlands, ſo können wir uns nicht verhehlen, daß ſowohl die grundſätz—
liche Forderung Gayers der Rückkehr zur natürlichen Verjüngung und zum ungleich—
altrigen Miſchbeſtande als ſeine beſonderen Anſchauungen über die dazu geeigneten
Methoden nur im kleineren Teile Deutſchlands Anwendung und Fortbildung, ge—
funden haben. Ja, die Zweckmäßigkeit und vor allem die volkswirtſchaftliche Be—
Der Einfluß von K. Gayer. 485
rechtigung der natürlichen Verjüngung wird heute wieder von angeſehenen Forſt—
männern lebhaft beſtritten.
Es iſt angezeigt, die Erörterung dieſer Frage noch zurückzuſtellen, folgende
Grundſätze ſeien jedoch hier gleich hervorgehoben. Gewiß hat das lebende Geſchlecht
das Recht zu fordern, daß, ſoweit nicht höhere Intereſſen in Frage ſtehen, die im
Wald feſtgelegten großen Kapitalien zur höchſten Nutzbarkeit gebracht werden. Aber
es iſt verpflichtet, die Produktionskräfte ungeſchmälert für die Zukunft zu erhalten.
Dies gilt insbeſondere für den Waldboden, der nur gar zu leicht bei falſcher Be—
Abb. 6. Femelſchlagwald. (Zur Verfügung geſtellt von der Abt. f. Forſtw., Karlsruhe.)
handlung ſeine natürliche Fruchtbarkeit teilweiſe oder ganz einbüßt. Jedes Extrem
iſt nachteilig, vor allem aber die rückſichtsloſe Gleichmacherei. Vielmehr müſſen wir
eine individualiſierende Behandlung, die jedem Standort und jedem Beſtande ſich
anpaßt, anſtreben.
Die andere Hauptbedingung für den Erfolg der Waldwirtſchaft iſt die Stetig—
keit. Nichts iſt ſchlimmer, als wenn alle paar Jahre neue Methoden verſucht werden.
Die Gefahr aber, daß dies geſchehe, iſt bei der Unraſt des modernen Menſchen leider
ſehr groß. Es wird immer ſeltener, daß der leitende Beamte auf ſeiner erſten
Oberförſterei ein Menſchenalter aushält, wie dies vor 50 Jahren die Regel war.
So eigenartig es klingen mag, es muß hier ausgeſprochen werden, zur Zeit wäre
es der größte Fortſchritt für die Waldwirtſchaft, den wir erreichen können, wenn
486 1. Abſchnitt.
Regierungen und Waldeigentümer den Grundſatz feſtſtellten, daß die Forſtbeamten
des äußeren Dienſtes nicht vor Ablauf von 20 Jahren auf eine andere Stelle ver—
ſetzt werden dürfen. Wenn dann auch manchmal als Erſatz für den Verzicht auf
viele geiſtige Genüſſe, für die erſchwerte Schulbildung der Kinder und dergleichen
beſondere Zulagen gegeben werden müßten, ſo würde dieſer Mehraufwand ſich reichlich
lohnen; denn von den Unterſchieden der individuellen Veranlagung abgeſehen, ſind
die erfolgreichſten Wirtſchafter jene, die ihren Wirkungskreis lange Zeit behalten
haben, und das Geheimnis ihrer Erfolge liegt eben in der genauen Kenntnis, die ſie
von ihren Wäldern beſitzen, ſowie den Erfahrungen, die fie über die Wirkung der
einzelnen Maßnahmen durch langjährige Beobachtung der gleichen Beſtände er—
worben haben.
2. Abſchnitt.
Waldbau.
1. Die Holzarten in ihrem Verhalten zu Boden und Klima.
Will die moderne Forſtwirtſchaft den berechtigten Anſprüchen der Geſamtheit
genügen, ſo muß ſie einerſeits die höchſten Werte unter Wahrung der vollen Pro—
duktionskraft des Bodens zu erzielen ſuchen, anderſeits äſthetiſch befriedigende Wald—
zuſtände ſchaffen; denn nur dann werden die Beſucher des Waldes dort jene An—
regungen in vollem Maße erfahren, welche die Gedanken von dem Haſten und
Sorgen des Alltagsgetriebes ableiten und ſo durch Ausſpannung der Nerven eine
wirkliche Erholung ermöglichen. Soll dieſe Aufgabe nicht unlösbar bleiben, ſo muß
freilich das äſthetiſche Urteil ſich ſoweit vom wirtſchaftlichen Geiſte beſtimmen laſſen,
daß es nicht einer Anſammlung abſterbender Waldesrieſen, ſondern geſunden kräftig
wachſenden Bäumen den Vorzug gibt. Selbſtverſtändlich läßt ſich das Ziel auch
nur dann erreichen, wenn an jeder Ortlichkeit ausſchließlich Holzarten erzogen werden,
denen Boden und Klima zur vollen Entwicklung genügen und wenn die Behandlung
der Beſtände ſich den Lebensbedingungen der vorhandenen Holzarten vollkommen
anpaßt. Ein richtiges Urteil in waldbaulichen Fragen iſt daher nur möglich, wenn
man die Bedürfniſſe der einzelnen Holzarten kennt.
Die biologiſchen Eigenſchaften unſerer einheimiſchen Holzarten ſind bereits in
einem früheren Abſchnitt des Geſamtwerkes behandelt, auf den ich daher wegen der
Einzelheiten verweiſe. Hier ſeien nur die wichtigſten Punkte hervorgehoben. An
den Boden machen unſere Waldbäume verhältnismäßig beſcheidene Anſprüche. Sie
nehmen mit einem viel geringeren Vorrat an mineraliſchen Nährſtoffen vorlieb, als
z. B. unſere Getreidearten. Bei den langen Zeiträumen, die zwiſchen Saat und
Ernte im Walde verſtreichen, genügt auf den meiſten Böden die Verwitterung, um
die im genutzten Holze entführten Nährſtoffmengen zu erſetzen. Der größte Teil der
jährlich aufgenommenen Mineralſalze kehrt mit den abfallenden Blättern und Nadeln
wieder zum Boden zurück, und da die Baumwurzeln in größere Tiefen herabreichen
als die anderer Gewächſe, findet im unberührten Naturwald immer, im gutgepflegten,
der Streunutzung verſchloſſenen Forſte meiſt eine Anreicherung der oberen Boden—
ſchichten ſtatt.
488 2. Abſchnitt.
Wichtiger als die chemiſchen Eigenſchaften der Böden ſind ihre phyſikaliſchen
Zuſtände. So die Mächtigkeit der Bodenkrume oder Tiefgründigkeit. Zwar können
auch Bäume mit ausgeſprochener Pfahlwurzel auf flachgründigem Boden ſich er—
halten, ſie paſſen ihr Wurzelſyſtem den Verhältniſſen an, aber der Stamm bleibt
dann kurz, er iſt krumm, knorrig und äſtig. Es iſt üblich, die Böden, wie folgt,
einzuteilen: Iſt die für die Wurzeln zugängliche Schicht nur bis 15 em tief, ſo
nennt man den Boden ſehr flachgründig, beträgt ihre Mächtigkeit 15 — 30 cm, jo
bezeichnet man ihn als flachgründig, bei 30 —60 em als mittelgründig, bei 60 - 100 cm
als tiefgründig und bei noch größerer Mächtigkeit als ſehr tiefgründig. Was unter
1,50 oder 2 m liegt, iſt für die Bäume in der Regel unerreichbar, nur in engen
Felsſpalten ſenden ſie ihre Wurzeln noch in viel beträchtlichere Tiefen hinab. Wohl
aber kommen dieſe Schichten für die Verſorgung mit Waſſer in Betracht; denn im
tiefgründigen Boden können viel größere Waſſermengen aufgeſpeichert und dann in
trockenen Zeiten an die Pflanzen abgegeben werden als im flachen.
Der Waſſergehalt des Bodens iſt für die Wahl der richtigen Holzart von
großer Bedeutung. Der Forſtwirt bezeichnet einen Boden als dürr, wenn bereits
24 Stunden nach dem letzten Regenfall jede Spur von Feuchtigkeit verſchwunden iſt,
als trocken, wenn dieſer Zuſtand im Laufe einiger Tage eintritt. Friſche Böden
fühlen ſich feucht an, ohne auch bei Druck Waſſer abzugeben, bei den feuchten tritt
ſolches beim Zuſammenpreſſen mit der Hand in Tropfen aus, bei naſſen ſind die
Poren des Bodens mit Waſſer ſo angefüllt, daß dieſes von ſelbſt abtropft, ſo wie
man eine Erdſcholle ablöſt. Naſſe und feuchte Böden ſind mit hohem Grundwaſſer—
ſtand verbunden, ob die erſteren noch für den Waldbau geeignet ſind, hängt von
dem Sauerſtoffgehalt des Waſſers ab. Fehlt dieſer, ſo kümmern die Bäume, da
die Wurzeln nicht atmen können. Aus dieſem Grunde wirkt ſtehende Bodennäſſe ſo
viel ungünſtiger als fließendes Waſſer.
Auch die Konſiſtenz des Bodens iſt von großem Einfluß auf den Baumwuchs.
Auf flüchtigem, von jedem Winde bewegten Dünenſand, können nur Kieferarten
wirklich gedeihen und nutzbare Beſtände liefern. Ebenſo wiegen ſie vereint mit
Birken und Aſpen vor auf ſolchen bedingungsloſen Böden, deren Korngröße genügt,
um wenigſtens den mittleren Winden zu widerſtehen. Die günſtigſten Verhältniſſe
für alle Holzarten bieten lockere, bei der Bodenbearbeitung von ſelbſt zerfallende und
milde, d. h. leicht zerreibbare Böden dar. Dagegen ſind noch bindigere — feſte
oder ſtrenge Böden — faſt nur für Laubhölzer — Eichen, Eſchen, Ulmen —
geeignet.
Der waldbauliche Wert von Natur gleich bindiger Böden iſt aber noch weſentlich
verſchieden nach dem Anteil, den die kleinen luftgefüllten Zwiſchenräume der Boden—
partikeln einnehmen. Denn auf ihnen beruht die Verſorgung der Wurzeln mit
Luft, in ihnen ſteigt das Waſſer teils kapillar, teils als Dampf mit dem Luftſtrom
aus den Unterſchichten empor, um in friſchen Nächten als Tau im Wurzelbereich
niedergeſchlagen zu werden und den Pflanzen zu gut zu kommen; ſie erleichtern es
den feinſten Faſerwurzeln, in den Boden einzudringen. Die Größe dieſes Einfluſſes
mögen einige Zahlen für Sandböden beleuchten, die ich einer Arbeit von Ramann
Der Boden. 489
entnehme. Gute Kiefernſtandorte auf diluvialem Sand haben 55 —60 % Porenvolum,
mittlere 50—55 %%, geringe unter 50%.
Dieſe Bodenſtruktur iſt nicht unveränderlich, vielmehr wird ſie weſentlich von
dem Pflanzenwuchs, den der Standort trägt, beinflußt. Nackter Boden unterliegt
entweder der Verwehung durch den Wind, oder der Verhärtung durch den Stoß der
auffallenden Regentropfen. Der Wald mildert im allgemeinen die Extreme der
Bodenlagerung, indem er die mechaniſche Verdichtung durch den Regen ausſchließt
und in bindigen Böden die Auflockerung erhält, die durch die Tätigkeit der Boden—
fauna, in erſter Linie der Regenwürmer, und die Einwirkung des Froſtes bewirkt
wird. Der Erde beigemengter milder Humus (Mullerde) lockert ſtrenge Böden und
macht loſe und lockere Böden bindiger. Ebenſo wirkt er durch ſeine Umſetzung
ſelbſt günſtig auf die Krümmelung ein. Ganz anders der ſaure Humus (Trocken—
torf). Dieſer führt zu einer Verdichtung der unter ihm liegenden Bodenſchichten,
teils unmittelbar durch die chemiſchen Umlagerungen, die das ihm entſtammende
Sickerwaſſer bewirkt, teils mittelbar, indem er die Regenwürmer vertreibt. Die
Fürſorge für eine richtige Zerſetzung der Bodendecke iſt daher eine wichtige Auf—
gabe. Hervorzuheben iſt noch, daß die Laubhölzer im allgemeinen günſtiger auf den
Boden einwirken als Nadelhölzer, unter ihnen iſt die Bodenfauna eine reichere und
ihre Abfälle gehen leichter in milden Humus über; ſodann, daß die Beſtandesform
von Einfluß iſt, weil die Mullbildung ein beſtimmtes Maß von Wärme und Feuch—
tigkeit verlangt. Jede plötzliche Bloßlegung des Waldbodens wirkt ſehr ungünſtig,
da ſie die biochemiſchen Umwandlungsprozeſſe ſchroff unterbricht, auf denen die
Mullbildung und damit die Fruchtbarkeit des Bodens beruht. So hat Freiherr
K. Vogel v. Falkenſtein jüngſt nachgewieſen, daß Kiefernböden zweiter Klaſſe infolge
des Kahlhiebes zu ſolchen vierter Klaſſe herabſanken, während umgekehrt unter dem
Einfluß eines mit Buchen unterpflanzten Kiefernbeſtandes ein Boden, der vor der
Aufforſtung zur vierten Klaſſe gerechnet werden mußte, ſich ſo verbeſſerte, daß er
nunmehr der dritten angehört. Auch der Schaden der Streunutzung beruht haupt—
ſächlich darin, daß ſie die Mullbildung unterbricht und zur Bodenverdichtung führt,
und ebenſo wirkt die Entführung der Laubdecke durch den Wind, wie ſie beſonders
in gleichaltrigen Beſtänden auftritt, ſobald jenem der Zutritt in das Beſtandesinnere
geöffnet wird.
Leicht erhitzbare Böden erheiſchen eine beſonders vorſichtige Waldbehandlung,
da junge Pflanzen, deren Wurzelſyſtem auf die oberſten Schichten beſchränkt iſt,
leicht ausbrennen, wenn ſie der vollen Beſonnung ausgeſetzt ſind. Andrerſeits
brauchen ſie gerade hier den vollen Genuß der Niederſchläge während der Vegetations—
zeit, ertragen alſo keine dichte Überſchirmung. Eine leichte Beſchattung von der
Seite her wirkt am günſtigſten. Geradezu kalte, ſich ſchwer erwärmende Böden taugen
für die Eiche und Edelkaſtanie nicht, dieſe leiden auf ihnen viel von Forſtriſſen und
Krebsbildungen.
Die geneigte Lage iſt im allgemeinen der ebenen überlegen. Denn am Berg—
hang können die Baumkronen viel kräftiger von der Luft umſpült und vom Licht
getroffen werden als in der Ebene, weil ſie bei gleicher Stammlänge doch überein—
ander emporragen. Das Kronendach iſt in Folge hiervon geſtaffelt, unausgeglichen.
490 2. Abſchnitt.
Man vergleiche z. B. auf Abbildung 7 die Partien am Hang mit jenen auf der
Hochfläche. Das bewirkt eine Steigerung der Produktion. Ferner iſt am Hang ein
Übermaß oder Mangel an Feuchtigkeit ſeltener als in der Ebene, wo undurchläſſige
Bodenarten leicht Verſumpfung hervorrufen, während im Sande die Niederſchläge
raſch in für die Wurzeln unerreichbare Tiefen herabſinken. An den Bergwänden
aber erhalten wenigſtens die unteren Teile noch von oben Zufluß und geben doch
ihrerſeits wieder ab, was ſie nicht aufnehmen können. Nachteilig wird die Neigung
des Bodens dadurch, daß ſie die Abſchwemmung der Feinerde begünſtigt; ſteile
Hänge ſind immer weniger tiefgründig als flache Mulden. Da die Entblößung des
Bodens vom Pflanzenwuchs die Abſchwemmung beſchleunigt, muß die Forſtwirtſchaft
die Beſtockung um ſo ſorgfältiger zu
erhalten ſuchen, je ſteiler der Hang
iſt. Sie muß dann zu jenen Ver—
jüngungsverfahren greifen, die den
alten Beſtand erſt beſeitigen, nachdem
der Jungwuchs den Boden zum größten
Teil bedeckt.
Von den einzelnen Faktoren, aus
denen das Klima ſich zuſammenſetzt,
ſei zuerſt der wichtigſte, die Luftwärme
erwähnt. Ausſchlaggebend iſt nach den
eingehenden Unterſuchungen von H.
Mayr!) die durchſchnittliche Tempe—
ratur der Vegetationszeit. Denn wäh-
Abb. 7. Buchenwald auf Rügen. Kronendach am Hang rend ſelbſt Wintertempai 5
und auf Ebenen. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.) 50.8: wenigitens von einzelnen
Baumarten ohne Schaden überſtanden
werden, findet der Wald überall dort feine natürliche Grenze, wo innerhalb der
Vegetationszeit nicht eine mittlere Temperatur von + 10“ erreicht wird. Die Dauer
dieſes Zeitraumes iſt von geringer Bedeutung, wenn er nur mindeſtens 45 Tage
umfaßt, da dies die kürzeſte Friſt iſt, innerhalb deren der jährliche Lebensprozeß
unſerer anſpruchsloſeſten Bäume ſich vollziehen kann. Die Mitteltemperatur dieſer
Zeit oder, wie Mayr ſie bezeichnet hat, die Vegetationstherme, regelt aber auch die
natürliche Verbreitung wie die Anbaufähigkeit der einzelnen Arten, ſie beſtimmt den
Charakter der Waldungen. Genaue Zahlenangaben werden bei der Betrachtung der
verſchiedenen Zonen des mitteleuropäiſchen Waldes folgen. Hier möge nur noch
die praktiſch wichtige Tatſache hervorgehoben werden, daß wenigſtens einzelne Holzarten
ſich ſicher an eine verſchieden lange Vegetationszeit anpaſſen können, und daß dieſe
Eigenſchaft bis zu gewiſſem Grade erblich ift. Die Verſuche von Cieslar und von Arnold
Engler haben z. B. für die Fichte übereinſtimmend ergeben, daß zwei Klimaraſſen, die
Tieflands⸗ und die Hochgebirgsfichte zu unterſcheiden find. Sät man Samen der
Hochlandsfichte in der Niederung aus, ſo behalten die daraus entſtehenden Pflanzen
die kurze Vegetationsperiode und den langſamen Wuchs der Eltern, aber auch den
) „Waldbau auf naturgeſetzlicher Grundlage.“ Berlin 1909.
Das Klima. 491
anatomiſchen Bau der Nadeln und die Form der Bewurzelung bei, d. h. eine Reihe
von Eigenſchaften, die für das Leben im Hochgebirge wichtig, am neuen Standort
aber gleichgültig oder nachteilig ſind. Erläuternd ſei bemerkt: die Nadeln der Hoch—
gebirgsfichte beſitzen beſondere Schutzeinrichtungen gegen zu ſtarke Belichtung und
ſtarke Verdunſtung, während die Tiefländerin Nadeln vom Typus der Schatten—
blätter hat. Das Bewurzelungsſyſtem der Hochgebirgsfichte iſt ein größeres und
viel dichteres als das der Niederungsfichte, die Verſorgung mit Waſſer iſt dadurch
beſſer geſichert als bei jener, was den intenſiven kurzen Sommern der Alpen ange—
meſſen iſt. Verwendet man Hochgebirgsſamen für Aufforſtungen im Tiefland, jo
entſteht infolge der langſameren Entwicklung ein Zuwachsausfall, der Ertrag iſt
geringer als bei der einheimiſchen Raſſe. Noch viel ungünſtiger aber geſtaltet ſich
die Sache, wenn Samen dieſer für Kulturen im Hochgebirge verwendet werden.
Denn die erbliche größere Raſchwüchſigkeit kommt wenigſtens praktiſch nicht zur
Geltung. Vielmehr kränkeln die Pflanzen wegen der hohen Lichtſtärke, was ſich ſchon
darin zeigt, daß ſie gelbgrün ausſehen, ſie treiben ſpäter aus als die heimiſchen,
ſetzen aber ihre Vegetationstätigkeit noch bis in den Oktober hinein fort und werden
daher faſt alljährlich von den erſten Herbſtfröſten getroffen, ehe die neuen Triebe
verholzt ſind. Dieſe fortgeſetzten Beſchädigungen führen aber zum Krüppelwuchs
oder doch zu empfindlichen Störungen der Entwicklung.
Die Gefahr der Forſtbeſchädigungen muß überhaupt bei der Auswahl der Holz—
art wie des Wirtſchaftsverfahrens berückſichtigt werden. Strenge Winter töten aus
wärmeren Gegenden ſtammende Holzarten ganz oder vernichten an den über die
Schneedecke hervorſehenden Teilen immergrüner Gewächſe die Belaubung, wobei auch
die an hellen Tagen geſteigerte Verdunſtung mitwirkt. Der Tod des Kambiums und
damit des ganzen betroffenen Pflanzenteils tritt beſonders leicht dann ein, wenn das
Holz nicht vollkommen ausgereift war, alſo nach kühlen Sommern und bei Arten,
die in der Heimat eine längere Vegetationszeit haben, als ihnen im Anbaugebiet
geboten wird. Schutzmittel gegen dieſe Gefahr gibt es nicht, es ſei denn der Ver—
zicht auf den Anbau. Früh im Herbſt eintretende Fröſte töten die noch nicht ver—
holzten Organe und treffen daher auch vorwiegend Arten mit langer Vegetationszeit.
Sie beſchränken ſich häufig auf einzelne Ortlichkeiten — Froſtlöcher — die man be—
ſonders harten Holzarten zuweiſen muß, ferner genügt oft eine leichte Überſchirmung
der Fläche durch alte Stämme, um die ſchädliche Temperaturabnahme zu verhüten,
in dem ſie die Ausſtrahlung verhindert. Empfindliche Holzarten können daher unter
dem Schutz des Altholzes erzogen werden, bis ſie über die Höhe der kalten Luft—
ſchichten hinausgewachſen ſind. Ganz ähnlich iſt es mit den erſt nach Beginn der
Vegetation auftretenden Spätfröſten, die noch viel häufiger nur auf einzelne Gelände—
teile beſchränkt ſind. Sie werden beſonders den früh austreibenden Holzarten
ſchädlich. Doch iſt einmal zu beachten, daß einige Tage altes Laub eine Abkühlung
um 1—2 Grad unter 0 beſſer erträgt als die gerade austreibende Knoſpe, daß alſo
der Termin des Froſteinfalles ausſchlaggebend iſt, zweitens daß die Holzarten ſehr
verſchieden empfindlich ſind. Am härteſten ſind Kiefern, Birken, Lärchen, Erlen,
Aſpen, dann folgen Hainbuche, Linde, Ulme, weiter Fichte, Eiche, Rotbuche, Edel—
kaſtanie und am empfindlichſten find Tannen, Nüſſe, Eichen. Hohe Sommertempera—
492 2, Abſchnitt.
turen werden für ſich allein nur auf ſehr flachem leicht erhigbarem Boden und nur
jugendlichen Pflanzen lebensgefährlich, ferner in Verbindung mit Dürre. Die Ver—
ſetzung von Holzpflanzen in ein wärmeres Klima bewirkt aber oft, daß ſie ſich durch
vorzeitige Fruchtbildung erſchöpfen, weniger gutes Holz bilden, überhaupt degenerieren,
ja ſie führt zum baldigen Tode, wenn auch die Wintertemperaturen ſo hoch ſind,
daß die Vegetationsruhe für die auf kälteres Klima abgeſtimmten Pflanzen ganz
ausfällt.
H. Mayr hat die Lehre vom klimatiſchen Optimum zuerſt in den Waldbau
eingeführt und die ſich daraus ergebenden Schlußfolgerungen ſcharf formuliert. Sie
beſagt nach ſeiner Auffaſſung, daß der mittlere Teil des natürlichen Verbreitungs—
gebietes einer Holzart jenes Gebiet ſein muß, in dem ſie am beſten gedeiht, und daß
nach der Wärme- wie nach der Kältegrenze hin eine Abnahme der ganzen Lebens—
energie eintritt.
Höhenwuchs und Holzmaſſenerzeugung find bei höherem Alter 80 — 120 Jahre
im Optimum am größten. Bringen wir eine Holzart in wärmere Klimate, ſo nimmt
in der Jugend ihre Wuchsenergie zu, läßt dafür aber auch früher nach als im
Optimum und zwar um ſo raſcher, je weiter wir uns von dieſem entfernen. Ver—
ſetzen wir dagegen eine Holzart in ein kühleres Klima als ihrem Optimum entſpricht,
ſo wird ihr Wuchs verlangſamt und die Maſſenerzeugung vermindert und zwar auch
wieder proportional der Entfernung vom Optimum. Auch die Qualität des Holzes
nimmt im allgemeinen mit dieſer ab. Eine Ausnahme bildet der gleichmäßige fein—
ringige Jahrringbau, mit dem eine hohe Spaltbarkeit und hohe Elaſtizität verbunden
iſt, ſofern es ſich um aſtfreie Stammteile handelt. Dieſen finden wir hauptſächlich
in jenem Teil des natürlichen Verbreitungsgebietes einer Holzart, der kühler iſt als
des Optimum.
Nächſt der Wärme iſt die Luftfeuchtigkeit von großem Einfluß auf das Gedeihen
der Holzarten. Hängt doch von ihr die Niederſchlagsmenge und damit der den
Pflanzen zur Verfügung ſtehende Waſſergehalt des Bodens ab; ferner wirkt ſie auf
die Größe der Verdunſtung ein. In Gebieten mit weniger als 50 mm Nieder—
ſchlägen während der Vegetationszeit kann der Wald nur dann gedeihen, wenn ein
aus regenreicheren Gegenden kommender Grundwaſſerſtrom den Boden durchfeuchtet
und ſo den Verdunſtungsverluſt deckt. Hohe Luftfeuchtigkeit vermindert die Tempe—
raturextreme und damit die Gefährdung durch Spätfröſte, fie erlaubt den Anbau
empfindlicherer Holzarten, die Anzucht auf der kahlen Fläche. Aber ſie führt auch
leicht zu einer Verlängerung der Vegetationszeit, verzögert das Ausreifen des Holzes
und der Samen. Wo ſie dann nicht auch im Winter genügt, um tiefe Tempera—
turen auszuſchließen, können dieſe zu ſchweren Beſchädigungen der verzärtelten Bäume
führen.
Da Wärme und Luftfeuchtigkeit nicht nur von der geographiſchen Breite oder
der Nähe großer Waſſerbecken abhängig ſind, ſondern auch von der Höhenlage über
dem Meere, finden wir ähnliche natürliche Bedingungen für den Waldbau an ver—
ſchiedenen, oft weit voneinander getrennten Orten wieder. Die dazwiſchen liegenden
Gebiete weiſen dagegen ganz andere Verhältniſſe auf und verlangen daher andere
Wirtſchaftsweiſen. Um ſo mehr iſt ein gründliches Studium des Klimas notwendig,
2
Das Klima. 493
ehe die Einführung neuer Holzarten oder Wirtſchaftsverfahren in größerem Umfange
verſucht werden darf. Im Gebirge wird hierfür auch die Expoſition, d. h. die
Himmelsrichtung von Bedeutung, nach der ein Berghang abfällt. Nord- und Oſt—
hänge haben bei uns ein kälteres Klima und friſchere Böden als Süd- und Weſtlagen.
Seit langer Zeit ſchon haben die Forſtwirte die große Wichtigkeit erkannt, die
den verſchiedenen Anſprüchen der Waldbäume an die Belichtungsſtärke für den
Waldbau zukommt. Zwar können alle Holzarten im vollen Lichte erzogen werden,
aber praktiſch beſteht dieſe Möglichkeit doch nur dort, wo keine Froſtgefahr vor—
handen iſt. Es handelt ſich alſo nicht um den Schutz gegen zu ſtarkes Licht, ſondern
um die Fähigkeit, auch in dem gebrochenen Lichte eines mehr oder minder gelockerten
Kronendaches ſich zu entwickeln oder doch in entwicklungsfähigem Zuſtande zu er—
halten. Dieſe Fähigkeit iſt ſehr abhängig von der Geſamtwirkung der übrigen
Standortsfaktoren, vor allem der Bodenfeuchtigkeit; je günſtiger die ſonſtigen Lebens—
bedingungen ſich geſtalten, um ſo größer iſt das Schattenerträgnis einer Holzart.
Von unſeren Holzarten machen den größten Anſpruch an Licht: Lärchen, Pappeln,
Birken, Kiefern, Weiden; ſie werden als Lichthölzer bezeichnet. Den meiſten Schatten
können ertragen die Schattenholzarten: Tanne, Buche und Eibe; in der Mitte ſtehen
die Halbſchattenhölzer: Eichen, Eſchen, Edelkaſtanie, Ulme, Erle, Linde, Ahorn, Arve,
Hainbuche und Fichte. f
Für die im einzelnen Fall zu ergreifenden Maßnahmen iſt weiter zu beachten,
daß die Pflanze ihre Organe einrichtet nach der Lichtſtärke, die ihr geboten wird.
Blätter, die im Halbſchatten eines Kronendaches ausgebildet wurden, ſind gar nicht
fähig, bei voller Belichtung zu aſſimilieren, ein plötzlicher Übergang zum vollen Licht—
genuß ſchädigt daher oft die Entwicklung. Je länger ein Jungwuchs unter zu ſtarker
Beſchattung gelitten hat, um ſo langſamer muß ſeine Freiſtellung erfolgen.
2. Die klimatiſchen Waldeinheiten Europas und ihre Holzarten.
Wir können in Europa fünf Waldzonen unterſcheiden, bei deren Abgrenzung
ich mich an die von H. Mayr in ſeinem „Waldbau“ gemachten Vorſchläge halten
werde, obſchon ſie nicht durchweg völlig einwandfrei ſind.
1. Das Gebiet der immergrünen Laubhölzer — das Lauretum — beſitzt eine
mittlere Jahrestemperatur von 16—19. Genauer wird das Klima dadurch gekenn—
zeichnet, daß während der vier Monate Mai bis Auguſt (Vegetationszeit) die mittlere
Temperatur 20— 24, die Luftfeuchtigkeit 50 — 60% beträgt und 50—100 mm
Niederſchläge fallen. Die tiefſte Wintertemperatur beträgt — 5“. Das Lauretum
umfaßt nur die Küſtengebiete von Süd- und Weſteuropa bis zur Loiremündung und
reicht in Süditalien bis zu 500 m empor.
2. Die gemäßigt warme Zone des winterkahlen Laubwaldes oder das Caſtanetum.
Mittlere Jahrestemperatur 10—17, während der Vegetationszeit in Mitteleuropa
150 Mitteltemperatur, 80% Luftfeuchtigkeit und 200 mm Niederſchläge (im Süden
20-23 6, 50 60 ¾ , 100 —200 mm). Hierher gehören der größte Teil der Mittel—
meerländer und Frankreichs, der Süden Irlands und Englands, die warmen Täler
der öſterreichiſchen Alpenländer und der Schweiz, ja ſelbſt einzelne bevorzugte Striche
Südweſtdeutſchlands.
494 2. Abſchnitt.
3. Die Miſchwaldregion oder die kühlere Hälfte des winterkahlen Laubwaldes,
das Fagetum, zu dem der größte Teil der mitteleuropäiſchen Waldungen bis zur
Meereshöhe von 900 m im Süden, 600 m im Norden zu rechnen iſt. Die mittlere
Jahrestemperatur liegt zwiſchen 7 und 12“, die der Vegetationszeit zwiſchen 16 und
18°, die mittlere Luftfeuchtigkeit beträgt 70%, die Regenmenge 250 mm. Die
Wintertemperaturen gehen bis — 30“ herunter.
4. Über und nördlich der Buchenregion dehnt ſich bis zur Waldgrenze die
Zone des Fichten- und Lärchenwaldes, das Picetum, aus. Die mittlere Jahres-
temperatur erreicht nur noch 3— 7“, in den Sommermonaten 10 — 14“, die Luft—
feuchtigkeit beträgt 75%, an Niederſchlägen fallen während der Vegetationszeit 600
bis 800 mm. Die Winterkälte geht bis — 35.
5. Jenſeits der Grenze des geſchloſſenen Waldes kommt dann noch die Zone
der Krummhölzer, in der die Bäume nicht mehr höher als 7— 8 m werden oder gar
zu Geſträuch herabſinken. Die mittlere Temperatur des Jahres beträgt 1— 30, jene
der Vegetationszeit 8 — 10“, die kälteſten Tage haben im Hochgebirge —25, in der
Ebene bis — 45°. Die Luftfeuchtigkeit in den Sommermonaten beträgt 80% , an
Niederſchlägen bringen dieſe 800 mm.
Alle derartigen Einteilungen ſind ſelbſtverſtändlich bis zu gewiſſem Grade will—
kürlich, die Zonen greifen in der Natur ineinander über, das zeigt ſich ſofort, wenn
eine größere Anzahl von Holzarten der Betrachtung unterworfen wird. So liegt
das Optimum der Traubeneiche etwa auf der Grenze des Caſtanetum und Fagetum.
Aber auch die großen Zonen ſind keineswegs überall ſcharf geſchieden, ſo z. B. in
Südweſtdeutſchland Fagetum und Picetum; denn die Buche geht hier mit gutem
Gedeihen bis beinahe zur Baumgrenze, und als Krüppelbeſtand erreicht ſie dieſe, in
den Hochvogeſen geht fie höher hinauf als die Fichte. *)
Die Verhältniſſe des immergrünen Laubwaldes können hier nur flüchtig
geſtreift werden, zumal der Waldbeſtand jener Gebiete ſchon ſeit alter Zeit ſtark
mitgenommen iſt und bei den hohen Erträgen, die dort Gartenbau, Getreidezucht,
Ol und Weinkultur abwerfen, kaum jemals mehr eine erhebliche Ausdehnung ge—
winnen wird. Auf ſandigen und ſchwachlehmigen Böden finden wir vor allem die
Pinie (Pinus pinea L.), die ja auch des Fruchtertrags wegen in Gärten und Feldern
einzelſtändig gezogen wird. Noch wichtiger iſt die langnadelige Seeſtrandskiefer
(P. maritima Poir.), da ſie nicht nur ſehr gutes Holz, ſondern auch wertvolles Harz
in großen Mengen liefert, und ſich bei Dünenaufforſtungen ſehr bewährt hat. Von
fremden Kieferarten können für arme Sandböden P. insignis Dougl. und P. muricata
D. Don. empfohlen werden, für etwas anlehmige Sandböden dieſer Region verdient
P. palustris Mill. alle Beachtung, da fie das wertvolle Pitchepineholz liefert und die
Vorräte dieſes Baumes in ſeiner Heimat — Südſtaaten der amerikaniſchen Union —
immer mehr zuſammenſchwinden.
Auf guten Böden iſt von den einheimiſchen Arten des Gebietes am wichtigſten
die Korkeiche (Quercus suber L.), deren Rindenſchichten das beſte Korkmaterial
geben. Bei ſorgſamer Schonung der innerſten Schicht kann die Rindennutzung durch
) Die Belege ſiehe in des Verfaſſers „Pflanzengeographiſche Wandlungen der deutſchen
Landſchaft“.
Die Holzarten. 495
Jahrzehnte in ſechs- bis achtjährigem Turnus fortgeſetzt werden. Die weitverbreitete
immergrüne Steineiche (Quercus ilex I.) hat nur ein geringwertiges Holz, viel
beſſer iſt das der auch im ganzen Caſtanetum, ſo noch am Iſteiner Klotz bei Baſel,
gedeihenden winterkahlen flaumhaarigen Eiche (Q. pubescens Willd.). Größere
Pflege verdiente der Buchs (Buxus
sempervirens L.); denn wenn er
auch ſehr langſam wächſt, ſo iſt
dafür ſein Holz für feine Dreh—
arbeiten, für wiſſenſchaftliche In—
ſtrumente und eine Reihe anderer
Zwecke wegen ſeines feinen gleich—
mäßigen Gefüges ſehr geſucht und
hoch bezahlt. In den Waldungen
dieſer Zone finden wir ferner Eſche,
Ahorn, Hainbuche, Hopfenbuche
(Ostrya carpinifolia Scop.) und die
Edelkaſtanie, in den leider vorwiegen—
den mißhandelten Buſchwäldern auch
eine Reihe minderwertiger Geſträuche,
die hier oft die beſſeren Hölzer faſt
ganz verdrängen. Zum Anbau zu
empfehlen wären die verſchiedenen
Zedernarten, Mammutbäume (Se-
quoia sempervirens Endl.), die
Himalajatränenkiefer (Pinus excelsa
Wall.), Pseudotsuga macrocarpa
Mayr, Platanus orientalis L., Mag-
nolia grandiflora L. und für ver-
ſumpfte Gebiete Taxodium disti—
chum Rich. und Eucalyptus globu-
lus Lab.
In den Forſten des wärmeren
Teils der Zone des winterkahlen
Laubwaldes treffen wir häufig
von Natur und angebaut Arten an,
deren Optimum in einer der küh⸗ Abb. 8. Junge Kiefer, freiſtändig erwachſen, daher mit ſtarker,
leren Zonen liegt. Soweit ſie auch weitausliegender Beaſtung. (Phot. G. Urff.)
für das Caſtanetum größere Be—
deutung haben, ſollen ſie gleich hier beſprochen werden. So findet z. B. der ty—
piſche Baum der ärmeren trockenen Sandböden, die gewöhnliche Kiefer, Föhre oder
Forle (Pinus silvestris L.) die günſtigſten Lebensbedingungen in der Buchenregion,
geht aber auch in die kühle Zone des Fichtenbergwaldes hinauf. Holz beſter Qualität
liefern heute ſowohl Skandinavien, die ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen und die nordoſt⸗
deutſche Tiefebene als wieder Mittelfranken (Hauptsmoor bei Bamberg) und das
496 2, Abſchnitt.
Hügelland zwiſchen Schwarzwald und Odenwald. Die Kiefer iſt heute für ausge—
dehnte Gebiete Mitteleuropas die wichtigſte Holzart, in den meiſten andern nimmt
ſie die zweite oder doch dritte Stelle ein, d. h. hinter der Fichte bezw. hinter Eiche
und Fichte oder Buche. Ihre forſtliche Bedeutung liegt einmal in der Fähigkeit,
auch auf den geringſten Böden zu wachſen und noch leidliche Erträge zu liefern.
Anderſeits iſt ſie natürlich auch für beſſere Böden ſehr dankbar und erreicht auf
ihnen die höchſte Vollendung mit Baumhöhen von 40 m und Durchmeſſer von 60 cm
und mehr. Die Holzmaſſenerzeugung beträgt je nach der Bodengüte bei 60 jährigem
Hiebsalter 200 - 600, bei 100 jährigem 350 — 900, bei 140 jährigem 400 - 1100 ebm.
In der Jugend ſehr ſchnellwüchſig, kommt ſie frühzeitig zum Schluß, d. h. dazu,
daß die einzelnen Stammindividuen ſich mit den Zweigen berühren und ſo den
Boden beſchirmen. Dieſer wird dadurch der Einwirkung von Wind und Sonne ent—
zogen, eine etwa vorhandene Unkrautvegetation wird erſtickt, die geſunde Mullerde—
bildung aus den abgefallenen Nadeln eingeleitet. Daher verbeſſern junge Kiefern—
beſtände häufig den Boden. Im höheren Alter freilich ſtellt ſie ſich licht und läßt
den Boden unter ſich verangern, ſo daß eine Unterbauung mit Schatthölzern ratſam
iſt. Außerſt vielſeitig iſt die Verwendbarkeit des Kiefernholzes. Schon die ſchwachen
Stangen, die bei den erſten Durchforſtungen anfallen, liefern Reb- und Zaunſtecken.
Erbſen⸗, Bohnenſtangen und ſonſtige kleine Nutzhölzer, wie fie beſonders die Land—
wirtſchaft in großen Mengen nötig hat. 30—50 jährige Hölzer geben Telegraphen—
und Leitungsmaſten, Gerüſtſtangen und auch bereits Grubenholz für den Bergbau.
Dieſes, ſowie Schwellen und ſchwache Bauhölzer bilden den Hauptertrag, wenn die
Kiefernbeſtände bereits mit 60—80 Jahren zum Einſchlag gebracht werden. Das
wertvollſte Holz kann aber erſt in Umtrieben von 120 — 160 Jahren erzeugt werden;
denn erſt mit dieſem Alter hat die Verkienung, d. h. die Bildung eines harzreichen
Kerns den größten Teil des Schaftes erfaßt. Das harzreiche Kernholz beſitzt eine
ſehr große Dauer, hohe Elaſtizität und Tragfähigkeit. Es iſt daher ein vorzügliches
Bauholz, nicht nur für Häuſer, ſondern auch unter der Erde und im Waſſer ſowie
für Schiffe, für Fenſterrahmen, Türen und ähnliche Sachen, die der wechſelnden
Luftfeuchtigkeit ausgeſetzt ſind und ſich doch nicht ziehen und werfen ſollen. Weiter
liefert es vorzügliche Riemen für Parkettböden, es wird vom Schreiner zu allen
möglichen billigen Möbeln verarbeitet, eignet ſich zur Straßenpflaſterung und der—
gleichen mehr. Nicht zu breitringig erwachſenes, nur von ſchwachen Zweigreſten durch—
ſetztes, gut verkientes Kiefernkernholz ſteht an Güte dem amerikaniſchen Pitchepine,
das heute noch auch in Deutſchland ihm vielfach zu Unrecht vorgezogen wird, kaum
nach und wird es künftig erſetzen müſſen. Solches Holz kann aber nur erzogen
werden, wenn die Kiefer in der Jugend im engen Schluß erwächſt. Steht ſie da—
gegen frei oder in lockerem Verband, jo werden die Aſte zu ſtark und legen ſich,
wie Abb. 8 zeigt, weit aus, ſie ſterben auch erſt ſpät ab und die einwachſenden
ſtarken Stummel beeinträchtigen dann die Holzgüte erheblich. Ahnlich ungünſtige
Formen entſtehen, wenn die Kiefer einzeln eingeſprengt iſt in einem jungen Beſtand
einer langſamer wachſenden Holzart, da ſie dieſe bald überholt und dann auch eine
breitausgelegte Krone bildet.
Auch zur Feuerung wird das Kiefernholz, das eine raſch hitzende Flamme gibt,
Hausrath, Der Wald
Kanus Weymoutskieſer.
STUTTGART
(Phot. Arff, Hanau.)
AUG ' 119%
Die Holzarten. 497
gern genommen. Die feinjten Zweige mit den Nadeln dienen in manchen Gegenden
feingehackt als Einſtreu in den Ställen, in vielen andern wird dazu der aus den
abgefallenen Nadeln und Mooſen beſtehende Bodenüberzug verwendet.
Die beiden Formen der Schwarzkiefer Pinus Laricio austriaca und corsicana
Poir. nehmen ebenfalls
mit armen Sandböden
vorlieb, ihre Erträge ſind
aber weſentlich kleiner als
jene der gemeinen Kiefer,
und ihr Holz weniger
wertvoll, obwohl es zu
den gleichen Zwecken ver—
wendet wird. In den
wärmeren Teilen ihres
Verbreitungsgebietes iſt
der Harzgehalt der
Schwarzkiefer ſo groß,
daß ſich die Gewinnung
lohnt. Sie erfolgt, in—
dem in den Fuß des
Stammes eine Ver—
tiefung (Napf) gehauen
und das darüber liegende
Stück bis auf den Splint
entrindet wird. Das aus
dieſem austretende Harz
fließt in flachen, in das
Holz gehauenen Rinnen
dem Napf zu. Die Ent⸗
rindung wird jedes Jahr
um etwa 40 cm erwei⸗
tert, bis ſie etwa zwei
Drittel des Stamm—
umfanges enthält und
bis zu 6 m über den
Boden emporreicht. Der
Hauptwert der Schwarz-
kiefer für die Forſtwirt— Abb. 9. Lärchenzweig. (Phot. G. Urff.)
ſchaft beſteht jedoch da-
rin, daß ſie auch auf ſteinigen, trockenen, leicht erhitzbaren Kalkböden gedeiht und
deren Aufforſtung ermöglicht, ja ſie durch ihren reichen Nadelabfall ſoweit verbeſſert,
daß in der Folge wertvollere Arten angebaut werden können.
In den wärmſten Teilen des Caſtanetums kann auch die Seeſtrandskiefer Ver—
wendung finden, deren vielſeitige Vorzüge bereits beſprochen wurden.
Hausrath, Die Waldwirtſchaft. 32
498 2. Abſchnitt.
Von Laubhölzern iſt die wichtigſte Art die Hainbuche (Carpinus betulus L.).
Zu vollem Gedeihen fordert ſie allerdings friſchen tiefgründigen lehmhaltigen Boden,
aber ſie kann auch auf Sandböden noch wachſen, und wird gerade hier als Geſell—
ſchafterin der Kiefer wertvoll, indem ſie im höheren Alter den Bodenſchutz über—
nimmt. Ihr Holz iſt ein ſehr gutes Brennmaterial und ein ausgezeichnetes, elaſtiſches,
hartes Werkholz für Dreher, Wagner, Modellſchreiner und für Schuhleiſten. Glatte
Stämme mit 30 em Durchmeſſer, wie ſie allerdings nur auf den beſſeren Stand—
orten wachſen, werden heute mit 50—60 Mk. für das Kubikmeter bezahlt, und oft
iſt der Bedarf an ſolchem Holz gar nicht mehr zu decken. Im Mittel- und Nieder-
wald wird ihr reicher Stockausſchlag wertvoll.
Auf den geringſten Sandböden, auf denen die Hainbuche verſagt, iſt die Birke
(Betula verrucosa Ehr.) die einzige einheimiſche Laubholzart, die der Kiefer beige—
ſellt werden kann. Auf Torfboden vertritt fie Betula pubescens Ehr. Ihr Elima-
tiſches Optimum finden beide erſt in der Fichtenregion, kommen aber auch von
Natur im Caſtanetum vor. Nicht minder ſind ſie ſehr bodenvag, zur vollen
Stammentwicklung bedürfen ſie mindeſtens mittelkräftigen Boden. Für die hier zu
beſprechenden Standorte liegt ihre Bedeutung darin, daß ſie eine Unterbrechung der
einförmigen Kiefernwälder und damit eine Verminderung der gerade in dieſen
beſonders großen Feuersgefahr ermöglichen. Zudem iſt ihr Holz von Drechslern,
Schreinern, Wagnern ſehr geſucht, auch zur Feuerung ſehr geeignet, zumal es auch
friſch gehauen gut brennt. Reine Birkenbeſtände führen allerdings leicht zur Ver—
ringerung des Bodens.
Von fremden Holzarten kommt ſelbſt für die geringſten Sandböden des
Caſtanetums in erſter Linie in Betracht, die „falſche Akazie“ (Robinia pseudacacia L.)
Der aus Nordamerika ſtammende, zu den Schmetterlingsblütlern gehörende Baum iſt
bereits im 17. Jahrhundert bei uns eingeführt worden. Die Rinde iſt in der
Jugend graubraun mit zahlreichen Dornen beſetzt, im Alter geht ſie in eine grau—
bis braunſchwarze, tiefriſſige, dicke Borke über. Die Blätter ſind unpaarig gefiedert,
die einzelnen (11—15) Blättchen eirund vorn abgeſtutzt, die weißen Blüten bilden
große hängende Trauben, die Frucht iſt eine braune Schote. Das Holz iſt im Kern
grüngelb bis braun, im Splint gelb, ſehr dauerhaft, daher für Erdbauten, als
Schwellen und Grubenholz, zu Rebſtecken, Pfählen, Wagnerarbeiten ſehr geeignet
und auch als Brennholz geſucht. Als Stickſtoffſammler gedeiht die Robinie auch
noch auf armen, ebenſo auf rohem Boden — Schutthalden — und verbeſſert ſie.
Dabei iſt ſie ausgeſprochene Lichtholzart, in der Jugend ſehr raſchwüchſig, im Alter
verlangt ſie lockeren Schluß, wie er auf ärmeren Böden von ſelbſt durch frühes
Abſterben der meiſten Stämme entſteht. Auf beſſeren Standorten erliegt ſie dagegen
im geſchloſſenen Hochwald oft dem Wettbewerb wuchskräftigerer Holzarten und eignet
ſich hier mehr für Mittel- und Niederwald. Nachteilig werden ihr leicht frühe
Herbſtfröſte, ſie kann daher nur noch für die wärmeren Teile der Buchenzone in
Betracht kommen. Für etwas beſſere Sandböden kann auch Pinus Jeffreyi Murr.
empfohlen werden, eine aus der Küſtenregion des Stillen Ozeans ſtammende, drei—
nadelige Kiefer, die in ihrer Heimat Höhen von 60 m erreicht. Die Nadeln werden
bis 25 em lang, ſind weißlichgrün, die Rinde iſt in der Jugend weißblau oder
Die Holzarten. 499
rötlich bereift, ſie geht vom dritten Jahr in eine graue Borke über. Die Knoſpen—
ſchuppen ſind hellrotbraun. Das Holz hat einen roſafarbenen Kern und iſt für
Bauten und Möbelſchreinerei ſehr geeignet. Lufttrockene Gebiete ſind vom Anbau
auszuſchließen. In den wärmſten Teilen des Caſtanetums kann auch die beim
Lauretum erwähnte Pinus palustris mit gutem Erfolg kultiviert werden.
Für die beſſeren Böden des Caſtanetums, beginnend mit den lehmhaltigen
friſchen Sanden, ſind von den einheimiſchen Waldbäumen am wichtigſten die beiden
Eichenarten: Quercus pedunculata Ehrh. und O. sessiliflora Salisb. Ihr Optimum
liegt, wie ſchon erwähnt, an der Grenze der Buchenregion, in der ſie in Deutſchland
noch bis etwa 500 m mit gutem Gedeihen anſteigen. Dies gilt vorzüglich von
Q. sessiliflora der Traubeneiche, die an Bodengüte und Klima noch etwas beſcheidenere
Anſprüche macht als die Stieleiche. Sie bildet z. B. die weltberühmten Beſtände
des Speſſart, die den Beweis liefern, daß ſelbſt ein nur mittlerer Buntſandſtein—
boden zur Eichenzucht durchaus geeignet iſt, wenn nur der Umwandlungsprozeß der
abgefallenen Blätter in Mullerde ſich ungeſtört vollzieht, und weiter, daß dieſes Ziel
durch eine zweckmäßige Miſchung mit der Rotbuche erreicht werden kann. Im
reinen Beſtand ſtellt ſich dagegen die Eiche frühzeitig licht und läßt den Boden
verangern.
Starke Eichenſtämme werden im Speſſart heute mit 500 Mk. für den Kubik—
meter bezahlt, ſie verdanken das ihrem feinen, gleichmäßigen Jahrringbau, der es
erlaubt, die feinſten Fourniere aus ihnen zu ſchneiden. Und wenn auch die Preiſe
in anderen Waldgebieten dahinter erheblich zurückbleiben, ſo ſind die ſtarken Eichen
doch faſt überall die am höchſten bezahlten Hölzer, nur in einzelnen Gegenden
erreichen ſtarke Eſchen die gleichen, ja noch etwas günſtigere Preiſe.
Das Eichenholz iſt das dauerhafteſte Bauholz unſerer Zone, und wird daher
beſonders für Waſſer⸗, Erd- und Schiffsbauten benutzt, der Bauſchreiner bevorzugt
es für Riemenböden, Türen, Fenſterrahmen, die Möbelinduſtrie verarbeitet große
Mengen; Fäſſer für geiſtige Getränke werden faſt ausſchließlich daraus hergeſtellt.
Auch die geringeren Sorten finden zahlreiche Abnehmer, ſie dienen als Grubenholz,
zu Eiſenbahnſchwellen, ſchwachen Balken, Rebſtecken, Wagnerarbeiten und dergleichen
mehr. Geſundes Eichenholz iſt auch ein vortreffliches Brennmaterial, nur heute meiſt
für dieſen Zweck zu teuer. Die Eichenrinde iſt der beſte der einheimiſchen Gerb—
ſtoffe. Daher wurden früher vielfach Eichenniederwälder nur wegen der Loh—
gewinnung (Schälwald) angelegt. Fremde Gerbſtoffe (Quebracho) und die Mineral—
gerbung haben aber ſeit etwa 25 Jahren die Preiſe der Eichenrinde jo herab—
gedrückt, daß die Produktion in den meiſten Fällen nicht mehr lohnt.
Die Gefahren, die der Eiche drohen, ſind gering; in der Jugend iſt ſie freilich
gegen Spätfröſte ſehr empfindlich und in naßkalten Lagen leidet die Güte des Holzes
durch Froſtriſſe und Krebsbildungen. Der Hauptnachteil iſt der langſame Wuchs,
auch in den klimatiſch günſtigſten Gebieten ſind zur Erzeugung von Starkhölzern
140 160 Jahre nötig, die Speſſarteichen find 200—400 Jahre alt. Die Eichen⸗
zucht wirft daher trotz der hohen Preiſe nur eine mäßige Rente ab. Trotzdem
ſollte ſie auf allen geeigneten Standorten betrieben werden, denn bei der andauernden
Abnahme der Eichenvorräte werden die Preiſe noch weiter ſteigen.
500 2. Abſchnitt.
Minderwertig iſt dagegen das Holz der in Südoſteuropa heimiſchen Zerreiche
(Quercus Cerris L.).
Die Edelkaſtanie (Castanea vesca Gaertn.) liefert in ihrem natürlichen Ver—
breitungsgebiet ein dem der Stieleiche ähnliches auch im Wert und der Verwendungs—
weiſe naheſtehendes Holz. Meiſt wird ſie indeſſen hauptſächlich der Früchte wegen
kultiviert und kommt erſt als überalter anbrüchiger Baum zum Hiebe. Noch mehr
iſt dies außerhalb ihrer Heimat der Fall, wo ſie als hochſtämmiger Baum ſchon
früh unter Froſtriſſen leidet. Ihr Holz kann daher in der Regel nur zum Brennen
oder zur Herſtellung eines in der Lederinduſtrie benutzten Gerbſtoffextraktes ver—
wendet werden. Viel wichtiger iſt der Kaſtanienniederwald, der in Weingegenden
zur Rebſteckenzucht dient und vor allem auf lehmigen Sandböden hohe Erträge, bis
zu 16 ebm für das Jahr und Hektar liefert. Endlich eignet ſie ſich ſehr gut als
Bodenſchutzholz unter Kiefern, denn ihr großes Laub zerſetzt ſich raſch und trägt zur
Bodenbeſſerung weſentlich bei. Bäuerlichen Beſitzern dient ihr Kaſtanienbuſch oft in
erſter Linie als Streulieferant.
Der Feldahorn (Acer campestre L.) erwächſt im Caſtanetum zu einem ſtarken
Baum und beſitzt ein ſchön gemaſertes, von Drehern geſuchtes, hartes Holz. Ebenſo
verdienen hier ſowie im wärmeren Teil der Buchenregion Wildkirſche (Prunus
avium L.), Elsbeere und Speierling (Sorbus torminalis L. u. domestica L.) wenig—
ſtens im kleinen Umfang Berückſichtigung, da ihr Holz für Wagner, Dreher und
Möbelſchreiner wertvoll iſt. Feldrüſter (Ulmus campestris L.) und Flatterulme
oder Iffe (U. effusa Willd.) find im Fagetum wie Caſtanetum heimiſch. Erſtere
hat ein zähes, elaſtiſches, dauerhaftes, daher früher von Wagnern ſehr geſuchtes,
heute wenig begehrtes Holz. Wegen der ſchönen braunen Farbe des Kerns wird es
vielleicht doch in der Möbelſchreinerei einmal wieder größere Beachtung finden. Das
Holz der Flatterrüſter iſt dagegen an ſich geringwertig, wenn es nicht gerade ſchöne
Maſerungen aufweiſt. Der nur im ſüdlichen Teil des Caſtanetums gedeihende,
ebenfalls zu den Ulmaceen gehörende Zürgelbaum (Celtis australis L.) liefert auf
gutem Boden ein vorzügliches Werkholz.
Von den eigentlich in der Buchenregion heimiſchen Arten können auf gutem
friſchem Boden Spitzahorn und Sommerlinde ſehr wohl gezogen werden, nicht aber
empfiehlt ſich der Anbau von Weißtanne und Fichte, da ſie hier nach raſcher
Jugendentwicklung bald im Wuchs nachlaſſen und vielerlei Beſchädigungen durch
Inſekten und Pilze unterliegen. In Dürrejahren tritt daher oft ein maſſenhaftes
Abſterben ein.
Sehr anſehnlich iſt die Zahl der fremden Holzarten, die auf den guten Böden
dieſer Zone anbauwürdig ſind. Wir beginnen mit den Zedern, die in der Benade—
lung den Lärchen ähneln, indem die langen, vierkantigen, langzugeſpitzten Nadeln an
den Längstrieben vereinzelt, an den Kurztrieben in Büſcheln vereinigt ſtehen. Doch
leben die Nadeln der Zedern mehrere Jahre, ſodaß ſie ſchon daran im Winter leicht
von den Lärchen zu unterſcheiden ſind. In ihrer Heimat erreichen die Zedern Höhen
von 40 m und Stärken von 2 m. Sie verlangen aber feuchte Luft ſowie Schutz
gegen Herbſtfröſte und tiefe Wintertemperaturen. Das bräunliche Holz iſt weich, da—
her gut zu bearbeiten, und doch von hoher Dauer. In Betracht kommen 3 Arten:
Die Holzarten. 501
Cedrus atlantica Man., in Nordafrika heimiſch, mit bis 3,5 em langen, ſteifen, dunkel—
grünen Nadeln, behaarten jungen Trieben und ſtets aufrechtem Gipfel; C. Libani
Barr., Nadeln ebenſo, Triebe kahl, Gipfel überhängend; C. Deodara Loud. aus dem
Himalaja, Nadeln 5 em lang, hellgraugrün, dünn und weich, Triebe kahl, Gipfel
überhängend.
Die Küſtendouglaſie oder grüne Douglastanne (Pseudotsuga Douglasii Carr.)
aus der pazifiſchen
Küſtenregion iſt für das
Caſtanetum ſowie die
wärmeren Teile des Fa—
getums ein ſehr wert—
voller Baum. Die Na—
deln ſind matt dunkel—
grün, jenen der Tanne
ähnlich, aber ziemlich
lang zugeſpitzt und von
aromatiſchem Geruch.
Sie ſtehen allſeitig, nur
bei kümmernden Exemp—
laren ſcheinbar zweizeilig.
Die Knoſpen ſind glän—
zend rotbraun, die gelb—
grüne Rinde der jungen
Triebe wird ſpäter grau—
braun und geht allmäh—
lich in eine braungraue,
gefelderte, ſtarke Borke
über. Das Holz hat weiß—
gelben Splint und dunkel—
rotbraunen Kern, iſt ſehr
dauerhaft und dem Lär—
chenholz gleichwertig.
Die Douglafie erreicht
Höhen von 50 m und
mehr, iſt ſehr raſch—
wüchſig, aber froſt—
empfindlich. Vor allem Abb. 10. Zweig der Douglastanne. (Phot. G. Urff.)
verlangt ſie hohe Luft—
feuchtigkeit und mindeſtens mittelkräftigen, tiefgründigen Boden. Wo ihr beides ge—
boten wird, gedeiht ſie auch noch in der Fichtenzone. Außer dem Froſt gefährden ſie
hauptſächlich das Wild und dann der Wurzelpilz. Ihre Wuchsleiſtungen mögen durch
die Mitteilung erläutert werden, daß ſie im Stadtwald von Heidelberg auf lehmigem
Buntſandboden mit 25 Jahren eine Maſſe von 371 ebm pro ha, d. h. 16 Fm Geſamt—
zuwachs fürs Jahr erreicht hat.
502 2. Abſchnitt.
Auch dem Laien iſt wohl die Geſtalt des Lebensbaumes bekannt, ſie bildet den
Typus der Thujen und Scheinzypreſſen, deren junge Triebe flachgedrückt erſcheinen.
Dieſer Eindruck kommt dadurch zuſtand, daß an Ober- und Unterſeite der Zweige
breitere Blattſchuppen (Flächenblätter) ſitzen, an den Flanken nur ſchmale Kanten⸗
blätter ſtehen. Die beiden Gattungen ſind ſchon dadurch leicht zu unterſcheiden, daß
bei den Scheinzypreſſen der Gipfel ſtets überhängt und ſich erſt im zweiten Jahr,
wenn der neue Holzkörper angelegt wird, aufrichtet, bei den Thujen dagegen immer
aufrecht ſteht. Ein feinerer Unterſchied beſteht in der Anlage der Oldrüſe der Schuppen—
blätter. Bei jener Gattung iſt ſie flach oder eingeſenkt, bei den Thujen hervorgewölbt.
Für das Caſtanetum und die wärmeren Teile des Fagetum kommen in Betracht:
Chamaecyparis Lawsoniana Parl., Schuppenblätter oben glänzend dunkelgrün, unten
dunkelgrüngrau
mit unſcharf ab-
gegrenztem weißem
Saum. Oldrüſe
gleichfarbig mit
dem Blatt. Rinde
rotbraun. Das
Holz iſt gelb ſeiden⸗
glänzend, von aro⸗
matiſchen Olen
durchtränkt, ſehr
dauerhaft und gut
zu bearbeiten. Der
Baum ſtammt aus
der Küſtenregion
Sa Weſtamerikas, be-
Abb. 11. Zweige fremder Koniferen. darf hoher Luft⸗
1. Chamaecyparis Lawsoniana Parl. 2. Chamaecyparis obtusa Sieb. et Zucc. feuchtigkeit und in
3. Thuja gigantea Nutt. 4. Juniperus virginiana L. 5. Cryptomeria japonica Don. d a
(Phot. Dr. H. Hausrath.) en erſten Jahren
Schutz gegen Froſt,
dann iſt er ſehr raſchwüchſig. Aus dem Küſtengebiet von Oregon bis Alaska ſtammt
Chamaecyparis nutkaensis Spach, die ſich von der vorigen Art durch derberen
Zweigbau, abſtechende Schuppenblätter und Fehlen des weißen Saumes unterſcheidet.
Das ebenfalls ſehr dauerhafte Holz iſt ſchwachgelb bis gelbgrau. Noch wertvoller iſt
die aus Japan ſtammende Ch. obtusa Sieb. et Zuce. mit feinem, leichtem, roſafarbenen
Kernholz, braunroter Rinde, dunkelgrünen Schuppenblättern, deren weißer Saum ſcharf
abgeſetzt iſt. Von den Lebensbäumen iſt der wichtigſte Thuja gigantea Nutt. aus
der pazifiſchen Region Nordamerikas, ein ſehr raſchwüchſiger Baum, der aber unbe—
dingt hohe Luftfeuchtigkeit nötig hat. Die Oberſeite der Zweige iſt glänzend dunkel—
grün, die untere hellgraugrün ohne helleren Rand. Die Spitze der Kantenblätter
ſteht etwas vom Trieb ab. Das unſcheinbar graue Kernholz iſt von großer Dauer,
daher für alle Arten von Bauten und einfache Möbel ſehr geeignet.
Der Mammutbaum (Sequoia gigantea Desen) mit allſeitig abſtehenden, 5 mm
Die Holzarten. 503
langen, pfriemenförmigen, dunkelgrünen Nadeln und rotbrauner Rinde gehört zu den
Baumrieſen des amerikaniſchen Weſtens. Bei hoher Luftfeuchtigkeit und kräftigem,
friſchem Boden entwickelt er ſich auch bei uns ſehr raſch. Der Splint iſt weißgelb,
das Kernholz hellrotbraun, leicht, ſehr dauerhaft und gut zu bearbeiten.
Cryptomeria japonica Don. hat dreifantige, pfriemenförmige Nadeln mit am
Trieb herablaufender Baſis, die in fünf Zeilen ſtehen. Die Zweige bleiben bis zum
dritten Jahr grün,
werden dann rot—
braun bis violett,
ſpäter färbt ſich die
Rinde grausrotbraun
und geht im Alter in
eine dicke weiche Borke
über. Der Baum iſt
ſehr lichtbedürftig,
empfindlich gegen
Winterkälte und Luft⸗
trockenheit. In ihrer
Heimat erreicht die
Cryptomeria Höhen
von 60 mund Stärken
von 2 m und liefert
ein leichtes, ſehr
dauerhaftes, rot-
braunes Kernholz, das
zu Balken, Brettern,
Fäſſern, Schindeln,
Kiſten uſw. verwendet
wird.
Zu den älteren
Einführungen gehört
der Bleiſtiftbaum
(Juniperus virgini—
ana L.), ein Wacholder
mit ſilbergrauen, 1
bis 1½ cm langen ee 128 >
Nadeln, wohlriechen⸗ Abb. 12. Tulpenbaum, n 55 7 (Zur Verfügung geſtellt von
dem, leicht rötlich—⸗
braun gefärbtem Holz. In Deutſchland erreicht er kaum nutzbare Stärken, wohl
aber iſt er für den wärmeren Teil des Caſtanetums auf friſchen bis feuchten Böden
ſehr geeignet.
Unter den fremden Laubhölzern, die in dieſer Zone anbauwürdig ſind, hat das
beſte Holz die weiße Hickory (Hickoria ovata Britton) aus den Südoſtſtaaten der
amerikaniſchen Union. Sie gehört zu den Nußbäumen, hat ein fünfzähliges Fieder—
504 2, Abſchnitt.
blatt, bei dem die drei vorderen Blättchen viel größer (10—20 em lang) find als
die beiden hinteren. Der Rand der Blätter iſt ſtumpf geſägt, behaart, die Blatt—
unterſeite etwas heller grün als die Oberſeite. Die grauweiße Rinde blättert in
langen Fetzen ab. Die grüne Fruchthülle hat vier tief eingeſchnürte Nähte. Das im
Splint weißlichgelbe, im Kern ſchwachbraune Holz iſt ſehr ſchwer, aber beſonders der
Splint ſehr elaſtiſch, ſo daß es das beſte Material für Wagen ſowie alle Zwecke iſt,
bei denen es auf hohe Zähig—
keit und Elaſtizität ankommt.
Die Hickory beanſprucht
einen tiefgründigen, kräfti⸗
gen, friſchen Boden in froſt—
freier warmer Lage, kann
alſo nur noch im mildeſten
Teil des Fagetum gedeihen.
Die Jugendentwicklung iſt
ſehr langſam, vom 15. Jahr
an ſetzt dann ein kräftiger
Wuchs ein, ſo daß nutzbare
Stärken mit 60 Jahren er-
reicht ſind. Die anderen
Hickoryarten ſind noch
wärmebedürftiger, aber nicht
wertvoller.
Die gewöhnliche Wal⸗
nuß (Juglans regia L.) kann
im Bereich des Caſtanetums
ebenfalls mit Erfolg im
Walde angezogen werden.
Ihr Holz iſt bekanntlich für
feine Möbel, für Drechsler—
und Wagnerarbeiten ſehr
beliebt. Sehr empfehlens⸗
wert ſind ſodann die beiden
nordamerikaniſchen Arten,
die auch in den wärmſten
Abb. 13. Silberpappel, Populus alba. (Phot. Forſtaſſeſſor O. Feucht.) froſtfreien Lagen der Buchen⸗
zone gedeihen; die Schwarz—
nuß (J. nigra L.) mit 40 em langen, weichen, lebhaft grünen, aber glanzloſen Fieder-
blättern, einer borſtig behaarten, lang zugeſpitzten Fruchthülle und rundlichen Nüſſen.
Das braunviolett bis ſchwarz gefärbte Kernholz wird mit 500 / per ebm bezahlt.
Die graue Nuß (J. einerea L.) hat weiche, graugrüne, behaarte Fiederblätter, eine
rotbraune, zottige Fruchthülle, eiförmige, langzugeſpitzte Nüſſe. Ihr Holz iſt etwas
weniger wertvoll und ihr Wuchs langſamer, dafür aber ihre Empfindlichkeit gegen
Froſt geringer als bei den vorigen Arten. In noch höherem Grade iſt das letztere
Die Holzarten. 505
der Fall bei der raſchwüchſigen japaniſchen Nuß (J. Sieboldiana Maxim), die daher
nach Mayr auch im ganzen Fagetum anbauwürdig iſt. Bei ihr ſind die Fieder—
blättchen eiförmig, beiderſeits weichwollig behaart, größer als bei unſerer Nuß. Die
Fruchthülle iſt locker behaart, die Nuß eiförmig, kurz zugeſpitzt. Das Holz ſteht im
Wert dem der Graunuß gleich.
Ebenfalls aus Japan ſtammt Zelkova Keaki Dippel, eine Ulmazee mit aus—
geſprochen zweizeiliger Veräſtelung, lang zugeſpitzten, tiefgezähnten, beiderſeits behaarten
Blättern und grauer Rinde. Sie beanſprucht guten Boden und hohe Luftfeuchtigkeit
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Abb. 14. Baumweiden. (Phot. Forſtaſſeſſor O. Feucht.)
und liefert ein dem Eichenholz gleichwertiges Material. In der Jugend trägt der
Baum oft ſich nicht ſelbſt und muß daher an Stützen aufgebunden werden.
Von den Magnolien iſt im Caſtanetum und den wärmeren Lagen des Fagetum
die Homagnolie (Magnolia hypoleuca Sieb. et Zuce.) anbauwürdig. Die länglich⸗
eiförmigen Blätter erreichen die Größe von einem halben Meter, ſie ſind oberſeits
kräftig grün, unterſeits hell weißgrün gefärbt. Die weiße tellerförmige Blüte hat
einen Durchmeſſer von 12 em, Staubfäden und Fruchtſtände ſind leuchtend rot. Sie
ſtammt aus Japan und China, verlangt guten Boden und nach den erſten Jahren,
in denen ſie ſehr froſtempfindlich und für leichten Schirm dankbar iſt, vollen Licht⸗
genuß. Das grüngraue Holz iſt ſehr elaſtiſch und dauerhaft, daher für feine Tiſchler—
und Wagnerarbeiten vorzüglich geeignet.
In den gleichen Grenzen iſt der aus dem Oſten von Nordamerika als Park—
baum ſchon länger eingeführte Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera L.) zum Anbau
506 2. Abſchnitt.
geeignet. Der Name ſtammt von den grüngelben tulpenförmigen Blüten, das oben
glänzend-, unten mattgrüne große Blatt iſt dreilappig, wobei der rechteckige Mittel—
lappen weit vorſpringt. Die aſchgraue Rinde geht ſpäter in eine tiefriſſige Borke
über. Der Tulpenbaum wird bis 60 m hoch und über 1 m eſtark und liefert ein
leichtes, dauerhaftes, hellgelbgrünes Holz, das zu Schiffs-, Erd- und Waſſerbauten,
als Blindholz für Möbel, zur Zündholz- und Papierfabrikation verwendet und auch
ſchon lange bei uns als „amerikaniſches Pappelholz“ in den Handel gebracht wird.
Unſerer Traubenkirſche ähnlich iſt die nordamerikaniſche Prunus serotina Ehrh,
ſie unterſcheidet ſich jedoch von ihr durch die aufrechten Blütenſtände und die derberen,
oben glänzenden Blätter, die auf der Unterſeite in den Blattwinkeln meiſt roſtgelb
behaart ſind. Das harte Holz iſt wegen ſeines roten Kernes für feine Möbel ſehr
geeignet. Zu einem ſtarken Baum erwächſt die ſpätblühende Traubenkirſche, aber nur
auf kräftigem Boden und in warmem Klima; ins mittlere Fagetum oder auf trockene
Böden gebracht bleibt ſie ein Halbbaum, der höchſtens Kleinnutzholz für Dreher liefert.
Das Holz der allgemein bekannten Roßkaſtanie (Aesculus hippocastanum L.)
wird wegen ſeiner lichtgelben Farbe und des gleichmäßigen Baus heute von der
Möbelinduſtrie viel begehrt, ihr Anbau iſt im Caſtanetum daher zu empfehlen. Das
gleiche gilt von dem in Gärten ſchon lange kultivierten Trompetenbaum aus Oſt—
amerika (Catalpa speciosa Warth.) mit etwa 5 cm langen, röhrenförmigen, weißen,
gelb und violett gefleckten, in aufrechten Riſpen ſtehenden Blüten, geſtielten, eiförmig
zugeſpitzten bis fünfeckigen etwa 30 em langen Blättern und grauer riſſiger Borke.
Der Trompetenbaum iſt ſehr raſchwüchſig und hat ein dunkelbraunes, äußerſt hartes
Holz, iſt aber gegen Winterkälte ſehr empfindlich. Endlich wäre noch zu nennen die
in Japan und China heimiſche Paulownia imperialis Sieb. et Zuce., deren glocken—
förmige hellviolette Blüten ebenfalls aufrechte Riſpen bilden. Die 20—30 em großen
Blätter ſind langgeſtielt, eiförmig, mit 5 kurzen vorſpringenden Spitzen, beiderſeits
weich behaart.
Für feuchte und naſſe Böden iſt der wichtigſte einheimiſche Baum die euro—
päiſche Eſche (Fraxinus excelsior L.), die vom Caſtanetum bis ins mittlere Piee—
tum verbreitet iſt. Sie verlangt mineraliſch kräftigen Boden. Auf wirklich naſſen
Standorten gedeiht ſie nur, wenn das Waſſer fließt, d. h. ſauerſtoffreich iſt. Sie iſt
ſehr raſchwüchſig und beſonders als Oberholz im Mittelwald heute viel angebaut.
Das Holz iſt weißgelb, im Kern leicht bräunlich, ſehr elaſtiſch und ſowohl für feinere
Möbel, als zu Wagenbauten, zur Ausſtattung von Eiſenbahnwagen, ferner zu Schnee—
ſchuhen, Turngeräten, Werkzeugſtielen u. dergl. ſehr geſucht. Starkhölzer — von 50 em
Durchmeſſer an —, wie fie in der Buchenzone auf gutem Boden in 70—90 Jahren
erzogen werden können, werden heute mit 80 — 100 / pro ebm bezahlt. Das Eſchen—
laub dient in vielen Gegenden als Viehfutter.
Weiter kommen für dieſe Standorte die verſchiedenen Pappelarten: Populus
alba L., Populus nigra L. und P. canescens Smith in Frage, die alle ſehr raſch—
wüchſig, ziemlich froſthart und lichtbedürftig ſind. Ihr leichtes, weiches Holz wird
zu groben Schnitzwaren, Kiſten, Zündhölzern, Papiermaſſe, aber auch als Blindholz
für Möbel verwendet und gut bezahlt. Sie eignen ſich beſonders als Oberholz im
Auenmittelwald längs der Ströme. Die Schwarzpappel kann auch mit gutem Erfolg
Die Holzarten. 507
auf Schutthalden angepflanzt werden. Wo die Näſſe noch größer wird, geſellen ſich
zu den Pappeln die Baumweiden (Salix alba L., S. fragilis L.), deren Holz zu den
gleichen Zwecken benutzt wird, wie das der Pappeln. Von den in den kühleren Zonen
heimiſchen Arten können die Erlen hier angebaut werden, ſie leiden aber in dem
warmen Klima des Caſtanetum leicht Not, wenn zeitweiſe Trockenheit eintritt, und
werden dann oft von einem Rüſſelkäfer (Cryptorhynchus Lapathi) fo ſtark befallen,
daß ſie frühzeitig abſterben.
Mehr empfiehlt ſich, die aus Oſtamerika ſtammende Chamaecyparis sphaeroidea
Spach. Von der oben genannten Lawſonszypreſſe unter ie ſie ſich durch feinere
Zweigbildung, den deutlich abgeſetzten
weißen Saum und die rötliche Sl—
drüſe. Das leichte, gelbe Kernholz iſt
ſehr dauerhaft und vielſeitig verwend—
bar. Mayr rät ferner den Anbau des
auf Friedhöfen viel gepflanzten ge—
wöhnlichen Lebensbaumes, Thuja oc-
cidentalis L., an, gekennzeichnet durch
die deutlich hervortretende rundliche
Oldrüſe, die matthellgrüne Farbe der
Zweigunterſeite und den unangenehmen
Geruch der zerriebenen Triebe. Ob—
wohl langſamwüchſig, erreicht er in
der Heimat — Oſtamerika — gewaltige
Abmeſſungen: 32 m Höhe, 1,5 m
Durchmeſſer und hat ein ſehr dauer—
haftes Holz. Auch die in den Süd—
oſtſtaaten der Union heimiſche Sumpf—
zypreſſe (Taxodium distichum Rich.)
wird für naſſe Ortlichkeiten des Ca-
ſtanetums brauchbar ſein. Sie hat
zweierlei Nadeln, ſtumpfe, einzeln— f
ſtehende an den Längstrieben, ſpitze, Abb. 15. Kanada-Pappel. (Phot. Forſtamtmann Dr. Wimmer.)
jenen unſerer Eibe ähnliche, zweizeilig
geſtellte an den Kurztrieben, mit denen zuſammen ſie im Herbſt abfallen. Die Sumpf—
zypreſſe gehört in ihrer Heimat zu den größten Baumrieſen, ihr braunes Kernholz
iſt weich, leicht und ſehr dauerhaft.
Wo unſere Pappeln gedeihen, iſt auch der Anbau der kanadiſchen Pappel
(Populus monilifera Aiton) möglich. Sie ähnelt in der Baumform (Abb. 15) unſerer
Silberpappel, hat aber glatte, grüne, nur am Rande behaarte Blätter. Unſern ein—
heimiſchen Pappeln iſt ſie an Wuchs überlegen, mit 30 Jahren erreicht ſie auf gutem
Boden Höhen von 31 m und Maſſen von 2—4 cbm. Bei höherem Alter wird fie
leicht anbrüchig. Sie eignet ſich vorzüglich zu Oberholz im Mittelwald. Neuerdings
werden auch verſchiedene Spielarten und Baſtarde in den Handel gebracht, die der
kanadiſchen Pappel an Wuchskraft noch überlegen ſein ſollen, ſo P. robusta aut. Doch
u
28
1
EBEN?
m
508 2. Abſchnitt.
iſt deren weitere Entwicklung noch abzuwarten. — Der größte Teil der deutſchen
Forſten gehört in die Zone des gemiſchten Waldes oder die Buchenregion. Auf
trockenen Sanden herrſcht die gewöhnliche Kiefer, der ſich die Birke, ab und zu auch
die Aſpe zugeſellt. Iſt der Boden etwas friſcher, ſo findet auch die Hainbuche ſich
ein. Für Dünenaufforſtungen in der Seenähe hat ſich die Bergkiefer (Pinus montana
Mill.) ſehr bewährt, nicht wegen ihres Holzes, ſondern weil ſie dem heftigſten Wind
widerſteht und in ihrem Schutze dann wertvollere Arten — insbeſondere die gewöhn—
liche Kiefer — erzogen werden
können. N
Auf den ärmſten Sanden
verdient die aus Nordoſtame—
rika ſtammende Pinus bank-
siana Lamb. vor der einheimi—
ſchen den Vorzug, da ſie weſent—
lich anſpruchsloſer iſt. Die
Banksföhre hat kürzere, 2—6 cm
lange Nadeln, hellgelbe verharzte
bucklige Knoſpen. Bei gutem
Gedeihen bildet ſie jährlich nicht
nur einen Aſtquirl, ſondern auch
noch Zwiſchen- oder Scheinquirle
am vorigjährigen Jahrestrieb.
An dieſen trägt ſie dann auch
früh Zapfen, was bei ihr nicht
als Zeichen ſchlechten Gedeihens
anzuſehen iſt. Das Holz iſt
dem unſerer Föhre ungefähr
gleich, der waldbauliche Wert
der Art beruht eben auf den
geringen Anſprüchen. In den
a 5 wärmeren Teilen des Fagetums
Abb. 16. Weiß⸗ oder Grauerle. (Phot. Forſtaſſeſſor O. Feucht.) kann auch die Robinie der Kiefer
zugeſellt werden; ſelbſt wenn ſie
nicht aushalten ſollte, verbeſſert ſie doch durch Anſammlung von Stickſtoff den Boden.
Flache, ſteinige Kalkböden werden der gewöhnlichen Kiefer, in wärmeren Lagen
gemeinſam mit der Schwarzkiefer überlaſſen. Jede Beimiſchung von Laubholz iſt
dabei erwünſcht. Nach den neueſten Erfahrungen empfiehlt es ſich, bei der erſt—
maligen Aufforſtung ſolcher Böden, und zwar bis zur oberen Grenze der Fichten—
region hinauf, die Grauerle (Alnus incana Willd., Abb. 16) zu verwenden, einen
einheimiſchen Halbbaum, deſſen Holz minderwertig iſt, der aber auf dieſen Böden
und ebenſo auf geringen Sanden ſowie den feinerdearmen Kiesbänken im Verlandungs—
gebiet unſerer Flüſſe den Pionier bildet, den Boden feſthält, Humus und Stickſtoff—
ſalze ihm zuführt, ſo daß dann unter ſeinem lichten Schirm andere Bäume heran—
gezogen werden können.
Die Holzarten, 509
Für gute Böden vom lehmigen Sand bis zu den ſchwachſandigen Lehmen und
Tonen ſei nochmals in den milden Lagen, d. h. bis 300 m Meereshöhe im Norden,
500 m im Süden Deutſchlands, die Anzucht der Traubeneiche als der wertvollſten
Holzart empfohlen. Außer den ſchon erwähnten Eichenforſten des Speſſart ſtocken
auf ſolchen Standorten die zwar nicht ſo ausgedehnten, aber kaum minder ſchönen
Beſtände des Pfälzer Waldes, ferner jene der Nordvogeſen.
Von Natur überwiegt in dieſem ganzen Gebiet auf mittleren und guten, nicht
zu feuchten Böden die Rotbuche (Fagus silvatica L.). Waldbaulich iſt ſie die wich—
tigſte Holzart; denn bei einigermaßen geeigneter Behandlung erhält ſie den Boden
im günſtigſten Zuſtande und erlaubt dadurch den erfolgreichen Anbau einer Reihe
anderer Bäume. So hat man in manchen Buntſandſteingebieten die Erfahrung ge—
macht, daß die erſte Kieferngeneration, die man an Stelle von Buchen brachte, aus—
gezeichnet wuchs, brachte man dann wieder reine Kiefern hin, ſo war dieſe zweite
Generation ſchon viel geringer und bereits die dritte geradezu ſchlecht. In Miſchung
mit der Buche aber gedeiht die Kiefer auf dieſen Böden andauernd ausgezeichnet.
Die Maſſenerträge der Buche ſind auf beſſern Böden recht anſehnlich; nehmen
wir als Abtriebsalter 120 Jahre, jo liegen fie zwiſchen 350 und 1250 chm für 1 ha.
Aber der Wert ihres ſchweren, wenig dauerhaften, bei wechſelnder Feuchtigkeit
„arbeitenden“ Holzes iſt nur mäßig. Wohl iſt es eines der allerbeſten Brennhölzer,
aber die mineraliſchen Kohlen verdrängen es immer mehr. Es wird ferner gebraucht
zu — imprägnierten — Eiſenbahnſchwellen, Straßenpflaſter, Bootskielen, Parkett—
riemen für Arbeitsräume, gebogenen Stühlen, gewöhnlichen Möbeln, Wagen, Schlitten,
Pflugſterzen und andern Ackergeräten, Fäſſern für fette und trockene Waren, groben
Schnitz⸗ und Drechſlerarbeiten, Bürſtenhölzern, Kiſtchen und dergleichen mehr. Aber
der Bedarf iſt nicht ſo groß und der Wettbewerb anderer Stoffe zu lebhaft, als
daß größere Maſſen zumal der mittleren und geringeren Stärken zu Preiſen abſetzbar
wären, welche die Buchenzucht ſo lohnend machten wie den Anbau von Fichte und
Kiefer. Es iſt das bedauerlich, denn es zwingt zur Einſchränkung der Buchen—
waldungen, zu ihrer Überführung in ſtark von Nadelholz durchſetzte Beſtände. Eine
völlige Verdrängung der Buche wäre aber wegen ihrer waldbaulichen Vorzüge un—
gerechtfertigt. Sie wäre häufig verbunden mit einem Rückgang der Bodenkraft, und
da ein ſolcher leider heute ſchon in manchen Fällen eingetreten iſt, beſteht bei den
meiſten Forſtverwaltungen das Streben, die Buche im Nadelwald wenigſtens als
Unterſtand zu erhalten und ſie, wo ſie fehlt, wieder einzubringen. M. E. ſollte,
wo die Buche noch vorhanden, ihr auch im herrſchenden Beſtand ein Anteil von
25— 35% dauernd gewahrt werden, damit fie künftig wieder natürlich verjüngt
werden kann und damit auch die Rückkehr zum Buchenwald in ſpäterer Zeit möglich
iſt, falls ſich die Preisverhältniſſe im Laufe der nächſten hundert Jahre zugunſten
der Buche ändern ſollten; eine Möglichkeit, die ebenſowenig beſtritten wie erwieſen
werden kann. Nachteilig werden der Buche Spätfröſte und ſtehende Näſſe, ſelbſt
nach nur vorübergehender Überſtauung bei Hochwaſſer geht ſie meiſt ein, fehlt daher
im Überſchwemmungsgebiet. Weiter iſt ſie gegen die Streunutzung empfindlich, wenn
dieſe nicht bloß mit ſehr langen Zwiſchenräumen wiederkehrt.
Berg⸗ wie Spitzahorn (Acer pseudoplatanus L. und platanoides L.) haben
510 2. Abſchnitt.
ihr Optimum in der Buchenzone, gehen aber auch noch mit gutem Wuchs in die
Fichtenregion, ja erſterer ſogar bis zu deren oberen Grenze. Sie ſind ziemlich raſch—
wüchſig und gegen Fröſte wenig empfindlich. Ihr ſchön weißes, oft gemaſertes Holz
iſt für Möbel, Schnitz- und Dreherarbeiten ſehr geſucht. Beſondere Bedeutung hat
ihr Anbau für Geröllhalden, auf denen die Feinerde von großen Steinen überdeckt
und zwiſchen dieſen verſteckt iſt, da ſie auch hier noch gut gedeihen. Von den Ulmen—
arten finden wir außer den beiden ſchon erwähnten noch Ulmus montana With.
Abb. 17. Bergahorn, Acer pseudoplatanns. (Phot. G. Urff.)
deren Holz von Schreinern und Wagnern verwendet wird. Die beiden deutſchen
Linden (Tilia parvifolia Ehrh. und T. grandifolia Ehrh.) ſind im Walde ziemlich
ſelten geworden; ſie verdienten eine größere Beachtung, da ſie raſchwüchſig ſind und
ihr leichtes weiches Holz gut bezahlt wird. Verwendet wird es zu Schnitzwaren,
Zeichenbrettern, Möbelblindholz und Kiſten. Die Linden vertragen Überſchirmung
gut und geben reichen zählebigen Stockausſchlag, ſie können daher als Unterholz im
Mittelwald und zur Unterpflanzung von Lichtholzbeſtänden ſehr gut verwendet werden.
Auch die Aſpe oder Zitterpappel (Populus tremula L.) ſollte mehr als bisher nach—
gezogen werden; denn ihr Holz wird für Zündhölzer, Papierfabrikation, grobe
Schnitzarbeiten, Kiſten und dergleichen ſehr geſucht. Deutſchland muß zur Zeit ſehr
beträchtliche Mengen dieſes Holzes aus Rußland einführen. Die Aſpe hat ihr
Optimum im kühleren Fagetum; zu einem anſehnlichen Baume erwächſt ſie nur auf
Die Holzarten. 511
gutem, friſchem Boden, vermag aber auch noch auf trockenen Standorten zu exiſtieren.
Wo alte Aſpen ſtanden, treten nach dem Abtrieb oft Wurzelausſchläge in großer
Menge auf, die jedoch nicht lange aushalten, alſo zur Beſtandesbildung nicht ver—
wertbar ſind. Als Begleiter der Buche kommen auf kräftigen Kalkböden ferner die
Eſche ſowie die früher erwähnten Sorbusarten in Betracht.
Das wichtigſte der Nadelhölzer iſt die Edel- oder Weißtanne (Abies pectinata D. C.),
die jedenfalls mehr zur
Buchen- als zur Fichten-
region gehört. Bleibt
ſie doch z. B. im Schwarz—
wald bezüglich des An—
ſteigens hinter der Buche
zurück und geht dafür
freiwillig in die wärmſten
Teile des Fagetums her—
unter, allerdings nicht
ohne in Dürrejahren
Schaden zu leiden. Als
ausgeſprochene Schatt—
holzart verjüngt ſie ſich
in der Natur unter dem
Schirm des alten Be—
ſtandes leicht, ja dieſer
iſt ihr in der Jugend
in den meiſten Lagen
zum Schutz gegen den
Froſt nötig. Anfänglich
langſam wüchſig, behält
ſie dafür bis ins hohe
Alter eine große Wuchs⸗
energie bei. Mit 120
Jahren ſind ihre Be—
ſtände die maſſenreichſten
unſerer einheimiſchen
Holzarten. Die Geſamt—
erträge liegen bei dieſem
Hiebsalter zwiſchen 750
und 1950cbmproSeftar.
Das Tannenholz iſt ein vorzügliches Bauholz, es liefert Bretter für alle mög—
lichen Verwendungsarten, junge Beſtände geben Stangen für Einfriedigungen, Bau—
gerüſte, Leitungsmaſte, Baumpfähle, Rebſtecken, ſodann Rollen zur Papierfabrikation.
Auch Schindeln und andere Spaltwaren werden aus Tannenholz gemacht. Beliebter
freilich noch iſt für alle dieſe Zwecke, wenn wir von Bauten im Waſſer und unter
oder in unmittelbarer Berührung mit der Erde abſehen, das Fichtenholz, da es
Abb. 18. Tanne und Fichte. (Phot. Forſtaſſeſſor O. Feucht.)
512 2. Abſchnitt.
etwas leichter und weißlicher gefärbt iſt, auch beſſer ſpaltet als das Tannenholz. In
vielen Gegenden machen übrigens die Händler zwiſchen beiden keinen Unterſchied.
Als Brennholz iſt das tannene beſſer, auch die Rinde alter Stämme gibt ein vorzüg—
liches Feuerungsmaterial. Zu erwähnen iſt noch die Verwendung des Tannenreiſes
als Deckmaterial für empfindliche Pflanzen in Gärtnereien, weiter zu Schmuckzwecken,
Kränzen uſw. Es eignet ſich hierzu viel beſſer als Fichtenreis, da die Nadeln viel
länger friſch bleiben. Das gleiche gilt für Weihnachtsbäume.
In der kühleren Hälfte der Buchenzone iſt die Fichte durchaus angebracht, in
der wärmeren leidet ſie viel unter Rotfäule, Inſekten und Dürreſchaden, auch liefert
ſie hier ein brauſches, wenig wertvolles Holz. Jedenfalls ſollten ihr hier vorwiegend
feuchte Standorte und tunlichſt Oſt- und Nordlagen angewieſen werden. Der große
Vorzug der Fichte beſteht in der vielſeitigen Verwertbarkeit ihres Holzes, der Leichtig—
keit, mit der ſie ſich überall anbauen läßt, und den hohen Maſſenerträgen. Was
erſteren Punkt anbelangt, ſo treten zu den bei der Tanne genannten Benutzungsarten
noch die Anfertigung feiner Spalt- und Flechtwaren und von Reſonanzböden für
muſikaliſche Inſtrumente. Zu dieſem letzteren Zweck ſind allerdings nur ſehr gleich—
mäßig gewachſene aſtfreie Stammabſchnitte brauchbar, wie ſie faſt nur in Hochlagen
und beſonders in Urwaldungen ſich finden. Die Fichtenrinde wurde ehemals viel
in den Gerbereien benutzt und wird heute noch als Zuſatz zu andern Materialien
verwendet. Früher ſpielte auch bei der Fichte die Harznutzung eine große Rolle,
heute hat ſie faſt ganz aufgehört. Die Erträge liegen bei 60 jährigem Hiebsalter je
nach der Bodengüte zwiſchen 250 und 900, bei 80 jährigem zwiſchen 450 und 1300,
bei 100 jährigem zwiſchen 600 und 1600, bei 120 jährigem zwiſchen 700 und 1850 ebm
jeweils für 1 ha. Dieſe hohen Wuchsleiſtungen verbunden mit der Möglichkeit, auch
das Holz 50 jähriger Beſtände leicht und gut zu verkaufen, haben der Fichte die
große Beliebtheit verſchafft, die wieder dazu führte, daß ſie weit über ihr natürliches
Verbreitungsgebiet auf großen Flächen angebaut wurde, und zwar meiſt in reinen
Beſtänden; denn die Fichte iſt gegen andere Holzarten ſehr unduldſam. Dieſe Maſſen—
verbreitung iſt nicht unbedenklich, gibt es doch keine Holzart, die mehr den Beſchädi—
gungen durch Tiere, Pilze und Elementargewalten ausgeſetzt wäre, als gerade die Fichte.
In Griechenland wird unſere Tanne vertreten durch Abies cephalonica Link,
in Spanien durch A. pinsapo Boiss., beide würden auch bei uns gedeihen, beſitzen
aber keine Vorzüge, die den Anbau rechtfertigten. Auch die fremden Fichtenarten
ſind nicht wertvoller als die einheimiſche. Dagegen verdient die Eibe (Taxus
baccata L.) auf kräftigen Böden Schonung, ja in beſcheidenem Umfange Begünſti—
gung, da ihr ſehr ſchön rotbraun gefärbtes Kernholz ungemein feſt und elaſtiſch iſt,
daher von Drehern und in ſtärkern Abſchnitten auch von Möbelfabrikanten ſehr gut
bezahlt wird. Dem ausgedehnteren Anbau ſteht leider entgegen, daß die Eibe ſo
ungemein langſam wächſt.
Die europäiſche Lärche iſt im oberen Fichtengürtel heimiſch, ſie ſteigt aber z. B.
auf den Molaſſeböden des Bodenſeegebietes freiwillig bis auf 500 m herunter, und
die zahlreichen Kulturverſuche, die ſchon im 16. Jahrhundert begannen und im 19.
über ganz Mitteleuropa ausgedehnt wurden, haben gezeigt, daß ſie im ganzen Buchen—
gebiet gedeiht, falls ſie nur richtig behandelt wird, d. h. wenn ſie auf kräftige friſche
Die Holzarten. 513
Böden gebracht und jo erzogen wird, daß fie bis zum Alter eine große Krone be-
hält. Dieſe ſoll mindeſtens / der Schaftlänge einnehmen. Sie iſt dann ſehr raſch—
wüchſig und liefert ein rotbraunes, harzreiches Kernholz von hoher Dauer, das bei
Erd⸗, Waſſer⸗ und Schiffsbauten das Eichenholz erſetzen kann, und auch für die
Bau- wie Möbelſchreinerei, zu
Leitungsmaſten und Baum—
pfählen ſehr geſucht iſt. Da
die Lärche eine ausgeſprochene
Lichtholzart iſt, darf ſie mit
Rückſicht auf den Boden nur
in Miſchung mit Schatthölzern
erzogen oder muß frühzeitig
mit ſolchen unterbaut werden.
Welche von den im Ca—
ſtanetum heimiſchen ausländi—
ſchen Holzarten auch in der
wärmeren Hälfte des Buchen—
gebietes anbauwürdig ſind,
wurde bereits geſagt. Weiter
kommen in Betracht: Abies
Nordmanniana Link aus dem
Kaukaſus. Sie unterſcheidet
ſich von unſerer Tanne haupt—
ſächlich durch die kräftigeren
Nadeln, die nach den Seiten
und oben abſtehen, ſo daß
der Zweig von oben viel voller
erſcheint (Abb. 20 u. 21). Da⸗
durch wird ſie zu einem der
ſchönſten Nadelhölzer. Wald—
baulich hat ſie den Vorteil, daß
ſie etwa 14 Tage ſpäter aus⸗
treibt als die Weißtanne und
daher ſeltener von Spätfröſten
beſchädigt wird. Da ſie kein
beſſeres Holz liefert als dieſe
und langſamer wächſt, iſt es
jedoch nicht ratſam, fie all-
Abb. 19. Lärchen. (Phot. Forſtaſſeſſor O. Feucht.)
gemein anzubauen, vielmehr wird man ſich mit ihrer Verwendung als Schmuckbaum
an viel beſuchten Plätzen begnügen.
Ferner: Pseudotsuga glauca Mayr, die aus dem Felſengebirge ſtammende
„blaue“ oder Kolorado Douglaſie, iſt froſthart und beanſprucht weniger Luftfeuchtigkeit
als die grüne Küſtendouglaſie.
Sie iſt daher für den größeren Teil des Fagetums
und unteren Picetums geeigneter als dieſe, obwohl ſie erheblich langſamer wächſt.
33
Hausrath, Die Waldwirtſchaft.
514 2. Abſchnitt.
Sie unterſcheidet ſich von ihr durch kürzere, dickere und ſteifere, dunkelbläulichgrün
bis weißgrün gefärbte Nadeln, matte Knoſpenfarbe und rechtwinklig abſtehende Blüten—
ſchuppen. An Stelle der europäiſchen Lärche kann auch die ſibiriſche Larix sibirica
mit längeren, weicheren Nadeln und ſchwarzen Knoſpenſchuppen verwendet werden.
Sie wächſt geradſchafti—
ger, aber langſamer als
jene. Die eine zeitlang
viel empfohlene japani—
ſche Lärche (Larix lepto-
lepis Gord.) hat ſich
dagegen nicht bewährt.
Schon in der Mitte
des 18. Jahrhunderts
ſind Anbauverſuche mit
der Weymouthskiefer an
verſchiedenen Orten
Deutſchlands gemacht
worden. Pinus strobus
L. ſtammt aus Oſtamerika
und iſt dort das wich—
tigſte Nadelholz. Sie
gehört zu den fünfnade—
ligen Kiefern. Die Na⸗
deln find 7—8 em lang,
dünn und graugrün
(Abb. 22). Die Knoſpen
ſind hellbraunrot. Die
junge Rinde iſt grau,
im Alter geht ſie in eine
graubraune riſſige Borke
über. Die ſehr regel⸗
mäßig gebauten Aſtquirle
ſind meiſt noch im höhe—
n Se 4 4 ren Alter am Stamm
20. Zweig von der Nordmannstanne, Oberſeite. (Phot. G. Urff.) deutlich zu erkennen, da
die Abſtoßung der ab—
geſtorbenen Aſte nur ſehr langſam erfolgt. Es iſt daher nötig, die Weymouthskiefer
in der Jugend eng geſchloſſen zu halten, damit die unteren Aſte gar nicht erſt ſtark
werden. Auf kräftigen, friſchen Böden des Fagetums und kühleren Caſtanetums ſo—
wie im unteren Picetum iſt die Strobe ſehr raſchwüchſig. So hat ein 5Sjähriger
Beſtand im Stadtwald von Frankfurt bei einer mittleren Höhe von 25 m bereits eine
Maſſe von 833 Fm für das Hektar erlangt. Das ſehr harzreiche Holz iſt ſehr gleich—
mäßig gebaut, kurz nach der Fällung weich und leicht zu bearbeiten, beim Austrocknen
wird es dann hart und feſt. Für die Verwendung zu Brettern und Stangen iſt es
Die Holzarten. 515
unſerm Fichtenholz mindeſtens gleichwertig und hat noch den Vorzug höherer Dauer,
zu Balken dagegen iſt es weniger geeignet, weil die ſtark ausgebildeten Aſtquirle die
Elaſtizität vermindern. Leider wird die Strobe oft im Jugend- und Stangenholz—
alter viel vom Wurzelpilz und vom Blaſenroſt heimgeſucht und ſtirbt dann maſſen—
weis ab, häufig ehe ſie
nutzbare Stärken erreicht
hat. Es iſt daher jeden—
falls Vorſicht beim An—
bau angezeigt; je wär—
mer das Klima iſt, um
ſo feuchterer Boden ſollte
gewählt werden. Mayr
empfiehlt zu ihrem Er—
ſatz, die auf den Ge—
birgen Griechenlands
heimiſche Pinus Peuce
Griesebach mit ebenfalls
fünf langen, aber ſtei—
feren, an den Trieb an-
gedrückten Nadeln, da
ſie widerſtandsfähiger
gegen Pilzinfektionen iſt.
Der gleiche Gelehrte riet
zu Verſuchen mit der
Zuckerföhre (P. Lamber-
tiana Dougl.) aus Weſt—
amerika mit fünf kurzen,
ſteifen, ſtehenden Nadeln.
Der Name rührt davon
her, daß dem Splint bei
Verletzungen ein ſüßer
Saft entſtrömt. Sie iſt
zwar langſamwüchſiger
als die andern Arten der
Sektion Strobus, hat
aber ein ſehr leicht zu
bearbeitendes; Holz, deſſen Wert am beſten durch die Mitteilung Mayrs gekenn—
zeichnet wird, daß die Amerikaner bereits um 1900 ſich entſchloſſen, auch abgeſtorbene,
Bäume zu Brettern zu verarbeiten, da der Vorrat an lebenden Bäumen zur
Neige ging.
Von Laubhölzern ſind zunächſt zwei nordamerikaniſche Roteichen zu nennen:
Quercus rubra L. und Q. palustris Münch. Von den europäiſchen Arten ſind fie
leicht an der Blattform zu unterſcheiden, denn die Lappen der Roteichen ſind nicht
abgerundet, ſondern zackig und laufen in haarfeine Spitzen aus. Das Blatt von
Abb. 21. Zweig von der Nordmannstanne, Unterſeite. (Phot. G. Urff.)
516 2. Abſchnitt.
rubra hat nur flache Einbuchtungen, die höchſtens / der Blattſpreite betreffen, wäh—
rend das von palustris ſehr tief, faſt bis an den Mittelnerv eingeſchnitten iſt. Beide
Arten liefern ein weniger wertvolles Holz als unſere, es kann aber für Möbel recht
gut verwendet werden, dabei machen ſie geringere Anſprüche an den Boden und
wachſen ſchneller. Sie anzubauen, wo unſere Eichen gedeihen, wäre verfehlt, höchſtens
an Wegen, um der ſchönen roten Herbſtfärbung willen mögen Ausnahmen gemacht
werden; wo jene verſagen, wird gegen den Anbau in mäßigem Umfang nichts ein—
zuwenden ſein.
Nicht ſeines Holzes wegen, ſondern als Zuckerlieferant könnte auch der oſt—
Abb. 22. Zweig von der Weymouthskiefer. (Phot. G. Urff).
amerikaniſche Zuckerahorn (Acer saccharinum Marsh.) in der Buchenzone angebaut
werden. Er ähnelt in der Blattform dem Spitzahorn, unterſcheidet ſich aber von ihm
einmal durch das gänzliche Fehlen des Milchſaftes in Trieben und Blättern, ferner
durch die nach vornen zuſammenneigenden Fruchtflügel, während dieſe beim Spitzahorn
bekanntlich faſt wagrecht auseinanderſtehen. Die Gewinnung des Saftes geſchieht
einfach ſo, daß der Stamm an ſeinem Fuß angebohrt, ein Röhrchen in das Loch ge—
ſteckt und unter deſſen Ausmündung ein Gefäß geſtellt wird. Der Saft fließt dann
vom Anfang Januar bis zum Laubausbruch — Anfang April — aus. Nach Mayr
wurden 1900 in den Vereinigten Staaten von 60 Farmen rund 6000 000 kg Zucker
und 9000000 1 Sirup im Wert von 11,5 Millionen Mark gewonnen. Etwa die
Hälfte aller in der Union erzeugten Süßſtoffe ſtammt vom Zuckerahorn.
Die Holzarten. 5417
Für feuchte und naſſe Böden der Buchenzone kommt neben Eſchen, Pappeln,
Fichten und Baumweiden vor allem die Schwarzerle (Alnus glutinosa Gaert.) in
Betracht. Sie erträgt ſelbſt ſaure Böden, wenn nur das Waſſer etwas Luft enthält
und mineraliſche Nährſtoffe zuführt, ſie iſt daher die wichtigſte Holzart des Bruch—
bodens, wie er ſich im Überſchwemmungs- und Verlandungsgebiet großer Flüſſe und
Seen bildet. Auf nur noch friſchem Boden leiſtet die Schwarzerle noch befriedigendes,
wenn er mineraliſch kräftig und humos iſt, ſonſt iſt fie gegen Verminderung der
Abb. 23. Arven. (Phot. G. Urff.)
Bodenfeuchtigkeit ſehr empfindlich. Daher erklärt ſich der Rückgang ſo vieler Erlen—
brüche aus dem Sinken des Grundwaſſerſpiegels. Die Schwarzerle iſt ſo gut wie
froſthart, ſomit für die Aufforſtung naſſer Froſtlöcher viel geeigneter als Eſche oder
Fichte. Das Holz färbt ſich ſofort nach der Fällung gelblichrot, es iſt als Brenn—
holz beliebt. Abſchnitte von 25 em Durchmeſſer an bilden ein gut bezahltes Nutzholz,
das für Waſſerbauten, Möbel, Zigarrenkiſten verwendet wird.
Die wichtigſte Holzart der kühlen Bergwaldregion iſt die Fichte oder Rottanne,
deren Vorzüge wir bereits kennen lernten. Auf trockenem, ſandigem wie felſigem
Boden herrſcht auch hier die Kiefer, ebenſo finden wir ſie in der Abart »turfosa«
neben den Legföhren auf Torfboden, ja ſie allein gibt auf dieſem noch einen beſchei—
denen Ertrag, während die Fichte meiſt nur kümmerlich vegetiert. Auf den beſſeren
Standorten geſellen ſich der Fichte je nach Bodenfeuchtigkeit und Höhenlage Eſche,
518 2, Abſchnitt.
Bergahorn, Buche, Tanne und Kiefer bei, während Lärche und Arve mehr in reinen
Beſtänden auftreten. Dieſe beiden ſind es bekanntlich auch, die in den höchſten Lagen
faſt allein den Wald bilden. Die Arve, noch Zirbel genannt (Pinus cembra L.), hat
ein leichtes, weiches, biegſames, dauerhaftes Holz von rötlicher bis gelbbrauner Farbe,
das als Bauholz, für Möbel, Schindeln, Vertäfelungen, Böttcher- und Drechsler—
arbeiten ſowie Holzſchnitzereien verwendet wird. Der Samen (die Zirbelnüſſe) iſt
eßbar. Sie iſt langſamwüchſig, aber gerade für die Hochlagen wegen ihrer Sturm—
feſtigkeit ſehr geeignet.
Von ausländiſchen Arten kommen für den Anbau in der Fichtenregion haupt—
ſächlich in Betracht: die Koloradodouglaſie, die ſibiriſche Lärche, in den tieferen und
mittleren Lagen die Weymouthskiefer. Auch die ſibiriſche Zirbel (Pinus sibirica Mayr),
von andern nur als Varietät von P. cembra L. angeſehen, kann angebaut werden,
ſie ſoll raſchwüchſiger ſein als die Alpenzirbel und wird von Mayr auch für naßkalte
Ortlichkeiten der Ebene empfohlen.
Über der Waldgrenze bilden einzelne ſturmzerzauſte Fichten, Arven und Lärchen
die äußerſten Vorpoſten, dazwiſchen finden wir Legföhren- und Grünerlengebüſche, die
oft große Flächen überziehen. Hier im Kampfgebiet gegen die Unbilden des Klimas
hört jede planmäßige Wirtſchaft auf, die Aufgabe des Forſtwirtes beſchränkt ſich
darauf, alle lebenden Bäume und Sträucher zu erhalten, damit ſie den Weideflächen
und dem tiefer gelegenen Kulturland Schutz gegen die aushagernden Stürme, gegen
Lawinen und Steinſchlag geben.
3. Die Formen des Wirtſchaftswaldes.
So wie uns heute der Wald in Deutſchland entgegentritt, iſt er, von verſchwin—
denden Ausnahmen abgeſehen, nicht das Ergebnis der frei waltenden Naturkräfte,
ſondern das gemeinſame Erzeugnis dieſer und menſchlicher, mehr oder weniger ziel—
bewußter Tätigkeit. Denn ſelbſt wenn der Beſitzer ſich darauf beſchränkt, die ver—
wertbaren Bäume zu nutzen, und die Fürſorge für den Nachwuchs ganz der gütigen
Mutter Natur überläßt, ändern die Hiebe die Lebensbedingungen der bleibenden
Stämme und beeinfluſſen häufig den Waldboden, indem ſie dem Licht und dem Regen,
oft auch dem Winde beſſeren Zutritt gewähren. Anderſeits gilt auch für den Wald
das alte Wort, daß die Natur ſich durch keine Gewalt meiſtern läßt.
Der höchſte wirtſchaftliche Erfolg wird auf die Dauer ſich daher nur erzielen
laſſen, wenn die Waldwirtſchaft ſich den natürlichen Faktoren anpaßt. Je mehr dieſe
Erkenntnis ſich durchſetzt, um ſo zahlreicher werden die Formen, die der Wirtſchafts—
wald annimmt. Ihre Zahl iſt heute ſchon nicht ganz klein. Der jüngſt verſtorbene
Münchner Profeſſor Mayr führt in ſeinem Waldbau nicht weniger als 72 an.
Wollen wir in dieſe Fülle der Erſcheinungen etwas Überſichtlichkeit bringen, ſo
teilen wir ſie am beſten nach der Art ein, wie die Verjüngung erfolgt, d. h. wie der
junge Wald entſteht. Die Nadelhölzer vermehren ſich bekanntlich faſt nur durch Samen,
die Laubhölzer dagegen auch durch Sproßbildung, d. h. Ausſchläge, die am unteren
Teil des Stammes oder an den Wurzeln entſtehen, wenn der Baum in nicht zu
hohem Alter gehauen oder geköpft wird. Wälder, die nur aus Samenpflanzen —
Kernwüchſen — beſtehen und auch nur durch ſolche verjüngt werden ſollen, nennen
wir Hochwaldungen.
Die Betriebsarten. 519
Benützt die Verjüngung dagegen vorwiegend oder ausſchließlich den Aus—
ſchlag der hart am Boden abgehauenen Stämme oder der Wurzeln, ſo entſteht der
Niederwald.
Gemeinſam angewendet finden wir die beiden Verjüngungsarten im Mittel—
wald. Die große Maſſe des Beſtandes beſteht aus Ausſchlägen, nur ein kleiner Teil
aus Samenpflanzen. Dieſe zerfallen dann weiter noch in verſchiedene Altersklaſſen.
Denn wieder nur ein kleiner Teil von ihnen wird im gleichen Alter mit den Aus—
ſchlägen gehauen, dient alſo dazu, deren Zahl zu ergänzen und zu vermehren. Die
Abb. 24. Weidenkopfholz. Phot. G. Urff.)
Mehrzahl ſoll zwei-, drei-, vier- und mehrmal jo alt werden, damit ſie größere Stärken
und damit höhere Werte erreicht. Es ſetzt ſich alſo der Wald aus zwei Teilen zu—
ſammen: dem Unterholz, d. h. den Stockausſchlägen und den gleichalten Samen—
pflanzen einerſeits und dem Oberholz der Geſamtheit der älteren Samenpflanzen
anderſeits. So oft der Hieb des Unterholzes wiederkehrt, wird auch ein Teil der
Oberhölzer genutzt, und dafür bleibt dann eine entſprechende Anzahl der zum bis—
herigen Unterholz gehörigen Kernwüchſe ſtehen, tritt alſo ins Oberholz über.
Selten im forſtlichen Betrieb, meiſt im landwirtſchaftlichen und zwar in Ver—
bindung mit der Grasnutzung finden wir die letzte Waldart, den Kopfholzwald.
Hier werden die Ausſchläge genützt, die an Stämmen entſtehen, welche in größerer
Höhe — etwa 1—2 m über dem Boden — entgipfelt wurden. Der Schneitelbetrieb,
520 2, Abjchnitt.
bei dem am ganzen Schaft, oder doch nur mit Ausnahme der oberſten Partie, die
Aſte und neu entſtehenden Ausſchläge genutzt werden, um als Futter oder Streu zu
dienen, iſt wohl nie eine ſelbſtändige forſtliche Wirtſchaftsform. Denn entweder tritt
die Nutzung nur in den letzten Jahrzehnten vor dem Abtrieb ein, oder es handelt ſich
um Bäume auf Wieſen an Bächen und Straßen.
Man bezeichnet dieſe großen Gruppen als Betriebsarten. Die Wahl unter ihnen
iſt zunächſt bedingt durch die Holzart. Für den Niederwald eignen ſich nur Laub—
hölzer und auch von ihnen ſcheidet die Rotbuche auf allen ſchwächeren Böden beſſer
aus, da ſie hier keinen nachhaltigen Ausſchlag liefert. Aus dem gleichen Grunde ſind
Berg⸗ und Spitzahorn für dieſe Betriebsart wenig geeignet. Der Kopfholzbetrieb
wird faſt nur bei Weiden, Pappeln, Erlen, Eſchen und Ulmen angewendet. Das
Unterholz im Mittelwald ſetzt ſich am beſten aus ſchattenertragenden Arten wie Erle,
Hainbuche, Linde, Ulme, Kaſtanie, Haſelnuß zuſammen, das Oberholz ſollte dagegen
hauptſächlich aus lichtkronigen Bäumen: Eichen, Eſchen, Birken, Erlen, Weiden,
Pappeln, Ulmen, Lärchen und Föhren beſtehen, auch die Ahornarten werden gerne
gewählt. Buche, Hainbuche, Linde und Tanne dürfen aber nur in beſcheidener Zahl
vorhanden ſein, ſonſt leidet das Unterholz unter zu ſtarker Beſchattung.
Sehr flachgründige Standorte werden beſſer dem Niederwald als dem Hoch—
wald zugewieſen; den Mittelwald finden wir heute, da in ihm vorwiegend die an—
ſpruchsvolleren Arten gezogen werden, meiſt auf den beſſeren Böden. Doch iſt er
unbeſtreitbar auch für raſch wechſelnde Bodenverhältniſſe geeignet, weil man ſich ihnen
durch die Wahl der Holzart wie die Dichte des Oberholzſchirmes anpaſſen kann.
Das erklärt ſein häufiges Vorkommen in den Niederungen längs der größeren Flüſſe,
wo faſt ſterile Kiesrücken mit den fruchtbarſten Schlickböden oft auf kurze Entfer—
nungen wechſeln und Höhenunterſchiede von nur einem halben Meter die Boden—
feuchtigkeit und damit die Produktionskraft entſcheidend beeinfluſſen.
Über die Einwirkung der Betriebsarten auf den Boden herrſchen weitgehende
Meinungsverſchiedenheiten, die wohl daher ſtammen, daß den Beurteilern ganz ver—
ſchiedene Verhältniſſe vorſchwebten. Eine einheitliche Beantwortung der Frage, welche
Betriebsart die Bodenkraft am beſten ſchützt, iſt überhaupt nicht möglich: auf dem
geeigneten Standort ſchafft und erhält jede günſtige Bodenzuſtände. Nur von armen
Sanden kann man wohl behaupten, daß Nieder- und Mittelwald leichter zu einer
Erſchöpfung der Nährſtoffe führen, denn ſie erzeugen verhältnismäßig viel mehr
ſchwaches Holz, und deſſen Gehalt an mineraliſchen Beſtandteilen iſt erheblich größer
als der des ſtärkeren und älteren. Dagegen gibt der gleichalte Hochwald nur zu oft
den Boden der Verangerung preis, da er im Alter dem Wind den Zutritt geſtattet.
Beim Kopfholzbetrieb findet faſt immer zugleich eine andere Benutzung des Bodens
ſtatt, er iſt alſo nicht wohl vergleichsfähig.
Die Gefahren, die den Hochwald bedrohen, ſind viel größer als bei den andern
Betriebsarten. Dies kommt in erſter Linie daher, daß im Hochwald das Nadelholz
überwiegt.
Die Holzerzeugung iſt im Mittel- und Niederwald durchſchnittlich etwas kleiner
als im Hochwald, doch iſt, wenn in beiden die gleichen Holzarten gezogen werden,
Hausrath, Der Wald
nds
DER reel!
STUTTGART
(Phot. Arff, Hanau.)
. ES” Rn i * = — 2 ET 25 4 f n h - van:
——— — — * — . — — I — 82 er - | | >.
. N 5
Die Betriebsarten. 521
der Unterſchied ſicher nicht ſehr erheblich. Für die Wertsproduktion iſt ausſchlaggebend,
daß im gewöhnlichen Niederwald mehr als die Hälfte des Ertrags aus ſchwachem
Brennholz beſteht, das ſchlecht bezahlt wird. Ebenſo ſind im Mittelwald mindeſtens
40% des Hiebsergebniſſes Brennreiſig. Beide Betriebsarten können auf größerer
Fläche nur in dichtbevölkerten Gegenden mit hohen Brennholzpreiſen eine gute Rente
abwerfen, die hier aber beim Mittelwald, da er wertvolle Laubholznutzſtücke der ver—
ſchiedenſten Art liefert, oft jener des Hochwaldes überlegen iſt. Ahnlich verhält es
ſich bei einigen Spezialformen des Niederwaldes. Die Weidenheeger liefern nur
Flecht⸗ und Bindematerial, im Kaſtanien- und Akazienniederwald find ¼ des Anfalls
Rebſtecken und Baumpfähle, die im Weinbaugebiet gut bezahlt werden, aber nur einen
beſchränkten Abſatz haben, alſo nicht auf großen Flächen erzogen werden können.
Die Wertserträge des 1. Beſitzers, der mehr auf raſchen
Hochwaldes ſind alſo im 2 Eingang als auf die Höhe der
allgemeinen größer als die = Be Rente ſehen muß.
der andern Betriebsarten, N
andrerſeits aber bedarf es
bei ihm einer längeren Zeit,
bis die Ernte erfolgen kann
und daher eines größeren
Vorrates von Holz im Walde,
einer größeren Fläche, mit
andern Worten eines grö—
ßeren Kapitales, wenn der
Ertrag ein nachhaltiger ſein
ſoll. Der Hochwald iſt die
Wirtſchaftsform des vermög—
lichen Mannes, Nieder- und
Mittelwald jene des kleinen
Für kleine, von Feld, Wieſen oder Weinbergen umgebenen Wäldchen eignen ſich
Mittel⸗ und Niederwaldbetrieb beſſer als Hochwald, da ſie weniger Schaden durch
Beſchattung hervorrufen. Der Naturfreund ſchätzt den Mittelwald wegen der wechſel—
vollen Waldbilder und der vollendeteren Kronenentwicklung der einzelnen Oberholz—
ſtämme, endlich wegen ſeines Reichtums an Singvögeln beſonders hoch.
Abb. 25. Fichtenblüten.
Ehe wir die wichtigſten Hochwaldformen betrachten, müſſen noch einige grund—
legende Fragen erörtert werden. Die Einheit der Wirtſchaftsführung bildet der Be-
ſtand, d. h. ein Waldteil, der in ſich noch mancherlei Verſchiedenheiten aufweiſen kann,
aber doch einheitlich behandelt wird, ſo daß bei jeder Maßnahme, die einen Teil des
Beſtandes betrifft, doch jeweils die Rückwirkung auf den ganzen Beſtand vorher er—
wogen und daher vielfach für die Art der Ausführung maßgebend wird. Dagegen
ſollen die einzelnen Beſtände eines Waldes voneinander möglichſt unabhängig ſein,
um gegenſeitige Beeinträchtigungen zu vermeiden. Es iſt z. B. mit Rückſicht auf den
522 2, Abſchnitt.
Wind anzuſtreben, daß jeder Beſtand ſturmſtändige Ränder beſitze, damit nicht der
Abtrieb des einen andere dem Windbruch ausſetze.
Wird ein Beſtand nur von einer einzigen Holzart gebildet, ſo nennt man ihn
rein, Beimiſchungen unter 5% haben ſelten einen merkbaren Einfluß auf das Ver—
halten des Waldes, wir reden dann von faſt reinen Beſtänden. Nicht als Miſchung
iſt es anzuſehen, wenn unter einem alten reinen Beſtand eine andere Holzart angebaut
wird, die nicht mit jenem zuſammenwachſen, ſondern nur den Boden ſchützen oder
nach dem Abtrieb des erſten allein weiter wachſen ſoll.
Den reinen Beſtänden kann unbedingt der Vorteil zuerkannt werden, daß ihre
Bewirtſchaftung einfach und überſichtlich iſt. Ferner, daß ſich die Höhe der zuläſſigen
Nutzung leichter feſtſtellen läßt, als bei gemiſchten, zumal wenn der ganze Wald aus
reinen Beſtänden der gleichen Art beſteht. Wo für einen beſtimmten Verwendungs-
zweck produziert werden ſoll, z. B. Gerbrinde in Eichenſchälwaldungen, bedeutet eine
Miſchung faſt immer einen Ertragsausfall. Entſpricht der Standort dem Optimum
einer zuwachskräftigen Holzart, ſo wird dieſe im reinen Beſtand mehr leiſten, als
wenn ihr eine zuwachsſchwächere beigegeben iſt, aber nur unter der wichtigen Ein—
ſchränkung, daß der Beſtand bis zur Nutzung lückenlos bleibt. Das trifft nun aber
für ausgedehnte Wälder ſehr ſelten zu, und daher gibt der gemiſchte Wald im ganzen
meiſt höhere Erträge als reine, auch wenn der Boden durchweg der zuwachskräftigeren
Art vollkommen entſpricht. Extrem ungünſtige Standorte — naſſe Löcher, Froſtſtellen,
arme, dürre Sande — ſind meiſt nur für eine Holzart brauchbar.
In der Regel aber wechſeln auf größeren Flächen die Standortsverhältniſſe und
damit die Eignung für einzelne Arten, auch läßt der Miſchwuchs eine ſtärkere Aus—
nutzung der Produktionsfaktoren zu, weil Bewurzelung und Kronen verſchieden ſind,
daher auch verſchiedene Schichten im Boden und im Luftraum einnehmen.
Gegen einzelne Gefahren bietet der reine Beſtand gewiſſer Arten eine größere
Sicherheit als der gemiſchte; ſo z. B. reine Eichenwälder gegen Sturm, Sonnenbrand
und Feuer mehr als die Miſchung von Eiche und Buche, denn dieſe wird leichter
geworfen und wegen der dünneren Rinde durch Erhitzung getötet.
Doch ſind das ſeltene Ausnahmen und ihnen ſteht der Vorteil gegenüber, den
die ſchwächere Art durch Einmiſchung der ſtärkeren erfährt, meiſt iſt der reine Be—
ſtand größeren Gefahren ausgeſetzt als der gemiſchte, zumal wenn er auch noch gleich—
altrig iſt. Denn dann iſt ſein Kronendach faſt immer ein ausgeglichenes. Das er—
leichtert bei ſtarkem Schneefall die Bildung ausgedehnter zuſammenhängender Decken,
während wo Laubholz und Nadelholz gemiſcht ſind, der Schnee meiſt von den Kronen
abgleitet. Auch kommt es um ſo leichter zum flächenweiſen Bruch, als die im Schluß
aufgewachſenen Bäume meiſt ſehr ſchlank gebaut und wenig widerſtandsfähig ſind.
Dieſer Umſtand bewirkt auch, daß die gleichalten reinen Beſtände den Angriffen des
Windes viel öfter unterliegen, von Eis- und Duftanhang ſchlimmer mitgenommen
werden als die gemiſchten. Viele ſchädliche Inſekten und Pilze ſind auf einzelne
Holzarten angewieſen, finden ſie dieſe im reinen Beſtande vor, ſo iſt die Maſſen—
vermehrung ermöglicht, während die Holzartenmiſchung ſie erſchwert. Zudem hat die
Erfahrung gezeigt, daß die Holzarten im gemiſchten Beſtande häufig widerſtandsfähiger
ſind als im reinen. Das rührt zum Teil einfach daher, daß im Miſchbeſtande jede
Vorzüge gemischter Beſtände. 523
Art die für ſie geeignetſten Stellen einnimmt, auf den weniger günſtigen durch andere
verdrängt wird, während ſie bei reiner Beſtockung auf dieſen nur kümmerlich fort—
kommt, häufig kränkelt und daher den Angriffen ihrer Feinde beſonders ausgeſetzt iſt.
Derartige im Wuchſe ſtockende Partien ſind die Ausgangspunkte der großen Inſekten—
verheerungen, denn in ihnen ſind die Schädlinge ſtändig in kleinen Mengen vorhan—
den und vermehren ſich dann raſch, wenn günſtige Bedingungen eintreten.
Die Haupturſache liegt aber wohl in der Einwirkung der Beſtände auf den
Boden. Die Lichthölzer ſtellen ſich ſchon im höheren Stangenalter ſo räumig, daß
der Boden unter ihnen verwildert, worauf dann auch der Wuchs nachläßt, die Bei—
miſchung von Schatthölzern ſchützt dagegen jenen und damit auch die Wuchskraft.
Aber auch die Zerſetzung der toten Bodendecke iſt ganz allgemein eine regere und
günſtigere, wo verſchiedene Laubhölzer oder Laub- und Nadelhölzer den Beſtand
bilden. So erklärt es ſich, daß auch Tanne und Fichte in Miſchung mit der Buche
meiſt beſſer gedeihen als im reinen Beſtande. Unterſuchungen, die der Verfaſſer
1894 zu St. Blaſien im Schwarzwald ausführte, ergaben, daß 90 jährige, einzeln
in Buchen eingeſprengte Tannen und Fichten bereits jene Stärke erreicht hatten, die
ſie im reinen Beſtande dort erſt mit etwa 110 Jahren erlangen. Dabei waren die
Stämme von ſehr ſchöner Form und hochhinauf frei von Aſten. Allgemein wird
zugegeben, daß die Lichthölzer in Miſchung mit Schatthölzern aſtreiner erwachſen als
im reinen Beſtande, allerdings nur unter der Vorausſetzung, daß ſie keinen großen
Höhenvorſprung vor ihnen haben; denn im Bereiche der Schattholzkronen ſterben die
Zweige der Lichthölzer raſch ab. Die Schatthölzer freilich bleiben in dieſer Miſchung
äſtiger als allein unter ſich.
Die beſſeren Bodenzuſtände der gemiſchten Beſtände erleichtern die Verjüngung
und erlauben auch Lichthölzer ohne beſondere Maßnahmen in höheren Umtrieben zu
bewirtſchaften, um Starkholz zu erzielen. Die durchſchnittliche Wertsproduktion iſt
in ihnen eine höhere als im reinen Walde, da die Beſtände geſünder bleiben und
in vollkommener Beſtockung hiebsreif werden. Sodann iſt die Produktion eine mannig—
faltigere, ſie kann auch Holzarten berückſichtigen, für die nur eine beſcheidene Nach—
frage iſt, innerhalb deren ſie aber oft ſehr gut bezahlt werden. Sie kann vor allem
auch den wechſelnden Anforderungen eher gerecht werden; denn bei den Durch—
forſtungen kann man die eine oder die andere Holzart begünſtigen oder zurück—
drängen, alſo die Zuſammenſetzung des Erntebeſtandes auch im höheren Lebensalter
noch einigermaßen regeln. Auch wird nicht zu beſtreiten ſein, daß das Waldbild
durch die Miſchung abwechſlungsreicher und daher ſchöner wird als in reinen Be—
ſtänden, die ſelbſt bei beſter Entwicklung der Stammformen eintönig wirken, ſobald
ſie große Flächen im Zuſammenhange einnehmen.
Die Annahme liegt nahe, daß die waldbaulichen Vorzüge der Miſchung um ſo
ſicherer erreicht werden, je größer dieſe iſt. Demnach ſcheint grundſätzlich die Einzel—
miſchung zu bevorzugen, bei der jeder Stamm von Individuen anderer Art umgeben
iſt. Das trifft aber nur zu für Althölzer, in denen das Längenwachstum ſo weit
abgeſchloſſen iſt, daß keine Gefahr beſteht, die weniger kräftigen Arten könnten von
andern überwachſen und verdrängt oder doch an der Ausbildung einer geſunden
Krone gehindert werden. Sonſt iſt die Einzelmiſchung nur dann ratſam, wenn die
524 2. Abſchnitt.
beteiligten Arten auf dem vorliegenden Standort dauernd ſo weit gleichwüchſig ſind,
daß keine nachteiliger Überſchirmung ausgeſetzt iſt. Das iſt jedoch nur ſelten der
Fall, meiſt eilen die Lichthölzer in der Jugend voraus, werden aber im Dickungs—
oder doch im Stangenalter eingeholt und erliegen dann leicht ganz oder können ſich
doch nicht eine zur ausgiebigen Ernährung genügende Krone erhalten.
Eine viel beliebte Miſchung iſt z. B. die von Kiefer und Fichte. Wird ſie
gleichzeitig als Einzelmiſchung begründet, ſo übernehmen im günſtigen Fall die
Kiefern zunächſt die Führung, treten untereinander in Schluß, während die Fichten
ſich am Leben erhalten und langſam nachwachſend einen zweiten Beſtand unter jenen
bilden. Iſt der Boden friſch genug, ſo bleibt dieſes Verhältnis beſtehen, bis die
Kiefern ſich von ſelbſt oder in Folge der Durchforſtungen lichter ſtellen. Dann
ſchieben ſich die Fichten in die Lücken zwiſchen den Kiefern empor, bleiben dagegen
dort zurück, wo deren Kronendach noch geſchloſſen iſt. Auf Standorten, die auch
der Kiefer völlig entſprechen, hält dieſe den Wettlauf mit der ſich immer kräftiger
entwickelnden Fichte aus, und es entſtehen herrliche, hochwertige Beſtände, wie ſie u. a.
am Oſtabhang des Schwarzwaldes nicht ſelten ſind. Auf vielen Fichtenſtandorten
aber iſt das Höhenwachstum der Fichte ſchon früh dem der Kiefer jo überlegen, daß
dieſe nicht mitkommen kann und daher allmählich verſchwindet. Der Verſuch, ſie bei
den Durchforſtungen durch Aushieb der bedrängenden Fichten zu retten, führt meiſt
nur dazu, daß man einen durchlöcherten Beſtand erhält. Wo umgekehrt der Boden
für die Fichte zu trocken iſt, verſchwindet ſie in der Zeit der Überſchirmung oder
büßt doch ihre Entwicklungsfähigkeit ein. Es iſt alſo die gleichaltrige Einzelmiſchung
beider Arten nur möglich, wo der zuerſt geſchilderte Wuchsgang erwartet werden darf.
Ahnlich ſteht es mit der gerade in neuerer Zeit aus ökonomiſchen und wald—
baulichen Rückſichten viel empfohlenen Miſchung von Fichte und Buche, bei der die
Buche in der Hauptſache unterſtändig bleiben ſoll, um den Ertrag an Fichtenholz
nicht zu ſchmälern. Das Ziel läßt ſich in vielen Lagen erreichen, da die Fichte hier
ſchon früh der Buche vorauseilt, ohne ſie ganz zu unterdrücken. Es iſt daher meiſt
nur nötig, die Fichten in der erſten Jugend ein oder mehrmals freizuſchneiden und
bei den ſpäteren Durchforſtungen der Buche ein wenig zu helfen, wo die Fichten gar
zu dicht ſtehen ſollten. In der oberen Fichtenzone aber bleibt die Buche oft von
Anfang an ſo ſehr hinter der Fichte zurück, daß ſie, bis die Durchforſtungen be—
ginnen, ſchon verloren iſt. Anderſeits ſind im Fagetum die Standorte nicht ſelten,
auf denen die Wuchsenergie der Buche ſo viel größer iſt, daß die Fichte aus dem
Beſtande ausſcheidet, wenn ihr nicht fortgeſetzt geholfen wird.
Die Einzelmiſchung ſetzt ſomit immer eine genaue Kenntnis des Standortes
und des Entwicklungsganges der zu vereinigenden Arten voraus, an beiden fehlt es
aber häufig und darum führt ſie nur gar zu oft zu reinen, aber lückigen Beſtänden.
Auch auf die Baumform übt ſie nur als annähernd gleichwüchſige einen günſtigen
Einfluß. Bei der an ſich ſehr wünſchenswerten Miſchung von Kiefer und Buche
ſehen wir häufig, daß die einzelſtändigen Kiefern der Umgebung weit voraneilen, ſich
daher mächtig auslegen und einen äſtigen, krummen, wenig wertvollen Schaft bilden.
Ständen uns nicht andere Miſchungsweiſen zur Verfügung, ſo wäre auf dieſen
Standorten der reine Kiefernwald mit nachträglichem Buchenunterbau allein richtig.
Vorzüge gemischter Beſtände. 525
Die Miſchung in einzelnen Reihen, in Streifen und ſchmalen Bändern teilt
im weſentlichen die Nachteile der Einzelmiſchung. Auch dieſe Formen werden vor
allem den wechſelnden Bodenverhältniſſen nicht gerecht und führen bei verſchiedener
Wuchsenergie leicht dazu, daß nur ein weitſtändiger, äſtiger Beſtand der kräftigeren
Holzarten übrigbleibt.
Für die meiſten Holzarten iſt jedenfalls naturgemäßer die Miſchung in Gruppen
und kleinen Horſten, die über die Fläche ungleichmäßig verteilt, den Standortsver—
ſchiedenheiten angepaßt ſind. Je mehr die Holzarten in ihrem Wuchsgang überein—
ſtimmen, um ſo kleiner können die
Gruppen ſein bis herunter zu Trupps
von wenigen Pflanzen. Umgekehrt
ſind, je ſchutzbedürftiger eine Holzart
iſt, um ſo größere Horſte erforderlich.
Die zweckmäßige Größe der Horſte
iſt aber auch noch ſehr abhängig von
der Möglichkeit, der jeweils bedrängten
Holzart durch Reinigungshiebe und
frühzeitige Durchforſtungen zu helfen.
Wo das dabei anfallende Material
unverwertbar iſt, wird man dieſe
Maßnahmen auf das Notwendigſte
beſchränken und daher für die zu
ſchützende Art Horſte von der Größe
anſtreben, die der von drei oder vier
alten Bäumen überſchirmten Fläche
entſpricht. Die obere Grenze iſt mit
20—25 Ar gegeben; denn bei größeren
Horſten kann von einer günſtigen
gegenſeitigen Beeinfluſſung der Holz—
arten nicht mehr die Rede ſein. Höch—
ſtens werden die Bodenzuſtände durch
das verſchleppte Laub verbeſſert, auch Abb. 26. Femelwald im Winter.
darf in vielen Fällen erwartet werden, (Phot. Forſtamtmann Dr. Wimmer.)
daß unter den Lichthölzern ſich natür—
liche Anſamung von Schatthölzern einſtelle und den Bodenſchutz übernehme. Wo
Horſte von dieſem Umfange auch dann nicht ausreichen, wenn der bedrohten Holzart
ein Altersvorſprung gegeben wird, ſind reine Kleinbeſtände — mit nachfolgendem
Unterbau der Lichthölzer — vorzuziehen.
Die Ungleichaltrigkeit erleichtert die Miſchung in Gruppen und kleinen Horſten
weſentlich. Daß auch für reine Beſtände der ungleichaltrige Aufbau viele Vorteile
hat, wurde ſchon erörtert. Zu erwähnen wäre noch, daß er den Boden den Ein⸗
wirkungen des Windes entzieht, indem die nachwachſenden Horſte die Bewegung der
Luft hemmen. In kaltfeuchten Lagen wirkt das ungleichhohe Kronendach auf die
Zerſetzung der Streudecke günſtig ein, da es mehr Licht und Wärme auf den Boden
526 2. Abſchnitt.
gelangen läßt. Wie lange ſich das ſtufige Kronendach eines Beſtandes erhält, hängt
von den Altersunterſchieden ab. Betragen dieſe nur 5—10 Jahre, ſo iſt die Aus—
gleichung der Höhen meiſt im 30. Jahre eingetreten, 20 —30 jährige verwiſchen ſich
erſt nach dem 60. Lebensjahre, noch größere bleiben über die ganze Umtriebszeit
wahrnehmbar, wenn dieſe nicht mehr als 120 Jahre umfaßt. |
Wo wie im Femelwald die Auflockerung des Kronendaches durch die Alters—
abſtufung zu einer mehr oder minder völligen Iſolierung der Bäume in der zweiten
Lebenshälfte führt, werden ihre Vorteile allerdings mit einer ſtärkeren Aſtbildung er—
kauft — ob zu teuer, ſoll ſpäter erörtert werden. Überhaupt wird gegen die Aus—
formung der Miſchbeſtände in Horſten häufig eingewendet, daß die Randſtämmchen
äſtig würden. Dieſer Übelſtand iſt aber nur ein vorübergehender, da der Erntebeſtand
aus den im Innern der Horſte erwachſenen Stämmchen gebildet ſein ſoll, die von
Anfang an die längſten zu ſein pflegen, durch ihre Nachbarn aber von den tieferen
Aſten früh gereinigt werden. Die aſtigen Randbäume ſelbſt werden ſpäteſtens nach
Beendigung des Hauptlängenwachstums bei den Durchforſtungen beſeitigt.
Es iſt alſo der Miſchwuchs behufs dauernder Geſunderhaltung der Beſtände
und Böden zu bevorzugen. Da Einzelmiſchung auch bei den möglichen nur geringen
Altersabſtufungen ſelten ohne andauernde Beihilfe das Ziel erreichen läßt, wird meiſt
die Miſchung in Gruppen und Horſten anzuwenden ſein. Vor allem aber ſei hervor—
gehoben, daß die Nachteile der reinen und gleichalten Beſtände um ſo größer ſind,
je ausgedehntere Flächen ſie im Zuſammenhang bedecken.
Wir können die Hochwaldformen in zwei Gruppen einteilen, je nachdem der
neue Beſtand unter dem Kronendach des alten oder auf der kahlen Fläche entſtehen
ſoll. Im erſten Falle ſpricht man von Vorverjüngung, im zweiten von Nach—
verjüngung. Beide können „natürliche“, d. h. durch den im Wald erwachſenen, von
der Natur ausgeſtreuten Samen bewirkte oder „künſtliche“, von Menſchenhand durch
Saat oder Pflanzung ausgeführte ſein. Der leichte Erfolg der Vorverjüngung iſt
geknüpft an geſunde Bodenzuſtände, die wir als tätigen Boden, Bodengare bezeichnen
und ſo kennzeichnen können, daß die tote Bodendecke nur eine geringe Mächtigkeit
(1—2 cm) beſitzt und in ſtändiger Umbildung zu Mullerde begriffen iſt. Daher können
die Wurzeln der jungen Pflanzen bereits im erſten Lebensjahr in den mineraliſchen
Boden eindringen, wodurch ihre Erhaltung weſentlich geſichert iſt.
Die Bodengare kann durch die richtige Erziehung der Beſtände erzielt werden.
War dieſe unterblieben, ſo können einige künſtliche Maßnahmen verſucht werden, die
aber nie die gleiche Gewähr für den Erfolg bieten. Eine gerechte Würdigung der
verſchiedenen Waldformen muß jene richtige Beſtandeserziehung um ſo mehr voraus—
ſetzen, als dieſe auch die Vorbedingung für die höchſte Wuchsleiſtung iſt.
Eine Vorverjüngung iſt nur möglich, wenn das Kronendach des alten Beſtandes
etwas durchbrochen wird, ſo daß Licht, Wärme und Regen auf den Boden gelangen
können. Zu geringe Lichtung läßt die jungen Pflanzen wieder vergehen, auf nicht
ſehr friſchen Böden iſt faſt immer Mangel an Feuchtigkeit die Urſache, die alten
Bäume nehmen dem Nachwuchs die Sommerregen weg. Je trockener der Boden, um
Der Femelwald. 527
ſo mehr muß man ſuchen, den vorhandenen jungen Pflanzen die Niederſchläge ganz
zugute kommen zu laſſen. Zu ſtarke Lichtungen aber ſetzen den Jungwuchs dem Er—
frieren aus und rufen leicht eine ſo ſtarke Verunkrautung hervor, daß keine Anſamung
mehr aufkommen kann. In der Wahl des richtigen Lichtungsgrades, der die Boden—
tätigkeit erhält und der neuen Generation eine gedeihliche Entwicklung ermöglicht,
beſteht die Kunſt der natürlichen Verjüngung.
Die meiſten Wälder werden des Holzertrages wegen bewirtſchaftet, und die
Mehrzahl der Waldeigentümer ſtrebt
nach einer möglichſt gleichmäßigen,
nachhaltigen Waldrente, d. h. nach
jährlich ungefähr gleichen Hiebs—
ergebniſſen. Die Erfüllung dieſes
„Abgabeſatzes“ (Etat) tritt leicht mit
den Bedürfniſſen der Verjüngung in
Widerſtreit, daher iſt es für die Wer—
tung einer Wirtſchaftsform auch wichtig,
ob ſie derartige Schwierigkeiten leichter
oder ſchwerer überwinden läßt.
Der Femel⸗- oder Plenter—
wald.
Der Femelwald beſitzt das höchſte
Maß der Ungleichaltrigkeit, denn die
Verjüngung hört im ganzen Walde
nie auf, und auf kleiner Fläche finden
wir die verſchiedenen Altersklaſſen
vereinigt. Zwiſchen und unter alten
Stämmen, die im Einzelſtand raſch
in die höchſten Werksklaſſen hinein- 72 \
wachſen, hat bereits wieder der Jung⸗ Abb. 27. Holzfällung mit der Axt. (Zur Verfügung geſtellt
wuchs bald einzeln bald in Horſten von der Abt. für Forſtweſen, Karlsruhe.)
Fuß gefaßt und dazwiſchen ſehen wir
Stangenhölzer der verſchiedenen Alters- und Stärkeklaſſen in kleineren und größeren
Gruppen unregelmäßig verteilt. So iſt der Boden immer beſchattet, aber doch dem
Licht genügender Zutritt gewährt, austrocknende Winde ſind abgehalten, der Boden
befindet ſich daher in beſtem Zuſtand und die Verjüngung ſchlägt ſicher an, ſie iſt
eine reichliche, da die älteren Bäume dank der freien Stellung häufig Samen tragen.
Der Hieb kehrt etwa alle fünf, ſpäteſtens alle zehn Jahre an den gleichen Platz zurück,
er nimmt vor allem kranke oder ſchadhafte Stämme, dann jene, die bereits den höchſten
Wert erreicht haben oder die beſſere in der Entwicklung hemmen könnten. Gleich—
zeitig werden die Stangenholzgruppen durchhauen, ihr Schluß gelockert und mit ſteigen—
dem Alter ganz aufgehoben, ſo daß nunmehr auch unter ihnen die Beſamung auf—
kommen kann. Auch unbrauchbare, für den Bodenſchutz entbehrliche Jungwüchſe
werden dabei weggenommen.
528 2. Abſchnitt.
Für die Nachzucht kommen in erſter Reihe die Jungwuchsgruppen in Betracht,
da deren innere Stämmchen weniger äſtig ſind und weniger oft von Fällungsſchäden
betroffen werden als einzelne „Vorwüchſe“. Doch iſt auch deren Benutzung nicht aus—
geſchloſſen, nur muß die Freiſtellung langſam und vorſichtig erfolgen, damit ſie nicht
eine tief angeſetzte ſtarkaſtige Krone bekommen. Denn bei geringem Lichtzutritt bilden
alle Holzarten nur dünne, ſchwache Zweige, die dann auch früh abſterben und keine
nachteiligen Spuren im Holzkörper des Schaftes hinterlaſſen. Lichthölzer, wie die
Kiefer, bauen ſo ſelbſt noch bei halbem Licht ſchöne tadelloſe hohe Stämme, bei Tanne
und Buche erſtarken indeſſen bei dieſem Belichtungsgrad ſchon die Aſte, jo daß die
erwünſchte Aſtreinheit nur mit Hilfe von Aſtungen erreicht werden kann. Für ſie iſt
ſomit der Gruppenſtand beſonders wertvoll.
Der Zuwachs im Femelwald erfolgt in der Jugend wegen der Beſchattung nur
langſam, er ſteigt dann nach der Freiſtellung der Stangen raſch an und bleibt auch
bei den Althölzern dank der guten Bekronung und geſunden Bodenzuſtände ſehr an—
ſehnlich. So veröffentlichte 1908 Fankhauſer eine Überſicht aus 12 Plenterwäldern
der Schweiz und des Schwarzwaldes, die eine jährliche Zuwachsleiſtung von 8,3 bis
zu 17,2, im Durchſchnitt von 12 ½ ebm haben. Dabei iſt kein höheres Vorrats—
kapital erforderlich als bei anderen Hochwaldformen und dementſprechend auch die
Waldrente recht anſehnlich. Ein weiterer Vorteil iſt, daß im Femelwald auf kleiner
Fläche alle möglichen Holz-Sortimente erzogen werden können.
Die Gefahren, die dem Plenterwald drohen, ſind im allgemeinen gering. Der
Sturm richtet nur ſelten Schäden an, da die Bäume frühzeitig ſeinen Angriffen frei—
geſtellt und daher ihnen angepaßt ſind. Gegen den Schnee zeigen die lockeren,
ſtufigeren Jungwüchſe eine größere Widerſtandskraft als die dichtgeſchloſſenen Hegen
gleichaltriger Beſtände. Ab und zu mag ja wohl die von einem alten Stamm ab—
rutſchende Schneewächte daneben ſtehende Bäumchen beſchädigen, empfindlich werden
ſolche Vorkommniſſe nicht. Ob die Feuersgefahr eine größere iſt als im gleichalten
Beſtande, hängt von den Umſtänden ab, die Feuchtigkeit der Bodendecke und die
ruhenden unteren Luftſchichten ſind jedenfalls der Entſtehung nicht günſtig, andrer—
ſeits erſchweren freilich die Jungwuchshorſte die Löſchungsarbeiten. Eine ernſte Gefahr
bilden Waldweide und Wildhege, ſo wie beide den naturgemäßen Umfang über—
ſchreiten, d. h. ſobald mehr Tiere im Wald ihre Nahrung finden ſollen, als dem Vor—
rat an Kräutern und Gräſern entſpricht.
Vor allem gedeihen die Schatthölzer im Femelwald, auch Lichtholzarten können
ſehr wohl in ihm zu wertvollen Stämmen heranwachſen, doch bedarf der Betrieb
dann beſonders intenſiver Leitung, damit ſie nicht von jenen überholt werden und
verkümmern.
Umſtritten iſt heute noch die Güte des im Plenterwald erzogenen Holzes. Ge—
wiß haben die alten Stämme eine ſtärkere und tiefer herabreichende Krone als im
geſchloſſenen Hochwald, das obere Stück des Schaftes iſt daher rauher, und ſeine Form
nähert ſich mehr dem Kegelſtumpf als dem Zylinder. Auch tritt an den gefällten
Stämmen nicht ſelten Kernſchäle auf, d. h. es löſen ſich die innerſten Jahrringe von
den umgebenden ab. Das beruht auf der verſchiedenen Dichte des Holzes ſehr enger
und breiter Jahrringe, wie ſie dann auf einander folgen, wenn ein Baum lange unter
SEP „0 913
Der Femelwald. 529
dem Druck von älterem Holze jtand und dann unvermittelt freigeſtellt wurde. Beim
Austrocknen des Holzes reißt ſolch ungleiches Gefüge leicht auseinander. Doch be—
ſchränkt ſich der Schaden in den meiſten Fällen auf ein Stück von 1-1 m Länge,
und der ſich ablöſende Kern hat nur wenige Zentimeter Stärke, er betrifft alſo nur die
beiden innerſten Bretter aus dem unterſten Abſchnitt, der allerdings im allgemeinen
der wertvollſte iſt. Bei der Verwendung zu Bauholz wird der Mangel kaum fühlbar,
Abb. 28. Seilen der Stämme. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
und die ganze Erſcheinung iſt überhaupt um ſo ſeltener, je allmählicher die jungen
Pflanzen freigeſtellt wurden. Nur bei unpfleglicher Wirtſchaft und mangelnder Sorg—
falt in der Auswahl der zu erhaltenden Jungwüchſe und Stangen trifft der weitere
Vorwurf zu, daß das Plenterwaldholz auch in der unteren Schaftpartie mehr ein—
gewachſene Aſte habe als anderes. Vielmehr wird von vielen Seiten gerade als fein
beſonderer Vorzug gerühmt, daß um einen ſchwachen kleinäſtigen Kern ſich breite
Schichten gleichmäßig gebauten, aſtreinen Holzes anlegen. Richtig iſt dagegen, daß
im Femelwald verhältnismäßig mehr Reiſig anfällt, das in vielen Gegenden heute
ſchwer verkäuflich iſt, daher manchmal im Walde verbrannt werden muß, damit es
nicht das Aufkommen des Jungwuchſes hindert.
Häufig wird ferner gegen die Femelwirtſchaft das Bedenken erhoben, die Holz—
Hausrath, Die Waldwirtſchaft. 34
530 2. Abſchnitt.
ernte ſei unvermeidlich mit ſchweren Beſchädigungen des Jungwuchſes verbunden, die
ihn entweder unbrauchbar machten oder doch den Keim zu ſpäterer Fäulnis legten.
Gewiß iſt eine gewiſſe Kunſtfertigkeit erforderlich, um die ſchweren Althölzer ſo zu
fällen, daß ſie nicht mit ihrer Krone in die beſten Jungwüchſe hineinſtürzen und dieſe
zerſchmettern. Aber wer dieſe beſitzt, kann die Fallrichtung genau beſtimmen, indem
er z. B. den Stamm zuerſt von dieſer her anhaut, und ſo eine Schneide ſchafft, über
die er fallen muß, wenn er von der anderen Seite her abgeſägt oder abgehauen wird,
wobei noch Keile zur Sicherung der Fallrichtung eingetrieben werden können. Auch
kann die Wucht des Sturzes dadurch gemildert werden, daß der Stamm nicht völlig
durchſchnitten wird, ſondern beim Fall den 9 Reſt brechen muß. Denn wenn
ein Baum zu
f etwa drei Vier⸗
teln ſeiner
Grundfläche
abgeſägt iſt,
wird er um⸗
ſtürzen, ſobald
er durch die ein-
getriebenen
Keile aus der
Gleichgewichts—
lage gebracht
wurde. Es gibt
übrigens auch
eine Reihe von
Maſchinen, die
dazu beſtimmt
Abb. 29. Arvenplenterwald im Val da Scarl. ſind, den an⸗
(Zur Verfügung geſtellt vom Verein Naturſchutzpark.) gehauenen
Stamm umzu⸗
drücken oder umzuziehen und ſo die Fallrichtung zu ſichern. Der Schaft darf ruhig
in meterhohen Jungwuchs hineinfallen, denn er macht nur eine ſchmale Gaſſe, die
auch dann raſch verwächſt, wenn einzelne der daran ſtehenden Pflanzen beim Ent—
rinden und Herausſchaffen des Stammes ſo beſchädigt werden, daß ſie abgehauen werden
müſſen. An ſteilen Bergwänden können die gefällten Stämme angeſeilt und ſo auf
ſchmalen Bahnen zu Tal befördert werden, ohne nennenswerten Schaden zu ver—
urſachen. Wohl haben wir heute in vielen Forſten mit Arbeitermangel zu kämpfen,
aber gerade dort, wo ſich der Femelwald in größerem Umfang erhalten hat, finden
wir auch noch Holzhauer, die den unſchädlichen Aushieb der längſten und ſchwerſten
Stämme verſtehen. Es erzieht alſo die Waldform gewiſſermaßen ſelbſt die erforder—
lichen Arbeiter, nur muß der Waldeigentümer ihnen freilich ſtändige Beſchäftigung
geben, um ſie dem Walde zu erhalten. Gewiß muß den Holzhauern für das Fällen
und Ausrücken der Hölzer im Femelwald ein höherer Lohn gewährt werden als bei
kahlem Abtrieb, wo ſie achtlos jeden Stamm ſo werfen können, wie es ihnen am
Der Femelwald. 531
bequemſten ſcheint. Dafür werden aber auch die hohen Kulturkoſten geſpart. —
Der Femelwald hat ſomit viele waldbauliche Vorzüge, er liefert bei ſorgfältiger Wirt—
ſchaft hohe Erträge und ſchafft ſchöne Waldbilder. Für Schutzwaldungen, wo die
Erhaltung der Beſtockung die erſte Aufgabe bildet, iſt er beſonders geeignet. Für
den kleinen Waldbeſitz, deſſen Eigentümer ſelbſt die Wirtſchaft leitet und überwacht,
ja oft ſogar an den Fällungen teilnimmt, wird die 88 der Femelform eben—
falls meiſt zugeſtanden. Dagegen wird — 1
ſie faſt allſeitig für den Großbetrieb
als ungeeignet bezeichnet. Nicht be—
rechtigt iſt es, wenn dieſe Anſicht mit
den ſchlechten Erfahrungen begründet
werden ſoll, die man in früheren Jahr—
hunderten gemacht hat. Denn damals
handelte es ſich nicht um eine geord—
nete Femelwirtſchaft, ſondern um
Raubbau. Auch beruhen die großen
Gebietsverluſte, die der Plenterwald
vor 100 Jahren erlitt, hauptſächlich
auf ſeiner Unüberſichtlichkeit, die dem
an ſich berechtigten Streben nach Ord—
nung im Wald und Sicherung nach—
haltiger Erträge hinderlich war. Nur
artete dies Streben leider vielfach aus
zur Vorliebe für Schablone und Schema
und führte zur Bevorzugung gleich—
alter, reiner Beſtände.
Die geringe Überſichtlichkeit iſt
auch heute das größte Hindernis für
die Rückkehr zum Femelwald. Sie
verlangt vom Wirtſchafter eingehende
Vertrautheit mit dem Zuſtand aller
Teile ſeines Waldes, ſie erſchwert die
Ertragsregelung und die Kontrolle der Mi ER
Wirtſchaftsführung durch die Ober- 7 —— - = u:
behörden, ſowie die Aufſcht über die e n elt wan ber n oe
Waldarbeiter, die, wie wir ſahen, be—
ſonders tüchtig ſein müſſen. Dazu kommt, daß dieſe Waldform, wie Gayer trefflich
ſagt, ein verſtändnisvolles Eingehen auf die Geſetze der Waldnatur und eine darauf
gegründete wirtſchaftliche Pflege in viel höherem Maße vorausſetzt als alle anderen
Beſtandsformen. Das ſind Vorausſetzungen, die mit der heutigen, vielfach nur dem
größtmöglichen augenblicklichen Geldgewinn huldigenden Waldbehandlung nicht ver—
einbarlich ſind. Eine ſo intenſive Wirtſchaft iſt nur möglich bei kleinen Revieren.
Vor allem ſteht ihr entgegen die Unraſt des modernen Menſchen, der nicht warten
kann, ſondern baldige Erfolge verlangt und nicht dem Walde das Opfer bringen will,
532 2, Abſchnitt.
ſein Leben auf einer Stelle auszuharren. Ob dieje äußeren Hemmniſſe einmal weg—
fallen werden, mag unerörtert bleiben, zur Zeit iſt für den Großbetrieb die Rückkehr
zu dieſer zwar auch nicht allein und allgemein brauchbaren, aber höchſt wertvollen
Waldform leider nur ſelten möglich.
Die Femelſchlagform.
Bei der Femelſchlagform beſchränkt ſich die Verjüngung auf ein Fünftel bis
die Hälfte der ganzen Waldfläche. Der in Verjüngung liegende Teil des Waldes
beſteht in der Regel aus mehreren örtlich getrennten Stücken oder „Schlägen“. Auf
dem einzelnen Schlag wird die Verjüngung ungleichmäßig durchgeführt, ſo daß ver—
ſchieden alte Gruppen und Horſte miteinander abwechſeln. Die Verjüngungsdauer
für den ganzen Schlag umfaßt 25 — 60 Jahre, erreicht alſo manchmal die halbe
Umtriebszeit und mehr. Daher finden auf demſelben Schlage nebeneinander Ver—
jüngungshiebe, Reinigungen und Durchforſtungen ſtatt. Der Wald hat den Typus
der Ungleichaltrigkeit.
Die Verjüngung geht von einzelnen unregelmäßig verteilten Punkten aus. Dieſe
ſind oft ſchon von Natur durch Vorwuchshorſte gegeben, die ſich unter kleinen Lücken
des Kronenſchirms eingefunden haben. Andernfalls werden ſie durch den Aushieb
einzelner ſtarker Bäume geſchaffen. War der Beſtand richtig erzogen, wozu haupt—
ſächlich kräftige Durchforſtungen in den letzten Jahrzehnten vor Beginn der Ver—
jüngung gehören, ſo wird ſich auf den ſo entſtandenen Lücken Beſamung einfinden,
ſie wird auch unter dem Schirme der Randbäume auftreten, hier aber im Wuchs
zurückbleiben, ſo daß ſich eine kegelförmige Abdachung der Jungwuchshorſte von der
Mitte nach den Seiten ergibt. Um dieſe Horſte zu erhalten und allmählich zu er—
weitern, nimmt man bei den etwa alle 3—5 Jahre wiederkehrenden Hieben jeweils
einige Randſtämme weg und ſchafft ſo die Möglichkeit, daß die Beſamung ſich auch
auf den benachbarten Partien einſtellt und erhält. Die Verjüngung dringt alſo in
den umgebenden Beſtand ein. Die häufige Wiederkehr der Hiebe iſt notwendig,
damit nicht unvermittelt alte Jungwuchshorſte neben unbeſamte Stellen zu ſtehen
kommen und ſich breitaſtig auslegen. Die Stärke des Eingriffes aber, von der es
abhängt, mit welcher Geſchwindigkeit ſich die Verjüngung auf dem ganzen Schlage
vollzieht, kann wechſeln, daher auch den Bedürfniſſen der verſchiedenen Holzarten
gerecht werden. Ein langſamer Gang der Verjüngung iſt im allgemeinen beſſer;
denn er führt zur Kleinflächenwirtſchaft und ſchafft Altersunterſchiede, die längere
Zeit erhalten bleiben, während eine raſche Verjüngung mehr gleichmäßige Groß—
beſtände ergibt. Gleichzeitig mit der Umſäumung der vorhandenen Horſte werden
nach Bedarf neue Angriffspunkte durch den Aushieb einzelner Stämme geſchaffen,
die in der Folge dann auch erweitert werden, bis endlich der Jungwuchs die ganze
Fläche beſetzt hat und die letzten Althölzer ausgezogen werden können. Die älteſten
Teile des neuen Beſtandes werden dann, wie geſagt, ſchon durchforſtet.
Die Hauptſchwierigkeit beſteht darin, in den zuletzt zu verjüngenden Partien
den Boden für die Beſamung empfänglich zu erhalten und doch zu verhüten, daß
dieſe vorzeitig eintrete, emporwachſe und zur zu frühen Räumung zwinge. Zumal
am Süd- und Oſtrande der Altholzreſte tritt, wenn die Löcher größer geworden
Die Femelſchlagform. 533
find, leicht Bodenverhärtung oder Graswuchs ein. Hier ſollte die Hiebsführung jo
langſam fein, daß der Boden auf Stammlänge vom Rande aus ſchon vom Jung—
wuchs beſetzt iſt, ehe eine kräftige Auflockerung des Schluſſes erfolgt. Dagegen iſt
an Süd⸗ und Südweſthängen wegen der größeren Trockenheit oft ein raſcherer Ver—
jüngungsgang erforderlich als an der Nordſeite der Berge.
Nach den in Baden, Bayern und der Schweiz gemachten Erfahrungen laſſen
ſich Tanne, Buche und Fichte leicht nach dieſem Verfahren verjüngen, Lichthölzer
auch aber etwas ſchwieriger. Doch iſt es ja meiſt das Ziel der Wirtſchaft, ihnen
in der Miſchung mit jenen den erforderlichen Anteil an der Beſtandsbildung zu
ſichern. Und das iſt gerade ein Vorteil der Femelſchlagform, daß durch ſie ungleich—
altrige horſt- und gruppenweiſe Mi-
ſchungen erhalten werden können, weil
der Gang der Verjüngung an jeder
Stelle für ſich nach dem Bedürfnis der
jeweils gewünſchten Art geregelt wer—
den kann. Die Verjüngung benutzt
dabei jedes Samenjahr, auch die wenig
ergiebigen, da ſo die Ungleichaltrigkeit
vermehrt wird. Die Bodenzuſtände
ſind bei richtiger Leitung der Ver—
jüngung andauernd gute. Ein weiterer
Vorteil iſt, daß die Bäume des alten
Beſtandes in dem gelockerten Schluſſe
einen verſtärkten Zuwachs — Lich—
tungszuwachs — haben, der es er—
möglicht, Starkhölzer in dem durch
die Abſatzverhältniſſe wünſchenswert Abb. 31. Femelſaumſchlagverjüngung. Vordringen der Ver⸗
gemachten Umfang zu erziehen, wäh⸗ jüngung in den alten Beſtand. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
rend gleichzeitig die Fläche ſchon vom
Jungwuchs mit ausgenutzt wird. — Die Sturmgefahr iſt bei der Femelſchlagform
größer als im Plenterwald, aber doch nicht ſehr erheblich, weil die freigeſtellten Rand—
ſtämme während des größten Teils der Verjüngungszeit an den noch geſchloſſenen
Partien des Altholzes Rückhalt finden. In ebenen Lagen kann die Froſtgefahr durch
die Löcherhiebe etwas geſteigert werden, hier muß dann aus dem ſchwächeren Material
ein lichter Schirmbeſtand über den Jungwüchſen beibehalten werden, bis dieſe etwa
mannshoch geworden ſind. Die Holzzurichtung iſt ſchwieriger als im Kahlſchlag und
erfordert beſſere Arbeiter. Die ganze Betriebsführung einſchließlich der Feſtſtellung
des Abgabeſatzes iſt weniger überſichtlich und umſtändlicher als bei jenem. Doch können
alle dieſe Nachteile gegenüber den Vorteilen des Verfahrens keine ausſchlaggebende
Bedeutung beanſpruchen.
Die Schirmſchlagform.
Auch bei der Schirmſchlagverjüngung liegt ein größerer Teil — etwa ein
Zehntel bis ein Viertel — der Waldfläche in Verjüngung, aber dieſe ſoll ſich auf
534 2. Abſchnitt.
der ganzen Schlagfläche möglichſt gleichzeitig und gleichmäßig vollziehen. Daher liegt
es im Prinzip des Verfahrens, anzuſtreben, daß die Verjüngung durch den Samen—
ertrag eines einzigen „Vollmaſtjahres“ bewirkt werde, damit der Jungwuchs wie aus
einem Guß geſchaffen ſei. Doch da dies nur ſelten gelingt, benutzt man tatſächlich
in der Regel mehrere Samenjahre, die aber nicht weit auseinander liegen dürfen.
Soll eine Schirmverjüngung ge—
lingen, ſo muß der Boden der ganzen
Schlagfläche für die Beſamung emp-
fänglich ſein, ſobald dieſe eintritt;
weder Trockentorf noch Verunkrautung
dürfen ſich auf ihr einſtellen. Sodann
iſt ſchon bei den letzten Durchforſt—
ungen für eine genügende Kronen—
ausbildung der künftigen Samenbäume
zu ſorgen, damit ſie reichlich Frucht
tragen. Wird dann der Schlag zur
Verjüngung herangezogen, ſo entnimmt
man ihm mit dem „Vorbereitungshieb“
etwa ein Zehntel ſeiner Maſſe in
ſchwächeren Stämmen gleichmäßig über
die Fläche. Dieſer Eingriff, der auf
tätigem, unkrautwüchſigem Boden —
Kalk — leichter, auf kaltem, trägem
— Ton — kräftiger zu nehmen iſt,
genügt, um die völlige Bodengare
und damit eben die Verjüngungs—
bereitſchaft zu erzielen. Tritt dann
das Samenjahr ein, ſo wird nach
dem Abfall des Samens die Samen—
ſchlagſtellung — Dunkelhieb — her—
geſtellt, indem je nach Holzart und
Boden wieder 1—4 Zehntel der ur—
ſprünglichen Geſamtmaſſe heraus—
RE a gehauen werden, wobei auf möglichſt
Abb. 32. Femelſchlagverjüngung bei St. Blaſien. gleichmäßige Verteilung der ver⸗
(Zur Verfügung geſtellt von der Abt. f. Forſtweſen zu Karlsruhe.) bleibenden Stämme geſehen wird.
Durch den Samenſchlag ſoll ein ſolcher
Belichtungsgrad geſchaffen werden, daß die Samen keimen und die jungen Pflanzen
ſich einige Jahre gut entwickeln können, anderſeits ſoll durch den Schirmbeſtand
genügender Schutz gegen Froſtbeſchädigungen gegeben ſein. Je geringer dieſe Gefahr
iſt, um ſo früher kann die völlige Freiſtellung mit den Lichtungs- und Räumungs—
hieben erfolgen, in eigentlichen Froſtlagen muß dagegen ein Schirm von etwa vier
Zehnteln der anfänglichen Beſtandsmaſſe erhalten bleiben, bis die Jungwüchſe meter—
hoch geworden ſind, d. h. mit dem Gipfel über die gefährlichſte Zone herausragen.
Die Schirmſchlagform. 535
Auf trockenen und armen Böden iſt eine kräftige Lichtung und raſche Räumung
nötig, damit dem jungen Beſtande alle Niederſchläge zugute kommen und er von
dem Wettbewerb der alten Bäume um den Nährſtoffvorrat befreit werde. Bei Schatt⸗
hölzern darf der Verjüngungsgang natürlich langſamer ſein als bei Lichthölzern. Eine
Verteilung der Lichtungen und Räumungen auf mehrere Hiebe iſt immer anzuſtreben,
damit die Fällungsſchäden nicht groß werden.
Bei vorſichtiger Hiebsführung iſt der Boden in der Schirmſchlagform zunächſt
gut geſchützt, der Unkrautwuchs zurückgehalten und die Froſtgefahr beſeitigt. Zudem
leiſten die
Samenbäume PR
in der freieren
Stellung einen
erheblichen
Lichtungs⸗
zuwachs, der
jenem geſchloſ—
ſener Beſtände
oft gleich, ja
ſogar vorüber—
gehend über—
legen iſt, da das
in der Boden—
decke aufgeſpei—
cherte Nähr⸗
ſtoffkapital in
Umlauf ge—
bracht wird.
Die Entwick⸗ Abb. 33. Buchenſchirmſchlag. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
lung des Jung—
wuchſes braucht darunter nicht zu leiden, da er im mineraliſchen Boden wurzeln
ſoll. Beſamt ſich aber ein Schlag nur teilweiſe, ſo liegt die Gefahr vor, daß in—
folge der über dem Jungwuchs notwendigen Lichtungen die dazwiſchen liegenden un—
beſamten Flächenteile verunkrauten und verhärten, ſo daß dort keine natürliche Ver—
jüngung mehr aufkommen kann. Sodann werden gleichmäßig gelockerte Beſtände,
wie ſie die Schirmverjüngung verlangt, leicht ein Opfer des Sturmes, ehe die Be—
ſamung eingetreten iſt oder den Schutz entbehren kann. Daher iſt man bei der Fichte
allgemein von dieſem Verfahren abgegangen. Treten ergiebige Samenjahre nur mit
großen Zwiſchenräumen auf, ſo muß man, um ſie auszunützen, auf einmal aus—
gedehnte Flächen in Schlag ſtellen. Dann aber hindern nur gar zu leicht Rückſichten
auf die gleichmäßige Erfüllung des Abgabeſatzes, auf die Verkaufsmöglichkeit, den
Arbeitermangel uſw., rechtzeitig zu lichten und zu räumen, ſo daß ein Teil des Auf—
wachſes vergeht oder weil er zu hoch geworden war, bei den Fällungen ſo be—
ſchädigt wird, daß er weggehauen werden muß. Waren die Beſtände nicht für die
Verjüngung erzogen, ſo tritt leicht einmal das Samenjahr ein, ehe die Boden—
536 2. Abſchnitt.
gare hergeſtellt iſt. Man ſucht dann durch Umhacken oder Bearbeiten mit der
Rollegge und ähnlichen Inſtrumenten die Zerſetzung der Bodendecke zu beſchleunigen
und zu erreichen, daß der Samen im mineraliſchen Boden untergebracht wird und
dort keimt. Die gleichen Verfahren ſind anzuwenden an vergraſten oder verhärteten
Stellen und dort, wo Trockentorfbildungen — Rohhumus — den Boden verſchließen.
Aber ſie ſind koſtſpielig und ihr Erfolg iſt unſicher, nur bei Kiefer und Fichte
Abb. 34. Bodenbearbeitung mit der Rollegge. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
genügt es manchmal, wenn man die Bodendecke mit dem Rechen ſtreifenweiſe ab—
ziehen läßt.
Gelingt die Verjüngung, ſo entſtehen gleichaltrige und gleichwüchſige Beſtände,
die in der Jugend wegen ihrer größeren Dichtigkeit den Schneebruchbeſchädigungen
in hohem Maße ausgeſetzt ſind. Die etwa vorhandenen geringen Altersunterſchiede
ſind verſchwunden, noch ehe das Längenwachstum in der Hauptſache abgeſchloſſen
iſt. Bei der Rotbuche erzielt man mit der Schirmſchlagform, wenn die Samenjahre
nicht zu ſelten ſind, in der Regel gute Erfolge. Die Einbringung von Nutzholzarten
iſt aber meiſt nur auf künſtlichem Wege möglich, ihre Erhaltung oft koſtſpielig und
ſchwierig. Eine beſondere Form iſt die däniſche Art der Buchenverjüngung unter
Schirm, bei der eine äußerſt gründliche Bodenbearbeitung angewendet und die Samen—
ſchlaͤgſtellung viel lichter genommen wird. Die Verjüngung ſoll in 8 Jahren beendet
jein, während man in Deutſchland meiſt 15—25 Jahre rechnet. Die Ergebniſſe des
Die Schirmſchlagform. 537
däniſchen Verfahrens ſind ſehr günſtig, aber ſie werden erkauft mit dem Verzicht
auf jede Miſchung und mit ſehr beträchtlichen Koſten. Beides iſt aber nur dort
wirtſchaftlich gerechtfertigt, wo für Buchenholz hohe Preiſe bezahlt werden, was für
das waldarme Dänemark allerdings zutrifft.
Eiche und Edelkaſtanie verjüngen ſich auf geeigneten Standorten ebenfalls leicht
in der regelmäßigen Schirmſchlagform. Die Stellung der Samenbäume darf bei
ihnen von vornherein etwas locker
ſein, da ſie auch auf leicht ver—
graſtem Boden noch gut auf—
kommen. Dadurch wird die recht—
zeitige Räumung erleichtert. Im
Unterelſaß wird die Eiche auf
großen Flächen in dieſer Weiſe
verjüngt. Bedingung iſt freilich,
daß entweder im alten Beſtande
Buchen fehlen oder ausgehauen
werden, ehe ſie Samen abwerfen
konnten, oder aber ein für die
Eiche ſo günſtiges Klima, daß
ſie wenigſtens bis zum 30. Jahre
mit der Buche im Höhenwachs⸗
tum gleichen Schritt hält, alſo
keinen Schutz braucht. Wo dieſe
Vorausſetzungen nicht gegeben
ſind, iſt es zweckmäßiger, wie im
Speſſart üblich iſt, Eichenſaaten
auf Flächen von einem Hektar
und mehr unter einem lichten
Schirmbeſtand auszuführen und
die ſich etwa eindrängenden Bu—
chen frühzeitig als Unkraut zu
entfernen. Haben die Eichen den l e *
erforderlichen Höhenvorſprung ae. 85. erogene. S. Jens) neh
erreicht, ſo wird die Umgebung
auf Buchen verjüngt. Die Eichenſtangenhölzer müſſen dann mit Buchen unterbaut
werden.
Auch ſonſt iſt künſtliche Verjüngung unter Schirm zweckmäßig, wo Holzarten
erzogen werden ſollen, die im alten Beſtande fehlten, ebenſo in Lagen, in denen nur
ſelten Samen reif wird. Denn unter dem Schirmbeſtand bleibt die Bodenkraft beſſer
gewahrt als im Kahlſchlag, die Gefahr der Verunkrautung und der Beſchädigung
durch Froſt iſt weſentlich vermindert. Daher iſt es möglich, Saaten zu machen oder
doch ſchwache unverſchulte Pflanzen zu verwenden und ſo mit geringen Koſten aus—
zukommen. Den Schirmbeſtand bildet man dann aus den ſchwachen und mittleren
Stämmen, um Fällungsſchäden zu verhüten.
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538 2. Abſchnitt.
Was den äſthetiſchen Wert der Schirmſchlagform anlangt, ſo verdanken ihr die
alten majeſtätiſchen Buchendome ihre Entſtehung, die jedes Waldfreundes Herz immer
wieder erfreuen. Auch die wechſelnden Waldbilder, die während der Verjüngung ent—
ſtehen, ſind voller Schönheit, die fertigen Dickungen und Stangenhölzer aber eintönig
und reizlos. Nun iſt aber auch die Erhaltung der Bodenkraft während des Stangen—
und Baumholzalters der aus der Schirmſchlagform hervorgegangenen Beſtände oft
gefährdet, und daher hat ſie auch
manchen rückgängigen alten Be—
ſtand geſchaffen, der weder den
wirtſchaftlichen noch den äſthe—
tiſchen Anforderungen genügt.
Inwieweit Abhilfe durch die
Beſtandeserziehung möglich iſt,
ſoll ſpäter unterſucht werden.
Ehe wir zur Betrachtung
der Kahlſchlagform übergehen,
ſei noch kurz eine Frage erörtert,
die in den letzten Jahrzehnten
innerhalb der forſtlichen Kreiſe
viel umſtritten wurde. Es iſt
die der Benützung der Vor—
wüchſe. Wir verſtehen unter
Vorwuchs junge Pflanzen, die
ſich vor Beginn der Verjüngung
auf kleinen Beſtandeslücken oder
im Seitenlicht an den Beſtandes—
rändern eingefunden haben. Sie
beſitzen meiſt ſchon ein gut aus⸗
gebildetes Wurzelſyſtem, dank
deſſen ſie nach der Freiſtellung
N oft in recht kurzer Zeit zu
Abb. 36. Eichenverjüngung im Speſſart. (Phot. Forſtaſſeſſor Gayer.) ſchönen Stämmen heranwachſen.
Ihre Benützung bedeutet dann
eine Erſparnis an Zeit und Koſten. Ob ſie ſich aber noch gut entwickeln können,
iſt abhängig von der Zeit, die ſie unter dem Schirm des alten Holzes ſtanden und von
deſſen Dichte, weiter von der Bodengüte. Das beſte Merkmal für die Beurteilung
der Brauchbarkeit der Vorwüchſe iſt die Länge der in den letzten Jahren gebildeten
Gipfeltriebe. Sind dieſe ſo lang, daß die Krone einen ſpitzen Kegel bildet, ſo kann
noch auf eine gute Entwicklung gerechnet werden, nicht aber wenn ſie ſo kurz, daß
eine flache teller- oder radförmige Krone entſtanden iſt. Je jünger und je niederer
der Vorwuchs iſt, um ſo eher kann er auch in vereinzelter Stellung gebraucht werden,
da er von den ſpäter kommenden Pflanzen noch leicht eingeholt wird, je älter und
höher er iſt, umſomehr muß auf einen gruppenweiſen Stand geſehen werden. Dabei
Die Kehlſchlagform. 539
ſollen ſich die Gruppen von der Mitte nach den Seiten abflachen, damit die weitere
Verjüngung ſich gut anſchließen kann. Ausſchlaggebend wird oft die Verteilung der
alten Hölzer wegen der Fällungsſchäden, denn durch dieſe wird häufig an ſich guter
Vorwuchs unbrauchbar.
Die Benutzung aller geſunden Vorwüchſe, die den genannten Forderungen ge⸗
nügen, iſt Regel bei der Femel- und der Femelſchlagform. Sie widerſpricht dagegen
dem ſtrengen Prinzip des Schirmſchlags — Verjüngung aus einem Guß. Im In—
tereſſe der Koſtenerſparnis wie der Mannigfaltigkeit der Beſtände ſollte jedoch auch
bei Schirmſchlag und
Kahlhieb der gute Vor—
wuchs erhalten werden.
Denn es iſt oft das ein—
zige Mittel, um langſam—
wüchſigere Arten zu
ſichern, z. B. Tannen in
Buchen⸗ und Fichten-
beſtänden.
Die Kahlſchlagform.
Im Gegenſatz zu
den bisher beſchriebenen
Formen erfolgt hier die
Verjüngung erſt nach
Abtrieb des alten Be—
ſtandes. Wird ſie ganz
der Natur überlaſſen, Abb. 37. Herrichtung von Schwellen. (Phot. Forſtaſſeſſor Boſch.)
d. h. den Sämereien, die
der Wind aus benachbarten Waldteilen herbeiführt oder die Vögel herzutragen, ſo
iſt ſie unſicher, langwierig und führt meiſt zu ungenügend geſchloſſenen Beſtänden.
Daher iſt künſtliche Verjüngung durch Saat oder Pflanzung Regel.
Der Hauptvorteil des Kahlſchlags iſt die Einfachheit des Betriebes. Es genügen
auch weniger geſchickte Holzhauer, das Holz kann auf dem Schlage ſitzen bleiben, bis
die Käufer es ſelbſt abholen, ja es kann dieſen ſogar geſtattet werden, es hier ſchon
zu bearbeiten, z. B. Schwellen daraus zu ſchneiden und dieſe zu beſchlagen. Die Ge—
winnung des Stockholzes, d. h. der ſtärkeren im Boden ſteckenden Wurzeln, iſt im
Kahlſchlagbetrieb immer möglich, bei den andern Methoden, nur ſolange kein hoher
Jungwuchs in der Nähe ſteht. Waldungen, die ſchon längere Zeit durch Kahlſchlag
verjüngt wurden, ſind ſehr überſichtlich, ſie ſetzen ſich aus einer Reihe einheitlicher,
nur im Alter verſchiedener Schläge zuſammen, die Regelung des Ertrages iſt daher
einfach und ſcheinbar ſehr ſicher. Auch hat der Verwaltungsbeamte nur ein Minimum
an geiſtiger Arbeit zu leiſten, er bezeichnet jährlich die abzutreibenden Flächen, und
ſchreibt vor, was auf ihnen im kommenden Jahr angebaut werden ſoll, er kann da—
her auch einen viel größeren Bezirk verwalten. Aber dieſe Vorzüge treffen nur zu,
wenn keine Störung eintritt, wenn die Kulturen anſchlagen und keine Inſektenverhee—
540 2. Abſchnitt.
rungen oder ſonſtige Kalamitäten dazwiſchen kommen. — Nun liefert jedoch der Kahl—
ſchlag faſt ausnahmslos reine gleichalte Beſtände, die, wie wir ſahen, die Maſſen—
vermehrung der Waldfeinde begünſtigen und vielfachen Beſchädigungen durch elemen—
tare Gewalten ausgeſetzt ſind. Die Windbruchgefahr iſt wohl etwas kleiner als beim
Schirmſchlag, weil man den Hieb der herrſchenden Windrichtung entgegenzuführen pflegt
und dem Sturm ſo einen geſchloſſenen Waldtrauf entgegenſtellt. Kommt der Sturm
freilich einmal aus der entgegengeſetzten Richtung, ſo iſt der Schaden in den gleich—
2 wüchſigen, ſchlechtbekronten und ſchlecht—
bewurzelten Beſtänden auch beſonders
groß.
Der Hauptnachteil aber liegt in
der Rückwirkung auf den Boden. Die
plötzliche Bloßlegung zerſtört eben die
biochemiſchen Umwandlungsprozeſſe in
der toten Bodendecke, der in dieſer und
der Mullerde aufgeſpeicherte Stickſtoff—
vorrat geht zum großen Teil nutzlos
verloren. Der Boden wird der Ver—
härtung und Auslaugung durch die
Regengüſſe preisgegeben, Unkräuter, die
im Schluß des Waldes nur kümmerlich
vegetierten, wie Heidelbeere und Heide
breiten ſich raſch aus, andere leichtſamige
vom Wind verſchleppte geſellen ſich
hinzu, zehren am Nährſtoffvorrat und
machen den jungen Holzpflanzen eine
ſchwere Konkurrenz. An Stelle des
feuchten gemäßigten Klimas, das unter
N dem Schatten der alten Stämme herrſcht,
Abb. 38. Fichtentahlſchlag. (hot. Forſtaſſeſſor O. Feucht.) tritt, wie Mayr treffend jagt, das der
Steppe mit ſeinen ſchroffen Extremen.
Auch das Mehr an Niederſchlägen auf der freien Fläche hilft den jungen Bäumchen
nicht viel, es wird ihnen von jenen Konkurrenten vorweggenommen oder fließt am
Bergabhang ab, ohne in die tieferen Schichten einzudringen. An ſteilen Wänden
aber entführt der Regen einen Teil der Feinerde, auf flüchtigem Sandboden bewirkt
das gleiche der Wind. So iſt denn auch die Entwicklung der auf die kahle Fläche
gebrachten Pflanzen in den erſten Jahren meiſt wenig befriedigend, ſie kränkeln, wie
oft ſchon die gelbliche Färbung verrät, und bieten ſo ſchädlichen Inſekten willkommene
Fraß⸗ und Brutſtätten. Selbſt mit großer Sorgfalt ausgeführte Kulturen haben häufig
einen erheblichen Abgang und erheiſchen viele Nachbeſſerungen, die die an ſich hohen
Koſten beträchtlich ſteigern.
Tritt dann endlich der Schluß zwiſchen den Pflanzen ein, ſo folgt meiſt eine
Zeit nur zu lebhaften Wachstums, ſo daß ein brauſches minderwertiges Holz gebildet
wird. Es entſtehen die großen gleichförmigen Kiefern- und Fichtenſtangenhölzer, unter
Die Saumſchlagformen. 541
denen nur gar zu leicht die Trockentorfbildung einſetzt, welche die Bodenkraft zerſtört.
Denn ſieht man ab von kleinen Eichenbeſtänden, ſo ſind faſt nur dieſe beiden Holz—
arten bisher im Kahlſchlagbetrieb nachgezogen worden, die Artenarmut des modernen
Waldes hängt aufs engſte zuſammen mit der Verbreitung, welche die Kahlhiebe ſeit
achtzig Jahren erfuhren. Selbſt wenn ein ſolcher Wald den vielen ſonſtigen Gefahren
entgeht, ergibt ſich eine Verſchlechterung der Produktionskräfte, der man nur mit
neuen Aufwendungen für Unterbau und dergleichen entgegenarbeiten kann.
Auch in äſthetiſcher Beziehung wirkt der Kahlſchlag überwiegend ungünſtig, er
ſchafft in der Regel langweilige Landſchaftsbilder und raubt dem Wanderer auf
großen Strecken den Schatten, wegen deſſen er doch in erſter Linie im Sommer den
Wald aufſucht.
Die Saumſchlagformen.
Haben wir bisher Waldformen kennen gelernt, die ſich durch die Art der Ver—
jüngung unterſchieden, ſo verlangt nunmehr eine räumliche Ausgeſtaltung der Hiebs—
führung unſere Beachtung, die bei verſchiedenen Verjüngungsverfahren angewendet
werden kann, dabei aber den Vorteil hat, daß immer nur kleine Flächen einheitlich
behandelt werden müſſen. Wir bezeichnen ſie als Saumſchläge, weil die Breite —
Tiefe — der Wirtſchaftsfläche gering iſt, während ihre Länge ſehr groß ſein kann.
Als Breite eines Schlages iſt dabei die Richtung anzuſehen, in der die Verjüngung
über einen größeren Waldteil fortſchreiten ſoll. Die Saumſchläge verdanken ihre Ent—
ſtehung der Erkenntnis, daß mit den zuſammenhängenden großen Kahlſchlägen die
Gefahren für den Wald raſch wachſen. Man wollte dem Jungwuchs noch durch
einige Jahre den Schutz verſchaffen, den benachbartes Holz gegen die Austrocknung
durch Sonne und Wind, ſowie gegen leichte Fröſte gewährt, und beſchränkte daher
den Abtrieb auf die Breite, die der einfachen bis doppelten Höhe des alten Beſtandes
entſprach, und ließ den Hieb erſt weiterſchreiten, nachdem der neue Beſtand den erſten
Jugendgefahren entwachſen war und feſten Fuß gefaßt hatte. Da hiezu doch min—
deſtens drei bis vier Jahre erforderlich ſind, zwang dies Verfahren auch die Hiebs—
flächen im Walde zu verteilen. Indem man die Saumſchläge gegen die Hauptwind⸗
richtung vorrücken ließ, ſuchte man ſich gegen Sturmſchäden zu ſichern. Auf den
Hiebsſtreifen ſelbſt genoß man den mit dem Kahlſchlag verbundenen Vorteil der Ein—
fachheit. Aber es entſtanden doch nur gleichalte, meiſt reine allerdings kleine Be—
ſtände und der Boden blieb den Hauptnachteilen der völligen Freilegung unterworfen.
Immerhin war auch die natürliche Verjüngung auf dieſen Streifen eher möglich als
auf den großen Kahlflächen und das Gelingen der Kulturen erleichtert.
Die Schirmverjüngung wurde ebenfalls in Saumſchlägen durchgeführt, ſo daß
ein Streifen ſich im Stadium der Räumung, der nächſte in dem der Lichtung und
der dritte, längs des geſchloſſenen Altholzes hinziehende, in dem der Beſamung be—
fand. Auch dieſes Verfahren führt zu kleinen, aber annähernd gleichalten Beſtänden.
In Bayern verwendet man vielfach mit gutem Erfolg eine Verbindung von Femel—
ſchlag und Saumſchlag, indem zuerſt im Beſtand eine Anzahl von Verjüngungshorſten
geſchaffen wird und dann, während man dieſe erweitert, gleichzeitig von Oſten, Nord⸗
oſten oder Norden her Saumſchläge in dem Schirm- oder einem kurzfriſtigen Femel⸗
ſchlagverfahren verjüngt werden.
542 2. Abſchnitt.
Erhöhte Bedeutung hat die Saumſchlagform im letzten Jahrzehnt dadurch ge—
wonnen, daß fie von dem Tübinger Profeſſor Ch. Wagner zum „Blenderſaumſchlag“
ausgeſtaltet wurde. Wagner geht von der zuerſt durch ihn feſtgeſtellten Tatſache aus,
daß am Nord- und Nord-Nordweſtrand der alten Beſtände die natürliche Beſamung die
günſtigſten Bedingungen vorfindet, weil hier die vorwiegend von Weſten kommenden
Sommerregen den jungen Pflanzen unverkürzt zukommen und gleichzeitig die aus—
trocknenden Sonnenſtrahlen abgehalten ſind. Wagner empfiehlt daher von Norden
nach Süden fortſchreitende, in ihrer Längserſtreckung ſomit von Oſt nach Weſt ver-
ar
Abb. 39. Blenderſaumſchlag. (Phot. Forſtaſſeſſor Gayer.)
laufende Saumſchläge, die nur eine halbe Baumhöhe breit ſein ſollen, damit die
jüngſte Abſäumung immer noch unter dem Einfluß des vorliegenden gegen die Be—
ſonnung ſchützenden Altholzes ſteht. Der Rand des Altholzes wird durch femel—
oder ſchirmartige Hiebe gelockert, ſo daß ſich ſchon unter ihm eine Beſamung einſtellt
und insbeſondere der langſamwüchſigen Tanne ein Vorſprung vor Buche, Fichte und
Kiefer gegeben werden kann. Auch dieſe Vorhiebe dringen in ſchmalen Säumen in
den Beſtand ein und zwar, ſoweit es das Gelände irgend erlaubt, ſtreng gegen Süden
fortſchreitend. Der Hiebsfortſchritt iſt je nach der gewünſchten Holzartenmiſchung und
den Bedürfniſſen der Etatsdeckung verſchieden ſchnell, die Hauptſache iſt, daß der
Der Blenderſaumſchlag. 543
Hieb nach wenigen Jahren wiederkehrt, nie lange ſtillſteht, denn dadurch wird die
Beſamungsfähigkeit des Bodens erhalten.
Der Blenderſaumſchlag benützt wie die Femel- und die Femelſchlagform jedes
Samenjahr, auch wenn es nur geringe Mengen liefert. Daher beſtehen die Jung—
wüchſe aus mehreren Jahrgängen, und das iſt für die Ausformung und Erhaltung
der Miſchungen wertvoll. Denn bei der erſten Reinigung kann die gewünſchte Alters—
abſtufung leicht hergeſtellt werden. Im übrigen ſtrebt Wagner nach möglichſt gleich—
wüchſigen Miſchbeſtänden, wegen der beſſeren Reinigung der Schäfte. Die Frei—
ſtellung der Jungwüchſe ſoll ſo früh erfolgen, als es wegen der Froſtgefahr nur
zuläſſig iſt. Die alten Bäume ſind immer in den geſchloſſenen Beſtand hinein zu
fällen und durch dieſen an die Wege zu ſchaffen; letztere Arbeit weiſt Wagner grund—
ſätzlich den Fuhrleuten, nicht den Holzhauern zu.
Die bisherigen Erfolge des Blenderſaumſchlags ſind ſehr günſtige. Auf manchen
Standorten muß natürlich erſt noch das Ergebnis weiterer Verſuche abgewartet wer—
den. Insbeſondere wird ſich die Frage kaum vor Ablauf des erſten Umtriebs be—
antworten laſſen, ob ſich die Miſchungen auf allen Böden in den ſo entſtandenen
Beſtänden dauernd erhalten. Jedenfalls iſt das Verfahren ſehr überſichtlich und ge—
währt, da beliebig viele Angriffslinien gewählt und das Hiebstempo geändert werden
kann, die genügende Beweglichkeit, um den Bedürfniſſen des Waldbaus wie der
Etatswirtſchaft gerecht zu werden. Die Vorteile des Anhiebs von Norden her ver—
dienen ſicherlich in allen Gebieten mit nur mittlerer Luftfeuchtigkeit ausgenützt zu
werden, falls man nicht zum Femelwald zurückkehren will oder kann. Da Oſt- und
Weſtſtürme längs geſchloſſener Hiebsfronten hinbrauſen, die ſüdlichen Winde aber auf
den alten Waldtrauf oder das nach Norden anſteigende Kronendach treffen, iſt die
Windbruchgefahr unerheblich. Auch können die Süd- und Weſtfronten der Schlag—
bahnen nach Wagners Vorſchlag durch die Anpflanzung von Eichenſtreifen ſturmfeſter
gemacht werden.
Ein ähnliches Verfahren bilden Eberhards „Anrückzonen“, nur daß dieſer ſeine
Saumſchläge nicht gegen Süden, ſondern nach der Abfuhrgelegenheit orientiert.
Überhalt.
Überhälter find einzelne Stämme, die beim Abtrieb eines Beſtandes ſtehenge—
laſſen wurden, damit ſie noch einen Umtrieb lang weiter wachſen und dann mit dem
eben neubegründeten Beſtande gehauen werden. Man beabſichtigt dabei in der Regel
Starkholz in kleinen Mengen zu erziehen, ohne den Umtrieb im ganzen Wald hinauf—
ſetzen zu müſſen. Geeignet ſind vor allem Lichthölzer, da ſie den nachwachſenden
Beſtand am wenigſten in der Entwicklung hemmen, und unter ihnen wieder Kiefer
und Eiche; denn bei dieſen tritt mit zunehmender Stärke eine bedeutende Wert:
ſteigerung ein. Dünnrindige Hölzer, wie Buche oder Ahorn, leiden zu ſehr unter
dem Rindenbrand, ſind daher zum Überhalt ſchlecht geeignet. Bleiben die Überhälter
bis zum Ende des zweiten Umtriebs geſund, ſo iſt der wirtſchaftliche Erfolg gut;
aber leider fallen ſie ſehr häufig dem Wind, dem Blitz, der Gipfeldürre und an⸗
deren Schäden zum Opfer und müſſen dann vorzeitig ausgehauen werden. Das
läßt ſich aber ſelten ohne große Beſchädigungen des jungen Beſtandes ausführen,
544 2. Abſchnitt.
und oft müſſen die Stämme in kurze Abſchnitte oder gar zu Brennholz aufgeſägt
werden, um ſie an den Weg bringen zu können. Dann aber bedeutet der Überhalt
Verluſtwirtſchaft, da der Erlös aus dem Holz meiſt kleiner ſein wird, als wenn
man den Stamm gleich am Ende des erſten Umtriebs eingeſchlagen hätte. Dazu
kommt noch ein weiterer Ausfall, denn im Kronenbereich des Überhälters kommen
Lichthölzer überhaupt nicht auf und auch Schatthölzer wachſen ſehr langſam.
Man beſchränkt daher
heute den Überhalt einzel—
ner Stämme meiſt auf die
Nähe der Wege, wo er
weſentlich zur Verſchönerung
des Waldbildes beiträgt und
die Nutzung jederzeit ohne
großen Nachteil erfolgen
kann. Die zum Überhalt
beſtimmten Stämme müſſen
natürlich ganz geſund und
tadellos geformt ſein,
ſchwache und mittlere ſind
noch einer größeren Wert—
ſteigerung fähig als ſtarke.
Eichen müſſen ſchon in den
letzten zwanzig Jahren vor
dem Abtrieb durch allmäh—
lichen Freihieb auf den Über-
halt vorbereitet werden, ſo
daß ſie eine ſtarke Krone
erhalten; ſonſt überzieht ſich
der Schaft nach der Frei—
ſtellung mit „Waſſer—
reiſern“, die Krone aber
trocknet von oben her ein,
und ſehr häufig kommt
Stammfäule hinzu. Bleibt
Abb. 40. Friſch aufgeaſtete Eichenüberhälter. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.) aber der Baum geſund, ſo
verſchwinden zwar, wenn
der junge Beſtand heraufwächſt, die Waſſerreiſer wieder, aber der Schaft bleibt rauh
und iſt daher weniger wertvoll.
Viel zweckmäßiger iſt der Überhalt ganzer wüchſiger Horſte und Kleinbeſtände,
die nötigenfalls unterbaut werden können. Ihre Nutzung kann jederzeit ohne
Nachteil für den Nachbarbeſtand ausgeführt werden. Ganz beſonders vorteilhaft
iſt dies Verfahren für die Eiche, da hier die einzelnen Stämme ſich gegenſeitig
ſo ſtark beſchatten, daß die Waſſerreisbildung ausgeſchloſſen iſt. Im Pfälzer
Wald und Speſſart werden ſolche Eichenüberhaltbeſtände mit einem Gürtel von
Unterbau und Lichtwuchsbetrieb. 545
Buchen umgeben, um ſie ganz den ungünftigen Einflüſſen der Freiſtellung zu
entziehen.
Unterbau und Lichtwuchsbetrieb.
Die Natur hat häufig Waldbilder geſchaffen, bei denen unter lichtſtehenden
Eichen, Kiefern oder Lärchen ein lockerer jüngerer Beſtand aus Buchen, Hainbuchen,
Tannen oder Arven ſteht, deren Samen offenbar vom Wind oder Vögeln herbei—
getragen wurden. Andere Beſtände dieſer Art gingen aus ſcheinbar verunglückten
Buchenverjüngungen hervor, zu deren Erſatz eine Kiefernſaat oder pflanzung gemacht
wurde. Die Kiefern wuchſen voraus, die Buchen bildeten dagegen einen Unter- oder
Zwiſchenſtand. Das gute Gedeihen ſolcher „zweietagiger“ Beſtände gab zu Verſuchen
Anlaß, die nachteilige Bodenverwilderung durch planmäßigen Unterbau zu verhüten,
welche ſich ſonſt in Lichtholzbeſtänden vom mittleren Alter ab wegen des lockeren
Schluſſes einſtellt. Es geſchieht dies durch den Anbau einer Schattholzart. Geeignet
ſind Buche, Hainbuche, Edelkaſtanie, Linde und Tanne, weniger die Fichte, weil ſie
mit ihrem dichten oberflächlichen Wurzelſyſtem den Boden zu ſehr verſchließt. Die
Verwendung von Laubhölzern iſt im allgemeinen zweckmäßiger, da die Blätter ſich
raſcher zerſetzen und die Mullbildung begünſtigen. Auch iſt das Längenwachstum
der Laubhölzer nicht ſo energiſch, es kommt daher nicht ſo leicht dazu, daß die
Unterbaupflanzen in den Kronenraum der Oberſtänder hineinwachſen, dieſen einengen
und dadurch nachteilig werden. Dagegen gibt Tannenunterſtand höhere Gelderträge
und ſchlägt nach dem Abtrieb nicht vom Stock aus, während die Laubhölzer hier—
durch oft ſo läſtig werden, daß man ſie vor Beginn der Verjüngung mit den Wurzeln
ausroden muß.
Der richtige Zeitpunkt für den Unterbau iſt nach Abſchluß des Längenwachs—
tums eingetreten, wenn die Stämme ſich bereits auf die Höhe von 12 —15 m von
den Aſten gereinigt haben. Damit die Saaten oder Pflanzungen unter ihnen auf—
kommen können, iſt meiſt ein ſtarker Durchhieb erforderlich. Der Unterbau braucht
kein enggeſchloſſener zu ſein, vielmehr wirkt er am günſtigſten, wenn er gerade nur
ausreicht, die Verunkrautung zu hindern. Zu dichter Unterbau beanſprucht einen zu großen
Teil der Nährſtoffe für ſich und vermindert dadurch den Zuwachs des Hauptbeſtandes.
Der Unterbau erlaubt uns, den alten Beſtand ſcharf zu durchforſten, alle
kranken und ſchlechtgeformten Stämme frühzeitig zu entfernen und den beſten ſo viel
Kronenfreiheit zu geben, als zur ſchnellen Entwicklung erforderlich iſt.
Seine größte Bedeutung erreicht er erſt in Verbindung mit dem Lichtwuchs—
betrieb. Dieſer beſteht darin, daß etwa vom 70. Jahre an die beſten Stämme all—
mählich ganz frei geſtellt werden, ſo daß ihre Kronen ſich allſeitig voll entwickeln
können. Dadurch wird der Zuwachs der einzelnen Stämme ſehr geſteigert. Der
Maſſenertrag ſolcher Beſtände iſt trotzdem nicht größer als der regelmäßig erzogener,
aber er ſetzt ſich aus einer kleineren Zahl beſtgeformter ſtärkerer und daher meiſt
wertvollerer Bäume zuſammen. Auch bei Schatthölzern wird der Lichtwuchsbetrieb
angewendet. Dabei ſtellt ſich dann oft die natürliche Verjüngung ein und macht den
Unterbau überflüſſig. Wo ſie aber nicht bald eintritt, darf jener nicht unterlaſſen
werden, damit der Boden nicht verwildere.
Hausrath, Die Waldwirtſchaft. 35
546 2. Abſchnitt.
Mayr's Kleinbeſtandswald.
Es iſt nicht möglich, alle die Waldformen zu beſprechen, die durch kleine Ab—
änderungen der Hauptformen erſonnen und hier oder dort mit größerem oder klei—
nerem Erfolg im Walde verſucht worden ſind. Nur einem Vorſchlag H. Mayr's ſei
hier noch eine kurze Betrachtung gewidmet, da er eine lebhafte Erörterung hervor—
gerufen hat. Mayr fordert Kleinbeſtände von 0,3—3, höchſtens 5 ha Größe. Jeder
ſoll nur aus einer Holzart beſtehen, aber aus einer andern als die Nachbarbeſtände;
ARTE
—
Abb. 41. Kiefern im Lichtwuchsbetrieb, von Tannen unterwachſen. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
iſt ein ſolcher Wechſel der Holzart nicht möglich, ſo ſollen die Nachbarn doch große
Altersunterſchiede zeigen. Die Kleinbeſtände ſind ſo zu erziehen, daß ſie zwiſchen
dem 40. und 50. Jahre mit einer Schattholz- oder Halbſchattholzart unterbaut
werden können. Von Unterbau erwartet Mayr, daß er „die Vorzüge verwirklicht,
welche der gemiſchte Beſtand auf den Boden ausübt, ohne die wertvollen Beſtandes—
glieder in der Krone zu beeinträchtigen.“ Der Hauptbeſtand ſelbſt wird im Licht—
wuchsbetrieb bewirtſchaftet und wenn er hiebsreif geworden, raſch im Schirmſchlag
verjüngt. „Die freiſtehenden Althölzer tragen öfter und reichlicher Samen, der
Boden iſt durch den Unterbau ſtets aufnahmefähig. In einem Samenjahre wird
die Hälfte aller Stämme gefällt oder gerodet, der Unterbau gerodet, ſoweit er nicht
Mayr's Kleinbeſtandswald. 547
zu etwaigem Schutz der Verjüngung nötig erſcheint. Wo die Rodung als Boden—
verwundung noch nicht genügt, mag eine ſolche mit eigenen Werkzeugen hinzutreten.
Nach einem oder zwei Hieben wird der alte Beſtand ganz beſeitigt, die Verjüngung
des ganzen Kleinbeſtandes kann in 5—6 Jahren beendet fein, wo ein Teil des ehe—
maligen Unterbaues zum Schutz belaſſen wurde, möge er fallen, wenn er ſeine
Schuldigkeit getan hat, wo Nachhilfe nötig iſt, wird die gleiche Holzart gepflanzt.
Dieſe Naturverjüngung iſt ſchnell, ſicher und leicht, entſpricht ſomit allen Anforde—
rungen an einen rentablen und naturgeſetzlichen Waldbau.“
Waldbaulich möglich iſt dieſes Ideal ſchon, zumal wenn der Kleinbeſtand ſich
den Bodenverhältniſſen anpaßt. Auch darf man Wagner wohl zuſtimmen, wenn er
ſagt, der Unterbau werde in vielen Fällen durch natürliche Randbeſamung oder
Vogelſaat überflüſſig gemacht. Mayr ſelbſt rechnet damit nicht, die natürliche Ver—
jüngung des Lichtwuchsbeſtandes ſelbſt im Stangenalter hält er für nachteilig. Auf
ſchwachen Standorten, wo Buchen und Tannen ausgeſchloſſen ſind, dürfte der
Unterbau von Fichtenbeſtänden kaum möglich ſein. Ein entſchiedener Nachteil iſt,
daß ſehr viele Beſtandesränder geſchaffen werden, die äſtiges Holz ergeben müſſen;
denn ſie dürfen im Gegenſatz zur Gruppen- und Horſtmiſchung im Intereſſe der
Sturmſtändigkeit nicht bei den Durchforſtungen beſeitigt werden. Der ſpringende
Punkt iſt, daß Mayr wie Wagner nach gleichwüchſigen, aber kleinen Beſtänden
ſtrebt, weil er glaubt, daß ſie den finanziellen Anſprüchen beſſer genügen als der
ungleichaltrige Wald. Ob dies wirklich der Fall, iſt meines Erachtens immer noch
eine offene Frage. Daß der Femelwald naturgemäßer ſei, gibt Mayr ſelbſt zu, die
Mißerfolge der Femelſchlagform führt auch er zum großen Teil auf mangelhafte
Erziehung der Beſtände zurück. Die Abſtellung dieſes Mißſtandes dürfte leichter und
billiger ſein als die Durchführung ſeiner Vorſchläge.
Nachdem wir nun die Hauptformen des Hochwaldes kennen gelernt haben,
können wir zur Beſprechung der vielumſtrittenen Frage übergehen, ob natürliche oder
künſtliche Verjüngung zweckmäßiger ſei.
Die Gegner der natürlichen Verjüngung führen folgende Gründe an: Der Er—
folg ſei unſicher, daher gehe oft viele wertvolle Zeit mit dem Warten auf die Be—
ſamung verloren, in der der Boden verwildere und keinen entſprechenden Ertrag
liefere, weil die verminderte Stammzahl einen kleineren Zuwachs habe als der ge—
ſchloſſene Beſtand. Dies Bedenken iſt berechtigt, wenn die Beſtände nicht für die
Verjüngung vorbereitet waren oder große Flächen raſch verjüngt werden ſollen; denn
dann bleiben oft große Reſtflächen oder es ſtellt ſich eine Holzart in ſolchem Über—
maße ein, daß koſtſpielige Reinigungen — Wurzelrodung — nötig werden, um auch
noch andere emporzubringen. Langſames Vorgehen hat faſt immer Erfolg, wenn
der Boden nicht bereits verdorben war. In dieſem Falle iſt allerdings die künſtliche
Verjüngung vorzuziehen.
Zuwachsverluſte treten ein, wenn die natürliche Verjüngung mißlingt oder erſt
nach langer Lichtſtellung aufkommt. Sonſt entwickelt ſich zwar der Jungwuchs, fo-
lange er unter dichtem Schirm ſteht, nur langſam, aber er bildet in dieſer Zeit ein
548 2, Abſchnitt.
kräftiges geſundes Wurzelſyſtem, das ihn nach der Freiſtellung zu kräftigem, lang-
anhaltendem Wuchs befähigt. Wenn er auch dann zunächſt noch hinter den Kulturen
der gleichen Holzart zurückbleibt, ſo liegt das an dem dichteren Stand, d. h. der
größeren Pflanzenzahl in den natürlichen Verjüngungen und findet eben in der
höheren Wuchsenergie, die ſolche Beſtände im höheren Alter beſitzen, und in der
größeren Aſtreinheit ſeinen Ausgleich, dort aber, wo auch ſchwache Stämmchen gut
verkäuflich ſind, liefern ſie bei den erſten Durchforſtungen größere Erlöſe. Ob der
gelichtete Altbeſtand weniger Zuwachs hat als der geſchloſſene, hängt von dem Grad
Abb. 42. Graswüchſige Kiefernkultur. (Phot. Forſtamtmann Dr. E. Wimmer.)
der Lichtung, der Geſundheit und dem Alter der Bäume und den Bodenzuſtänden
ab. Daß der ſog. Lichtungszuwachs, auf den beim Kahlſchlag ganz verzichtet werden
muß, manchmal recht erheblich iſt, wurde ſchon früher erwähnt. Mir ſind Fälle
bekannt, in denen er ſo groß war, daß 10 Jahre nach der Lichtung wieder ſo viel
Holz daſtand, als der unangegriffene Beſtand gehabt haben würde, und doch war
inzwiſchen auch der Jungwuchs emporgekommen. Es war alſo jedenfalls mehr, nicht
weniger produziert worden. Endlich darf auch nicht überſehen werden, daß die
meiſten Kulturen zunächſt einige Jahre kränkeln und ſtocken, d. h., daß auch bei
ihnen ein Zuwachsverluſt zu verzeichnen iſt. Und gar manche Kultur muß zwei—
oder mehrmals ausgeführt werden; denn der Engerling, die Rüſſelkäfer und ſonſtigen
Feinde der jungen Bäume bevorzugen entſchieden die künſtlich geſchaffenen Beſtände,
vor allem die infolge der Verpflanzung kränkelnden Pflanzen.
Kahlſchlag oder natürliche Verjüngung. 549
Der Vorwurf, daß die natürliche Verjüngung durch den bei ihr ſich einſtellenden
Graswuchs Verſtecke für Mäuſe und andere Schädlinge ſchaffe, iſt gut geleiteten
Verjüngungen gegenüber unberechtigt. Dieſe leiden unter dem Graswuchs gewiß nicht
mehr, ſondern weniger als Kahlhiebe. Daß bei dieſen Fällungsſchäden leichter ver—
mieden werden können, die Verwertung des Holzes und der ganze Betrieb ſich ein—
facher geſtaltet, iſt richtig, darf aber nicht als ausſchlaggebend angeſehen werden.
Bezüglich der Koſten behaupten beide Parteien, ihre Methode ſei billiger. Nun
gibt es gewiß ſehr wohlfeile Kulturmethoden, aber aus den erwähnten Urſachen iſt
oft ein erheblicher Teil nachbeſſerungsbedürftig. Im großen Durchſchnitt kommt heute
der Hektar wirklich geſicherte Kultur in Deutſchland mindeſtens auf 200 Mark.
Anderſeits ſind mißlungene natürliche Verjüngungen, die nachträglich ganz oder teil—
weiſe durch Pflanzung erſetzt werden müſſen, auch ſehr teuer. Gerät aber die natür—
liche Verjüngung, ſo iſt ſie billig, denn die Koſten beſtehen dann nur in dem Auf—
wand für die zur Herſtellung des gewünſchten Miſchungsverhältniſſes erforderlichen
Reinigungen und dem Mehr an Löhnen, das etwa für ſorgſame Fällung und Ver—
bringung der Hölzer an die Wege gezahlt werden muß. Ab und zu tritt noch ein
kleiner Ausfall für Stockholz hinzu, das dort, wo die Verjüngung ſchon höher ge—
worden iſt, im Boden belaſſen werden muß. Aber in vielen Gegenden wird das
ſchwächere Wurzelholz gar nicht ſo bezahlt, daß ſeine Gewinnung rentiert, der wert—
vollſte Teil, der eigentliche Wurzelſtock kann auch in Verjüngungen durch Graben
des ſtehenden Baumes gewonnen werden. An Bergwänden iſt die Belaſſung der
Stöcke im Boden immer vorteilhaft, weil ſie die Abſchwemmung der Feinerde ver—
hindern, ebenſo auf armen Böden durch die Vermehrung des Humusgehaltes und die
beſſere Durchlüftung, die nach dem Verrotten der Wurzelſtränge möglich iſt.
Ausſchlaggebend ſind folgende drei Punkte:
1) Die natürliche Verjüngung bietet die Sicherheit, daß an Standort und Klima
angepaßte Varietäten erhalten bleiben, während beim Bezug fremden Samens leicht
minderwertige Raſſen eingeſchleppt werden.
2) Die Nachzucht gemiſchter Beſtände iſt bei der künſtlichen Verjüngung gefährdet.
3) Soweit die künſtliche Verjüngung überhaupt Vorteile hat, kommen ſie nur
beim Kahlſchlag zur Geltung. Welche Gefahr dieſer aber für die Bodenkraft bedeutet,
wurde bereits eingehend erörtert.
Somit ſollte die natürliche Verjüngung die Regel ſein; auf ſie verzichten, wo
ſie gut möglich iſt, bedeutet Verſchwendung von Kulturgeldern und in vielen Fällen
auch Raubbau an der Produktionskraft des Bodens. Wo aber die Bodenzuſtände
oder der Beſtand nicht geeignet und wo ſie auch nicht mehr bis zum Beginn der
natürlichen Verjüngung in die richtige Verfaſſung gebracht werden können, wende man
lieber Saat oder Pflanzung unter Schirm an. Verſagt die natürliche Verjüngung
und droht der Boden zu verwildern, ſo greife man ebenfalls zur Kultur unter Schirm
und warte vor allem nicht ſo lange zu, bis die Verunkrautung ſchon übermächtig ge—
worden iſt. Unvermeidlich iſt die künſtliche Verjüngung, wenn neue Holzarten ein—
geführt werden ſollen und in Lagen, wo der Samenertrag der gewünſchten Holzart
ganz unſicher und zu ſpärlich iſt.
550 2.
Der Mittelwald.
Wie ſchon im einleitenden Abſchnitt geſagt, beſteht der Mittelwald aus einer
Vereinigung von Stockausſchlägen und Samenpflanzen. Die auf dem Schlag gleich—
alten Stockausſchläge bilden zuſammen mit der jüngſten Generation der Kernwüchſe,
die höchſtens einige Jahre älter ſind, das Unterholz, über dem das aus verſchiedenen
Generationen zuſammengeſetzte Oberholz ſeine Kronen emporhebt. Seine Altersklaſſen
Abb. 43. Friſchgehauener Mittelwaldſchlag.
(Phot. Forſtamtmann Dr. E. Wimmer.)
ſind jeweils um einen Umtrieb des
Unterholzes verſchieden, ihre Zahl
richtet ſich nach der Holzart, dem Ver—
wendungszweck und dem Unterholz—
umtriebe. Dieſer liegt meiſt zwiſchen
15 und 25 Jahren, über 30 hinauf—
zugehen iſt nicht ratſam, da dann die
Ausſchlagkraft vieler Holzarten ſehr
nachläßt. Die Eichen des Oberholzes
müſſen an den meiſten Orten 120
bis 150 Jahre alt werden, um den
höchſten Wert zu erreichen, ſie machen
alſo 5 bis 10 Umtriebe mit, Eſchen
meiſt 3 bis 5, Erlen 2 bis 3, Pappeln
und Weiden ſelten mehr als 2. Ein
vollſtändiger Mittelwald ſetzt ſich aus
ſo viel Schlägen zuſammen, als der
Unterholzumtrieb Jahre zählt, das
Unterholz iſt jeweils 1 Jahr älter
als auf dem nächſtjüngeren Schlag.
Das Waldbild iſt einem raſchen
Wechſel während des Umtriebs unter—
worfen. Auf dem friſch gehauenen
Schlag ſtehen nur die Oberhölzer, der
Boden unter ihnen iſt ſcheinbar kahl,
doch ſchon nach zwei Jahren bedeckt
ihn das Unterholz als ein dichtes
Gebüſch von einem bis anderthalb
Meter Höhe. Mit jedem Jahr geht
es weiter hinauf und am Ende der
Umtriebszeit reicht es mit ſeinen Gipfeln in den Kronenraum des Oberholzes hinein,
es iſt aus dem Gebüſch ein Stangenwald geworden, ja der Laie wird dann oft keinen
Unterſchied zwiſchen Mittelwald und Hochwald mit Überhältern erkennen.
Bei der Schlagſtellung werden die älteſten Oberhölzer jeder Art, die nun ihren
höchſten Gebrauchswert erlangt haben und von den ſchwächeren die etwa ſchadhaften
ſowie überzählige weggenommen, denn man läßt von der ſchwächſten Klaſſe, den Laß—
reiteln, mehr ſtehen als zum Erſatz für die hiebsreifen Stämme erforderlich ſind.
aals lange, denn ſie ermöglichen es,
Der Mittelwald. 551
Daher kann auch der Bedarf an mittelſtarkem Holz jeder Art leicht gedeckt werden.
Es empfiehlt ſich beim Hieb mehr Laßreitel, als weiterwachſen ſollen, ſtehen zu laſſen,
da im erſten Jahr oft ein Teil von ihnen durch Wind oder Schnee beſchädigt wird,
andere ſich biegen, weil ſie zu ſchlank gewachſen find, um die Laſt der ſich raſch ver—
größernden Krone zu tragen. Sie alle werden dann im nächſten Winter noch aus—
gehauen; gleichzeitig wird die richtige Stellung herbeigeführt. Stockausſchläge werden
zu Laßreiteln nur genommen, wenn keine geeigneten Kernwüchſe zu finden ſind. Denn
ihr Zuwachs iſt im zweiten Umtrieb meiſt ſchlecht, ſie werden leicht faul und brechen
bei heftigem Wind gern ab, da ihre
Bewurzelung eine ſchwächere iſt. Auch
mit Rückſicht auf das Oberholz ſind
kurze Unterholzumtriebe zweckmäßiger
jeden Stamm im richtigen Augenblick
zu ernten.
Eine weitere Bedingung für eine
erfolgreiche Mittelwaldwirtſchaft iſt,
daß das Unterholz hauptſächlich aus
ſchattenertragenden Arten beſteht und
daß dieſe bei den Reinigungen gegen
die Verdrängung durch Dornen und
anderes Strauchholz geſchützt werden.
Der Hieb muß während der Vege—
tationsruhe erfolgen, er ſoll möglichſt
tief geführt werden, damit die Aus—
ſchläge ſich ſelbſtändig bewurzeln, da—
her auch nicht umſtürzen, wenn der
alte Stock zuſammenfault. Kräftiger
Ausſchlag wird aber nur erzielt, wenn
der Hieb durch das junge Holz — nr
d. h. den letztmaligen Ausſchlag nicht Wr Let Seren „
den alten Stammreſt — geführt wird.
Hat man einmal zu hohe Stücke belaſſen, ſo werden ſie mit jedem Umtrieb höher,
die Ausſchläge ſind aber dann auf das alte Wurzelſyſtem angewieſen, da ſie kein
eigenes bilden können, jenes aber ſtirbt allmählich ab. Daraus geht die Notwendig—
keit hervor, von vornherein auf tiefen Hieb zu dringen. Endlich muß die Hiebs—
fläche glatt ſein, ſie darf nicht zerſplittern, ſonſt beginnt ſofort die Fäulnis, die dann
von unten her in die Ausſchläge eindringt. Die Benützung der Säge iſt ausgeſchloſſen,
denn bei ihr löſt ſich die Rinde oft noch auf Handbreite vom Stock ab, ſo daß die
Ausſchlagbildung erſchwert und auch wieder Anlaß zur Fäulnis gegeben iſt.
Zur Ergänzung des Unterholzes dienen zunächſt einmal die jungen Pflanzen,
die aus dem Samen des Oberholzes entſtehen. Sie reichen aber meiſt bei weitem
nicht aus, und daher iſt eine Auspflanzung der Lücken nötig. Vor allem müſſen die
künftigen Oberhölzer meiſt künſtlich eingebracht werden. Dabei beſteht aber die
552 2. Abſchnitt.
Schwierigkeit, daß die Stockausſchläge den Kernwüchſen in der Jugend im Längen—
wachstum meiſt ſehr überlegen ſind, dieſe daher leicht unterdrücken oder ſo ſehr in
der Entwicklung hemmen, daß ſie bis der Hieb wiederkehrt nicht mehr zu Laßreiteln
geeignet find. Auch die Benutzung ſtarken 1—1½ m hohen Pflanzmaterials ſchützt
dagegen nicht, da die Pflanzen nach dem Verſetzen in der Regel ein Jahr ſtocken.
Will man nicht ſehr Br re anmenden, en Sl auch im Mittelwald die
horſtweiſe Nachzucht
der künftigen Ober—
hölzer der Einzelein-
miſchung in die Aus—
ſchläge vorzuziehen.
Das führt dann
auch zu einer horſt—
weiſen Verteilung der
jüngeren und mitt—
leren Oberholzklaſſen,
die überall dort zu
bevorzugen iſt, wo
viel Nutzholz erzogen,
daher eine große Ober—
holzmenge übergehal—
ten werden ſoll. Denn
unter ſolchen gedeiht
das Unterholz nur
ſchlecht, und die
Nachzucht von Lichtholz iſt ausgeſchloſſen; überſchirmen jene den ganzen Schlag, ſo
geht das Unterholz zurück. Bei horſtweiſer Verteilung beſchränkt ſich die Nachzucht
von Laßreiſern auf Stellen, wo ſtarke Althölzer gefällt wurden, dieſe werden allen—
falls durch Rodung einzelner Unterholzſtöcke abgerundet und können nun durch die
naturgemäßere Saat oder doch mit kleinen Pflanzen beſtellt werden. Die Reini—
gungen ſind vereinfacht, denn die Kulturſtellen ſind leicht aufzufinden, einzelne ein—
gepflanzte Bäumchen aber ſehr ſchwer. Die Einzelpflanzung dient hier nur zur Ver—
dichtung des Unterholzes mit Schatthölzern, die ſich ſelbſt überlaſſen bleiben dürfen,
da fie ja doch beim nächſten Abtrieb auf den Stock geſetzt werden. Die horſt- und
gruppenweiſe Nachzucht des Oberholzes führt auch zu einer beſſeren Schaftreinigung
und ermöglicht eine weitgehende Anpaſſung an wechſelnde Bodenverhältniſſe. Gute
Stellen werden vorwiegend der Oberholzzucht, geringe dem Unterholz mit vereinzeltem
Ueberhalt von Birken und Aſpen zugewieſen. Die Oberholzgruppen werden bei jedem
Unterholzabtrieb lichter geſtellt, ſo daß die Stämme der älteſten Klaſſe jeder Art voll—
kommen freiſtehen. Zwiſchen ihnen findet ſich dann meiſt ſchon von ſelbſt Unterholz ein.
Abb. 45. Stehend geſchälte Eichen. (Phot. Forſtaſſeſſor Boſch.)
Formen des Niederwaldes.
Auch beim Niederwald iſt die wichtigſte Wirtſchaftsregel die, für tiefen glatten
Hieb zu ſorgen. Zu hohe Umtriebe vermindern die Ausſchlagfähigkeit, ſehr niedere er—
Niederwaldformen. 553
ſchöpfen die Bodenkraft. Je nach dem Produktionsziel unterſcheiden wir eine Reihe
von Formen.
Eichenſchälwald. Die Eichenrinde iſt eines der älteſten Gerbmaterialien,
deren ſich der Menſch bediente, und von den einheimiſchen ſicher das beſte. Am wert—
vollſten iſt die Rinde 14 bis 18jähriger Ausſchläge. Auf guten Standorten wird
man die Eiche rein erziehen, auf ſchwachen iſt eine geringe Beimiſchung von Hain—
buchen und ähnlichen Schatthölzern wegen des Bodenſchutzes angezeigt. Jeder Über—
halt iſt nachteilig, denn die Beſchattung vermindert den Gerbſtoffgehalt.
Der Hieb der Schälſchläge erfolgt im Mai oder Anfang Juni, d. h. in der
Saftzeit, damit die Rinde leicht vom Holz abgelöſt werden kann. Die Art des
Schälens iſt in den einzelnen Schälwald— — ne
gebieten verſchieden. Im Schwarzwald Mn "2 754 *
und am Rhein wird meiſt „ſtehend“
geſchält, d. h. die Rinde wird am
Wurzelanlauf durchſchnitten, dann an
der einen Seite der Stämmchen auf—
geſchlitzt und im ganzen abgelöſt, ſie
bleibt an den unteren Aſten hängen
und trocknet fo am Stamm. Die Aſte
ſelbſt werden abgeſchnitten und dann
geſchält. Die Rinde rollt ſich ſofort
nach der Ablöſung zuſammen und iſt,
ſo lange ſie am Bäumchen hängt,
gegen Auslaugung durch den Regen
geſchützt. Hierin beſteht der Vorteil
des Verfahrens; ſeine Nachteile ſind, or
daß bei dem nachträglichen Hieb der een
Stangen oft die eben erſchienenen
Ausſchläge beſchädigt werden und der äſthetiſch ſehr unbefriedigende Anblick der ge—
ſchälten Beſtände.
Das „Liegendſchälen“, wie es z. B. im Odenwald üblich iſt, erfolgt erſt, nach—
dem das Holz gefällt und auf die übliche Brennholzlänge zerſägt iſt. Damit ſich die
Rinde leichter ablöſen laſſe, werden die Prügel mit dem Axtrücken etwas geklopft.
Die Rinde wird dann in Beugen aufgeſetzt damit ſie trocknet.
In Verbindung mit dem Schälwald fand früher ganz allgemein, ſo lange die
Stockausſchläge niedrig waren, eine landwirtſchaftliche Nutzung des Bodens ſtatt, in-
dem nach dem Abtrieb Heidekorn und im zweiten Jahr Sommerroggen gebaut wurde.
Auch heute wird ein ſolcher Fruchtbau in Deutſchland auf etwa 10000 ha betrieben.
Rebſteckenniederwald. In Weingebieten liefern Edelkaſtanien und Akazien—
niederwaldungen in 16- bis 20jährigem Umtrieb hohe Erträge, da die Stangen ſehr
gute Rebſtecken geben.
Erlenniederwald. Auf naſſem oder doch feuchtem Boden werden Erlen—
ſtockſchläge in 30- bis 40 jährigem Umtriebe bewirtſchaftet. Sie liefern ſchwache Nutz⸗
hölzer und Brennholz, das beſonders für Fiſchräuchereien geſucht iſt, da es nicht rußt.
554 2, Abſchnitt.
Faſchinenwald. Zur Erzielung der Faſchinen für die Waſſerbauten an
Flüſſen und der Seeküſte werden Weiden, Erlen, Pappeln und allerlei Strauchhölzer
in 5» bis 10jährigen Umtrieben bewirtſchaftet. Der geeignetſte Standort für dieſe
Waldform iſt das Überſchwemmungsgebiet, wo die Hochwaſſer den Boden immer
wieder düngen.
Brennholzniederwald. Im ſüdlichen Europa einſchließlich der öſter—
reichiſchen Alpenländer und des Kantons Teſſin iſt der Buſchwald ſehr verbreitet.
Hainbuchen, Erlen, Kaſtanien,
Eichen, Linden, Ulmen und
mancherlei Strauchholz werden
alle 8 bis 12 Jahre auf den
Stock geſetzt. Das Ergebnis
iſt ein ſchwaches Brennholz,
das nur in waldarmen Län—
dern genügenden Abſatz findet.
Die Weidenheeger ge—
hören mehr zum landwirt—
ſchaftlichen Betrieb als zur
Forſtwirtſchaft. Sie dienen
der Anzucht von Bind- und
Flechtruten in ein- bis fünf⸗
jährigem Umtriebe. Reine Be—
ſtände ſind angezeigt, um ein
gleichwertiges Material zu er—
halten. Der Boden wird durch
die häufigen Abtriebe raſch
erſchöpft, daher iſt Düngung
unentbehrlich. Nach etwa
20 Jahren muß die Anlage
meiſt erneuert werden, da die
Stöcke dann nur noch ge—
ringen Ausſchlag liefern und
Abb. 47. Niederwald. (Aus dem Kosmos-Handweiſer 1909, Heft 10.) abſterben.
Der Kopfholzwald.
Auch der Kopfholzbetrieb ſoll in der Regel Flechtruten liefern, ſeltener Brenn—
holz oder belaubte Zweige, die als Viehfutter verwendet werden. Die Stämme wer—
den in der Höhe von 1—1½ m über dem Boden abgeſchnitten und dann die Aus—
ſchläge unter Belaſſung ganz kurzer Stummel alle 3 bis 6 Jahre genutzt. An den
Stummeln entſtehen dann wieder neue Triebe. Der Schaft des Kopfholzes fault
bald ein und liefert daher, wenn er wegen Erſchöpfung der Ausſchlagkraft genutzt
werden muß, nur geringwertiges Brennholz. Forſtliche Bedeutung hat dieſer Betrieb
nur im Überſchwemmungsgebiet, wo zu befürchten wäre, daß langanhaltende Sommer—
Die künſtliche Beſtandesgründung. 555
hochwaſſer junge Stockausſchläge und Samenpflanzen erſtickten. Sonſt iſt er mehr
eine Form der Holzgewinnung in Verbindung mit landwirtſchaftlicher Bodennutzung
— Wieſen, Weiden — beſchränkt auf waldarme Gegenden oder Gebiete, deren Klima
keinen Obſtbau erlaubt.
4. Die künſtliche Beſtandesgründung.
Wir ſahen, daß viele der heutigen Waldungen nicht wohl auf natürlichem
Wege verjüngt werden können. Dieſe verſagt ferner, wenn Holzarten neueingeführt
oder neue Waldungen angelegt werden müſſen. In allen Ländern gibt es ausge—
dehnte Flächen, auf denen die andern Arten der Bodenbenutzung verſagen, die nur
durch Aufforſtung ertragsreich gemacht, ja oft nur durch ſie in ungefährlichen Zu—
ſtand verſetzt werden können. Im Deutſchen Reich haben wir etwa 1000 000 ha
- aufforftungsfähiges Odland — geringe Weiden, Dünen und Heideflächen — und in
unſern Gebirgen gibt die Landwirtſchaft Jahr für Jahr arme oder zu entlegene
Ackerſtücke auf, weil ſich deren Anbau nicht mehr lohnt. So iſt dem forſtlichen
Kulturweſen ein umfangreiches Arbeitsfeld noch auf lange hinaus geſichert.
Wenn eine größere Fläche aufgeforſtet werden ſoll, ſo iſt zunächſt ein Arbeits—
plan aufzuſtellen; denn es gilt die Arbeiten zweckmäßig zu verteilen, um mit den
verfügbaren Mitteln und Kräften auszukommen und von vornherein etwas Alters—
abſtufung in den neuen Wald hineinzubringen, damit nicht große gleichalte Flächen
ſich aneinander reihen. Auf Grund dieſes Planes wird dann die Fläche in einzelne
Schläge eingeteilt. Weiter ſind oft Bodenunterſuchungen auszuführen, um die geeig—
nete Holzart wählen zu können. Kann die bisherige Nutzungsweiſe noch eine Zeit—
lang fortgeführt werden, ſo beläßt man ihr alle Flächenteile, die nicht ſofort zur
Aufforſtung kommen ſollen. Erſcheint dieſe Benutzung unzuläſſig oder unvorteilhaft,
ſo wird man einen Vorertrag häufig durch den Anbau raſchwüchſiger Holzarten, wie
Pappeln, Lärchen, Birken, erzielen können, dieſe Beſtände werden nach etwa 30 Jahren
ſcharf durchhauen und mit jener Holzart unterpflanzt, die dauernd den Wald bilden
ſoll. Iſt deren Anwachſen geſichert, ſo werden die Stämmchen der erſten Art all—
mählich herausgezogen. Ein ähnlicher Vorbau mit Birken, Lärchen oder Kiefern iſt
in ſehr dem Froſt ausgeſetzten Lagen angezeigt, wenn Fichten, Eichen, Tannen oder
Buchen angepflanzt werden ſollen. Die Schutzholzart wird in ſehr weitläufiger Ver—
teilung erzogen, ſo daß ſie nur einen lichten Schirm bildet und bis auf wenige zum
Einwachſen geeignete ſchöne Exemplare weggehauen, ſobald die Hauptfroſtgefahr
überwunden iſt.
Ausgetragene Acker bedürfen keiner beſonderen Bodenbearbeitung vor der Kultur,
bei Wieſen und Weideflächen genügt es in der Regel, die Grasnarbe von den Stellen,
an denen geſät oder gepflanzt wird, und ihrer näheren Umgebung zu entfernen. Auf
Heideflächen läßt man im Hochſommer vor der Kultur das Heidekraut mit der
Wurzelſchicht abziehen, auf kleine Haufen bringen und, nachdem es abgetrocknet, ver—
brennen. Die Aſche wird dann im Herbſt untergehackt oder untergepflügt, der Anbau
erfolgt aber erſt im folgenden Frühjahr, nachdem die Aſche durch die Winterfeuchtig—
keit ihre ätzende Wirkung verloren hat.
Unter der Heide, aber auch unter herabgekommenen Waldbeſtänden iſt häufig
556 2. Abſchnitt.
die Ortſteinbildung eingetreten, d. h. eine verhärtete Schicht entſtanden, die für die
Wurzeln unzugänglich, während der darüberliegende Boden ſehr ausgelaugt und arm
iſt. Eine Kultur kann nur dann gedeihen, wenn der Ortſtein durchbrochen und an
die Oberfläche gebracht wird, wo er zerfällt. Liegt der Ortſtein ſehr flach, ſo wird
ein volles Umbrechen der Fläche mit Spitzhacken oder tiefgreifenden Pflügen angezeigt
ſein, liegt er tiefer als 30 em, ſo werden „Untergrundspflüge“ zu ſeiner Zertrümmerung
angewendet, die Bearbeitung aber wegen der Koſten meiſt auf mehrere Meter breite
Streifen beſchränkt, die mit 2 m breiten Zwiſchenbalken abwechſeln. Der Ortſtein
unter dieſen zerſetzt ſich dann häufig infolge der ſeitlichen Bodendurchlüftung.
Sehr naſſe Böden ſind ſo weit trocken zu legen, daß wenigſtens die oberſten
Schichten durchlüftet werden. Der hier ſchädliche Waſſerüberfluß iſt womöglich zur
Berieſelung benachbarter trockener Hänge zu verwenden. Iſt weder dies noch die
gefahrloſe Ableitung in einen Waſſerlauf möglich, ſo beſchränkt man ſich darauf,
tiefe horizontale Gräben zu ziehen und den Aushub zur Erhöhung der Zwiſchen—
ſtreifen — Rabatten — zu verwenden, auf denen dann die Kultur erfolgt. Dagegen
iſt das Verſenken des Waſſers dadurch, daß die undurchläſſige Grundſchicht durch—
brochen wird, zu verwerfen; denn dann iſt es für alle Zeiten verloren, während der
heranwachſende Wald in vielen Fällen den Überſchuß durch ſeine Verdunſtung auf—
gezehrt und nutzbringend verwendet hätte.
So findet ein aufmerkſamer Beobachter oft in Fichtenbeſtänden ein altes, jetzt
ganz trockenliegendes Grabennetz, das einſt zur Ermöglichung der Kultur nötig war.
Ganz zu widerraten iſt die Entwäſſerung und Aufforſtung von Gebirgsmooren. Der
ſo gewonnene Boden taugt meiſt ſehr wenig, und man beſeitigt damit die natürlichen
Waſſerreſervoire, welche die Quellen ſpeiſen und die Hochwaſſergefahren mildern.
Der bewegliche Sand der Dünen muß vor dem Anbau beruhigt werden. Dies
geſchieht entweder durch die Anlage von Zäunen und Deckung mit Reiſig oder die
Anpflanzung von Sandgräſern. Zwiſchen dieſe werden dann die jungen Kiefern geſetzt.
Auf ſehr armen Böden iſt eine Düngung vor der Aufforſtung dann rationell,
wenn ſie mit einer landwirtſchaftlichen Nutzung verbunden werden kann, ſo daß die
Ernte den Koſtenaufwand deckt, während doch ein Teil der zugeführten Nährſtoffe
dem Boden verbleibt. Ohne Düngung iſt eine landwirtſchaftliche Zwiſchennutzung
nur auf ſehr kräftigen Böden unbedenklich, auf ſolchen erleichtert ſie dann durch die
Lockerung des Bodens die Kultur weſentlich.
Alte Waldböden erheiſchen eine energiſche Bearbeitung nur, wenn ſtarke Trocken—
torfbildung oder gar Ortſtein vorliegt. Schwache Trockentorfſchichten zerſetzen ſich
bei der Miſchung mit dem mineraliſchen Boden, bei ſtärkeren und ebenſo auf Ort—
ſteinböden iſt eine Düngung mit Kalk angezeigt. Sonſt iſt die Düngung im Walde
— die Forſtgärten ausgenommen — ſelten rentabel.
Wahl zwiſchen Saat und Pflanzung. Die Saat ſichert die natur—
gemäße Wurzelbildung. Dieſer Vorzug kommt beſonders zur Geltung bei Holzarten
mit tiefgehender Pfahlwurzel, wie Eiche, Nuß, deren Verpflanzung ohne Wurzel—
beſchädigungen nur bei großer Sorgfalt möglich iſt. Unter Schirmbeſtand ausgeführt
iſt die Saat billiger, auf der kahlen Fläche nur dann, wenn der Boden nicht un—
krautwüchſig und weder Froſt noch Dürre großen Abgang verurſachen. Sie ergibt
Saat. 557
engeren Pflanzenſtand, begünſtigt alſo die Schaftreinigung und liefert große Vor—
nutzungen an kleinen Hölzern, aber dieſe größere Dichte vermehrt auch die Schnee—
bruchgefahr. Sodann wachſen die Saaten erſt ſpäter zuſammen als Pflanzungen,
der Boden liegt länger bloß, die Beſchädigungen durch das Wild dauern länger an,
ja werden für fremde Holzarten oft geradezu vernichtend. Dagegen iſt es ein Vor—
teil, daß die Saat weniger Arbeitskräfte beanſprucht als die Pflanzung.
Dieſe iſt zu bevorzugen in Froſtlagen, auf heißen Böden und im beweglichen
Dünenſand, weiter, wo Wildverbiß oder Beſchädigungen durch das Weidevieh zu
befürchten ſind, wo die Grasnutzung mit der Sichel geſtattet werden ſoll, auf un—
krautwüchſigem Boden und für alle Ausbeſſerungen. Holzarten mit teurem Samen
pflanzt man beſſer, da bei der Freiſaat viel Saatgut verloren geht, das gleiche gilt
für ſolche, die nur ſelten Samen tragen, wenn man den Anbau nicht auf die Maſt—
jahre beſchränken will.
Samenbezug. Die große Bedeutung der Standortsraſſen für die Forſtwirt—
ſchaft lernten wir bereits kennen. Dagegen beſteht noch Unſicherheit, inwieweit
gerader Wuchs, Spaltbarkeit und ähnliche techniſch wertvolle Eigenſchaften erblich
ſind; denn wegen der Kreuzbefruchtung iſt es immer möglich, daß vom Vater her
uns unbekannte ſchlechte Eigenſchaften ſich vererben. Trotzdem ſichert die Auswahl
der beſten Bäume als Samenträger uns eine größere Wahrſcheinlichkeit, guten Nach—
wuchs zu bekommen. Da Nadelholzſamen ſchon dann erheblich an Keimfähigkeit oder
doch Lebensenergie einbüßen, wenn die Zapfen bei der Samengewinnung, dem
Klengen, einer um wenige Grade zu hohen Temperatur ausgeſetzt werden, iſt die
Selbſtgewinnung immer angezeigt, falls der Waldeigentümer geeignete Beſtände hat.
Das Klengen der Zapfen kann im kleinen einfach dadurch erfolgen, daß ſie im
warmen Zimmer oder in der Sonne in flachen Kiſten aufgeſtellt und von Zeit zu
Zeit umgerührt werden. Für die Staatsforſtverwaltungen lohnt ſich die Anlage
eigener Klenganſtalten. Wo die Selbſtgewinnung nicht möglich iſt, empfiehlt ſich der
Bezug von ſoliden Großhandlungen, welche die Herkunft und Keimkraft garantieren.
So haben ſich z. B. die meiſten deutſchen Firmen verpflichtet, nur deutſchen Kiefern—
ſamen im Inland zu liefern und ſich in dieſer Hinſicht einer Kontrolle durch den
deutſchen Forſtwirtſchaftsrat zu unterwerfen.
Kleine Samen werden am beſten trocken in luftdicht verſchloſſenen Blechgefäßen
oder Flaſchen an kühlen Orten aufbewahrt, Tanne und Birke in dünnen Schichten
auf luftigen Speichern ausgebreitet, Eicheln, Bucheln, Nüſſe und Edelkaſtanien bringt
man nach oberflächlicher Abtrocknung mit Sand gemiſcht in froſtfreien Kellern oder
Gruben unter, läßt ſie während des Winters mehrmals umſchaufeln und gegen das
Frühjahr ab und zu mit Waſſer überbrauſen. Samen, die erſt im zweiten Frühjahr
keimen — überliegen, wie Eſche und Hainbuche — werden im Wald in flachen
Gräben aufbewahrt, ebenſo Ahornſamen, der aber ſchon im nächſten Frühjahr auf—
läuft. Der Same der Pappeln, Weiden und Ulmen muß ſofort nach der Reife
geſät werden, da er ſeine Keimkraft ſchon nach wenigen Tagen verliert. Auch
Eicheln, Bucheln, Tannen-, Birken- und Ahornſamen bleiben ſelbſt bei ſorgfältiger
Aufbewahrung nur ein Jahr keimfähig, Erlenſamen zwei Jahre, Kiefern und Fichten
bis zu fünf und mehr.
558 2. Abſchnitt.
Die Kenntnis der Keimfähigkeit ift für die Berechnung der nötigen Saatmengen
unentbehrlich. Sie wird meiſt in Prozenten ausgedrückt und ermittelt, indem man
eine bekannte Anzahl Samen durch feuchte Wärme zum Keimen zu bringen ſucht.
Auf die zahlreichen Apparate, die hiefür erfunden worden ſind, kann ich nicht ein—
gehen, nur ſei bemerkt, daß unter den günſtigen Verhältniſſen, die bei den Verſuchen
herrſchen, auch ſchwache Körner keimen, welche bei der Freiſaat verſagen. Da ſie
aber meiſt ſpäter austreiben als gute, genügt es die Verſuche nach kurzer Friſt, je
nach der Art 5 bis 10 Tagen, abzubrechen, um brauchbare Ergebniſſe zu erhalten.
Tabelle 1.
u | Preis | Saatmenge 2) + | Preis Saatmenge
g 2 ar 146 für 1 ha | > für 1 kg für 1 ha
Holzart 8 | nach bei Frei⸗ im Forſt⸗ Holzart 85 nach bei Frei- im Forſt⸗
a Heß!) ſaat garten 8 Heß ſaat garten
„kg | kg IT OHR kg | kg
| | 2
Be. 0,19 600 1400 Birke 20 0,65 40 250
Buche. 80 0,48 160 1600 Weißtanne . 55 0,81 60 500
Eſche. . 65 %9 45 200 Fichte 80 1,98 8 1250
Schwarzerle. 35 0,94 16 300 Kiefer 80 4,77 6 | 1000
Hainbuche 65 0,72 45 150 Lärche . 40 2,71 20 2500
Die Saatverfahren. Wird der Same gleichmäßig über die ganze Fläche
ausgeſtreut, ſo ſpricht man von Vollſaat. Ihr Vorteil iſt der vereinzelte Stand der
Pflanzen, der zu allſeitiger Beaſtung führt. Aber ſie iſt teuer, ſobald eine Boden—
vorbereitung erforderlich wird und zwar um ſo mehr, je gründlicher dieſe ſein muß.
Angewendet finden wir ſie bei Eichen und Buchen unter dem Schirm des alten Be—
ſtandes, bei Kiefern und Fichten vornehmlich dann, wenn Ballenpflanzen erzogen
werden ſollen. Bei der Kiefer wird ſie manchmal als Zapfenſaat ausgeführt, ſo daß
die Zapfen ausgeſtreut und bei warmem Wetter mit dem Rechen gewendet werden,
damit der Same ausfällt und gleich untergebracht wird. Auch bei andern Holzarten
iſt die Vollſaat möglich, aber wenig üblich.
Viel verbreiteter iſt die Streifenſaat, bei der ſich die Bodenbearbeitung auf
ſchmale Bänder beſchränkt, die am Hang horizontal, in der Ebene meiſt parallel zu
einer Seite der Kulturfläche laufen. Ihre Breite iſt abhängig von der Unkraut—
wüchſigkeit des Bodens, die von den Rändern her die kleinen Holzpflanzen zu über—
wuchern droht. Der Abſtand, von Rand zu Rand gemeſſen, ſoll nicht über einen
Meter betragen, ſonſt tritt zu ſpät der Schluß ein, der an ſich jchon bei gleicher
Bodenbearbeitung gegenüber der Vollſaat verzögert iſt. Die Randpflanzen der Streifen
) Heyer-Heß. Waldbau, 5. Aufl., p. 159, als Durchſchnitt der Jahre 1875/1904.
2) Die Angaben beziehen ſich für Freiſaaten und die Erle im Forſtgarten auf Vollſaat,
ſonſt auf Riefenſaat. -
r
Saat. 559
entwickeln eine einſeitige Beaſtung, welche die Widerſtandsfähigkeit gegen Schneebruch
ſchwächt. Die Vorteile ſind: Koſtenerſparnis, leichtere Reinigung von Unkräutern und
bequemeres Aufſuchen etwaiger Fehlſtellen. Wird die Fläche des Streifens gleich—
mäßig beſät, ſo haben wir die Streifenſaat im engeren Sinne, beſchränkt ſich die
Saat auf ſchmale Rinnen längs oder quer zur Streifenrichtung, Rillen- oder Leiter—
ſaat. In alten Laubholzbeſtänden ſind die Streifen für Nadelholz ſo zu legen, daß
der untere Rand erhöht iſt. Auf dieſen wird geſät, der entſtandene flache Graben
an der Bergſeite ſoll das Laub feſthalten, damit es nicht die zarten Pflänzchen be—
deckt und erſtickt. Auch ſammelt er die Niederſchläge und erhöht ſo die Boden—
feuchtigkeit. Die Plätze⸗ oder Plattenſaat beſchränkt ſich auf kleine Einzelflächen. Die
Gefahr der Verunkrautung iſt hier am größten. Am häufigſten wird ſie in natür—
lichen Verjüngungen angewendet, um auf den eingeebneten Löchern gerodeter Wurzel—
ſtöcke eine andere Holzart einzubringen.
Auf den zur Saat beſtimmten Flächen werden Sträucher, Stockausſchläge und
unbrauchbare Vorwüchſe am beſten ſchon bei der Fällung des alten Beſtandes mit
der Axt beſeitigt. Dichter Bodenüberzug von Heidelbeeren und dergleichen werden mit der
Hacke abgezogen und entweder verbrannt oder bei Streifenſaat auf den Zwiſchen—
ſtreifen aufgeſchichtet, ſo daß er auch hier die Entwickelung der Unkräuter erſchwert.
Laub, Nadeln und Moos werden entweder mit untergehackt oder auf die Zwiſchen—
ſtreifen gehäuft, eventuell auch als Düngmaterial in die Forſtgärten verbracht oder
verkauft. Bindige Böden werden ſodann im Herbſt vor der Saat umgepflügt oder
umgehackt, damit die Winterfröſte eine Krümmelung bewirken. Vor der Saat werden
ſie dann mit der Egge oder dem Rechen ausgeglichen. Auf mittlerem Boden genügt
die Bearbeitung mit der Hacke oder Rollegge im Frühjahr, auf loſem Sand die Ver—
wundung mit dem Rechen. Eicheln und Bucheln können auf mildem unverwildertem
Boden ohne weitere Vorbereitung eingelegt werden, indem man mit der Hacke eine
flache Scholle ablöſt, den Samen darunterſchiebt, und die Scholle dann leicht antritt.
Weniger zu empfehlen iſt das Einſtufen in die Löcher, die mit ſpitzen Inſtrumenten
gemacht ſind, da der Same leicht zu tief kommt. Im allgemeinen iſt tiefe Bodenlockerung
dem Gedeihen der Pflanzen günſtig, man beſchränkt fie aber wegen der Koſten auf das
nötige Maß. Am tiefſten muß ſie greifen für Holzarten mit Pfahlwurzel auf hartem
Boden, ſodann in trockenen heißen Lagen, damit die Wurzel raſch in die tiefen und
feuchteren Schichten gelangt.
Die Saattiefe richtet ſich nach der Holzart; zu flache Saat wird leicht durch
dürre Zeiten vernichtet und erleidet viel Abgang durch Vögel und Mäuſe, zu tiefe
läßt viele Pflänzchen gar nicht zum Durchbruch kommen, und verzögert das Erſcheinen
der übrigen. Iſt dann die Vegetationszeit nur kurz, ſo verholzen die Pflanzen nicht
mehr genügend und erfrieren in harten Wintern. Eicheln, Nüſſe und Kaſtanien wer—
den 4-5, Bucheln 2,5, Nadelhölzer 1—1,5 em tief untergebracht, Erlen, Birken,
Ulmen, Pappeln nur durch Andrücken mit der oberſten Erdſchicht gemiſcht.
Das Ankeimen des Samens iſt — Nüſſe ausgenommen — zu verwerfen, da
er, falls trockenes Wetter folgt, unbedingt verloren iſt. Gegen die Nachſtellungen
der Vögel ſchützt die Färbung mit Mennige. Man macht dazu aus Mennige und
Tropfbier einen dicken Brei, ſchüttet dann etwa die gleiche Menge Samen zu und
560 2. Abſchnitt.
rührt ſolange um, bis alle Farbe an den Samen haftet. Vor der Ausſaat muß
dieſer abtrocknen, ſonſt kleben die Körner aneinander. Die Ausſaat geſchieht am beſten
mit der Hand, die Deckung mit dem Rechen oder leichten Walzen.
Am natürlichſten wäre bei allen Holzarten die Ausſaat zu der Zeit, da der
reife Samen von den Bäumen fällt, für einzelne Arten iſt dies, wie wir ſahen, un—
erläßlich. Für Tannen, Eichen und Buchen, deren Samen ſich nur ſchwer über—
wintern läßt, iſt die Herbſtſaat vorzuziehen, falls genügender Schutz gegen Wild,
Eichhörnchen, Mäuſe und Vögel geſchaffen werden kann. Hainbuche, Eſche und Ahorn
ſät man, ſobald im Frühjahr der Boden offen iſt, die andern Sämereien Ende April
oder Anfang Mai, um Beſchädigungen durch Spätfröſte zu verhüten.
Die Pflanzung. Pflanzenbezug. Wildlinge und Pflanzen aus Frei—
ſaaten, die manchmal beſonders für dieſen Zweck ausgeführt werden, ſind brauchbar,
falls ſie ohne große Wurzelbeſchädigungen ausgehoben werden können und ſie nicht
zu alt und groß ſind. Pflanzen für Freikulturen dürfen nicht lange unter Schirm
geſtanden haben. Bei der Gewinnung iſt auch darauf zu ſehen, daß noch genug
gute Pflanzen in geeigneter Verteilung ſtehen bleiben, um einen Beſtand zu bilden.
Der Einkauf bei großen Handlungen oder andern Forſtverwaltungen liefert
meiſt ein gutes Material, aber bei großen Entfernungen leidet es oft auf der Fahrt,
trifft wohl auch zu ungelegener Zeit ein, und man verzichtet auf die Nachzucht be—
währter Standortsraſſen. Daher ſollte die Selbſtzucht Regel ſein.
Forſtgärten. Fliegende Kämpe ſind kleine Gärten, die in der Nähe der
Kulturflächen angelegt, ein höchſtens zweimal benutzt und dann, ehe der Boden er—
ſchöpft iſt, zugepflanzt werden. Wo es ſich, wie wir wünſchen möchten, nur darum
handelt, die kleinen Lücken in den natürlichen Verjüngungen auszufüllen und bisher
fehlende Arten einzubringen, reichen ſie völlig aus und ſind billiger. Wo aber dauernd
große Mengen gebraucht werden, ſind die ſtändigen Forſtgärten vorzuziehen. Denn
für dieſe kann man den geeignetſten Platz ausſuchen, Waſſerleitung oder Brunnen—
anlagen ſchaffen, eine Hütte für Arbeiter, Geräte und Vorräte bauen und eine ſolide
Einfriedigung zum Schutz gegen Wind und böſe Menſchen herſtellen. Auch iſt die
Beifuhr des nötigen Düngers erleichtert.
Wenn Reuß gegen ſie einwendet: ſie ſetzten die Pflanzen mehr oder weniger
fremdartigen Lebensbedingungen aus und damit ſteigerten ſich die Gefahren und Nach—
teile des Pflanzaktes, ſo kann ich dieſem Bedenken keine große praktiſche Bedeutung
beimeſſen, da nach Verſuchen von Helbig die Entwicklungsunterſchiede, die durch ver—
ſchiedene Düngungen hervorgerufen werden, ſchon zwei Jahre nach der Verſetzung
ins Freie verſchwunden ſind.
Für fliegende Kämpe wählt man eine tunlichſt ebene Fläche, läßt ſie umpflügen
oder umgraben, mit dem Rechen ausgleichen, in Beete einteilen und anſäen oder zur
Verſchulung benützen. Unter Umſtänden genügt es, den Aushub von Entwäſſerungs—
gräben zu pl nieren, um gute Saatbeete zu erhalten.
Ständige Forſtgärten legt man auf gutem oder mittlerem Boden an Stellen,
wo die Waſſerverſorgung leicht iſt. Froſtlöcher ſind zu meiden, ebenſo die Nähe von
Feldern, da hier Mäuſe und Maikäfer in größeren Mengen zu erwarten ſind. Am
beſten iſt die Lage mitten im Wald, ſo daß hohes Holz gegen Süden und Weſten
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Forſtgärten. 561
vorliegt. Die Größe der Forſtgärten richtet ſich nach der Holzart, und darnach ob
nur Saatpflanzen oder auch verſchultes Material erzogen werden ſoll. Sie liegt
zwiſchen / %% und 5 der jährlichen Kulturfläche. Die erſte im Herbſt auszuführende
Bearbeitung geſchieht am beſten durch Umſpaten auf 25 em Tiefe, wobei Steine und
Wurzeln beſeitigt werden. Dann umgibt man die Fläche mit einem Graben, um
Waſſer und Mäuſe abzuhalten, errichtet die Einfriedigung und legt die Hauptwege
an. Die durch dieſe gebildeten Felder werden eingeebnet, an ſteileren Hängen iſt
Terraſſenbau nötig.
Auf ärmeren Böden iſt gleich mit der zweiten im Frühjahr einſetzenden Boden—
bearbeitung eine Düngung zu verbinden. Für dieſe erſte Düngung nimmt man meiſt
die Holzaſche, welche durch Verbrennung des Bodenüberzugs oder an den Feuern
der Waldarbeiter ge—
wonnen wird, die Bei-
mengung verrotteten
Laubes aus Gräben oder
von Waldhumus emp—
fiehlt fich, um dem Boden
auch Stickſtoffſalze zuzu⸗
führen. Für die ſpäteren,
jeweils mit der Beitel-
lung der Beete zu ver—
bindenden Düngung ver—
wendet man in der Regel
Kompoſt. Dieſen bereitet
man aus den ausgejäteten
Unkräutern, Laub von
Wegen und Gräben,
Straßenſchlamm und
-fehricht, dem Schlamm aus Bächen, Teichen, Senklöchern, Holzaſche und dergleichen,
die in Haufen aufgeſetzt werden. Die Beimengung von Atzkalk dient zur Vernichtung
der Unkrautſamen und zur Kalkdüngung. Andere mineraliſche Nährſtoffe können nach
Bedarf als tieriſcher oder künſtlicher Dünger beigefügt werden. Die Haufen bleiben
zwei Jahre ſitzen, werden aber mehrmals umgeſtochen, um eine gleichmäßige Zu⸗
ſetzung und Miſchung zu erzielen. Der nötige Stickſtoff kann durch die in der Land—
wirtſchaft übliche Gründüngung mit Lupinen dem Boden leicht zugeführt werden, doch
liegt dann immer ein Teil der Fläche brach. In kleinen Gärten nimmt man daher
lieber Humus, Chiliſalpeter, Kalkſalpeter oder Amonſulfat.
Die Tiefe, bis zu der der Boden bei der Beſtellung umgegraben wird, richtet
ſich nach der verlangten Wurzelbildung. Für die meiſten Pflanzſtellen iſt ein flaches,
aber dichtes Wurzelſyſtem erwünſcht, da es ſich leicht unterbringen läßt. Tiefe Be—
wurzelung iſt nur nötig für trockene Böden und flüchtigen Dünenſand. Zur Auf—
zucht ſolcher Pflanzen und ebenſo von Laubholzheiſtern — 1½¼ —3 m hohen Stämmchen
für Alleen — wird eine Bearbeitung bis auf 25 em angewendet, für andere genügen
15-20 em. Ein weſentliches Mittel, die Wurzelbildung zu regeln, iſt die Art der
Hausrath, Die Waldwirtſchaft. 36
Abb. 48. Hackerſcher Säapparat. (Phot. Forſtaſſeſſor Boſch.)
562 2. Abſchnitt.
Düngung. Bringen wir den Dünger in die Tiefe, ſo folgen ihm die Wurzeln und
werden lang, flache Düngung verlegt dagegen den Schwerpunkt des Wurzelſyſtems
in die Oberſchichten.
Die umgegrabenen glatt gerechten Quartiere teilt man meiſt in 1 m breite
Beete. Saaten können ausgeführt werden, ſobald ſich der Boden wieder etwas geſetzt
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Abb. 49. Forſtgarten am Walchenſee. (Phot. H. Dopfer.)
hat. Für Tanne, Buche, Eiche und Kaſtanie iſt auch im Forſtgarten die Herbſtſaat
zu bevorzugen. Ein zu frühes Keimen kann dadurch verhindert werden, daß man
die Beete mit Moos, Laub oder Tannenreiſig bedeckt. Sonſt zieht man die Saat
im Frühling oder Frühſommer vor. Für Samen mit geringem Keimprozent — Tanne,
Birke, Erle, Ulme ꝛc. — iſt Vollſaat angezeigt, bei andern Riefenſaat, weil die
Pflanzen leichter auszuheben und die Beete beſſer vom Unkraut freizuhalten ſind.
Forſtgärten. 563
Der Abſtand der Rillen beträgt für Nadelhölzer 10 —12 em, für Eiche und Buche
20 em, für Eſche, Ahorn, Hainbuche, Akazie 15 em, die Breite und Tiefe richtet ſich
nach der Samengröße. Die Rillen können mit kleinen Hacken — Rillenziehern —
oder mit dem Rechenſtiel gezogen oder mit Brettern eingepreßt werden, auf deren
Unterſeite Holzleiſten aufgenagelt ſind. Auch Rillenſchuhe und Rillenwalzen hat man
konſtruiert.
Die Ausſaat des eventuell mit Mennige gefärbten Samens kann ſehr wohl
von Hand geſchehen, doch ſind für dieſen Zweck eine ganze Reihe von Inſtrumenten
erſonnen worden. Als beſonders zweckmäßig mögen erwähnt ſein: die Eßlinger'ſche
Latte und der Hackerſche Säeapparat. Erſtere beſteht aus zwei etwa 2 em breiten,
Jem ſtarken Leiſten, die jo aneinander befeſtigt find, daß fie einen rechten Winkel
bilden. Längs dieſes hat die eine Leiſte eine Reihe ſeichter rechteckiger Vertiefungen,
deren Abſtand nach der gewünſchten Saatdichte verſchieden iſt. Die Länge der Latte
entſpricht der Beetbreite, die Rillen laufen dieſer parallel. Zu der Latte gehört ein
Kaſten, den man etwa zur Hälfte mit Samen füllt. Dann ſchöpft man mit der
Latte den Samen heraus, dreht dieſe ſo, daß die Oberſeite der Leiſte, welche die
Vertiefungen enthält, ſchwach geneigt iſt, damit die Körner abrollen, welche nicht
von den Löchern aufgenommen wurden. Nunmehr legt man die Latte längs der
Rille hin und kippt ſie um, ſo daß die Samen in jene fallen. Die Rillen werden
dann mit dem Rechen oder kleinen Walzen zugezogen.
Der Hackerſche Säeapparat (Abb. 48) beſteht aus einem Kaſten, aus dem der
Samen bei der Fortbewegung zu Boden fällt. Die jeweils austretende Samenmenge
wird durch eine Reguliervorrichtung beſtimmt. Zur ſicheren Führung des Inſtru—
ments dient eine Walze. Rillen werden nicht gezogen, ſondern der Samen — es
können nur kleine ausgeſät werden — nachträglich übererdet. Ebenſo werden bei
Vollſaaten kleine Sämereien meiſt durch Überſieben mit Erde bedeckt.
Für Saaten im Frühjahr und Sommer iſt es ſehr günſtig, wenn ſie an einem
Tage ausgeführt werden, der baldigen Regen erwarten läßt, doch ſoll die Erde nicht
naß ſein. Tritt nach dem Beginn der Keimung eine Trockenzeit ein, ſo gießt man
die Beete, muß aber dann die ſich bildende harte Bodenkruſte von Zeit zu Zeit durch
vorſichtiges Behäckeln beſeitigen. Auch das Bedecken der Zwiſchenräume zwiſchen den
Rillen mit Moos, Laub, Sägemehl, Lohe und ähnlichen Subſtanzen ſchützt gegen die
Einwirkung der Dürre, weiter gegen ſtarken Unkrautwuchs und gegen das Ausfrieren
ſchwacher Pflanzen im Winter. Gegen die Verwehung durch Wind können dieſe
Deckungen durch aufgelegte Latten geſchützt werden (Abb. 49). Um Beſchädigungen
durch Spätfröſte zu verhüten, deckt oder umſteckt man die Saatbeete mit Kiefern-,
Tannenreiſig oder Ginſter oder bringt Saatgitter über ihnen an. Dieſe beſtehen aus
einem meiſt 2 m langen Rahmen von der Breite des Saatbeetes. Über dieſen find
parallel zur Schmalſeite Latten im Abſtand von 2 em aufgenagelt. Die Gitter ruhen
entweder auf den dann 15 em hohen Wänden ihres Rahmens oder und zwar meiſt
auf kurzen Pfählen, die an den Längsſeiten der Beete eingeſchlagen ſind. Wo die
Froſtgefahr auch im Hochſommer beſteht, macht man die Pfähle ſo hoch, daß ein
Mann darunter ſtehen und arbeiten kann und läßt die Gitter über die ganze Vege—
tationszeit liegen. Auch Matten aus Stroh, Schilf und ähnlichem Material auf
564 2. Abſchnitt.
längs der Beete geſpannten Drähten ausgebreitet, finden Verwendung. Zur Ver—
minderung von Inſektenſchäden empfiehlt es ſich, in der Umgebung der Forſtgärten
zahlreiche Starenkäſten anzubringen; denn der Star vertilgt große Mengen von In—
ſekten, ja er holt ſogar die Engerlinge aus dem Boden, wenn ihm die leichte Er—
ſchütterung ſchwacher von dieſem Feinde an der Wurzel benagter Pflanzen zeigt, wo
er in der Oberſchicht ſitzt. Unkraut iſt entweder durch vorſichtiges Ausziehen bei
feuchtem Wetter oder durch Behacken der Zwiſchenſtreifen zu beſeitigen. Zu dichte
Saaten werden durchrupft oder mit der Schere durchſchnitten und ſo weit verdünnt,
daß die einzelnen Pflänzchen ſich gut entwickeln können.
Verſchulung. Wo einjährige, bei langſamwüchſigen Arten auch zwei⸗ bis
höchſtens dreijährige Pflanzen zur Ausführung der Kulturen genügen, bleiben ſie bis
zu ihrer Ver⸗
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Freie im Saat⸗
beet ſtehen.
Älteres Kultur⸗
material wird
aber beſſer vor-
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her einmal um⸗
gepflanzt; denn
wollte man die
Saaten ſo dünn
machen, daß auf
3—6 Jahre
jeder nachteilige
Wettbewerb
unter den
Pflanzen aus⸗
geſchloſſen
wäre, ſo wäre eine ſehr große Fläche nötig. Zudem würden die Wurzeln ſehr in
die Breite und Tiefe gehen, ſo daß Beſchädigung beim Ausheben unvermeidlich und
große teure Pflanzlöcher erforderlich wären. Dagegen können bei der Umpflanzung
— „Verſchulung“ — zu lange Wurzeln unbedenklich eingekürzt werden; denn es er—
neuert ſich dann das Faſerwurzelſyſtem und wird dichter, die Verpflanzung iſt
leichter und ſchlägt beſſer an. Auf nicht zu bindigem oder ſteinigem Boden können
Abb. 50. Verſchulung mit dem Hackerſchen Rechen. Einhängen der Pflanzen.
(Phot. Forſtaſſeſſor Boſch.)
auch Wildlinge ausgehoben und verſchult werden. Bei der Entnahme aus dem
Saatbeet zieht man am beſten an dem einen Ende des Beetes einen Graben und
ſticht dann große Ballen mit dem Spaten oder einer breitzinkigen Miſtgabel los.
Dieſe werden darauf mit der Hand zertrümmert und ſo die einzelnen Pflanzen los—
gelöſt. Es folgt die Sortierung nach der Größe, bei der Schwächlinge ausgeſchieden
und zu lange Wurzeln abgeſchnitten werden. Sodann legt man die Pflanzen in
einen flachen Graben und bedeckt ihre Wurzeln mit Erde (Einſchlagen). Je kürzere
Zeit dieſe der Luft bloßgelegt ſind, um ſo beſſer iſt es, denn die feinen Wurzelhaare
vertrocknen ſehr ſchnell. Feuchte Luft iſt für dieſe Arbeiten ſehr günſtig. Die Ver—
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Verſchulung. 565
ſchulung beginnt, ſobald der Boden offen iſt und ſollte bis zum Aufbruch der
Knoſpen beendet ſein. Die ausgehobenen Pflanzen werden in die gedüngten um—
gegrabenen und wieder glattgerechten Beete ſo eingeſetzt, daß ſie gerade ſo hoch zu
ſtehen kommen als im Saatbeet. Man pflanzt ſie in Reihen. Deren Abſtand ſowie
die Entfernung der Pflanzen in der Reihe richten ſich nach der Holzart und der
Zeit, die ſie im Verſchulungsbeet verbleiben ſollen. Für Fichte und Tanne wählt
man Verbände von 8 zu 15 bis 12 zu 20 em, für Laubhölzer von 12 zu 15 bis
70 zu 90.
Im kleinen Betrieb erfolgt die Verſchulung einfach mit der Hand, d. h. die
Pflanzen werden in einen mit der Hacke eröffneten Graben eingeſetzt, indem man ſie
mit der einen Hand
hält, mit der andern
die Wurzeln ordnet
und mit Erde bedeckt,
worauf dann der
Graben zugeworfen
wird. Für ſtarke
Pflanzen, die zum
Teil zweimal ver:
ſchult werden, iſt die
Handverſchulung al—
lein möglich; aber
auch für kleine Pflan⸗
zen iſt von der Be-
nutzung von Inſtru—
menten, wie Geb-
hölzern, Pflanzen⸗ Abb. 51. Verſchulung mit ie ee der Pflanzen ins Beet.
dolchen u. dergl., ab-
zuraten, weil die Wurzeln leicht unnatürlich zuſammengepreßt und in die Tiefe ge—
zogen werden. Dagegen hat ſich für die Maſſenanzucht von Tannen und Fichten
die Hackerſche Verſchulmaſchine bewährt. Die Pflanzen werden in das Verſchulungs—
lineal (Abb. 50) eingehängt und mit dieſem an den ſenkrecht abfallenden Rand einer
quer übers Beet gezogenen Furche niedergelegt, ſo daß die Wurzeln in dieſe herab—
hängen. Darauf ſetzt man einen ſtarken eiſernen Rechen, der ſo breit wie das Beet
iſt, in der dem Reihenabſtand entſprechenden Abſtand von der Furche ein, und ſchiebt
mit ihm die Erde an die Wurzeln heran. Dadurch wird gleichzeitig die neue Furche
geöffnet. Schließlich wird das Lineal mit einer leichten Drehung von den geſetzten
Pflanzen abgenommen. Der Rechen kann von Hand (Abb. 51) oder durch eine
Maſchine geführt werden.
Das Alter der Verſchulungspflanzen liegt zwiſchen 4 und 3 Jahren, Laub-
holzheiſter müſſen meiſt zweimal im 2. und 5. Jahr verſchult werden. Bei den
Laubhölzern iſt oft ein Zurechtſchneiden der Krone angezeigt, im übrigen iſt die
Pflege in den Verſchulungsbeeten die gleiche wie in den Saatbeeten.
Stecklingszucht. Die Weiden und ebenſo die Pappeln — mit Ausnahme
566 2. Abſchnitt.
der Aſpe — werden meiſt nicht aus Samen, ſondern aus Stecklingen oder Setz—
ſtangen erzogen. Auch für ſie empfiehlt ſich die Aufzucht im Forſtgarten wegen der
beſſeren Bewurzelung. Zu Stecklingen ſchneidet man aus einjährigen Zweigen Stücke
von etwa 30 em Länge und ſteckt ſie in ein friſch umgegrabenes Land ſo tief ein,
daß nur die oberſte Knoſpe hervorſieht. Setzſtangen ſind ältere, bis 3 m lange,
etwa 5 em ſtarke Stangen, die glatt abgehauen und bis zu 50 em eingegraben
werden. In gutem, lockerem Boden bewurzeln ſich Setzlinge und Setzſtangen, wenn
die Feuchtigkeit genügt, reichlich und können nach 1—2 Jahren ins Freie verpflanzt
Abb. 52. Gut ausgebildete Unnatürliche Lage der Wurzeln
Fichtenwurzel. als Folge der Klemmpflanzung.
Wurzeltypen (Fichte). (Phot. Dr. E. Wimmer.)
werden. Läßt man Setzlinge 3 Jahre im Forſtgarten ſtehen, ſo erhält man ein
ebenſo ſtarkes Material wie aus Setzſtangen, das noch den Vorzug hat, viel weniger
der Stammfäulnis zu unterliegen als dieſe.
Die Ausführung der Pflanzung. Die zur Verſetzung ins Freie be—
ſtimmten Pflanzen werden im Herbſt oder Frühjahr ausgehoben, ſortiert und an
einem kühlen Platze eingeſchlagen. Beim Transport zur Pflanzſtelle iſt für Feucht-
haltung der Wurzeln zu ſorgen, was am beſten durch Verpacken in feuchtes Moos
erreicht wird. Den ganzen Pflanzenballen hüllt man dann in Tücher oder bindet
ihn mit Stroh und Nadelholzzweigen ein. Auf der Kulturfläche ſchlägt man die
Pflanzen gleich wieder ein und läßt die Arbeiter nur immer ſo viele mitnehmen, als
ſie in einer halben Stunde einſetzen können. Dieſer kleine Vorrat ſollte in Körbchen
oder Kiſtchen mit feuchtem Moos oder in Gefäßen mit Waſſer aufbewahrt werden,
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Pflanzung. 567
damit die Wurzeln nicht vertrocknen. Bei großen Kulturen wird das Zutragen der
Pflanzen am beſten beſonderen Arbeitern übertragen.
Je jüngere und kleinere Pflanzen verwendet werden, um ſo geringer ſind die
Koſten; aber das Gedeihen ſchwacher Pflänzlinge iſt gefährdet, wo ein ſtarker Un—
krautwuchs herrſcht, wo Wildverbiß zu fürchten, wo es ſich um Einmiſchung in eine
ſchon vorhandene andere Beſtockung handelt, auf ſteinigem, feinerdearmem Boden, in
Froſtlagen, kurz unter allen weniger günſtigen Verhältniſſen. Für dieſe wählt man
verſchulte Pflanzen, unverſchultes Material dagegen für Kulturen unter Schirm und
auf lockerem, unkrautfreiem Boden. Holzarten mit ausgeſprochener Pfahlwurzel werden,
ſoweit die Saat ausgeſchloſſen iſt, am beſten einjährig verpflanzt, um Wurzelbeſchädi—
gungen zu verhüten, ſo beſonders Kiefer und Eiche, mit Ausnahme der Nachbeſſe—
rungen in Mittelwaldſchlägen, wo wegen des raſchen Wachstums der Stockausſchläge
meiſt drei⸗ bis vierjährige Loden verwendet werden müſſen.
Auf lockeren unverwilderten Böden genügt die mit dem Pflanzakt ſelbſt ver—
bundene Bodenbearbeitung, auf anderen wird für die Pflanzung mit entblößter Wurzel
eine ähnliche Bearbeitung wie bei der Saat immer zweckmäßig ſein. Am ſicherſten
wachſen im allgemeinen Ballenpflanzen an, d. h. ſolche die mit der die Wurzel um—
gebenden Erde ausgehoben und wieder eingeſetzt wurden. Wegen der Koſten iſt dieſes
Verfahren nur möglich bei kleinen Pflanzen, da ſonſt die Ballen zu groß würden
oder die Wurzelenden abgeſtochen werden müßten, wodurch das Gedeihen der Pflanzen
gefährdet wäre. Auf kurze Entfernungen — 100 m — kann man wohl auch noch fünf—
jährige meterhohe Kiefern mit dem Ballen verſetzen. In der Regel aber beſchränkt
man ſich auf handhohe Pflanzen, deren Ballen einen Durchmeſſer von 6— 12 cm
haben. Eine weitere Vorausſetzung iſt ſteinfreier bindiger Boden, damit der Ballen
nicht zerfällt. Man nimmt die Pflanzen aus natürlichen Verjüngungen, Freiſaaten
oder Forſtgärten. Der Ballen ſoll nur eine tunlichſt in der Mitte ſtehende Pflanze
enthalten, er wird am beſten mit Hohlſpaten mit kreisförmigen unten engerem Quer-
ſchnitt ausgeſtochen und in Löcher geſetzt, die mit dem gleichen Inſtrument angefertigt
werden. Es genügt dann, den Boden in der Umgebung leicht anzutreten, um die
Verbindung zwiſchen ihm und dem Ballen zu bewirken. Bei kleinen Transportweiten
iſt die Ballenkultur ſehr billig, ſie ſchlägt meiſt gut an.
Viel häufiger iſt jedoch die Pflanzung mit entblößter Wurzel, bei der auch
ſtärkere Pflanzen verwendet werden können. Die wichtigſte Regel iſt, die Pflanze
nicht tiefer zu ſetzen, als ſie ſtand, ſonſt kränkelt ſie, häufig ſterben die zu tief unter—
gebrachten Wurzeln wegen Luftmangels ab, und wenn ſie auch durch Neubildungen
erſetzt werden können, bleibt doch immer die Gefahr der Fäulnis und langwieriger
Wuchsſtörungen. Die zweite Regel aber lautet, bringe die Wurzeln in ihre natür—
liche Lage, preſſe ſie nicht zuſammen und knicke ſie nicht. Am empfindlichſten gegen
ſchlechte Behandlung iſt die Fichte, aber auch bei anderen Arten ruft dieſe hohen Ab—
gang und ſchwere Beſchädigungen hervor. Die raſche Unterbringung der Wurzeln
muß gegenüber dieſen Gefahren zurücktreten, ſo ſehr ſie an ſich zu wünſchen iſt, um
die Vertrocknung zu verhüten und Koſten zu ſparen.
Von dieſen Geſichtspunkten aus können wir die vielen Methoden der Pflanzung
in zwei große Gruppen einteilen: die Spalt- oder Klemmpflanzung auf der einen, |
568 2, Abſchnitt.
die Lochpflanzung auf der andern Seite. Bei jener werden ſchmale Spalten oder
enge Löcher mit dem Spaten, Beil, Pflanzdolch und ähnlichen Inſtrumenten in den
Boden geſtoßen, die Pflanze in ſie eingehängt und das Loch dann dadurch wieder
geſchloſſen, daß man mit dem gleichen Inſtrument mehrmals in ſeiner Umgebung in
den Boden ſticht und die Erde an die Pflanze andrückt. Dieſe Verfahren fördern
ſehr raſch, ſind aber nur auf lockerem Boden und für kleine Pflanzen tiefwurzelnder
Arten zuläſſig. Dagegen hebt man bei der Lochpflanzung mit Hacken, Spaten oder
Bohrern Löcher von der Weite und Tiefe aus, welche dem Wurzelſyſtem der ein—
zuſetzenden Pflanzen entſprechen. In das Pflanzloch hält der Arbeiter die Pflanze mit
der einen Hand, mit der andern ordnet er die Lage der Wurzeln und umfüttert fie
mit Erde. Dann füllt er das Loch mit Erde auf und drückt dieſe vorſichtig an die
f Pflanze an, indem
er mit den Händen
in ſie einſticht und
ſie gegen die Pflanze
hinſchiebt. Schließ
lich werden die Ein⸗
ſtiche ausgefüllt und
die Oberfläche ſanft
feſtgetreten. In ei⸗
nem Pflanzloch ſollte
immer nur eine
Pflanze unter⸗
gebracht werden,
die ſogenannte
Büſchelpflanzung iſt
Er wegen der Berwach-
Abb. 53. Beilpflanzung. (Phot. Forſtaſſeſſor Boſch.) ſungen zu verwerfen.
Auf naſſem oder
ſehr flachgründigem Boden wendet man die Hügelpflanzung an, indem man die
Pflanzen auf Erdhügel von 30 bis 50 em Höhe ſetzt. Damit die Erde nicht
vom Regen ausgeflößt wird, deckt man die Hügel mit Raſenſtücken. Im Nieder—
und Mittelwald greift man wohl auch zur Stummelpflanzung, d. h. man ſchneidet die
Pflanzen am Wurzelanlauf ab und pflanzt nur das Wurzelſyſtem. Sollen unbewurzelte
Stecklinge oder Setzſtangen gepflanzt werden, ſo muß das Pflanzloch mit einem Holz
oder Eiſen vorgeſtoßen werden. Bei umfangreichen Kulturen öffnet man wohl auch
mit Hacke oder Pflug einen flachen Graben, legt die Stecklinge hinein und deckt ſie
mit Erde. Eine beſondere Form ſind die Entenneſter, die zur Beſchleunigung der
Verlandung im Überſchwemmungsgebiet angelegt werden. Man hebt ein Loch von
50 em Tiefe und etwa Im Durchmeſſer aus, ſtellt einen Bund Weichholzreiſer hinein,
verteilt ſie gleichmäßig nach allen Seiten und füllt das Loch wieder mit Erde, die von
einem Mann, der in der Mitte des Loches ſteht, feſtgetreten wird. Ringsum häuft
man einen kleinen Damm auf.
Die beſte Pflanzzeit iſt das Frühjahr bis zum Laubausbruch, ſodann der Herbſt
Pflanzung. 569
vom Blattfall bis der Froſt den Boden ſchließt. Sehr zweckmäßig iſt es, auf bin—
digem Boden die Löcher bereits im Herbſt anfertigen zu laſſen, damit die Erde bis
zur Ausführung der Kultur im Frühjahr durchfriert. Bei Arbeitermangel iſt dieſe
Geſchäftsteilung ganz allgemein zu empfehlen.
Eine regelmäßige Verteilung der Pflanzen auf der Kulturfläche iſt zwar nicht
nötig aber doch vorteilhaft. Sie erleichtert die Reinigungen, die Grasgewinnung, das
Aufſuchen fehlender Pflanzen und gibt jedem Individuum den gleichen Entwicklungs—
raum. Andererſeits entſtehen durch den regelrechten Verband Gaſſen, welche die
Winde eindringen laſſen. Auch haftet dem Beſtande noch lange das Ausſehen eines
Abb. 54. Niederdurchforſtung, rechts eben ausgeführt, links noch nicht. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
Kunſtproduktes an. Gemildert werden beide Bedenken, wenn man die Pflanzen in
den erſten Reihen längs der Wege und Grenzen verſchränkt ſetzt. Wo Steine, Wurzel—
ſtücke u. dergl. die Durchführung des Verbandes erſchweren, paßt man ſich dem Ge—
lände an. Die Feſtſtellung des Reihenabſtandes kann nach dem Augenmaß oder mit
Schritten erfolgen.
Enge Pflanzung gibt aſtreine Beſtände, deckt frühzeitig den Boden, erſpart Nach⸗
beſſerungen und liefert, wo ſchwache Stangen gut verkäuflich ſind, anſehnliche Vor—
nutzungen, aber ſie vermehrt die Schneebruchgefahr und erhöht die Koſten ſehr er⸗
heblich. Unter 1 m im Quadrat ſollte man nur auf Standorten herabgehen, auf
denen raſche Deckung erforderlich iſt, für gewöhnliche Verhältniſſe genügt bei Ver—
wendung von unverſchulten Pflanzen 1 bis 1,2 m Abſtand, für verſchulte 1,3 bis 1,6;
Lärchen werden ſogar beſſer im Verband von 2 zu 2 m geſetzt.
570 2. Abſchnitt.
Alle Kulturen ſind in den nächſten Jahren zu revidieren, um entſtandene Lücken
bald auszupflanzen, falls der Abſtand der vorhandenen Pflanzen mehr als 2 bis
2% m beträgt. Zu dieſen Ausbeſſerungen eignen ſich beſonders Ballenpflanzen oder
ſtarkes verſchultes Material; ſind die Nachbarn ſchon im raſchen Emporwachſen be—
griffen, ſo dürfen auch in Lichtholzkulturen nur Schatthölzer — Buche, Hainbuche,
Tanne, Fichte oder Weymouthskiefer — verwendet werden.
5. Beſtandespflege.
Die Reinigungen ſollen die fertigen natürlichen und künſtlichen Verjüngungen
in jene Verfaſſung bringen, die es ihnen ermöglicht bis zum Beginn der Durch—
forſtungen, d. h. je nach Holzart und Höhenlage bis zum 15. oder 30. Jahr ohne
Beihilfe weiterzuwachſen.
Hierzu iſt nötig das eventuell mehrmalige Ausſicheln von Gras und Unkraut,
der Aushieb wertloſer Geſträuche, Stockausſchläge und ſchlechtgeformter Vorwüchſe,
die Regelung der Miſchung in natürlichen Verjüngungen und die Beſeitigung von
Vergabelungen und Verkrümmungen an wertvollen Pflanzen. Als Inſtrumente dienen
Sichel, Baumſchere, Faſchinenmeſſer, Axt und Handſäge. Die Ausformung der Mi-
ſchungen ſoll Gruppen der gefährdeten Holzarten ſchaffen, aus denen die bedrängende
Art entfernt iſt, der Reſt der Fläche kann ſich ſelbſt überlaſſen werden, ſo weit nicht
ſchlechte Baumformen vorkommen. Der Eingriff ſollte ſo kräftig ſein, daß er bis zur
Durchforſtung genügt und womöglich keine teure Wiederholung nötig wird. Laubholz—
ausſchläge werden in Nadelholzkulturen nur ſo weit zurückgehauen, daß ſie nicht mehr
ſchaden können, dann bilden ſie einen ſehr erwünſchten Zwiſchenſtand. Überhaupt iſt
es oft beſſer, die bedrängenden Pflanzen nur zu köpfen, vorausgeſetzt, daß ſie dadurch ge—
nügend zurückgehalten werden, ſie geben dann den bisher eingeengten und daher
ſchwanken Stämmchen einigen Halt. Birken, die mit ihren langen herabhängenden
Zweigen die Gipfel der drunterſtehenden Bäumchen verpeitſchen, äſtet man mehrmals
auf, das Reiſig wird von Beſenbindern gern genommen, ſo daß die Maßregel nichts
koſtet. Weiden und Haſeln werden auf gutem Boden ſehr läſtig, weil ihre Aus—
ſchläge oft ſchon nach einem Jahr die Nachbarpflanzen überholt haben. Wiederholter
Aushieb und Wurzelrodung ſind zu teuer, die Ringelung, d. h. allſeitige Entrindung
eines 20 bis 30 em breiten Stückes bewirkt langſames Abſterben, iſt aber auch nicht
billig, zumal ſie ſehr ſorgfältig ausgeführt werden muß. Am zweckmäßigſten iſt das
zuerſt von Forſtmeiſter Langenbach — Jeſtetten — angewendete Verfahren, ſämtliche
Ausſchläge eines Stockes, ehe ſie ſtark geworden, mit Draht eng zuſammenzuſchnüren,
ſo daß ſie ein aufrecht ſtehendes Bündel bilden. Dieſe Mißhandlung hemmt die
Wuchstätigkeit ſo ſehr, daß ſie den Nachbarn nicht mehr gefährlich werden, ſie wer—
den überwachſen und ſterben dann ab.
Durchforſtungen. Die Zahl der Bäume eines Beſtandes nimmt mit dem
Alter fortgeſetzt und zwar ſehr erheblich ab, ſelbſt von ſehr weitſtändigen Pflanzungen iſt
bei der Ernte kaum noch ein Zehntel vorhanden. Bleibt der Wald ſich ſelbſt über—
laſſen, ſo ſterben die überwachſenen Individuen aus Lichtmangel, brechen zuſammen
und vermodern. Sie zu nutzen, ſo lange ſie noch verwertbar ſind, iſt der eine Zweck
der Durchforſtungen. Obwohl dieſe Erträge ſehr anſehnlich ſein können, ſind doch
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Beſtandespflege. 571
die weiteren Aufgaben der Durchforſtungen ſehr viel wichtiger, einmal den beſten
Stämmchen jederzeit den für eine gute Entwickelung erforderlichen Wuchsraum zu
ſchaffen, ohne ſie zu früher ſtarker Aſtbildung zu veranlaſſen, zweitens die Holzarten—
miſchung zu regeln. Sie dienen weiter dazu, die Beſtände gegen Schnee und Wind
widerſtandsfähiger zu machen und den Zutritt von Licht und Wärme zum Boden in
dem Maße zu ermöglichen, wie es die normale Zerſetzung der Abfälle — die Mull—
bildung verlangt. Wir ſahen jchon,
daß dieſe letzte Aufgabe bei reinen
Lichtholzbeſtänden nur in Verbindung
mit dem Unterbau gelöſt werden kann.
Die Durchforſtungslehre iſt heute
noch ein viel umſtrittenes Gebiet, faſt
jeder Autor empfiehlt eine eigene Me—
thode. So muß es hier genügen, die
für einen modernen Durchforſtungs—
betrieb maßgebenden Richtlinien feſt—
zuſtellen. Iſt Nutzholzzucht unſer Ziel
und gibt man zu, daß hiefür Aſt⸗
reinheit bis mindeſtens auf halbe
Schaftlänge erforderlich iſt, ſo wird,
bis der Beſtand dieſer Forderung
entſpricht, jener Schluß anzuſtreben
ſein, bei dem die unteren Aſte nicht
erſtarken, ſondern abſterben, ſobald ſie
für die reichliche Ernährung des
Baumes nicht mehr nötig ſind. Dazu
ſind mäßige, nach dem Lichtbedürfnis
der Holzarten abgeſtufte Eingriffe
nötig. Iſt die geforderte aſtreine Länge
erreicht, was in der Regel mit dem
beendigten Hauptlängenwachstum der
Fall ſein wird, ſo iſt allmählich ein
größerer Wuchs raum zu geben.
Die forſtliche Literatur unter⸗ Chur Gent mng ble von ber t reibtenneniangenten,
ſcheidet in der Hauptſache: Nieder—
durchforſtung und Hochdurchforſtung. Bei erſterer werden die unterdrückten oder auch
die mit der Krone eingeklemmten Stangen gehauen, die herrſchenden aber erhalten.
Nach der Stärke des Eingriffes werden mehrere Grade unterſchieden. Die Hoch—
durchforſtung greift dagegen grundſätzlich auch in den herrſchenden Beſtand ein, ſucht
den beſten Stangen volle Kronenentwicklung zu ſichern, indem ſie gleichwüchſige Kon—
kurrenten entfernt und beläßt dafür vom überwachſenen „Nebenbeſtand“ alle lebens—
fähigen Stangen im Intereſſe des Bodenſchutzes.
Wir werden unſer Ziel am ſicherſten erreichen, wenn wir die Beſtände bis zum
Ende des Hauptlängenwachstums der Niederdurchforſtung unterwerfen, den Aushieb
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572 2. Abſchnitt.
herrſchender Stangen in dieſer Zeit aber beſchränken auf kranke und ſolche ſchlecht—
formige Individuen, welche beſſere bedrängen, ſowie zu Gunſten eingemiſchter wert—
voller Holzarten. Der Eingriff ſoll nur ein mäßiger ſein, damit die Schaftreinigung
ſich gut vollzieht und damit Material für einen Unterſtand vorhanden iſt, ſobald wir
in der zweiten Hälfte des Beſtandeslebens zu einer kräftigen Hochdurchforſtung über—
gehen, die nunmehr entſchieden unſern Forderungen entſpricht. Ein ſolcher Unter—
ſtand genügt für die Bodenpflege, wo Schatt- und Lichthölzer, insbeſondere Laub—
und Nadelholz gemiſcht ſind, er wirkt ſchon dadurch ſehr günſtig, daß er den Wind
Abb. 56. Waldeiſenbahnbetrieb. Beladen eines Langholzwagens. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
vom Waldesinnern abhält. Derartig erzogene Beſtände werden ſich leicht natürlich
verjüngen laſſen. Freilich muß ausdrücklich betont werden, auch die Durchforſtung
verträgt keine Schabloniſierung, jeder Beſtandesteil muß für ſich nach ſeiner Zu—
ſammenſetzung behandelt werden. Leider führt aber die heutige Großflächenwirtſchaft
in Verbindung mit den großen Oberförſtereien häufig dazu, daß die Auszeichnung
der Durchforſtungen ganz dem Unterperſonal überlaſſen bleibt.
Einzelne Vorſchriften für beſtimmte Fälle zu geben iſt hier nicht der Ort, nur
die Behandlung gruppenweiſer Miſchungen mag kurz beſprochen werden. Die Schwierig—
keit beſteht darin, daß die Randſtämmchen der vorwüchſigen Holzart jene der andern
verdämmen, ſich breit auslegen, alſo ſelbſt ſchlechte Formen annehmen. Bei der alten
Niederdurchforſtung hieb man meiſt die unterdrückten Stämmchen weg, daher drang
die raſchwüchſigere gegen die ſchwächere vor und ihre Randſtämme wurden noch
Beſtandespflege. 573
ſchlechtformiger. Haut man umgekehrt dieſe, ſo erhält man zunächſt die nachwachſen—
den, aber man gibt zugleich den bisher in zweiter Reihe ſtehenden Individuen der
erſten Art Gelegenheit zur verfrühten Kronenverbreiterung und in kurzer Zeit iſt der
alte Zuſtand wieder da. Daher iſt es ratſamer, die Bedränger zunächſt nur einſeitig
aufzuaſten und einzelne beſonders ſchlimme zu köpfen, bis die Randſtämme der
ſchwächeren Art ſich gekräftigt haben und nun über jene hinauswachſen. Setzt dann
die Hochdurchforſtung ein, ſo arbeitet man den Erntebeſtand aus den Innenſtämmen
der einzelnen Gruppen heraus.
Aufaſtung. Die Abnahme abgeſtorbener Aſte verhindert, daß lange tote
Stummel einwachſen und als Hornäſte den Wert der Bretter beeinträchtigen, ſie er—
leichtert die Überwallung und vermindert die Gefahr der Pilzinfektion und Fäulnis.
Für weitſtändig erzogene
HBeſtände iſt ſie alſo vor—
teilhaft, doch beſchränkt
man ſie der Koſten wegen
meiſt auf Stämme, die
Starkholz liefern ſollen
und auf deren unteren
Teil bis etwa 10 m Höhe.
Die Entfernung lebender
Aſte kann in einzelnen
Fällen die Form eines
Baumes weſentlich ver—
beſſern und ſo ſeinen
Wert erheblich ſteigern.
Aber ſie muß wegen der Abb. 57. Langholzrieſe. (Phot. Dr. E. Wimmer.)
Fäulnisgefahr auf
ſchwache Aſte — bis zu 7 em — beſchränkt bleiben. Man führt fie in der Vegetations-
ruhe aus, ſorgt für glatte Wundränder und ſchützt die Schnittfläche durch Beſtreichen
mit Teer oder Baumwachs. Womöglich ſuche man die Aſtung durch geſchloſſene
Erziehung in der Jugend überflüſſig zu machen. Die früher erwähnten Aſtungen vor
der Fällung von Überhältern oder zum Schutz von Nachbarſtämmchen dürfen ohne
beſondere Vorſicht ausgeführt werden, da die betreffenden Bäume ja bald genutzt
werden.
Zur Beſtandespflege im weiteren Sinn iſt auch die Fürſorge für Transport—
anlagen zu rechnen, denn ohne dieſe verurſacht die Holzabfuhr leicht ſchwere Schäden,
ja vereitelt die Nachzucht durch natürliche Verjüngung. Während in dichtbevölkerten
Gegenden meiſt ein enges Netz von Fahrwegen den Wald durchzieht, wird für ab—
gelegene noch unerſchloſſene, große Waldgebiete ſich mehr die Anlage von Waldeiſen—
bahnen und im Gebirge die von Rieſen empfehlen. Die letzteren ſind Gleitbahnen,
auf denen das Holz durch ſeine eigene Schwere zu Tal gefördert wird. Für lange
Stämme ſind die Wegrieſen am geeignetſten. Sie beſtehen aus einem ſchmalen Weg,
der bis zu 90% Steigung haben kann. An der Talſeite wird er durch Randbäume
verwahrt, damit die herabſchießenden Stämme nicht ausſpringen können. Kleine
574
2. Abſchnitt.
ſſerläufe, Schluchten, Wege werden mit Kunſtbauten aus Holz überſchritten
b. 57). Für Brennhölzer und ſchwache Stangen baut man die ganze Gleitbahn
Holz (Abb. 58).
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Abb. 58. Brennholzrieſen im Buchenbeſtande. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
3. Abſchnitt.
Leiden und Feinde des Waldes.
An die Spitze dieſes Abſchnittes darf füglich das Dichterwort geſtellt werden:
„Denn die Elemente haſſen das Gebild der Menſchenhand.“ Mit dem Fortſchritt
der Kultur hat die Gefährdung der Wälder unleugbar zugenommen. Zwar ſind uns
auch aus alter Zeit Waldverheerungen durch die Naturgewalten ſicher überliefert
und die Urwaldreſte erzählen dem fachkundigen Beſucher von ſchweren Schäden, die
der Beſtand erlitten und überwunden hat; aber eine Zunahme der Gefährdung
unſerer Forſten iſt auch dann unverkennbar, wenn man in Anrechnung bringt, daß
wir heute derartige Ereigniſſe ſchärfer regiſtrieren, weil ſie unſere wirtſchaftlichen
Intereſſen empfindlich beeinträchtigen.
Licht und Wärme. So wohltätig das Licht im allgemeinen für die Pflanzen
iſt, ſein Übermaß kann im Walde ſchaden, indem es auf nicht genügend überſchirmten
Böden einen ſtarken Unkrautwuchs hervorruft, welcher die jungen Holzpflanzen ver—
drängt. Bedeutet dies in unſeren Breiten nur eine Erſchwerung und Verteuerung
der Waldwirtſchaft, ſo iſt es in Japan und China oft ihr Ende, da hier unvertilg—
bare Bambusarten den Boden beſetzen. Die mit ſtarker Belichtung verbundene inten—
ſive Erhitzung iſt meiſt noch viel nachteiliger als dieſe ſelbſt. Sie iſt es, welche die
biochemiſchen Umbildungsprozeſſe zerſtört, ſobald der Boden bloßgelegt iſt, die mit
der Dürre vereinigt die jungen Pflanzen in den Kulturen vernichtet. Der heiße
Sommer 1911 hat in den Waldungen des Großherzogtums Baden allein durch Zer—
ſtörung von Kulturen einen Schaden von etwa einer Million verurſacht. Dazu
kommt noch, daß in trockenen Jahren der Zuwachs der Bäume viel kleiner iſt
— oft bis zu 50 %% — als in gewöhnlichen.
Werden glattrindige Holzarten plötzlich freigeſtellt, ſo tritt an der Süd- und
Südweſtſeite der Stämme häufig Rindenbrand ein, indem das Kambium infolge der
Überhitzung abſtirbt. Die Rinde fällt von der erkrankten Stelle ab, der bloßgelegte
Holzkörper vertrocknet und in der Regel ſiedeln ſich Fäulniserreger auf ihm an und
beenden die Zerſtörung. Die Erkrankung reicht vom Wurzelanlauf bis zum Kronen—
anſatz. Freiſtändig erwachſene Bäume ſchützen ſich durch die tiefherabreichende Krone.
Die Erhaltung des natürlichen Waldtraufes und, wo er fallen muß, Unterbau mit
ſchattenertragenden Holzarten mehrere Jahre vor der Freiſtellung ſind die einzigen
Schutzmittel.
576 2. Abſchnitt.
Kälte. Harte Winter machen den Anbau aus wärmeren Klimaten ſtammender
Arten unmöglich und rufen an den einheimiſchen mancherlei Beſchädigungen hervor.
So kann man in höheren Lagen oft beobachten, daß die Nadeln junger Fichten und
Tannen ſo weit abgeſtorben ſind, als ſie über die Schneedecke herausſahen. Ob das,
wie Mayr annimmt, lediglich eine Kältewirkung — Chlorophylltod — iſt oder zum
Teil eine Vertrocknung infolge der intenſiven Beſtrahlung an hellen Tagen, während
die Wurzeln aus dem gefrorenen Boden kein Waſſer aufnehmen konnten, mag dahin—
geſtellt bleiben. Eine andere ſehr emp—
findliche Beſchädigung find die Froſt—
riſſe, d. h. Längsſpalten im Schaft.
Sie entſtehen, wenn die Temperatur
im Winter ſehr raſch ſinkt. Dann
ziehen ſich die äußeren Holzſchichten
ſtärker zuſammen als der Kern, in
den die Abkühlung noch nicht einge—
drungen iſt, und da dieſer nicht nach—
gibt, reißen jene auf. Im nächſten
Frühjahr ſchließt allerdings die Über—
wallung den Spalt, ja es erfolgt hier
ein etwas verſtärktes Dickenwachstum,
da der Rindendruck fehlt; aber jeder
ſtärkere Froſt bewirkt ein neues Auf⸗
reißen und nun führt das verſtärkte
Wachstum zur Bildung von vor—
ſpringenden Froſtleiſten, die oft hand—
breit ſind und allein ſchon den Nutzwert
des Baumes erheblich vermindern. Meiſt
aber beginnt auch von dem Spalt aus die
Fäulnis. Beſonders häufig ſind Froſt—
riſſe an Eiche, Eſche, Edelkaſtanie,
Abb. 59. Windgeſcherte Fichten. (Zur Verfügung geſtellt von Ulme, Nüſſen und Buchen, nicht
der Abteilung für Forſtweſen, Karlsruhe.) ſelten auch an der Tanne. Auch krebs⸗
artige Wucherungen werden an Eichen,
Kaſtanien und Pyramidenpappeln durch harte Winterkälte manchmal hervorgerufen.
Auf naſſen Böden wird der Barfroſt den Saaten jener Holzarten leicht gefährlich,
die nicht bereits im erſten Jahr eine tiefgehende Pfahlwurzel ausbilden. Da die
Eiskriſtalle einen größeren Raum beanſpruchen als das Waſſer, nehmen ſie bei ihrer
Entſtehung die oberen Bodenſchichten mit den nur in ihnen wurzelnden Pflänzchen
in die Höhe. Tritt dann Tauwetter ein, ſo ſetzt ſich der Boden wieder, da aber die
unterſten Schichten am längſten gefroren bleiben, können die Wurzeln nicht folgen,
die Pflanzen legen ſich um und vertrocknen, falls man nicht die Wurzeln mit feiner
Erde überſiebt und ſchützt. Vorbeugend wirken Entwäſſerung und Deckung der
Zwiſchenräume zwiſchen den Pflanzen mit ſchlechten Wärmeleitern. Doch iſt dies nur
in Forſtgärten ausführbar. Ein dichter Unkrautwuchs wirkt in ſolchen Lagen günſtig,
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SEP „0 1913
Froſtſchäden. 577
indem er den Boden feſthält. — Bei der Betrachtung der Holzarten ſahen wir bereits,
daß auch die in der Vegetationszeit auftretenden Fröſte junge ſaftige Organe und
noch unverholzte Triebe töten. Dies verurſacht den Tod einjähriger oder ſonſt ſehr
empfindlicher Pflanzen, mannigfaltige Wuchsſtörungen, Verunſtaltungen und Zuwachs—
verluſte. Durch die Vernichtung der Samenanlagen wird die natürliche Verjüngung a
ſehr erſchwert. Junge Pflanzen ſchützt man, wie wir ſahen, durch Anzucht unter
Schirm, durch Vorbau froſtharter Arten oder Beiſaat von Getreide (Haferſchutzſaaten). "**
Abb. 60. Windwurflücke im Fichtenſtangenholz. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
Wind. Hat der Wind freien Zutritt zum Beſtandesinneren, ſo verweht er
auch bei nur mäßiger Stärke das abgefallene Laub und häuft es in Mulden auf,
wo es nutzlos verfault, während die Rücken und Kuppen verangern. Auch ſteigert
er die Verdunſtung und vermehrt ſo die Schäden der Dürre. Die Erhaltung ge—
ſchloſſener Waldſäume und des lebensfähigen Unterſtandes ſchützen am beſten gegen
dieſe Gefahren. Treten wir an einem windigen Tage in einen älteren geſchloſſenen
Beſtand, ſo hören wir neben dem Rauſchen der Kronen ein vielfältiges Kniſtern und
Krachen, ein Achzen und Knarren. Dieſe Töne entſtehen, indem Zweige aneinander—
ſchlagen und Aſte ſich reiben. Wir ſehen dann auch hier und dort einen Zweig oder
einen dürren Aſt fallen und entdecken bei ſcharfem Zuſehen die blanken Stellen, wo
ſich ein Aſt am Nachbarſtamm geſcheuert hat. So entſtehen manche kleine Ver—
letzungen; aber es iſt dies auch, wie zuerſt von Weiſe betont wurde, der Weg, auf
dem die Natur die Stämme von überflüſſigen Aſten ſäubert und hohe Em Schäfte
Hausrath, Die Waldwirtſchaft.
578 2. Abſchnitt.
erzieht. Nachteilig wird dieſe Wirkung des Windes im höheren Gebirge und an der
Seeküſte, wo er mit größerer Stärke und faſt ſtets aus einer Richtung weht. Hier
ſterben auf der Windſeite die jungen Triebe früh ab, die Krone wird einſeitig, wind—
geſchert (Abb. 59). Auch der Höhenwuchs leidet not, die vorderſten Stämmchen
bleiben niedrig und nur allmählich ſteigt das Kronendach gegen das Binnenland zu
an, indem jeweils die vorderen Bäume den dahinterſtehenden Schutz bieten und den
Wind mehr und mehr in die Höhe weiſen.
Brauſt der Wind mit mehr als 17 m Geſchwindigkeit in der Sekunde, als
Sturm, übers Land, ſo brechen nicht nur Zweige, ſondern auch ſtarke Aſte und
häufig werden ganze Bäume mit dem Wurzelballen aus der Erde herausgewuchtet
oder an einer ſchwachen Stelle gebrochen. Schwache Stürme zerreißen und lockern
wohl auch nur einen Teil der Wurzeln einzelner Stämme, die dann dauernd ſchief
ſtehen, oft kränkeln und eine leichte Beute der Inſekten werden. Wird der Sturm
zum Orkan, ſo wirft er ganze Beſtände über den Haufen, kommt er als Wirbelſturm
daher, ſo reißt er lange, verhältnismäßig ſchmale Gaſſen oder auch nur einzelne
Löcher in den Wald.
Dem Windwurf, bei dem der Baum mit ſeinem Wurzelballen umgeſtürzt wird,
ſind flachwurzelnde Holzarten beſonders ausgeſetzt, andere nur dann, wenn der Boden
eine tiefgehende Bewurzelung hindert oder wenn er durch anhaltende Niederſchläge
völlig durchweicht iſt. Dem Bruch unterliegen vorwiegend Stämme, die eine Be—
ſchädigung erlitten oder ſich gegabelt haben. Wirbelſtürme freilich drehen auch ge—
ſunde Bäume ab, als wenn es Strohhalme wären. Da die meiſten Stürme während
der Wintermonate auftreten, ſind immergrüne Nadelhölzer am gefährdetſten. Im
ganzen kann man wohl folgende Reihenfolge für die Gefährdung aufſtellen: Fichte —
Aſpe, Tanne, Birke — Buche, Hainbuche, Erle — Ahorn, Kiefer, Eſche, Ulme, Linde —
Lärche, Arve, Eiche. Nennenswerter Schaden entſteht erſt vom Stangenholzalter an,
wenn die Krone in größerer Höhe über dem Boden beginnt, die Gefahr wächſt auch
darum mit dem Alter, weil in dieſem die Herz- und Pfahlwurzeln abſterben und
durch ſtärkere Ausbildung der Oberflächenwurzeln erſetzt werden.
Gegen Orkane und Wirbelſtürme gibt es keinen Schutz, gegen die gewöhnlichen
Stürme aber ſichert eine naturgemäße Erziehung der Beſtände. Der freiſtehend er—
wachſene Baum trotzt jenen, weil er von Jugend an ſeine Bewurzelung den An—
griffen angepaßt hat und durch die tief herabreichende Krone die Belaſtung gleich—
mäßiger verteilt. Ebenſo halten geſchloſſene Waldränder dem Sturm ſtand und
ſchützen die dahinter ſtehenden Bäume, indem ſie ihn nach der Höhe ablenken. Wenn
dagegen der Sturm die friſch freigeſtellte Wand eines bis dahin in engem Schluß
erzogenen Beſtandes trifft, wirft er auch bei mäßiger Stärke die Stämme flächen—
weiſe, ja ſchon jeder heftige Wind fordert einige Opfer und der Schaden hört ſelten
auf, ehe der ganze Beſtand verſchwunden iſt. Da die meiſten Stürme in Deutſch—
land von Weſten oder Südweſten kommen, hat man bei der Kahlſchlagwirtſchaft,
wie wir ſahen, dadurch Schutz zu gewinnen geſucht, daß man die Hiebe dem Wind
entgegenführt, ſo daß dieſer immer auf einen geſchloſſenen Waldtrauf ſtößt und meiſt
auf ein in ſeiner Richtung anſteigendes Kronendach. Im Gebirge iſt der Wind
vielen Ablenkungen unterworfen, der Beſtimmung der beſten Hiebsrichtung muß
Hausrath, Der Wald
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W. Conz, Sd
(Aus B. G. Teubners farb!
rzwaldtanne
Künſtlerſteinzeichnungen)
Wind und Sturm. 579
daher ein eingehendes Studium vorangehen. Auch darauf wurde bereits hingewieſen,
daß Wagner viel mehr dadurch Schutz zu gewinnen ſucht, daß er gegen Weſten und
Süden geſchloſſene, allenfalls von der Eiche gebildete Ränder erhält und dem Sturm
von Weſt gegen Oſt freie Bahn ſchafft. Gewiß wird ſo vieler Schaden vermieden,
aber ein Allheilmittel iſt die Hiebsrichtung nicht; denn der Sturm weht, „von
wannen er will“, fällt unſerer Hiebsordnung ab und zu in den Rücken und verur—
ſacht dann beſonders ſchwere Schäden. So war es ein Nordoſtſturm, der am 29.
und 30. März 1892 in Elſaß-Lothringen 429000 ebm Holz warf. Daher iſt wirk—
Abb. 61. Windwurf in den Vogeſen. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
ſamer als die beſte Hiebsrichtung die naturgemäße Anzucht geſunder gemiſchter Be—
ſtände im Femel⸗ und Femelſchlagwald, die Erhöhung der Standfeſtigkeit durch
kräftige Durchforſtungen und die Sorge dafür, daß jeder Beſtand ſeinen eigenen
Trauf bilde und erhalte, damit er nicht auf den Schutz durch ſeine Nachbaren an—
gewieſen iſt.
Heftige Regen entführen dem bloßgelegten Boden die Feinerde, verſchwemmen
Sämereien und waſchen ſchwache Pflanzen aus. Hagelſchlag vernichtet oft die
Samenernte, bricht junge Triebe ab und legt, wo große Körner aufſchlagen, den Holz—
körper bloß. Sind die Wunden groß, ſo tritt meiſt der Tod des betroffenen Pflanzen⸗
teils ein, andernfalls ſiedeln ſich auf ihnen leicht Paraſiten an. Der Schaden iſt
580 3. Abſchnitt.
manchmal ſehr erheblich. So vernichtete 1897 ein Hagelwetter in den beiden Ober—
förſtereien Lützelſtein und Buchsweiler 550 ha Kulturen.
Der Blitz zerſchmettert jedes Jahr eine Anzahl Stämme. Beſonders häufig
trifft er Eichen, Kiefern, Fichten, Tannen, Pappeln, ſelten nur Buchen. Bald zer-
ſpaltet er den ganzen Baum, bald bricht er ihn an einer Stelle ab, bald gräbt er
nur eine dem Verlauf der Faſern folgende Furche aus. Doch ſterben auch ſolche
Stämme meiſt ab. Eine eigenartige Erſcheinung ſind die Blitzlöcher, die entſtehen,
indem um einen vom Blitz geſchlagenen Baum in den nächſten Jahren allmählich die
Abb. 62. Eiche, vom Blitz zerſchmettert. (Phot. von der Trappen.)
Nachbarn abſterben, ohne daß an ihnen eine Verletzung wahrzunehmen wäre. Es
entſtehen ſo Blößen in den wüchſigſten Beſtänden. Zur Erklärung nimmt man an,
daß es ein Flächenblitz geweſen ſei, deſſen Ausſtrahlungen von dem zuerſt getroffenen
Baum auf die andern überſprangen.
Schnee. Eine mäßig hohe Schneedecke, welche den Boden und die jungen
Pflanzen einhüllt, wird auch im Wald als große Wohltat empfunden, da ſie gegen
Froſt ſchützt und den Boden mit reichlicher Feuchtigkeit verſorgt. Im Urwald wie
im Femelwald werden auch große Schneemaſſen nur ſelten ſchädlich, meiſt gleiten ſie
durch die Lücken zwiſchen den Kronen zu Boden. Wohl aber hat der moderne Forſt—
r
Schnee. 581
wirt Grund zu ernſter Sorge um ſeine gleichwüchſigen Kulturen und Stangenhölzer,
wenn tagelang bei ſtiller Luft große, ſchwere Flocken lautlos herniederſchweben und
ſich auf die Kronen lagern. Erleichtert atmet er auf, ſobald ein friſcher Wind ein—
ſetzt, der die Laſt von den Bäumen fegt, denn das bedeutet die Rettung. Wehe aber,
wenn der Schnee feucht fiel, ſo daß er feſt an den Kronen haftet, und es aufklart,
ehe der Wind ſich erhebt. Dann friert die Maſſe feſt und es wölbt ſich ein weißes
Dach über den Kulturen und Stangenhölzern. Fällt dann noch neuer Schnee oder
kommt heftiger Wind, ſo brechen die Stangenorte flächenweiſe nieder. Zuerſt iſt es
wohl nur ein Stämmchen, das viel—
leicht einen kleinen Schaden hatte und
daher weniger widerſtandsfähig war,
der dadurch verurſachte Stoß reicht
aus, um den Bruch aller Nachbarn
zu bewirken, die ebenfalls bereits bis
zur Grenze ihrer Tragfähigkeit be—
laſtet waren. Junge Kulturen und
dichte Verjüngungen werden zu Boden
gedrückt, ja oft förmlich gewalzt, wo—
bei viele Pflanzen gebrochen oder der
Aſte und Gipfeltriebe beraubt werden.
Sind die Schneemaſſen nicht ſo groß,
ſo brechen nur einzelne Stangen, an—
dere biegen ſich unter der Laſt, wieder
andere verlieren den Gipfel oder Aſte.
Im älteren Holze herrſcht Aſt- und
Gipfelbruch vor. Beſchädigte Stämme
ſind immer in erhöhtem Maße dem
Bruch ausgeſetzt. Trockener Schneefall
iſt natürlich längſt nicht ſo gefährlich
wie naſſer.
Die Nadelhölzer leiden mit Aus— u
nahme der Lärche begreiflicher Weiſe (Phot. Forſtamtmann Dr. Wimmer.)
mehr als die Laubhölzer. Bei dieſen
iſt der Schaden nur dann groß, wenn ſie noch im Laub getroffen werden. Durch—
ſtellt man die Nadelholzbeſtände mit Laubholz, ſo wird wenigſtens der flächen—
weiſe Zuſammenbruch meiſt verhütet, weil ſich nicht leicht eine zuſammenhängende
Schneedecke auf den Kronen bilden kann. Kräftige Durchforſtungen vermindern die
Gefahr; waren ſie freilich lange verſäumt, ſo daß die Bäume ſpindelig erwuchſen, ſo
wird ein bald nach Ausführung der Durchforſtung eintretender ſtarker Schneefall viel—
leicht ſogar ſchlimmere Schäden verurſachen als im undurchforſteten Beſtand. Denn
in dieſem ſtützten ſich die Stämme gegenſeitig, jetzt aber ſind ſie iſoliert. Erſt nach
zwei Jahren werden ſie ſich dem freieren Stand ſo weit angepaßt haben, daß dieſer
auch gegen den Schnee vorteilhaft wirkt. Enge Pflanzungen und dichte Saaten leiden
ebenfalls mehr als weitſtändige.
582 2. Abſchnitt.
Eine eigenartige Beſchädigung junger Pflanzen iſt das Ausziehen von Aſten
durch den ſich ſetzenden Schnee, wenn er in großen lockeren Maſſen fiel und an den
Aſten anfror. Indem er dann allmählich zuſammenſinkt, nimmt er die Aſte mit nach
unten und der Zug kann ſo ſtark werden, daß dieſe mit dem ſchon in den Schaft
eingewachſenen Teil ausgeriſſen werden.
Gebrochene oder ſtark beſchädigte Nadelhölzer ſind baldmöglichſt einzuſchlagen,
die weniger ſtark verletzten erhält man bei umfangreichem Schneebruchſchaden gerne
Abb. 64. Schneebruch in einer Kiefernſchonung. (Phot. von der Trappen.)
noch einige Jahre, um die Arbeit zu verteilen. Sie werden dann unterbaut und ge—
nutzt, ſobald ſie entbehrlich geworden ſind. Nur umgebogene Stangen läßt man auf—
richten. Laubhölzer heilen den Schaden meiſt wieder aus, ebenſo Nadelhölzer, die
nur ein kurzes Gipfelſtück verloren haben, doch bleibt oft eine Verkrümmung, die den
Nutzwert empfindlich beeinträchtigt.
Ahnliche Beſchädigungen wie der Schnee verurſachen Duftanhang-, Rauhreif—
und Eisregen. Die Eisſchicht, welche bei letzterem ſich auf den Pflanzen bildet, wird
manchmal mehrere Zentimeter ſtark und erreicht ein hohes Gewicht. So wog Ney
1858 an einem Eichenblatt ein Eisgewicht von 219 g. Der Eisbruch nimmt daher
manchmal ſehr beträchtliche Dimenſionen an; ſo fielen z. B. 1879 in den Forſten um
Paris 245000 ebm Holz.
Schädliche Pflanzen. 583
Schädliche Pflanzen. Die Bedeutung der Forſtunkräuter für die Wald—
wirtſchaft lernten wir bereits kennen. Von andern ſchädlichen Pflanzen mag zunächſt
der Miſtel — Viscum album L. — gedacht fein, die wir gelegentlich auf allen Wald—
bäumen, beſonders häufig jedoch auf Tannen, Kiefern, Ahornen, Linden und Pappeln
finden. Wo ſie am Stamm ſelbſt aufſitzt, wird ſie dadurch recht ſchädlich, daß ihre
Senkerwurzeln das Holz durchlöchern und für viele Zwecke unbrauchbar machen. Zu—
dem iſt das Miſtelholz ſehr vermaſert und ſchwer zu ſpalten.
Von den Pilzen verurſachen der Hallimaſch — Agaricus melleus L. — und
der Kiefernwurzelnpilz — Trametes radiciperda R. Hartig — Wurzelfäule und führen
ſo oft zu großen Lücken in Kulturen wie Stangenhölzern. Der Blaſenroſt der Wey—
mouthskiefer — Conar—
tium ribicolum Dietr.
— deſſen goldgelbe, erbſen—
große Puſteln im Früh—
ſommer aus der Rinde
der befallenen Stämmchen
hervorbrechen, hat den
Anbau dieſer Holzart in
vielen Gegenden in Frage
geſtellkt, während der
Lärchenkrebs — Pezizza
Willkommii R. Hartig
— ungezählten verfehlten
Lärchenkulturen zu einem 2 g f
frühen Ende verhalf. Abb. 65. Fichtenhexenbeſen. (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
Schlimmere Schäden noch
verurſacht Trametes pini Fr., deſſen langlebige braune konſolenförmige Fruchtträger
am Stamm älterer Kiefern ſitzen; denn er ruft in den wertvollſten Teilen des Schaftes
Fäulnis hervor. Oberforſtmeiſter Möller veranſchlagt den durch ihn in den preußiſchen
Staatsforſten verurſachten Ausfall auf jährlich eine Million. In Weißtannenwäldern
finden wir häufig Krebſe, veranlaßt durch Melampsorella caryophyllaceum D G.
einem Roſtpilz, deſſen Aecidienform in den Zweigen der Tanne lebt, die daher eine
abnorme Wuchsform annehmen, einen „Hexenbeſen“ bilden. Am Grund des Hexen—
beſens beſitzt der Zweig eine beulenförmige Verdickung und falls dieſe in den Stamm
einwächſt, entſteht der Stammkrebs. Der Schaft bricht an der Krebsſtelle leicht ab,
auch beginnt von ihr aus oft Fäulnis. Auch andere Holzarten werden durch Pilze
zur Bildung von Hexenbeſen veranlaßt, doch beſitzt keiner derſelben eine wirtſchaft—
liche Bedeutung.
Die ſchlimmſte Pilzkrankheit iſt die durch Hysterium pinastri Schrad. ver—
urſachte Kiefernſchütte. Die im Sommer infizierten jungen Nadeln färben ſich im
Lauf des Winters leuchtend rot und ſterben ab. Oft tötet das Myzel die Knoſpen,
aber auch ohne dies gehen, zumal bei wiederholter Erkrankung, zahlreiche Pflanzen
ein. Schon viele tauſend Hektar Kiefernkulturen ſind der Schütte zum Opfer ge—
fallen, und es hat den Anſchein, als habe gerade dieſe Krankheit im Lauf der letzten
584 3. Abſchnitt.
Jahrzehnte an Gefährlichkeit zugenommen. Von den Gegenmitteln hat ſich am beiten
bewährt, das Beſprengen mit Bordelaiſerbrühe-Kupferkalklöſung, wie es gegen die ge—
fürchtete Blattfallkrankheit der Reben ſchon lange angewendet wird.
Ein gewiſſer Schutz liegt auch in der Benützung einheimiſchen Saatgutes, denn
Pflanzen aus Samen ſüdlicher Herkunft werden beſonders ſchlimm mitgenommen.
Vielleicht liegt die Erklärung dafür, daß, wie geſagt, die Intenſität der Schütte
größer geworden, darin, daß mit der Ausdehnung, welche die Kiefernkahlſchlagwirt—
Abb. 66. Wildverbiß an Fichten. (Phot. von der Trappen.)
ſchaft erlangte, eine Überſchwemmung Deutſchlands mit franzöſiſchem und ungariſchem
Kiefernſamen eintrat. Auch die Schwächung der Lebenskraft mag mitgewirkt haben,
welche die Überhitzung der Samen beim Klengen hervorruft.
Tiere. Faſt unabſehbar iſt die Zahl der Waldfeinde aus der Tierwelt. Wir
können daher hier nur Vertreter der wichtigſten Gruppen erwähnen. Von den ein—
heimiſchen Wildarten ſind ſchlimme Waldverderber, die Kaninchen. Denn ſie ver—
beißen und ſchälen junge Pflanzen, ſie unterwühlen ihre Wurzeln und vernichten ſie
oder hemmen doch die Entwickelung. Auch Elch und Biber ſind von der Natur
darauf angewieſen, Holzpflanzen zu verzehren oder zu fällen, aber ſie ſind ſo ſelten
geworden, daß dieſe Schäden keine Bedeutung haben. Das Auer- und Birkwild wird
An WE —— EDEL
f &
Wildſchäden. 585
ab und zu läſtig, indem es in Kulturen und Forſtgärten die Knoſpen abbeißt. Hirſche,
Rehe und Sauen ſind dem Walde nicht gefährlich, ſo lange ſie nur in ſolcher Zahl
vorkommen, daß die Früchte und Pilze des Waldes, die Gräſer und Kräuter
der Wege, Waldwieſen und kleinen Blößen zu ihrer Ernährung ausreichen, denn dann
nehmen ſie nur ab und zu einmal ein Paar Blätter auf. Leider aber hat der Menſch
in vielen Gegenden das Gleichgewicht geſtört, indem er jene natürlichen Aſungsplätze
aufforſtete, und die maſttragenden Buchen und Eichen durch unfruchtbares Nadelholz
erſetzte, indem er die natürlichen Feinde des Wildes beſeitigte, die früher deſſen Ver—
mehrung in Schranken hielten und indem er endlich eine übertriebene Wildhege übte.
Um bei den Treibjagden mit hohen Strecken renommieren zu können, wird viel mehr
Wild erzogen, als auf der vorhandenen Fläche Nahrung finden kann. Und während
ſo das edle Waidwerk zum Maſſenmord erniedrigt wurde, wuchſen die wirtſchaftlichen
Schäden in Wald und Feld. Gegen das Rotwild hat heute der Bauer in vielen
Gegenden Schutz durch Eingatterung der Forſten erzwungen, aber ſeit die Hirſche
nicht mehr auf die Felder treten und dort ihren Hunger ſtillen können, begannen ſie
ziemlich allgemein zu ſchälen. Geſchah dies früher nur von einzelnen Individuen aus
Spielerei, ſo dient es heute der Ernährung. Das Wild beißt dabei in die ſaftige
Rinde der Stangen und reißt ſie in großen wie kleinen Fetzen ab. Die ſo entſtan—
denen Wunden aber verheilen nur ſchwer, führen leicht zur Fäulnis und vergrößern
immer die Gefahr des Bruches durch Wind und Schnee. Außerdem verbeißt das
Wild, wo andere Aſung fehlt, die jungen Triebe, ſoweit es reichen kann, vernichtet
ſo manche Kultur oder hält doch ihre Entwickelung lange zurück und veranlaßt Miß—
bildungen, die den Wert der Bäume herabſetzen. Verhältnismäßig gering iſt da—
gegen der Schaden, der durch das Schlagen und Fegen der Geweihe an jungen
glatten Stämmchen verurſacht wird.
Nächſt dem Abſchuß iſt das beſte Mittel die Eingatterung der Kulturen. Die
Gipfeltriebe junger Pflanzen ſchützt man gegen den Verbiß durch den Anſtrich mit
Kalk, Teerölen und mancherlei Miſchungen, durch Behängen mit Werg, durch das
Aufſetzen von Drahtſpiralen oder zackigen Blechkronen. Aber das alles koſtet viel
Geld und es hilft nicht einmal auf die Dauer, das Wild beißt ſchließlich den ge—
ſchützten Trieb an einer tieferen Stelle ab, um bequemer an die unteren Zweige zu
kommen. Gegen das Schälen hilft einbinden der Stämme mit Reis, aber die Koſten
ſind zu hoch. Nur die Rückkehr zu vernünftigen Wildſtänden wird wirklichen Schutz
gewähren; der echte Jäger, der in der Beobachtung des Wildes und ſeiner Über⸗
liſtung auf oft mühſamem Pirſchgang ſeine Befriedigung findet, wird dabei nicht zu
kurz kommen. 5
Der Haſe iſt im Walde harmlos, nur ab und zu ſchält er junge Akazien. Da⸗
gegen iſt das niedliche Eichhörnchen ein arger Waldverderber. Es verbeißt Knoſpen
und Triebe und verzehrt viel Samen, ja es plündert oft ſyſtematiſch Eichen⸗ und
Buchenſaaten. Einzelne Exemplare ſchälen auch Nadelholzſtangen, die dann leicht ein-
gehen. Da das Eichhorn zudem ein ſchlimmer Neſträuber iſt, ſollte man eine allzu
große Vermehrung durch Abſchuß verhindern.
Auch die Mäuſe verzehren viel Samen und vernichten junge Pflanzen durch
Benagen der Wurzeln und Rinde. Sie bevorzugen Buchen und Hainbuchen und richten
586 2. Abſchnitt.
in den Verjüngungen viel Schaden an. Es iſt daher zweckmäßig, ſie in Mäuſejahren
durch Köder zu vernichten, die mit Strychnin, kohlenſaurem Baryum oder dem Löff—
lerſchen Mäuſebazillus vergiftet ſind.
Während die Beſchädigungen durch Vögel meiſt belanglos ſind, finden wir
unter den Inſekten die gefährlichſten Waldfeinde. Unſere beiden Maikäferarten
machen ſich im ausgebildetem Zuſtande recht unnütz, indem ſie die Kronen der Laub—
hölzer befreſſen, ja manchmal ganz verzehren. Das iſt aber nicht der Rede wert
neben dem Schaden, den ihre Larven, die Engerlinge, in Kulturen und ſeit einigen
Jahrzehnten auch in natürlichen Verjüngungen, ja ſogar in bis zu ſiebzigjährigen
Stangenhölzern dadurch anrichten, daß ſie die feinen Wurzeln verzehren, die ſtärkeren
entrinden, ſo daß die Pflanzen eingehen. Groß geworden iſt die Engerlingsplage mit
der Ausdehnung der Kahlſchläge, jetzt, wo der Engerling auf trockenen Böden in Millionen
auftritt, ſchützt keine Beſtandesform. Das einzig wirkſame Mittel iſt das ſyſtema—
tiſche Sammeln der Käfer in den alle 3—5 Jahre wiederkehrenden Maſſenflugzeiten.
Damit ein Erfolg erzielt wird, müſſen natürlich die Käfer in dem ganzen Gebiete
geſammelt werden, in dem ein Maſſenflugjahr eingetreten iſt, und ein ſtaatlicher
Zwang gegen ſäumige Grundbeſitzer iſt geboten. Was durch energiſches Vorgehen
geleiſtet werden kann, hat Forſtmeiſter Puſter zu Kandel in der bayriſchen Pfalz ge—
zeigt. Er fing 1903 auf 300 ha 75 Millionen, 1907 auf 1200 ha 15 Millionen,
1911 auf 1750 ha 22 Millionen Käfer. Während früher die Kulturen immer wieder
vernichtet wurden, wachſen ſie nunmehr in die Höhe und die beſchädigten Stangen—
hölzer geſunden allmählich; aber einheitlich muß geſammelt werden, ſonſt ſind alle
Koſten vergeudet. Um wenigſtens die Forſtgärten zu ſchützen, empfiehlt es ſich, ſie
während der Flugzeit 1 em hoch mit pulverifiertem Atzkalk zu beftreuen; denn da—
durch werden die Käfer abgehalten, hier ihre Eier abzulegen. Für Freikulturen käme
dieſes Mittel aber zu teuer. Zahlreiche Rüſſelkäfer leben von der Rinde, den Nadeln
und jungen Trieben der Nadelhölzer und töten durch ihren Fraß junge Pflanzen.
Der gefährlichſte iſt wohl der große braune Rüſſelkäfer, Hylobius abietis L., deſſen
Larven ſich in Wurzelſtöcken entwickeln, während der Käfer ſchwache Nadelholz—
pflanzen benagt. Er bevorzugt dabei friſch geſetzte und daher etwas im Wuchs
ſtockende Pflanzen. Dagegen meidet er natürliche Verjüngungen, jedenfalls wird er
in ihnen wegen der hohen Pflanzenzahl nicht ſchädlich. Zu ſeiner Bekämpfung dienen
die Stockrodung und das Sammeln an Fangprügeln und Fangrinden von friſch
gefälltem Nadelholz, deren Harzgeruch den Käfer anlockt. Wie maſſenhaft er manch—
mal auftritt, zeigt die Tatſache, daß im Forſtbezirk Bärenfels in Sachſen 1881 — 84
9000 000 Stück eingeſammelt wurden. Bei andern Rüſſelkäfern, wie z. B. den
Pissodes-Arten, ſchadet die Larve, die ihre Entwicklung im Splint lebender Bäume
durchmacht und dieſe bei ſtarkem Befall tötet.
Auch die Borkenkäfer entwickeln ſich im Baſt, ſeltener im Splint lebender
Bäume. Durch den Fraß der Larven werden die Leitungsbahnen des Waſſers der
Vertrocknung preisgegeben, worauf dann die über der Fraßſtelle gelegenen Baumteile
abſterben müſſen. Sie treten gelegentlich in großen Maſſen auf und vernichten dann
ganze Wälder. Die gefürchtetſte Art iſt der auf der Fichte lebende Buchdrucker —
Bostrychus typographus L., der z. B. im Bayriſchen und Böhmer Wald 1872/76
Inſekten. 587
5 000 000 ebm zum Abſterben brachte. Eine ſolche Maſſenvermehrung iſt aber nur
möglich, wenn viel kränkelndes Material im Walde vorhanden iſt, geſunde Bäume
nimmt der Käfer nur im Notfall an, und die meiſten erſticken dann in dem reichlich
austretenden Harze. Iſt freilich eine Maſſenvermehrung eingetreten, ſo verſetzen die
vielen Verwundungen allmählich auch die geſunden Stämme in jenen Zuſtand, der
dem Borkenkäfer günſtig iſt. Anzucht geſunder Miſchbeſtände, kräftige Durchforſtung
und raſche Entfernung aller kranken oder beſchädigten Bäume ſichern am beſten
gegen die Borkenkäfer. Sind ſie doch einmal in größerer Zahl vorhanden, ſo läßt
man einige Stämme — Fangbäume — fällen. Dieſe werden von dem Käfer zur
Eiablage bevorzugt und es iſt dann leicht, die Brut zu vernichten, indem man nach
einigen Wochen die Bäume ſchälen und die Rinde verbrennen läßt.
Unter den Schmetterlingen war lange Zeit der Kiefernſpinner — Gastropacha
pini L. — am meiſten gefürchtet, da er wiederholt große Kiefernforſten vernichtet
hat. Seit 50 Jahren aber beſitzen wir in Leimringen, die um den Stamm gezogen
werden, ein nie verſagendes Mittel, den Raupen den Weg von dem Winterquartier
in der Bodendecke nach der Krone abzuſchneiden. Daher iſt dieſer Falter zwar noch
ein ſehr unwillkommener Gaſt, aber ſeine Gefährlichkeit iſt ihm genommen. Nicht
jo glücklich find wir bei der Nonne — Liparis monacha L., deren Raupe auf
Buchen, Kiefern und Fichten lebt, aber nur die letzteren durch Kahlfraß vernichtet.
Wenn die erſten Fraßherde frühzeitig entdeckt werden, ſo kann man der Nonne Herr
werden, iſt aber bereits eine Maſſenvermehrung eingetreten, und dieſe vollzieht ſich
in einem günſtigen Sommer, ſo iſt der Ausgang des Kampfes ſehr ungewiß. Man
läßt dabei die Eier ſammeln und vernichten, ſoweit ſie in erreichbarer Höhe am
Stamm abgelegt wurden, fällt wohl auch kleine ſehr ſtark belegte Partien zu dieſem
Zweck, und ſucht durch Leimringe die Raupen zu fangen, welche durch irgendeinen
Zufall auf den Boden gelangten. Die ſich unter den Leimringen ſammelnden Raupen
werden täglich getötet. Der größte Fraß war wohl der von 1855 — 1863, bei dem
die Nonne und der ihr folgende Borkenkäfer in Oſtpreußen und Rußland 400 000 qkm
Wald verwüſteten und 183642000 ebm Holz zum Abſterben brachten.
Die Forleule — Panolis piniperda Panz. — und der Kiefernſpanner — Fidonia
piniaria L. — haben ebenfalls ſchon recht empfindliche Schäden verurſacht. So fraß
letzterer 1893/96 bei Nürnberg 12400 ha kahl, jo daß 1859 200 ebm Holz einge—
ſchlagen werden mußten. Sehr nachteilig werden die Raupen verſchiedener Wickler.
Tortrix buoliana Schiff. und turionana Hb. leben in den Knoſpen und Trieben
junger Kiefern und führen ſo zu einem buſchigen Wuchs zu Gabelungen und Ver—
krümmungen der Stämmchen. Der kleine grüne Eichenwickler Tortrix viridana L.
beraubt die Eichen im Mai der Blätter und verurſacht ſo erhebliche Zuwachsverluſte
und den Ausfall der Samenjahre. Er tritt manchmal längere Zeit hindurch all—
jährlich auf, ſo daß der Schaden recht empfindlich wird. Dieſen kleinen Feinden
ſteht der Menſch ohnmächtig gegenüber, er muß ihre Vernichtung den Witterungs⸗
verhältniſſen und den Schlupfweſpen überlaſſen und kann ihre Maſſenvermehrung
nur dadurch zu verhüten ſuchen, daß er die Singvögel ſchützt und ihnen Niſtgelegen—
heiten bereitet.
Endlich mögen noch die Blattweſpen erwähnt werden, da verſchiedene Arten
588 3. Abſchnitt.
ſchon wiederholt Kiefern- und Fichtenbeſtände durch Kahlfraß vernichtet oder doch ſo
beſchädigt haben, daß ſie lange kränkelten und nur noch einen geringen Zuwachs
hatten. Der beſte Schutz gegen Inſektenſchäden iſt, das ſei hier nochmals ausdrücklich
hervorgehoben, die Nachzucht geſunder gemiſchter Beſtände in naturgemäßen Waldes—
ormen.
Der Menſch als Waldverderber. Wenn wir hier auch den Menſchen
unter den Feinden des Waldes aufführen, jo denken wir nicht an die Holzfrevel
und Baumbeſchädig⸗
ungen, wie ſie aus Bos⸗
heit und wohl mehr noch
aus Gedankenloſigkeit
verübt werden, auch nicht
an die Umgeſtaltungen,
die der Naturwald er—
litten hat, ſeit der Menſch
ihn ſeinen Zwecken dienſt—
bar machte, ſondern an
zwei ſchlimme Gefahren,
deren überwiegende oder
gar alleinige Urſache in
menſchlicher Tätigkeit
liegt, an die Waldbrände
und die Rauchſchäden.
In ſeltenen Fällen
ruft ein Blitzſchlag einen
Waldbrand hervor, meiſt
beſchränkt ſich der Scha-
den auf den einen ge—
troffenen Stamm. In
der Regel trägt der
Menſch die Schuld. Ab-
. So ſichtliche Brandſtiftung
Forſtaſſeſſor O. Feucht. iſt glücklicherweiſe ſelten.
In vielen Fällen ver⸗
urſachten Feuer den Brand, die zur Bereitung von Speiſen, Vernichtung von
Reis und Rinde und zu ähnlichen Zwecken angezündet und ſich ſelbſt überlaſſen
wurden, ehe ſie ganz erloſchen waren. Fortgeworfene Streichhölzer und glimmende
Zigarrenſtummel haben bei trockenem, windigem Wetter ſchon häufig die Zündung
bewirkt, zahlreiche Waldbrände verdanken ihre Entſtehung dem Funkenflug der
Lokomotiven oder Schornſteine nahe am Wald gelegener Fabriken und Schmiede—
Eſſen oder der fahrläſſigen Behandlung von Kohlenmeilern. Sehr verſchieden iſt die
Größe des Schadens. Oft verbrennt nur die Streudecke, und das iſt in alten Be—
ſtänden, die nicht gerade in Verjüngung liegen, meiſt harmlos, in jüngeren nur bei
lange anhaltendem Feuer nachteilig, da dann die Pflanzen infolge der Überhitzung
1 9 174
3 in rn Fr . A 2
Abb. 67. Fraß des Eichenwicklers. (Phot.
Waldbrände. 589
abſterben oder doch lange kränkeln. In Nadelholzkulturen und -Stangenorten er—
greift aber die Flamme oft auch die Kronen — Gipfelfeuer — und führt dann
unfehlbar den Tod der Stämmchen herbei. Auch aufbereitetes Holz verbrennt manch⸗
mal. Nadelholz wird am meiſten heimgeſucht, gemiſchte Beſtände halten ſich ſchon
viel beſſer; denn meiſt bleibt wenigſtens das Laubholz am Leben. Wo die Wald—
brandgefahr ſehr groß iſt, umgibt man Nadelholzbeſtände mit 10 —12 m breiten
„Sicherheitsſtreifen“ aus Laubholz. Ganz beſonders ſind dieſe längs der Eiſen—
bahnen angezeigt, falls der Boden das Gedeihen von Laubhölzern ermöglicht. Ein
lückiger Laubholzbeſtand aber, deſſen Boden mit Gras überzogen iſt, iſt, ſolange
dieſes dürr, viel feuergefährlicher als ein geſchloſſenes Nadelholz. Da in der Nähe
der Eiſenbahnen immer Funkenflug zu fürchten iſt, zieht man längs des Bahn—
dammes und parallel dazu in 20—50 m Abſtand breite Gräben, deren Sohle immer
wund und frei von brennbaren Stoffen gehalten wird. Sehr zweckmäßig iſt es, die
beiden Hauptgräben durch Quergräben in Abſtänden von 30 m etwa zu verbinden,
ſo daß der Sicherheitsſtreifen in eine Anzahl kleiner Felder zerlegt wird. Entſteht
auf einem Feld ein Brand, ſo kann er doch keine großen Dimenſionen annehmen.
Ebenſo legt man durch große Nadelholzkomplexe gern breite Bahnen, die von allem
Bodenüberzug frei gehalten werden. Weiter wird die Feuersgefahr ganz weſentlich
vermindert, wenn man mit den Durchforſtungen frühzeitig beginnt, alles dürre Holz
raſch aus dem Walde entfernt, das nicht verwertbare Reis verbrennt. Sodann iſt
für einen guten Aufſichts⸗ und Meldedienſt zu ſorgen; denn im Entſtehen begriffene
Waldbrände können noch leicht mit belaubten Zweigen, Ginſterbüſchen und ähnlichen
Hilfen ausgeſchlagen oder durch Bedecken mit Erde erſtickt werden, während ſie ſehr
ſchwer zu löſchen ſind, wenn ſie erſt einmal größeren Umfang angenommen haben.
Das Hauptmittel beſteht dann in der Anlage breiter Streifen, auf denen das Feuer
keine Nahrung findet. Man zieht dazu am beſten im Anſchluß an einen Weg die
Bodendecke mit Hauen und Rechen ab oder läßt — bei Gipfelfeuer — eine Gaſſe
durch den Beſtand ſchlagen oder legt Gegenfeuer an, indem man in ſolcher Ent—
fernung von der Front des Brandes, daß die Arbeiten in Ruhe beendet werden
können, zunächſt eine ſchmale feuerſichere Linie ſchafft und dann den Bodenüberzug
längs derſelben anzündet und die Flammen dem Hauptfeuer entgegentreibt. Der
von dieſem ausgehende Luftzug zieht ſie ſelbſt dorthin, treffen beide zuſammen, ſo
ſchlagen ſie oft gewaltig in die Höhe, um dann in ſich zuſammenzubrechen und aus
Mangel an Nahrung zu erlöſchen.
Die Fläche, die jährlich im Deutſchen Reich von Waldbränden betroffen wird
beträgt etwa 2500 ha, d. h. nicht ganz 0,02% der Wälder. So wurden im Jahr—
fünft 1906/10 in den preußiſchen Staatsforſten durchſchnittlich jährlich 520 ha vom
Feuer heimgeſucht und auf 346 ha der Beſtand völlig oder größtenteils vernichtet.
Trockene Jahre ſind natürlich viel gefährlicher als andere, ſo betrug die Wald—
brandfläche der preußiſchen Staatsforſten 1911: 4142,2 ha, und der Beſtand
wurde auf 3614 ha vernichtet. Viel ſchlimmer hauſen die Waldbrände in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika, weil dort noch immer große Gleichgültig—
keit und Sorgloſigkeit herrſcht, obwohl vielfach Dörfer vernichtet, Eiſenbahn—
züge in den Flammen ſtecken geblieben und Städte ſchwer gefährdet worden ſind.
590 2. Abſchnitt.
Der Wert des vernichteten Holzes beträgt oft ein mehrfaches des Jahresverbrauchs
der Union.
Mit dem Wachstum unſerer Induſtrie ſind die Rauchmengen ins Unermeßliche
geſtiegen, die täglich der Luft zugeführt werden. Leider enthalten ſie manches für die
Vegetation giftige Gas. Am verbreitetſten und daher gefährlichſten iſt die ſchweflige
Säure 802. Die größten Mengen derſelben liefern Erzhütten und Sulfiteelluloſewerke,
aber auch die meiſten Stein- und Braunkohlen enthalten ſo viel Schwefel, daß bei der
Verbrennung anſehnliche Mengen jenes Gaſes erzeugt werden. In der Umgebung
großer Induſtriewerke, ja in engen Tälern, wo keine ausgiebige Miſchung mit
Luft eintreten kann, wird ſchon bei einzelnen Fabriken häufig der Konzentrations—
grad von 1: 200000 überſchritten, unter dem die Beimiſchung der ſchwefligen Säure
ungefährlich iſt. Die Wirkung zeigt ſich zunächſt in der Verfärbung der Nadeln und
Blätter, es treten auf dieſem gelbe, rote und braune Flecken auf, im weiteren Ver—
lauf ſterben ſie ab, das Gift dringt in die Triebe und tötet dieſe, bis endlich die
ganze Krone abgeſtorben iſt. In ſehr ſchlimmen Fällen iſt in den vom Rauch be—
ſtrichenen Lagen überhaupt kein Pflanzenwuchs mehr möglich, in andern ſind nur
die Nadelhölzer ausgeſchloſſen, während Laubhölzer, vor allem Eichen, Aſpen und
Ulmen ſich erhalten, in den leichteſten tritt nur ein Zuwachsverluſt und vermehrter
Anfall von Dürrholz ein. Der Waldbeſitzer kann ſeine Beſtände nur dadurch etwas
ſchützen, daß er die Ränder gegen die Gasquelle zu aus den widerſtandsfähigſten
Arten bildet. Um ſo mehr muß von der Induſtrie verlangt werden, daß ſie die
Rauchgaſe vor dem Austritt aus dem Schornſtein durch Miſchung mit Luft bis zur
Unſchädlichkeit verdünnt, oder auf andere Weiſe von den giftigen Beſtandteilen reinigt.
4. Abſchnitt.
Umfang und Ertrag der Waldungen.
Unſer Überblick über die Entwickelung der Waldwirtſchaft ließ erkennen, wie
verſchieden die Schickſale des Waldes in den einzelnen Teilen Europas geweſen ſind.
Soweit die antike Kultur vollkommen zur Herrſchaft kam, iſt der Wald auf die un—
zugänglichſten, ſonſt kaum verwertbaren Geländeteile zurückgedrängt worden. Daher
beſitzen alle Mittelmeerländer heute nur kleine Waldflächen. Eine ſcheinbare Aus—
nahme macht die Balkanhalbinſel — von Griechenland abgeſehen. Aber ihre wilden
Gebirgsketten waren ſelbſt in der Blütezeit des römiſchen Reiches nur ſchwach be—
völkert und die Wiederausbreitung des Waldes wurde durch die Verwüſtung des
Kulturlandes begünſtigt, welche die durch die Einfälle der Goten, Hunnen, Bulgaren
und Türken herbeigeführten jahrhundertelangen Kriegsſtürme bewirkten. Die Türken
haben den Wald wohl dort vernichtet, wo das Holz leicht zu verwerten war, ſie
haben ihn an vielen Orten durch Übernutzung, Ziegenweide und Feuer verwüſtet, ſo
daß die Reſte kaum noch den Namen Wald verdienen, aber in abgelegenen Tälern
hat er ſich in leidlichem Zuſtand erhalten. Anderſeits finden wir im Nordoſten
Europas, der erſt im ſpäteren Mittelalter der Kultur erſchloſſen wurde, und deſſen
rauhes Klima den Ackerbau wenig lohnend macht, die größten Waldmaſſen. Ihre
Ausnutzung iſt zum großen Teil erſt in den letzten Jahrzehnten möglich geworden,
indem der Holzbedarf und der Holzpreis im weſtlichen Europa — Deutſchland ein—
geſchloſſen — ſo ſtiegen, daß die Ausfuhr dorthin auch für die nicht direkt an den
großen Waſſerſtraßen liegenden Gebiete und für ſchwächere Hölzer lohnend wurde.
Hat doch auch der ſchwediſche und norwegiſche Holzhandel, den wir bis ins 13. Jahr—
hundert zurückverfolgen können, erſt in neuerer Zeit ſeinen größten Umfang erreicht.
Um den Leſer nicht mit ſtatiſtiſchen Zahlen zu ermüden, habe ich das Material
in einigen Tabellen zuſammengeſtellt. Tabelle 2, die hauptſächlich auf den Arbeiten
von Endres, Jacquot und Marchet beruht, gibt die Waldflächen der wichtigſten
Länder nach dem Stand um 1900 an, die Zahlen für die einzelnen deutſchen Bundes—
ſtaaten ſind in der Tabelle 3 enthalten.
Für die Ermittelung der jährlich zur Nutzung kommenden Holzmaſſen verſagt
leider unſere Statiſtik ſo gut wie vollkommen. Selbſt aus Deutſchland haben wir
hierüber nur aus wenig mehr als der Hälfte der Waldungen Angaben, für den Reſt
und ſomit auch für den Geſamtertrag ſind wir auf Schätzungen angewieſen. 1910
592 4. Abſchnitt.
Tabelle 2.
Überſicht der Waldflächen Europas und einiger anderer Gebiete nach
dem Stand um das Jahr 1900.
Waldfläche ur There Waldfläche Ungefäg-,
— ur des jähr⸗ — 8 des jähr⸗
8 So er le 2 1 8 lichen Ein⸗
Land im ganzen Bay 2 8 unc) A5 | Land im ganzen 2 S5 | 1
in | 8 8 5 = inte: Be SIR = en
1000 ha 5 2 8 | Foften in | 1000 ha 2 8 2 8 | often in
| 8 8. N | | PLZ * 8
Finnland . . 20215 0 0075 70 Rumänien . 2547 18,0051 12
Bosnien und | | Belgien 521 17,7 0,08 10
Herzegowina 2550 in ‚011,62 2 Spanien. 8484 16,9046 2
Europäiſches | Griechenland. 820 13,0034 2
Rußland . 187 000 37,0 1,85, 390
X 4 | | Niederlande 225 7,010,04 4
Oſterreich. 9 767 32,50, 37 150 |
| Dänemark. 241 6, 30,10 5
Serbien 1 546 32,000,622 2? |
| | 3 Groß⸗ |
Luxemburg 79 30,40,33 2 britannien. 1229 3,900,033 60
|]
Deutſchland . 13 996 25,9 eb! 450 | Japan 5 0 * 23 400 56,0 0,58 5
| 3. |
Norwegen. 6818 ee Ver. Staaten |
Schweiz. 856 20,6 0,26 23 | v. N.⸗Amerika | 200 000 25,0 2,30 3200
Europ. Türkei 4 500 20,00,70 2 Kanada. . 320 000 37,064,0 2
Frankreich.. 9609 18, 20,25 160 Engl Indien 60.000 17,01 2 2
wurden auf 50,1% der deutſchen Waldfläche 39,3 Millionen ebm genutzt, der Ge—
ſamteinſchlag dieſes Jahres darf auf 60 Millionen, d. h. 4,3 ebm auf das Hektar
veranſchlagt werden.
Er iſt beſonders hoch, da er die Mehranfälle enthält, welche durch einen großen
Nonnenfraß in den öſtlichen Provinzen Preußens und durch verſtärkte Abnutzung
der Altholzvorräte in den großen Staatsforſten Süddeutſchlands verurſacht wurden.
Der nachhaltige Ertrag wird immerhin auf 55 Millionen ebm im Wert von etwa
einer halben Milliarde veranſchlagt werden dürfen. Noch unſicherer ſind die Grund—
lagen für die andern Länder. Es ſei daher ausdrücklich betont, daß die in der letzten
Spalte der Tabelle 2 enthaltenen Zahlen Schätzungswerte ſind, ermittelt auf Grund
der zuverläſſigſten in der Literatur aufzutreibenden Angaben. Für die größeren
deutſchen Bundesſtaaten ſind genaue Zahlen in der Tabelle 4 zuſammengeſtellt.
Waldflächen. 593
Tabelle 3.
Waldbeſitz der deutſchen Bundesſtaaten.
Waldfläche Waldfläche
Staat im ganzen = = 3 Staat im ganzen | 7 = 58 %
ha 2 Ph ha 2 „es
. 2
Preußen Mecklenburg— | |
a) Oſtpreußiſche | Schwerin . 236 740 | 18,0 | 0,39
. 15 3722819 23,0 | 0,31 Mecklenburg⸗ |
i Dart, Po⸗ Strelitz 62225 21,2 0,61
Sp | Oldenburg 68341 10 56 0,17
] eſien 1 161893 33,4 0,27 |
ef ü Sachſen-Weimar 93088 25,8 0,26
c) Nordweſt— |
deutſches Tief- Sachſen⸗Mei⸗ 2 |
und Hügelland 1702 172 16,4 0,14 ningen. 103859 42,1 | 0,41
* Sachſen-Alten⸗
eswig, Hans | | or an 7
ie Sit burg 35 903 27,1 | 0,18
desheim, Weſt⸗ | 2 5
falen ohne Arns⸗ Sachſen Koburg 3 jr
Köln, Aachen, | . €
Düffeldorf.) Braunſchweig 109 473 30,1 | 0,24
ch Heffifch-rheini- | Anhalt 57794 25,1 0,18
ſches Bergland 1644310 39,0 | 0,28 Schwarzburg⸗ |
5 | Sondershaufen 26711 31,0 | 0,33
lenz, Trier, Arns⸗ | Schwarzburg—
* 1 8 Rudolſtadt. 41330 43,9 0,44
e) Hohenzollern . 38 939 34,1 0,58 g |
) Hohenz — Reuß ält. Lin. 11253 35,6 0,16
33 23.7 0,2 |
Preußen 3270 13323, 024 „ jung. Lin. 31198 37,8| 0,28
un Re Waldeck. 42 795 38,2 0,74
a) rechts d. Rheins 2235 206 32,0 0,42 |
5 15 f 231 347 | 39,0 0,28 Schaumburg⸗
Pfalz EE 6899 20,3 0,16
Bayern 2466 553 32,5 0,40 Lippe 33488 27,6 0,24
e 2,8 0% oa 4083 13,7 000
ürttemberg . 600415 | 30,8 0,28
r 1787 4,3 0,00
Baden 567795 37,7 0,30] Damhung Ä |
| 2
Heſſen . 240009 3ʃ.2 0,21 Bremen 1
Elſaß⸗Lothringen 439 832 30,3 1028) Deutſches Reich. 13995868 25,8 0,27
Hausrath, Die Waldwirtſchaft.
38
594 4. Abſchnitt.
Tabelle 4.
Erträge der Staatsforſten in den größeren deutſchen Bundesſtaaten
im Jahr 1910.
Davon | 7
Ertrags— Nutzung Nutz- Preis für Reinertrag Geſamt—
Staat fähige Wald- pro ha holz 1 cbm pro ha Reinertrag
fläche in
cbm | of M MM | M
Far la 71 Br.
Preußen 2677 197 5 87 59 9 47 23 46 |59044347
Bayern 820446 5 78 50 12 66 38 10 35660647
Württemberg . . . 187245 6 87 54 14 93 66 26 12592119
Sachſen . . 172980 6 36 68 14 25 52 91 | 9547116
Elſaß⸗Lothringen 152261 4 os 39 2 49 28 78 | 4468094
Baden. 94020 7 54 42 13 22 60 38 5771187
Been 74338 6 29 32 9 6129 | 50 2212842
Außer dem Holz liefert der Wald auch heute noch eine Reihe von Neben—
nutzungen, Streu, Futterſtoffe, Harze, Beeren und Pilze. In den Kulturländern iſt
ihr Wert heute nur beſcheiden, er errricht ſelten mehr als 3% von dem der Holz—
nutzung. Ihre volkswirtſchaftliche Bedeutung liegt vielmehr darin, daß einzelne, wie
die Streugewinnung der kleinbäuerlichen Bevölkerung die Viehhaltung und den An—
bau von Handelsgewächſen erleichtern, freilich oft unter empfindlicher Schädigung des
Waldes, oder daß ſie den ärmeren Bevölkerungsſchichten und vor allem ſonſt brach—
liegenden Arbeitskräften — Frauen, Kindern — Gelegenheit zum Verdienſt bieten,
wie vor allen Dingen die Beerennutzung und das Sammeln von Raff- und Leſeholz.
Iſt ſchon die Feſtſtellung der Erträge mit großen Unſicherheiten behaftet, ſo
noch viel mehr die Berechnung des Wertes unſerer Forſten. Denn wir wiſſen bei
den meiſten Wäldern nichts über die Größe der Holzvorräte, wir können daher auch
nicht ſagen, ob die dermalige Nutzung dem Zuwachs entſpricht, alſo tatſächlich die
Verzinſung des Waldkapitales darſtellt. Wir beſchränken uns daher auf Deutſchland.
Wenn wir annehmen, daß der mittlere Reinertrag der Staatsforſten auch für die
andern Waldungen zutrifft, ſo beläuft ſich bei der Unterſtellung einer dreiprozentigen
Verzinſung der Wert aller deutſchen Wälder auf rund 11 Milliarden.
Deutſchland, Dänemark, die Schweiz, Italien und alle weſteuropäiſchen Staaten
ſind ſchon ſeit langer Zeit zur Befriedigung ihres Holzbedarfes auf die Einfuhr aus
waldreicheren Gebieten angewieſen. So entſprach im Jahre 1910 die Mehreinfuhr
Deutſchlands einer Rohnutzholzmaſſe von 14 Millionen Kubikmetern und repräſen—
tierte einen Wert von 300 Millionen Mark. Mit den obigen Angaben über den
Waldertrag iſt dieſe Zahl nicht vergleichsfähig; denn das meiſte Holz kommt ſchon
im halbbearbeiteten Zuſtand — als rohe Bretter, Dauben ꝛc. — zu uns; in ſeinem
Wert ſtecken die Ernte- und Transportkoſten, die oft ein Mehrfaches des reinen
.
Die Walderträge. 595
Holzpreiſes im Wald ausmachen, während bei jenen Angaben nur dieſer berück—
ſichtigt wurde.
In den letzten Jahren iſt von verſchiedenen Seiten die Befürchtung ausgeſprochen
worden, daß die Deckung des immer ſteigenden Bedarfes aller Kulturvölker auf die
Dauer unmöglich ſein werde. Die Hauptlieferanten ſind gegenwärtig: das europäiſche
Rußland nebſt Finnland, Oſterreich-Ungarn mit Bosnien und der Herzegowina,
Schweden, Rumänien, die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Kanada; ferner
in kleinerem Maße Japan und Norwegen. Das letztere Land wird keine große Be—
deutung für den Holzhandel mehr erlangen, denn ſeine Vorräte ſind ziemlich er—
ſchöpft; Japan wird ſeinen Hauptabſatz immer in dem waldarmen China ſuchen
müſſen, und nur ſeine wertvollſten Hölzer — Eichen — nach Europa liefern können.
Die amerikaniſche Union wird wegen der wahnſinnigen Waldverwüſtung auf der
einen, der raſch anwachſenden Bevölkerung auf der andern Seite in wenigen Jahr—
zehnten ſelbſt auf die Einfuhr angewieſen ſein. Die tropiſchen Hölzer kommen nur
für einzelne Verwendungsarten, insbeſondere für die Möbelinduſtrie in Betracht.
Oſterreich-Ungarn, die Balkanländer und Schweden zuſammen wären nicht in der
Lage, den Bedarf Weſteuropas dauernd zu decken. Es bleiben alſo Rußland und
Kanada, deren Waldmaſſen, trotz der bisherigen Raubwirtſchaft, noch lange den
Anſprüchen der Kulturwelt genügen werden. Auch das nördliche Sibirien enthält
noch ungeheure, ſo gut wie unerſchloſſene Forſten, da ſie auch von der transſibiriſchen
Bahn nicht berührt werden, ſetzt ihre Ausnutzung die Schaffung neuer Verkehrsmittel
voraus, und dieſe wird ſich erſt lohnen, wenn die Holzpreiſe in Weſteuropa noch
weiter geſtiegen ſind. Das aber iſt allerdings ſicher zu erwarten, da auch aus den
andern Gebieten das Holz aus immer entlegeneren Wäldern und daher mit wachſenden
Transportkoſten zu uns gebracht werden muß. Darin liegt eine ernſte Mahnung,
die deutſchen Forſten zu pflegen, um ſie zur höchſten Ertragsfähigkeit zu bringen.
5. Abſchnitt.
Wohlfahrtswirkungen des Waldes
und Waldſchönheitspflege.
Wald und Klima. Von den günſtigen Wirkungen der Bewaldung auf das
Klima hat man ſich früher übertriebene Vorſtellungen gemacht, man hat geglaubt,
die Verödung alter Kulturländer ſei durch die Vernichtung des Waldes verurſacht
oder doch mitverſchuldet worden. Die moderne genaue Forſchung hat dieſe hoch—
geſpannten Erwartungen enttäuſchen müſſen; denn die durch Meſſungen nachweisbare
Größe der Einwirkung des Waldes iſt bei den meiſten Faktoren des Klimas nur
klein, der Wald tritt gegenüber den kosmiſchen Urſachen weit zurück. So haben die
jetzt ſchon durch mehrere Jahrzehnte fortgeſetzten Temperaturbeobachtungen wohl ge—
zeigt, daß im Wald die Extreme abgeſtumpft ſind und zwar beſonders während der
Vegetationszeit; aber eine Fernewirkung, eine Beeinfluſſung der Umgebung des
Waldes, wie fie gefordert werden muß, wenn man von einem urſächlichen Zuſammen⸗
hang von Klima und Bewaldung ſprechen will, läßt ſich nicht oder doch nur in ganz
verſchwindendem Maße erweiſen. Wird ja doch ſelbſt ein Kahlſchlag mitten im
Wald oft zu einem Froſtloch, in dem faſt jedes Frühjahr ſchwere Beſchädigungen
zu verzeichnen ſind, während im Sommer auf der gleichen Fläche eine an die Steppe
erinnernde Hitze herrſcht. Auch der geſchichtliche Nachweis verſagt, ſo groß die Ver—
luſte der deutſchen Forſten durch die Rodungen geweſen ſind, für eine Anderung des
Klimas haben wir keinen Anhalt, die natürlichen Anbaugrenzen der verſchiedenen
Nutzpflanzen ſind heute noch dieſelben wie zur Römerzeit. Die mildernde, dem
Baumwuchs ſelbſt ſo förderliche Wirkung des Waldes auf die Temperaturextreme
bleibt eben auf die von ihm bedeckte Fläche beſchränkt.
Nur in vertikaler Richtung, d. h. auf die höheren über dem Wald befindlichen
Luftſchichten üben ausgedehnte Forſten unter Umſtänden einen abkühlenden Einfluß,
weil die von ihrem Kronendach zurückgeſtrahlte Wärmemenge viel kleiner iſt als über
nacktem Boden und anderen Kulturarten; denn es zeigt ſich nach den Beobachtungen
des Franzoſen Renard, sousdirecteur de l'établissement central d’aerostation
militaire, eine beträchtliche Abkühlung, wenn ein Luftballon große Waldmaſſen über—
fliegt, ſie bewirkt ein Sinken des Ballons, und dieſes hört nicht, wie bei vorüber—
gehenden Urſachen, von ſelbſt auf, ſondern macht den Auswurf größerer Ballaſt—
mengen nötig. Über dem Wald von Orleans wurde dieſe Wirkung noch in einer
E
Wald und Klima. 597
Höhe von 1000 m feſtgeſtellt. Weitere Beobachtungen wären zur Aufklärung der
Frage ſehr erwünſcht.
Die Einwirkung des Waldes auf die Luftfeuchtigkeit iſt ebenfalls nur un
bedeutend. Die Meteorologen bezeichnen als relative Luftfeuchtigkeit das Verhältnis
der tatſächlich in der Luft enthaltenen Menge Waſſerdampf zu jener, die bei der
herrſchenden Temperatur und dem augenblicklichen Luftdruck zur Sättigung der Luft
nötig wäre. Dieſe relative Luftfeuchtigkeit iſt im Walde immer größer als im freien
Feld, daher wird der Taupunkt leichter erreicht und die Verdunſtung der Boden-
feuchtigkeit vermindert, was beides
der Verſorgung der Pflanzen mit
Waſſer zugute kommt. Auch iſt im
Bereich der Baumkronen infolge der
ſtarken Verdunſtung der Bäume die
Luftfeuchtigkeit etwas größer; aber
dieſe Wirkung beſchränkt ſich auf eine
ſehr ſchwache Luftſchicht.
Der Einfluß des Waldes auf
die Regenmengen kann in unſeren
Breiten ſchon darum kein erheblicher
ſein, weil die Regenwolken meiſt in
Höhen von mehr als 1000 m hin—
ziehen. Man darf ſich darüber auch
nicht durch die folgenden Erſchei
nungen täuſchen laſſen. Zumal im
Gebirge ſieht man häufig an Regen—
tagen, nachdem es gerade aufgehört
hat zu regnen, ſich Nebelmaſſen über
dem Wald zuſammenballen, der Wald
dampft, und tatſächlich tritt oft über
ihm und dem benachbarten Gelände f — —
ein neuer Niederſchlag, der Nachregen Abb. 68. Windſchutzgürtel in der Lüneburger Heide.
ein; denn während die Tropfen (Phot. Prof. Dr. H. Hausrath.)
an den Blättern und Nadeln hängen,
verdunſtet ein Teil von ihnen, oft bis zu einem Zehntel, in der mit Waſſerdampf
nahezu geſättigten Luft ſetzt dann ſehr leicht die Nebelbildung ein und bei geringer
Abkühlung erneuter Regen. Dieſer führt aber der Erde kein neues Waſſer zu, die
Regenmenge des Landes bleibt unverändert. Wo die Nebelmaſſen und Wolken ſo tief
ſtreichen, daß ſie die Baumkronen berühren, hindern dieſe die Bewegung und er—
leichtern ſo die Ausſcheidung von Tropfen, die Wolken werden, wie man ſagt, aus—
geſiebt. So ſind in einzelnen Teilen der Lüneburger Heide die Niederſchlagsmengen
infolge der Aufforſtungen um 6% é gewachſen. Im höheren Gebirge muß die Aus⸗
ſiebung noch häufiger eintreten und größere Beträge ergeben, trotzdem bleibt auch ſie
für die Regenmenge eines ganzen Landes einflußlos, da die im „Regenſchatten“
liegenden Striche entſprechend weniger erhalten. So hat Jolyet bei Nancy feſtgeſtellt,
598 5. Abſchnitt.
daß, wenn bei Weſtwind im Wald 100 Teile Regen fallen, am Oſtrand nur noch
97 und in einiger Entfernung davon im Feld nur 77 niedergehen. Auch die er—
wähnte verminderte Wärmerückſtrahlung der Baumkronen kann die Regenbildung
über dem Walde erleichtern, ohne jedoch die Regenmenge des Landes zu erhöhen.
Dagegen werden der Bodendecke im Wald dadurch ganz beträchtliche Waſſer—
mengen zugeführt, daß die ruhige Luft in ihm die Taubildung befördert und daß
ſich, zumal an kalten nebligen Herbſt- und Wintertagen, der Waſſerdampf an
Stämmen und Zweigen leichter verdichtet und am Baum herabfließt oder von den
Kronen niedertropft. Selbſt in den Alleen unſerer Städte zeigt ſich dieſe Wirkung,
es regnet in ihnen, während in baumloſen Straßen der Boden vollkommen trocken
bleibt. Es iſt das nur eine Folge der großen Oberfläche der Baumkronen, mit der
die Luft in Berührung kommt. Im Winter, wo die ausgeſchiedenen Nebeltröpfchen
als Rauhreif alle Umrißlinien des Baumes umſäumen und gewiſſermaßen unter—
ſtreichen, fällt dieſe Wirkung auch dem Laien auf, daß ſie ſich bis zu einer dem
Wald verderblichen Höhe ſteigern kann, haben wir im vorletzten Abſchnitt geſehen.
Die Erleichterung der Taubildung erſtreckt ſich auch auf die nähere im Wind—
ſchatten liegende Umgebung des Waldes, und auf ihr beruhen wohl die guten Er—
folge, die in der ſüdruſſiſchen und ungariſchen Steppe durch die Anlage ſchmaler
Holzbänder erzielt wurden, die ſenkrecht zur herrſchenden Windrichtung ſtehen. Der
Ertrag der Wieſen wurde dadurch geſteigert, weil dem Pflanzenwuchs größere Tau—
mengen zukamen.
Gegen austrocknende wie gegen kältebringende Winde ſchützt der Wald das
dahinterliegende Land; denn der Waldtrauf lenkt den Wind nach der Höhe ab, und
er kann dann erſt in beträchtlicher Entfernung hinter dem Walde auf den Boden
herabfallen. Zudem verliert er im Kampf mit den Kronen einen Teil ſeiner Kraft.
Daher ſind in der Normandie und der nordweſtdeutſchen Tiefebene die Bauernhöfe
häufig mit einem Gürtel von Eichen, Ulmen und Pappeln zum Schutz gegen den
Wind umgeben und die Obſtbaumzucht vielfach nur im Bereich dieſer Windmäntel
möglich. Ebenſo hat die Berner Forſtverwaltung im Aaretal unterhalb des Bieler
Sees den Beſchädigungen durch die kalten Nordoſtwinde dadurch abzuhelfen geſucht,
daß ſie ſenkrecht zur Talrichtung ſchmale Waldbänder ſchuf. Die Gemeinde Engel—
ſchwand auf dem ſüdlichen Schwarzwald klagt, daß die Winter ſeit der Abholzung
der nordweſtlich gelegenen Gugelberge rauher geworden ſeien, weil die Stürme freien
Zutritt haben, und daß die Winterſaaten viel häufiger dem Froſt erliegen, da der
Wind die ſchützende Schneedecke von den hochgelegenen Ackern entführt. Wie in den
Freilagen des Hochgebirges der Sturm in Verbindung mit Hagel, Regen und Schnee
die Grasnarbe zerſtört und den fruchtbaren Boden entführt, wenn der Wald fehlt
und auch nicht durch Legföhren- oder Alpenroſengebüſch erſetzt wird, und wie ſo die
„Verkarſtung“ entſteht, hat Jugowitz in ſeinem trefflichen Buch: „Wald und Weide
in den Alpen“ ausführlich geſchildert. Horſtweiſer Wechſel von Wald und Weide
ſchützt gegen dieſe Gefahr und ſichert die Ertragsfähigkeit der Weiden. Auch im
eigentlichen Karſtgebiet iſt der Wind, die eiſige Bora, das Haupthindernis für die
Kultur. Gewiß iſt dieſes Land, wie die neueren Unterſuchungen zeigen, nie ſehr
dicht bewaldet geweſen, aber indem die Römer und ſpäter die Venetianer den ſpär—
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Einfluß auf Wetter und Quellen, 599
lichen Wald vernichteten, haben ſie die Verödung befiegelt. Die von der öſterreichiſchen
Regierung ſeit Jahrzehnten betriebene Aufforſtung ſchreitet wegen der großen Schwierig—
keiten nur ſehr langſam fort, wird aber für viele Ortlichkeiten ſehr wohltätig ſein.
Der Einfluß des Waldes auf die Entſtehung von Gewittern und Hagelwettern
iſt jedenfalls ſehr klein. Die Beobachtung amerikaniſcher Gelehrter, daß mit der
fortſchreitenden Entwaldung der Oſtſtaaten der Union die Wirbelſtürme und Gewitter
heftiger und zahlreicher geworden ſind, läßt ſich, wenn hier wirklich ein urſächlicher
Zuſammenhang vorliegt, allenfalls daraus erklären, daß zuſammenhängende Wald—
maſſen wegen der geringeren Wärmerückſtrahlung die Bildung von Luftwirbeln
weniger begünſtigen als kahle Flächen.
Vom Windſchutz abgeſehen, der, wie ausdrücklich betont ſei, immer nur örtlich
beſchränkt iſt, ſind die meßbaren Wirkungen auf dem ganzen Gebiet der klimatiſchen
Einflüſſe ſehr geringfügig. Damit iſt freilich nicht geſagt, daß es gleichgültig ſei,
ob ein Land zu 75% oder nur zu 15% mit Wald bedeckt iſt, weil im erſteren
Falle die Maſſenwirkung die an ſich unerheblichen Unterſchiede vereinigen und da—
durch ſo verſtärken kann, daß ſie fühlbare Größe erreichen. Für unſere Kultur—
länder iſt dieſe Frage jedoch bedeutungslos; denn wir können nicht zu jenem ur—
ſprünglichen Zuſtand zurückkehren, kleine Verſchiebungen zwiſchen Wald und Feld
ſind aber ohne Belang.
Der Wald und die Quellen. Ausſchlaggebend für die Entſtehung von
Quellen iſt der geologiſche Aufbau einer Gegend. Die Art der Bodenbenutzung kann
nur die Nachhaltigkeit und die Stärke der Quellen beeinfluſſen, indem von ihr die
Menge der Sickerwaſſer abhängt, die in die tieferen Bodenſchichten gelangen, alſo
zur Speiſung der Quellen dienen. Im Walde kommt nur ein kleinerer Teil der
Niederſchläge als im Felde auf den Boden, da, wie wir ſahen, ſchon in den Kronen
der Verluſt durch Verdunſtung beginnt. Von feinen Sprühregen wird während der
Vegetationszeit dem Boden meiſt ſo gut wie nichts zukommen, im Winter unter
Nadelholzbeſtänden ein größerer Teil auch nur bei langer Dauer. Dagegen werden
Schlagregen faſt vollſtändig zu Boden fallen, bei anhaltendem Landregen beträgt der
Verluſt 10 —15 % . Von dem Waſſer, das die Bodendecke erreicht, dringt ein Teil
dem Verlauf abgeſtorbener Wurzeln folgend ſofort in tiefere Schichten ein. Der
Reſt wird zunächſt von der in der Regel toten Bodendecke feſtgehalten. Erſt wenn
dieſe mit Waſſer geſättigt und ihre Zwiſchenräume gefüllt ſind, kann der Überſchuß
in den Untergrund ſickern oder abfließen oder endlich verdunſten. Auch hier ſind
die Anteile verſchieden. Waren die oberen Streuſchichten vollkommen abgetrocknet,
ſo ſind ſie nicht ſofort aufnahmefähig, es fließt daher im geneigten Gelände viel ab.
Das trifft beſonders bei vereinzelten Gewittergüſſen in ſonſt trockenen Zeiten zu.
Unter gewöhnlichen Verhältniſſen kann die Bodendecke ſo viel Waſſer aufnehmen als
einer Niederſchlagshöhe von 4 mm entſpricht, daher werden die kleinen Mengen,
welche bei Sprühregen ihr zukommen und welche der Tau liefert, wohl ganz von
ihr feſtgehalten werden. Am meiſten Waſſer erhält der Untergrund bei anhaltendem
Landregen und bei langſamem Schneeabgang. Für letzteren iſt der Boden im Wald
auch längere Zeit offen und aufnahmefähig als im freien Feld, da ihn die leichteren
Fröſte nicht erreichen. Die Unebenheiten der Streudecke begünſtigen ebenfalls das
600 5. Abſchnitt.
Einſickern, indem ſie den Abfluß verzögern und die Verdunſtung iſt im Wald eine
geringere als im Feld.
In der Ebene wird bei durchläſſigem Boden auf Acker- und Gartenland ein
größerer Teil der Niederſchläge einſickern als im Wald, auf undurchläſſigem Boden
aber verdunſten; am geneigten Hang aber fließen aus Ackern und Weinbergen größere
Mengen oberirdiſch ab, nämlich alles, was nicht ſofort in den Boden eindringen
kann und auch nicht in kleinen Vertiefungen feſtgehalten wird. Auch hier iſt die
Art des Niederſchlages ſehr wichtig. Bei Gewittergüſſen iſt der Anteil des ab—
fließenden Waſſers ſehr groß, bei ſchwachem Regen verſchwindend klein. Auf Wieſen
hindert der dichte Wurzelfilz das Waſſer daran, raſch in den Boden zu dringen,
daher verdunſtet in ebenen Lagen mehr als im Feld, am Hang ſind die Abfluß—
mengen groß, obwohl die unzähligen Halme und Blätter ebenſo viele Hinderniſſe
bilden. Noch ungünſtiger verhalten ſich Weideflächen, da ihre Grasnarbe faſt immer
Lücken hat, während der Boden meiſt oberflächlich verhärtet und daher wenig auf—
nahmefähig iſt. Alles in allem wird man mit Wang annehmen dürfen, daß im
Wald dem Boden etwa doppelt ſoviel Waſſer zukommt als im Feld.
Anderſeits iſt der Waſſerverbrauch der Waldbäume ſehr groß, wirkt doch ein
Fichtenbeſtand unter Umſtänden auf verſumpften Böden wie eine Entwäſſerung. Die
Verſumpfung ſelbſt aber iſt nur möglich, wenn eine undurchläſſige Schicht ſehr nah
an der Oberfläche liegt, während umgekehrt weder Verſumpfung noch Quellen auf—
treten können, wo der Boden bis in große Tiefen durchläſſig iſt, d. h. beide ſind
eben abhängig von den geologiſchen Faktoren. Dieſe beſtimmen die Größe, Bewegung
und Tiefenlage der unterirdiſchen Waſſervorräte, aus denen die Quellen kommen und
die unſere modernen Waſſerverſorgungen durch Bohrungen zu erſchließen bemüht ſind.
So läßt ſich denn das Ergebnis der neueren Unterſuchungen dahin zuſammenfaſſen:
Im Walde ſind wegen der geringeren Verdunſtung die oberen Schichten im allgemeinen
waſſerreicher als im freien Felde, die unteren — ſoweit die Wurzeln reichen — aber
trockener. In der Ebene wird daher der Grundwaſſerſtand dann nachteilig durch
den großen Waſſerbedarf der Waldbäume betroffen, wenn die undurchläſſige Schicht
ſo flach anſteht, daß das Grundwaſſer noch in den Wurzelbereich der Bäume fällt.
Sonſt iſt in der Ebene kein Einfluß der Bewaldung wahrzunehmen. Im Gebirge
dagegen wirkt der Wald günſtig auf die Grundwaſſermengen; denn wo er fehlt,
fließt der größere Teil der Niederſchläge oberirdiſch ab, die Quellen ſind daher
ſchwächer und verſiegen in Dürrezeiten raſcher als im waldigen Bergland; aber auch
der Grundwaſſerſtrom der Ebene ſtammt zum großen Teil aus dem Gebirge, auch
er muß notleiden, wenn der Forſt auf den Bergen gerodet wird.
Ein ſehr gutes Beiſpiel für dieſe Bedeutung des Waldes bildet die Waſſer—
verſorgung der Stadt Bern. Sie umfaßt die Quellen dreier Täler, die des gut
bewaldeten Schlieretals, des nur mäßig bewaldeten Gaſeltals und des waldarmen
Scherlitals. Die größte Waſſermenge beträgt im erſten das 2,7fache der kleinſten,
im zweiten Tal ſchon das 4 fache, in dem waldarmen Scherlital gar faſt das 7 fache.
Beſonders deutlich zeigte ſich nach dem trockenen Sommer 1893, wie die Bewaldung
eine gleichmäßige Verſorgung der Quellen bewirkt; denn während im Scherlital der
Wald und Hochwaſſer. 601
tiefſte Stand ſchon am 30. September 1893 eintrat, wurde er im Gaſeltal erſt am
13. Januar und im Schlieretal am 30. April 1894 erreicht.
Der Wald und die Hochwaſſer. Weit verbreitet iſt die Anſchauung, daß
die Hochwaſſergefahr durch die Entwaldung der Berge geſteigert wird. Ganz ſicher
wirkt in dieſer Richtung günſtig, daß aus dem Wald weniger Waſſer zum Abfluß
kommt, als vom nackten Berghang, und die Verzögerung des Abfluſſes, welche
durch die Unebenheiten der Waldbodendecke verurſacht wird, vermindert ebenfalls die
Gefahr; denn die Waſſermaſſe verteilt ſich auf eine längere Zeit, es reichen daher
im Waldland die Betten der Bäche und Flüſſe häufig noch aus, um ſie ohne Nach⸗
teil abzuführen, während im kahlen Gebirge eine Überſchwemmung eintreten müßte;
aber dieſer Schutz tritt nur innerhalb gewiſſer Grenzen ein, bei den großen Kata—
ſtrophen verſagt er, die Bewaldung ſchwächt vielleicht das Unheil etwas ab, aber
die Wirkung verſchwindet gegenüber dem eingetretenen Schaden. Wenn, wie im
Sommer 1912, durch Wochen, ja faſt Monate Tag für Tag ausgiebige Regengüſſe
niedergehen, dann füllt ſich der Boden auch im Wald bis auf die letzte Pore, und
da das Abſickern in den Untergrund nur langſam ſich vollzieht, iſt ſeine Aufnahme—
fähigkeit ſehr gering. Treten nun Wolkenbrüche oder vielſtündige Dauerregen ein,
ſo muß auch im Wald der größte Teil der Niederſchläge oberirdiſch abfließen und
die Überſchwemmung iſt da. Ein anderer lehrreicher Fall für die Grenzen der
Schutzwirkung iſt die von Honſell für das Flußgebiet der Hauenſteiner Alb genau
unterſuchte Überſchwemmung von 1882, die auch ſonſt große Gebiete betraf, und
viel dazu beitrug, den Glauben an die wohltätige Wirkung der Bewaldung zu er—
ſchüttern. Am 22. November 1882 lag in dieſem gut bewaldeten Gebiet überall
Schnee, der auf den Höhen eine Mächtigkeit von mindeſtens einem halben Meter
erreichte. „Unter dieſem Schnee war der Boden überall gefroren. Während in der
Nacht noch eine Kälte von — 10,8 geherrſcht hatte, trat am 23. ein jäher Witte—
rungsumſchlag ein: Tauwetter mit ſtarkem Regen. Die am 23. gefallene Regen—
menge von 24,3 mm brachte, zuſammenwirkend mit der verhältnismäßig hohen
Temperatur, den geſamten vorhandenen Schnee zum verhängnisvoll raſchen Ab—
ſchmelzen. Auch die in den Tagen vom 24.— 26. gemeſſenen Niederſchläge von 28,2,
42,5 und 45 mm dürften, da der Boden, wo er nicht mehr gefroren war, mit
Waſſer durchtränkt ſein mußte, zum größten Teil zum Abfluß gekommen ſein.“
Dieſe erſte Hochflut verlief noch ohne größeren Schaden; aber in der folgenden Zeit
taute der Boden wiederholt auf und zu, bis auf den gefrorenen Boden vom 21. bis
24. Dezember größere Schneemengen fielen. Und in dieſe Schneedecke fielen dann
wieder vom 25.— 27. 213 mm, alſo auf einen Quadratmeter 213 Liter Regen, die
raſch und ganz abfließen mußten, da der gefrorene Boden ſich wie Stein verhielt.
Daher ſteigerten ſie „die in der Alb bei Beginn des Tauwetters aufgetretene ſtarke
Anſchwellung zur gewaltigen Hochflut“. Es war alſo eine glücklicherweiſe ſeltene
Häufung ungünſtiger Umſtände, welche dieſes Hochwaſſer, das größte, das Süd⸗
deutſchland in den letzten 50 Jahren heimſuchte, verurſachte. Die Schutzwirkung des
Waldes iſt alſo nur eine beſchränkte, doch darf bei der Beurteilung der ganzen
Frage auch nicht überſehen werden, daß durch menſchliche Eingriffe die Hochwaſſer⸗
gefahr weſentlich geſteigert worden iſt. Die Geradlegungen unſerer Waſſerläufe, die
602 5. Abſchnitt.
Sohlenpflaſterungen in den Bächen, die Kanaliſationen wirken alle zuſammen, um
jeden Regentropfen mit größter Beſchleunigung zu Tal zu führen. Die Entwäſſerung
von Hochmooren, die Dränierung ſumpfiger Wieſen, das Auflaſſen von Fiſchweihern
und die Trockenlegung kleiner Seen und Teiche haben die natürlichen Waſſerbehälter
beſeitigt, welche ſich früher bei jedem Regen füllten und den Überfluß dann langſam
abgaben. Auch die Wegbauten in und außerhalb des Waldes haben vielfach die
Bedeutung von Waſſerabzügen gewonnen. All dieſen ungünſtigen Einflüſſen ſteht
der Wald faſt allein gegenüber, und auch er vielfach nicht in dem Zuſtande, der
ihm ermöglicht, ſeine ausgleichende Wirkung voll zu zeigen. Unleugbar haben heute
die Kahlhiebe auch im Gebirge vielerorts eine große Verbreitung, wo ſie vor 100 Jahren
noch unbekannt waren und die Streunutzung iſt auch eher größer als kleiner ge—
worden.
Das Gegenſtück zu den Hochwaſſern bilden die waſſerarmen Zeiten, in denen
Bäche verſiegen, Waſſerkraftwerke ſtilliegen, die Schiffahrt auf kleinen Flüſſen ein—
geſtellt und ſelbſt auf Strömen, wie dem Rhein, beſchränkt werden muß. Vielfach
iſt ſogar die Meinung verbreitet, daß der Waſſergehalt unſerer Flüſſe überhaupt
kleiner geworden ſei infolge der Entwaldungen. Doch läßt ſich dafür, ſoweit die
Pegelbeobachtungen zurückreichen, kein Anhalt finden. Knüll ſucht in ſeiner „Hiſto—
riſchen Geographie“ dieſe Tatſache daraus zu beweiſen, daß Wipper, Werra, Fulda
und eine Reihe anderer heute nicht ſchiffbarer Flüßchen im Mittelalter regelmäßig
befahren worden ſeien. Das hängt aber wohl hauptſächlich damit zuſammen, daß
andere beſſere Verkehrsgelegenheiten entſtanden ſind. Man braucht ſich nur den
Zuſtand der Landſtraßen damals und heute zu vergegenwärtigen. Sodann hat die
Ausnützung gerade dieſer Waſſerläufe zur Kraftgewinnung und zur Wieſenwäſſerung
ſehr zugenommen und die hierzu erforderlichen Schleuſen erſchweren die Schiffahrt.
Müſſen wir ſomit annehmen, daß im Jahresdurchſchnitt die gleiche Waſſer—
menge in unſeren Flüſſen dem Meere zuſtrömt, ſo ſteht anderſeits auch die Tatſache
feſt, daß ihre Verteilung über das Jahr im bewaldeten Gebiete aus den bereits
erörterten Gründen viel gleichmäßiger iſt als in andern. Vom Lorenzoſtrom in
Nordamerika wird berichtet, daß er infolge der Entwaldung jetzt viel weniger weit
hinauf jahraus jahrein mit großen Schiffen befahren werden kann als früher, und
mit der fortſchreitenden Verminderung der Waldfläche im Kanton Teſſin hat die
Adda von 1834 1862 mehr als ein Viertel ihrer Waſſerkräfte bei Niedrigwaſſer
verloren, wofür Hochwaſſer nunmehr etwa alle 20 Monate eintritt, früher nur
alle 50. Bei den Verhandlungen über das Geſetz zur Verhütung von Hochwaſſer—
ſchäden im Stromgebiet der Oder führte 1898 im preußiſchen Herrenhauſe Intze,
einer unſerer größten Waſſerbautechniker, aus, daß die Unterſuchungen im Rhein—
gebiete einen außerordentlichen Einfluß des Waldes auf die Abflußmengen erkennen
ließen. Im gut bewaldeten Gebirge iſt die Abflußmenge während der Trockenperioden
zwei- bis dreimal fo groß, die Hochwaſſermenge auf die Hälfte und weniger ver—
mindert als im ſchlecht bewaldeten. Auch iſt dort das Waſſer faſt klar, hier aber
führt es bei Hochwaſſer große Mengen Humus, Gerölle und Geſchiebe mit.
Bodenſchutz. Die letztere Tatſache beruht auf einer anderen wichtigen Schutz—
wirkung. Der Wald verzögert die Verwitterung des Geſteins und hält auch an
Bodenſchutz. 603
ſteilen Wänden die Bodenkrume feſt, auf der die Fruchtbarkeit beruht. Dieſer Schutz
gegen die „Eroſion“ iſt für viele Gebirgsgegenden eine Lebensfrage. Im Walde
verhindern die Streudecke und die Durchwurzelung des Bodens die Angriffe des
Waſſers. Am kahlen Hang aber graben die auf dem kürzeſten Wege der Talſohle
zuſtrebenden Waſſerfäden ſich zuerſt ſchmale Rinnen, die ſich dann bei jedem Regenguß
und Schneeabgang erweitern und vertiefen, bis ſie als Runſen auf den gewachſenen
Felſen herabreichen. Auch der unterliegt dann einer raſcheren Verwitterung, die
Bildung von Gerölle und Geſchiebe iſt vermehrt. Und indem dieſe mit den Wäſſern
talab wandern, entſteht neuer Schaden, die Wieſen und Felder werden damit über—
ſchüttet, die Bach- und Flußbette aber angefüllt, fo daß die Hochwaſſer gefährlicher
werden, weil der Abfluß eingeengt iſt. Die Auffüllung kann ſogar ſo weit gehen,
daß das Flußbett höher liegt als das anſtoßende Kulturland. Dann leidet dieſes
auch in gewöhnlichen Zeiten unter dem Druckwaſſer und die Hochwaſſerdämme müſſen
verſtärkt und erhöht werden. Bis zu der großen Korrektion am Ende des letzten
Jahrhunderts hat der Rhein zwiſchen Chur und dem Bodenſee ſein Bett jährlich
um etwa 10 em höher gelegt, jo daß bei dem Hochwaſſer von 1888 der Fluß 6 m
höher ſtand als der Bahnhof Buochs. An der unteren Loire find die Kojten für
die Erhöhung und Verſtärkung der Dämme allmählich ſo geſtiegen, daß die fran—
zöſiſche Regierung umfaſſende Aufforſtungen im Quellgebiet des Stromes ausführen
läßt, um ſo die Urſachen der Geſchiebebildung zu beſeitigen. Gewiß iſt auch in
dieſer Beziehung die Bewaldung kein Allheilmittel. Wenn leicht verwitternde Geſteine
durch Verwerfung ſteil geſtellt wurden und die Sickerwäſſer zu ihnen gelangen können,
ſo entſtehen auch im Walde Abrutſchungen und Bergſtürze, und oberhalb der Baum—
grenze läßt ſich die Verwitterung und Geſchiebebildung nicht verhindern; aber gegen
die ſich in den tieferen Lagen langſam, jedoch ſicher vollziehende Entblößung ſteiler
Bergwände von Feinerde und Geſteinsſchutt gibt der Wald Schutz, und die Auf—
forſtung aller gefährdeten Hänge gilt heute für das beſte Vorbeugungsmittel. Wie
großen Schaden eine ſorgloſe Raubwirtſchaft verurſachen kann, zeigt die Tatſache,
daß nach den amtlichen Berichten die anbaufähige Fläche im Departement der
Niederalpen von 1842 —1852 infolge der Entwaldungen ſich um ein volles Viertel
verminderte.
Lawinen und Steinſchläge. Schiller läßt den Tell auf die Frage ſeines
Sohns, ob es wahr ſei, daß die Bäume des Bannwaldes bluten, wenn ſie angehauen
werden, erwidern: „Die Lawinen hätten längſt den Flecken Altorf unter ihrer Laſt
verſchüttet, wenn der Wald dort oben nicht als eine Landwehr ſich dagegen ſtellte.“
Der Dichter faßt ſo trefflich den Glauben des Gebirgsvolkes zuſammen, der auch in
mittelalterlichen Dorfrechten durch Schutzbeſtimmungen für den Wald praktiſchen
Ausdruck gefunden hat; aber auch hier müſſen wir eine wichtige Einſchränkung
machen. Gewiß, im gut beſtockten Wald kann keine Lawine entſtehen, weil jede
kleine in Bewegung geratene Schneemenge von den nächſten Stämmen feſtgehalten
wird; aber etwa vier Fünftel der Lawinen entſtehen in den höheren Lagen. Hat
eine ſolche erſt kleinen Umfang und geringe Geſchwindigkeit angenommen, ſo wird
auch ſie am alten Wald ſcheitern, junge Aufforſtungen jedoch durchbrechen. Und
ebenſo werfen mächtige Lawinen jeden Wald über den Haufen und deſſen Stämme
604 5. Abſchnitt.
und Wurzelballen werden mit in die Bewegung hineingeriſſen, ſo daß ſie den
Schaden auf dem tieferen Gelände noch vermehren helfen. Es iſt der Schutz alſo
ein beſchränkter, aber doch recht wichtiger und die Aufforſtung aller zur Lawinen—
bildung neigender Hänge innerhalb der Baumgrenze ſehr zu empfehlen.
Eine andere Gefahr des Hochgebirges, gegen die der Wald ſchützen kann, ſind
die Steinſchläge. Sie entſtehen, indem durch die Verwitterung ſich große und kleine
Steine von ſteilen Felswänden ablöſen und herniederſtürzen. Iſt das Gelände am
Fuß der Felſen abhängig, ſo rollen ſie manchmal auf große Entfernungen und
richten an Matten und Feldern, Wegen und Gebäuden Beſchädigungen an, die recht
empfindlich fein können; denn die Blöcke erreichen Größen von 1 ebm und mehr
und geraten an ſteilen Hängen in raſche, oft ſogar in ſpringende Bewegung. Wo
der Boden am Fuß der Wand urſprünglich flach war, häuft ſich im Laufe der
Jahrhunderte aus den herabfallenden Steinen eine Schutthalde auf, deren Böſchung
allmählich immer ſteiler wird. Die ſpäter abſtürzenden Stücke bleiben dann nicht
mehr liegen und die Beſchädigungen beginnen. Umſäumt aber der Wald den Schutt—
kegel, ſo werden zwar deſſen Stämme immer wieder verwundet, aber weiterer
Schaden iſt ausgeſchloſſen.
Der Dünenwald. Den loſen Sand des Meeresſtrandes häuft der Wind zu
kleinen Bergzügen, den Dünen, auf und treibt ihn landeinwärts. Wo die Natur
ungeſtört waltet, verflacht ſich im Laufe der Zeit der Rücken der über dem Flutbereich
liegenden Dünen, Sandgräſer ſiedeln ſich auf ihm an, dann finden ſich der Sand—
dorn und ähnliche Gewächſe ein und, wo die Winde nicht gar zu heftig wehen, auch
die Kiefer, der Wald ergreift Beſitz von der Düne oder, wo dieſer ausbleibt, die
Heide. Und dieſer Pflanzenwuchs hält dann auch die friſch vom Meeresufer her an—
gewehten Sandkörner feſt. Vor allem der Wald kann die flüchtigen Sande beruhigen
und der ſorgſam bewirtſchaftete Kieferforſt iſt die einzige Nutzungsform, die dieſem
Boden ohne Gefährdung noch einigen Ertrag abzuringen imſtande iſt. Wird aber
der Dünenſand durch unvorſichtige Kahlhiebe, denen die Kultur nicht ſofort folgte,
bloßgelegt, ſo ſetzt er ſich vom Winde erfaßt in Bewegung, die Düne wandert der
herrſchenden Windrichtung folgend, ins Land und überſchüttet fruchtbares Gelände,
das dadurch ertraglos wird. Da dieſe Wanderdünen Höhen von 60 m erreichen,
kann auch der Wald ſie nicht aufhalten, er wird geradeſo wie Dörfer unter den Sand—
maſſen begraben und erſt nach Jahrzehnten tauchen ſeine verwitterten Reſte aus der
weiter gewanderten Düne wieder auf. Die Geſchwindigkeit, mit der dieſe fortſchreitet,
hängt von der Stärke und Häufigkeit des herrſchenden Windes ab, ſie erreicht in
ſeltenen Fällen im Jahr 20 m, häufig aber 6—9 m. Die Wanderdünen und ebenſo
die Flugſandſchollen des Binnenlandes ſind erſt dadurch gefährlich geworden, daß der
Menſch den Wald auf ihnen vernichtete. So ſind an der Küſte der Bretagne die
Dünen ſeit 1666 6 km ins Land gewandert und haben einen Wüſtenſtreifen in dieſer
Breite geſchaffen, jene der Oſtſeenehrungen, im 17. und 18. Jahrhundert des Waldes
zum Teil beraubt, haben Dörfer verſchüttet und bedrohten die Haffe mit Verſandung,
bis zielbewußte Aufforſtung ihre Bewegung hemmte. Indem dieſe den dem Winde
zugekehrten Dünenrücken mit Pflanzenwuchs bedeckt, entzieht ſie jenem das Material,
das er fortführen könnte. Daß häufig eine Beruhigung der Düne durch künſtliche
RE u Sue Meere ea ei
Der Wald und die Geſundheit. 605
Deckung oder Anpflanzung von Sandgräſern der Aufforſtung vorausgehen muß, habe
ich ſchon früher erwähnt. So find in Preußen von 1882—1893 1400 ha Dünen
aufgeforſtet worden, in Frankreich im Lauf des letzten Jahrhunderts etwa 60000.
Der Dünenwald muß immer als Schutzwald behandelt werden, es iſt bei der Nutzung
alles zu vermeiden, was
den Sand dem Winde
bloßlegen könnte.
Der Wald und
die Geſundheit. In
tropiſchen Ländern ſind
die Waldungen oft ver—
rufen, weil in den Wald—
ſümpfen die Träger der
Malaria, des gelben
Fiebers, der furchtbaren
Schlafkrankheit und an-
derer ſchlimmer Geißeln
der Menſchheit hauſen.
In Mitteleuropa ſchätzt
man dagegen den Wald
mit Recht wegen ſeiner
günſtigen Wirkungen auf
die Geſundheit. Der
gleichmäßig feuchte und
kühle, mit antiſeptiſchen
Humusſtoffen gemiſchte
Waldboden, iſt kein ge-
eigneter Keimplatz für
Krankheitserreger und
dieſer reine Boden ver—
bürgt uns auch reine
Luft und reines Waſſer,
die beiden Hauptbedin—
gungen für gute hygie—
niſche Zuſtände. Die
Luft im Innern größerer
Waldungen iſt aber auch Abb. 69. Femelwald. (Phot. Forſtaſſeſſor Faudi.)
rein von Staub und Ruß,
die in den Städten häufige Erkrankungen der Atmungsorgane verurſachen, denn der
Waldſaum wirkt wie ein Filter, auf dem dieſe Beimengungen ſich niederſchlagen, um
vom nächſten Regen abgewaſchen und dem Boden zugeführt zu werden, der ſie dann
feſthält. Nach den Unterſuchungen von Miquel enthält die Luft des Parkes von Mont⸗
ſouris im Kubikmeter 490 Bakterien und Pilzſporen, jene der neuen Stadtviertel von
Paris mit breiten Alleen ſchon 4500, die der alten engen und lichtarmen Quartiere aber
606 5. Abſchnitt.
36000. In München wurden 1902 bei Weſtwind im Nymphenburger Park 2000 Staub—
teile im Kubikdezimeter gefunden, auf dem Marsfeld 72000, am Bahnhof 100000, am
rechten Iſarufer 172000. Auch in den Anlagen am andern Iſarufer, wo der den
Fluß begleitende Luftſtrom eine kräftige Mengung der Luft bewirkt hat, fanden
ſich immer noch 90000 Teile. Ein nicht minder wichtiger Heilfaktor als die Rein—
heit der Waldluft iſt ihre gleichmäßige Friſche und Feuchtigkeit, die beſonders den
Nerven wohltut. Auf der Erkenntnis dieſer Wirkungen beruht ja die Anlage von
Heil⸗ und Erholungsanſtalten im Walde, die Einrichtung von Waldſchulen für
ſchwächliche Kinder und das Aufblühen der Luftkurorte in unſeren Waldgebirgen.
Sie bedürfen alſo keines weiteren Nachweiſes.
Die Pflege der Waldesſchönheit. Die von Jahr zu Jahr wachſende Zahl
von Beſuchern, die im Wald für längere Zeit ihrer Erholung leben oder ihm an
ſchönen Tagen zuſtrömen, um Erfriſchung und Anregung zu finden, haben ein Recht
zu verlangen, daß die Forſtwirtſchaft auch die Schönheit des Waldes erhalte und
pflege, ſoweit dies ohne Gefährdung ihrer wirtſchaftlichen Aufgaben möglich iſt. Wir
haben ſchon früher eine Wertung der verſchiedenen Waldformen in dieſer Beziehung
verſucht, ſo daß es genügt, die leitenden Geſichtspunkte nochmals hervorzuheben. Eine
natürliche, langſam durchgeführte Verjüngung, die ſchroffe Eingriffe vermeidet und
den alten Beſtand erſt dann völlig beſeitigt, wenn der junge ſich bereits völlig ge—
ſchloſſen hat und ſchon ſtellenweiſe wieder etwas Schatten zu bieten vermag, wird
jenen Anſprüchen am beſten entſprechen. Aber auch in äſthetiſcher Hinſicht iſt es
verfehlt, ſie überall erzwingen zu wollen und kranke, rückgängige, womöglich ſchon
gipfeldürre Beſtände auf verwildertem, in ſeiner Produktionskraft gefährdetem Boden
noch lange zu erhalten. Denn auf die Dauer iſt eine frohwüchſige Kultur ein be—
friedigenderer Anblick als eine Sammlung abſterbender Baumkrüppel.
Wo ſich ausgedehnte Kahlhiebe nicht vermeiden laſſen, gibt der Ueberhalt längs
der Wege und auf den das Gelände beherrſchenden, daher weithin ſichtbaren Punkten
ein gutes Mittel Abwechſelung zu verſchaffen und das Auge zu feſſeln. Auch läßt
ſich ſehr wohl der Eindruck eines großen Kahlhiebes abſchwächen, indem man längs
viel begangener Wege einen 20— 30 m breiten Streifen zunächſt noch ſtehen läßt und jo
eine Kuliſſe ſchafft, durch die die Blöße herüberſchimmert und daher mehr geahnt
als erkannt wird. Man hat ein ſolches Verfahren gelegentlich als Betrug verurteilen
und mit dem Schlagwort von den „Potemkin'ſchen Dörfern“ abtun wollen, meines
Erachtens ſehr zu unrecht, denn dem Waldeigentümer oder Inſpektionsbeamten, der
den Forſt nicht nur vom Wagen aus beurteilt, werden und ſollen dieſe „Kuliſſen“
nichts vortäuſchen; ſie ſollen nur die Laien mit den wirtſchaftlich notwendigen Maß—
nahmen verſöhnen und dadurch der Forſtverwaltung die Arbeit erleichtern. Die
Streifen ſelbſt wird man durch Unterbau verjüngen und allmählich nachhauen.
Wichtig iſt die Feſtſtellung des Umtriebs, d. h. des Alters in dem die Beſtände
durchſchnittlich zur Nutzung kommen. Der Laie ſchätzt vor allem Wälder mit ſtarken
alten Bäumen, und es iſt richtig, daß alle Holzarten ſich erſt in höherem Alter ſo
weit individuell ausbilden, daß auch der einzelne Stamm für ſich einen Schönheits—
wert beſitzt. Je länger der Umtrieb, um ſo mehr finden wir ſchöne Einzelſtämme
und hochragende geſchloſſene Säulendome, um ſo ſchöner iſt unbeſtreitbar der Wald,
Waldſchönheitspflege. 607
es ſei denn, daß das Alter ſich den natürlichen Grenzen des Baumlebens ſehr nähert.
Die vorteilhafteſten Umtriebe liegen aber in den meiſten Gegenden je nach der Holz—
art zwiſchen 60 und 80, ſeltener bis 100 Jahren. Aber glücklicherweiſe ſinkt die
Verzinſung der Waldkapitalien nach Erreichung des Höhepunktes nur langſam, ſo—
daß eine Erhöhung der Umtriebe um 20—30 Jahre kein ſehr großes Opfer bedeutet,
zumal eine jede Art der Berechnung mit ſoviel unſicheren Zahlen und ſo vielen „wenn
und aber“ arbeiten muß, daß eine genaue Ermittlung des einträglichſten Umtriebs
doch nicht möglich iſt. Auch iſt oft die Hoffnung berechtigt, daß das Steigen der
Holzpreiſe den Zinsverluſt ausgleichen wird, den eine langſame Abnutzung der Alt—
holzvorräte verurſacht. Bei ſchöngeformten Kiefern tritt gerade im höheren Alter
eine bedeutende Wertsſteigerung mit der zunehmenden Verlienung des Holzes ein,
und ähnlich iſt es bei den Eichen. Halten wir an Umtrieben von 80— 90 Jahren
für die Fichte, 100 — 110 für Buche und Tanne, 120— 140 für gutwüchſige Kiefern
feſt, ſo laſſen ſich genug ſchöne Altholzbeſtände erziehen, um den berechtigten An—
ſprüchen der Waldfreunde zu genügen. Im höheren Gebirg ſind dieſe Umtriebe noch
um 10—20 Jahre zu erhöhen, weil hier der Wuchs verlangſamt iſt. In der Um—
gebung viel beſuchter Orte iſt noch eine weitere kleine Erhöhung gerechtfertigt und
insbeſondere wird man hier kleine geſunde Altholzbeſtände länger erhalten; bei ge—
eignetem Unterbau und guter Durchlichtung lohnen ſie das auch durch ihren Zuwachs.
Ebenſo iſt die Erhaltung einzelner ſchöner Bäume längs der Wege ſehr ge—
eignet, die Freude am Wald zu vermehren. Man wählt dazu ſeltene Arten und
Stämme mit eigentümlichem Wuchs, vor allem Bäume, an die. Sagen oder Erinnerungen
an bedeutende Menſchen oder Ereigniſſe ſich knüpfen. Sorgt man dafür, daß der
nachwachſende Beſtand ihnen nicht zu nah auf den Leib rückt und die Kronenaus—
bildung beeinträchtigt, ſo können ſie noch lange Zeit geſund bleiben. Nähert ſich
dann das natürliche Ende, ſo wird in vielen Fällen auch die Baumruine noch die
Erhaltung lohnen, ſoweit ihr Zuſtand nicht etwa die Beſucher gefährdet. Hat ſich
nicht von ſelbſt Epheu bei ihr eingeſtellt, ſo iſt ſeine Anpflanzung empfehlenswert;
zur künſtlichen Erhaltung der Stämme durch Ausmauerung ſelbſt, wird man im Forſt
nur ſelten ſchreiten, zumal nicht ſehr ſorgfältig und geſchmackvoll ausgeführte „Plom—
bierungen“ höchſt unſchön find. Lieber läßt man den alten Baum zuſammenbrechen
und pflanzt an ſeiner Statt einen neuen, der Namen und Erinnerungen übernehmen mag.
Wichtige waldbauliche Gründe ſprechen für die Anzucht gemiſchter Beſtände und
für die Erhaltung des Laubholzes neben dem raſchwüchſigeren und höhern, aber nicht
ſo ſichere Gelderträge verſprechenden Nadelholz. Aber darüber hinaus ſollte auch
den ſelteneren deutſchen Arten auf geeignetem Boden noch ein beſcheidenes Plätzchen
eingeräumt werden. Mit der Einmiſchung fremder Hölzer muß man, wie v. Saliſch
mit Recht betont, vorſichtig ſein, um nicht den Eindruck eines Kunſtwaldes zu er⸗
wecken. Arten wie die Douglastanne und die Weymouthskiefer, die ſich eingebürgert
und bewährt haben, können neben den einheimiſchen wohl angebaut werden, ihre
ganze Form weicht von dieſen ſo wenig ab, daß auch eine Miſchung nicht ſtört. Auch
bei Roteichen und Nordmannstanne iſt das kaum zu fürchten, aber man bringt ſie
in der Nähe der Wege ſelten auf, weil unſere Waldbeſucher, vor allem die Frauen,
der Verſuchung nicht widerſtehen können, ſie immer wieder der ſchönſten Zweige zu
608 5. Abſchnitt.
berauben. Ebenſo wird man alle Arten, die ſich ſofort als Fremdlinge verraten —
Cypreſſen — und jene, deren Gedeihen noch nicht ſicher erprobt iſt, beſſer nur ſeit—
ab vom Wege anbauen, um dem Wanderer den unſchönen Anblick einer Krankenver—
ſammlung zu erſparen, falls ſie verſagen ſollten. Dagegen ſind auch unſere einheimiſchen
Sträucher überall zu erhalten, wo ſie wie am Waldtrauf nicht ſtören.
Zahlreiche Wege erleichtern den Beſuch des Waldes, beſonders wichtig ſind Fuß—
pfade, die auch einen Einblick in das Innere der Beſtände ermöglichen, während dies
an Fahrſtraßen nur in kleinem Umfang angängig iſt, da ein geſchloſſener Trauf
zum Schutz gegen Wind und Sonne auch an nur 4m breiten Bahnen erhalten oder
durch Unterbau erſetzt werden ſollte. Bei Neuanlagen ſucht man ſchöne Ausblicke
zu erſchließen und erſtellt bei dieſen wohl eine Ruhebank oder kleine Schutzhütte.
Viele Durchblicke ſind leider nur vorübergehender Natur, ſie entſtehen, wenn der alte
Beſtand zur Verjüngung angehauen wird und verſchwinden, ſobald der Jungwuchs
heraufkommt. Je flacher der Hang, um ſo früher tritt dieſer Zeitpunkt ein und um
ſo weniger läßt ſich dagegen tun. Denn wenn der Laie meint, es ſei eine Kleinig—
keit zu helfen, und nur Trägheit oder Gleichgültigkeit der Forſtwirte, daß ſie nicht
auflichten, ſo irrt er in der Regel, er überſieht, daß bei nicht ſehr ſteilen Hängen
eine ganze Reihe von Bäumen ihre Gipfel in das Geſichtsfeld hineinſchieben und
daher fallen müßten, um den Blick frei zu halten. Dann würde aber eine große
Fläche der Holzerzeugung entzogen werden. Noch verfehlter freilich iſt es, dadurch
helfen zu wollen, daß man die vorſtehenden Bäume immer wieder köpft und auf—
aſtet, denn der Anblick ſo mißhandelter Stämmchen iſt ſehr unerfreulich. Wo es
ſich um hervorragende Ausſichten handelt, iſt das Opfer der vorliegenden Fläche be—
rechtigt, man wird ſie als Wieſe anlegen oder ein künſtliches mit mancherlei Geſträuch
beſetztes Felſenmeer ſchaffen. Andere aber laſſe man ruhig zuwachſen in dem Be—
wußtſein, daß mit dem Fortſchreiten der Verjüngung anderwärts neue entſtehen.
In der Ebene empfiehlt es ſich, lange gerade Weglinien ab und zu durch eine
leichte Krümmung zu unterbrechen, vor allem die vorhandenen zu erhalten, oder dem
Auge dadurch einen Ruhepunkt zu verſchaffen, daß man den Weg an einer Stelle
verbreitert und in der Mitte eine ſchöne Baumgruppe anlegt, eine Hütte baut oder
einen Brunnen errichtet. Ganz beſonders ſind Wegkreuzungen hiezu geeignet.
Die ſchönſten Wegweiſer ſind die aus unbehauenen Findlingen gemachten, nächſt
ihnen die hölzernen. Das Annageln an Bäume verunziert dieſe in der Regel, viel
ſchlimmer noch iſt die heute ſo beliebte Kennzeichnung mit Olfarben, hier muß man
eingreifen, — ein jedes Übermaß und zumal ſchreiende Farbentöne verhindern. Reklame—
ſchilder ſollten unbedingt aus dem Wald wie aus der Landſchaft überhaupt verbannt
werden.
In ausgedehnten Forſten freut ſich das Auge an Unterbrechungen. Darum
erhält man zweckmäßige kleine Waldwieſen, Torfmoore, Teiche und Weiher. Den
Bächen läßt man am beſten ihren natürlichen Verlauf, jedenfalls ſind Geradlegungen
tunlichſt zu vermeiden.
Zum vollen Genuß des Waldes gehört es, daß in dem Wanderer wenigſtens zeit—
weiſe das Gefühl der Einſamkeit aufkommt, daß die Waldesſtille nur von den Stimmen
der Vögel, dem Rauſchen der Kronen und dem Murmeln der Wellen des Waldbaches
Waldſchönheitspflege 609
unterbrochen wird. Klingt auch der frohe Sang der Wanderer ſchön, ſo ſoll er doch
nur eine kleine Unterbrechung bilden, die durch den Gegenſatz den Frieden des Waldes
dann doppelt tief empfinden läßt. Zunächſt iſt es freilich Sache eines jeden Wald—
beſuchers, ſich demgemäß zu verhalten. In der Umgebung volkreicher Städte iſt jedoch
an ſchönen Sonn- und Feiertagen der Beſuch ein fo zahlreicher, daß auch beim beſten
Willen des einzelnen der Wald laut iſt. Es ſind indeſſen meiſt nur einzelne Wege
allgemein beliebt und begangen, die entfernteren Waldteile dagegen auch an ſolchen
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Abb. 70. Waldlandſchaft an der Kinzig. (Phot. G. Urff.)
Tagen faſt menſchenleer. Um ſo dankenswerter iſt es, wenn auch ſie durch einige
Pfade zugänglich gemacht ſind.
Auch dadurch kann der Waldeigentümer die Schattenſeiten des Maſſenbeſuches
weſentlich vermindern, daß er für die Waldfeſte, die heute von vielen Vereinen ver—
anſtaltet werden, ein kleines Waldſtück am Feldrand oder bei Ausſichtspunkten opfert,
hier einen Feſtplatz einrichtet und vielleicht auch noch freie Anlagen damit verbindet.
Dort werden dann auch die wenig erfreulichen Begleiterſcheinungen des wachſenden
Andrangs in den Wald, wie Papierfetzen, Speiſereſte ſich zuſammendrängen und
leichter beſeitigt werden.
Unſer Volk liebt den Wald und es wäre Unrecht von den Waldeigentümern,
ihm die Freude durch Verbote und Erſchwerungen zu verderben, möge darum aber
auch umgekehrt jeder Waldbeſucher ſich bemühen, Störungen und Beſchädigungen zu
verhüten.
Hausrath, Die Waldwirtſchaft.
610 6. Abſchnitt.
Mancher Leſer wird vielleicht meinen, daß die hier im Intereſſe der Waldes—
ſchönheit aufgeſtellten Forderungen nicht ausreichen, um den vollen Naturgenuß zu
ſichern. Aber der Wert unſerer Wälder iſt ein zu großer, als daß den Beſitzern
zugemutet werden könnte, auf ihren Ertrag zu verzichten oder ihn doch erheblich zu
verkürzen. Auch für den Staat und die Gemeinden als Walbdbeſitzer iſt das meiſt
ausgeſchloſſen, da der Ausfall an der Waldrente durch Steuern und Umlagen auf—
gebracht werden müßte. Im Wirtſchaftswalde werden die Rückſichten auf den Er—
trag immer die Betriebsführung vor allem beſtimmen müſſen.
Auf der andern Seite jedoch iſt die Forderung durchaus berechtigt, daß Schutz—
gebiete geſchaffen werden, in denen die Natur ungehindert walten kann — Urwälder,
Heide- und Moorlandſchaften. — Und zwar muß ſie nicht nur vom Standpunkt des
Naturfreundes aus erhoben werden, der für unſere Nachkommen ein Stück un—
berührter Natur retten will, ſondern auch von dem der Wiſſenſchaft, weil nur ſo
vielen Tieren und Pflanzen die Möglichkeit geboten werden kann, ſich zu erhalten
und nach ihren natürlichen Anlagen zu entwickeln. Darum ſei es mir geſtattet, zum
Schluß auf die hochverdienſtliche Tätigkeit des Vereines Naturſchutzpark (Geſchäfts—
ſtelle in Stuttgart, Pfizerſtr. 5) aufmerkſam zu machen, der ſich die Schaffung und
Erhaltung von drei, jeweils mehrere Quadratmeilen umfaſſenden Schutzgebieten in
Deutſchland und Sſterreich zur Aufgabe gemacht hat, in den Alpenländern iſt bereits
ein ſolcher Naturſchutzpark geſichert, für einen zweiten in der Lüneburger Heide durch
die Erwerbung von 1300 ha der Grundſtock erworben. Näheres darüber findet der
Leſer in der gehaltvollen Schrift: „Naturſchutzparke in Deutſchland und Sſterreich.
Ein Mahnwort an das deutſche und öſterreichiſche Volk. Stuttgart, Franckh'ſche
Verlagshandlung“.
Verzeichnis der wichtigſten Literatur.
Borggreve: Die Holzzucht. 2. Aufl. Berlin 1891.
Duesberg: Der Wald als Erzieher. Berlin 1910.
Endres: Handbuch der Forſtpolitik. Berlin 1905.
Engler, A.: Aus Theorie und Praxis des Femelſchlagbetriebes. Schweiz. Zeitſchrift für Forſt—
weſen. 1905.
v. Fürſt: Plänterwald oder ſchlagweiſer Hochwald. Berlin 1885.
— Pflanzenzucht im Wald. 4. Aufl. Berlin 1907.
Gayer: Der Waldbau. 4. Aufl. Berlin 1898.
— Der gemiſchte Wald. Berlin 1886.
Gayer-Mayr: Forſtbenutzung. 10. Aufl. Berlin 1909.
Hausrath: Pflanzengeographiſche Wandlungen der deutſchen Landſchaft. Leipzig 1911.
Heß, R.: Die Eigenſchaften und das forſtliche Verhalten der in Deutſchland vorkommenden Holz—
arten. 4. Aufl. Berlin 1905.
— Der Forſtſchutz. 3. Aufl. Berlin.
Heyer: Der Waldbau oder die Forſtproduktenzucht. 5. Aufl. beſorgt von R. Heß. Leipzig 1906.
Jacquot: La foret. Paris 1911.
Kubelka: Die intenfive Bewirtſchaftung der Hochgebirgsforſte. Wien 1912.
Lorey: Wagner: Handbuch der Forſtwiſſenſchaft. 3. Aufl. Tübingen 1912.
Mayr, H.: Waldbau auf naturgeſetzlicher Grundlage. Berlin 1909.
— Fremdländiſche Wald- und Parkbäume. Berlin 1906.
Ramann, E.: Bodenkunde. 3. Aufl. Berlin 1911.
Reuß, H.: Die forſtliche Beſtandesgründung. Berlin 1907.
v. Saliſch: Forſtäſthetik. 3. Aufl. Berlin 1912.
Schneider, C.: Laubholzkunde. Leipzig 1912.
Schwappach: Handbuch der Forſt- und Jagdgeſchichte. Berlin 1886.
Wagner: Die Grundlagen der räumlichen Ordnung im Wald. 2. Aufl. Tübingen 1911.
Weiſe: Waldbau. 4. Aufl. Berlin 1911.
Wernick: Plenterwald. Allg. Forſt- und Jagdzeitung. 1910.
Abgabeſatz 527.
Abies concolor violacea
118.
— cephalonica Link. 512.
— Nordmanniana Link.
513. 514.“ 515.“
— pectinata D. C. 511.
511.& 571,*
— pinsapo Boiss. 512.
Acer campestre L. 500.
— platanoides L. 509.
— pseudoplatanus L. 509.
510.“
— saccharinum Marsh. 516.
Ackerbohne 211. 259.“ 264.
265. 268. 270. 271. 274.
277. 278.
— große 270. 271.
— kleine 270.
Ackererbſe 269. 270.
Ackerwinde 265.
Acorus Calamus 93.
Actaea 94.
Aesculus hippocastanum
L. 506.
Agaricus melleus L. 583.
Agave 216. 217.
Agrumen 215. 216. 225.
Ahlbeere 414.
Ahornarten, japaniſche 130.
Ailantus 105.
Akazie 183, 498.
Alexandrine Douillard 396.
Alisma natans 86.
— plantago 9.
Alnus glutinosa 97, 51
— incana Willd. 508.“
Alpenpflanzen 129.
Alyssum saxatile 129.
Ambroſia 402.
Ambrosia artemisiifolia
238.
Amelanchier Canadensis
113.
ae, ſchwefelſaures
Amspden-Pfirfich 404.
Amygdalazeen 390.
Amygdalus amara 405.
— communis 404,
— Davidiana 405.
— duleis 405.
— fragilis 405.
— nana 405.
— Persica 400.“ Tafel 402.
Ananas 212. -
Ananaserdbeere 161. 418.
Ananasreinette 393. 401.“
433.“ 434. 437. *
Anemone japonica 92.
— nemorosa 92,
Ankeimen 559.
Anpaſſung 54.
Anrückzonen 543.
5 ira tomentosa 101.
Apfel, Verbreitung 373.
Apfelbaum 390.
Apfelbedarf 387.
Apfeleinfuhr 449.
Apfelformen 391.
Apfelkonſum 446,
—
Is
Negäſt;;
Die mit einem Sternchen (5) bezeichneten Ziffern verweilen auf eine Abbildung im Text.
Apfelquitte 398. 399.
— von Angers 399.
Apfelſchnurbaum 428.“
Apfelſchorf 384.“
Apritoje 388. 400. 401. 427.
— von Nancy 402.
Aprikoſeneinfuhr 449.
Arabis albida 49, 115.
Architekturgarten 18.
Architetturpflanzen 68.
Armeria maritima 100,
Aroma 441.
Artiſchocken 159.
Arve 517.* 518.
Arvenplenterwald 530.“
Asarum europaeum 57.“
Asclepias syriaca 301.
Aſpe 510.
Aspidium aculeatum 88.
— spinulosum 114.“
Asplenium ruta muraria
Aubrietia-Arten 136.
Aufaſtung 573.
Ausleſe 336— 340.
— auf Drückung und Stei-
gerung des Korn—
gewichts 341. 344. 345.
— in einer Linie 344. 345.
— der Natur 336.
— auf Olgehalt 344.
— auf Steigerung 34. 345.
— der Züchtung 336.
Auslichten 435.
Ausputzen 436.
Auswahl der Obſtarten 387,
Avena barbata 253.
— fatua 253.
— Orientalis 251.“
— sativa 252.“
— sterilis 253.
Azalea mollis 116.
— pontica 112.
Azalien 64.
Azolla caroliniana 84.
Bäche, offene, ſonnige, auch
frei-natürliche Abflüſſe
von gebauten Rinn—
ſalen 88.
Bachuferpflanzen für grö—
ßere Rinnſale und grö—
ßere Raumwirkungen
92.
— für kleinere Rinnſale,
Quellränder, ſickernde
Waſſeradern 88.
Ballenpflanzung 567.
Bambuſa 97.
Bananen 143.“ 144.* 145.“
Bandgras 90.
Bang up 414.
Barfroſt 576.
Baſtardierung
348350.
— vegetative 335.
Baſtardtlee 319,
Batate 212.
Bauerngarten 25, 31.
Bauerngartenpflanzen 65.
Bauerntabat, grünblühen—
der 312.“
Baumanns Reinette 393.
324 — 334.
Baumluzerne 318.
Baumpflege 431.
Baumreife 441.
Baumſpritze 438.
Baumweichſel 406.
Baumweiden 505.“ 507.
Baumwolle 212. 301. 307.
Beerenobſt 388.
Beete von Steinpflanzen,
Heide- und Moor—
pflanzen 177.
Begrünung des Bodens 78.
Beilpflanzung 568. 568.“
Beinwell, kautaſiſcher 314.
Belgien 464.
Belle de Baltimore 91.
Bellis perennis 91,
Berberis vulgaris atrop.
91.
Bereckiquitte 400.
Bergahorn 509. 510.“
Bergtiefer 494. 508.
Bergulme 510.
Beſenginſter 112.
Beſtand 521.
— gemiſchter 522.
— reiner 522.
Beſtandesgründung, künſt—
liche 555.
Beſtandespflege 570.
Beſte, Ungaxiſche 402.
Beta maritima 283.
— vulgaris 152.“
281.“ 282.
eee der Pflanzen
280.“
Betriebsarten 520.
Betula pubescens Ehrh.
498.
— verrucosa Ehrh. 498,
Betulazeen 390. 412,
Bewäſſerung 434.
Bewäſſerung, künſtliche 384.
Bewäſſerungsanlage 151.“
Beziehungen unſeres Emp—
n zu den Pflanzen
1
Billards, Immertragende
6.
Bingelweizen 244.“ 348,
Birken 498.
Birnbaum 394.
— langblättriger 395.
— ölbaumblättriger 395.
— weidenblättriger 395.
Birne von Tongre 396.
Birnen, Verbreitung 373.
Birneneinfuhr 449.
Birnenkonſum 47,
Birnquitte 399.
— portug. 398.
Birn-Schnurbäume 429.
Birnſorten 395.
Black Hamburgh 422.
Blaſenroſt 583.
Blattfalltrantheit 422.
i und Stengelgemüſe
5
Blattſtielgemüſe 158.
Blattweſpen 587.
Blauer Trollinger 422.
Bleichſellerie 158.
Bleiſtiftbaum 502.
Blenderſaumſchlag 542.
542.“
Blitzſchäden 580.“
Blumengärten 170.
Boden 487.
Bodengare 526.
Bodenlockerung und Durch—
feuchtung 6.
Bodennäſſe 439.
Bodenſchutz 602.
Böhmen 454.
W großer rhein.
Bohne 219. 263. 271. 274.
278. 279.
— Landſorten 271.
Boikenapfel 393.
Borkenkäfer 586.
Borsdorfer Reinetten 391.
Bosnien 465.
Bostrychus typographus
586.
Brassica Napus oleifera
298. 299.*
— Napus rapifera 286.*
287.
— oleracea eapitata 150.“
289.”
— Rapa rapifera 286.“
287.
Brenneſſel 301.
Brennholzniederwald 554.
Brennholzrieſen 574.“
Brombeere 94. 116.
Brombeerſtrauch 416.
Buche 509. 524. 536.
BU
536.
Buchenwaldzone 494. 508.
Buchs 495.
e 247. 257.* 258.
31
535. *
Bühler Frühzwetſche 410.
Bulbocodium vernum 83.
Burgunder 422.
Buſchfiſolen 276. 278.
Buſchobſtbau 386.
Buſchobſtbäume, Düngung
der 431.
Butomus umbellatus 93.
Buxus arborescens 183.
— sempervirens L. 495.
Calla aethiopica 93. 95. 97.
— palustris 94.
Callitriche 85.
Calluna vulgaris 101.
Caltha palustris 88.
Campanula carpatica 49.
91.
— pusilla 49.
Cannabis indica 307.
— sativa 306.“
Carex japonica fol. var.
90
Carpinus betulus L. 181.
9
Castanea vesca Gaertn.
411. 500. 535.
Caſtanetum 493. 495.
Catalpa 93. 97. 105.
— speciosa Warth. 506.
Cedrus atlantica Man. 114.
501
— Deodara Loud. 501.
— Libani Barr. 501.
Celtis australis I. 500.
Centauxea.
117.
Cerastium tomentosum 49.
115
Chamaeeyparis
niana
— nutkaensis Spach. 502.
— obtusa Sieb. et Zuce.
502.* 502.
— sphaeroidea Spach.507.
— squarrosa 49.
— squarrosa glauca 114.
Champignon 160. 212.
Championquitte 399.
Charakter der Pflanzen 54
bis 185.
Charlamowskyapfel 392.
C 08 de Fontainebleau
Chileerdbeere 418.
Chiliſalpeter 432.
Chionanthus virginica 91.
Cichorium intybus 284.“
285.“
Cinerarien 171.“
Clairgeaus Butterbirne
396.
Clapps Liebling 396.
Clematis 125.
— vitalba 66.“ 94. 96.
Conarbium ribicolum
Dietr. 583.
10 ambiguella 422.
Convolvulus sepium 94.
Cornus mas 66.* 181.
Corylus Avellana 412.
— Avellana atropurpurea
412.
— Avellana laeiniata 412.
— tuberosa 412.
Cotoneaster multiflora 92.
— pyracantha 92.
Cox Orangenreinette 39.
Crataegus monogyna 181.
Crocus 109.
a japonica
on. 502.“ 503.
Cryptorhynehus Lapathi
507
Oueurbita pepo 93.
Cupula 411.
Cydonia japonica 399.
— vulgaris 398.
— vulgaris maliformis
399.
— vulgaris piriformis 399.
Cyperus alternifolius 90.
— maximus 90.
— Phormium tenax 95.
Cytiſus 318.
Daphne mezereum 91.
Dattelpalmen 215.
Daueus Carota 287.“ 288.
Deutſch-Evern 418.
Deutzia erenata 91.
— graeilis 91.
Dianthus plumarius 101.
Diels Butterbirne 385. 396.
Dintel 244— 246.
Dominanz 327-330.
Douein 427.
Douglastanne 501.
Drainröhren 438.
Duftanhang 582.
Dünenwald 556. 604.
n anorganiſchen
rſprungs (fünjtlicher
oder Handelsdünger),
Vorteile 142.
— Nachteile 146.
Düngung 431.
— der Forſtgärten 561.
— im Walde 556.
candidissima |
Lawso- |
arl: 502. 502.“
Regiſter.
Durchforſtung 569.“ 570.
571.“
Dürre 575.
Ebereſche 398.
— mähriſche ſüße 398.
— ruſſiſche ſüße 398.
Edeleraſſane 396.
Edeltaſtanie 411. 500. 535.
Edelreiſer 436.
Edeltanne 511. 511.571.“
Efeu 92. 95. 97.
— kanariſcher 176.“
Eibe 68. 483. 512. 482.“
Eiche 105. 499. 5337.
ee 552.“
553.
50.8.
Eichhörnchen 585.
Eierfrucht 157.
Einführung von
erzeugniſſen aus
Amerika 207.
Aſien 208.
Auſtralien 208.
England 207.
Frankreich 201.
Italien 201.
Oſterreich 204.
Rußland 205.
Standinavien 205.
Südafrita 208.
Einkorn 219. 242. 243.“ bis
246.
Einſchlagen 564.
Elaeagnus argentea 114.
Elektion der Züchtung 336.
Elsbeerbaum 397.
Elymus glaueus 90.
Elzbeere 500.
Embryoxenien 329.
Emmer 219. 24. 250.
— roter ſamtiger 243.“
— weißer Sommer- 243.
Endivien 151.
Engerlingſchaden 586.
England 458.
Entengrütze 84.
Entwäſſerung 384.
Eranthis hiemalis 113. |
Erbſe 212. 213. 219. 259.
263.* 264. 265. 267.“
268. * 274. 326—330. 333.
— Landſorten 269.
Erdbeerapfel 391.
Erdbeere, gemeine 417.
— König Albert
Sachſen 418.
— Vierländer 418.
Erdbeeren 161. 387. 40.
407.*
Erdbeereneinfuhr 449. |
Erdnuß 212. 269. |
Erica carnea 100. 112.
Erlen 92. 105. 507.
Erlenniederwald 553.
Erve 269.
Ervilie 269.
Eſche 506.
Eſparſette 212. 223. 315 bis
319.
— wildwachſende 318.
Eßlingerſche Latte 563.
Eucalyptus globulus Lab.
495.
Euchlaena Mexicana
Schrad. 256.
Evonymus europaeus 182.
Fagetum 494. 508.
Fagus silvatica L. 509.
524. 536.
ſahnenhafer 251.“ 252. 253.
Jalkorenhhpotheſe 331. 332.
335
Zucht⸗
von
30.
Farbenſinn und Pflanzen-
zucht 186.
Farne 115.“
Faſchinenwald 554.
Faſelbohne 265. 269.
Fays Fruchtbare 414.
Federnelte 101. 116.
Feigbohne 276. 278.
Feigenkattus 214. 217.
Feldahorn 500.
Feldrüſter 500.
Feldwegwarte 285.
Femelſaumſchlag 583.“ 541.
Femelſchlagform 485. 581.“
532. 534.“
Femelwald 479.“ 525.“ 527,
581.“ 605.“
Fetthenne 81.
Feuerbohne 212. 260.“ 265.
268. 279.
Feuerfiſole 267. 276.
Fichte 105. 181. 512. 517.
524. 511.“ 521.“ 566.“
kanadiſche 92.
Fichtenkahlſchlag 540.“
e 4094,
aldi
Fidonia piniaria L. 587.
Fiſole 212. 262. 264. 265.
268. 270. 276. 278. 279.
Flachs 225. 305. 307.
Flatterulme 500.
Flughafex 253.
Föhre 495.
Forle 495.
Forleule 587.
Form der Pflanzung in der
geſchichtlichen Entwick⸗
lung 10.
Formobſtgarten 423.“ 424.
Forſtgärten 560. 562.“
Forsythia 88. 97.
— suspensa 88.
Fortpflanzung, geſchlecht—
liche 320.
Fragaria 417.
— chilensis 418.
— elatior 418.
— erandiflora 418.
— semperflorens 417.
- vesca 417.
— virginiana 418.
Fraise Behnes d’Automne
417.*
— du Chili 417.*
— Cuthills black Prince
417.*
Noetem Nicense
Frantreich 462.
Fraxinus excelsior L. 506.
Freiherr von Berlepſch—
Apfel 393.
Fremdbefruchtung 321. 325.
336.
Fremdlinge 11.
Froſchbiß 84.
Froſchlöffel 86. 93.
Froſt 439.
Froſtbeſchädigungen
576.
Froſtriſſe 576.
Fruchtholzſchnitt 434.
Frühapritoſe, große 402.
Frühe von Trevour 395.
Früher Malingre 422.
Früheſte Gelbe 415.
— der Mark 408.
— von Neuwied 415.
Frühjahrsfröſte 439.
Frühlingsblüher 171.
Funtia 88.
Futtererbſe 269. 270.
Futterpflanzen 314—319.
Futterrübe 281.“ 282.“ 286.
Galanthus Elvesii 92.
— nivalis 92.
Garten, Der neue 34-53.
Gartenbau und Garten⸗
kunſt 186-208.
Gartenerdbeere 418.
Gartengeräte, Entſtehung 5.
417.*
491.
613
Gartengeſtaltung, Abbän-
gigteit derſelben von
der Baukunſt 16.
Gartenheim 35-41.
Gartentünſtier 35.
Gartenpflege 4.
Gartenſtandorte der Pflan-
zen 73.
gebaute 75.
naturgemäße 74.
Gartenſtauden-Spirden 95.
Gartenvergißmeinnicht 95.
Gastro ann pini L. 587.
Geißfußpfropfen 436,
Geißtlee 318,
Gelbe Seidentraube 422.
Gelber Muskateller 422.
Gemüſe 387.
Gemüſearten, Überſicht 150.
Gemüſegarten 138,
Genußreife 441.
Georginen 94.
Gerſte 212. 219. 227. 228,
231. 232. 233. 236. 238.
241. 246 — 253. 270. 321.
325.
ſechszeilige 249.
vierzeilige 249. 251.
wildwachſende 250.
zweizeilige 249. 251.
Geſchichte vom Pflanzen
133.
Geſchichte der Waldwirt⸗
ſchaft 471.
Geſtein oder ſteiniger Boden
128.
Gejundbeitsfaftoren der
Waldluft 605.
Getreide 227—258.
Getreideproduktion 356.
Gewächshäuſer 195.
Gichtbeere 414.
Gladiolen 95.
Glastirſche 406.
Gleditſchie 183.
Glyeeria spectabilis 90.
Glyzinen 131.*
Goldhopfen 96.
Goldranuntel 88.
Goldregen 97.
Goldreinetten 391.
Gräſer 228.
Grauerle 508. 508.“
Gravenſteiner 392.
Großer Mignonpfirſich 404,
Gründungung, Vorzuge der
142.
Grüne Flaſchenbeere 415,
Grünerlen 518.
Gruppenpflanzen 171.
Gulderlinge 391.
Gunera scabra 95.
Gurten 156.
Gurtengemüſe 156.
Gute Louiſe von Avranches
396.
HackerſcherRechen 564.7565.
565.“
- Säapparat 561.“ 563.
Hackfrüchte 279— 208.
Hafer 212. 219. 227. 228.
231—236. 240. 241. 247.
249. 250. 252254. 273.
332.
Landſorten 253.
— nackte 253.
Haferpflaume 409, 42.“
Hagebutteneinfuhr 49.
Hagelſchaden 579.
Hainbuche 181, 408.
Halbſtämme 85.
Halbſtauden 137. 171.
— größere, für Böſchungen
137.
Hallimaſch 583.
Handelspflanzen 298 — 313.
Hanf 224. 301. 306.* 307.
— Bologneſer 221. 224.
614
Hartweizen 238. 241.* 246.
Haſel 97.
Haſelnuß 411.
Haſelnußeinfuhr 449.
Haſelnußſtrauch 412.
Hausgarten 377.
Hauszwetſche 410.
Hecken 179.
Heckenlabyrinth 183.“ 184.“
Heckenpflanzen 181.
Hedelfinger Rieſenkirſchen
408.
Hedera Helix 82. 92.
Hedysarum
319.
Heidegärten 178.
Heidepflanzen 177. |
Heidewacholder 108.
Heil- und Zauberpflanzen 2.
Helianti 298.
Helianthus macrophyllus
298.
— tuberosus 297.
Hellerlinſe 273.
Hemerocallis-Arten 94.
Hepatica triloba 91.
Heracleum barbatum 94.
Herbſtäpfel 391. 394.
Herbſtbirnen 397. 442.
Herbſtheidetraut 101.
Herbſtreinette 393.
Herkulestraut 94.
Herztirſche 406.
Herzogin von Angouléme—
Birne 396.
Heuwurm 422.
Hexenbeſen 583. 583.“
Hickoria ovata Baitton
503.
Hickory 503.
n
ID),
Himbeeräpfel 391.
Himbeerſtrauch 415.
Hippophae rhamnoides
182.
Hirſe 212. 219. 228. 231. 250.
Hochdurchforſtung 571.
Hochwald 518. 521.
Hochwaſſer 601.
Holderſpritze 438.
olzapfel 373.
Holzarten 487.
5 482.
Holzbirne 395.
Holzfällung 527.“ 530.
Holz, tragbares 435.
Homagnolie 505.
Hönings Früheſte 415.
Hopfen 94. 212. 225. 265.
307-310. 319.
Hopfenbuche 495.
Hordeum distichum 249.
— distichum nutans 251.
— hexastichum 247.“
— spontaneum Koch 245.
250.
— tetrastichum 248.“
Hornet 416.
Hottonia palustris 85.
Hügel mit nährſtoffreichem
Boden 99. f
Hülſenfruchter 258— 279.
Humus 140. 146.
Humulus lupulus 307.
H * morsusranae
coronarium |
Hylobius abietis L. 586.
Hysterium pinastri
Schrad. 583.
Iberis sempervirens 91.
Iffe 500.
Igelweizen 244.
Immergrün 92. 114.
Individualausleſe 337.343,
Intarnattlee 319.
Inſektenpulverpflanze 225.
pomaea 92.
Regiſter.
Iris 88.
— germanica 89. 97,
— interregna 90.
— Kaempferi 89.
— pseudacorus 93.
— pumila 90.
— sibiriea 90. 97.
Italien 459.
Jelängerjelieber 130. 131.
Johannisäpfel 427.
Johannisbeere 413.“ 414.
— Rote Holländiſche 414.
— Rote Kirſch- 414.
Jucunda 418.
Juglandazeen 390.
Juglans einerea L. 504.
— nigra L. 504.
— regia L. 410. 504.
— regia laeiniata 411.
— regia monophylla 411. |
— regia pendula 411.
— SieboldianaMaxim.502.
Juncus zebrinus 90.
Juniperus chinensis 109.
— communis 108.
— hiberniea 49. 109.
— hibernica glauca 68.
— procumbens 113.
— virginiana L. 502.“ 503.
Kahlſchlagform 539.
Kali 432.
Kalt 432. 433.
Kalkanſtrich 437.
Kalmia angustifolia 91.
Kalmus 93.
Kälte 576.
Kalville 391.
— Adersleber 393.
Kämpe, fliegende 560.
Kanadapappel 507.“
Kanadareinette 393.
Kanariengras 228.
Kardonen 158.
Kartoffel 153. 211. 212. 213.
227. 279. 280. 290— 298.
307.
Kaſtanienbaum 411.
— echter 215.
Keimfähigteit 558.
Keimtraft 557.
Kernobſt 390.
Kerria japonica 91.
Kicher, puniſche 265. 269.
Kiefer 495. 517. 524. 495.“
Tafel I.
Kieferntkultur 548.“
Kiefernſchütte 583.
Kiefernſpanner 587.
Kiefernſpinner 587.
Kiefernwurzelpilz 583.
Kirtes-Pflaume 409.
Kirſchbaum 384. 405.
Kirſchen, halbſaure 408.
Kirſcheneinfuhr 449.
Kirſchentonſum 447.
Kirſchfliege 406.
Kirſchpflaumenbaum 409.
Klapperäpfel 391.
Klarapfel, weißer 391.
Klee 315. 317. 318.
— Herkünfte 314.
Kleinbeſtandswald 546.
Klemmpflanzung 566.“ 567.
Kletterroſen 132.
Klima 490. 596.
Klimaraſſen 490.
Knackmandel 405.
Knorpeltirſche 406.
— große ſchwarze 408.
Knoſpenvariation 169.
Königsfarn 88.
n kleinblumige
3.
Kohl 212.
Kohl, wilder 150.
Kohlgemüſe 150.
Kohlrübe 152. 279.
288. 298-299.
286 bis
Kölbelweizen 348.
Kolbenhirſe 228.
Kollerbüſche 477.“
Koloradodouglaſie 513.
Königin der Obſtgärten 404.
Königin Hortenſia 408.
Konſerventirſche 408.
Kopfholzwald 519. 554.
Kopftohl 272. 289.“
Korneltirſche 181.
Köſtliche von
Birne 396.
Kraut 289.
Kräuterbücher 12.
Krieche 409.
Kronenſchnitt 434.
Kronenſtaffelung 489. 490.“
Kronenvegetation 60.
Krummholzzone 494.
Küchengewürze und Duft—
pflanzen 160.
Kulturerbſe 211.
Kulturkreis, aſiatiſcher 19.
— europäiſcher 23.
— indiſch⸗chineſiſcher 21.
Kulturpflanzen 209. 210.
>
Charneu—
Kulturrübe 211.
Kunſt des Pflanzens 33.
Kupuliferen 390.
Kürbis 156. 212.
Küſtendouglaſie 500. 500.“
Lagen, ebene 102.
— ebene mit höherem
Baumwuchs 102.
— ebene mit allgemein ge—
miſchten Bodeneigen—
ſchaften ohne einſeitige
Eigentümlichteiten 102.
Lagerobſt 441.
Lambertsnuß 412.
Landgerſten 251.
Landroggen 248.
Landsberger Reinette 393.
Landſchaftsgarten 26.
Landſchaftsgärtnerei 26.
Landweizen 246.
Langboatsnüſſe 412.
Langbohne 265. 269.
Lärche 105. 497.“ 512. 513.
Lärchentrebs 583.
Larix europaea L. 497.“
512. 513.
— De Gord. 514.
— sibiriea L. 514.
Lathyrus cicera 272.
— odoratus 92.
Lattich 212.
Laubwaldzonen
508.
Lauretum 493. 494.
Lawinen 603.
Laxtons Noble 418.
Lebensbäume 181.502.“ 507.
Leberblümchen 91.
Lederreinetten 391.
Legföhre 508. 517.
Lein 210. 219. 223. 225. 226.
301-307.
— echter 304.
— ſchmalblätteriger 304.
Leindotter 298. 300.
Leitpflanzen 50.
Leiterſaat 559.
Le Lectier 396.
Lemna 84.
Lens eseulenta minor 273.
— Schnittsphahnii 274.
Leucanthemum maximum
493. 495.
Leuchtſtern 91.
Lichthölzer 493.
Licht- und Luftmangel 438.
Lichtwuchsbetrieb 545. 546.“
Liebesapfel 212. 295.
Ligularia subulata 133.
Liguſter 92. 183.
Ligustrum ovalifolium 92.
Mendelſche
Ligustrum vulgare 183.
Linden 510.
Linienmutabilität 322.3233.“
324. 325.
Linſe 219. 259.
268. 273. 274.
— wilde 274.
Linum angustifolium
Huds. 304.
— austriacum 305.
— perenne 305.
— usitatissimum L. 302.“
303.* 304. 305.
— usitatissimum, var.
erepitans Schübl. u.
Mart. 304.
Liparis Monacha L. 587.
Liriodendron tulipifera L.
505.
Lochpflanzung 568.
Lonicera tatarica 183.
Lorbeer 217.
Lord Grosvenor 386. 392.“
Lottirſche, große lange
408.
264. 265.
Lotus 86.
Lueretia-Brombeere 417.
Luftfeuchtigkeit 402.
Luftſauerſtoff 439.
Lupine 213. 223. 260—262
bis 266. 274— 276. 278.
348.
— blaue 276.
— gelbe 261.* 276.
— weiße 275. 276. 278.
Lupinus albus 275.
— angustifolius 275.
— eruikshanskii 275.
— hirsutus 275.
— luteus 275.*
— mutabilis 275.
— polyphyllus 275.
Luzerne 212. 213. 223. 263.
315. 317-319.
Mädeſüß 101.“
Madie 212. 298.
Magnolia grandiflora L.
495.
— hypoleuca
Zuce. 505.
— stellata 92. 124.
Magnolien 92. 97.
Magnum bonum 416.
Mahalebtirſche 407.
Mahonia aquifolium 92.
Mais 212. 213. 224. 227 bis
229. 231. 232.“ 234. 236.
238. 240. 241. 254. 256.
257. 276. 277, 330.
— ungariſcher 255.“
Mammutbäume 495. 502.
Mandarine 216.
Mandel 427.
— bittere 405.
Mandelbaum 404.
Marguerite Marillat 396.
397.
Marktobſt 382.
Maronen 411.
Maßlieb 91.
Maſſenausleſe 337.
Maſtnutzung 472.
Maulbeerbaum 413.
Sa Kleinbeſtandswald
546.
Medicago arborea 318.
— faleata 317.
— sativa 317.
Meerkohl 159.
Meerrettich 159.
Melampsorella caryo Pa
laceum D. C. 583.
Melonen 157.
Meltau 422.
Sieb. et
Geſetzmäßig—
keiten 326. 330. 331.
Mespilus germanica 400.
Mirabelleneinfuhr 449.
Mirabelle, Gelbe Metzer
410
— von Nancy 410.
Mirobalane 409,
Miſpel 401.“
Miſpelſtrauch 400.
Miſtel 583.
Mittelbildung 330. 331.
Mittelwald 478. 519. 550.“
551.
Modiftitabilität 321. 322.
823." 324. 325.
Mohn 219. 223. 298. 300.
301.
Möhre 212. 279. 286. 287.“
288. 289.
Mohrenhirſe 228.
Mohrrübe 152.
Monatserdbeere 417.
Mondbohne 265. 272.
Moniliatrantheit 406.
Montbretia 97.
— erocosmiaeflora 91.
Moorpflanzen 177.
Moosbeeren 176.
Morazeen 390.
Morus 413.
— alba 413.
— nigra 413.
Moſchuserdbeere 418.
Moſtäpfel 384.
Moſtbirnen 384.
Mummel 86.
Musa paradisiaca 143.“
nn ſpontane 324.
Mutation 169. 349.
Mykorrhizen 150.
Myosotis semperflorens 88.
Myriophyllum 85.
Nachverjüngung 526.
Nacktweizen 239. 241. 242.
245. 246.
Nahrungsmittel 209.
Narbonnerwicke 269.
Nareissus pseudonaxeissus
Narziſſen 88.
Naturſchutzpart 610.
Naturverjüngung 547.
Nektarinen 403.
Nelumbo nueifera 86.
Nieotiana 312.
— rustiea 312.* 313.
— tabacum 312.* 313.
0 571.
514.
Niederlande 463.
Niederwald 478. 519. 552.
554.“
Niphetosroſe 169.
Niſthöhlen 182.
Nonne 587.
Nordamerita 467.
Nordtirſche 408.
Nordmannstanne 513. 514.“
515. *
Nuphar luteum 86.
Nutzbarkeit 210.
Nutzgärtnerei 11.
Nutzhecken 181.
Nutzpflanzen 2.
Nymphaea alba 86.
— a 9 purpurata
— Marliacea 86.
u Ppysmaca 86.
— Seignouretti 86.
Oberholz 519.
Obſtanlage 381.
Obſtbau, Rentabilität 388.
Obſtbaumtrebs 433.
Obſtgarten 162.
Obſtgegenden 448.
Obſtlagerung 441.
Obſtmus 451.
Oidium Tuckeri 422.
Otologie 58.
Regiſter.
Olbaum 215.
Olive 216. 225. 300.
Olivier de Serres 396.
Olrettich 298.
Ölmweiden 114.
Onobrychis sativa 318.
Ontartopflaume 409,
Optimum, klimatiſches 402.
Opuntien 217.
Orange 216.
Ortſtein 556.
Oryza sativa 254.“
Osmunda regalis 88.
Oſterreich-Ungarn 453.
Oſtheimer Weichſel 408.
Ostrya carpinifolia Scop.
495.
Oxalis 92.
Palmen 217.
Palmetten 428.
Panolis piniperda Panz.
587.
Papaver somniferum 300,
Pappeln 105. 506.
Papyrus alternifolius 86.
Part, engliſcher 25.
Pastinaca sativa 288.
PBaitinale 288.
Paſtorenbirne 396.
Paulownia 105.
— imperialis Sieb. et
Zuce. 93. 506.
Pelargonie 216. 217.
Peronospora viticola 422.
Peſtwurz 99.“
Petasites 93.
— oftieinalis 99.“
Pezizza willkommi R.
Hartig 583.
Pfaffenhütchen 182.
Pfeffer, ſpaniſcher 212.
Pfeifenſtrauch 183.
Pfeiltraut 93.
Pfennig-Linſe 273.
Pferdebohne 270.
Pfirſich 388, 427.
Pfirſichbaum 402.
Pfirſicheinfuhr 449.
Pfirſichſorten 404.
Pflanzenanordnung 83.
Pflanzen für beſchattete
Bäche und Abflüſſe 94.
— für Böſchungen 134.
— höhere für Böſchungen
136.
— niedere für Böſchungen
136.
— für ſchattige Böſchungen
137
— fürGejftein oder ſteinigen
Boden 128.
— für Hügel mit nährſtoff—
reichem Boden 99.
— für gebaute Rinnſale 94.
— für Trockenmauerwerk
ohne Mörtel mit Erd—
fugen 132—133. 2
— für Ufer mit nährſtoff—
reichem Boden 96.
— im ſtehenden oder lang⸗
ſam fließenden Waſſer
mit nährſtoffreichem
Boden 84.
— ſtädtiſch vornehm wir—
kende 66.
— zweijährige 171.
Pflanzenbezug 560. a
Pflanzengeſtalt, Bezieh⸗
ungen zum Standort 58.
Pflanzenzucht und Farben—
ſinn 186.
Pflanzſcheibe 79.
Pflanzung 557. 560.
— Form der 10.
Pflanzungen nach dem
Motiv der Lebens—
gemeinſchaften der
Pflanzen i. d. Natur 29.
Pflanzungsmöglichteiten 46.
Pflanzweite 569,
Pflanzzeit 568.
Pflaumen 388.
Pflaumenbaum 408,
Pflaumentonſum 447,
Pflaumenländer 465.
Pfropfarten 436.
Pfropfung 351.
Pfundäpfel 391,
Phalaris arundinacen fol.
var. 90.
Phaseolus lunatus 272.
multiflorus 260.*
vulgaris 260.277.7278.“
279.
Philadelphus
183.
Phlox setacea 49.
Phoenix daetylifera 149,*
Phosphorſäure 432.
Phragmites communis 93.
Phylloxera vastatrix 422.
Phyſiognomie der Pflanzen
54—185.
Picea excelsa Mill. 181.
511.“ 512. 517. 524.
521.“ 566.“
— pungens glaucea 118.
Picetum 494. 517.
Pigeons 391.
Pilze 117.“ 160.
Pinguicula 176.
Pinie 404,
Pinus banksiana
508.
— cembra L. 117. 517.4518.
- eorsicana Poir. 497,
- excelsa Wall. 495.
— insignis Dougl. 494.
— Jeffreyi Murr. 498.
— Lambertiana Del. 515.
larieio 117.
— larieio austriaca Poir.
497.
— laricio corsicana Poir.
497.*
— maritima Poir. 494. 497.
montana Mill. 508. 517.
— mughus 110.
— muricata D. Don 494.
— palustris Mill. 494. 495.
- peuce Griesebach 515.
— pinea L. 494,
— pumilio 108.
- sibirica Mayr. 518.
— silvestris L. 495. 495.*
517. 524. Tafel I.
— silv. turfosa L. 517.
strobus L. 514. 516.“
Tafel II.
Pirola 176.
Pirus Achras 395.
— communis L. 394. 395.
— elaeagnifolia 395.
— floribunda 91.
- malus 390.
— nivalis 39.
— pumila 391.
— salieifolia 395.
— spectabilis 91.
Piſſodesarten 586.
Pisum arvense 269. 270.
— sativum 267.“ 268.“ 269.
— Schema 330.
Pitchepineholz 404.
Platanus orientalis L. 495.
Plattäpfel 391.
Platterbſe 268. 272.
Plattenſaat 559.
Plätzeſaat 559.
Plenterwald 479. 525.“ 527.
581.“ 605.“
Polygonum amphibiums6.
— fagopyrum 257.*
— polystachium 94.
— sachalinense 94.
coronarius |
Lamb. |
|
I
Ponia silvestris 373.
Pomazeen 390.
Pomeranze 216,
Populus alba L. 96. 504.“
506.
— ürgenten 96.
canescens Smith, 506.
italica pyramidalis 96,
monilifera Aiton 507,
507.“
nigra L. 96. 506.
robusta ant, 507,
tremula 510,
Potamogeton 85.
Phragmites communis 99.“
Pride of Rochester 91.
Primeln 55.“
Primula acaulis 55.“
elatior 92.
Japonica 91.
rosen 88.
Prinzeſſintirſche, große 408.
Prostauer Pfirſich 404.
Prünellen 451.
Prünelleneinfuhr 449,
Prunus acida 406.
Armeniaca 401.
avium L. 405.* 500, 406.
cerasifera 409,
cerasus 406.
domestiea 408.
duraeina 406.
zaliana 406.
insititia 409,
italien 409.
Mahaleb 407.
Pissardi 91.
serotina Ehrh. 506.
sinensis fl. albo 407.
spinosa 183,
tomentosa 88.
triloba 88.
Pseudotsuga
Carr. 501.“
— glauca Mayr. 513.
- macrocarpa Mayr. 49.
Puffbohnen 159.
Pyramide 429.
Pyrethrum roseum 225.
Quellen 599,
Quereus cerris L. 500.
ilex L. 495.
palustris Münch. 516.
peduneulata Ehrh. 499,
pubescens Wild. 495.
rubra L. 515. 607.
sessiliflora Salisb. 499.
509.
suber L. 49.
Quitte 398.
Quitte von Angers 427.
- japaniſche 309.
Portugieſiſche 399. 401.
Quitteneinfuhr 449.
Rambour 391.
Rambourreinette 391.
Ranunculus aquatilis 86.
Raphanus sativus 152.
Raps 212. 223. 287.
bis 300.
Raſen 79.
Raſenſteinbrech 100.
Rauchſchäden 589.
Rauhreif 582.
Reas Mammutquitte gun.“
Reblaus 422.
Rebſteckenniederwald 553.
Regenmenge 597.
Reineclaude 409.
Althanns 409.
— große, grüne 410.
Reineclaudeneinfuhr 449.
Reinette 401.7
— grüne 391.
— rote 391.
Reinigungen 570.
Reis 212. 227— 229. 236. 28.
241. 254.“
Doyglasii
298
616
Reiſerfiſolen 276.
Renaiſſance 14. 16. 19.
Rettich 152.
Rieſen 573. 573.“
Riſpenhafer 252.“ 253.
Riſpenhirſe 228.
Rhabarber 93. 95. 158.
Rheum offieinale 93.
Rhododendron 61.
Rhus 93. 97.
Ribes alpinum 94.
erossularia 414. 416.“
nigrum 414.
rubrum 414.
— sanguineum 91. 97.
Rieſenmiſpel, Holländ. 400.
Rieſennuß, Halliſche 412.
Rigolen 426.
Rillenſaat 559.
Rindenbrand 575.
Ringäpfel 451.
Rinnſale, gebaute 94.
Rivers Frühpfirſich 404.
Robinia pseudacacia L.
498.
Robinien 119.
Roggen 212. 213. 219. 227.
228. 231—233. 236— 239.
241. 246.“ 247. 253.
Rohrkolben, breitblättrige
98. *
Rollegge 536. 536.“
Rosa arvensis 116.
— multiflora 91.
Roſaprimel 88.
Roſazeen 390.
Roſenäpfel 391.
Roſenformen 164.
Roſengarten 163.
Roſenzucht 168.
Roßtaſtanie 411. 506.
Rotbuche 509. 524. 536.
Rote Triumphbeere 415.
Roter Eiſerapfel 393.
Rotklee 211. 213. 223. 262.
314—318.
Rübe 212. 326.
— rote 152.
Rubin 91.
Rübſen 212. 298-300.
Rubus caesius L. 416.“
— frutieosus 416.
— Idaeus 415.
— villosus 417.
an: Verkürzung der
91.
— Verlängerung der 190.
— Verſchiebung der 191.
Ruhm von Döbeltitz-Erd—
beere 418.
Runkelrübe 279. 280. 283.
286. 287.
Rüſſeltäfer 586.
Rußland 466.
Säapparate 561.“ 563.
Saat 556.
Saatgitter 563.
Saatmenge 558.
Saattiefe 559.
Saatverfahren 558.
Saat⸗Wicke 272.“ 273.
Saatzeit 560. 562.
Sachalinknöterich 314.
Sagittaria sagittifolia 93.
Salat 151.
Salix alba L. 507.
— babyloniea 96.
— V. brizensis 96.
— caprea 92.
— fragilis L. 507.
— pendula nova 92.
— vitellina 96.
Salvinia natans 84.
Salweide 92. 97.
Samenbezug 557.
Sanddorn 182.
Sandlupine 223.
Saubohne 271.
Regiſter.
Sauerdorn 184.
Sauertirſche 406. 407. 408.
Sauerklee 92.
Sauerwurm 422.
Saumſchlagformen 541.
Saxifraga 96.
caespitosa 100,
Sarifragazeen 390. 414.
Schalenobſt 410.
Schälwald 499. 552.“ 553.“
Scharlacherdbeere 418.
Schattenmorelle 383. 408.
427.
Schatthölzer 493,
Scheibenäpfel 451.
Scheinzypreſſen 502. 502.“
507.
Schilf 93.
Schilflilie 93.
Schilfrohr 99.“
Schimmelpilze 442.
Schirmfläche 433.
535.“ 537. *
Schlehe 183.
Schleheneinfuhr 449.
Schlingpflanzen 18.
Schlingroſen 132.
Schlotteräpfel 391.
Schneebruch 580. 582.“
Schneeglöckchen 92.
Schneitelbetrieb 519.
Schnitt 434.
Schnurbäume 428.“
Schöner von Boskoop—
Apfel 393.
— von Chatenay 408.
Schotengemüſe 159.
Schotenpfeffer 157.
Schutzpflanzung 382.
Schwarzerle 517.
Schwarzhafer 254.
Schwarztiefer 107. 497.
Schwarznuß 504.
Schwarzpappel 506.
Schwarzwurzel 153.
Schweden 461.
Schwefelſchnitte 442.
Schweiz 465.
Schwellen 539. 539.“
Seilla sibirica 92.
7 anatolicum Boiss.
247.
— cereale 246.*
— dalmatieum Vel. 247.
— fragile M. B. 247.
— montanum Guss. 245.
Sedum Iydium 133.
— maximum 97.
— spurium 80. 92. 95. 100.
110.
Seeroſe 86.
Seeſtrandstiefer 494. 497.
Seidenpflanze, ſyriſche 301.
Seidenraupe 413.
Seilen der Stämme 529.“
530.
Selbſtbefruchtung 322.
Selektion der Natur 336.
Seneeio Wilsonianus 94.
Senf 212. 298. 314.
Wade gigantea Deesen
502.
— sempervirens Endl. 495.
Serbien 465.
Serradelle 260. 263. 264.
266. 314.
Setaria 228.
Setzſtangen 566.
Sichelluzerne 317.
Silberpappel 92. 504.“ 506.
Sliwowitz 465.
Soja 260. 262. 265.
Sojabohne 211.
Ya commersoni 290.
294.
— Maglia 290. 294.
— tuberosum 290,
Sommeräpfel 391. 394. |
Sommerbirnen 396.
Sommerblumen oder ein-
jährige Pflanzen 171.
Sommer- und Herbſtblüher
171. |
Sommergerſte, vierzeilige
251.
Sominerlinde 510.
Sommer-Marguerite 94.
Sommerroggen 248.
Sommerweizen 246.
Sonnenblume 298.
Sonnentau 176.
Sorbus aucuparia 398.
— aucuparia duleis 398.
— aucuparia rossica 398. |
— domestieca L. 397. 500.
— torminalis L. 397. 500,
Sorghum 228.
Spaliere, frei gezogene 429.
Spalierzucht 376.
Spaltungsgeſetz nach Ba—
ſtardierung 327.
Spargel 158.
Spargelbohne 269.
Spartium scoparium 112,
112.
Speierling 500.
Speierlingbaum 397.
Speiſekürbis 93.
Spelz 212. 219. 242246.
Spelzweizen 239. 242.“ 245.
246. 249.
Sperbervogelbeere 397.
Spierlingsvogelbeere 397.
Spilling 409. 5
Spinat 155.
— neuſeeländiſcher 211.212.
Spindelbaum 430.
Spiraea 94.
— arguta 91.
— Bumalda „Walluf“ 91.
— sorbifolia 94.
— ulmaria 101.“
Spitzahorn 509.
Spitzäpfel 391.
Splittapfel 427.
Spörgel 314.
Sport 169.
Springlein 304. 305.
Stachelbeerſtrauch 414.
Stadtpart 43.
Standorte, ebene 138.
— einſeitig eigenartige na—
turgemäßer Gejtaltung
126.
— gebaute im Garten 75.
— N im Garten
74.
— gebaute für Lianen 131.
— naturgemäße für Lianen
Standortsgemeinſchaft 62.
Stangenfiſole 277.“
Stauden 173.
Staudengemüſe 158.
Stechapfelpflanze 175.“
Stecklingszucht 565.
Steiermark 454.
Steinbeet 178.
Steinbrecharten 96.
Steinmandel 405.
Steinobſt 388. 401.
Steinpflanzen 173.
Steinſchläge 603.
Steinweichſel 427.
Stickſtoff 432.
Stieleiche 499.
Stockvegetation 60.
Strandhafer 90.
Strandnelte 100.
Stratiotes aloides 85.
Strauchweichſel 406.
Strauchwildroſen 116.
Streifenſaat 558.
Streiflinge 391.
Strichapfel 391.
Strutiopteris germanica
88.
Sulla 264. 319.
Sumpfpflanzen-Beete 175.
Sumpf- Schwertlilie, Ja—
pan 89.
Sumpfzypreſſe 495. 507.
Superlativ 416.
Superphosphat 432,
eee 405.“ 406.
07.
Süßtirſchenſorten 408,
Tabak 211. 218. 722
311-313.
— rotblühender 312.“ 313.
Tabatformen 313.
Tafelbirne 396.
Tafelobſt 423.
Tanne 105. 511. 511.“
Tannenfrebs 583.
Taubenäpfel 391.
Taxodium distichum Rich.
495. 507.
Taxus 68.“
— baccata L. 482.“ 483,
512.
— fastigiata 68.
Teppichbeete 185.
Teppichvegetation 58.
Terraſſierungsanlagen
195.8
Tetragonia expansa 212.
Theodor Reimers-Brom—
beere 407.
Thomasmehl 432.
Thuja gigantea Nutt. 502.
502.8
— oceidentalis L. 181.
507.
Thymian 100.
Thymus serpyllum 49.
— villosus 49. 100.
Tilia grandifolia 510.
— parvifolia 510.
Tirol 456.
Tomate 295. 334. 157.
Topftultur 144.
Topinambur 212. 279. 297.
298.
Tortrix buoliana Schiff.
587.
— tourionana Hb. 587.
— viridana L. 587. 588.“
Tradescantia virginiea 90.
95.
Trapa natans 86.
Trametes pini Fr. 583.
— radieiperda R. Hartig
583.
Traubeneiche 499. 509.
Traubeneinfuhr 449.
Traubenwickler 422.
Trauereſchen 98.
Trauertirſche 408.
Trauerweide 92.
Treiberei der Pflanzen 190.
Treibfähigkeit 192.
Trifolium hybridum 319.
— incarnatum 319.
— pratense 315.“
— repens 319.
Teilen aegilopoides 244.
— compactum Host. 244.
348.
— eylindrieum 244.
— dieoceoides 244. 245.
— dieoceum Schrk. 243.“
244.
— durum Desf. 241.“ 244.
— monococeum L. 243.“
244.
— polonicum L. 241. 244,
— Spelta 242.“ 244.
— i L. 240.* 242.
2
— vulgare 241. 244. 348.
Tritoma Uvaria 97.
Trockenmauerwerk ohne
ce mit Erdfugen
Trockenobſteinfuhr 449.
Trojaburg 182.“
Trollblume 95.
Trollius 88.
Trompetenbaum 506.
Tropaeolum majus 92. 94.
Tsuga canadensis 92.
Tulpen 88.
Tulpenbaum 503.“ 505.
Typha latifolia 98.
— minima 90. 9.
überhalt 543. 544.*
Ufer mit nährſtoffreichem
Boden 96.
‚Ulmus campestris L. 500.
— effusa Willd. 500.
— montana With. 500.
Umpfropfen 435.
Umveredeln 435.
Ungarn 457.
Ungleichaltrigteit 525.
Unterbau 545.
Unterholz 519.
Unterfulturen 384. 387. 430.
Urwald 473.“ 474. 475.“
Variabilität 321—336.
— nach Baſtardierung 326
bis 336. 348.
— ſpontane 322-326.
Variation morphologiſcher
Eigenſchaft 347.
Veilchen 52.“
Veilchentabak, grünblühen—
der 312.“
Verband 569.
Verbascum-Arten 117.
Verbascum thapsus 103.
zen £ d'automne-Apfel
Veredlung 431.
Veredelungszüchtung 340.
Vereins⸗Dechantsbirnes96.
Vererbung 320. 322. 325.
327. 329.
Vererbung, Variabilität
und Modifitabilität 320
bis 326.
Vererbungsweiſe nach Ba—
ſtardierung 351.
Vergißmeinnicht 88.
Verjüngen 435.
Verjüngung, künſtliche 479.
526. 547. 555.
— natürliche 526. 547.
Verſand der Pflanzen aus
nördlichem Klima in
ein ſüdliches 190.
Verſchulung 564.
Vervierpalmetten 428.
Verzierungsvegetation 60.
Aaronſon 244.
Achard 283.
Alefeld 270.
Amphilochus 318.
Anaſtaſia 313.
Ariſtomachus 318.
Ariſtoteles 318.
Baſſermann-Jordan 419.
Baur 335.
Beijerinck 301.
Berg 316.
Bernard, Noel 296.
Berthault 290.
Biffen 348.
Birger 292.
Bock, Hieronymus 256. 268.
Borchardt 276.
Bronner, J. P. 420.
Bruyter, De 230.
Buſchan 211. 274.
Regiſter.
Vieiae 265.
Vieia faba 259.“
faba major 270.
faba minor 270. 271.“
sativa 272.“ 273.
— villosa 273.
Vietsbohne 21
bis 268. 27
Vigna
278.
Vinca minor 82. 92. 114,
Viola odorata 92.
Viseum album L. 583.
Vitazeen 390.
Vitis aretiea 419,
— islandica 419,
— teutonica 419.
— vinifera 418,
Vogeltirſche 406.
Volkspark 44.
Vollſaat 558.
Von Zuccalmaglios Rei
nette 393.
Vorbau 555.
Vorverjüngung 526.
Vorwüchſe 528. 538.
Wacholderarten 108.
Wachsreinetten 391.
Waldbäume 108.
Waldbrände 588.
* klimatiſche
„ 2080.
278.
2 265
6
Waldeiſenbahn 572,* 573,
Waldertrag 591.
Waldfarn 88.
i Deutſchlands
— Europas 592.
Waldlandſchaft 609.“
Waldplatterbſe 211. 314.
Waldſchönheitspflege 606.
Waldwirtſchaft, Geſchichte
469. 471.
Walnußbaum 410.
Walnußeinfuhr 449.
Wangenheims Früh⸗
zwetſche 410.
Warmwaſſerverfahren 193.
Waſſer-Aloe 85.
Waſſerbeckenböſchungen 98.
Waſſerbecken als Brunnen=
oder Springbrunnen⸗
becken 87.
Waſſerbeete 87. 174.
Waſſerfarn 84.
Waſſerhahnenfuß 86.
Waſſerknöterich 86.
Waſſermangel 438.
Waſſernuß 86.
Waſſerpflanzen-Beete 174.
Waſſerpflanzen, feſt⸗
wurzelnde 85.
— ſchwimmende 84.
melanophthalmus |
1
Waſſerrübe 152. 279.
287. 288. 299.
Webbs Preisnuß 412.
Wechſelwirtſchaft 141.
Weichſeleinfuhr 449.
Weidenheeger 554.
Weidenkopfholz 519.“
Weigelia 91.
Wein 214. 225.
Weinkultur 196. 197.
Weinpreſſe 104.“
Weinſtock 418.
Weißbirke 122.
Weißdorn 181.
Weiße Magdalene 404.
Weiße Verſailler Johannis
beere 414.
Weiße Winterkalville 303.
Weißer Gutedel 422.
Weißhafer 254.
Weißklee 211. 319.
Weißpappel 105.
Weißtanne 511. 511. 571.“
Weizen 212. 213. 219. 227.
228. 231— 233. 236. 238.
239.“ 241. 244 — 247. 250.
253. 256. 319. 320. 326.
330.
gemeiner 243. 244.
harter 244.
— polniſcher 241.“ 242, 244.
246
286.“
1
— ſchwellender
bis 244. 246.
Weizenſorten 246.
Welſchtorn 256.
Werkzeuge 5.
Weymouthstiefer 514. 516.* |
Tafel II.
Whinhams Induſtry 415.
Wicke 212. 263 265. 268.
272. 273. 348.
— haarige 273.
Wickler 587.
Wildhafer 239. 253.
Wildtirſche 500.
Wildpflanzen 2. |
Wildſchäden 584.
Wildverbiß 477.“ 584.“ 585.
Wildwein 96.
Williams Chriſtbirne 395.
Wind 577. 598.
Windbruch 578. |
Windgeſcheerte Fichten
576.“ 578.
Windröschen 92.
Windſchutzgürtel 597.“ 598.
Windwurf 577.“ 578. 579.“
Winteräpfel 394. 391. 467.
Winterbirnen 397.
Winter-Dechantsbirne 396.
Wintererbſen 270. 273.
Wintergerſte 251.
240.“ 242
Autoren, Pflanzer, Züchter.
Candolle de 210. 211. 244.
245. 290.
Cieslar, A. 490.
Cimbal 246.
Cluſius (Charles de I'E-
eluse) 291.
Columella 253. 275. 285
318.
Comes 313. >
Correns 326. 330. 331. 335.
Cotta, H. v. 481.
Couteur, Le 346.
Darwin 210. 266. 5
Darwin, Ch. u. Fr. 265.
Delpino 266.
Demtſchinsty 233.
Dietrich 264.
Dix 239.
Dodonäus 316.
Drude 215.
Eberhard 543.
Endres, M. 591f.
Engelbrecht 214. 242. 247.
Engler, Arnold 274. 400.
Eſperen, Major 394.
Jeane Ser 528.
eehner 230.
ellenberg, v. 317.
iſcher 258.
raas 211. 231.
Frommel 316.
Gallo, Agoſtino 316.
Gaſſner 235.
Gayer, K. 484. 531.
Goethe 427.
Gradmann 212. 218. 219.
242. 245.
Eaſt 291. 295. 334. |
Gray, Aſa 279.
Grieſebach 58.
617
Winter⸗Goldparmäne 393,
Winterhaſer 254.
Winterlinde 510.
Winterroggen 233, 248,
Winterweizen 233, 246,
Winterwicken 273.
Wirtſchaftswald 518,
Wistaria chinensis 131,
Wolfsbohne 276.
Wundbehandlung 436,
Wunder von Vollwetler
411.“ 412.
Wurzelgemüſe 152.
Wurzeltypen 566.
Zaunwinde 94,
Zea canina Wats. 256,
Mays 255.7
Schema 330,
Zedern 500.
Zeidlerei 472.
,elkora Keaki Dippel 505.
Zerreiche 500.
Zichorie 212. 284.“ 285.7
Stergärtnerei 11.
Zierhecken 183.
Zirbel 107. 517.“ 518,
Zitrone 216.
Zollinger 58.
Zottelhafer 251.
Zottelwicke 211. 273. 314,
Zuchterzeugniſſe, Einfüh
rung außerdeutſcher
195.
Züchtungsarten 340— 351.
Züchtung durch Ausleſe
ſpontaner Variationen
340. 347. 348.
— durch Baſtardierungg40.
351.
durch Formentrennung
340. 345. 346. 347.
Zuckerahorn 516.
Zuckerföhre 515.
Zuckermais 238. 256,
Zuckerrübe 279. 280.“ 281.
282. 283. 284. 285. 286,
Zürgelbaum 500.
Zweikorn 242. 243. 244.
245. 246.
Zwergapfelbaum 391.
Zwergkiefer 108.
Zwergmandel 405.
Zweigobſtbäume, Düngung
der 431.
Zwetſchen 388.
Zwetſchenbaum 408.
Zwetſcheneinfuhr 449.
Zwetſchenkonſum 447.
Zwiebelgemüſe 155.
Zwiebelpflanzen 171. 172.
Zwiſchenpflanzung 385.
Zwiſchenveredlung 427.
Zypreſſen 217.
Guignard 255.
Hackel 236.
Hahn, E. 209. 210.
Hall 238,
Hardenpont, Nikolaus 394.
Harshöberger 256.
Hartig, G. L. 481.
Hatſchto 27g.
Heckel 290,
Hehn 211. 212. 216. 273.
274.
Heize 271.
Helbig, M. 560.
ellriegel 263. 264.
deresbach 275. 276. 318.
Herborn, Math. 291.
Herodot 271. 305. 307.
Heyer⸗Heß 558.
Hildebrand 258.
Hiltner 263. 264.
618
ippokrates 372.
805 250.
Hochberg, v. 276.
Höck 257.
Homer 278.
Honſell, M. 601.
Hoops 211. 219. 245. 247.
doop
250.
Hoptins 341. 359.
Howard 268. 313.
Hroznuy 250. 271.
Humboldt, A. v. 58. 107.
Hurſt 332.
De 291.
Jacquot 591.
Yes Helene 260.
Jettas 311.
Johannſen 337. 342. 343.
Kaumann, N. 467.
Kerner 257.
Kießling 240. 269. 340.“
Kirchner, v. 267.
Koch, K. 395.
Körnicke, Friedrich 244. 245.
250. 253.
Korſhinsti 419. 420.
Kotſchy 24.
Kraus 230. 233. 269.
Lang 33g.
Langetal 276.
Laur 353.
Lemmermann 264.
Regiſter.
Lenötre 28.
Linné 15.
Lochow, v. 248. 340. 341.
Longfellow 256.
Luecilius 307.
Mansholt 251.
Marchet 591 f.
Marggraf 283.
Martinet 316.
Maſpero 245.
Maximowicz 257.
Mayr, H. 490. 492 ff. 505.
515 ff. 546.
Mendel 325. 326. 327. 328.
Meyer 316.
Mödling 264.
Möller, M. 583.
Mottereale 264.
Much, R. 219.
Müller, Alex. 296.
Müller-Thurgau 296.
Naudin 325.
Nawaſchin 255.
Neander, Johann 313.
Neergard, v. 339.
Neumann-Partſch 275.
Neuweiler 305.
Night 232.
Nilsſon, H. 347.
Nilsſon-Ehle 332. 334. 343.
347 — 349.
Nobbe 263.
Nowacki 209. 230. 237.
Oppel-Alwien 254.
Oſtermayr 353.
Pausner, v. 414.
Petlo 282.
Pfennig 268.
Pierre 238.
Plinius 150. 247. 257. 263.
Portheim, v. 260.
Probus 421.
Prostowetz 231. 283. |
Puſter 586.
Radde 283. |
Reuß, H. 560.
Rümter, v. 248. 360.
Salfeld 264.
Schindler 239. 247.
Schuber 283. 322.
Schubart 316.
Schübeler 279. 288. 310.
Schultz⸗Lupitz 231. 276.
Schweinfurth 245. 271. 305.
Schwendt 273.
Seelhorſt, v. 294.
Sikorsti 296.
Skalweit, Dr. 458.
Smith 341.
Solemacher, v. 447.
Solms, Graf 244.
Sperling 248.
Stahl 265.
Stapf 244.
Störmer 301.
Stratoſch 282. 360.
Strasburger 307.
Strohmer 282.
Stumpf 317.
Tacitus 373.
Tarello Camillo 316.
Tedin 269.
Teſchedit 317.
Theophraſtus 151. 372.
Thoms 301.
Tommes, Tine 302.
Trabut 253.
Tſchermat, v. 236. 326. 331.
334. 351.
Tſchiffeli 317.
Unger 245. 270. 305.
Valerius Cordus 375. 394.
Veronica 94.
Vilmorin, de 246. 284.
Vries, de 326. 335. 337.
Wagner, Ch. 542.
Waſſilieff 268.
Webber 351.
Weinzierl, v. 232.
Werner 276. 314.
Wettſtein, v. 267. 290. 305.
Wheldale, Miß 335.
Wilfahrt 263.
Wittmack 211. 279. 290.
Woyeickti 236.
Zeiner 349.
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