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AS SCHRIFTWESEN
TELALTER
W. WATTENBACH.
LEIPZIG
ERLAG VON S. HIKZEL.
1871.
£\. "3 "3 ^10.
VORREDE.
Ein Buch über das Schriftwesen im Mittelalter zu schreiben
ist schon lange meine Absicht gewesen; ich habe seit vielen
Jahren dafür gesammelt. Zum Abschlufs fehlte jedoch noch
immer viel; eine Menge von Bibliothekskatalogen und anderen
Werken war noch durchzunehmen, und von diesen Werken
waren viele mir unzugänglich; andere hatte ich nur vor län-
gerer Zeit und auf Reisen flüchtig eingesehen. Wollte ich nach
Vollständigkeit streben, so mufste ich mir wohl sagen, dafs
auf die Vollendung der Arbeit kaum zu hoffen sei. Da ich
nun von verschiedenen Seiten gedrängt wurde, auch selbst oft
genug Gelegenheit hatte wahrzunehmen, wie sehr es an einem
solchen Buche fehle, habe ich mich zum Druck entschlossen,
in der Hoffnung, dafs für die wesentlichsten Gesichtspunkte
meine Sammlungen sich ausreichend erweisen würden. Wäh-
rend des Druckes, der in diesem Kriegsjahre sich in die Länge
zog, fortwährend mit Werken, die auf solche Gegenstände sich
beziehen, beschäftigt, habe ich allerdings noch viel nachzu-
tragen gefunden, aber der Text wird davon nur an sehr
wenigen Stellen berührt. Fast das ganze hinzugekommene
Material hätte ich eben so gut für eine neue Bearbeitung ver-
sparen können; handelte es sich doch grofsentheils nur um mehr
Beispiele, wo Vollständigkeit gar nicht beabsichtigt war. Da
ich aber den gesammelten neuen Stoff einmal beisammen hatte,
schien es mir dennoch rathsamer, die Nachträge nicht zu scheuen,
sondern sie am Schlüsse mit einiger Selbstüberwindung dar-
zubieten. Jetzt, da eine Grundlage gegeben ist, wird sich noch
IV Vorrede.
viel beibringen lassen, was zur Bestätigung und als Beispiel
dienen kann, da eine solche, aus lauter Einzelheiten zusammen-
gesetzte Arbeit überhaupt nicht abzuschliefsen ist. Auch Be-
richtigungen werden sich wohl noch mehr ergeben.
Ueber die Einrichtung und Form ist zu bemerken, dafs
die angeführten Stellen in der Regel wörtlich und vollständig
gegeben sind, und zwar zu gröfserer Bequemlichkeit gleich
im Text. Es ist überhaupt unbequem, wenn man zur Benutzung
eines Buches immer eine Bibliothek zur Hand haben mufs, und
in diesem Falle waren gerade viele entlegene und zum Theil
seltene Bücher zu benutzen. Aufserdem sind mir nicht wenige
Mifsverständnisse vorgekommen, welche durch Benutzung ein-
zelner, aus dem Zusammenhang gerissener Stellen entstanden
waren, und deshalb suchte ich durch ausführlichere Citate
meine Auffassung zu sichern.
Mein Wunsch ist, der Darstellung des Schriftwesens eine
Geschichte der Schrift folgen zu lassen, worauf auch die Ein-
leitung hindeutet. Der Ausführung stellen sich jedoch bedeu-
tende Schwierigkeiten entgegen, und ob sie gelingen werde,
ist zweifelhaft. Dieses Buch aber stellt sich, vollkommen unab-
hängig von dem Schicksal des gröfseren Planes, als ein selb-
ständiges und abgeschlossenes dar.
Heidelberg, den 20. December 1870.
W. WattenbacL
INHALT.
Einleitung
Seite
1. Die Anfänge der Diplomatik 1
2. Dom Jean Mabillon und die Congr6gation de St. Maur 9
3. Der Nouveau Trait6. Deutsche Diplomatiker # 15
4. Die neue Zeit. Scheidung der Paläographie von der Diplomatik . 21
5. Griechische Paläographie 2S
Das Schriftwesen des Mittelalters.
i.
Schreibstoffe.
1 . Stein und Metall 34
2. Wachstafeln 38
3. Thon und Holz . 62
4. Papyrus 66
5. Leder 76
6. Pergament 78
Farbiges Pergament 86
7. Papier 92
II.
Formen der Bücher und Urkunden.
t. RoUen 99
2. Bücher 111
3. Urkunden 117
m.
Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
1. Die Zubereitung des Stoffes 129
2. Liniirung 134
3. Dinte 137
VI . Inhalt.
Seite
4. Rothe Farbe 143
5. Goldschrift 146
6. Verschiedenes Geräth 153
7. Das Schreiben . ; 161
8. Palimpseste 169
IV.
Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
1. Kritische Behandlung 184
2. Malerei .- 196
3. Einband 222
4. Fälschungen 232
V.
Die Schreiber.
1. Benennungen im Alterthum und Mittelalter 241
2. Mönche als Schreiber 247
3. Die Kanzleibeamten 266
4. Lohnschreiber 273
5. Schreiblehrer 283
6. Unterschriften der Schreiber 285
VI.
Buchhandel.
1. Die Griechen und Römer 293
2. Büchererwerb durch Abschrift 297
3. Bücherkauf im Mittelalter 300
4. Anfänge des Buchhandels 306
VII.
Bibliotheken und Archive.
t. Kirchenbibliotheken 319
2. Sammlungen einzelner Personen 332
3. Oeffentliche Bibliotheken 338
4. Einrichtung der Bibliotheken 349
5. Die Archive 358
Schlusswort 369
Berichtigungen und Nachträge 371
Register 391
EINLEITUNG.
§. i.
Die Anfänge der Diplomatik.
4
Das Sfehriftwesen des Mittelalters, die Geschichte der Schrift
selbst, und was sich sonst noch daran knüpft, ist bis auf die
neueste Zeit nur nebensächlich behandelt worden, als Theil
und Htilfswissenschaft der Urkundenlehre oder Diplomatik,
und an diese haben wir uns daher zunächst zu halten, um über
die betreffende Litteratur einen Ueberblick zu gewinnen.
Lange hat es gedauert, bis man es überhaupt für nöthig
hielt, den Veränderungen der Schrift eine besondere Aufmerk-
samkeit zuzuwenden. Als man zuerst anfing, Handschriften
abdrucken zu lassen, war eine Schrift üblich, welche zu den
schwierigsten des Mittelalters gehört. Wohl gab es deutliche,
auch für uns leicht lesbare Manuscripte, aber wer irgend mit
dem Schriftwesen damals sich befafste, kam fortwährend in
die Lage, flüchtig geschriebene, von Abkürzungen tiberfüllte
Schriften lesen zu müssen. Er war darin geübt, es war das
sein Ausgangspunkt. Die Abbreviaturen galten so sehr als
geläufig für jeden, der überhaupt las, dafs sie ganz unbedenk-
lich auch in die Druckwerke aufgenommen wurden. Aeltere
Handschriften waren sehr viel leichter zu lesen ; die Ausnahmen
zu selten, um besondere Aufmerksamkeit zu erregen.
Mit der Veränderung der gebräuchlichen Schrift und dem
Uebergang zu reinem Buchstabendruck änderte sich freilich
die Sachlage, und fehlerhafte Abdrücke lassen die wachsende
Wattenbach, Schriftwesen. t
2 Einleitung.
Schwierigkeit des Lesens, den Mangel an Uebung erkennen,
allein an eine wissenschaftliche Behandlung der Geschichte der
Schrift, oder auch nur an eine Anleitung zum Lesen der alten
Schriften, scheint doch noch niemand gedacht zu haben. Es
war noch eine Kunst, welche mehr handwerksmäfsig tiberliefert
und erlernt wurde.
Den ersten Anstofs zu ernstlicher Behandlung der Paläo-
graphie gab die erwachende Kritik. !Nicht die philologische.
Man mufste freilich bei der Herausgabe alter Autoren zwischen
verschiedenen Handschriften unterscheiden, allein das Alter
gab doch keinen Mafsstab für den Werth. Man rühmte wohl
Codices reverendae vetustatis, aber auf genauere Altersbestimmung
kam in der That wenig an. Von minutiösen Untersuchungen
über die Filiation der Handschriften, von einer Eintheilung
derselben in Gruppen und Familien, ist bis auf die neuesten
Zeiten keine Eede gewesen.
Anders dagegen verhielt es sich mit den Urkunden.
Hier stiefs man auf Schriften, welche nicht leicht zu lesen
waren, und hier sah man sich auch bald genöthigt, Fragen
über Echtheit und Unechtheit zu erörtern.
Urkunden sind in bestimmter, gesetzmäfsig geregelter
Form ausgestellte Schriftstücke von rechtlicher Wirkung. So
lange es dergleichen Documente gegeben hat, so lange ist auch
die Versuchung vorhanden gewesen, sie zu fälschen, und man
hat dagegen sich sichern müssen. Das geschah durch Register,
welche von öffentlichen Behörden geführt wurden, und auch
Privat-Urkunden können durch Eintragung in öffentliche Bücher
gesichert werden. Bei Griechen und Römern ist in dieser Be-
ziehung eine vollständig geregelte Geschäftsführung vorhanden
gewesen; wir besitzen aber leider die Register nicht mehr,
und sind deshalb z. B. in Betreff der Psephismen, welche bei
den attischen Rednern vorkommen, allein auf innere Kritik
angewiesen.
Im Mittelalter ist die Geschäftsführung vielfach mangelhaft
gewesen, und in den häufigen Kriegen sind die vorhandenen
Register oft, und zwar schon sehr frühzeitig verloren gegangen.
Die Anfänge der Diplomatik. 3
Von päbstlichen Registern freilich hat man Bruchstücke
schon aus sehr früher Zeit, und vom Beginn des 13. Jahr-
hunderts an sind sie fast vollständig erhalten, aber diese Er-
scheinung ist einzig in. ihrer Art. Von weltlichen Höfen läfst
sich vor dem 12. oder 13. Jahrhundert kaum etwas der Art
nachweisen, wenn auch eine Geschäftsführung ohne solche
Hülfsmittel nur sehr mangelhaft sein kann. J. F. Böhmer
legte grofses Gewicht auf eine Urkunde Friedrichs I vom Mai
1182 (4345 Stumpf), in welcher er von einem Privileg seines
Vorgängers, Heinrichs IV sagt: cuius i*escriptum habuimus et etiam
in registro imperii continebatur. Allein diese Urkunde ist nicht
nur unecht, sondern sie bezieht sich auch meiner Ansicht nach
gar nicht auf ein solches Register, d. h. auf ein Buch, in
welches alle vom Hofe ausgegangenen Urkunden eingetragen
waren. Es handelt sich um die Einkünfte und Verpflichtungen
der Reichsburg (domus imperii) zu Nymwegen, und über diese
war natürlich ein registrum vorhanden. Uebrigens aber ist bei
den zahllosen Bestätigungen älterer Kaiserurkunden von Re-
gistern nie die Rede. Schon die Merowinger, welche doch viel
vom alten Geschäftswesen beibehielten, scheinen keine Register
gehabt zu haben, wenigstens nicht in der späteren Zeit der
zunehmenden Auflösung des Reiches. Gregor von Tours
erzählt (10, 19), dafs im Jahre 590 der Bischof Egidius von
Reims dem. König Childebert eine angeblich von ihm her-
rührende Schenkung vorlegte; um diese zu prüfen, wird der
Erzkanzler berufen, welcher sie ausgefertigt und unterschrieben
haben sollte. Dieser erklärte sein Recognitionszeichen für
unecht.
Eben so wenig findet sich bei den Karolingern eine Spur
von Registern. Selbst Karl der Grosse scheint sich auf die
Hinterlegung von Duplicaten der ausgegebenen Urkunden be-
schränkt zu haben. Ein solches hatte auch Heinrich VI von
einem Privileg, welches er selbst früher den Genuesern ver-
liehen hatte; als sie es ihm vorlegen wollten, antwortete er
Ego consimile habeo , et bene novi quid in eo continetur (Mon.
Genn. SS. 18, 112, 21). Im 13. Jahrhundert werden aber die
4 Einleitung.
Register in jeder ordentlichen Kanzlei üblich, und manche davon
sind noch erhalten; auf der Rückseite der Urkunden pflegt
ein grosses R oder R ta (Registrata) von der Eintragung Zeug-
nifs zu geben.
Im 15. Jahrhundert hatte z. B. der Herzog Johann von
Troppau und Ratibor quoddam notabile negistrum, in quo omnes
littere contractuum vendicionum hereditatum censuum annuorum
in ducatu suo de ipsius consensu celebratorum exarate et re-
gestrate de verbo ad verbum fuerunL Dieses Register wurde
1450 benutzt, um die Fälschung ' eines angeblichen Consenses
von 1414 nachzuweisen, wie die merkwürdige Verhandlung im
Cod. Dipl. Siles. 6, 70—73 lehrt.
In dieser- Zeit ist überhaupt regelmäfsige Buchführung die
Regel, und Fälschungen daher schwierig; kaum jemand aber
war im Stande, Urkunden aus älteren Jahrhunderten zu prüfen.
Ist doch z. B. die Bulle des Pabstes Zacharias für Montecasino,
eine ganz plumpe Fälschung, von den Päbsten Honorius III,
Gregor IX und Urban V als echt bestätigt und transsumirt
worden, wie Pertz im Archiv 5, 319 nachgewiesen hat. Von
kaiserlichen Bestätigungen unechter Urkunden ihrer eignen Vor-
gänger führe ich nur die Bestätigung der falschen österreichi-
schen Freiheitsbriefe durch Friedrich IV an, und wenn hier böse
Absicht vermuthet werden kann, so fehlt es daneben nicht an
zahlreichen Confirmationen anderer Ali;, welche von jedem solchen
Verdachte frei sind. Notariats -Transsumte falscher Urkunden
sind so überaus häufig, dafs der darin regelmäfsig enthaltenen
Versicherung der unverdächtigen Erscheinung des Originales
geradezu aller Werth abgesprochen werden mufs.*)
Bei dieser ganz allgemeinen Kritiklosigkeit ist es nicht zu
verwundern, dafs die Masse unechter Urkunden ungemein grofs,
und kaum ein Archiv ganz frei davon ist.
Zu den berühmtesten Fälschungen gehört die Constan-
tinische Schenkung. Sie ist, wie Döllinger in den
Pabstfabeln des Mittelalters p. 61 — 106 ausführlich nachgewiesen
*) vgl. darüber Sickel, Urkundenlehre der Karolinger, p. 21—26.
Die Anfänge der Diplomatik. 5
hat, im 8. Jahrhundert entstanden, ein scheinbares Original
aber wurde erst zur Zeit Otto's III in Rom angefertigt. Sie
war zu ungeheuerlich, um rechten Glauben zu finden, so lange
noch einige geschichtliche Kenntnifs vorhanden war, d.h. bis
ins 12. Jahrhundert, und der nach einer Zeit des dumpfen
Autoritätsglaubens beginnende Zweifel griff sie sofort wieder
an, so Mathias von Janow im 14. Jahrhundert. Unter den
Humanisten hat Laurentius Valla ihre Unechtheit gründlich er-
wiesen. Die paläographische Kritik fand jedoch, da kein Ori-
ginal vorgelegt wurde, hier keine Anwendung. Noch weit folgen-
reicher war die Fälschung der pseudo-isidorischen De-
ere talen. Im 9. Jahrhundert von westfränkischen Geistlichen
geschmiedet, wurden sie vom Pabst Nicolaus I begierig ange-
nommen, und er berief sich auf Originale im vaticanischen
Archiv, welche nicht existirten. pinige Einreden sind von
westfränkischen Bischöfen erhoben, welche um die Entstehung
des sauberen Machwerks wufsten; dann aber verstummt jeder
Zweifel bis an das Ende des Mittelalters.
Mit dem Humanismus erwachte die historische Kritik,
und wandte sich allmählich mit wachsendem Eifer gegen die
kirchliche Tradition. Eine Fülle falscher Legenden und über-
haupt von Erdichtungen aller Art hatte sich zu einem Riesen-
baum von buntester Ueppigkeit entfaltet, und nach den ersten
zögernden Schritten nahm die Kritik einen immer kühneren
Aufschwung. Man verwarf fabelhafte Legenden, untergescho-
bene Schriftsteller, Urkunden welche lange als unantastbar
gegolten hatten.
Wie es nun bei solcher Sachlage zu gehen pflegt, schofs
man über das Ziel hinaus; im 17. Jahrhundert griff Launoi
schonungslos Legenden an, wie die Fabel von der Ueberkunft
des Lazarus mit Magdalena und Martha nach der Provence,
wo der Glaube des Volks mit diesen festgeglaubten Geschichten
eng verknüpft war, und viele andere, so dafs er ajs le denicheur
de Saints bezeichnet wurde; er kritisirte auch alte Urkunden,
und stellte dabei die allgemeine Behauptung auf, dafs alle oder
doch fast alle ältesten Privilegien der Kirchen und Klöster
6 Einleitung.
untergeschoben wären. Noch weiter ging etwas später der
gelehrte, aber zur äufsersten Paradoxie geneigte Jesuit Har-
douin, der durch seine Ausgabe der Naturgeschichte des
Plinius sich einen Namen gemacht hatte, indem er sogar die
meisten antiken Schriftsteller für Fabrikate der Mönche des
13. Jahrhunderts erklärte, was in der That ein gar zu grofses
Compliment für die Fähigkeiten und die Gelehrsamkeit dieser
Ehrenmänner war.
Auf anderem Gebiet bewegten sich die sogenannten diplo-
matischen Kriege, welche in Deutschland seit dem Beginn
des 17. Jahrhunderts mit grofser Heftigkeit geführt wurden,
d. h. Streitigkeiten über die wichtigsten Interessen, für deren
Entscheidung alles auf die Echtheit oder Unechtheit alter Ur-
kunden ankam. So stritt das Kloster S. Maximin mit Churtrier
um seine Unabhängigkeit, die Stadt Bremen mit dem Erzbis-
thum, Magdeburg verth eidigte sein Stapelrecht, das Kloster
Lindau nahm die Hoheit über die Stadt Lindau in Anspruch.
Besonders dieser letzte Streit ist von bedeutender Wichtigkeit,
weil sich an der Frage über die Echtheit eines angeblichen
karolingischen Diplomes bedeutende Gelehrte betheiligten, und
namentlich Hermann Conring hier zuerst eine solche Auf-
gabe in streng wissenschaftlicher Weise zu behandeln lehrte. *)
Vorzüglich dadurch brachten diese Streitschriften grofsen
Nutzen, dafs sie mehr Material zugänglich machten. In Ge-
schichtswerken waren mit begreiflicher Vorliebe recht alte und
merkwürdige Urkunden aufgenommen, aber gerade diese waren
meistens Erdichtungen. Man hatte durchaus keine Möglichkeit
einer erfolgreichen Prüfung, denn woher sollte man die Regeln
nehmen, wo nicht etwa gerade bekannte geschichtliche That-
sachen gröblich verletzt waren ? Selbst ein bedeutendes Archiv
bot für die karolingische Zeit nur ungenügendes Material. Die
Archive aber hielten nach altem Herkommen ihre Schätze mög-
lichst geheim. Das ging nun nicht mehr, wenn man seine
Ansprüche urkundlich beweisen wollte, und zur Prüfung der
*) s. Schönemanns Dipl. 1, 55—62. Sickel 30—33.
Die Anfänge der Diplomatie. 7
vorgelegten Urkunden wurden wieder möglichst viele andere
beigebracht. Doch blieb noch immer die Masse sehr gering,
und enthielt eine bunte Mischung von echten und falschen Ur-
kunden.
Dieselbe schwierige Frage trat von anderer Seite den
Bollandisten nahe. Jene schonungslose Kritik, welche alte
Heiligengeschichten einfach als Mönchsfabeln verwarf, rief eine
Gegenwirkung hervor, welche mit dem innerhalb 'der katho-
lischen Kirche eintretenden religiösen und wissenschaftlichen
Aufschwung in genauem Zusammenhang steht. Wie Baronius
in seinen Annalen der römischen Kirche den Magdeburger
Centuriatoren mit Preisgebung unhaltbarer Erdichtungen ein
urkundlich begründetes Werk entgegenstellte, so empfanden
auch die Jesuiten die Notwendigkeit, von den Legenden der
Heiligen die ganz unhaltbaren fallen zu lassen, um für die
authentischen Glauben zu finden. In dieser Absicht begann
Johann Bolland in Antwerpen das grofse Unternehmen der
Acta Sanctorum, wovon 1643 der erste Band erschienen ist.
Nach seinem Tode übernahmen seine Ordensbrüder Daniel
Papebroch und Gotfried Henschen die Fortsetzung und
verfuhren dabei mit so scharfer Kritik, dafs bald Klagen da-
rüber laut wurden. Ihre eigenen Freunde jammerten, dafs
Antiquitäten angezweifelt und verworfen wurden, de quibus
nollent dubilarL Mit äufserster Heftigkeit erhob sich gegen sie
der Orden der Karmeliter, da sie das Märchen von der Stiftung
dieses Ordens durch den Propheten Elias widerlegt hatten.
Dieser Streit hat sich lange hingezogen, und es gelang dem
mächtigen Orden 1695 von der spanischen Inquisition ein Ver-
bot zu erwirken. Zuletzt gebot der Pabst Stillschweigen.
Inzwischen aber hatte Papebroch endlich das Bedürfnifs
empfunden, für die Kritik der Urkunden feste Regeln zu ge-
winnen, und um seinen Untersuchungen eine sichere Grundlage
zu geben, eröffnete er 1675 den zweiten Band des April mit
der ersten dogmatischen Arbeit über diesen Gegenstand, unter
dem Titel: Propylaeum Antiquarium circa veri acfalsi discrimen
in vetustis membranis. Siegreich weist hierin Papebroch die
S Einleitung.
Unechtheit einer angeblich Dagobertischen Urkunde von 646
für das Kloster Oeren bei Trier nach, er widerlegt die Fabeln
der Karmeliter, verwirft falsche päbstliche Bullen. Hier zeigt
er seine Gelehrsamkeit und seinen Scharfsinn in glänzender
Weise, allein durch seinen kritischen Eifer liefs er sich viel zu
weit führen. Die vielen Fälschungen, welche ihm vorgekommen
waren, machten ihn mit Recht sehr mifstrauisch gegen die
Klosterprivilegien, welche aus einer sehr frühen Zeit herstammen
sollten, aber es war zu viel, dafs er sie sammt und sonders
verwarf, und speciell die merowingischen Urkunden des Klosters
S. Denis für unecht erklärte. Unter den 600 Urkunden,
welche 1625 Doublet in seiner Geschichte der Abtei mitgetheilt
hatte, waren allerdings unechte, und das hatte Papebroch zu
seiner Behauptung verleitet. Es ist anzuerkennen, dafs er zu-
erst die Kennzeichen echter Urkunden festzustellen versuchte,
und namentlich den Monogrammen eine sorgfältige Untersuchung
widmete; allein nicht nur ist seine Behandlung der ebenso
schwierigen wie umfassenden Aufgabe sehr ungenügend, sondern
er verfiel auch in grofse Täuschungen, welche seinem Werke
fast allen Werth nahmen. Der Grund davon lag in dem ganz
ungenügenden Material, mit welchem er arbeitete. Von Origi-
nalen kannte er nur ein Privileg Heinrichs IV von 1087 (2886
Stumpf), und das war unecht. Von anderen hatte er Proben in
Facsimile, aber auch darunter waren unechte. Die Kennzeichen
merowingischer Urkunden entnahm er dem ältesten Privileg des
Klosters S. Maximin von Dagobert bei Zyllesius, das er aus
dessen Facsimile kannte und für unzweifelhaft echt hielt,
aber diese Urkunde ist nicht allein unecht, sondern hat
mit den echten merowingischen Urkunden gar keine Aehn-
lichkeit.
So war denn dieser erste Versuch sehr unglücklich ausge-
fallen. Er erschien aber, obgleich das wohl sicher nicht Pape-
broch's Absicht war, als ein ehrenrühriger und gefährlicher
Angriff auf dieBenedictiner in Frankreich, welche allein
merowingische Urkunden besafsen. Die Benedictiner hatten
ohnehin gerade damals sich gegen Angriffe auf ihre Vorrechte
Dom Jean Mabillon und die Congregation de St. Maur. 9
zu vertheidigen, sie hatten vorzüglich auch viele Anfechtungen
von den Jesuiten zu erdulden, deren Begehrlichkeit ihrem
Besitzstand häufig zu nahe trat, und es ist daher begreiflich,
dafs man hier zuerst zu kräftiger Gegenwehr sich aufraffte.
§. 2.
Dom Jean Mabillon und die Congregation
de St. Maur.
Der Orden der Benedictiner war in Frankreich in
tiefen Verfall gerathen und schien seinem Untergang entgegen
zu gehen. Am Ende des 16. Jahrhunderts beauftragte Cle-
mens VIII den Cardinal von Lothringen mit der Reform des-
selben in Lothringen, allein der Cardinal erklärte ihn für un-
verbesserlich und gab den Rath, ihn ganz aufzuheben. Die
Klöster waren theils durch die Abbßs Commendataires, welche
nur die Einkünfte bezogen, theils durch die Calvinisten ver-
wüstet, und lagen grofsentheils in Ruinen. Der Pabst aber ging
auf jenen Rath nicht ein, und jetzt zeigte es sich, dafs jener
reformatorische Geist, welcher einst im 10. Jahrhundert unter
ähnlichen Verhältnissen durch Johann von Gorze so grofse Er-
folge gewirkt hatte, in den Lothringischen Benedictinern noch
nicht ausgestorben war. Was der Cardinal für unmöglich er-
klärt hatte, gelang einem einfachen Mönche des Klosters
S. Vannes in Verdun, Dom Didier de laCour (Desiderius
de Curia), der in Pont-ä-Mousson seine Studien gemacht, und
sich dort mit Pierre Fourrier, dem Reformator der Chorherren,
und Gervais Lairuel, dem Reformator der Prämonstratenser, in
warmer Freundschaft zu gleichen Bestrebungen verbunden hatte.
Durch seine aufserordentliche Hingebung an die Idee, die ihn
ganz erfüllte, durch seinen unermüdlichen Eifer, seine that-
kräftige Begeisterung, überwand er endlich alle Schwierigkeiten
und brachte eine wahrhafte Reform der Hauptklöster in
Lothringen zu Stande. Durch eine Bulle vom 7. April 1604
vereinigte Clemens VIII die beiden Klöster S. Vannes und
10 Einleitung.
Moyen Moutier zu der Congregatio SS. Hidulfi et Vitoni, welche
sich nun rasch weiter ausbreitete.
Dieser neue Aufschwung wirkte bald auch auf Frankreich
ein, wo Dom B6nard die neue Disciplin in die verwilderten
Cluniacenserklöster einführte. Auf dem ersten Generalcapitel
1618 wurde beschlossen, dafs die französischen Klöster eine
eigene Congregation bilden sollten, welche den Namen des h.
Maurus annahm, S. Benedicts Lieblingsjünger, welcher als der
Begründer des Ordens in Frankreich galt. Am 17. Mai 1621
bestätigte Gregor XV die neue Congregation de St. Maur,
welche nun, von Richelieu beschützt und mit Privilegien reich
ausgestattet, bald eine grofse Ausdehnung gewann.
Früher waren alle Klöster ganz isolirt gewesen , jetzt aber
traten sie unter einander in lebendige Gemeinschaft; das
Generalcapitel trat alle drei Jahre zusammen, und wählte oder
bestätigte den Superior generalis; ebenso setzte es auch anstatt
der Aebte auf Lebenszeit, den einzelnen Klöstern ihre Vor-
steher. Alle Kräfte des ganzen Ordens standen dem General-
capitel zu freier Verfügung, und so lange die ganze Congrega-
tion gesund blieb, konnte auch die Ausartung eines einzelnen
Klosters nur vorübergehend eintreten.*)
Schon Dom B6nard ermahnte sehr eindringlich zu gelehr-
ten, nicht ausschliefslich theologischen Studien. Wie die alten
Benedictiner, so sollten auch die Mauriner durch Gelehrsamkeit
und hervorragende Geistesbildung ihre Geltung behaupten.
Auf dem Generalcapitel 1630, wo die Wahl eines Superior
Generalis für drei Jahre zuerst beschlossen wurde, fiel die Wahl
*) Es fehlt leider noch an einer Geschichte dieser Congregation. Die
Hauptwerke sind: Bibliotheca Benedictina Mauriana seu de ortu, vitis et
scriptis Patrum Benedictinorum e celeberrima Congregatione S. Mauri in
Francia libri duo auctore Bernardo Pez, Aug. Vindel. et Graecii 1716. 8.
Dom Tassin, Histoire de la Congregation de S. Maur. Brux. 1770. 4.
Ganz ungenügend, doch mit Benutzung von handschriftlichem Material ge
arbeitet , ist : Histoire de Dom Mabillon et de la Congregation de S. Maur,
par M. Emile Chavin de Malan. Paris 1S43. S. Eingehender Untersuchung
und Darstellung bedarf namentlich noch die in ihrer Art lehrreiche Ge-
schichte der zunehmenden inneren Auflösung, des wachsenden Verfalls im
18. Jahrhundert.
Dom Jean Mabillon und die Cengregation de St. Maur. 11
auf Dom Grägoire Tarisse, welcher 18 Jahre lang an der
Spitze der Congregation blieb, und mit grofsem Ernst die Thä-
tigkeit der Mitglieder auf gelehrte Studien leitete. Er schon
fafste den Plan, die Annalen des Ordens ausarbeiten zu lassen,
und liefs die Biographien der alten Benedictiner sammeln ; auch
die Herausgabe der patriotischen Werke ist schon von ihm vor-
bereitet worden. In vielen Klöstern wurden auf seinen Antrieb
Specialgeschichten verfafst, welche später für die Gallia Chri-
stiana und die Annalen des Ordens verwerthet wurden. Sehr
folgenreich war die neue Einrichtung der Bibliothek in dem
Pariser Kloster Saint-Germain-des-Pr6s, verbunden mit
einer Art Akademie, in welcher die ausgezeichnetsten Köpfe aus
allen Klöstern des Ordens vereinigt und mit den nöthigen
Hülfsmitteln in reichster Fülle versehen wurden. Durch diese
Concentration der Kräfte wurden die Ungeheuern Werke mög-
lich, welche noch jetzt jeden mit Erstaunen erfüllen, der sie
in den Bibliotheken erblickt, die unübertroffenen Ausgaben der
Kirchenväter, die Geschichte ihres Ordens und seiner Heiligen,
der Klöster, der Provinzen und Bisthümer, die Sammlung der
Historiens des Gaules, die Histoire Littäraire de la France, und
so viele andere» Werke von gründlichster Gelehrsamkeit und
bleibendem Werth.
Dom Luc d'Achäry war 1609 in S. Quentin geboren,
und wurde mit 23 Jahren in Vendöme Mauriner, schon 1635
aber Bibliothekar in S. Germain-des-Pres, wo er am 29. April
1685 gestorben ist. Er war kränklich und brachte 45 Jahre in
der Infirmerie zu, aber seine gelehrte Thätigkeit wurde dadurch
nicht gehindert, ßegelmäfsig versammelte sich bei ihm die ge-
lehrte Welt von ganz Paris, und mit den ausgezeichnetsten
Männern seiner Zeit war er in unausgesetztem brieflichen Ver-
kehr. Die von allen Seiten gesammelten Materialien zur Ge-
schichte des Ordens wurden ihm übergeben, um sie zu verar-
beiten, und da die übergrofse Masse seine Kräfte tiberstieg,
wurde zu seiner Unterstützung bei dieser Arbeit, zunächst bei
der Herausgabe des Spicilegium, 1664 Dom Jean Mabillon
nach S. Germain berufen, von S. Denis, wo er seit einem
] 2 Einleitung.
Jahre sich befand und den Fremden die Kostbarkeiten zu zeigen
hatte. *)
Sehr bald trat Mabillon's ungewöhnliche Tüchtigkeit zu ge-
lehrten Arbeiten so unverkennbar hervor, dafs ihm die weitere
Verarbeitung der Sammlungen für die Geschichte des Ordens
tibertragen wurde; 1667 verkündigte ein Circular den Plan des
neuen Unternehmens der Acta Sanctorum Ordinis S. Benedict!,
und 1668 erschien bereits der erste Band. Sein kritisches Genie
zeigte sich hier im hellsten Licht, aber nicht allen gefiel diese
Kritik. Er wurde von einigen seiner Ordensbrüder^ verklagt,
rechtfertigte sich aber siegreich vor dem Generalcapitel. Nach-
dem er sich so im eigenen Orden Anerkennung verschafft hatte,
trat er hinfort als Vorkämpfer desselben nach aufsen auf, denn
es fehlte den Maurinern nicht an mancherlei Anfechtungen.
Schon lange waren sie. in einen heftigen Streit mit den
Augustinern verwickelt über den Verfasser des Buches de imi-
tatione Christi, welchen jeder Orden für sich in Anspruch nahm;
den Benedictinern warfen ihre Gegner Verfälschung ihrer Hand-
schriften vor, und es kam 1671 zu einer feierlichen Untersuchung
vor dem Erzbischof von Paris, wo die Nichtigkeit jener Be-
schuldigung anerkannt wurde.
Den Jesuiten aber mifsfiel die theologische Richtung des
Ordens, der sich mehr und mehr von der herrschenden scho-
lastischen Methode entfernte und zu den älteren Kirchenvätern
zurückkehrte. Die von ihnen vorbereitete Ausgabe des Augustin
war den Jesuiten ein Greuel, und nachdem 1679 der erste Band
erschienen war, erhoben sie auch hier den Vorwurf der Inter-
polation und Verfälschung der Handschriften.
Es war nöthig auf diese Verhältnisse einzugehen um zu
*) s. über Mabillon aufser den oben angeführten Werken auch die sehr
werthvolle: Correspondance inedite de Mabillon et de Montfaucon avec
Tltalie, contenant un grand nombre de faits sur Thistoire religieuse et
littöraire du 17. siecle, suivie des lettres inedites du P. Quesnel etc. Par
M. Valery. 3 vols. Paris 1847. Mabülon's Biographie von Rene Massnet
vor dem 5. Bande der Annalen ist bei Pez wieder abgedruckt. Von Ruinart
erschien 1709: Abrege de la vie de Dom Jean Mabillon, lat. mit Zusätzen
von Dom Claude de Vic, Padua 1714.
Dom Jean Mabillon und die Congregation de St. Maur. 13
zeigen, wie sehr damals durch verschiedene Verwickelungen die
lebhafteste Aufmerksamkeit auf die alten Handschriften und
Urkunden gelenkt wurde, und wie grofs unter den Benedictinern
die Aufregung sein mufste, als durch PapebrocVs Abhand-
lung die Verdächtigung ihrer alten Urkunden mit gröfserem
Kachdruck als je zuvor, wiederholt wurde.
Antworten aber konnte man auf diesen Angriff nirgends
mit solchen Htilfsinitteln, wie in Saint-Germain-des-Pres , wo
ihnen alle Handschriften und Urkunden der alten grofsen
Klöster zur Verfügung standen, und sie fast allein besafsen Doc
cumente von hohem Alter, namentlich merowingische Urkunden
sie ganz allein.
Mabillon übernahm die Beantwortung. Um noch mehr
alte Originale kennen zu lernen, machte er 1680 eine Reise
durch Lothringen; im folgenden Jahre 1681 erschien sein
grofses Werk De Re Diplomatica, noch jetzt das Hauptwerk
dieser neuen Disciplin, für merowingische Urkunden unüber-
troffen, classisch für alle Zeiten.
Durch dieses Werk wurde auch der Name Diplomatik
zuerst in die Wissenschaft eingeführt. Noch war damals die
Kenntnifs alter Urkunden oder Diplome von grofser Wichtigkeit
für Staatsmänner, und namentlich in Frankreich hatte dieser
Gegenstand eben damals durch Ludwig' s XIV Reunionskammern
die höchste praktische Bedeutung erlangt. Auch neuere Staats-
verträge fielen unter diesen Begriff, und man brauchte deshalb
noch nicht zu unterscheiden zwischen Diplomaten und Diploma-
tikern, wie jetzt üblich geworden ist.
Das Erscheinen der Diplomatik von Mabillon machte so-
gleich den gröfsten Eindruck; es war etwas vollkommen
neues, und gleich in so vollendeter Form, dafs es allgemein
die gröfste Bewunderung erregte. Daniel Papebroch, ein
grofser Gelehrter und sehr wahrheitsliebender Mann, schrieb
nach dem Empfang des Buches an Mabillon einen sehr schönen
Brief, worin er sich für gänzlich widerlegt erklärte, und die
gröfste Freude über das nun vorliegende classische Werk aus-
sprach. Nur das, schrieb er, mifsfalle ihm an seiner eigenen
1 «
14 Einleitung.
Arbeit nicht : quod tarn praeclaro operi et omnibus numwis ab-
solute occasionem dederft. Mabillon antwortete ihm mit einem
nicht minder schönen Briefe.*)
Von anderer Seite dagegen kamen boshafte Angriffe,
namentlich 1703 von dem Jesuiten Germon, der alle die
alten Urkunden des Frankenreiches für betrügerische Fabricate,
und die gewonnenen Regeln für Hirngespinste erklärte, aber
sie blieben ohne bedeutende Wirkung, wenn auch die Germo-
nisten noch lange fortfuhren, von alten Urkunden geringschätzig
zu reden, und oberflächliche Schöngeister ihnen zustimmten.
Mabillon antwortete nicht auf die Angriffe, sondern widerlegte
nur in dem 1704 erschienenen Supplementum einige Einwürfe,
indem er zugleich sein Werk mit einer Anzahl vortrefflicher
Facsimile's bereicherte. Am 27. December 1707 starb Mabillon
in seinem 76. Lebensjahr. Schon lange hatte ihm Dom Thierry
Ruinart bei seinen Arbeiten zur Seite gestanden; er schrieb
1706 gegen Germon, und es entstand eine lebhafte litterarische
Fehde, welche die allgemeine Aufmerksamkeit in noch höherem
Grade auf diese Gegenstände lenkte. 1708 erschien auch
Montfaucon's Palaeographia Graeca, welche wiederum grofses
Aufsehen in der gelehrten Welt erregte, und den Ruhm der
Benedictiner erhöhte. Dom Ruinart vollendete nach Mabillon's
Tod die zweite Ausgabe der Diplomatik, und antwortete in der
Vorrede auf einige Behauptungen des Engländers H ick es in
dessen 1705 erschienenem Linguarum veterum septentrionalium
Thesaurus grammatico-criticus et archaeologicus. Die von Hickes
nicht ohne Grund angefochtenen allgemeinen Regeln, welche
Mabillon aufgestellt hatte, wurden hier etwas modificirt. Leider
starb aber Ruinart schon in demselben Jahr 1709, in welchem
die zweite Ausgabe der Diplomatik erschien, der das Supple-
mentum unverändert beigebunden wurde.
Ein Nachdruck des ganzen Werkes, nebst Zusätzen und
einer Abhandlung von Muratori, wurde 1789 in Neapel von
Adimari besorgt, in Folio, wie die früheren Ausgaben.
*) Brief und Antwort sind u. a. in Schönemanns Dipl. 1, 69 gedruckt.
Der Nouveau Trait£. Deutsche Diplomatiker. 15
Die grofse Bedeutung von Mabillon's Werk besteht vorzüg-
lich darin , dafs er zuerst an die Stelle ' willkürlicher und un-
sicherer Aussprüche "und Vermuthungen, feste und sicher be-
gründete Kegeln stellte, gestützt auf ein Material von aufser-
ordentlicher Reichhaltigkeit. Wie die Veranlassung zu dem ganzen
Unternehmen durch die Angriffe auf die Echtheit merowingischer
Urkunden gegeben war, und es hier auch darauf ankam, Pape-
broch's falsche und irreleitende Regeln zu beseitigen, so treten
auch hier naturgemäfs die merowingischen Urkunden in den
Vordergrund, und dieser Gegenstand ist fast völlig erschöpfend
behandelt. Bticherhandschriften sind nur subsidiarisch heran-
gezogen, und wenn auch für die Geschichte der Schrift die
Grundlinien ebenfalls schon hier festgestellt sind, so blieb hier
doch für den weiteren Ausbau noch sehr viel zu thun übrig.
Der praktische Zweck der Diplomatik bestand eben in der An-
leitung zur Prüfung und richtigen Benutzung der Urkunden,
und dieser Gesichtspunkt blieb noch lange mafsgebend.
§. 3.
Der Nouveau Trait£. Deutsche
Diplomatiker.
Der Eifer für eine Wissenschaft, welche einen besonderen
Ehrentitel der Mauriner bildete, lebendig erhalten durch die
oft heftigen und spitzigen Streitschriften, liefs die Arbeit in
dieser Richtung nicht ruhen; der einmal gegebene Anstofs
wirkte fort. Unablässig sammelte man in Saint-Germain-des-
Pr6s neues Material, dessen Verarbeitung mit dem ursprüng-
lichen Werk Dom Toustain und Dom Tassin tibernahmen.
Als Frucht ihres Fleifses erschien von 1750 — 1765 der Nouveau
Tratiä de Diplomatique in 6 Quartanten, mit 100 Kupfertafeln;
in deutscher Bearbeitung von Adelung und Rudolf 1759 — 1769
in 9 Quartanten unter dem Titel: Neues Lehrgebäude der
Diplomatik. Hier ist die Paläographie viel ausführlicher be-
handelt, die von Mabillon kaum berührte Diplomatik der Päbste
16 Einleitung.
ist hinzugekommen, und das Material überhaupt viel reicher;
als reichste Fundgrube von thatsächlicher Wahrnehmung, welche
auf ausgedehntester gelehrter Forschung und genauester Be-
obachtung beruht, ist der Nouveau Traite auch jetzt noch von
hohem Werth. Das Hauptaugenmerk blieb aber auch in diesem
Werk, ja es tritt hier viel mehr hervor als bei Mabillon, Mittel
an die Hand zu geben, um angegriffene Urkunden zu verthei-
digen. Zu diesem Zweck haben die Verfasser einen grofsen
und verwickelten Schematismus von äufseren und inneren
Kennzeichen ersonnen, der doch nie ausreicht, bei dem man
aber nur zu leicht das Ganze aus den Augen verliert. Während
Mabillon ausgezeichnete, noch jetzt werthvolle Facsimile's von
möglichst grofser Ausdehnung gegeben hatte, finden wir im
Nouveau Trait6 lauter kleine Stücke und vorzüglich Alphabete.
Alle Schriften werden in Divisions und Subdivisions getheilt;
es soll ein System aufgestellt werden, in welchem jede Schrift
sofort ihre fertige Rubrik findet. Allein die Mannigfaltigkeit
der Schriftgattungen und Abarten ist viel zu grofs, als dafs
jenes Ziel sich erreichen liefse, und darüber ging auf der an-
dern Seite alle Klarheit und Uebersichtlichkeit verloren. Man*
war mit dieser Methode von Mabillon's schönem Vorbild zum
Schaden der Sache abgewichen ; die Einwirkung dieses Werkes
aber war nicht minder grofs als die der ursprünglichen Diplo-
matie
Mabillon's Werk hatte nicht allein in Frankreich Epoche
gemacht und zu weiteren Studien auf diesem Gebiete angeregt,
sondern auch in England, in Italien, in Spanien wurden
Werke hervorgerufen, welche zum Theil später zu erwähnen
sein werden. Vorzüglich anregend aber wirkte die Diplomatik
in Deutschland, wo man sich schon so lange über die Echt-
heit und Unechtheit von Urkunden stritt, ohne doch feste Re-
geln zur Entscheidung solcher Fragen zu besitzen. Was man
jedoch hier vermifste, war eine Diplomatik der deutschen Kaiser,
da Mabillon von den Karolingern auf die Capetinger tiberge-
gangen war. Man hatte daher an seinem Werke wohl ein Vor-
bild, konnte es aber nur in seltenen Fällen direct benutzen.
Der Noüveau Traite. Deutsche Diplomatiker. 17
Diesen Mangel empfand namentlich Gotfried B es sei, der
gelehrte Abt von Goetweih, als er die Geschichte seines
Klosters schreiben wollte; nirgends fand er den festen Boden
bereitet, auf welchem allein eine Specialgeschichte mit Erfolg
aufgeführt werden kann, und er beschlofs deshalb, auch diese
Vorarbeiten in sein sehr grofs angelegtes Werk aufzunehmen.
Daher beginnt der erste Theil des Chronicon Gotwicense (1732)
mit einer Diplomatik der deutschen Kaiser, der sich eine Geo-
graphie der alten Gaue anschliefst; mehr ist von diesem Werke
nicht erschienen. So verdienstlich nun auch jener Versuch ist,
und so viel Ehre er seinem Urheber macht, so sieht man dem
Werke doch gleich an, dafs in Goetweih die Hülfsmittel von.
Saint-Germain-des-Pres fehlten. Bessel kannte zu wenig Ur-
kunden, und seine Schriftproben sind mit den französischen gar
nicht zu vergleichen.
Auch hierin zeigte sich der Nachtheil, welcher den deutschen
Benedictinern daraus erwuchs, dafs sie nicht, wie die französi-
schen, ihre Kräfte zusammenfassen konnten. Wohl hat das
Vorbild der Congregation de S. Maur ähnliche Bestrebungen
in Deutschland hervorgerufen, die Gebrüder Pez in Melk ver-
folgten namentlich dieses Ziel mit grofsem Eifer, allein wenn
es auch nicht ganz an Früchten dieser Bemühungen fehlte, so
scheiterten doch alle Versuche, eine so centralisirte Verfassung
des Ordens zu Stande zu bringen, an der Zerstückelung Deutsch-
lands und der gegenseitigen Eifersucht der Regierungen.
Da der Abt Bessel erst mit Konrad I begonnen hatte,
schrieb der Professor Heumann in Altorf ehi Buch De re
diplomatica regum et imperatorum Germanorum (1745, 1753)
Ton Karl dem Grossen an, kam aber nur bis zu Ludwig
dem Jüngeren. Er kannte gar keine Originaldiplome, aber
schätzbar und auf den richtigen Weg leitend war die von ihm
«ingeschlagene Methode, die irgendwo bekannt gewordenen
Urkunden eines jeden Königs zusammenzustellen, und daran
eine sorgfältige Untersuchung über die speciellen Eigentüm-
lichkeiten und Kennzeichen derselben zu knüpfen.
Man begann nun auch an den Universitäten Diplomatik
Wattenbach, Schriftwesen. 2
18 Einleitung.
vorzutragen und Compendien dafür zu schreiben. Jeder Jurist,
besonders wer irgend mit staatsrechtlichen Verhandlungen sich
befassen wollte, mufste diese Vorlesungen hören. Sie waren
ganz auf Kritik und Benutzung der Urkunden gerichtet, und
aufser der Paläographie zog man nach Heumann's Vorgang eine
Menge sprachlicher und rechtshistorischer Materien hinein,
welche nur in dem praktischen Zwecke ihre Einheit fanden.
So wären diese Vorlesungen zugleich ein Surrogat der noch
nicht existirenden deutschen Rechtsgeschichte.
Vorzüglich traten auch auf diesem Felde die Früchte her-
vor, welche der Genius eines Leibniz ans Licht rief. Nie-
mand verstand in erfolgreicherer Weise den Urkundenvorrath
der Vorzeit für geschichtliche und staatsrechtliche Forschungen
auszubeuten; aus seinen reichen Sammlungen gingen (1750 bis
1780) die Origines Guelficae mit ihren vortreff liehen Schrift-
tafeln hervor, welche man noch jetzt zu paläographischen Uebun-
gen mit Nutzen verwenden kann. Der von ihm gegebene
mächtige Anstofs ist sichtbar in den historisch-diplomatischen
Studien, welche an der neu gestifteten Göttinger Universität,
den Bibliotheken zu Hannover und Wolfenbüttel, dem Braun-
schweigisch- Lüneburgischen Archive, eifrig betrieben wurden.
Leibnizens Gehtilfe, Chr. H. Eckhard, der eine Introductio
in rem diplomaticam praeeipue Germanicam (1742) geschrieben,
mehr aber durch die von ihm begonnene Bearbeitung der Origines
Guelficae und seine übrigen Werke praktisch diese Studien ge-
fördert hat, wurde bei seiner Forschungsreise nach Urkunden
zur Aufhellung der Geschichte des Weifenhauses begleitet und
unterstützt von D. E. Baring, der eine Zeit lang Bibliothekar
in Hannover gewesen ist. Dieser vereinigte in seiner Clavis
diplomatica (1751 und 1754) eine Anzahl der bedeutendsten
Schriften über Diplomatik mit Alphabeten, Abkürzungen, No-
tariatszeichen, welche aus Urkunden entnommen sind. Diese
sehr mühsame Arbeit würde wohl noch jetzt in gröfserem An-
sehen stehen, wenn sie nicht weit überboten wäre von dem
churfürstlichen Archivar J. L. Walther in seinem Lexicon
diplomaticum, welches vollständig, und zwar in meisterhafter
Der Nouveau Trait6. Deutsche Diplomatiker. 19
Weise, in Kupfer gestochen ist. Vollkommen fertig hinterlassen,
erschien es 1751 in folio mit einer Vorrede von J. H. Jung.
Die früher verheifsene Vorrede des Prof. Koeler war nicht zu
Stande gekommen, und die angebliche Ausgabe von 1747 exi-
stirt nicht, nur das schon gestochene Titelblatt mit Koeler's
Namen. Ein neuer Abdruck ist 1756 in Ulm veranstaltet. Die
bedeutenden Kosten dieses Unternehmens gab der berühmte
J. G. v. Meyern, der Direktor des k. und kurf. Archivs zu
Hannover, der Herausgeber der Acta pacisWestphalicae publica,
ein Diplomat von altem Schlage und vollendeter Urkunden-
kenner. Er hat sich durch diese Liberalität ein ausserordent-
liches Verdienst erworben, denn Walther's Werk ist durchaus
classisch und einzig in seiner Art. Es ist auch jetzt noch un-
entbehrlich, und nicht leicht wird man darin vergeblich nach
Auskunft über eine Abkürzung suchen. Nicht minder vorzüglich
sind auch die vorangeschickten 28 Tafeln mit Schriftproben,
und wer durch diese sich durchgearbeitet hat, wird für die
meisten Vorkommnisse hinreichend gerüstet sein, für diejenigen
Aufgaben nämlich, welche praktisch am häufigsten vorkommen ;
für die ältesten Schriftgattungen freilich und die sogenannten
Nationalschriften läfst uns Walther im Stich.
Aufserordentlich gefeiert und berühmt als Diplomatiker
war seiner Zeit Johann Christoph Gatterer, von 1759
bis 1799 Professor in Göttingen; doch entsprechen seine Schriften
nicht dem Kufe, welchen er als Lehrer und Urkundenkenner
besafs. Er war ein vorzüglicher Bewunderer des Nouveau Traitö,
und hat diesen in Deutschland eingeführt und bekannt gemacht.
Ganz erfüllt war er von dem Bestreben, die Classification der
Naturreiche durch Linne auf das Gebiet der Urkunden zu
übertragen, und nicht nur die Schriftgattungen, sondern auch
alle sonstigen Eigenschaften und Zufälligkeiten der Urkunden
in Systeme zu bringen. So wurde von ihm der Irrweg, auf
welchen die Benedictiner sich verirrt hatten, noch weiter ver-
folgt. Von seinen Elementa artis diplomaticae universalis
(1765) erschien aber nur der erste Band, und erst 1798 folgte
derAbrifs der Diplomatik, 1799 die praktische Diplomatik mit
20 Einleitung.
Kupfertafeln und Beschreibungen der darauf abgebildeten Ur-
kunden, welche wohl noch mit Nutzen gebraucht werden können.
In weit höherem Grade zu empfehlen sind aber die Werke
seines Nachfolgers Schoenemann, vorzüglich sein Versuch
eines vollständigen Systems der Diplomatik, Hamburg 1801.
1802 (neue Titelausgabe Leipzig 1818), zwei Bände mit einem
Heft Kupfertafeln, die sehr gut sind. Sie enthalten Proben
von echten und falschen Urkunden, welche im Text sehr ein-
gehend besprochen und erläutert werden. Von der System-
sucht seiner Vorgänger sagt sich Schoenemann ausdrücklich
los, und kehrt zu gesünderen und einfacheren Grundsätzen zu-
rück. Namentlich ist hier auch die anfänglich vernachlässigte
Zeit des späteren Mittelalters berücksichtigt. Vorausgeschickt
ist eine sehr fleifsig und sorgfältig gearbeitete, ausführliche
Geschichte und Litteratur der Diplomatik.
Zur Einführung in diese Studien ist neben Mabillon's Werk
ganz vorzüglich eine sorgfältige Beschäftigung mit diesem Buche
dringend anzurathen. Es ist zwar auch unvollendet geblieben,
aber der für unsere Zeit praktisch wichtigere Theil der Schreib-
kunde ist vollständig vorhanden.
Auch der herzogl. Braunschweigisch-Lüneburgische Archi-
var Justus von Schmidt genannt Phiseldeck gab 1804
eine Anleitung für Anfänger in der deutschen Diplomatik her-
aus, mit einigen Proben nach Originalien. Umfassender ist das
diplomatische Lesebuch von F. E. C. Mereau in Jena (1791)
mit 42 aus dem Nouveau Traite und anderen Werken gesam-
melten Kupfertafeln, von sehr verschiedenem Werthe, doch
mit den beigegebenen Erläuterungen zum Studium noch immer
nützlich.
Eine rühmliche Erwähnung verdient auch das Lehrsystem
•einer allgemeinen Diplomatik, vorzüglich für Oesterreich und
Deutschland, von dem Piaristen G. Gruber in 3 Bänden, Wien
1783. Die Graphik ist jedoch nur kurz behandelt; der dritte
Band behandelt sehr ausführlich die Chronologie.
Dagegen fast werthlos sind zwei gewöhnlich angeführte
Bücher,, von K. Mannert: Miscellanea meist diplomatischen
Der Nouveau Traite. Deutsche Diplomatiker. 21
Inhalts, Nürnberg 1795, und von A. F. Pfeiffer, Professor und
Bibliothekar in Erlangen : Ueber Bticherhandschriften überhaupt,
Erlangen 1810. Beide kannten ein viel zu geringes Mate-
rial, und suchten davon Regeln zu abstrahiren, welche nur
irre führen können, wie namentlich Mannert's Versuch über die
Abbreviaturen.
Auf die übrige diplomatische Litteratur einzugehen, können
wir uns hier ersparen, da ja die Urkundenlehre nicht der
Zweck dieser Darstellung ist. Begreiflicher Weise sind tiberall,
auch wo die Aufgabe allgemeiner gestellt war, die einheimischen
Urkunden in den Vordergrund getreten, und es werden des-
halb mehrere Werke bei den einzelnen Schriftgattungen noch
besonders zu erwähnen sein. So ist auch eines der ausge-
zeichnetsten italienischen Werke, Delle Istituzioni diplomatiche,
von Fumagalli, Abt des Mailänder Klosters S. Ambrogio,
1S02 in 2 Quartanten erschienen, für deutsche Verhältnisse
wenig brauchbar. Der paläographische Theil ist überhaupt
ungenügend, und die Zeit nach dem 12. Jahrhundert gar nicht
mehr berücksichtigt. Völlig werthlos ist die Arte di conoscere
Petit de 9 Codicl Latini e Italiani von Trombelli, Bologna 1 756.
§. 4.
Die neue Zeit. Scheidung der Paläographie
von der Diplomatik.
Durch die französische Revolution und ihre Folgen hat die
praktische Wichtigkeit der alten Urkunden bedeutend abgenom-
men, und die Diplomatik ist zu einer Hülfswissenschaft der Ge-
schichte geworden. Diplomaten und Staatsrechtslehrer beschrän-
ken sich auf neuere Verträge, und auch die Juristen pflegen
sich um das Verständnifs alter Urkunden wenig zu kümmern.
Dagegen hat sich die Rechtsgeschichte zu einer eigenen Disci-
plin entwickelt, und vieles an sich gezogen, was früher in der
Diplomatik gelehrt wurde. Ein anderer Theil derselben hat
ifl der Sprachwissenschaft eine passendere Unterkunft gefunden.
22 .Einleitung.
Daher kann man wohl sagen, dafs die allgemeine Diplo-
matik als Wissenschaft aufgehört hat. Freilich bedarf es auch
jetzt noch einer Fülle besonderer Kenntnisse, um die Echtheit
der Urkunden beurtheilen zu können, allein die Masse des Ma-
terials ist so aufserordentlich angewachsen, dafs die Aufstellung
allgemeiner Regeln dadurch fast unmöglich gemacht ist; ein
jedes Gebiet verlangt seine abgesonderte Bearbeitung. Mufste
man früher aus den wenigen bekannten Beispielen allgemeine
Regeln zu gewinnen suchen, um Schlüsse zu ziehen, welche
doch leicht täuschen konnten, so nöthigt gegenwärtig die Ueber-
fülle des leicht zugänglichen Materials zu einem anderen Ver-
fahren. Ein Muster der Bearbeitung eines begrenzten Gebietes
hatTh. Sickel in seiner Lehre von den Urkunden der ersten
Karolinger aufgestellt; in ähnlicher Weise wird die Diplomatik
der späteren Kaiser und verschiedener Regentenhäuser, sowie
der römischen Päbste, durchzuarbeiten sein. Während aber
diese Urkunden sehr zerstreut sind, finden sich die von weni-
ger hochstehenden Personen oder Corporationen, und von Pri-
vatleuten ausgegangenen massenhaft beisammen, und da die
Archive heutiges Tages für wissenschaftliche Arbeiten fast über-
all geöffnet sind, bietet eine an Ort und Stelle vorgenommene
Vergleichung viel bessere Htilfsmittel zur Prüfung, als die An-
wendung allgemeiner Regeln.
Wohl geht eine allgemeine Gleichförmigkeit durch das
ganze Abendland, und namentlich ist das auch der Fall bei der
Schrift, trotz vielfältiger localer Abweichungen. Auch. in den
älteren diplomatischen Werken, in welchen die Veränderungen
der Schrift vorzüglich nur als Mittel zur Urkundenkritik be-
trachtet waren, hatte man doch die ältesten Zeiten sogar in
übermäfsiger Weise in die Darstellung gezogen, und Bücher-
handschriften waren zur Vergleichung und Aushülfe benutzt.
Mit der feineren Ausbildung der Kritik wuchs die Aufmerksam-
keit auf Bücherhandschriften, und das früher dürftige Material
für die Römerzeiten erhielt sehr bedeutende Vermehrungen.
Mehr und mehr wandte sich der Geschichte der Schrift ein von
der Diplomatik unabhängiges Studium zu, und mit der Vervoll-
Die neue Zeit. Scheidung der Paläographie von der Diplomatik. 23
kommnung der technischen Htilfsmittel ist der Vorrath an vor-
trefflichen Schriftproben aller Art ganz erstaunlich angewachsen.
Ein für seine Zeit sehr ausgezeichnetes Werk ist von Astle
The Origin and Progress of writing, 1783 und in zweiter Aus-
gabe 1803 erschienen. Für die irische und angelsächsische
Schrift wird es noch besonders zu erwähnen sein, wie denn
überhaupt eine Menge von Publicatipnen späterer Erwähnung
vorbehalten bleibt; nur diejenigen, welche allgemeinerer Natur
sind, kommen hier in Betracht.
In Frankreich wurde durch die Revolution die Congrega-
tion der Mauriner zerstört, und es schien sogar, als ob diesen
mittelalterlichen Studien ein völliges Ende gemacht wäre. Allein
nach kurzer Unterbrechung hat man sie nur mit um so gröfserem
Eifer wieder aufgenommen. Namentlich hat die 1 821 gestiftete
und 1829 erneuerte Ecole des Chartes*) eine ungemein
fruchtreiche Wirksamkeit gewonnen, und allen anderen Ländern
ein bis jetzt unerreichtes Vorbild gegeben. Für den Gebrauch
dieser Schule ist eine grosse Anzahl von Schrifttafeln verfertigt,
welche aber nicht im Handel sind, und daher hier nicht berück-
sichtigt werden können.
Hieran nun kann ich nicht unterlassen, eine allgemeine
Bemerkung anzuknüpfen. Die Erlernung der Paläographie wird
nämlich sehr wesentlich erschwert durch den Mangel einer zweck-
mäfsig ausgesuchten Folge von Schriftproben, welche um mäfsi-
gen Preis leicht zu erwerben wäre. Dergleichen Tafeln her-
stellen zu können, ist nur unter günstigen Bedingungen gege-
ben, und da mufs es doch als ungemein bedauerlich erscheinen,
-wenn eine solche Möglichkeit nur für die eigenen Zuhörer be-
nutzt wird. Weder die von Herrn Professor W. Müller in
Göttingen, noch die von Herrn Professor Jaffö in Berlin besorg-
ten Tafeln sind dem Buchhandel übergeben, und bei ihnen so-
wohl, wie bei dem sogenannten Kopp'schen Apparat, welcher
von der k. Universitätsbibliothek in Berlin bezogen werden
kann, fehlt der namentlich für Anfänger ganz unentbehrliche Text.
*) Die wechselvolle Gründungsgeschickte erzählt M. Delpit im ersten
Band der Bibliotheque de l'ficole des Chartes.
4
24 Einleitung.
Doch ich kehre nach dieser Abschweifung zu der franzö-
sischen Ecole des Chartes zurück. Dieselbe steht in genauester
Verbindung mit denArchives de TEmpire, und in der hier, in
dem schönen Hotel de Soubise, veranstalteten Ausstellung findet
der französische Paläograph in lehrreichster Weise alles ver-
einigt, was für seinen speciellen Beruf von Wichtigkeit ist zu
kennen. Daran schliefst sich die mit Schriftproben ausgestattete
Publication: Mus£e des archives de Tempire, actes importante
de Thistoire de France et autographes des hommes cölebres,
Paris 1867. 4.
Als Lehrbuch für den Gebrauch des Archivs liefs der Mi-
nister 6 uizot aus dem umfangreichen Werke der Benedictiner
einen kürzeren und übersichtlichen Auszug machen; es sind
die beiden Folianten der ßl&nents de Paläographie von Na-
talis de Wailly, Paris 1838. Der Verfasser hat jedoch
selbständig gearbeitet; gute Schriftproben erhöhen den Werth
des Werkes. Im Widerspruch mit dem Titel ist aber aus der
alten Diplomatik viel Chronologisches und sonst zur Behand-
lung der Urkunden Dienliches hineingezogen, und da dem prak-
tischen Zwecke gemäfs vorzugsweise nur französische Urkun-
den berücksichtigt sind, entspricht für allgemeinere Gesichte-
punkte oder für die Bedürfnisse deutscher Archivare und Phi-
lologen die Brauchbarkeit des Werkes nicht seiner Kostspie-
ligkeit.
Verschiedene Prachtwerke von ausgezeichneter technischer
Vollendung werden bei den einzelnen Schriftgattungen noch zu
erwähnen sein. Hier ist nur das ganz umfassende Hauptwerk
anzuführen, welches leider an wenigen Orten erreichbar und
zugänglich ist, die Paleographie Universelle, Paris 1841; vier
Bände im gröfsten Folioformat, welche 500 Thaler kosten. Der
erste Band enthält orientalische Schriften, der zweite und dritte
griechische und lateinische, der vierte verschiedene National-
schriften. Die in Farben ausgeführten Nachbildungen der Hand-
schriften von Silvestre sind von auf serordentlicher Schönheit;
von den Prachtwerken der alten Miniatoren erhalten wir hier
die lebendigste Anschauung. Dagegen vermifst man einzelne
Die neue Zeit. Scheidung der Paläographie von der Diplomatie 25
für die Geschichte der Schrift wichtige, nur aus unvollkomme-
nen Proben bekannte Handschriften, deren Nachbildung man
gerne hier finden würde. Der von Champollion-Figeac und*
Aim6 Champollion Fils besorgte Text ist sehr ungenügend.
Ziemlich mifsrathen in Plan und Ausführung ist die Pa-
läographie des Classiques latins d'aprßs les plus beaux Ma-
nuscrits de la Bibliothöque Royale de Paris. Par M. A. Cham-
pollion. Avec une Introduction par M. Cha,mpollion-Figeac.
Einzelne Tafeln sind freilich vorzüglich, aber nicht alle, und
der Text ist ohne allen wissenschaftlichen Werth.
Ein sehr bequemes und viel verbreitetes Handbuch ist von
Chassant: Palöographie des Chartes et des Manuscrits du 11.
au 17. stecle, 1839 zuerst und seitdem in mehreren Ausgaben
erschienen. In kleinem Format, mit 10 hübschen Tafeln, ist es
für den Zeitraum, welcher praktisch am meisten in Betracht
kommt, sehr brauchbar, und zum Privatstudium zu empfehlen,
obgleich es recht oberflächlich und nicht frei von Fehlern ist.
Der Verfasser beschränkt sich auf Urkunden, indem er nicht
mit Unrecht sagt, dafs, wer diese lesen könne, auch mit den
Büchern fertig werde. Er geht vom 1 7. Jahrhundert rückwärts,
und lässt die schwierigen älteren Zeiten mit ihren Uebergang-
schriften fort; daher fehlt jede geschichtliche Entwickelung der
Formen und der Abkürzungen, welche doch allein Sicherheit
giebt und sich leichter dem Gedächtnifs einprägt. Hier erscheint
alles willkürlich, und bleibt daher reines Gedächtnifswerk.
Gleiche Vorzüge und Schwächen hat desselben Verfassers
Dictionnaire des Abrßviations latines et fran^aises usitees dans
les Inscriptions lapidaires et mötalliques, les manuscrits et les
chartes du Moyen Age, in zweiter Auflage 1862 erschienen.
Bedauerlich ist, dass für QM nach einander die Bedeutungen
quum, quontam, quomodo angegeben sind, während quoniam
allein richtig, quum aber den Handschriften des Alterthums
und des Mittelalters ganz fremd ist; erst durch die Humanisten
kam diese Wortform überhaupt auf, wurde aber nicht so ab-
gekürzt. Es ist also dadurch ein ohnehin schon eingewurzel-
ter Irrthum noch mehr befestigt.
26 Einleitung.
In Italien erschienen von Pietro Datta Lezioni di Pa-
leografia e di critica diplomatica^sui documenti della Monarchia
di Savoia, Torino 1834, mit einigen Schriftproben. Der Zweck
des Buches ist zu eng begrenzt, als dafs es eine allgemeinere
Bedeutung in Anspruch nehmen könnte. Eine Erwähnung ver-
dient noch das Programma dell' Imperial-Real Scuola di Paleo-
grafia in Venezia, pubblicato alla fine deir anno scolastico
1861 — 1862, da B. Cecchetti, Venezia 1862 in foglio, mit
8 Tafeln, welche schöne Proben von Urkunden enthalten. Die
älteste Urkunde ist ein Testament aus Triest, vom 26. April,
Imp. Lothario a. 30. Hlodouui filio eius a. 6. d. h. 850. Kaum
sollte man es glauben und für möglich halten, dafs der Her-
ausgeber anstatt dessen an die letzten französischen Karolinger
denkt, welche doch mit Italien gar nichts zu schaffen hatten,
und die Urkunde deshalb in das Jahr 984 setzt. Die folgen-
den Proben beginnen mit dem Jahre 1060.
Aus England ist als umfassendes Werk J. 0. West-
wood's Palaeographia Sacra Pictoria, or select illustrations of
ancient illuminated biblical Manuscripts, Lond. gr. 4. 1845,
mit 50 unter der Leitung von Owen Jones ausgeführten Tafeln,
anzuführen, wegen der ausgezeichnet schönen farbigen Proben
aus christlichen Pr^chthandschriften. Das für die Geschichte
der Initialen sehr lehrreiche Werk von Tymms und Wyatt:
The Art of Illuminating (Lond. 1860) wird später noch beson-
ders zu erwähnen sein.
In Deutschland erschien 1825 ein, vorzüglich aus den
Schätzen der Wolfenbütteler Bibliothek geschöpftes, recht nütz-
liches Buch von F. A. Ebert: Zur Handsohriftenkunde, welches
zuerst die Bticherhandschriften abgesondert ins Auge fafst, aber
sehr in allgemeinen Umrissen gehalten ist.
H. Hoffmann (von Fallersleben) liefs 1831 in Breslau
einen Leitfaden zu Vorlesungen drucken, unter dem Titel:
Handschriftenkunde für Deutschland. Damals bei dem Mangel
an Hülfsmitteln willkommen, obgleich nur in ganz knappen
Umrissen gehalten, mufs doch jetzt nach den vielen Entdeckun-
gen aus ältester Zeit, nach der Veröffentlichung zahlloser Schrift-
Die neue Zeit. Scheidung der Paläographie von der Diplomatik. 27
proben und Beschreibungen von Handschriften, dieser Leitfaden
als veraltet bezeichnet werden.
Durch reichliche Beigaben guter Schrifttafeln zeichnete
sich das Unternehmen der Monumenta Germaniae historica aus,
und diese Proben sind um so werthvoller, weil ein grofser
Theil derselben sich bestimmt datiren läfst. Diese Vorbilder,
und überhaupt, die lebhaftere Beschäftigung mit mittelalterlichen
Manuscripten, haben der Paläographie einen neuen Aufschwung
gegeben, und es war sehr erwünscht und willkommen, dafs
Pertz die Schrifttäfeln auch in einer abgesonderten Ausgabe
erscheinen liefs. Diese liegen jetzt in zehn Heften abgeschlossen
vor, und bieten ein reiches Material zum Studium. Dafs es
demselben freilich an systematischer Zusammenstellung sowohl
wifc an Vollständigkeit fehlt, bringt die Art der Entstehung
mit sich.
Im Jahr 1833 liefs der Bamberger Bibliothekar J. J. Jäck
einige Hefte in grofsem Format erscheinen unter dem Titel:
Viele Alphabete und ganze Schriftmuster vom 8. bis zum 1(5. Jahr-
hundert aus den Handschriften der öffentlichen Bibliothek zu
Bamberg. Einige der Proben sind recht schön, dem Ganzen
aber mangelt es an richtiger Auswahl und Anordnung, so wie
an einem brauchbaren Text.
Noch unvollendet ist das grofse photographische Pracht-
werk von Th. Sickel: Monumenta Graphica Medii Aevi, ex
Archivis et Bibliothecis Imperii Austriaci collecta. Edita iussu
atque auspiciis Ministerii Cultus et Publicae Institutionis. 1858 ff.'
Für die paläographische Schule in Wien von grofsem Werthe,
ist es seiner Kostspieligkeit wegen auswärts wenig zugänglich,
und mehr dem Forscher als dem lernenden Anfänger nützlich.
Vollständigkeit und Gleichmäfsigkeit in den verschiedenen
Schriftgattungen verbietet auch hier der locale Ursprung. Viele
der mitgetheilten Texte und Urkunden sind in verschiedener
Hinsicht merkwürdig, und regen Fragen an, auf welche bis
jetzt jede Antwort fehlt. Ich wenigstens kann nicht umhin,
es für die Pflicht eines jeden Herausgebers von Schriftproben
zu halten, ihnen die Erläuterungen beizufügen, welche ihm leicht
28 Einleitung.
•
zugänglich, für den Benutzer oft geradezu unerreichbar sind.
Für den Anfänger namentlich haben Tafeln ohne Text kaum
halben Werth. Doch zu den Monumenta Graphica wird hoffent-
lich mit der Zeit ein erläuternder, nach Umständen kritischer
Text noch nachfolgen, denn die blofse Umschreibung genügt
durchaus nicht.
Gegenwärtig publicirt Herr Professor Sickel ein schon
früher von ihm angekündigtes Werk : Schrifttafeln aus dem Nach-
lasse von U. F. von Kopp, Wien bei C. Gerold's Sohn. Es sind
1 5 Tafeln nach Karolingischen Diplomen von 753 bis 820, ver-
bunden mit Kanzlerunterschriften und Nachbildungen der Sie-
gel, welche Sickel selbst besorgt hat. Dieses Werk steht in
genauer Beziehung zu Sickel's Urkundenlehre der Karolinger,
und bedarf deshalb keines eigenen Textes. ' Ohne Zweifel wird
es für dieses wichtige Gebiet ein sehr werthvolles Hülfsmittel
gewähren.
Einstweilen habe ich durch meine Anleitung zur lateinischen
Paläographie (Leipzig bei S. Hirzel 1869) dem Bedürfnisse des
Lernenden entgegen zu kommen versucht, so weit es ohne
Tafeln möglich war.
# §. 5.
Griechische Paläographie.
Es liegt in der Natur der Dinge, dafs von der griechischen
Paläographie bisher noch nicht die Rede gewesen ist. Nicht
allein hat man viel später angefangen, sich mit dieser zu be-
schäftigen, sondern es blieb auch das von Mo^faucon aufge-
stellte Meisterwerk lange Zeit in völlig einsamer Gröfse, und
erst ein Jahrhundert später finden wir wieder Werke über
diesen Gegenstand zu verzeichnen. Während der ganzen Zeit
lebhaftester Thätigkeit auf dem Gebiete der Diplomatik blieb
das Gebiet der griechischen Paläographie unberührt.
Auch hier sind es die Benedictiner von S. Maur, wel-
chen wir die Begründung der Wissenschaft verdanken. Es
bezeichnet einen neuen Fortschritt in ihrer gelehrten Thätig-
Griechische Paiäographie. 29
keit, dafs sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts den
Beschlufs fafsten, auch die griechischen Kirchenväter in den
Kreis ihrer Arbeiten zu ziehen, und* geeignete Mitglieder ihres
Ordens für dieses Fach zu bestimmen, ihnen die zweckmäfsige
Vorbildung zu Theil werden zu lassen. Zu den ersten Mau-
rinern, welche für diese neue Aufgabe ausgewählt wurden, gehörte
Dom Bernard de Montfaucon. Sohn Timoleons von Mon-
faucon, Herrn von Roquetaillade und Conillac im Sprengel von
Aleth, wurde er 1655 geboren, und zeichnete sich schon früh
durch sein aufserordentliches Gedächtnifs aus. Er war zum
Kriegsdienst bestimmt, aber in Folge einer Krankheit wandte
er sich dem geistlichen Stande zu, und empfing 1676 nach dem
Tode seiner Eltern bei den Benedictinem in Toulouse das Or-
denskleid. Seine gelehrten Arbeiten zogen bald die Aufmerk-
samkeit der Oberen auf sich, er wurde nach Bordeaux und
1687 nach Paris berufen, wo er sich vorzüglich der Bearbeitung
der griechischen Kirchenväter zuwandte* Seine Kennerschaft
auf diesem Gebiete bewährte er siegreich den neidischen
Italienern gegenüber auf der Reise, welche er 1698 mit Dom
Paul Brioys unternahm ; eine Zeit lang war er Geschäftsträger
der Congregation in Rom, verliefs aber 1701 diesen Posten,
um sich ganz seinen wissenschaftlichen Arbeiten zu widmen.
Im Jahre 1719 in die Akademie aufgenommen, starb er am
21. December 1741. Von seinen zahlreichen und bedeutenden
Werken erwähne ich hier nur die 1708 erschienene Palaeo-
graphia Graeca, ein Meisterwerk nicht nur, sondern auch bis
jetzt das einzige umfassende systematische Werk über diesen
Gegenstand. Vollkommen mustergültig für seine Zeit, und
jedem, der sich mit diesem Fach beschäftigt, unentbehrlich, ist
es nur in Bezug auf die ältesten Schriftgattungen durch die
Entdeckungen der neueren Zeit ungenügend geworden. An-
dererseits hatte er es nicht für nöthig gehalten, auf die Schreib-
art der letzten Jahrhunderte des Mittelalters ausführlich einzu-
gehen, und auch von diesen Proben mitzutheilen.
Einige Ergänzungen gab Montfaucon selbst 1715 in der
nicht minder ausgezeichneten Bibliotheca Coislmiana olim Se-
30 Einleitung.
gueriana, sive Manuscriptorum omniuni Graecorum, quae in ea
continentur, accurata descriptio. Diese sehr reichhaltige
Bibliothek gehörte damals dem Herzog von Coislin, Bischof von
Metz, und wurde als dessen Geschenk 1732 mit der Bibliothek
von Saint-Germain-des-Pr6s vereinigt.
Sehr scharfsinnige und lehrreiche Untersuchungen mit be-
sonderer Beachtung der am häufigsten vorkommenden Ver-
wechselungen und Irrthttmer, sowohl der alten Schreiber wie
der modernen Herausgeber, hat Friedrich Jakob Bast an-
gestellt; sie finden sich zusammengestellt in seiner Commen-
tatio palaeographica cum tabulis aeneis VII. bei Schäfer's Aus-
gabe des Gregorius Corinthius, Lipsiae 1811, p. 701 — 861. cf.
p. 914—938. Sorgfältiges Studium derselben ist für jeden
Herausgeber griechischer Autoren unerläfslich, und eine neue
abgesonderte Ausgabe der Commentatio wäre sehr zu wünschen.
Einen Auszug daraus, in welchem die erklärten und besproche-
nen Zeichnungen alphabetisch geordnet sind, hat Hodgkin
gemacht: Excerpta ex Bastii Commentatione, Oxonii 1835.
Aehnlicher Art ist die Epistola critica ad J. F. Boissonade,
1831, von Ch. Walz, worin ebenfalls besonders auf die häu-
fig vorkommenden Verwechselungen, namentlich der Präposi-
tionen, aufmerksam gemacht ist.
Sehr gründlich und lehrreich sind die Untersuchungen des
Freiburger Professors Joh. Leonhard Hug über die Hand-
schriften des Neuen Testaments in seiner Einleitung in die
Schriften des N. T. (4. Auflage 1847). Bedeutend erweitert
ist dann unsere Kenntnifs der ältesten Schrift, von welcher
Montfaucon noch so wenig Kunde hatte, sowohl durch die in
Herculaneum und in Aegypten gefundenen Papyrus, wie durch
die Untersuchungen und Entdeckungen von Constantin
Tischendorf, welcher auch eine umfassende Paläographie in
Aussicht gestellt hat. Seine Schriftproben sind an Schönheit
und Treue unübertroffen. Vorzüglich hervorzuheben ist die
ausführliche Einleitung zu seinem Novum Testamentum Graece,
Ed. VII. critica maior, Lips. 1859, und das Vorwort der Aus-
gabe des Sinaiticus mit der Uebersicht ältester Uncialschriften
Griechische Paläographie. 31
auf Tab. XX. XXI. sowie die Prolegomena der Monumenta
Sacra Inedita, Ups. 1846. Collectio nova I— VI. 1855 — 1869.
Ferner die Anecdota Sacra et Profana, Ed. II. Lips. 1861.
Die sehr lehrreichen, paläographisch höchst wichtigen Arbei-
ten über alte griechische Cursivschrift werden später an ihrem
Orte zu erwähnen sein.
Eine vortreffliche Eeihe datirter Schriftproben von 905 bis
1470 findet sich in dem Katalog der griechischen Handschriften
der Marcusbibliothek zu Venedig von Zanetti^ (Graeca Di vi
Marci Bibliotheca 1740 f.)*). Ziemlich unvollkommene Proben
enthält der Catalogus bibliothecae Mediceo-Laurentianae von
Biscioni (1752 f.), bessere der grofse Katalog von Bandini.
Sehr schöne, doch nach Tischendorfs Behauptung fehlerhafte,
Blätter giebt Silvestre im zweiten Bande seiner Paläographie
universelle ; vorzügliche sind auch im Catalogue of Manuscripts
in the British Museum, I, 2. Burney Manuscripts, 1840.
Mancherlei findet sich in dem grofsen Werke von Seroüx
d'Agincourt: Histoire de l'Art par les Monumens, wo Vol. V.
pl. 81 Alphabete vom 8. bis 13. Jahrhundert gegeben sind.
Dankenswerth ist die von Fr. Wilken veranstaltete Samm-
lung von Schriftproben nach Pariser und Heidelberger Hand-
schriften auf 1 1 Blättern, deren Kupfertafeln die Berliner Uni-
versitätsbibliothek besitzt. Es liefse sich daraus mit geringer
Mühe durch Beigabe eines erläuternden Textes ein nützliches
Handbuch machen, allein es geschieht nicht.
Dagegen haben wir aus Moskau ein werthvolles Werk
erhalten : Specimina palaeographica codicum Graecorujn et Sla-
vonicorum bibliothecae Mosquensis Synodalis, saecul. VI — XVII.
Edidit Sabas episcopus Mosjaisky. Mosq. 1863. 4. In Com-
mission bei Kittler in Leipzig. Vgl. die Becension von Tischen-
dorf im Lit. Centralblatt 1.864 Sp. 548 — 550. Leider ist durch
die unzertrennliche Verbindung mit slavonischen Schriftproben
der Preis auf 8 Thlr. gesteigert und dadurch eine gröfsere Ver-
*) Einige ausgezeichnete Photographien griechischer Handschriften,
darunter von der Ilias mit den Scholien, sind durch die Münster'sche Buch-
handlung in Venedig zu beziehen.
32 Einleitung.
breitung gehindert. Auch sind die Schrifttafeln' freilich vor-
trefflich, und von 880 bis 1630 datirt, der Text aber beschränkt
sich fast ganz auf die Wiedergabe der facsimilirten Stellen.
Die 2 Tafeln mit Alphabeten und 5 mit Abbreviaturen sind
weniger gut gelungen.
An einer Bearbeitung der griechischen Paläographie seit
Montfaucon fehlt es also gänzlich, während doch dessen Werk
schon wegen der vielen neuen Entdeckungen nicht mehr als
ausreichend betrachtet werden kann. Deshalb habe ich ver-
sucht, dem dringendsten Bedürfnifs zu genügen durch meine
Anleitung zur griechischen Paläographie, Leipzig bei S. Hirzel
1867. 4. Damit sind 12 Schrifttafeln nach Heidelberger Hand-
schriften verbunden, welche für die gewöhnlich vorkommenden
Aufgaben einigermafsen ausreichen. Für die älteren Perioden
der Schrift fehlte es hier an Material; praktisch tritt auch für
diese ein Bedürfnifs nicht häufig ein, und die zahlreich vor-
handenen Schriftproben sind leicht zu finden. Die Verän-
derungen der einzelnen Buchstaben aber habe ich durch auto-
graphische Nachbildung, hier wie in der Anleitung zur latei-
nischen Paläographie, anschaulich zu machen gesucht und zur
Auflösung der Abkürzungen Nachweise gegeben, welche in das
System der alten Schreiber einzuführen bestimmt sind.
Das Schriftwesen des Mittelalters.
Der Geschichte der Schrift selbst geht nach wohlbegrtin-
detem altem Herkommen eine Geschichte des Schriftwesens
voraus, in welcher verschiedene, auch für die Kritik nicht un-
wichtige Gegenstände zur Besprechung kommen, und zahlreiche
technische Ausdrücke Erläuterung finden.
Aufser den betreffenden Abschnitten der allgemeinen Werke
und dem älteren Buche von S. C. G. Schwarz de ornamentis
librorum et varia rei librariae veterum supellectile, ed. Leusch-
ner, Lips. 1756. 4. ist hier noch besonders zu erwähnen das
Werk über das Bücherwesen im Alterthum von H. Gßraud:
Essai sur les livres dans Tantiquitö, particuliörement chez les
Romains, Paris 1840, welches nach den Vorträgen von Gußrard
in der Ecole des Chartes gearbeitet ist. Ferner mit Abbildun-
gen Guhl und Kon er, das Leben der Griechen und Römer
nach antiken Bildwerken (Berlin 1862), 1, 216 — 218. 2, 297
bis 302. Vorzüglich aber kann ich jetzt verweisen auf J. Mar-
quardt's Römische Privatalterthtimer, Leipzig 1867, 2, 382
bis 421.
Denn nur in so fern die antiken Gewohnheiten und Aus-
drücke im Mittelalter fortlebten, und in so weit ihre Kennt-
nifs für die uns noch erhaltenen Handschriften von Wichtig-
keit ist, nehme ich auf die alte Welt der Griechen und Römer
Rücksicht, während eine vollständige Darstellung ihres Schreib-
wesens uns zu weit führen würde.
Wattenbach, Schriftwesen.
34 Schreibstoffe.
I.
Schreibstoffe.
Ausführlich handelt davon G. F. Wehrs: Vom Papier,
den vor der Erfindung desselben üblich gewesenen Schreib-
massen und sonstigen Schreibmaterialien, Halle 1789, mit
Supplementen, Hannover 1790. Hier so wie gleichfalls in den
betreffenden Abschnitten der diplomatischen Lehrbücher, wer-
den alle Stoffe aufgezählt, auf welchen man jemals aus Noth
oder Liebhaberei geschrieben hat. Wir wollen uns dabei nicht
aufhalten, sondern überlassen die libri lintei u. dgl. mehr den An-
tiquitäten, Petrarca's Leder wamms, auf welchem er seine Ge-
danken aufschrieb, um sie festzuhalten, den Curiositäten, und
beschränken uns auf diejenigen Stoffe, welche für die Schreib-
kunde des Mittelalters von wirklicher Bedeutung sind. *)
1. Stein und Metall.
Auch das Gebiet der Epigraphik und Numismatik wollen
wir unberührt lassen. Es walten 'da besondere Gesetze, welche
durch die Natur des Materials bestimmt werden. Eine Epi-
graphik des Mittelalters fehlt zwar, und wir können nur wün-
schen, dafs bald einmal jemand diese Aufgabe sich stellen
möge, da für die Zeitbestimmung mancher Denkmäler eine
solche Untersuchung von Wichtigkeit ist, allein sie ist sehr
umfangreich, da man notwendiger Weise die verschiedenen
Länder und Gegenden* gleichmäfsig berücksichtigen müfste, und
sehr verschiedene Formen gleichzeitig gebräuchlich waren.
Wenn wir nun aber auch die eigentlichen Inschriften
auf Stein und Metall ausschliefsen müssen, so können wir doch
unmöglich diejenige Form von Urkunden unerwähnt lassen,
von welcher die ganze Disciplin der Diplomatik ihren Namen
*) Eine sehr hübsche populäre Darstellung ist: Le Papier dans l'an-
tiquite* et dans les temps modernes, apergu historique par E. Egger, Mem-
bre de Tlnstitut. Paris, L. Hachette, 1866.
Stein und Metall. 35
erhalten hat, die Diplome nämlich, deren Benennung man
später auf alle öffentlichen Urkunden übertragen hat. Wir
dürfen sie um so weniger übergehen, da die paläographisch so
wichtigen Wachstafeln von ihnen nicht zu trennen sind.
Man hat jetzt schon mehr als 50 Btirgerschaftsbriefe rö-
mischer Veteranen gefunden, welche gewöhnlich tabulae honestae
missionis, jetzt aber richtiger Militärdiplome genannt werden;
sie sind auf je zwei Bronzetafeln geschrieben, welche auf der
einen Langseite durch Ringe verbunden waren. Der authen-
tische Text steht auf den inneren Seiten ; auf den äufseren der-
selbe noch einmal nebst den Namen der 7 Zeugen. Durch
zwei Löcher in der Mitte war ein dünner dreifach zusammen
gewundener Draht gezogen und um das Diplom gewickelt; in
der Mitte der Eückseite, wo die Enden zusammentrafen, war
er mit Wachs bedeckt und trug die Siegel der daneben ge-
schriebenen Zeugen. Die angeführten Stellen alter Juristen
sprechen freilich immer von Unum, allein bei dem Weifsenbur-
ger Diplom ist der dreifache Draht vollständig erhalten. Ein
darüber befestigter Blechstreifen schützte die Siegel vor Beschä-
digung; besonders deutlich ist dieser in Form einer halbrunden
Röhre auf der Abbildung bei Maffei, Istoria dipl. p. 30, und
etwas mehr abgeplattet bei dem Weifsenburger Diplom.
Wenn also etwa einmal gegen die äufsere Schrift ein Ver-
dacht der Fälschung entstand, so konnte durch Entsiegelung
und Einsicht der inneren Schrift die Wahrheit festgestellt wer-
den, ohne dafs man erst nöthig hatte, die in Rom am Tempel
des Augifstus befestigte Originaltafel einzusehen.
Merkwürdiger Weise haben uns auch die Ausgrabungen in
Mesopotamien dasselbe System schon aus uralter Zeit kennen
gelehrt, indem die mit einem Siegel-Abdruck versehenen chal-
däischen Thonplatten, vermuthlich Contracte, einen ganz dünnen
Ueberzug von Thon mit dem gleichen Texte haben. *)
Vorzügliche Abbildungen solcher römischer Diplome ge-
währen die 25 von C am es in a auf Stein gezeichneten Tafeln
*) George Rawlinson, The five great Monarchies of tbe East, 1 , 85 — 87.
3*
3(5 Schreibstoffe.
zu Arn etil' s Abhandlung: Zwölf römische Militär -Diplome,
Wien 1843. Ferner die Tafeln zu Arneth's Archäologischen
Analecten und zu Ed. v. Sacke n's Bericht über die neuesten
Funde zu Carnuntum, im 11. Bande der Sitzungsberichte der
Wiener Akademie. Neuerdings hat das bei Weifsenburg ge-
fundene Militärdiplom dem Prof. W. Christ Veranlassung
gegeben, diesen Gegenstand von neuem eingehend zu behan-
deln, in den Sitzungsberichten der k. bayerischen Akademie
1868, Band 2, S. 409 ff. Vgl. übrigens Becker -Marquardt 3,
2, 431. Die Schrift dieser Diplome ist eine zierliche Capital-
schrift nach Art der Inschriften.
Auch aus dem Mittelalter hat man Urkunden auf Stein
und Erz, doch nicht in dieser Form ; auch stellen sie nur schein-
bar wirkliche Urkunden dai*; wenigstens fehlt, wo eine solche
Inschrift als das Original selbst erscheint, doch die Beglaubi-
gung durch das Siegel, und man kann wohl voraussetzen, dafs
auch ein besiegeltes Exemplar auf Pergament vorhanden war.
Auf jeden Fall gehören sie der Schrift nach der Epigraphik an.
Augenscheinlich ist es zu den Inschriften zu rechnen, wenn
der Abt Desiderius von Monte Cassino im elften Jahrhundert
das Verzeichnifs der Besitzungen seines Klosters in die eher-
nen Thüren der Klosterkirche graviren, und die Buchstaben
mit Silber füllen liefs. Urkunden dagegen sind allerdings die
Privilegien, welche verschiedene Städte in Stein gehauen zur
Schau stellten, wie das nicht selten vorkam, und in einigen
Fällen haben die Aussteller selbst eine solche Verkündigung
angeordnet. So verlieh 1105 der König Balduin von Jerusalem
den Genuesern grofse Privilegien, welche er mit goldenen Buch-
staben auf einer Steinplatte am h. Grabe aufstellen liefs. *)
Die Privilegien, welche Heinrich V den Speierern 1111 verlieh,
liefs er in goldenen Buchstaben auf einer ehernen Tafel über
dem Hauptthore des Doms aufstellen, und die Bürger haben
später die Bestätigung durch Friedrich I von 1182 hin-
*) Cafari Liberatio Orientis, Mon. Germ. SS. 18, 48 cf. p. 49, 37.
Stein und Metall. 37
zugefügt 1 ). In Mainz liefs Erzbischof Adalbert die von ihm
1134 den Bürgern verliehenen Freiheiten in die ehernen Thtt-
ren der Liebfrauenkirche eingraben, welche seit 1804 die Dom-
kirche schmücken. Die Bürger von Mont61imart steinten ihren
Freibrief von 1198 an ihrer Stadtmauer zur Schau. 2 ) Die
Messinesen liefsen die von Heinrich VI ihnen verliehenen Pri-
vilegien auf einer Marmortafel im Hauptschiff des Domes ein-
mauern; sie sind aber trotz dieser scheinbaren Beglaubigung
gefälscht. 3 )
Der Erzbischof Engelbert von Cöln liefs 1266 die von ihm
den Juden neu bestätigten Freiheiten in zwei Steintafeln ein-
graben und diese öffentlich ausstellen, damit sie fortwährend
beobachtet würden. 4 )
Einer kurzen Erwähnung bedürfen noch die Bleitafeln,
welche in alten Gräbern zuweilen gefunden sind. 5 ) Viel häu-
figer aber fand man Gebeine ohne irgend eine Bezeichnung,
und half sich dann in der Weise, dafs man neu verfertigte
Bleiplatten betrüglich auffinden liefs. Ein Beispiel davon
berichtet Guibert von Nogent (Opera p. 338). Die Passauer
wollten die ganze Legende des h. Valentin, ein Fabricat
des 13. Jahrhunderts, auf dergleichen Tafeln im Grabe
l ) Heinrich V sagt: hoc insigne stabili ex materia, ut maneat, compo-
situm, litteris aureis, ut deceat, expolitum, nostrae imaginis interpositione,
ut vigeat, corroboratum, in ipsius templi fronte, ut pateat, annitente no-
strorum opera civium constat expositum. Ueber die weiteren Schicksale und
die wiederholte Erneuerung der Inschrift berichtet E. C. Baur in der Le-
bensbeschreibung Christoph Lehmann's.
a ) A. Deloye, Des Chartes lapidaires en France, Bibl. de rßcole des
Ch. 2, 3, 31—42.
3 ) 0. Hartwig in den Forschungen 6, 644.
4 ) Et quia ipsi Iudei in huiusmodi libertatibus merito sunt servandi,
easdem libertates presenti lapidi insculptas ad perpetuam memoriam in
publico aspectu hominum permisimus collocari. Ennen und Eckertz, Quellen
zur Geschichte der Stadt Cöln 2, 543. Die Tafeln sind jetzt in der Schatz-
kammer des Domes eingemauert.
*) z. B. die Grabschrift des Abtes Poppo von Stablo 1046, Jahrbücher
der Alterthumsfreunde im Rheinland 46, 146.
38 Schreibstoffe.
des Heiligen gefunden haben. Man wird immer gut thun, ge-
gen solche Bleitafeln sich skeptisch zu verhalten; übrigens ge-
hören auch sie der Epigraphik an.
2. Wachstafeln.
Im Alterthum waren Wachstafeln zum Schreiben in sehr
allgemeinem Gebrauch. Man nannte sie diktoq, öeXvlov,
7tv*Tlov, tabulae, cerae, welche zusammen gelegt und befestigt
einen codex oder caudex bildeten. Sehr häufig hatten sie gana
dieselbe Einrichtung, wie die ehernen Diplome und hiefsen
dann diptycha; wenn sie aber mehrere Tafeln enthielten, trip-
iycha, polyptt/cha, auch duplices, triph'ces, quinquiplices *), mul-
tiplices.
Die Wachstafeln dienten vorzüglich zu Aufzeichnungen von
vorübergehendem Werthe, Rechnungen, Concepten, Briefen,
Schulübungen, doch auch zu Urkunden.
In Bezug auf Briefe sagt Festus (p. 359 ed. 0. Müller)
Tabellis pro chartis utebantur antiqui, quibus vitro citro, sive
privatim sive publice opus erat, certiores absentes faciebant. unde
adhuc tabellarii dicuntur et tabellae missae ab imperatoribus. Bei
den Griechen setzt die Erzählung Herodot's 7, 239 von Demarat
denselben Gebrauch voraus. Nachdem aber später für eigent-
liche Briefe Papyrus üblich geworden war, dienten kleine ta-
bellae j auch codicilli und pugillares genannt, zu Billets, welche
durch einen Boten tiberbracht wurden; der auf derselben Ta-
fel auch die Antwort zurück zu bringen hatte. So schreibt Cicero
ad fam. 6, 9 : Simul accepi a Seleuco tuo litter as, statim quae-
sivi e Balbo per codicillos, quid esset in lege. Und Seneca ep.
56. schreibt an Lucilius nach dessen Abreise : Adeo tecum sum,
ul dubitem an incipiam non epistolas sed codicillos tibi scribere.
Sehr bekannt ist die Elegie des Properz (3, 22), in welcher
er den Verlust seiner Tabellae bejammert, die so oft zwischen
ihm und seiner Geliebten hin und her gewandert waren. Er
*) So haben die besten Handschriften in Martialis Epigr. XIV, 1;
andere quincuplices.
Wachstafeln. 39
•
schätzte sie deshalb hoch, obgleich sie ganz schmucklos waren :
Vulgari buxo sordida cera fuit. Aber sie waren so bekannt,
dafs sie auch ohne Besiegelung Glauben fanden:
Has quondam nostris manibus detriverat usus,
Qui non signatas iussit habere fidem.
Jetzt befürchtet Properz, dafs irgend ein Geizhals seine Rech-
nungen darauf schreiben werde:
Me miserum! his aliquis rationem scribit avarus,
Et ponit duras inter ephemeridas.
Die Fortdauer dieses Gebrauches im fünften Jahrhundert
erhellt aus den Briefen des h. Augustin (ep. 15 al. 113. Opera
ed. Maur. 2, 19); er hatte ungewöhnlicher Weise zu einem
Briefe Pergament genommen, und entschuldigt sich deshalb
mit folgenden Worten": Non haec epistola sie inopiam ckarlae
indicaf, ut membranas saltem abundare testetur. Tabellas ebur-
neas quas habeo, avuneulo tuo cum litteris misi. Tu enim huic
peUiculae facilius ignosces, quin differri non potttit quod ei
scripst\ et tibi non scribere etiam ineptissimum existimavi. Sed
tabellas, si quae ibi nostrae sunt, propter huiusmodi necessitates
mittas peto.
Denselben Gebrauch bezeugt auch Augustin's jüngerer
Zeitgenosse Hilarius von Arles in seiner Gedächtnifsrede auf
seinen Vorgänger Honoratus (Acta SS. Jan. 2, 20): Beatus
Eticherius cum ab e?*emo in tabulis ut assolet cera illitis, in
proxima ab ipso degens i?isu?a, litter as eius suseepisset: Mel in-
quit suum ceris reddidistis.
Aus dem Mittelalter weifs ich nur ein Beispiel eines sol-
m
chen Briefes anzuführen. Abt Wibald schreibt nämlich 1148
an den Pabst Eugen : Quae vero post exitum nostrum acta sint,
ex litteris, quas quid am f rater Fuldensis nobis non in membrana
scrfplas, set in tabella transmisit, cognoscere poteritis; quas ad
vestrae saiictitatis pedes transcriptas direximus. Jaffö Biblioth. 1,
221 . Der Brief konnte in dieser Form nicht gut dem Pabste über-
sandt werden, und war deshalb in Abschrift beigelegt.
Originale solcher Briefe haben sich, so viel ich weifs, nicht
erhalten. Dafs überhaupt beschriebene Wachstafeln aus dem
/
•S
40 Schreibstoffe.
•
Alterthum sich erhalten hätten, erschien früher ganz unglaub-
lich, allein die letzten Jahrzehnte haben eine ganz ansehnliche
Zahl derselben ans Licht gebracht. In den Goldbergwerken
Siebenbürgens hatten viele davon völlig unberührt gelegen,
nur von mineralischen Wassern benetzt, welche ihre unverän-
derte Erhaltung beförderten. Manche sehen so frisch aus, als
ob sie eben aus der Hand gelegt wären, nur das Wachs, wel-
ches schwärzlich oder völlig schwarz ist, hat oft Risse bekom-
men, wodurch die Lesung erschwert wird, besonders da, wo
die ausgelöschte ältere Schrift noch durchschimmert. Im Jahr
1854 wurde ein künstlich verrammelter und zugeschütteter
Römerstollen neu entdeckt, in welchem sich eine ansehnliche
Anzahl von Wachstafelri befand, aber leider ist der gröfste
Theil derselben durch Unwissenheit und Ungeschicklichkeit zu
Grunde gegangen, wie der um die Alterthümer jenes Landes hoch-
verdiente Pfarrer Ackn er im Jahrbuch der Gentralcommission für
Erhaltung der Alterthümer 1, 18 berichtet.
Das zuerst in dem Bergwerk von Vöröspatak gefundene
Exemplar hatte lange in der Jankovichischen Sammlung in Pest
gelegen, wo mit der völlig unerhörten Schrift niemand etwas
anzufangen wufste, bis endlich Prof. Mafsmann zu Hülfe ge-
zogen wurde. Er wurde in der That der Schwierigkeiten Herr,
und gab eine Abbildung nebst Erläuterungen heraus in der
Schrift: Libellus aurarius sive tabulae ceratae et antiquissimae
et unicae Romanae, Lips. 1840. 4. Der sehr weitschweifige
Commentar enthält viel gutes Material, sowohl über Wachsta-
feln überhaupt, als auch über diese eigentümliche Schrift, zu
deren Erklärung viele Beispiele entarteter Schriften aus
den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung znsammen ge-
bracht sind.
Bei dem aufserordentlichen Scharfsinn, welchen Mafsmann
hier an den Tag gelegt hat, ist es um so schwerer zu begreifen,
wie er sich gleichzeitig durch ein Paar ganz grob gefälschter
Tafeln mit griechischer und angeblich dacischer Schrift täu-
schen lassen konnte. Seine eigene Abbildung zeigt die ganz
Wachstafeln. 41
moderne griechische Minuskel, und das Original läfst in der
elenden Technik den Unterschied noch greller hervortreten.
Diese schlechte Gesellschaft liefs auch die römischen Ta-
feln verdächtig erscheinen. Natalis de Wailly schrieb dagegen
im Journal des Savans 1841, p. 555. Silvestre nahm sie in
sein grofses Werk auf, aber im Text sind sie als supposßes
Romaines bezeichnet. Dagegen vertheidigte Prof. Wenzel die
Echtheit in Schmidl's Oesterr. Blättern 1844, Band 2, S. 33.
43. 52. und Mafsmann selbst in den Münchener Gelehrten An-
zeigen 1846. 22, 49.
Gegenwärtig hat dieser Streit seine Bedeutung verloren,
da nach den neueren Funden die Echtheit gegen jeden Zwei-
fel gesichert ist. Auch hat sich seitdem in den ägyptischen
Gräbern eine neue Fundstätte eröffnet.
In British Museum befinden sich zwei ganz roh gear-
beitete Holztafeln, deren innere Seite mit einer sehr dünnen
Schicht von farblosem Wachs tiberzogen ist. Darauf stehen in
grofser ziemlich roher Majuskelschrift einige Verse; augen :
scheinlich war hier einem Dichter sein Conceptbuch mit ins
Grab gegeben. Diese Tafeln sind abgebildet und erläutert von
Prof. Rumpf in den Verhandlungen der Würzburger Philologen-
Versammlung (1869) p. 239 — 246.
Andere sind in Paris im Cabinet des M6dailles n. 3491,
gefunden bei einer Mumie in der Gegend von Memphis. Sie
sind ebenso einfach und schmucklos, aber kleiner, und beste-
hen aus fünf Blättern, wovon acht Seiten zum Schreiben be-
stimmt waren. Zwei davon enthalten ziemlich ungeschickt
geschriebene Alphabete, die übrigen eine Rechnung; Fr. Lenor-
mant, Lettre ä M. Hase sur les tablettes Grecques trouvßes
ä Memphis, Revue Archäologique 8 (1852) p. 461. R^ponse
de M. Hase, p. 471. Andere von Mariette entdeckte sind im
Mus6e du Louvre; noch andere mit demotischer Schrift in Li-
verpool. *)
Dr. Abbot in N e w- Y o r k besitzt gar fünf Wachstafein aus
*) Du M^ril, fitudes p. 89. 506.
42 Schreibstoffe.
der Zeit der Ptolemäer, die nur 6 Zoll lang und 4 Zoll breit
sind. Alle enthalten dieselben drei Senare, vermuthlich von
Menander, deren Schrift auf der einen Tafel schön und genau,
auf den andern schlechter ist; im Charakter soll sie der Hy-
perides-Rolle gleichen. Man hat also hier mit einem Schreib-
lehrer seinen ganzen Apparat bestattet; unter den Schüler-
schriften stehen noch Prädicate, wie rpäo7c6va)g. *)
Endlich hat sich in den Sieben bürge r Goldbergwerken
auch das letzte Blatt einer griechischen Urkunde aus der Mitte
des zweiten Jahrhunderts p. C. erhalten, welches Dr. Detlefsen
1858 in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 27, 89
bis 108 mit grofsem Scharfsinn entziffert und erläutert hat.
Lateinisch« Wachstafeln besitzen wir nur aus dieser
Quelle; alle sind gerichtliche Urkunden in der Form der frü-
her beschriebenen Diplome, nur mit dem Unterschied, dafs es
meistens Triptycha sind. Die von Mafsmann schon 1840 t*
publicirten, deren Inhalt Th. Mommsen 1843 in seiner Disser-
tation De collegiis et sodaliciis Romanorum verwerthete, ent-
halten die Anzeige der Auflösung einer Begräbnifskasse wegen
der zu geringen Zahl der Theilnehmer, vom Jahr 167 p. C.
Nachdem neue Entdeckungen gefolgt waren, veröffentlichte
Timotheus Cipariu, Domherr zu Blasendorf, in dem Pro-
gramm des griechisch-unirten Gymnasiums daselbst 1855 einen
Kaufcontract über einen Sclaven vom Jahr 142. Leider be-
sitzt Herr Cipariu noch ein. Triptychon, welches er, wie es
scheint, nicht lesen kann, und andere nicht lesen läfst.
Im Jahr 1856 erschien von Dr. J. Erdy in den Abhand-
lungen der ungrischen Akademie ein Aufsatz De tabulis ceratis
in Transsilvania repertis, der auch abgesondert ausgegeben ist.
Dann hat Dr. Detlefsen 1857 in den Sitzungsberichten der
Wiener Akademie 23, 601 — 635 (Ueber zwei neu entdeckte
römische Urkunden auf Wachstafeln) den von Cipariu heraus-
gegebenen Text wiederholt und berichtigt (eine correctere und
*) Welcker im Rhein. Mus. N. F. 15 (1S60) S. 155- 153 nach dem
Bericht des Prof. Feiton in den Proceedings of the American Academy of
Arts and Sciences, 3, 371 — 378.
Wachstafeln. 43
vollständigere Lesung nach dem Original giebt Th. Mommsen
in den Monatsberichten der Berliner Akademie 1857, S. 519),
das von Erdy mitgetheilte Facsimile reproducirt, und die grofsen
Irrthümer seiner Lesung verbessert. Den Inhalt der einen
Urkunde bildet ein Kaufcontract über eine Sclavin von J. 129,
der dadurch besonders merkwürdig ist, dafs sich hier auch die
in Wachs eingedrückten Siegel der Zeugen ganz gut erhalten
haben. Die zweite enthält eine Schuldverschreibung vom
Jahr 162.
In demselben Bande der Sitzungsberichte S. 636 bis 650
publicirte Detlefsen noch ein neu aufgefundenes Fragment eines
Kaufcontracts über ein halbes Haus aus dem Jahr 159, mit
mit einem Facsimile, welches A. Camesina mit seiner bekann-
ten Genauigkeit und Sauberkeit nach dem Original verfertigt
hat. Diese Tafel war mit einer Anzahl anderer, jetzt an ver-
schiedenen Orten zerstreuter, ferner mit mehreren hölzernen
Werkzeugen und Geräthen, und was am merkwürdigsten ist,
zugleich mit einem Haarzopfe, in einer wohlverschlossenen
Grube, zu Vöröspatak bei Abrudbänja gefunden worden. Zu
diesem Haarzopfe soll sich noch ein Gegenstück in einer an-
deren siebenbürgischen Römergrube gefunden haben.
Ein von Th. Mommsen (a. a. 0. S. 521) gelesener Socie-
tätscontract vom Jahr 167 steht in ein.em einfachen Diptychon;
das griechische Fragment hält Detlefsen für das letzte Blatt
eines Pentaptychon, die übrigen Wachstafeln aber sind Tri-
ptycha, was dadurch nothwendig wurde, dafs man die Aufsen-
seiten nicht gut beschreiben konnte. Weil diese ohne Wachs und
unbeschrieben sind, enthalten die zweite Seite des ersten und die
erste des Mittelblattes das Duplicat des Textes, während die
beiden übrigen Seiten die durch den Siegelstreifen verschlossene
eigentliche Urkunde verwahren.
Sehr verschieden von diesen ganz schmucklosen und ein-
fachen Tafeln sind die grofsen kostbaren'Diptycha aus Elfen-
bein, welche die römischen Consuln beim Antritt ihres Amtes
44 Schreibstoffe.
zu verschenken pflegten. Die innere Seite war mit Wachs be-
•• legt, der äufsere obere Deckel mit Schnitz werk verziert. Es
haben sich deren viele erhalten, gesammelt von Gori in seinem
Thesaurus Diptychorum, 3 Voll. f. 1759. In christlichen Kir-
chen wurden sie gern benutzt, um die Namen der Bischöfe
oder Aebte, und der Wohlthäter einzutragen; das Diptychon
lag während der Fürbitte auf dem Altar. Der Name blieb
ihnen auch nachdem das Wachs daraus verschwunden war,
und man statt dessen Pergamentblätter eingeheftet hatte; er
blieb solchen Büchern auch, wenn ihre Form eine ganz andere
geworden war. *)
Daneben erhielt sich traditionell der Name diptica, diclica y
für eine Schreibtafel, wofür Du Cange s. v. Beispiele giebt. Der
dort angeführte Denkvers findet sich in reinerer Form am An-
fang des grammatischen Gedichts von Abbo:
Clerice, dipticas lateri ne dempseris unquam. 2 )
Ein antikes Diptychon schenkte 1151 der Bischof Hein-
rich Zdik von Mähren dem Kloster Selau : Qui agens in fxtre-
mis binas ex ebore tabellulas, alteram cum imaginulis pulcherri-
mis opere sculptorio, alteram vero cera impletam et tamquam
ad scribendum paratam, misit domno Godscalco in Signum et
memoriale sincerissimae amiciliae. Gerl. Milovic. ad a. 1184.
Mon. Germ. SS. 17, 697.
Man verwandte sie gerne zu Einbänden kostbarer Hand-
schriften. So in S. Gallen, welches nach Ekkehards Erzäh-
lung ein solches Kleinod von dem Bischof Salomon von Con-
stanz aus den Schätzen seines Freundes Hatto von Mainz er-
hielt: duas tabulas eburneas, quibus alias rnagnitudine equipares
rarissime videre est, quasi sie dentatus elephans aliorum fuerit
gigas. Erant autem tabulae quondam quidem ad scribendum cera-
lae, quas latere lectuli soporantem ponere solitum, in vita sua
scriptor eius Karolum dixit. , Quarum una cum sculptura esset
*) Genaueres darüber s. im Glossar von Du Cange s. v.
8 j Anzeiger des Germ. Mus. 1867 Sp. 4.
Wachstafeln. 45
et sit insignissima, altera planitie politissima, Tuoiiloni nostro
politam tradidit sculpendam. Quibus longioris et latioris modvli
Sintrammum nostrum scribere iussil evangelium, ut quod tabulis
abundaret, auro et gemmis Hattonis omaret. Hoc hodie est
evangelium et scriptum, cui nulla ut opinamur, par erit ultra,
quia cum omnis orbis cisalpinus Sintrammi digitos miretur, in
hoc uno, ut celebre est, triumphal. Ekkehardi Casus S. Galli,
Mon. Germ. 2, 88.
Sintrams Evangelium longum ist noch jetzt eine Zierde
der Sanctgaller Bibliothek, und rechtfertigt die Lobsprüche,
welche ihm hier ertheilt werden. Die Sculpturen des Einban-
des sind abgebildet in der Publication des historischen Vereins
in S. Gallen: Das Kloster S. Gallen, I, 1863. Es ist nicht
ganz klar, ob Ekkehard diese Tafeln für dieselben hielt, deren
Karl der Grofse sich bediente, oder nur für gleicher Art.
Die Fortdauer des Gebrauches wirklicher Wachstafeln im
Mittelalter und noch weit über dasselbe hinaus, ist, nachdem
auch hier Mabillon die Wege gewiesen hatte, ausführlich
nachgewiesen vom Abb6 Lebeuf in seinem Memoire touchant
l'usage d'äcrire sur des tablettes de cire, im 20. Band der M6-
moires de l'Acadämie des Inscriptions (1753) und neuerdings
von Edelestand Du M6ril in seiner Abhandlung : De Tusage
non interrompu jusqu'ä nos jours des tablettes de cire, in der
Revue Arch6ologique 1860 n. 7 und 8, und wiederholt in sei-
nen Etudes sur quelques points ^Archäologie et d'histoire litt6-
raire, Paris et Leipzig, p. 85 — 142; auch Mafsmann in seiner
angeführten Schrift, und L. F. Hesse im Serapeum von 1860,
S. 353 — 377 geben schätzbare Nachweise. Da diese That-
sachen noch immer sehr wenig bekannt sind, werde ich mit
Benutzung der in diesen Schriften angeführten, und anderer
Stellen und Beispiele diesen Gebrauch als einen ganz allge-
mein verbreiteten nachweisen und darstellen.
Im sechsten Jahrhundert verordnete S. Benedict in seiner
Mönchsregel, dafs die Aebte den Mönchen graphiwn et tabuJas
46 Schreibstoffe.
übergeben sollten, was in einer altfranzösischen Uebersetzung
erklärt wird als eguille dont on escrit es tablettes, und des
tablettes pour escripre. Diese Vorschrift wird nicht wenig dazu bei-
getragen haben, den Gebrauch der Tafeln zu erhalten und zu
verbreiten; so finden wir sie bei den irischen Mönchen mit
der eigenthümlichen Benennung ceraculum in den von Du Cange
angeführten Stellen, zu welchen Du M£ril eine andere aus der
Vita S. Mochtei (Acta SS. Aug. 3, 743) fügt : Cum in agro ipse
sederet, allato angelus domini ceraculo eum litteraiwm docuil
elementa. Und ebenso fehlen sie auch nicht bei den Angel-
sachsen. Im siebenten oder am Anfang des achten Jahrhunderts
machte der Angelsachse Aldhelm (gest. 709) das pugillar zum Ge-
genstande eines seiner Bäthsel*):
Melligeris apibus mea prima processit origo,
Sed pars exterior crescebat cetera silvis.
Calceamenta mihi tradebant tergora dura,
Nunc ferri Stimulus faciem proscindit amoenam
Flexibus et sulcis obliquat ad instar aratri.
Aldhelm setzte offenbar die Bekanntschaft mit dieser Schreib-
art bei seinen Zeitgenossen voraus; es scheint dafs man die
Tafeln in Leder einzubinden pflegte. Wenig später schickte
einer von den Gefährten des h. Bonifaz der Aebtissin Eadburg
einen silbernen Griffel (graphium ar^enteum) zum Geschenk
(Bonif. ep. 75 Jaffa). Von der Lebensbeschreibung dieses Hei-
ligen aber berichtet der ungenannte Mainzer Priester, welcher
im elften Jahrhundert ein Nachwort hinzufügte, dafs der Ver-
fasser Willibald sie bei der Victorskirche zu Mainz auf Wachs-
tafeln geschrieben habe; um sie den Bischöfen Lull von Mainz
und Megingaud von Wtirzburg zur Prüfung vorzulegen; dann
erst sei sie auf Pergament übertragen: primitus in ceratis ta-
bulis ad probationem domni Lulti et Alegingaudi, et post eorum
examinationem in pergamenis rescribeiidnm, ne quid incaute vel
*) Anzeiger der Vorzeit 7, 38. Opera ed. Giles p. 263. Von* den
Buchstaben heifst es p. 257 : Nascimur ex ferro, rursus ferro moribundae,
Necnon et volucris penna volitantis ad aethram.
Wachstafeln. 47
superßuum exaratum appareret. Mon. Germ. 2, 357. Jaffß,
Bibliotheca 3, 481.
Die Königin Brunhilde schickte, wie Fredegar c. 40 er-
zählt, 613 einen Uriasbrief, der gleich zerrissen wurde, also
wohl auf Papyrus geschrieben war. Der Knecht des Haus-
meiers Warnachar aber hatte* gleich eine Wachstafel zur Hand,
auf welcher er die Stückchen befestigte und sie so wieder les-
bar machte.
Die Nachricht Einhards über Karl den Grofsen, auf welche
sich Ekkehard in der schon oben angeführten Stelle bezieht,
lautet Vita Kar. c. 25 so: Templabat et scribere, tabulasque et
codicellos ad hoc in lecto sub cervicalibus circumferre solebat,
ut cum vacuum tempus esset, manum Utteris effigiandis*) adsue-
scerei; sed parum successit labor praeposterus ac sero inchoatus.
Merkwürdig ist, wie die apud S. Macram im Jahre 881 ver-
sammelten Bischöfe Frankreichs diese Nachricht benutzten, um
den König Ludwig III recht nachdrücklich zu ermahnen, dafs
er von seiner Eigenmächtigkeit ablassen möge. Immer, sagen
sie, habe der grofse Karl drei seiner weisesten Käthe bei sich
gehabt : et ad capitium lecti sui tabulas cum graphio habebat, et
quae sive in die sive in nocte de utilitale sanctae ecclesiae et de
prqfectu ac soliditate regni meditabatur, in eisdem tabulis adno-
tabat, et cum eisdem comiliariis quos secum habebat, inde tra-
ctabaL In ähnlicher Weise heifst es am Anfang derVisio do-
mni Karoli (Jaffö Biblioth. 4, 701), dafs Karl, ubicunque noctu
manebat, sive dornt sive in expeditione lucernam et tabulas sibi
conthjuas habere solitus erat, et quicquid vidit insomnis memoria
dignum, Utteris tradere curavit, ne a memoria labi potuisset. —
Ganz fabelhaft hat sich aber diese Angabe in der unbekannten
Chronik gestaltet, welche Heinrich von Hervord c. 70 (ed.
Potthast p. 39; ausschreibt: Ex cronicis. Karolus cum se de
nocte in lecto reponeret, solitus erat ad caput suum pennam et
tncaustum cum pergameno reponere, ut si stratu (sie) aliquid utile
*) die Autorität der Handschriften ist für effigiendis, was man doch
Einhard kaum zutrauen kann, und also wohl nach dem Vorgang späterer
Abschreiber in effigiandis oder effingendis ändern mufs.
48 Sckreibstoffe.
futuro tempore faciendum cogitatui occurreret, signare posset
ne a memoria laber etur. Habebat etlam circa suum lectum pa-
rietem cera litum et stilum, ut si quid etiam in tenebris oc-
currisset, consignareL
Wenn nun aber auch in Wirklichkeit Karl das Schreiben
nicht recht gelingen wollte, so hatte dagegen sein Kanzler
Ercambald immer Tafeln und Griffel am Gürtel bereit, wie
uns Theodulfs Verse (ad. Carolum regem v. 147) zeigen:
Non Ercambaldi sollers praesentia desit,
Cuius fidam armat bina tabella manum,
Pendula quae lateri manuum cito membra revisat,
Verbaque suscipiat, quae sine voce canat.
Derselbe Theodulf erwähnt auch in seiner Paraenesis ad iudi-
ces Wachstafeln unter den Gegenständen, mittelst welcher man
die Richter zu bestechen versuchte; sie müssen also in kost-
barer Ausstattung gebräuchlich gewesen sein.
839 schrieb Goibert in S. Bertin sein Testament in tabulis
ceratis quae exterius celatae erant barbulis crassi piscis, et sub-
tus deauralae erant. Chart. Sith. ed. Guerard p. 160.
Der Abt Smaragdus von S. Mihiel an der Maas, welcher
um dieselbe Zeit lebte, erzählt von seinen Schülern : Cum secun-
dum intellectus mei capacitatem grammaticam fratribus traderem,
coeperunt aliqui audita libenter excipere et de tabellis in mem-
branulas transmutare, ut quod libenter auribus hauserant, fre-
quentata lectione fortius relinerenl. Da sie aber dabei viele
Fehler machten, baten sie Smaragd, seine Vorträge selbst zu
redigiren. *)
Zuerst auf Wachstafeln ein Concept zu machen, und erst
die vollendete Arbeit auf Pergament umzuschreiben, war durch-
aus Sitte, wie uns recht deutlich die Worte Ermanrich's zeigen,
in seinem von pedantischer Gelehrsamkeit erfüllten Schreiben
an den Abt Grimald von S. Gallen (verfafst zwischen 850 und
855): Simul et hoc scitole quod nee in cera vel in tabula haec
*) Bei Keil in dem Erlanger Programm von 1868 p. 20.
Wachstafeln. 49
eacpres&i, sed sicut in praesentibus scedis *) dictata su?it y ita sunt
vobis directa, ut si forsan coram lecla non placuerint, non sit
dolor perisse quod constat vile fuisse.
Von dem Bischof Wolfgang von Regensburg (972 — 994)
erzählt sein Biograph Othloh, dafs er sich eifrig um die Schulen
bekümmert habe, und um den Fleifs der Jugend anzuspornen, sich
häufig ihre Exercitien zeigen liefs: frequenter voluit tabulas
eorum cernere dictales. Mon. Germ. SS. 4, 534. Othloh selbst
lernte in Tegernsee auf solchen Tafeln schreiben: tabula mihi
data est cum aliis pueris ad discendum scripluram (ib. 1 1 , 392),
und um dieselbe Zeit, im Anfang des elften Jahrhunderts,
pflegte, wie Ordericus Vitalis (3, 7 ed. Le Prevost) berichtet,
der Abt Osbern von S. Evroul im Sprengel von Lisieux den
Knaben die Wachstafeln (tabulas cera illitas) zu diesem Zwecke
selbst zu bereiten.
In dem Benedictionale Aethelwoldi, welches gegen das
Ende des zehnten Jahrhunderts in England geschrieben ist,
findet sich Zacharias nach Luc. 1,63 dargestellt, wie er mit
dem Griffel auf einer grofsen Wachstafel schreibt, Archaeolo-
gia Vol. 24. PL 27. Ein Angelsachse mit Wachstafeln ist
abgebildet bei Th. Wright: A history of domestic manners and
sentiments in England (Lond. 1862) p. 96.
Dafs man sich derselben auch zum Zeichnen bediente,
zeigen Notker's Worte in der Erklärung des Boethius (bei
Hattemer, Denkmale 3, 148), die nicht dem lateinischen Text
entlehnt sind : übe ih mit mlnemo grifile an einem uudhse gertzo
formam animalis.
Im. Jahr 1029 kam nach dem Tode des Bischofs Fulbert
von Chartres der neue Bischof in das Kloster S. P6re de
Chartres, und liefs dessen Schätze in ceris verzeichnen. Mab.
Ann. 0. S. B. 1. 56 c. 56.
Auch Radulfus Tortuarius, Mönch in Fleury, 1063 geboren,
*) d. i. schedis. Von scheda kommt schedula, Zedel, Zettel. Ma-
biüon, Anal. p. 422, las scholis; die richtige Lesart hat Dummler, Sanct-
gall. Denkmäler, in den Mittheilungen der Antiquar. Gesellschaft in Zürich
12, 211. Dictare heifst verfassen, concipiren.
Wattenbach, Schriftwesen. 4
50 Schreibstoffe.
der 45 Jahre alt eine Fortsetzung der Miracula S. Benedicti
schrieb, sagt in einer poetischen Epistel an einen Freund (Bibl.
de T6cole des chartes, 4. S£rie, 1, 512):
Nam cum missa mihi legissem verba salutis,
Arripui ceras arripuique stylum.
Derselbe beklagt (p. 502), dafs ein Dichter jetzt keine
Beachtung und Belohnung finden, ja nicht einmal Pergament,
kaum Wachstafeln sich wttrde verschaffen können:
Eximium vatem si nasci forte Maronem
Hoc aevo dederit prospera Stella Venus,
Eius iucundo si convenisset in astro
Tota favens genesis, cum Jove Mercurius,
Ipse suis adsit comitatus si Maro Musis,
Pallida ieiunis faucibus ora gerat.
Non solum macra qua scribat egebit aluta:
Cerula vix mandet cui rüde Carmen erit.
Besonders merkwürdig ist aber was Eadmer in seiner Le-
bensbeschreibung des Erzbischofs Anselm von Canterbury
(f 1109) erzählt. Anselm, so berichtet er, hatte die Gewohnheit,
seine Entwürfe auf Wachstafeln aufzuschreiben, und das that
er auch, als er sein Proslogion über das Dasein Gottes ver-
fafste. Dieses Werk erschien dem Teufel so gefährlich, dafs
er einen Versuch machte, die Tafeln, welche einem Kloster-
bruder in Bec zur Aufbewahrung tibergeben waren, bei nächt-
licher Weile zu zerstören: eusdem in pavimento sparsas ante
lectum ?*eperit, cera quae in ipsis erat, hac illac frustatim di-
spersa. Levantur tabulae, cera colligitur, et pariter Anselmo
reportantur. Adunat ipse ceram et licet vix scripturavi recu-
perat. Veritus autem ne qua incuria penitus perditum eat, eam
in nomine domini pergameno iubet tradi. Lib. I p. 6. ed. D.
Gerberon. Ebenso pflegte auch S. Bernhard nach der Angabe
seines Biographen Ernald (1. IL c. 8.) seine Gedanken auf
Wachstafeln aufzuzeichnen.
So verzeichnete auch kurz vor 1120 der Abt Hariulf von
Wachstafeln. * 51
Oudenburg, als er das Leben des Bischofs Arnulf von Soissons
schrieb, die Mittheilungen seines Gewährsmannes Everolf in
cera, ut ea atramento in chartis conscriberem. Acta SS. Aug.
3, 229.
Guibert, von 1104 bis 1124 Abt von Nogent, erzählt in
seiner eigenen Lebensbescheibung, dafs er als junger Mönch
schon einen grofsen Hang zur Schriftstellern gehabt habe, der
aber seinem strengen Abt inifsfiel. Nur durch einen glücklichen
Umstand gelang es ihm, sich das theure Pergament zu ver-
schaffen, und nun schrieb er mit dem gröfsten Eifer seinen
Commentar zur Genesis, und zwar, wie er als dem gewöhnlichen
Gebrauch zuwider ausdrücklich hervorhebt, gleich auf Pergament,
nicht zuerst auf Wachstafeln, so dafs er noch daran hätte ändern
können : Opuseula enim mea haec et alia nullis impresso, tabulis,
dictando *) et scribendo, scribendo etiam pariter commentando, im-
mutabiliter paginis inferebam. Guib. Novig de vita sua 1, 16.
Opera ed. d'Achery p. 477.
Mit ähnlichen Schwierigkeiten hatte in der zweiten Hälfte
des zwölften Jahrhunderts Reiner, Mönch zu S. Lorenz bei
Lüttich, zu kämpfen. Er schrieb nämlich Verse auf Wachs-
tafeln, und erregte dadurch den Unwillen des gestrengen Pater '
Supprior: arripiens tabellas quibus exiles impresseram cogitatus
.... coepit innocentes ceras obimere, et quae exarata ermit,
aemulo unguis aratro confundere. Lange schwankt darauf Rei-
ner, ob er es noch einmal versuchen soll ; doch entschliefst er
sich endlich : ne mucidis dormitantes tabellae ceris, stilus parieti
afßwus rubiginis lepra tabescereL Rein, de vita sua 2, 2. 6. B.
Pez. Thes. Anecd. IV. 3, 34. 37. Mon. Germ. SS. 20, 599. 601.
1127 wurde nach der Ermordung des Grafen Karl von
Flandern seine Burg zu Brügge belagert, und Galbert, dem
wir die genaue Kunde dieser Ereignisse verdanken, konnte
zum ruhigen Schreiben keinen sicheren Ort finden: inter tot
noctium pericula ei tot dierum certami?ia, cum tocum scribendi
*) d. h. verfassend, wie schon oben erwähnt wurde. Wir kommen
auf diesen Sprachgebrauch noch zurück.
4*
52 Schreibstoffe.
ego Galbertus non höherem, summam verum in tobulis notavi,
donec aliqua noctis vel diei expectata pace, ordinärem secundum
rerum eventum descriptionem presentem, et sie secundum quod
videtis, in arcto positus fidelibus transcripsi. Mon. Germ. SS.
12, 580.
Balderich, 1130 als Erzbischof von Dol verstorben, vor-
her bis 1107 Abt von Bourgeuil, war gebürtig aus Meun (Mag-
dunum) an der Loire unweit Orleans, und hatte in der berühm-
ten Schule seiner Heimäth, im Verkehr mit dem gefeierten
Meister Hubert, dessen Tod er in einem seiner Gedichte beklagt,
die Liebhaberei zur Poesie oder doch zur poetischen Form ge-
wonnen, welche damals aufserordentlich verbreitet war. Dazu
bediente er sich zehn Jahre lang desselben Griffels (graphium),
bis er endlich zerbrach und in einem rührenden Gedichte von
ihm beklagt wurde. Vielleicht war es derselbe, den ihm Lam-
bert von Angers verfertigt hatte; diesen erwähnt er in einem
andern Gedichte, zugleich mit den Täfelchen, die des ange-
nehmeren Anblicks wegen nicht, wie gewöhnlich, mit schwar-
zem, sondern mit grünem Wachs überzogen waren, mit dem
Säckchen (sacculus), den ihm der Abt von Seez geschenkt
hatte, zur Aufbewahrung der Dinge, und den beiden Schrei-
bern, welche die fertigen Gedichte auf Pergament übertrugen.
Mabillon (Suppl. p. 51), dem wir diese Nachrichten verdanken,
hat nur die Verse mitgetheilt, in welchen er die 8 tabellae
beschreibt, welche 14 Seiten mit Wachs enthielten, und auf
jeder 8 Hexameter, zusammen also 112 fafsten:
In latum versus vix octo pagina vestra,
In longum vero vix capit hexametrum.
Attamen in vobis pariter sunt octo tabellae,
Quae dant bis geminas paginulasque decem:
Cera namque carent altrinsecus exteriores,
Sic faciunt octo quattuor atque decem.
Sic bis sex capiunt, capiunt et carmina centum,
Id quoque multiplices paginulae faciunt.
Wachstafeln. 53
Solch eine Schreibtafel legt auch Herr Heinrich von Vel-
deke der Lavinia bei (Eneit 10,452):
Ir tavelen sie nam
und einen griffel von golde,
dar an si scriben wolde.
Mit angesten plänete si daz wa^ /r
und solde scriben Eneas,
d6 ir ir müder urloub gab.
So wird auch in Hartmanns Gregor (v. 547 ff.), als das
Kind ausgesetzt werden soll, der Mutter ein tavel gebracht,
diu vil guot helfenbein was, und darauf, vermuthlich aber
auf dem als selbstverständlich vorausgesetzten Wachsüberzug,
schreibt sie:
Do der brief was gereit,
dö wart diu tavele geleit
zuo im in daz kleine vaz.
Beide Stellen verdanke ich Weinhold, welcher sie in sei-
nem Buche über die deutschen Frauen, S. 93, unter den Be-
legen für die bei ihnen häufige Kunst des Schreibens anführt.
Von dem 1151 gestorbenen Abt Wignand von Theres sagt
Ebo in dem Lebendes Bischofs Otto von Bamberg (2, 17. Jaff6
Bibl. 5, 643), dafs er von vielen Schwächen des Alters frei
blieb: non denique tremula manus per curvos cerae tramites
errantem stilum ducebat.
Dafs namentlich auch die Schulknaben sich solcher
Tafeln bedienten, haben wir schon gesehen, und können uns
daher nicht wundern, wenn Gualterius sie anredet:
Vos o beatuli dipticae geruli!
und: Ter pia concio pinacis baiula, *)
was ebensowohl an Horazens (Senn. 1, 6, 74):
Laevo suspensi loculos tabulamque lacerto,
*) Th. Wright, The Latin poems commonly attributed to Walter Ma-
pes, p. 130.
54 Schreibstoffe.
wie an unsere Schulknaben mit ihren Schiefertafeln erinnert.
Es waren nicht immer gerade Wachstafeln; deutlich aber sind
diese bezeichnet Carmina Burana p. 73, wo ein Jüngling zu
fleifsigen Uebungen ermahnt wird:
Postquam dormieris, sit mos tuus, ut mediteris.
Quae meditatus eris, tabulis dare ne pigriteris.
Quae dederis cerae, cupio quandoque videre.
So heifst es auch in dem französischen Roman von Floire
et Blanceflor, welchen Edölestand Du M6ril nebst mehreren
ähnlichen Stellen anführt:
Et quand a l'escole venoient,
les tables d'yvoire prenoient:
Adonc lor v&ssiez escrire
letres et vers d'amors en cire.
Und im Orologe de la Mort, aus dem 14. Jahrhundert:
Les uns apprennent a escripre
des greffes en tables de cire,
Les autres suivent la coustume
de fourtner lettres a la plume,
Et paignent dessus les p6aux
et de moutons et de vöaux.
Johannes Busch (f 1478) gab einem jungen Mönch, wel-
cher ihm klagte, dafs er an Feiertagen sich nicht zu beschäf-
tigen wisse, den Bath, quod haec verba: Miserere mei Deus,
aut alia his similia scriberet in dictica, et 'statim complanando
Herum ea deleret, dicens: Domine deus meus, ad honorem tuum
haec fecL (Du M6ril p. 507 ex Chron. Windeshem. 2, 587.)
Dergleichen Schultafeln hat man nun kürzlich gefunden,
in Lübeck, wo beim Ausräumen einer alten zur Jacobikirchen-
schule gehörigen Kloake Wachsschreibtafeln, mit Schtilerschrif-
ten des 15. Jahrhunderts, Schreibstifte, Dintenfässer, Messer,
Dammsteine (zum Rechnen?), Strafhölzer zum in die Hand
klappen, an den Tag kamen. *)
*) Zeitschrift des Vereins für Lüb. Gesch. 2. 556, vgl. Anzeiger d.
Germ. Mus. 1866 Sp. 388.
.Wachstafeln. " 55
Wenn nun hier, wie es scheint, die Wachstafeln im 15. Jahr-
hundert abgeschafft wurden, so finden wir sie dagegen noch
gebraucht in der Reformation der 4 lateinischen Schulen zu
Nürnberg vom Jahr 1485, in folgender Vorschrift:* Und so
dann ettlich derselben Knaben bafs geschickter unnd lenger gein
schul ganngen sind, sollen sie angehalten werden, das ir ieder
alle morgen vnnd auch nachmittag ein frische schrift seiner hannd
von buchstaben oder von ettlichen wortten teutsch vnnd lateinisch
in wachs oder auf papir seinem locaten zaig vnnd weifse, die
dann der selb locat cancelliren oder vnderstreichen vnnd die kna-
ben zu formierung gutter Buchstaben vnnd Schriften anleyten soll.
Zu diesem Gebrauche stimmt es nun vollkommen, wenn
wir in dem Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg, die
von 1167 bis 1195 Aebtissin zu Hohenburg im Elsafs war (her-
ausgegeben von Engelhardt 1818) auf Tafel 8 die Grammatica
dargestellt sehen, die in der einen Hand die Ruthe (scopae)
hat, in der andern ein geschlossenes Buch ; neben ihr aber die
Dialectica, welche die schon weiter vorgeschrittenen Schüler
empfängt, in der rechten Hand den stilus, in der linken die
geöffnete tabula hält, welche ganz die Gestalt der alten Di-
ptycha hat. Die auf derselben Tafel dargestellten Philosophen
und Poeten schreiben an Pulten mit der Feder aus dem Din-
tenhorn, welches auf dem Pult befestigt ist; einige sind be-
schäftigt, ihre Federn zu schneiden.
Von ähnlicher Gestalt sind auch die Wachstafeln, auf
welchen in den von v. d. Hagen herausgegebenen Handschrif-
tengemälden (Abh. der Berl. Akad. 1851 Tafel 7) der von
Gliers schreibt.
Auch die Karthäuser erhielten nach den alten 1259 ge-
sammelten Statuten, nebst dem übrigen Schreibgeräth tabulas
et graphium.
Wohl die merkwürdigsten und wichtigsten, noch im Ori-
ginal erhaltenen Wachstafeln aus dem [Mittelalter sind die
*) Heerwagen : Zur Geschichte der Nürnberger Gelehrtenschulen, S. 6
in einem Programm von 1863.
56 Schreibstoffe.
Rechnungen der französischen Könige L u d w i g s IX (von 1256
und 1257) und Philipps III und IV von 1282 bis 1286 und
1301 bis 1308, welche sich in Paris, Genf und Florenz erhal-
ten haben, häufig erwähnt, aber erst kürzlich von N. de Wailly
und L. Delisle herausgegeben sind, im 21. und 22. Bande des
Recueil des Historiens des Gaules (1855 und 1865). Den Ta-
feln Ludwigs IX (Vol. 21, 284 bis 392) ist auch ein vorzügliches
Facsimile von Gustave Barry beigegeben, durch welches das
ältere der Benedictiner (Nouveau Tr. I zu p. 468) von den
Tafeln von S. Germain aus dem Jahre 1307 tibertroffen ist.
Du M6ril hat auch dieselbe Art der Buchführung in Eng-
land nachgewiesen durch eine Stelle des Boke of Curtasye:
At counting stuarde schalle ben,
tylle alle be brevet of wax so grene
wrytten into bokes, without let,
that before in tabuls hase ben sett.
Und aus Chaucer's Canterbury tales:
His felaw had a staf tipped with hörn,
a pair of tables all of ivory,
and a pointel ypolished fetisly.
Man sieht daraus recht deutlich, clafs die öfter erwähnten
Tafeln von Elfenbein auch mit Wachs überzogen waren, weil
man sonst darauf nicht mit einem Griffel hätte schreiben
können.
Das Ueberschreiben von Wachstafeln in ein Buch ist nach
der Tapisserie von Nancy (herausgegeben von Jubinal) aus
dem 1 5. Jahrhundert abgebildet von Th. Wright : A history of
domestic manners and sentiments in England (1862) p. 439.
Wenden wir uns nun wieder dem litterarischen Gebrauch
der Wachstafeln zu, so finden wir in Thomae a Campis Vita
Florentii c. 23 die Angabe, dafs die zahlreichen Schüler, welche
der Ruf des Florentius (f 1400) nach D eventer zog, die
Worte des Meisters darauf verzeichneten, um sie entfernten
Wachstafeln. 57
Freunden zu senden. Weit merkwürdiger aber ist die Nach-
richt, welche in einer Handschrift der Bibliothek zu Siena
steht; diese enthält nämlich die Predigten, welche der heilige
Bernardin dort im Jahre 1427 am frühen Morgen gehalten hat,
und die sämmtlich von einem frommen Tuchscherer auf Wachs-
tafeln nachgeschrieben sind: detto Benedetto cimalore stando
alla predicha inscriveva in cera con lo stile, e detta la predica,
tornava alla sua bottega, ed iscriveva in Jbglio, per modo che
il giorno medesimo, innanzi che si ponesse al lavorare, aveva
inscripta due volte la yredica .... non lassandö una minima
paroluzza che in quel tempo usci da quella sancta boccha. Es
ist schwer zu begreifen, wie man so viel und so rasch auf dem
Wachs schreiben konnte, doch mufs es wohl möglich gewesen
sein. Jene Stelle ist angeführt von Tabarrini im Archivio Sto-
rico, Append. 3, 521 — 532, wo er die zu Florenz gefunde-
nen Tafeln beschreibt. Dort liefs nämlich Camillo Majorfi sein
Haus di Porta Bossa ausbessern, zu welchem auch ein alter
Thurm gehörte, und in einer Oeffnung an der Aufsenwand
dieses Thurmes, jetzt ganz unzugänglich, fand man die Tafeln ;
vermuthlich hatte in alter Zeit eine hölzerne Galerie dorthin
geführt, und der Besitzer mag im Kampfe gefallen sein, ehe
er seinen Schatz wieder heben konnte. Die Tafeln sind aus
Buchenholz verfertigt und mit schwärzlicher Wachsmasse über-
zogen; der untere Deckel fehlt, der obere ist dicker und mit
einer Oeffnung für den Griffel versehen. Fünf Tafeln sind auf
beiden Seiten beschrieben; schmale Oeffnungen zeigen, dafs
sie durch Pergamentbänder zusammen gehalten wurden. Die
Schrift ist den Langseiten parallel, und enthält Rechnungen
eines Kaufmanns vom Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahr-
hunderts.
Andere Tafeln hat man in einem Torfmoor in Irland
gefunden; sie gehören zu den Adversarien, deren Gebrauch
wir so häufig erwähnt fanden, und enthalten grammatische
Kegeln und allerhand verschiedenes Gekritzel in angelsächsi-
scher Schrift des 14. oder 15. Jahrhunderts, abgebildet in den
Transactions of the Royal Irish Academy, Vol. XXI. von
58 Schreibstoffe.
Todd, mit einer Abhandlung, die wesentlich in einem Auszug
aus der Untersuchung von Lebeuf besteht.
In der Ambraser Sammlung ist ein Notizenbuch, aus 5
mit schwarzem Wachs überzogenen Täfelchen bestehend, in le-
derner Kapsel, zum Anhängen an den Gürtel, wie man es
auch in alten Abbildungen sieht. l ) Solche Tafeln waren es
wohl, mit welchen Ott Ruland ein schwunghaftes Geschäft
betrieb, da er 1446 in sein Handlungsbuch eintrug: Item Jan
Fleming des Gothircz gesel von Basel, belibt mir schuldig umb
schribdafel 180 gülden. 2 ) Man hat sie auch im Mittelalter mit
kostbarem Schnitzwerk aus Elfenbein verziert, wovon Du Me-
ril p. 113 mehrere Beispiele anführt; Mus6e de Cluny n. 430
ist eine Elfenbeinplatte, welche die Krippe und die Hirten mit
dem Stern darstellt, auf der Rückseite aber für Wachs einge-
richtet ist. Sie wird dem 15. Jahrhundert zugeschrieben. An-
dere Darstellungen sind ganz weltlicher Art, und ebenso der
Griffel von Elfenbein n. 408, auf dessen dickem Ende ein
Ritter mit einem Falken und eine Dame mit einem Hündchen
stehen, auf einer Art von Kapitell, welches zum Glätten des
Wachses gedient haben mag.
Um 1500 scheint diese Verwendung der Wachstafeln auf-
gehört zu haben, keineswegs aber ihr Gebrauch zu anderen
Zwecken.
Seit alter Zeit war es herkömmlich und nothwendig, in
den Kirchen und Klöstern die wechselnden Off icien auf einer
Tafel zu verzeichnen ; sehr oft werden solche tabulae erwähnt,
doch ohne Angabe des Materials. Du M6ril aber führt p. 108
eine Stelle aus dem Ordinarium des Priorats von Saint-Lö zu
Rouen (um 1250) an: Qui ad missam lectiones vel tractus dic-
turi sunt, in tabula cerea scripti primitvs recitentur. Dafs diese
Sitte weit verbreitet war, und dafs sie sich lange erhalten hat,
zeigen die tabulae officiorum aus einem Nonnenkloster in der
1 ) Sacken, die Ambr. Samml. 2, 258.
2 ) Ott Rulands Handlungsbuch ed. Fr. Pfeiffer (l. Publication des
Lit.-Yereins 1843) p. 1.
Wachstafeln. 59
fürstlich Hohenzollerschen Sammlung zu Sigmaringen, wovon
ich im Anzeiger des Germanischen Museums 1867 Sp. 239
Nachricht gegeben habe. Die Schrift scheint dem vorigen
Jahrhundert anzugehören.
Ungemein häufig dienten die Wachstafeln, wie schon er-
wähnt, seit den Römerzeiten zu Rechnungen, vorzüglich auch
zu Zinsregistern. Man findet deren sehr viele in städtischen
Archiven, und in Sammlungen, alle mit Eintragungen aus dem
14. und 15. Jahrhundert, in welchem sie durch das all-
gemeiner und billiger werdende Papier verdrängt wurden.
Man liefs sie dann unbeachtet liegen, bis sie später wieder als
Merkwürdigkeit die Aufmerksamkeit erregten. Die Pariser
Bibliothek besitzt nachDuM&ril an 50 solcher Tafeln, von de-
nen zwei deutscher Herkunft (Suppl. lat. 1390) der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts angehören sollen.
Die Wachstafeln in Jauer hat Dr. Th. Lindner in der
Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens
9, 95 — 100 beschrieben; sie enthalten Signaturen aus dem
Jahre 1374, zum Theil Vervestungen mit der Formel: dorumb
derselbe Hanns mit lachten ist in dy echt und tqffel geteilt. Im
Jahr 1381 wurde das papierene Signaturbuch angelegt.
Derselben Zeit (um 1381) gehört ein Kladdenbuch des
Leipziger Stadtrathes an, von buntgemischtem Inhalt, dessen
Wachstafeln sich theils in Leipzig, theils in Schulpforta erhal-
ten haben, und von Professor W. Corssen in den Neuen Mit-
teilungen des thür. sächs. Vereins (1864) J0, 145 — 204 be-
schrieben sind. In Weimar ist nach Hesse S. 377 ein aus
10 Wachstafeln bestehender Codex, welcher ein summarisches
Register über die Einnahme des Stadtraths zu Leipzig enthält,
vom Jahre 1420, in Dresden (ib. p. 359) Leipziger Steuerre-
gister auf Wachs von 1426; in Wittenberg 10 Tafeln vom Jahr
1428, welche beim Rathe zu Leipzig zu einem Register für
Gerichtskosten gedient haben.
In Liegnitz verbrannten am 25. Mai 1338 der stad re-
gister, quaternen und taffein, dorinne ire gesehosse und schulde
woren besckreben, und nach dem Brande: sind abir dy ge-
60 Schreibstoffe.
schossere in tafiln geschrebin gewest noch der alden weisse, also
das man umbe xiiij iar donoch keyn recht register gehaben mag.
Die noch vorhandenen gehören erst den neunziger Jahren des
14. Jahrhunderts an, und sind nur Kladden, welche später in
Bücher überschrieben wurden. *) Ein Stück davon, vom Jahr
1396, scheint ins Kloster zu Sagan entkommen, und von da
nach Breslau gelangt zu sein. 2 )
Von Erfurter Ausgaberegistern auf Wachs von 1424 bis
1426 giebt Hesse a. a. 0. p. 360 — 366 Nachricht.
Wachstafeln auf der Berliner Bibliothek enthalten Rech-
nungen des Stadtraths zu Hannover vom J. 1428; sie gehö-
ren wohl zu den 12 Tafeln auf dem Rathhaus der Altstadt
Hannover, welche Wehrs (Vom Papier, Halle 1789 S. 29—32)
beschreibt. Sie enthalten, wie sehr häufig, Namen, bei denen
dann die geleisteten Zahlungen vermerkt wurden.
Regensburger Wachstafeln aus derselben Zeit im Na-
tionalmuseum zu München sind vorzüglich gut erhalten, das
Wachs noch weich.
Auf den in Arnsta_dt noch vorhandenen Tafeln ist das von
den Bürgern 1457 entrichtete Ungeld nach den Stadtvierteln
verzeichnet, wie Hesse in Arnstadts Vorzeit und Gegenwart
(Arnstadt 1843) p. 121 bis 124, und im Serapeum 21, 357 bis
359 berichtet.
In Strafsburg ist „derselben Wachstafeln Gebrauch in
Beschreibung der gemeinen Stadt Einkommens und Aufsgaben
oder Pfennigthurms-Rechnungen noch bifs anno 1 500 in Uebung
verblieben, wie solche Wachstafel-Rechnungen noch auff dem
Pfennigthurme uffgehoben, und jährlich nebenst andern raren
Antiquitäten uff Joh. Baptiste öffentlich gezeigt zu werden
pflegen." 3 )
Die Beispiele noch weiter zu häufen ist überflüssig ; beson-
dere Erwähnung aber verdient das Giltbüchlein der Burg
') Schirrmacher, Urkundenbuch der Stadt Liegnitz (1866) p. VII. IX.
2 ) Pertz' Archiv 11, 706.
ä ) Schilter in den Aömerkungen zu seiner Ausgabe von Jacobs v. Koe-
nigshofen Chronik (1698) p. 441.
Wachstafeln. 61
zu Nürnberg und der dazu gehörigen Besitzungen, aus dem
Ende des 14. Jahrhunderts, wegen seiner eigenthümlichen Ein-
richtung. Es besteht nämlich aus 11 Tafeln, deren Vorder-
seite quergetheilt und mit Wachs versehen ist, die Rückseite
aber ist mit Pergament überzogen. Hier finden sich die Na.
men der Dörfer und Personen, auch mit der Feder gezeichnete
Ansichten der Orte, und daneben auf dem Wachs die Bemer-
kungen des burggräflichen Kästners. 1 )- Ganz ähnlicher Art,
vielleicht noch etwas älter, ist das Wachstafelbuch der Canonie
Po Hing, früher im Besitz des Dr. J. Sighard, jetzt im Na-
tionalmuseum zu München, welches auf 11 oben abgerundeten
senkrecht getheilten Tafeln, links auf Pergament die Grund-
holden und Güten des Klosters in Tirol, rechts auf Wachs Be-
merkungen dazu enthält. Einfache Pollinger Wachstafeln mit
Rechnungen von 1431 — 1442 sind auf der Münchener Bibliothek
und von Schindler beschrieben. 2 )
Während nun die neuere Zeit an den meisten Orten das
Wachs durch das Papier verdrängte, erhielt der Gebrauch
desselben sich bei einigen Salzwerken, wo auch andere al-
terthümliche Sitten hafteten. Zu Halle an der Saale be-
stand die sogenannte Lehntafel aus Wachstafeln, d. h. das
Grundbuch für die Antheile an den Salzbornen, welches in
drei verschiedenen Exemplaren, die unter verschiedenem Ver-
schlufs waren, gleichzeitig geführt wurde, und dadurch gegen
Fälschung gesichert war. Wir haben genaue Nachrichten dar-
über von Joh. Christoph von Dreyhaupt, und von Job. Peter
v. Ludewig, der k. Commissarius bei der Lehntafel war, und
sie zu seiner Vita Justiniani p. 185 hat abbilden lassen. Ich
habe in den neuen Mittheilungen des Thür.-Sächs. Vereins 11,
444 — 460 einen Aufsatz darüber mitgetheilt. Dreyhaupt hat
uns sogar (Beschreibung des Saalkreises p. 105)dasRecept über-
liefert, welches 1681 bei der Erneuerung angewandt, und vermuth-
*) Baader im Anzeiger des Germ. Mus. 1865 Sp. 101.
2 ) 8. Dr. J. Sighard, ein Wachstafelbuch aus dem Kloster Polling, in
den Abhandlungen der k. bayer. Akad. (1866) 9, 343 — 356.
62 Schreibstoffe.
lieh von Alters her überliefert war. Denn einfaches Wachs
läfst sich in solcher Weise nicht verwenden. Die Masse mufs
etwas weicher sein ; auf allen alten Exemplaren ist sie hart und
spröde geworden, bröckelt auch deswegen leicht ab. Dagegen
ist sie in einem der jüngeren Hallischen Exemplare eher zu
weich geblieben, und haftet nicht recht an der Unterlage; es
verlangte eben auch die Verfertigung der Wachstafeln ihre
eigene Wissenschaft.
Fortgedauert hat in Halle der Gebrauch bis zum Jahr 1 783,
wo er durch königliche Verordnung aufgehoben wurde; länger
erhielt sich eine ähnliche Sitte in Schwäbisch Hall, bis auch
hier der nüchterne moderne Staat der Sache ein Ende machte,
als er 1812 an die Stelle der Privatsieder trat. Die hier ge-
bräuchlichen und schon 1768 von Hanfseimann beschriebenen
Tafeln hatten aber eine andere Bestimmung; sie enthalten die
Namen der Sieder, und wurden gebraucht, wenn das Flos-
oder Haalholz auf dem Kocher ankam, und nach seinen Mar-
ken den Eigenthümern zugetheilt wurde, um bei den Namen
derselben die erhaltene Quantität zu vermerken. Das doppelte
Exemplar diente wohl auch hier zur Controle ; eines davon ge-
hört jetzt dem fränkischen Alterthumsverein in Sehwäbisch-
Hall, das andere sammt dem Markenbuch dem Herrn Prof.
Zahn in Graz, s. Anz. d. Germ. Mus. 1866 Sp. 95. 1867Sp. 79.
Endlich aber hat sich, wie Ed61estand Du M6ril p. 113
mittheilt, auf dem Fischmarkt von R o u e n noch jetzt die Sitte
erhalten, dafs die übrig gebliebenen Fische am Schlüsse ver-
steigert werden, und das Ergebnifs auf Wachstafeln eingefra-
gen, deren Abbildung er mittheilt.
3. Thon und Holz.
Auf Thonscherben hat man im Alterthum dann und
wann mit Dinte oder Farbe geschrieben; der Ostrakismus der
Athener zeugt davon, aber nur das trockene ägyptische Klima
hat dergleichen Schrift bis auf unsere Zeit bringen können.
Da hat man solche Scherben mit griechischer und koptischer
Schrift viel gefunden, welche man jetzt in den Museen sieht;
Thon und Holz. 63
sie sind paläographisch nicht unwichtig. Meistens enthalten
sie Quittungen, zuweilen auch Briefe, s. Corpus Inscriptionum
Graecarum 3, 408 — 416. 497 — 504. Young's Hieroglyphics
tab. 53 — 55. Auf einer solchen Scherbe finden sich 8 Zeilen
in höchst barbarischem Griechisch, welche nach der Erwäh-
nung der Wunder Christi in eine Anrufung tibergehen, ver-
muthlich ein Amulet ; s. Egg er, M6moires d'histoire ancienne
p. 428, und Observations sur quelques fragments de poterie
antique provenant d'Egypte, M£m. de l'Acad&nie des Inscrip-
tions XXI, 1, 377—408 mit Facsimile. 1 )
Allenfalls kann man auch die Wände zum Schreibma-
terial rechnen, weil die in Pompeii und in den römischen Ka-
takomben angemalten und eingeritzten Aufschriften ein pa-
läographisch merkwürdiges Material liefern, welches sich von
den eigentlichen Inschriften bedeutend unterscheidet.
Backsteine hat man bekanntlich seit uralter Zeit in der
Weise zum Schreiben benutzt, dafs in den noch weichen Thon
Schriftztige eingedrückt wurden, welche durch Brennen Festig-
keit erhielten. Bei Babyloniern und Assyriern war diese Me-
thode im ausgedehntesten Gebrauch. Aber auch bei den Rö-
mern kommen dergleichen Backsteine mit Inschriften vor, nicht
nur Steine mit eingedrückten Fabrikstempeln, die sehr zahl-
reich sind, und Cursivbemerkungen der Arbeiter, sondern bei
Steinamanger, dem alten Sabaria, und bei Nymwegen 2 ) sind
auch Backsteine mit Alphabeten gefunden, und an ersterem
Orte ein zweiter mit den Versen:
Senem severum semper esse condecet.
Bene debet esse pouero qui discet bene.
*) Vgl. auch C. Leemans: Over eene Potscherf met Griekschen Tekst in
het Museum van Oudheden te Leiden, in: Verslagen en Mededeelingen der
k. Akad. van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde (Amst. 1866) 10,
207—223.
2 ) s. Janssen: Beschreibung eines röm. Ziegels mit zwiefachem lat.
Alphabet, Leiden 1841, und: Over twee romeinsche Opschriften in Cursief-
schrift, op tegels uit Holdeurnt onder Groesbeek, in: Verslagen en Mede-
deelingen 9, 13 — 22.
i
64 Schreibstoffe.
Es kann wohl keine Frage sein, dafs diese Steine zu Vor-
lagen beim Schreibunterricht bestimmt waren, und da ist es
sehr merkwürdig, dafs die Alphabete zwar eine ziemlich reine
Capitalschrift zeigen, die Verse aber genau mit der Schrift der
Wachstafeln übereinstimmen, und also auch diese Schrift, ent-
artet wie sie war, in den Schulen gelehrt wurde. 1 )
Andere Fragmente zeigen geringere Schriftreste in den-
selben Buchstabenformen. 2 )
So haben wir also schon zweierlei Material zum Schulge-
brauch kennen gelernt, aber auch einfache Holztafeln, mit
Dinte beschrieben, dienten zu demselben Zweck.
Bücher, die aus dünnen Tafeln von Lindenholz bestanden,
(fdvQct, cpiXvQtov benannt, werden öfter erwähnt. 3 ) Jede ägyp-
tische Mumie hatte ihr Täfelchen, rdßla, auf dem ihr Name
stand. 4 ) Auch eine Holztafel von der Brust einer Mumie mit
griechischen Versen soll Brugsch mitgebracht haben. Aber in
Aegypten hat sich neben den schon früher erwähnten Wachs-
tafeln mit Schülerschriften auch eine gröfsere Tafel aus har-
tem Holz gefunden, sorgfältig geglättet, 12 Zoll lang, 6 Zoll
breit, x k Zoll dick, welche zwei Trimeter mit Feder und Dinte
erst vorgeschrieben, dann mehrmals nachgeschrieben enthält. 5 )
In Leiden ist eine andere Holztafel aus Aegypten, auf welcher
ein griechisches Alphabet geschrieben ist. 6 )
In Siebenbürgen fand man an dem Fundorte der a.
Wachstafeln in einer verlassenen Goldgrube zu Vöröspatak,
1824 ein Büchlein in kl. Octavform, das aus 5 oder 6 sehr
1 ) Joh. Paur : Ueber zwei römische Ziegeldenkmäler aus Steinamanger
in Ungarn, Sitzungsberichte der Wiener Akademie 14 (1855) p. 133 — 141.
2 ) Arneth im Jahrbuch der Centralcommission I, aus Laureacum, bei
Paur wiederholt, und Janssen, Musei Lugd. Batavi Inscriptiones p. 167.
Tab. 33.
3 ) Becker-Marquardt 5, 2, 382 n. 2.
4 ) Papyrus Grecs du Musee du Louvre p. 434.
5 ) in Dr. Abbot's Sammlung in New- York, s. Welcker im Rhein. Mus.
(1860) 15, 157.
6 ) Reuvens, Lettres ä M. Letronne 3, 111, wo auch ein Papyrus mit
einfachen und combinirten Buchstaben zum Unterricht beschrieben wird.
Thon und Holz. 65
dünnen, auf beiden Seiten beschriebenen Blättchen aus Linden-
holz bestand. Sie wurden „einem reisenden vaterländischen
Forscher" zur Entzifferung tibergeben, sind aber leider spurlos
verloren gegangen. Ein zurückgebliebenes Fragment zeigt
Schriftzüge, welche an die Schrift der Wachstafeln erinnern,
sind aber, da das Holz durch die Zeit gebräunt ist, schwer
mit Sicherheit zu erkennen, und wohl zu fragmentarisch, um
eine Deutung zuzulassen.
Holztafeln zum Schulgebrauch weifs ich weder bei den
Römern noch im Mittelalter nachzuweisen, wohl aber sah ich
in Schäfsburg in Siebenbürgen starke Holztafeln mit einer
schmäleren Handhabe, welche dort noch vor nicht sehr langer
Zeit zu Uebungen im Schreiben gebraucht wurden, und also an
die ägyptische Sitte erinnern.
In der Berliner Bibliothek befinden sich 12 Buchsbaum-
täfelchea mit sehr sauber ausgeführten Bleistift -Zeichnungen
eines niederrheinischen Künstlers aus dem 15. Jahrhundert.
Sie sind 1830 von Paltzow lithographirt und herausgegeben,
von Passavant im Kunstblatt 1841 n. 89 besprochen worden;
vgl. C. Schnaase, Geschichte der bildenden Künste im Mittel-
alter 4, 580 — 584.
Ein Seitensttick dazu besitzt die Ambraser Sammlung,
14 hölzerne Täfelchen zum Zusammenlegen in einem Leder-
futteral, mit Federzeichnungen eines niederländischen oder
rheinischen Künstlers aus demselben Jahrhundert, nach Ed.
von Sacken's Beschreibung dieser Sammlung 2, 260. Ebenda
befinden sich auch nach p. 258 fünf Schreibtäfelchen von Schie-
fer, vermuthlich von K. Ferdinand I.
Auch Kalender wurden im Mittelalter häufig auf Holz-
täfelchen geschrieben.
Diplomatisch nicht unwichtig sind endlich die Kerbhölzer,
talea, tallia, taille, ein Name, welcher auf die mittelst solcher
Kerbhölzer erhobene Steuer übertragen wurde. In England
wurden die Steuern bis 1834 auf solche Weise verrechnet, und
als man endlich das alte System verliefs, wurden die massen-
haft aufgehäuften tallies im Hofe des Parlamentsgebäudes ver-
Wattenbach, Schriftwesen. 5
66 Schreibstotfe
brannt. Das Feuer ergriff und verzehrte das ganze Gebäude,
die erste Frucht der Neuerung aber war ein colossaler Un-
terschleif.
Die Kerbhölzer, deren Gebrauch im häuslichen Leben noch
hier und da fortdauert *), sind gespaltene Stäbchen, von denen
Gläubiger und Schuldner je eine Hälfte erhalten; bei der
Zahlung werden die Hälften an einander gefügt und Einschnitte
gemacht. Auch kann eine Quittung auf die geglättete Aufsen-
seite geschrieben werden. Im Record-Office in London sah
ich solche tallies aus König Johanns Zeit; Judenschuldbriefe,
vom König geraubt, waren daran gebunden, und die nun an
den König geleistete Zahlung auf dem Holz vermerkt.
4. Papyrus.
Die Hauptstelle über die Bereitung des Papyrus und die
verschiedenen Arten der Waare ist Plinii Hist. nat. XIII, 11 — 13.
Die Dunkelheit derselben hat den Auslegern viele Noth ge-
macht und viele Mifsverständnisse veranlafst; es ist jedoch
nicht nothwendig, hier darauf einzugehen, und wegen der Fa-
brication gentigt es zu verweisen auf : Dureau de la Malle,
Memoire sur le Papyrus, 1850, in den M6moires de l'Acad&nie
des Inscriptions, Vol. XIX.
BvßXog, ßißkog, auch 7cd/tvgog, ist eine Art Binse, Cyperus
papyrus, die zu vielfältigem Gebrauch diente, und in Aegypten
vorzüglich im Delta angebaut wurde. Heimisch ist sie dort
nicht, und jetzt ganz verschwunden. Nach den alten Abbil-
dungen ist es die in Nubien noch jetzt heimische Art, welche
sich durch aufrecht stehende Bltithenbtischel und geringere Höhe
unterscheidet von der syrischen, nach Pariatore, Memoire sur
le Papyrus des Anciens et sur le Papyrus de Sicile, in den
M6moires präsentes k TAcad&nie des Sciences (1854) 12, 469
bis 502. Der syrische, Cyperus Syriacus, von den Alten nicht
erwähnt, ist nach Pariatore eine andere Species; vermuthlich
wurde er von den Arabern cultivirt, und von ihnen auch nach
*) vgl z. B. Boner's Siebenbürgen p. 544.
Papyrus. 67
den Sümpfen bei Palermo verpflanzt, wo ihn Ebn Haucal im
zehnten Jahrhundert erwähnt. Man machte Papier für den
Sultan daraus. Diese Sümpfe sind 1591 ausgetrocknet und in
Folge davon die Pflanze verschwunden. Bei Syrakus ist sie
erst zwischen 1624 und 1674 nachweisbar. Die neueren Ver-
suche, vorzüglich des Präsidenten Landolina, aus dieser Pflanze
Papier nach Art der Alten zu machen, bespricht Dureau de
la Malle ausführlich; niemand aber hat bisher Kunde gehabt
von einer viel älteren Unternehmung der Art, von welcher ich
durch gütige Mittheilung des Herrn Prof. Zahn in Graz Nach-
richt erhalten habe. Dieser erwarb nämlich ein Papyrusblatt
von 8 Zoll öst. Breite, 7 Zoll 1 Linie Höhe, ganz correct nach
antiker Weise verfertigt. Auf der einen Seite ist eine Feder-
zeichnung, die mit dem Pinsel ausgemalt ist; sie stellt einen
Teich dar, aus dem 12 Papyruspflanzen sich erheben, zwischen
denen zwei Schwäne rudern. Darunter steht geschrieben: II
Papiro della Fönte Ciane di Siracusa, fatto da Michelangelo
Politi, il giorno 23. 8bre 1635.
Im Alterthum ist der aus der Pflanze verfertigte Schreib-
stoff mit derselben gleichnamig; er heifst auch x<*Q Tr }S> ckarta,
wovon das Beiwort x a Q T< i )0 ^ chartaceus. In späterer Zeit sind
diese Ausdrücke auf andere Stoffe, namentlich auf Papier über-
tragen. Daher heifst es: x^Qt^g toxi tocltco tccitcvqov ö^g/ua,
rj eriga vhr\ Ttgog yQCccprjv 7tZTC0ir\i.i£vy\. Schol. 1. 22. Basili-
corum.
Im Mittelalter heifst eine Urkunde auf Papyrus gewöhn-
lich tomus.
Häufig begegnet man dem Irrthum, der aus den Worten
des Plinius entstanden ist, als ob der Schaft des Papyrus aus
verschiedenen Häuten bestehe, in die er sich zerlegen lasse.
Das ist bei dieser Binse so wenig wie bei andern Binsen mög-
lich, da sie nur ein gleichartiges Zellgewebe enthalten, und
Herr Marquardt würde grofse Mühe haben, seine 20 Bastlagen
zu finden. * Man zerlegte vielmehr das Zellgewebe mit einem
scharfen Instrument in schmale Schichten, von denen die mittelsten
als die breitesten das beste Papier gaben. Die Schichten wur-
5*
68 Schreihstoffe.
den neben einander gelegt und mit einer zweiten Lage kreuz-
weise bedeckt; aufgegossenes Nilwasser brachte den Pflanzen-
stoff in Auflösung, der sich dann fest mit einander verband,
geprefst, getrocknet und geglättet wurde. Zum Verkauf wurde
es gerollt, da die Breite oder Höhe begränzt, die Länge aber
unbeschränkt war.
Dieser Stoff war in Aegypten seit den ältesten Zeiten im
Gebrauch; auf den frühesten Wandgemälden aus dem alten
Reich finden wir Schreiber mit Papyrusrollen dargestellt, und
auch ägyptische Urkunden aus jenen Zeiten sind im Original
erhalten. Es ist deshalb unbegreiflich, wie Varro, und nach
ihm Plinius, die Erfindung erst in Alexanders Zeit setzen konn-
ten, da doch schon aus Herodot das höhere Alter bekannt
war. Man vermuthet daher ein Mifsverständnifs, und hat es
so gedeutet, als sei die Fabrication, die bis dahin Regal ge-
wesen, damals frei geworden.
Ebenso unbegründet ist die Meinung von C. A. Böttiger
(Ueber die Erfindung des Nilpapiers und seine Verbreitung in
Griechenland, Kleine Schriften 3, 365), der für die griechische
Colonie in Naukratis den Ruhm der Erfindung in Anspruch
nimmt.
Zu Montfaucon's Zeit gehörten ägyptische Papyrusstücke-
noch zu den gröfsten Seltenheiten ; jetzt sind die Sammlungen
davon erfüllt, und man hat diese Rollen massenweise, sowohl
mit ägyptischer wie mit griechischer Schrift*). Eine photogra-
phische Abbildung giebt Sicßel, Monumenta Graphica 1 ; ganz
vorzügliche und anschauliche Proben die Etudes palöographi-
ques et historiques sur des Papyrus du VI. siöele, Genf 1866.
Ferner die schönen Facsimile der griechischen Papyrus von
Devßria in Band XVIII, 2 der Notices et Extraits des Ma-
nuscrits, u. a. m.
Auch in Griechenland hatte dieses Material nach Herodot
*) Vgl. darüber Egger, Mämoires d'histoire ancienne, 1863, p. 141 bis
196: De quelques textes grecs recemment trouves sur despapyrus qui pro-
viennent de l'figypte.
Papyrus. 69
5, 58 schon längst das altorientalisclie Leder verdrängt, und
war der ganz allgemein übliche Schreibstoff. Die Ionier aber
nannten es noch aus alter Gewohnheit dicpftioag.
In Athen kosteten 407 a. C. yao%ai duo zwei Drachmen
und vier Obolen, was sehr viel ist, wenn die Gröfse wirklich
so gering war, wie Egger, Memoires d'hist. anc. p. 135 — 140
annimmt.
Ebenso verdrängte es in Italien alle früher üblich gewe-
senen Schreibstoffe, und auch nach der Erfindung des Perga-
ments blieb es nicht allein der häufigere Stoff für Bücher, son-
dern auch der allein herrschende für den häuslichen Gebrauch,
für Briefe und Urkunden. Es wird billiger und bequemer ge-
wesen sein. Alle Bücher, welche man in Herculaneum gefun-
den hat, sind auf Papyrusrollen geschrieben; die lateinischen
aber viel schwerer aufzurollen als die griechischen, vermuth-
lich wegen der neuen Appretur, die man in Rom dem Stoffe gab.
Der Verbrauch war so grofs, das Material so unentbehr-
lich, dafs bei einer durch Mifswachs erzeugten Theuerung das
Leben der Händler in Gefahr war : Sterilitatem sentit hoc quo-
que, Jactumque tarn Tiberio principe inopia chartae, ut e senatu
darentur arbitri dispensandi: alias in tumultu vita erat. Plin.
XIII, 13.
Wir haben oben S. 39 schon gesehen, wie Augustin sich
entschuldigte, weil er zu einem Briefe Pergament anstatt des
üblichen Papyrus nahm ; er setzt noch hinzu, dafs er eine eben
von ihm verfafste Schrift senden wolle, si charta intcrim non
desit. Auch noch Cassiodor Var. XI, 38 schreibt eine Papy-
ruslieferung für die k. ostgothische Kanzlei aus, und ergeht
sich dabei nach seiner schwülstigen Weise in einem Schwall
von Redensarten, nach denen man eigentlich glauben Sollte,
es habe niemals ein anderes Schreibmaterial gegeben. Für
Acten und Urkunden war aber wirklich ein anderes nicht ge-
bräuchlich, und nach de Wailly ist die älteste bekannte Perga-
menturkunde erst vom Jahre 671.
Aus dem fünften Jahrhundert besitzen wir Fragmente
zweier Originalrescripte der kaiserlichen Kanzlei, nach der Un-
y
70 Schreibstoffe.
tersuchung von Th. Momni8en,im Jahrbuch des gemeinen deut-
schen Rechts von Bekker, Muther und Stobbe (1863) 6, 398
bis 406. Während nach Plinius die Charta Augusta und Livia
nur 13 röm. Zoll Höhe hatte, die Claudia 16 Zoll, ein gröfse-
/ y res von 24 Zoll aber als unpraktisch wieder aufgegeben war,
haben diese Rescripte eine Höhe von 1 7 röm. Zoll oder 1 griech.
Fufs, und dasselbe Format findet sich in ägyptischen Rollen
sehr häufig; ein königliches Rescript von 99 v. Chr hat sogar
die Höhe von 25 röm. Zoll. Die Länge ist oft sehr bedeutend ;
in dieser Richtung wurden die Blätter bei der Fabrication an
einander geleimt; das erste hiefs ttgioToxoXXov, das letzte
soxaToxolfoov. Jenes enthielt den Namen des Comes largi-
tionum, der das Departement der Fabrication hatte, und die
Angabe von Zeit und Ort; man pflegte das abzuschneiden, aber
für Urkunden verbot es Justinian Nov. 44, 2; jede Urkunde sollte
mit dem Protokoll versehen sein, damit man daran ein Mittel
zur Prüfung der Echtheit hätte *) : 'Exeivo fiivroc rqi naqovxi
7CQ0OTi&e[Ä£v v6(Utj, OJOTE tovq ov t ußolcaoyQdq)ovQ ftrj eig bteqov
XCcqttjv xcc&ccqov ygäcpsiv avfißoXaiov 7tkr\v el /ätj elg ixsivov
og TtQOxei/Lievov %b KaXovixevov ttqwtokoXXov €%€i, cpegov zr^v
xov xccTCt kcciqov IvÖo^otcctov xÖfAfJTOg TCÜV &eiü)V flfJ.B%eQ(x)V
&r]Gctv()ü)v TtQOorjyoQiav xccl xbv xqovov xor#'oV 6 x^Q Tr lS ysyove,
XOfi OTCOöa BTtl T(OV TOIOVTCJV 7tQ0yQ(XCp€Tai' XCcl TOVTO TO TtQtü-
toxoXXov fifj anoxiiiveiv all' eyKeifxevov €%v. Basilicon 1.
XXII. tit. 2 de tabellion (nur für Constantinopel gültig).
Die Eroberung Aegyptens durch die Araber brachte an-
fangs keine Aenderung; die Fabrication wurde fortgesetzt, das
Protokoll wurde arabisch, wie wir es auf einer Bulle des Pab-
stes Johann VIII von 876 (Jaffe 2280) sehen bei Champollion-
Figeac, Chartes et Manuscrits sur papyrus de la Bibliotheque
royale, Paris 1840 f. (27 planches) pl. 1.
Im zwölften Jahrhundert aber ging diese Industrie zu Grunde,
*) Diese Erklärung wird gesichert durch das Scholion: ol/jai vouo-
xtiTBiv xr^v psccqccv, ozi d<peiXovoi rä ovfißokctui iv ^v'Ao^aQrlois yQaipto&uc
Iv yaq avxolg (aovois ti'Qioxovxcci xa tiqutoxoXXcc. Du Canges. v. £vXo%(xqxiov.
Papyrus. 71
vermuthlich verdrängt durch das billigere Papier, auf welches
nun auch die Benennungen 7cä7WQog, Charta, übergingen. Am
Ende des Jahrhunderts sagt Eustathius, 7t<xQ£xßoXcd ad Odyss.
21, 390 zu den Worten ottXov ßvßhvov: eylvovto ydg cpaoiv
CLTtb ßvßkwv alyvTtTiwv, wg ola Ttanvqoiv vdooxctQWV, nada oi
%6t€ f.i€d-a>Ö6vov V7toyLei[Aeva roig yQCccpevoi x a Q T< xQ lcc > ouolct
tacog y.al zä votbqov idiwrixcog Xey6f.ieva ^vXoxaQtict, wv ij
T€X vr ] UQ Tt artJjkeirtTai.
Von griechischen Papyrushandschriften des Mittelalters hat
sich sehr wenig erhalten ; Montfaucon kannte nur wenige Frag-
mente. Besonders merkwürdig ist der Brief Constantins V an
Pippin bei Mab. Suppl. p. 71. Montf. p. 266.
Lateinische Urkunden hat man ziemlich viel, doch fast
nur aus Italien ; in dem ausgezeichneten und sehr werth vollen
Werke von Marini: I Papiri diplomatici, Romae 1805 fol.
sind nicht nur die im Original erhaltenen, sondern auch die
nur aus Abschriften bekannten gesammelt. Aufserdem hat man
aber auch Bücher; der Gebrauch der Rollen scheint früh ab-
gekommen zu sein, und aufser den ägyptischen und hercula-
nensischen sind keine erhalten. Codices chartaceos erwähnt
schon Hieronymus, ein x a Q T( i> ov TBTQadiov die Acta Synodi VI.
a. 680. Mansi XI, 5 1 2. Im Museum zu Leiden ist ein Buch aus Aegy p-
ten mit chemischen Recepten in griechischer Uncialschrift des 3.
oder 4. Jahrhunderts. ! ) Bei einer Mumie fand Harris ein Buch aus
Papyrusblättern, ll 3 /4 Zoll hoch, IOV2 Zoll breit, die auf der einen
Seite der Blätter Stücke der Ilias, auf der andern Seite Tgirpcovog
vixvrj ygaitfÄCCTixT] enthielten, mit entgegengesetzter Richtung
der Schrift. 2 ) Es scheint eine schadhaft gewordene Rolle ge-
wesen zu sein, die auf solche Weise noch nutzbar gemacht
war, und das ist gewifs häufig geschehen. Papyrus wurde
durch das Alter, besonders durch Feuchtigkeit, brüchig, einzelne
Fasern lösten sich ; man hatte dann Aussicht, das Werk besser
'). Reuvens, Lettres ä, M. Letronne p. 65; vgl. H. Kopp, Beiträge zur
Geschichte der Chemie 1, 97.
2 ) The Journal of Classical and Sacred Philology, 1S54. June p. 264.
/
72 Schreibstoffe.
zu erhalten, indem man die Rolle zerschnitt und als Codex
einband, besonders wenn man die einzelnen Blätter mit der
unbeschriebenen Rückseite an einander leimte.
In Wien ist eine Handschrift des Hilarius Pictavensis aus
dem vierten Jahrhundert auf Papyrus; in S. Gallen Homilien
Augustins und Isidors in Uncialschrift des siebenten Jahrhun-
derts, zwei andere Handschriften in Genf. *)
Die Münchener Bibliothek bewahrt das unter Erzbischof
Petrus VI (927 — 971) verfafste Breviarium, das Verzeichnifs des
Gtiterbesitzes der Ravennater Kirche mit Bezeichnung der Pacht-
verhältnisse, zuweilen auch der Schenker, auf 36, meistens auf
beiden Seiten beschriebenen Blättern in kl. folio. Es ist 1810
von Bernhart unter dem falschen Titel: Codex Traditionuni
ecclesiae Ravennatensis, mit einer Schriftprobe herausgegeben.
Auch legte man je zwei bis drei gefaltete Papyrusblätter
in ein Pergamentblatt, was später ebenso mit dem Papier ge-
schah. So ist der Augustin aus dem sechsten Jahrhundert in
Paris eingerichtet. Da aber Papyrus für diese Behandlung
nicht recht geeignet war, auch wohl immer seltener wurde, so
wich dieser Stoff mehr und mehr dem dauerhafteren Pergament,
welches in der Heimath bereitet wurde.
In Deutschland ist Papyrus wohl nie viel gebraucht
worden; als man hier anfing zu schreiben, war Pergament
schon der gewöhnlichste Schreibstoff. Merkwürdig sind jedoch
die Worte, welche bei der Zusammenkunft der Könige Ludwig
und Lothar zu Mainz 862 die Bischöfe zu dem Sehreiben der
Könige an den Pabst hinzufügen. Sie seien sehr eilig gewesen,
schreiben sie: unde etiam actum est, quod non iuxta morem
antiquum in tuncardo conscripta cernitur (epistola) sed in mem-
branis. Baron, a. 860. n. 27. cf. Dümmler, Ludwigder Deutsche
S. 474. Das sonst unbekannte Wort kann nach dem Zusam-
menhang wohl nur Papyrus bedeuten, dessen Gebrauch zu Schrei-
ben an den päbstlichen Hof also von der Etikette erfordert wurde.
Doch schon 891 schreibt Stephan VI an den Erzbischof von Cöln
*) S. d. oben p. GS angeführten ßtudes paleographiques.
jPapyrus. 73
in Betreff einer Angelegenheit, welche mündlicher Verhand-
lung bedurfte (Flofs, die Papstwahl unter den Ottonen S. 118):
non alramento et pellibus haec discussio concödenda est. Damals
also war für Schreiben an die Curie Pergament der übliche
Schrei bstoff.
Höchst auffallend ist, dafs nach Waitz (Archiv d. Ges. f.
ä. d. GK. 8, 6) eine Urkunde Heinrichs IV von 1070 (Böh-
mer 1838) in der Bibliothek zu Metz auf Papyrus geschrieben
sein soll. Nach den von mir eingezogenen Erkundigungen mufs
aber diese Angabe, so bestimmt sie auch auftritt, doch ledig-
lich auf einem Irrthum oder einer Verwechselung beruhen, und
auch bei Sickel 1, 287 finde ich jetzt die Nachricht, dafs das
Pergament der Urkunde sehr beschädigt ist, was die Verwechse-
lung hier, wie in anderen Fällen erklärt. ')
Auch in Frankreich finden sich Diplome auf Papyrus nur
aus der merowingischen Zeit 2 ), und nur wenige, darunter ein
rescribirtes. Dafs aber auch in Gallien noch im sechsten Jahr-
hundert Papyrus das gewöhnlichste Schreibmaterial war, zeigt
die Stelle des Gregor von Tours (Hist. Franc. 5, 5) : sed pmi-
pertas chartae finem imponit verbositati. Und Fortunat fragt
den Flavus:
An tibi Charta parum peregrina merce rotatur?
Noch im Jahr 716 verlieh Chilperich II dem Kloster Cor-
bie ein Privilegium, worin er demselben allerhand Lieferungen
an Gewürzen und anderen fremden Waaren de teloneo de
Fossas bewilligte. Darunter befinden sich auch carla tomi L. 3 )
Die Urkunde scheint echt zu sein, aber jüngere Erwähnungen
') So sind namentlich auch die 4 Blätter einer purpurnen Evangelien-
handschrift der Bibl. Cotton. (Cod. N.) irrtkümlich für Papyrus gehalten,
s. Tischendorf, Prolegg. Mon. sacr. ined. I p. 1 1 .
2 ) Bis zum Jahr 692 nach Sickel, Acta Karolinorum 1, 286 n. 3, vgl
auch p. 287 n. 4. Papyrusbruchstücke mit Stellen eines Verzeichnisses, wie
es scheint fränkischer Kriegsdienstpflichtiger, in Middlehill, nach Pertz im
Archiv 9, 490.
3 ) Pardessus Dipl. II, 309. Mit Delisle und Sickel 1, 288 gegen den
Wortlaut Pergament anzunehmen, sehe ich keinen Grund. Vielmehr war
Pergament damals wohl kaum ein erheblicher Handelsartikel.
74 Schreibstoffe.
dieses Stoffes diesseits der Alpen sind mir nicht bekannt, mit
Ausnahme jener vorhin angeführten, etwas zweifelhaften Stelle
von 862. Auf Papyrus geschriebene Bücher waren allerdings
dem Abte Peter von Cluny im zwölften Jahrhundert wohlbekannt,
und auch Trithemius scheint solche gesehen zu haben. Er schreibt
nämlich, de laude scriptorum c. 12: Dicuntur autem librarii a
libro, hoc est interiori corticis {parte) quae ligno cokaeret, quia
ante usum chartae vel membranae de libris arborum volumina
compaginala ßebant, sicut in vetustisshnis bibliothecis adhuc hodie
reperiunlur quandoque vestigia. Mit Bast und Rinde ist Papy-
rus häufig verwechselt.
Wenn der Panegyrist des Berengar den Kaiser Arnulf
3, 55 sagen läfst:
Fortia iussa cito, scribae, sulcate papyris!
so ist es nicht gerade unmöglich, dafs man in der kaiserlichen
Kanzlei zu Sendschreiben noch Papyrus verwandte, aber natür-
lich hat eine solche Dichterstelle keine Beweiskraft, und ihre
Tragweite ist um so geringer, weil der Kaiser sich gerade in
Italien befand. Dafür können wir die Stelle allerdings zeugen
lassen, dafs in Italien diese Sitte damals noch fortdauerte.
Bestimmte Angaben haben wir aus der päbstlichen
Kanzlei, wo man so lange wie möglich an der alten Ge-
wohnheit festhielt.
Von Gregor I hatte man, wie sein Biograph, der Diaconus
Johannes, im Prolog seiner Lebensbeschreibung berichtet, aus
jedem Pontificatsjahr einen Band Briefe auf Papyrus: tot char-
taceos Uhr os epistolarum, quot annos probatur vixisse.
Martin I schrieb 649 an den Bischof Amandus von Mas-
tricht und tibersandte ihm ein volumen synodale (Jaflfö 1595).
Dieses war nach Baudemund's Vita S. Amandi (Mabillon Acta
SS. 0. S. B. 2, 689 ed. Ven.) in 4 Büchern in papyreis schedis
editum. Graf Liudulfs Stiftungsurkunde für Gandersheim ist
freilich für unecht erklärt*), aber sachlich bleibt darum doch der
*) Dümmler, Ostfränk. Reich 1, 35 t. R. Koepke, Hrotsuit von Gan-
dersheim p. 254, der aber den angeführten Satz mifsverstanden hat.
Papyrus. 75
Werth des darin enthaltenen Zeugnisses bestehen, wenn es von
Sergius II Schreiben darin heifst: Cuius litteras quamvis in
papiro secundum priscam apostolicae sedis consuetudinem scriptas
habeam, etc. Besonders merkwürdig aber ist eine Bulle Jo-
hanns X für das Kloster S. Gallen, vom Jahre 920, 2728 bei
Jaflfö, welcher mich einst darauf aufmerksam machte.*) Da
heifst es : In hoc etiam petitionibus religlosi episcopi (Salomonis
Constant.) venerabüibus legatis hoc subnixe supplicantibus [ut]
contra consuetudinem nostram carta Romana cum scriptis notäriis
permutatis conscribi haec in pergameno, quod secum detulerantj
concessimus, et ut non dubitaretur de ipsis quae scripta sunt,
anulo nostro subtus sigütan iussimus. Ich habe zu dieser Bulle,
welche nicht im Original vorliegt, wenig Vertrauen, und ver-
muthe in diesem, wie in dem vorhergehenden Falle eine Fäl-
schung aus dem Grunde, weil man eine Bulle mit dem ge-
wünschten Inhalt nicht besafs. Da man aber weder das ge-
wöhnliche Material (papyrus) besafs, noch die Schrift der rö-
mischen Kanzlei (scripta notaria) nachmachen konnte, auch die
Bleibulle nicht zu schaffen wufste, so half man sich durch diese
Fiction. Eben dadurch aber tritt uns die Thatsache recht leb-
haft entgegen, dafs man im zehnten Jahrhundert Papyrus als
das für päbstliche Bullen ausschliefslich gebrauchte Material
kannte.
Eine schöne Bulle Stephans VI für Herisi vom J. 891 (Jaflfö
n. 2664) befindet sich im Berliner Staatsarchiv, und ist im so-
genannten Kopp'schen Apparat ganz facsimilirt; andere sind
in der Sammlung von Champollion-Figeac u. a. nachgebildet.
Erhalten sind aber nur wenige, weil der Stoff viel vergäng-
licher ist als Pergament, und vorzüglich keine Feuchtigkeit
vertragen kann. Sehr häufig. sind deshalb die von Marini ge-
sammelten Beispiele von Bullen, die ihres beschädigten Zustan-
des wegen von späteren Päbsten erneuert wurden.
Im elften Jahrhundert scheint mit den deutschen Päbsten
*)' Neugart Cod. Dipl. Alem. 2, 11. Wartmann 2, 378. Vgl. Chron.
Mosom. im Spicileg. 1, 570 ed. II. Der Gebrauch bis auf Victor II ist er-
wiesen im N. Traite 1, 493—500.
76 Schreibstoffe.
der Gebrauch des Pergamentes aufgekommen zu sein; ob es
echte ältere Bullen auf Pergament giebt, bedarf genauerer Un-
tersuchung. Diejenigen, welche gewöhnlich als solche in den
Archiven gezeigt werden, sind entweder unecht oder gleich-
zeitige Copien. In der Regel verfertigte man nämlich bald
Abschriften, nicht nur wegen der Zartheit des Stoffes, sondern
auch weil die ganz eigenthümliche Schrift so schwer zu lesen
war ; diese Abschriften haben die Gestalt und Schrift der gleich-
zeitigen Urkunden, und passiren deshalb häufig als Originale,
Man erkennt sie aber leicht an dem Mangel der Bulle, und
gewöhnlich fehlt ihnen auch die ganz unten am Rande stehende
Datumzeile, weil diese durch das Gewicht der Bleibulle am
ersten der Zerstörung ausgesetzt war, oder auch tibersehen
wurde.
Eine von Marino Marini, Diplomatica Pontificia (Roma
1841. 4.) p. 65 mitgetheilte Bulle Johanns XII vom 28. Nov.
957 auf Pergament mit einem Monogramm seines Namens, hat
Jaflfö für unecht erklärt.
5. Leder.
Leder ist im Orient seit uralten Zeiten zum Schreiben ge-
braucht worden; so beruft sich Ktesias auf die öicpd-eQat ßa-
otlt/.at der Perser, und ihre heiligen Schriften sollen auf 1200
Ochsenhäute geschrieben sein. Natürlich theilten auch die
Griechen diese Gewohnheit, und als der bequemere ägyptische
Stoff das Leder verdrängte, übertrugen die Ionier darauf den
Namen dupdegcci, der ihnen einmal geläufig war, so wie er
auch später auf das Pergament überging. Herodot 5, 58 sagt
zwar: /.al rag ßißkovg dicp&eQag xahiovoiv aizb rcakaioh ol
"Icoveg, ort, xore ev ovcavi ßißlcov ixgetovro dicp&tQrjoi alyerjoi
TS X.CCI olifiGC ETI Öh X(Xl TO- 'ACCT* £f.t€ TCoXköX TWV ßaQßdcQWV £g
Toiavrag dupd-egag ygacpovotv. Es ist aber einleuchtend, dafs
eine vorübergehende Benutzung des Leders zum Schreiben den
altherkömmlichen Namen nicht verdrängt haben würde, sowie
auch der ganze geschichtliche Zusammenhang zu der oben ge-
gegebenen Erklärung führt. Nur die Ionier hatten sich schon
Leder. 77
mit der Kunst des Schreibens befafst, bevor die ägyptische
Waare bekannt wurde; die übrigen Griechen lernten diese und
die Schreibekunst gleichzeitig kennen, und wufsten daher nichts
von dicp&igcug.
Strabo XV, 1 berichtet nach Nicolaus Damascenus von
einer Gesandschaft der Inder an Augustus, und sagt von deren
Briefe: rrjv ShciGxoXr^v eXkr^viteiv ev dtcp&egq yeyga/Ltfievrjv.
Die Juden behielten den asiatischen Gebrauch, und die
Gesetzesrollen in den Synagogen sind noch jetzt auf Leder
geschrieben. Nach Josephus Antt. Jud. 12, 2 erhielt Ptolemäus
Philadelphus vom Hohenpriester Eleasar, den er um eine Ab-
schrift der heiligen Schriften der Juden ersucht hatte, ein mit golde-
nen Buchstaben geschriebenes Exemplar, und konnte dieses Kunst-
werk nicht genug bewundern : tcov dup&egwv alg lyyeyQaf.if.ii-
vovg sfyov rovg vofiovg xQ va °iS ygdfifiaoiv. Er bewunderte
vorzüglich die Feinheit der Häute, und die unmerkliche Zu-
sammenfügung derselben zu einer grofsen Rolle : &ccvfidaag rrjg
iaxvorr]Tog rovg ifiivctg xal rrjg avußol^g rb dvsTtlyvcoaTov.
Theodoret im 5. Jahrhundert bezeugt den Gebrauch der
Rollen bei den Juden seiner Zeit, im Commentar zu Pauli ep.
ad. Tim. II, 4, 13: Mefißgdvag rd silrjTa xixXrjxev ovtco ydg
'Pwfialoi y.aXovoi rd digfiarct. ev elkrjzolg de ei%ov ndkat %dg
■freiccg ygaqxig' outcü de v.ctl fiixgt tov rcagbvxog exovatv ol
*Iovdaloi.
Ein solcher Pentateuch befand sich in der Bibliothek des
M. C. de la Serna San tander, deren Katalog 1803 gedruckt
ist, und wurde 1809 für 600 Francs verkauft: il est 6crit sur
57 peaux de cuir oriental, cousues ensemble avec des filets de
la meme mattere, formant en total un rouleau ou volumen long
de 113 pieds de Paris. Les caraet&res sont gros et d'une belle
forme carrße sans points voyelles; les colonnes ont 18 ä 19
pouces de hauteur sur A x k de largeur.
Den Pentateuch bei den Dominicanern in Bologna, wel-
cher für das Autograpb des Esra galt, beschreibt Montfaucon
im Diarium Italicum p. 399.
In ähnlicher Weise sind die Gesetzesrollen geschrieben,
78 Schreibstoffe.
welche bei Schwarz de ornamentis librorum abgebildet sind,
und die Fragmente eines hebräischen Pentateuchs auf 1 1 Blät-
tern jetzt dunkelbraunen, dünnen Schafleders, etwa aus dem
fünfzehnten Jahrhundert, welche in dem sogenannten Grabe
Absalon's gefunden sind, und sich jetzt in Berlin befinden.
Ms. or. fol. 442.
Im Catalogue of the Curzon library, Lond. 1849 fol. wer-
den 2 hebräische Rollen auf braunem Leder aufgeführt, aber
auch eine auf Pergament. So ist auch die Thorah der Ma-
rienbibliothek in Halle auf Pergament geschrieben.
Unter den sehr merkwürdigen Bildern in dem Chartular
des Erzbischofs Baldewin von Trier, welche die Geschichte
Heinrichs VII darstellen, befindet sich auch eine Abbildung
der Feierlichkeit, bei welcher Heinrich nach der Kaiserkrö-
nung den Juden zu Rom ihre Privilegien bestätigt, indem er
ihnen als Symbol eine solche Gesetzesrolle überreicht (dans
Judeis legem Moysi in rotulo). Dominicus, Baldewin von
Lützelburg S. 118.
6. Pergament.
Als König Eumenes 11(197 — 158 a.C.)inPergamus einegrofse
Bibliothek anlegte, und so als Nebenbuhler der Ptolemaeer auftrat,
verboten diese aus Eifersucht die Ausfuhr des Papyrus. Die Folge
davon war, dafs man sich wieder dem altasiatischen Schreib-
stoff, den Thierhäuten, zuwandte, und die Zubereitung derselben
so sehr verbesserte, dafs sie in dieser neuen Gestalt als charta
Pergamena bezeichnet wurden. *) Man konnte diesen neuen
Stoff auf beiden Seiten beschreiben, und dadurch entstand eine
ganz neue Form der Bücher. Griechisch nannte man ihn
GCüjudriov, rä ow^axa, aw^iaria, dig/na; auch der alte Name
*) Plinius N. H. 13, 70 nach Varro. Vgl. über den Gegenstand im
Allgemeinen : Gabr. Peignot, Essai sur Thistoire du Parchemin et du Velin,
Paris 1812, und in: Le Moyen Age et la Renaissance, Paris 1849. In
einem alten Wörterbuch (Serapeum 23, 277) heifst es: Carta sivepergame-
num, perment, est pellis per opus artificis dealbata, ut sit apta pro litteris
ex incausto desuper scribendis.
Pergament. 79
diy&iQai wurde auf den veränderten Stoff übertragen, und das
lateinische Wort membranae wurde ebenfalls von den Griechen
gebraucht. So schreibt der Apostel Paulus an Timotheus II,
4, 13: rbv cpeXovrjv ov aTteXutov ev TQfpdöi Ttagä Kccgmi), Iqxg-
pevog cpeqe, xal rd ßißXicc, judXtOTct zag fie^ißgavag. Auch Tteq-
yainevrj kommt vor. Als Constantin in seiner neuen Residenz
Kirchen erbauen liefs, und dieselben mit Büchern versehen
woHte, beauftragte er damit den Eusebius : ontog av TtevrrjytovTa
oto(.i(XTia ev ÖMp&e'QCcig eyxctTaoxevoig, evavdyvcooTd re xcrl
TtQog ttjv XQV aiv GvfteTaxofuoTa, vtco xeyvviwv Y.ak'kiyqdfpmv
xal äxQißuig zrjv %eyrvv\v e7tiaiaf.tivii}v yQCccprjvat, xehevaeiag' xutv
&eiwv örjladrj ygccycov. Eusebius führte den Auftrag aus : zccvta
(tt€v ovv ßaailevg diexelevero' avzixct d'eQyov e7trjxokovd , ei zw
hoytt), ev rcoXvzeXaig rjoxrjiÄevoig zev%eoi zgiood xal zezgaaad
dia7ief,i\p(xvT(x)v fjitcov. Eus. Vita Const. 4, 36. 37.
Hier sind aco^tdzia Bücher, otü/ndzia ev ÖKp&iqaig Codices
membranacei. Anders in den Acten der Synode von 680:
ßißliov ev oci/ictoi. Hier ist der von der Form hergenommene
Name schon auf den Stoff übergegangen.
Man zog Pergament für Bücher dem Papyrus vor, weil es
dauerhafter war. So schrieben im vierten Jahrhundert zwei
Priester die beschädigten Bücher der Bibliothek des Pamphilus
in Caesarea auf Pergament um : Quam ex parte corruptam Aca-
cius dehinc et Euzoius, eiusdem ecclesiae sacerdotes, in mem-
branis instaurare conati sunt. Hieron. ep. 141. Aufserdem
fafste ein Pergamentband, denn gerollt wurde es seltener, mehr
als die Rollen, was besonders Martial in seinen Epigrammen
hervorhebt. Bei einer Rolle bringt es die ganze Einrichtung
mit sich, dafs sie nur auf einer Seite beschrieben wird ; das Lesen
auf beiden Seiten wäre höchst unbequem *j, und die äufsere
Seite leidet durch das Angreifen mit den Händen. Das festere
Pergament dagegen wurde in Buchform natürlich auf beiden
*) Auch wo es bei den anders eingerichteten mittelalterlichen Rollen
ausnahmsweise vorkommt, ist es unbequem. Wie man die Rückseite zuAd-
versarien benutzte, zeigen die ägyptischen Funde sehr deutlich.
80 Schreibstoffe.
Seiten beschrieben, und war zum Blättern und Nachschlagen
bequemer. Papyrus aber verträgt solche Behandlung nicht
gut. Auch liefs sich auf Pergament gröfsere Pracht entfalten.
Wir haben aus den ersten Jahrhunderten eine ganze Anzahl
von Prachthandschriften und Fragmenten derselben, das Per-
gament ist sehr sorgfältig bereitet, theils dick und stark, theils
sehr weifs und fein.
Im Mittelalter unterscheidet sich das italienisch-spanische
Pergament vom deutsch-französischen dadurch, dafs die beiden
Seiten verschieden sind. Abgesehen von dem feinen milch-
weifsen Pergament der päbstlichen Breven sub annulo pisca-
toris, ist bei Urkunden regelmäfsig die Rückseite gelb oder
grau, die innere sehr weifs und glatt; in späterer Zeit hat es
einen kalkigen Ueberzug, der oft von der Dinte zerstört ist,
so dafs nur die Furchen übrig bleiben. Auch fällt durch
Feuchtigkeit zuweilen die ganze Oberfläche ab. Man nennt
daher die Innenseite album; ein notarieller Vermerk vom J.
1467 auf der Rückseite eines Erlasses der röm, Curie besagt,
dafs die litterae executoriales in albo praesentium scriptae publi-
cirt seien. Cod. Dipl. Silesiae 2, 194. Das deutsche Perga-
ment dagegen ist auf beiden Seiten kaum verschieden.
Man war sich dieses Unterschiedes sehr wohl bewufst ; im
J. 1246 schrieb der Dechant Albert von Passau an den Erz-
bischof Eberhard II von Salzburg : Consulo ut in continenti sine
more dispendio dominum Fridericum de> Leibniz cum vestro si-
gillo sive bulla cum pergamena teutonica atque cera ad curiam
transmittatis Romanam, ut ibidem littere ordinentur. Hoefler,
Alb. Bohemus p. 111. Die Benutzung von italienischem Per-
gament würde die Urkunde, welche ausgefertigt werden sollte,
verdächtig gemacht haben.
Doch kommt auch in Frankreich Pergament italienischer
Art vor, und gelegentlich kann es auch in Deutschland benutzt
sein; häufig ist es in der kaiserlichen Kanzlei verwendet wor-
den, besonders zur Zeit der Römerzüge und unter den Staufern,
unter welchen überhaupt die päbstliche Kanzlei, auch in den
Formeln der Urkunden, eine starke Einwirkung übte.
Pergament. 81
Bei dem Pergament, welches zu Büchern dienen sollte,
mufste natürlich der Unterschied weniger stark sein, und einige
Verschiedenheit der Fleischseite und der Haarseite ist auch
bei dem deutschen Pergament häufig wahrzunehmen. ') In
Italien und Spanien ist er aber doch bedeutender und regel-
mässiger; so schon bei den Fragmenten westgothischer Hand-
schriften in Berlin aus dem neunten Jahrhundert, bei. der Lex
Romana Burgundionum saec. IX. Cod. Lat. fol. 270, bei dem
Autographon Liudprands von Cremona in München. Durch-
greifende Regeln lassen sich schwer aufstellen; durch längere
Uebung wird man aber in den meisten Fällen den Unterschied
mit ziemlicher Sicherheit erkennen können. 2 ) Die Ursache
liegt wohl theils in einer abweichenden Art der Bereitung,
tlieils darin, dafs man dort mehr Ziegen- und Hammelfelle, in
Deutschland mehr Kalbsfelle verwandte, deren dickeres Leder,
auf beiden Seiten mit Bimstein abgerieben, wovon die feinen
Furchen oft sehr deutlich sichtbar sind, das vitulinum, velin,
vellum gab. Man unterscheidet davon jetzt das aus Schaffellen
bereitetete parchemin, parchment. 3 )
Das feinste Pergament gaben die Häute ungeborener Läm-
mer; es ist sehr dünn, weifs und glatt, konnte aber immer
nur zu ganz kleinen Handschriften dienen.
Marcianus Capeila 1. IL § 135 bezeichnet Schaffelle als
das gewöhnliche Material: Cemere erat qui libri quantaque
volumina, quot linguarum opera ex ore virginis defluebant. Alia
e& papyro quae cedro perlita fuerat, videbantur; alii carbasinis
voluminibus complicati libri, ex ovillis multi quoque tergoribus,
rari vero in philyrae cortice subnolati. Auch der Schotten-
') In dem Evang. Angariense saec. XI in Berlin. (Ms. fol. Lat. Theol. 1)
sind manche Blätter ganz wie italienisches Pergament; dazwischen andere
auf beiden Seiten gleich, streifig und rauh.
2 ) Daran mufs ich gegen den Widerspruch Sickel's, Urkunden der
Karolinger 1, 288, festhalten.
3 ) Shakspere macht den Unterschied noch nicht, Hamlet V, 1 : Is
not parchment made of sheep-skins? Ay, mylord, and of calf-skins too.
Wattenbach, Schriftweseto. 6
82 Schreibstoffe.
mönch Sedulius in Lüttich, in der zweiten Hälfte des neunten
Jahrhunderts, sagt zu einem Hammel*):
Pellis et exuviis sit kartula famaque perpes,
Nomen sparge polo pellis et exuviis.
Zu dem königlichen Schreiben an den Kalifen Abderrah-
man, welches der Abt Johannes von Gorze 954 überbrachte,
war ein ganzes Hammelfell genommen: cartae magnitudo, nam
quadra pellis vervecis erat. Mon. Germ. SS. 4, 373.
In dem hübschen Gedicht Conflictus ovis et lini, welches
Hermann dem Lahmen von Eeichenau zugeschrieben wird, aber
wohl eher flandrischen Ursprunges ist, wird alles aufgeführt,
wozu die beiden verwandt werden können. Da sagt die Lein-
pflanze (Haupt's Zeitschrift für deutsches Alterthum 11, 224)
v. 327:
Quod parat interdum tergus sibi scriptor ovinum,
Est equidem quaevis gloria, sed facilis.
Justior haec vitulis, haec gloria iustior haedis:
Haedorum pellis aptior his studiis.
Ziegenfelle galten also hier für das beste Material; ihnen
zunächst die Kälber. Linnenpapier war offenbar noch unbe-
kannt.
Auch Peter von Cluni nennt in der Stelle, welche unten
beim Papier anzuführen ist, arietes, hircos et vitulos. Dagegen
fehlen die Ziegen bei Reiner von Lüttich, der sich 1182 in
einem Briefe an seinen Freund Friedrich beklagt, dafs ihm
dieser so lange nicht schreibe, quasi arietes, oves, vitulos Ar-
duenna non . haberet, de quorum solent pellibus confici pergajne-
nae. B. Pez, Thes. Anecd. IV, 3, 196. Mon. Germ. SS. 20,
615. Umgekehrt bezeichnet Odofredus in der von Savigny,
Geschichte des röm. Rechts 3, 533 angeführten Stelle das Zie-
genpergament (scriptum in cartis edinis) als das gewöhnliche
*i In seinem Gedicht detribus multonibus, Sedulii Scotti Carmina XL
ed. Dümmler (Halle 1869) p. 10.
Pergament. 83
für die in Bologna so massenhaft zum Verkauf angefertigten
Rechtshandschriften.
Schafe werden als der Ursprung der Urkunden betrachtet
in einem Gedicht des 1 5. Jahrhunderts, welches Dr. Kriegk in
seinem Buch: Deutsches Bürgerthum im Mittelalter (Frankf.
1868) p. 578—582 mittheilt. Darin heifst es nämlich bei der
Klage über die so häufigen Meineide:
Darumb so ruwet mich daz was gar sere
Und die hude noch mere,
Die man verderbet zu solichen dingen,
Daz neman keynen nocz kan gebrengen.
Us dem was solde man kerczen machen
Und verhornen zu gotlichen Sachen,
Schaff hu de die sulden wolle dragen,
So endurfft neman nit von briffen clagen.
Von den ältesten griechischen, aus Aegypten stammenden
Handschriften der heiligen Schriften wird behauptet, dafs das
Pergament, von gelblicher Färbung, aus Antilopenfellen be-
reitet sei.
Im späteren Mittelalter wird das Pergament in Italien an-
ders als im Anfang bereitet; es hat oft eine grauliche Farbe,
und ist bei einiger Uebung leicht von dem älteren zu unter-
scheiden. Bei den Abschriften alter Autoren, welche im
1 5. Jahrhundert mit genauer Nachahmung aller Eigentümlich-
keiten der alten Schrift in Italien verfertigt wurden, dient das
Pergament zum Kennzeichen des jüngeren Ursprungs.
Das Aufkommen des Papiers beschränkte den Gebrauch
des theuern Pergaments, doch blieb es in Italien mehr als in
Deutschland*) in allgemeiner Anwendung, und jene Rechts-
handschriften von den italienischen Universitäten sind nach
Savigny 3, 536 (578 ed. II.) fast ohne Ausnahme auf Perga-
ment. Die Pergamentmacher in der Stadt Bologna und deren
*l Hier sagt 1456 Joh. Busch: 3 am papyrum, pennam et incaustum
non habeo: scribere ergo non possum. Leibn. SS. rer. Brunsv. 2, 951.
6*
84 Schreibstoffe.
Gebiet mufsten deshalb Caution stellen, dafs sie wenigstens
2/3 alles Pergaments im gewöhnlichen Bücherformat machen
würden.
Ein membranarius kommt in Diocletians Edict de pretiis
rerum venalium von 301 vor (ed. Mommsen p. 19): membra-
nario in qualernione pedali pergamenae
Die Bereitung dieses Stoffes war nicht an einen Ort ge-
bunden, wie die des Papyrus, und hat sich ohne Zweifel schon
in römischer Zeit auch nach Gallien verbreitet. Ein eigent-
licher Handelsverkehr damit hat deshalb im früheren Mittel-
alter wohl um so weniger stattgefunden, weil die Geistlichkeit,
welche fast allein Gebrauch davon machte, auch in der Lage
war, den Stoff selbst zu bereiten oder bereiten zu lassen. Un-
ter den Laien, welche zum regelmäfsigen Haushalt des Klo-
sters Corbie gehörten, ist im Reglement des Abtes Adalhart
von 822 auch ein pergaminarius erwähnt. Guörard, Polypt.
Irmin. 2, 307. Der Reichenauer Mönch Tatto schrieb wenig
später an den Erzbischof Otker von Mainz : Mittite mihi de perga-
meno bono ad unum lectionarium perscribendum et ad unum
missalem Gregorianum. Jaffa, Mon. Mogunt. p. 324. Die mem-
branae vitulinae, auf welche die Fuldaer Mönche in der zweiten
Hälfte desselben Jahrhunderts Bücher schrieben (Forschungen
5, 390) rührten wohl von ihren eigenen Kälbern her.
Später wurde die Bereitung des Pergaments ein Gegen-
stand des bürgerlichen Gewerbes. In den Cölner Stadtbüchern
sind von 1230 an die Pergamentarii häufig, nach Merlo Kunst
und Künstler in Cöln (1850) S. 564. In Paris stand das ganze
Gewerbe und der Handel mit Pergament unter einer sehr
lästigen Aufsicht der Universität. Aus Genf hat sich ein Regle-
ment du mutier des Parcheminiers vom 27. Oct. 1280 erhal-
ten 1 ), aus Lübeck Statuten der Permenter vom 29. Juni 1330. 2 )
1 ) Chartes et documents de Tabbaye de S. Pierre au mont Blandin ä
Gand depuis sa fondation jusqu'ä sa suppression, avec une introduction
historique publi£s par A. van Lokeren. Tome I (Gand, H. Hoste, 1868, 4)
n. 894.
2 ) Cod. dipl. Lub. 2, 473. Wehrmann, die älteren Lüb. Zunftrollen
(1864) S. 363.
Pergament • 85
Gutes Pergament zu bekommen, war nicht so ganz leicht; man
muüste sich sehr hüten vor fliefeendem, in welchem die Dinte aus-
lief, wie man das noch hin und wieder in Handschriften sehen
kann. Bitter beklagt sich darüber um 1280 Nicolaus von Bi-
bera, wie man in Erfurt ihn betrogen habe 1 ):
De pergamentariis quos arguit pro eo quod dederunt sibi fluens
pergamentim.
Sunt ibi cartarum rasores, vulgus avarum,
Quod non attendit, sed per mendacia vendit,
Jurans subtile, quod sit super omnia vile.
Cartam presentem dixit non esse fluentem,
Immo iuravit per eum qui cuncta creavit,
Que sie defluxit, quod littera testis adhuc sit.
His nil do laudis, quia plenos sentio fraudis.
Von dieser Zeit an finden wir die Pergamenter, JBirmetter,
Pirmeter überall verbreitet, und wir werden sie später auch
als Buchhändler noch einmal zu erwähnen haben.
Verkauft wurde das Pergament nach Stücken, Häuten,
Quaternen. Prof. Mantels in seinem Programm über den 1367
zu Cöln beschlossenen zweiten hanseatischen Pfundzoll (Lübeck
1 862) führt aus den Rechnungen an : 1 Hundert Stück gutes
Kalbspergament 4 Mark lüb. Pfennige. Preise des Pergaments
nach Häuten und Quaternen auf der Nördlinger Messe in den
Jahren 1440. 1454. 1468 giebt Beyschlag, Beiträge zur Kunst-
geschichte von Nördlingen 3, 50. Im J. 1454 kosteten 50 Häute
4 Fl. und 4 Riefs Ravensburger Papier nur eben so viel.
In der ausführlichen Kostenberechnung einer für das
Kloster Corbie 1374 geschriebenen Handschrift 2 ) kostet 1 bota
de pergameno vilulino cum rasura et reparatione foraminum 36
solidos. Im J. 1321 vermachte Petrus de Dene, Domherr zu
*) Carmen oeculti auctoris, v. 1719 bis 1725 ed. Hoefler, in den
Sitzungsberichten der Wiener Akademie 37, 241.
3 ) Aus Garnier, Catalogue de la bibl. d'Amiens p. 281 bei Kirchhoff,
Handschriftenhändler p. 10. Statt quelz ist natürlich quelibei zu lesen.
86 Schreibstoffe.
York: decreta mea in vitulinio, in corio ligata. Mit diesem
velin hält Du Cange das in Flandern öfter erwähnte francenum
für gleichbedeutend.
Man findet häufig die Angabe, dafs zur kaiserlichen Kanz-
lei die Juden das Pergament geliefert hätten. Das beruht
jedoch nur auf einer Urkunde Karls IV von 1360, worin der
Kaiser der Stadt Frankfurt verspricht, ihre Juden nicht mit
Forderungen zu beschweren, und unter andern auch kein
Permed von ihnen zu fordern, Olenschlager, Erläuterung der
Gold. Bulle, Urk. S. 87. n. 31. Es ergiebt sich daraus also
nur, dafs gelegentlich auch dieses von den Juden erprefst
wurde, wozu ihre Abgaben an die k. Kanzlei wegen des ihnen
gewährten Schutzes den Anlafs gaben. Auch mögen sie an
manchen Orten, und vor dem Aufkommen 4 er bürgerlichen
Gewerbe in gröfserem Umfang, sich mit der Fabrication von
Pergament beschäftigt haben. Unter den Breslauer Juden
kommt 1354 ein Smogil perminter vor. *)
Farbiges Pergament.
Man färbte schon in alter Zeit das Pergament purpurn,
zuerst wohl nur für den Umschlag der Rollen, wie Ovid sagt,
Trist. I, 1, 5:
Nee te purpureo velent vaccinia fueo.
Oder für das am obern Rand der Rolle angebrachte Titel-
blättchen: Et coeco rubeat superbus index, Martial III, 2, 11.
Im dritten Jahrhundert aber finden wir schon die Mode
herrschend, ganze Werke auf purpurnem Pergament mit Gold
und Silber zu schreiben. In dem merkwürdigen Briefe des
Theonas, wahrscheinlich Bischofs zu Alexandria, an den Oberkam-
merherrn Lucian, worin er ihm Anweisungen giebt, wie er sich
benehmen solle, um den Kaiser, vermuthlich Diocletian, den
Christen günstig zu stimmen, wird ihm für die gleichfalls unter
seiner Aufsicht stehende kaiserliche Hausbibliothek folgender
*) Archiv f. Oesterr. Gesch. 31, 56.
Farbiges Pergament. 87
Kath ertheilt : Veteres item Codices pro indigentia resarciri pro-
curet, ornetque non tantum ad superstitios sumptus quantum ad
utile ornamentum: itaque scribi in purpureis membranis et litte-
ris aureis totos Codices, nisi specialiter Princeps demandaverit,
non affectet. D'Ach&y Spicil. 12, 549; ed. IL 3, 299.
Im Anfang des folgenden Jahrhunderts erzählt Julius Ca-
pitolinus von Maximinus Junior c. 4 : Cum grammatico daretur,
quaedam parens sua libros Homericos omnes purpureos dedit,
aureis litteris scriplos. Und Optatianus sagt in seinem Pane-
gyricus auf Constantin:
Quae quondam fueras pulcro decorata libello,
Carmen in Augusti ferto Thalia manus,
Ostro tota nitens, argento auroque coruscis
Scripta notis, picto limite dicta notans.
Gegen diesen Luxus ereiferte sich der heilige Hieronymus,
Praef. in Job: Habeant qui volunt veteres libros vel in mem-
branis purpureis auro argentoque descriptos 9 vel uncialibus ut vulgo
aiunt litteris, onera magis exarata quam Codices. Und ad Eu-
stochium de custodia virginitatis (ed. Vall. 1, 115): Inßciuntur
membranae colore purpureo, aurum liquescit in litteras } gemmis
Codices vestiuntur, et nudus ante fores earum Christus emoritur.
Daraus hat Isidor Origg. 6, 11 seine Worte genommen: Pur-
purea inßciuntur colore purpureo, in quibus aurum et argentum
liquescens palescat in litteras.
Gegen dieselbe Modethorheit eiferte auch Johannes Chry-
sostomus, Homil. 32 in Joh. Vol. 8, 188 ed. Montfaucon, dessen
Worte wir des verwandten Inhalts wegen hersetzen wollen,
wenn gleich nicht farbiges Pergament, sondern nur Goldschrift
darin ausdrücklich erwähnt wird: iig yag v^wv, elrti fioi, ev
olytiqc yevofievog, tcvmIov eXaße XQiorLOiviKbv fiezcs x e ^Q a S> * a i
rä eyxeifievcc €7trjk9£v, aal rJQevvrjas rrjv yQaqtrjv] oväelg av
%%oi xctvia elTtelv* äklcc Ttitxovg fiev xal xvßovg itaqa xolg
TtXeiooiv svQrjoofisv ovrag' ßißlla db oidccftov, ccklä xccl nag'
okiyoig. aal ovtol de rolg ovx b^ovolv dfioiwg didxeivTai, dij~
aavreg avrä aal ä7tod-£/iievoi di<X7tavrbg ev yußwvloig' xal fj
88 Schreibstoffe.
Ttäoa airalv O7tovdrj tccqi twv v^iivuv rfjg XsTZZOTrjTog xal to
* t&v ygafif^drcov ■/.d'kXog^ ov tcbqi xr\v dvdyvcooiv. ovde yaQ vtisq
wcpeXetag y.al xigdovg %r\v xrfjoiv avraiv 7t€7tolt]VTac' dkXd
Ttkovtov xal (ptkoiiiiiag enidei&v Tioiovftevoi TtegltccvTCc eonov-
ddxaoiv. TooavTrj vrjg nevodo^iag fj v7t€QßoXrj. ovdevog yaQ
dxovto (pikorifiovixivov, ort oide rd iyxelfAeva, dkl 3 ort, xQvaolg
e%ei ygap/Liaaiv eyyeyQa/xfiivov.
Es fehlt nicht an noch erhaltenen Proben solcher Hand-
schriften, wenn sie auch vielleicht nicht über das sechste Jahr-
hundert hinaufgehen. In dieser Zeit wurde wohl nur noch
heiligen Schriften eine solche Ehre zu Theil.
Die merkwürdigste und vielleicht älteste ist die Bibeltiber-
setzung des Ulfila in Stockholm, Codex argenteus genannt, weil
sie in Silber und Gold auf Purpur geschrieben ist. Die Hand-
schrift kam aus Werden an der Ruhr im 16. Jahrhundert nach
Prag, und von da mit den übrigen Schätzen Rudolfs II durch
Königsmark nach Schweden.
In Wien befinden sich Fragmente der Genesis in griechi-
scher Sprache, in goldener und silberner Capitalschrift auf
Purpurpergament, mit sehr merkwürdigen Gemälden, welche
noch ganz in antiker Weise verfertigt sind, 24 Blätter mit
48 Bildern. *)
Merkwürdig zerrissen ist eine griechische Evangelienhand-
schrift auf Purpur, deren Text in Silber geschrieben ist, nur
die Namen Gottes und Christi in Gold, Cod. N. bei Tischen-
dorf, welcher nachgewiesen hat, dafs 2 Blätter in Wien, 4 in
London, 6 in Rom, und eine Anzahl auf Patmos neu entdeck-
ter derselben Handschrift angehören. 2 )
Von besonderer Schönheit ist das, 1847 von Tischendorf
mit Facsimile herausgegebene, lateinische Wiener Evangelium
Palatinum.
*) s. Waagen, Kunstdenkmäler in Wien 2, 5 bis 8. Bei Jules Labarte,
Histoire des Arts industriels au Moyen Age, Paris 1864, Album, Tome 2,
pl. 77 ein Bild in Farben.
2 ) Facs. bei Westwood, Purple Greek Manuscripts 2, Silvestre 2, 16,
Tischendorf Mön. Sacra Inedita I. tab. II.
Farbiges Pergament. 89
In Paris ist der sogenannte Psalter des h. Germanus
(f 576), dem nach der Tradition das Buch gehört haben soll,
und ein Evangeliar aus Metz, mit Silber auf Purpur ge-
schrieben. l )
Die Züricher Stadtbibliothek bewahrt einen griechischen
Psalter in Silber mit goldenen Initialen und Ueberschriften,
welchen Tischendorf im vierten Bande der Nova Collectio mit
Facsimile 1869 herausgegeben hat; er setzt ihn ins siebente
Jahrhundert.
Aus Italien kam diese Kunst zu den Angelsachsen, wo der
Erzbischof Wilfrid von York (664 — 709) die vier Evangelien
de auro purissimo in membranis de purpura coloratis schreiben,
und zur Aufbewahrung der köstlichen Handschrift von Gold
und Edelsteinen eine bibliotheca machen liefs. Inauditum ante
saeculis nostris guoddam miraculum nennt es der Biograph. 2 )
In einer noch erhaltenen angelsächsischen Evangelienhand-
schrift des British Museum, Royal I E 6, sind nur die ersten
Blätter in goldener Kapitalschrift auf Purpur. 3 )
Einen neuen Aufschwung gewann diese Prachtschrift in
Karls des Grofsen Reich. Karl selbst liefs 781 durch God-
schalk das prachtvolle Evangeliar schreiben, welches jetzt im
Musöe des Souverains im Louvre ist. 4 ) Ein anderes, in Silber
und Gold nicht minder schön ausgeführt, ist in der Schatz-
kammer in Wien. 5 )
! ) Fonds latin 9383, saec. VI. nach L. Delisle, Bibl. de l'ecole des
cbartes, 5. Serie, 3, 469. Dort ist noch eine ganze Keine anderer verzeichnet,
so wie auch Bianchini noch manche nachweist; vgl. Nouv. Tratte* 2, 97 bis
108. Ich führe nur einige hervorragende an. Sehr merkwürdig ist auch
das Strafsburger Sacramentar aus frühkarolingischer Zeit, welches U. F. Kopp,
Bilder und Schriften 1, 176 bis 184 beschreibt.
2 ) Acta Sanctorum 0. S. B. 4, 2, 552.
3 ) Westwood, Purple Latin Go speis of the Anglo-Saxon School. Cas-
iey PI. XII. Astle PI. XVIII, 5.
4 ) Westwood, The Evangelistarium of Charlemagne. Piper, Karls des
Grofsen Kalendarium. Nach dem Nouveau Tr. 2, 99 soll die Purpurfarbe
nach dem 8. Jahrhundert nicht mehr die frühere Schönheit haben.
5 ) beschrieben, mit schönen Proben, von Arneth, in den Denkschriften
der Wiener Akademie, Band 13.
90 Schreibstoffe.
Von einem Evangeliar in altertümlicher halbuncialer
Schrift, in Silber mit goldenen Initialen, Suppl. Lat. 688, giebt
Silvestre eine schöne Probe.
Auch Theodulf, von 787 bis 821 Bischof von Orleans, liefs
sich noch als Abt von Fleury in solcher Weise eine Bibel
schreiben *), und von Ansegis, 823 bis 833 Abt von S. Wan-
drille, heifst es in den Gestis abbatum Fontanellensium (Mon.
Germ. 2, 295): Quatuor evangelia in membrano purpureo ex
auro scribere iussit Romana littera Lectionarium etiam
in membrano purpureo similiter scribere iussit, decoratum tabu-
lis eburneis.
In Gold auf Purpur ist der Psalter der Kaiserin Engel-
berga, Ludwigs II Gemahlin , in S. Sisto zu Piacenza geschrie-
ben. 2 ) Eine Evangelienhandschrift derselben Zeit in Silber,
die Ueberschriften in Gold, mit den Bildern der Evangelisten,
ist in der Bibliothek der Eremitage in Petersburg. 3 )
Wahrscheinlich kam diese echte Purpurfärbung immer nur
aus Konstantinopel, und es ist nicht zu verwundern, dafs ganze
Handschriften auf diesem kostbaren Stoff mit dem neunten
Jahrhundert verschwinden.
In dem prachtvollen Psalter Karls des Kahlen, im Musee
des Souverains, ist nur das erste Blatt purpurn, facsimilirt von
Silvestre. Im Psalter der Konigin Hemma, früher in Saint-
Remi verwahrt, ist der erste Psalm auf Purpur geschrieben.
Ein schwacher Nothbehelf ist es, wenn nur eine Seite ober-
flächlich bemalt ist, wie in dem Sacramentar aus Petershau-
sen in Heidelberg, und manchen anderen Handschriften.
Otto's II Vermählung mit Theophano eröffnete die Quelle
von neuem; die Charta dotalicia für die Kaiserin, vom Jahr
972, jetzt in Wolfenbüttel, ist auf purpurnem Pergament mit
gemustertem Grund und eingeprefsten Eandverzierungen ge-
schrieben, s. Ebert S. 27. Schoenemann 2, 33 und das Facs:
') Fonds latin 9380 nach Delisle a. a. 0. Vgl. Bianchini, Evangeliarium
Quadruplex II f. DXCHL
*) Blume Iter Ital. 2, 7.
3 ) Bibl. de l'£cole des chartes, 5. Se'rie, 5, 165.
Farbiges Pergament. 91
Origg. Guelf. 4, 460. Die Schrift ist eine stattliche Bücher-
schrift in Gold. Diese Urkunde, welche die hohe und schmale
Form der damaligen päbstlichen Bullen hat, ist aber, wie
U. F. Kopp (Bilder und Schriften 1, 178) bemerkt hat, kein
wirkliches Original, weil sie nie besiegelt gewesen ist. Die
etwas jüngere Vita Vencezlavi in Wolfenbüttel hat ebenfalls
ein Purpurblatt mit einem ähnlichen Band von eingeprefsten
Verzierungen, s. Ebert S. 27. Mon. Germ. SS. 4, 211.
Auf purpurne Urkunden kommen wir noch bei Gelegen-
heit der Goldschrift zurück. Von echter Purpurfärbung des
Pergaments ist mir nach der Mitte des zwölften Jahrhunderts
kein Beispiel bekannt.
Goldene Capitalschrift auf Azur hat das Titelblatt der
Bamberger Handschrift mit der Dedication an Heinrich II,
welches Jäck im ersten Heft seiner Schriftmuster wiedergiebt.
Uebrigens spielt die Purpurfarbe oft ins Blaue.
Das in der zehnten Actio der SynodusVI. von 680 mehr-
fach angeführte ßißUov iv ocipaoi xQoxcütoig, über membrana-
ceus crocatus, hielt Mabillon einfach für purpurfarben, während
im Nouveau Traite 2,97 die Richtigkeit dieser Erklärung an-
gegriffen wird.
In Wien sind zwei Gebetbücher auf schwarzem Perga-
ment mit Gold und Silber geschrieben, von denen das eine
(Cod. 1856) für den Herzog Galeazzo Maria Sforza, das andere
(Cod. 1857) wohl für seine Tochter Bianca Maria, K. Maximi-
lians zweite Gemahlin, geschrieben ist.
Die Kunst, das Pergament purpurn zu färben, wird von
dem Syrer Ephraim (f 378 p. C.) unter den Beschäftigungen
der Mönche erwähnt, Paraenesis 48: x a Q TO *o** lva ^QY^Tt»
ävakoyiGcu rovg IcoQOTOfiovg. Obgleich der Wortlaut eher auf
Färbung des Papyrus führt, scheint doch die Vergleichung mit
den Riemern für Pergament zu entscheiden.
Muratori hat in seiner 24. Dissertation ein altes Recept-
92 Schreibstoffe.
buch veröffenlicht, welches er in das neunte Jahrhundert setzt.
Darin sind mehrere Anweisungen, Häute zu färben, namentlich
auch in Purpurfarbe (de pelle alithina tinguere). Dafs damit
auch Pergament gemeint sei, zeigt der bald darauf folgende
Abschnitt über die Bereitung des Pergaments (Antt. Ital. ed.
Aret. 4, 683) :
De pargamina.
Pargamina quomodo fieri debet. Mitte illam in calcem et
iaceat ibi per dies tres. Et tende illam in cantiro. Et rade
illam cum nobacula de ambas partes, et laxas desiccare. Deinde
quodquod volueris scapilatura facere, fac, et post tingue cum
coloribus.
Der Verfasser dachte also vorzüglich an Pergament, wel-
ches gefärbt worden sollte.
7. Papier.
Aufser dem schon früher angeführten Werke von Wehrs
ist hier noch auf den Artikel Papier von «Keferstein in der
grofsen Encyclopädie von Ersch und Gruber zu verweisen.
Das Papier, dieser jüngste Schreibstoff, welcher nach
und nach alle übrigen verdrängt hat und sich bis jetzt
unangefochten behauptet, hüllt seinen Ursprung in ein dichtes
Dunkel, welches wohl nie völlig gelichtet werden wird. Die
Streitfragen über die Zeit der Erfindung und über das erste
Vorkommen des Baumwollenpapiers und des Linnenpapiers
sind mit einer Heftigkeit und einem Aufwand von Gelehrsam-
keit erörtert worden, die zu der Wichtigkeit der Sache in kei-
nem Verhältnifs stehen, zumal da man in früherer Zeit kein siche-
res Hülfsmittel besafs, um die Faser der Baumwolle und des Leins
zu unterscheiden. Entgegengesetzte Behauptungen standen sich
schroff gegenüber, ohne dafs eine endgültige Entscheidung möglich
war. Jetzt unterscheidet man mit voller Sicherheit durch das Mikro-
skop die runde gleichmäfsig dicke Flachszelle von der bandartigen
platten Zelle der Baumwolle; s. Reissek, das Fasergewebe des
Leines u. s. w. in den Denkschriften der Wiener Akademie,
Papier. 93
Naturinst. Abth. Band IV. Schieiden, das Leben der
Pflanze, Tafel I, n. 8. 9. Aber der Eifer für den Gegenstand
ist so geschwunden, dafs die einst mit so grofser Heftigkeit
bestrittenen Objecte noch nicht von neuem untersucht sind.
Die Bereitung von Papier aus Baumwolle soll bei den
Chinesen seit uralter Zeit üblich, und bei der Eroberung von
Samarkand um das Jahr 704 den Arabern bekannt geworden
sein. In Damascus wurde die Fabrication lebhaft betrieben,
und man nannte es deshalb charta Damascena. Durch die
Araber kam die Kunst zu den Griechen ; man will griechische
Handschriften auf Papier aus dem zehnten Jahrhundert haben,
und im dreizehnten Jahrhundert werden sie schon häufiger als
die pergamentenen. Von arabischen Handschriften wird im
Katalog der orientalischen Handschriften der Bibl. Bodleyana
in Oxford von Joh. Uri der Cod. Bodl. n. 1156 angeführt vom
Jahr 983. In Berlin ist der Cod. Orient, qu. 107 von 1032.
Auch gefärbtes Papier hommt vor, und zwar blaues. Auf
solchem schrieb nach einem arabischen Berichterstatter Kaiser
Constantin IX 947 oder 949 an den Kalifen Abderrahman,
natürlich mit Goldschrift. Die beigelegte Liste der Geschenke
war auf gleichem Stoff mit Silber geschrieben. *) Auch K. Ro-
gers Stiftungsurkunde der k. Capelle im Schlofs zu Palermo
vom April 1140 ist mit Gold auf blauem Baumwollenpapier
geschrieben. 2 )
Natürlich wurden die alten Ausdrücke auf den neuen
Schreibstoff übertragen, besonders von dem aus dem Gebrauch
verschwindenden Nilpapier. Man nannte es charta und pa-
pyrus, und brauchte zu genauerer Bezeichnung Beiwörter:
charta bombycina, gossypina, cuttunea, xylina. 3 J In Rom heifst
*) Gayangos, History of the Mahometan Dynasties of Spain 2, 141.
Das Wort kann nach Gayangos auch Pergament bedeuten, aber wegen des
folgenden Beispiels ist mir Papier wahrscheinlicher.
2 ) Huillard-Br^holles, ffist. Dipl. Frid. IL Introduction p. LXXH1.
3 ) Dagegen ist ^Xo/dgrioy Papyrus nach dem Scholion zu Basü. 1.
22 p. 94: fjiri iv htQco /d^Ty yqacpiad-ai r« av/btß6Xata, aAA' kv tui Xeyo-
l*£v<p gvXoxctQTiq). vgl. die oben p. 71 aus Eustathius angeführte Stelle,
und Du Cange s. v. %v%o%dQTiov.
A
94 Schreibstoffe.
es schon in der Graphia aureae urbis Romae, welche aus
Otto's III Zeit herrührt, wenn der Kaiser den Patricius investiren
wolle, det ei bambacinum propria manu scriptum, ubi taliter
contineatur scriptum : Esto patricius misericors et iustus. *) Im
12. Jahrhundert empfiehlt es Theophilus (1, 23) unter der Be-
nennung des griechischen Pergaments, um Goldblättchen darin
aufzubewahren : Tolle pergamenam graecam quae fit ex lana ligni.
Ueber den italienischen Sprachgebrauch von charta und
papyrus für Baumwollenpapier hat Savigny in der Geschichte
des römischen Rechts 3, 533 (578 ed. II) Stellen gesammelt.
Friedrich II braucht als gleichbedeutend chartae papyri und
bombacinae, wo charta nicht den Stoff, sondern die Urkunde
bedeutet. Rofred erklärt den Ausdruck secundum tabulas durch
secundum chartam vel secundum membranam. Odofred: debetis
scire quod libri mei pro parte fuerunt scripti in cartis papiri,
pro parte in membranis edinis, vitulinis etc. Accursius: quia
appellatione chartarum continentur quae de bombice sunt, und:
ut de bombyce, ut sunt hae quae de Pisis veniunt.
In allen diesen Stellen ist von Baumwollenpapier die
Rede. Linnenpapier davon besonders zu unterscheiden, hatte
man nicht leicht Veranlassung und brauchte gewöhnlich nur
den allgemeinen Ausdruck Papier.
Ursprünglich soll die rohe Baumwolle zur Papierbereitung
verwendet sein. Lumpenpapier erwähnt zuerst Petrus Clunia-
censis, der von 1122 bis 1150 Abt von Cluni war, adv. Ju-
daeos c. 5. (Andr. du Chesne Bibl. Clun. p. 1069): Legit } in-
quit, Deus in coelis librum Talmuth. Sed cuiusmodi librum?
Si talem quales quotidie in usu legendi habemus, utique ex pelli-
bus arietum, hircorum vel vitulorum, sive ex biblis vel iuncis
orientalium paludum, aut ex rasuris vcterum pannorum, seu ex
*) Du Cange s. v. Patricius. Ozanam, Documents inedits p. 182.
Giesebrecht, Geschichte der Kaiserzeit 1, 877 ed. HI. ex cod. saec. XL
In dem VerzeichniCs der Gandersheimer Kirchenschätze, welches am Schlufs
des alten Plenarium eingetragen ist, werden die alten Bullen auf Papyrus
als bambatii quinque serici bezeichnet, nach Harenberg, Hist. dipl. eccl.
Gandersh. p. 596.
Papier. 95
qualibet viliore materia compactos, et pennis avium vel calamis
palustrium locorum qualibet tinctura infectis descriptos. Nahm
man also, wie hieraus unzweifelhaft ist, Lumpen zu diesem
Zwecke, so bedurfte es keiner besonderen Erfindung des Linnen-
papiers ; jeder Papierfabricant war in den Ländern, wo wenig
Baumwolle aber desto mehr Leinen in Gebrauch war, fast gezwun-
gen, linnene Lumpen zu verwenden, und die Ausbreitung der
Fabrication nach den nördlicheren Gegenden wird also unver-
merkt zur Mischung und Veränderung des Materials geführt
haben. Eben dasselbe war aber auch vielleicht schon viel
früher in einem anderen Lande vorgekommen, wo altes Linnen-
zeug in fast unbegrenzter Menge billig zu haben war, nämlich
in Aegypten, also gerade in dem Lande, welches seit uralten
Zeiten das Abendland mit Papier versorgte. Der Engländer
Yateshatin seinem Textrinum Antiquorump. 385 aus dem Be-
richte des Abdallatif, eines Arztes aus Bagdad, der um d^s
Jahr 1200 Aegypten bereiste , t ^ine Stelle angeführt, welche
beweist, dafs man damals dort die Mumienbinden zu Papier,
freilich nur zu Packpapier verarbeitete, und diese Mumienbin-
den sind nach den neueren Untersuchungen alle linnen. Die
Stelle (Relation de TEgypte par Abd-Allatif. Par Silvestre de
Sacy. Paris 1810 in qu. p. 198.) lautet in französischer Ueber-
setzung so: Les B^douins, les Arabes 6tablis dans les terres
en culture, et tous ceux g6n6ralement qui s'occupent k la re-
cherche de ces caveaux mortuaires, enlövent les linceuls et
tout ce qui se trouve avoir encore une consistance süffisante;
ils employent tout cela ä se faire des vetements ou bien ils
le vendent ä des manufacturiers de papiers qui en fönt du
papier ä l'usage des 6piciers (chartam emporeticam übersetzt
Pococke).
Nach Yates ist eine orientalische Handschrift schon um
das Jahr 1100 auf Linnenpapier geschrieben.
Von den Arabern lernten die Spanier und die Italiener
die Papierfabrication ; besonders in Valencia wurde sie. lebhaft
betrieben, und in den alten spanischen Zollgesfetzen kommt
papirus häufig vor. Im Vocabularius Hisp. Lat. des Antonius
96 Schreibstoffe.
Nebrissensis von 1492 wird papel erklärt durch charta pannucea.
Die Leges Alfonsi von 1263 unterscheiden pergamino di cuero
und pergamino di panno.
Ueber die Anfänge der abendländischen und besonders
der deutschen Papierfabrication ist sehr lehrreich die Abhand-
lung von Sotzmann im Serapeum 7, 97 ff. (1846), hervor-
gerufen durch die Behauptungen von Hafsler und vorzüglich
von Gutermann über das hohe Alter und die grofse Verbrei-
tung des Ravensburger Papiers. Gutermann besonders schreibt
die erste Fabrication in Deutschland der Familie Holbein zu,
und erklärt aus ihrem Wappen das Papierzeichen des Ochsen-
kopfes und das angebliche gothische h; er nimmt auch alles
Papier der Art für Ravensburg in Anspruch. Allein der Ochsen-
kopf ist viel älter und auch in anderen Ländern weit verbrei-
tet; Sotzmann erklärt ihn als das Zeichen des heiligen Lucas,
4es Patrons der Malergilden, während Hafsler ein Sinnbild
des pergamenum vitulinum <Jaj:in erblickt. Es ist aber kein
Kalbskopf, und Ochsenfelle geben kein Pergament. Das h ist
nur ein falsch gelesenes, umgekehrt betrachtetes p, welches
ebenfalls weit verbreitet ist, und nach Sotzmann Papier be-
deutet.
Ueber die verschiedenen Papierzeichen, welche zur
Bestimmung der Herkunft von Handschriften und Drucken
wichtig sind, giebt Sotzmann sehr schätzbare Nachweisungen.
Die Untersuchung ist eine sehr schwierige, da theils gesuchte
Sorten überall nachgemacht wurden, theils das Papier ein so ver-
breiteter Handelsartikel war, dafs man Papiere desselben Ur-
sprungs an sehr entlegenen Orten, und Produkte ganz ver-
schiedener Länder an demselben Orte antrifft.
Die frühesten Hauptorte der Papierfabrication zeigen deutlich
die Herkunft von den Arabern; Jätiva, Valencia, Toledo sind
Hauptpunkte, daneben Fabriano in der Mark Ancona. In
Spanien sinkt die Kunst mit dem Verfall der arabischen Herr-
schaft. . Bartolo (de insigniis et armis) rühmt um die Mitte des
vierzehnten Jahrhunders die Fabriken zu Fabriano als die
besten.. Bald treten auch Padua, Treviso u. a. hervor. Von
Papier. 97
Venedig und Mailand aus wird das südliche Deutschland ver-
sorgt; sogar Görlitz bezieht nach Rechnungen von 1376 bis
1426 sein Papier von dort.
Das westliche und nördliche Deutschland bezog sein Pa-
pier über Brügge, Antwerpen, Köln aus Frankreich und Bur-
gund: man erkennt es an den Lilien und anderen Wappen-
zeichen; später erscheinen auch Papiere aus Lille, aus Lüttich.
Nach dem südlichen Frankreich war die Fabrication früh-
zeitig von Spanien aus gelangt. Nach G6raud, Essai sur les
livres p. 35 erlaubte der Bischof von Lodßve dem Raymond
de Popian schon 1189 die Anlage von einer oder mehr Pa-
piermühlen au milieu de TEterault. In Kirchenrechnungen von
Troyes von 1410 kommen viele molins ä toile vor.
Naturgemäfs folgte die Ausbreitung der Fabrication den
Handelswegen. Die ersten Fabriken in Deutschland befanden
sich nach Bodmann zwischen Köln und Mainz, um 1 320 " bei
Mainz.
In Nürnberg, welches mit Venedig im lebhaftesten Han-
delsverkehr stand, errichtete Ulman Stromer 1390 eine Papier-
mühle mit Benutzung von Wasserkraft, was dort neu war; er
hatte sich dazu italienische Arbeiter verschafft; s. die Chro-
niken der fränkischen Städte, Nürnberg 1, 77. 474. (p. 261.
262. einige Papierpreise).
Ueber die Bavensburger Fabriken steht urkundlich fest,
<lafs 1407 drei Papierer zu Schornreuth ein Papir-Huss er-
bauten, und hier wurde das Papier mit dem Ochsenkopf (ohne
Bezeichnung der Augen) verfertigt, so man gar gern in den Kans-
leyen nutzt Doch bezog man in Nördlingen nach den bis 1382
hinaufreichenden Rechnungen noch bis 1516 das bessere Papier
aus Mailand, und erst von da an auch das feinere aus Ravens-
burg, von wo man bis dahin nur die mittlere Sorte genom-
men hatte.
Vom Jahr 1 440 ist eine Fabrik in Basel bekannt, welche
1470 zur Vervollkommnung der Papierbereitung spanische Ar-
beiter aus Galizien kommen liefs.
Die gewöhnlich angeführte angebliche Urkunde Hein-
Wattenbach, Schriftwesen. 7
98 Schreibstoffe.
richs IV für Utrecht von 1077 auf Papier ist nicht nur zwei-
felhaft, sondern völlig unglaublich. Das älteste sichere Bei-
spiel einer Urkunde auf Baumwollenpapier ist eine Urkunde
des Königs Böger von Sicilien vom Jahr 1102, und aus dem
zwölften Jahrhundert giebt es mehrere Beispiele. *) Die älteste
sicher bekannte Kaiserurkunde auf Baumwollenpapier ist von
Friedrich II im April 1228 zu Barletta für das Nonnenkloster
zu Goess in Steiermark ausgestellt, und noch in Wien vorhan-
den. Allein im Jahre 1231 verbot derselbe Kaiser die An-
wendung des Papiers zu Urkunden, weil es zu vergänglich sei»
Constitutiones Siculae I, 78: Volumus etiam et sancimus, ut
instrumenta publica et alte similes cautiones non nisi inpergamenis
in posterum perscribantur. Cum enim eorum fides multis futuris
temporibus duratura speretur, iustum esse decernirhus, ut ex ve-
tustale forsan destructionis periculo non succumbanl. Ex instru-
mehtis in chartis papyri vel alio modo quam ut dictum est scri-
ptis, nisi sint apoche vel antapocke, in iudiciis vel extra iudicia
nulla omnino probatio assumatur. Scripturis tantum preteritis
in suo robore duraturis. Que tarnen in predictis chartis bom-
bycinis sunt redacte scripture, in predictis locis Neapolis, Amalfie
et Surrenti intra biennium a die edite sanctionis istius ad com-
munem litteraturam et legibilem redigantur.
Italienische Notare mufsten noch in späterer Zeit bei ihrem
Amtsantritt versprechen, kein Baumwollenpapier zu Urkunden zu
verwenden; so versprach 1318 ein Notar dem Grafen Bambald von
Collalto, kein Instrument zu machen in charta bombycis vel de
qua vetus fuerit abrasa scriptum. 1331 gelobte ein anderer
nichts in charta bombycina auszufertigen. Tiraboschi (ed.
1775) 5, 77.
Dagegen diente es zu anderen Aufzeichnungen; Albertus
Bohemus schaffte sich um die Mitte des dreizehnten Jahrhun-
derts ein Conceptbuch von Baumwollenpapier an, dessen Be-
schaffenheit Kaiser Friedrich^ Vorsicht rechtfertigt, denn es ist
*) Ueber den Gebrauch bei den sicilischen Königen und Friedrich H
s. Huillard-Bre*holles, Introduction p., LXXII. LX-XTTT.
Papier. 99
so gebrechlich, dafs man sich bei dessen Gebrauch der gröfstea
Vorsicht bedienen mufs (Boehmer Reg. Imp. 1198 — 1254 p.
LXIX). Auch die in Italien geführten Protocollbücher Kaiser
Heinrich's VII, welche sich jetzt in Turin befinden, sind auf
Baumwollenpapier geschrieben.
In Deutschland ist der Gebrauch dieses Stoffes wohl nicht
sehr verbreitet gewesen; je mehr die Fabrication sich aus dem
Orient und damit in lebhafter Verbindung stehenden Ländern
entfernte, desto mehr mufste auch Leinen an die Stelle der
Baumwolle treten. Eine Urkunde von Kaufbeuren auf Linnen-^
papier aus dem Jahr 1318 ist zweifelhaft. Bodmann setzte das
älteste reine Linnenpapier in das Jahr 1324; bis 1350 käme
daneben gemischtes vor. Von da an finden wir Linnenpapier
überall in lebhaftem Gebrauch zu Büchern und Urkunden ; häufig
wird es auch zur besseren Erhaltung, besonders weil man die
Quaternionen oft lange ungebunden liefs, in Pergamentlagen
gelegt, ebenso wie einst das Nilpapier.
IL
Formen der Bücher und Urkunden.
1. Rollen.
Die Rolle ist im Alterthum die gebräuchlichste Form ge-
wesen, abgesehen von den Diplomen und Wachstafeln, deren
schon oben gedacht wurde.
Ausführlich handelt darüber, mit Erklärung aller technischen
Ausdrücke, Murr, in der Uebersetzung der Philodemus von
der Musik, Berlin 1806, 4. Geraud, Des livres chez les
Romains, Paris 1840, Marquardt, Römische Privatalterthti-
mer 2, 392 — 397.
Die Namen, sind theils vom Stoff hergenommen, wie
ßißXog, ßißUov, liber, cfiärta, und diese haben natürlich auch •
eine allgemeinere Bedeutung, welche jedoch anderen Bezeichnung
100 Formen der Bücher und Urkunden.
gen eben so wenig fehlt. Wie die Alten die Namen ihrer
ersten Schreibstoffe auf alle Bücher übertragen haben, so die
Deutschen das Buch von dem Buchenholz, in welches sie einst
ihre Kunen zu ritzen (writan, to write) pflegten.
Von der Form hergenommen ist volumen *), Tcvhvdgog bei
Diogenes Laertius de Epicuro, und spätgriechisch elXrjvdQtov,
auch elkrjTov (Schwarz de ornam. libr. p. 130), k^ellrjfia (ib.
p. 154). In den Acten der Syn. VI. a. 680 bei Mansi 11, 588:
to %(XQTtj)ov avd-evTMov eikiTccQiov. Es ist mit elkio), winden,
drehen, verwandt. Spätlateinisch ist rotulusj wovon unser Rolle,
fast nur für Urkunden in dieser Form gebraucht, weil, als das
Wort aufkam, Bücher in Rollen kaum noch vorkamen.
Zu einem gröfseren Werke gehörten mehrere Rollen, wes-
halb auch die einzelnen Abschnitte oder Bücher desselben ßißhog,
volumen, tomus, charta genannt werden. So sagt Catull zu
Cornelius Nepos:
Ausus es unus Italorum
Omne aevum tribus explicare chartis.
Diese Ausdrücke blieben im Gebrauch, nachdem die Form
der Rollen abgekommen war. In ähnlicher Weise nennt Benzo
von Alba die einzelnen Bücher seines Werkes codex, obgleich
sie alle in demselben codex standen.
Ulpian unterscheidet deshalb, Dig. 1. XXXII. J. 52 : Si cid
centum libri sunt legati, cenlum volumina ei dabimus, non cen-
tum quae quis ingenio suo metitus est; utputa cum haberet Ho~
merum totum in uno volumine, non 48 libros computamus, sed
unum Homeri volumen pro libro accipiendum est.
Nach den Gestis abbatum Fontanell. (Mon. Germ. 2, 297)
schenkte Ansegis an das Kloster Saint-Germain-de-Flay : pan-
dectem a beato Hieronymo ex hebraeo vel graeco eloquiq trans-
latum] eiusdem expositionem in duodecim prophetas, et sunt
*) Später hat man den Ursprung vergessen. Volumen dicitur a volvo,
quia perlecto uno folio libri volvitur et aliud legitur. Wörterbuch im
Serap. 23, 278.
Rollen. 101
tomi viginti in volumine uno. Hier würde man in älterer Zeit
an 20 Bollen zu denken haben; im neunten Jahrhundert aber
doch wohl nur gesonderte Schriften in einem grofsen Bande.
Dann wird der pandecles auszuschliefsen sein, ein Wort, wel-
ches ursprünglich nur einen Complex vieler Schriften bezeich-
net, und häufig in griechischen Handschriften für Blüthenlesen
aus Werken der Väter vorkommt. Sehr oft ist er auf die heili-
gen Schriften angewandt, so wie gleichfalls das Wort biblio-
theca d. i. Bibel, welches zu vielen brgötzlichen Mifsverständ-
nissen Anlafs gegeben hat. In ähnlicher Weise zusammenge-
schrumpft ist die Bedeutung des Wortes Pentateuck, von tev%os }
welches ein allgemeiner Ausdruck für Buch ist 1 ), wie auch
noch owfxa, 7tvxTiov.
Das Wort pandecles in dieser Bedeutung hat schon Beda,
wo er erzählt, dafs der Abt Ceolfrid von Weremouth tres pan-
dectes novae translaüonis aus Born mitgebracht habe. 2 ) Das
Wort bibliotheca braucht er im gewöhnlichen Sinne; dagegen
trägt der für Karl den Kahlen geschriebene Codex Vallicellianus
der Bibel die Inschrift:
Nomine Pandecten proprio vocitare memento
Hoc corpus sacrum, lector in ore tuo,
Quod nunc a multis constat bibliotheca dicta,
Nomine non proprio, ut lingua pelasga docet. 3 )
Dieselbe auffallende Betonung von bibliotheca findet sich in der
schönen Bibel, welche Graf Vivian Karl dem Kahlen tiber-
reichte:
Kex benedicte, tibi haec placeat biblioteca, Carle,
Testamenta duo quae relegenda gerit. 4 )
In dem 821. von Beginpert verfafsten Bibliothekskatalog
von Beichenau, betitelt Brevis librorum qui sunt in coenobio
*) S. d. oben p. 79 aus Eusebii vita Constantini mitgetheilte Stelle.
J ) Vita abb. Wiremuth. Bedae Opera ed. Giles 4, 386.
3 ) Alcuini Opera ed. Frob. 2, 203.
4 ) Baluzii Capit. 2, 1568.
102 Formen der Bücher und Urkunden.
Sindleozes Auua, facta a. VIII. Hludovici imperatoris, heifst es :
Bibliotheca L et alia Erichi. Eptatici volumina tria. d. h. ein
Heptateuch in 3 Bänden. Im Kloster selbst wurde Bibliotheca
dimidia geschrieben. l ) Kaiser Lothar schenkte dem Kloster
Prüm bibliothecam cum imaginibus. 2 )
S. Emmeran besafs unter Abt Ramwold gegen das Jahr
1000 BibltQthecas duas; in una vetus, in altera novum testamen-
tum continentur. 3 ) In S. Maximin waren Bibliothecae duae
maiores perfectae. Item alia minor , in qua vetus tantum testa-
mentum cum epistolis Pauli. Textus evangelii unius auro
scriptus. 4 )
Mico, der poetische Mönch von S. Riquier im neunten Jahr-
hundert, schrieb Stichi apti in fronte pandectinis (sie), welche
anfangen :
In hoc quinque libri retinentur codice Mosis 5 ) etc.
Ganz ähnlich sind des Iren Sedulius Versus ad Guntka-
rium Colon, ep. de bibliotheca.
Aspice pandecten vitae de fönte scatentem 6 ) etc.
Ebenso war es keine Bibliothek, welche das Kloster Te-
gernsee 1054 dem Kaiser Heinrich III darbrachte, worüber die
Klosterchronik berichtet : collata est imperatori a nobis biblio-
theca magna auro argentoque composila ac scriptum decenter
ornatä. Die Abtei erlangte dafür die Restitution mehrerer Be-
sitzungen. 7 )
In der Vita S. Gertrudis heifst es : ut paene omnem biblio-
thecam divinae legis memoriae reconderet 8 ), und Sigebert von
*) Neugart, Episcppatus Constant. 1, 536.
*) Broweri Ann. Trev. 1. Vm. §. 114. p. 414.
3 ) Mon. Germ. SS. 17, 567.
*) Libri de armario S. Maxiniini, bei Eeiffenberg im Annuäire de la
Bibl. r. de Brux 3, 120.
s ) ib. 4, 118. Ob die Verse von Mico sind, ist unsicher.
c ) ib 4, 86. Dümmler, Sedulii Carmina XL p. 29.
7 ) Pez Thes. 3, 3, 512.
8 ) Mabülon, Acta SS. O. S. B. 2, 446 ed. Ven.
Rollen. 103
Gembloux sagt: Si enim utriusque legis toiam bibliotkecam, si
omnes totius bibliothecae veteres expositores revofvam l ) ....
Adam, Schatzmeister des Kapitels zu Reimes, schenkte
1231 eine? Abtei seine Büchersammlung, darunter guandam
bibliotecam in minuta littera. 2 ) Und unter der Bibel von S* 6
Geneviöve in Paris aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts
steht: Hanc byblyotecam scripsit Manerius scriptor Cantuarien-
sis. 3 ) Wiederholt findet sich derselbe Ausdruck in dem Legat,
wfelches 1227 der Cardinal Guala dem Andreaskloster in Ver-
celli machte. 4 )
Aus dem späteren Mittelalter weifs ich keine Beispiele.
Es ist ein Sprachgebrauch, welcher sich erhalten hat von der Zeit
her, wo wirklich jedes Buch mindestens eine Rolle füllte ; die ver-
schiedenen Rollen wurden zusammen in Charta emporetica, in
eine dty&iQa oder membrana eingewickelt, bei gröfseren Wer-
ken aber genügte das nicht, und es gehörte eine capsa, ein
scrinium dazu. Dafür wird man eben auch bibliotheca und
pandectes gesagt haben.
Die Beschaffenkeit der alten Bückerrollen wurde genauer zu-
erst bekannt durch die Entdeckungen inHerculaneum, s. darüber
Murr de Papyris Herculanensibus, 1804. Jorio, Real Museo
Borbonico. Officina de' Papiri. Nap. 1825. Bluhme, Iter Ital.
4, 34 ff. Castrucci, Tesorio letterario di Ercolano, ossia la
reale officina dei papiri Ercolanesi, Nap. 1855, qu. Erweitert
wurde die Kenntnifs durch die ägyptischen Entdeckungen.
Bank es erwarb 1821 eine vorzüglich schöne Papyfusrolle,
welche Ilias ß von v. 127 an enthält; es scheint nicht, dafs
am Anfang etwas fehlt. Nachricht davon nebst einer Collation
und Facs. gab er im Philological Museum (Cambr. 1832)
1, 177 ff. Die Rolle ist 10 Zoll hoch, 8 Fufs lang, und ent-
*) Jaflfe, Bibl. rer. Germ. 5,224.
2 ) Bibl. de l'ßcole des Chartes, 5. Sene, 3, 39 ff.
3 ) Waagen, Kunstwerke in Paris, 3, 288.
4 ) Tiraboschi Tomo IV. 1. 1. c. 4. § 3 aus der Biogr. des Card. Guala
vom Abb. Frova. Auch im Inventar der Dombibliothek zu Rouen im
12. Jahrh. Bibl. de l'£cole des Chartes 3, 1, 217.
104 Formen der Bücher und Urkunden.
hält 16 Seiten zu c. 43 Versen. Bei je 100 Versen steht die
Zahl. Aufser verschiedenen anderen Fragmenten, wurden 1847
die Reden des Hyperides entdeckt und nach und nach ver-
vollständigt und herausgegeben. 1 )
Sehr merkwürdig ist das illustrirte astronomische Werk
Evdogov ityivri, auf dessen Rückseite Actenstücke von 165 und
164 a. C. eingetragen sind, ganz facsimilirt von Th. Deväria. 2 )
Dazu kommen endlich noch die Fragmente von zwei la-
teinischen Originalrescripten der kaiserlichen Kanzlei aus dem
fünften Jahrhundert, welche Th. Mommsen bearbeitet und
erläutert hat. 3 ) Die Höhe beträgt hier 17 röm. Zoll =1 Fufe
griechisch, ein in Aegypten sehr häufiges Format.
Die Schrift ist immer parallel den Langseiten, aber ein;
getheilt in Columnen, welche durch mehr oder weniger regel-
mäfsige Zwischenräume getrennt werden. Im Epitaphius
sind sie ganz nahe an einander gerückt und nur durch
Dintenstriche geschieden, während in den Rescripten der Zwi-
schenraum c. 3 Zoll beträgt, die Columnen c. 19 Zoll breit
sind. Hier, wo die Schrift sehr grofs und weitläufig ist, so
dafs die Columne von 17 Zoll Höhe nur 8 Zeilen hat, ist die
Zeile, wo es irgend möglich war, am Schlufs von Sätzen oder
Satztheilen abgebrochen, was in einzelnen Inschriften, in den
uns erhaltenen Schriftrollen aber sonst nicht vorkommt. Wohl
aber geschah es in Handschriften der Redner, und wurde von
diesen auf die heiligen Schriften übertragen, wovon in Perga-
menthandschriften Beispiele genug erhalten sind ; von profanen
nur der Cod. Regius 6332 der Tusculanen von Cicero, im
9. Jahrh. nach älterem Vorbild so geschrieben. 4 )
*) c. Demosth. ed. Churchill Babington, 1850. Aoyoi <ft>o, % ganz facsi-
milirt 1853. Epitaphius desgl. 1858.
2 ) Band XVIII, 2 der Notices et Extraits des Manuscrits: Notices et
Textes des Papyrus Grecs du Mus6e du Louvre et de la Bibilotheque Im-
periale, publication pr£par£e par feu M. Letronne, execut^e par MM^
Brunet de Presle et E. Egger. Paris 1864 qu. und fol.
3 ) im Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts, von Bekker, Muther,.
Stobbe (1863) 6, 308 — 416.
4 ) s. F. Ritschl's Kl. philol. Schriften 1, 89. 95. Cic. Opera ed. Orelli
4, 207 ed. n. #
Rollen. .105
Der Zwischenraum zwischen den Columnen heifst nach
Mommsen aekig, ursprünglich der Gang zwischen den Ruder-
bänken ; gewöhnlich aber finden wir das Wort übertragen auf
die Columnen selbst, welche xazaßaTdv, oelig, oelidiov, pa-
gina heifsen.
Am Schlufs pflegt die Anzahl der Zeilen (gtL%oi) verzeich-
net zu sein; die Angabe blieb unverändert, wenn sie auch zu
dem vorliegenden Exemplar nicht stimmte. Falls der Zweck
war, den Lohn des Abschreibers danach zu bestimmen, so kam
auf eine solche Abweichung nichts an; die einmal vorgenom-
mene Schätzung blieb gültig. Das hindert natürlich nicht,
dafs man diese Angaben auch zu anderen Zwecken benutzte;
auch mag ursprünglich eine wirklich genaue Uebereinstimmung
beabsichtigt, und in einzelnen Fällen auch erreicht sein. *) Man
findet ähnliche Angaben auch unter den Abschriften des
15. Jahrhunderts, z. B. im Cod. lat. Monac. 209 nach Ovids
Matamorphosen :
Bis sex milenos versus in codice scriptos
Sed ter quinque minus continet Ovidius/
Das Rollen heifst plicare, das Aufrollen zum Lesen ex-
plicare, daher explicitus liber, wenn das Buch zu Ende gelesen
ist. Davon kommt die gewöhnliche Unterschrift Expli cit,
deren zuerst Hieronymus ad Marcellam gedenkt : Solemus com-
pletis opusculis ad distinctionem rei alterius sequentis medium in-
terponere Explicit aut feliciter aut aliud eiusmodi.
Der T itel jjer Schrift steht nur am Schlufs, was bei den
herculanensischen Rollen sehr bedauerlich ist; nur bei einer
ißt er auch äufserlich auf die Rückseite geschrieben. Bei diesen
Rollen fehlen nämlich die indices, griechisch oillvßog, tuizcmiov,
welche an dem einen Ende der geschlossenen Rolle angebracht,
sogleich den Inhalt erkennen liefsen, wenn die Rollen in ihren
*) s. Ritschl's Kl. Schriften 1, 74—112. 173—196. Marquardt 5, 2 r
393. Mommsen zum Veroneser Livius p. 161. Zwei in Seiten und Zeilen
genau übereinstimmende Abschriften einer griechischen Catena saec. X.
erwähnt Montfaucon, Diar. Ital. p. 27S.
106 Formen der Bücher und Urkunden.
Gestellen lagen, wie man das auf herculanensischen Gemälden
sieht Die Abbildung einer solchen Bibliothek, in lapide exciso
repertam, geben Brower und Masen in den Antt. Trev. p. 105, und
danach Schwarz de ornam. Tab. IL Ueber die Schicksale
dieses Steines habe ich nichts in Erfahrung bringen können;
es scheint kaum, dafs er noch vorhanden ist
Wie die kaiserlichen Rescripte, so hatten auch Eingaben
und Bittschriften dieselbe Form ; man sieht sie auf den Bil-
dern zur Notitia Dignitatum ed. Boecking. Zusammengebun-
dene Bündel solcher Rollen haben der Primicerius notariorum
1, 49. 2, 60, und der Quaestor 2, 45 und 1, 40, wo die Be-
zeichnung Preces dazu zu gehören scheint. Der Magister scri-
niorum 1, 49. 2, 60 hat daneben Codices und tabellas. Die
Correctores 1, 115. 116. haben viele Rechnungsbücher, und
jeder Dux 1, 74 ff. 2, 74 ff. einen liber mandatorum mit einem
Streifen voll tironischer Noten an der Seite.
Ein überaus merkwürdiges Papyrusfragment in Wien ent-
hält einen Theil der Unterschriften des Concils von 680, nicht
im Original, aber in einer gleichzeitigen Abschrift und nicht in
Bticherschrift. *)
Eine gröfsere Rolle ist nur dann bequem zu lesen, wenn
die Schrift in Columnen vertheilt ist, doch findet sich diese
Sitte nur im Alterthum. Anders verhielt es sich natürlich,
wenn Briefe oder Urkunden von kürzerem Inhalt auf ein leicht
übersichtliches Stück Papyrus zu schreiben waren; da schrieb
y )? man einfach der kürze re n Se ite parallel, wie in Aegypten noch
erhaltene Briefe zeigen. Caesar zuerst ging in seinen Briefen
an den Senat von dieser Form ab, und schrieb die sorgfältig
ausgearbeiteten Schriftstücke in Buchform. 2 ) Rasch aufgenom-
mene Protocolle liefsen sich auch nicht gut in päginas ein-
zwängen, und bei Instrumenten, welche zu unterschreiben
*) facs. in Kollar's Ausgabe von Lambecii Comment 1. Vlil. p. 864,
cf. Marini, I Papiri Dipl. p. 211 und 381.
2 ) Sueton. Caes. c. 56: Epistolae quoque eius ad Senatum extant, quas
primum videtur ad paginas et formam memorialis libelli convertisse, cum
antea consules et duces nonnisi transversa Charta scriptas mitterent.
Rollen. 1 07
waren, mochte die Rücksicht -hinzukommen, dafs der ganze Inhalt
dem Blick frei vorliegen mufste. Thatsache ist, dafs die Sitte ,
i n Columnen zu schreiben, in der Uebergang szeit abkam, und
schon unter den Ravennater Urkunden auf Papyrus sind solche,
in welchen die Zeilen zu gröfster Unbequemlichkeit des Lesers
über die ganze Länge ohne Unterbrechung gehen. *) Später
schrieb man in der Regel der kürzeren Seite parallel (trans-
versa_ciarta), doch sind einige päbstliche Bullen in entgegen-
gesetzter Richtung geschrieben. 2 )
Der Länge nach ohne Unterbrechung geschrieben sind die
Y.ovTaxia, liturgischen Inhalts, so genannt nach den an beiden
Enden befestigten Stäbchen. 3 ) Sonst aber schrieb man den
kurzen Seiten parallel, und nähte, wenn das Pergament nicht
ausreichte, immer eine Haut an die andere.
Eine merkwürdige Rolle der vaticanischen Bibliothek (Pal.
405) von etwa 1 Fufs Breite und 32 Fufs Länge (doch fehlt
der Anfang) enthält eine bildliche Darstellung der Kriege
Josua's, nach guten älteren Compositionen mangelhaft ausge-
führt, mit erklärenden Beischriften in noch leidlich reiner Un-
cialschrift. Seroux d'Agincourt, welcher (V. pl. 28 — 30) ein
verkleinertes Abbild der ganzen Rolle, und einzelne Bilder
gröfser mittheilt, setzt sie ins 7. oder 8. Jahrhundert.
Vorzüglich Unteritalien eigen sind die Exultet, von
denen eines auf 10 Zoll Breite 20 Fufs Länge hat. In der
Ostervigilie las der Diaconus daraus den Text, während auf
dem aufgerollten und über dem Pult hangenden Theil das Volk
*) s. Marini, I Papiri diplomatici p. 362.
2 ) bei Tardif, Monuments hist. sind 2 Bullen der Länge nach geschrieben.
Die gewöhnliche Form hat auch das Privileg des B. Landericus von Paris
f. S. Denis v. 652, eine sehr lange Pap.-Rolle mit vielen Unterschriften,
pl. X. Eine Bulle Benedicts HI hat 21 FuCs Länge auf 2 Fufs Breite.
3 ) Montfaucon, Pal. Gr. p. 34. Von der fast 16 FuCs langen Liturgie
des h. Basilius im Escorial, saec. XIII. sagt Miller, Catalogue des Manuscrits
Grecs (Paris 1848) p. 499 nicht, wie sie geschrieben ist. Der Name be-
zeichnet später einfach kirchliche Hymnen, ohne Rücksicht auf die Form
der Handschrift.
/
v/
106 Formen der Bücher und Urkunden.
Gestellen lagen, wie man das auf herculanensischen Gemälden
sieht. Die Abbildung einer solchen Bibliothek, in lapide ewciso
repertam, geben Brower und Masen in den Antt. Trev. p. 105, und
danach Schwarz de ornam. Tab. II. Ueber die Schicksale
dieses Steines habe ich nichts in Erfahrung bringen können;
es scheint kaum, dafs er noch vorhanden ist.
Wie die kaiserlichen Rescripte, so hatten auch Eingaben
und Bittschriften dieselbe Form ; man sieht sie auf den Bil-
dern zur Notitia Dignitatum ed. Boecking. Zusammengebun-
dene Bündel solcher Rollen haben der Primicerius notariorum
1, 49. 2, 60, und der Quaestor 2, 45 und 1, 40, wo die Be-
zeichnung Freces dazu zu gehören scheint. Der Magister scri-
niorum 1, 49. 2, 60 hat daneben Codices und tabellas. Die
Correctores 1, 115. 116. haben viele Rechnungsbticher, und
jeder Dux 1, 74 ff. 2, 74 ff. einen liber mandatorum mit einem
Streifen voll tironischer Noten an der Seite.
Ein überaus merkwürdiges Papyrusfragment in Wien ent-
hält einen Theil der Unterschriften des Concils von 680, nicht
im Original, aber in einer gleichzeitigen Abschrift und nicht in
Bücherschrift. l )
Eine gröfsere Rolle ist nur dann bequem zu lesen, wenn
die Schrift in Columnen vertheilt ist, doch findet sich diese
Sitte nur im Alterthum. Anders verhielt es sich natürlich,
wenn Briefe oder Urkunden von kürzerem Inhalt auf ein leicht
übersichtliches Stück Papyrus zu schreiben waren; da schrieb
}; man einfach der kürzeren Se ite parallel, wie in Aegypten noch
erhaltene Briefe zeigen. Caesar zuerst ging in seinen Briefen
an den Senat von dieser Form ab, und schrieb die sorgfältig
ausgearbeiteten Schriftstücke in Buchform. 2 ) Rasch aufgenom-
mene Protocolle liefsen sich auch nicht gut in päginas ein-
zwängen, und bei Instrumenten, welche zu unterschreiben
*) facs. in Kollar's Ausgabe von Lambecii Comment 1. "VTH. p. 864,
cf. Marini, I Papiri Dipl. p. 211 und 381.
2 ) Sueton. Caes. c. 56: Epistolae quoque eius ad Senatum extant, quas
primum videtur ad paginas et formam memorialis libelli convertisse, cum
antea consules et duces nonnisi transversa Charta scriptas mitterent.
Rollen. 1 07
waren, mochte die Rücksicht -hinzukommen, dafs der ganze Inhalt
dem Blick frei vorliegen mufste. Thatsache ist, d afs die Sitte ,
i n Colnmnen zu schreiben, in der Ueber gangszeit abkam, und
schon unter den Eavennater Urkunden auf Papyrus sind solche,
in welchen die Zeilen zu gröfster Unbequemlichkeit des Lesers
über die ganze Länge ohne Unterbrechung gehen. *) Später
schrieb man in der Regel der kürzeren Seite parallel (trans-
versa charta ) T doch sind einige päbstliche Bullen in entgegen-
gesetzter Richtung geschrieben. 2 )
Der Länge nach ohne Unterbrechung geschrieben sind die
xovTaxia, liturgischen Inhalts, so genannt nach den an beiden
Enden befestigten Stäbchen. 3 ) Sonst aber schrieb man den
kurzen Seiten parallel, und nähte, wenn das Pergament nicht
ausreichte, immer eine Haut an die andere.
Eine merkwürdige Rolle der vaticanischen Bibliothek (Pal.
405) von etwa 1 Fufs Breite und 32 Fufs Länge (doch fehlt
der Anfang) enthält eine bildliche Darstellung der Kriege
Josua's, nach guten älteren Compositionen mangelhaft ausge-
führt, mit erklärenden Beischriften in noch leidlich reiner Un-
cialschrift. Seroux d'Agincourt, welcher (V. pl. 28 — 30) ein
verkleinertes Abbild der ganzen Rolle, und einzelne Bilder
gröfser mittheilt, setzt sie ins 7. oder 8. Jahrhundert.
Vorzüglich Unteritalien eigen sind die Exultet, von
denen eines auf iO Zoll Breite 20 Fufs Länge hat. In der
Ostervigilie las der Diaconus daraus den Text, während auf
dem aufgerollten und über dem Pult hangenden Theil das Volk
*) s. Marini, I Papiri diplomatici p. 362.
2 ) bei Tardif, Monuments hist. sind 2 Bullen der Länge nach geschrieben.
Die gewöhnliche Form hat auch das Privileg des B. Landericus von Paris
f. S. Denis v. 652, eine sehr lange Pap.-Rolle mit vielen Unterschriften,
pl. X. Eine Bulle Benedicts HI hat 21 Fufs Länge auf 2 Fufs Breite.
3 ) Montfaucon, Pal. Gr. p. 34. Von der fast 16 FuCs langen Liturgie
des h. Basilius im Escorial, saec. XIII. sagt Miller, Catalogue des Manuscrits
Grecs (Paris 1848) p. 499 nicht, wie sie geschrieben ist. Der Name be-
zeichnet später einfach kirchliche Hymnen, ohne Rücksicht auf die Form
der Handschrift.
108 Formen der Bücher und Urkunden.
die Bilder sah, welche deshalb gegen die Schrift umgekehrt
gestellt sind. Eine Rolle der Art mit langobardischer Schrift
des 11. Jahrhunderts enthält die Namen der Fürsten Paldolf
und Landolf, und Fürbitten für das Wohl famuli tut Roffricti
comestabuli consulumque nostrorum et toüus militiae Beneven-
tanae, welche nach Borgia auf das Jahr 1077 weisen. *)
Die Frankfurter Stadtbibliothek bewahrt eine Litanei
mit Fürbitten für König Ludwig den Deutschen und seine Ge-
mahlin Hemma, von ähnlicher Gröfse. Der Rand ist zierlich
geschmückt, Gold und Silber in der Schrift vielfach verwandt.
Mit vorzüglich grofsen Goldbuchstaben ist der Name des h.
Nazarius geschrieben, was uns Lorsch als die Heimath dieser
Rolle erkennen läfst. 2 )
In Rollenform waren zuweilen die Nekrologien; so in
Saint-Evroul der rotulus longissimus mit den Namen der Brü-
der und ihrer Angehörigen, welcher immer am Altare ver-
wahrt wurde; am Tage des anniversarium generale aber Vo-
lumen mortuonim super altare dissolutum palam expanditur. 3 )
Vorzüglich wurde in solcher Form einmal im Jahr oder nach
einem bedeutenden Todesfall den verbrüderten Kirchen durch
eigene rolligeri Mittheilung gemacht, worauf mit der Angabe
der eigenen Verstorbenen auch allerlei poetische Ergüsse er-
folgten. Dann reichte, wie bei der Aebtissin Mathilde von
Caen (f c. 1110) eine Rolle von 17 Ellen, und bei Vitalis,
dem Stifter von Savigny (f 1122), 15 zusammengenähte Blätter
nicht aus, und auch die Rückseite wurde beschrieben. Dieser
ganze Gebrauch ist sehr eingehend dargestellt worden von
L6op. Delisle in seiner Abhandlung: Des Monuments paläo-
graphiques concernant Tusage de prier pour les morts. 4 ) Der-
x ) Seroux d'Agincourt V. pl. 53. 54. Aus anderen derselben Zeit und
Gegend pl. 55. 56.
2 ) Archiv f. alt. d. Gesch. 2, 216.
3 ) Ordericus Vitalis 2, 100 vgl. 126 ed. Le Prevost.
4 ) Bibl. de Tficole des Chartes, 2. Serie, 3, 361—412, a. 1846.
Rollen. 109
selbe hat 20 Jahre später an 100 theils in Abschrift, theils
im Original erhaltene Rollen der Art publicirt. *)
Auch Chroniken kommen in dieser Form vor. So die
Chronik von Novalese aus dem 11. Jahrhundert, eine Palme
breit, 11 Meter lang. 2 ) 28 Pergamentstücke sind übrig; die
eine Seite ist ganz, die andere halb beschrieben. Aus dersel-
ben Zeit ist der Rotulus historicus von Benedictbeuern, 8 Fufs
lang, 10 Zoll breit; auf der Rückseite stehen die Nomina be-
nefactorum und spätere Notizen. 3 ) Beide sind unvollständig,
weil die Näthe sich gelöst haben, und einzelne Stücke verlo-
ren sind. Eine enorm lange Rolle aus England, welche auf
der einen Seite eine Chronik bis auf Edward II, auf der an-
deren eine kürzere bis zu Christi Tod enthält, hat der Besitzer,
'/ Herr Joseph Mayer in Liverpool, ganz facsimiliren lassen.
Auch Minnelieder sind auf Rollen geschrieben 4 ), und in
Zürich ist eine Wappenrolle aus dem 14. Jahrhundert. 5 ) Zum
Transport auf Reisen waren sie bequemer als Bücher.
Sehr häufig sind Urkunden in dieser Form, aber mit
Ausnahme der päbstlichen Bullen älterer Zeit, so lange man
sie noch auf Papyrus schrieb, nur unbesiegelte, Notariats-In-
strumente, wie sie namentlich in Italien seit alter Zeit üblich waren,
und von da in andere Länder sich verbreiteten. Darunter sind In-
ventarien bis zu hundert Fufs Länge. Die päbstlichen Gesandten,
welche 1320 in den Streitigkeiten zwischen Polen und dem deut-
schen Orden Verhöre anstellten, liefsen den ganzen Procefs in zwei
Exemplaren auf 17 Ellen langen und 9 Zoll breiten Rollen
verzeichnen, deren Unbequemlichkeit nur der vollkommen wür-
digen kann, welcher sie abgeschrieben oder collationnirt hat;
's
*) Rouleaux des Morts du IX. au XV. siecle, recueillis et publiös pour
la Sociöte" de l'histoire de France. Paris 1866. 8. In Corbie hatte man
diese Rollen später zum Einbinden der Bücher ^benutzt, wodurch viele
Fragmente erhalten sind.
2 ) ed. Bethmann, Mon. Germ. SS. 7, 73.
3 ) ib. 9, 210.
4 ) s. Lafsberg, Liedersaal I, Vorrede S. 20.
5 ) publ. durch v. WyCs in den Mittheilungen der Antiquarischen Ge-
sellschaft in Zürich, VI.
110 Formen der Bücher und Urkunden.
eine einzelne Stelle clarin zu suchen, kann zur Verzweiflung
bringen. *) Ein Actenstttck von 1283 aus dem Streit der Pa-
riser Universität mit ihrem Kanzler, hat 13 Fufs Länge. 2 )
Im Gegensatz zu den litterae patentes liefsen solche Bollen
sich besser geheim halten. Man nahm sie deshalb gern zu
Testamenten, welche mit einem Faden umwickelt und versie-
gelt wurden. So bewahrt z. B. die Rathskanzlei in Lübek
eine grofse Menge solcher Testamente, welche als Duplicate
deponirt wurden, und seit dem 14. Jahrhundert uneröffet da-
liegen. Sie sehen aus wie kleine Stöcke, und nehmen wenig
Raum ein.
Auch nichturkundliche Aufzeichnungen haben solche Form,
Güterverzeichnisse, Zinsroteln. So schon der bekannte Salz-
burger Indiculus Arnonis von 788, freilich nur in einer Abschrift
des 12. Jahrhunderts erhalten. 3 ) Die Aachener Stadtrechnungen
des 14. Jahrhunderts sind auf langen Rollen von Pergament
und Papier geschrieben. 4 ) Die Hagenauer verzeichneten 1359
den Verlauf ihrer Fehde mit den Lichtenbergern auf einer sehr
langen Rolle von Papier. 5 )
Dergleichen Beispiele liefsen sich leicht vermehren, da alle be-
deutenderen Archive Rollen zu besitzen pflegen. Die Verbreitung
des Gebrauches zeigen auch Ausdrücke wie inrotulare, Muster-
rolle u. s. w. Nur sind auch diese Ausdrücke übertragen,
*) im Königsberger Prov. Archiv. Herausgegeben vom Grafen Dzia-
linski im 4. Bande der : Lites ac Res gestae inter Polonos Ordinemque Cru-
ciferorum.
2 ) Processus f actus contra Cancellarium, sive responsiones Universitatis
Parisiensis et facultatis artistarum ad ea quae Cancellarius Parisiensis oppo-
suerat. Bibl. de Tficole des Chartes 5, 3, 266 aus Jourdain : Index chrono-
logicus chartarum pertinentium ad historiam Universitatis Parisiensis. 1802.
3 ) Indiculus Arnonis u. Breves notitiae Salzburgenses, von Fr. Keinz t
München 1869.
4 ) Laurent, Aachener Stadtrechnungen, 1S65. Der Herausgeber dieses
übrigens verdienstlichen und dankenswerthen Buches schwelgt förmlich in
der Anwendung des falsch gelesenen quum statt quando.
5 ) Mone in der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 5, 176 ff.
Das Original ist auf der Heidelberger Bibliothek, wo sich auch eine sehr
lange Pergamentrolle befindet mit dem Verzeichnifs derjenigen, für welche
vom Pabst Bonifaz IX Beneficien erbeten wurden.
Bücher. 111
und Ingulf z. B. nennt auch das Domesday Book rotulus, ob-
gleich es keine Bolle ist.
Dagegen wurden in England alle königlichen Erlasse auf
eine lange Pergamentrolle geschrieben, und an allem alterthtim-
lichen Herkommen festhaltend, thut man es noch jetzt. Eine
Rolle König Johanna und der Königin Victoria sehen ganz
ähnlich aus; nur die Schrift hat sich verändert, doch braucht
man auch jetzt noch die alte French court hand, welche nicht
leicht zu lesen ist. Der Archivar aber heifst von diesen Rollen
Master of the rolls, Magister rotulorum.
2. Bücher.
Die Form unserer Bücher kommt zuerst vor bei den Wachs-
tafeln, tabulae, mit Rechnungen, welche zusammengelegt, auch
wohl zusammengebunden, im tabularium, tablinum, verwahrt
wurden. Man nannte das einen codex. So sagt Seneca de br.
vit. 13: plurium tabularum contextus caudex apud antiquos vo-
caiatur, unde publicae tabulae Codices dicuntur. Solche Codices
sieht man in der Notitia dignitatum 1, 115. 116. 2, 59. 60.
Dafs auch Papyrus in Buchform vorkommt, wurde schon
oben S. 72. erwähnt, aber dieser Stoff war dazu wenig ge-
eignet. In der Regel wurde er gerollt, Pergament aber ge-
faltet. *) Martial 14, 184 ff. giebt Beispiele, und hebt vorzüg-
lich hervor, dafs diese Bücher so viel in kleinem Umfang ent-
hielten. G6raud schliefst aus diesen Epigrammen wohl nicht
mit Unrecht, dafs es ein damals in Rom aufkommender Luxus-
artikel war; in Herculaneum haben sich keine gefunden. Zur
Verzierung mit Gold und Farben, zur Illustrirung mit Bildern,
eigneten diese Handschriften sich besser, und die uns erhalte-
nen Proben rühren grofsentheils von Prachthandschriften her.
In der Regel fafste ein Pergamentband weit mehr als eine
Rolle, weshalb Isidor sagt: Codex multorum librorum est, Über
unius voluminü.
Ülpian Dig. 32, 50 sagt: Sed perscripti libri nondum
i* Ueber die Pergamenthandschriften der Alten handeln G6raud p.
125 ff. Marquardt, Römische Privatalterthümer 2, 397—403.
112 Formen der Bücher und Urkunden.
malleati vel ornati continebuntur {Hbris legatis). proinde etnon-
dum conglutinati vel emendali continebuntur. Sed et membranae
nondum consutae continebuntur. Da scheint er im ersten Fall
Papyrusrollen im Sinne zu haben, von denen man dann an-
nehmen mtifste, dafs sie in einzelnen Stücken geschrieben und
erst nachträglich zusammengeleimt wurden, was bei der Länge der
Rollen auch wahrscheinlich ist. Im zweiten Fall kann man wohl
nur an Membranen denken, welche zu einer Rolle zusammen-
genäht wurden, und ganz entschieden erwähnt Ulpian Dig. 32,
52 sowohl Rollen von Pergament als auch Bücher von Papy-
rus : Librorum appellatione continentur omnia volumina, sive in
charta sive in Membrana sinl, sive in quavis alia materia. . . .
Quod si in codicibus sint membraneis vel chartaceis vel etiam
eboreis vel alterius materiae, vel in ceratis codicillis, an debeant
videamus.
Der Ausdruck liber, schon früh von ganz allgemeiner Be-
deutung, bezeichnete ursprünglich wohl nur Rollen. Griechi-
sche Benennungen für Bücher sind ßlßlog, ßißliov, ßißkdgiov,
öeXxoq, xevx^og, auch 7ivy.tlov, rtvxTig, itxvxzlov. In den Acten
der Syn. Constantinopol. III. a. 680 kommt yxoöUtov vor.
Ein nicht mit Sicherheit erklärter Ausdruck ist panfletus
in Richardi de Buri Philobiblion c. 8, engl, pamphlet. Vielleicht
ist die Ableitung vom span. papeleta, ein Stück Papier, richtig.
Man faltete mehrere Blätter zu einer Lage, am häufigsten
vier. Eine solche Lage hiefs rergag, verQadiov. Ein merk-
würdiges Mifsverständnifs des gelehrten Reiske hat Brunet de
Presle nachgewiesen in den Comptes rendus de l'Acadämie
von 1867 p. 197. Er las nämlich bei Constant. Porphyrog.
de Caerimoniis aulae 1, 668: ^rjrei elg rovg ccQxovvag rov tb-
TQccdiov, und erklärt dieses rergdöiov als einen Wachtposten
von vier Mann, was es allerdings auch bedeuten kann. Es
x x %
steht aber da: Crj eig ccq tov ddiov, und ist zu lesen: £tjtei
elg rfjv aQxrjv xov rergaölov. Man soll am Anfang der Lage
nachsehen.
Der lateinische Ausdruck quaternio kommt zuerst, doch
Bücher. , 113
nicht ganz sicher, vor in Diocletian's Edict de pretiis rerum
venalium von 301. Später sagte man auch quaternus , franz.
caterne } quayer, cahier. J ) In dem Glossar des Jo. de Janua
wird aus Hugutio angeführt: Quaternus quatuor quarte (d. i.
chartae) sed octo folia sunt.
Die berühmten Bibelhandschriften Cod. Vat. 1209 und das
Buch Daniel Cod. Vat. 2125 sind nach Tischendorf in Quin-
ternen geschrieben. So auch die Vorlage des Schreibers, wel-
cher am Rande bemerkte: evTBvd-ev XeiTtet Ttevraöia t£öö(xq<x. 2 )
Die einzelnen Lagen werden oben oder unten, vorn oder
hinten, gezählt, mit Zahlen oder Buchstaben, häufig mit Bei-
fügung eines Q, und später auch ausgeschrieben Quaternus,
Sextcrnus. Wohl erst ziemlich spät kam die Sitte auf, das
Anfangswort der folgenden Lage am untern Rande der vor-
hergehenden zu wiederholen. 3 )
Ueber das Format der Handschriften ist zu bemerken,
dafs dem hohen Alterthum vorzüglich eine breite Quartform
eigen ist. Der Codex Sinaiticus allein hat vier Columnen,
»
oeMdeg, aufgeschlagen also acht, wodurch er dann der Rollen-
form am nächsten kommt. Viele sehr alte Handschriften haben
drei Columnen. S. Lucian hinterliefs am Ende des dritten
Jahrhunderts der Kirche zu Nikomedien eine Bibel, yeyQcc^iii-
VOV GsllOl TQIOOCCLQ. 4 )
Später, im zwölften Jahrhundert, beklagt sich Tzetzes 5 ) voll
Bitterkeit über die Kargheit des kaiserlichen Zahlmeisters. Er
hatte nämlich für die Kaiserin Irene seinen Commentar zum
Homer geschrieben und dazu TeTQadiaxia twv a^iTigoTarcov
genommen, die nur 2&8 Zeilen fafsten, also 18 auf der Seite.
Da warf man ihm vor, dafs er die Zahl der %ctqxav der Be-
zahlung wegen mehre, und nun:
f
*) Vielleicht dasselbe ist unum quarterium de multis faciens narra-
cionem in einem Inventar von 1372, Bibl. de l'ficole des Chartes 3, 1, 222.
2 ) Val. Rose im Hermes 2, 97.
3 ) Bemerkt habe ich es mir von den Codd. Salem. IX, 40 und 41 in
Heidelberg, aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts.
4 ) Mone, Messen S. 162 aus den Menäen zu Oct. 15.
8 ) Chiliad. IX, 264; v. 278—297.
Wattenbach, Schriftwesen. 8
114 Formen der Bücher und Urkunden.
> •
ytaßwv di %i TetQadiov fxiyiaxov iyeyqdcpeiv
TqiTcayia^iolg ev o%i%iaiiolg rergadia wg dtxa.
Es scheint, dafs er damit die Schreibart in drei Columnen
bezeichnen will, augenscheinlich als etwas ungewöhnliches.
Man fand es recht schön, bezahlte aber schlecht.
üim in drei oder vier Columnen schreiben zu können,
mufste man sehr grofses Pergament haben, waö kostbar war.
Deshalb glaube ich auch, dafs es auf diese Schreibart geht,
wenn Eusebius V. Const. 4, 37 sagt, dafs er dem Kaiser be-
sorgt habe ev rcoXvTeXuJg rjaxrjfÄevoig Tev%eai tqioocc xal re-
TQCcaoa. Die Ausdrücke kommen nur hier vor, und der Ter-
nionen und Quaternionen zu gedenken, war kaum ein Grund
vorhanden.
In drei Columnen geschrieben sind die Fragmenta Vati-
cana von Sallust's Historien, der Cod. Basilicanus von Cicero'»
Philippiken, in der Sacristei von S. Peter, das Berliner Sallust-
fragment, der Cod. Ambros. Bob. des Cicero unter Sedulius,
der Dion Cassius Vat., sowie der Vat. 1209 der Bibel, wo
jedoch das neue Testament nur zwei Columnen hat, die Mai-
länder griechische Uncialhandschrift der Bibel '), und die Hand-
schrift des Lord Ashburnham. 2 j
Drei Columnen auf sehr weifsem glattem Pergament, ohne
Linien, hat auch die älteste datirte syrische Handschrift im
Brit. Museum, in Edessa 723 Seleuc. d. i. 411 oder 412 p. C.
geschrieben, vielleicht die älteste datirte Handschrift. Die in
Amid era 775 geschriebene Bibel hat 2 Columnen.
In späterer Zeit, nach dem sechsten Jahrhundert, kommt
die Dreitheilung nur selten vor 3 ), ausgenommen ganz beson-
dere Fälle, wo die Natur des Textes, z. B. die Zusammen-
M Bibl. Ambros. von c. 700 p. C. nach Montfaucon, Diar. Ital. p. 11.
2 ) Librorum Levitici et Numerorum versio antiqua Itala e codice per-
antiqub in bibliotheca Ashburnhamiensi conservato nunc primum typis
edita. Lond. 1868 mit Facsimile. Nicht im Handel, ein Exemplar in
Bonn.
3 ) Nach Rockinger, Quellen z. Bayer. Gesch. 9, 352 sind die 3 Hand-
schriften der Summa Ludolfi dreispaltig in octav.
Bücher. 115
Stellung verschiedener Versionen der Psalmen in Eadwine's
Psalter, eine ungewöhnliche Einrichtung nöthig machte.
Natürlich gab es auch schon in alter Zeit andere Formate ;
namentlich waren die Hexameter für Columnen zu lang, doch
sind auch die alten Virgilhandschriften in quart. Der syrische
Palimpsest der Hias hat 33 Verse auf der Seite. Aehnliche
Form hat der Wiener Dioskorides, die Florentiner Pandecten,
deren Höhe etwas gröfser ist, mit 2 Columnen, der Veroneser
Livius mit 2 Col. zu 30 Zeilen. Dagegen ist der Wiener Li-
vius grofs octav, der Cod. des Fronto wird als fol. bezeichnet,
hat aber 2 Col. zu nur 24 Zeilen.
Eine Zusammenstellung aller Handschriften und Fragmente
in Capital- und Uncialschrift mit genauer Angabe dieser Aeufser-
lichkeiten wäre recht nützlich. Die Beachtung derselben ist
nämlich für die Kritik sehr wichtig, und hat zu bedeutenden
Resultaten geführt, nicht nur zur Ermittelung von Lücken und
Umstellungen, sondern auch zur Schätzung ihres Umfanges.
Auch erkennt man dadurch Fragmente von Handschriften,
welche häufig durch zufällige Umstände weit von einander ver-
schlagen sind, als ursprünglich zusammen gehörend.
Schon 680 beschäftigte die sechste Synode sich mit der
Ermittelung einer Interpolation in den Acten der fünften
(Mansi 11, 225): bvqov xgelg rergadag elg %i\v aQ%r]v %ov
ßißllov ex TiQoo&yKrjg kfJ.ßXYjd'TJvai fxij i^ovoag vTtoor^ietiOGiv
aqvd'iir^vA : r\v %r\v itqbg ovvrj&eiav evre&emivrjv ev ralg re-
TQaoiv, älX 3 ev rij reTccQTT] rergccdi elvai rov tzqwtov aqL&f.ibv
xai elg %r\v (ist avxi\v öevrigav xal tqIttjv rergaöa eq>el;rjg.
Da ausserdem auch die Buchstaben verschieden befunden wur-
den, so war in diesem Falle die Entdeckung nicht schwierig;
häufig aber sind die Custoden, wie man sie jetzt nennt, nicht
mehr vorhanden, indem sie nicht selten vom Buchbinder weg-
geschnitten sind. Hauptsächlich aber ist es eine Aufgabe für
den philologischen Scharfsinn, den verlorenen Urcodex nach
den jüngeren Abschriften zu reconstruiren. So hat K. Läch-
ln an n ganz genau die Gestalt des Urcodex von Lucretius er-
8*
116 Formen der Bücher und Urkunden.
mittelt, und dadurch die Lücken und Transpositionen nach-
gewiesen. ')
Den archetypus des Juvenal hat Goebel in den Sitzungs-
berichten der Wiener Akademie 29, 39 durch Rückschlufs aus
einem cod. saec. X. zu ermitteln versucht.
Von besonderer praktischer Wichtigkeit ist für die Kritik
des Festus der Rückschlufs von den jüngeren Abschriften auf
die Form der verlorenen Quaternionen, deren Ränder beschädigt
waren; denn was in diese Stellen fällt, beruht nur auf Resti-
tution, wie Th. Mommsen nachgewiesen hat. 2 )
Eine sehr scharfsinnige Untersuchung dieser Art in Bezug
auf Tibull 1, 4 hat kürzlich F. Ritschi angestellt. 3 )
Doch es würde hier zu weit führen, auf diesen Gegen-
stand näher einzugehen; nur darauf kam es hier an, hervor^
zuheben und nachzuweisen, dafs die an sich unbedeutenden
Umstände der Zeilenzahl, des Formats u. s. w. für die Kritik
von Wichtigkeit sind, und sorgfältige Beachtung erfordern.
Durch genaue und scharfsinnige Beobachtung derselben zeich-
nen sich namentlich auch die Abhandlungen von G. H. Pertz
aus, welche zum Studium deshalb zu empfehlen sind. Der-
selbe hat auf solche Weise den Umfang der Lücke in dem
Epos der Roswitha ermittelt.
Zeichnen sich nun die Handschriften aus den letzten Zeiten
des römischen Alterthums durch grofse Sauberkeit und Regel-
mäfsigkeit aus, so finden wir später in Bologna und anderen
italienischen Universitäten eine gesetzlich vorgeschriebene Re-
gelmäfsigkeit, um Betrügereien der Abschreiber vorzubeugen.
Genaue Angaben darüber giebt Savigny in der Geschichte
') übersichtlich dargestellt in der Anzeige der Ausgabe im Lit. Cen-
tralbl. 1850 Sp. 193. M. Hertz, Karl Lachmann p. 139, und p. 121 über
die ähnliche Behandlung des Catull. Vgl. auch M. Haupt, de carminibus
bucolicis Calpurnii et Nemesiani p. 36 über den Cod. Cyneget. Nemesiani.
2 ) Festi Codicis quaternionem XVI. denuo edidit Th. Mommsen. Abh.
der Berl. Ak. 1864.
3 ) Sitzungsberichte der k. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaf-
ten, 1866.
\
\
Bücher. 117
des römischen Rechts im Mittelalter. 1 ) Die Einheit, nach
welcher hier die Preise bestimmt wurden, ist die pecia oder
V2 quaternio, V» Sextern, denn auch diese kommen hier häu-
fig vor. Die Pecie hat 16 Columnen, die Cölumne 62 Zeilen,
die Zeile 32 Buchstaben. Peciarii führen die Aufsicht über
das Verleihen und Abschreiben der Manuscripte. Es wird je-
doch hier so wenig, wie bei der alten Stichometrie das Mafs
wirklich immer eingehalten, sondern die einmalige Normal-
schrift gentigte, indem sich bei Abschriften Bemerkungen wie
Finis pecie L auch mitten auf der Seite finden. •
Das Blatt heifst yvllov, folium, was zuerst bei Isidor vor-
kommt, Origg. 6, 14 : Folia librorum .... cuius partes paginae
dicuntur. In spätem Mönchslatein aber heifst der Bogen arcus 2 ),
die Seite latus, die Zeile riga. So erzählt Thomas a Campis
de discipulis d. Florentii c. 4 , dafs Lubertus Berneri oder van
den Busche (f 1398) einmal zu seinem Lehrer Florentius ge-
rufen wurde: erat autem in ultima riga lateris, et forte tria
vel quatuor verba adhuc scribenda restabant. Dennoch kommt
er unverzüglich , ohne die Seite zu vollenden. Und in der
1 494 gedruckten Regel der Brüder vom gemeinen Leben 3 ) heifst
es : librarius . . . pervideat scripturam fratrum nostrorum, spe-
cialiter qui minus sciunt scribere, et qui novi aliquid incipiunt,
providendo eis de una riga vel duabus melioris scripture pro
exemplari ante se locando, si opus habent.
3. Urkunden.
Von Urkunden auf Erztafeln und Wachstafeln ist schon
die Rede gewesen, auch von gerollten. Die Alten hatten auch
1 ) 3, 427. 537; 2. Ausg. S. 580 ff.; vgl. Kirchhoff, Handschriften-
händler S. 8 ff. 20.
2 ) arcus papyri in Stephani prioris Dolan. ep. adHussitas a. 1417 bei
B. Pez, Thes. IV. 2, 520; quaternus est pars libri ex quatuor arcübus et
octo foliis pergameni connexa. Wörterbuch im Serapeum 23, 278. Eben
vorher heifsen sie quatuor plicaturae. In den Aachener Stadtrechnungen
a. 1338 p. 136: pro duobus Ubris papiri 5 sol.
l ) Serapeum 21, 188.
118 Formen der Bücher und Urkunden.
zusammengefaltete, welche durch einen besiegelten Faden ver-
schlossen waren, namentlich Testamente. 1 ) Davon ist die
Eede in der von Schwarz de ornamentis librorum p. 154 an-
geführten Stelle der Glossae veteres verborum iuris ed. Labbe,
wo es von den Testamenten heifst: 3 Iot£ov oxi %b iikv iv o%yi-
ficcTi zergadog e!; o c iag drjTtore avvTid-ivievov xal dexopevov ttjv
dia&rjxriv, TCtßovXka XiyeTat' rä dk egeilrjfMxra %aqxov , avzo
tovto x<*Q Tr ]S xccleiTcu.
Solche Form ist mir aus dem Mittelalter nicht bekannt;
wir haben es hier zunächst mit den litterae apertae oder pa-
tentes zu thun. Der gewöhnliche Name ist charta; es giebt
aber eine Menge von Namen, welche von dem Inhalt herge-
nommen sind, und sich in den diplomatischen Handbüchern
verzeichnet finden. Auf diese einzugehen, ist hier überflüssig;
auch die genaueren Angaben über die Form können nur dann
einen Werth haben, wenn man auf alle Einzelheiten eingeht.
Wie das für ein begrenztes Gebiet durchzuführen ist, hat Sichel
in seiner Diplomatik der Karolinger gezeigt. Von der Form,
weil sie am häufigsten nur auf einer Seite eines Blattes ge-
schrieben" sind, heifsen die Urkunden sehr oft pagina.
Allgemeine Anweisungen für die Abfassung einer Urkunde
giebt die Summa Conradi de Mure von 1275 2 ):
De forma carte et scriptura.
Per quomodo intelligitur tertius modus scribendi, ubi no-
tetur carta in qua scribi debet litera, expers carnis, bene rasa,
pumicata, scribentis manibus et usibus preparata, nee nimis
rigide dura nee nimis molliter tenuis. Sic quadranguletur, ut
latitudo longitudini respondeat convenienter, et ne latitudo
nee longitudo modum debitum excedant et mensuram, sicut
archa Noe in longitudine, latitudine, altitudine, iussu dei arti-
ficialiter et proportionaliter composita fuit et compaeta.
1 ) s. Marquardt 2, 392.
2 ) herausgegeben von Rockinger., Quellen zur bayerischen und deut-
schen Geschichte 9, 437.
Urkunden. 119
Scriptura litere, regulis Orthographie observatis, una manu
et eadem, sine omni vicio rasure in loco suspecto, incausto non
discoloriter nigro, aliis coloribus exclusis, a primo usque ad
ultimum equali forma(ta) ductu scribatur, lineali grossetur, legi-
biliter comprimatur, ut nee sit nimium sparsa nee nimium com-
pressa, nee deformis, set correeta pleniter et equalis.
Eegulariter accentuetur, punetetur, virguletur.
Una sillaba in scribendo nunquam dividatur ita ut finis
linee partem habeat sillabe, et residuum sillabe sit origo linee
sequentis.
Una dictio nunquam ita distinguatur in sillabis, ut due
dictiones reputentur. due dictiones vel plures nunquam ita con-
tinuentur, ut una dictio videatur. et si dictio scribi non potest
totaliter ad finem linee precedentis, per virgulam in margine
signetur huiusmodi divisio seu imperfectio dictionis, ut lector eo
difficilius erret in legendo.
Item scriptura litere seu epistole tarn a capite quam a
fine seeundum debitam quadraturam cum spaeiis ab omni latere,
scilicet superius, inferius, dextrorsum, sinistrorsum , competen-
tibus habere debet duetum seu terminos lineales, ita ut scriptura
margines carte seu extremitates fugere videatur modo debito et
decenti. alioquin carta sie detruncata proprietatem litere de-
formaret.
Unde carta seu carte forma non sit nimis longa, non sit
nimis lata, spaeiis ut dictum est regulariter ordinatis.
Ich habe den ganzen Abschnitt hergesetzt, weil die Vor-
schriften in der That sehr verständig sind. Im Allgemeinen
sind die Urkunden aufserordentlich correct geschrieben, und
welche Mühe das bei umfangreichen Stücken kostete, schildert
uns Bartholomäus Sastrow in seiner Lebensgeschichte. *) Notare
erlaubten sich wohl Correcturen, welche bei der Beglaubigung
am Schlufs sorgsam verzeichnet werden.
*) bearbeitet von L. Grote (Halle 1860) S. 143.
i
120 Formen der Bücher und Urkunden.
Für Urkunden von grofser Länge war weder die Rollen-
form noch eine untibersehliche Tafel zum Gebrauch bequem.
Deshalb kam gegen das Ende des Mittelalters die Sitte auf,
namentlich die Privilegienbestätigungen, welche die wichtigeren
Urkunden einer Corporation vollständig in Abschrift enthielten,
einfach in Form eines Quartbandes zu schreiben, und die Sie-
gelschnur durch alle Blätter zu ziehen. Man könnte solche
Urkunden nach ihrer Form allenfalls polyplycha nennen, doch
hat dieser Name schon seine eigene Bedeutung. Er bezeich-
net jene Zinsregister, wie sie auf Wachstafeln bis ans Ende
des Mittelalters vorkommen. Schon in den Briefen Gregor's I
findet sich das Wort in dieser Bedeutung, und die Beziehung
auf die Form verschwand, während die sachliche Bedeutung
sich fester ausbildete. Es bedeutet den Inbegriff der Rechte
und Einnahmen, den ganzen Besitzstand. Bei Du Cange ist
nachzulesen, wie aus polyptychum durch verschiedene Ent-
stellungen endlich pouille wird, das Verzeichnifs aller Benefi-
cien eines Bisthums.
Ich weifs nicht, ob man damit auch pawelkar, pawiart,
pauvillart zusammenbringen darf, welches in Lüttich gebräuch-
lich war, und durch codex pactorum übersetzt wird. ! )
Ein anderes, vielleicht aus Rolle corrumpirtes Wort, grol-
lum, war für solche Register im Gebiet von Stavelot gebräuch-
lich. 2 )
Allgemeine Bestätigungen des Güterbesitzes werden pan-
churta genannt, vorzüglich auch, wenn eine solche an die
Stelle verlorener einzelner Schenkungen tritt. Der Ausdruck ist in
Frankreich auch auf Chartularien ohne urkundliche Bestätigung"
übertragen ; ein Beispiel ist die pancharta nigra des Martins-
klosters zu Tours, so genannt nach der Farbe des Einbands. 3 )
*) Henaux, histoire du pays de Liege (1857) 1, 24. n.
2 ) On appelait grole ou grollum au pays de Stavelot les registres dans
lesquels 6taient transcrits les records et Privileges nationaux. Gachard,
Notice des archives de Stavelot, M6m. de l'Acad. de Belgique 21, 51.
3 ) Aus pancharta ist vielleicht entstellt pertongar in Vita Gerardi
Bron. bei Mab. Acta SS. 0. S. B. 5, 274.
Urkunden. 121
Dem Wortlaut nach von ganz allgemeiner Bedeutung ist
chtrographum, und es wird auch für gewöhnliche Urkunden
gebraucht. *) In der Regel aber bezeichnet es chartae excisae
oder indentatae, engl, indentures. 2 ) Diese wurden nach Art
der alten avjiißoka oder tesserae für Verträge doppelt geschrie-
ben und dann von einander geschnitten, so dafs die beiden
Exemplare an einander pafsten. Die Summa Conradi de Mure
giebt bei der Lehre von Verträgen die Anweisung: Hoc facto
scribatur cirographum, et scindatur per medium, et tradatur
una pars uni et altera pars aliL Vel possunt sigilla autenlico-
rum virorum appendi, vel si habeant sigilla, unus appendat si-
gillum suum in cirographo alterius. 3 ) Diese Verbindung von
Theilzettel und Siegel zeigt das Beispiel bei dem Portugiesen
Dominicus Dominici 4 ), welches aufserdem durch die Anferti-
gung von drei Exemplaren complicirt ist : In cuius rei testimo-
nium Jecimus inde fieri tres cartas per alphabetum divisas 9
nostris sigillis signatas, quarum una remaneat penes nos dictum
episcopum, altera penes capitulum, ettercia remaneat thezaurario
Ulixbonensis ecclesie perpetuo conservanda. Auch die von Sickel,
Mon. Graph. 3, 12, mitgetheilte Urkunde des Domcapitels zu
Raab über einen Vertrag zwischen dem Abt von Martinsberg
und einem Grafen von 1210 verbindet das Siegel mit einem
durchschnittenen Alphabet am untern Rand.
Aus England hat Hickes einen Theilzettel schon von 855 nach-
gewiesen. In einer alten Formel einer Precaria bei M. de Ro-
ziöre, Recueil 1, n. 326 steht: inter nos convenit, ut duas epi-
stolas de utrasque partes aptificantes uno tenore conscriplas ad-
firmare deberemus. Vermuthlich ist damit auch diese Form
*) cyrographum hoc inde in testimonium conscriptum, sagt Heinrich IV
von seiner Verleihungsurkunde, 1103 Sept. 26. B. 1970.
2 ) In England war diese Art der Urkunden besonders häufig, vorzüg-
lich vor der Eroberung durch die Normannen, durch welche erst der häu-
figere Gebrauch der Siegel eingeführt wurde; s. den lehrreichen Artikel
Chtrographum bei Du Cange, und den ausführlichen Abschnitt Chartes
parties et dentelees im Nouveau Traite* 1, 358 — 385.
3 ) Quellen zur Bayer. Gesch. 9, 508.
4 ) ib. p. 515.
122 Formen der Bücher und Urkunden.
gemeint, obgleich es nicht sicher ist. Unzweifelhaft erscheint
sie bei Richer, der 4, 29 erzählt, dafs im Jahr 990 Arnulf vor
seiner Erhebung zum Erzbischof von Eeims ein Anathem über
sich selbst, wenn er seinen Eid nicht halten würde, in zwei
Exemplaren schrieb. Jussus itaque cirographum biperlitum no-
tavit. Regt alterum, alterum sibi servavit.
In den Genueser Annalen heifst es 1168 (Mon. Germ. SS.
18, 77): cum verba videbantur fere quasi facta et tarn in scripto
redacta et per abecedarium divisa und p. 82 : et in scripto
per abecedarium illam redigerunt. Denn gewöhnlich wurde über
den Durchschnitt ein Alphabet geschrieben; so auf der bei
Schoenemann Tab. VII abgebildeten Urkunde von 1375 aus
Schottland, welche deshalb auch anfängt: Presens indentura
per modum alphabeli facta. Sonst brauchte man besonders
häufig das Wort Cyrographum\ auch ein gemaltes Crucifix
kommt vor. ! ) Später begnügte man sich mit dem ausgezahn-
ten Schnitt, welcher seit 1106 nachgewiesen ist; früher
durchschnitt man die Worte oder Zeichen einfach in gerader
Linie.
Dafs man nicht nur bei Verträgen, sondern auch bei De-
positen dieses Mittel anwandte, sagt Boncompagnus 2 ) : De signis
depositorum. Item quidam faciunt alphabeta que per medium
dividuntur, et remanet una medietas alphabeti apud depositarium }
et aliam depositor secum portat. Vorher p. 144 ist erzählt
worden, wie ein Mönch sublalo alfabeto communi ein bedeu-
tendes Depositum ergaunert hatte..
Vorzüglich aber sind es Pachtverträge, welche vielleicht
noch jetzt auf solche Weise geschlossen werden; so in Augs-
burg 1468: cedule desuper ut moris est confecte seit, litere ex-
cise. 3 ) In Heidelberg 1558: Des in Urkund seind dieser Kerff-
zettel zwei gleich lautende von einer handt geschrieben, Kerff-
1 ) Auf der franz. Urk. v. 1177, die mit mehreren anderen auf der
Tafel zu Nouveau Traite" 1, 374 abgebildet ist.
2 ) Quellen z. Bayer. Gesch. 9, 174.
3 ) W. Wittwer, Catal. abb. SS. üdalrici et Afrae, bei Steichele, Ar-
chiv f. d. Gesch. d. Bisth. Augsb. 3, 261.
*M# V%» »vr»w*r»~ •— • 'Y"
Urkunden. 123
recA£ wnrf wem auss einander geschnitten. ! ) Bei Actien, Pässen
u. dgl. ist dieses Verfahren noch üblich. Deutsche Benennun-
gen sind kerbbrief, kerbzettel, zerfzeltel, spaltzettel, spanzettel,
zerter.
Von zwei griechischen Zertern aus Unteritalien vom Jahr
1232 giebt Trinchera 2 ) Abbildungen; die Benennung ist opo-
XoyoeyyQCKpov . . . %%ov ev tjj KOQvcpfj xov vcpovg xb rjfiiav xov
OQiad'ivTog ak(faßr\%ov.
Die Besiegelung der Urkunden würde ein eigenes Werk
in Anspruch nehmen, wenn darauf hier überhaupt einzugehen
wäre. Sie ist so mannigfaltig, dafs sie selbst in der Diploma-
tik nur für specielle Gebiete eingehend behandelt werden
kann. Ich bemerke hier nur im Allgemeinen, dafs bis gegen
das Ende des zwölften Jahrhunderts aufgedruckte Siegel üblich
waren, dann aber die angehängten lange Zeit die Alleinherr-
schaft gewannen, bis im 14. Jahrhundert für Mandate u. a.
die Oblatensieg el aufkamen. Die römischen Päbste bedienten
sich der Bleibullen 3 ), für Breven aber des Fischerringes, der
vor dem 15. Jahrh. wohl kaum nachzuweisen ist. Metallbullen
verschiedener Art waren vorzüglich im Süden üblich. Hier-
nach benannte man nun auch die Urkunden selbst sigillum,
bulla, xQvooßovX'kov, fiohißoßovlXov, rj KrjQoßovllog. 4 )
Von bulla ist diminutiv gebildet franz. bulete, buletin, bittet,
ital. bolletta, bullettino.
1 ) Herrn. Wirth, Archiv f. d. Geschichte der Stadt Heidelberg 1, 20.
2 ) Syllabus Graecarum membranarum quae Neapoli etc. 1865. 4.
Tab. VH. n. 286. 287. Aus den Statuten von Neapel werden angeführt
instrumenta quae Neapoli vocantur psalliae, was die Verfasser des Nou-
veau Traite* von \paUs, Scheere, ableiten.
3 ) Die Bedeutung des Unterschiedes der Bullen an Seidenfäden oder
an einer Hanfschnur hat L. Delisle nachgewiesen, Bib. de l'ficole des
Chartes 4, 4, 19.
4 ) S. den ausführlichen Artikel Bulla bei Du Cange. In der Instruc-
tion des Dogen H. Dandolo für seine Gesandten nach Constantinopel um
1196 heifst es: Si . . . . miserit nobis per eos chrisobula sua. Sickel, Mon.
Graph. 3, 10.
124 Formen der Bücher und Urkunden.
Wenn zu grofsen Bundbriefen oder Verträgen noch eine
Partei beitreten wollte oder sonst ein Zusatz zu machen war,
so geschah das durch ein Transfix, ein vermittelst der Besie-
gelung unzertrennlich verbundenes Pergamentstück. Man nennt
das häufig schedula, cedula, zettel. ! )
Ueber TtiTraxiov, pitacium, pictacium, verweise ich auf den
ausführlichen Artikel von Du Cange. Ursprünglich bedeutet
es wohl ein Täfelchen.
Schliefslich wäre nur etwa noch zu bemerken, dafs die
Cassirung von Urkunden durch Abschneidung der Siegel und
durch Einschnitte ins Pergament geschah.
Ueber die litterae clausae oder Briefe ist nur wenig zu
sagen. Brems, breve kommt schon früh vor, fast gleich be-
deutend mit rotulus ; es ist ein kurzes Verzeichnifs, und bedeu-
tet namentlich auch das einem Boten mitgegebene Verzeich-
nifs seiner Aufträge ; dann übertragen obrigkeitliche Schreiben,
Mandate. Für Privatbriefe wird es nicht gebraucht. Das deutsche
Wort brief ist in weiterer Bedeutung für Urkunden üblich;
der moderne Sprachgebrauch ist von neuem Ursprung. 2 j
In Aegypten hat man noch aufgerollte und zusammen-
gefaltete Briefe von Papyrus gefunden. 3 ) Pergament wird in
der Begel gefaltet sein; man druckte das Siegel aber nicht
unmittelbar darauf, sondern zog einen ganz schmalen Streifen
Pergament durch den Brief und das Siegel, so dafs ohne Zer-
schneidung desselben der Brief nicht geöffnet werden konnte.
Ein recht anschauliches Bild eines solchen Briefes gewährt
! ) In einem alten Wörterbuch (Serapeum 23, 277) heifst es: Cedula,
zedel, est pars pergameni, de qua propter sui parvitatem non potest fieri
über aptus. Etiam cedula quandoque dicitur prima signatio alicuius scripti,
quae adhuc non est in librum redacta, quae alio nomine dicitur protocollum.
2 ) Aachener Stadtrechn. a. 1338 p. 127: pro cera sigillatoria tarn ad
cartas quam ad missiles. Das sind Urkunden und Sendschreiben.
3 ) Letronne: Lettre de recommendation d'un haut fonctionnaire, im
Katalog der Sammlung Passalacqua, 1826. Egger, M&n. d'hist. anc. p. 149.
Urkunden. 125
die Photographie bei Sickel, Mon. Graph. 1, 18, von dem
Schreiben des Grafen R. de Pullendorp aus Jerusalem nach
Venedig, von 1180.
Bei päbstlichen litteris clausis wurde im 12. und 13. Jahr-
hundert die Hanfschnur der Bulle durch Löcher der Seiten-
ränder gezogen. *) Auch Breven unter dem Fischerring werden
durch einen schmalen Pergamentstreif zusammengehalten.
• Vom 14. Jahrhundert an nähern sich die Briefe immer
mehr der modernen Form, und haben sich in grofser Anzahl
erhalten.
III.
Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Ueber die griechischen Schreiber geben uns in dieser Be-
ziehung einige Epigramme der Anthologie Auskunft, welche
wir, um nicht immer die einzelnen Stellen anführen zu müssen,
vollständig hierher setzen wollen. Eines davon ist noch aus
vorchristlicher Zeit.
VI, 295. OANIOY.
Anthol. Pal. ed. Jacobs 1, 283; cf. edit. Dübneri.
2fiilav Aayccovöag dovaxoyXvqtov, ov % litl iiiad'ijj
27toyyov %%zv xakdptüv x/jalaroga rwv KvidLwv,
Kai oeXidwv xavoviofta ^ikoQd-iov, eqy(xa %e Xeiag
2afio&6Ta), %al zdv £Vfie%avov ßgoxida,
Kdgxivd T€ 07teiQ0v%a, leavTStgav re xiorjQiv,
Kai xdv advcparj nXivd-iöa xakkatvav,
Md^ag avin €kvq<J€ velcoviddog q>ilolLxvov 7
üiegiaiv Tteviag ag^iev ävexgifiaaev.
*) nach L. Delisle, Bibl. de l'ßcole des Chartes 4, 4, 20.
126 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Ungefähr der Zeit des Augustus gehört Philipp von Thessa-
lonich an.
VI, 62. OlAITinOY QE22AAONIKE&2.
ib. p. 205.
KvxloTeQrj /uokißov, oeXidwv orjfidvTOQa 7tXevQrjg y
Kai OfxLXav dovdxwv aKQoßeXwv yXvtpiöa,
Kai xavovid* V7td%r\v, xal %r\v naqd &iva xlot]Qiv
Ai%iir\qbv itovxov TQrjfxaToevra Xi&ov,
KaXXtfiivrjg Movaaig a7t07tavadfX€Vog xafidroio
Ofjxev, ercel yijga xav&og eTteoxiTteTO.
Die folgenden dagegen sind weit jünger, aus dem sechsten
Jahrhundert.
VI, 63. JAMOXAPU02.
rgafiftatonq) 7tXi\d'0Vxa jueXdojuaTt xvxXojiwlißdov,
Kai xavova ygatpidcov id-vrdroyv (pvXana,
Kai ygacpMolo doxsla xeXaivordroio Qei&QOVj
Axga T€ (leaaoTO^tovQ evyXvcpiag TtaXdfiovg,
TQYjxccXirjv T€ Xid-ov, dovancov ev&rjyia xoOfj,ov y
"Ev&a TtBQiTQißiwv d£v %dqay\ia 7t6Xei }
Kai yXvqtavov xaXdf.iov, TtXariog yXwxlva oidrjQOv,
c 'OnXa aol €fX7t0Qlrjg dvd-BTO Tfjg Idlrjg
Ke%[ir](üg MevidrjtAog vre dyXvog o(.t(.ia rtaXaiov,
c EQfiela* ov d'äel (piqße obv lqyaxlvy]v.
VI, 64. IIAYAOY 2IAENTIAPIOY.
ib. p. 206.
rvQov xvavirjg [loXtßov ör\iidvxoqa yQa/dfirjg,
Kai oxXrjQwv dycovrjv %qr\%aXir\v xaXdfxcov,
Kai TtXaxvv d£vvTrJQa iA,eooo%idect)v dovaxijcov,
Kai navova yQafifirjg i&VTtOQOv Tafiirjv,
Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung. 127
Kai %qbviov ylvTtroioi fiiXav 7teq>vXay[i£vov avrgoig,
Kai yXvqtldag nakdfMov axgcc fieXaivofiivwv,
c EQfxetji 0ilbdrjfiog, €7tel XQ° V V exxQSfiihg rjörj
*HX9e Tiaz ocp&aXfiaiv qvoov btvioxvviov.
VI, 65. IIAYAOY 2IAENTIAPI0Y.
Tbv TQOxbevva (ibXißdov, og dxqaTcbv olde %aQdooeiv }
'Oqd-a TtaQagvtov IdvTevrj navbva,
Kai %äXvßa axkrjQov nalaurjqtdyov, aXka xal avrbv
'Hyefiova yQafififjg ctTt'kaviog xavova,
Kai Xl&ov oxQioevTa, öbva^ oüt öiaabv oöovta
Qtjyerac afxßXvvd'elg Ix doXixoyQa<pLr]g,
Kai ßv&irjv Tqizwyog akiTtkaywtoio x^evvrjv,
27toyyov, dytearoQlrjv Ttla^o^ivrjg yQayldog,
Kai xiOTYjv itoXvcDTta pekavdbxov, eiv evl itdvia
EvyQacpiog t^x^S oqyava Qvofiivtjv,
'Egfifj Kakkifiivrjg, TQOfj,€Qrjv vtco yrjQaog owip
Xelqa Ka&aQtÄO^cjv Ix dolixwv ycafidrojv.
VI, 66. IIAYAOY 2IAENTIAPI0Y.
ib. p. 207.
"äßQOxov artlaviog [loXißov yQaTtxrjqa xekev&ov,
7 Hg %tci qtQovxai yga^fiarog agfiovlr],
Kai xavova xqoxakolo xvßeQvyrfJQa fioXißdov,
Kai li&axa %qr\XY\v OTtbyyig eeidoiiivr)v,
Kai fxilavog arad-egolo doxrf'iov, älXa xal avrtov
EvyQatpiwv Y.a'kdfxcjv anQoßacpslg antdag,
27toyyov, aXbg ßlaGTTjfia, x vT flS Xei/xcova &akdoorjg,
Kai xdkxov dovdxwv renTova XemaXicov,
'Evd-dde Kalkifiivrjg q)iXofieidiaiv av&eTO Movoaig,
riJQa'i xexjurjWQ ofifiata xal jcaXdiiTjv.
128 Die Schreibgerätbe und ihre Anwendung.
VI, 67. WYAIANOY AliÖ YÜAPXQN AITYIITOY.
9
'Axliviag ygacpldsooiv aTtid-vvovra TtoQelag
Tovde (xoXißdov äywv, y.ccl jioXißov kccvovcc
2vvÖQOf.tov fjvwxfjcc, ftokvTQrjzov x anb 7tiTQt]g
Aäav, og djtißkeiav &fjys yivvv xaXdfiov,
2vv d*avxolg y,aXdf,ioiac fxikav, iiva%y\qia qxovfjg
AvÖQO^iirjg, 0(iLXi]g To§vr6fj.ov Kontöa,
c EQfĀljj (DiXodrjfAog, ItceI xqovog ofifiavog avyrjv
AfißXvvag TtaXdfxiß öoixev IXevd-eqLriv.
i
VI, 68. TOY AYTOY.
■
ib. p. 208.
AvXaxag i&vjtOQiav ygacplötov xvxloioi %(xq(xooü)v
AvSepa aol TQOxoeig ovxog 6fj.bg [toXißog,
Kai {lokißq) xqwottiql xccvwv xvitov OQd-bv OTiaQwv,
Kai ki&og evaxiäecov x^rjyakirj xakäficov,
2vv Kaldpoig ayyog xe fiekavöoKOv, olot yvXdoaei
AIojv lööOfxivoig yfjgvv a7ioi%of.iivwv m
/te%vvoo xal yXv7tzrJQa oidrJQeov, f t 5 ■ftgaobg '^Qrjg
2vv Movaaig Idirjv öcüxe öiazxoQlrjv,
c EQf*eir], ad ydq OTtXa' ob ö^adgaviog 0iXoörjfiov
"Ldvve Cwrjv XeiTtofjievoio ßlov.
In allen diesen Epigrammen widmen altgewordene Schrei-
ber, welche sich zur Ruhe setzen wollen, ihr Handwerkszeug
den Musen, häufiger dem Hermes. Die beiden ältesten
mögen sich einem wirklich noch bestehenden Gebrauche an-
schliefsen ; die jüngeren sind eine gelehrte Spielerei, aber auch
sie beschreiben uns die Geräthschaften der Schreiber. Diese
bestehen in Blei, Lineal, Dinte, Rohr, Bimstein, Messer, und
(dreimal) dem Schwamm. *) Das Material, worauf geschrieben
*) Auf alten Abbildungen findet sich häufig noch die Scheere viel-
leicht zum Beschneiden des Papyrus, Pergaments oder Papiers. Zweifelhaft
ist die von Phanias genannte nUv&ig, gewöhlich als Schleifstein erklärt,
doch nur nach Vermuthung. Ich dachte an Rothstift, da nur hier kein
Blei erwähnt wird.
Die Zubereitung des Stoffes. 129
wurde, lag offenbar vollständig bereitet vor, in der vorzüglichen
Beschaffenheit, welche die noch erhaltenen griechischen Hand-
schriften zeigen. Man kaufte es, und brauchte nur darauf zu
schreiben. Nicht so gut wurde es dem abendländischen Mönch ;
er hatte sein Pergament erst zuzubereiten, vorzüglich diesseits
der Alpen. Deshalb bedurfte er auch einer viel gröfseren Aus-
wahl von Gerätschaften.
Die 1259 gesammelten Statuta antiqua Cartusiensium nen-
nen 2, 16 die utensilia celle, welche jeder Karthäuser erhalten
soll. Darunter § 7 : ad scribendum vero scriptorium, pennas,
cretam, pumices duos, cornua duo, scalpellum unum ; ad radenda
pergamena novaculas sive rasoria duo, punctorium unum, su-
bulam unam et plumbum et reguläm, postem ad regulandum, ta-
bulas, graphium. Die ganze Thätigkeit des Schreibers ist kurz
zusammengefafst in einer Stelle der Klostergeschichte von
S. Trond 1 ), aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts. Da
heifst es von dem Abt Rudolf, dafs er als Decan binnen Jah-
resfrist ein Graduale geschrieben habe: graduale unum propria
manu formavit, purgavit, punxit, sulcavit, scripsit, illummavit,
musiceque notavit syllabatim.
Wir wollen diese Thätigkeiten einzeln betrachten.
1. Die Zubereitung des Stoffes.
Von Godehard, der 1022 Bischof von Hildesheim wurde,
erzählt sein Biograph Wolfher 2 ), dafs er als Knabe schon im
Kloster Nieder- AI taich eine grofse bibliotheca, d. i. wie wir
oben S. 101 gesehen haben, eine Bibel, nicht nur geschrieben,
sondern aus Demuth auch das Pergament dazu mit eigenen
Händen bereitet habe : propriis manibus pergamenum ac cetera
necessaria elaborando ordinavit.
Für den fleifsigen Kalligraphen Marfan, den Regensburger
M Gontin. Gestorum Abbatuin S. Trudonis S. 5, Mon. Germ. SS. 10,
274. Die Stelle ist commentirt von G£raud, Essai sur les livres p. 135.
a ) Mon. Germ. SS. 11, 172.
Wattenbach, Schriftwesen. 9
130 I>ie Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Schottenmönch, bereiteten, während er schrieb, seine Kloster-
brüder das Pergament.
Eine hübsche Stelle führt Schoettgen de librariis an aus
Petrus Bles. ed. Daum p. 248, wo es in einem Sermo de nativitate
heifeen soll : Audi librorum compositionem, ut et omnia in corde
tuo comparare studeas. Prius traditur rasori, ut cum rasorio
superfluilatem, pinguedinem, serupulos et maculas tollat; deinde
supervenit pumex y ut quod rasio auferre non potuit, pumice de-
leatur, scilicet pili et talia minuta. Ad haec antequam scribatur
opus est regula, ne tortuose ducatur lutea.
Diese Stelle habe ich vergeblich gesucht. In ganz ähn-
licher Weise aber ist dasselbe Bild, ebenfalls in einer Predigt,
angewandt worden von Hildebert aus dem Kloster Cluny, der
von 1097 bis 1125 Bischof von Le Maus gewesen, und 1139
als Erzbischof von Tours gestorben ist. 1 ) Er sagt: Scltis
quid scriptor solet Jacere. Primo cum rasorio pergamenum
pur gare de pinguedine, et sordes magnas auferre] deinde cum
pumice pilos et nervös omnino abstergere. Quod si non Jaceret,
lütera inposita nee valeret nee diu durare posset. Postea re-
gulam apponil, ut ordinem in scribendo servare possit.
Anders angewandt finden wir das Bild bei Caesarius von Hei-
sterbach 2 ): Liber vitae Christus est ... . In pelle siquidem cor-
poris eins scriptae erant litterae minores et nigrae per lividm
piagas ßagellorum, litterae rubeae et capitales per infixiones
clavorum, puneta etiam et virgulae per punetiones spinarum.
Bene pellis eadem prius fuerat multiplici percussione pumicata,
colapkis et sputis crelata, arundine liniata.
Noch weit ausführlicher verwendet der Erzbischof Ernst
von Prag, Karls IV Zeitgenosse, das Bild zum Vergleich mit
der Mutter Gottes 3 ), in folgender Stelle: Hoc modo dicitur
beata Virgo Liber Vitae: ipsa enim est Liber generationis Jesu
Christi, id est forma vitae omnibus, quos Christus spiritualiler
') Opera Hildeberti (Paris 1708 f.) p. 733. Sermo XV. de libro vitae.
-) Dial. Miraculorum 8, 35.
3 ) Arnesti archiepiscopi Prag. Mariale c. 85.
Die Zubereitung des Stoffes. 131
genuit Verbo Veritatis. Jacob. 1. Iste über fuit potiits pellis
separata a bove in sua conceptione, mundata sua sanctificatione,
extenta per disciplinarn, desiccata per abstinentiam, dealbata per
continentiam , rasa per paupertatem, lenis per mansuetudinem,
tenuis per humilitatem. In Salutatione Angelica pumicata, et in
instructione eiusdem regulata, et sie scriptum est in ea digito
Dei Verbum illud abbreviatum, quodfecit D ominus super terram.
Jsai. 9. Liber iste miro modo fuit illuminatus minio sanguinis
Christi in passione, et diversis coloribus, idest diversis doloribus
consummatus.
Hier ist also die ganze Bereitung des Pergaments in kur-
zem Umrifs dargestellt. Wie Conradus de Mure in einfacher
Prosa dem Schreiber die Auswahl und Glättung des Perga-
ments zur Pflicht macht, ist oben S. 118 angeführt.
Diese Arbeit übernahm Florentius (f 1400), der Stifter
der Brüder vom gemeinen Leben, für sich, weil er selbst nicht
gut schreiben konnte, die Brüder aber doch dazu anhielt 1 ):
Ipse vero venerandus pater Florentius ne vaeuum nomen gereret
rectoris, sed in exhibitione operis officium sacerdotale commen-
daret, dedil scriptoribus exemplum darum, membranas pumicando ,
quaterniones lineando et componendo.
Diese Arbeit fiel später theilweise dem librarius zu, in
dessen Instruction es in dem Reformatorium von 1494 heifst 2 ):
Circa custodiam pirgameni providere debet sibi, ut tempestive
procuret pirgamenum furcenum 3 ) et papirum, ut habeat in bona
copia, ut possit singulis amministrare seeundum exigenciam libro-
rum. Item conveniens videtur quod cum deputato sibi coadiutore
formet sibi magnam partem pirgameni, ne quoiidie oporteat circa
formationem oecupari. Et in formando caveal maculas 7 angulos,
rupturas et suturas, quantum potest.
Das Pergament hatte natürlich nicht dia Regelmäfsigkeit
des Papiers; es war eine eigene Kunst, die passenden For-
M Thomae a Campis V. Flor. c. 14.
2 ) Serapeum 21, 189.
3 ) Dieses sonst nicht vorkommende Wort ist wohl identisch mit dem
oben S. 86 erwähnten francenum.
9*
132 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
mate zu bestimmen und aus den geeigneten Häuten zusammen
zu setzen. Immer gab es dabei auch frusta pirgameni non de-
servientia ad aliquant formam.
Die letzte Vorbereitung zum Schreiben blieb doch noch
dem Schreiber vorbehalten ; es war eine Beschäftigung für den
Abend. Nach dem Completorium durfte jeder sich in seiner
Kammer beschäftigen: vel pumicat vel lineat vel studet. l )
Auch Trithemius sagt in seiner Schrift de laude scriptorum
vom Jahre 1492, c. 9: Scindat unus pergamenum, alius purget:
tercius lineando scriptoribus aptet. alius encaustum, pennas alius
ministret.
Die erste Thätigkeit des abendländischen Schreibers be-
stand also in der Reinigung des nur sehr roh bereiteten Per-
gamentes, damit es überall die Dinte annehmen konnte.
Stellen, wo es nicht ganz gelungen ist, sind in Handschriften
nicht selten. Der Karthäuser erhielt dazu zwei novaculas sive
rasoria. Ueber dieses Instrument und seine Form handelt
IL F. Kopp, Bilder und Schriften 1, 188. Unter den vielen
Instrumenten, welche der bei Paßini 1, 92 abgebildete schrei-
bende Evangelist aus einer griechischen Handschrift saec. XL
um sich hat, hält er für die novacula ein halbmondförmiges
Eisen mit hölzernem, in der Mitte der concaven Seite befestig-
tem Griff. 2 ) Er führt auch die Erklärungen der Glossographen
an, Papias : ferrum subtile quo chartae innovantur ; Jo. de Janua :
ferreum instrumentum quo solet radi et parari pergamenum, ab
innovando dictum. Auf die Etymologie ist natürlich kein Ge-
wicht zu legen, da der Name ja viel älter ist, als die Anwen-
dung zu diesem Zweck. Dafs es, wie Kopp meint, auch zur
Bereitung von Palimpsesten diente, und die Urheber der Glossen
das im Sinne hatten, ist möglich.
*) Serapeum 21, 187.
2 ) Ich habe einige Zweifel, ob die Abbildung genau ist, und nicht viel-
mehr ein gebogenes, an der Schneide gerades Schabeisen anzunehmen, wie
(Jas fer de parcheminier in den Zunftwappen im Livre d'or des Metiers,
Imprimerie p. 33 und 36. Im Wappen der Pariser Pergamenter ist es an-
ders geformt.
Die Zubereitung des Stoffes. 133
Auf das Abschaben folgte die Glättung mit Bim st ein,
weichein den angeführten Stellen oft genug erwähnt ist. Auch
bei den Alten kommt der pumex vor, und Ovid z. B. sagt Trist
1, 1, 11: Nee fragili geminae poliantur pumice frontes. Aber
eben aus dieser Stelle sieht man auch, dafs er nur zur äufser-
lichen Glättung des Schnittes, wenn wir diesen Ausdruck auf die
Endflächen der Rollen übertragen dürfen, verwandt wurde.
Der byzantinische Schreiber dagegen bedurfte der xlarjQig zum
Schärfen des Schreibrohrs. Im Abendlande aber wurde das
Pergament damit abgerieben, und auf vielen Handschriften sieht
man die feinen parallelen Striche sehr deutlich.*) Ob es in Italien
vorkommt, wo das Pergament gleich durch die erste Fabrica-
tion eine glattere Oberfläche erhalten zu haben scheint, ist mir
zweifelhaft.
Nach den Statutis Cartusiensium gehörtauch Kreide zu den
nothwendigen Geräthen, und Caesarius von Heisterbach setzt
eretata zwischen pumicata und liniata. In dem schon öfter an-
geführten alten Wörterbuch heifst es: creta, kreide est lapis
albus , vel naturalis vel artificiose confectus, qui per corrosionem
pulverisatur super pergamenum, ne defluat sive diffundatur in-
caustum. Und gleich darauf: Corrosorium, schab eyssen, ponilur
pro instrumento scriptoris per quod creta diminuitur in pulverem
spargendum in pergameno.
Ganz vermeiden liefsen sich fehlerhafte Stellen nicht, die
vom Schreiber umgangen werden mufsten, und oft mit Linien
umzogen sind. Namentlich waren häufig Risse und Löcher
im Pergament, welche, während es aufgespannt war, zusam-
mengenäht wurden. Später konnte man die Fäden ausziehen ;
es kommt aber auch vor, dafs sie mit bunten Seidenfäden ein-
gefafst wurden. Namentlich erinnere ich mich sehr zierlicher
Arbeiten der Art aus den Handschriften des Klosters Admunt,
welche von den früher dort befindlichen Nonnen geschrieben
*) Pumex, bimss, est lapis levis et porosus, quasi sit ex spuma marig
coagulatus, quo utuntur scriptores ad asperitates pergameni tollendas. Wör-
terbuch, im Serap. 23, 277.
134 Die Schreibgerathe and ihre Anwendung.
sind. Ein anderes Beispiel der Art aas einem Missale des
13. Jahrhunderts wird im Anzeiger des Germanischen Museums
1867 Sp. 104 angeführt.
In der Rechnung über den Preis einer Handschrift vom
Jahre 1374 in Corbie 1 ) heifst es: quelibet bota {de pergameno
vitvlino) cum rasura et reparatione foraminum constitit XXXVI
solldos. Der Ausdruck bota } der sonst einen Stiefel oder
Bottich bedeutet, ist mir in dieser Bedeutung sonst nicht vor-
gekommen; aus IOV2 Boten waren 62 V* Sexternenin folio ge-
macht. Weiterhin kommt aber noch der Posten: Item pro
foraminibus reparatis in marginibus cum tentione libri XL soli-
dos. Auch der Ausdruck tentio ist unklar; der Einband kommt
noch abgesondert vor.
In Urkunden vermied man solche Fehler, wenn es ir-
gend möglich war, und für päbstliche Bullen bestand die aus-
drückliche Vorschrift: quod in nulla parte sui debent continere
foramen vel suturam apparentem. 2 )
2. Liniirung.
Alle sorgfältig geschriebene Manuscripte aus ältester Zeit
zeigen schon durch die grofse Kegelmäfsigkeit der Zeilen, dafs
sie liniirt gewesen sind, auch wo die Spuren nicht mehr er-
kannt werden können; in den herculanensischen Rollen aber
sind sie kenntlich. 3 )
In den mitgeth eilten Epigrammen finden wir das Blei in
runder, wohl radförmiger Gestalt angeführt, xvydoreQrjg, tqoxosiq
(Aolißöog. Epigr. 62, 1 bezeichnet ihn als aellöwv ori^avxoqa
TtlsvQrjg, was auf die Umgrenzung der Seite zu gehen scheint,
*) A. Kirchhoff, Randschriftenhändler p. 10 aus Garnier, Catalogue
des Manuscrits de la bibl. de la ville d'Amiens.
2 ) Regeln vom Ende des 13. Jahrh. bei L. Delisle, Bibl. de r£cole
des Chartes 4, 4, 23.
3 )'Si riconoscono ancora le linee parallele segnate sul papiro per ser-
vire di guida al copista. Jorio p. 38 n. 6.
Liniirung. 135
aber nach 66, 1 zieht er die Strafse, rjg %7ti qiOovtai yga^ixatog
aQftovir]. Die ygapurj wird als xvavirj bezeichnet, 64, 1.
Wie aber diese Epigramme überhaupt mehr Nachklänge
einer früheren Zeit sind, so bezieht sich auch diese Uebung
wohl nur auf Papyrus. Auf dem festen und glatten Pergament
haftete ein solcher Bleistrich nicht gut, und der Stoff vertrug
auch eine andere Behandlung. Mit dem Baumwollenpapier
verhielt es sich nicht anders. Man ist daher hier, wenn nicht
gleich und überall, so doch nach und nach zu einem anderen
Verfahren übergegangen, indem man fest eingedrückte Linien
mit dem Griffel zog. Dergleichen sind z. B. in dem Cod.
Alexandrinus der Bibel saec. V, welcher in zwei Columnen
geschrieben ist, über die ganze Breite der Seite.
Diese eingedrückten Linien, wie sie noch jetzt im Orient
üblich sind, sind für ältere Handschriften durchaus die Regel ;
zuweilen sind sie auf dem vielleicht feuchten Pergament so
scharf gezogen, dafs sie stellenweise durchgeschnitten haben.
Merkwürdig ist, dafs in griechischen Handschriften die Buch-
staben nicht auf, sondern unter den Linien stehen, was an
Sanskrit erinnert.
In Urkunden sieht man oft leicht eingeritzte Linien, deren
schwärzliche Färbung es zweifelhaft läfst, ob sich Staub hin-
eingesetzt hat, oder ob Blei oder Braunstift angewandt ist 1 );
vom elften Jährhundert an zeigen sich deutlich Bleistiftlinien,
die im zwölften häufig werden. 2 ) Im 13. kommen Dintelinien
auf, so Mon. Germ. SS. IV. Tab. 3, und in einer Urkunde
von 1245 bei Kopp, Bilder und Schriften 1, 156. 3 ) Bei Sickel,
Mon. Graph. 2, 12 (saec. XIV. ex.) und im Berliner Cod. germ.
1 ) Ueber die unvollkommene Liniirung Karolingischer Diplome s.
Sickel 1, 259.
2 ) Griffellinien aber hören nicht, wie Mannert behauptet, im 13. Jahrh.
auf. Sie finden sich z. B. in den Berliner Codd. Latt. f. 264 und 372,
welche beide saec. XV. in Italien geschrieben sind.
3 ) Auch die Urk. Leub. 3(> von 1224 im Schles. Prov. Archiv hat
Irintelinien, ist aber nicht gleichzeitig abgefafst, s. Grünhagen, Regesten
zur Schles. Gesch. 1, 12S.
136 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
qu. 84 (Schwedische Gesetze saec. XV.) sind nur die Eänder
durch Dintelinien abgegrenzt, im innern Raum keine Linien,
wie man denn bei zunehmender Vielschreiberei häufig ganz
ohne Linien schrieb. Doch giebt Conradus de Mure 1275 aus-,
drücklich die Anweisung, dafs die Linien nicht sichtbar sein
sollen ') : Item in quatemis scribendis, etiam si linee cum ligni-
culo vel alias fiunt pro ipsius scribentis duclu, non debent apparere.
set ipse linee intellectuales equaliler decenter distantes in utroque
latere, scilicet principii et finis, ductum observent linealem, ne
littera mayis in una parle quam in altera elevatior seu de-
pressior videatur.
Auf Purpurpergament bemerkt man Parallellinien, um
zwischen ihnen die silbernen und goldenen Buchstaben ganz
gleichmäfsig zu machen. 2 )
Um das Pergament zu liniiren, wurde es vor dem Falzen
vermuthlich aufgespannt; dann erhielt es eine Anzahl genau
abgemessener Stiche, um danach die Abschnittlinien und die
Zeilen zu ziehen.
Dazu brauchte man den Zirkel, öiaßaTrjg, circinus,
bei Phanias xaQxiva ; die Karthäuserregel nennt das pwictorium,
welches nach dem schon erwähnten Wörterbuch wohl auch
ein Zirkel war, da es so erklärt wird: punct eysen, est instru-
mentüm acuti anguli ad perforandum subtiliter pergamenum;
aufserdem plumbum und subula. In der oben S. 129 angeführten
Stelle der Gesta S. Trudonis wird diese Thätigkeit bezeichnet
mit pmixit, sulcavit. Schlimm erging es einer Nonne, welche
unvorsichtig die subula zum Punctiren gebrauchte: soror u?ia 9
cui usus erat scribe?idi, membranam dum ad lineas punctaret,
subulam incaute trahensj oculum transfigit. 3 ) Glücklicher Weise
wurde sie durch ein Wunder geheilt. Als Werkzeug zum Ein-
drücken der Linien nennt Conradus de Mure ein Hölzchen,
ligniculum] die Karthäuserregel, wie es scheint, postis ad re-
! ) Quellen zur Bayer. Gesch. 9, 439.
2 ) Nouveau Traite 2, 102.
3 ) V. S. Mechtildis virg. (saec. XII.) auct. Engelhardo abb. c. 23,
Acta SS. Mai. 7, 454.
Dinte. 137
gulandum. Die Linie selbst hiefs ygamiij, linea, in spätem
Mönchslatein riga.
Das Lineal hiefs xavtuv, xavcovig, canon, norma, regula.
In dem Wörterbuch: Regula, linearium, lifiial, gefieraliter dici-
tur illud quod iuste dirigit operationem agentis, unde etiam
liniarium dicitur regula. Est autem linearium instrumentum
scriptorum, secundum quod formal lineas, quibus dirigitur
scriptor in scribendo directe litter ales figuras. Aus alten Glossen
wird angeführt Ttaqayqatpog praeductal, was den Griffel oder
Bleistift zum Ziehen der Linien bedeuten soll, nach Salmasius,
Exercitationes Plin. p. 917, wo er Colloquia puerilia antiqua
anführt, in denen vorkommt: Surge puer y quid sedes? tolle li-
bros omnes latinos, membranas et pugillares, et locellum et prae-
ductale. Griechisch steht dafür: Tag öc^igag xal Ttivocxidag,
%6v ykcoaaoKO^iov acci xbv naqayqa(fov. Auch praeductile soll
vorkommen ; für die angenommene Bedeutung fehlt es aber an
einem Beweise.
In sehr alten Handschriften, wie in dem Evang. S. Marci
in Prag, auch in den westgothischen Fragmenten, Cod. Lat. f.
327 in Berlin, sind die Punkte in der Mitte zwischen den Co-
lumnen; später an den äufsern Rändern. Die Linien gehen
anfangs über die ganze Breite, bleiben aber später zwischen
den senkrechten, gewöhnlich doppelten Abschnittlinien, und
gehen nur oben und unten noch über das ganze Blatt.
Die Löcher bleiben immer deutlich sichtbar, wenn sie nicht
beim Einband weggeschnitten sind.
>
3. Dinte.
In alten Handschriften ist die Dinte schwarz oder bräun-
lich, immer von ausgezeichnet guter Beschaffenheit. Nachdem
aber vom 13. Jahrhundert an immer massenhafter geschrieben
wird, erscheint die Dinte häufig grau oder gelblich, und ist
zuweilen ganz verblafst.
Griechisch hiefs sie uiXav y f.ielav r t 5 ygacpo^iev, yqacpiyibv
(.likav, ixeldviov; man unterscheidet davon f,ielavTr]qia, die
13S Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Schuhsehwärze. Ebenso benannten die Römer sie von der
Farbe atramentum, welche« als librarium von dem atramentum
sutorium unterschieden wurde. Sachlich entspricht die Be-
nennung black in altem Deutsch und Dänisch.
Man benutzte aber auch den Saft des Dintenfisches 7 sepia.
Damit schreibt der faule reiche Jüngling bei Peröius 3, 13, der
spät erwachend, sein Sehreibgeräth fordert, und mit derDinte
unzufrieden ist:
Jam liber et bicolor positis membrana capillis 1 ),
Inque manus chartae nodosaque venit arundo.
Tunc queritur crassus calamo quod pendeat humor,
Nigra quod infusa vanescat sepia lympha,
Dilutas queritur geminet quod fistula guttas.
Nach der Bereitung, ob mit oder ohne Feuer, unterschied
man ey/.avarov und driga^ivor] doch ist letzteres nur aus
Glossen bekannt, und jenes ganz allgemein im Gebrauch, ohne
Rücksicht auf die Bereitung. Zuerst nachzuweisen ist die la-
teinische Form encaustum bei Augustin und Fortunat; später
igt incaustum gewöhnlich, davon ital. tnchiostro, böhm. inkoust,
franz. enque (schon a. 1323), euere, englisch ink, holl. inkt.
Lucifer von Cagliari saec. IV. sagt nach einem Citat bei
Du Cange una tincta subseriptlonis tuae. Dieses sonst kaum
vorkommende Wort ist der Ursprung des span. tinla, unsers
Dinte, welches schon sehr früh vorkommt. 2 ;
In ältester Zeit wurde die Dinte ganz wie jede andere
Farbe behandelt, wie noch jetzt im Orient. So heifst es bei
Demostb. de Corona p. 313 %b ii&lav rglßeiv.. Sie liefs sich
dann auch leicht wieder abwaschen: ^Ixißiddrjg ßga^ag tov
ddycrvi.ov 6/ tov oröfiarog dirjXeixps ttjv öL/.yjv tov 'HyrjiLiovog.
Athenaeus IX p. 407. Mit dem Schwamm konnte man die
*) Wenn man sich dazu an Tibull. 3, 1, 9 erinnert: Lutea sed niveum
involvat membrana libellum, so scheint es, dafs man an den farbigen Um-
schlag der Rollen denken mufs. Sonst wäre es eine auf serlich gefärbte
Pergamentrolle. Er selbst schreibt auf Papyrus.
2 ; s. Grimm's Wörterbuch s. v. Dinte.
Dinte. 139
Schrift vertilgen, daher spongia deletilis, Varroap. Non. 2, 212.
So sagt Augustus bei Sueton c. 85 von seiner Tragödie: Aiacem
suum in spongiam incubuisse. In der Vita Caligulae c. 20 er-
zählt Sueton von dem litterarischen Wettstreit, welchen Cali-
gula veranstaltete : Eos autem qui maxime displicuissent, scripta
sua spongia linguave delere iussos, nisi ferulis obiurgari aut flu-
mine proximo mergi voluissent.
Natürlich liefs die Schrift sich um so leichter abwaschen,
je frischer sie war; daher will Martial (4, 20) mit dem eben
vollendeten Buch gleich auch einen Schwamm schicken, um,
wenn es nicht gefalle, es ganz zu tilgen.
Dum novus est neque adhuc rasa mihi fronte libellus,
Pagina dum tangi non bene sicca timet,
I puer et caro perfer leve munus amico,
Qui meruit nugas primus habere meas.
Curre, sed instructus: comitetur Punica librum
Spongia, muneribus convenit illa meis.
Non possunt nostros multae, Faustine, liturae
Emendare iocos, una litura potest.
Auch Ausonius (epist. 7) gedenkt noch des Schwammes in
ähnlicher Weise, indem er ein Begleitschreiben zu einem Ge-
schenk von 30 Austern mit folgenden Versen beschliefst:
Sed damnosa nimis panditur area.
Fac campum replices, Musa, papyrium,
Nee iam fissipedis per calami vias
Grassetur Cnidiae sulcus arundinis,
Pingens aridulae subdita paginae
Cadmi filiolis atricoloribus,
Aut eunetis pariter viersibus oblinat
Fulvam lacticolor spongia sepiam.
Parcamus vitio Domnotinae domus,
Ne sit charta mihi carior ostreis.
Man sieht daraus, dafs in Gallien damals Papyrus ziem-
lich theuer war.
i
140 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Aach der byzantinische Schreiber hatte einen Schwamm,
der nach Phanias zum Abwischen des Schreibrohrs diente, von
Paulus Silentiarius 65, S aber als Heilmittel gegen Irrgänge
de» Griffels d. i. des Schreibrohrs bezeichnet wird.
Der mittelalterliche Schreiber dagegen konnte den Schwamm
nicht dazu gebrauchen; er mnfste radiren, und die radirte
Stelle mit Kreide glätten. So schreibt Cosmas von Prag an
Gervasius, indem er ihn auffordert, nach Gutdünken Aende-
rungen in seinem Werke vorzunehmen: accipe in manum raso-
rium, calcem et calamum. Und Vincenz von Prag an König Wla-
dislaus: Si qua elenim in eo sunt corrigenda, noraculam, et si
qua augenda, calamum veiociter scribentem presto tenemus.
Als Bestandteile des atramentum librarium giebt Plinius
Rufs und Gummi an. l ) Marcianus Capeila erwähnt zuerst die
Galläpfel 2 ): yallarum gummeosque commixtio. Doch haben
auch die Alten schon metallische Dinte gehabt, welche daran
kenntlich ist, dafs Schwefelammonium darauf wirkt Eine
Mischung von Kupfervitriol und Galläpfeln soll am häufigsten
sein. Nach der Vermuthung von Davy 3 ) war die Veranlassung
zu dieser Neuerung, dafs die früher gebräuchliche Dinte auf
dem Pergament nicht gut haftete.
Auch im Mittelalter kommen verschiedene Dinten vor.
Ein Recept giebt Theophilus in seinem wichtigen Werke: Di-
versarum arlium schedula, welches man früher ins neunte Jahr-
hundert setzte, jetzt wohl richtiger ins zwölfte. 4 ) Da heifst
es 1, 45 de incausto: Man nehme Rinde von Dornenholz, lege
sie in Wasser, um den Farbstoff auszuziehen, trockne die
Masse, und wenn man die Dinte brauchen will, mache man
') Hist. Nat. 35, 6. cf. Vitruv. 7, 10.
2 ) 1. III § 225 p. 258 ed. Kopp.
3 ) bei Theophil. ed. Hendrie p. 75.
4 ) Theophili presb. et mon. libri tres seu diversarum artium schedula,
opera et studio Caroli de L'Escalopier. Mit einer Einleitung von Jean
Marie Guichard. Paris 1843. 4. Theophili, qui et Rugerus, presb. etc.
studio Roberti Hendrie, Lond. 1847. 8. mit Benutzung einer früher nicht
verglichenen, vollständigeren Handschrift im British Museum; sonst freilich
eine wenig genügende Ausgabe.
Dinte. 141
sie mit Wein und etwas atramentum über Kohlen an. Hier ist
nun die Frage, was unter dem atramentum zu verstehen sei;
nach Hendrie Vitriol.
Es entspricht dieser Bereitung, dafs nach den Statuten
von Sempringham x ) dem Praecentor erlaubt war, das Calefac-
torium zu betreten ad calefaciendum incaustum, et scriptoribus
ad siccandum pergamenum. Ebert (Zur Handschriftenkunde p. 34)
theilt aus einem Altenzeller Codex von 1412 folgendes Re-
cept mit:
Ad faciendum bonum incaustum.
Recipe gallas et contere minute in pulverem, funde desu-
per aquam pluvialem vel cerevisiam tenuem, et impone de
vitalo (1. vitriolo) quantum sufficit iuxta existimationem tuam,
et permitte sie stare per aliquot dies, et tunc cola per pannum,
et erit incaustus bonus. Et si vis (seil, scribere), tunc impone
modicum de gummi arabico, et calefac modicum circa ignem,
ut solus incaustus tepidus fiat, et erit incaustus bonus et inde-
lebilis, super quoeunque cum eo scribes.
Galläpfel und Vitriol sind in allen Recepten aus dieser
Zeit die wichtigsten Bestandteile, so auch in denen aus dem
14. und 15. Jahrhundert, welche Mone (Lat. und Griech. Messen
p. 164) mitgetheilt hat. Gewöhnlich wird Wein dazu genom-
men, so in der Anweisung in Pertz's Archiv 10, 529:
Ad faciendum bonum atramentum.
Vitrioli quarta, mediata sit uncia gumme.
Integra sit galle, super addas octo falerni.
4
Anders ist folgendes Verhältnifs 2 ) :
Tres sint vitrioli, vix una sit uncia gummi,
Gallarum quinque, sed aceto mersa relinque,
Quattuor aut calidas addat cerevisia libras.
Vino emendabis ardente situmque fugabis.
*) bei Du Cange s. v. encaustum.
a ) nach Franck, in Herrig' s Archiv f. neuere Sprachen 40, 135.
142 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Die Stadtrechnungen von Nördlingen verzeichnen 1454 umb
Tinten Zeug und Wein dazu 1 Pf. 9 Schill. 1455 umb Wein
an Tinten 14 gr. *)
Welche Sorgfalt auf die Bereitung der Dinte verwendet
wurde, zeigt uns die vortreffliche Beschaffenheit derselben in
den älteren Handschriften. Als ein gesuchter, seltener Gegen-
stand erscheint sie in einem Briefe an Wernher von Tegern-
üee 2 ): Audivi apud vos kaber i incaustum, pro quo rogale dominos,
ut ex parle sua quisque aliquid mihi transmitlat.
Aus späterer Zeit pflegt man gerne die Klage Petrarca's 3 )
anzuführen : Circa quintum et vigesimum vilae annum inter Bei-
gas Helvetiosque Jestinans, cum Leodium pervenissem, audilo
quod esset ibi bona copia librorum, substiti comitesque detinui,
donec unam Ciceronis oratlonem manu amici, alleram mea manu
scripsi, quam postea per Italiam ejffudi, et ut rideas 9 in tarn
bona civitate barbarica airamenti aliquid, et id croco simillimum y
reperire magnus labor fuit. Man benutzt diese Stelle gewöhn-
lich, um den tiefen Verfall der Studien vor dem Auftreten der
Humanisten anschaulich zu machen. Allein das ist ein gänz-
licher Fehlgriff. Geschrieben wurde damals aufserordentlich
viel; daran fehlte es nicht. Auch sind gerade aus jenen Ge-
genden in demselben 14. Jahrhundert die herrlichsten kalli-
graphischen Prachtwerke hervorgegangen, deren glänzend
schwarze Dinte den Neid der modernen Schreiber zu erregen
geeignet ist. Nur dadurch kann deshalb jene Schwierigkeit
entstanden sein, dafs Dinte nicht käuflich war; sie wurde für
die Kanzleien und Schreibstuben bereitet, und was man kaufen
konnte, war schlecht, wie leider heut Zu Tage in der Regel
much. Doch werden wir auch in Betracht zu ziehen haben ,
*) Beyschlag, Beyträge zur Kunstgeschichte von Nördlingen 4, 27.
Merryweather, Bibliomania p. 39 führt aus der Kirchenrechnung von Nor-
wich von 1300 an: 5 dozen parchment 2 s. 6 d. 40 U.* of ink 4 s. 4 d. 1 gallon
of vini decrili 3 s. 4 U* of corporase. 4 €6ß of galls. 2 &* of gum arab
3 s. 3 d. to make ink. Leider sind seine Mittheilungen aus Handschriften
sehr unzuverlässig, durch Lesefehler und Druckfehler entstellt.
2 ) Günthner, Geschichte der litterarischen Anstalten in Baiern, 1 , 240.
3 ) Her. senil. XV. ep. 1. p. 448.
Rothe Färbe. 143
dafs gerade damals (1333) die schweren Kämpfe der Lütticher
mit ihrem Bischof Adolf von der Mark eben überstanden waren,
durch welche die Stadt schwer gelitten hatte, so dafs ein all-
gemeiner Schlufs aus jener Bemerkung unzulässig ist.
Die Brüder vom gemeinen Leben, welche die fleifsigsten
Schreiber des ausgehenden Mittelalters waren, gaben deshalb
ihrem librarius die Vorschrift i ) : Item habeat sollicitudinem de
incausto braxando cum deputato sibi coadiutore, et quaerat utique
ut bonum incaustum ßat, quia facile boni libri propter malum
incaustum minichüantur.
4. Rothe Farbe.
Zur Verzierung der Handschriften, zur ßubricirung, die
davon ihren Namen hat, wurde schon sehr früh, schon von
den alten Aegyptern, die rothe Farbe gebraucht. In Hand-
schriften der Classiker aus den ersten Jahrhunderten pflegen
die ersten Zeilen der Bücher roth zu sein, so im Wiener Li-
vius 2 ) und im Florentiner Virgil 3 ) drei Zeilen, im Pariser Li-
vius 4 ) fünf Zeilen. Den Titel schrieb man gerne abwechselnd
in rothen und schwarzen Zeilen.
Hieronymus berichtet selbst in der Vorrede seiner Chro-
nik, wie er die rothe Farbe, minium, benutzt habe, um sie
übersichtlich einzurichten.
In, später Zeit, als die Parallelchroniken der Kaiser und
Päbste aufgekommen waren, findet sich zuweilen Mennig in
grofser Ausdehnung* für eine ganze Hälfte des Textes ange-
wandt 5 ); ebenso auch die damals sehr beliebte blaue Farbe.
Beide waren vom 13. Jahrhundert an regelmäfsig für die An-
fangsbuchstaben und sonstige Verzierungen in Gebrauch ; darum
*) in dem 1494 gedruckten Reformatorium, Serapeum 21, 189.
2 ) Archiv der Gesellschaft f. alt. deutsche Gesch. 4, 520 undSüvestre.
3 ) Facs. bei Silvestre. Nouveau Traite' 2, 110, wo dasselbe vom va-
ticanischen Virgil, dem Cyprian und Augustin in S. Germain bemerkt wird.
4 ) Champollion, Paleographie des Classiques Romains.
5 ) für Interlinearversion in dem Psalter Cambr. Univ. F. f. 1. 23. bei
Westwood, Anglo-Saxon Psalters N. 1.
144 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
lieifst es in dem oft erwähnten Wörterbuch 1 ): Minium, rote
dint, est color rubeus, quo depingi söhnt litter ae capitales. La-
sar tum, pla dint, est color plavcus vel coelestis 7 quo etiam de-
pingi solent litterae capitales.
In den Handschriften italienischer Humanisten erscheint
anstatt des lebhaften, dick aufgetragenen Mennichs eine rothe
Dinte, welche der heutiges Tages üblichen gleicht. Dagegen
ist in alten Handschriften aus den Uebergangszeiten, und bis
ins zehnte Jahrhundert hinein das Roth häufig blafs und ohne
Lebhaftigkeit.
Der griechische Name ist /lm/mviov y.6y.y.ivov, aus welchem
Fabricius mifsverständlich einen Schriftsteller Melanius Cocinus
gemacht hat. Es findet sich nämlich im Cod. Reg. 1261 (jetzt
2224) ein Recept gegen das Fieber, welches abergläubischer
Weise mit rother Dinte geschrieben werden sollte: 'Egittrjvsia
Ttdvv id(pihi/.iog eig zbv tcvqstov' ygacpexai de ovrcog fueta jue-
kaviov xoyJvov. In den Hieroglyphicis von Horapollon wird
von einer Hieroglyphe gesagt : Milav y.al xoxxivov xal oxoivwv
twyQacpovöi, und wirklich ist es eine Schreibtafel mit einem
schwarzen und einem rothen Napf, und einem Rohr. Durch
einen Schreibfehler aber ist schon in alter Zeit xooxivov gesetzt,
und eine lächerliche Erklärung dafür erdacht.
Beides ist von Brunet de Presle nachgewiesen, in den
Comptes rendus de l'Academie, 1865 p. 172.
Ursprünglich verschieden davon ist die Purpur<Jinte,
yuvvdßccQig, sacrum incaustum, in Byzanz, deren Gebrauch dem
Kaiser vorbehalten war. Basil. 2, 5, 26: avioyvQog eora) ßctoi-
Ic/aj %i]Q£vovoa dvvr/Qaq))) vTtoyQacpfjg xeioog ßaoilixfjg rrjg ££
syy.avTfjg eaTisvaaiiie^g v,6%Kov. Diese geheiligte Dinte wurde
verwahrt im ymvI/Ibiov, ca?iiculus 2 ), das einen eigenen Kam-
merherrn zum Hüter hatte: 6 Inl Y.avr/./.elov, caniclinus. Ra-
gewin bezeichnet ihn Gesta Frid. 3, 47 als unus de servis pa~
*) Serapeum 23, 279.
2 ) das scheint jedoch mehr Vermuthung als Thatsache zu sein, und
vielleicht wird das "Wort y.aviy.).aov richtiger von dem lat. cancelli abgeleitet.
Rothe Farbe. 145
latii, caniclinus videlicet, quem nos cancellarium dicere possumus.
Eeichsvormtinder unterzeichneten grün, mit ßaTQa%elov xquifia.
Eusebius ad Carpianum nennt jedoch auch die rothen
vTCOGrjfisiciaeig der Bücher öiä xivvccßaQsayg , und es scheint
häufig kein Unterschied wahrnehmbar zu sein, wie auch Mont-
faucon aus eigener Anschauung versichert. Ursprünglich war
nämlieh die Kaiserdinte nach den Stellen der Alten wirkliche
Purpurfarbe, aber die mag aufser Gebrauch gekommen sein,
als die Purpurfabrication selbst aufhörte. Zinnober ist jetzt
ein Oxyd von Quecksilber, Mennig von Blei, aber wir haben
keine Sicherheit, dafs diese Ausdrücke in alter Zeit so geschie-
den sind, vielmehr erscheinen /.iwaßagig und minium als gleich-
bedeutend.
Die älteste bekannte Art der Unterzeichnung war einfach
mit legimus, wie es unter dem griechischen Brief an Pippin
bei Mabillon und Montfaucon zu sehen ist, und von Karl dem
Kahlen nachgeahmt wurde. Die Unterschrift seiner Urkunde
für das Martinskloster zu Tours, welche er noch als König
ausstellte, ist auf dem Facsimile jenes griechischen Briefes
unter dem legimus des griechischen Kaisers gegeben; ebenso
erscheint es auf der Schenkung von S.Eloi an die Pariser Kirche
vom 12. Mai 846, facs. im Musße des Archives p. 30. Die
Stiftungsurkunde für Compi&gne bei Mab. p. 406, Tab. XXXI.
hat dasselbe Wort, aber hier ist aufserdem auch das Mono-
gramm des Kaisers roth.
Die spätere Art der vollständigeren Unterschrift griechi-
scher Kaiser ist zu sehen von Andronicus a. 1286 bei Pasini 1,
360 und von 1451 in den Sitzungsberichten der Wiener Aka-
demie 6, 531 in einem schönen Facsimile; bei Montfaucon
p. 301 die Unterschrift der Kaiserin Irene Ducaena, kurz vor
1118, unter dem Typicon, der Begel für das von ihr gestiftete
Nonnenkloster.
Nachgeahmt wurde diese Sitte von den langobardischen
Fürsten in Unteritalien, deren Monogramme minio ducta sind,
wie Gattola an Mabillon schrieb*), und von den sicilischeu
*) Valery, Correspondance de D. Mabillon 3, 163.
Wattenbach, Schriftwesen. 10
146 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Königen nach folgender Stelle: Unde ad certitudinem dictae
sententiae posuimus nostra sigilla, et Dominus Rex posuit suum
Signum per litteras rubeas, et Signum Crucis fecil ad suam con-
firmationem, et fecimus instrumentum Episcopo et Domino Gil-
berte cum alphabeto cum incausto rubeo de donatione et con-
tracübus. ! )
Auch die serbischen Fürsten des 14. Jahrhunderts, Ste-
phan Duschan, Symeon Urosch, Maria Angelina, unterzeichnen
roth. 2 )
Die griechischen Kaiser , unter welchen mehrere Kalligra-
phen waren, bedienten sich dieser Dinte auch für die heiligen
Schriften. So besitzt M. Curzon ein Evangeliar, welches
Alexius und Emanuel Comnenus geschrieben haben sollen.
Darin ist die erste Seite gemalt, die zweite und dritte mit
Purpurdinte geschrieben, und mit Goldstaub übergoldet. 3 ) Durch
solchen Ursprung erklärt es sich vielleicht auch, dafs die
Fragmente paulinischer Briefe in Uncial des neunten Jahr-
hunderts, inHamburg und London, ganz roth geschrieben sind,
der Titel vergoldet ist. 4 )
5. Goldschrift.
Goldschrift war sehr beliebt, im byzantinischen Reiche noch
häufiger als im Abendland. Bald schrieb man ganze Hand-
schriften in Gold, bald nur die Ueberschriften oder die ersten
Seiten, den übrigen Text häufig in Silber, wovon schon oben
beim farbigen Pergament manche Beispiele gegeben sind. 5 )
Auf diesem konnte man natürlich nur solche Schrift brauchen.
*) Vetus Notitia seu Iudicatum, apud Rochum Pirrum tomo 1. Notit.
Sicil. p. 311. bei Du Cange s. v. Encaustum.
2 ) Revue Arche'ologique, Mars 1864.
3 ) A Catalogue of the Curzon library p. 24.
4 ) nach Henke bei Tischendorf Anecd. p. 175.
5 ) Vgl. Montfaucon, Pal. p. 4. Ein Verzeichnifs so geschriebener
biblischer Handschriften bei Bianchini, Evangeliarium Quadruplex (Romae
1749 f.) H fol. DXCI — DXCVIH: De codicibus aureis, argenteis ac pur-
pureis. Nouveau Traite* 2, 101 ff.
Goldschrift. 147
»
Man nannte es %qvaoyqa(pia oder iqvaoyqa^da^ und es gab
eigene xqvooyqayoi, xqvaoyqtKp^lq. Montfaucon (Pal. Gr. p. 5)
tbeilt aus griechischen Handschriften Recepte mit, und versichert,
dafs man gelungene Versuche damit gemacht habe. *) Schreiben
soll man mit dem Pinsel, ^ibtcl Zcüyqcupixov xovdiMov] Theo-
philus aber, der auch Recepte hat, spricht nur von der penna.
Der Kaiser Artemius (713) gehörte zu den Goldschreibern,
und Theodosius III, der 717 entthront wurde, schrieb in Ephe-
sus die Evangelien in Goldschrift. Dafs auch in Rom diese
Kunst noch im zehnten Jahrhundert eifrig betrieben wurde,
zeigen die Verse, welche Liudprand 1, 26 Kaiser Arnulf in den
Mund legt:
Magnanimi proceres et clari Marte secundo,
Arma quibus Studium fulvo radiäre metallo,
Romulidae sueti vacuis quod condere scriptis.
Den Iren fehlte bei ihrer Kalligraphie das Gold 2 ), aber die
Angelsachsen lernten von den römischen Missionaren auch
diese Kunst. Der köstlichen Evangelienhandschrift, welche
Erzbischof Wilfrid von York machen liefs, wurde schon oben
p. 89 gedacht. Bonifacius bat die Aebtissin Eadburg, ut mihi
cum auro conscribas epistolas domini mei sancti Petri apostoli,
ad honorem et rev er enttarn sanctarum scripturarum ante oeulos
carnalium in praedicafido. 3 )
Sehr schön ist das Krönungsbuch der angelsächsischen
Könige, ein Evangeliar, welches König Aedhelstan der Kirche
zu Canterbury geschenkt hat; die drei ersten 4 Seiten jedes Evan-
geliums sind in goldener Capitalschrift, bei Matthäus auf Pur-
pur. Es stammt wohl von detn Neffen des Königs, Otto I von
Deutschland, denn neben dem Anfang des Evangelium Matthaei
') Muratori Antt. 4, 692 ed. Aret. giebt 3 Recepte, darunter eins für
scriptio similis auro\ Boehmer eine Praeparatio auri ad scribendum in
Mone's Anzeiger für Kunde der Vorzeit 5, 90 ex cod. Lugdun. s. XI. Vgl.
auch Nouveau Traite 2, 107.
■) Vgl. Anzeiger des Germ. Mus. 1869 S. 290.
3 ) ep. 32 ed. JafiV, Bibl. 3, 99.
10*
148 Die Schreibgerathe und ihre Anwendung. *
steht f ODDA REX:- f MIHTHILD MATER REGIS:- Doch
kann es deshalb auch in England geschrieben sein. l ) Ein
Psalterium literis aureis et assuris scriptum et mirablliter lu-
minatum schenkte Godfrid von Croyland, seit 1299 Abt von
Peterhorough, dem Cardinal Gaucelin. 2 ) Hier scheint jedoch
wegen der Erwähnung der blauen Farbe an Initialen gedacht
werden zu müssen.
Unter Karl dem Grofsen kam diese Kunst auch ins Fran-
kenreich, und es wurde hier sehr viel und sehr schön in Gold
und Silber geschrieben; vgl. oben p. 89. Eigentümlich ist
die Einrichtung einer Evangelienhandschrift des neunten Jahr-
hunderts, in welcher alle Worte Christi mit Gold geschrieben
sind. 3 j
Gerne erhöhte man den Glanz des Goldes durch purpur-
nes Pergament, doch nimmt sich die Goldschrift auch auf
weifsem Grunde recht schön aus, wie z. B. in der ganz in
Gold geschriebenen Evangelienhandschrift saec. X. aus Cleve
in der Berliner Bibliothek, Cod. Theol. Lat. in fol. 260. Von
vorzüglicher Schönheit ist die Evangelienhandschrift, welche
Heinrich III für die Speierer Kirche schreiben liefs, und welche
jetzt leider im Escorial sich befindet; das Gold strahlt noch
jetzt in unverminderter Frische. 4 )
Dieser Luxus scheint sich vorzüglich in Frankreich ganz
eingebürgert zu haben. Man beschränkte hier auch nicht die
Anwendung auf die heiligen Schriften, wie die merkwürdige
Schilderung lehrt, welche am Ende des zwölften Jahrhunderts
der Engländer Daniel Merlacus von dem Pandectencolleg in
Paris entworfen hat: Cum dudurn ab Anglia me causa studii ce-
pissem et Parisiis aliquamdiu mon*am fecissem, videbam quosdam
bestiales in scholis gravi auctoritate sedes occupare, habentes
cor am se scamna duo vel tria, et descriptos Codices importabiles
1 ) Cott. Tib. A. 2. Westwood, The Coronation Oath Book of the
Anglo-Saxon kings.
2 ) Walter de Wytlesseye bei Sparke, Hist. Anglicanae SS. p. 173.
3 ) Reg. 257, nach Nouveau Traite 2, 103.
4 ) vgl. Giesebrecht, Geschichte der Kaiserzeit, 3. Ausg. 2, 661.
Goldschrift. 149
aureis literis Ulpiani traditiones representantes, nee non et le-
nentes stylos plumbeos in ?nanibus, quibus asteriscos et obelos
in libris suis quadam reverentia depingebant. *) Dazu stimmt
auch eine Geschichte, die Odofredus (f 1265) erzählte 2 ): Dixitpa-
ter filio .... Vade Parisius vel Bononiam, et mittam tibi
annuatim centum libras. Iste quid Jecit? Ivit Parisius et fecit
libros suos babuinare de literis aureis. Doch bezieht sich
vielleicht beides nur auf die Ausschmückung mit kostbaren
Initialen, worauf auch eine andere Aeufserung des Odofredus
zu gehen scheint: Ilodie scriptores non sunt scriptores, imo
pictores. Mit solcher Verzierung der Handschriften befafsten
sich vorzüglich auch die Cluniacenser, denen neben dem übri-
gen kirchlichen Luxus auch diese nureae litterae zum Vorwurf
gemacht werden in dem merkwürdigen Dialogus inter Clunia-
censem et Cisterciensem , in welchem um das Jahr 1150 die
gröfsere Einfachheit der Cistercienser gerühmt wird. Da heifst
es: aurum molere et cum Mo molito magnas capitales pingere
litter as 9 quid est nisi inutile et otiosum opus? Augenscheinlich
sind hier nur Initialen gemeint. 3 )
Die Wiener Bibliothek besitzt ein für den Herzog Al-
brecht III von Oesterreich im Jahre 1368 ganz in Gold ge-
schriebenes Evangeliar, mit der Schlufsschrift 4 j : Et ego Jo-
hannes de Oppauia presbiter canonicus JBrunnensis plebanus in
Lantskrona hunc librum cum auro purissimo de penna scripsi,
illuminaui alque deo cooperante compleui a. d. mill. trecentes.
seocagesimo viij.
Diese Erscheinung ist aber sehr vereinzelt. Die kostbare
Schrift mit diesem fein geriebenen Golde, welche aufserordent-
lich dauerhaft ist 5 ), verschwindet im dreizehnten Jahrhundert ;
J ) Aus Wood's hist. univ. Oxon. angeführt von Savigny, Geschichte
des Rom. Rechts im Mittelalter 3, 348 (371 ed. II).
2 ) ib. p. 533 (576 ed. II).
3 ) Mart. Thes. 5, 1584 u. 1607.
4 ) Berichte und Mittheilungen des Alterthumsvereines zu Wien 1, 97.
Facs. bei Silvestre 4, 221.
5 ) die Silberschrift ist lange nicht so dauerhaft, und erscheint jetzt
meistens ziemlich geschwärzt.
zit*~
150 Die Schreibgera the und ihre Anwendung.
die Anwendung von Goldschrift in gröfserem Umfang hört auf 1 ),
und wo man sie noch findet, ist Blattgold auf eine Unterlage
aufgetragen. Diese Methode ist lange nicht so solide; leicht
reibt das Gold sich ab, und der röthliche Untergrund kommt
zum Vorschein.
Auch Briefe griechischer Kaiser in Goldschrift werden
erwähnt; so gedachten wir schon oben p. 93 des Schreibens
von Constantin IX an den Kalifen von Cordova. Kaiser Ro-
manos schrieb aureis litteris an Konrad II 2 ), und ebenso Kai-
ser Manuel an Friedrich Barbarossa. 3 ) Eine Stelle über eine
Urkunde der Art führt Montfaucon Pal. p. 5 an. Auch das
angebliche Original der berüchtigten Schenkung Constantins
an den Pabst Silvester war in Gold geschrieben, wie Otto III
in seiner merkwürdigen Urkunde vom April 1001 sagt: Haec
sunt enim commenta ab Ulis ipsis inventa, quibus* Joannes diaco-
nus, cognomento digitorum mutius, praeceptum aureis litteris
scripsit, sub titulo magni Constantini longa mendacii tempora
finarit. 4 )
Eine Urkunde des Langobardenkönigs Aripert von 707
für den römischen Pabst mit goldenen Buchstaben erwähnt
Paulus Diaconus 6, 27. Von einer Schenkung der Könige Hugo
und Lothar an das Mailänder Ambrosiuskloster vom 15. Aug.
942 berichtet Puricelli, dafs sie in Gold geschrieben war, wie
auch andere Urkunden desselben Klosters. 5 )
In England erhielt Glastonbury von S. Edmund ein gol-
denes Privileg, und Neumünster 966 von Bdgar. Die Urkun-
den waren aufserdem mit goldenen Kreuzen und anderer Ver-
*) ein vereinzeltes Beispiel vom Ende des Mittelalters oben p. 91. Auch
in den angeblichen Werken des Dionysius Ariopagita, welche 140$ der
Kaiser Manuel Palaeologus dem Kloster S. Denis-en-France schenkte, sind
ganze Seiten in Goldschrift, Nouveau Traite" 2, 102.
2 ) Wiponis Vita Chuonr. c. 22.
3 ) Albertus Stad. a. 1179. Mon. Germ. SS. 16, 349.
4 ) Baronius ad. a. 1191. Daraus Pertz, Mon. Leg. Ib, 162.
ö ) Mon. Ambros. p. 282. Sie sollten in corio piscis geschrieben sein,
was auf Papyrus schliefsen läfst; über diesen unbekannt gewordenen Stoff
kommen oft irrige Angaben vor.
Goldschrift. 151
zierung versehen, wie theils erhaltene Originale zeigen, theils
Ingulf von Croyland bei der Erzählung vom Brande des Jahres
1091 berichtet: Chirographa noslra pulckerrima, littera publica
conscripta et crucibus aureis et venustissimis picturis ac elemen-
tis preliosissimis adornata, privilegia eliam regum Merciorum
antiquissima et optima, similiter aureis picturis pulcherrime con-
signata, sed littera Saxonica scripta^ omnia sunt combusta. l )
Roger II von Sicilien erhob im April 1139 den Emir Chri-
stodulos durch ein griechisches Diplom in Goldschrift zum Pro-
tonobilissimus 2 ), und gründete im April 1140 die Capelle im
Palast zu Palermo durch ein lateinisches Diplom in Goldschrift
auf blauem Baumwollenpapier. 3 j
Von deutschen Kaisern führt der Chronist von Her-
rieden eine Urkunde des Kaisers Arnulf in Goldschrift für
das Bisthum Eichstedt an. 4 ) Unecht ist die Schenkung
Otto's I an die römische Kirche von 962, mit Gold auf Pur-
pur geschrieben, im vaticanischen Archive sorgfältig verborgen 5 ),
und mindestens zweifelhaft Heinrichs II nicht mehr im Origi-
nal vorhandene Bestätigung. 6 ) Der Dotal - Urkunde für die
Kaiserin Theophano von 972 wurde schon oben p. 90 gedacht ; sie
ist nie besiegelt gewesen. In einer Urkunde Heinrichs III ist
nach Archiv 8, 6 die erste Zeile, die Unterschrift des Kaisers
und das Actum mit Gold geschrieben, allein nach der Mitthei-
lung von Sickel 7 ) ist das nicht ursprünglich, sondern nur eine
') Ausführlich darüber Nouveau Tratte" 1, 546 f. Das Chartular von
"Winchester (Vespas. A. VIII > ist ganz in Goldschrift, scheint aber nicht
Originale zu enthalten. In Kemble's Cod. Dipl. Aevi Saxonici findet man
hierüber nicht die geringste Auskunft.
2 ) Hnillard-Breliolles, C. D. Frid. IL Introd. p. LXXHI nach Morso,
Descripzione di Palermo antico n. I. mit Facsimile, welches auch Montf.
p. 408 hat, ohne der Goldschrift zu gedenken. Er hatte das Original nicht
gesehen.
3 ) ib. Vgl. oben p. 93.
4 ) Anon. Haser. Mon. Germ. SS. 7, 256.
5 ) Mon. Germ. Leg. IIb p. 16t.
c ) in Charta coloris violati rubei, nach dem alten Verzeichnis beiMu-
ratori, Antt. 6. 1">.
7 j Acta Karolin. 1. 2S9.
152 Die Schmtaerrä* ssd Ihre AfivaMhmg.
spätere Spielerei. Nach der Vita Bennonis c. 20 ertheilte
Heinrich IV luTT dem Bisthum Osnabrück ein Privileg in
Goldsehrift *», doeh ist die Angabe nicht anverdächtig.
Vollständig sicher daseiren ist die noch erhaltene Privile-
gienbestätigung, welche Lothar III am 22. September 1137
auf Bitten des Abts Wibald für Stavelot in Goldschrift ausge-
stellt hat. Unter Konrad III erhielt derselbe Abt am 23. März
1147 für das Kloster Korvei eine ausserordentlich schöne Ur-
kunde in Goldschrift auf purpurnem Pergament mit goldener
Bulle (.Stumpf 3543». Merkwürdig ist, dafs von derselben Ur-
kunde ein zweites ganz ähnliches, aber unbesiegeltes Exemplar
184S in Wien zum Verkauf ausgeboten wurde, während auch
noch andere Exemplare in gewöhnlicher Form vorhanden sind.
Auch Friedrich I gewährte am IS. Mai 1152 Wibald ein Pri-
vileg für Korvei in Goldschrift. 1 *
Die Schrift jener Urkunde Konrads ist Bücherschrift, wie
die der Urkunde für Theophano, und es ergiebt sich also
hieraus, dafs solche Prachtstücke nicht eigentlich aus der k.
Kanzlei hervorgingen, welche dazu wohl gar nicht befähigt
war. Wie sie aber entstanden, zeigt uns eine überaus merk-
würdige Urkunde Friedrichs II für den Bischof von Ivrea von
1219 bei Boehmer Reg. Frid. IL 262. Darin erlaubt nämlich
der König dem Bischof, ein seiner Kirche ertheiltes Privileg
mit goldenen Buchstaben schreiben zu lassen; dann wolle der
König seine goldene Bulle daran hängen lassen. Ein benach-
bartes Stift besafs schon einen solchen Schatz, und der Bischof
von Ivrea wollte nicht hinter ihm zurückstehen. Auffallend
ist, dafs Ivrea sich auch schon einer solchen Urkunde von
Otto III für den Bischof Warmund vom 9. Juli 1000 rühmte,
welche Prof. Stumpf als unecht bezeichnet.
Mir scheint aber aus diesen Beispielen eine Mahnung zur
') Mon. Germ. SS. 12, 71. Stumpf n. 2808. Erhard C. D. Westf. 1,
124 bemerkt, dafs Strunck das angebliche Original in Goldschrift noch ge-
sehen habe.
2 ) Schanimt, Ann. Paderborn. 1, 551. Erhard sagt weder im Cod.
Dipl. 2, f>4 noch in den Regesten etwas über die Schrift.
Verschiedenes Geräth. 153
Vorsicht in der Kritik von Kaiserurkunden sich zu ergeben.
Deutlich erkennen wir daraus die Möglichkeit, dafs aufserhalb
der Kanzlei von einem Kalligraphen verfertigte Urkunden von
dem König dennoch mit seinem ISlamenszug und Siegel ver-
sehen werden konnten. ') Geschah das bei Goldschrift, so
konnte es auch in anderen Fällen geschehen, wo vielleicht in
dem Drang der Geschäfte und anderer Umstände nur die Lang-
samkeit der Kanzlei die Ausfertigung von Urkunden verzögerte,
und es sehr nahe lag, sich durch mitgebrachte Schreiber zu
helfen. Dadurch könnten leicht Abweichungen von |der ge-
wöhnlichen Schrift und selbst vom Formular ihre Erklärung
finden. 2 )
Spätere Beispiele von Goldschrift sind mir nicht bekannt.
6. Verschiedenes Geräth.
Zum Aufbewahren der Dinte diente das nelavodoxelov,
auch nek<xvö6%ri, im Epigramm des Phanias ßgoxis, von ßoixew,
benetzen; lat. atramentarium. Angilbert schenkte seinem Klo-
ster Centula oder S. Riquier atramentarium optimum argenteum
auro paratum. 3 ) In den Epistolis obscurorum virorum 1. IL
ep. 30 verkündet Balthasar Schlauch voll Freude, dafs er Jo-
hann Pfefferkorn erkannt habe in der Prophezeiung Ezechiels
9, 2 : Et vocavit virum gut indutus erat lineis et atramentarium
scriptoris habebat in lumbis suis: quia Joannes Pfefferkorn sem-
per habet atramentarium secum et scribit in predicationibus vel
conventiculis auctoritates et notabilia.
Häufig war es ein einfaches Hörn, welches durch eine
J ) Bei nicht vom König ausgestellten Urkunden kommt die Bekräfti-
gung durch k. Siegel hin und wieder vor. Beispiele von Friedrich II bei
Huillard-Breholles, Introduction p. LXII.
2 ) Vgl. Heinrichs V Urk. f. Polirone vom 16. Nov. 1123, Mon.
Graph. 3, 6, mit den Bemerkungen von Stumpf, Reg. n. 3195 — 3197. Auch
Lothars Urk. v. 20. Nov. 1125, ib. 5, 8, Stumpf 3228, hat eine ganz un-
gewöhnliche Form. Vgl. auch unten den Abschnitt über die Schreiber.
3 ) D'Ache'ry, Spicüeg. ed. II. 2, 306.
i
i
154 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
*
Oeflhung des Schreibpultes gesteckt wurde, wie man das auf
vielen Abbildungen sieht. *) Daher sagt Jo. de Janua : Cola-
marium, cornu ubi tenetur incaustum. Man leitet davon corni-
cularius ab, von dem Cassiodorius Var. 11, 36 sagt: Praefuit
enim comibus Secreiarii Praetorium, unde ei nomen derivatur.
Es entspricht also dem oben p. 144 erwähnten caniclinus. Der
Karthäuser erhielt zwei cornua, wohl für rothe und schwarze
Dinte, und so sind auch häufig die Schreiber abgebildet. Con-
radus de Mure a. 1275 sagt 2 ): Unde dicamus quod quelibet pro-
fessio habet sua instrumenta; arma et gladius sunt militis i?i-
strumenta, subulc et forme sutoris, actis pellificis, penna et cornu
scriptoris, libri et littere clerici instrumenta.
Davon kommt franz. cornet, tibersetzt englisch inkhorn.
Häufig aber war das Dintenfafs so eingerichtet, dafs es
auch die Rohre oder Federn aufnehmen konnte, und erhielt
dann davon seinen Namen. Paulus Silentiarius bezeichnet 6,
65 das Schreibzeug als
Kai xiotrjv rcohuWTta jiiehavdoxov, elv evl itQLVxa
Evygacptog Te%vrjQ oqyava Qvofxivrjv.
Es hatte also viele Oeffnungen, um die Rohre hineinzu-
stecken. Ein allgemeiner lateinischer Ausdruck ist scinptorium,
der vorzüglich in Frankreich üblich war, und in ecritoire über-
ging. Er kommt in der Regel der Canoniker von S. Victor
und in der Regel der Karthäuser vor. Auch Ordericus Vi-
talis 3 J im Anfange des zwölften Jahrhunderts rühmt von dem
Abt Osbern von S. Evroul : Juvenes valde coercebat eosque bene
legere et psallere atque scribere verbis et verberibus cogebat.
Ipse propriis manibus scriptoria pueris et indoctis fabricabal,
tubulasque cera illitas praeparabat.
Bevor wir zu anderen Ausdrücken übergehen, werden wir
J ) Recht anschaulich ist das grofse Hörn, welches Rabanus Maurus
neben sich an der Wand befestigt hat, bei Schwarz de ornamentis libro-
rum Tab. I. ex vet. codice.
2 ) Quellen z. Bayer. Gesch. 9, 457.
3 ) 3, 7, ed. Le Prevost Vol. II p. 94.
Verschiedenes Geräth. . 155
erst die unmittelbaren Werkzeuge des Schreibens ins Auge zu
fassen haben, weil die häufige Verbindung der Dinte mit den-
selben die Benennungen veranlafste.
Auf Wachstafeln schrieb man mit dem Griffel, yocupeiov,
yoayig, yoaqiidiov, orvlog, graphium, stilus.
Bei dem Gebrauch im Alterthum ist es tiberflüssig hier zu
verweilen ') ; man hat deren genug. Im Mus6e de Cluny sind
unter den in Frankreich gefundenen gallorömischen Gegen-
ständen n. 3468 zwölf beinerne Griffel, einige oben kugelförmig,
andere mit einem Schäufelchen. Andere aus späterer Zeit
wurden schon oben p. 58 erwähnt. Besonders merkwürdig wäre
der von Chifflet abgebildete Griffel des Königs Childerich,
wenn nicht der Abb6 Cochet, Tombeau de Childöric p. 214
nachgewiesen hätte, dafs es eine fibula ist; auf der folgenden
Seite giebt er einige Abbildungen bronzener Griffel aus mero-
wingischer Zeit. Auffallend ist der Ausdruck in den Actis
S. Artemae: Jussit pueris qui eins discipuli fuerant, quod cum
gladiis qui ab officio scribendi graeco eloquio graphii nuncu-
pantur, illum crudeüter trucidarenU 2 )
S. Bonifaz schickte der Aebtissin Eadburg zum Geschenk
ein graphium argenteum:. 3 )
Ein dem Symposius oder Lactantius zugeschriebenes Bäth-
sel beschreibt die Gestalt:
De summo planus, sed non ego planus in imo.
Die Auflösung ist Grafio. Papias erklärt Graphium, scripto-
riwn; andere stilus vel baculus studentis. Das Glossarium Ael-
frici: Graphium vel scriptorium, graef. Davon kommt franz.
greffe, deutsch Griffel. Es heifst aber graphium und greffe
auch in weit ausgedehnter Bedeutung das Schreibpult, die
Schreibstube, das Amt, officium scriptoris.*)
Der Pinsel, byzantinisch xovdifaovj ist wohl früh aufser
J ) s. Marquardt, Rom. Privatalterthtimer 2, 3S3 n. 3401.
2 ) bei Du Cange.s. v. Graphium.
3 ) ep. 75 p. 214 ed. Jaffe.
4 ) s. Diefenbach, G-loss. lat. Genn. s. v.
156 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Gebrauch gekommen; nur zur Goldschrift wird die Anwen-
dung noch verlangt, aber Theophilus spricht auch da von der
Feder. Hartker, von 9S6 bis 1011 Klausner in S. Gallen, hält
auf der Abbildung einen Pinsel in der Hand, aber wohl des-
halb, weil das von ihm geschriebene Antiphonarium mit Ge-
mälden verziert ist. 1 )
Abgeleitet von xovdiuov ist das Wort ttovoxordiliov für
die künstlich verschlungenen Unterschriften von (Namen,
Sprüchen u. a. wie dergleichen Spielereien im Orient noch jetzt
beliebt sind. 2 )
Im allgemeinsten Gebrauch war im Alterthum das S ch r e i b -
röhr, wie wir es auch in den Epigrammen der Anthologie
finden ; die besten kamen mit dem Papier vom Nil. Sie hiefsen
xd/.ajuoQ f doval; ygayevg. oxoivog, calamus, camia; in den Epi-
grammen auch yQcufideg. Thomas Magister sagt: xakapog int
ygaqiidog, ov dovaB, und eine Glosse: canna, xaXapog öt 1 ob
ygä(f>ofii6v. Sie wurden bündelweise verkauft nach Martial
14, 38:
Fasces calamorum.
Dat chartis habiles calamos Memphitica tellus.
Texantur reliqua tecta palude tibi.
Doch waren auch die Rohrfedern von Knidos sehr ge-
schätzt.
Die Patriarchen unterschrieben argen teo caiamo 3 )] eine Me-
tallfeder will Merryweather in der von Eadwine von Canter-
bury illuminirten Handschrift des Trinity College in Cambridge
gesehen haben. 4 )
Im Abendland kommt das Wort calamus oft vor, aber wohl
nur in übertragener Bedeutung ; so heifst es in dem oft erwähn-
M Lambillotte, Antipbonaire de S. Gregoire, PI. 1.
2 ) 8. darüber Montfaucon, Palaeogr. Gr. p. 347.
3 ) nacb Montf. Pal. p. 21, dem auch die vorhergehenden Stellen ent-
nommen sind Eine bronzene Feder ist in Rom gefunden nach Canina,
Bull. d. Inst. 1849 p. 169 (Marquardt n 3512).
4 ) Bibliomania p. 103.
Verschiedenes Geräth. 157
teil Wörterbuch 1 ): Calamus, schreib Jeder, proprie est pars her-
bae etc. et transsumitur pro instrumento scripiorio concavo, per
quod incauslum. deducitur in elementares scripturas. Unser Rohr
ist zum Schreiben kaum zu brauchen, und man kannte hier
wohl gar kein Schreibrohr.
Die F e d er erwähnt zuerst der Anonymus Valesianus, wo
er von dem Ostgothenkönig Theoderich erzählt, dafs man ihm
zur Unterschreibung seines Namens eine Form gemacht habe,
damit er posita lamina super ckartam, per eam pennam du-
ceret et subscriptio eins tantum videretur. Ganz derselben
Veranstaltung bedurfte sein Zeitgenosse, der Kaiser Justin,
aber da ist von der yqacpls, dem calamus die Rede, welcher
in das königliche Nafs getaucht wurde. 2 ) Später sagt Isidor
Origg. 6, 13: Instrumenta scribae calamus et penna. Ex his
enim verba paginis infiguntur, sed calamus arboris est, penna
avis, cuius acumen dividilur in duo y in toto corpore unitate
servata.
Eine Feder scheint in den ältesten irischen Manuscripten
der Evangelist Johannes in der Hand zu halten, sowohl* im
Book of Keils, wie in Mac Durnan's Gospel bei Westwood.
Spätere Beispiele anzuführen ist tiberflüssig; ich erwähne nur
noch aus Cod. lat. Monac. 14738 fol. 87 v. den Spruch:
Incaustum dum penna probat, simul ipsa probatur.
Man verwahrte die Schreibrohre und Griffel in der xala-
/uig, yoaqHO&yxr], xalafio&iqxri ; auch nannte man den Behälter
von seiner Gestalt xavtov. Lateinisch sagte man grapkiarium,
theca calamaHa, calamarium, welches schon früh auch griechisch
als xalaf.iäoiov erscheint. Ein neueres Wort ist pennale.
Martial unterscheidet noch die Behälter der Griffel und
Kohre.
*) Serapeum 23, 279.
2 ) Procopii hist. arc. c. 6.
158 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
14, 19. Theca calamaria.
Sortitus thecam, calamis armare memento.
Cetera nos dedimus, tu leviora para.
14, 21. Graphiarium.
Haec tibi erunt armata suo graphiaria ferro.
Si dederis puero, non leve munus erit.
Dergleichen führten die Schreiber immer mit sich, und
weil der Griffel auch als Waffe dienen konnte, liefs Kaiser
Claudius nach Suet. c. 35 jedem comiti aut librario, der zu
ihm kam, die calamariae aut graphiariae thecae vorher abneh-
men. Auch Ammianus Marcellinus erwähnt 28, 4, 13 die
notarii cum thecis.
In Diocletians Edict de pretiis rerum venalium vom Jahr
301 finden wir sie unter den Lederarbeiten aufgeführt: thecam
cannaram numero V. den. XL.
Zu der oben schon angeführten Stelle des Ezecbiel 9, 2
bemerkt Hieronymus *) : cesath cum ab Hebraeo quaererem quid
significaret, respondit mihi Graeco sermone appellari xaka/uccQiov
ab eo quod in Mo calami recondantur. Nos atramentarium ex
eo quod atramentum kabeat dicimus. Multi significantius thecas
vaca?it, ab eo quod thecae sint scribentium calamorum. Aus dieser
Stelle ergiebt sich recht deutlich, dafs auch Dinte darin ver-
wahrt wurde; es waren vollständige Schreibzeuge, wie sie im
Orient noch jetzt die Schreiber am Gürtel tragen. Montfaucon
hat 2 ) ein merkwürdiges altes bronzenes Schreibzeug aus dem
Schatz von S. Denis abbilden lassen, welches bestimmt war
am Gürtel zu hängen, aber es hat nicht die Form der theca
oder des ytavcov. Des englischen Königs Heinrichs VI pencase
befindet sich in der Curzon library, und ist im Catalogue p. 1
abgebildet.
*) Opera ed. Vall. 5, 94.
2 ) Palaeogr. p. 23. Antiquite* expl. III. PI. 193. Die von Marquardt
2, 402 nachgewiesenen antiken Dintenfässer sind einfache Näpfe.
Verschiedenes Geräth. 159
In den Acten des Concil. Chalcedon. von 451, Act. 1 heifst
es: änrjkeiiltav avTwv rag ßlßXovg .... freXovcEg Xaßeiv Aal
ra xala/uaQia.
Das Wort erhielt sich vorzüglich in Italien im Gebrauch,
wo noch jetzt das Schreibzeug calamajo heifst, auch wenn es
nur zur Aufnahme der Dinte bestimmt ist. Aber auch in
Deutschland kommt der Ausdruck vor, und böhmisch heifst
das Schreibzeug kalamarz.
Aus einer alten Urkunde von Casauria führt Du Cange
s. v. Pergamena die Stelle an : Unde pro stabilitate vestra ego
Rimo cum pinna et calamario et pergamena de terra levavi, wäh-
rend in anderen Urkunden der Art das Wort atramentarium
gebraucht wird. Das Kloster Montecasino erhielt am Ende des
elften Jahrhunderts von einem Vicecomes des Grafen von Capua
calamarium aureum margaritis et gemmis pretiosissimis undique
adornatum. Chron. Casin. 4, 13. Schon oben p. 154 wurde die
Stelle des Jo. de Janua (a. 1286) angeführt, in welcher cala-
marium einfach als Dintenhorn erklärt wird.
Als der böhmische Reformprediger Militsch von Kremsier
von der römischen Inquisition eingekerkert war, fand er wunder-
barer Weise calamare cum incauslo et papyrum, que longe ab
eo in carcere erant posita 7 an seiner Seite wieder. *)
In dem Wörterbuch vom Ende des Mittelalters 2 j wird ca-
lamare erklärt " durch Schreibzeug, instrumentum scriptoris con-
cavum de corio duro consutum } in quo ponuntur instrumenta
scriptoris ut cultellus et calamus, et alio nomine dicitur pennale
a nomine penna.
Am Gürtel trugen die Schreiber dergleichen, aber wenn
es in der Vita Theogeri 2, 3 heifst, dafs 1117 der Cardinal-
bischof Cono von Praeneste nomen sibi habilumque scriptoris
induerat, et usquequo Remorum civitatem intraret, huius operis
J ) Vitä Milien in Balbini Miscell. Dec. I. 1. IV. p. 2. pag. 50.
2 ) Serapeum 23, 279.
^
160 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
instrumenta ex humero eius suspenso, pendebant, so hat schon
der erste Herausgeber, Dom Brial gerechte Bedenken gehabt,
ob die Schreiber ihre Geräthe in solcher Weise getragen hätten,
und nicht vielmehr ein Lesefehler anzunehmen sei. *)
Zum Schneiden des Rohres oder der Feder diente das
yXvqxxvov, in den Epigrammen auch yhmxi\Q und opiXrj ge-
nannt, und 6, 64 erscheint aufser den yXvyideg Kccldfitov auch
noch ein rcXarvg o^vvtyjq fxeaooxidicov x.ald(Aü)v. Die stumpf
geschriebenen Rohre wurden mit dem in allen Epigrammen
erwähnten Bim stein geschärft; auf Federn war das aber
nicht anwendbar. Lateinisch hiefs das Federmesser scalprum
librarium, wie bei Sueton Vitell. c. 2: scalpro librario venas
sibi incidit. Bei Tacitus, Ann. 5, 8, heifst es einfach scalprum.
Der Liber Ordinis S. Victoris Paris, erwähnt neben einander
scriptoria, artavos, cultellos, scarpellia. 2 ) Jo. de Janua erklärt
arlavus durch cultellus scriptorum^ und in den Statuten der
Brüder vom gemeinen Leben wird vorgeschrieben 3 ) : librarius
provideat scriptoribus nostris de instrumentis necessariis, vide-
licet artafis } penniSj pumice, creta et simüibus.
Man sagte calamum acuere, temper are; davon kommt der
italienische Name des Federmessers, temperino, temperatojo,
während canif von deutscher Wurzel stammt. *
Die Form der alten Federmesser, von der jetzt üblichen
sehr abweichend, sieht man auf den sehr häufigen Abbildun-
gen alter Schreiber, von welchen wir später einige nachweisen
werden.
*) Brial schlägt vor scirptoris, was Pertz, Mon. Germ. SS. 12, 467 ohne
Bemerkung wiederholt, obgleich es mir wenigstens unverständlich ist.
Vielleicht ist sartoris zu verbessern. Die Verkleidung als Schreiber war
wohl kaum geeignet, vor Verdacht zu schützen.
2 ) Martene de antiquis ecclesiae ritibus 3, 733.
3 ) Serapeum 21, 189.
Das Schreiben. 16 t
7. Das Schreiben.
Von dem gewöhnlichsten lateinischen Ausdruck scribere
ist franz. 6crire wie deutsch schreiben abgeleitet. Dagegen
haben die Engländer in ihrem to write an dem einheimischen
Worte festgehalten, welches ursprünglich das Einreifsen, Ritzen
der Runen bezeichnet, goth. vreitan, althochdeutsch riza?i, an-
gels. vmtan, altnord. rita. In abreifsen, Aufrifs haben auch
wir es behalten. Gothisch heifst schreiben meljan d. i. malen,
und auf denselben Begriff geht das böhmisehe pisati zurück.
Das griechische yQacpeiv findet sich mittelalterlich in gra-
phia, graphiare wieder, wovon graphiarius, greffier. Ein spät-
griechischer Ausdruck ist %6(a y von den Kalligraphen zuweilen
in ihren Unterschriften gebraucht 1 ), und in barbarischem La-
tein, von xaqcnxEiv abgeleitet, charaxare, caraxare, welches aus-
löschen, radiren, aber auch malen und schreiben bedeutet.
Charaxatura ist sowohl Rasur wie Schrift, wie aus den Bei-
spielen bei Du Cange hervorgeht. Der Schottenmönch Arbedoc
beginnt seine, in höchst barbarischem Latein verfafste Unter-
schritt einer Canonensammlung mit den Worten : Mihi xraxanti
(sie) literas missereatur trinitas. 2 ) Godemannus berichtet in der
Dedication seines schönen Benedictionale, dafs Aethelwold das-
selbe craxare sibi Jecit. 3 )
Nicht leicht war es, diese Kunst ordentlich zu lernen,
und strenge Zucht kam dabei in Anwendung. So schrieb um
1060 der Mainzer Scholasticus Gozechin an Walcher, der einst
in Lüttich sein Schüler gewesen war, und ihm jetzt ein eigen-
händig geschriebenes Buch übersandt hatte: Serio vero trium-
pkat animus, quod rüdes ariieulos tuos aliquando ipse manu mea
ad scribendum direxerim, quodque male tornatos apices super
dorsum tuum cuderim. 4 ) Sehr sorgfältig achtete man auf die
1 ) Montf. Pal. p. 36.
2 ) Cod. lat. Paris. 12021 olim S. Germ. 121 aus Corbie. Die Unter-
schrift vollständig bei L6op. Delisle, M6m. de Tlnstitut 24, 295, u. Maassen
in den Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. 54, 264.
3 ) Archaeologia 24, 49.
4 ) Mabillon, Analect. p. 438.
Wattenbach, Schriftwesen. 11
s
\
162 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
richtige Haltung der Feder. Othlon, ein berühmter Schreiber
des elften Jahrhunderts, erzählt aus seiner Kindheit, dafs er sich
als Schulknabe in Tegernsee zuerst ohne Lehrer im Schreiben
versucht habe. Qua de re contigit, ut pennam ad scribendum
inrecto usu retinere consuescerem, nee postea ab ullo doeente
super hoc corrigi valerem. Nimius namque usus prohibuit me
emendare. Quod cum viderent plures, dixerunt omnes numquam
me bene scripturum. Sie täuschten sich aber, indem er bald
grofsen Ruhm als Schönschreiber gewann. 1 ) Lubertus Berneri
sagte zu einem Anfänger: Bene addisces scribere, longos enim
et molles digitos habes. 2 )
Häufig wird von den Schreibern die grofse Mühsal des
Schreibens lebhaft betont, wie in dem Schlufswort Waremberts
unter einem Tractat des Paschasius Radbertus, indem er zu-
gleich zur schonenden Behandlung des Buches ermahnt : Amice
qui legis, retro digitis teneas 7 ne subito litteras deleas, quia ille
homo qui nescil scribere, nullum se putat habere laborem, quia
sicut navigantibus dulcis estportus, ita scriptori novissimus versus.
Calamus tribus digitis continetur, totum corpus laborat Deo
gratias. Ego in dei nomine Vuarembertus scripsi. 3 ) Der letzte
Satz findet sich auch in mehreren Handschriften metrisch aus-
gesprochen :
Tres digiti scribunt totum corpusgue laborat. 4 j
Die Arbeit der drei Schreibfinger hebt auch, neben vielen an-
dern Dreiheiten, 838 Dubthach hervor, in einer Handschrift
des Priscian von unbekannter Herkunft. 5 )
War ein Schreiber unter den Brüdern vom gemeinen Le-
ben noch ungeübt, so sollte ihm der Librarius zwei oder drei
') Othl. lib. de temptatione, Mon. Germ. SS. 11, 392. ullo corr. f. illo.
2 ) Thomae a Campis Vita diseipulorum d. Florentii c. 4.
3 ) Leopold Delisle, Recherche sur Tancienne Bibl. de Corbie, Mein,
de Tlnstitut 24, 292. Vgl. Serapeum 23, 215.
4 ) Hoffmann, Altdeutsche Handschriften p. 15 t.
5 ) jetzt in Leiden. Grammatici Latini ed. Keil II p. XIII.
i
Das Schreiben. 163
Zeilen guter Schrift zum Vorbild vorlegen. ') Pulte verschie-
dener Art finden sich häufig abgebildet; sehr oft hält der
Schreiber das oben abgerundete Messer in der Linken gegen
das Pergament, auf welchem er schreibt, stf dafs er dieses da-
mit festzuhalten scheint. Auf Bildern des 15. Jahrhunderts
ist er auch schon mit Brillen bewaffnet. 2 ) Damit er nicht mit
dem Suchen nach der abzuschreibenden Zeile Zeit verliere,
oder sie verfehle, benutzte er ein Instrument, welches in dem
alten Wörterbuch beschrieben ist 3 ): cavilla, cavil, in proposito
est instrumentum id est perspectaculum, quo posito super exem-
plari utitur scriptor, ut visus eius referatur certius et promptius
ad exemplar, et dicitur a cavo, as, prout idem est quod perforo,
as 7 quia perforuta est visui. Die Ableitung ist ohne Zweifel
falsch, das Wort mir sonst nicht vorgekommen. Ebenda wird
auch noch in dunkler Weise ein Tuch beschrieben, welches
wie es scheint, auf dem Schreibpult, unter dem Pergament und
der Hand des Schreibers lag: Epicausterium significat pannum,
quo tabula scriptoria tegitur et superextenditur pergamenum, ut
manus scriptoris minus laedatur, et dicitur ab epi, id est supra,
et incaustum.
Sehr merkwürdig ist die von H. Palm im Anzeiger f. Kunde
deutscher Vorzeit 1865 N. 1 u. 2 mitgeth eilte Anleitung, in
notula simp lex d. h. in der gewöhnlichen Urkundenschrift zu
schreiben, mit genauer Anweisung für jeden einzelnen Buch-
staben. Und wie schon einst der Abt Lupus von Ferneres
(ep. 5) sich von Einhard die Figur der antiken Capitalbuch-
staben ausgebeten hatte, welche dem Vernehmen nach der k.
Schreiber Bertcaudus besafs, so verschaffte auch am Ende des
Mittelalters Hartmann Schedel sich Zeichnungen derselben Buch- ;
staben, genau mathematisch construirt und mit speciellster
Vorschrift, wie sie zu machen seien. Auch die Formen und
Namen der griechischen Buchstaben sind dabei, aber mit der
') s. oben p. 117.
2 ) z. B. in der deutschen Bibel in Heidelberg Cod. Pal. Germ. 23
saec. XV. Marcus und Paulus.
3 ) Serapeum 23, 278.
11*
/
164 Die Schreibgerätke und ihre Anwendung.
Bemerkung: Alphabetum Graecorum scripsi secundum patronos
quas non (sie! viell. ist nunc zu ergänzen) kabeo, neque placent
litter ae, ut ipse cernere potestis. Bono sumite animo peto. l )
Wobei das Wort patronus, franz. patron, zu bemerken ist, fe-
minin gebraucht, wenn das nicht ein Schreibfehler in der sehr
flüchtigen Schrift ist.
Auf die Schreiblehrer und ihre Schulen und Vorlagen
kommen wir in dem Abschnitt von den Schreibern.
Die Kostbarkeit des Schreibmaterials führte zu dem Ge-
brauch der Abkürzungen, deren Uebermafs in vielen Hand-
schriften das Lesen sehr erschwert. Man nannte es breviare,
aber auch tüulare von titulus, titula oder titella, dem Abkür-
zungszeichen, span. tilde. Es bedeutet freilich tüulare auch
nur einfach schreiben. Wenn auf dem Titelblatt des römischen
Staatskalenders in Wien steht FILOCALVS TITVLAVIT, so
ist damit vielleicht die malerische Ausschmückung gemeint.
Aber wenn eine Urkunde aus Le Maus beginnt Tituletur in
pagina, wenn unter einer Urkunde aus Castilien von 957 steht
Jo. titulavitj so ist doch wohl nur das Schreiben dadurch mit
einem gewählten Ausdruck bezeichnet. 2 ) Anders dagegen ist
es zu verstehen, wenn im zehnten Jahrhundert der Cleriker
Heinrich von Pomposa sagt: quosdam ex fratribus adversos
habeOj ob nimiam titulationem non valentes legere libros a me
scriptos. 3 ) Conradus de Mure (1275) giebt in seiner Summa 4 )
Anweisungen darüber, wo die Etikette es erfordere, Eigennamen
nicht auszuschreiben, sondern nur anzudeuten, und bemerkt
dabei: Verbi gratia proprium nomen Gillelmus breviatur per G
et i et duo l cum titella que ipsa II ad invicem conneetat] simi-
*) Cod. lat. Monac. 961.
2 ) beides beiDuCange ed. Henschen 6, 595. Nicht bekannt ist mir leider
die dort angeführte Schrift : Incipiunt quedam regule de modo titulandi seu
apificandi pro novellis scriptoribus copulate. et iste modus tytulandi servari
potest in'libris preciosis. nach einem Cod. saec. XV facs. von Spencer-
Smith, Cadomi 1840.
3 ) Blume, Iter Ital. 2, 216.
4 ) Quellen zur Bayer. Gesch. 9, 463.
W WW TT--»
i£S3S^ ***>.*. *-s,^2f - - *»--.* * ^^.^M
#ter Fridericus per capitales F et R cum titella, et sie de simi-
libus. Set non muUum eoepedit in litteris scribendis, ut pro unica
et sola vel duabus litteris ponatur titula vel titella ; verbi gracia
kec dictio impar pocius totaliter debet scribi per quinque litte-
ras, quam si titella ponerelur super i et altera ad pedem p. In
der von L. Delisle mitgetheilten Anweisung für päbstliche
Schreiber 1 ) kommt titulus in dieser Bedeutung vor, und es
wird genau unterschieden, welche Form desselben den verschie-
denen Ausfertigungen zukommt.
In ganz anderem Sinne bedeutet abbreviare ein brevexmd
überhaupt ein Concept verfertigen, ein Ausdruck der vorzüg-
lich bei der päbstlichen Curie üblich war. So heifst es in dem »
Carmen apologeticum aus dem 13. Jahrhundert 2 ):
■
Sunt ibi qui norunt formare negotia quaevis,
Et sunt qui formas abbreviare sciunt.
Der genehmigte Entwurf des Abbreviators wurde dann vom
Scriptor grossirt:
Istorum labor est Chartas grossare notatas
Et grossas cameris restituisse suis.
Ironisch wird die Schnelligkeit des Geschäftsganges geschildert :
Prima dies igitur scribit quodeumque petendum,
Et tua portabit vota seeunda patri.
Tertia grossabit, bullatum quarta videbit. 3 )
Die Franzosen haben noch jetzt die Worte minute und
grosse für die notarielle Urschrift und die grossirte Ausferti-
gung: minuta kommt in diesem Sinn bei Burchardus Argenti-
nensis vor : leclae sunt plures minutae brevium. Die Franzosen
*) Bibl. de l'ßcole des Chartes 4, 4, 23.
2 ) Mab. Anal. ed. IL p. 369. Vgl. über die Zeit der Abfassung Tira-
boschi Tomo IV, lib. III, cap. 4 § 12.
3 ) Nach Walther Map de nugis cur. 2, T kostete jede Expedition 12
den. ad bullam.
166 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
machten daraus minuer und minuare; so 1357 in einer Rech-
nung aus Abbeville: clerico pro minuando e( grossando VI sol.
und 1395: laquelle relacion minuaen une feulle de papier,
et icelle minuee ledit Sergent emporta. f ) Nicht anders war das
Verhältnifs, wenn das Concept eines Buches ins Reine zu
schreiben war. Man wählte aber in beiden Fällen verschie-
dene Schriftarten, die als Text und. Nottel unterschieden wur-
den. Manche Schreiber verstanden sich auf beide, aber durch-
aus nicht alle. Deshalb sagt Conradus de Mure 2 ) : Alia manus
requiritur in quatemis scribendis et alia in epistolis. Flures
enim scriptores et scriptinces qui bonarn vel conpetentem for-
% mant Uteram in quateimis, nullomodo vel vix sciunt habilitare
manum ad epistolas scribendas: für Briefe verlangt er eine
' TihJf* fyzt, manus bona melior optima, für Citationen und andere gewöhn-
liche Ausschreiben eine gute und leserliche, aber für Indul-
genzen und Privilegien die beste. Et breviter in literis seu
epistolis penitus reprobatur lilera nimis grossa seu psalierialis.
Das ist die starke und feste Bücherschrift, textus genannt,
wie Caesarius von Heisterbach Dial. 5, 16 sagt: in tantum
litteras didicerat, ita ul textum legere sciret 3 ) Man unterschied
textus quadratus, rotundus und bastardus 4 ) 7 nebst vielen Spiel-
arten, auf welche wir bei den Schreiblehrern noch zurückkom-
men. In Chronicon Windeshemense 2, 42 heifst es 5 j: Novis
libris conscribendis in bona rotunda texturä et fractura, perga-
meno vel franceno quottidie insudavit. Französisch heifst die
künstliche Bücherschrift lettre de forme oder de fourme\ ein
*) Die Stellen bei Du Cange ed. Henschen s. v. minuta.
2 ) Quellen zur Bayer. Gesch. 9, 439.
3 ) Sonst hiefsen namentlich auch die reichverzierten Chorbücher tex-
tus; so in Rouen saec. Xu: Octo textus, tres magni de auro et gemmis
etc. Da"bei ist nicht an Goldschrift zu denken. Bibl. de Tficole des Char-
tes 3, 1, 216.
4 ) z. B. in den Rechnungen der burgund. Herzoge: A Yvonnet le
Jeune, clerc, escripvain, pour avoir contre escript et grossu en lettres ba-
stardes le dit livre etc. für 1 quayer 16 sol. ib. p. 249.
5 ) Ich citire nach Du Cange s. v. Fractura, da mir das Buch selbst
fehlt.
Das Schreiben. 167
Kalligraph in Brügge um 1438 heifst Richard Lefevre, escrip-
vain de forme. *)
Die Hauptarten der Urkundenschrift bezeichnet das Chro-
nicon Windeshemense 2 p. 62: Cui tunc temporis meliorem in
fraeiura et notatura monasterium nostrum non habuit Ver-
schiedene Benennungen giebt das zwischen 1440 und 1444 ge-
schriebene Kegister des Nicolaus de Sachow über die Urkun-
den des Bisthums Lübeck 2 ): Registrum primum (von 1276 an
geschrieben) est antiquum et in fracio brevi modo conscriptum,
coopertum coopertura subrubea. Secundum registrum (vom Ende
des 14. Jahrh.) est de magno modo conscriptum, coopertum
asseribus brunis. Tertium registrum (saec. XIV) est de parvo
vel confracto modo, coopertum adhuc sine asseribus coopertura
albea. Der Stadtrath zu Aacnen bezahlte 1338 fünf Mark de
statutis civitatis tarn magnis quam parvis in librum et etiam in
magna littera scribendis. 3 )
Conradus de Mure giebt in der oben p. 119 mitgetheilten
Stelle für Urkundenschrift die Anweisung : ductu lineali grosse-
tur 9 was auf nachträgliches Verdicken der ersten Striche zu
gehen scheint. Dann accentuetur, punctetur^ virguletur.
Äufserordentlich häufig finden sich in Handschriften schrei-
bende Personen abgebildet, namentlich sehr oft am Anfang
der Evangelien die Evangelisten. Viele von diesen Bildern
sind ohne Naturwahrheit, und zeigen uns z. B. den Schreiber
mit einer langen Rolle auf dem Schoofs, welche unmöglich in
dieser Lage von ihm beschrieben sein kann. Andere aber,
vorzüglich aus späterer Zeit, sind sehr sorgfältig gearbei-
tet, und zeigen viele der wirklich gebrauchten Gerätschaften.
Bei Montfaucon p. 24 sind S. Lucas und Dionys von Halicar-
nafs nach griechischen Handschriften schreibend abgebildet,
und bei Bianchini, Evangel. Quadr. 1, 262 S. Matthaeus mit
einer ganz lose auf dem Pult liegenden Rolle. Mit vollstän-
*) Kirchhoff, Handschriftenhändler p. 96. 100 — 102. 188.
2 i Leverkus, Urkundenbuch des Bisthums Lübeck I p. XX.
3 ) Laurent, Aachener Stadtrechnungen p. 127.
-j
168 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
digem Schreibapparat sehen wir die Evangelisten bei Pasini,
Codd. bibl. Taurin. 1, 92 aus einer griechischen Handschrift,
und 2, 60 den Evangelisten Lucas mit seinem Dintenhorn aus
einem Cod. lat. saec. XII. Derselbe erscheint im Berliner
Evang. Angariense, und der geschnitzte Elfenbeinband des Ber-
liner Cod. Theol. lat. fol. 2. zeigt die vier Evangelisten, jeden
mit dem Dintenhorn, wie denn überhaupt die Berliner Biblio-
thek manches werth volle Stück enthält, worüber nur leider
bis jetzt nirgends Auskunft zu finden ist. So ist auch im Cod.
Theol. lat. f. 34 der schreibende Paulus recht schön darge-
stellt; und in der Eneit, Cod. Germ. f. 282 p. 55 sehen wir
Lavinia einen Brief schreiben.
Mon. Germ. SS. 18 Tab. 1 schreibt Macobrius nach dem
Dictat des alten Cafarus die Genueser Annalen auf einem wun-
derlichen Schreibbrett, welches auf seinen Knieen ruht, und er
hält das Pergamentblatt mit dem abgerundeten Messer, wel-
ches oft zu diesem Zwecke dient. Viel Aehnlichkeit mit ihm
hat der schreibende Matthäus bei Lappenberg, Von den Ar-
beiten der Kunstgewerke des Mittelalters zu Hamburg (1865)
Tafel IV, etwa aus dem 13. Jahrhundert. In dem Legendär
aus Weifsenau vom Ende des 12. Jahrhunderts, jetzt in der
fürstlich Hohenzollerschen Bibliothek in Sigmaringen, sind auch
auf fol. 2 und 172 v. Schreiber dargestellt; ein Pergamentblatt
ist, wie es scheint, auf dem Pult aufgespannt, und die linke
Hand des Schreibers hält es mit dem gerundeten Messer fest.
Ein ähnliches Messer hält auch S. Lucas bei Büsching (WöchentL
Nachr. 2, 5Q, mit einer hübschen Schriftprobe aus dem 13. Jahr-
hundert) in dei; Linken. Der Darstellung in dem Werke der
Herrad von Landsberg wurde schon oben p. 55 gedacht.
In dem Heidelberger Cod. Salem. X, 16 des Liber Scivias
steht fol. 2 v. Hildegard auf dem Dach, beschäftigt die erhal-
tenen Offenbarungen auf ihrer Wachstafel aufzuzeichnen, wäh-
rend unten ein Mönch dieselben auf Pergament überträgt.
Ganz frei behandelt sind in dem oben p. 6 erwähnten
Skizzenbuch eines Malers Matthäus und Marcus mit langen
schmalen Blättern, welche locker auf dem Pulte liegen, und
Palimpseste. 169
auch sonst erscheinen, bei übrigens augenscheinlich angestreb-
ter Naturwahrheit, die Blätter, welche beschrieben werden,
häufig so leicht und lose hingelegt, dafs die so wunderbar
gleichmäfsige Schrift des Mittelalters uns damit durchaus un-
verträglich vorkommen mufs. Ich erwähne nur noch das
hübsche Bild des Jo. Mielot, chanoine de Lille en Flandres,
der 1455 ein lateinisches Buch übersetzt hat, vor dem vierten
Band der Monuments pour servir ä Fhistoire des provinces de
Namur, de Hainaut et de Luxembourg, die beiden Schreiber
bei Barrois, Bibl. Protypographique p. 158 u. 259, die Copien
nach Brüsseler Handschriften im Livre d'or des Metiers, Hist.
de rimprimerie p. 21. 42. 51. 54 und bemerke im Allgemeinen,
dafs sich dergleichen Anführungen leicht mehren liefsen, der
Gewinn aber nicht eben grofs ist, wenn nicht eine Darstellung
besonders merkwürdige Umstände darbietet.
8. Palimpseste.
Einer, besonderen Erwähnung bedürfen noch schliefslich
die Palimpseste. Der Umstand, dafs man einmal beschrie-
benes Material noch einmal zum Schreiben brauchbar gemacht
und benutzt hat, würde an sich die Einräumung eines beson-
deren Abschnittes nicht rechtfertigen, wenn nicht die Erhaltung
der älteren Schrift solcher Codices in einzelnen Fällen von
grofser Wichtigkeit gewesen wäre, und clurch bedeutende Ent-
deckungen der ganzen Gattung eine vorzügliche Aufmerksam-
keit zugewandt hätte.
Ausführlich behandelt ist dieser Gegenstand im Nouveau
Traitö 1, 481 — 484, von F. A. Knittel in seiner Ausgabe der
Wolfenbütteler Fragmente des Ulfila (1762) p. 202 ff., von
U. F. Kopp, Bilder und Schriften 1, 185—194, F. A. Ebert,
zur Handschriftenkunde p. 77 — 85, von Fridegar Mone in
seiner Dissertation de Hbris palimpsestis tarn latinis quam
graecis (Carlsr. 1855). In einem eigenen Aufsatze behandelt
A. Ruland die Verdienste des Archivdirectors Franz Joseph
Mone und seines Sohnes um das Palimpsesten-Wesen, im Se-
170 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
rapeum 17, 1 — 11. 29 — 32. Vorzüglich aber sind auch für
diesen Gegenstand zu berücksichtigen die Ausgaben des Gaius,
vgl. Bluhme's Iter Italicum 1, 260 — 265. 4, 188. M. Tullii
Ciceronis Orationum Fragmenta etc. edita a Niebuhrio, Romae
1820 und von Am. Peyron, Stuttg. 1824. G. H. Pertz über ein
Bruchstück des Livius, in den Abhandlungen der Berliner Aka-
demie, 1847, F. Ritschi über denAmbros. Palimpsest des Plau-
tus *), F. J. Mone, lateinische und griechische Messen, Frankf.
1850. 4. p. 153 ff. und andere Schriften, in welchen Palim-
pseste behandelt sind. Ferner der Aufsatz von dem Jenenser
Professor A. W. v. Schroeter: Uebersicht der vorzüglichsten
seit dem Jahre 1813 besonders durch Codices rescripti neuent-
deckten Stücke der griechischen und römischen Litteratur, im
Hermes 1824, 4, 318 ff. 1825, 2, 271 ff. nebst den Verzeich-
nissen von Frid. Mone p. 41 f. 59 f.
Palimpseste waren im Alterthum sehr häufig. Von Pa-
pyrus wusch man die Schrift wohl einfach ab, aber natürlich
blieben die Spuren, und man schrieb darauf nichts von blei-
bendem Werth. Deshalb sagt Catull 22, 4:
Puto esse ego Uli millia aut decem aut plura
Perscripta, nee sie ut fit in palimpsesto
Relata: chartae regiae, novi libri,
Novi umbilici, lora rubra, membrana
Directa plumbo et pumice omnia aequata.
Und Cicero Ep. fam. 7, 18 schreibt an Trebatius: Nam quod
in palimpsesto, laudo equidem parsimoniam. sed miror quid in
illa chartula fuerit quod delere malueris quam haec scribere;
nisi forte tuas formulas. Non enim puto te meas epistolas de-
lere, ut reponas tuas. An hoc signißcas, nihil ßeri? frigere te?
ne chartam quidem tibi suppeditare? Es wird auch eine Stelle
des Seneca angeführt, de benef. 6, 6 : Quomodo si quis scriptis
nostris alios superne inprimat versus, priores litter as non tollit,
sed abscondit, sie beneficium superveniens iniuria apparere non
*) Kl. Schriften 2, 166 — 201.
Palimpseste. 171
patitur. Aber hier sind offenbar Wachstafeln gemeint Unge-
mein treffend ist dagegen die Stelle bei Plutarch ort fxdkiata
Tolg fiyeiiooi etc. c. 4 (Opera ed. Hutt. 12, 88), wo er erzählt,
dafs Plato den Dionys gefunden habe ä<meQ ßtßliov 7taUxprj'
Giovj auf dem sich wegen der haftenden alten Schrift eine
neue nicht gut schreiben liefs, da die alte Tyrannennatur
immer wieder zum Vorschein kam. Er fand diese dvosxnkvTog.
Liegt nun in diesem letzten Ausdruck nur der Begriff des Ab-
waschens *), so läfst sich dagegen nicht leugnen, dafs rcaUipr}-
orog vom Abschaben herkommt ; man wird mit Bimstein nach-
geholfen und die Glätte der Oberfläche hergestellt haben. Ul-
pian unterscheidet charta deleticia und nova. 2 ) Auch giebt es
einen Bericht an Ptolemäus und Kleopatra auf abgewaschenem
Papyrus.
Pergament ist wohl zuweilen auch nur abgewaschen;
in der Regel aber verlangte und erhielt es eine ernstlichere
Behandlung. Martial 14, 7 sagt:
•
Pugülares membranei.
Esse puta ceras, licet haec membrana vocetur:
Delebis quoties scripta novare voles.
Darin liegt schon, dafs bei gewöhnlichem Pergament dieses
nicht möglich war: Martial spricht von einer besonders berei-
teten Art, welche als Schreib tafel dienen sollte. Doch ist bei
recht alten Palimpsesten am wenigsten vom Schaben wahrzu-
nehmen, was wohl von der Natur der alten Dinte herrührt,
die leichter zu tilgen war, dennoch aber später wieder zum
Vorschein kommt, wenn auch die Oberfläche mit Bimstein ab-
gerieben ist. Im späteren Mittelalter aber wurde die Schrift
vielleicht mit Messern abgekratzt, und so gründlich getilgt,
dafs man wohl noch einzelne Spuren bemerkt, aber nicht leicht
etwas herausbringen kann. Man sieht es den Handschriften
gleich an; dafs es aber auch als eine besondere Kunstfertig-
1 ) vgl. dazu oben p. 139 die Stellen über den Schwamm.
2 ) 1. 4. de bonor. poss. sec. tab. Dig. XXVII, 11, 4.
172 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
keit geübt und in bedeutendem Umfang getrieben wurde, zeigt
uns die merkwürdige Erzählung des Fra Salimbene p. 235
seiner Chronik zum Jahr 1235. Er berichtet da, was ein an-
derer Mönch ihm von dem frater Ghirardinus de burgo S. Do-
nini erzählt habe: de scripluris suis nee una littera remansit
in mundo, quia ego manu mea abrasi omnes libros suos, et di-
cam vobis qualiter et quare. Es war nämlich in dem Kloster
der Cisterzienser von Fontana viva bei Parma ein Mönch, qui
optime sciebat rädere Chartas; dieser bat den Abt, ihm einige
Schüler zuzuweisen, qui velinl addiscere rädere Chartas, quia
post mortem meam isti monasterio utiles esse poterunt Es fand
sich niemand als Bruder Albert, der eben dieses erzählt, und
nach dem Tode seines Meisters die abgeschmackten Prophe-
zeiungen des Bruder Ghirardin abkratzte, tum ut haberem ma-
teriam super quam rädere addiscere possem, tum etiam quia
occasione illarum prophetiarnm habueram scandalum valde grande.
Ueber das Verfahren selbst erfahren wir hieraus leider
nichts, als was in dem Wort rädere liegt. Dieses Schaben ist
wohl auch als vorhergehende Operation vorauszusetzen bei dem
Recept, welches Aretin, Beitr. 7, 286 und Frid. Mone p. 38 e
cod. lat. Monac. 18628 olim Tegerns. p. 105 saec. XI. mit-
getheilt haben : Quicunque in semel scripto pergameno necessitate
cogente {terato scribere velit, aeeipiat lac inponatque pergame-
num per unius noctis spacium 7 quod post quam inde sustulerit,
farre aspersum, ne übt siccari ineipit, in rugas contrahaiur, sub
pressura casiiget quo ad exsiccetur. quod ubi fecerit, pumice cre-
taque expolitum priorem albedinis suae nitorem reeipiet
Wie häufig eine solche Wiederbenutzung des Pergaments
bei den Griechen war, zeigt der von Knittel aufgespürte
Canon 68 der sogenannten Synodus Quinisexta vom J. 691, in
welchem verboten wird, die heiligen Schriften und Kirchen-
väter in solcher Weise zu verderben, diuqi&eLQeiv rj ytaTarifz-
veiv, *al Toig ßißXioxcucrjloig rj toIq l€yo t uivoig ixvqixpoig iq
alfaf) tlvI nQog aqxxvioixbv exdtdovai. Beschädigte Exemplare
sind jedoch von dem Verbote ausgenommen. Dazu giebt Zo-
Palimpseste. 173
naras die Erklärung: Bißhoxa7trjkovg oi xovg xa ßißMa tko-
hovvTag (pr\(3w 6 xavcov, äXlä tovg a7taXelq)0VTag rj y.al älkwg
XQ(o(i.ivovg xolg ßißltoig eig aqxxviG^ibv %6iv kv avxolg ye~
yQccfifAiviov. Vermuthlich benutzten die Biicherkrämer, welche
von den Buchhändlern unterschieden werden, das abgewaschene
Pergament der grofsen Kirchenbücher, um modische Tageslittera-
tur darauf schreiben zu lassen, welche sich besser absetzen liefs.
Ein Scholion des Balsamon aus dem 12. Jahrh. zeigt, dafs
dieselben Verhältnisse auch damals fortdauerten ; er erklärt es
auch für unerlaubt, tI £y, xrjg üeiag yQ<xq>f t g ana'keicpeiv xal
itsqov ev %olg aitCLkzupzvoi fieTayQciq)eiv.
Das Verbot wird wenig geholfen haben, und die ganze
übrige Litteratur war natürlich ohne Schranken einem solchen
Verfahren ausgesetzt. Dazu mufs man in Anschlag bringen,
wie viele Handschriften bei den Kriegen, Aufständen und
Feuersbrünsten beschädigt, und deshalb vermaculirt wurden,
während dieselben Umstände auf die Fabrication des Perga-
mentes ungünstig einwirkten. Daher ist es nicht zu verwun-
dern, und auch gar nicht etwa ein Zeichen besonderer Bar-
barei, dafs, wie Montfaucon angiebt, ein sehr grofser Theil
der griechischen Pergamenthandschriften rescribirt ist. Man
darf nicht vergessen, dafs, wenn für uns auch ein Palimpsest
die letzten Beste eines verlorenen Schriftstellers birgt, damals
doch der Vorrath an Büchern noch grofs genug war, um den
Gedanken, dafs man durch Abwaschung eines schadhaften
Exemplars einen ganzen Schriftsteller vernichte, gar nicht auf-
kommen zu lassen.
Freilich hat auch die wachsende Barbarei ihren Antheil
an dem Werk der Zerstörung, und von den Mönchen von
Grottaferrata war es nicht hübsch, dafs sie eine sehr alte und
werthvolle Bibelhandschrift in Uncialen, etwa des sechsten
Jahrhunderts, selbst wenn sie beschädigt war, rescribirten.
Nachdem das einmal geschehen war, ist es nicht zu verwun-
dern, dafs dieselben Blätter noch einmal nebst anderen Frag-
menten um 1230 zu ihren Chorbüchern verwendet wurden.
174 Die Schrpibgeräthe und ihre Anwendung.
Fast alle ihre Handschriften sind Palimpseste. \i Darunter be-
findet sich auch eine Dias über Pauli Eorintherbriefen. was
ich anführe, um der falschen Vorstellung von einer Feindselig-
keit der Mönche gegen profane Litteratur, und überhaupt von
einer Absicht bei der Zerstörung der Handschriften entgegen
zu treten. Ebenso steht in einer Florentiner Handschrift ein
Sophokles von 129S nebst vier griechischen Briefen Frie-
drichs II auf einer Uncialhandschrift der LXXund einem neueren
theologischen Werke. *i Auch Friedrichs II Constitutiones Si-
culae stehen auf rescribirtem Pergament 3 », und in Messina schrieb
1225 Sophronios ein xlfai.ri'/.ov auf alter Uncialsehrift. 4 j Es
scheint, dafs besonders viele griechische Palimpseste italischen
Ursprungs sind. Montfaucon p. 231 gedenkt auch einer rescri-
birten Handschrift auf Baumwollenpapier; der ursprüngliche
Text ist in Minuskel geschrieben.
In der Wiener Handschrift 954 stehen Briefe des h. Hie-
ronymus saec. VIII über Blättern einer lateinischen Ueber-
setzung der Sprüche Salomonis in Uncialsehrift, etwa des 7. Jahr-
hunderts, und der griechischen Legende vom h. Georg in einer
sehr eigenthümlichen Uncialsehrift, welche Detlefsen ins 5. Jahr-
hundert setzt. 5 ) Der Wolfenbütteler Isidor saec. VII vel VIII
deckt Fragmente des Ulfila mit lateinischer Uebersetzung, des
Galen, und griechischer Evangelienhandschriften.
In einer syrischen Handschrift, welche Cureton ins
neunte Jahrhundert setzt, ist ein Homer in alter Capitalschrift
nebst Euklid und Fragmenten des Lucas verwandt. 6 ) Eine
*) Sacrorum Bibliorum vetustissima fragmenta Graeca et Latina ex
palimpsestis codieibus Bibliothecae Cryptoferratensis eruta atque edita a
Josepho Cozza, Romae 1867. Mit schöner Photographie einer Seite des
rescribirten Isaias, und mehreren Lithographien.
2 i Vier griechische Briefe Kaiser Fridrichs II, herausgegeben von Gu-
stav Wolf, Berlin 1855.
3 ) Montfaucon p. 320.
4 ) Cozza 1. 1. p. 314.
5 ) Detlefsen. über einen griechischen Palimpsest der Hofbibliothek,
Wiener Sitzungsberichte 27, 383 ff.
f ) Fragments of Homer from a Syriac Palimpsest, ed. Cureton 1851;
vgl. Tischendorf, Mon. Sacra Inedita, Nova Coli. II.
Palimpseste. 1 75
andere deckt lateinische grammatische Schriften in Cursive, und
darunter wieder die Uncialschrift des Granius Licinianus.
Im Abendland ist in den letzten Zeiten des untergehen-
den Kömerreiches und den zunächst folgenden Jahrhunderten
sehr viel rescribirt worden. Die Zufuhr von Papyrus mag oft
unterbrochen sein, .auch Pergament war wohl nicht immer zu
beschaffen. Dagegen hatte man noch in grofser Menge die
schönen grofsen Quartanten in einer Schriftgattung, welche
schon anfing unbequem zu werden und aufser Gebrauch zu
kommen, viele davon, wie schon ihre Fehlerhaftigkeit zeigt,
Schaustücke der Bibliotheken und für wirkliche Benutzung
weder bestimmt noch geeignet. Gewifs waren sie grofsentheils
beschädigt, und Tischendorf hat mit Recht darauf hingewiesen,
dafs man noch nie in einem Palimpsest ein vollständiges Werk,
dagegen häufig Fragmente der verschiedensten Art neben ein-
ander gefunden hat. *) So vereinigt in S. Gallen ein Vocabular
saec. IX unter sich Fragmente des Merobaudes, alter Liturgie,
einer Mulomedicina, divinatio ex somniis, und Paulinischer
Briefe. An irgend eine bestimmte Absicht ist dabei nicht zu
denken; wir finden z. B. Lucan über Ovid 2 ) und andererseits
über einer Bibel in Uncialen Theologisches in merowingischer
Schrift. 3 ) Der Neap. Codex Bob. des Charisius und der Pabst-
leben saec. VII steht über Lucan und juristischen Fragmenten,
und auch in einem Wiener Cod. Bob. Grammatisches über Lu-
can 4 ); ebenso über gallicanischen Mefsbüchern, welche im ach-
ten Jahrhundert nach Einführung des gregorianischen Ritus als
tiberflüssig abgeschabt wurden. 5 )
Grammatische Schriften, deren man bei zunehmender Ver-
derbnifs der Volkssprache immer dringender bedurfte, werden
einer der wenigen damals noch gangbaren Artikel der letzten
*) s. auch F. J. Mone, Messen S. 154, Fr. Mone p. 35.
2 ),Ebert S. 79, der mehr Beispiele anführt. Vgl. auch G. F. Haase.
de latinorum codicum subscriptionibus, Ind. lectt hiem. Vrat. 1860 p. 4.
3 ) Kopp, Bilder und Schriften 1, 192.
4 ) Pertz im Archiv 5, 74 — 76 cf. 717.
5 ) Mone, Messen S. 116.
176 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Buchhändler gewesen sein, und auch in den Klöstern wurden
sie ohne Zweifel abgeschrieben; sie bilden nicht selten die
obere Schrift der Palimpsesten. Weit gefährlicher aber waren
doch die so sehr umfangreichen Schriften der Kirchenväter, des
h. Hieronymus, Ambrosius, und Gregors des Grofsen, dessen Mo-
ralia den Veroneser Livius sammt Virgil, .Euklid u. a. *), die
Dialoge Lactanz begraben haben 2 ), während Hieronymus auf
den Resten des Gaius 3 ), Augustins Commentar zu den Psal-
men auf Cicero de Republica eine auserlesene Ruhestatt gefunden
haben. Danken wir es ihnen und ihren geistlichen Schreibern
gerne, dafs sie diese Schriften dadurch vor gänzlichem Untergang
gerettet haben , wenn auch diese Absicht ihnen natürlich ganz
fern lag. Dafs aber die Mönche ihre Kirchenväter höher achteten
als die profane Litteratur, kann man ihnen nicht zum Vorwurf
machen, und es wird doch damals auch in Italien der Vorrath
an Handschriften gewifs noch sehr grofs gewesen sein. Zahl-
reiche profane Schriftsteller verwahrte man mit nicht minderer
Sorgfalt in der Klosterbibliothek zu Bobio ; überhaupt sind ge-
rade Virgil, Ovid, Terenz, gegen deren Leetüre gelegentlich
geeifert wird, in zahlreichen Abschriften vorhanden, und selten
rescribirt. Die ketzerische Bibeltibersetzung der Gothen aber
zu zerstören, wird man sich freilich in Bobio wohl zu beson-
derem Verdienst angerechnet haben. War doch das Kloster ei-
gens zur Bekämpfung der arianischen Ketzerei gestiftet worden.
Begreiflich ist, dafs man den umfangreichen Codex Theo-
dosianus als Palimpsest verwerthete, nachdem er durch den
Justinianeischen überflüssig gemacht war. Einer solchen Hand-
schrift verdanken wir auch Fragmente des alten westgothischen,
durch Chindaswind beseitigten Gesetzbuches. 4 )
*) Livii palimpsestus Veron. ed. Th. Mommsen. Abh. d. Berl. Aka-
demie 1863.
2 ) in S. Gallen, Wiener Sitzungsberichte 50, 153.
3 ) Werke von Hieronymus stehen auch auf dem Berliner Fragment
von Sallusts Historien, auf den von Mone behandelten liturgischen Frag-
menten, dem Plinius von S. Paul, beide aus Reichenau stammend.
4 j Blume, Die Westgothische Antiqua, 1847. .
Paiimpseste. 177
Eine grofse Gefahr drohte der in Neustrien noch vorhan-
denen Litteratur, als König Chilperich vier neue Buchstaben
erfand, und befahl ut sie pueri docerentur ac libri antiquitus
scripti planati pumice rescriberenlur. i ) Doch blieb der Befehl
wohl unausgeführt; wenigstens haben sich keine Bücher mit
diesen neuen Buchstaben erhalten. Gregor von Tours aber
richtet am Ende des zehnten Buches seiner Kirchengeschichte
der Franken an seine Leser die Bitte, ut numquam libros hos
abolere faeiatis aut rescribi.
Die meisten und fast allein werthvollen lateinischen Pa-
iimpseste stammen aus diesen Zeiten des siebenten bis neunten
Jahrhunderts, in welchen man die schönen alten Quartanten mit
ihrem guten und starken Pergament noch in Fülle hatte, deren
Schrift leicht zu vertilgen war, während Pergament vermuthlich
wenig fabricirt wurde. Später hörte das Verfahren freilich
nicht auf, wie wir schon aus der Chronik des Salimbene sa-
hen, aber man radirte gründlicher, und mit den geringen Re-
sten der Schrift ist um so weniger etwas anzufangen, da sie
nicht mehr aus grofsen Capitalen und Uncialen besteht, son-
dern aus Minuskel. Wo man noch etwas erkennen kann, pflegt
sich auch die Werthlosigkeit des zerstörten Textes sogleich her-
auszustellen.
Man brauchte das immer schadhaft gewordene, oft löche-
rige Pergament vorzüglich zu Concepten; so am Ende des
zehnten Jahrhunderts Richer zu seiner Chronik, und ein Jahr-
hundert später Leo von Ostia. Auch unter der Schrift des
Wido von Ferrara erkennt man liturgische Reste. Im 12. Jahr-
hundert fand der Orden der Cistercienser, dafs in ihren Klö-
stern ungleiche und fehlerhafte Bücher im Gebrauch waren,
welche deshalb die Reformatoren des Ordens radebant ac denuo
rescribebant. 2 ) Als 1434 die Statuten von Windesheim revi-
dirt waren, wurde beschlossen, dafs alle libri statutorum pa-
pirei et gut convenienter eorrigi non posstmt, zerstört oder«
! ) Greg. Tur. 5, 45, ausführlich erläutert im Nouveau Traite 2, 62.
2 ) Baluzii Mise. 4, 120 ed. I. Doch bezieht sich das vielleicht nur
auf die fehlerhaften Stellen.
Wattenbach, Schriftwesen. 12
178 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
verbrannt werden sollten. *) Denn Papier liefs sich nicht gut
rescribiren.
Von dem einst seiner Gelehrsamkeit wegen berühmten
Kloster Montecasino hören wir im 14. Jahrhundert, dafs die
Mönche radebant unum quaternum et faciebant psalteriolos quos
vendebant pueris. 2 ) Auch müssen die Notare geneigt gewesen
sein, rescribirtes Pergament zu Urkunden zu gebrauchen, da
ihnen in ihrem Amtseid ausdrücklich das Versprechen abge-
nommen wurde, es nicht zu thun. 3 j Die Permenter hielten
auch dergleichen feil 4 ), und die Wolfenbütteler Bibliothek ver-
wahrt als grofse Seltenheit einen Druck auf rescribirtem Per-
gament. 5 )
Aus der hier gegebenen Darstellung ergiebt sich, dafs für loh-
nende Untersuchung sich unter den lateinischen Palimpsesten fast
ausschliefslich diejenigen eignen, deren obere Schrift Uncialschrift
odervorkarolingischeUebergangschrift ist. Ein vorzüglicher Fund-
ort ist das im Anfang des siebenten Jahrhunderts gestiftete Kloster
Bobio, dessen einst reiche Bibliothek aber leider sehr zerstreut
ist; auch sind in späterer Zeit kostbare Codices zum Einbin-
den verbraucht. Die Handschriften, welche oft noch die Be-
zeichnung Liber S. Columbani tragen, befinden sich jetzt in Mai-
land, Rom, Neapel, Turin, Pavia, Wien. 6 ) In der Bibliothek
J ) Anzeiger des Germ. Mus. 1867 Sp. 236.
2 ) Benevenuti Imol. Comment. ad Dantis Parad. Cant. XXII.
3 ) s. oben p. 98. Doch bemerkt Peyron, dafs die Bobienser Urkun-
den alle auf reinem Pergament sind.
4 ) das oben p. 85 erwähnte fliefsende Pergament der Erfurter Händ-
ler scheint solcher Art gewesen zu sein.
5 ) Knittel 1. 1. p. 525. In Modena ist eine Schrift von Petrarca saec.
XVI, die juristische Palimpsesten enthält, doch, wie es scheint, nicht älter
als das 12. Jahrh. Blume, Iter Ital. 2, 16.
6 ) Eine Geschichte dieser Bibliothek giebt Am. Peyron vor seiner Aus-
gabe der Ciceron. Fragmente, Stuttg. 1824; vgl. Blume, Iter Ital. 1, 54 bis
62. 3, 62. 4, 24. Nach Bethmann's Vermuthung stammt von dort auch der
Cod. Sessorianus 55 aus Nonantula, welcher eine Lage des Plinius unter
Sermonen des h. Ambrosius in später Uncialschrift enthält. Berichte de
Berliner Akad. 1853, S, 684 f.
Palimpseste. 1 79>
des Domcapitels zu Verona ist der Gaius und ein Theil des
Livius *) ; andere weit zerstreute sind von unbekannter Herkunft,
das Berliner Sallustfragment in Toledo gefunden.
Die angenehmsten sind ohne Zweifel diejenigen Palim-
pseste, auf welchen die ältere Schrift nur abgewaschen oder
leicht mit Bimstein abgerieben und durch die Wirkung der
Zeit wieder zum Vorschein gekommen ist. Solcher Art ist
der von Cureton gelesene Homer. In den meisten Fällen aber
ist ohne die Anwendung von Beagentien nichts oder doch
nicht genug zu erreichen. Diese sind verschiedener Art, und
weil die Dinte selbst verschieden ist, wirkt nicht in allen
Fällen dasselbe Mittel, zuweilen gar keins. Auf der glatten
Haarseite ist durch solche Mittel viel zu erreichen, weniger
auf der lockeren und schwammigen Fleischseite, von welcher
die Beste der Schrift gründlicher vertilgt sind. 2 ) Es kommt
aber auch vor, dafs deutlich sichtbare Dintenreste gegen alle
unsere Beagentien unempfindlich bleiben, und namentlich ist
das bei griechischen oft der Fall ; jedoch nicht immer. Tischen-
dorf wendet mit Erfolg chemische Mittel an, hat sie aber, so
viel ich weifs, nicht näher bezeichnet.
Am frühesten hat man Galläpfeltinctur angewandt, welche
nur mäfsig wirkt, dem Pergament aber nicht schadet. 3 ) Da-
gegen hat sie die Eigenschaft, dasselbe braun zu färben, und
wenn man nachträglich auch noch Versuche mit anderen Tinc-
turen macht, wird es ganz schwarz. Als Knust den schon von
den alten Benedictinern behandelten Codex des Hieronymus
de viris ill. und Gennadius, welcher die Fragmente der west-
gothischen Antiqua enthält, wieder untersuchte, fand er ihn so
gebräunt, dafs viele Stellen unlesbar waren. 4 ) Den berühmten
*) auch Homilien saec. VI unter einer Schrift des Isidor saec. VIII.
Probe bei Sickel, Mon. Graph. 1, 2. Nach Frid. Mone's Vermuthung ist
der jetzt in S. Paul befindliche Palimpsest des Plinius von dort nach
Reichenau gekommen.
2 ) s. darüber Blühme in der unten angef. Rec. von Ebert's Buch p. 94.
95. Auch Tischendorf kommt oft auf diesen Unterschied zurück.
3 ) Ein Recept giebt Chassant p. 6& u. a.
4 ) Die Westgoth. Antiqua ed. Blume p. II.
12*
180 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
Codex Alexandrinus fand Tischendorf 1 ) durch Anwendung von
Tinctur, wahrscheinlich durch Junius, an maischen Stellen
braun und schwer lesbar gemacht. In demselben Zustand be-
findet sich das letzte Blatt des Heidelberger Otfrid. Wie der
Veroneser Gaius aussieht, ist leider nur zu bekannt. 2 ) Die von
Angelo Mai behandelten Codices sind so schwarzbraun, dafs
man ihm nachgesagt hat, er habe sie absichtlich verdorben,
damit man ihm keine Fehler nachweisen könne, doch ist dieser
Vorwurf wohl unbegründet. Thatsächlich aber ist der Ambros.
Palimpsest des Plautus naeh Ritschis Beschreibung gefleckt
wie ein Pardel, und um so desolater, weil schon die neuere
Dinte durchgefressen hat, und viele Blätter einem Siebe
gleichen. 3 ) Jos. Cozza 4 ) sagt von dem Codex der Ilias, unter wel-
cher sich ein byzantinischer Historiker und Fragmente der
Korintherbriefe befinden, benutzt von A. Mai Spicil. Rom. II,
Spec. III, dafs er fast alle Hoffnung aufgegeben habe, cum lotlo
ckemica adeo efficax adhibita fuerit, ut membrana laut corrodi
comperiatur. Gegen das Licht gehalten, liefs sich jedoch die
Schrift noch erkennen. Von dem Cod. Vat. lat. Pal. 24, wel-
cher unter einer Vulgata saec. IX. eine griechische Receptirkunst
saec. VII. enthält, in welcher Niebuhr irrig arabische Ziffern zu
sehen glaubte, schreibt Herr Prof. Spezi : Le pagine del codice son
molto nere, perche certamente ü Mai le ha toccate con gli
acidi. 5 ) Aehnliche Verwüstungen hat in München Docen durch
seine übrigens sehr verdienstlichen Untersuchungen angerich-
tet. 6 ) So fand auch Th. Mommsen die von ihm herausgege-
*) Appendix codicum celeberrimorum etc. 1S6S.
-) s. darüber Rudorff in den Abhandlungen der Berl. Akad. IS65
p. 339. Danach scheint dieses schöne Resultat nur durch Galläpfel er-
reicht zu sein.
3 ) Vgl. darüber Studemund im Rhein. Mus. N. F. 21, 574 ff. Ein
solches Durchfressen der Dinte kommt zu allen Zeiten hin und wieder vor.
Studemund beschreibt p. 575 ein neues, von ihm sehr empfohlenes chemi-
sches Mittel.
4 ) Sacrorum Bibliorum Fragmenta p. 332.
5 ) bei Cantor, Mathematische Beiträge S. 386.
6 ) s. Keinz, Altdeutsche Denkmäler, in den Sitz -Ber. d. Münch. Akad.
1869. II, 3, 297.
Palimpseste. 181
bene Zeitzer Ostertafel durch Anwendung von Reagentien ver-
dorben, und Pevron hat in Turin eine Historia Alexandri
Magni in alter Cursive, welche auf Fragmenten des Codex
Theodosianus stand, ganz zerstört. Bethmann fand den Pa-
limpsest des Plinius aus Nonantula theilweise durch Galläpfel-
tinctur gebräunt, und wo später auch Giobertische Tinctur an-
gewandt war, unlesbar. ')
Es ist daher sehr gerechtfertigt, wenn Ebert p. 83 zur
Vorsicht bei der Anwendung von Reagentien mahnt; er warnt
dringend vor der Anwendung der Galläpfeltinctur, welche auch
im Wolfenbütteler Prosper eine fortlaufende braune Fläche her-
vorgebracht hat. Dagegen empfiehlt er Schwefelleber, und
theilt dasRecept nachPertz im Archiv 5, 512 mit. Fr. Bluhme
dagegen in der Recension dieser Schrift in der Hall. Allg.
L.-Z. 1826. Bd. 2, 89—99 vertheidigt die Galläpfeltinctur,
welcher auch A. Mai sich immer bediene, eine Empfehlung
freilich, die jetzt wenig Gewicht mehr hat, auch wohl der Wirk-
lichkeit nicht entspricht. Nach einigen bemerkenswerthen Be-
merkungen über seine eigenen Erfahrungen mit Palimpsesten
und die zweckmäfsigste Art des Verfahrens, wirft endlich
Bluhme die Frage auf, ob man denn wisse, wie nach längerer
Zeit die Schwefelleber wirke? Man mtifste das jetzt wohl
constatiren können, und es wäre in der That sehr wünschens-
werth, eine genaue Statistik über die Wirkung aller dieser
Mittel zu besitzen.
Niebuhr 2 ) und Mone (Messen S. 165) empfehlen Hydro-
sulphureum potassae oder Schwefelkalium. Vorzuziehen ist je-
doch Schwefelammonium, weil es flüchtiger ist. Ganz beson-
ders wirksam aber ist Giobertische Tinctur (blausaures Eisen-
kali), oder eine Mischung beider. Da ich jedoch weder Expe-
rimente gemacht habe, noch chemische Kenntnisse besitze, so
verweise ich nur auf die Recepte und Anweisungen bei Ebert
») Berichte der Berl. Akad. 1S53 S. 68G. Schon früher sagt A. Mai
im Spicil. Rom. 5, 239 : Hanc partem nescio quis parum peritus caeruleo
medicamento dum vult declarare infuscavit.
2 ) Cieeronis Orationum Fragmenta, Romae 1820, p. 11.
182 Die Schreibgeräthe und ihre Anwendung.
S. 230 (wo aber S. 231 Z. 5 statt Stunden zu lesen ist Secun-
den) nebst Bluhme's Bemerkungen dazu, und Frid. Mone p. 39.
40. Besonders genau beschreibt G. H. Pertz „Ueber ein Bruch-
stück des Livius" das Verfahren, und ich habe das in der That
schöne Resultat selbst gesehen. Ich habe aber das zwischen
Glasplatten verwahrte Pergamentblatt auch später gesehen, und
siehe! es war dunkelblau geworden. Ich habe es noch später
wiedergesehen, und es fing an in Staub zu zerfallen. Von
dem Cod. Ephr. Syri erwähnt Tischendorf 1 ), dafs er durch
Giobertische Tinctur verdorben sei.
Bei der Behandlung des Granius Licinianus wählte Karl Pertz
Schwefelammonium als das beste Mittel, da es et valde efficax
sit neque tarnen membranas laedat. Giobertische Tinctur hatten
die Vorsteher des British Museum sich verbeten. Wenig Jahre
später habe ich die Handschrift gesehen: sie ist vollständig zu
Grunde gerichtet. Man kann leider wohl mit Wahrheit sagen,
dafs durch die gelehrten Experimente der neuesten Zeit in Ver-
hältnifs zu dem vorhandenen Vorrath mehr kostbare Handschriften
verdorben sind, als durch die vielgescholtenen . alten Mönche. 2 )
Welches ist denn nun die Schlufsfolgerung, zu welcher
wir auf diesem Wege gelangen? Sollen gar keine chemische
Mittel angewandt werden? Das verlangt Knittel p. 219, weil
dadurch die Autorität des Codex leide. Kann man ohne die-
selben leidlich auskommen, so ist das gewifs vorzuziehen, und
es ist unverantwortlich, Reagentien anzuwenden, wo Ausdauer
und gute Augen genügen; aber in vielen odqr vielleicht den
meisten Fällen würden wir dadurch in die Lage des Tantalus
gerathen, und nichts gewinnen. Glücklicher Weise ist in-
zwischen die Photographie so vervollkommnet, dafs das für
einen Moment glücklich erreichte Resultat vollständig fixirt
werden kann. Hat man für dieses Hülfsmittel in zureichender
Weise gesorgt, dann, aber auch nur dann, mag die Zukunft
des Codex geopfert werden, wenn ein erheblicher Gewinn in
') Prolegg. ed. VE. N. T. p. CLL
2 ) Auch die letzten Seiten des Vocabularius S. Galli sind durch Rea-
gentien fast unlesbar gemacht, nach E. Sievers in Haupt's Zeitschrift 15, 120.
Palimpseste. 183
Aussicht steht. Unter anderen Umständen scheint es mir nach
den bisherigen Erfahrungen durchaus nicht rathsam, die An-
wendung dieser gefährlichen Säfte zu gestatten, oder sie hinter
dem Rücken des Eigenthümers sich zu erlauben.
Eine eigenthümliche Art von Palimpsesten ist durch betrü-
gerische Manipulationen entstanden. Solcher Art ist ein Privileg
für das Bisthum Triest von Berengar im Wiener Staatsarchiv *);
sieht man es genauer an, so findet man, dafs unter dem schlecht
geschriebenen Text ein anderer gestanden hat, der vollständig
ausradirt ist. Das Siegel ist echt, aber der Rand mit der Um-
schrift abgebrochen; das Bild gehört Karl dem Dicken an.
Man hat also das nach dem Umschwung der Verhältnisse nicht
mehr gültige Privileg auf solche Weise den neuen Verhältnissen
anzupassen versucht.
Aehnlicher Art ist eine Urkunde Heinrichs III von 1054
(Stumpf 2447) in München, wo Eingang nebst Unterschrift ste-
hen geblieben sind, der ganze Text aber umgeschrieben
ist. Gleiches vermuthet Grünhagen 2 ) von einer Trebnitzer Ur-
kunde von 1243, und der Rath der Stadt Brieg fing 1378 einen
Fälscher, welcher einen Brief der Stadt Oppeln in solcher
Weise rescribirt hatte. 3 )
Die Urkunden der Abtei von Vaux-en-Ornois im Tuller
Sprengel sind ganz abgekratzt und im 17. Jahrhundert neu
geschrieben. 4 )
Auch Schriftsteller hat man in dieser Weise neu zu verferti-
gen versucht, so die angebliche Ergänzung des fehlenden An-
fanges und anderer Lücken von Cicero de Fato. 5 ) Ein Origi-
nal davon ist, soviel ich weifs, niemals vorgelegt, wohl aber
von Constantin Simonides der sehr umfangreiche Palimpsest
des Uranios, welcher selbst die gelehrten Berliner Akademiker
') erwähnt von Pertz, Archiv 4, 172.
2) Cod. Dipl. Silesiae 7, 190.
3 ) Cod. Dipl. Silesiae 9, 58.
4 ).Bibl. de Y&cole des Chartes 5, 3, 126.
5 ) s. Ritschi im Rhein. Museum 1854 p. 469 — 477
184 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
anfangs irre führte : freilich hatte wohl niemand von ihnen griechi-
sche Capitalschrift gesehen, oder doch nicht mit ihr sich beschäf-
tigt. Es fand sich jedoch bei genauerer Prüfung, dafs die
blasse Dinte der vorgeblich ältesten Schrift die schwarzen Züge
der jüngeren Minuskel überdeckte, was mit rechten Dingen
nicht wohl zugehen konnte. 1 )
IV.
Weitere Behandlung der fertigen Hand-
schrift.
1. Kritische Behandlung.
Bei gedruckten Büchern genügt eine Correctur für alle
Exemplare einer Auflage; bei Abschriften dagegen mufs jedes
einzelne Exemplar collationirt und corrigirt werden. So lange
nun bei lebhafter Nachfrage zahlreiche Exemplare eines Wer-
kes in der Weise angefertigt wurden, dafs viele Schreiber gleich-
zeitig einem Dictate folgten, ist es begreiflich, dafs diese
mühsame Arbeit oft unterblieb oder doch nur nachlässig aus-
geführt wurde. 2 ) Eine grofse und zunehmende Fehlerhaftig-
keit mufste die Folge davon sein, und schon Cicero klagt ad
Quintum fratrem ep. 2, 5 : de latinis vero quo me vertam nescio ;
ita mendose et scribuntur et veneunl. Dieselbe t Klage hören
wir von Strabo (13, 1 p. 419) in Bezug auf griechische Hand-
schriften, da wo er von den Schriften des Aristoteles handelt:
xal ßißXi07ttohai riv£Q yQCttpevoi (pavkoig XQ°*l Ä€VOt ' *°^ ovx
avxißaXlovTsg , 07teQ xal enl tcqv akkcov avfißaivei twv elg
Ttgaöiv yQcccpofiiivcov ßißlicov xal ev&ade xal ev *AXe1*(xvdQeL<jt
Die ßichtigkeit dieser Bemerkungen können wir noch jetzt
*) s. d. Bericht von Lepsius in der Augsb. Allg. Zeit. 1856 Feb. 11.
S. 663.
2 ) In Bezug auf das römische Alterthum in dieser Hinsicht s. Becker-
Marquardt 5, 2, 404 ff.
i
Kritische Behandlung. 185
bestätigen, da gerade die ältesten Handschriften sehr fehler-
haft sind, und vorzüglich die kalligraphisch am schönsten aus-
geführten; z. B. der berühmte Codex Vat. 1209 der Bibel.
A. Mai bemerkt in der Vorrede seiner Ausgabe des Cic. de Rep.,
dafe gerade die prächtigsten Capitalhandschriften die fehler-
haftesten sind. Zum Theil mag hier der Umstand mitwirken,
dafs es eben nur kalligraphische Schaustücke waren. Wie viel
Mühe gelehrte Freunde und Kenner der Litteratur sich gaben,
correcte Exemplare zu bekommen, zeigen uns manche Stellen
in Cicero's Briefen. Man hatte oder besorgte Normal-Exemplare,
durch deren Benutzung dem Verderben immer wieder Einhalt
gethan werden konnte.
Die sorgfältigste kritische Behandlung alter Schriftsteller
war in Alexandria heimisch, und dort erfand man auch die
kritischen Zeichen, welche in einigen Handschriften noch er-
halten sind; s. darüber Osann, Anecdotum Romanum de notis
veterum criticis, Gissae 1851. Auch die Interpunctionen, Spi-
ritus und Accente stammen von den alexandrinischen Gelehr-
ten, finden sich aber in den uns erhaltenen ägyptischen Hand-
schriften nicht durchgeführt. In dem Bankes'schen Fragment
der Hias sind sie theilweise von dem Besitzer hinzugefügt. Der
Gebrauch beschränkte sich augenscheinlich auf die Hand-
exemplare der Grammatiker, und auch da wandte man die
Zeichen nur an, wo ein Irrthum, eine falsche Lesung zu befürch-
ten war. Allgemein ist der Gebrauch derselben erst viel spä-
ter geworden.
Der Ilias vorzüglich wurde die gröfste Sorgfalt gewidmet;
später nahmen die heiligen Schriften der Christen dieselbe
kritische Kunst in Anspruch. Origenes versah auch diese mit
kritischen Zeichen, welche sich im Colb. 3084 und anderen
Fragmenten des Oktateuch finden, s. Montf. p. 188 und Tischen-
dorf, Coli. Nova III p. XV— XVII. Ein sehr eifriger Vereh-
rer des Origenes, Ambrosius, hielt ihm eine Menge von Schrei-
bern, um seine Erklärung der h. Schriften sich zu verschaffen,
und Origenes war nun durch die Collation der Abschriften so
in Anspruch genommen, dafs er weder zur Mahlzeit noch zum
186 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Spaziergang Zeit behielt: ovre ydg deiTtvfjoat eaxiv r^itv dvri-
ßdkXovaiv ovre deiTtvrjoaoiv 7tEQi7tarrjoai xal dtavaTtavoai id
acofiaxa, dXkd nal ev xolg xaigolg exeivoig (piXoaoq>elv xcct
äxQißovv rd dvzlyqaya dvayxat ) 6(jLed'a. x )
An die kritische Arbeit des Origenes knüpften Pamphilus
und Eusebius an, und stellten Normal-Exemplare her. Nach
dem von ihnen berichtigten, kritisch bearbeiteten und beglau-
bigten Exemplar der Propheten war die Abschrift des Abts
Apollinarius gefertigt, deren Copie uns in dem Codex Claro-
montanus, jetzt Vat. 2125 erhalten ist, welcher nach dem frü-
heren Besitzer auch Cod. Marchalianus genannt wird, in Un-
cialschrift etwa saec. VII. 2 ) Mit dem Exemplar des Pamphi-
«lus in Caesarea ist der Cod. Coislin. der Paulinischen Briefe
(Cod. H) collationirt.
Da diese Bücher zum öffentlichen Vorlesen bestimmt waren,
schrieb man sie häufig nach dem Vorgang des alexandrinischen
Diaconus Euthalius orixrjQÖg oder per cola et commata, d. h.
nach den Satztheilen abgesetzt, und versah sie auch mit Spi-
ritus, Accenten und Interpunctionen. Ein solches Exemplar,
welches vom h. Basilius stammte, erwähnt Georgius Syncellus
p. 203 bei seinen Untersuchungen über die Regierungsjahre
der jüdischen Könige : ev evl de dvTiyqdqn$ Xlav rjitQißajfxivq)
xazd T€ ariyfxrjv xal TZQOOtpölav Ix rfjg ev Kaiaagela rijg
KccTtTtadoxiag ekd-ovxi eig ifie ßißlio&TJKrjg, ev $ xal eneyi-
yqanxo e5g 6 fiiyag xal &eiog BaatXeiog xd e% wv enelvo drce-
yQayrj, dvTißalwv dicjQ&ciaaxo ßißkla . . . . 3 ) Ueber grofsen
Mangel an Schreibern in Kappadokien klagen sowohl Basilius
wie sein Bruder Gregor von Nyssa; letzterem gelang es nach
*) Georg Cedrenus 1, 444 ed. Bonn.
2 ) s. Montf. Pal. p. 40. Jos. Cozza, Bibliorum Fragmenta, p. XXXII ff.
Der von Cozza herausgegebene Palimpsest ist auch durch sorgsame kritische
Behandlung ausgezeichnet, und enthält auf dem Rande eine im 9. oder
10. Jahrh. zugeschriebene lat. Uebersetzung, und stellenweise eine zweite
mit der Bezeichnung G. GR. oder IN GR. d. h. in Graeco. Aber etwa im 11.
Jahrhundert ist alles abgewaschen.
3 ) dafs man im vierten Jahrh. solche Handschriften hatte, geht auch
aus Epiphanius nsgi [Airgtov xcti arad-fjuav hervor.
Kritische Behandlung. 187
vielem Suchen, dafs ihm endlich o re yqctffiov xal 6 doy.tf.iaCo)v
ra yeyQafifjLiva zu Gebote standen. l )
Indem ich nun für die genauere Verfolgung dieses Gegen-
standes auf die Schriften von Hug und Tischendorf verweise,
gedenke ich, nur noch der Ermahnung des Syrers Ephraim (f 378)
an die Mönche, welche heilige Bücher abschrieben, Paraen. 48 :
TtXijv [irj did(JTQ€(pe &elovg koyovg .... oval T(f> tioiovvxi ravra'
Ttd-rjai ydg oxdvdaXa \pv%u)v 6 toiovtoq.
Sehr häufig sind in griechischen Handschriften seit den
frühesten Zeiten Verwechselungen derVocale und Diphthonge,
welche eine Folge der Aussprache waren, weil man in dieser
keinen Unterschied mehr machte. Uebrigens aber sind die griechi-
schen Handschriften correcter als die lateinischen, und die Ab-
schreiber waren wohl nie so unwissend wie viele abendländi*
sehe, welche ihren Text gar nicht verstanden.
Wenden wir uns nun wieder den lateinischen Schrei-
bern zu, so begegnet uns zunächst ein merkwürdiges Zeugnifs
des h. Hieronymus in einem Briefe an Lucinius 2 ): Opuscula
mea .... ad describendum hominibus tuis dedi, et descripta vidi
in chartaeeis codieibus, ac frequenter admonui ut conferrent di-
ligentius et emendarent. Ego enim .... relegere non potui ....
Unde si paragrammata repereru vel minus 3 ) aliqua descripta
sunt, quae sensum legentis impediani, non mihi debes imputare,
' sed tuis et imperiiiae notariorum librariorumque ineuriae, qui
scribunt non quod inveniunt, sed quod intelligunt 1 et dum alienos
errores emendare nituntur, ostendunt suos. 4 )
Mit dem zunehmenden Verfall der Bidung und Sprache
wächst natürlicher Weise auch die Fehlerhaftigkeit der Hand-
schriften. Dadurch wurden zahlreiche Schriften von Grammati-
*) bei Zaccagni, Collectanea Mon. vett. p. 382. Basilii Opera 3, 227
ed. Maur.
2 ) ep. 71. Vol. 1, 431 ed. Vallars.
3 ) sie! ob ftiifins rede?
4 ) Ganz ähnlich klagt Leon. Aretinus ep. 2, 13 ed. Mehus über seine
Verrinen : qui enim corrigere voluit eas platte corrupit, und bittet den ur-
sprünglichen Text abschreiben zu lassen.
188 Weitere Behandlung äe\ fertigen Handschrift.
kern de orthographia veranlafst, welche Cassiodor in seiner
Schrift über diesen Gegenstand excerpirte. Schon die Titel wei-
sen auf die in den Handschriften dieser Zeit häufigsten Ver-
wechselungen, wie Martyrius de B muta et V vocali, Eutiches
de aspiralione. 1 ) Mit dem H kohnten namentlich die Italiener,
da sie es nicht aussprachen, schwer in Ordnung kommen, und
fortwährend findet es sich in ihren Abschriften weggelassen,
oder gesetzt wo es nicht hingehört. Aus demselben Grunde
beginnt man michi und nichil zu schreiben, was bald allgemein
üblich, und noch von- Leonardus Aretinus in einem eigenen
Briefe an den Grammatiker Antonius vertheidigt wurde.
Dieser verwahrloste Zustand der lateinischen Handschriften
veranlafste vom vierten bis zum sechsten Jahrhundert eine An-
zahl eifriger Freunde der alten Litteratur, sich der Verbesse-
rung derselben zu unterziehen. Es sind grofsentheils vornehme
Leute, unter welchen die Familie der domni Symmachi beson-
ders hervortritt. Sie sind Anhänger der alten Philosophie,
'heftige Gegner des Christenthums, und wenn sie auch zuletzt
äufserlich demselben sich fügen, so bleibt ihr Herz doch bei
den alten Heiden. Sie sind es, denen wir die dem Mittelalter
tiberlieferten Texte grofsentheils verdanken ; die Zeugnisse da-
für sind zu entnehmen aus den Subscriptionen, welche im
Original oder mit dem Text abgeschrieben uns tiberliefert sind.
Aus ihnen sind diese merkwürdigen Ergebnisse mit dem gröfs-
ten Scharfsinn entwickelt und dargestellt von Otto Jahn in
,- seiner Abhandlung: Ueber die Subscriptionen in den Hand-
// Schriften römischer Classiker. 2 ) Zuweilen findet sich die aus-
drückliche Bemerkung, dafs sie keine correcte Copie als Mu-
ster hatten, und bei der Emendation sind sie ziemlich wilktir-
lich verfahren. Diese ganze Thätigkeit hängt zusammen mit
rfc^jifcv*'
*) Viele Verwechselungen von Vocalen und Consonanten sind zusammen-
gestellt von E. Ranke aus dem von ihm herausgegebenen Cod. Fuld. saec.
VI. p. XXVII —XXIX. Die Irländer haben namentlich auch später noch
eine sehr fehlerhafte Orthographie.
2 ) Berichte über die Verhandlungen der k. sächs. Ges. d. Wiss. Philol.
hist. Cl. III, 327. 1851.
Kritische Behandlung. 189
'o
den Schulen der Rhetoren oder Grammatiker, welche man
auch Philosophen nannte, in welchen eine geheime Opposition
gegen das Christenthum noch lange fortlebte. Daraus entstan-
den die Fabeln von Virgil als Zauberer, und die Anklagen
gegen Grammatiker, dafs sie alles für wahr hielten, was sie
in den heidnischen Schriftstellern läsen, und noch an die alten
Götter glaubten. *)
Die Bemühungen jener Männer nun sind nicht ohne Frucht
geblieben; noch jetzt geniefsen wir die wohlthätigen Folgen
derselben. Zunächst aber konnten sie der eingerissenen Ent-
artung um so weniger Einhalt thun, als die^Zeiten der ärgsten
Barbarej noch erst bevorstanden. Ein merkwürdiges Zeugnifs
dafür und ein Zeichen wieder beginnender Kritik finden wir
in dem 825 geschriebenen Werke des Dicuil de mensura or-
bis terrae (ed. Parthey 1870), wo es im Prologe heifst: . ... et
guod exemplaria codicum iiaturalis historiae Plinii Secundi quae
scrutatus fui, nimis a scriptoribus ultimorum temporum dissipata
praevidi. Sermones quidem prucdictorum missorum, quia nimis
vit/ose scripti sunt, quantum potero corrigere curabo. At übt in
libris Plinii Secundi corruptos absque dubio numeros ßeri cog-
novero, loca eorum vacua Interim fore Jaciam, ut, si non inve-
nero certa exemplaria, quicumque reppererit emendet. nam ubi
dubitavero utrum certi nee ne sint numeri, sicut certos crassabo,
ut praedictus quisquis veros viderit veraciter corrigat.
Hier begegnet uns schon das kritische Streben der karolingi-
schen Zeit ; die Thatsache aber der unglaublichen Verwilderung
sehr vieler Handschriften des 7. und 8. Jahrhunderts ist auch
durch die noch jetzt erhaltenen bezeugt. Doch findet sich in
dem durch Gelehrsamkeit ausgezeichneten Kloster Corbie in
einem Uncialcodex von Augustin de concordia öfter die Be-
merkung relegij und im Livius saec. VIII. ? % ecognobi. 2 ) Allein
*) s. darüber W. Giesebrecht de litterarum studiis apud Italos primis
medii aevi saeculis. Berol. 1845. 4.
2 ) L. Delisle in den Mem. de l'Institut 24, 279.
190 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
was half ein Corrector, der unterzeichnete : Ego Alprat och li-
brum emendarem! 1 )
Als durch Karl den Grofsen ein neues wissenschaftliches
Leben geweckt wurde, empfand man sogleich diesen Mangel;
natürlicher Weise waren es zunächst die kirchlichen Bücher,
für deren Correctheit Sorge getragen wurde. Das Capitulare
von 789 verordnet c. 71: Psalmos, notas cantus, compolum y
grammaticam per singula monasteria vel episcopia (discant) et
libros catholicos bene emendatos (habeant) ; quia suepe dum bene
aliqui deum rogare cupiunt, sed per inemendatos libros male ro-
gant. Et pueros vestros non sinite eos vel legendo vel scribendo
corrumpere. Et si opus est eva?igelium, psalterium et missale
scribere, perfeclae aetatis homines scribant cum omni diligentia.
Wieder schrieb Alcuin, wie einst Cassiodor, ein Buch de or- /s$.
thograpkia, und bald machen sich auch die guten Folgen be-
merklich. Der Bischof Baturich von Regensburg liefs verschie-
dene Werke für sich abschreiben, unter dem 823 geschriebenen
Commentar Augustins zum Johannesbrief steht 2 ): Librum hunc
pro remedio animae ego in dei nomine Baturicus episcopus c qd
Franchonofurt scribere praecepi. scriptus est aulem diebus Sep-
tem et in octavo correctus in loco eodem anno septimo episcopa-
tus mei et octingentesimo XXIII® dominicae incarnationis. scrip-
tus autem per Ellenhardum et Dignum Hildoino orthografiam
praestante.
Die Gesetzgebung hatte nur um die Kirchenbücher sich zu
kümmern, aber in allen Handschriften finden wir zunehmende
Correctheit, und auch die Schriften der Zeit zeigen uns Be-
schäftigung mit kritischen Fragen. Da nun nach der Reform
der Schrift die alten Manuscripte bald in neuer Gestalt ver-
vielfältigt wurden, traten an die Schreiber schwierige Aufgaben
*) in der häufigen Geheimschrift, in welcher dieVocale durch die fol-
genden Consonanten vertreten werden: fgp blprbt pch lkbrxm fmfhdbrfm.
Gregor's Pastorale in einem Cod. aus Weihenstephan saec. VIII. Aretin's
Beiträge 7, 286.
2 ) MaCsmann, Abschwörungsformeln p. 51 n. und in Mone's Anzeiger
1, 31. Correcter bei Dümmler, Gesch. des Ostfränk. Reiches 2, 693.
Kritische Behandlung. • 191
heran, welche in verschiedener Weise gelöst wurden. Es gab
fortwährend noch Schreiber, welche nur mechanisch nachahm-
ten, ohne von der Vorlage etwas zu verstehen. Diese haben
sehr fehlerhafte Producte geliefert, welche aber häufig von be-
sonderem Werthe sind, weil wir bei ihnen sicher sind, dafs sie
keine willkürliche Aenderungen vorgenommen haben. Viel
schlimmer sind die HalbWisser, über welche schon Hieronymus /fö
in der oben angeführten Stelle klagt. Da die älteren Vorlagen
gar keine oder doch nur unvollkommen durchgeführte Wort-
trennung darboten, so hatten sie zunächst diese oft schwierige
Operation vorzunehmen, und haben dabei viele Fehler gemacht.*)
Dazu kam die Undeutlichkeit der Uebergangschriften, welche
den Abschreibern nicht mehr geläufig waren. Hatte der erste
Schreiber einen häufig unverständlichen Text zu Stande ge-
bracht, und sich begnügt, wirkliche oder scheinbare Wörter
herzustellen, ohner um den Sinn sich zu bekümmern, so corri-
girte später ein anderer die Handschrift, machte Emendationen,
und eine neue Abschrift lieferte einen lesbaren Text, der aber
von dem Original sehr verschieden sein kann. Ein Beispiel
gewährt die am Anfang des 6. Jahrh. geschriebene Vita Seve-
rini, deren älteste, um Jahrhunderte später entstandene Ab-
schriften einen so fehlerhaften Text geben, wie wir ihn dem
Verfasser nicht wohl zutrauen können. Handschriften des
12. Jahrh. bieten dagegen eine recht glatt lesbare Legende,
deren Ursprtinglichkeit in dieser Gestalt aber sehr zweifelhaft
ist. Lehrreich für diese Vorgänge ist auch, was Bethmaun in
Pertz' Archiv 7, 274 ff. über die Textgeschichte des Paulus
Diaconus mittheilt.
Vorzüglich klar liegt das Verhältnifs bei der Vita Thie-
monis vor Augen, welche im Anfang des 12. Jahrh. ziemlich
kunstlos geschrieben ist. Wir finden den Text im Admunter
s
*) Beispielsweise führe ich den Wiener Cod. 107 saec. X. des Juvenal
an, und aus den von A. Goebel, Sitz.-Ber. 20, 39 gesammelten Stellen:
heumis erit raducimur statt heu miseri traducimur. Mit willkürlicher Aen-
derung verbunden habetur corum populo statt ab etruscorum populo im
Paulus D. bei Bethmann im Archiv 7, 289.
/
192 . Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
und Heilsbruner Codex, in beiden aber von zweiter Hand sorg-
fältig verbessert, und von jedem ist nun wieder eine neue Ab-
schrift des corrigirten Textes gemacht, der Niederaltaicher und
Vorauer Codex, welche schon ziemlich weit aus einander ge-
hen. Wären zufällig nur diese beiden erhalten, so würde
die Kritik sehr schwierig sein. In diesem Falle handelt es
sich freilich nur um stilistische Aenderungen, wie sie gerade
bei Legenden häufig vorkommen, weil sie eben zum Vorlesen
bestimmt waren. In solcher Art ist auch die Passio SS. IV.
Coronatorum tiberarbeitet. Nicht immer aber war man so gewissen-
haft, wie in S. Gallen, wo man neben der modernen Bearbei-
tung das Leben des Stifters in der ursprünglichen Form un-
verändert aufbewahrte.
Bei gewichtigeren Texten erlaubte man sich ein solches
Verfahren nicht; man sah sich auch im Mittelalter nach au-
thentischen Exemplaren um, und setzte Varianten mit der Be-
zeichnung «/. an den Rand, oder mit vel über das betreffende
Wort, machte nicht selten auch ausführlichere Bemerkungen
darüber.
Vorzüglich wurde natürlich den heiligen und kirchlichen
Büchern grofse Sorgfalt zugewandt, später auch den juristischen
Texten. Denn bei den alten Handschriften der Volksrechte ist
es auffallend und schwer begreiflich, wie viele grobe Fehler
darin ohne irgend eine Verbesserung zu finden sind.
Ein merkwürdiges Beispiel sorgfältiger Kritik gewährt uns
der Brief, welchen um 820 Grimald und Tatto an ihren Leh-
rer Reginbert nach Reichenau schickten, mit einer Copie der Regel
S. Benedicts nach einer Abschrift seines Autographs. Da heifst
es*j: lila ergo verba quae supradictus pater secundum artem,
sicut nonnulli autumant, in contextum regulae huius non inseruit,
de aliisregulis a modernis eorrecth jnagistris colleximus } et i?i campo
paginulae e regione cum duobus pimctis inserere curammus. Alia
etiam quae a Benedicto dictata sunt et in neotericis mininie in-
*) B. Pez, Thes. 6, 1, 73. Obeli finden sich im Berliner Cod. Theol.
lat. fol. 53.
Kritische Behandlung. 193
venta, obelo et punctis duobus consignavimus. Hoc egimus desi-
derantes utrumque, et secundum traditionem pii patris etiam mo-
dernam habere. Eligite vobis quod desiderabili placuerit animo.
In der Vorrede zum zweiten Theil von Gregors Sacramen-
tarium bezeichnet Grimald, was er im ersten Theil eingescho-
ben hat, als virgulis ante positis iugulata. 1 ) Zu dem Kreis dieser
sorgfältigen Studien gehört auch der auf Bischof Salomons Ver-
anlassung 909 geschriebene Psalter in drei lat. Versionen ne-
ben dem griechischen Text, der ebenfalls mit lat. Buchstaben
geschrieben ist. 2 ) Seitenstücke dazu sind aus englischen Klö-
stern vorhanden. 3 }
Ein Beispiel ähnlicher Sorgfalt für einen profanen Schrift-
steller geben die Verse aus einem Cod. saec. IX. von S. Ri-
quier 4 ) :
Claudiani librum mihi vestrum mittite quaeso,
Per quem corrigere nostrum valeam male falsum.
Aus den zahlreich erhaltenen Briefen des 9. bis 13. Jahr-
hunderts würden sich noch viele Belege für diese kritischen
Bestrebungen gewinnen lassen. In einer Handschrift der Werke
des h. Gregor von Nazianz in lateinischer Uebersetzung saec. X
aus Stavelot steht fol. 26 in rother Capitalschrift : Usque huc
contuli de cadice Sa?icte Melanie Borne. 5 )
Von der feinen und vorsichtigen Kritik Ekkeharts IV von
S. Gallen giebt Dümmler Nachricht 6 ); die leichtfertige und
ungeschickte Kritik seiner Vorgänger tadelt Ekkehart, und da
er für den sehr fehlerhaften Codex von Augustins Briefen kein
anderes Exemplar hatte, setzte er bei fehlerhaften Stellen, über
deren Verbesserung er unsicher war, ein Y an den Rand.
*) s. Dümmler in den Forschungen z. deutschen Geschichte 6, 124.
2 ) Dümmler, Gesch. d. Ostfränk. Reichs 2, 681. Forschungen 6, 125.
3 ) Unbekannter Herkunft der Cod. Cus. A 6 saec. IX (?), welcher
neben dem lat. Text den griechischen in Uncialschrift und mit lat. Buch-
staben enthält. Fr. X. Kraus im Serap. 25, 358.
4 ) Reiffenberg im Annuaire de la Bibl. de Brux. 4, 63.
5 ) Bibl. de l'&cole des Chartes 2, 3, 461.
6 ) in Haupt's Zeitschrift f. deutsches Alterthum 14, 21.
Wattenbach, Schriftwesen. 13
194 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Von dem Abt Wilhelm von Hirschau erzählt Trithemius
z. J. 1070, dafs er zwölf Mönche zum Schreiben bestimmte,
unter der Aufsicht eines sehr gelehrten Mannes, qui menda ne-
gligentius scribentium emendaret. Durch Heimo und Dietger
liefs er die biblischen Handschriften durchsehen, und mit In-
terpunctionen versehen. *)
Ganz vorzüglich war Lanfranc bemüht, die h. Schriften,
die Werke der Kirchenväter und die liturgischen Bücher von
Fehlern zu säubern, wie Milo in seiner Lebensbeschreibung
rühmt, und es haben sich Handschriften erhalten, welche er
corrigirt hat. 2 ) Anselm, der ihm als Lehrer in Bec und später
als Erzbischof von Canterbury nachfolgte, setzte auch diese
Thätigkeit fort, und demselben Beispiele . folgte auch Lanfrank's
Schüler Williram, der Abt von Ebersberg, der selbst in seiner
Grabschrift von sich aussagt: Correxi libros. Der Cod. Germ»
Monac. 10 in Fol. hat die Unterschrift:
Wilrammo requiem dona deus alme perennem,
Errantis dextrae mendacia qui tulit ex me. 3 )
In Cluny schrieb unter Abt Pontius (1109 — 1125) Bruder
Albert aus Trier eine grofse Bibel, welche er zur Correctur
mit dem Bruder Opizo zweimal durchlas und mit Hülfe ande-
rer Texte emendirte. 4 )
Die Statuten der verschiedenen Orden trugen Sorge für
die Correctheit und Gleichförmigkeit ihrer kirchlichen Bücher. 5 )
An den italienischen Universitäten waren eigene Correctores
für die Abschriften der recipirten Texte angestellt. Auch der
englische Bibliomane Eichard de Buri nennt c. 16 correctores
unter den Leuten, welche er beschäftigte. Salimbene p. 160
*) ut ad antiquitatis regulam per distinctiones, subdistinctiones ac plenas
distinctiones emendando perducerent. V. Theogeri c. 9. Mon. Germ. SS.
12, 451.
2 ) Hist. lit. de la France 7, 117.
3 ) bei Schilter in Praef. ad Willirammi opus.
4 ) Bibliotheca Cluniacensis p. 1645.
5 ) s. Vogel im Serapeum 4 (1843) p. 36 n.
Kritische Behandlung. 195
erzählt, dafs der fr. Rufinus minister Bononiae seinen Ge-
nossen bei sich zurückhielt, ul corrigeret sibi bibliam suam.
Einen kritisch gesäuberten Text der Vulgata herzustellen und
zu vervielfältigen machten sich die Klöster der Windesheimer
Kegel zur besonderen Aufgabe, und auch die Brüder vom ge-
meinen Leben achteten sorgfältig auf die Correctheit ihrer Ab-
schriften. ')
Handschriften mit Varianten aus anderen Exemplaren
kommen hin und wieder vor. In Erlangen ist ein Isidorus
Etymol. saec. XII mit der Bemerkung: Que minio scripta sunt,
in emendatiori exemplo non invenimus. 2 ) Ein Inventar der 01-
mützer Domkirche von 1435 verzeichnet ein digestum vetus cum
diversa scriptum. 3 ) Im 15. Jahrhundert werden durch die hu-
manistischen Studien solche Fälle schon häufiger. 4 )
Mit grofser Entrüstung hat der Corrector eines nachlässig
geschriebenen Reisebuches nach dem h. Lande, da wo eine
Zeile ausgelassen ist, an den Rand geschrieben: Confundatur
scriptor exemplaris. 5 )
Rand- und Interlinearglossen zur Erklärung erwähnt
schon Tertullian adv. Valentinianos c. 6, Inhaltsangaben am
Rande Hieronymus ep. 57, 2, beide von F. J. Mone, Messen
p. 162 angeführt. In der oben p. 186 erwähnten Subscription des
Cod. Marchalianus ist die Unterschrift des Cod. Apollinarii ab-
batis angeführt: Metelrjcp&r] anc twv ymtcc rag Iköogbiq et*a-
7tXti)v xal diOQ&tod"ri ctixb twv J £2giyivovg avrov rei qankdjv, ariva
yal avTov X £l Q l öioq&coto xal £OxoXioyQ<i<pr]TO' o&sv Evaißiog
iyw rc o%6li(x rtctQi&rjyta. IIdf,i(piXog xai Evoeßwg 6ioq-
&aioavTo. Auch sind schon einige der ältesten Handschriften
>) Chron. Windeshem. p. 104. 107. Serapeum 21, 187— 1S9.
2 ) A. F. Pfeiffer, Beiträge S. 33.
. 3 ) Notizenblatt der Wiener Akad. 1852 S. 170.
4 ) Eigentümlich ist die Unterschrift des Cod. Erford. qu. 61 saec. XV
der Uebersetzung von Piatons Menon: ftnitMennon inemendatus. Val. Rose
im Hermes 1866 p. 386.
5 ) W. A. Neumann, drei mittelalterliche Pilgerschriften, in der Vier-
tel Jahrsschrift für kath. Theol. VIT, 3.
13*
196 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
glossirt, und aus dem späteren Mittelalter sind sie in grofser
Zahl vorhanden. In einer Baseler griechischen Handschrift in
alter Minuskel ist der Text des Gregor von Nazianz roth ge-
schrieben, der Commentar des Elias von Kreta schwarz \), und
ebenso war der dreibändige Commentar Cassiodors zu den
Psalmen in der Bobienser Bibliothek cum textu rubeo psalmo-
rum geschrieben. 2 )
2. Malerei.
Von der Anwendung der rothen Farbe zur Bezeichnung der
Rubriken, welche davon ihren Namen 3 ) haben, war schon vorher
p. 143 die Rede. Da die Schreiber auf alten Abbildungen oft
zwei Dintenhörner oder Näpfe vor sich haben, scheinen sie
die Titelzeilen, ersten Zeilen der Bücher, und Unterschriften
gleich selbst roth geschrieben zu haben. 4 ) Bei den späteren
Lateinern aber, wo diese Sitte weit mehr, als bei den Griechen
ausgebildet erscheint, und sehr gewöhnlich jeder Anfangsbuch-
stabe eines Abschnitts und viele andere dazu durch rothe
Striche ausgezeichnet wurden, fiel diese Aufgabe nicht dem
Schreiber zu, und ist sehr häufig gar nicht zur Ausführung ge-
kommen. Oft fehlen deshalb die Initialen und Ueberschriften ganz,
nicht selten aber sind sie auch ganz klein vorgezeichnet; bei
den Ueberschriften war das wohl immer der Fall, aber oft am
äufsersten Rande, wo sie beim Einband abgeschnitten sind.
Sonst- können sie, auch wo die Rubricirung erfolgt ist, zur Be-
richtigung der vielen Fehler des Rubricator dienen. 5 ) Wie
viel später zuweilen die Rubricirung erfolgte, zeigt ein Lor-
') Serapeum 17, 182.
2 ) In dem Inventar von 1401, bei Peyron 1. c. p. 13.
3 ) rubrica für Gesetz bei Pers. 5, 90.
4 ) Eigenthümlich ist in dem Turiner Cod. Bob. Sedulii in Capital-
schrift saec. VI zweimal das Wort ROBEO vor Ueberschriften, ohne irgend
eine Unterscheidung. Augenscheinlich ist es eine Anweisung für den Schrei-
ber, rothe Farbe zu nehmen. Am. Peyron de bibl. Bob. p. 215.
5 ) z. B. in dem Heidelb. Cod. Sal. IX, 29 in dem Bericht über das
Heilige Land.
Malerei. 197
scher Codex saec. X von Gregors Moralia in Job mit der
Unterschrift: Qui non est düigens et Studiosus lector, in isto li-
bro nichil prqficit. a. d. 1396 rubricatus est textus Job. *)
Vom zehnten Jahrhundert an wird das Roth viel lebhafter, und
ist in der Kegel von grofser Schönheit. Nach einem Kecept vom
Ende des Mittelalters ad rubricam soll Zinnober mit Wasser
gerieben, und mit Eiweifs und etwas Gelb vom Ei angemacht
werden; etwas verschieden ist die Rubrica ad ßorisandum:
Wildu machen ain Rubrick dy klain aus der federn get zu flo-
riren, so reib den czinober auf ainem stain etc. 2 ) Von den
Assisen von Jerusalem sagt Jean d'Ibelin 3 ) : les queles assises y
usages et costumes estoient escrites, chascune par soi 9 de grant
letres tornees, et la premiere letre dou comencement estoit en-
luminee d?or, et totes les rubriches estoient escrites chascune par
soi, vermeilles. Eine genaue Unterscheidung dieser Ausdrücke
ist wohl von den Schreibern selbst nicht gemacht (vgl. oben
p. 145); in griechischen Handschriften läfst sich eine nicht so
dick aufgetragene, mehr kirschrothe Farbe in den Verzierun-
gen am Eingang der Bücher unterscheiden. 4 )
Aus den rothen oder durch rothe Striche ausgezeichneten
Buchstaben hat sich ein ganzer reicher Kunstzweig entwickelt,
den man deshalb miniare nannte. So sagt Salimbene ad a.
1247 p. 64 von Bruder Heinrich dem Pisaner: sciebat scribere 7
miniare) quod aliqui illuminare dicimt, pro eo quod ex minio
über illuminatur, notare, cantus pulcherrimos et delectabiles in-
venire, tarn modulatos, id est fractos, quam finnos. In dem oft
erwähnten Inventar der Bobienser Bibliothek von 1461 wird
häufig minium für verzierte Initialen gebraucht; so bei einem
*) Reifferscheid in den Sitz.-Ber. d. Wiener Ak. 56, 519.
2 ) Aus Cod. germ. Mon. 821 fol. 25 v. mitgetheilt von meinem verst.
Freund F. E.Roefsler. Es folgt noch: De minio, Paris rot, de colore ver-
miculi etc. Das ganze Werk wird bezeichnet als Über illuministarius und
ist eine Anweisung für Büchermaler.
3 ) Les Assises de Jerusalem, par le Comte Beugnot (1841) 1, 26.
4 ) Die schönen alten griechischen Minuskelhandschriften der Heidelb.
Bibl. sind ganz ohne Roth.
198 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Psalter p. 60: primo minio*psalmi cuiuslibet nocturni miniato
ad pennellum deaurato. An die rothe Farbe ist dabei nicht
mehr gedacht, und in dem Formular der päbstlichen Kanzlei,
welches L6op. Delisle mitgetheilt hat 1 ), heifsen littere miniate
die verzierten Buchstaben der päbstlichen Privilegien, bei wel-
chen gerade weder Roth noch sonst eine Farbe angewandt
werden durfte.
In den Cölner Schreinbüchern findet sich 1267 eine Tula
vidua rubeatrixj dann mehrere rodere, was die Uebersetzung
von rubealor ist, 1374 Gerhardus der Roydmeilre. % ) Daneben
1301 und 1332 Illuminator es , was vielleicht doch noch unter-
schieden wurde. In Hamburg erscheint um 1260 ein miniator
als bürgerliches Gewerbe. 3 ) Bei den Brüdern vom gemeinen
Leben wurde kein Unterschied gemacht, denn in ihrer Regel
heifst es c. 13 de Rubricatore: Deputetur unus f rater pro Ru-
bricatura et Floratura, quihabeat lazurium et alios colores pro
suo officio necessarios: aureas tarnen litter as absque speciali li-
cenlia non Jaciat. Scripturarii directionibus in illuminandis li-
bris sibi per eum traditis obtemperabit Es gab aber auch bei
ihnen keine eigentliche Miniaturmalerei, welche sich doch im
Laufe der Zeit von der, wenn auch noch so kunstreichen Ver-
zierung der rothen und blauen Initialen gesondert hat.
Die Ausstattung der Bücher mit wirklichen Gemälden, und
die Geschichte der darin bewiesenen Kunst, gehört weniger zu
unserer/ Aufgabe, als in die Kunstgeschichte; ich mufs mich da
begnügen, für eine eingehende Behandlung des Gegenstandes
zu verweisen auf Seroux d'Agincourt, Histoire de l'Art
par les Monumens, Vol. V, die Paleographie universelle von
Silvestre, Ferd. Denis, Hist. de rormentation des"Manu-
scrits (Paris 1858. 8. 143 p.), Les Manuscrits ä miniatures de
la Bibliothöque de Laon, par M. l'abbö Cor biet (1864. 8),
1 ) Bibl. de l'ßcole des Chartes 4, 4, 73.
2 ) Merlo, Die Meister der altköln. Malerschule (1852) p. 136 - 100.
3 ) Lappenberg in der Zeitschrift des Vereins f. Hamb. Gesch. (1864)
N. F. 2, 275. Nach Libri in seinem Auctionskatalog (1859) p. 100 steht
unter einem ital. Cod. s. XIV: Orate pro scriptore, und dazu gesetzt: et
pro Aminiatore, wofür es nahe liegt zu lesen pro A. miniator e.
Malerei. 199
Jules Labarte, Histoire des Arts industriels au MoyenAge,
Tome 3 e (Paris. 1 865), Illuminated Ornaments selected from Ma-
nuscripts and early printed books, from the 6 th to the n tu cen-
turies, drawn and engraved by Henry Shaw, witli descrip-
tionsbyFred. Madden(Lond. 1833. 4), Noel Humphreys,
The illuminated books of the Middle Ages (Lond. 1849 f.),
Westwood, Palaeographia Sacra Pictoria, auf die Werke von
G. F. Waagen, welcher zuerst eingehend und umfassend, aber
ohneAbbildungen, diesen Gegenstand behandelt hat,und zahlreiche
Monographien und gelegentliche Mittheilungen. Vorzüglich für
die Geschichte der Initialen und Ornamentik in lateinischen
Handschriften lehrreich ist das schön ausgestattete Werk: The
Art of Illuminating as practised in Europe from the earliest
times. Illustrated by Borders, Initial letters and Alphabets,
selected and chromolithographed by W. E. Tymms, with an
Essay and Instructions by Digby Wyatt, Architect, London
1860, 4. Im gröfsten Mafsstab angelegt ist das Prachtwerk
des Grafen Bastard: Peintures et Ornemens des Manuscrits,
blasses dans un ordre chronologique pour servir a Phistoire des
arts du dessin depuis le 4 e siäcle jusquä la fin du 16 e . Leider
aber ist dieses im gröfsten Format erschienene Werk unvollen-
det geblieben; 20 Lieferungen zu 8 Tafeln, jede 1800 Fcs. kostend,
sind ausgegeben, ohne Text und ohne irgend ein System. Von
der Pracht und Mannigfaltigkeit karolingischer Kalligraphie
giebt nur dieses Werk eine genügende Vorstellung; die spä-
teren Lieferungen enthalten merkwürdige Proben aus mero-
wingischen, westgothischen , lombardischen, südfranzösischen
Manuscripten.
Das älteste bekannte griechische Werk mit Illustrationen
ist die oben p. 104 erwähnte Evdogov ri^vt] mit astronomi-
schen Zeichnungen, welche jedoch nur zur Erläuterung des
Textes, nicht zur Zierde dienen. . Nach langem Zwischenraum
folgen dann die Ambrosianischen Fragmente der Ilias, 58 Bil"
der mit den auf der Rückseite stehenden Versen in schönster
Uncialschrift; es sind die Reste eines Quartbandes, aus welchem
die Bilder ausgeschnitten sind. Diese enthalten figurenreiche
i
200 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Compositionen, und stehen wohl von allen erhaltenen der gu-
ten antiken Kunst am nächsten; eine möglichst getreue Publi-
cation in Farben wäre gewifs von diesem kostbaren Denkmal
des Alterthums ganz besonders erwünscht und angemessen.
Während jeder alte Topf abgemalt wird, sind diese so merk-
würdigen Reste alter Malerei ganz vernachlässigt. Einst-
weilen hat A. Mai sich ein grofses Verdienst erworben durch
das Kupferwerk: Iliadis fragmenta antiquissima cum picturis,
Mediolani 1819 in folio.
Etwa dem fünften Jahrhundert gehört die Genesis Cotto-
niaria, leider durch Feuer beschädigt und ganz zusammenge-
schrumpft. Der Character der Kunst ist noch ganz antik;
Heiligenscheine und Goldlichter zeigen die ersten Anfänge
byzantinischer Manier. *) Etwas jünger ist die mit Gold und
Silber auf Purpur geschriebene Wiener Genesis, von welcher 24
ausgeschnittene Blätter mit 48 Bildern, von geringerem Kunst-
werth sich erhalten haben. 2 )
Unter den verschiedenen Handschriften des Dioscori des
mit Abbildungen der Pflanzen zeichnet sich vorzüglich das
Wiener Exemplar aus, welches am Anfang des 6. Jahrhundert«
für die Anicia Juliana geschrieben und prächtig ausgestattet
ist. 3 ) Von vorzüglicher Schönheit, und wohl das älteste Bei-
spiel einer reich ornämentirten Handschrift, sind die beiden Blät-
ter mit den Canones des Eusebius auf Goldgrund im Brit.
Museum. 4 )
*) Proben bei Westwood, Early Greek Manuscripts. Aeltere man-
gelhafte Abbildungen in der Collatio Codicis Cott. facta a Jo. Em. Grabe,
edita a Henr. Owen, Lond. 1778. Vgl. Waagen, Treasures of Art in Great
Britain 1, 97.
2 ) Ein Bild in Farben bei Labarte, Album 2, 77. Nachbildungen bei
Dibdin, A bibliographical tour 3, 457 ff. mangelhaft bei Seroux d'Agin-
court. Beschreibung bei Waagen, Kunstdenkmäler in Wien 2, 5—8.
3 ) Beschreibung von Choulant in Naumann u. Weigel's Archiv f. d.
zeichnenden Künste 1, 56. Waagen 1. c. 2, 8 — 10. Aufser den Abbildun-
gen bei Lambecius II und Seroux d'Ag. die Juliana in Farben bei Labarte
2, 78; die Aerzte in: Les arts somptuaires, Paris. 1857, T. I.
'•) Add. 5111, abgebildet bei Shaw, Blum. Orn. pl. 1 — 1; theilweise
bei Tymms andWyatt pl. 2, cf. pag. 10. Waagen setzt sie ins neunte, Sir
Fred. Madden ins sechste Jahrhundert.
Malerei. 201
Unter Justinian tritt nach Waagen eine Aenderung ein;
die Figuren werden zu lang und mager, die Gewandung ärm-
lich, mit langen parallelen Falten oder tiberladen mit Schmuck
und Juwelen. Die Farben werden hart und schwer, Gold sehr
viel zu Hülfe genommen, und die Naturwahrheit vernachlässigt.
Orientalischer Einflufs beginnt sehr fühlbar zu werden; ohne
Zweifel haben im achten Jahrhundert die durch die bilderstür-
menden Kaiser veranlafsten Kämpfe einen tief eingreifenden
schädlichen Einflufs auf die Kunstthätigkeit gehabt. Die oben
p. 107 erwähnte Rolle mit den Kriegen des Josua zeigt sehr
gute Compositionen nach überlieferten Vorbildern bei mangel-
hafter Ausführung. Doch giebt es noch manche jüngere Hand-
schrift, welche prachtvoll und in der eigenthümlich byzan-
tinischen Technik nicht ohne Geschick ausgestattet ist, wie der
für den Kaiser Basilius (867 —886) noch in Capitalschrift ge-
schriebene und mit Bildern reich geschmückte Gregor von Na-
zianz 1 ), und das für Basilius II 2 ) in Gold geschriebene Meno-
logium mit 430 Bildern auf Goldgrund. 3 ) Allein diese Minia,
turen liegen unserer Aufgabe fern ; bei Montfaucon, Westwood-
Labarte ist darüber mehr zu finden. Am Anfang pflegen grie-
chische Manuscripte mit einem quer über die Seite gehenden
Ornament verziert zu sein. Initialen sind seit dem achten Jahr-
hundert aus verschiedenen Figuren sinnreich zusammengesetzt
und fein ausgeführt 4 ), aber eine solche Ausdehnung, wie bei
den Lateinern, hat diese Sitte bei den Griechen nie gewonnen.
Hier sei nur noch der Kostenberechnung über ein Evangeliar
gedacht, welche Tischendorf Anecd. p. 65 und Tab. II, XII D mit-
theilt:: y.öh xctTaß)<.rj&eIoa££odoQ eig %h toiovtov ayiov Tergaevccy-
yelov e%ai ovxcog' etg yccgzla vniqirtqa dexarQia' elg yQccipijuov
v7C€Q7C€qcc dexaoxTtü' eig '/.ecpaXaitof.ta xcr« dia XaCovQtou avoiyjtia
TüßV i^CüflTlXlCOV V7t£Q7l£Q(X '6ig XQUÜLOUCL TüJV X6(fakcciCüV
*) Cod. Reg. 1809, jetzt 5t 0, s. Waagen, Kunstwerke in Paris p. 202.
*i fast unzweifelhaft Basil. II, 970— 1025.
3 ) Cod. Vat. 1613, ed. Urbini 1727 in 3 Folianten ; vgl Labarte 3, 59—62.
4 ) eine Zusammenstellung bei Montf. p 255, im Nouveau Traite 2
zu p. 118.
202 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
xai twv hciygaqxZv tov aQ%oreXLov, cpXiügia (florenos) deY.ae7tra'
laraivTa k^ayia (sextulas) öexaTiaaaga , xoxx/a (siliquas) ?§*
rjrot wtiQTteqa TQiaxovrareoGaQa' slg julo&cü/na rov %qvoo-
yqäcpov v7tEQ7tsQa oktcj' eig ovccxcoua (Einband) v7tiq7teQ(x
An zwei Stellen fehlt die Zahl. Die Abkürzung für die häufig
vorkommende griechische Münze v7tiQ7TeQa hat Tisch endorf nicht
zu entziffern vermocht, aber glücklicher Weise ein Facsimile ge-
geben; den Anfang bildet die regelmäfsige Abkürzung für die
Präposition wtiq. Der Werth ergiebt sich aus- der vorstehenden
Berechnung als ein halber Floren. Wegen dieser Mtinzwerthe
aber mufs die ganze Angabe wohl eher dem 14. als, wie Tischen-
dorf meint, dem 12. Jahrhundert angehören.
Bei den Römern waren Werke mit Bildern häufig. Varro's
Imagines sind bekannt. 1 ) Kräuterbücher mit Abbildungen er-
wähnt Plinius 25, 2, ohne sie zu loben, weil die Copisten sie
zu sehr entstellten. Doch erhielt sich die Sitte, und die unter
den alten Drucken häufigen Kräuterbticher knüpfen an Hand-
schriften an, die vielleicht auf alter Tradition beruhten. 8 )
Martial 14, 186 sagt:
Quam brevis immensum cepit membrana Maronem!
Ipsius vultus prima tabella gerit.
Solche Titelbilder waren nicht ungewöhnlich. 3 ) Ein Portrait
Virgü's giebt A. Mai, Virgilii Interpretes veteres p. XLIV ex
cod. Ambros. saec. XII, welches gewifs auf alter Ueberliefe-
rung beruht; ebenda auch das Titelblatt zu dem für Petrarca
geschriebenen Virgil, wohl auch nach altem Vorbild. Aber
auch mit anderen Bildern wurde Virgil geschmückt; der- Cod.
*) s. Marquardt 2, 403.
2 ) s. oben p. 200. Aus Dioscorides excerpirt ist der sog Appuleius,
von dem alte Handschriften mit Pflanzenbildern existiren, s. Parabilium
Medicamentorum Scriptores ed. Ackermann (1788) p. 30. Fragmente der
Art in Uncialschrift in Berlin, Lat. fol. 381. Ueber das Kräuterbuch des
Venetianers Benedictus Rinius von 1415 auf der Marcusbibl. s. Notizen-
blatt d. Wiener Ak. 1853 p. 23. Ein ital. Herbario con figure saec. XV
in Libri's Auctionscatalog p. 103 n. 482.
3 ) vgl. Seneca de tranquill, an. c. 9. G£raud p. 137.
Malerei. 203
Vat. 3225 enthält 50, wovon 5 verlöscht sind; sie sind ganz
antik in der Technik, fast ohne Umrifs, und deshalb sehr
schwer nachzubilden. Die Stiche von Pietro Santo Bartoli 1 )
geben eine ganz falsche Vorstellung, und auch Seroux d'Agin-
court 2 ) ist ungenügend. In der Compositum und Zeichnung
erinnern die Bilder an die Ambrosianische Ilias; Digby Wyatt
möchte sie schon dem dritten Jahrhundert zuschreiben. Die-
sem vermuthlich nachgeahmt, aber mit sehr rohen Bildern,
barbarisch und leblos, ist Vat. 3867, früher in S. Denis. Auch
die Schrift ist affectirt, mit starkem Unterschied der dicken
und dünnen Striche, und gehört vielleicht dem fünften Jahr-
hundert an. 3 )
Nachbildungen antiker Bilder finden sich ferner in dem
Wiener Kalender 4 ), einer Copie des leider verlorenen alten
Cod. Spirensis, und in der ebenfalls nur in neuer Copie vor-
handenen Notitia dignitatum utriusque imperii, diese freilich
ohne Anspruch auf Kunstwerth.
Psalter und Evangelien prächtigster Ausstattung brachte
S. Augustin 597 mit nach Canterbury, wovon vielleicht noch
zwei Bilder einer Evangelienhandschrift erhalten sind 5 ), an-
dere aber in Schrift und Bild so genau nachgeahmt, dafs
auch Kenner über den Ursprung derselben zweifelhaft sind.
Während nun hier doch schon bald die römischen Vorbilder
eigentümlich modificirt wurden, lebte an Karls des Grofsen
Hofe die antike Kunst noch einmal in neuem Glänze auf. Die
Kalligraphie feierte die herrlichsten Triumphe, man schrieb in
Gold auf Purpur, kehrte zur Capitalschrift zurück, und die
prachtvolle Ausschmückung der Handschriften ist theils direct
*) Antiquissimi Virgiliani codicis Fragmenta et Picturae ex bibl. Vat.
Romae 1741. f.
2 ) pl. 20 alle 45 klein, dann 13 grofs; auf pl. 65 ist ein Stich nach
Santo Bartoli zur Vergleichung neben einer Nachbildung des Originals.
3 ) Proben bei Seroux d'Agincourt, pl. 64, 65, der ihn sogar ins 12.
oder 13. Jahrh. setzt. Die Punkte zwischen den Worten sind nach Ribbeck
von neuer Hand.
4 ) gestochen bei Lambecius, und Kollar, Analectt. Vol. I.
5 ) im Corpus Christi College, Cambridge, nach Digby Wyatt p. IS.
204 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
antiken Vorbildern entnommen, theils von antiken Motiven
durchdrungen. Von besonderer Schönheit sind auch die reichen
Randverzierungen, welche an die Prachthandschrift des Dios-
corides und die Canones des Eusebius erinnern, und wofür sich
damals wohl noch zahlreiche Muster fanden. Später verschwinden
sie wieder 1 ), um nach Jahrhunderten in ganz veränderter Ge-
stalt wieder zu erscheinen.
In diesem Jahrhundert hat man nun auch profane Auto-
ren mit der gröfsten Genauigkeit von alten Vorbildern abge-
schrieben. Zu diesen gehören die Handschriften des Terenz,
welche dem zehnten Jahrhundert zugeschrieben werden, mit
dem von zwei Schauspielern emporgehaltenen Brustbild des Dich-
ters, und Figuren, welche ganz genau die alte Bühne darstellen;
der von Hrodgarius geschriebene Cod. Vat. 3868 2 ) und dar-
aus abgeschrieben der Basilicanus im Archiv des Vat. Capitels,
in welchem nur die beiden ersten Bilder ausgeführt sind 3 ) ; der
Pariser 7859, dessen Bilder, nur in Federzeichnung ausgeführt,
schon ins barbarische verfallen 4 ) ; auch der Ambrosianus 5 ) und
ein Cod. in England gehen auf dieselbe Quelle zurück.
Lehrreich für die Phasen der Kunst sind die Handschriften
der vielgelesenen Aratea, welche ohne die Sternbilder nicht
brauchbar waren. Im Cod. Harl. 647 sind diese mit solcher
Genauigkeit, auch in der Technik, copirt, dafs Ottley durch-
aus nicht glauben wollte, sie seien nicht wirklich antik, und
deshalb den vergeblichen Versuch machte zu beweisen, dafo
man schon in der römischen Kaiserzeit eine Minuskelschrift
*) Geschmackvolle Randleisten aus dem 12. Jahrh. bei Tymms and
Wyatt pl. 31.
2 ) Alte Ausgaben Urbini 1736, Romae 1767, geben keinen richtigen
Begriff von den Bildern. Eine Seite mit bunten Figuren bei Silvestre. Se-
roux d'Agincourt pl. 35. 36 und danach Ottley PI. VI n. 5.
3 ) s. die Vorrede von Umpfenbach zu seiner Ausg. des Terenz.
4 ) Schlechte Probe bei Champollion, Pal^ogr. des Class. Rom. pl. 9
mit i-Strichen, die später zugesetzt sind. Besser bei Silvestre 2, 154.
5 ) s. A. Mai, Plauti Fragmenta inedita. Item ad P. Terentium com-
mentationes et picturae ineditae Mediol. 1815.
Malerei. 205
gehabt habe. *) Allein hier ist der Text in völlig ausgebildeter
karolingischer Minuskel, und sogar rescribirt auf Minuskel ge-
schrieben ; die Bilder dagegen allerdings ganz in antiker Weise,
die Köpfe und einige andere Theile in Farben ausgeführt, die
übrigen Formen kunstreich ausgefüllt mit der Beschreibung
von Hygin in kleiner leichter Capitalschrift , welche sich in
der Form der Zeilen der Zeichnung anschliefst, auch in rother
Farbe und verschiedenfarbiger Dinte die Theile derselben un-
terscheidet. Eine dazu gehörige, vielleicht aber etwas jüngere
Himmelstafel hat in Capitalschrift die Inschrift: Ista proprio
sudore nomina unoquoque proprio, ego indignus sacerdos et mo-
nachus nomine GERVVIGUS repperi. ac scripsi •:• pax legen-
tibus ;• Ganz ähnlicher Art ist der Leidener Cod. Voss. 79,
nach Bethmann aus dem 11. Jahrhundert, welchen Gruter hat
stechen lassender Cod. Voss. Lat 15ausLimoges, der Cod. 81
in Boulogne. 2 ) In London aber ist Cotton. Tib. B 5 eine Co-
pie, in welcher die Beschreibungen einfach in karolingischer
Minuskel um die Bilder geschrieben sind, diese selbst aber
schon etwas verändert in angelsächsischem Charakter, während
wir endlich im Harl. 2506 die völlig umgewandelten angel-
sächsischen Umrifszeichnungen finden.
Bis auf Karl den Grofsen hatte sich ohne Zweifel noch
eine directe Ueberlieferung antiker Technik erhalten, welche
durch ihn neu belebt wurde. Diese Renaissance erhält sich
bis ans Ende des neunten Jahrhunderts; dann aber wird die
unmittelbare und genaue Nachahmung der Antike immer sel-
tener, bis im elften Jahrh. ihre Spuren sich verlieren. Eine
neue Restauration versuchten die Humanisten, ohne jedoch echte
Vorbilder zu haben. Leonardus Aretinus (ep. 2, 10 ed. Mehus)
*) s. die Abhandlung in: Archaeologia Vol. 26, mit vielen Abbildun-
gen aus den 3 Handschriften des Brit. Museum, und Schriftproben zur
Vergleichung. Wie Reifferscheid in den Annali delT Instituto 1865 p. 103
bemerkt, erwähnt schon Cyriacus Anconitanus eine solche Handschrift in
Yercelli. — Auch der aus Augustins Schreibschule herrührende Psalter in
Utrecht wurde früher für antik gehalten, s. D. Wyatt p. 21.
2 ) Bethmann in Pertz's Archiv 8, 404 u. 576.
206 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
schrieb an Niecolo Niccoli, dafs ein Gönner von ihm einen
herrlich geschriebenen Codex der Eeden des Cicero habe, und
wünsche, ut singulorum capita librorum splendore litterarum
illuminentur. Er bittet also das zu besorgen, aber so, ut non
auro nee murice, sed vetusto more hae litterae ßant. Kam in-
aurare vel hie potuisset, si huiusce rei cupiditas ipsum haberet ;
verum kaec spernit et antiquitati deditus est.
Es giebt sehr schön verzierte Handschriften im Stil der
Renaissance, aber wenn auch die Ornamente antiken Vorbildern
entnommen sind, so weifs ich doch kein Beispiel, dafs, wie in
der karolfngischen Zeit, directe Nachahmung alter Handschriften
wahrzunehmen wäre.
In den ältesten Handschriften sind gar keine Initialen aus-
gezeichnet ; etwas später werden Anfangsbuchstaben ausgerückt,
bald auch vergröfsert, zuweilen der erste Buchstabe jeder Seite,
wie im Wiener Livius. Im Vat. 3256, Fragmenten des Virgil
in Capitalschrift, zu welchen kürzlich neue Blätter für die Ber-
liner Bibliothek erworben wurden, ist der erste Buchstabe jeder
Seite grofs in Farben ausgeführt. ') Auch der Münchener Cod.
Theodos. (Cimel. II 4 A) hat bunte Initialen. Von da an hat
diese Sitte sich immer weiter entwickelt, und in den folgenden
Jahrhunderten, wo eigentliche Bilder wohl selten noch vor-
kamen und immer roher wurden, liebte man es sehr, die Ini-
tialen mit bunten Farben zu schmücken, und vorzüglich aus
Fischen und Vögeln phantastisch zusammenzusetzen. 2 )
Man nannte dieses Ausmalen der Handschriften lineare,
was schon bei Appuleius malen bedeutet. So finden wir es
in der S. Galler Chronik von Ekkehard, wo er (Mon. Germ.
2, 92) von dem Bischof Salomon von Constanz sagt: Lineandi
et capitulares Htteras rite creandi prae omnibus gnarus, ut in
apieibus L et C longi evangelii primis videre est, quas episcopus y
*) s. die photolith. Nachbildung bei der Abhandlung von Pertz, Abh.
d. Berl. Ak. 1863.
2 ) s. z. B. Mon. Germ. Legg. 4 tab. 1. N. Traite* 2, 88; westgothisch
bei Tymms u. Wyatt pl. 8 nach Bastard.
Malerei. 207
ut aiunt, probans quid in talibus adhuc -passet, linearis aurißcabaL
Jenes C in dem von Sintram geschriebenen Evangelium lon-
gum ist in der That ein bewunderungswürdiges Kunstwerk. *)
Von Ekkehard palatinus aber, der am Ende des zehnten Jahr-
hunderts dort thätig war, heifst es p. 122: Quos ad litterarum
studia tardiores vidisset, ad scribendum occupaverat et lineandum.
quorum amborum ipse erat potentissimus, maxime in capitulari-
bus lilteris et auro. So sagt auch Richard de Buri c. 17: ve-
nabitur paginam lineatam.
Auch titulare scheint diese Bedeutung gehabt zu haben r
später aber für abkürzen gebraucht zu sein, s. oben p. 164.
Natürlich kann man auch die allgemeinen Ausdrücke anwen-
den, libris depingendis dienen die von Ebert S. 39 nach einem
Cod. saec. XII genannten Farben. Barbarisch heifst es in ei-
nem Cod. jsaec. XV : Hans Grunawer pictoravit. 2 ) Von Wolstan,
der 1062 Bischof von Worcester wurde, erzählt Wilhelm von
Malmesbury, dafs er einen Lehrer hatte Namens Erven in
scribendo et quidlibet coloribus effingendo peritum. Is libros
scriptos, sacramentarium et psalterium, quorum principales litteras
auro effigiaverat, puero Wolstano delegandos curavit Dadurch «
erweckte er in Wolstan auch Liebe zu dem Inhalt der Bücher ;
später aber schenkte er um weltlichen Gewinnes wegen die Bücher
an den König Knut und die Königin Emma. Sie müssen also
unversehrt geblieben sein, und Wolstan war auch schon ein
verständiger Knabe, nicht einer von denen, deren Finger
Richard de Buri fürchtete: Puerulus autem lacrimosus capita-
lium litterarum non admiretur imagines, nee manu fluida polluat
pergamenum. Tangit enim illico quiequid videt. 3 )
') Mon. Germ. 2 Tab. 5, weit schöner aber in : Das Kloster S. Gallen,
herausgegeben vom Hist. Verein in S. Gallen, 2. Heft 1664.
2 ) Wilken, Gesch. der Heidelb. Büchersammlungen p. 307. Bei Vogel
im Serap. 4, 38 aus einem englischen Werke: in capitalibus litteris appin-
gendis bonus artifex.
3 ) Vgl. die Inschrift eines ital. Cod. saec. XV in Libri's Auctions-Ca-
talog p. 40:
tu che col mio libro ti trastulli:
Rendimel presto e guardal da' fanciulli.
208 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Die Ausdrücke minium, miniare, rubricare wurden schon
vorher p. 196 besprochen; vom 11. Jahrhundert an wird das
Wort illuminare vorzugsweise für den Schmuck der Bücher ge-
braucht. So heifst es von der Staveloter Bibel, welche die
Mönche Goderannus undErnest 1097 in zwei Bänden geschrie-
ben hatten, Henrico IUI imperante, Christianorum exercitu super
paganos violenter agente, Obberto Leodiensi praesule, Rodulfo
Stabulensi abbate, dafs sie nach vierjähriger Arbeit in omni sua
procuratione, hoc est scriptum, illuminatione, ligatura vollendet
sei. 1 ) Abt Dietrich von S. Hubert (1055 — 1087) erzog Gisle-
bert in scribendis et renovandis libris studiosum, und Falco in
illuminationibvs capitalium litterarum et incisionibus lignorum et
lapidum peritum. 2 ) Die Nonne Guta in Schwarzenthann schrieb
ein Werk, welches von dem Marbacher Canonicus Sintram mt-
niatum seu illumi?iatum, und 1154 vollendet wurde. 3 ) Eine ähn-
liche Stelle aus Salimbene wurde oben p. 197 angeführt. Dante
sagt im Purgatorio, Canto 11 :
Non se' tu Oderisi,
L'onor d' Agubbio e l'onor di quell' arte,
Ch' alluminar 6 chiamata in Parisi? **]
Johannes illuminator et Hilla uxor eins erscheinen 1301 in den
Cölner Schreinbtichem (s. oben p. 198), und Richard de Buri
hatte eine ganze Anzahl in seinem Dienst. In Paris hatten sie,
wie alle zum Bücherwesen gehörigen Gewerbe, Theil an den
Privilegien der Universität, was 1386 auch auf Heidelberg über-
tragen wurde 4 ); ebenso an den italienischen Universitäten die
miniatores. Bruder Joh. Franck in S. Ulrich und Afra (t 1472)
wird gepriesen als optimus illuminista qui suis manibus illumi-
navit Ubros chori. 5 )
*) Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinland 46, 149.
2 ) Chron. S. Huberti, Mon. Germ. SS. 8, 573.
3 ) Würdtwein, Nova Subsidia dipl. 7, 176.
4 ) Wilken, Gesch. der Heid. Büchersammlungen S. 6.
5 ) Steichele, Archiv f. Gesch. d. Bisth. Augsburg 2, 79.
Malerei. 209
Französisch hiefsen sie enlumineurs, wie z. B. in der Un-
terschrift eines Legendenbuches von 1285:
Icist livres icy finist,
Bone aventure ait qui lescrit.
Henris ot non lenlumineur,
Dex le gardie de deshonneur. l )
In England ist luminare gebräuchlich (oben p. 148); lumi-
nabit psalmos heifst es in dem Vertrag, welcher mit dem Schrei-
ber Robert Brekeling abgeschlossen wurde, sehr merkwürdig
durch die genauen Bestimmungen, welche er enthält. 2 ) In
späteren Contracten kommt eluminacio vor, alumpnacio und
ahimjmyng.
Eigentliche Bilder hiefsen histoires. Philipp der Kühne
taufte 1398 für 600 Goldgulden eine bible francoyse tres bien
ystoriee, armoriee de ses armes, garnie de gros fermeaux dar-
gant dores. 3 ) Der Herzog von Berry besafs tres grandes, tres
belies et riches heures, tres notablement enluminees et historiees
de grandes histoires de la main de Jaquevrart, de Hodin et au-
tres ouvriers de Monseigneur. 4 ) Jehan Poyet, enlumineur et A/- .
storieur in Tours, ist der Meister des Gebetbuches der Köni-
gin Anna von der Bretagne. 5 )
Unklar ist mir das Wort corporare, welches ich in Wil-
helm Wittwers Catal. abb. SS. Udalrici et Afrae gefunden
habe. So heifst es vom Abt Heinrich Fryefs (1474 — 1482),
dafs er mit eigener Hand viele Bücher geschrieben habe, auch
kaufte er viele et illuminare ac corporare feeit. 6 ) Ein Missale,
welches Leonhard Wagner 1480 geschrieben hatte, illuminavü
*) Annuaire des Antiquaires de France 1853 p. 170.
2 ) Fabric-roles of York Minster, edited by James Raine for the Sur-
tees Society, Durham 1859, angef. von Digby Wyatt p. 37.
3 ) Waagen, Kunstwerke und Künstler in England u. Paris 3, 343.
4 ) ib. p. 338.
5 ) L^on de Laborde, Sur les lettres, les arts et Tindustrie pendant le
15« siecle, Introd. p. XXTV. Auch lettres ymaginees kommt vor, s. Kirch-
hoff, Handschriftenhändler p. 12.
6 ) Steichele, Archiv f. d. Gesch. d. Bisth. Augsburg 3, 281.
Wattenbach, Schriftwesen. 14
210 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
et corporavit preciose f rater Conradus Wagner; auch andere
Bücher desgleichen, faxt enim in illa arte preciosus ae peritus. l )
Zwei Psalter corporavit fr. Conradus Wagner de Ellingen, con- m
ventualis et bonus illuminista. Et idem fr. Conradus decoravit
et illuminavit ac corporavit multos libros .... Sed illuminatura
psalteriorum facta est in civiiate per quendam laycum seil.
Jeorium Beck etßlium eins, ambo illummiste. 2 ) Es ist also nicht
identisch mit illuminare.
Die fabriciens von Saint-Martin de Vitra in der Bretagne
schlössen 1420 einen Vertrag mit einem Priester, ihnen für die
Kirchenfabrik ein Missale und einen Psalter zu schreiben, en
bon velin et de bon volume, tournes dtazur et de vermeillon,
sans ßourir 9 sauf wie douziesme des grans lettres. 3 ) Der wan-
dernde Schreiblehrer Brun von Würzburg erbot sich auch zum
Unterricht in ßoritura et illuminatura. 4 ) Im Pester Museum
ist ein ungeheures Missale, welches eine Nonne in Schillings-
capellen geschrieben hat: Omnis pictura ac ßoratura istius libri
depieta ac florala est per Margaretam } Scheiffartz de Meirroede
quondam filia in Bornkem, regularissa in Schilling capellen.
Orate pro ea: Der Abt von Westmtinster empfiehlt 1489 einen
seiner Conventualen als a faire writter, a ßorisher and maker
of capital letters. 5 )
Alte Anleitungen zum Malen und zur Bereitung der Far-
ben finden sich in dem schon p. 140 erwähnten Werke des
Theophilus, und in der Mittheilung aus einer Handschrift des
12. Jahrhunderts bei Ebert S. 38. In dem Codex des Johann
Le Bögue in Paris von 1431 befindet sich ein Werk des Ar-
cherius von 1398, und darauf folgend Capitula de coloribus ad
') ib. p. 302.
2 ) ib. p. 395.
3 ) in r/2 Jahren, für 80 livres und 30 soulz, nach heutigem Geldwerth
berechnet auf 3260 francs. Bibl. de Tficole des Chartes 5, 3, 46. Vgl.
oben p. 161 und p. 196 die grant letres tornees. Bernhard von Clairvaux
sagt ep. 135 ed. a. 1690: Laudatur de bona litera tornatura manus, non
calamus.
4 ) florisare hatten wir oben p. 197.
5 ) Vogel im Serapeum 4, 38.
Malerei. 211
illuminandos libros ab eodem Archerio sive Alckerio, ut accepit
ab Antonio de Compendio illuminatore librorum in- Parisiis, et
a magistro Alberto de Pozotto, perfectissimo in omnibus modis
scribendi, Mediolani scholas tenente. ') Ein Über illuministarius
der Münchener Bibliothek wurde schon oben p. 197 erwähnt»
Bei Ebert ist auch lazur graecum genannt, die schöne
blaue Farbe, welche im 13. Jahrhundert immer beliebter und
häufiger wird, und endlich in der Mehrzahl der Handschriften
des 14. Jahrh. mit Roth verbunden allein zur Verzierung dient
Schon Konrad von Scheiern im Anfang des 13. Jahrh. schmückt
ein Mefsbuch picturis et lazurio.*) Bei der bekannten Hand-
schrift des Bohic in Amiens kosteten 5 magne littere auree de
principiis sex librorum (sie) cum prima littera tabule 30 soL und
totalis illuminatio de aduro et rubeo 3 fr. 2 soL 3 ) Das Wort,
arabischen Ursprungs, welches durch Verlust des l zu azur ge-
worden ist, kommt in allerlei Formen vor; in der oben p. 144
abgedruckten Stelle als lazarium, wenn das nicht ein Druck-
fehler ist. Vgl. auch p. 148.
Zuweilen hat auch ein alter Buchmaler sein eigenes Bild-
nifs angebracht, so der Bruder Bufillus in einem grofsen Le-
gendarium aus dem Kloster Weifsenau, welches um 1200 ge-
schrieben und sehr geschmackvoll ausgemalt ist; fol. 245 sitzt
er in einem grofsen R bei seiner Arbeit. Die Farben befinden
sich in vier durch das Tischchen gesteckten Hörnern und zwei
Näpfen. 4 )
Da. die Ausmalung der Handschriften in der Regel erst
nach der Vollendung der Schrift geschah, so kann natürlich
der Fall vorkommen, dafs die Bilder bedeutend jünger als der
1 ) Theophilus ed. Hendrie p. XIV n.
2 ) Mon. Germ. SS. 17, 624. Die Bilder des Cod. lat.Mon. 17401 be-
schreibt F. Kugler, Kleine Schriften 1, 84 — 87.
3 > Delisle, Mem: de Tlnstitut 24, 306.
4 ) jetzt in der fürstl. Holienzoll. Bibl. in Sigmaringen, s. oben p. 168.
Anz. des Germ, Mus. 1867 p. 235. Eine Abbildung in Umrissen in dem
Progr. v. Hafsler: Collatio codicis Vergil. Minoraug. cum imagine pictoris
Sueviae antiquissimi, Ulmae 1855, vgl. Haenel in d. Berichten der k. Sachs.
Ges. 1865 p. 1. Vgl. den Mirozlaus der Mater verborum in Prag.
14*
212 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Text sind, oder dafs sie von verschiedenen Händen herrühren.
Gröfsere Miniaturen wurden von vorzüglichen Künstlern gemalt,
und zuweilen eingeklebt. Oft aber sind auch die Handschriften
unvollendet, einige Bilder nur eben begonnen, für andere nur
leerer Raum gelassen. Das ist z. B. häufig in den jüngeren,
fabrikmäfsig gefertigten deutschen Handschriften der Heidel-
berger Bibliothek. Als vom 14. Jahrh. an vornehme Herren
Handschriften zu sammeln begannen, blieb, wo für den "Ver-
kauf geschrieben wurde, ein Raum für das Wappen ausgespart,
den man oft nachträglich auszufüllen unterliefs.
Häufig ist gewifs nach bestimmten Vorlagen gearbeitet, und
auch kleine humoristische Seenen wiederholen sich mit merk-
würdiger Uebereinstimmung in ganz entlegenen Handschriften. *)
Doch weit häufiger scheinen die Künstler des Mittelalters ganz
frei gearbeitet zu haben, und ihre Phantasie war aufserordent-
lich fruchtbar. Man findet hin und wieder Vorschriften wie
Qui se faczano dne homini che giostreno. -) Recht ausführliche
Beschreibungen des darzustellenden Gegenstandes sind dem
Maler der so überaus merkwürdigen Wenzelbibel in der Wie-
ner Bibliothek gegeben, welche nachträglich ausradirt, in dem
unvollendeten Theil aber stehen geblieben sind. 3 ) Umgekehrt
scheinen die reichgeschmttckten Blätter der niederländischen
Gebetbücher mit ihren glänzenden Randverzierungen auf mattem
Goldgrund im Vorrath gearbeitet zu sein, da in dem prächti-
gen Exemplar des Bruckenthalischen Museums in Hermannstadt
die letzten Blätter unbeschrieben sind, weil der Text fertig
war. Die Randverzierung ist fertig, die Initialen aber fehlen,
und wurden also erst nachträglich hinzugefügt. Bei der Gleich-
förmigkeit des Inhalts hätte man es auch allenfalls anders
machen können, aber es hätte doch wohl den Schreiber zu
sehr beengt.
*) s. meine Bemerkungen zu einigen öst. Geschichtsquellen im Archiv
d. Wiener Akad. 42, 501.
2 ) Kirchhoff, Handschriftenhändler p. 12 aus Denis 1, 25.
3 ) s. den n. 1 angef. Aufsatz p. 504. Ein anderes Beispiel in den
Beiträgen zu den roman. Literaturen von K. Bartsch. Jahrh. f. roman. u. engl.
Lit. 11, 20.
Malerei. 215
Wir haben bis jetzt uns mit den Aeufserlichkeiten dieses
Kunstzweiges beschäftigt und die vorkommenden technischen
* Ausdrücke aufgesucht; es bleibt noch übrig, den Gang der
Entwicklung, die verschiedenen Phasen der Kunst in kurzem
Umrifs zu betrachten.
Während im Bereich des zerfallenden Römerreiches alle
Kunsttibung unterzugehen drohte, entfaltete sich aufserhalb
seiner Grenzen in Irland ein höchst merkwürdiges Kunstleben;
in enger Verbindung mit Musik und Sculptur, vorzüglich künst-
licher Arbeit in Gold und Erz, erblühte in den irischen Klö-
stern die Kalligraphie und die wunderbar schönen Handschrif-
ten wurden mit reichstem Schmuck der Ornamentik versehen.
Von Dagaeus, der 586 gestorben sein soll, heifst es im Kalender
von Cashel : Hie Dagaeus fuit faber tarn in ferro quam in aere,
et scriba insignis. Fabricavit enim trecentas campanas, trecenta
peda paslorulia, et scripsit trecentos libros evangeliprum; fuitque
Primarius S. Kierani faber. 1 ) Die . Ornamente bestehen theils
in sehr phantastischen Initialen, mindestens der Einfassung
der Capitalen mit rothen Punkten, theils in den künstlichsten
Verschlingungen schmaler Streifen von verschiedenen lebhaften,
gut zusammengestellten Farben. Dazwischen erscheinen ganz
willkürlich und wie Arabesken behandelte Thiergestalten, vor-
züglich Köpfe von Schlangen und Vögeln, aber auch abgeson-
derte Bilder der Evangelisten, der Kreuzigung, in welchen die
menschliche Gestalt nicht minder willkürlich und arabesken-
haft behandelt ist, so dafs die häfslichen Mifsgestalten einen
auffallenden Gegensatz bilden zu den eigenthümlichen, aber ge-
schmackvollen Ornamenten. 2 )
*) Acta SS. Aug. 3, 656. Die Vita enthält mehr darüber.
2 ) S. Schnaase, Geschichte der bildenden Künste 4, 2, 456 f. Astle,
On the Origin and Progress of writirig, aus welchem nach Westwood Sil-
vestre seine Blätter genommen, die Dinte aber verkehrter Weise blafs ge-
macht hat Die schönsten Abbildungen in Westwood's Pal. sacra, vgl.
dessen Aufsatz über Keltische Ornamente bei Owen Jones, Grammatik der
Ornamente (1856) p. 92 — 99 mit einigen Proben, Digby Wyatt p. 13 ff.
Vorzüglich instruetiv, auch mit schönen Abbildungen, F. Keller, in den
Mittheilungen des Züricher Antiquar. Vereins, Band 7, 1850. Nicht ge-
214 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Die reichsten Verzierungen und etwas weniger entartete
Gestalten bietet das Book of Keils l ), welches von S. Columb-
kill herrühren soll und dem 6. Jahrh. zugeschrieben wird. Da
nun unzweifelhaft Gallier und andere Angehörige des römischen
Reiches Lehrmeister der Iren gewesen sind, so scheint: es, dafs
wir eine kräftige, durch einheimische Geschmacksrichtung be-
dingte Entwickelung der Kunst, und langsame, bei den mensch-
lichen Figuren raschere Entartung anzunehmen haben.
Die Anwendung des Goldes fehlt der echten irischen Kalli-
graphie, und pafst auch nicht dazu. 2 ) Erhalten hat sich diese
eigentümliche Kunstübung bis zum zwölften Jahrhundert, wohl
nicht ganz unberührt durch fremde Einwirkung, aber ohne
eigene Fortbildung. Die wandernden Schottenmönche brachten
Handschriften dieser Art in fremde Länder und schrieben dort 3 );
auf die merowingische Kalligraphie haben sie starken Einflufs
ausgeübt, und auch in lombardischen Handschriften ist ihre
Einwirkung wahrzunehmen.
In England stifteten • Iren 634 das Bisthum Lindisfarne
mit einer Schreibschule, aus welcher auch unter angelsächsischen
Bischöfen Werke irischer Kunst hervorgingen, wie uns das
Durkam Book beweist, auch S. Cuthbert's Gcspels genannt, weil
Bischof Eadfrith (698 — 721) es zum Andenken seines Vor-
gängers Cuthbert schreiben liefs, und, wie Unger nachweist,
auch illuminiren. 4 ) Hier ist etwas Gold angewandt, übrigens
sehen habe ich Westwood's Miniatures and Ornaments of Anglo-Saxon and
Irish Manuscripts, Oxford 1868 fol. und The Lindisfarne and Rushworth
Gospels, Publications of the Surtees Society, Vol. 48, 1865. Eben erscheint
ein Aufsatz von F. W. Unger : La Miniature Irlandaise , Revue Celti-
que 1, 9—26.
1 ) im Trinity College, Dublin. Doch wird die Herkunft bezweifelt.
2 ) Ein Beispiel späterer Zuthat im Anz. des Germ. Mus. 1869 N.10,
wiederholt Revue Celtique N. 1.
3 ) Die von dem Schottenmönch Marfan in Regensburg geschriebenen
Handschriften sind jedoch in schönster fränkischer Minuskel ohne irischen
Charakter geschrieben.
4 ) Cotton. Nero D 4. Merryweather p. 63. Waagen i, 134. Digby
Wyatt p. 16. Astle pl. 14. Westwood, Anglo-Saxon Gospels 1. 2. Aldred
fügte 950 eine Interlinearversion hinzu.
Malerei. .215
die Kunst und Technik noch rein irisch. Bald aber berühren
sich die beiden Schreibschulen; Handschriften, welche mit Ca-
pitalschrift in Gold auf Purpur reich verziert sind, und Gemälde
in antikem Stil zeigen, würde man für römisch halten, wenn
nicht Ornamente und Initialen irisch wären. ') Sehr bald aber
nehmen auch diese irischen Erbstücke einen veränderten Cha-
rakter an, so wie andererseits die Nachahmung antiker Vor-
bilder weniger treu ausfällt. Als ein vorzüglich merkwürdiges
Manuscript bezeichnet Digby Wyatt den Psalter in Utrecht,
welcher nach seiner Ansicht in der Schreibschule zu Canterbury
nach römischem Vorbild ausgeführt ist, in drei Columnßn, in
jener leichten zierlichen Capitalschrift, welche als rustica be-
zeichnet wird. Die Initialen sind in sächsisch-irischem Stil
ausgeführt und mit Gold verziert. Zu jedem Psalm aber ge-
hört eine Umrifszeichnung, augenscheinlich nach antiken Vor-
bildern, aber schon erkennt man darin den Uebergang zu den
eigenthümlich flatternden Gewändern und den tiberlangen Pro-
portionen der angelsächsischen Zeichner. 2 ) Diese immer schär-
fer ausgeprägte, oft ganz fratzenhafte Manier gewinnt die Ober-
hand bis ins 12. Jahrhundert; an die Stelle der peinlichen mu-
sivischen Arbeit der Irländer und der fleifsigen Nachahmung
fremder Vorlagen ist ein oft rohes Gekritzel, immer aber leichte
kecke Umrifszeichnung getreten, welche in so fem einen Fort-
schritt bezeugt, als selbständige Naturbeobachtung darin sich zeigt;
so in dem prachtvoll geschriebenen Psalter mit angelsächsischer
Glosse von 1099 3 j, und selbst in dem sonst sehr rohen Pseudo-
Caedm.on. 4 )
Sehr natürlich ist es, dafs auch die karolingische Kunst
*) Brit. Mus. Royal I E 6, Westwood , Purple Latin Gospels of the
Anglo-Saxon School. — Cotton. Vesp. A I , Westw. The Psalter of S. Au-
gustine. Astle pl.. 9, 2. — Vgl. Digby Wyatt p. 19 ff.
2 ) 1. c. p. 19 — 21. Genaue Uebereinstimmung zeigt der unvollendete
Cod. Harl. 603 saec. X, wo viele Bilder theils leicht vorgezeichnet, theils
noch ganz leer gelassen sind, und ein Cod. saec. XII in Cambridge.
3 ) Cod. Arundel 60. Catalogue (1834) pl. 4. Vgl. auch Cotton. Tib.
C 6 bei Westwood, Anglo-Saxon Psalters N. 2.
4 ) Bodl. Junius 11, Archaeologia 24, 329 ff.
216 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
auf England einwirkte, da ja normannische Geistliebe und
Mönche schon vor der Eroberung dort den gröfsten Einflufs
gewannen. Die merkwürdigste Erscheinung ist die Schule von
Hyde Abbey oder New Minster bei Winchester, aus welcher um
980 das schöne Benedictionale des Bischofs Ethelwold (963 bis
984), jetzt im Besitz des Herzogs von Devonshire, hervorging*
Hier sind die Guaschfarben mit Gold ausgeführt, die Gestalten
wohl mangelhaft, aber ohne eine Spur irischer Einwirkung.
Die Schrift ist karolingisch, die Seiten eingefafst mit Goldleisten,
welche von höchst geschmackvollem und eigentümlichem Blatt-
werk in Deckfarben umrankt sind. Es läfst sich eine ganze
Gruppe von Handschriften nachweisen, welche aus derselben
Quelle stammt und gleiche Eigenthtimlichkeiten zeigt. *)
Es würde uns nun viel zu weit führen, wenn wir auf die
reiche Entfaltung karolingischer Kunst hier eingehen woll-
ten. Unter Karl selbst überwiegt durchaus die Nachahmung
antiker Vorbilder, deren schon oben gedacht wurde. Römische
Künstler werden wohl an seinem Hofe gewesen sein, doch
waren die Franken sehr gelehrige Schüler. Byzantinische Ein-
wirkung mochte auch nicht fehlen; sie hat sich zu verschie-
denen Zeiten und auf verschiedenen Wegen immer wieder gel-
tend gemacht, aber die Ornamentik, mit der wir es hier vor-
züglich nur zu thun haben, ist davon in der späteren Zeit
wenig berührt Dagegen ist es überaus merkwürdig und an-
ziehend zu beobachten, wie die irische Ornamentik, nachdem
sie eine Zeitlang zurückgedrängt war, wieder Boden gewinnt,
zugleich aber durch den feineren Geschmack verändert wird.
Die Schlangenwindungen, die Köpfe von Hunden und Vögeln
begegnen uns schon unter Ludwig dem Frommen an reich ver-
zierten Initialen, und unter Karl dem Kahlen treten sie stark
hervor. 2 ) In S. Gallen malten irische Mönche in ihrer ur-
sprünglichen Weise fort, ihre alemannischen Collegen aber
') b. die Ausgabe von John Gage, Archaeologia Vol. 24. Aus den
auch dahin gehörigen Gospels of King Canute geben Tymms and Wyatt pl.
23 Proben. Auch Arundel 155, Catal. pl. 5 ist ähnlich.
2 ) Vgl. namentlich Jorand, Grammatographie du 9® siecle, Paris 1837.
Malerei. 217
schufen mit Benutzung dieser Motive eine ganz neue Art ge-
schmackvoller Initialen, aus künstlich verschlungenen Linien
und Blattwerk, sogenanntem Mafswerk, auch mit phantastischen
Thiergestalten und menschlichen Figuren verziert. Diese Art
d«r Verzierung, welche vorzugsweise, wenn auch nicht allein,
in S. Gallen ihren Ursprung zu haben scheint, zu höchster
Mannigfaltigkeit entwickelt, mit einfach rothen Grundstrichen,
oft aber auch mit reichem Farbenschmuck ausgestattet,- erhält
sich Jahrhunderte lang und verbreitet sich weithin, während
die höhere Kunst mit raschem Verfall sich bald auf unge-
schickte Umrifszeichnungen beschränkt, oder rohe Nachahmun-
gen byzantinischer Arbeit liefert. Dieses Gegensatzes müssen
wir uns bewufst bleiben, um scheinbar widersprechende
Aeufserungen richtig zu würdigen. So wird z. B. mit Recht
die kalligraphische Pracht der Handschriften gepriesen, welche
Heinrich II für sein Bisthum Bamberg anfertigen liefs, aber
die eigentlichen Bilder zeigen einen sehr tiefen Stand der
Kunst. *) Einen Fortschritt zeigt wohl der von Heinrich III
an Speier geschenkte Codex aureus 2 ), und der Farbenschmuck
von Donizo's Vita Mathildis. 3 ) Doch ist noch immer der künst-
lerische Standpunkt ein sehr niedriger, während dagegen die
gleichzeitige Schreibschule in Montecasino sich durch schönste
Schrift und ungemein reiche und geschmackvolle Initialen aus-
zeichnet. 4 )
Nach einer Bemerkung von Waagen 5 ) hört im elften Jahrh.
die Nachwirkung antiker Kunstweise auf, es tritt der tiefste
Verfall ein, in diesem aber zeigen sich die ersten rohen Keime
eigenthümlicher Kunstübung. Als bedeutsam für die Entwicke-
') S. das rohe Bild und die schöne goldene Capitalschrift auf Azur
beiJaeck, Heft 1, und: das Umrifsbild vor Giesebrechts Gesch. d. Kaiserzeit,
2. Band, mit den Bemerkungen p. 601 (3. Ausg.).
2 ) jetzt im Escorial, v. Giesebr. 1. c. p. 66t.
3 ) 1115 noch nicht ganz vollendet. . Nachbildungen bei der Ausgabe,
Mon. Germ. SS. 12, 348 — 409. Ueber die tiefe Stufe dieser Kunst Rumohr,
Ital. Forsch. I, 242.
4 ) s. die Proben bei Westwood, Lombardic Manuscripts, und Silvestre.
5 ) Kunstwerke und Künstler 3,' 268 ff.
218 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
lung der Malerei hebt E. aus'm Werth die grofse, mit Minia-
turen in Deckfarben reich ausgestattete Staveloter Bibel von
. 1097 hervor (oben p. 208). Um die Mitte des 12*. Jahrhun-
derts tritt überall ein grofeer Aufschwung der Kunst ein ; reiche
Initialen sind vorzüglich beliebt, aber auch die Zeichnung der
Figuren wird besser, in den Gesichtern erscheinen Spuren von
Ausdruck. In Italien ist unter starker byzantinischer Einwir-
kung der Aufschwung besonders lebhaft; in England wird unter
der Herrschaft des Hauses Plantagenet die Einwirkung franzö-
sischer Kunstübung übermächtig, und der angelsächsische Stil
4 ; verschwindet. Das bis dahin noch traditionell festgehaltene antike
, Costum wird jetzt verlassen^ und die Trachten der Gegenwart
: werden auch für Darstellungen aus dem Alterthum angewandt.
' Das reichlich gebrauchte Gold ist schön und glänzend; man
beginnt Blattgold auf einer Unterlage aufzutragen, und ver-
wendet es bald mit Vorliebe als Hintergrund für die Bildchen,
deren Farben dadurch gehoben werden. Die Initialen nehmen
oft ganze Bilder in sich auf. Es ist die Zeit, in welcher die
Cistercienser gegen den Luxus, welchen in dieser Beziehung
die Cluniacenser trieben, Opposition machten (oben p. 149).
Auch das schöne und lebhafte Azurblau kam im 13. Jahrh.
zu immer häufigerer Verwendung 1 ); es wurde Mode, in den
Ueberschriften die Buchstaben oder Zeilen abwechselnd roth
und blau zu schreiben, und ebenso die Initialen. Bei diesen
fügte man dann den blauen rothe, den rothen blaue Linien in
zierlichster Verschlingung bei, combinirte auch beide Farben,
und entfaltete darin eine überaus fruchtbare Phantasie. Die
Buchstaben selbst haben nur mäfsige Grofse, aber die daran
haftenden Zierrathen' erfüllen sehr gewöhnlich den ganzen Rand
der Seite. Im 14. Jahrh. ist diese Art der Verzierung durchaus
herrschend, ohne jedoch gleichzeitige Verwendung auch anderer
Schmuckformen auszuschliefsen.
Nach dem Sturz der Staufer gewinnt Frankreich ein un-
widerstehliches Uebergewicht ; französische Sprache und Sitte
*) s. über den Cod. lat. Monac. 17401 F. Kugler, Kleine Schriften 1,
84—87. Vgl. oben p. 211.
Malerei. .219
herrschen in England und Neapel, und erstrecken sich nach
Böhmen und Ungarn. Paris wird nun auch der Hauptort der
Miniaturmalerei , und als solcher von Dante (oben p. 208) er-
wähnt. Bald lassen sich verschiedene Malerschulen unterschei-
den, deren Betrachtung wir der Kunstgeschichte überlassen.
Schon gewinnen die ausgeführten Gemälde gröfsere Bedeutung,
und die reizendsten kleinen Miniaturen füllen die grofsen Räume
der Initialen, welche auch neben der blaurothen Filigranarbeit
noch immer vorkommen. Ebenso erfüllen auch breite Blattver-
zierungen mit wunderlichen Phantasieblumen die breiten Rän-
der grofser Chorbücher. 1 ) Reichste künstlerische Ausstattung
zeigen das Passional der Aebtissin Kunigunde (1320), als Höhe-
punkt der böhmischen Kunstschule bezeichnet 2 ), das Brevier des
Erzbischofs Balduin von Trier 3 ), die von unerschöpflichem Humor
erfüllte Wenzelbibel in Wien 4 ), die Statuten des Ordens vom
H. Geist in Paris. 5 ) Vorzüglich in Frankreich entsteht eine
Fülle der schönsten Handschriften, und vielleicht den höchsten
Gipfel reicher und geschmackvoller Ausstattung erreicht die
Kalligraphie unter dem kunstliebenden Geschlecht der Valois.
Als leidenschaftliche Kunstfreunde, welche unglaubliche Summen
zur Befriedigung dieser Liebhaberei verwenden, erscheinen
König Johann (1350—1364) und seine Söhne Karl V (1364—
1380), Ludwig von Anjou, Titularkönig von Neapel (f 1384),
Vater Ludwigs II (f 1417) und Grofsvater des Künstlerkönigs
Ren6 (f 1480), Jean de Berri (f 1416) und Philipp der
Kühne von Burgund (f 1404), Vater Johanns des Unerschrocke-
nen (f 1419) und Grofsvater Philipps des Guten (f 1467). Sie
*) Charakteristisch sind die Blumen mit grofsen hohen Fruchtknoten
in Form gewundener Kegel. Einige bezeichnen, glaube ich, diese Gattung
als Acanthus-Ornament.
2 ) s. Waagen im Kunstblatt 1850, Wocel im Notizenblatt der Wiener
Ak. 1852 p. 165.
3 ) Auf der Gymnasialbibl. in Coblenz, s. E. Dronke, Beitr. zur Biblio-
graphie (1837) p. 94 ff. Dominicus, Baldewin v. Lützelburg p. 602.
4 ) s. oben p. 214.
5 ) Statuts de l'Ordre du Saint-Esprit au droit d^sir ou du noeud, in-
stitue a -Naples en 1352 par Louis d' Anjou, par le Comte Horace de
Viel-Castel, Paris 1853. Ganz facsimilirt.
220 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
verdienen alle genannt zu werden, weil eine grofse Zahl der
schönsten Handschriften, welche es 'überhaupt giebt, in ihrem
Besitz gewesen, in ihrem Auftrag verfertigt ist 1 ) Die eng-
lisch-französischen Kriege haben wohl vorzüglich nur die Folge
gehabt, dafs die Kunst sich immer mehr nach den Niederlanden
zog, wo sie am burgundischen Hofe lebhafte Pflege fand. Von
dort stammen vorzugsweise die kostbaren Gebetbücher der vor-
nehmen Welt, welche jetzt die Sammlungen zieren. Ihre Werke
waren auch in fernen Ländern gesucht.
Besonders beliebt war bei diesen Künstlern das Dornblatt-
muster 2 ), welches die Ränder mit kleinen gezackten spitzigen
Blättern von glänzendem Gold in schwarzem Umrifs bedeckt,
in ziemlich weitem Abstand von eckigen Zweigen getragen, auf
welchen allerlei Vögel und andere Thiere erscheinen, dazwi-
schen auch Blumen und Früchte. 3 ) Eine anderere französische
Mode dieser Zeit besteht in dem feinen geschachten Grund
von Gold und Farben, von welchem die Miniaturen sich ab-
heben.
Die Dornblattverzierung schliefst sich noch an die Ini-
tialen an; nach der Mitte des 15. Jahrhunderts aber wird eine
ganz selbständige Ausschmückung der Ränder Mode, welche
man nun auch im Vorrath verfertigen kann (oben p. 212),
während die Initialen von kleinerem . Umfang mit Blattgold
und Deckfarben geziert werden, die gröfseren am Anfang der
Abschnitte saubere Bildchen in sich tragen. Auf den Rändern
\) S. Waagen 3, 325 ff. u. unten den Abschnitt von den Bibliotheken.
Wohl nur Silvestre giebt eine Vorstellung von dieser Pracht, abgesehen von
dem unvollendeten Werk des Grafen Bastard. Doch sind auch Westwood
und Humphreys zu erwähnen. Aus der Sammlung des Bastards Anton von
Burgund, Grafen de la Koche en Ardennes, natürl. Sohnes Philipps des
Guten, stammt die Breslauer Handschrift des Froissart, 1468 u. 1469 her-
gestellt unter der Leitung David Auberts, welcher eine grofse Werkstatt
hatte, s. die Beschreibung von Alwin Schultz, Breslau 1869.
2 ) auch ivy-pattern genannt.
3 ) s. z. B. Tymm8 and Wyatt pl. 80. Westwood hat schöne Proben.
Bei Labarte, Album II pl. 93 ein Blatt des Missale von Poitiers, im Besitz
der Stadt Paris, gemacht für Jacques Juv£nal des Ursins als Administrator
1449—1457.
Malerei. 221
aber finden wir nun lose hingelegte Zweige und Blumen, Erd-
beeren, dazwischen Vögel und Schmetterlinge, Käfer und
Baupen, ganz getreu der Natur nachgeahmt, auch einzelne
humoristische und phantastische Gruppen und Gestalten. Als
Unterlage dafür gebraucht man am liebsten das jetzt aufkom-
mende matte Gold. ! ) Daneben macht sich vorzüglich in Italien
der erneute Einflufs antiker Vorbilder, die beginnende Re-
naissance stark bemerklich.
So verbreitet und herrschend war in dieser Zeit die Freude
an bildlicher Ausschmückung, dafs wir sie auch in Urkunden
finden. In päbstlichen Bullen sind nicht selten die Initialen
der ersten Zeile in Sepia reich und geschmackvoll verziert.
Auf Ludwigs des Baiern Belehnungs-Urkunde für die Herzoge
von Pommern von 1338 ist eben diese Belehnung abgebildet. 2 )
Die Urkunde Eugens IV von 1439 über die Vereinigung der
griechischen und römischen Kirche auf der Pariser Bibliothek
(Silvestre Vol. III) hat reichen Farbenschmuck. Die Schenkung •
des Mailänder Herzogs Ludovico il Moro an seine Gemahlin
vom 28. Jan. 1494 zeigt die Porträts beider Gatten von schönen
Arabesken umgeben. 3 )
Ohne nun auf die zahlreichen Varietäten der Kunstübung
einzugehen, auf die Prachtwerke, welche Italien und Deutsch-
land hervorbrachten, will ich nur noch bemerken, dafs vom
14. Jahrhundert an die Kunst sich auch immer mehr popula-
risirt. Der Sachsenspiegel wird mit symbolischen Bildern aus-
gestattet, welche das Verständnifs erleichtern, kaum zum
*) Ein Hauptwerk dieser Gattung ist : Le Livre d'heures de la Reine
Anne de Bretagne (Gemahlin Karls VIII u. Ludwigs XII), traduit du Latin
et accompagne de Notices inedites par M. TAbbe* Delaunay, Paris 1861,
mit Facs. der ganzen Handschrift. Jehan Poyet hatte am Rande die Pflanzen
aus ihrem Garten zu Blois naturgetreu abgebildet, mit beigefügten Namen.
Vgl. Bibl. de l'ficole des Chartes 3, 1, 157 über die Preise, nach Leon de
Laborde, Sur les lettres, lesarts et Tindustrie pendant le 15© siecle, Introd.
p. XXIV. Noch reicher ist das Gebetbuch Heinrichs VII v. England im
Brit. Museum; eine Seite bei Noel Humphreys.
2 ) wenn ich mich einer Urkunde im Berl. Staats- Archiv richtig erinnere ;
es könnte auch eine andere sein.
3 ) im ßrit. Museum, s. Digby Wyatt p. 44.
222 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Schmuck dienen sollen, und deren Typen in die Entstehungs-
zeit des Rechtsbuches hinaufzureichen scheinen. 1 ) Deutsche
Gedichte werden fabrikmäfsig abgeschrieben und mit sehr rohen
handwerksmäfsigen Bildern versehen. 2 ) Bilder aus der bibli-
schen Geschichte zur Erbauung und moralischen Anleitung wer-
den frühzeitig durch Holzschnitt vervielfältigt und grob ange-
malt. Dergleichen Schmuck ist noch in den alten Drucken
sehr häufig; die feinere Kunst aber trennt sich vom Gewerbe,
und was auch nach den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhun-
derts noch mit Aufwand verfertigt wird, hat nur selten den
hohen Kunstwerth, niemals den ganz eigenthümlichen an-
muthigen Reiz der mittelalterlichen Kunst.
3. Einband.
• Die alten Kalligraphen schrieben nicht nur für Bücher auf
losen Lagen, sondern auch für Rollen auf einzelnen Blättern,
die erst nach der Vollendung von den glutinatores an einander
geleimt; oder, wenn es Pergament war, zusammengenäht wur-
den. 3 J Hesychius hat unter (peXXog, Kork, auch die Bedeutung
rwv ßißlicov €§iod'ev OKeTtaoiia. Eigentümliche Einbände mit
überschlagenden Zipfeln zum Verschliefsen, besonders wohl für
amtliche und Rechnungsbücher, sieht man in der Notitia Digni-
tatum z. B. 1, 48. 49. 115. 116. 2, 59. 60; dieses letzte Blatt
gröfser und farbig in Libri's Mon. Inödits pl. 54. Auch Pur-
purstoffe wurden zum Einband verwandt : tqIcl xvTCt'm ow/uarwa
anb ßkccTTicjv höeöv/niva/) Von einer Fälschung des Photius
heifst es in den Acten des Concil. Const. IV. a. 869 : dfitpiivwai
*) s. 0. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen 1, 387.
2 ) Daran ist die Heidelberger Bibliothek sehr reich. Derselben Gat-
tung, wenn auch ein wenig höher stehend, und durch die dargestellten
Gegenstände höchst interessant, gehört Ulrich von Reichenthal's Buch vom
Costnitzer Concil, welches jetzt bei A. Bielefeld in Carlsruhe in farbiger
photographischer Nachbildung erscheint.
3 ) vgl. oben p. 112. G6raud p. 86.
■*) Montf. Pal. p. 18.
Einband. 223
de xccl TtTv^aig nakaioxaxaiq ex, TtakaioTaxov ßißXiov aqxxi-
QOvfxevog. l )
In späterem Griechisch hiefsen die Buchbinder azaxoräöeg,
der Einband OTaxcofict, einbinden oraxtoveiv.*)
Cassiodor übergab dem von ihm gestifteten Kloster auch
Buchbinder, und zugleich gezeichnete Einbände zur Auswahl:
His etiam addid intus in codicibus cooperiendis doctos artifices
.... Quibus multiplices species faeturarum in uno codice de-
pictas nifallor decenler expressimus, ut qualem maluerit Studiosus
tegumenti formam ipse sibi possit eligere. In den folgenden
Jahrhunderten werden Buchbinder wohl kaum genügende Be-
schäftigung gefunden haben, da die Geistlichkeit auch diese
Kunst selbst besorgte, wenn auch nicht immer eigenhän-
dig. Das Kloster S. Riquier hatte im neunten Jahrhundert
seine eigenen Lederer dazu in der villa S. Richarii: Vicus
scutariorumomnia voluminum indumenta tribuit, conßcit, consuil.
valet 30 solidos. 3 ) In einem Cod. saec. VI. der alten Cölner
Bibliothek findet sich der eigenthümliche Ausdruck Sigebertus
bindit libellum.*)
Frühzeitig schon kommen eigene Stiftungen für die Ein-
bände der Bücher vor. Karl der Grofse schenkte im Dec. 774
an S. Denis einen Wald mit der Jagd auf Hirsche und Rehe,
ex quorum coriis libros ipsius sacri loci cooperiendos ordina-
vimus*), und gestattete im März 800 dem Kloster S. Bertin die
Jagd tarn ad Volumina librorum tegenda quam ad manicias et
zonas faciendas, 6 )
Den Karthäusern schickte der Graf Wilhelm von Nevers
aus Bewunderung ihrer strengen Zucht Gold und Silber zum
Geschenk; da sie aber das zurückwiesen, boum tergora et per-
gamena plurima retransmisit , quae paene inemtabiliter ipsis ne-
*) Mansi Coli. Concü. 16, 284.
2 ) oben p. 202. Du Cange s. v. Montf. p. 40 ev<ntxx<o<7sv für compegit
vom J. 1406.
3 ) Mabillon Actt. 4, 1 p. 100 ed. Ven.
4 ) Pertz' Archiv 8, 111.
5 ) Sickel K. 33, nicht ganz unverdächtig.
6 ) K. 161. Das Jahr ist zweifelhaft. »
222 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift
Schmuck dienen sollen, und deren Typen in die Entstehungs-
zeit des Rechtsbuches hinaufzureichen scheinen. 1 ) Deutsche
Gedichte werden fabrikmäßig abgeschrieben und mit sehr rohen
handwerksmäfsigen Bildern versehen. 2 ; Bilder aus der bibli-
schen Geschichte zur Erbauung und moralischen Anleitung wer-
den frühzeitig durch Holzschnitt vervielfältigt und grob ange-
malt. Dergleichen Schmuck ist noch in den alten Drucken
sehr häufig; die feinere Kunst aber trennt sich vom Gewerbe,
und was auch nach den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhun-
derts noch mit Aufwand verfertigt wird, hat nur selten den
hohen Kunstwerth, niemals den ganz eigentümlichen an-
muthigen Reiz der mittelalterlichen Kunst.
3. Einband.
* Die alten Kalligraphen schrieben nicht nur für Bücher auf
losen Lagen, sondern auch für Rollen auf einzelnen Blättern,
die erst nach der Vollendung von den glutinatores an einander
geleimt; oder, wenn es Pergament war, zusammengenäht wur-
den. *) Hesychius hat unter cpellog, Kork, auch die Bedeutung
tüjv ßißUcov e^io&ev o'/,£7tao[4,(x. Eigentümliche Einbände mit
überschlagenden Zipfeln zum Verschliefsen, besonders wohl für
amtliche und Rechnungsbücher, sieht man in der Notitia Digni-
tatum z. B. 1, 48. 49. 115. 116. 2, 59. 60; dieses letzte Blatt
gröfser und farbig in Libri's Mon. Inödits pl. 54. Auch Pur-
purstoffe wurden zum Einband verwandt: tqicc tvtciagl oco/xccrußa
cc7co ßlarrlojv lvöedv(.iev<x.*) Von einer Fälschung des Photius
heifst es in den Acten des Concil. Const. IV. a. 869 : d^iivwai
A ) s. 0. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen 1, 387.
2 ) Daran ist die Heidelberger Bibliothek sehr reich. Derselben Gat-
tung, wenn auch ein wenig höher stehend, und durch die dargestellten
Gegenstände höchst interessant, gehört Ulrich von Reichenthal's Buch vom
Costnitzer Concil, welches jetzt bei A. Bielefeld in Carlsruhe in farbiger
photographischer Nachbildung erscheint.
3 ) vgl. oben p. 112. G^raud p. 86.
l ) Montf. Pal. p. 18.
Einband. 223
*
ök xal 7tTvx<xlS TtaXaiOTaTaig Ix itaXaioxctTOv ßißliov aqxxi-
Qovfievog. *)
In späterem Griechisch hiefsen die Buchbinder otaxoTadeg,
der Einband ota%o)iia } einbinden araxcovetv. 2 )
Cassiodor übergab dem von ihm gestifteten Kloster auch
Buchbinder, und zugleich gezeichnete Einbände zur Auswahl:
His etiam addidimus in codicibus cooperiendis doctos artifices
.... Quibus multiplices species facturarum in uno codice de-
pictas nifallor decenter expressimus, ut qualem maluerit Studiosus
tegumenti formam ipse sibi possit eligere. In den folgenden
Jahrhunderten werden Buchbinder wohl kaum genügende Be-
schäftigung gefunden haben, da die Geistlichkeit auch diese
Kunst selbst besorgte, wenn auch nicht immer eigenhän-
dig. Das Kloster S. Riquier hatte im neunten Jahrhundert
seine eigenen Lederer dazu in der villa S. Richarii: Vicus
scutariorumomnia voluminum indumenta tribuit, conßcit, consuit.
valet 30 solidos. 3 ) In einem Cod. saec. VI. der alten Cölner
Bibliothek findet sich der eigenthümliche Ausdruck Sigebertus
bindit libellum.*)
Frühzeitig schon kommen eigene Stiftungen für die Ein-
bände der Bücher vor. Karl der Grofse schenkte im Dec. 774
an S. Denis einen Wald mit der Jagd auf Hirsche und Rehe,
ex quorum coriis libros ipsius sacri loci cooperiendos ordina-
vimus*), und gestattete im März 800 dem Kloster S. Bertin die
Jagd tarn ad Volumina librorum tegenda quam ad manicias et
zonas faciendas. 6 )
Den Karthäusern schickte der Graf Wilhelm von Nevers
aus Bewunderung ihrer strengen Zucht Gold und Silber zum
Geschenk; da sie aber das zurückwiesen, boum tergora et per-
gamena plurima retransmisit , quae paene inevitabiliter ipsis ne-
J ) Mansi Coli. Concil. 16, 284.
2 ) oben p. 202. Du Cange s. v. Montf. p. 40 tvciaxwcsv für compegit
vom J. 1406.
3 ) Mabillon Actt. 4, 1 p. 100 ed. Ven.
4 ) Pertz' Archiv 8, 111.
5 ) Sickel K. 33, nicht ganz unverdächtig.
6 ) K. 161. Das Jahr ist zweifelhaft. t
224 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
cessaria esse cognovit. 1 ) Hoel Graf von Cornouaille (f 1084)
sah einst in der Kathedrale von Quimper auf dem Altare ein
Buch ohne Einband; dessen Blätter sich ablösten ; da schenkte
er zuüi Einband der Bücher die Felle der auf seinem Gut
Quiberon getödteten Hirsche. 2 )
Der Bischof Otto von Bamberg verstand sich selbst auf
diese Kunst; als Hofkaplan bei Heinrich IV bemerkte er, dafs
dessen Gebetbuch manuali frequentia rugosus et admodum obfus-
catus erat. Quod pius Otto cernens, absente imperatore, vetusto
codicem involucro despoliavit, et novam mercatus pellem eumque
decenter cooperiens, loco suo reposuit.*)
Merkwürdig ist die Verfügung, welche 1 156 der Abt Robert
von Vendöme traf. Es bestand nämlich die Gewohnheit, dafs
guando aliquem librorum ligari oportebat, der P. Kellermeister
und der Kämmerer die Ausgaben trugen. Da sie sich aber
über ihren Antheil zu streiten pflegten, librorum ordo neglige-
batur , nee novi ßebant, nee ut decebat veteres corrigebantur. 4 )
Deshalb verordnet nun der Abt, dato alle Cellen des Klosters
einen genau bestimmten Zins für das armarium bezahlen sollen.
Die Insassen der reicheren Klöster gaben sich damals mit
solchen Arbeiten nicht mehr ab, doch mag es immer noch
häufig genug vorgekommen sein; auch hatte man für Hand-
arbeiten Laienbrtider, wie denn in Kremsmünster noch im
vorigen Jahrhundert ein Laienbruder die Bücher gar säuberlich
und gleichmäfsig in weifses Leder gebunden hat.
Förmlich gewerbmäfsig betrieben die Brüder vom gemeinen
Leben, wie alles was zur Erzeugung von Büchern gehört, so
auch die Buchbinderei. Ihre Regel 5 ) verordnet c. 14 de
ligatore: Colligandis libris deputabitur unus a reetore, sxtb
cuius respectu erunt omnia instrumenta ad ligaturam requisila.
*) Guibertus Novig. de vita sua 1,11. Opera p. 468.
2 ) Bibl. de l'ficole des Chartes 5, 3, 40 aus Dom Morice, Preuves de
l'histoire de Bretagne 1, 378.
3 ) Ebonis Vita Ott. Bab.-l, 6. Jaffe, Bibl. 5, 594.
4 ) Martene, Thes. 1, 445.
5 ) Serapeum 2, 186 aus Miraeus.
Einband. 225
Hie erit cum procuratore solicitus pro asseribus, corio et orichalco,
et ceteris ad officium necessariis, ut scilicet debito tempore
emantur et disponantur. Libros ligandos a scripturario reeipiet,
ligatosque eidem restituet, qui pretium laboris pro eisdem rece-
ptum procuratori repraesentabit. Bruder Godfrid, der von
Hervord kommend in Hildesheim 1444 das Haus auf dem
Maria Leuchtenhofe gründete, beschäftigte sich inzwischen mit
Buchbinden; die neue Congregation hatte bald wegen des
grofsen Bedarfs an Büchern, welchen die in den sächsischen
Klöstern eingeführte Reformation hervorrief, viel zu thun, und
verdiente mit Schreiben und Einbinden über tausend Gulden. x ) .
In Folge dieser Beform erwachte in vielen Klöstern neue
litterarische Thätigkeit, so in S. Peter in Erfurt, wo Nicolaus
<le Siegen 1495 einen der Mönche als ligator librorum bezeich-
net. 2 ; Vorzüglich zeichnete sich auch das Stift S. Ulrich und
Afra in Augsburg aus, wo der Abt Melchior von Stamheim
1472 eine Druckerei begründete, um die Brüder zu beschäftigen,
ne essent ociosi, seil, comparando tales libros, similiter corri-
gendo, rubricando, illigando etc. 2 ) Von 1490 bis 1494 wurden
63 rheinische Gulden ausgegeben pro ligandis libris neenon
clausuris et aliis necessariis ad eosdem libros. Der Buchbinder
aber war Nicolaus, ein Augsburger Bürger. 4 )
Natürlicher Weise kam mit dem Bürgerstand auch die
Buchbinderei als bürgerliches Gewerbe empor, An den Uni-
versitäten hatten sie an den Privilegien Antheil, und zu den
17 lieeurs de livres } weichein der Pariser Steuerrolle von 1292
genannt werden 5 ), sind wohl noch andere mit cl ericaler Immu-
nität versehene zu zählen. In Cöln sind sie um 1300 nachzu-
weisen, in den Prager Stadtbüchern werden sie häufig genannt 6 ),
! ) Jo. Busch de reformat. monast. ap. Leibnit. 2, 855.
2 ) Thür. Geschichtsquellen 2, 501.
3 ) W. Wittwer, Catal. abb. SS. Udalrici et Afrae, in Steichele's
Archiv, f. Gesch. d. Bisth. Augsb. 3, 265.
4 ) ib. p. 369.
5 ) H. Geraud, Paris sous Philippe-le-Bel (1837) p. 519.
6 ) Palacky, Böhm. Gesch. 3, 1, 188.
Wattenbach, Schriftwesen. 15
226 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift
und so erscheinen sie nach und nach überall. Richard de Buri
hatte immer eine Anzahl colligatores in seinem Dienst
In Aenfabric rolls der Domkirche zu York ist 1395 ein-
getragen : Roberto bukebinder pro iigatura unius magni gradualis
pro choro ex convencione facta decem solidos. Eidem pro qua-
tuor pellibus pergameni pro eodem custodiendo viginti denarios.
Eidem pro una pelle cervi pro coopertura dicti libri tres soL
duos denarios.*)
Jacob von Koenigshofen zahlte 1397 für Rechnung des
Capitels von S. Thomas in Strafsburg 2 livres 14 sols pro
bappiro ad libros instrumentorum et pro pergameno } unde zuo
beslahende unde zuo bindende.*) Ein Rechtsbuch der Heidel-
berger Bibliothek hat die Unterschrift: scriptum a. 1465 per
me AlbePtum Schwab. Similiter et inligatum. 3 ) Ein gewisser
Hans Dirmsteyn, von dem ebenfalls nur der Name bekannt
ist, besorgte 1471 ein Buch von den sieben weisen Meistern
ganz allein:
Der hait es geschreben vnd gemacht,
Gemalt, gebunden vnd gantz follenbracht. 4 )
In dem Registrum episcopi Pritzlai inceptum a. 1368 in
Breslau ist eingeschrieben inlroligatum 1475. Ein Jahrhundert
lang hatte es sich ohne Einband behelfen müssen. 5 ) Das kam
sehr häufig vor, und man erkennt die Spuren davon an den
abgeriebenen Aufsenseiten, auch wohl an fehlenden Lagen, wie
in der Benedictbeuerer Abschrift saec. XII der Chronik des
Leo von Ostia, wo sie im 15. Jahrhundert ergänzt sind. In
einem Inventar des 13. Jahrhunderts aber steht: XVI colernuli
de Monte Cassino. 6 ) Aehnliche Angaben finden sich in alten
! ) D. Wyatt p. 37 aus der Ausg. von James Raine, Durham 1859.
2 ) Charles Schmidt, Histoire du Chapitre de Saint -Thomas p. 112.
3 ) Wilken p. 375. Homeyer n. 319.
4 ) Kirchhoff, Handschriftenhändler p. 1 1 8 aus v. d. Hagen u. Buschitig,
Literar. Grundrifs p. 307.
5 ) Cod. dipl. Sil. 4, 14.
6 ) Mon. Germ. SS. 7, 556.
%
Einband. 227
Verzeichnissen häufig; viele Bücher sind in guaternis 1 ), andere
geheftet und durch ein Pergamentblatt geschützt, aber noch
sine asseribus (oben p. 167). Diese einfachste Art des Ein-
bandes, in welcher viele Bücher, vorzüglich urkundlichen In-
halts, sich bis auf unsere Zeit recht gut erhalten haben 2 ), be-
zeichnet eine englische Berechnung saec. XIII : ad ponpndum
in corrigiis unum denarium, in percameno obolum. 3 ) Angelus
Politianus geht auf die antike Ausdrucksweise zurück, indem
er in seinem Theokrit bemerkt 4 ) : Emi solutum lib. 6. lora vero,
umbilici, tabellae, corium, bibliopola constiteruni üb. 2 sol. 6. Hier
scheint der Büchhändler zugleich Buchbinder gewesen zu sein,
was nicht selten vorkommt. Die Placentiner Chronik kostete
1295 inter cartas et scripturam et ad ligandum et ad ponendum
in asseribus libras quatuor et sol. sex tremissem. 6 )
Um die verschiedenen Theile eines Werkes oder die in
einem Bande vereinigten Schriften leichter auffinden zu können,
pflegte man am Anfang derselben Pergamentstreifen zu be-
festigen, welche aus dem Schnitt hervorragen. Auch hatte
man Schnüre oder Bänder, wie noch jetzt, um eine Stelle wie-
derfinden zu können ; diese hiefsen Register. Gesehen habe ich
dergleichen freilich nicht, aber Ebrard von Bethune sagt im
Graecismus :
Esse librum librique ducem die esse registrum.
Dazu führt Du Cange die Glosse an : Registrum, corda in libro
ad inveniendum lectionem. Ebenso heifst es in dem oft er-
wähnten alten Wörterbuch 6 ): Registrum, register vel buch
*) in der Heidelberger Bibliothek 1438 Sermones facti in concilio Con-
stanciensi in sexternis nondum ligatis.
2 ) so die alchy mistische Handschrift Germ. 597 saec. XV in Heidelberg,
gleichzeitig in ein verworfenes Urkundenconcept gebunden, welches am
Rücken durch einen breiten Lederstreifen verstärkt ist. Fäden, an der
einen überschlagenden Decke angebracht, lassen sich an Knöpfen befestigen.
3 ) Kirchhoff, Handschrifter händler p. 11 aus Coxe, Catal. codd
Oxon. 2, 35.
4 ) ib. p. 31 aus Bandini, Codd. graeci 2, 205.
5 ) Mon. Germ. SS. 18, 405. Pertz liest fälschlich in assibus.
6 ) Serapeum 23, 279. Im Vocabularius optimus Reistrum, Kersnuor.
15*
*
228 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift
schnür, in proposito est zona vel multitudo zonarum interposita
foliis quaternorum ut scriptum quae quaeritur cilius inveniatur
et facilius inveniri possit. Dann folgt die Beschreibung eines
Registers in der gewöhnlichen Bedeutung. Bald darauf wird
ein mir unbekanntes Werkzeug beschrieben: Tenaculum, heb-
eysen , est illud per quod sextemorum anguli constringuntur, ne
complicentur in rugas. Das mag wohl eher beim Schreiben als
beim Einband in Anwendung gekommen sein.
Bekannt sind die starken alten Einbände von festem Holz,
ganz oder th eilweise mit Leder, zuweilen auch mit Seide
und Sammet tiberzogen, und mit metallenen Beschlägen und
Schliefsen versehen. 1 ) Ein förmlich verschliefsbarer Einband
ist in Beyschlag's Beiträgen 4, 14 beschrieben; es ist ein Rechts-
buch der h. Fehme von 1482 in Nördlingen, mit der Aufschrift:
Kainer soll difs Buch ufthun noch lesen Er sey dann der Kay.
freyen Aucht und Gericht Frey schöpf bey Kay. Aucht und
Ungnade.
Auch die Einbände wurden künstlerisch, und zwar oft
überaus reich verziert. Viele Prachtstücke der Art aus dem
Mittelalter, mehr jedoch aus späterer Zeit, zeigen in glänzender
Nachbildung die Monuments inödits ou peu connus, faisant
partie du Cabinet de Guillaume Libri, et qui se rapportent
ä Thistoire des Arts du Dessin, consid6res dans leur Appli-
cation ä rOrnement des Livres, 2. # ed. augmentee, 65 planches
superbement illuminöes en or et eh couleurs, avec un texte
Anglais et Frangais. Londres 1864 gr. folio. 2 ) Die erste Aus-
gabe mit 60 Tafeln erschien 1862. Auch die Bilderhefte zur
Geschichte des Bücherhandels und der mit demselben verwandten
*) Wilken, Gesch. der Heidelb. Büchersammlungen p. 98 führt nach
Kremer, Hist. et Commentatt. Soc. Palat. 1, 406 ff. aus einem Verzeichnifs
von 1438 ein Werk von Nicolaus de Lyra an: in asseribus cum serico viri-
dis coloris superductis clausurisque {et) fibulis argenteis et deauratis. Ein
anderes Werk von Lyra ist in pergameno et asseribus cum coopertorio
viridis coloris et clausuris simplicibus sine fibulis. Solche Stellen sind
häufig; ein Buch hat 4 clausuras. Danach müssen wohl clausurae die Be-
schläge an den Ecken sein.
2 ) Auch recht schöne Schriftproben sind darin enthalten.
Einband. 229
Künste und Gewerbe, herausgegeben von H. Lempertz,,
1865 fol. enthalten Abbildungen von Prachtbänden.
Ein Ledereinband eines Gebetbuches vom Ende des 15.
Jahrhunderts mit Figuren ist abgebildet und beschrieben im
Anzeiger des Germ. Museums 1870 Sp. 121, und andere wer-
den folgen. Daselbst ist 1862 Sp. 324 der merkwürdige Ein-
band eines Breviers beschrieben und abgebildet, dessen über-
schlagendes Leder unten einen halb offenen Beutel bildet, der
in einen Knopf von farbigen Lederriemen ausläuft. Beispiele
aus Gemälden zeigen, dafs man solche Bücher am Gürtel trug,
und auf einer Darstellung der Kreuzigung in Bronze von c.
1500 in Hamburg hält Johannes einen solchen Booksbüdel 1 )
Das Wort bezeichnete später das übertriebene Festhalten an
alter Sitte, und wurde, als man es nicht mehr verstand, in
Bocksbeutel verwandelt.
Zum Einband kirchlicher Bücher verwandte man gern,
wie schon oben p. 44 erwähnt wurde, die alten Diptychen von
Elfenbein, und schnitt auch neue Platten mit Darstellungen
heiliger Gegenstände. Häufig aber nahm man auch Platten von
Gold und Silber", welche sehr kunstreich verziert, und mit
Email, Perlen und Edelsteinen geschmückt wurden. Schöne
Proben davon geben Libri, und Jules Labarte, Histoire
des Arts Industrieis au Moyen Age (1864), Album Vol. 1, und
2, 101 — 103 auch von den weniger bekannten emaillirten
griechischen Einbänden. Schon Agnellus von ßavenna erwähnt
alapas evangeliorum aureus, ein Ausdruck der, da er zweimal
vorkommt, wohl nicht verändert werden darf. 2 )
Merkwürdig sind die symbolischen Einbände für die ein-
zelnen Theile des Corpus Juris, welche Seb. Brandt als her-
kömmlich beschreibt. 3 ) Gerichtsbücher pflegten roth eingebun-
*) Von den Arbeiten der Kunstgewerke des Mittelalters zu Hamburg
(1865) Tafel XI. Auf dem Bilde sieht es freilich mehr wie eine Fidel aus.
Von anderen Buchbeuteln s. unten.
2 ) Schwarz de ornamentis libr. p. 166 will verbessern alas. Allein das
ist ebenso wenig ein bekannter Ausdruck.
3 ) Expositio omnium titulorum iuris, Lugd. 1538.8. fol. 1. abgedruckt
im Serapeum 1857 p. 240.
i .
230 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
den zu werden, und deshalb auch Eothe Bücher zu heifsen. 1 )
Ueberhaupt henannte man gern die Bücher nach ihren Einbänden,
vorzüglich Archivstücke, für welche es keinen Autornamen gab.
Sehr häufig sind die libri aurei, nach dem kostbaren Einband
genannt. Bekannt ist der liber blancus des venetianischen
Archivs, Über viridis aus Asti, in Bologna die Gemma preciosa,
il libro delle tre croci 2 ), liber cuzium. 3 ) Der Breslauer Dom
hat seinen liber niger, das Martinskloster zu Tours seine
pancharte noire. In Irland giebt es ein gelbes Buch, Lqabhar
buidhe, ein schwarzes, dubh, ein rothes, ruadh, ein geflecktes,
breac. 4 ) Beromünster hat einen liber crinitus, Zwettel eine Bären-
haut, ein riesiges Copialbuch, dessen Decke aber nicht von
einem Bär, sondern von einem Eber stammen soll. Oft sind
die Namen schwer zu erklären und von zufälligen Umständen
hergenommen ; die alten Breslauer Rathsbücher hiefsen kirsuta
hilla, buculatus, pauper Henricus, nudus Laurentius. Die beiden
letzten sind wohl nach den Schreibern benannt, welche sie
führten, das letzte blieb vermuthlich lange ungebunden. In
der Magdeburger Schöppenstube gab es ein Buch, welches
Moyses hiefs, nach dem Anfangswort des bekannten Prologes
zur Lex Baiuwariorum. 5 )
Kostbare und schön eingebundene Bücher hatten noch ein
besonderes Kleid zum Schutz, ein Hemd, camisia. Du Cange
führt das Wort schon aus einem Testament von 915 an; bei
den Karthäusern hatte der Sacrista librorum camisias zu waschen.
In der Lebensbeschreibung des Fructuosus ep. Bracarensis, der
um 670 gestorben, dessen Biograph aber viel jünger ist, wird
erzählt, dafs bei dem Uebergang über einen Flufs seine Bücher
ins Wasser fielen, worauf er Codices .... eici de marsupiis et
sibi praesentari praecepit. 6 ) Später trieb man auch mit diesen
*) J. F. Boehmers Leben und Briefe (von J. Janssen) 3, 436.
2 ) Blume, Iter Ital. 2, 135.
3 ) ib. p. 142.
4 ) Th. Moore, Hist. of Ireland 2, 57 n.
5 ) Hans Prutz im Archiv f. Sachs. Gesch. 2, 293.
6 ) Mab. Act. 2, 561 ed. Yen.
Einband. 231
Beuteln grofsen Luxus. Die Heures de S. Louis in Paris haben
noch ihr ursprüngliches Hemd von rothem Zindel. *) Bei den
Bücherfreunden des 14. Jahrhunderts findet sich in den Inven-
taren angegeben estui de drap (For, chemise de drap semee- de
marguerites, couvertures en drap de satin, en veluyau, en damas,
estriguier de semence de perlest)
B. Dudik beschreibt 3 ) den Originalcodex des Processus
canonisationis b. Katerine Vastenensis vom J. 1477. Alle
Blätter haben 4 Löcher, durch welche die Siegelschnüre ge-
zogen waren. Der Codex ist nicht gebunden, sondern ruht in
einer goldgestickten Damasthülle, die mit grüner Seide ge-
füttert ist.
Zu ei wähnen sind noch die kostbaren Behälter der Evan-
gelien von Gold und Silber, welche vorzüglich in Irland ge-
bräuchlich waren, wo sie cumhdach hiefsen. Man findet sie
auch in England und Frankreich unter dem Namen capsa,
bibliotheca, coopertorium. 4 )
Es ist immer eine grofse Barbarei, wenn man, wie das
besonders in früherer Zeit häufig geschehen ist, ohne Noth die
ursprünglichen Einbände zerstört. Nicht selten sind sie von
Wichtigkeit, um die Herkunft einer Handschrift zu erkennen;
besonders nach dem Aufkommen der Wappen pflegen sie damit
versehen zu sein. So tragen die Handschriften von Saint-
Hubert den Hirsch, die Budenses den Baben des Mathias Cor-
vinus. Vorzüglich aber enthalten die Deckblätter oft wichtige
Notizen, oder sie sind gar Reste älterer werthvoller Hand-
schriften. Der Abt Macarius vom Berge Athos verwandte 1218
die kostbare Uncialhandschrift der paulinischen Briefe zu Ein-
bänden, und in Bobio sind ebenfalls die werth vollsten Hand-
>) Geraud p. 144.
2 ) nach Barrois, dessen Buch mir hier fehlt.
3 ) Archiv f. Oest. Gesch. 39, 53, Terz, des Archivs der Dominicaner
in Krakau.
4 j Du Cange s. v. Capsa.
232 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Schriften so mifsbraucht worden. Auch Urkunden sind oft zum
Einbinden benutzt. ') Hatte nun der Buchbinder einmal solches
Material unter Händen, so nahm er davon auch die Falze
zwischen den Lagen, und man hat daher auch diese sorgfältig
zu beachten. Zuweilen fügen sich die schmalen Streifen in
•
überraschender Weise zusammen und geben werthvolle Re-
sultate ; Docen hat auf solche Weise in der Münchener Biblio-
thek schöne Entdeckungen gemacht, Endlicher in Wien die
Fragmente des Ulpian und Plinius in dem Codex des Hilarius ge-
funden, Pertz Fragmente der ältesten bekannten Handschrift
des Schwabenspiegels aus einer Incunabel erlöst. 2 ) Gerade In-
cunabeln sind für diesen Zweck zu beachten, doch sind auch
hier die werthvollen Funde selten, und man braucht nicht eben
jedes beschriebene Pergamentblatt abzureifsen.
Als einen anderen Fundort will ich bei dieser Gelegenheit
die alten Orgeln bezeichnen. In einem fränkischen Nonnen-
kloster gaben 1624 die Nonnen dem Organisten Keller eine
Pergamenthandschrift, um damit die Blasebälge der Orgel aus-
zukleben ; er aber entschlofs sich aus Ehrfurcht vor dem Alter-
thum der Schrift, dieselbe aufzubewahren. Es ist ein 138&
geschriebenes deutsches Gedicht, die Himmelstrafse, jetzt in
der Petersburger Bibliothek. 3 )
4. Fälschungen.
Eine Abhandlung über Fälschungen alter und neuer Zeit
würde einen eigenen Abschnitt in Anspruch nehmen, und nicht
hierher gehören. Ich werde mich aber hier auf einige Aeufser-
lichkeiten beschränken. Ueber Fälschungen von Urkunden
handelt sehr ausführlich, mit Anführung vieler merkwürdiger
*) Das coopertorium Judaicum^ Reiches Wilken p. 98 aus dem Ver-
zeichnifs von 1438 anführt,' wird auch wohl Pergament mit hebr. Schrift
gewesen sein, was nicht selten als Einband vorkommt.
2 ) Archiv 10, 417 mit Facsimile.
3 ) Serapeum 21, 23. Man verklebt, glaube ich, auch die hölzernen
Pfeifen mit Pergament.
?>
Fälschungen. 233
Thatsachen, der siebente Theil des Nouveau Traite (6, 110 —
281), wogegen aber Tb. Sickel (Urkk. der Karolinger 1, 21—
26) mit Recht bemerkt hat , dafs die Verfasser in ihrem Eifer,
die Mönche und ihre Urkunden zu vertheidigen, zu weit ge-
gangen sind. Unsere Archive sind voll von falschen Urkunden,
von welchen viele lange Zeit für echt gegolten und auch recht-
liche Wirkung gehabt haben. Vorzüglich merkwürdig ist im
schlesischen Staats-Archiv zu Breslau der Fall, dafs der echte
Stiftungsbrief des Klosters Leubus von 1175 neben drei ge-
fälschten Exemplaren aus dem 13. und 14. Jahrhundert unver-
sehrt erhalten ist. 1 ) Wenn, wie hier, einfach die Schrift der
späteren Zeit in Anwendung, gebracht ist, so ist die paläo-
graphische Kritik leicht und einfach. Auch die Nachahmung
einer viel älteren Schrift ist gewöhnlich so schlecht gelungen,
dafs der Betrug sich gleich verräth. Wo aber die Fälschung
dem Datum der Urkunde nicht so fern steht, wird die Aufgabe
oft schwierig und ist zuweilen gar nicht mit Sicherheit zu lösen.
Ein lehrreiches Capitel über Fälschung von Handfesten
enthält der Anhang zum Schwabenspiegel, welcher sich
in einigen Handschriften findet. 2 ) Es ergiebt sich daraus auch
ein Nachtrag zu dem Abschnitt von den Palimpsesten , wobei
p. 183 schon von bezüglichem Vorkommen derselben die Rede
war. Eine Art der Fälschung besteht nämlich darin, das man
ettwenne machet von weine vnd von wasser, das dem schrift gar
ab geet, vnd gibt es einem bückveller, der es mit seiner kunst
gar ab tut, vnd scribet dann wider daran nach seinem willen
vnd nach seinem nutze, das sol man gen der sunnen haben, so
mag man es wol erkennen, so sieht man der alten schrift immer
etwe uil in dem pirmit in der newen. Der Buchveller ist wört-
lich ein Buchsebinder, und das scheint also die Benennung -.vitur : -?*
dieses Gewerbes gewesen zu sein. 3 ) Lurksidt* ■ fc: ->./ ht1 J" ,u ^.
*) C. Grünhagen, Regesten zur Schles. Geschichte, Cod. Dipl. Sil. 7, 36.
2 ) Zuletzt abgedruckt von Rockinger in den Sitzungsberichten der Mün-
chener Akademie 1867, H, 2, 321—324.
3 ) Es erinnert an diese Benennung, wenn Boncompagnus in einer gleich
234 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
Ausserdem werden dort die verschiedenen Methoden der
Siegelfälschung beschrieben, worüber auch im Nouveau Tratte
viel zu finden ist. 1 ) Von einem in diesen Künsten vorzüglich
geübten und geschickten Abte erzahlt Boncompagnus. 2 )
Derselbe beschwert sich auch bitterlich über Betrüger, welche
von seinen Schriften den Namen abkratzten und sie in den
Rauch hingen, um ihnen den Schein des Alters zu geben : Rogo
illos ad quorum manus hie über pervenerit, quatenus ipsum dare
non velint meis aemulis, qui raso tilulo me quinque salutationum
tabulas non composuisse dicebant, et qui mea consueverunt fumi-
gare dietamina, ut per fumi obtenebrationem a multis retro tem-
poribus composita viderentur, et sie michi sub quodam sceleris
genere meam gloriam aufen*ent.*)
Der Dominicaner Giovanni Nanni, bekannter als Annius
von Viterbo, soll, vt le in neuester Zeit Constantin Simonides,
seine Fälschungen vergraben, und später bei gelegener Zeit
entdeckt und aufgegraben haben. 4 )
Allgemeine Regeln für die Kritik von Fälschungen aufzu-
stellen, hat wenig Werth; es müssen eben alle Umstände der
schärfsten Prüfung unterworfen werden, und wo kein Original
vorliegt, ist paläographische Kritik nur selten noch anzuwen-
den. Zwei Umstände aber möchte ich hervorheben, welche
bei vielen Fälschungen zutreffen. Die Verfertiger derselben
waren nämlich oft mit den Gebräuchen der fernen Vorzeit, in
aD zuführenden Stelle sagt : Coniuroper omnipotentem furtivos depilatores, ne
abrasis titulos ipsos exeorient,- sicut quidam meos alios libros turpiter
exeoriarunt.
l ) Ueber die Fälschung päbstlicher Bleibullen in der Zeit Innocenz III
ist zu vergleichen L. Delisle in der Bibl. de Tficole des Chartes 4, 4, 47.
Ein interessanter Prozefs gegen einen Siegelfälscher findet sich in Klose's
Gesch. von Breslau. Vgl. auch das Bekenntnifs einer Nonne im Kloster
Remse bei Waidenburg von 1512, die einen Brief mit dem Schönburgischen
Siegel hatte hergeben müssen, um damit einen anderen zu fälschen. Archiv
f. Sachs. Gesch. 3, 214 ff.
a ) Quellen zur Bayer. Gesch. 9, 144.
3 ) Bei Rockinger in den Sitzungsberichten der Münchener Akademie
lbtfl, 1, 145, mit noch einer ganz ähnlichen längeren Stelle.
4 ) Mabillon, Iter Ital. p. 156.
Fälschungen. 235
welche sie ihre Producte verlegen wollten, ganz unbekannt,
und verfielen deshalb auf beliebige ungewöhnliche und auf-
fallende Umstände, welche den Schein des hohen Alters geben
sollten, aber nur die Unwissenheit des Fälschers verrathen.
Ferner ist sehr häufig, weil man eine legitime Herkunft nicht
angeben konnte, die Auffindung mit fabelhaften und unwahr-
scheinlichen Umständen verknüpft, welche allein schon geeignet
sind, Verdacht zu erregen. Einige Beispiele mögen das er-
läutern.
Von dem schon in alter Zeit gefälschten Dictys Creten-
sis wird in dem Prolog behauptet: de toto hoc hello sex Vo-
lumina in alias digessit phoeniceis litteris. Diese läfst er dann
mit sich begraben, wo sie verborgen bleiben, bis sie zur Zeit
des Kaisers Nero entdeckt werden.
Das angebliche Original einer Urkunde Otto's I von 964
(Stumpf 343) im Wiener Staatsarchiv ist mit rother Dinte ge-
schrieben. Einen so groben Fehler wufste Herzog Rudolf IV
von Oesterreich zu vermeiden, als er sich um 1359 seine
Freiheitsbriefe verfertigen liefs, deren äufsere Erscheinung
selbst Kenner getäuscht hat, aber in der Urkunde von Hein-
rich IV (Stumpf 2563), durch welche die schönen Privilegien
Cäsar's und Nero's bestätigt werden, ist es ihm doch begegnet
zu sagen, dafs diese ex lingua paganorum in die lateinische
Sprache übersetzt seien. Diese Monstra gaben bekanntlich
Petrarca zu der ersten Leistung sorgsamer Urkundenkritik im
Mittelalter Anlafs. 1 )
Der ehrgeizige Erzbischof Hink mar von Reims, von
dem es nicht zu bezweifeln ist, dafs er für seine Bestrebungen
auch Fälschungen nicht verschmäht hat, verfafste eine Vita S.
Remigii und eine Vita b. Sanctini, welche unglaubliche und
älteren Quellen unbekannte Dinge enthalten. Um nun diese
wahrscheinlich erscheinen zu lassen, behauptet er, in seiner
Jugend von Greisen gehört zu haben, dafs sie noch einen
') Jos. Berchtold, Die Landeshoheit Oesterreichs (1862) p. 32. führt
noch einige Fälle staatsrechtlicher Fälschungen an.
236 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
librum maximae quantitatis, manu antiquaria scriptum, über das
Leben des beil. Remigius gekannt hätten, der vernachlässigt
wurde, weil man zum kirchlichen Gebrauch das kürzere Leben
von Fortunat hatte- Inzwischen wurden durch die Bedrückung
unter Karl Martel die Cleriker gezwungen sich Geld zu ver-
dienen, welches sie in cartis et librorum foliis interdum ligabant.
So kam es, dafs der grofse Codex partim stillicidio putrefactus,
partim a soricibus corrosus, partim foliorum abscisione divisus,
in tantum deperiit, ut pauca et dispersa inde folia vix reperla
Juerint. Hinkmar will nun in diversis pitaciolis, in antiquis
scedulis, allerlei noch gefunden haben, was er mit der münd-
lichen Ueberlieferung verbindet. x ) Ganz ähnlich beruft er sich
in der Vita Sanctini darauf, dafs ihm in seiner Jugend ein
längst verstorbener Abt des Klosters des h. Sanctinus zu Meaux
quaterniunculos ralde contritos , et quae in eis scripta fuerant
paene deleta, die er aufgefunden, übergeben habe um sie zxl
entziffern, und in nova pergamena umzuschreiben. Da inzwi-
schen das Kloster von den Normannen verwüstet sei, so be-
zweifle er, dafs jene Abschrift noch vorhanden sei; er habe
aber eine zweite für sich genommen. 2 ) Diese Geschichten sind
an sict nicht unmöglich, aber der Inhalt der Schriftstücke läfst
keinen Zweifel daran übrig, dafs wir es hier mit einem Kunst-
griff zu thun haben, der sich häufig wiederholt, und dessen
Vorkommen schon allein hinreicht, Verdacht zu erregen. Wir
finden denselben in der Vorrede des Abtes Odo von Glan-
feuil zu der übel berüchtigten Vita S. Mauri, angeblich von
dessen Schüler Faustus. Odo will nämlich im Jahr 863 auf
der Flucht vor den Normannen mit Pilgern zusammengetroffen
sein, deren einer in seiner sportula die Handschrift aus Mont-
Saint- Michel mitgebracht hatte: quaterniunculos nimis paene
vetuslate consumptos, antiquaria et obtunsa olim conscriptos manu.
Odo findet darin das Leben des h. Benedict und seiner fünf
*) Acta SS. Oct. 1, 151. Uebrigens verweise ich auf die in meinen
„Deutschlands Geschichtsquellen" angeführten Stellen.
2 ) Acta SS. Oct. 5, 587.
Fälschungen. 237
Schüler Honorat, Simplicius, Theodor, Valentinian und Maurus ;
er kauft ihm die Blätter ab, und quia tarn inculto sermone quam
vitio scriptorum depravati videbantur, schreibt er das Leben des
h. Maurus ab, indem er es zugleich überarbeitet. Von dem übri-
gen Inhalt der Handschrift hat nie etwas verlautet. Den Ver-
dacht, welchen diese ganze Geschichte hervorruft, bestätigt der
Inhalt, und man sollte deshalb die schon von Papebroch auf-
gegebene Legende billig nicht mehr benutzen.
Nicht besser steht es mit der VitaS. Fridolini. Balther,
Mönch in Säckingen, will das schmerzlich vermifste Leben des
Stifters in S. Avold, einem andern auch von Fridolin gestifte-
ten Kloster, gefunden haben. Es mitzunehmen wurde ihm nicht
erlaubt, et incaustum seu membrana non affuitl Da bleibt ihm
denn nichts anderes übrig, als es, so gut es geht, dem Gedächt-
nifs einzuprägen und zu Hause aufzuschreiben. Niemals aber
ist von der angeblichen Urschrift in S. Avold etwas an den
Tag gekommen, deren Existenz daher Stalin mit Recht be-
zweifelt, während Mone keinen Grund dazu finden konnte.
Ebenso wird es sich mit den Nachrichten verhalten, welche
der Verfasser der Vita SS. Eucharii, Valerii et Materni
in der Asche der verbrannten Stadt Trier gefunden haben will :
Haec de gestis sanctorum patrum post excidium Trevericae ur-
bü reliquias cineris diligentius perscrutantes sparsis in cartulis
scripta invenimus. 1 ) Besonders ergötzlich aber ist, was man
in S. Albans von der Auffindung der Passio S. Albani er-
zählte. Abt Eadmer, so berichtet Matthäus von Paris, machte
Nachgrabungen in den Ruinen der alten Römerstadt Verulam,
und da fand man in cuiusdam muH concavo deposito, quasi «/-
mariolo, cum quibusdam minoribus libris et rotulis cuiusdam
codicis ignotum volumen, quod pa?*um fuit ex tarn longaeva mora
demolitum. Cuius nee litera nee idioma alicui tunc invento cogni-
fum prae antiquitate fuerat; venustae tarnen formae et manifestae
literae fuerat (sie). Quorum epigrammata et tituli aureis literis
fulswunt redimitu Asseres quemi, ligamina seiica, pristinam in
') Friedrich, Kirchengeschichte Deutschlands 1, 93.
238 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
magna parte fortiludinem et decorem retinuerunt. l ) Es gelingt
endlich einen uralten Priester aufzutreiben, der darin die Schrift
und Sprache der alten Britten erkennt; der Abt läfst die Schrift
übersetzen, und nachdem das geschehen ist, zerfällt die Hand-
schrift in Staub : exemplar primitivum ac originale, quod mirum
est dictUj irrestaurabiliter in pulverem subito redactum, cecidit
annullatum. 6. Henschen 2 ) hatte seine Zweifel bei dieser Er-
zählung; Merryweather aber schreibt sie ganz gläubig nach. 3 )
Der Legende des h. Valentin, und anderer angeblich
in Gräbern gefundener Bleitafeln wurde schon oben p. 37 ge-
dacht. Einer anderen Erfindung bediente sich 1494 Joh. Birk,
Bector der Stiftschule zu Kempten, für seine fabelhafte Grün-
dungsgeschichte des Klosters', welche er einem angeblichen
Kanzler Kaiser Ludwigs, Gotfridus de civitate Marsilia, unter-
schob. Feliciter scripta, heifst es da, sub castro Hylemont in
Ludovici Pii imperatoris Cancellaria a. d. 832. Exemplar Juit
scriptum Campidonae pro liberaria super cortice vilmio caduco
in multis passibus velustate prae nimia. 4 ) Was für eine Rinde
sich der Fälscher unter diesem Ausdruck vorgestellt habe, ist
unklar und gleichgültig; es mag aber bei diesem Anlafs be-
merkt werden, dafs manchmal in älteren Beschreibungen von
cortex und charta corticea die Bede ist. Der Nouveau Trait6
enthält eine sehr ausführliche Untersuchung darüber. In der
Begel wird bei solchen Ausdrücken an Papyrus zu denken sein,
aber auch die bekannten Wachstafeln in Pistoja mit den Rech-
nungen König Philipps IV von Frankreich wurden nach Ma-
billon's Angabe von dem Besitzer für Baumrinde gehalten. 5 )
Bei Rüxner, dem Verfasser des berüchtigten Turnier-
buches, finden wir wieder die charakteristische Angabe, dafs er
*) Vitae S. Albani abb. p. 41 ed. Wats.
2 ) Acta SS. Jun. 4, 146.
3 ) Bibliomania p. 170.
4 ) B. Pez, Thes. I. p. XIII; vgl. Büdingen Von den Anfängen des
Schulzwanges (Zürich 1865) p. 33, wozu nur zu bemerken ist, dafs der Vf.
der Geschichte von Kempten Haggenmüller heifst
5 ) Iter Ital. p. 192.
Fälschungen. 239
ein Original aus der sächsischen Sprache ins Hochdeutsche
übersetzt, der Besitzer es aber dann auf seinen Wunsch ins
Feuer geworfen habe. 1 ) Ein Italiener Alfons Cocarelli
legte sich zur Zeit Pius V ein Magazin erdichteter Urkunden
und Chroniken an, welche sich durch affectirte und scheinbar
alte Schrift verrathen. 2 ) Die rothen Buchstaben als vermeint-
liches Zeichen des Alterthums finden wir wieder in dem Chron.
Maceriense, welches 1768 zur Verherrlichung der Herren
von Poulli verfertigt wurde, angeblich Collationne et tr.ouve
conforme de mot a autre sur /.'original Manuscrit en velin ecrit
en lettres rouges. 3 ) Unglaubliche Geschichten, um das Ver-
schwinden der Originale und die Rettung von Abschriften zu
erklären, muthet uns Pratillo zu glauben zu 4 ), und in ganz
ähnlicher Weise Hanthaler, der Erfinder des Ortilo und des
Pernold.
Dergleichen Wahrnehmungen müssen natürlich auch in
analogen Fällen Verdacht erregen. Es ist z. B. sehr auffallend,
i
wenn, nachdem die alten serbischen Lieder bekannt geworden
sind, die nun auftauchenden altböhmischen Denkmäler
theils anonym mit der Post ankommen, theils unter alten Pfeil-
spitzen in einem Thurmgewölbe, allein von Hanka, gefunden
werden, wenn die Dinte bald gelb bald grün ist, die Schrift
so seltsam, dafs man sich durch die Erfindung einer eigenen
böhmischen Schreibschule, ausschliefslich für diese Producte,
helfen mufs. Und diese Umstände wiegen um so schwerer,
da notorische Fälschungen in genauestem Zusammenhange mit
jenen angeblichen Entdeckungen stehen. Die Eöniginhofer
Handschrift theilt mit Libuscha's Gericht die Eigenthümlichkeit,
1 ) Waitz, König Heinrich I, p. 253.
2 ) II est ecrit d'une encrepäle, et dont les lettres ä deroi-eface'es, mon-
trent.un faux air d'antiquite\ Tout le reste est dans le meme gout, pages
de*chir£es, marges use*es, traits forc£s, caracteres irregaliers, lettres diverse-
ment figurees, lignes courb^es en des sens diferens, la nature par-tout
sacrifie'e ä une afectation qui se trahit. Nouveau Traite* 6, 201.
3 ) Archiv f. alt. d. Geschichtskunde 11, 211.
4 ) ib. 9, 7—9.
y
240 Weitere Behandlung der fertigen Handschrift.
dafs das unten # durchstrichene p gegen den constanten Ge-
brauch des Mittelalters nicht nur per, sondern auch pre und
pri bedeutet. 1 ) Dasselbe Kennzeichen eines unwissenden Fäl-
schers, nur in noch viel gröfserer Ausdehnung, bieten uns auch
die Pergamene d'Arboröa, deren Zurückweisung durch
die Commission der Berliner Akademie 2 ) für die gelehrte Welt
nun wohl endgültig sein wird. Wir finden bei diesen auch
den auffallenden Umstand, dafs der Name des Signor Pillito,
von welchem die Pergamente herrühren und der die ungewöhn-
lichen Abkürzungen so treffend zu enträthseln versteht, sich
schon in den ältesten Documenten findet. Jaf f 6, von dem die
paläographische Kritik herrührt, hebt auch hervor, in wie
augenfällig artificieller Weise das schmutzige Ansehen erzeugt
ist, welches neben den erborgten Schriftzügen die Bestimmung
hat, die jungen Werke alt erscheinen zu lassen; wie die Blät-
ter ganz oder nur ihre Eänder in mannigfache Flüssigkeiten
eingetaucht, wie über gröfsere und kleinere Partieen fliefsen-
der oder zäher Schmutz, sei's ergossen, sei's ausgespritzt, sei's
auf- und niedergestrichen worden ist. Durchweg ist diese
mustergültige Kritik ein" ebenbürtiges Seitenstück zu der frü-
heren über das Schlummerlied. 3 ) Zu dieser habe ich nur
noch hinzuzufügen, dafs der Pergamentstreifen nie zu einer
Bücherhandschrift gehört hat, sondern von einer italienischen,
vielleicht päbstlichen Urkunde herrührt, wie die braunrothe
gestrichelte Färbung der Rückseite zeigt. Die geglättete weifse
Vorderseite ist verwaschen, die Dinte deshalb ausgelaufen.
*) Julius Feifalik, üeber die Königinhofer Handschrift (1860) p. 108.
2 ; Monatsbericht vom Januar 1870 p. 64—104.
3 ) Haupt's Zeitschrift f. deutsches Alt. 13, 496—501.
Benennungen im Alterthum und Mittelalter. 241
v.
Die Schreiber.
*
1. Benennungen im Alterthum und Mittelalter.
Bei den Griechen war yQappazevg die Bezeichnung eines
Staatsamtes. Früh schon bildeten sich die Stenographen aus,
o!-vy()dq)oi, arjfteioyQaqtoi, Taxvygdqtoij auch mit lateinischem
Namen votccqioi genannt. Diese schrieben auch die Urkunden ;
für Bücher aber gab es eigene ßißXioyqdyoi oder xaXfoyQaqtoi.
Der Kaiser Theodosius II (f 450) wird von späteren Chroni-
sten mit dem Beinamen ytalliyQdyog bezeichnet. 1 ) Eine eigene
Abtheilung bildeten die %qvooyqd(foi.
Das Verhältnifs der Tachygraphen und Kalligraphen zu
einander zeigt uns recht deutlich die schon oben p. 185 er-
wähnte Geschichte des Origenes. Eusebius (Hist. eccl. 6, 23)
schreibt: Ta%vyqdq>oi ydg avT$ rthelovg ij krcxa %bv aoL&fxbv
TvetQfjoav vTtayoQGvovTi, xqovoiq %z%ay\i£voig dkkrjkovg äpetßovzeg,
ßißXioyQGKpoi T€ ot>x fjvTovg (ifxa 'Aal xogaig int %b xalktyQcc-
q>€lv TijaxrifÄevaig. Photius (Cod. 121 p. 162) sagt irrthümlich
von Hippolytos> statt von Ambrosios, dafs er ihn veranlafst
habe die h. Schrift zu commentiren, eyxaraaTrjoag avrij) xal
v7toyqaq)iag kittd %a%vyqct(povg Kai ereQOvg Toaovrovg yqayov-
rag elg ndllog. Georgius Cedrenus schliefst dieselbe Erzäh-
lung mit den Worten: 6 de Ircl oxo?»fjg yevofjtevog vTtriyoQevae
folg Ta%vyQacpot,g , Kai ol ßiß'ktoyqdqtoi avv yvvai^lv eyqacpov
xaXkiyQa<peiv e^rjOKrj/Lisvoi (1. e^aytrj^vatg).
Eusebius (V. Constantini 4, 36) berichtet von dem ihm
gewordenen Auftrag, für die in Constantinopel neu erbauten
Kirchen Bücher anfertigen zu lassen vnb tsxvitojv xaXfayodqitov
xal dxQißcug ttjv %&x vx l v encatafxevcüv.
Später aber verwischt sich der Unterschied, und auch No-
tare schreiben Bücher. Die Geistlichen, und vorzüglich die
*) Joel p. 170. Glycas p. 260.
Wattenbach, Schriftwesen. 16
242 Die Schreiber.
Mönche, haben auch im Orient sich sehr viel mit Bücherschrei-
ben beschäftigt, aber doch nie so ausschliefslich wie im Abend-
land, und bei der gröfseren Verbreitung herkömmlicher Schul-
bildung erreichte dort auch die Unwissenheit der Schreiber
niemals einen so hohen Grad.
Athenaeus p. 673 E spricht von einem ovyyQa^a^ oneg
vvv ev xfj c P(ü[itj evQOfiev Ttaqa T(p ävTixoTTvQq Jr^iriiquo.
Dieser sonst nicht vorkommende Ausdruck ist, wie Schweig-
häuser vermuthet, vielleicht eine Entstellung des lat. Wortes
antiquarius.
Montfaucon p. 39 ff. giebt ein Verzeichnifs der ihm be-
kannt gewordenen Namen griechischer Abschreiber. Der älteste
(zweifelhafte s. p. 66) ist von 759, der nächste von 890. Im
15. Jahrh. kann man in diesen Unterschriften deutlich verfol-
gen, wie zuerst Kreta noch eine Zuflucht darbietet, dann in
Italien griechische Abschreiber sich niederlassen. 1 )
Lateinisch unterschied man in gleicher Weise den scHba
vom librarius, scriptor, oder antiquarius, und vom rwtarws. oder
tabellio. In Diocletians Edict de pretiis rerum venalium J ) vom
J. 301 finden wir p. 19 die Bestimmungen:
scriptori in scriptum optima versuum numero C . . . .
sequentis scripturae versuum numero C. den. XL.
tabellioni in scriptura libelli vel tabularum in versibus numero
C. den. XXV.
Und für den Unterricht p. 21 :
notario in singulis pueris menstruos den. LXXV.
librario sive antiquario in singulis discipulis menstruos den. L.
(al. LXXV.)
Aber auch hier schrieben Notare Bücher, wie sich aus
dem oben p. 187 angeführten Briefe des Hieronymus an Lu-
cinius ergiebt. Auch an dessen Wittwe schreibt er 3 ), dafs Lu-
>) Ein Verzeichnifs lat. Kalligraphen und Miniatoren von Vogel im 11.
und 12. Band des Serapeum kann wohl als werthlos bezeichnet werden.
2 ) ed. Th. Mommsen, Berichte der k. sächs. Ges. d. Wiss. Phil. bist.
Cl. m, 1851.
3 ) ep. 75, 4. Opera ed. Vall. 1, 451.
Benennungen im Alterthum und Mittelalter. 243
cinius missis sex notariis (quia in hac provincia latini sermonis
scriptorum penuria est) describi sibi fecit quaecunque ab ado~
lescentia usque in praesens tempus dictavimus. Derselbe schreibt
an Augustin *) : Gr andern latini sermonis in ista provincia notario*
rum patimur penuriam, et iccirco praeceptis tuis parere non
possumus, maxvfne in edilione LXX } quae asteriscis verubusque
distincta est. Hier scheint doch kaum eine spätere Umschrei-
bung durch Kalligraphen noch beabsichtigt zu sein; wohl aber
bei der Uebersetzung der Chronik des Eusebius, für deren
Mängel Hieronymus um Entschuldigung bittet, cum et notario
ut scitis velocissime dictaverim.
Die Notare erhielten sich in Italien als Stand, und haben
sich von da aus auch nach anderen Ländern verbreitet. Manche
Rechtshandschriften, welche sich vom achten bis zehnten Jahr-
hundert auffallend von der feineren Bücherschrift unterscheiden,
mögen von ihnen herrühren, so wie auch die Urkundenschrift
bis in Ludwigs des Frommen Zeit, in Italien weit länger, von
der karolingischen Reform unberührt blieb. Und bei der Ge-
legenheit wollen wir auch die oben p. 75 nur kurz angeführte
Stelle des Chron. Mosomense z. J. 972 nachholen, wo es von
Johann XIII heifst : Accito notario et secundum Romanae digni-
latis consuetudinem paratis scriptisque ex pagyreo tomo charlis
fecit Privilegium. Die Notare waren es eben, von welchen die
so lange festgehaltene Schrift der päbstlichen Bullen herrührte,
die man deshalb scripta notaria nannte. Nachdem man da-
von abgegangen und auch Papyrus nicht mehr zu haben war,
entstanden die zahlreichen Fälschungen, welche namentlich
Innocenz III so eifrig verfolgte.
Auch die chartularii waren Kanzleibeamte, kommen aber
zuweilen als Buchschreiber vor. In der Lebensbeschreibung
Arnest's, des ersten Erzbischofs von Prag, heifst es, dafs er
immer zwei bis drei cartularii mit Abschreiben von Büchern
beschäftigte.
*) ep. 134. Opp. l, 1037.
16
244 Die Schreiber.
•
Den Ausdruck antiquarius sahen wir schon in Diocletians
Edict, gleichgesetzt mit librarius. Hieronymus sagt ep. 5 : habeo
alumnos qui anliquariae arti serviant. Ein Glossar erklärt: anti-
quariuSj aQ%aioyQ<xq)og, Y.a)Xiyqa(fo^ antiquare, xakkiyQCccpfjocci.
Isidor Origg. 6, 14 sagt: Librarii iidem qui et antiquarii vo-
cantur, sed librarii sunt qui nova et vetera scribunt, antiquarii
qui tantummodo vetera, unde et nomen sumpserunt. Eine ganz
absurde Erklärung, die nur, wie so viele andere, von ober-
flächlicher Etymologie hergenommen ist. Allerdings werden
die Antiquarien ihren Namen daher haben, dafs sie sich auf
ältere Schriften verstanden und diese abschrieben, allenfalls
auch in ähnlicher Weise ergänzen konnten, und zuweilen findet
sich auch in der Anwendung des Wortes eine Beziehung darauf;
so im Cod. Theodos. 1. XIV tit. IX c. 2 de studiis liberalibus
urbis Romae, einem Gesetz der Kaiser Valentinian, Valens und
Gratian von 372: Antiquarios ad bibliothecae Codices componen-
dos vel pro vetustate reparandos quattuor graecos et tres latinos
scribendi peritos legi iubemus. Auch die vier antiquarii 7 welche
nach Cod. Justin. 1. XII tit. 191. 10 in scrinio memoriae habentur,
werden wohl mit alter Schrift vertraut gewesen sein. Gewöhn-
lich aber bedeutet antiquarius einfach einen Bücherschreiber,
und ist gleichbedeutend mit librarius.
So sagt Augustin, Sermo 44: qui videt litleras in codice
optime scripto, laudat quidem antiquarii manum, admirans apicum
pulcritudinem .... Ausonius entschuldigt sich ep. 16 ad Probum,
dafs er die Bücher jetzt erst schicke, oblata per antiquarios
mora. Sidonius Apollinaris aber scheint sein eigener Schreiber
gewesen zu sein, indem er ep. 9, 16 schreibt: Festinus ex-
scripsi, tempore hibemo nil retardatus quin actutum iussa com-
plerem, licet antiquarium moraretur insiccabilis gelu pagina et
calamo durior gutta. Cassiodor de institutione divinarum litte-
rarum handelt c. 30 de antiquariis, deren Beschäftigung, wenn
sie heilige Schriften correct abschreiben, er sehr preist; er
braucht das Wort ganz gleichbedeutend mit librarii. Aus Sub-
scriptionen 'kennen wir 527 in Constantinopel einen Theodorus
antiquarius, welcher zum kais. Geheimschreiber befördert
Benennungen im Alterthum und Mittelalter. 245
wurde. 1 ) Im J. 551 tadelte Pabst Vigilius den Bischof Theodor
von Mopsuestia: qui dornt tuae sedens antiquarlos pretio caro
canducens ea . . . . conscripsisti.*) Gregor I erwähnt Diall. 1, 4,
dafs jemand; der einen Abt in seinem Kloster suchte, anliqua-
rios scribentes reperit, was in der griechischen Uebersetzung
des Pabstes Zacharias sehr frei wiedergegeben ist : rovg raiv adel-
q>wv 7tQOv%ovT(xs ev vfi fiovfj Y.alXiyqa(povvTaq &eaoctiievog. Eine
Handschrift des Orosius, welche dem 7. Jahrhundert zuge-
schrieben wird, hat die Unterschrift: confectus codex in statione
Viliaric antiquarii. 3 )
Im Mittelalter kommt der Ausdruck nicht gerade häufig,
aber doch immer hin und wieder vor. 4 ) Im Chron. Novali-
ciense heifst es 3, 20 von einem geschickten Schreiber: ubi-
cunque sua manu antiquaria libros a se conscriptos inter alios
invenimusy extimplo recognoscimus. In demselben Jahrhundert
schreibt Petrus Damiani an Alexander II: licet ego dictare
forte quidvaleam, deest antiquarius qui transcribat. 5 ) Im zwölften
bezeichnet Ordericus Vitalis 3, 3 die Mönche, welche Bücher
schreiben, als antiquarii und librarii, und erzählt weiterhin von
dem Abt Osbern von S. Evroul: Witmundo sapienti rqonacho
supplices iussit litter as dictare, et Bernardo iuveni cognomento
Matheo , nobili antiquario, diligenter scriptitare. 6 ) Ist hier der
antiquarius augenscheinlich nur ein geschickter Schreiber, so
imden wir ihn dagegen als Schriftgelehrten in jener merkwürdigen
Trierer Stilübung, dem Schreiben Kaiser Friedrichs I an Hillin :
Recolite librarios et percunctamini antiquarios vestros, et videte si
auditum sit huiuscemodi verbum in diebus eorumetin diebus antiquis.
1 ) 0. Jahn über die Subscriptionen p. 355. Mit ihm ist # der Kaiser
Theodosius II verwechselt bei Aldhelm (A. Mai Auctt. class. 5, 598) s. M.
Hertz, Praef. ad Priscianum.
2 ) Jafö, Reg. Pontiff. n. 609.
3 ) Mab. Dipl. p. 354.
4 ) in den oben p. 236 angeführten Worten des Odo von Glanfeuil
scheint der Begriff des Alterthümlichen darin zu liegen.
5 ) Operum Vol. I p. 12.
6 ) Opera ed. Le Prevost, Vol. II p. 48. 96.
245 Ke S«!iretb«ar
Du Gange fährt aas den TrtU abbatnm S. Alhani p. 41 die
Stellt an: Hie primdim» mmtifmmri&nnm d*m*m mkbmtis jan husione
reitit. tibr&ntmque evpiam kmie ettieüme comlmliL Allein in dem
bekannten Werke des Mathens Parisv. ist die Stelle nicht zu
finden. Auch Richard von Bari braucht das Wort e. 16, wo
er -vom Erneuen alter Handschriften spricht, und setzt mit
Beruf ans: aaf Cassiodor hinzu: Seme kwhumedi seriptores anti-
qnarii nommantur. Er seheint das Wort aas gelehrtem Stadium,
nicht mehr aas lebendigem Gebrauch zn kennen. Später finde
ich nur noch, dafs 14S0 der Käufer einer Handschrift in Mai-
land sich Jaeobus antiquarius nennt l t T wobei es zweifelhaft ist,
was darunter zu verstehen sei.
Am häufigsten begegnen ans in den verschiedenen Sprachen
Ausdrücke, welche von scribere abgeleitet sind, and analog engl.
ir riter, bohm. pisarz. Gothisch wird yQauuaievg durch bökareis
wiedergegeben, althochdeutsch puochäri, mhd. buochaere, was
sich nur in dem Namen Bucher erhalten hat Weil aber lange
Zeit fast nur Geistliche schrieben und eine gewisse Gelehrsam-
keit damit verbanden, so finden wir clericus, clercj clerk, gleich-
bedeutend mit Schreiber; deutsch auch wohl pape y pfaff. Von
Friedrich II sagt die Magdeburger Schöppenchronik : he was
ein gud pape geleret. Doch ist dieser Sprachgebrauch nicht
recht durchgedrungen, und es überwiegt immer der Begriff der
Gelehrsamkeit, was bei clericus in Frankreich und England
weniger der Fall ist Zu Dante's Worten: che tutti für cherci
E lüerali grandi bemerkt Benvenuto von Imola: Nee dicas
quod debeal exponi Clerici id est Literati more Gallico, sicut
quidam exponunt; et dieunt quod omnis Literatus est Clericus. 2 )
Aber nicht nur alle Studenten und Gelehrten hiefsen clerici,
sondern auch alle welche irgend mit dem Schreiberwesen zu thun
und deshalb Theil an den Privilegien des Clerus hatten. So handelt
ein Statut von Bayeux c. a. 1250 von clericis coniugatis, welche
pevgamcnum, libros vel huiusmodi ministeria ad ecclesiam per-
») Kirchhoff, Handschriftenhändler p. 52.
*) Murat. Antt. Ital. 3, 340 ed. Aret.
Mönche als Schreiber. 247
tinentia vendiderint; diese sollen steuerfrei sein. *) Die Bezeich-
nung als cletncus coniugatus kommt häufig vor, wohl zur Unter-
scheidung von geweihten Geistlichen. In der Pariser Steuer-
rolle von 1292 kommen 53 clers und 1 clergesse vor, unter-
schieden von den escrivains; sie sind, wie der Herausgeber, H.
Geraud, nachweist, schon damals, wie noch heute, die Ge-
§
hülfen, Commis, in verschiedenen Geschäften.
2. Mönche als Schreiber.
Die christliche Kirche bedurfte von ihren ersten Anfängen
her geschriebener Bücher, und wenn man sich auch dazu
häufig professioneller Kalligraphen bedienen konnte, so lag
doch augenscheinlich ein grofser Vortheil darin, wenn die
Geistlichkeit sich selbst auf diese Kunst verlegte. Die vorher
angeführten Stellen zeigen freilich, dafs in den ersten Jahr-
hunderten davon noch kaum die Bede gewesen ist, weil die
bestehende Sitte ganz eingewurzelt war, und die Kalligraphie,
wie jedes Handwerk, als Lebensaufgabe besonderer Personen
betrachtet wurde. Das früheste mir bekannte Beispiel eines
Weltgeistlichen als Bücherschreiber ist erst von 517, nämlich
die Handschrift des Sulpicius Severus von 517 in der Capitular-
bibliothek zu Verona, scr. per me Ursicinum lectorem ecclesiae
Veronensis Agapilo consule. 2 ) Die Schrift ist schon halbuncial,
und von der kalligraphischen auch jener Zeit bedeutend ver-
schieden. Später finden wir wohl Weltgeistliche viel in Kanz-
leien beschäftigt; auch haben sie oft als Lohnschreiber ihren
Unterhalt gesucht. Die eigentlichen Bücherschreiber aber wa-
ren die Mönche, welche mehr und mehr darin einen sehr
wesentlichen Theil ihres Berufes fanden.
. Hieronymus ep. 125 ad Rusticum monachum (Opp. 1, 934)
') Kirchhoff, Handschriftenhändler p. 76 aus den Mein, des Antiquaires
de Normandie 2, 6, 326.
2 ) bei Ottley, Archaeologia Vol. 26. Tab. VI. n. 10.
248 Die Schreiber.
empfiehlt diesem verschiedene Beschäftigungen, darunter auch,
jedoch keineswegs vorzugsweise: scribantur libri. Stärker tritt
diese Richtung hervor in dem Kloster, welches S. Martin bei
Tours anlegte; nach der Vita Martini von Sulpicius Severus
c. 7 schrieben da die jüngeren Mönche, mit Ausschlufs anderer
Handarbeit, wie sie sonst in Klöstern üblich war: ars ibi ex-
ceptis scriptoribus nulla habebatur, cui tarnen operi minor aetas
deputabatur, maiores orationi vacabant. Cassiodor ermahnte die
Mönche des von ihm gestifteten Monasterium Vivariense bei
Squillace ganz vorzüglich zum Abschreiben geistlicher Werke :
Ego tarnen fateor votum meum quod inter vos quaecunque pos-
sunt corporeo labore compleri, antiquariorum mihi studio, si ta-
rnen veraciler scribant, non inmerito Jbrsitan plus placere, quod
et mentem suam relegendo scripturas divinas salubriter inslruant y
et domini praecepta scribendo longe lateque disseminent. 1 ) Hierin
sind die maafsgebenden Gesichtspunkte ausgesprochen; noch
Ludwig IX liefs lieber Bücher abschreiben, als dafs er sie
kaufte, damit ihre Zahl gemehrt würde. Profane Litteratur ist
ursprünglich naturgemäfs ausgeschlossen; diesseit der Alpen
aber wurde, weil man sie einfach als notwendiges Rüstzeug
der gelehrten Studien betrachtete, kaum ein Unterschied ge-
macht. Cassiodor gab seinen Mönchen, damit sie correct schrei-
ben könnten, eine Sammlung von Schriften über Orthographie,
die er 93jährig zu ihrem Gebrauch excerpirte. Zugleich gab
er ihnen, wie schon oben erwähnt, Buchbinder und Muster-
bände.
S. Benedicts Regel setzt die Existenz einer Bibliothek im
Kloster voraus, aus welcher jeder Mönch Bücher zum Studium
erhält. Ganz ferne lag ihm der Gedanke, aus den Mönchen
einen Gelehrtenstand zu machen; sie sollen, indem sie aus der
Welt sich zurückziehen, ihre Seele retten, Handarbeit treiben,
und zu ihrer Erbauung fromme Bücher lesen. Höchstens konnte
ein gewisser Grad kirchlicher Gelehrsamkeit erwünscht erschei-
*) De institutione divinarum litterarum c. 30. Es scheint im Anfang
des Satzes ein Fehler zu sein.
Mönche als Schreiber. 249
*
nen. In neubekehrten Ländern aber, unter einer bildungslosen
Bevölkerung, änderte sich der Standpunkt ganz von selbst.
Wo es keine Schulen giebt, mufs die Geistlichkeit für den
Unterricht ihres Nachwuchses, das Kloster auch dafür sorgen,
dafs seine Mönche lesen, schreiben, lateinisch lernen. Es giebt
keine Grammatiker, denen man die Beschäftigung mit der un-
entbehrlichen profanen Litteratur überlassen kann. Die Welt-
geistlichkeit aber ist mit so vielfacher Thätigkeit belastet, dafs
gerade den Klöstern vorzugsweise die gelehrte Beschäftigung
anheim fällt. In Irland und England entwickelt sich zunächst
diese Neugestaltung des Mönchslebens; dort wird massenhaft
und sehr schön geschrieben, und Irländer, Schottenmönche,
sind es, welche diese Bichtung auch auf den Continent ver-
pflanzen. Luxeuil und seine Filialen Corbie und Bobio zeich-
nen sich in gleicher Weise aus, und auch in S. Gallen beginnt
frühzeitig gelehrte Thätigkeit.
Bei aller Gelehrsamkeit haben es jedoch die Schottenmönche
nur selten zu orthographischer Correctheit gebracht, und viele
ihrer Erzeugnisse theilen die barbarische Verwilderung der Zeit.
Die Roheit der Unterschrift einer Bobienser Handschrift um
750 *) wird aber weit überboten durch die erschreckliche Bar-
barei des Schlufswortes, welches der Mönch Gundolin unter
Pippins Herrschaft uoseuo (man weifs nicht, wo das ist) im
Juli 754 seinem recht schön geschriebenen Evangeliar hinzu-
fügte. 2 ) Diese arge Unwissenheit zu bekämpfen, machte Karl
der Grofse sich zur Aufgabe, und von Alcuin's Musterkloster
in Tours verbreitete die Reform sich nach allen Seiten. Seit-
dem fehlte in keinem gut eingerichteten Kloster die Schreib-
stube, scriptorium, und es galt bald der Spruch : claustrum sine
armario est quasi castrum sine armamentario.
Als im 17. Jahrh. durch die Mauriner die gelehrte Thätig-
keit der Benedictiner einen neuen Aufschwung nahm, fehlte
es nicht an Gegnern, welche daran Anstofs nahmen und be-
') Peyron de bibl. Bob. p. 178.
2 ) Das Evangeliar von Autun, Bibl. de Tficole des Chartes, 6, 4, 217.
— : — c .^ji^riffe
■— *■ n_r rincni jtc-
-■* .rivie* manasti-
- — :1 ii. p. TS ff.
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ü -l-iiiüsehen Klö-
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. ~:a in rhe Midde
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^■:^-£ci: ier lateini-
- . u. "jen p. 190
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Mönche als Schreiber. 251
15 Vel nova vel vetera potent proferre magister
Plurima, quisque legit dicta sacrata patrum.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs diese Distichen über
dem Scriptorium des Martinsklosters standen, von wo sie sich
natürlich weiter verbreiteten, wie wir v. 1 — 6, 11. 12 in Fulda
als Inschrift des dortigen Scriptorium wiederfinden. Wie grofsen
Werth Alcuin auf die fast ganz in Vergessenheit gerathene
Interpunction legte, zeigt auch ep. 85 ad Karolum, worin es
heifst: Punctorum vero distinctiones licet ornatum faciant pul-
cherrimum in sententiis, tarnen usus illorum propter rusticitatem
paene recessit a scriptoribus. Sed sicut totius sapientiae decus
et salutaris eruditionls ornatus per vestrae nobilitatis industriam
renovari incipil, ita et horum usus in manibus scribentium red-
integrandus esse optime videtur.
Auch eine Oratio in scriptorio ist uns überliefert: Bene-
dicere digneris hoc scriptorium famulorum tuorum et omnes
habitantes in eo, ut quidquid hie divinarum scripturarum ab eis
lectum vel scriptum fuerit, sensu capianl, opere perficiant.
D'Achery fand sie in einem sehr alten Sacramentar des Klosters
Corbie 1 ), Günthner 2 ) in einem Freisinger Codex saec. X.
Wie sehr diese Arbeit unmittelbar als verdienstlich be-
trachtet wurde, zeigen die Verse, welche sich in der Biblia
Vallicelliana finden:
Codicis illius quot sunt in corpore saneto
Depictae formis litterulae variis,
Mercedes habeat Christo donante per aevum
Tot Carolus rex, qui scribere iussit eum.
Bestimmter jedoch ist es ausgesprochen in den Versen
des Mönches Radulf von S. Vaast, der sich selber vorne ab-
malte und S. Vedast, wie er vom Himmel her ihn wohlgefällig
schreiben sieht:
Cum librum scribo, Vedastus ab aethere summo
Kespicit e caelis, notat et quot grammata nostris
') Guiberti Opera p. 614.
2 ) Gesch. der literar. Anstalten in Bayern 1, 190.
252 Die Schreiber.
Depingam calamis, quot aretur pagina sulcis,
Quot folium pimctis hinc hinc laceretur acutis.
Tuncque favens operi nostro nostroque labori:
Grammata quot, sulci quot sunt, quot denique puncti,
Inquit, in hoc libro, tot crimina iam tibi dono. l )
Auch die Legende verherrlichte das Verdienst der Schreiber.
Dem Schottenmönch Marfan in Regensburg, dessen wundervolle
Schrift allerdings jedes Lohnes würdig ist, leuchteten anstatt
der vergessenen Lichter drei Finger der linken Hand gleich
Lampen. Dietrich der erste Abt von S. Evroul (1050 — 1057),
der selbst ein trefflicher Schreiber war, und seine Mönche auf
alle Weise zu gleicher Thätigkeit heranzuziehen suchte 2 ), pflegte
ihnen die Geschichte eines sehr leichtsinnigen und sündhaften
Klosterbruders zu erzählen, der aber ein eifriger Schreiber war
und einmal aus freien Stücken einen enormen Folianten geist-
lichen Inhalts geschrieben hatte. Als er starb, verklagten ihn
die Teufel, die Engel aber brachten das grofse Buch vor, von
dem nun jeder Buchstabe eine Sünde aufwog, und siehe! es
war ein Buchstabe übrig. Da wurde seiner Seele verstauet,
zum Körper heimzukehren, damit er noch auf Erden Bufse
thun könne.
Ein ausgezeichneter und sehr fleifsiger Schreiber war der
Engländer Richard, ein Prämonstratenser in Wedinghausen bei
Arnsberg in Westfalen. Zwanzig Jahre nach seinem Tode
fand man seine rechte Hand noch wohl erhalten, die nun ver-
wahrt und als Reliquie verehrt ward, auch jetzt noch den
Altar ziert. 3 ) Den Nutzen und die Verdienstlichkeit des
*) Du Cange s. v. punctare; cf. Bethmann in Pertz' Archiv 8, 89.
Radulf scheint im elften Jahrh. gelebt zu haben.
2 ) Praefatus itaque pater per supradictos (mit ihm von Jumieges ge-
kommene Mönche) et per alios, quos ad hoc opus flectere poterat, anti-
quarios, octo annis quibus Uticensibus praefuit, omnes libros Veteris et
Novi Testamenti etc. bibliothecae procuravit. Ex eius etiam schola ex-
cellentes librarü . . . bibliothecam repleverunt. Ordericus Vit. ed. Le Pre-
vost 2, 48.
3 ) Caesar. Heisterb. 12, 47. W. Schmidt im Anz. des Germ. Mus.
1862, 328, 366.
Mönche als Schreiber. 253
Schreibens hebt sehr gut der Abt Peter von Cluny hervor, in
dem vortrefflichen Briefe an Gislebert über die Gefahren des
Einsiedlerlebens. ') In dem Cistercienserkloster Heilsbronn, wo '
fleifsig für die Bibliothek geschrieben wurde, erhielten die
Schreiber gleichsam eine Anweisung auf das Himmelreich 2 ),
und dasselbe wünscht sich als Lohn ein Schreiber des 15. Jahr-
hunderts in dem Schlufsvers:
Scriptori pro penna dentur celestia regna. 3 )
Man hat wohl behauptet, dafs in den Scriptorien mehreren
Schreibern zu gleicher Zeit dictirt sei. Merryweather sagt es
p. 20 mit Berufung auf King's Munimenta antiqua, Stevenson's
Suppl. to Bentham's Church of Ely p. 64. Dagegen macht
Knittel 4 ) mit Recht geltend , ' dafs die Kalligraphen nur sehr
langsam arbeiten konnten, und dafs man deshalb ihnen so
wenig wie Kupferstechern dictiren konnte. Er leugnet sogar,
dafs es bei den Alten jemals für den Handel geschehen sei,
was gewöhnlich angenommen wird, obgleich es keinen Beweis
dafür giebt. Allein Schriften in der Art der herculanensischen
Rollen liefsen sich wohl rasch genug schreiben, und die be-
zeugte Herstellung sehr vieler Exemplare in kurzer Zeit ist
kaum in anderer Weise zu erklären; aber für die erste Hälfte
des Mittelalters mufs ich Knittel beistimmen. Man half sich
w
I
damals, um eine Abschrift rasch fertig zu bringen und viele
Schreiber zu gleicher Zeit beschäftigen zu können, in anderer
Weise, indem man nämlich die Lagen unter ihnen vertheilte.
Deshalb sind häufig die verschiedenen Lagen nicht allein von
*) pro aratro convertatur manus ad pennam, pro exarandis agris di-
vinis litteris paginae exarentur, seratur in cartula verbi dei seminarium.
Bibl. Cluniac. p. 647.
2 J Impense huius libri sunt tres libre hallensium. Scriptoribus autem
debetur merces eterna Amen. Iste Hb er constat ij libras minus x hall.
Scribeniibus debetur regnum celorum Amen. Unter Abt Heinrich 1290 ge-
schrieben. Erlanger Handschriftenkatalog von Irmischer p. 41. Iste Über
constitit in pergameno tres libras hall, et xxx hall. Pro scriptura vero
debetur scriptori regnum celorum. Vom J. 1289, ib. p. 93.
3 ) Irmischer p. 214.
4 ) Ulphilae Fragm. p. 380.
254 Die Schreiber.
verschiedenen Händen geschrieben, sondern man findet auch,
dafs am Ende derselben die Schrift bald eng zusammengedrängt,
bald aus einander gezogen oder ein freier Raum übrig ge-
blieben ist, der später zu anderen Eintragungen benutzt wer-
den konnte, wie in einer Heiligenkreuzer Handschrift. 1 ) In
einer Handschrift von S. Vaast haben sich die Schreiber der
einzelnen Quaternionen genannt. 2 )
Im späteren Mittelalter aber wurde sehr viel und rasch ge-
schrieben, und dafs man sich da auch des Dictirens zur Vervielfäl-
tigung bediente, beweist die Vita Milieu in Balbins Misfcell. Dec. I y
1. IV p. 54 : coepit super evangelia, de tempore et de sanetis dieta
sanciorum doclorum colligere , et sie coepit eä sludentibus ad
ingrossandum et aliis scribentibus pronuneciare. Mathias von
Janow aber drückt sich hierüber so aus 3 ): continue magnos
libros comportabal et propria manu conscribebat , eosdem multi-
tudini clericorum 9 vel ducentis vel trecentis cottidie exportans
ad scribendum, et hoc sie : quod hodie conscribebat, hoc mox in
crastino totum scriptores copiabant, et ita omni die, puta pro
omni die crastino, colligere scribendum bis (/. his) ducentis de-
ricis oportebat. Das läfst sich doch auch nur in der Weise
denken, dafs ihnen gleichzeitig vorgesprochen wurde. 4 ) Aber
auf die Scriptorien der Klöster findet es keine Anwendung,
und da war auch zu so gesteigerter und beschleunigter Thätig-
keit kaum eine Veranlassung.
Wir wollen nun nicht den Spuren und Denkmalen dieser Arbeit
in den einzelnen Klöstern nachgehen, wo sie in der Blüthezeit
derselben vom 9. bis 13. Jahrhundert überall in reichster Fülle
nachweisbar sind; es würde viel zu weit führen, auch nur die
hervorragenden Leistungen zu erwähnen. Nur einige charak-
teristische Thatsachen mögen angeführt werden.
l ) Pertz' Archiv 10, 598. Ein griech. Beispiel bei Ebert p. 141.
a ) ib. 8, 89.
3 ) Hoefler, Geschichtsquellen der Husitischen Bewegung 2, 44.
4 ) Dafs nach dem Vortrage der Lehrer nachgeschrieben wurde, kommt
sehr häufig vor, aber doch wohl in der Regel auf Wachstafeln oder papierenen
Adversarien, um es nachträglich zu mundiren, s. oben p. 56.
Mönche als Schreiber. 255
Zu den Klöstern, welche zu Karls Zeit einen mächtigen
Aufschwung nahmen, gehört S. Wandrille. Hier fand der Abt
Gerwold (787 — 806) omnes paene ignaros literarum, und er-
richtete deshalb eine Schule. Ein Priester Harduin plurimos
arithmeticae artis disciplina alumnos imbuit ac arte scriptoria
erudivit\ erat enim in hac arte non mediocriter doctus. Unde
plurima ecclesiae nostrae proprio sudore conscripta reliquit Vo-
lumina, id est volumen quatuor evangeliorum Romana litera scrip-
tum etc. 1 ) Dieser Ausdruck litera Romana kommt in der Klo-
sterchronik öfter vor, und scheint Uncialschrift zu bedeuten. 2 )
Das scriptorium von S. Gallen wird in. der Chronik er-
wähnt, und auf dem alten Grundrifs des Klosters ist es neben der
Kirche unter der Bibliothek verzeichnet. 3 ) In einer Handschrift
aus S. ßiquier ist eine Inschrift in domo scriptorum erhalten. 4 )
Nicht immer war das Schreiben eine freiwillige Arbeit; in
einem Lorscher Codex saec. IX ist zu den Worten Jacob serip-
sit von anderer Hand zugesetzt: quandam partem huius libri
non spontanea volunlate, sed coactus. compedibus constrictus sicut
oportet vagum aique fugitivum vincire. 5 )
Jeder neue Aufschwung klösterlicher Zucht war von neuem
Eifer im Schreiben begleitet, sowohl in den einzelnen Klöstern,
welche durch »tüchtige Aebte reformirt wurden, wie auch in
den neu aufkommenden Orden. In Cluny hatte der armarius
für alle Bedürfnisse der Schreiber zu sorgen 6 ), und diese waren
*) Gesta abb. Fontanell. c. 16. Mon. Germ. 2, 292.
2 ) Anders dagegen in der Erzählung bei Mab. Dipl. ed. II p. 639. Erzb.
Badulf von Tours fand 1075 eine päbstliche Bulle, die niemand lesen konnte,
und schickte sie dem Abt Bartholomeus von Marmoutiers. Sie enthielt die
Bestätigung des Vorrechts der Canoniker von S. Martin, einen eigenen
Bischof haben zu dürfen, und war von Gregor V vom 29. Sept. 996. Sed
quia erat Romana littera scriptum, non poterat legi. Es ist also hier die
alte päbstliche Schrift.
3 ) Mon. Germ. 2, 95.
4 ) Archiv 8, 534.
5 ) Reifferscheid in den Sitz. Ber. d. Wiener Akad. 56, 451.
6 ) In der oben p. 194 erwähnten Unterschrift einer in Cluny unter
Pontius geschriebenen Bibel heifst es: Petro tunc temporis armario neces-
saria secundum officium suum cum g audio studioque subministrante.
256 Die Schreiber.
sogar vom Chor dispensirt. l ) Das, und die übergrofse Pracht-
liebe erregte den Widerspruch der Cistercienser, aber auch
diese brachten bald schön verzierte Handschriften in Fülle
hervor.
In England erlag freilich bei der Eroberung die eigen-
tümliche Kunstübung der Angelsachsen, aber die Normannen
waren nicht minder eifrige Beförderer der Gelehrsamkeit. In
S. Albans richte der Abt Paulus sogleich ein Scriptorium mit
bestimmten Einkünften ein, und auf seinen Wunsch bestimmte
ein Edelmann Zehnten, die er schenkte, ad volumina ecclesiae
necessaria scribenda. Für die Schreiber, welche er von weit
her aufsuchte, bestimmte Paulus feste Tagegelder, damit sie un-
gestört arbeiten konnten. Continuo in ipso quod construxit
scriptorio libros praeelectos scribi fecit, Lanfranco exemplaria
ministrante. Gegen das Ende des 12. Jahrh. war die Schrei-
berei schon wieder verfallen, aber Abt Simon stellte sie her,
und hatte immer zwei oder drei auserwählte Schreiber in seiner
eigenen Kammer. Scriptorium quoque tunc temporis fere dissi-
patum et contemptum ? % eparavit, et quasdam laudabiles consue-
ludines in ipso innovavit et ipsum ampliavit redditibus, ita ut
omnibus temporibus debeat abbas qui pro tempore fuerit, unum
habere scriptorem specialem.
Hier ist von dem Schreiben der Mönche selbst schon nicht
mehr die Rede. In Corbie dagegen schrieb um diese Zeit
Bruder Nevelo noch sehr fleifsig; ihn drückte eine verborgene
Schuld, und dringend erbittet er am Schlüsse jeder Hand-
schrift die Fürbitten der Leser : Ego frater Neuelo huius sancti
cenobii Corbeiensis alumnus in sancto habitu constitutum, sed con-
scientiae sarcina utcumque pregrauatus , hunc libellum propriis
sumptibus elaboratum et propria manu prout potui descriptum
kobtuli domino et patrono nostro beatissimo Petro apostolo. 2 )
Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts aber schrieben auch in
*) Mart. Thes. 5, 1629. Vgl. oben p. 149.
2 ) L6op. Delisle, Recherches sur Tancienne Bibliotheque de Corbie,
Mem. de Tlnstitut. 24, 288.
Mönche als Schreiber. 257
Corbie die Mönche nicht mehr selbst, sondern kauften Bücher
oder liefsen Schreiber für sich arbeiten. Beides finden wir err
wähnt in den alten Statuten der Canoniker von S. Victor in
Paris, wo c. 21 die Obliegenheiten des armarius ausführlich
angegeben werden. Da heifst es: Omnes scripturae quae in
ccclesia sive intus siveforis sunt, ad eius officium pertinent, ut ipse
scriptoribus pergamena et cetera, quae ad scribcndum necessaria
sunt, provideat, et eos qui pro pretio scribunt, ipse conducat. l )
Fleifsig schrieben in ihren Zellen die Karthäuser. Hoc
siquidem speciale esse debet opus Carthusiensium inclusorum,
sagt der Prior Guigo (f 1137) de quadripartito exercitio cellae
c. 36. In den. 1259 gesammelten alten Statuten heifst es II,
1 6, 8 : Quod si f rater alterius arlis fuerit, quod apud nos raro
valde contingit — omnes enim pene quos suscipimus, si fieri potest,
scribere docemus. Und II, 23, 5 : Qui scribere seit et potest et
noluerit, a vino abstineat arbilrio prioris. Johannes Gerson schrieb
1423 eine Abhandlung de laude scriptorum, worin er den Coe-
lestinern und Karthäusern auf ihre Anfrage bestätigte und
nachwies, dafs sie auch an Festtagen ohne Sünde erbauliche
Werke abschreiben könnten. 2 }
Die Karthäuser werden sich wohl ganz auf kirchliche
Schriften beschränkt haben. Weiter reichte der Gesichtskreis
des Friesen Emo, welcher schon auf der Schule, wenn seine
Genossen spielten, schrieb oder illuminirte. Später besuchte er
mit seinem Bruder Addo die hohen Schulen in Paris, Orleans
und Oxford, und hier schrieben sie, indem sie immer ab-
wechselnd die halbe Nacht durchwachten, die ganze ihnen zu-
gängliche, auch heidnische Litteratur zusammen, nebst den
Glossen ihrer Lehrer. Als erster Abt des Prämon^tratenser-
x ) Martene de antiquis eccl. ritibus 3, 733.
2 , Opp. 2, 694 ff. Darin Considerat. 9. p. 700 die merkwürdige Stille:
Sed neque quispiam excusaverit suam in scribendo segnitiem, si nescioerit
littervs artificiose multum formare; littera sil legibilis, sit punetuata, pur-
gata, qualis est Lombardorum. Das ist wohl dieselbe, welche sonst
Bononiensis heifst, die Schrift der zahlreichen feechtshandschriften aus
Bologna.
Wattenbach, Schriftwesen. 17
25 % Die Schreiber.
klosters Wittewieram (1204 — 1237) setzte Emo seine frühere
Gewohnheit fort, und verfertigte selbst nach der Mette wachend,
. während die Brüder schliefen, alle Chorbücher: scripsit, notavit
H üluminavit. Dann sorgte er für die Ausstattung des anna-
rium librorum in capitulo mit geistlichen Schriften, und leitete
dazu die Brüder und Schwestern an: non solum in clericis,
(juos ad scribendum fervide incitabat et per se ipsum instruebat,
verum etiam sedulitatem in feinineo sexu considerans, sorores
ad hoc habiles sollicite in scribendo informabaL x )
Dafs auch Nonnen diese Kunst übten, kommt schon früh
vor. Cäsarius von Arles (f 542 j verordnete, dafs in dem von
ihm gestifteten Nonnenkloster, welchem seine Schwester vor-
stand, inter psalmos alque ieiunia, vigilias quoque et lectiones,
libros divinos pulehre scriptitent virgines Christi, ipsam (Caesa-
riani) magistram habenies. 2 ) Später galt das Schreiben für
mühsamer, und es erregte grofse Bewunderung, dafs im achten
Jahrhundert die Nonnen von Maseyk sich damit beschäftigten :
neenon quod noslris temporibus valde mirum est, etiam scribendo
atque pingendo, quod huius aevi robustissimis viris oppido one-
rosum videtur. 3 ) Später wird es ohne Zweifel häufig vorge-
kommen sein, ohne dafs wir gerade Nachricht darüber hätten,
wie wir ja überhaupt von Nonnenklöstern nur wenig erfahren.
Im Anfang des 12. Jahrhunderts schrieb in Wessobrunn die
Klausnerin Dimudis eine grofse Reihe kirchlicher Werke für
den Gottesdienst und die Bibliothek, und eine eigene Stiftung
verewigte ihr Andenken. 4 ) Die Nonne Guta in Schwarzen-
thann wurde schon oben p. 208 erwähnt, Herrad von Lands-
borg p. 55, und p. 133 auch der Admunter Nonnen gedaeht,
welche die Werke ihres Abtes Irimbert (1172 — 1176) gar
säuberlich abschrieben. 5 ) In Mallerstorf war um dieselbe Zeit
! ) Kronijken van Emo en Menko (Utr. 1S66) p. 150. 167.
-) Vita Caesarii, gleichzeitig, 1, 33. Mab. Acta SS. 1, 646 ed. Ven.
a ) Vita Harlimlis et Reinilae, geschrieben zwischen S50 und SSO, § 5.
*) Leutner, Hist. Wessofont. 1, 166 tf. 254. Hefner im Oberbair.
Archiv. 1, 361.
: ) Mon. Germ. SS. IL 48. Archiv 10, 633.
Mönche als Schreiber. 259
Leukardis thätig, welche schottischer Abkunft gewesen sein
soll, schottisch (d. h. irisch), griechisch, lateinisch und deutsch
verstand, und so fleifsig schrieb, dafs der nicht minder fleifsig
schreibende Mönch Laiupold zu ihrem Andenken ein Anniver-
sarium stiftete. 1 )
Später kommen nur noch vereinzelte Beispiele vor, so im
Heidelberger Cod. Salem. IX, 66: Istum librum procuravü
frater Jacobus de Lindaudia ad honorem S. Marie et eins filio
et ordinauit eundem in chorum prioris. qui secus fecerit ana-
thema coram summo deo sit. et scriptus est a venerabili sorore
Katherina de Bruyg moniali in rubeo monasterio sub a. d. 1366.
Quicunque cantat uel legat in eo kabeat nostri memoriam aput
deum. So im 15. Jahrhundert Margareta von Merode in
Schillingscapellen 2 ), und noch 1507 eine bescheidene Unge-
nannte: Dit bock is geendiget vp sante Jurigens auent A. D.
Mdvij . Biddel god vor de schriuerschen myt enen Aue Maria.
Di/t bock hört dem conuente tom It/liendale. 3 )
Bei der grofsen durch Joh. Busch betriebenen Klosterreform
ist vom Schreiben der Nonnen nur in dem 1451 reformirten
Kloster Heiningen die Rede. 4 )
In den Mönchsklöstern erhielten sich im 13. Jahrhundert
wohl noch hie und da die früheren Studien, wie z. B. der
Bruder Konrad von Scheiern als Muster eines librarius von 1205
bis 1241 wirkte 5 ), und in Heilsbronn die Bibliothek immer
sorgsam gepflegt wurde. Auch Corbie zeichnet sich in dieser
Hinsicht aus, Salem, und noch manches andere Kloster. Aber
in dem altbertihmten Murbach konnten 1291 die Mönche nicht
schreiben, und ebenso 1297 mehrere S. Galler, unter ihnen der
Probst. 6 ) Dagegen waren die neu gegründeten Bettelorden
*) Mon. Boic. 15, 269. Verse unter einer von ihr geschriebenen Hand-
schrift ib. p. 249.
2 ) Archiv f. Kunde öst. Geschichtsquellen 42, 501.
3 ) Hoffmann, Altd. Handschriften p, 256.
4 ) Leibn. SS. Rer. Brunsvic. 2, 882.
5 ) Mon. Germ. SS. 17, 624; vgl. F. Kugler, Kleine Schriften 1, 84—87.
6 ) Neugart, Cod. dipl. Alem. 2, 334. 33S.
17*
j
«
260 Die Schreiber.
auch auf diesem Gebiete sehr thätig, nur verlegten sie sich
mehr auf Abschriften ihrer eigenen Compilationen und scholasti-
schen Schriften, als auf kalligraphische Vervielfältigung älterer
Werke. Richard de Buri macht in seinem Philobiblion c. 5
u. 6 die bitterste Schilderung von der allgemeinen Feindschaft
der Geistlichkeit gegen alle Bücher: Calicibus epotandis, non
codicibus emendandis indulgent hodie. Auch die Bettelmönche
schont er da nicht, doch spricht er später wieder günstiger
von ihnen. Ueber die Minoriten haben wir schon gelegentlich
einige Stellen von Salimbene angeführt; ihre Regel und Lebens-
art erforderte grofse Sparsamkeit, und eng gedrängte Schrift
mit vielen Abkürzungen ist bei ihnen vorzüglich zu Hause.
Roger Bacon kam deshalb in Verlegenheit, als er sein Werk
dem Pabst Clemens IV zu tibersenden wünschte, weil seine
Ordensbrüder nicht kalligraphisch zu schreiben verstanden, andere
Schreiber aber den Inhalt betrügerisch verwerthen würden, wie
das ihre Gewohnheit sei: Sed scribi non posset litiera bona nisi
per scriptores alienos a statu nostro, et Uli tunc transcriberent
pro se vel aliis vellem nollem, sicut sepissime scripta per fr au-
des scriptorum Parisius divulgantur. 1 )
Sehr fleifsig wurde noch im 14. Jahrhundert in Scheftlarn
geschrieben 2 ), und bei den Cisterciensern von Kaisersheim, wo
in einer neueren Chronik z. J. 1313 bemerkt ist: Zu diser zeit
tvas prior zu Kaiskeim bruder Rudger. und was ain guter stul-
schr eiber da, Rudolph Veir abend von Augsburg , der schrib vil
bücher. und Peter von Ulm der illuminierets , bruder Hainrich
apotecker band sy ain, 3 ) Was ist ein stulschreiber? In Wilhelm
Wittwers Catalogus abbatum SS. Udalrici et Afrae 4 ) heifst es,
dafs von 1487 bis 1494 plura breviaria diurnalia pro diversis
fratribus officiulihus ex licencia abbatis scripta sunt per scri-
ptores seu cathedrales, que omnia solvit et pergamenum ad Uta
*) Opera inedita ed. Brewer p. 13.
2 ) Mon. Germ. SS. 17, 349.
3 ) Rockinger in d. Quellen z. Bayer. Gesch. 0. 841 aus Cölestin Angls-
pruggers Chronik von 1764.
4 ) Steichele's Archiv f. d. Gesch. des Bisth. Augsb. 3, 342.
Mönche als Schreiber. 261
volwitarie dedit. Hiernach scheint cathedralis der entsprechende
lateinische Ausdruck zu sein; wir finden ihn auch in Heils-
bronn, wo 1405 Abt Berthold eine glossirte Regel S. Benedicts
abschreiben liefs; der Schreiber nennt sich Heinricus kathe-
dralis de Juvavia. 1 ) Und 1457 ist ein Buch geschrieben per
me Ambrosium kathedralem almae universitatis Lipsiensis. 2 )
Vielleicht könnte es ein Schreiblehrer sein.
In den süddeutschen Klöstern wurde noch besonders fleifsig
bis ans Ende des Mittelalters geschrieben; manche Abschriften
brachten die Mönche von den Universitäten mit nach Haus.
Aus Salem bewahrt die Heidelberger Bibliothek viele, und zum
Theil recht schöne Handschriften. Ein vorzüglich schönes
Brevier hat 1493 und 1494 der Cistercienser Amandus ge-
«
schrieben, welcher nach Zerstörung seines Klosters in der Vor-
stadt von Strafsburg in Salem Aufnahme gefunden hatte, und
1529 Abt geworden ist; die Illuministen aber waren bezahlte
Künstler. 3 )
Fleifsig wurde auch in Tegernsee nach der Reform ge-
schrieben unter Konrad V (1461 — 1492) 4 ); in Blaubeuern schrieb
1477 Andreas Ysingrin die Chronik von Montecasino ab, 1492
Bruder Silvester das Leben des seligen Wilhelms von Hirschau. 5 )
In Belgien wirkte um die Mitte des 15. Jahrhunderts
Bruder Johann von Stavelot 34 Jahre lang im Lütticher Lau-
rentiuskloster als fleifsigster Schreiber 6 ), und so lassen sich
gewifs noch manche Klöster nachweisen, in denen der alte
Benedictinerfleifs nicht verschwunden war; viel mehrere aber
waren in Ueppigkeit und Faulheit versunken.
Auch im Erfurter Peterskloster wurde noch am Ende des
J ) Erlanger Handschriftenkat. v. Irmischer p. 112; vgl. p. 126, wo er
einfach H. de Juvavia heifst. Daselbst der hübsche Schreibername Johannes
aurea penna.
2 ) ib. p. 182.
3 ) s. Anz. des Germ. Museums 1867 p. 161—165.
4 ) Pez Thes. III, 3, 547.
5 ) Mon. Germ. SS. 7, 557. 12, 211.
6 ) Reiffenberg, Annuaire de la Bibl. de Brux. 1, XLIX — LVI.
252 Die Schreiber.
Depingam calamis, quot aretur pagina sulcis,
Quot folium punctis hinc hinc laceretur acutis.
Tuncque favens operi nostro nostroque labori:
Grammata quot, sulci quot sunt, quot denique puncti,
Inquit, in hoc libro, tot crimina iam tibi dono. *)
Auch die Legende verherrlichte das Verdienst der Schreiber.
Dem Schottenmönch Marian in Kegensburg, dessen wundervolle
Schrift allerdings jedes Lohnes würdig ist, leuchteten anstatt
der vergessenen Lichter drei Finger der linken Hand gleich
Lampen. Dietrich der erste Abt von S. Evroul (1050 — 1057),
der selbst ein trefflicher Schreiber war, und seine Mönche auf
alle Weise zu gleicher Thätigkeit heranzuziehen suchte 2 ), pflegte
ihnen die Geschichte eines sehr leichtsinnigen und sündhaften
Klosterbruders zu erzählen, der aber ein eifriger Schreiber war
und einmal aus freien Stücken einen enormen Folianten geist-
lichen Inhalts geschrieben hatte. Als er starb, verklagten ihn
die Teufel, die Engel aber brachten das grofse Buch vor, von
dem nun jeder Buchstabe eine Sünde aufwog, und siehe! es
war ein Buchstabe übrig. Da wurde seiner Seele yerstattet,
zum Körper heimzukehren, damit er noch auf Erden Bufse
thun könne.
Ein ausgezeichneter und sehr fleifsiger Schreiber war der
Engländer Richard, ein Prämonstratenser in Wedinghausen bei
Arnsberg in Westfalen. Zwanzig Jahre nach seinem Tode
fand man seine rechte Hand noch wohl erhalten, die nun ver-
wahrt und als Reliquie verehrt ward, auch jetzt noch den
Altar ziert. 3 ) Den Nutzen und die Verdienstlichkeit des
*) Du Cange s. v. punctare; cf. Bethmann in Pertz' Archiv 8, 89.
Radulf scheint im elften Jahrh, gelebt zu haben.
2 ) Praefatus itaque pater per supradictos (mit ihm von Jumieges ge-
kommene Mönche) et per alios, quos ad hoc opus flectere poterat, anti-
quarios, octo annis quibus Uticensibus praefuit, omnes libros Veteris et
Novi # Testamenti etc. bibliothecae procuravit. Ex eius etiam schola ex-
cellentes librarii . . . bibliothecam repleverunt. Ordericus Vit. ed. Le Pre-
vost 2, 48.
3 ) Caesar. Heisterb. 12, 47. W. Schmidt im Anz. des Germ. Mus.
1862, 328, 366.
Mönche als Schreiber. 253
Schreibens hebt sehr gut der Abt Peter von Cluny hervor, in
dem vortrefflichen Briefe an Gislebert über die Gefahren des
Einsiedlerlebens. ') In dem Cistercienserkloster Heilsbronn, wo '
fleifsig für die Bibliothek geschrieben wurde, erhielten die
Schreiber gleichsam eine Anweisung auf das Himmelreich 2 ),
und dasselbe wünscht sich als Lohn ein Schreiber des 15. Jahr-
hunderts in dem Schlufsvers:
Scriptori pro penna dentur celestia regna. 3 )
Man hat wohl behauptet, dafs in den Scriptorien mehreren
Schreibern zu gleicher Zeit dictirt sei. Merryweather sagt es
p. 20 mit Berufung auf King's Munimenta antiqua, Stevenson's
Suppl. to Bentham's Church of Ely p. 64. Dagegen macht
Knittel 4 ) mit Recht geltend , ' dafs die Kalligraphen nur sehr
langsam arbeiten konnten, und dafs man deshalb ihnen so
wenig wie Kupferstechern dictiren konnte. Er leugnet sogar,
dafs es bei den Alten jemals für den Handel geschehen sei,
was gewöhnlich angenommen wird, obgleich es keinen Beweis
dafür giebt. Allein Schriften in der Art der herculanensischen
Rollen liefsen sich wohl rasch genug schreiben, und die be-
zeugte Herstellung sehr vieler Exemplare in kurzer Zeit ist
kaum in anderer Weise zu erklären; aber für die erste Hälfte
des Mittelalters mufs jch Knittel beistimmen. Man half sich
damals, um eine Abschrift rasch fertig zu bringen und viele
Schreiber zu gleicher Zeit beschäftigen zu können, in anderer
Weise, indem man nämlich die Lagen unter ihnen vertheilte.
Deshalb sind häufig die verschiedenen Lagen nicht allein von
*) pro aratro convertatur manus ad pennam, pro exarandis agris di-
vinis litteris paginae exarentur, seratur in cartula verbi dei seminarium.
Bibl. Cluniac. p. 647.
2 j Impense huius libri sunt tres libre hallensium. Scriptoribus autem
debetur merces eterna Amen. Iste Über constat ij libras minus x hall.
Scribentibus debetur regnum celorum Amen. Unter Abt Heinrich 1290 ge-
schrieben. Erlanger Handschriftenkatalog von Irmischer p. 41. Iste Über
constitit in pergameno tres libras hall, et xxx hall. Pro scriptura vero
debetur scriptori regnum celorum. Vom J. 1289, ib. p. 93.
3 ) Irmischer p. 214.
4 ) Ulphilae Fragm. p. 380.
254 Die Schreiber.
verschiedenen Händen geschrieben, sondern man findet auch,
dafs am Ende derselben die Schrift bald eng zusammengedrängt,
bald aus einander gezogen oder ein freier Raum übrig ge-
blieben ist, der später zu anderen Eintragungen benutzt wer-
den konnte, wie in einer Heiligenkreuzer Handschrift, 1 ) In
einer Handschrift von S. Vaast haben sich die Schreiber der
einzelnen Quaternionen genannt. 2 )
Im späteren Mittelalter aber wurde sehr viel und rasch ge-
schrieben, und dafs man sich da auch des Dictirens zur Vervielfäl-
tigung bediente, beweist die Vita Milien in Balbins Misfcell. Dec. I,
1. IV p. 54 : coepit super evangelia, de tempore et de sanetis dieta
sanetorum doclorum colligere , et sie coepit eä studentibus ad
ingrossandum et aliis scribentibus pronuneciare. Mathias von
Janow aber drückt sich hierüber so aus 3 ): continue magnos
libros comportabal et propria manu conscribebat , eosdem multi-
tudini clericorum, vel ducentis vel trecentis cottidie exportans
ad scribendum, et hoc sie : quod hodie conscribebat, hoc mox in
crastino totum scriptores copiabant, et ita omni die, puta pro
omni die crastino, colligere scribendum bis (/. his) ducentis cle-
ricis oportebat. Das läfst sich doch auch nur in der Weise
denken, dafs ihnen gleichzeitig vorgesprochen wurde. 4 ) Aber
auf die Scriptorien der Klöster findet es keine Anwendung,
und da war auch zu so gesteigerter und beschleunigter Thätig-
keit kaum eine Veranlassung.
Wir wollen nun nicht den Spuren und Denkmalen dieser Arbeit
in den einzelnen Klöstern nachgehen, wo sie in der Blüthezeit
derselben vom 9. bis 13. Jahrhundert tiberall in Reichster Fülle
nachweisbar sind; es würde viel zu weit führen, auch nur die
hervoi ragenden Leistungen zu erwähnen. Nur einige charak-
teristische Thatsachen mögen angeführt werden.
*) Pertz' Archiv 10, 598. Ein griech. Beispiel bei Ebert p. 141.
2 ) ib. 8, 89.
3 ) Hoefler, Geschichtsquellen der Husitischen Bewegung 2, 44.
4 ) Dafs nach dem Vortrage der Lehrer nachgeschrieben wurde, kommt
sehr häufig vor, aber doch wohl in der Regel aufWachstaf ein oder papierenen
Adversarien, um es nachträglich zu mundiren, s. oben p. 56.
Mönche als Schreiber. 255
Zu den Klöstern, welche zu Karls Zeit einen mächtigen
Aufschwung nahmen, gehört S. Wandrille. Hier fand der Abt
Gerwold (787 — 806) omnes paene ignaros literarum, und er-
richtete deshalb eine Schule. Ein Priester Harduin plurimos
arithmeticae artis disciplina alumnos imbuit ac arte scriptoria
erudivit\ erat enim in hac arte non mediocriter doctus. Unde
plurima ecclesiae nostrae proprio sudore conscripta reliquit Vo-
lumina, id est volumen quatuor evangeliorum Romana litera scrip-
tum etc. 1 ) Dieser Ausdruck litera Romana kommt in der Klo-
sterchronik öfter vor, und scheint Uncialschrift zu bedeuten. 2 )
Das scriptorium von S. Gallen wird in. der Chronik er-
wähnt, und auf dem alten Grundrifs des Klosters ist es neben der
Kirche unter der Bibliothek verzeichnet. 3 ) In einer Handschrift
aus S. ßiquier ist eine Inschrift in domo scriptorum erhalten. 4 )
Nicht immer war das Schreiben eine freiwillige Arbeit; in
einem Lorscher Codex saec. IX ist zu den Worten Jacob serip-
sit von anderer Hand zugesetzt: quandam partem huius libri
non spontanea volunlate, sed coactus. compedibus constrictus sicut
oportet vagum atque fugitivum vincire. 5 )
Jeder neue Aufschwung klösterlicher Zucht war von neuem
Eifer im Schreiben begleitet, sowohl in den einzelnen Klöstern,
welche durch •tüchtige Aebte reformirt wurden, wie auch in
den neu aufkommenden Orden. In Cluny hatte der armarius
für alle Bedürfnisse der Schreiber zu sorgen 6 ), und diese waren
J ) Gesta abb. Fontanell. c. 16. Mon. Germ. 2, 292.
2 ) Anders dagegen in der Erzählung bei Mab. Dipl. ed. II p. 639. Erzb.
Radulf von Tours fand 1075 eine päbstliche Bulle, die niemand lesen konnte,
und schickte sie dem Abt Bartholomeus von Marmoutiers. Sie enthielt die
Bestätigung des Vorrechts der Canoniker von S. Martin, einen eigenen
Bischof haben zu dürfen, und war von Gregor V vom 29. Sept. 996. Sed
quia erat Romana littera scriptum, non poterat legi. Es ist also hier die .
alte päbstliche Schrift.
3 ) Mon. Germ. 2, 95.
4 ) Archiv 8, 534.
5 ) Reifferscheid in den Sitz. Ber. d. Wiener Akad. 56, 451.
•) In der oben p. 194 erwähnten Unterschrift einer in Cluny unter
Pontius geschriebenen Bibel heifst es: Petro tunc temporis armario neces-
saria secundum officium suum cum gaudio studioque sübministrante.
256 Die Schreiber.
sogar vom Chor dispensirt. *) Das, und die übergrofse Pracht-
liebe erregte den Widerspruch der Cistercienser , aber auch
diese brachten bald schön verzierte Handschriften in Fülle
hervor.
In England erlag freilich bei der Eroberung die eigen-
tümliche Kunstübung der Angelsachsen, aber die Normannen
waren nicht minder eifrige Beförderer der Gelehrsamkeit. In
S. Albans richte der Abt Paulus sogleich ein Scriptorium mit
bestimmten Einkünften ein, und auf seinen Wunsch bestimmte
ein Edelmann Zehnten, die er schenkte, ad volumina ecclesiae
necessaria scribenda. Für die Schreiber, welche er von weit
her aufsuchte, bestimmte Paulus feste Tagegelder, damit sie un-
gestört arbeiten konnten. Continuo in ipso quod construxit
scriptorio libros praeelectos scribi fecit, Lanfranco exemplaria
ministrante. Gegen das Ende des 12. Jahrh. war die Schrei-
berei schon wieder verfallen, aber Abt Simon stellte sie her,
und hatte immer zwei oder drei auserwählte Schreiber in seiner
eigenen Kammer. Scriptorium quoque tunc temporis fere dissi-
patum et contemptum reparavit, et quasdam laudabiles consue-
tudines in ipso innovavit et ipsum ampliavit redditibus, ita ul
omnibus temporibus debeat abbas qui pro tempore fuerit, unum
habere scriptorem specialem.
Hier ist von dem Schreiben der Mönche selbst schon nicht
mehr die Rede. In Corbie dagegen schrieb um diese Zeit
Bruder Nevelo noch sehr fleifsig; ihn drückte eine verborgene
Schuld, und djingend erbittet er am Schlüsse jeder Hand-
schrift die Fürbitten der Leser: Ego frater Neuelo huius sancti
cenobii Corbeiensis alumnus in sancto habitu constitutum, sed con-
scientiae sarcina utcumque pregraualus, hunc libellum propriis
sumptibus elaboratum et propria manu prout potui descriptum
kobtuli domino et patrono nostro beatissimo Petro apostolo. 2 )
Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts aber schrieben auch in
*) Mart. Thes. 5, 1629. Vgl. oben p. 149.
2 ) L6op. Delisle, Recherches sur Tancienne Bibliotheque de Corbie,
Mem. de Tlnstitut. 24, 288.
Mönche als Schreiber. 257
Corbie die Mönche nicht mehr selbst, sondern kauften Bücher
oder liefsen Schreiber für sich arbeiten. Beides finden wir err
wähnt in den alten Statuten der Canoniker von S. Victor in
Paris, wo c. 21 die Obliegenheiten des armarius ausführlich
angegeben werden. Da heifst es: Omnes scripturae quae in
ecclesia sive intus sive Joris sunt, ad eius officium pertinent, ut ipse
scriptoribus pergamena et cetera, quae ad scribendum necessaria
sunt, provideat, et eos qui pro pretio scribunt, ipse conducat. *)
Fleifsig schrieben in ihren Zellen die Karthäuser. Hoc
siquidem speciale esse debet opus Carthusiensium inclusorum,
sagt der Prior Guigo (f 1137) de quadripartito exercitio cellae
c. 36. In den . 1 259 gesammelten alten Statuten heifst es II,
16, 8: Quod si f rater alterius arlis fuerit, quod apud nos raro
valde contingit — omnes enim pene quos suscipimus, si fieri potest,
scribere docemus. Und II, 23, 5 : Qui scribere seit et potest et
noluerit, avino abstineat arbitrio prioris. Johannes Gerson schrieb
1423 eine Abhandlung de laude scriptorum, worin er den Coe-
lestinern und Karthäusern auf ihre Anfrage bestätigte und
nachwies, dafs sie auch an Festtagen ohne Sünde erbauliche
Werke abschreiben könnten. 2 )
Die Karthäuser werden sich wohl ganz auf kirchliche
Schriften beschränkt haben. Weiter reichte der Gesichtskreis
des Friesen Emo, welcher schon auf der Schule, wenn seine
Genossen spielten, schrieb oder illuminirte. Später besuchte er
mit seinem Bruder Addo die hohen Schulen in Paris, Orleans
und Oxford, und hier schrieben sie, indem sie immer ab-
wechselnd die halbe Nacht durchwachten, die ganze ihnen zu-
gängliche, auch heidnische Litteratur zusammen, nebst den
Glossen ihre: Lehrer. Als erster Abt des Prämon^tratenser-
') Martene de antiquis eccl. ritibus 3, 733.
2 , Opp. 2, 691 ff. Darin Considerat. 9. p. 700 die merkwürdige Stille:
Std neque quispiam excusaverit suam in scribendo segnitiem, si neseiverit
litter as artificiose multum formare : littera sit legibilis, sit punetuata, pur-
gata, qualis est Lombardorum. Das ist wohl dieselbe, welche sonst
Bononiensis heifst, die Schrift der zahlreichen feechtshandschriften aus
Bologna.
Wattenbach, Schriftwesen. 17
258 Die Schreiber.
klosters Wittewierum (1204 — 1237) setzte Emo seine frühere
Gewohnheit fort, und verfertigte selbst nach der Mette wachend,
während die Brüder schliefen, alle Chorbücher: scripsit, notavit
et illuminavit. Dann sorgte er für die Ausstattung des arma-
rium librorum in capitulo mit geistlichen Schriften, und leitete
dazu die Brüder und Schwestern an: non solum in clericis,
quos ad scribendum fervide incitabat et per se ipsum instruebat,
verum etiam sedulitatem in femineo sexu considerans, sorores
ad hoc habiles sollicite in scribendo infonnabat. 1 )
Dafs auch Nonnen diese Kunst Übten, kommt schon früh
vor. Cäsarius von Arles (f 542) verordnete, dafs in dem von
ihm gestifteten Nonnenkloster, welchem seine Schwester vor-
stand, inter psalmos atque ieiunia, vigilias quoque et lectiones,
libros divinos pulchre scriptitent virgines Christi, ipsam (Caesa-
riam) magistram kabenles. 2 ) Später galt das Schreiben für
mühsamer, und es erregte grofse Bewunderung, dafs im achten
Jahrhundert die Nonnen von Maseyk sich damit beschäftigten :
necnon quod nostris tcmporibtis valde mirum est, etiam scribendo
atque pingendo, quod huius aevi robustissimis viris oppido one-
rosum videtur. 3 ) Später wird es ohne Zweifel häufig vorge-
kommen sein, ohne dafs wir gerade Nachricht darüber hätten,
wie wir ja überhaupt von Nonnenklöstern nur wenig erfahren.
Im Anfang des 12. Jahrhunderts schrieb in Wessobrunn die
Klausnerin Dimudis eine grofse Reihe kirchlicher Werke für
den Gottesdienst und die Bibliothek, und eine eigene Stiftung
verewigte ihr Andenken. 4 ) Die Nonne Guta in Schwarzen-
thann wurde schon oben p. 208 erwähnt, Herrad von Lands-
berg p. 55, und p. 133 auch der Admunter Nonnen gedacht,
welche die Werke ihres Abtes Irimbert (1172 — 1176) gar
säuberlich abschrieben. 5 J In Mallerstorf war um dieselbe Zeit
*) Kronijken van Emo en Menko (Utr. 1866) p, 150. 167.
2 ) Vita Caesarii, gleichzeitig, 1, 33. Mab. Acta SS. 1, 646 ed. Ven.
3 ) Vita Harlindis et Reinilae, geschrieben zwischen 850 und 880, § 5.
4 ) Leutner, Hist. Wessofont. 1, 166 ff. 254. Hefner im Oberbair.
Archiv. 1, 361.
R ) Mon. Germ. SS. II, 48. Archiv 10, 633.
Mönche als Schreiber. 259
Leukardis thätig, welche schottischer Abkunft gewesen sein
soll, schottisch (d. h. irisch), griechisch, lateinisch und deutsch
verstand, und so fleifsig schrieb, dafs der nicht minder fleifsig
schreibende Mönch Laiupold zu ihrem Andenken ein Anniver-
sarium stiftete. 1 )
Später kommen nur noch vereinzelte Beispiele vor, so im
Heidelberger Cod. Salem. IX, 66: Istum librum procuravit
frater Jacobus de Lindaudia ad honorem S. Marie et eins filio
et ordinauit eundem in chorum prioris. qui secus fecerit ana-
thema coram summo deo sit. et scriptus est a venerabili sorore
Katherina de Brugg moniali in rubeo monasterio sub a. d. 1366.
Quicunque cantat uel legat in eo habeat nostri memoriam aput
deum. So im 15. Jahrhundert Margareta von Merode in
Schillingscapellen 2 ), und noch 1507 eine bescheidene Unge-
nannte: Dit bock is geendiget vp sante Jurigens auent A. D.
Mdvif . Biddel (jod vor de schriuerschen myt enen Aue Maria.
Dyt bock hört dem conuente tom lyliendale. 3 )
Bei der grofsen durch Joh. Busch betriebenen Klosterreform
ist vom Schreiben der Nonnen nur in dem 1451 reformirten
Kloster Heiningen die Rede. 4 )
In den Mönchsklöstern erhielten sich im 13. Jahrhundert
wohl noch hie und da die früheren Studien, wie z. B. der
Bruder Konrad von Scheiern als Muster eines librarius von 1205
bis 1241 wirkte 5 ), und in Heilsbronn die Bibliothek immer
sorgsam gepflegt wurde. Auch Corbie zeichnet sich in dieser
Hinsicht aus, Salem, und noch manches andere Kloster. Aber
in dem altberühmten Murbach konnten 1291 die Mönche nicht
schreiben, und ebenso 1297 mehrere S. Galler, unter ihnen der
Probst. 6 ) Dagegen waren die neu gegründeten Bettelorden
*) Mon. Boic. 15, 269. Verse unter einer von ihr geschriebenen Hand-
schrift ib. p. 249.
2 ) Archiv f. Kunde öst. Geschichtsquellen 42, 501.
3 ) Hoffmami, Altd. Handschriften p, 256.
4 ) Leibn. SS. Rer. Brunsvic. 2, 882.
5 ) Mon. Germ. SS. 17, 624; vgl. F. Kugler, Kleine Schriften 1, 84—87.
6 ) Neugart, Cod. dipl. Alem. 2, 334. 338.
17*
260 Die Schreiber.
auch auf diesem Gebiete sehr tbätig, nur verlegten sie sich
mehr auf Abschriften ihrer eigenen Compilationen und scholasti-
schen Schriften, als auf kalligraphische Vervielfältigung älterer
Werke. Richard de Buri macht in seinem Philobiblion c. 5
u. 6 die bitterste Schilderung von der allgemeinen Feindschaft
der Geistlichkeit gegen alle Bücher: Calicibus epotandis, non
codicibus emendandis indulgent hodie. Auch die Bettelmönche
schont er da nicht, doch spricht er später wieder günstiger
von ihnen. Ueber die Minoriten haben wir schon gelegentlich
einige Stellen von Salimbene angeführt; ihre Regel und Lebens-
art erforderte grofse Sparsamkeit, und eng gedrängte Schrift
mit vielen Abkürzungen ist bei ihnen vorzüglich zu Hause.
Roger Bacon kam deshalb in Verlegenheit, als er sein Werk
dem Pabst Clemens IV zu tibersenden wünschte, weil seine
Ordensbrüder nicht kalligraphisch zuschreiben verstanden, andere
Schreiber aber den Inhalt betrügerisch verwerthen würden, wie
das ihre Gewohnheit sei: Sed scribi non posset litlera bona nisi
per scriptores alienos a statu nostro, et Uli tunc transcriberent
pro se vel aliis vellem nollem, sicut sepissime scripta per frau-
des scriptorum Parisius divulgantur. 1 )
Sehr fleifsig wurde noch im 14. Jahrhundert in Scheftlarn
geschrieben 2 ), und bei den Cisterciensern von Kaisersheim, wo
in einer neueren Chronik z. J. 1313 bemerkt ist: Zu diser zeit
was prior zu Kaisheim bruder Rudger. und was ain guter stul-
schreiber da, Rudolph Veirabend von Augsburg , der schrib vü
bücher. und Peter von Ulm der illuminiereis, bruder Hainrich
apotecker band sy ain. 3 ) Was ist ein stulschreibert In Wilhelm
Wittwers Catalogus abbatum SS. Udalrici et Afrae 4 ) heifst es,
dafs von 1487 bis 1494 plura breviaria diurnalia pro diversis
fralribus ofßciulibus ex licencia abbatis scripta sunt per scri-
ptores seu cathedrales, que omnia solvit et pergamenum ad illa
*) Opera inedita ed. Brewer p. 13.
2 ) Mon. Germ. SS. 17, 349.
3 ) Rockinger in d. Quellen z. Bayer. Gesch. 0. 841 aus Cölestin Angls-
pruggers Chronik von 1764.
4 ) Steichele's Archiv f. d. Gesch. des Bisth. Augsb. 3, 342.
Mönche als Schreiber. 261
voluntarie dedit. Hiernach scheint cathedralis der entsprechende
lateinische Ausdruck zu sein; wir finden ihn auch in Heils-
bronn, wo 1405 Abt Berthold eine glossirte Regel S. Benedicts
abschreiben liefs ; der Schreiber nennt sich Heinricus kathe-
dralis de Juvavia. 1 ) Und 1457 ist ein Buch geschrieben per
me Ambrosium kathedralem almae universitatis Lipsiensis. 2 )
Vielleicht könnte es ein Schreiblehrer sein.
In den süddeutschen Klöstern wurde noch besonders fleifsig
bis ans Ende des Mittelalters geschrieben; manche Abschriften
brachten die Mönche von den Universitäten mit nach Haus.
Aus Salem bewahrt die Heidelberger Bibliothek viele, und zum
Theil recht schöne Handschriften. Ein vorzüglich schönes
Brevier hat 1493 und 1494 der Cistercienser Amandus ge-
schrieben, welcher nach Zerstörung seines Klosters in der Vor-
stadt von Strafsburg in Salem Aufnahme gefunden hatte, und
1529 Abt geworden ist; die Illuministen aber waren bezahlte
Künstler. 3 )
Fleifsig wurde auch in Tegernsee nach der Reform ge-
schrieben unter Konrad V (1461 — 1492) 4 ); in Blaubeuern schrieb
1477 Andreas Ysingrin die Chronik von Montecasino ab, 1492
Bruder Silvester das Leben des seligen Wilhelms von Hirschau. 5 )
In Belgien wirkte um die Mitte des 15. Jahrhunderts
Bruder Johann von Stavelot 34 Jahre lang im Ltitticher Lau-
rentiuskloster als fleifsigster Schreiber 6 ), und so lassen sich
gewifs noch manche Klöster nachweisen, in denen der alte
Benedictinerfleifs nicht verschwunden war; viel mehrere aber
waren in Ueppigkeit und Faulheit versunken.
Auch im Erfurter Peterskloster wurde noch am Ende des
J ) Erlanger Handschriftenkat. v. Irmischer p. 112; vgl. p. 126, wo er
einfach H. de Juvavia heifst. Daselbst der hübsche Schreibername Johannes
aurea penna.
2 ) ib. p. 182.
3 ) s. Anz. des Germ. Museums 1867 p. 161—165.
4 ) Pez Thes. III, 3, 547.
5 ) Mon. Germ. SS. 7, 557. 12, 211.
6 ) Reiffenberg, Annuaire de la Bibl. de Brux. 1, XLIX — LVI.
^
262 Die Schreiber.
»
15. Jahrhunderts sehr fleifsig geschrieben 1 ); ganz besondere
Erwähnung aber verdient das Kloster S. Ulrich und Afra in
Augsburg, nicht allein wegen des bewunderungswürdigen
Fleifses der Mönche und ihrer Geschicklichkeit im Schreiben,
sondern auch weil wir hier durch den schon oft benutzten
Catalogus abbatum von Wilhelm Wittwer so genaue und .aus-
führliche Nachrichten darüber besitzen. Der Abt Melchior
legte 1472 die Druckerei an, um die Mönche zu beschäftigen
(s. oben p. 225) und durch Austausch die Bibliothek zu ver-
mehren. Doch hörte man deshalb nicht auf zu schreiben und
schreiben zu lassen; manches gedruckte Buch, wie die Werke
der Roswitha 2 ), das Chronicon Ürspergense 3 ), sind noch wieder
abgeschrieben worden. Vorzüglich aber waren es die grofsen
*
Chorbücher, welche noch lange Zeit mit der Hand geschrieben
wurden. So wünschte auch in S. Ulrich und Afra 1489 der
Prior ein Gradale pro choro, der Abt willigte ein und be-
schaffte das Pergament, da meldete sich freiwillig der Bruder
Leonhardus Wagner alias Würstlin natus de Schwabmenchigen,
und übernahm die Arbeit. Deinde incepit, scripsit ac notavit
illud gradale omni diligentia qua potuit in pretiosa litera et
nota. Im folgenden Jahr wurde er fertig, und Bruder Cunrad
Wagner von Ellingen illuminirte es. 4 ) 1494 wurden Leonhard
Wagner und sein Schüler Balthasar Kramer vom Chorgesang
befreit, um zwei Psalter für den Chor zu schreiben. 5 ) Leon-
hard widmete 1507 K. Maximilian ein merkwürdiges Werk,
welches jetzt leider verloren zu sein scheint, unter dem Titel:
Proba C scripturarum diversarum manu exaratarum, Facsimiles
verschiedener Schriften vom 11. Jahrhundert an, jede Schrift-
art mit ihrem Namen, zum Theil von höchst seltsamer Erfin-
*) Nicolaus de Syghen p. 501—503.
2 ) Bethmann in Pertz' Archiv 9, 534.
3 ) 1474 von Hartmann Schedel, und noch 2 [andere Abschriften,
Archiv 11, 82.
4 ) Steichele's Archiv 3, 353, vgl. auch p. 303. 343. 372.
5 ) PL Braun , Notitia de codkibus mss. in bibl. mon. ad SS. Udalr.
et Afram 3, 101.
Mönche als Schreiber. 2&3
düng. 1 ) Er starb 1522 am ersten Januar, und im Schotten-
kloster zu Wien ist sein Gedächtnifs verzeichnet mit der Be-
merkung : gut scivit LXX scripturas formare et plures.
Ein grofses Graduale von prächtiger Ausstattung in 2
Bänden in der Ambrasser Sammlung ist 1499 und 1500 ge-
schrieben und ausgemalt von Jacob von Olmüz für Laslaw
von Sternberg in Castro Becbinensi. Besonders merkwürdig ist
dabei auf der ersten Seite des ersten Bandes eine Unterweisung
für die Ordensbrüder, wie sie beim Schreiben der Gradualia,
Missalia etc. Noten, Linien und Buchstaben zu machen haben ;
sie sollen die Pausen genau beachten, nichts weglassen und
nichts dazu setzen, auch dergleichen Werke nicht von Welt-
lichen schreiben lassen: quia seculares scriptores omnia ferc
quae scribuni vel notant corrumpunt. Deshalb sollen die Oberen
die Ordensbrüder selbst zum Schreiben anhalten, oder wenn
diese es nicht können, Sorge tragen, dafs Fähige es lernen. 2 )
Noch Johann von Trittenheim, Abt von Sponheim, schrieb
1492 an den Abt Gerlach von Deutz einen Tractat de laude
scriptorum, in welchem er die Schreiber dringend ermahnt,
sich nicht durch die Buchdruckerei abschrecken zu lassen.
Scriptum enim si membranis imponitur, ad mille annos potent
perdurare: impressura autem cum res papirea sit, quamdiu sub-
sistet? Si in volumine papineo ad ducentos annos perdurare po-
luerit, magnum est quamquam multi sint qui propria materia
impressuram arbitrentur consumendam. Er empfiehlt deshalb
auch gedruckte Bücher abzuschreiben, hat aber freilich zu dem
Fleifse der Mönche seiner Zeit nur wenig Vertrauen : O fratres
mei 7 si scirelis huius utilitatem operis, non essetis tarn prigri et
tardi ad officium scriptoris! Wir wollen diese Trägheit nicht
in Schutz nehmen, aber die Schreibkunst in ihrer alten Be-
deutung war durch die Buchdruckerei unrettbar zu Grunde
gerichtet.
Eine ganz eigenthtimliche Stellung nehmen die Brüder
i) PI. Braun 1. 1. 6, 45. B. Pez, Thes. I. Praef. p. XXXIV, wo die
Namen gegeben sind. In der Münchener Bibliothek ist die Handschrift nicht.
2 ) v. Sacken, die Ambr. Sammlung £, 199.
264 Die Schreiber.
vom gemeinen Leben ein, derlei de vita communi. Man
kann sie nicht den klösterlichen Schreibern beizählen, weil
sie aus dem Abschreiben ein Gewerbe machten, was bei jenen
doch nur einzeln und nirgends in solcher Ausdehnung vorkam.
Wieder aber unterscheiden sie sich von den Lohnschreibern,
theils durch ihre genossenschaftliche Organisation, theils da-
durch dafs sie zugleich eigene Gelehrsamkeit und Unterricht
erstrebten, theils durch ihre erbauliche Tendenz. Auskunft
über sie giebt das Werk von Delprat 1 ), nebst den darin
benutzten Originalquellen.
Gerhard Groote stiftete 1383 das Haus zu Deventer, wo
von Anfang an für Geld geschrieben wurde. Igitur ars scri-
bendi libros quae clericis melius convenit et quietius exerceri
potest, a fratribus domus eius est maturius arrepta et pro com-
muni bono servando usitatius introdueta. 2 ) Man fand darin
zugleich das beste Mittel, zunächst die zu eigenem Gebrauch
nöthigen Bücher sich zu verschaffen, und dann die für die
Erhaltung der Stiftungen erforderlichen Mittel zu erwerben.
Erhielt doch z. B. Bruder Jan von Enkhuizen aus Zwdll für
eine Abschrift der Bibel 500 Goldgulden. 3 ) In Lüttich hiefsen
die Fraterherren , wie man sie nannte, auch Broeders van de
penne, weil sie auf ihrem Hut oder ihrer Mütze eine Schreib-
feder trugen. 1 )
Gerhard Groote gab ihnen Bücher zum Abschreiben, prüfte
die Abschriften, und verkaufte die gutbefundenen; Florentius
Radewijns sah die Handschriften nach, bereitete das Pergament,
und verfafste eigene Aufsätze. Später bei wachsender Aus-
*) Verhandeling over de Broederschop van G. Groote en over den
invloed der fraterhuizen op den wetenschappelijken en godsdienstigen toe-
stand, voornamelijk van de Nederlanden na de veertiende eeuw. 2. Druk,
1856. Vgl. Ruland: Die Vorschriften der Regulär - Cleriker über das An-
fertigen und Abschreiben der Handschriften, im Serapeum 21, 183 — 192,
nach Delprat, der bei Miraeus gedruckten Regel, und dem schon oben viel
benutzten, 1494 gedruckten Reformatorium.
2 ) Thomae de Campis Vita Florentii c. 14.
3 ) Delprat p. 324.
'•) Delprat p. 172.
Mönche als Schreiber. 265
dehnung der Bruderschaft hatte jedes Fraterhaus seinen libra-
rius, nebst den wechselnden Aemtern des twbricator, ligator etc.
Vorzüglich schrieben und verbreiteten sie fromme Schriften
in der Landessprache, was nicht ohne Anfechtung blieb; 1397
und 1398 holten sie ausführliche Gutachten darüber ein, ob es
erlaubt sei, niederdeutsche Bücher zu besitzen und zu lesen,
und endlich gelang es ihnen das Feld zu behaupten. 1 ) Auf
Deutlichkeit und Genauigkeit der Abschriften hielten sie strenge;
dagegen wurden neue zierliche Schreibweisen und Prachtbände
zu Deventer nicht gebilligt. 2 )
In genauem Zusammenhange mit diesen Fraterhäusern
stand auch die Windesheimer Regel, und die um 1450 in Nie-
dersachsen vorgenommene Reformation, welche Joh. Busch in
seinem so ungemein anziehenden und lehrreichen, •lebensvollen
und farbenreichen Buche geschildert hat. 3 ) Die Brüder vom
gemeinsamen Leben auf dem Maria Leuchtenhofe zu Hildesheim
hatten wegen dieser Reform so viele Mefsbücher u. a. zu
schreiben , dafs sie für Abschriften und Einbände über tausend
Gulden verdienten. 4 )
Da auch ihnen die Druckerei eine schädliche Concurrenz
bereitete, so ist es sehr wahrscheinlich, dafs sie sich frühzeitig
der neuen mechanischen Mittel bedienten. Nach der Ver-
muthung von Harzen 5 ) rühren die frühesten Ausgaben des
Heilspiegels um 1460 bis 1470 von den Brüdern des gemeinen
Lebens her; Armenbibel, Hohelied und Heilspiegel sind ohne
Druckort, vermuthlich aus Fraterhäusern. Etwas später geben
*) Delprat p. 51. Vgl. damit die merkwürdige Stelle Conrads de Mure
über die Zurückweisung von Urkunden in deutscher Sprache, Quellen z.
Bayer. Gesch. 9, 473.
2 ) Delprat p. 252.
3 ) Eine neue Ausgabe dieser Schrift und das vollständige Chron.
Windeshemense wären sehr zu wünschen.
4 ) Leibn. SS. Brunsvic. 2, 855. Die Wittenburger sandten nach dem
neu reformirten Kloster zur Suite libros more ordinis nostri notatos et
virgalatos. ib. p. 494. 811.
5 ) Ueber Alter und Ursprung der frühesten Ausgaben des Heil-
spiegels, in Naumanns u. Weigels Archiv für die zeichnenden Künste, 1,
3—15. 2, 1—12.
266 Die Schreiber.
sie die Anonymität auf, und es lassen sich Druckereien in ihren
Häusern zu Deventer, Zwoll, Gouda, Herzogenbusch, Brüssel,
Löwen, Marienthal nachweisen. Wahrscheinlich hat esderen'noch
mehr gegeben.
3. Die Kanzleibeamten.
Während in den Klöstern Bücher geschrieben wurden,
waren die Weltgeistlichen sehr in Anspruch genommen durch
geschäftliche Schreiberei. In Italien erhielt sich der Stand
der Notare, und verbreitete sich von da aus nach dem 13.
Jahrhundert auch in andere Länder. Die Merowinger hatten
noch weltliche Kanzleibeamte, unter den Karolingern aber
fielen bald Kapelle und Kanzlei zusammen, und viele Jahr-
hunderte hindurch wurden aufserhalb Italiens alle Urkunden
von Geistlichen geschrieben. Noch allgemeiner, denn hier fiel
auch die Concurrenz weltlicher Notare weg, war alle Corre-
spondenz in geistlichen Händen. Jeder Mann von einiger Be-
deutung mufste seinen clericus, clerc, clerk, Pfüjp\ haben, der
seine Briefe las und schrieb. 2 ) Es war der sicherste Weg, sich
seinen Lebensunterhalt, dann auch Reichthum und Ehre zu
erwerben. Ein Bisthum belohnte fast regelmäfsig die Verdienste
des Kanzlers.
Die Anleitung zum Briefschreiben bildete deshalb seit
alter Zeit einen sehr wichtigen Theil des Unterrichts; man
nannte das dictare. 3 ) Dieses Wort bedeutet ursprünglich dwtiren;
da aber bei den alten Schriftstellern diese Art der Composition
die gewöhnliche und fast allein übliche war, so gebrauchte
1 ) a. 1461 in Mainz: Konrad Humery, der Stadt Pfaffe und Juriste,
später der Stadt Canceller genannt. Sotzmann in Raumers hist. Taschenb.
1841 p. 626.
2 ) Ule nil moratus sigillum fregit, clericum suum, quid illae litterae
vellent, exponere sibi praecepit, Bruno de bello Sax. c. 13.
3 ) Vgl. meine Abhandlung über Briefsteller des Mittelalters, Archiv f.
öst. Geschichtsquellen 14, 29 ff. und die verschiedenen Abhandlungen von
Rockinger, vorzüglich die schon oft benutzten Briefsteller und Formelbücher
des 1 1. bis 14. Jahrhunderts im 9. Band der Quellen zur Bayer, u. deutschen
Geschichte. München 1863.
Die Kanzleibeamten. 267
man das Wort schon früh für das Abfassen von Schriftwerken
und dachte gar nicht mehr an die eigentliche Bedeutung. 1 )
Wenn Hieronymus ep. 75, 4 sagt: describi sibi fecit quaecun-
que dictavimus, und Cassiodor in der Vorrede derVariae: qnod
a me dictatum in diversis publicis actibus potui reperire, so wird
es hier schon in solcher Weise zu fassen sein, und ganz deut-
lich bei Gregor. Turon. de Gloria Confessorum, Praef. nobilium
dictatorum auctoritas, wofür Marculf sagt ad dictandum peritos.
Den jungen Winfrid rühmt Willibald (V. Bonif. e. 2), dafs er
dictandi peritia laudabiliter fulsit. Von den armen Knaben in
der Hofschule nahm Karl der Grofse nach der bekannten Er-
zählung des Mönchs von S. Gallen 1 , 3 einen optimus diclalor et
scriptor in seine Kapelle auf, und verlieh ihm später ein Bis-
thum. Roswitha die Nonne von Gandersheim braucht häufig
dictare für schriftstellerische' Thätigkeit. 2 )
Fromund von Tegernsee sammelte im Anfang des elften
Jahrhunderts die von ihm verfafsten Verse und Briefe unter
der Aufschrift über dicta?ninum 7 und bezeichnete den Inhalt mit
den Worten:
•
Quae mihi dictanti concessit gratia Christi
Versibus aut chartis in corpus vertere scriptum. 3 )
Ebenso bezeichnet Othloh von S. Emmeram seine Werke in
Prosa und Versen wiederholt mit dictare und dictamen. Auch
der Anon. Haserensis braucht dictare in dieser Weise. 4 j Bruno
(de bello Saxon. c. 103) sagt von einer erdichteten mündlichen
Botschaft, sie sei gesprochen verbis sicut ipse callidus dictaverat.
Ekkehard IV von S. Gallen bezeichnet seine Stilübungen aus
der Schule als Dictamina magistri drei debita. 5 ) Der Biograph
l ) Spätrömische Beispiele aus dem juristischen Sprachgebrauch bei
Kopp, Palaeogr. crit. 1, 423. Boecking, Notitia Dign. 2, 325. Vgl. Sickel,
Urkunden der Karolinger 1, 126.
2 i R. Koepke, Otton. Studien 2, 42.
3 ) Pez, Thes. VI, t, 81.
4 ) c. 2. 27. Mon. Germ. SS. 7, 254. 261.
5 ) bei F. Keller in den Mittheil, der Antiq. Ges. in Zürifch 3, 99.
268 Die Schreiber.
des h. Udalrich von Cluny sagt c. 3 von dem Knaben: salus
in conclavi sedebat et arte dictandi ingenium suum exercebaL
In der Paderborner Schule ludus fuit omnibus insudare versibus
et dictaminibus iocundisque cantibus. 1 ) Bischof Gerhard von
Csanad dictabat libros quos proprio, manu scribebat 2 ), und so
heifst es auch in der Legenda aurea von S. Ambrosius : libros
quos dictabat, propria manu scribebat. 3 )
Es ist nutzlos, noch mehr Beispiele zu häufen, nur will
ich aus dem 15. Jahrhundert noch die Worte des Thomas a
Campis in der Vita Gerh. Groot. c. 3 anführen: En hec est
eopia et series litterarum mearum quas manu mea dictavL In
der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts beginnen auch schon
mit Alberich von Montecasino die zahllosen Artes und Summae
diclaminis. Thomas von Capua unterscheidet drei Arten: pro-
saicum ut Cassiodo?*i, metricum tit Virgilii, rithmicum ut pri-
matis/) Sehr häufig ist dictamen ein Gedicht nach heutigem
Sprachgebrauch, wie denn auch roman. dictar, ditar 7 und unser
dichten dasselbe Wort ist. In Lambrechts Alexander heifst es :
er dihte selbe einen brief:
mit siner hant er in screib.
\
Zu den zahlreichen Stellen, welche hierfür im Grimmschen
Wörterbuch angeführt sind, füge ich noch einige hinzu. In dem
Zeitbuch des Eike von Repgow ed. Mafsmann p. 84 heifst es
von der römischen Dictatur: de het dictatura: so we se kadde,
de dichtede dat recht Im Prolog zur Glosse des Sachs. Land-
rechts ed. Homeyer p. 47 werden die Worte Pro dictantis
nomine noli interrogare übersetzt durch : Du . scalt lan de vrage
din, we si der glossen dichter, Prosator wird in dem Voca-
bularius optimus saec. XIV (ed. W. Wackernagel, Basel* 1847)
p. 37 erklärt durch ein brief tichter ald ein buochtichter, prosa
*) Vita Meinwerci c. 160. '*
2 ) Endlicher, Mon. Arpad. p. 214.
3 ) In der gleichzeitigen Biographie von Paulinus heiCst es : nee operam
declinabat scribendi propria manu libros.
4 ) Hahn Coli. Mon. 1, 280.
Die Kanzleibeamten. 269
durch ein längs gedickte^ metrißcator durch ein versuchter. In
den Geschichtsquellen des Erzstifts Bremen ed. Lappenberg
p. 55 heifst es: so hebbe wy desset boeck ghedichtet, ghescreven
unde to gader toghen. Wenn daher Johannes Eothe ed. Lilien-
cron p. 56 von Augustus sagt: vier briffe von vierley materien
die dichte her miteynander, das vier Schreiber geschreben, so ist
auch hier wohl der Sache, aber nicht den Worten nach an
dictiren zu denken. Eschenloer giebt 1, 3 poetica licentia
wieder durch^fabulas oder getichtc, und bezeichnet 1, 316 ein
Sendschreiben Girsiks als getichtei durch Meister Ileimbnrg in
Latein sehr schöne. Noch in der Zimberischen Chronik 3, 175
heifst Georg Rixner der Dichter des Turnierbuches.
Für metrische Poesie wird dictare selten gebraucht, häu-
figer für rythmische. Unter einem Rithmus de Joseph patriarcha
saec. XII steht Segardus hoc dictamen fecit*), und Lupolds von
Bebenburg Klagelied von 1341 wird bezeichnet als Ritmaticum
querulosum et lamentosum dictamen. 2 ) Doch sagt schon der
Archipoeta:
In scribendis litteris certus sum valere 7
Et si forsan accidat opus imminere,
Vices in dictamine potero supplere.
Er unterscheidet also, die Thätigkeit der Kanzlei von seiner
Dichtkunst, und im Graecismüs des Eberhard von Bethune
vom J. 1212 heifst es geradezu: Dictamen prosa est, a metri
lege solutum, was freilich rythmische Poesie nach damaligem
Sprachgebrauch nicht ausschliefst. Vorzüglich aber verstand
man doch darunter Staatsschriften, diplomatische Actenstücke,
Manifeste und Briefe, wie sie, seitdem der Streit zwischen Pabst
und Kaiser entbrannt war, immer gröfsere Bedeutung und Aus-
bildung erhielten. Dahin gehört schon Gregors VII Dictatus
papae von 1075, franz. dictie, dictye. Die Meister dieser Kunst
hiefsen dictatores; so bezeichnet Salimbene p. 21 . Gerard, den
*) Ozanam, Documents inedits p. 47.
2 ) Boehmer's Fontes 1, 479.
270 Die Schreiber.
Verfasser eines über de dictamine 7 als magnus dictator nobi-
lioris stili, p. 66 den Cardinal Thomas von Capua als melior
dictator de curia. 1 ) Benvenuto von Imola nennt Petrus de
Vineis magnus dictator stili missorii, cursivi, curialis. 2 )
Wir durften es nicht unterlassen, diesen Sprachgebrauch
zu erläutern, obgleich die Dictatoren als Autoren eigentlich
nicht in den Rahmen unserer Aufgabe fallen. Auch von der
Einrichtung der Kanzleien gehören hierher nur die äufseren
Formen. Die wichtigste und merkwürdigste von» allen ist die
päbstliche, in ununterbrochener Tradition der Römerzeit sich
anschliefsend. 3 ) Abgesehen von den in Bullen und sonst ge-
nannten Beamten erfahren wir jedoch wenig Einzelheiten bis
auf das schon oben p. 165 benutzte Pasquill, welches dem
13. Jahrhundert angehören mag. Ueber die Kanzleigebräuche
unter Innocenz III hat Leopold Delisle eine sehr gründliche
Untersuchung veröffentlicht. 4 ) Die verschiedenen Anleitungen
zum Briefstil pflegen sich wohl auch mit den Formalitäten der
Bullen zu beschäftigen, allein diese Angaben sind sehr ungenügend
und oft geradezu irreleitend. Conradus de Mure (1275)sagt: Pri-
vilegiis papalibus subsc?ibere debent cardinales. set privilegiis
imperialibus subscribere debent principes et magnates qui tunc
imperiali curie presentes fuerint.*) Nun ist es eine bekannte
Thatsache, dafs Unterschriften der Zeugen in kaiserlichen
Privilegien nicht vorkommen; wie verhält es sich denn mit
den päbstlichen ? Delisle (p. 35) behauptet die Richtigkeit jener
Thatsache für die Zeit Innocenz III, und ein Blick auf die Unter-
schriften der in feierlicher Form ausgefertigten päbstlichen
Privilegien scheint seine Behauptung zu rechtfertigen, denn
alle Unterschriften sind von verschiedenen Händen. Sie sind
') vgl. p. 192. Er schrieb für Gregor IX an Friedrich II den Brief
Miranda tuis sensibus.
2 ) Muratori, Antt. 3, 319 ed. Aret.
3 ) Vgl. Nouveau Traite, Tome V. Marino Marini, Diplomatica Ponti-
ficia, Roma 1841. 4.
4 ) Bibliotheque de l'ficple des Chartes IV, 4.
5 ) Quellen zur Bayer. Gesch 9, 456.
Die Kanzleibeamten. 271
es nur zu sehr, denn auch der Name desselben Cardinais er-
scheint in ganz verschiedener Schrift; davon habe ich mich
gerade für die Zeit Innocenz III vollständig tiberzeugt, indem
ich die Unterschrift des Erzbischofs Konrad von Mainz und
Salzburg, Cardinalbischofs der Sabina, durch eine lange Reihe
von Bullen verfolgte. Die Erklärung dafür giebt das von
Delisle mitgetheilte merkwürdige Formelbuch des 14. Jahr-
hunderts p. 73: In rota nichil scribatur quousque sit lectum
Privilegium et signatum per papam signo crucis. Erst nachdem
das fertig geschriebene Privileg vor dem Pabste verlesen ist,
zeichnet dieser in der rota, dem Doppelkreis, welcher seit Leo IX
dem päbstlichen Namen vorangeht, das Kreuz;, dann wird
der bei jedem Pabste wechselnde Wahlspruch zwischen den
beiden Kreisen der Peripherie eingetragen, und die scheinbar
autographe Formel der Unterschrift hinzugefügt. Weiterhin
heifst es: Quilibet cardinalis debet se subsribere manu proprio,
cum signo crucis depicto vel alio signo, si alio signo est usus.
Diese Worte haben irregeführt; das cum bedeutet nicht, dafs
zu der Unterschrift das Kreuz hinzugefügt werden soll, sondern
nur mit dem Kreuz, d. h. vermittelst desselben,- unterzeichnet
überhaupt der Cardinal. Dieses auf verschiedene* Art verzierte
Kreuz bleibt daher immer ganz dasselbe; den Vermerk über
die geschehene Unterschrift aber fügte, trotz des Ego, nur der
Privatschreiber hinzu, der Cardinal war dazu viel zu vornehm.
Vermuthlich circulirte das vom Pabst unterfertigte Privileg bei
den einzelnen Cardinälen.
Vom 13. Jahrhundert an wuchs der Geschäftskreis der Curie
immer mehr, und zugleich gewann das Formenwesen festere Ge-
stalt, wurde das Personal immer zahlreicher, welches den Pabst
auf allen Reisen zu begleiten hatte. Ueber die Schreiber der
päbstlichen Regesten im 13. Jahrhundert und ihre Bezahlung
giebt Pertz einige Nachrichten, im Archiv 5, 347. Die Ob-
liegenheiten und Rechte des Kanzleipersonals behandeln einige
von Joh. Merkel mitgetheilte Actenstücke. ') An der Spitze
*) Documenta aliquot quae ad Bomani Pontificis notarios et curiales
pertinent. Appendice dell' Archivio Storico Ital. N. 18. 1847.
272 L»ie Schr-riLer.
fcteht der Vicecuncellariu* . unter ihm Ö oder 7 notarii. mit
welchen er unter Zuziehung der abreciatores verdächtige Schrift-
stücke prüft. Zu ihnen gehören noch der audilor contradicta-
mm und der eorrector litterarum apostolivarum. Die Notare
haben die Anstellung der Abreviatoren : sie unterzeichnen die
notus et grossax, d. h. die Coneepte. welche als grossanda der
Kanzlei zugehen, und die Reinschrift, welche zuletzt den bulla-
tores zugestellt wird. Eine Constitution Xicolaus III von 127S
regelt genau , welche Bullen, wie z. B. gewöhnliche Ea quae
de bonis j einfach ausgefertigt werden, dantur, welche vorher
vor dem Pabste gelesen werden müssen, leguntur. Der Vice-
kanzler verwahrt bei sich das regestrum; er examinirt die
xcriplores, welche nach ihrer Anstellung zu den familiäres
papae gehören. Abwechselnd ist einer von ihnen distributor
nolarum grossandarum, und hat den Preis zu bestimmen, ttuvare
grossatas. Es scheint nach einer Verordnung von Bonif. IX,
dafs die Scriptorcn heirathen durften, dann aber ihre Stelle
verloren. Abreviatoren waren 12 de parco majori, welche
höher standen als ihre Collegen de parco minori. 1 )
Conradus de Mure bemerkt, dafs zu seiner Zeit die Form
der Privilegien sich verändert habe, ohne darüber weiter Aus-
kunft zu geben, und fährt dann fort: Vidi enim in curia pape
nee non imperaloris, ubi notariis et eurie recloribus famularis
er am salin et familiaris, quod diversis regnis, regionibus, terms,
provineiis, notarii seeundum exigentiam consuetudinis lerrarum
Utteras et privileyia formale solebant, immo curia imperatoris
sintjulis regionibus seu pro7>i?iciis notarios preposuil speciales. 2 )
U ober die kaiserliche Kanzlei hat für den wichtigen
Wendepunkt unter Karl dem Grofsen und seinem Sohne Lud-
wig Th. Sickel die genauesten Untersuchungen angestellt.
Kanzlei und Kapelle fielen nach und nach ganz zusammen,
und wurden namentlich seit Otto I die Pflanzschule der Bischöfe
und Staatsmänner. Von den eigentlichen Schreibern hören
«i Kouvcau Traite 5, 333. Vgl. Archiv 10, 544.
a ) Quellen zur Bayer. Gesch. 9, 456.
Lohnschreiber. 273
wir nichts, es werden aber wohl die jungen Kapläne damit
ihren Dienst begonnen haben. Einen Cleriker Namens Gund-
pert ertauschte Ludwig der Deutsche von der ßegensburger
Kirche, und gab etwas zu, quia utilior et maioris ingenii fuit
scribendi necnon et legendi. l ) Die Kanzlei verstand sich, wenig-
stens in späterer Zeit, sehr gut aufs Sportuliren, und der Stadt
Aachen kamen 1349 ihre Privilegien recht theuer zu stehen. 2 j
Die Goldene Bulle brachte dafür feste Bestimmungen und ver-
ordnete :
Dabit Cancellario Imperialis
sive Regalis Curie decem mar-
cas. Magistris Notariis dicta-
toribus tres mareas Et Sigil-
latori pro cera et pergameno
unum fertonem.
Er gibt dem Cantzeler dez
kayserlichen oder kuniglichen
hofs zehen marck Den maistern
Notarien vnd brieue dichtem
dry marck Dem Sigillierer vmb
wachs vnd vmb perment ainen
vierding.
Herzog Ludwig von Brieg dotirte 1372 die Schule des
Hedwigstifts mit 4 Mark super sigillo seu sigülis et stilo uc
notaria provincialium iudiciorum nostrorum, oder wie es in der
Aufschrift kurz heifst, super stilo Olaviensi. 3 ) Es sind die Er-
trägnisse von der Ausfertigung gerichtlicher Schriftstücke ge-
meint, welche also zu den Einkünften des Landesherrn gehörten.
4. Lohnschreiber.
So lange das römische Reich noch bestand und die alte
Cultur in ihrem Verfall doch die alten Formen bewahrte, fand
eine zahlreiche Menschenklasse ihren Unterhalt durch die Kunst
des Schreibens; wir haben ihrer schon früher gedacht. In
Italien hat dieser Zustand wohl niemals aufgehört; auch die
Laien fuhren hier fort, die alten Schriftsteller zu lesen, und in
») B. Pez, Thes. I, 3, 199.
2 ) Laurent, Stadtrechnungen p.'43. 206. 248.
3 ) Cod. Dipl Siles. 9, 262.
Wattenbach, Schriftwesen 1&
274 Die Schreiber.
Geschäften wurde aus alter Gewohnheit weit mehr geschrieben
als in anderen Ländern. Der Geistlichkeit blieb hier der Ge-
danke fremd, sich als einzigen Träger litterarischer Bildung
zu betrachten; sie stand vielmehr den Grammatikern, welche
noch einer geheimen Vorliebe für das Heidenthum verdächtig
waren, feindlich gegenüber und blieb zeitweise in gelehrter
Bildung weit zurück. Dagegen war ein Bedürfnifs nach Schrei-
bern immer vorhanden, und geWerbmäfsige Schreiber aus dem
Laienstande wird es immer gegeben haben. Schon oben p. 147
wurden Liudprands Verse angeführt, welche die Römer ange-
legentlich mit Goldschrift beschäftigt zeigen; da es sich hier
um die Vertheidigung der Stadt handelt, kommen die Beschäf-
tigungen der Geistlichkeit dabei nicht in Betracht. Ganz all-
gemein lauten die Worte Gerberts ep. 130: Nosti quot scri-
ptores in urbibus aut in agris Italiae passim habeantur. Dafs
wir von ihnen sonst nichts hören, ist leicht zu erklären ; nur ein
zufälliger Umstand konnte zu einer Erwähnung führen. Das ge-
schah, als die Schulen der Lombarden einen immer glänzenderen
Aufschwung nahmen, und hier natürlich auch die Nachfrage
nach Abschreibern wuchs. Die Universitäten nahmen sie als
Zugehörige unter ihre Jurisdiction und den Schutz ihrer aus-
gedehnten Privilegien. Da waren nun verschiedene Verhält-
nisse zu regeln, und die Statuten geben darüber Auskunft.
Hier genügt es, auf das 25. Capitel von Savigny's Geschichte
des röm. Rechts im Mittelalter zu verweisen ; ich erwähne nur,
dafs Bologna lange Zeit im Vordergrunde steht, und dafs da
unter den Schreibern auch Weiber und Nonnen zahlreich er-
scheinen. In der Blüthezeit der Universitäten war das Schreib-
gewerbe eines der lohnendsten.
Im Frankenreiche gingen in den wirren Zeiten des Kampfes
um das Erbe der versinkenden Merowinger die letzten Reste
römischer Cultur und Einrichtungen fast völlig zu Grunde.
Karl der Grofse suchte zwar die Laienbildung herzustellen,
aber in dem erneuten Kampf um sein Erbe schüttelten die Laien
diese unbequeme Zumuthung wieder ab, und bald galt es bei ihnen
für unanständig, etwas zu lernen, während der Clerus seiner-
Lohnschreiber. 275
seits es nicht minder unpassend und unerlaubt fand, wenn der
Laie sich ihre Künste aneignen wollte. Da nun also jeder,
welcher zu litterarischer Beschäftigung Neigung hatte, Geist-
licher werden mufste, so gab es bald viel mehr Geistliche als
Pfründen, und sehr viele von ihnen suchten und fanden als
Beamte aller Art, auch als Schreiber, ihren Unterhalt. In S.
Gallen erzählte man sich, dafs 784 der Abt Waldo, gedrängt
dem Bischof von Constanz sich zu unterwerfen, dem König
Karl geantwortet habe : nequaquam post haec, dum horum irium
digitorum vigorem integrum teneo (nam scriptor erat eximius)
vilioris personae manibus me subdere decrevi. 1 )
Er rechnete also darauf, als Schreiber seinen Unterhalt zu
finden, und ohne Zweifel werden auch die Schreiber, von
welchen die herrlichen Prachtwerke jener Zeit herrühren, guten
Lohn dafür erhalten haben. Ihre Namen sind theilweise be-
kannt, aber weiter wissen wir nichts von ihnen, und aus den
nächstfolgenden Jahrhunderten weifs ich eigentliche Lohn-
schreiber nicht nachzuweisen. Ohne Zweifel aber gab es der-
gleichen, und im elften Jahrhundert werden sie an verschie-
denen Orten erwähnt. So sagt Guibert von Nogent 2 ): Quidarn
clericus in Beluacensi pago scriptandi arte vivebat } quem et ego
noveram, nam Flaviaci in hoc ipso opere conductus laboraverat.
Um dieselbe Zeit liefs der Abt von S. Albans, wie schon oben
p. 256 erwähnt wurde, neben seinen eigenen Mönchen auch ge-
miethete Abschreiber für die Bibliothek arbeiten, die er von
weit her holte. In England werden sie von da an häufig
erwähnt.
Auch in den alten Statuten der Canoniker von S. Victor
in Paris wird dem armarius aufgegeben : eos qui pro pretio
scribunt ipse conducat. 3 )
In Böhmen fand 1097 der neue Abt Diethard das Kloster
Sazawa ohne lateinische Bücher, und sorgte sofort angelegent-
*) Ratperti Casus S. Galli c. 4.
2 ) Monod. 1, 24. Opp. p. 4ST.
3 ) Martene de antiquis eccl. ritibus 3, 733.
IS*
276 Die Schreiber.
liehst dafür, sie zu beschaffen: ipsemet nocte et die immenso
fabore conscripsit, quosdam emit, quosdam scriptores scribere
conduxit. x ) Unter Abt Rupert von Tegernsee arbeiteten im
12. Jahrhundert die Mönche auch für eine vornehme Dame,
vermuthlich gegen Bezahlung. 2 ) Die Gräfin von Sulzbach hatte
ihm ein Plenarium übersandt, um es vollenden zu lassen; wäre
es noch nicht fertig, möge er sich deshalb keine Sorge machen,
quoniam bonum artificem levi pretlo conduximus , et id rpsum
praestolatur opus perfecturvs. 3 ) Der oben p. 259 erwähnte
Bruder Laiupold in Mallerstorf verdiente sich mit Schreiben
viel Geld : multum scripto laborans in a?inis iuvenilibus, de pretio
laboris sui nee deum nee proximum defraudare voluit, confra-
trum suorum necessitati fideliter offerens quiequid habere potuit
ex honestae artis exercitio. Für die eigene Bibliothek schrieben
die Mönche umsonst, wie sie ja ursprünglich eigenen Besitz gar
nicht haben durften, und wohl erst später wurde auch diese Arbeit
bezahlt. So berichtet W. Wittwer (p. 184) von Johann von
Vischach, welcher 1355 Abt von S. Ulrich und Afra wurde,
dafs er ein vortrefflicher Schreiber und Musiker gewesen sei,
und vor seiner Erhebung viele Chorbticher geschrieben habe,
attamen illo attento , quod appreciata fuerunt sibi illa que con-
fecit mercede condigna, prout tunc moris Juit. Aber die vielen
Kirchen, welche doch alle Bücher brauchten, mufsten in der
Regel diese Arbeit bezahlen, auch wenn Mönche sie ausführten.
Als das Kloster Saar in Mähren gestiftet wurde, um 1 260, liefs
die Stifterin auch eine Bibel schreiben:
eciam fit byblia scripta,
Quam monachus quidam Rudgerus scripsit ab Ozzec,
Quam felix domina precio conscribere fecit
De proprio prima fundatrix dieta Sibilla. 4 )
Diese Besorgung eines Buches, wie sie hier von der Stifterin
ausging, wird sonst auch durch comparare bezeichnet, so in
') Mon. Germ. SS. 9, 154.
2 ) B. Pez, Thes. VI, 2, 11. n. 24.
3 ) ib. p. 15. n. 14.
4 ) Chronica domus Sarensis ed. R. Roepell p. 40.
Lohnschreiber. 277
einer 1368 geschriebenen Glosse zum sächsischen Landrecht:
über quem comparavit Arnoldus de Normgen armiger 1 ), und
durch procurare. Den deutschen Ausdruck dafür finden wir
in einer Predigtsammlung von 1370: Die edele frauwe Elizabeth
von Namen pfalntzgrevinne bij Ein vnd hertzoginne in Beigern
hat gezuoget diz buock. Das do vollenbraht wart etc. 2 ) So ist
es auch zu verstehen, wenn es von einer 1380 vollendeten
Abschrift der Hedwigslegende heifst, sie sei geczewgit durch
Herzog Ruprecht von Liegnitz, und von einer späteren: Dezis
Buehis Schreibung ende ist gescheen vnd des mehe gnanten Erbern
Ant honten Hornigis czewgung . . . Hol. 3 )
In den Klöstern, vorzüglich in den alten und reichen
Stiftungen, wurde es vom 13. Jahrhundert an eine Ausnahme,
wenn noch die Mönche selbst schrieben, wie schon oben p. 257
von Corbie bemerkt wurde. So liefs 1342 die Aebtissin von
Frauenthal ein Buch für Geld durch einen scriptor schreiben. 4 )
Der baeckschreiber Asprian Joranimus stellte 1406 dem Abt zu
ßor eine Quittung aus. 5 ) Der Abt Kaspar von Tegernsee
(1426 — >1461) liefs durch scriptores conducti Bücher schreiben. 6 )
Der Markgraf von Baden freite 1478 Paul Conradi den Buch-
schreiber, weil er für das Stift zu Baden schreiben sollte. 7 )
Dagegen verdienten Geistliche aller Art sich Geld mit
Buchschreiben. Ein Pfarrer schrieb 1375 für einen Mönch zu
Corbie die bekannte Handschrift des Henr. Bohic. Ein Schwa-
benspiegel von 1429 ist von dem Minoriten Thomas von
Lyphaim geschrieben. 8 ) Wilh. Wittwer liefs sich für Geld ein
1 ) Cod. Pal. Germ. 165. Wilken p. 371. Homeyer n. 313.
2 ) Cod. Pal. Germ. 24. Wilken p. 319.
3 ) H. Luchs, Ueber die Bilder der Hedwigslegende. Festschrift der
Breslauer Töchterschule zum Jubiläum der Universität. 1861. p. 13 u. 15.
4 ) Constitit autem in pergameno iij t. et i sol. hall. Prctium vero scri-
ptoris iij t. et xxviij hall. Summa tothis vii t. et xiv den. Sed pro illu-
minatura ix sol. brevium. Insuper ligalura cum clausuris x sol. br. Irmi-
scher p. 106.
5 ) Mon. Boic. 2, 59.
6 ) B. Pez, Thes. m, 3, 541.
7 ) Mone, Zeitschrift 1, 311.
8 ) Cod. Pal. Germ. 145. Wüken p. 360.
27 S I>ie Schreiber.
Mefsbuch schreiben per quendam saeerdotem secularem nomine
Jeorius Zickel. 1 )
Gewifs lassen diese Beispiele sich vermehren, aber in der
zweiten Hälfte des Mittelalters tiberwiegen doch in diesem Ge-
werbe die Laien. In den Cölner Schreinbtichern kommt nach
Merlo 2 ) um 1175 tinscriptor vor, 1260 ein verheiratheter, und
von da an sind sie häufig. Vielleicht sind es Stadtschreiber,
aber auch diese haben Bücher geschrieben, Chroniken, Rechts-
bttcher, zu eigenem und der Stadt Gebrauch, gelegentlich aber
auch ein Gewerbe daraus gemacht. 3 ) Conradus de Mure (oben
p. 166) erwähnt scriptores et scriptrices. 4 ) Von Erfurt sagt
Nicolaus von Bibera um 1280:
Sunt ibi scriptores quibus attribuuntur honores.
Freilich widmet er ihnen nur diesen einen Vers. 5 ) In der
Pariser Steuerrolle von 1292 finden sich 24 escrivains; wahr-
scheinlich ist eine gröfsere Anzahl wegen geistlicher Immunität
hier nicht genannt. 6 ) Ueber das ganze zur Universität gehörige
und unter ihrer Aufsicht stehende Schreiberwesen, in Paris
sowohl wie in andern Ländern, begnüge ich mich auf das
Werk von Savigny zu verweisen. Kunstschreiber, escripvains
de forme, werden in Frankreich und Niederland nicht selten
erwähnt.
Wenn die Kanzleien auch gewöhnlich ihre angestellten
Beamten gehabt haben werden, so nahm man doch bei beson-
deren Gelegenheiten auch hier Schreiber für einzelne Dienst-
leistungen an ; so finden wir in den Aachener Stadtrechnungen
p. 229 für den Sühnbrief mit Johann von Valkenstein 1353:
*) Steichele's Archiv 3, 344.
2 ) Die Meister der altköln. Malerschule (1852) p. 186.
3 ) Das behauptet Beyschlag, Beitrage zur Kunstgeschichte von Nörd-
lingen 3, 44 (mir jetzt nicht zugänglich).
4 ) Eine schreibende Schriftstellerin abgebildet Histoire de rimprimerie
(Paris 1852) p. 54.
& ) Carmen occulti auctoris, Sitz. Ber. der Wiener Akad. 37, 241 ; ed.
Th. Fischer p. 97.
•) H. G6raud, Paris sous Philippe-le-Bel (1837) p. 506.
Lohnschreiber. 279
scriptori scribenti litleras easdem duos aureos florenos, und 1376
(p. 259): Laurencio scriplori de exscribendo privilegia nostra
decem marcas.
Haintz Sentlinger von München, der 1394 und 1399 für
die Vintler abschrieb, wird auch ein bürgerlicher Schreiber ge-
wesen sein. 1 ) Gar hübsch erzählt Burkard Zink, wie er in
Augsburg 1420 ein Weib nahm, und weil sie beide nichts
hatten, sie mit Spinnen Geld verdiente und er mit Schreiben.
In der ersten Woche schrieb er vier sextem des grofsen papirs
karta regaf, und weil dem geistlichen Herrn, welcher ihm den
Auftrag gegeben hatte, die Schrift gefiel, erhielt er für den
Sextern 4 Groschen. 2 ) In Augsburg ist sehr viel geschrieben
worden, und es war ebenfalls kein Gelehrter, der zu einer
Copie des Augsburger Stadtrechts 1443 schrieb: Quis hoc scti-
bebat. Viridis leyber antiqus nomen habebat 3 ) Auch die be-
kannte Clara Hätzlerin ist von 1452 bis 1476 als Augsburger
Bürgerin nachweisbar, und scheint für Geld abgeschrieben zu
haben. 4 ) Leonhart Schiel, Bürger daselbst, schrieb 1498 ein
deutsches Gebetbuch mit sehr schönen Miniaturen. 5 ) In Hagenau
schrieb der Schullehrer Diepold Lauber , auf den wir noch
wegen seines Buchhandels zurückkommen werden; in Breslau
1451 ein Vierdungschreiber (Finanzbeamter) die Hedwigs -
legende, in Klosterneuburg 1457 Wenczlab Radpekch, Bürger
daselbst. 6 ) Diese Laien schrieben meistens deutsche Bücher;
es gab aber auch studirte Leute, deren Gelehrsamkeit nicht
weit reichte, wie die Unterschrift einer Bilderhandschrift mit
den Kämpfen Dietrichs von Bern zeigt: Hoc liberus schripsil
Johannes port, unus schriptor et magister in ardibus de argen-
! ) Knittel, ülph. Fragm. p. 475. Zingerle in d. Sitz. Ber. d. Wiener
Akad. 50, 372.
2 ) Die Chroniken der deutschen Städte 5, 129.
3 ) Cod. Pal. Germ. 175. Wilken p. 381. Die Schablone ist sehr ge-
wöhnlich, z. B. Quime scribebat, Heinricus nomen habebat, Irmischerp. 160.
4 ) Barack, Handschriften zu Donaueschingen p. 564.
5 ) jetzt in Sigmaringen n. 13. Anz. d. Germ. Mus. 1867, 236.
6 ) Hoffmann, Altdeutsche Handschriften p. 314.
280 Die Schreiber.
tijna Amen. ') Etwas mehr Latein verstand hoffentlich der Ab-
schreiber eines Donat von 1473, Conradus bucklin von keyser-
lichem gewalt ein offer notaimis.' 2 )
Johann Werner, Freiherr zu Zimbern, beschäftigte Gabriel
Lindenast, Bürger zu Pfullendorf. 3 )
Mit besonderer Vorsicht wurde ein geheimes Loosbuch
abgeschrieben: 1492 hab ich Heinrieh Meise von wurtzpurgk
dits buch zu Grunfzfelt In des Wolgebornen herrn. herren As-
musen. Grauen zw Wertheims vnd Inn seiner Gnaden Cantzeüei
vollenndt vnd geschriben. In beywesen seiner gnaden Secretari
Conradi Kappeis. 4 )
Schon aus diesen Beispielen, welche ich genommen habe,
wie sie gerade der Zufall mir gebracht hat, ergiebt sich, dafs
die bürgerlichen Schreiber vorzüglich mit Büchern in den Volks-
sprachen sich beschäftigten, kirchliche und gelehrte dagegen
noch immer vorzugsweise der Geistlichkeit und dem entstehen-
den Gelehrtenstand zufielen. Die Schreiber an den Universi-
täten waren auf einen ganz engen Kreis approbirter Schriften
beschränkt. Es ist daher leicht begreiflich, dafs die Huma-
nisten für ihre Zwecke nicht leicht Copisten fanden; mifs-
fiel ihnen doch auch die Schrift der Zeit mit sammt den Minia-
turen und Goldschmuck (oben p. 206). Eine neue Renaissance-
schrift bildet sich aus, und lebhaft tritt der Conflict uns vor
Augen, wenn wir in der Chronik von Melk nach der Reform
von 1418 durch Mönche von Subbiaco sofort auch die neuen italie-
nischen Schriftztige finden. 5 j Wie in alten Zeiten Hieronymus,
so klagen jetzt die neumodischen Gelehrten über Mangel an
Schreibern, und über die Unzuverlässigkeit derselben. So
schreibt Petrarcha 6 ): Ut ad plenum auctorum constet integritas y
h Cod. Pal. Germ. 324. Wilken p. 400.
2 ) Cod. Pal. Germ. 4S7. Wilken p. 489.
3 ) Barack, die Handschriften der fürstl. Fürstenbergischen Bibliothek
zu Donaueschingen p. 75.
4 ) Cod. Pal. Germ. 552. Wilken p. 506. Serapum 12, 312.
5 ) Mon. Germ. SS. 9, 431.
G ) De remediis utriusque fortunae lib. 1. Dial. 43.
Lohnschreiber. 281
quis scriptorum inscitiae inertianque medebitur, corrumpenti omnia
miscentique? cuius metu multa iam, ut auguror, a magnis ope-
ribus clara ingenia rejlexerunt, meritoque id patitur ignavissima
aetas kaec, culinae solUcita, Uterar um negligens , et cocos exa-
minans, non scriptores. Quisquis itaque pingere aliquid in mem-
branis manuque calamum versalze didicerit, scriptor habebitur 9
doetrinae omnis igfiarus, expers ingejiii, artis egens. Er beklagt,
dafs die Werke der Schriftsteller von den Schreibern so arg
entstellt würden, dafs ihre eigenen Urheber sie nicht zu er-
kennen vermöchten. Auch sei das gar nicht zu verwundern,
da allein bei dieser Kunst gar keine Schranke und Aufsicht
sei: sine delectu ad scribendum ruunt o?nnes } et cuncta vastan-
tibus certa sunt pretia. An Boccaccio schreibt er sogar 1 ), dafs
er sein Werk de vita solitaria in vielen Jahren wegen der
Unwissenheit und Trägheit der Copisten nicht habe abschrei-
ben lassen können, obgleich er es mehr als zehnmal versucht
habe. Auch Leonardus Aretinus schreibt aus Florenz an den
Erzbischof von Genua 2 ) : Quod autem de libris scribundis rogas,
non deerit tibi diligentia mea. Verum admirabilis est apud nos
eius rei pe?iuria. Nam et studiosi permulti su?it 7 et qui mercede
scribant admodum pauci. Ego tarnen quo tibi morem geram
serutatus omnia, cum tandem nichü reperirem, exoravi quendam
ex familiaribus ?neis, ut libros quosdam, sui ipsius gratia quos
ille scripserat, venumduret.
Voll von Nachrichten über diese Zustände ist die Brief-
sammlung des Camaldulensers Ambrogio Traversari. In Flo-
renz besorgt er Abschriften; er trägt auch selbst in den Ab-
schriften seiner Freunde die griechischen Stellen nach. In
seinem Kloster in Florenz erzieht er Knaben zu dieser Kunst,
aber bis diese es gelernt haben, mufs er selbst schreiben; er
klagt, dafs ihm die Hand zittere, pollex novo semper tremore
agitatur. 3 ) Wenn er die Homilien des Johannes Chrysostomus
1 ) Epp. senil, lib. 5 ep. 1.
2 ) 4, 19 ed. Mehus. Vgl. auch oben p. 187.
3 ) Epistolae ed. Mehus p. 1SS.
282 Die Schreiber.
übersetzte, so konnte wohl Niccolo Niccoli, der iscriveva di
lettera corsiva, cK era velocissimo scrittore, wenn er gerade
bei ihm war, seinem Dictat folgen 1 ), aber nicht die Knaben:
lenle nimis hactenus scrihunt neque adhuc sufficerent dictata
excipere. 2 ) Er wünscht deshalb zwei oder drei librarii, um,
wie Pabst Eugen IV wünscht, mehr übersetzen zu können.
Das erhaltene Geld reicht nicht aus, quia et lectos emere in
usum scriptorum et reparare domum convenit, membranasque
emere et salaria tribuere. 3 )
Die Gelehrten halfen sich unter diesen Umständen häufig,
indem sie selbst die Abschriften besorgten, was um so rath-
samer war, da die Lohnschreiber sehr unzuverlässig waren,
und oft Stellen ausliefsen. Ihre Zahl wuchs im Laufe des
15. Jahrh. freilich aufserordentlich ; Angelus Politianus erwähnt
miniatores et scriptores infinitos, et moniales ipsas, quae quidem
diversa volumina poiitificibus et regibus scripsere ac picturis et
auro exoniarunt. Vespasiano besorgte ganze Bibliotheken, und
liefs z. B. für Cosimo de' Medici durch 45 Schreiber in 22
Monaten 200 Bände schreiben. 4 ) Mathias Corvinus unterhielt
in Florenz fortwährend vier Schreiber, um griechische und
römische Autoren abzuschreiben. Aber gerade diese Codices
Budenses sind zwar äufserlich sehr schön, jedoch durchaus
nicht correct. Mit der sorgsamen Arbeit der alten Mönche
halten alle diese Abschriften so wenig, wie die an den italie-
nischen Universitäten gefertigten Codices, einen Vergleich aus.
Da nun aufserdem die Gelehrten nicht gerade reiche Leute,
die Abschriften aber theuer waren, so haben sie sich ihre
Bibliotheken grofsentheils selbst geschrieben, wie das nament-
lich von Boccaccio berichtet wird. Auch vornehme Männer
liefsen sich diese Mühe nicht verdriefsen; so ist eine Virgil-
! ) Praefatio Laur. Mehus p. XXXII.
2 ) Epistolae p. 232.
s ) ib. p. 82. In den Briefen und in der Einleitung und Vita Ambrosii
von Laur. Mehus ist noch viel der Art zu finden.
4 ) A. Kirchhoff p. 36. Weitere Beiträge p. 6—8. L. Mehus, Vita
Ambrosii Gamald. p. XCIV— C.
Schreiblehrer.
283
handschrift 1458 geschrieben manu Leonardi Sanuti pro inclito
Venetorum dominio tunc Ferrarie vicedomini. l ) Vorzüglich sind
es die Studenten, welche wie früher und auch jetzt noch die
scholastische Weisheit, so jetzt die Schriften der Humanisten
und alte Autoren massenhaft zu eigenem Gebrauche abschrei-
ben, keiner vielleicht mit mehr Fleifs und Ausdauer als Hart-
mann Schedel, von seiner ersten Leipziger Studentenzeit bis
zum höchsten Alter als Physicus der Stadt Nürnberg.
5. Schreiblehrer.
Römische Schreiblehrer kommen in Diocletians Edict de
pretiis rerum venalium vor (oben p. 242), und ein doctor
librarius de sacra via in der Inschrift Orelli 4211. Die Er-
wähnung des Mag. Albert de Pozzotto (p. 211), welcher in
Mailand Schule hielt, des Meister Bonaventura von Verona
(s. unten), gestattet wohl die Vermuthung, dafs in Italien die
Tradition dieses Unterrichts niemals ganz ausgestorben ist.
Aus Deutschland sind mir aus dem 15. Jahrhundert zwei An-
kündigungsblätter von Schreiblehrern bekannt; das eine dient
dem Autograph von Peter Eschenloers Chronik auf der Bres-
lauer Universitätsbibliothek als Deckblatt, und ist an der Seite
etwas abgeschnitten. Der deutsche Text folgt auf den latei-
nischen; ich stelle aber hier lieber beide neben einander:
Informari Volenies Modis in
diversis Scribendi Artificialiter
Magistraliter forma-
liter Specialiter Notulam Cu-
riensem pro ut communiter scri-
bitur in Curiis m mino-
rum Principum Ducum Comitum
Baronum Militum etc. Insuper
Textum Rotundum
Wer yemandes der noch rechter
auszgemeszener kirnst und art
lernen wolde geleichen
nach den rechten regalen der
Orthographien Text adderNottel
von subtil Cancelleysch
ader suszt von mancherley nam-
hafftigen Notleln Igliche mit irer
und/ allerley E rcs e
») le Virgile du President Petau, 7939 A. Facs. bei Siivestre in.
284
Die Schreiber.
Abscisum etc. Pariter eciani
in ßoritura et Illuminatura ve-
niant ad m Brun de
Wirczpurg trahentem moram in
domo sita circa sanctum Paidum
que sign nunccupatur
Zu dem bunten lawen Et infor-
mabuntur summa cum diligentia
secun ciam informan-
dorum precio pro competenti.
ausz der federn schreiben Unde
uff gutte subtile art Illuminiren
unde me zu Johanni
Brune wonhafftig Zcu dem
bunten lawen bey sante Maria
Magd eyn iglicher
gutlich undirweyseth.
Wichtiger ist die Ankündigung Johanns vamme Haghen
in der Berliner Bibliothek, Cod. Lat. fol. 384, weil sie Schrift-
muster enthält. Man sieht daraus, wie die Schriftarten will-
kürlich vervielfältigt wurden; es wäre sehr zu wünschen, dafs
eine Ausgabe veranstaltet würde, um einen festen Anhalt für
die Benennung der gewöhnlichsten Gattungen zu haben. *) Die
in den Proben enthaltenen Urkundenfragmente sind nieder-
deutsch, eines vom Magistrat von Bodenwerder. Die Namen
der Schriftproben sind: Textus quadratus, Textus prescisus vel
sine pedibus, eine häfsliche Spielerei, Nottula simplex, Ur-
kundenschrift, Nottula acuta, Semiquadratus, Textus rotundus,
Nottula fracturarum, Fracturschrif t , Argentum 7 wo aber nur
die Ueberschrift silbern ist, Bastardus, die gewöhnliche Bticher-
schrift der Zeit, Nottula conclavata, Separatus, Argentum extra
pennam. Die letzte Probe enthält zugleich die Ankündigung
des Kalligraphen: Volentes informari in diversis modis scri-
bendi magistraliter et artificialiter^ prout nunc scribitur in curiis
dominorum, scilicet in diversis textibus et nottulis necnon cum
auro et argento , similiter cum metallo extra pennam, venient
ad me Johannem vamme Haghen , et informabuntur in brevi
temporis spacio secundum diligenciam discipulorum pro precio
competenti.
x ) Im Nouveau Tratte* 2, 63 sind allerlei Namen gegeben, aber ohne
Abbildung oder verständliche Erklärung.
Unterschriften der Schreiber. 285
Hierhergehört ferner noch die schon p. 163 erwähnte An-
weisung, in Notula simplex zu schreiben, und vielleicht sind
die kathedrales oder stulschreiber auch Schreiblehrer gewesen. 1 )
Auch Diepold Lauber gehört vielleicht hierher. Nicht vergessen
dürfen wir endlich die Abbildung einer Schreibschule, 1516
von Holbein als Aushängeschild gemalt, im Museum zu Basel.
6. Unterschriften der Schreiber.
Sehr häufig haben die Schreiber nach Vollendung ihrer
mühsamen Arbeit einige Worte hinzugefügt; sie haben ihren
Namen, die Zeit der Abschrift, den Veranlasser derselben an-
gegeben, und uns dadurch manche werthvolle Nachricht zu-
kommen lassen. Oft erbitten sie ein Gebet des Lesers, oder
sprechen sonst einen frommen Wunsch aus; nicht selten aber,
vorzüglich in späterer Zeit, erlauben sie sich auch zur Erholung
einen muthwilligen Scherz. Im Verlauf dieses Buches ist schon
häufig von diesen Unterschriften Gebrauch gemacht; sehr zu
loben ist die gute alte Sitte, in gedruckten Handschriftenver-
zeichnissen dergleichen Kleinigkeiten mitzutheilen, weil sie sich
sonst gar zu sehr der Benutzung entziehen. Hier wollen wir
eine kleine Auswahl zum Schlufs des Abschnittes darbieten.
Aus griechischen Handschriften ist, aufser den sehr schätzens-
werthen thatsächlichen Daten, wenig dergleichen bekannt.
Montfaucon p. 43 giebt die Verse:
ojOTtEQ %£voi %(xIqov(Jl TtaxQiöa ßXe7teiv,
ovtcoq xal Tolg ytd^vovai ßißkiov rikog.
Einen ganz ähnlichen Gedanken spricht die lateinische Unter-
schrift aus Corbie oben p. 162 aus 2 ), und in zwei sehr alten
1 ) s. oben p. 260. Noch einer bei Homeyer 405: A. 1421 comiüevit
Nicolaus Brems kathedralis Cra(coviensis) librum iuris in Lubschicz.
2 ) Ganz ähnlich Cod. lat. Mon. 3842 aus der Augsb. Dombibl. mit
einem sehr incorrecten Nachwort, für einen Abt Viteprand geschrieben.
Ruland in Steichele's Archiv f. d. Gesch. d. Bisth. Augsb. 1, 57.
286 Die Schreiber.
Bobienser Handschriften : sicut nauta desiderat adpropinquare ad
prosperum portum, ita scriptor ad ultimum versum.*)
Einfach spricht sich die Freude über die Vollendung der
Arbeit aus in den Versen:
Ach got wie fro ich was
Do dis buches ein ende was. 2 )
oder:
Laus tibi sit Criste, quoniam liber explicit iste.
Hie hat dis buch ein ende
Got uns sinen heiligen geist sende. 3 )
Ein anderer schrieb:
Qui scripsit Carmen, sit benedictus amen.
Explicit expliciat, ludere scriptor eat. 4 )
Materieller ist der Wunsch eines Schreibers des 10» Jahr-
hunderts :
Explicit almitonans in Christo dignus Arator:
Finito libro reddatur cena magistro.
Expl. liber Aratoris subdiaconi.
Finit Arator in hoc. consurgit denique pastus. 5 )
Nur ein sinnloser Scherz ist die Unterschrift:
Finito libro frangantur crura magistri. 6 )
Grammatisch incorrect schrieb in Salem der Copist von Augustins
Commentar zu den Psalmen 7 ;:
Scripsit Adelbertus incomoda multa repertus
Hoc opus hie Salem, eia canamus amen.
! ) Am. Peyron de bibl. Bob. p. 179 und 196.
2 ) Homeyer, Die deutschen Rechtsbucher n. 48 von 1444. Einfacher
n. 66: Amen Alleluia. Peterman Cudrifin.
3 ) Hom. n. 180 mit quem statt quoniam.
4 ) Huillard-Br^holles , Vie et Correspondance de Pierre de la Vigne,
p. 269.
5 ) Reifferscheid, Sitz. Ber. d. Wien. Akad. 59, 42.
6 ) Mathematici veteres von 1 170t?» in Libri's Auctionscatalog p. 145. n. 665.
7 ) Cod. Sal. X, 10 saec. XIII in Heidelberg.
Unterschriften der Schreiber. 287
Begreiflich ist der Wunsch 1 ):
Post scriptum librum scriptor pulcre bibe vinum.
Ernsthafter schliefst ein Schwabenspiegel:
Hie hat das lantreht buch ein ende
Gott alle falsche richter sehende. 2 )
In Hoffmanns Verzeichnifs Altdeutscher Handschriften* in
der Wiener Bibliothek findet sich grofse Auswahl, so p. 13:
Explicit hie codex, laudatur omnipotens rex.
p. 121 :
scriptor cessa. quoniam 3 ) manus est tibi fessa.
Finis et est operis. mercedem poscho laboris.
Finis adest vere. precium vult scriptor habere.
Solche Verse pflanzten sich traditionell fort und kommen
daher häufig mit kleinen Aenderungen und wegen der Unwis-
senheit der Schreiber metrisch verdorben vor ; p. 232 :
Finis est vere. pretium vult scriptor habere.
Qui te furetur. cum Juda dampnificetur.
Dergleichen Verwünschungen des Diebes sind nicht selten;
so in der gekünstelten Unterschrift p. 12:
Ferner p. 318:
Wer das puech stel,
desselben chel
muzze sich ertoben
hoch an eim galgen oben.
In eigentümlicher Weise ist die Jahreszahl bezeichnet in
einem Berliner Sachsenspiegel 4 ):
') Ott. Fris. Cod. Zwetl. saec. XIII. Mon. Germ. SS. 20, 104.
2 J Homeyer n. 184, vgl. n. 375.
3 ) Hoffmann liest fehlerhaft quum.
4 ) Wilken, Gesch. d. Berliner Bibl. p. 229. Hom. n. 24. Das letzte c
der Jahreszahl ist betrügerisch in t verwandelt, welches aber schon des-
halb, weil es kein Zahlzeichen ist, unzulässig ist.
2«8 Die Schreiber.
In nece baptiste libellus hie explicit iste :
Post Cristi natus milicuxciic est numeratus.
Qui scripsit librum, deus kunc det crimine librum.
Hie Nicolaus omen varium paciens sibi nomen,
Auceps et natus de Britzen sepe vagatus
Propter lucra sitiinque famem frigus tulit olini.
Die Zahlzeichen ergeben zusammengezählt 1369. Der Schreiber
scheint bei seinem wechselvollen Leben es im Latein nicht
weit gebracht zu haben.
Ein Glossar der Wiener Bibliothek 1 ) saec. XIV hat die
scherzhafte Unterschrift : Expl. Lucianus per Laurencium scrip-
torem Wienne scriptus. Anno a translacione Neithardi in ecef.
S. Stephani Wienne primo.
Unter einer Abschrift deutscher Predigten von 1421 in
Nikolsburg 2 ) steht:
Explicit hoc totum.
infunde et da mihi potum.
Quis me non laudat.
dyabolus oculus sibi claudat.
Auch in dem Mtinchener Codex lat. 251 steht: Explicit hoc
totum infunde porrige potum; aber eine fromme Hand hat die
letzten Worte überstrichen und verändert in : Expl. hoc opus
in nomine domine Jesu Christi.
Auch Klagen über mangelnden Lohn kommen vor; so bei
Hoffmann p. 151 vom J. 1405:
Tres digiti scribunt totum corpusque laborat.
Finis adest vere. scriptor petit precium habere etc.
Et sie est finitus per me Eberhardum schulteti de Möchingen.
Est michi precium kranck
Quia nichil datur michi nisi habdanck.
Und p. 181 von 1472:
') Tabulae codd. Vindobb. t, 22.
2 ) Archiv f. Kunde oest Geschichtsquellen 39, 500.
Unterschriften der Schreiber. 289
Finis adest operis. mercedem posco laboris. 1 )
Est michi precium kräng ubi nichil sequitur nisi habedang.
Ungemein gut zufrieden mit seinem Lohn war dagegen der
Abschreiber des Livius in französischer Uebersetzung für einen
französischen hohen Herrn, nach Paulin Paris' Vermuthung
Johann den Guten von Burgund, JRaoul Taingui,
Qui n'est pas forment amaigri
A Champlot oü il a est6,
Et k Paris tout cest est6
Aux despens de Monseigneur.
Dankbar schliefst er:
Si prie Dieu, le roy Jhesus,
Qui a fait Thetis et Bacchus,
Et qui est Creator omnium rerum,
Qu'il doint k Monseigneur regnum celorum. 2 )
Ausführlich entwickelt ein Schreiber des Schwabenspiegels
seine Wünsche:
Der Schreiber ist mvede. vnd drat
geschriben. man sol im schenchen daz brat.
vnd darzu gueten wein.
daz sein äugen haben Hechten schein.
vnd phenning darnach.
sein hant ist gewesen gach.
Nu sulle wier im ein ende geben.
got gebe uns ein Beiich leben.
an leibe vnde an seil.
des sol Maria hincz ieren son sein bot.
daz er vns helfe auz aller vnser not. 3 )
Jean de Luxi, der für die Bibliothek von Corbie viel ge-
schrieben hat, wünscht sich, was in verschiedenen Variationen
auch sonst vorkommt:
*) auch bei Homeyer n. 97.
2 ) P. Paris, Les Manuscrits Francois de la Bibliotheque du Roi, 2, 288.
3 ) Pertz' Archiv 6, 159.
Wattenbach, Schriftwesen, 19
i
290 Die Schreiber.
Detur preterea scriptori pulchra puella. 1 )
Martin von Triest 1338:
Dextra scriptoris careat gravitate doloris.
Detur pro penna scriptori pulcra puella. 2 )
Ein deutscher Schreiber hat nach Vollendung eines Bandes
der Bibel 3 ) den sehr weltlichen Wunsch:
got durch dine gute
Beschere uns kugeln und hüte,
Menteln und rocke,
Geisze und bocke,
Schöffe und rinder,
Vil frowen und wenig kinder.
Expl. durch den bangk
Smale dienst machent eime das Jor langk.
Selbstzufrieden aber schreibt ein anderer:
Mich hat geschriben eynes meysters hant,
Otte von Egre ist her genant.
In Beyer lant sint im schone vrowen bekant. 4 )
Ein nicht übler Schreiber des 13. Jahrh. sagt:
Laus tibi sit Christe, cum (1. quoniam) liber explicit iste.
Sum scriptor talis (1. qualis) monstrat jnea littera talis,
Et vocor absque maus Kadulphus nomine Salis. 5 )
Ein anderer versichert, dafs er seine eigene Schrift lobe, wie
die Affenmutter ihr Kind :
Pre reliquis gratum laudavit Symea natum.
Semper scripturam sie ego laudo meam. 6 )
! ) Delisle, Mem de l'Institut 24, 310.
2 ) Endlicher, Catal. codd. Vindobon. p. 89.
3 ) Cod. Pal. Germ. 19-23 am Ende des 2. Bandes. Der 4. Band ist
geschrieben von propst Cuonrot von Nierenberg. Wilken p. 314—318.
4 ) Hom. n. 248.
5 ) Huillard-BrSholles, Pierre de la Vigne p. 272.
6 ) ib. n. 376.
Unterschriften der Schreiber. 291
Ernsthafter gemeint ist wohl das stolze Eigenlob Eadwine's
von Canterbury im 12. Jahrhundert:
Scriptorum princeps ego, nee obitura deineeps
Laus mea nee fama: qui sim, mea littera clama.
Scherzhaft schrieb später ein Schreiber:
Werne dusse scrift nicht behage
Dij müfse eynen knochin genagin. 1 )
Johannes die czet/l kirchner czu Weysselstorff gebesen
schrieb 1444 nach Vollendung des Münchener Cod. Germ. 3967:
Amen solamen.
Si deficit fenum. aeeipe stramen.
Hie hat diez puch ein ent.
Got uns seinen gotlichen segen senk
Explicit expliciunt.
Sprach dy kaez czu dem hunt
Dy fladen sein dir ungesunt. 2 )
Unter einer Abschrift von Ovids ars amandi steht wieder-
holt: Melius (al. Bellius) scripsisset scriplor si voluisset. 3 ) Mit
Ostentation seiner griechischen Kenntnisse schrieb ein Schreiber
unter den Metamorphosen: Nomev vojv 7tu)vo) qvrja Me Xavöage
Nov voko arj vXtig olqb Kovaveo Cagks q>vr]T i^AAe. 4 )
Die alten Statuten von S. Vic'tor 5 ) verordnen: Districie
praeeipitur omnibus ut in libris quos scribi faciunt ex quo vene-
runt ad conversionem, titulum communem apponant hunc scüicet:
Iste über est S. Victoris etc. Thatsächlich findet sich diese In-
schrift z. B. in einer Handschrift des Petrus de Vinea, mit dem
f ) Wilken-p. 349.
2 ) Rockinger in den Sitz. Ber. d. Münch. Akad. 1S67 II, 2, 301.
3 ) Libri's Catalog p. 166. Der Spruch kommt, wenn ich mich recht
erinnere, sonst vor mit valuisset.
4 ) ib. p. 167.
*) Martene de ant. eccl. ritt. 3, 819.
19*
292 Die Schreiber.
Zusatz: Qtäcunque eum furatus fuerit vel celaverit aut titulum
istum deleverii, anathema sit. Diese Handschrift war übrigens
gekauft, und enthält auch die urkundliche Garantie des Pariser
Buchhändlers Petrus de Verona vom 3. Aug. 1422. l ) Aehn-
liche Inschriften finden sich in alten Handschriften sehr häufig,
zuweilen auf jeder Seite; nicht selten sind sie jedoch von
unrechtmäfsigen Besitzern ausgekratzt. Die Bobienser Hand-
schriften sind bezeichnet als Eigenthum des h. Columban, die
Lorscher gehören dem h. Nazarius. In diesen steht:
Reddere Nazario me leetor kare memento,
Alterius domini ius quia nolo pari.
In einer Handschrift, die wohl nach Prüm ausgeliehen war,
ist noch dazu geschrieben:
Reddunt ecce boni me Salvatoris alumni,
Hinc Ulis grates Nazarius referes.
Im roheren 14. Jahrhundert findet sich die Inschrift:
Qui te furetur hie demonis ense secetur.
Iste sit in banno qui te furetur in anno.
Codex S. Nazarii qui vocatur Laurissa.
Und noch später: Iste über pertinet ad S. Nazarium in Lau-
rissa. monasterium premonstratensis ordinis. redde sibi. 2 )
In einem Commentar des Remigius zu dqji Paulinischen
Briefen, der 1067 so geschrieben ist, dafs den rothen Text der
schwarze Commentar umgiebt, steht: Quicumque istum librum
rapuerit aut furaverit vel aliquo malo ingenio abstulerit ab
aecclesia S. Caeciliae sit perpetua damnatione damnatus et male-
dictus nisi reddiderit vel emendaverit. FIAT FIAT .AALEN
AMEN. Vielleicht ist # die Cäcilienkirche in Coeln gemeint. 3 )
Später finden sich immer häufiger auch die Namen ein-
*) Huillard-Breholles , Vie et Correspondance de Pierre de la Vigne,
p. 251 ; vgl. A. Kirchhoff p. 97.
2 ) Reifferscheid in d. Sitz. Ber. d. Wiener Akad. 56, 517. 520. 521. 526.
3 ) tibri's Catalog p. 259.
Die Griechen und Kömer. 293
zelner Eigenthümer, bei Humanisten oft mit dem Zusatz et
amicorum. Hecht derb ist die Inschrift 1 ):
Dyt bock hört Metken vam holte
De etat vint de do dat wedder
Edder de duvel vorbrent em dat ledder.
hoet dy.
VI.
Buchhandel.
1. Die Griechen und Römer.
Ueber den Buchhandel bei den Griechen handelt K. F.
Hermann, Lehrbuch der griechischen Privatalterthümer, ed.
Stark, p. 373; bei den Römern H. G6raud, Essai sur les
livres, W. A. Schmidt, Geschichte der Denk- und Glaubens-
freiheit p. 116 ff. Becker, Gallus ed. Rein 2, 327 ff. Mar-
quardt, Rom. Privatalterthümer 2, 404—412. Für das Mittel-
alter hat Albrecht Kirchhoff sich das grofse Verdienst
erworben, diesen Gegenstand zuerst eingehend und ausführlich
behandelt zu haben in seiner Schrift : Die Handschriftenhändler
des Mittelalters, 2. Auflage, Leipzig 1853. Weitere Beiträge,
besonders abgedruckt aus Dr. Petzholdt's Anzeiger f. Biblio-
graphie, Nov. u. Dec. 1854, Halle 1855.
Von den Griechen ist wenig bekannt; dafs in Alexandria
ein völlig ausgebildetes Gewerbe des Buchhandels bestand, zeigt
die oben p. 184 angeführte Stelle; die Werkstatt eines Kalli-
graphen in Constantinopel im 7. Jahrh. werden wir gleich zu
erwähnen haben, und die längere Fortdauer des Buchhandels
daselbst bezeugt die p. 172 citirte Stelle. Bei zunehmender
Bedrängnifs der Zeiten wird hier wohl das Gewerbe nach und
') Hoffmann, Altd. Handss. p. 319.
294 Bachhandel.
nach verkümmert sein, und eine Neugestaltung, wie im Abend-
lande, bat es nicbt gewonnen.
Von einem Verlagsrecht findet sich bei den Römern keine
Spur, wohl aber von dem Verkauf eines Manuscriptes, und von
Leihgeld. In Plinius' Briefen 4, 7, 2 ist Ton einer Auflage in
1000 Exemplaren die Rede. Des Sulpicius Severus Vita S.
Martini wurde sehr rasch in ferne Länder verbreitet und gab
den Buchhändlern viel zu verdienen.
Dafe dieser mit Sclaven oder gemietheten Abschreibern
betriebene Handel in Gallien noch im 6. Jahrh. fortdauerte,
hat F. J. Mone (Griech. u. lat. Messen p. 155. 156) aus den
Schriften des Gaesarius von Arles nachgewiesen; er behauptet
auch die fernere Fortdauer im Mittelalter, ohne indessen dafür
einen Beweis beizubringen.
In Italien jedoch, und vorzüglich in Rom, erhielt sich lange
ein wirklicher Buchhandel, und hat hier vielleicht niemals auf-
gehört. Nur hier war auch ein Bedürfnifs vorhanden, da die
Laien niemals aufhörten zu lesen. Dartiber sagt Wipo im
Tetralogus v. 197:
Hos (mores) servant Itali post prima crepundia cuncti
Et sudare scholis mandatur tota iuventus.
Solis Teutonicis vacuum vel turpe videtur,
Ut doceant aliquem nisi clericus accipiatur.
Die Thatsache ist durch W. Giesebrechtin seiner Schrift
De litterarum studiis apud Italos (1854, 4.) vollständig erwiesen.
Einen Buchhändler nach alter Weise lehrt uns eine Handschrift
des Orosius kennen, welche ins 7. Jahrh. gesetzt wird 1 ), und
die Inschrift hat: Confectus codex in statione magistri Viliaric
antiquarii. ora pro me seribtore. sie dominum habeas protectorem.
Der Ausdruck slatio, aus welchem sich der später vorkommende
Name der stationarii erklärt, bedeutet nach mehreren Stellen
') Bandini, Codd. lat. 2, 727. Facs. des Textes bei Mab. Dipl. p. 352
und in der Ausg. von Havercamp. Wiederholt findet sich die Bemerkung
contuli.
Die Griechen und Römer. 295
bei Marini, Papiri Dipl. p. 259, im 6. Jahrh. die Werkstatt
sowohl des tabellio wie des librarius. In den Acten des Concil.
Constantinop. III a. 680 (Mansi 11, 596) wird als derjenige,
welcher die Interpolation in die Acten der fünften Synode ge-
schrieben hatte, genannt OeodtoQog 6 xalkiygäyog Song elxe
xb €QyccoTiJQiov £ig %bv ayiov 'Icoavvocpiüxäv. In einer Ueber-
setzung (p. 886) wird lqyaoxr\qiov wiedergegeben durch officina,
in der andern heifst es : Theodorus librarius qui habuit stationem
ad S. Johannem Phocam.
In solchen Werkstätten sind also Bücher geschrieben, Ur-
kunden ausgefertigt, auch wohl Briefe geschrieben, gerade wie
in den noch heute in Italien üblichen Schreibstuben.
Born galt lange Zeit für den eigentlichen, ja vielleicht
einzigen Büchermarkt. S. Gertrud (f 658) liefs nach der frei-
lich nicht ganz zuverlässigen Vita für das neugestiftete Kloster
Nivelle sancta volumina de urbe Roma kommen. 1 ) Beda be-
richtet vom Abt Benedict von Weremouth, dafs er 671 nach
Rom reiste, librosque omnis divinae eruditionis non paucos vel
placito pretio emtos vel amicorum dono largitos retulit. Später
wiederholte er die Reise, und brachte 678 innumerabilem
librorum omnis generis copiam, 685 magnam copiam voluminum
sacrorum mit. 2 ) Auch profane Schriftsteller waren darunter,
denn c. 15 wird ein cosmographorum codex mirandi operis er-
wähnt, quem Romae Benedictus emerat.
Andere Beispiele bietet die Klosterchronik von S. Wan-
drille. Wandregisil selbst schickte seinen Neffen Godo nach
Rom, der vom Pabst Vitalian (657 — 672) Reliquien erhielt und
mitbrachte, nee non et volumina sacrarum scripturarum diver sa
veteris ac novi testamenti, maximeque ingenii beatissimi atque
aposlolici gloriosissimi papae Gregorii. 3 ) Das war freilich ein
Geschenk, wie sie häufig vorkommen, und für diesen Zweck
liefsen vermuthlich die Päbste fromme Mönche um Gottes Lohn
*) Mab. Acta SS. 2, 445 ed. Ven.
2 ) Vita Benedicti abb. c. 4. 6. 9.
3 ) Chron. Fontanell. c. 7. Mon. Germ. 2, 274.
296 Buchhandel.
arbeiten. Merkwürdig bleibt aber der in dieser Chronik häufige,
schon oben p. 255 erwähnte Ausdruck littera romana, welcher
eine dort heimische, auswärts wohl bekannte Schreibschule
erkennen läfst. Unter dem Abt Austrulf (747 — 753) trieb das
Meer eine Kiste an den Strand, welche wohl von schiffbrüchigen
Angeln herrührte. Sie enthielt Reliquien, und codicem pulcher-
rimum quatuor evangelia continentem, romana littera optime
scriptum, membranis mundissimis honestaque forma confectum.
Weiterhin (p. 289) sagt davon der Chronist: Nam et codicem
illum evangelicum, ut scriptum eiusdem insinuat, in Romulea
urbe scriptum constat.
Auch von Erzbischof Aelbert von York (766—780) erzählt
Alcuin 1 ):
Non semel externas peregrino tramite terras
Jam peragravit ovans, Sophiae deductus amore,
Si quid forte novi librorum seu studiorum,
Quod secum ferret, terris reperiret in Ulis.
Hie quoque Romuleam venit devotus ad urbem.
Es ist nicht gesagt, wo er die Bücher suchte, aber wo
anders als in Italien waren damals Bücher zu finden? Auch
Gerbert nennt für seine Bücherkäufe Born und Italien an erster
Stelle. Auf den Römerzügen der deutschen Kaiser sind noch
viele Bücher aus Italien nach Deutschland entführt, doch bleibt
es fraglich, ob dabei die Vermittlung eines eigentlichen Buch-
handels eintrat.
Vermuthlich in Verona finden wir 1338 eine Schreiber-
werkstatt nach alter Weise: Explicit liber Lucani. deo gracias.
Millesimo ccc Q xxx° viii hoc opus factum fuit per Martinum
de Trieste in scolis magistri Bonaventurae scriptoris de Verona. 2 )
Auch bei Meister Albert de Pozzotto in Mailand (p. 211) mögen
wohl Bücher geschrieben sein. Gewerbliche Schreiber gab es
in Mailand in grofser Anzahl, und für den litterarischen Ver-
*) de Pontiff. Eborac. v. 1453. Alcuini Opp. 2, 256.
2 ) Endlicher, Catal. codd. Vindobb. p. 89.
Büchererwerb durch Abschrift. 297
kehr der Lombardei wurde es der Hauptplatz. In Rom aber
kaufte auch noch im 14. Jahrh. Richard de Bury Bücher auf.
Ob nun freilich hierin eine Fortwirkung der alten Zustände zu
erkennen ist, oder der Beginn neuer Entwickelung, bleibt
zweifelhaft. Jahrhunderte liegen dazwischen, von welchen wir
um so weniger Kunde erwarten können, da der gewerbliche
Betrieb auf Schulbüchern und niederer Litteratur beruhte. Das
wissenschaftliche Bedürfnifs fand auf anderen Wegen seine
Befriedigung, und auf diese wollen wir jetzt einen Blick
werfen.
2. Bttchererwerb durch Abschrift.
Wenn die Existenz und der Umfang des Buchhandels im
Mittelalter in vielen Gegenden und durch lange Zeiträume für
uns im Dunkel bleiben, so ist es dagegen unzweifelhaft, dafs
er von Anfang bis zu Ende dem Bedürfnifs der Bücherfreunde
nirgends genügt hat. Er beschränkte sich auf einzelne gang-
bare Artikel, und zufällig in den Handel gekommene alte
Manuscripte. Schon Origenes (p. 185) und Hieronymus (p. 187)
konnten ihre Werke nicht etwa in Verlag geben, sondern waren
von Schreibern umlagert, deren Arbeiten sie selbst zu leiten
hatten. Die Briefwechsel, welche uns seit der Wiederbelebung
wissenschaftlicher Thätigkeit im Abendland zahlreich erhalten
sind, enthalten sehr häufig Bitten um Abschriften gesuchter
Werke, um die Ueberlassung von Exemplaren zum Abschreiben,
oder um die Erlaubnifs, eigene Schreiber hinsenden zu dürfen. 1 )
So liefs Abt Lupus von Ferriöres Mönche reisen, denen er
Bücher zum Abschreiben anzuvertrauen bat. Entliehene Bücher
gingen aber oft verloren, und man suchte sich dagegen durch
Pfänder und Bürgschaften zu sichern, was jedoch nicht immer
half. Bischof Egino von Constanz entlieh gegen Bürgschaft
') Was sich darüber im Codex ep. Keinhardsbrunn. findet, ist zusam-
mengestellt von Hesse im Serap. 23, 337 ff.
298 Buchhandel.
Bücher aus der Reichenauer Bibliothek, gab sie aber nicht
zurück. ! )
Der Regensburger Marianus Scotus schrieb 1074 in eine
von ihm geschriebene Handschrift : Nunquam tribuatur ad tran-
scribendum exlra monasterium, nisi pro eo congruum relinquatur
vadimonium. An vielen Orten war das statutarisch festgesetzt,
und wurde später ganz allgemein. Der Abt Wibald von Corvei
wünschte alle Werke Cicero's in einem Bande zu besitzen, und
erbat sich deshalb Reden und Briefe desselben von Hildesheim.
Reinald aber, der bekannte Erzbischof von Coeln, damals noch
Domprobst der Hildesheimer Kirche, antwortete ihm: non est
consuetudinarium apud nos, ut sine bonis momimentis aliqui alicul
concedantur. Man möge deshalb den Gellius und des Origenes
Commentar zum Hohen Lied als Pfand senden. 2 ) Seine eigenen
Bücher dagegen, die er jetzt aus Frankreich mitgebracht habe,
wolle er schicken. Da in Corvei kein Gellius war, sandte
Wibald statt dessen Frontins Strategemata. 3 )
Von Ludwig IX wird berichtet, dafs er es grundsätzlich
vorzog, Bücher abschreiben zu lassen, weil dadurch ihre Anzahl
vermehrt wurde. 4 ) In vielen Fällen aber wird gar keine Wahl
gewesen sein; so z. B. als er die grofse Encyclopädie des
Vincenz von Beauvais zu haben wünschte: ad eiusdem voluminis
') Neugart, Episcopatus Constant. 1, 87.
2 ) Ein anderes Beispiel in dem Briefe Fromunds von Tegernsee bei
Pez, Thes. 6, 1, 166.
3 ) Wibaldi epp. 207. 208. Jaffe\ Bibl. 1, 326—328. Wibald liefe sich
also nicht genügen an dem schon in Corvei vorhandenen Codex, welcher
aus Erfurt nach Berlin gekommen ist, Lat. fol. 252; s. Serap. 27, 53.
Durch gütige Mittheilung des Herrn Dr. Pfund erfahre ich, dafs in dem
Bilde auf fol. 1 v. das Buch dargebracht wird den Heiligen Stephanus und
Vitus, Schutzpatronen von Corvei, und S. Justinus (vgl. Ann. Corb. 949:
Translatio capitis S. Justini mart. de Magathaburg ad nouam Corbeiam)
von Adelbertus abbas Corbeiae. Sollte auch das letzte Wort späterer Zu-
satz sein, so scheint es doch kaum ein anderer Abt sein zu können, als
der sonst Adelbero genannte von Corvei, 1138 — 1144. Die ganze Rede pro
Milone ist hieraus facsimilirt in der Ausgabe von Freund, Vrat. 1838. 4.
mit werthvollen Untersuchungen über die Orthographie.
•*) Vita S. Ludovici auct. Gaufrido de Belloloco, Bouq. 20, 15.
i
Büchererwerb durch Abschrift. 299
exemplar per notarios transcribendum studiorumque vestrorum
usibus deputandum pium vestrum protinus excitavil affectum.
Der König sandte Geld an Vincenz, wofür dieser eine Abschrift
machen liefs. Solche Arbeiten waren sehr theuer; A. Kirchhoff
hat viele Angaben über die Preise zusammengebracht. Werth-
voll ist besonders die schon mehrfach benutzte Kostenberech-
nung über Heinrich Bohic's Commentar zu den Decretalen von
1375, deren Betrag L. Delisle auf 825 Francs nach heutigem
Werth berechnet. Darin fehlt auch nicht das Miethgeld:
exemplar totius libri in locagio Martino bedello Carmelitarum
5 fr., welches häufig zu zahlen war; bei Händlern regel-
mäfsig. ')
Ernst von Pardubitz, der erste Erzbischof von Prag, brachte
von allen Seiten Bücher zusammen, und liefs sie abschreiben;
auch Mefsbticher, welche für den eigentlichen Handelsbetrieb
wohl zu kostbar waren, auch sehr correct sein mufsten:
Multos eciam libros, eciam extraneos a noticia multonim
hominum, hie scribi fecit et de aliis mundi partibus apportavit,
habens tres continue vel duos cartularios, qui libros eciam mis-
sales et missarum canones preter alia cotlidie conscribebant,
quos monasteriis et ecclesiis ac aliis piis locis, prout quosque
eognoverat indigere, dispensavit.
In Prag liefs dann wieder Gerhard Groote sich Joh. Chry-
sostomus Commentar zum Matthäus abschreiben, und alle seine
Freunde bat er um Werke der Kirchenväter, um der von ihm
gestifteten Genossenschaft der Brüder vom gemeinen Leben
die unentbehrlichen Vorlagen geben zu können.
Von den kalligraphischen Prachtwerken, in deren Erwerb
und Besitz die vornehmen Liebhaber des 14. und 15. Jahr-
hunderts in Frankreich und Burgund mit einander wetteiferten,
versteht es sich ganz von selbst, dafs sie nicht käuflich waren,
sondern auf Bestellung gearbeitet wurden. Nicht anders ver-
! ) Es scheint sich darauf zu beziehen, wenn Ambrosius Camaldulensis
von Joh. Aurispa und seinen vielen Büchern sagt: Ex his honorifice, quantum
ego arbitror, vivere valebit. Kirchhoff p. 37. Epistolae ed. Mehus p. 386.
Doch kann auch das durch den, Verkauf zu erzielende Capital gemeint sein.
300 Buchhandel.
hielt es sich aber auch mit den humanistischen Sammlern; es
hat lange gedauert, bis die so eifrig gesuchten und abschrift-
lich begehrten Schriftsteller ein Gegenstand gewerblicher Spe-
culation wurden; oder vielmehr, die Nachfrage war so stark,
dafs nur mit grofser Mühe und vielen Kosten die noth wendigen
Abschreiber sich auftreiben lie&en, die deshalb natürlich nur
auf feste Bestellung arbeiteten. Gegen das Ende des 15. Jahrh.
zeigen jedoch die leer gelassenen Wappenschilder auf den
Titelblättern, sowohl der humanistischen Abschriften wie der
zierlichen Gebetbücher aus Burgund und Augsburg, dafs jetzt
im Vorrath für den Verkauf gearbeitet wurde.
Während nun Mathias Corvinus sich in Florenz vier Ab-
schreiber für griechische und lateinische Bücher hielt, begnügte
sich Herr Johanns Wernher Freiherr zu Zimbern auf seiner
Burg mit einem Bürgersmann, der ihm rittern- und taffelrundt-
buecher abschrieb: dieweil zu seinen zeiten der druck erstlichs
u/kommen und damals als ain new invenlum am schlechten f ort-
gang, liesz er im ain Schreiber, genannt Gabriel Lindennast,
war burger und seszhaft zu Pfullendorf, vil und mancherlai
buecher schreiben und zuruslen, also das er letzstlich ein zim-
liche liberei zu wegen pracht. 1 )
3. Bücherkauf im Mittelalter.
Man hat nicht immer beachtet, dafs es noch länge kein
Buchhandel ist, wenn einzelne Bücher käuflich sind. Das kam
natürlich oft genug vor, schon in Folge der vielen Kriege und
Plünderungen. Eine schöne Gelegenheit zum Bücherkauf bot
sich dar, als Karl der Grofse in seinem Testament verordnete,
dafs die vielen von ihm gesammelten Bücher nach seinem
Tode verkauft werden sollten.
Den Textus S. Ceaddae, eine der ältesten irischen Pracht-
*) Zimmerische Chronik ed. Barack 1, 405; vgl. Barack, Die Hand-
schriften der fürstl. Fürstenbergischen Bibliothek zu Donaueschingen p. 75,
Meleranz 14S0 von Lindenast geschrieben.
Bücherkauf im Mittelalter. 301
handschriften, kaufte, man weifs nicht wann, ein frommer
Mann für sein bestes Pferd, und schenkte ihn an die Kirche
zu Landaff. Die verheerenden Einfälle der Normannen be-
raubten viele Stifter ihrer Bücher, welche nun mit anderer
Kriegsbeute käuflich wurden. Ebenso wurden die vielen Hand-
schriften, welche die wandernden Schottenmönehe bei sich
führten, verfügbar, wenn diese etwa auf der Reise starben
oder verunglückten. Reginbert von Reichenau (f 846) berichtet
in seinem Katalog nur von einigen Priestern, die ihm Meft-
bttcher verkauft hatten, von keinem Buchhändler. Gerbert,
der eifrigste und gelehrteste Sammler seiner Zeit, kaufte in
Italien, Deutschland, Belgien Bücher, wir wissen aber nicht,
von wem. 1 )
Etwas später brachte Abt Olbert von Gembloux (f 1048)
150 Handschriften zusammen. Mirum sane unum hominem in
tanta tenuitate rerum tanta potuisse comparare, sagt die Chro-
nik 2 ), giebt aber leider nicht den geringsten Aufschlufs darüber,
wie er es gemacht hat. Kostspielig genug war es schon, sich
das theure Pergament zu verschaffen, Mönche reisen zu lassen,
und Exemplare zum Abschreiben zu besorgen.
Bücher waren sehr kostbar, und ganz besonders die grofsen
Mefsbücher, welche viel Pergament erforderten, grofs und cor-
rect geschrieben sein mufsten und oft reich verziert waren.
Dergleichen brauchte jede Kirche; doch finde ich nicht, dafe sie
ein Handelsartikel waren. Mönche und Weltgeistliche schrieben
sie für Geld, oder schenkten sie an vornehme Leute und Wohl-
thäter, so der Abt Paul von S. Albans (seit 1077) an den Nor-
mannen Robert für seine Schlofskapelle missale cum aliis libris
necessariis. Ein Priester von Benedictbeuern erhielt 1074 vom
Grafen Udalrich von Bozen für ein Mefsbuch einen Weinberg 3 ),
*) ep. 44. Für ihn geschrieben ist die vortreffliche Erlanger Hs. von
Cicero de Oratore mit der Unterschrift in Uncialen: Venerando abbate
Gerberto philosophante suus placens Äyrardus scripsit. Irmischer, Hand-
schriftenkat. p. 221.
2 j Gesta abb. Gemblacensium, Mon. Germ. SS. 8, 540.
3 i Meichelbeck, Chron. Bened. 1, 77. Mon. B. 7, 92.
302 Buchhandel.
um 1120 das Kloster Baumburg für ein anderes Landbesitz von
Warmund und Engelmar von Berg. ') Anno quo tertium bellum
gestum est ab Heitirico rege contra Saxones (1080) gab # Bischof
Heinrich von Trient dem Abt Williram von Ebersberg Weinberge
bei Bozen pro commutatione librorum quos idem episcopus con~
cupiverat de scriniis abbatis, scilicet missali optimo et lectionario
emendatüsimo et matutinario. 2 )
Ein gewisser Deotpert kaufte eine Schrift von Alcuin für
das Geld des Klosters S. Emmeram von Reginpert, dem Priester
des Grafen Wilhelm 3 ), der sie vielleicht abgeschrieben hatte.
Unbekannt ist leider die Herkunft einer grofsen Bibel mit vielen
Bildern im byzantinischen Geschmack auf Goldgrund, welche
Abt Walther von Michelbeuern (1161 — 1190) kaufte:
Abbas Waltherus duo magna sibi monumenta
Fecit in his libris emptis per dena talenta. 4 )
Eine ähnliche sehr grofse und köstlich geschmückte Bibel
wurde um dieselbe Zeit für die Gumbertskirche in Ansbach
erworben; der Decan Gotebold gab 1 Talent, Sigfried 3, der
Lederer Sigelous 1, die übrigen Mitbürger 5, und noch andere
Gläubige 2, zusammen also 12. Ihre Namen wurden in das
Buch geschrieben, in der Hoffnung, dafs sie dadurch auch
Aufnahme ins Buch des Lebens finden würden. *) Ob die Bibel
fertig gekauft oder auf Bestellung gearbeitet wurde, bleibt
ungewifs.
Oft haben Kirchen und Klöster, wenn sie in Bedrängnifs
geriethen, ihre Bücher verpfändet und verkauft, auch an Juden
trotz aller Verordnungen dagegen. Einen Ungeheuern Codex,
36 öst. Zoll hoch, 20 breit, hatte das Kloster Podlasicz in
Böhmen; er ist am Anfang des 13. Jahrh. geschrieben, und
l ) Mon. Boic. 3. 6.
2 > Oefele, SS. Rer. Boic. 2, 46.
3 ) Pez Thes. I. Diss. Isagog. p. 39.
4 ) Filz, Gesch. v. Michelbeuern 2, 308. Der zweite Band ist verloren.
5 ) Irmischer, Erlanger Handschriftenkatalog p. 19.
Bücherkauf im Mittelalter. 303
enthält die ganze Bibel, Josephus, Cosmas u. a. m. Diesen
verpfändet das Kloster an die Cisterzienser in Sedlicz, aber
der Abt Bawar von Brzewnow löste ihn 1295 aus, damit er,
qui dici potest de Septem mirabilibus mundi propter sui inmen-
sitatem, dem Orden der Benedictiner nicht entfremdet würde.
Unter Rudolf II kam er nach Prag, und von da nach Stock-
holm, wo er Gigas librorum heifst. Das Volk aber nennt ihn
/ans bibel, die Teufelsbibel, weil es ihn, wie alle wunderbaren
Werke, dem Teufel zuschreibt. ! J
Nach einer nicht ganz verständlichen Notiz befreite 1274
das Stift Corbie den Commentar des Petrus Lombardus zu den
Psalmen aus den Händen der Lombarden , welchen er ver-
pfändet war. 2 ) Im Anfang des 14. Jahrh. erwarb der Abt von
S. Lorenz in Lüttich 2 Gradalia in Lobbiensi monasterio, eo
tunc desolato venalia. 3 ) Um dieselbe Zeit war auch das Stift
S. Ulrich und Afra in Geldverlegenheit, und Abt Marquard
von Hagel (1316— 1334) verpfändete den Predigermönchen eine
grofse Anzahl werth voller Bücher 4 ), darunter einen grofsen
Papias, den Andere Abecedarius oder Mater verborum nannten,
und Bischof Salomo von Constanz zuschrieben; Abt Heinrich
hatte ihn 1175 schreiben lassen. 5 ) Marquards Nachfolger, Con-
rad Winkler, löste ihn 1344 wieder aus, und später noch
23 Bücher für 27 Pfund Heller und 15 Pfenninge. 6 ) Es blieben
aber immer noch viele zurück, und wurden auch viele von
neuem entfremdet, weil man sie ohne Bürgschaft auslieh, und
einzelne Mönche sie auch nach Belieben veräufserten, bis der
Abt Melchior von Stamheim (1458 — 1474) eine bessere Zucht
einführte. 7 )
') B Dudik, Forschungen in Schweden für Mährens Geschichte (Brunn
1852) p. XV. 208 ff.
2 ) L. Delisle, Mem. de l'Institut 24, 296.
3 ) Contin. Reineri de abb. S. Laur. Leod. Mon Germ. SS. 20, 608.
A ) W. Wittwer in Steichele's Archiv f. Gesch. d. Bisth. Augsb. 3, 164.
5 ) ib. p. 140.
6 ) ib. p. 177. 178.
7 ) ib. p. 235.
: J
304 Buchhandel.
Man konnte daher wohl Bücher kaufen, auch wenn es
keine Buchhändler gab, oder nur solche, wie der französische
Cleriker, welcher in dem Fabliau: Le Departement des tivres
den Verlust seiner Bibliothek schildert:
A Gandelus lez la Fertö
La lessai-je mon A. B. C.
Et ma patenostre ä Soisson,
Et mon Credo k Monloon,
Et mes set siaumes k Tornai,
Mes quinze siaumes k Cambrai,
Et mon sautier k Besengon,
Et mon kalendier ä Dijon.
Puis m'en revint par Pontarlie,
Iluec vendi ma litanie,
Et si bui au vin mon messel
A la ville oü Ten fet le sei.
Und so geht es noch lange fort. *) Die lebendigste Schilderung
der Mifsachtung, in welche die Bücher bei dem verwilderten
Clerus gerathen waren, verdanken wir aber Richard de Bury
in seinem unschätzbaren Philobiblion. Das Kloster S. Albans
verkaufte ihm 32 Bücher für 50 Pfund, weil es seiner Hülfe
bedurfte, und nachdem es einmal bekannt geworden war,
welchen Werth der Kanzler auf Bücher lege, kamen sie auch
von allen Seiten als Geschenke. Im 4. Cap. läfst er die Bücher
selbst klagend reden: einst hochgeschätzt, müssen sie jetzt
ihren Platz den Hunden und Falken räumen, oder einer bestia
bipedalis, scilicet mulier , die fortwährend drängt, sie zu ver-
kaufen. Sie hafst die Bücher nicht ohne Grund, und würde
sie noch mehr hassen, wenn sie wüfste, was darin steht. So
liegen sie nun verachtet im schmutzigen Winkel: Candor
nativus ei luce perspicuus iam in fuscum et croceum est con-
versusj ut nemo medicus gut nos reperiat, dubitet ieterwia nos
infectos. Arthreticam paliuntur nonnulli de nobis, sicut ejctre-
l ) bei Cocheris, Philobiblion p. XXXIX-XLI.
Bücherkauf im Mittelalter. 305
V
mitates retortae insinuant evidenter. Ihr Leib wird von Wür-
mern zernagt, und niemand ruft: Lazqre veniforas! Oft wer-
den sie auch in die Knechtschaft verkauft, und liegen als
Pfand in den Schenken. Juden und Sarrazenen, Ketzern und
Heiden werden sie überantwortet Aber auch darüber bekla-
gen sie sich, dafs betrügerischer Weise ihr Inhalt von Fremden
sich angeeignet, falsche Namen ihnen gegeben werden, und
dafs schlechte Uebersetzer sie verunstalten.
Hiernach kann es nicht Wunder nehmen, dafs Wucherer,
Trödler und Krämer gelegentlich auch Bücher verkauften, wie
wir in einer Handschrift lesen: Hunc librum emi ego Jo. de
Beate a Pictaccino feneratore cum pluribus aliis libris die
7. Iunii U21 F/orentiae. 1 ) Der Jude Moses verkaufte 1400 2 ),
Jacob 1458 in Padua eine Handschrift. 3 ; Sie sind deshalb
noch keine Buchhändler, aber es konnte weiter führen, wenn
das Geschäft sich bei wachsender Nachfrage einträglich erwies.
In Mailand handelte ein aromalarius, Paolino Suordo, auch
mit Handschriften, und erscheint später als Verleger von Druck-
werken. 4 ) So machten auch in Frankreich und England epi-
ciers und mercers Geschäfte mit Handschriften.
In der Handschrift des sog. Dodechin steht: Iste liber valet
vj libras ut dixit dominus Wernhervs, sed non credo. Alias cronicas
habui pro v libris. 6 ) Niklas Felder, Wagemeister der Stadt
Zittau, löste 1473 mit 3 Schock Groschen vier verpfändete Bücher
von einem Görlitzer Bürger. 6 )
Klöster, die etwas auf sich hielten, liefsen, wie wir schon
vorher sahen, ihre Bücher nur an Collegen kommen; so ver-
pfändete Neuzelle 1409 einige Bücher für 130 ungr. Gulden
*) Kirchhoff p. 46.
2 ) Pasini 2, 77. Der Ort ist nicht genannt, vielleicht Bologna, wie
Kirchhoff annimmt.
3 ) A. Kirchhoff p. 52.
4 ) ib. p. 44. 52.
5 ) Böhmer's Fontes III p. xxxix. Mon. Germ. SS. 17, 4.
6 ) Kirchhoff, Weitere Beitr. p. 31 aus N. Laus. Magazin 1834 p. 542,
wo aber statt pepirgutte zu lesen ist propirgute , d. i. eigenes freies Gut,
ein in jenen Gegenden häufiger Ausdruck.
Wattenbach, Schriftwesen. 20
306 Buchhandel.
y
an Altzelle 1 ), und Dobrilugk verkaufte 1441 Bücher an die
Prämonstratenser zu Brandenburg. 8 ) Der Baron Piligrin von
Buchheim hatte das Speculum historiale um 80 Gulden den
Melkern verpfändet, und gestattete um 1450 in seinem Testa-
ment den Schotten zu Wien, es einzulösen. 3 ) Dagegen hatte
der Augsburger Domherr Joh. Schoen ein Buch des Capitels
an Juden verpfändet, welches nach seinem Tode 1424 Wieder
eingelöst wurde. 4 )
Die Artistenfacultät zu Heidelberg kaufte 1455 werth volle
Bücher aus dem Nachlafs des Domprobsts zu Worms 5 ), und
solche Todesfälle werden oft Anlafs zu Bticherkäufen gegeben
haben, in zunehmendem Maafse, als Privatsammler mit ansehn-
lichem Büchervorrath häufiger wurden. Doch waren Bücher
im 15. Jahrh. noch ein sehr kostbarer Besitz. Um 1402 tiber-
liefs das Breslauer Domcapitel einige Bücher des Mag. Joh.
Kyner dem Domprobst zum Gebrauch auf Lebenszeit, wofür
dieser dem Joh. Kyner, so lange er lebte, jährlich 8 Mark
Groschen zu zahlen hatte.®) Der Bischof von Speier lieh dem
Domcantor 1447 sin und sins stiffts permentin buchlin genant die
hiebet urkundlich auf Lebenszeit, und dem Baseler Domstift
wurden libri horales vermacht, um sie gegen Zins auszuleihen,
und von dem Ertrag das Anniversar des Schenkers mit 16 sol.
zu bestreiten. 7 )
4. Anfänge des Buchhandels.
Die stationarii, welche, wie wir oben p. 294 sahen, im
Anfange des Mittelalters nachzuweisen sind, wenn auch noch
nicht unter diesem Namen, verbanden Schreibgeschäfte ver-
') Beyer, Altzelle p. 163.
2 ) Serapeum 1850 p. 377.
3 ) Sitz. Ber. d. Wiener Akad. 13, 109.
4 ) Steichele's Archiv f. d. Gesch. d. Bisth. Augsb. 1, 17.
5 ) Zeitschrift f. Gesch.. d. Oberrheins 22, 46.
6 ) Zeitschrift des Vereins f. Schles. Gesch. 5, 132.
7 ) Moue in der Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh. 1, 309. 310.
Anfänge des Buchhandels. 307
schiedener Art mit der Anfertigung von Büchern für den Ver-
kauf. Nach langem Zwischenraum kommen sie wieder zum
Vorschein an den Universitäten, wo der Zudrang von Schülern
das Bedürfnifs nach käuflichen Büchern steigert. Sie gehören
mit dem gesammten Personal, welches an der Herstellung von
Büchern Theil hatte, zur Universität, theilen die Vorrechte und
stehen unter ihrer Gerichtsbarkeit. Savigny hat in seinem
25. Cap. diesen ganzen Gegenstand genau erörtert, und nach
ihm giebt auch A. Kirchhoff Nachricht davon. In Bologna
sind sie erst 1259 nachweisbar, aber die Zusage in dem Ver-
trage von 1228 über die Errichtung einer Universität in Ver-
celli, zwei exemplatores anzustellen, was gleichbedeutend ist,
beweist, dafs schon viel früher die Einrichtung bestand; sie
findet sich später auch an allen übrigen Universitäten. Die
Stationarien waren aber eigentlich gar keine Buchhändler, wie
denn auch der Name nicht auf diese übergegangen ist, sondern
vermietheten Bücher, die bestimmt vorgeschrieben waren, zum
Abschreiben, was nach obrigkeitlicher Taxe besorgt wurde
(p. 117). Ferner nahmen sie den Nachlafs Verstorbener und
die Bücher abgehender Studenten, auch die Bücher von Juden,
denen directer Handschriftenhandel untersagt war, in Ver-
wahrung, und vermittelten den Verkauf gegen eine bestimmte
Provision. Es scheint, worauf Kirchhoff p. 26 Gewicht legt,
dafs stationarü peciarum und librorum zu unterscheiden sind;
es werden in den städtischen Statuten von 1259 auch vendi-
tores librorum genannt, aber der Handel, wenigstens mit den
currenten Lehrbüchern, war kein freier: der Käufer mufste,
w r enn er die Stadt verliefs, die Bücher zu neuem Verkauf
zurücklassen.
Vincenz von Prag freilich wurde 1159 vom Bischof Daniel
pro emendis decretis et aliis libris nach Bologna geschickt ; mit
der Zeit scheint sich aber der Zunftgeist immer stärker ent-
wickelt zu haben. Man wollte in Bologna viele Bücher haben,
sie aber auch da behalten, und namentlich die Lehrbücher
nicht auswärts bekannt werden lassen; die Studenten durften
Bücher kaufen zu ihren Studien, sie aber nach einem Erlafs
20*
308 Buchhandel.
von 1334 ohne besondere Erlaubnifs nicht mitnehmen. 1 ) Wie
diese Vorsicht nicht nur in Bologna, sondern auch in Padua
gehandhabt, freilich auch umgangen wurde, zeigt uns die Ge-
schichte Heinrichs von Kirchberg, dem man nachsagte, er habe
bei seinem Abschied von Padua um 1256 eine Last Bücher
mitgenommen, die er in Heu versteckt hatte; das galt für nicht
ehrenhaft. Nicolaus von Bibera tadelt in seiner satirischen Weise
die Verläumder,
Qui diversorum sommam dixere librorum
Feno repletam, quod vix explere dietam
Portans posset equus. Nullus reor est ita cecus,
Qui reputet fenum fore iuris corpus amenum.
sine dulcore quantum fert fellis in-ore,
Tantum doctorem qui dicit preter honorem
Inde recessisse, qui mallet nil didicisse
Morte malave mori, quam detraxisset honori.*)
Dafs im 14. Jahrh. ein förmlicher Buchhandel bestand,
zeigt die Erzählung Richards de Bury c. 8: siationarioimm ac
librariorum notitiam non solum intra natalis soll provinciam,
sed per regnum Franciae, Teutoniae et Italiae comparavimus
dispersorum faciliter pecunia praevolante, nee eos ullatenus im-
pedivit distantia neque furor maris absterruit, nee eis aes pro
expensa defecit, quin ad nos optatos libros Iransmitterent vel
afferrent.
An den alten Universitäten konnte, wenn auch das Ver-
bot nicht aufrecht erhalten wurde, doch der Buchhandel nicht
recht aufkommen; er entwickelte sich mehr in anderen Städten,
vorzüglich in Mailand, Venedig und Florenz. Dem Philelphus
war 1444 ein Macrobius gestohlen, den er bei einem Schreiber
in Vicenza wiederfand. Quaesivi ex homine y unde eum sibi
codicem comparasset. Respondet emisse ex publico librario quo-
dam, quem vulgo vos bidellum appellatis. Esse autem eius taber-
nam librariam euntibus ex Rivoalto ad forum divi Marci ad
') Tiraboschi, Tomo V. Libro I § 4 nach Ghirardacci 2, 117.
2 ) Nicolai de Bibera Carmen satiricum ed. Th. Fischer p. 45.
Anfänge des Buchhandels. 309
dextram.*) Das ist die Mercerie, wo also auch Buchläden
waren. Der Name bidellus aber kommt daher, dafs auf den
Universitäten die Pedelle zugleich Stationarien zu sein pflegten.
Auch in Mailand, wo doch keine Universität war, kommt
er vor. 2 )
In Venedig sollen die Camaldulenser von San Michele
in Murano einen grofsen Verkehr mit selbstgefertigten Ab-
schriften getrieben haben. 3 ) Auch der Handel mit griechischen
Handschriften hatte in Venedig seinen Hauptsitz, und wurde
besonders lebhaft von Joh. Aurispa betrieben. 4 )
In Florenz mufste der grofse Eifer für die humanisti-
schen Studien auch den Bücherverkehr beleben, obgleich die
grofsen Sammler, denen es ja nicht um gangbare Waare zu
thun war, ihre Agenten in die Fremde schickten, und Ein-
heimische wie Fremde auf Bestellung abschreiben liefsen. Jo-
hannes Arretinus, der 1375 — 1417 viele Handschriften schrieb,
scheint nur noch in solcher Weise gearbeitet zu haben. Dafs
es aber damals auch schon förmliche Buchläden in Florenz
gab, zeigt ein Brief des Lionardo Bruni von 1416: Priscianum
quem postulas, omnes tabernas librarias perscrutatus reperire
nondum potui. 5 ) Ambrogio Traversari schrieb nach Florenz:
Oro ut convenias bibliopolas civitatis et inquiri facias diligenter,
an inveniantur decretales in parvo volumine.*) Aus Florenz
aber schreibt er an Lionardo Bruni, der eine italienische Ueber-
setzung der Bibel wünschte: Iam bibliothecas omnes et biblio-
*) Kirchhoff p. 4t.
2 ) Fredigten S. Bernhards 1378 in Mailand ab uno bidello gekauft,
Kirchhoff p. 59 nach Bandini 4, 589. Sandro bidello dello Studio di Firenze
verkauft 1494 einen Lucan an Angelo Poliziano, Kirchhoff p. 50 aus Ban-
dini 2, 507. Auch Vespasianus war bidellus, Laur. Mehus Vita Ambrosii
Camald. p. XCV.
3 ) Bluhme, Iter Ital. 4, 179 nach Mittarelli, Bibl. codd. mss. S. Mich.
Praef. p. XVI.
4 ) Bluhme 4, 169. Kirchhoff p. 39 ff. 53—57. Weitere Beitrage p. 8.
Früher Verkehr nach England p. 40.
5 ) Epp. Leon. Aret. ed. Mehus 4, 8.
6 ) Ambr. epp. ed. Mehus p. 517. Kirchhoff p. 38.
310 Buchhandel.
polas requisivi, ut si qua veniant ad manus (eligam quaeque
optima) mihi significent. Etwas später: Sum j actus certior,
magnum vulgarium librorum numerum tum sacrorum tum etiam
prqfanorum venire. Eorum tibi indicem proxime mittam. Das
Alte Testament habe er noch nicht erhalten : Reperitur quippe
venale passim, sed adeo foedis ac pessimis litteris, ut volumen
illud sanctorum patrum quod accepisti, aureum comparatione
dici possit. ! ) Hier ist also ein ganz ausgebildeter , vorzüglich
mit populären Artikeln betriebener Buchhandel deutlich zu
erkennen. Von da ab finden sich auch bei Kirchhoff ver-
schiedene Nachrichten gesammelt; nur darf man keinen Buch-
händler Otto entnehmen aus der Notiz: Da Messer Girolamo
Machiavelli in scambio cTuno paro di Decretali vecchie per
mezzo degli Otto di Batia. Die Acht waren eine Behörde, vor
welcher der Tausch vollzogen war.
Ein bedeutender Gelehrter und Buchhändler zugleich um
die Mitte des 15. Jahrh. war Vespasianus Philippi, welcher
sich selbst als librarius Florentinus bezeichnet, zugleich Bidell
der Universität. Er hatte eine grofsartige Werkstatt, und die
Ausführung der ausgedehntesten Bestellungen durch Abschreiber
scheint den eigentlichen Handel bei ihm weit überwogen zu
haben (oben p. 282).
Mehrere Händler, auch Vespasian, werden als chartularii
bezeichnet, woraus wir sehen, dafs hier, wie auch anderswo,
der Buchhandel sich gern dem Verkauf von Schreibmaterialien
anschlofs, denn cartolajo heifst ital. ein solcher Händler. Sie
hatten wahrscheinlich seit alten Zeiten Schulbücher und An-
dachtsbticher feil, und waren durch keine Aufsicht und Sta-
tuten gehemmt. 2 )
In Frankreich erblühten die Schulen gleichzeitig mit
den lombardischen; für scholastische Theologie war Paris der
Mittelpunkt, und wir finden auch hier die Stationarien, welche
*) Epistolae ed. Mehus p. 314—316.
2 ) A. Kirchhoff p. 35. Das Wort kann freilich auch einen Schreiber
bedeuten (oben p. 243), ist aber in diesem Sinne ungewöhnlich.
Anfänge des Buchhandels. 311
aber ebenfalls durch vexatorische Vorschriften gehemmt wurden.
Von ihnen werden im Statut von 1323 die librarii unterschie-
den, welche eine ansehnliche Corporation bildeten, aber auch
unter strenger Aufsicht standen. Neben ihnen spielen die
unbeeideten Händler eine nicht unbedeutende Rolle. Schon
Peter von Blois erwähnt 1170 einen Buchhändler: lihri legum
renales Parisius oblati sunt mihi ab Mo B. publico mangone
librorum. x ) Zu den Worten Johanns d$ Garlandia; platea nova
ante paravisum Dominae nostrae sagt der Commentator: Para-
visus est locus ubi libri scolarium venduntur. Es ist das parvis
de Notre-Dame, dieselbe Gegend, wo auch später die Buch-
händler besonders zu finden waren, wie denn überhaupt dies-
seit der Alpen das ganze Gewerbe sich mehr als in Italien an
die Kirche anschlofs, an den Portalen der Kirche und in ihrer
Nähe die Buchhändler immer sich ansiedelten. In Paris wohnte
alles, was zum Bücherwesen gehörte, im pays latin, und die
libraires, p archemini er s, enlumineurs, escriipveins, waren mestiers
frans 2 ), so dafs aus der Erwähnung von 8 libraires in der
Steuerrolle von 1292 nicht viel zu schliefsen ist; es sind eben
solche, welche aus einem andern Grunde steuerbar sind. In
Bayeux wurden um 1250 auch die clerici coniugati, wenn sie
pergamenum, libros vel huiusmodi ministeria ad ecclesiam per-
tinentia vendiderini, für steuerfrei erklärt, ebenso der Verkauf
in den soppae ex parte ecclesiae, den Buden (sho*ps) an der
Kirchenwand. 3 )
Ludwig IX hatte (p. 298) die Auswahl, Bücher zu kaufen
oder schreiben zu lassen, was er vorzog. Roger Baco würde
nicht die Untreue der Pariser Schreiber zu fürchten gehabt
haben (p. 260), wenn diese nicht durch den Verkauf der
Schriften Gewinn gehabt hätten. Wenzel, König von Böhmen,
schenkte 1292 dem Kloster Königsaal bei der Stiftung 200 Mark
*) Petri ßles. Opp. p. 106, ep. 71.
2 ) Depping, R£glemens sur les arts et m&iers de Paris (1837.4) p. 425.
Sie kommen deshalb auch in den Registern des fitienne Boileau nicht vor.
3 ) L. Delisle, Cartulaire de Normandie, in den Mem. des Antiquaires
de Normandie (1852) II, 6, 326.
312 Buchhandel.
Silbers pro libris comparandis. Peracto generali capitulo pre-
dicti abbates Parisius vententes, pro pecunia quam rex eisdem
dederat, multa librorum volumina emerunt. 1 ) Dem 13. Jahrh.
gehört auch ein Buchhändler an, wohnhaft vor Notre Dame,
der sich in einem Exemplar des Codex Just, in franz. Ueber-
setzung zu allen Aufträgen empfiehlt: Herneis le Romanceeur
le uendi. et qui uoudra auoir autel Hure, si uiegne a luL II en
aidera bien a conseillier. et de toz autres. 2 )
Ganz vorzüglich rühmt Richard .de Bury Paris als den
Hauptbüchermarkt. Rom erwähnt er (cap. 8) nur obenhin, von
Paris aber sagt er: beate Deus deorum in Sypn y quantus
fluminis impetus voluptatis laetificavit cor nostrum, quotiens para-
dysum mundi Parisius visitare vacavimus moraturi, ubi nobis
semper dies pauci prae amoris magnitudine videbantur. Ibi
bibliothecae iucundae super cellas aromatum redolentes, ibi virens
vtridarium universorum voluminum. Da öffnete er gerne seinen
Geldbeutel, und erwarb unschätzbare Bücher für schnödes Gold.
Im Anfang des 15. Jahrhunderts, wo der Pariser Buchhandel
sichtlich einen grofsen Aufschwung nahm, beklagt Jo. Gereon
in seiner Schrift de laude scriptorum 3 ) die fortwährende Be-
raubung Frankreichs durch die Ausfuhr von Büchern in fremde
Länder um des Geldgewinns willen.
Indem ich für die von dieser Zeit ab zahlreich nachweis-
baren Pariser Buchhändler und die wenigen Nachrichten aus
den Provinzen auf das Buch von A. Kirchhoff verweise 4 ), füge
ich nur noch hinzu, dafs im J. 1480 ein Buchhändler Guillaume
Tous6, dessen Wohnort nicht angegeben wird, sich in der
Chancellerie de Bretagne beklagte, er habe den Guillaume de
VEspine aus dem Sprengel von Cornouaille beauftragt, de porter
1 ) Chron. Aulae regiae, Dobner 5, 93.
2 ) Kirchhoff p. 86 aus Adrian, Catal. Codd. Giss. p. 276.
3 ) Opp. 2, 700.
4 ) Mehrere bedeutende Buchhändler waren lombardischer Herkunft.
Zu dem p. 97 genannten Peter von Verona vgl. oben p. 292. Nicht zu den
Buchhändlern waren die Inhaber von Schreibstuben zu rechnen, welche
Mandate und lettres closes für die burgundische Kanzlei vervielfältigten,
p. 76. 103. 127. Weitere Beiträge p; 11.
Anfänge des Buchhandels. 313
des Ihres , vendre et adener er en Bosse-Bretagne et x ailleurs en
ce pais et ducke pour le temps de demy an ; bis zum Werth von
500 livres und mehr habe er ihm anvertraut, und als Salaire
10 escuz versprochen. Nun komme er nicht. Es wurde dem-
gemäfs auf ihn gefahndet. 1 )
Auch in England hatten die Universitäten ihre Statio-
narien, welche nicht unter einer so peinlichen Aufsicht ge-
standen zu haben scheinen, und mit der Zeit wirkliche Buch-
händler wurden. Deshalb ist auch hier der Name stationers
für Buchhändler gebräuchlich geworden, später aber nur noch
für die Händler mit Schreibmaterialien geblieben, was für die
Art des Geschäfts in alter Zeit characteristisch ist. Die Ent-
faltung des Buchhandels erfolgte auch hier weniger an den
Universitäten, als in London, wo schon 1403 die Stationers
oder TexUwriters sich zu einer Gilde vereinigten. Ihre erste
Halle lag in Milk-street, nicht weit von St. PauPs, in deren
unmittelbare Nähe sie später verlegt wurde, in Paternoster-Row y
die von den Rosenkranzdrehern ihren Namen hat; in der Nähe
sind Creed-lane, Ave-Maria-lane, Amen-Corner. Hier war, und
ist grofsentheils auch heute noch, der Mittelpunkt des englischen
Buchhandels. Stationers-Hall ist noch jetzt den Buchhändlern
{librarians) und Schreibmaterialienhändlern gemeinsam; hier
wird seit den Zeiten der Königin Elisabeth das Verzeichnifs
aller mit Copy-right versehenen Bücher geführt. 2 )
Sehr viel wurde in den Niederlanden geschrieben. 3 )
Die Herzoge von Burgund und andere grofse Herren liefsen
wohl meistens auf Bestellung arbeiten, und die Brüder vom
gemeinen Leben trieben freilich die Erzeugung von BüChern
fabrikmäfsig, aber doch innerhalb bestimmter Schranken. Dem
Aufkommen eines einfach gewerblichen Betriebes werden sie
hinderlich gewesen sein. Als im Vorrath für den Verkauf ge-
arbeitet erscheinen namentlich die eleganten Gebetbücher mit
*) Arthur de la Broderie in der Bibl. de Tficole desChartes 5, 3, 49.
2 ) s. über die Anfänge des englischen Buchhandels A. Knjchhoff, Hand-
schriftenhändler p. 61—100. Weitere Beiträge p. 34. 35.
3 ) Kirchhoff p. 117. 127.
314 Buchhandel.
freigelassenem Raum für das Wappen des Besitzers (p. 212).
In Brügge (1454) ui>d Gent (1463) traten Schreiber und Illu-
minatoren (verlichters) zu eigenen Librariers Gilden zusammen,
veranlafst durch die Einsprache der Maler (schylders), welche
den Verlichters die Arbeit mit dem Pinsel nur gegen eine Ab-
gabe gestatteten. Man erkennt daran die grofse Bedeutung
dieses Kunstzweiges. 1 )
In Deutschland finden wir ebenfalls in den Stiftungs-
urkunden und Statuten der Universitäten die Stationarien, aber
sie treten hier wenig hervor. Theils hatte man hier kaum
Veranlassung, sich so eifersüchtig gegen Concurrenz mittelst
ausgeführter Hefte vorzusehen, theils scheinen die Studenten
hier mehr selbst abgeschrieben zu haben. Die Statuten von
Prag und Wien gestatten den Magistern und Baccalarien unter
gewissen Bedingungen ein Buch zu pronuntiare, und zwar ßde-
liter et correcte, tractim et distincte, assignando paragrapkos,
capitales literas, virgulas et puncto, proul sententia regutrit. 2 )
Da wurde also förmlich dictirt und nachgeschrieben, und viele
der schlecht und flüchtig geschriebenen Handschriften auf unsern
Bibliotheken werden so entstanden sein. Weiter strebende Ge-
lehrte fanden in Klosterbibliotheken und den beginnenden
Universitätsbibliotheken Stoff genug, an Lohnschreibern fehlte
es nicht. Ein eigentlicher Buchhandel konnte dabei schwer
aufkommen, doch .nennt Richard de Bury auch Deutschland
unter den Ländern, von welchen ihm käufliche Bücher zu-
kamen, und Gerhard Groote kaufte vorzüglich in Frankfurt
Bücher. 3 )
!Aufserhalb des geistlichen Standes kam erst spät ein Lese-
bedürfnifs auf. Die Frauen hatten ihren Psalter, der im Sach-
*) Kirchhoff, Weitere Beiträge p. 27 ff.
2 ) A. Kirchhoff p. 115. 187. vgl. p. 124 eine grammatische Handschrift,
1464 von dem Ulmer Schulmeister pronunciirt, durch einen Schüler (Ulme
visitantem) nachgeschrieben.
3 ) Delp^at, Verhandeling over de Broederschop van G. Groote (1856)
p. 11. R. Agricola wünscht 1485 Bücher von den Bibliopolen auf der
Frankfurter Messe. Kirchhoff p. 121.
Anfänge des Buchhandels. 315
senspiegel zur Gerade gerechnet wird; in der Regel wird er
in einem Kloster geschrieben sein. Als eine lebhaftere Nach-
frage nach Andachtsbüchern entstand, fand sie am Niederrhein
bei 'den Brüdern vom gemeinen Leben Befriedigung ; dieselben
sorgten auch für Schulbücher. Der aufstrebende Bürgerstand
konnte einige Schulbildung picht entbehren; im 13. Jahrh.
wufste er sich in den bedeutenderen Städten seine eigenen
Schulen zu verschaffen, und von da an mufs der Bedarf rasch
gestiegen sein. Der Schullehrer selbst fand einen guten Er-
werb in der Anfertigung von Donaten u. dgl., und wenn er ge-
schickt genug war. liefs das Geschäft sich auch ausdehnen,
denn endlich gab es einen schon recht zahlreichen Laienstand,
der lesen konnte und sogar zur Unterhaltung lesen wollte.
Auch Fürsten und Edle begnügten sich nicht mehr mit den
Sprüchen der fahrenden Leute; sie wollten die schönen Ritter-
geschichten und lustigen Schwanke in Abschrift haben. Konnten
sie auch vielleicht selbst nicht lesen, so fand sich doch jemand
im Hause, der daraus vorlesen konnte. Häufig schrieb der
Hofkaplan oder ein gemietheter Schreiber die Bücher ab, aber
man fand sie auch schon käuflich beim Stadtschreiber ! ) oder
Schulmeister, oder auch bei einem Pirmenter, der mit seiner
Waare die Messe bezog, und manchmal mehr und mehr zum
Buchführer wurde. Wieder ist es ein Augsburger, der uns in
solcher Thätigkeit begegnet, Ulrich Friese, welcher mit Per-
gament und Büchern die Nördlinger Messe besuchte. 2 ) Es war
auch hier die Pfarrkirche, welche diesem Handel sich öffnete,
und nicht gar lange ist es her, dafs in Lübeck die Marien-
kirche zwischen den Pfeilern der Aufsenwand Buden beher-
bergte, in denen nebst Schreibmaterialien auch Schulbücher
und anderes der Art verkauft wurde, und eine solche Bude
auch in der schönen Briefkapelle stand, welche davon ihren
Namen hat. Briefe nannte man nämlich die mit geschriebenen
*) Ueber die Nördlinger Stadtschreiber s. Kirchhoff p. 121. 123 nach
Beyschlag.
2 ) Beyschlag, Beiträge zur Kunstgeschichte von Nördlingen, 3, 48. 53.
Kirchhoff p. 121.
316 Buchhandel.
oder gedruckten Gebeten versehenen Heiligenbilder , . welche
dort ausgeboten wurden; von ihnen haben die Briefmaler ihren
Namen.
Merkwürdig ist in verschiedener Beziehung Hugo von
Trimberg, Schulmeister bei S. Gangolf in der Theuerstadt
vor Bamberg von 1260 bis 1309 oder noch länger, merkwürdig
weil er so früh schon als Laie einer Schule vorstand und eine
sehr umfassende gelehrte Bildung besafs, und weil er in seinem
Renner, den er in hohem Alter schrieb, uns meldet, dafs er
200 Bücher besafs, mit denen er im Alter nach der alten
Lehrer Sitte sich seinen Unterhalt zu verdienen hoffte. Leider
sagt er uns nichts über die Art und Weise ; wollte er sie etwa
gegen Zins verleihen ? Er klagt, dafs seine Hoffnung getauscht
sei, weil niemand jetzt die Kunst lernen wolle. Handel scheint
er also mit Handschriften nicht getrieben zu haben , wohl aber
haben seine Gollegen es gethan, und auch den Geschmack
ihrer Zeitgenossen besser zu treffen gewufst.
Ein Notar, zugleich Schulmeister in Innsbruck, schrieb
1411 einen Beichtspiegel ab, an dessen Schlufs er den Leser
um ein Ave Maria für seine Seele bittet; dann macht er seiner
Fröhlichkeit über die vollendete Arbeit Luft in den seltsamen
Versen :
Detur pro penna scriptori hawbotehenna.
Est michi penna carior quam hawbotehenna. 1 )
Man kann daraus wohl schliefsen, dafs er sich viel mit
Abschreiben beschäftigte; ob aber auf Bestellung oder zum
Verkauf, bleibt zweifelhaft. Ebenso verhält es sich 1475 mit
Joh. Burchler, lector scholarum in Murbach. 2 ) Dagegen finden
wir in einer Bautzener Schulordnung von 1418 die ausdrück-
liche Verpflichtung der Kinder, ihre Schulbücher von dem
Locatus zu kaufen, mit Angabe des Preises. 3 ) Einen vorztig-
1 ) Denis 1, 2548, vgl. Kirchhoff p. 119.
2 ) Montf. Bibl. Bibl. 2, 1177.
3 ) Kirchhoff p. 120 aus der Buchdruckergesellschaft zu Dresden Jubel-
geschichte 1740, mit einer Vorrede Chr. Schoettgens.
Anfänge des Buchhandels. 317
lieh industriellen Schulmeister aber, und förmlichen Buch-
händler finden wir in Hagen au. In der Handschrift von
Boner's Edelstein in Heidelberg (Pal. 314), welche mit anderen
Stücken von 1443 und 1447 zusammengebunden ist, steht auf
dem ersten Blatte: Item zuo Hagenow pij Dijpold Laber
schreyber lert die Kinder sind die bücher tütsch : Item gesta
romanorum gemalt u. s. w. Das ganze Verzeichnifs steht in
Wilken's Gesch. der Heidelberger Büchersammlungen p.. 406.
Es ist aber zu bemerken, dafs das Zeichen, welches über dem
a steht, wohl ein o vorstellt, wie denn auch in anderen Ver-
zeichnissen gemolt steht. Auch hat Wilken irrig lerer statt
lert gelesen, was in alle späteren Bücher übergegangen ist.
Uebrigens nennt Lauber sich nur hier Lehrer, in anderen
Büchern bezeichnet er sich einfach als Schreiber; das war
offenbar sein Stand und Gewerbe, und er gehört vielleicht
richtiger unter die Schreiblehrer, als unter die betriebsamen
Schulmeister. Eine ganz kurze Ankündigung enthält die Ber-
liner Handschrift Germ. fol. 18 von Flos und Blankflos, deren
Bilder nicht ausgeführt sind: Item zuo Hagenowe vil hübscher
bücher geistlich oder weltlich hübsch gemolt bij Diebolt Louber
schriber vnd guote launische bückere. l ) Wieder ein langes Ver-
zeichnifs enthält die Legende von den h. drei Königen in
Berlin, mit dem Anfang: Item welcher hande bücher man gerne
hat, gross oder dein, geistlich oder weltlich, hübsch gemolt, die
findet man alle bij Diebold Louber schriber in der bürge zu
Hagenow. 2 ) Fast dieselben Worte fand J. Mone in einem
deutschen Psalter zu Lichtenthai. 3 j Hier steht aber voran
noch ein Brief an einen Juncherren, worin Lauber erzählt, dafs
Herzog Ruprecht bei ihm sieben Bücher bestellt habe und sich
*) Kirchhoff p. 126 nach v. d. Hagen und Büsching, Grundrifs p. 159.
a ) M. Haupt in der Zeitschrift f. deutsches Alterthum 3, 191; die
sehr ähnliche Ton Sotzmann in F. v. Raumers Hist. Taschenbuch 1841
S. 537 mitgetheilte Inschrift scheint identisch zu sein mit derjenigen, welche
H. Lempertz in den Bilderheften zur Gesch. des Bücherhandels 10 (1862)
Taf. 1 in einem sehr schönen Facsimile gegeben hat.
3 i Schriften des Alterthumsvereins für Baden (1846) 1, 254.
318 Buchhandel.
gegen den Junker erbietet, für ihn König Artus und Herr
Iwein, die er gern hätte, unentgeltlich zu schreiben, wenn er
ihm einen freundlichen Bittbrief an Meister und Rath geben
wolle. Nur die Kosten für Malerei und Einband bittet er sich
aus. Dafs die, meist sehr rohe, Malerei von anderer Hand
besorgt wurde, zeigt das nicht seltene Fehlen der Bilder. Von
den Büchern aber sagt Lauber: die schribe ich yetz\ von Ge-
htilfen ist keine Rede. Mone zieht nun hierhin freilich noch die
Unterschrift eines Schwabenspiegels:
Dis buch hat geschriben
Hans Windeberg von Hagenowe
Vnd ist nutzit vngemacht bliben
Das menglich das besehowe
Obe ich im reht habe geton
Das man mir dann gebe den Ion.
Allein das scheint vielmehr ein aus Hagenau gebürtiger
Lohnschreiber geschrieben zu haben. 1 ) Eine Genossenschaft
von Buchschreibern zu Hagenau, wie Mone will, ist also nicht
erwiesen, und nur der Zweifel gerechtfertigt, ob Laubers Fleifs
zu diesem ansehnlichen Vorrath, den er anbietet, ausgereicht
haben könne. Es ist nun aber von Kirchhoff p. 53 eine Ab-
schrift des Seneca angeführt, welche nach dem Schlufswort
1390 in Venedig vollendet ist durch Gabriel Magistri Albertini
de Ravenna; darunter steht noch: Chartae huius Ubri scriptae
sunt cxliv. et non plures, et pro singulo latere chartae versus
xliL Martinus scripsil. Er folgert daraus, dafs wohl auch in
andern Fällen, wo der eigentliche Schreiber nicht genannt ist,
nur der verantwortliche Unternehmer uhterzeichnet sein möge,
und dafs sich daraus die sonst unglaubliche Fruchtbarkeit
einzelner Schreiber erkläre. Genau zu demselben Ergebnifs ist
Alwin Schultz gelangt in Betreff der burgundischen Hand-
schriften, welche unterzeichnet sind grosse par David Aubert. 2 )
') Cod. Pal. Germ. 89. Wilken p. 338.
2 ) in der oben p. 220 angeführten Schrift, welche 1869 als Festge-
schenk für den Verein der bildenden Künste erschienen ist, in Comm. bei
Jos. Max & Comp.
Kirchenbibliotheken. 319
Sehr wahrscheinlich ist, dafs auch Diepold Lauber mehrere
Personen beschäftigte. Sein Verlag ist durchaus populärer
Natur; aufser den deutschen Gedichten umfafst er Reimbibeln,
Andachtsbücher, Arzneibücher, gemalte Loosbticher, die goldene
Bull und andere Rechtsbticher, meist auf Papier; dafs Sant
Wylhelm in birmit ist, wird besonders hervorgehoben.
Auch hier also geht das eigentliche Gewerbe naturgemäfs
nicht aus dem gelehrten Bedtirfnifs hervor, welches noch einen
zu beschränkten Absatz bietet, und die Bedeutung der Hage-
nauer Werkstatt bewährt sich auch dadurch, dafs eine schwung-
hafte Buchdruckerei sich unmittelbar daran schliefst.
VII.
Bibliotheken und Archive.
1. Kirchenbibliotheken.
Ohne einige Bücher konnte von sehr früher Zeit an keine
christliche Kirche bestehen; sehr bald entstanden auch, wie
schon früher bei einzelnen heidnischen Tempeln, bei den be-
deutenderen Kirchen, den bischöflichen vorzüglich, gröfsere
Sammlungen. Die Klöster haben zeitweise die Pflege ihrer
Bibliothek als eine ihrer vorzüglichsten Aufgaben betrachtet.
Auch die profane Litteratur hat schon frühzeitig Eing'ang in
diese Sammlungen gefunden, weil sie für die gelehrten Studien
und den Unterricht der jungen Geistlichkeit unentbehrlich war.
In Constantinopel hatte der Patriarch im Thomaütes
eine Bibliothek, welche bei den Synodalverhandlungen oft er-
wähnt wird. Sie ist 780 verbrannt, aber natürlich wiederher-
gestellt. *)
M Du Cange, Constantinopolis Christiana lib. II c. 8. Ein Verzeichnifs
der Handschriften in der Bibl. des Patriarchats von Jerusalem in Constan-
tinopel, von Bethmann, in Pertz' Archiv 9, 645—656.
320 Bibliotheken und Archive.
Auch die Klöster der griechischen Kirche hatten Biblio-
theken, und Montfaucon hat p. 108 ff. die Klöster zusammen-
gestellt, aus denen ihm Handschriften bekannt geworden
waren. Es fehlen uns aber hier gänzlich jene lebensvollen
Chroniken, denen wir im Abendland ein so farbenreiches Bild
der litterarischen Bestrebungen in den Klöstern zu danken
haben. Als Johannes Aurispa noch eben vor dem Untergang
des Reiches seine Bücherschätze entführte, machte man es ihm
zum grofseii Vorwurf, dafs er die Stadt der heiligen Schriften
beraube: genlilibus enim non tarn grande crimen videbatur.
Prokop über den Gothenkrieg und Xenophon rcegl i7Z7ziKrjg
hatte ihm der Kaiser selbst geschenkt. Im Kloster Petra
kannte er eine kostbare Bilderhandschrift des Kräuterbuches
mit Beischriften in griechischer, lateinischer und einer unbe-
kannten Sprache, die er für käuflich hielt 1 )
Von besonderer Wichtigkeit sind die Klöster des Berges
Athos, weil sie einen Theil ihrer Schätze bis auf unsere Zeit
gerettet haben. Unter Basilius Macedo (867 — 886) zuerst er-
wähnt, wurden sie 911 selbständig, und zeitweise mufs hier
eifrig geschrieben sein, nicht ohne wissenschaftlichen Sinn.
Noch 1701 schreibt Jo. Comnenus 2 ) von den Mönchen bei S.
Anna: ol öh Ixeioe xcctomovvt€q eorniixai xcti aazjjTcei Kwai ph
tb £Qy6xeiQov tovq' xal ol fiev elvcu xaXXiyQaq)oi 9 ol de ßißkio-
dercu, akloi 6k ipdXrca. Er rühmt auch sehr die Bibliotheken
einiger Klöster, doch werden in früheren Erwähnungen die
Mönche arger Unwissenheit beschuldigt und die kostbarsten
Pergamente sind und werden zu unedlen Zwecken verbraucht. 3 )
In Aegypten wurde bis zur Eroberung durch die Araber
fortgeschrieben, und wenn auch die übrigen Bibliotheken zu
Grunde gegangen sind, so haben doch im Katharinenkloster
auf dem Sinai uralte Handschriften sich erhalten, wie Tischen-
dorfs Entdeckungen beweisen.
*) Ambrosii Camald. epp. p. 1027. 1033.
2 ) bei Montf. Pal. p. 457.
3 ) Victor Langlois, Le Mont Athos et ses Monasteres. Paris 1867, 4.
Vgl. auch oben p. 231.
Kirchenbibliotheken . 321
In Italien besuchte Ambrogio Traversari 1432 das Kloster
Grotta ferrata in der Hoffnung griechische Handschriften da
zu finden ; sie waren aber im traurigsten Zustand : ita dissipata,
disrupta et conscissa et putrida erant, ut miserabilem omnino
faciem praeferrenl. Freilich hatte das Kloster lange Zeit Sol-
daten zum Quartier gedient. 1 )
Die Bibliothek von S. Giovanni a Carbonara in Neapel,
aus welcher so kostbare griechische Manuscripte in die Wiener
Hofbibliothek gekommen sind, war keine alte Klosterbibliothek,
sondern stammte von Janus Parrhasius. 2 ) Die Augustiner
schenkten sie 1729 an Kaiser Karl VI, um nicht durch die
Besuche der Gelehrten in ihrer Buhe gestört zu werden. 3 )
Im Abendland ist die Bibliothek der römischen
Kirche frühzeitig durch ihren Beichthum ausgezeichnet; Bücher
werden von dort als Geschenke versandt und erbeten. Lupus
von Ferneres schreibt 855 an den Pabst Benedict III, um
Exemplare zum Abschreiben zu erbitten ; die Werke des Hiero-
nymus nennt er, aber auch Cicero de Oratore, Quintilian, Donat
zum Terenz. 4 ) Als im Laufe der Zeit die römische Kirche in
tiefe Unwissenheit versank und durch kriegerische Ereignisse
heimgesucht wurde, litt natürlich die Bibliothek, doch fanden
noch 1276 Griechen darin ein wer th volles Werk, dessen Copie
die Inschrift hat: evcc7teT£&r] Iv Ttj ßaoilrAfj ßißXto&rjxr]' /lie-
TeyQcccprj de anb ßißliov ^vQeß-ivTog ev rfj 7cakaia ßißliod-i]/.^
irjg aylag e*xlr]oiag ifjg TtQeaßvxeQag c Pw[,irjg. Die mitge-
theilte Zeitbestimmung des Originals enthält Widersprüche,
scheint aber auf 859 zu deuten. 5 ) Dagegen fand sich A. Tra-
versari 1432 bei seinen Nachforschungen getäuscht: Biblio-
tkecam S. Petri vldere volui, sperans aliquid inventurum novi.
Audieram enim complura ibi esse volumina. Sed nihil omnino
') Ambrosii Camald. epp. p. 407 ed. Mebus. Vgl. oben p. 174.
2 ) Montf. Pal. p. 212; vgl. Blume, Iter Jtal 4, 3.
3 i Valery, Correspondance de Mabillon et de Montf aucon 1, 185.
4 ) Blume's Iter Italicum 1, 41 ff. 3, 13 ff. Das Hauptwerk über die
italienischen Bibliotheken.
5 ) Montf. Pal. p. 66.
Wattenbach, Schriftwesen 21
322 Bibliotheken und Archive.
memoria dignum Inveni. Vix pauca ex rebus notissimis offendl,
villa et iuxta graecum proverbium Contendam inspicere
et reliqua. 1 ) Im vorhergehenden. Briefe gedenkt er der päbst-
lichen Bibliothek : Pontißcls bibllothecam ingressus graeca Volu-
mina quaedam notavl. Novi nihil inveni praeterguam Isaac Syri
opuscula. Zunächst handelt es sich hier um griechische Bücher ;
doch ist es nicht zu verwundern, wenn von der alten Bibliothek
der römischen Kirche überhaupt nicht viel übrig geblieben war;
die bald darauf erfolgte neue Stiftung gehört in einen anderen
Zusammenhang.
Neben der Capitelsbibliothek zu Verona, welche sehr
alte Handschriften bewahrt hat, ist seit dem Anfang des
7. Jahrh. Bobio hervorragend durch Bücherreichthum. Später
sind auch hier, wie fast überall, die Handschriften verwahrlost ;
eine grofseAnzahl erwarb der Cardiifal Borromeo für die Am-
brosiana, andere Paul V 1618 für die Vaticana; zuletzt kam
der Rest nach Turin. 2 )
Wie Bobio von Luxeuil ausgegangen, hat Corbie seine
Bibliothek bis ans Ende sorgfältig gepflegt, wenn auch Zeiten
der Vernachlässigung hier so wenig, wie irgendwo sonst, fehlten.
Alexander III bestätigte dem custos llbrorum eine Stiftung ad
reparatlonem et emendaüonem librorum bibllothecae vestrae) quae
nimis senuerat, et ad constitutionem novorum llbrorum. Nach
1350, als die Mönche schon aufgehört hatten, selbst zuschrei-
ben, erscheint Etienne de Conty als besonderer Wohlthäter der
Bibliothek; es sind vorzüglich Pfarrer und Vicare, welche in
seinem Auftrag abschrieben. 3 )
In der Zeit eifrig betriebener Studien fehlt keinem Bis-
thum und keinem Kloster die Bibliothek, und von manchen
derselben ist schon wiederholt die Rede gewesen. Der Reich-
*) epp. 8, 34 p. 409 an Niccoli. Die griechischen Worte fehlen in der
Ausgabe.
2 ) Die Geschichte, mit dem Inventar von 1461 , von Am. Peyron vor
seiner Ausgabe von M. Tullii Ciceronis Orationum Fragmenta, 1824. 4.
3 ) Recherches sur Tancienne Bibliotheque de Corbie, par Leopold
Delisle. Mem. de l'Institut 24, 266—342.
Kirchenbibliotheken. 323
thum der Dombibliothek zu York, auch an profanen Schrift-
stellern, ist durch Alcuins Gedicht bekannt. Besondere Er-
wähnung verdient hier Reginbert, der vortreffliche Biblio-
thekar von Reichenau, der bis an seinen Tod 846 für die
Bücher sorgte, wie ein Vater für seine Kinder, sie rastlos zu
vermehren bestrebt war, und 821 einen noch erhaltenen Ka-
talog begann. 1 ) Am Schlufs fügt er das Verzeichnifs der
Bücher bei, welche er selbst mit Erlaubnifs der Aebte de meo
gradu, d. h. wohl in seiner amtlichen Stellung und von den
Einkünften derselben, scripsi aut scribere feci vel donatione
amicorum suscepi.
In die von ihm selbst geschriebenen Bücher trug er die
Verse ein:
Magno in honore dei dominae genetricis et almae,
Sanctorum quoque multorum quibus Auua fovetur,
Condidit hoc corpus permissu adiuta priorum
Cura Beginberti scriptoris, in usibus optans
Hoc fratrum durare diu salvumque manere.
Et ne forte labor pereat confectus ab ipso,
Adiurat cunctos domini per amabile nomen,
Hoc ut nullus opus cuiquam concesserit extra,
Ni prius ille fidem dederit vel denique pignus,
Donec ad has aedes quae accepit salva remittat.
Dulcis amice, gravem scribendi attende laborem:
Tolle, aperi, recita, ne laedas, Claude, repone.
Diese rührende Bitte hat die Vernichtung der Bibliothek
nicht zu hindern vermocht; von den Handschriften, welche .
er mit so grofser Mühe geschrieben hat, sind fünf Blätter
des Liber sextus 2 ) mit dem InhaltsveTzeichnifs in die Libri-
sche Sammlung gekommen. 3 ) Hier, wie in dem Liber unde-
') vgl. oben p. 101. Er ist gedr. bei Neugart, Ep. Constant. 1, 536
bis 552; die folgenden Verse p. 152.
2 ) Neugart 1. c. p. 548.
3 ) Catalogue (1859) p. 246, n. 1112. Am SchluCs des Verzeichnisses:
Libellus Plenü (sie) secnndi de diver sis in orbe signis, nicht wie bei Neu-
21*
324 Bibliotheken und Archive.
cimus 1 ), folgt auf das Verzeichnifs ein prosaisches Nachwort,
welches den eben angeführten Versen genau entspricht.
In dem lombardischen Kloster Pomposa brachte im elften
Jahrhundert der Abt Hieronymus trotz des Murrens der Mönche
eine grofse Sammlung von Abschriften zusammen. Der von
ihm damit beauftragte Bonus spürte überall den Autoren nach,
qui etiam aestuans ut tanlum librorum exempla colligerct, non
curabat dislinctas et decoras litteras, sed qvoquomodo formatas.
Decreverat enim praedictus abbas eosdem rescribere et in unum
bibliothecae corpus colligere. Der Henricus clerwus, welcher
1093 einem wifsbegierigen Freunde darüber Bericht erstattet,
war auch dabei thätig. Keine Kirche, behauptet er, selbst
Rom nicht, könne sich mit dieser Fülle von Büchern messen.
Zur Sicherung des Schatzes deponirte er einen Katalog. Am
Schlüsse desselben hält er es für nöthig, Böswilligen gegen-
über den Abt zu entschuldigen, dafs er auch heidnische Bücher
aufnehme, was ihm manche verdenken würden. 2 ) Solchen
Scrupeln begegnen wir sonst kaum in diesen Zeiten lebhafter
wissenschaftlicher Bestrebungen ; den zahlreich erhaltenen alten
Katalogen fehlen nicht leicht die Virgile, Ovide, und andere
gangbare Autoren.
Wie die Bibliotheken durch Abschriften und durch Kauf
vermehrt wurden, ist schon früher berührt; hier ist nur noch
der Geschenke zu gedenken, ßeginbert hat ein ganzes Ver-
zeichnifs von Buch ern, welche dieser oder jener Priester dedit,
attulit; es sind Mefsbticher, welche dann wieder Angehörigen
des Stifts zur Benutzung gegeben wurden. 3 ) Von verschie-
denen Bereicherungen der S. Galler Bibliothek berichtet die
Klosterchronik, namentlich auch von dem irischen Bischof
Marcus, der mit seinen Büchern im Kloster blieb. 4 ) Sehr ge-
gart p. 548 de natura verum. Facs. auf PL 4. 18. 19, von Glossen, Hymnen,
vollständig das Inhaltsverzeichnifs mit dem Nachwort.
! ) Mon. Germ. 2, 332. Jaffe\ Bibl. 3, 425.
2 ) Epistola Henrici clerici ad Stephanum bei Montf. Diar. Ital. p.
81—96; vgl. Blume Iter It. 2, 215.
3 ) Neugart, Ep. Con stank 1, 545.
4 ) Mon. Germ. 2, 78.
Kirchenbibliotheken. 325
bräuchlich war es, bei dem Eintritt ins Kloster Bücher zu
opfern; so brachte 1055 der Priester Bicholf seinen gleichna-
migen Sohn in Benedictbeuern dar, mit einer Schenkung an
Gut; die Mutter Frobirgis aber übergab ein Werk des 1*. Am-
brosius. 1 ) Gegen das Ende des elften Jahrhunderts brachte
ein nobilis clem'cus, der in Tegernsee Mönch wurde, so viele
Bücher mit quot circumstantia principalis altaris ab imo usque
ad summum capere poterat. 2 ) Eine Glosse zu den Evangelien
saec. XII aus Heilsbronn hat die Inschrift: Istum librum f rater
Henricus Kruth tulit secum de saeculo ad claustrum. 3 ) Man-
cherlei Büchergeschenke enthält das merkwürdige Fragment
eines Gabenbuches saec. XIII aus dem Schotteükloster zu
Wien. 4 ) Von ihren Landsleuten brachte David Beda's Com-
mentar zu den Psalmen, Patricius textum evangelii, Maclan
ein Plenar, Mailcolm die Visio Wettini; der Abt Malachias
schenkte die Moralien und ein Buch über die Kunst zu pre-
digen. Otto, Dechant zu Passau, gab einen Lectionar für die
Brüderschaft; des Bischofs Gaukler ein deutsches Buch, der
Caplan des Grafen von Plaien das deutsche Buch von Kaiser
Karls Heerfahrt gegen die Sarazenen; des Herzogs Leibarzt
ein Buch über die Pest. Jutta, die Witwe des Malers March-
ward, schenkte colores mullos. Später entartete das Kloster,
so dafs es zum Sprtichwort wurde: man leut die pierglockhen,
wer sein weib verlorn hab, der suchs zu den Schotten.*) Sie
wurden 1418 vertrieben und deutsche Mönche zogen ein. 6 )
Da begannen die Geschenke von neuem reichlich zuzuströmen,
und viele Bücher waren wieder darunter. 7 ) Eine förmliche
*) Mon. Boic. 7, 40.
2 ) Chron. Teg. in Pez' Thes. 3, 3, 516.
3 ) Innischer, Erlanger Handschriften p. 33.
4 ) ed. Zappert, Sitzungsberichte der Wiener Akademie 13, 172 — 183.
5 ) Lad. Suntheims Donauthal, im Jahrbuch für Vaterl. Gesch. p. 293.
°) Die Kongregation der Schottenklöster, Archäolog. Zeitschrift von
Otte und Quast 1, 55.
7 ) Zappert 1. c. p. 110 — 115. Darunter Summa Pysani rubricata, was
vielleicht die alphabetische Anordnung bezeichnen mag.
326 Bibliotheken und Archive.
grofse Stiftung aber machte 1453 testamentarisch der Doctor
Johannes Polzmacher, indem er dem Schottenkloster seinen
ansehnlichen Bücherschatz Vermachte. 1 ) Aufser vielen juristi-
schen Werken finden sich in dem Verzeichnis auch einige
Werke alter Dichter, darunter mehreres von Ovid. Man war
liberaler geworden seit 1402, wo der Kanzler der Universität
dem aus Italien berufenen Decretisten Johann von Venedig
Ovids Metamorphosen confiscirt hatte. 2 ) Diese Bücher bildeten
nun aber keine Klosterbibliothek nach alter Weise; sie waren
ausdrücklich bestimmt zum Besten der juristischen Facultät,
deren Mitgliedern sie gegen hinlängliches Pfand gelffehen wer-
den sollten. Weil sie aber durch die Benutzung leiden wür-
den, so sollten die Entleiher pro reformatione Ubrorum aut
librarie eorundem eine angemessene Summe zahlen, doch Un-
vermögenden dieselbe ganz oder theilweise erlassen werden.
Zappert, der diese merkwürdigen Documente gefunden und
herausgegeben hat, stellt p. 132 ff. noch einige Beispiele von
Legaten und Geschenken zum Seelenheil zusammen; merk-,
würdig ist die Stiftung eines Diurnals und Psalters in Augs-
burg 1313, welche im Ostchor angekettet werden sollten, da-
mit arme Pilger ohne eigene Bücher hier ihre Hören beten
könnten.
In feierlichster Form wurde um 1180 die Schenkung
einiger Bücher an das Kloster Scheftlarn vor dem Generaf-
capitel des Freisinger Bischofs vollzogen und publicirt. 3 ) In
diesem Kloster schrieben sogar die Pröbste selbst noch im 14.
Jahrh. Bücher und liefsen schreiben; Konrad Saechsenhäuser
kaufte für 170 fl. das Speculum historiarum in 4 Bänden, und
auch seine Nachfolger kauften Bücher. 4 )
*) ib. p. 135—143. Darunter auch p. 139 der Occultus. Dem Kloster
Sedletz hatte er auf ein Decret 80 ung. fl. geliehen, ut patet in cirogra-
phis hinc inde emanatis ; diese schenkte er der Peterskirche in Brunn, deren
Probst er war.
2 ) Aschbach, Gesch. der Wiener Univ. p. 304.
3 ) Kunstmann im Oberbayer. Archiv 14, 322.
4 ) Mon. Germ. SS. 17, 349.
Kirchenbibliotheken. 327
Von Stiftungen für Scriptorien war schon früher dieKede;
in Evesham wurden Statuten gemacht, und auf dem allge-
meinen Concil (1215) bestätigt, wonach gewisse Zehnten dem
Priorat gehören sollten ad pergamenum et exhibitionem scrip-
torum pro libris scribendis. ! ) Der Präcentorie wurde eine Rente
von 5 sol. 18 den. angewiesen: ex his debet invenire prae-
centor incaustum omnibus scriptoribus monasterii et pergamenum
ad brevia et colores ad illuminandum et necessaria ad ligandum
libros. 2 ) Aus den Rechnungsbüchern von Ely weist Merry-
weather 3 ) nach, dafs die Geistlichen 1300 5 Dutzend Pergament
kauften, 4 Pfd. Dinte, 8 Kalbshäute und 4 Schafshäute zum
Einbinden; dann wieder 5 Dutz vellum, 6 Paar book-clasps,
Decretalen für 3 Schilling und Speculum Gregor, für 2. Pro
tabula paschali Jac. de novo et illumin. 4 solidos. Der Präcentor
erhielt 1329 6 s. 7 d. um nach Balsham zu reisen und nach
Büchern zu forschen. Für 12 eiserne Ketten wurden 4 s. be-
zahlt, und um die Mitte des 14. Jahrh. in wenigen Jahren
70 Dutz Perg. und 30 Dutz vellum gekauft.
Adam, Schatzmeister des Capitels zu Rennes, schenkte
1231 seine Bibliothek der Abtei von Penpont gegen das eid-
liche Versprechen, nichts zu entfremden und nur gegen völlig
sichere Bürgschaft Bücher auszuleihen. Wenn sie aber einen
der Brüder ad scölas schicken würden, dürften sie ihm Bücher,
mitgeben. Dagegen tibernahmen sie eine Altarstiftung. 4 )
Salimbene erzählt p. 376 zum J. 1287, dafs ein Minorit
Guidolinus zum Orden der Benedictiner in Nonantula über-
ging, wo er Abt geworden wäre, wenn nicht die Minoriten es
verhindert hätten; doch war er thatsächlich Herr der Abtei,
wo er Minoriten wie Engel des Herrn aufnahm, und die Brüder
bat, quod semper in illo monasterio, cum monasterii expensts,
duos scriptores haberenl, propter copiam librorum quae ibi est,
*) to procure manuscripts for transcription übersetzt Merryweather
p. 134, ich weifs nicht ob richtig.
2 ) Dugdale, Monasticum Anglicanum 2, 24.
3 ) p. 167 aus Stevenson's Supplement to Bentham's Church of Ely p. 52.
4 ) Bibl. de l'Ecole des Chartes 5, 3, 39; die Urkunden p. 50-53.
328 Bibliotheken und Archive.
ad originalia scriptorum plenissime describejida. Aber was war
1433 aus dieser berühmten Bibliothek geworden, als Ambrogio
Traversari sie besuchte? Er hatte gehört, plurima mirae vetu-
statis Wie pulvere et situ iacere demersa; sehen aber konnte er
gar nichts, weil der Abt die Existenz der Bibliothek völlig
verleugnete. 1 ) Nicht viel besser sah es schon früher inMon-
tecasino aus, wo einst unter Desiderius die Bibliothek einer
so eifrigen Pflege sich erfreut hatte. Zur Erläuterung der Verse
des Dante, Parad. 22, 74:
e la regola mia
Rimasa 6 giü per danno de le carte
welche schon die damalige Verwahrlosung der Bibliotheken in
den Klöstern der italienischen Benedictiner als allgemeine
Thatsache hinstellen, sagt Benvenuto von Imola 2 ): Volo ad
clariorem intelligentiam huius liier ae referre illud, quod nar-
rabat mihi iocose venerabilis praeeeptor meus Boccacius de Cer-
taldo. Dicebat enim, quod dum esset in Apulia, captus Jama
loci accessit ad nobile monasterium Montis Casini, de quo dic-
tum est. Et avidus videndi librariam, quam audiverat ibi esse
nobilissimam , petivit ab uno monacho humiliter y velut ille qui
suavissimus erat, quod deberet ex gratia sibi aperire bibliothecam.
At ille rigide respondit, oslendens sibi altam scalam: Ascende
quia aperta est. Ille laetus ascendens invenit locum tanti the-
sauri sine oslio vel clavi, ingressusque vidit herbam natam per
fenestras, et libros omnes cum bancis coopertos pulvere alto. Et
mirabundus coepit aperire et volvere nunc istum librum, nunc
illum, invenitque ibi multa et varia volumina antiquorum et pere-
grinorum librorum. Ex quorum aliquibus erant detracti aliqui
quinlerni, ex aliis recisi margines ckartarum, et sie mulHpliciter
deformati. Tandem müeratus, labores et studia tot inelytorum
ingeniorum devenisse ad manus perditissimorum hominum, dolens
et illacrymans recessit. Et oecurrens in claustro, petivit a mo-
nacho obvio, quare libri Uli pretiosissimi essent ita turpiter de-
x ) Mab. Iter Ital. p. 202 aus dem Hodoeporicum. Blume 2, 20.
2 ) Murat. Antt. 3, 801 ed. Aret. al. 1, 1296. Blume, Iter Ital. 1, 15.
Kirchenbibliotheken. 329
truncati. Qui respondit, quod aliqui monachi, volentes lucrar i
duos vel quinque solidos, radebant unum quaternum et facißbant
psalteriolos , quos vendebanl pueris, et ita de martjinibus facie-
bant brevia quae vehdebant mulieribus. Nunc ergo, o vir studiose,
frange tibi caput pro faciendo libros.
Sehr bekannt sind auch die Worte, mit welchen Poggio
den Zustand der S. G all er Bibliothek schildert, die er von
Constanz aus besuchte: Erant enim in bibliotkeca libri Uli non
ut eorum dignitas postulabat, sed in teterrimo quodam et obscuro
carcere, fundo scilicet unius turris, quo ne vita quidem damnati
retruderentur. x ) Beide mögen wohl etwas übertrieben haben,
da aus beiden Bibliotheken doch noch viele und sehr wohler-
haltene Handschriften übrig sind. Nicht minder kräftig aber
sind die Ausdrücke Richards de Bury über die englischen
Klosterbibliotheken, Philobibl. c. 8: Tunc nobilissimorum mo-
nasteriorum aperiebantur armaria, referebantur scrinia et cistulae
solvebantur, et per longa saecula in sepulcrh soporata volumina
expergiscuntur attonita, quaeque in locis tenebrosis laluerant,
novae lucis radiis perfunduntur. Delicatissimi quondam libri cor-
rupti et abominabiles iam effecti, murium quidem 2 ) foetibus
cooperti et vermium morsibus terebrati, iacebant exanimes. Et
qui olim purpura vestiebantur et bysso, nunc in cinere et cilicio
recubantes oblivioni traditi videbantur domicilia tinearum.
Dergleichen Schilderungen darf man nun nicht zu allge-
mein anwenden; es gab immer noch Orden, welche gelehrte
Studien eifrig betrieben, wie in ihrer Weise die Dominicaner,
und es gab auch andere Kirchen und Klöster, welche, wie wir
schon oben sahen, sich vortheilhaft auszeichneten, freilich wohl
ohne Ausnahme durch Perioden des Verfalls unterbrochen. In
Italien sind nur einzelne Klöster in Florenz und Venedig nen-
nenswerth, welche von dem humanistischen Eifer ergriffen
wurden und persönliche Beziehungen zu den Humanisten unter-
hielten; wir werden auf sie in dem Abschnitt von den öffent-
lichen Bibliotheken zurückkommen.
J ) Murat. Scriptt. 20, 160.
2 ) 1. quhlam oder quippe.
330 Bibliotheken und Archive.
In Tegernsee war die Zucht vollständig verfallen ge-
wesen; 1426 wurde die Melker Reform hier eingeführt, und
der neue Abt Kaspar (1426 — 1461) restaurirte auch die Biblio-
thek, kaufte alte Codices, und liefs neue durch Lohnschreiber
anfertigen. Sein Nachfolger Konrad V (1461—1492) setzte
diese Thätigkeit fort; er kaufte für 1100 Pfund Heller an
450 Bände, praeter volumina a fratribus scripta et a devotis
personis ad fraternitatem oblata. Man sieht daraus, dafs es
ganz gewöhnlich war, zur Erlangung der Brüderschaft Bücher
darzubringen, was auch sonst vorkommt. 1 )
Auch Augsburg können wir hier, wie schon früher, nicht
unerwähnt lassen. Die einst berühmte Dombibliothek, von
welcher schon um 1070 Bischof Embrico ein Verzeichnifs ma-
chen liefs, erfuhr immer von Zeit zu Zeit neue Pflege. 2 ) Vor-
züglich aber zeichnete sich die Bibliothek der Benedictiner bei
S. Ulrich und Afra aus. Freilich waren unter Abt Marquard
Hagel (1316 — 1334) viele Bücher an die Predigermönche ver-
äufsert, welche nur theilweise durch Konrad Winkler (1334
— 1355) wieder erworben werden konnten (oben p. 303), aber
die Bibliothek wuchs doch so an, dafs sie auch von Laien
viel benutzt wurde, freilich auch wegen mangelhafter Aufsicht
viele Bücher entkamen: volentibus enim mutuabantnr sine cau-
cione. Die Mönche kannten ihren Werth nicht: Erant denique
libri antiqui tarn poetarum quam oratorum nee non et philoso-
phorum in magna copia, adeo ut a longe pro eis mitteretur,
quorum non dico materiam, sed et nomina erant fratribus ignota,
•
et ex eo nauci pendebantur. Durch Abt Melchior von Stamheim
(1458 — 1474) kam aber ein neuer Aufschwung, und er baute
1471 bibliothecam seu liberariam, ita ut per eius aditum nulla
fieret fratribus inquietacio, sed per locum capitularem, ubi illa
non possunt fieri sicut antea pluries factum est, quando aditus
seu introitus liberarie fuit in dormitorio ascendendo per gradus
1 ) B. Pez, Thes. 3, 3, 541. 547.
2 ) s. die Geschichte derselben von Ruland in Steichele's Archiv f. d.
Gesch. d. Bisth. Augsb. 1.
Kirchenbibliotheken. 331
circa cellam Prioris et super ianuam dormitorii mlrinsecus , et
tales inquietudines et strepitus sepius facte sunt tempore incon-
sueto, ut post conpletorium sive koram leccionis aut dormicionis,
que omnia erant fratribus gravamina maxima, quia audierunt
clamores secularium, qui nesciunt servare silencium nee norwit
differeneias locorum religiosorum. 1 )
Wie der Abt 1472 auch eine Druckerei anlegte, und seine
Nachfolger mit der Vermehrung der Bibliothek fortfuhren, ist
schon früher erwähnt worden. Oe ff entlich waren alle Kir-
chenbibliotheken, in so fern ihre Benutzung nicht leicht ver-
sagt wurde. Sehr bedenklich aber war es, die Bücher auszu-
leihen, und wir haben gesehen, wie sehr man sich durch gute
Bürgschaft gegen Verluste zu sichern bemüht war. Nirgends
war ohne Zweifel der Andrang gröfser als in Paris, seitdem
die Theologen aller Länder dort zusammenströmten, und es
kann daher nicht befremden, dafs in einigen Klöstern man
sich verschwor, gar nichts auszuleihen, weil man die Bücher
selbst brauchen wollte. -Dagegen aber ist ein Pariser Synodal-
beschlufs von 1212 gerichtet: Interdicimus inter alia viris reli-
giosis, ne emittant iuramentum de noh commodando libros mos
indigentibus, cum commodare inter praeeipua miseiHcordiae opera
computetur. Sed adhibita consideratione diligenti alii in domo
ad opus fratrum retineantur, alii seeundum providentiam abbatis
cum indemnitate domus indigentibus commodentur. Et amodo
nullus liber sub anathemate teneatur, et omnia praedieta anathe-
mata absolvimus. 2 ) Da das Haus nicht dabei zu Schaden
kommen soll, ist an Bedürftige schlechthin hier wohl nicht zu
denken, sondern an solche, welche der Bücher bedürfen.
In Münster wiesen 1362 Dechant und Capitel dem Custos
bibliothecae nostrae bestimmte Einkünfte an, und verordneten
zugleich, dafs nur zuverlässigen Personen de gremio ecclesiae
Bücher geliehen werden sollten, in anderen Fällen vorher die
Zustimmung des Capitels nachzusuchen sei. 3 ) Aus dem Kloster
x ) Wilh. Wittwer in Steichele's Archiv 3, 236.
2 ) Mansi 22, 832; vgl. die allgemeinere Vorschrift p. 821.
3 ) Serapeum 27, 138.
332 Bibliotheken und Archive.
S. Ouen in Eouen hat sich ein Verzeichnifs der in den Jahren
1372, 1373 und 1378 ausgeliehenen Bücher erhalten. 1 )
Die Brüder vom gemeinen Leben haben, ihrer Be-
stimmung gemäfs, ihre Bibliotheken vorzüglich den Schülern
zugänglich gemacht. Schon Gerhard Groot (f 1383) vermachte
der Brüderschaft seine Bücher, um sie, mit Vorsicht zwar, aber
doch liberal, an die Brüder und Schüler auszuleihen. 2 ) In dem
Reformatorium von 1494 ist eine vollständige Bibliotheksord-
nung 3 ); der liberarius soll alle Bücher in richtiger Ordnung
und gutem Stande erhalten, sie ausbessern lassen, wenn es
nöthig ist, jedes in seinem Register einzeln und genau einge-
tragen haben, und ebenso die ausgeliehenen eintragen, auch
nur mit gebührender Vorsicht und auf festgesetzte Zeit ver-
leihen. Den Schülern soll er eine bestimmte Sprechstunde an
freien Tagen ansetzen. Die Brüder können aus der gröfseren
Bibliothek, welche von der Schulbibliothek verschieden ist, ein
vom Rector ihnen zugewiesenes Buch entnehmen, wenn sie es
auf die Tafel schreiben. Einmal im Sommer sollen alle Bücher
eingefordert und in Anwesenheit des Convents nachgesehen
werden.
2. Sammlungen einzelner Personen.
In den früheren Jahrhunderten des Mittelalters erschwerte
die Seltenheit und Kostbarkeit der Bücher das Sammeln der-
selben. Aufserdem waren fast .ausschliefslich Geistliche diesen
Studien zugethan, und diese sammelten entweder für eine
Stiftsbibliothek, oder ihre Bücher fielen wenigstens nach ihrem
Tode, da sie in der Regel kirchliche Würden bekleideten,
einer solchen anheim. . Eine Ausnahme bildeten die in Italien
und zuweilen auch in Frankreich vorkommenden Grammatiker;
zu ihnen gehörte Gunzo von Novara, der, von Otto I berufen,
an hundert Bücher nach Deutschland mitbrachte.
*) ed. L. Delisle, Bibl. de rßcole des Chartes 3/ 1, 227—230.
2 ) Delprat p. 34.
a ) Serapeum 21,- 187.
Sammlungen einzelner Personen. 333
Unter den Laien sind es zunächst die Könige, welche zu-
weilen an Büchern Geschmack fanden. Schon Pippin erhielt
von Pabst Paul I auf seinen Wunsch, wie es scheint, eine An-
zahl Bücher, und zwar griechische ') ; leider erfahren wir nicht,
für wen sie bestimmt waren, denn Pippin selbst wird sie nicht
gelesen haben. Karl der Grofse mufs eine ansehnliche Samm-
lung gehabt haben, allein der Gedanke, eine bleibende An-
stalt daraus zu machen, lag ihm ganz fern, da er in seinem
Testamente verordnete, sie zu verkaufen, und den Erlös dafür
den Armen zu geben. 2 ) Karl der Kahle, ein grofser Bücher-
freund, vertheilte seine Bibliothek zwischen S.Denis, Com-
pi&gne und seinem Sohne. 3 ) Bei den Regenten der folgenden
Jahrhunderte hören wir wohl von Büchern, die ihnen gehörten
oder ihnen gewidmet wurden, von einer gröfseren Sammlung
aber zuerst bei Friedrich II, der in dem Schreiben, mit wel-
chem er den Professoren von Bologna die Uebersetzung aristo-
telischer Schriften sendet, seine Lust am Lesen ausspricht, und
redet von librorum volumina, quorum multifarie multisque modis
distincta chirographa nostrarum armaria divitiarum locupletant.*)
Auch die folgenden Könige aus dem Hause Anjou haben
Bücher gesammelt. In Frankreich aber war Ludwig IX eifrig
bemüht, eine Bibliothek zu stiften, deren Besorgung dem viel-
gelehrten Vincenz von Beauvais tibertragen, deren Frucht dessen
grofee Encyclopädie war. Auf seinem Kreuzzug hatte er von
einem Sultan gehört, der alle seinen Philosophen nöthigen
Bücher abschreiben, und sie ihnen zur Verfügung stellen liefs.
Er wollte hinter dem Ungläubigen nicht zurückstehen, liefs
alle nützlichen und authentischen Bücher in den Abteien seines
Reiches aufsuchen und abschreiben, und zur Aufbewahrung der-
selben locum aptum et fortem erbauen, in capellae sitae thesauro.
*) Codex Carolinus, Jaffe Bibl. 4, 101.
2 ) Einhardi Vita Caroli c. 33.
3 ) Capitul. a. 877 c. 12.
4 ) P. deVin. 3, 67. In Neapel gestattete er den Studenten, auf Bücher
Geld aufzunehmen, und sie doch precario gegen Bürgschaft zu behalten,
ib. 3, 11.
334 Bibliotheken und Archive.
Dann machte er selbst fleifsige Studien darin, et alils ad stu-
dendum libenter concedebat.*) Auffallender Weise hat er aber
dennoch diese Stiftung nicht als eine dauernde betrachtet,
sondern in seinem Testament von 1270 die Bücher den Pre-
digermönchen und Minoriten in Paris, der Abtei Royaumont
und den Dominicanern in Compiegne zu gleichen Theilen ver-
macht. 2 j Als leidenschaftliche und ganz hervorragende Sammler
erscheinen erst nach der Mitte des 14. Jahrh. die oben p. 219
genannten Nachkommen des Königs Johann. Vorzüglich liefsen
sie auch Uebersetzungen anfertigen; sie beschäftigten eine
Menge von Kalligraphen und Malern, und wetteiferten augen^
scheinlich mit einander im Besitz von Prachtwerken. Barrois
hat darüber ein eigenes Buch verfafst: Bibliothßque Protypo-
graphique, ou Librairies des fils du roi Jean. Paris, 1830, 4.
Die Bibliothek des Herzogs von Berry, deren Inventar erhalten
ist, hat der Graf Bastard in einem unvollendeten Prachtwerk
behandelt. 3 )
Von Herzog Philipp von Burgund sagt David Aubert 1457
in der Vorrede zu seiner Uebersetzung der Kaisergeschichte 1 ;:
Tres renomme et tres vertueuoc prince Philippe duc de Bourgogne
a des long-temps accoutume de joumellement faire devant lui
lire les anciennes histoires; et pour Ure garni d'une librairie
non pareille a toutes untres, il a des son jeune eaige eu a ses
yeiges plusieurs translateurs grands clercs, experts orateurs,
historiens et escripvains, et en diverses contrees en gros nombre
diligemment labourans; tant que au jourtfhui c'est le prince de
In ckresliennete, sans reservationjiucune, qui est le mieux garni
ife autentique et riche librairie, come tout se peut pleinement
! ) Vita auct. Gaufr. de Belloloco, Bouq. 20, 15.
2 ) Bibl. de l'ficole des Chartes 5, 4, 107.
3 ) Librairie de Jean de France, duc de Berry, Frere du roi Charles V,
publice en son entier pour la premiere fois, pr6c£d6e de la vie de ce prince,
illustre'e des plus belies miniatures de ses manuscrits, accompagnees de
notes bibliographiques , et suivie de recherches pour servir ä Thistoire des
arts du dessin au moyen äge. Le Comte Auguste Bastard fiditeur. Paris
1834, 32 pl. ohne Text.
4 j Barrois p. IV n. 2.
Sammlungen einzelner Personen. 335
apparoir: et combien que au regard de sa tres excellente ma-
gnificence, ce soit pelite chose, toutes fois en doiisil Ure perpe-
luelle memoire, a celle fin que tous se mirent en ses hautes vertus.
In dem Werk des Comte de la Borde: Les ducs de Bour-
gogne, sind II, 1 Auszüge aus den Rechnungen von 1382 — 1481
gegeben, und danach die Ausgaben für Bücher zusammenge-
stellt von D. d'Arcq in der Bibliothöque de l'Ecole des Chartes
3, 1, 247—251. Die Vorliebe Philipps des Guten für Pracht-
handschriften erbte auch sein Bastard Anton, für den der
Breslauer Froissart geschrieben wurde (p. 220. 318). Ein an-
derer reich verzierter Froissart, von welchem Silvestre eine
Probe giebt, stammt aus der Bibliothek des Sire de Gruthuyse,
welcher auch Ludwig XI eine sehr prachtvolle, für Turniere
interessante Handschrift (MSS. Frangais 8351) widmete, mit der
Inschrift:
Pour exemple aulx nobles gens darmes
Qui appetent les faits darmes hautes
Le Sire de Greuithuise duyt es armes
Volut au roy ce livre presenter. 1 )
Auch der Herzog von Bedford erwarb dergleichen Pracht-
stücke, wie es denn überhaupt unter den grofsen Herren dieser
Zeit und Gegend Mode gewesen ist. Von der Herzogin Mar-
garete von der Bretagne (f 1469) hat sich das Inventar er-
halten, welches 11 Gebetbücher und 4 Romane enthält, meist
in Sammetbänden. 2 ) Anna von der Bretagne, die Gemahlin
der Könige Karl VIII und Ludwig XII, war die Besitzerin des
p. 221 erwähnten Gebetbuches; sie sammelte leidenschaftlich
Bücher, alle bezeichnet tnit der Cordeitere, dem Franciscaner-
strick, den sie von ihrem Vater Franz II als Emblem ange-
nommen hatte; in dem Inventar von 1498 werden allein 1140
Bücher aus der Beute von Neapel (1495) erwähnt. 3 )
*) Waagen, Kunstwerke 3, 362. Dibdin, Bibl. Tour 2, 225.
2 ) Bibl. de l'ßcole des Chartes 5, 3, 45.
3 ) Le Roux de Lincy in der Bibl. de l'£c. des Ch. 3, 1, 151. 157. 168.
336 Bibliotheken und Archive.
Die humanistische Richtung blieb diesen Bestrebungen
ganz fremd; wurden auch alte Schriftsteller gern übersetzt, so
trugen doch die Maler kein Bedenken, in naivster Weise die
Trachten und Sitten der Gegenwart auch in diesen Werken
zur Anwendung zu bringen. In Italien dagegen trat die
schöne äufsere Ausstattung sehr zurück gegen den Inhalt;
es waren oft gerade unscheinbare alte Codices, welche von den
reichen und vornehmen Sammlern am höchsten bezahlt wur-
den, den Mediceern vorzüglich, mit denen bald andere wett-
eiferten. Noch im 14. Jahrhundert waren, wie Savigny nach-
gewiesen hat, trotz der gesunkenen Bücherpreise, die Samm-
lungen auch der berühmtesten Rechtslehrer sehr unbedeutend;
im \ 5. aber gewinnen sie rasch an Umfang. Früher beginnen
die Humanisten zu sammeln, so dafs schon Petrarcha gegen
die neue Modethorheit des unnützen Anhäufens von Büchern
eiferte. 1 ) In demselben 14. Jahrh. scherzt Giovanni Manzini
über Andreolo de Ochis, einen siebenzigj ährigen Brescianer,
der gerne Haus und Hof, seine Frau und sich selbst hingegeben
hätte, um seine Bibliothek zu vergröfsern. 2 )
In den Briefen des Ambrogio Traversari, des Leonardo
Bruni, Poggio u. a. tritt uns dieses Treiben besonders lebhaft
entgegen. Da es aber hier frühzeitig zur Errichtung öffent-
licher Bibliotheken führte, werden wir später darauf zurück-
zukommen haben.
Werthvolle Classiker neben viel französischer Litteratur
enthielt die Bibliothek des unglücklichen Erben von Navarra,
Don Carlos Prinz von Viana, Sohn Johanns II von Aragon
(t 1461), deren Inventar Paul Raymond herausgegeben hat. 3 )
In Deutschland fesselte schon (p. 316) Hugo von Trim-
berg unsere Aufmerksamkeit durch seine 200 Bücher; hin und
wieder zeigt ein Testament, eine Stiftung gröfsere Vorräthe bei
einzelnen Geistlichen und Lehrern, die Fürsten aber haben
1 ) de Remediis utriusque fort. I c. 43.
2 ) Blume, Iter Ital. 1, 38.
3 ) Bibl. de l'ßcole des Chartes 4, 4, 483—487.
Sammlungen einzelner Personen. 337
sich in dieser Richtung wenig hervorgethan. U&ber ziemlich
viele Bücher verfügte 1360 Herzog Ludwig von Brieg, derselbe
welcher 1353 die Hedwigslegende schreiben liefs. 1 ) Bei der
nun beginnenden Stiftung der Universitäten wandte sich diesen
vorzüglich die Fürsorge der Fürsten zu, welche, wie Karl IV
überhaupt Sinn für Wissenschaft hatten ; doch hat Karl IV ohne
Zweifel auch seine eigene Bücherei gehabt. So auch die Pfalz-
grafen bei Rhein, welche freilich auch ihre Schlofsbibliothek zu-
gänglich machten. Sie hatten auch ihre Schriftsteller, die für sie
schrieben, wie Mathias von Kemnat und Michel Behaim ; auch
für sie und ihre Frauen wurde allerlei ins Deutsche übersetzt,
wurden deutsche Bücher abgeschrieben und gekauft. 2 ) Diese
sind meistens mit Bildern verziert, und so haben wir hier ein
Gegenstück zu den burgundischen Herren ; nur ist hier der Auf-
wand und der Kunstwerth unendlich geringer. Indessen fing
man doch jetzt auf manchen Burgen an, die Eintönigkeit des
Lebens durch Bücher zu erleichtern. Elspet Wolchenstorfferin
hatte an deutschen Büchern 45 Werke. 3 ) Herr Ulrich von Rap-
poltstein liefs es sich an 200 Pfund kosten, den Parzival von 2
Schreibern binnen 5 Jahren, schreiben zu lassen. Correcturen
sind sorgsam auf eingeklebten Pergamentstreifchen nachgetra-
gen. 4 ) Die Vintler auf dem Runkelstein liefsen sich Bilder aus
der Heldensage malen und deutsche Bücher schreiben, auch die
deutschen Ritter in den Ordensburgen fanden Geschmack daran,
und an anderen Beispielen ist kein Mangel, bis auf das Helden-
buch, welches Kaiser Maximilian 1502 zusammen zu schreiben
verordnete. 5 )
*i Zeitschrift f. Schles. Gesch. 5, 165.
2 ) Dafür bietet Wilkens Gesch. d. Heidelb. Btichersammlungen Belege
in Fülle.
3 ) y. Sacken, die Ambraser Sammlung 2, 225, aus einer deutschen
Weltchronik saec. XV.
4 ) Barack, Handschriften zu Donaueschingen p. 92.
5 ) s. W. Wackernagel, Gesch. d. deutschen Litteratur p. 115. Zingerle,
Sitz. Ber. d. Wiener Ak. 50, 372, wo statt Confer zu lesen ist Confessoris,
v. d. Hagen in den Berichten der Berliner Ak. .1852 p. 452. Vgl. auch
oben p. 300.
Wattenbach, Schriftweaen. 22
338 Bibliotheken und Archive.
3. Oeffentliche Bibliotheken.
Von den öffentlichen Bibliotheken des Alterthums hat nur
die jüngste, die kaiserliche inConstantinopel, im Mittelalter
fortbestanden. *) Von Constantius um 354 begründet, von Julian
vermehrt, erhielt sie gesetzliche Fürsorge 372 durch Valentinian,
Valens und Gratian in ihrem Handschreiben an Klearch, den
Präfecten von Constantinopel : Antlquarios ad bibliothecae Codices
cojnponendos vel pro velustate reparandos quattuor Graecos et
tres Latinos scribendi perltos legi lubemus. Das Gesetz, welches
zugleich für den Unterhalt der Antiquare sorgt und die An-
stellung von Condlcionales ad elusdem bibliothecae custodiam ver-
fügt, wurde in den Theodosianischen Codex aufgenommen 2 ), im
Justinianeischen aber ausgelassen. Unter Basiliscus soll die ur-
sprüngliche Bibliothek, dri(.ioola ßißfao&rjxr} wie sie bei dieser
Gelegenheit genannt wird, mit 120,000 Handschriften verbrannt
sein, wurde aber von Zeno hergestellt; der Praefectus Urbis
Julian leitete das Werk und erwarb sich dabei grofse Verdienste.
Die Zeiten der bilderstürmenden Kaiser waren sehr verderblich
für Wissenschaft und Litteratur, aber die Geschichte, dafs Kaiser
Leo die Bibliothek sammt ihren 12 gelehrten Vorstehern ver-
brannt habe, ist nur eine späte und unglaubwürdige Mittheilung;
den Bilderfeinden glaubte man eben nicht genug Böses nach-
sagen zu können. Erwähnt wird die kaiserliche Bibliothek
noch 1276 (p. 321) und Johann der Paläologe konnte Aurispa
einige Handschriften schenken (p. 320). Sonst aber erfahren
wir nichts von dieser Bibliothek, und was nicht von den huma-
nistischen Sammlern nach Italien ausgeführt wurde, ging mit
wenigen Ausnahmen durch die türkische Eroberung zu Grunde.
Im Abendland genügten lange Zeit die Bibliotheken der
Kirchen und Klöster dem ßedürfnifs, allein die Verhältnisse
änderten sich, als einerseits das Verlangen nach litterarischer
Bildung, nebst den dazu nöthigen Kenntnissen, auch aufserhalb
>) Darüber Du Gange, Constantinopolis Christiana 1. II c. 9, 3.
-) 1. XIV tit. IX de liberalibus studiis urbis Romae et Const. c. 2.
Oeffentliche Bibliotheken. 339
des Clerus allgemeiner wurde, und andererseits die meisten, und
zwar gerade die alten und reichen Klöster entarteten, die Dom-
capitel sich wissenschaftlicher Thätigkeit völlig entfremdeten.
Begegnen wir früher häufig Geschenken und auch gröfseren
Stiftungen von Büchern, die in das Eigenthum von Kirchen
übergingen, so finden wir nun ein neues Verfahren, indem die
Sammlungen zwar noch einer geistlichen Körperschaft über-
geben werden und in Kirchenräumen aufbewahrt werden sollen,
jedoch nicht in das volle Eigenthum der Kirche übergehen und
ausdrücklich zu freier Benutzung bestimmt wenden.
Den Anfang machte der Domprobst von Vercelli, Jacob
Carnarius, in seinem Testament von 1234. Er vermachte seine
Bücher den Dominicanern von S. Paul, setzt aber die freie
Benutzung im Kloster voraus, indem er ausdrücklich verbietet,
die Bücher aufserhalb des Klosters an andere, als an namhaft
gemachte geistliche Körperschaften und magistro qui Vercellis de
theologia docerel, gegen Pfand auszuleihep. Ueberhaupt suchte
er das Bestehen der Bibliothek durch mehrere Anordnungen zu
sichern die freilich erfolglos geblieben sind. 1 )
Petrarcha vermachte in seinem Testament von 1362
seine Bücher der Marcuskirche in Venedig, wo sie eine öffent-
liche Sammlung bilden sollten; sie wurden aber gänzlich ver-
nachlässigt, und erst 1635 fand man einen Theil davon wieder.
Die berühmte Marcusbibliothek entstand unabhängig davon 1468,
als der Cardinal Bessarion der Stadt, welche für die flüchtigen
Griechen viel gethan hatte, 800 Handschriften schenkte. Sie
waren zum Ausleihen innerhalb der Stadt gegen eine Caution
im Betrage des doppelten Werthes bestimmt.
Boccaccio (f 1375) hinterliefs seine Bibliothek den
Augustiner Eremiten zu S. Spirito in Florenz. Sie wurde
hier besser aufbewahrt, der berühmte Theologe Luigi Marsigli
(f 1394) schenkte die seinige dazu, und Niccolö Niccoli liefs
das Bibliothekzimmer zweckmäfsig einrichten. Giannozzo Ma-
>) Irici, Historia Tridinensis p. 84, angeführt von Blume, dessen Iter
Italicum diesem ganzen Abschnitt zu Grunde liegt, -zum Theil wörtlich.
Seine Hauptquelle ist Tiraboschi, Tomo VI, Libro I, Capo IV.
22*
340 Bibliotheken und Archive.
netti (f 1459) wollte dort eine öffentliche Bibliothek errichten,
starb aber vor der Ausführung. 1 )
Wie Florenz überhaupt in der Pflege humanistischer Be-
strebungen weitaus in erster Linie steht, so gebührt ihm auch
der Ruhm, die erste grofse und bleibende öffentliche Bibliothek
in Italien hervorgebracht zu haben. 2 j Niccolö Niccoli, der
unermüdliche Büchersammler, bestimmte 1430 in seinem Testa-
ment, dafs seine Handschriften im Camaldulenserkloster S. Maria
degli Angioli, wo sein Freund Traversari Prior war, zu öffent-
lichem Gebrauche aufgestellt werden sollten. Allein 1437, einen
Tag vor seinem Tode, überliefs er die Wahl des Locales
dem Gutdünken von 16 Deputirten, unter denen sich Traver-
sari, Poggio, Manetti, Cosimo und Lorenzo de* Medici befanden.
Da er aber verschuldet war, so hätte das ganze Vorhaben unter-
bleiben müssen, wenn nicht Cosimo de' Medici, der schon
während seines Exils 1433 die Benedictiner zu San Giorgio
maggiore in Venedig mit einer Bibliothek beschenkt und ihnen
das Local dazu hatte erbauen lassen, der bald nachher auch
noch die Bibliotheken in Fiesole und in San Francesco del bosco
im Mugello vor Florenz gründete 3 ), Niccoli's Gläubiger zu be-
friedigen bereit gewesen wäre. Dieser wählte nun das von
ihm erbaute Dominicanerkloster San Marco, in welchem 1444
die Aufstellung von ungefähr 400 lateinischen und griechischen
Handschriften erfolgte. Die Anordnung geschah nach einem
von Thomas von Sarzana entworfenen Plane, der in der Folge
noch in mehreren Bibliotheken zur Anwendung kam.
Cosimo sorgte seitdem fortwährend für die Vermehrung
dieser Bibliothek ; wie er Vespasiano dafür in Anspruch nahm,
haben wir p. 282 gesehen. Nach dem Erdbeben von 1453 liefe
er sie nur noch kostbarer wieder herstellen. Uebrigens ward
er bei diesen Bestrebungen durch viele andere, besonders durch
*) Blume, Iter Ital. 2,78. Mehus, V. Ambrosii p. 31.
2 ) Blume, Iter Ital. 2, 42 f.
3 ) Diese theilten alle, wie Tiraboschi berichtet, das gewöhnliche Schick-
sal der Klosterbibliotheken, indem sie durch Vernachlässigung zu Grunde
gingen.
Oeffentliche Bibliotheken. 341
Traversari und durch die Geistlichen des Klosters kräftig unter-
stützt, und nach seinem Tode fuhr Pietro de* Medici fort, die
neue Stiftung durch Geschenke zu erweitern. Dennoch war
diese berühmte Marcusbibliothek nur die Vorgängerin der Lau-
renziana, mit welcher sie erst neuerdings verschmolzen
worden ist.
Ob Cosimo und Pietro alle ihre Handschriften in die Mar-
ciana gaben, oder daneben noch eine Sammlung in ihrem Hause
behielten, ist nicht entschieden; auf jeden Fall hat Lorenzo,
Pietro's prachtliebender Sohn, eine eigene mediceische Bücher-
sammlung angelegt. Er soll versichert haben, dafe er gern alle
Mobilien veräufsern würde, wenn es Bücher zu kaufen gäbe,
und in der That kaufte er nicht nur zusammen was Filelfo
u. a. hinterliefsen, sondern er hielt sich die besten Abschreiber,
wie namentlich den Joh. Khosus aus Kreta; ja er liefs den
Griechen Joh. Laskaris zweimal auf seine Kosten nach dem
Orient reisen. Die zweite Rückkehr desselben erlebte er nicht
mehr; sie bereicherte die mediceische Bibliothek mit 200 Hand-
schriften, von denen 80 ganz unbekannte Stücke enthielten.
Allein Peter, Lorenzo's Sohn, der die Wissenschaften hafste,
wie ihn die Florentiner, wurde 1494 durch Karl VIII von
Frankreich vertrieben, und Fremde we Inländer plünderten
nun die kostbare Btichersammlung. Die Hauptmasse aber
brachten die Dominicaner von S. Marco, um sie zu retten, für
3000 Gulden an sich. Nach neuer Gefährdung durch die fol-
genden unruhigen Zeiten kaufte 1508 Giovanni de* Medici, da-
mals Cardinal, später Papst Leo X, die mediceische Sammlung
vom Kloster zurück, und nahm sie nach Rom, von wo sie aber
schon durch den Cardinal Giulio de* Medici (Clemens VII), der
sie von Leo geerbt hatte, nach Florenz zurück gesandt wurde.
Jetzt endlich schien das Schicksal der Bibliothek gesichert;
Michelangelo Buonarotti wurde von Clemens VII beauftragt,
neben der Kirche San Lorenzo einen Saal für dieselbe zu bauen.
Allein beide starben vor Vollendung des Baues, und wiederum
lagen die Handschriften vernachlässigt in den Stiftswohnungen
der Lorenzkirche. So währte es noch bis 1571, ehe Vasari
342 Bibliotheken und Archive.
den Bau im Auftrag Cosimo's,. des ersten Grofsherzogs , nach
Michelangelo^ Plan vollendet hatte.
Nun aber ward auch alles in die Ordnung gebracht, welche
bis auf unsere Zeit sich erhalten hat ; die Handschriften wurden,
nach dem Plan der beiden ersten Bibliothekare, Baccio Valori und
Giovanni Rondinelli, auf 88 hohen Tischen (plutei) mit Ketten
angeschlossen, doch so dafs sie nöthigen Falls gelöst werden
können. Ein sehr anschauliches Bild davon giebt die Vignette
vor Bandini's Verzeichnifs der griechischen Handschriften. 1 )
Aufserdem war in Florenz auch die Dombibliothek bei
S. Maria del fiore schon 1448 öffentlich geworden. 2 ) Auch Palla
Strozzi hatte im 15. Jh. eine grofse Zahl von Büchern kaufen und
abschreiben lassen, um eine öffentliche Bibliothek in S. Trinitä
zu errichten, allein seine Verbannung hinderte die Ausführung. 3 )
Endlich gründete ebenfalls im 15. Jahrh. Mattia Lupi eine
reiche Btichersammlung in San Gemignano del borgo, und
schenkte sie der Gemeinde zum öffentlichen Gebrauche; sie
ist aber schon im folgenden Jahrhundert durch Cosimo I mit
der Laurenziana vereinigt worden.
Die Bibliothek der römischen Kirche war, wie wir ge-
sehen haben, ganz verfallen; als aber Thomas von Sarzana
unter dem Namen Nicolaus V (1447—1455) Pabst wurde, ver-
mehrte er nicht nur seine eigene ansehnliche Sammlung, son-
dern beabsichtigte auch die Stiftung einer öffentlichen Bibliothek.
Er kam jedoch damit nicht zu Stande; seine Nachfolger waren
den Wissenschaften wenig geneigt, und erst Sixtus IV (1471
bis 1484) vollendete die Bibliothek und das Archiv. Die Va-
ti ca na eröffnete er unter der Leitung des von seinen Vor-
gängern verfolgten, gelehrten Bartolomeo Piatina (1475 — 1481)
zu allgemeiner Benutzung. 4 )
! ) pag. IX. Im Germ. Museum in Nürnberg ist eine alte Abbildung
des Lesesaales der Bibliothek zu Leiden. Die Sammlungen (Nürnb. 1868)
p. 72.
2 ) Blume, Itcr Ital. 2, 68.
3 ) ib. 8t.
'•) Blume, Iter Ital. 3, 19 ff. 4, 264. Ueber die weitere Geschichte
vgl Vogel: Zur Geschichte der Vaticana seit Sixtus IV, Serapeum 7, 289 ff.
Oeffentlicbe Bibliotheken. 343
Im Wetteifer mit Sixtus IV und den Mediceern begründete
auch Friedrich von Montefeltro, Herzog von Urbino, die Biblio-
thek zu Urbino mit einem Aufwand von 40,000 Ducaten; sie
wurde 1657 durch Alexander VII mit der Vaticana verbunden. 1 )
Der humanistische Eifer hatte sich sehr lebhaft auch nach
Ungarn verbreitet. Die Erzbischöfe von Gran und Colocza,
der Bischof von Ftinfkirchen, beschäftigten Vespasian durch
grofse Aufträge; vorzüglich aber war es der König Mathias
Corvinus, der mit aufserord entlichem Aufwand eine glänzende
Bibliothek in Ofen begründete. Aufser den 4 Schreibern,
welche er in Florenz beschäftigte, arbeiteten 30 andere in Ofen
für ihn. 2 ) Seine Vermählung mit Beatrix, Tochter des Königs
Ferdinand von Neapel, Enkelin Alfonso's, des grofsen Gönners
der Gelehrten, war wohl nicht ohne Einflufs auf seine littera-
rischen Neigungen. Er zog viele Gelehrte an seinen Hof, und
seine Bibliothek war ihnen geöffnet. Die Codices Budenses
sind in der gelehrten Welt sehr bekannt; sie sind schön ge-
schrieben und reich ausgestattet, aber fehlerhaft, weil die Flo-
rentiner Fabrikarbeiter keine wirklich probehaltige Waare lie-
ferten. Nach seinem Tode wurde die Bibliothek vernachlässigt ;
viele Bücher kamen durch Cuspinian an K. Maximilian, welcher
durch seine Sammlung den Grund zur Wiener Hofbibliothek
legte. Durch diese Entführungen wurden viele kostbare
Handschriften vor der türkischen Verwüstung gerettet. 3 )
In Frankreich war die Bibliothek Ludwigs IX wohl
den Gelehrten geöffnet gewesen, aber sie war ganz vorüber-
gehend/ 4 ) Nach seinem Tode ist bei der Sainte Chapelle von
*) Blume 3, 53.
2 ) ahtisse semper ad triginta servos amanuenses pingendi peritos
sagt Nie. Olahus, Hung. c. 5.
3 ) s. X. Schier de regia Budensi Bibliotheca, 1799. Budik: Ent>
stehung und Verfall der .berühmten vom K. Corvinus gestifteten Bibl. zu
Ofen, Wiener Jahrbücher 88 (1839) Anz. Bl. p. 37— 56. Vogel, Verzeich-
nifs corvinischer Handschriften in öffentlichen Bibliotheken , Serapeum 1 0,
273 - 285. 380.
4 ) oben p. 334. A. Franklin, Les anciennes Bibliotheques de Paris
(1867) 1, 213—219.
344 Bibliotheken und Archive. •
Büchern keine Spur zu finden. Auch die Sammlungen der
grofsen Herren, deren wir oben gedachten, hatten keine öffent-
liche Bestimmung.
Dagegen begründete um die Mitte des 13. Jahrh. in Amiens
Richard von Fournival, Kanzler der Kirche von Amiens, eine
öffentliche Bibliothek, und schrieb zur Anleitung für deren
Benutzung ein eigenes Werk unter dem Titel Biblionomia. 1 )
Weiter ist jedoch von dieser Bibliothek nichts bekannt; sie wird
den Kirchenbibliotheken mit erweiterter Zugänglichkeit anzu-
. schliefsen sein, da an ein nicht clericales Publicum damals
noch nicht zu denken ist. Ueberhaupt aber fehlen diesseit der
Alpen die Verhältnisse, welche in Italien die öffentlichen
Bibliotheken herorriefen; nur in Augsburg läfst sich die von
Laien zahlreich besuchte Bibliothek zu S. Ulrich und Afra
vergleichen. Auch andere Klosterbibliotheken erhalten sich in
besserem Zustand oder werden restaurirt; sonst macht nur an
Universitäten ein gröfseres Bedtirfnifs sich geltend, was
auch die Natur der Bibliotheken bestimmt.
In Italien konnte Savigny keine Spur von Universitäts.
bibliotheken entdecken; die Stationarien versahen Lehrer und
Schüler mit Büchern. Den anderen Ländern dagegen eigen-
thümlich sind die als fromme Stiftungen gegründeten Col-
legien oder Bursen, denen wohl niemals eine Bibliothek
fehlte. In Paris vermachte um 1270 Stephan, Archidiaconus
von Canterbury, seine Bücher der Kirche Notre-Dame zu dem
Zweck, sie an arme Studenten der Theologie zu verleihen;
Peter von Joigny vermachte 1297 die seinigen direct den
armen Studenten, 2 ) Aber diese, durch viele Schenkungen be-
reicherte Bibliothek, gerieth in grofse Vernachlässigung, während
! ) Histoire lit. de la France 23, 710—714. Im Katalog ist genannt
Primat d! Orleans, auteur dun poeme sur la guerre de Troie. Vgl. im
Wiener Cod. 883 : Exclamationes super muris Troianü editae per Prima-
tem egregium versificatorem „Pergama etc. Carmina Burana p. 60.
2 ) A. Franklin p. 8. 12. Trotz der 1429 neu angeschafften Ketten,
suchte man den fortgesetzten Diebstählen durch Androhung des Bannes zu
steuern, p. 22. 50. Einige Bücher waren in thesauro ecclesiae,']). 51.
Oeffentliche Bibliotheken. 345
jenseit der Seine die Schulen erblühten und ein College nach
dem andern gestiftet wurde. Den Anfang bildete 1253 die
berühmte Stiftung Roberts de Sorbona 1 ); hier wurde 1289 ein
librarium errichtet pro libris cathenatis ad communem soeiorum
utilitatem. Der im folgenden Jahre per socios de domo de
libris verfafste Katalog mit einer gelehrten Einleitung ist noch
vorhanden 2 ); er umfafet 1017 Bücher. Durch viele Schenkungen
war sie gebildet und wurde sie fortwährend vermehrt; die
librarii wurden durch die socii aus ihrer Mitte erwählt. Alle
socii hatten einen Schlüssel zur libraria communis, und konnten .
Fremde einführen. Hier lagen alle Bücher an Ketten, und die
Statuten von 1321 verordnen, dafs von jedem vorhandenen
Werke wenigstens ein Exemplar, und zwar das beste, hier
verwahrt werden soll. Obgleich zuweilen auch die Ketten
nicht vor Entwendung schützten , so war doch durch diese
Einrichtung eine peinliche Aufsicht unnöthig gemacht. Ver-
liehen wurde aus dieser Bibliothek nur ausnahmsweise in ganz
besonderen Fällen; die libri vagantes, nur Doubl etten, befanden
sich in der parva biblioteca domus Sorbonice, und wurden oft
arg vernachlässigt. 3 ) Sie wurden verliehen, in der Eegel aber
auch nur an Mitglieder des Collegium; an Fremde wenigstens
nicht ohne ein gleichwerthiges Pfand.
Wir können diese Einrichtung als eine allgemeine be-
trachten, und deshalb ist so oft von der Uebergabe eines
Schlüssels zur Bibliothek die Rede. In dem Katalog des
College du Trösorier von 1437 werden zuerst die libri in
magna libraria existentes verzeichnet, nach den pulpitis und
scannis, an denen sie angekettet sind; dann folgt das inven-
tarium librorum eanstentium in parva libraria in magnis almario-
lis capelle. Diese sind also frei in Schränken verwahrt. 4 )
J ) A. Franklin p. 224 ff.
2 ) Abdruck mit Facs. 1. c. p. 304 ff.
3 ) Beispiele bei A. Franklin I, 236. 256.
4 ) A. Franklin 1, 340—362. Der Vf. hat diese Unterscheidung nicht
beachtet.
346 Bibliotheken und Archive.
Das 1316 gestiftete Collage de Narbonne knüpft an eine
noch weit ältere Stiftung an, indem schon 1238 der Erzbischof
Peter von Narbonne, im Begriff gegen die Heiden zu ziehen,
alle seine Bücher vermachte scolaribus quos tenemus Parisius,
ila quod habeant usum tantum nee eos aliquo modo alienare vel
impignorare valeanlS) Im College du Plessis sollten nach den
Statuten von 1455 alle Bücher, mit Ausnahme der Missale, an-
gekettet, und keines ohne Einwilligung des Meisters und aller
Bursarien entkettet werden. 2 ) Im Collegium Scotorum war
jede Verleihung aufserhalb des Hauses absolut verboten. 3 )
Diese Bibliotheken waren also von beschränkter Oeffent-
lichkeit und wesentlich clerical; doch waren andere Wissen-
schaften nicht gerade ausgeschlossen, und 1469 sind es der
Prior und der Bibliothekar (parvus librarius) der Sorbonne ge-
wesen, welche die ersten Buchdrucker nach Paris beriefen;
in aedibus Sorbonae erschienen 1470 die Briefe Gasparins von
Bergamo, ein humanistisches Werk, das erste* Buch welches in
Paris gedruckt ist. 4 )
Aehnliche Verhältnisse waren in England. Auch die
Franciscaner in Oxford hatten eine libraria conventus und eine
libraria scholarium oder studentium. Robert Grosseteste, der
gelehrte Bischof von Lincoln (f 1253), soll ihnen alle seine
Bücher vermacht haben. 5 ) Vor allen aber verdient einen Ehren-
platz der schon oft genannte Richard de Bury, der Zeit-
genosse und Freund Petrarcha's, geboren 1287 bei Bury St.
Edmunde. In Oxford hatte er sich eine ungewöhnlich um-
fassende Bildung angeeignet; er wurde Erzieher Eduards III,
bekleidete verschiedene hohe Staatsämter, wurde zu wichtigen
Missionen gebraucht, war eine Zeit lang Kanzler von England,
und beschlofs sein Leben 1345 als Bischof von Durham.
*) ib. p. 409.
2 ) decatenare, excatenare. Franklin p. 414.
3 ) ib. p. 418.
4 ) ib. p. 257. Der Prior war ein Deutscher, Johann Heynlin oder de
Lapide.
5 ) R. Pauli, Bischof Grosseteste und Adam von Marsh, Tübinger Progr.
1864 p. 19. Citirt wird auch Rog. Bacon de utilit. scient. c. 39.
Oeffentliche Bibliotheken. 347
Bücher sammelte er mit Leidenschaft, alle Vortheile be-
nutzend, welche seine amtliche Stellung, sein Reichthum, häu-
fige Reisen ihm gewährten; er allein hatte mehr Bücher als
alle englischen Bischöfe zusammengenommen. In seinem Schlaf-
zimmer lag alles voll davon, so dafs man sich kaum darin be-
wegen konnte, ohne auf ein Buch zu treten. Ein Jahr vor
seinem Tode vermachte er die Bibliothek dem von ihm ge-
stifteten Durham College in Oxford, welches für die Ausbildung
von jungen Geistlichen seiner Kirche bestimmt war. Heinrich VIII
hat das College aufgehoben, die Bücher sind zerstreut, und leider
ist auch der von ihm selbst verfafste Katalog verloren, welcher
von grofsem Werthe sein würde, indem er uns zeigte was ein
so eifriger Sammler mit solchen Mitteln damals zusammen-
bringen konnte.
Aufserordentlich dankenswerth aber ist das Philobiblion,
welches Richard de Bury bei diesem Anlafs verfafste. Er hebt
darin den hohen Werth der Bücher hervor, ihre Unentbehrlich-
keit für die Cleriker, denen er sie durch seine Stiftung erreich-
bar machen will, auch wenn sie arm sind. Voll Eifers tadelt
er die Unwissenheit und Genufssucht des Clerus seiner Zeit,
und geht dann über zu der Schilderung seiner Bestrebungen,
und wie es ihm gelungen sei, so viele Bücher zusammen zu
bringen. Auch eine griechische und eine hebräische Grammatik
ist dabei, denn er wünscht dringend, dafs auch diese Sprachen
gelernt werden.
Richards ganze Liebe zu seinen Büchern spricht sich in
dem 17. Cap. de libris munde tractandts et collocandis aus, wo
er in eindringlichster Weise die Studenten ermahnt, sie nicht
zu verunreinigen, und mit wahrem Entsetzen der Gefahren ge-
denkt, welchen die schön geschriebenen und gemalten Bücher
durch schmutzige Hände, essende, trinkende und schwatzende
Leser, durch Beschmieren der Ränder und gar durch Diebe
ausgesetzt sind, welche die Ränder abschneiden, um Briefe
darauf zu schreiben. Darauf sollte billig die Strafe des Bann-
fluches gesetzt sein. Das 19. Cap. enthält die Vorschriften für
die Verwaltung der Bibliothek, welche durch 5 gewählte Mit-
348 Bibliotheken und Archive.
glieder des Collegiums besorgt werden soll. Allen Studenten
und Magistern in Oxford, vorzüglich aber den Genossen des
Durham College, sollen die Bücher zugänglich sein und unter
den gewöhnlichen Beschränkungen auch geliehen werden ; be-
merkenswert ist hier nur, dafs Bücher, von welchen kein
Duplicat vorhanden ist, durchaus nicht aus dem Hause ge-
geben werden sollen.
In Deutschland finden wir ebenfalls die Universitäten
von Anfang an mit Bibliotheken versehen. In Prag war es das
Collegium Carolinum, welches Karl IV reich mit Büchern aus-
stattete. ! ) In Heidelberg bestanden, wie Fr. Wilken in seiner
lehrreichen Geschichte der alten Heidelbergischen Büchersamm-
lungen, (Heid. 1817) nachgewiesen hat, von der Stiftung (1386)
her eine Bibliothek der artistischen Facultät und eine zweite
der Universität, welche durch Vermächtnisse und Ankäufe
rasch anwuchsen; dazu kam seit 1417 die vorzüglich begünstigte
des Stifts zum heiligen Geist. Aber auch die fürstliche Biblio-
thek auf dem Schlofs war ausgezeichnet durch ihre liberale
Zugänglichkeit für alle Lehrer, bald auch für andere. Gegen
Deponirung eines Buches von gleichem Werthe wurden Bücher
ausgeliehen.
Aehnlich waren die Verhältnisse in Wien, wo die ar-
tistische Facultät seit 1415 ihren Schrein hatte. Joh. von Gmun-
den vermachte ihr 1435 almarium cum libris suis in quadru-
vio et in astrologia et cum variis instrumentis et figuris. Nun
wurde ein Local gemiethet, welches dafür eingerichtet werden
sollte : et catenari debent libri apti ad catenandum et ibi reponi.
Eine Taxe für das Ausleihen war im Testament bestimmt.
Wegen der astrologischen Bücher hatte man jedoch Bedenken:
Item de libris in astrologia placet quod nullus cathenelur, sed
in armario sub arta custodia teneanlur. Schon 1443 wurde ein
neues Local eingerichtet, und eine Instruction für den Bibliothekar
gegeben. Eine zweite Bibliothek bestand im Collegium ducale. 2 )
J ) Palacky, böhm. Gesch. II, 2,301.
2 ) Kink, Gesch. der Univ. zu Wien I, 1, 141—143. I, 2, 108—111.
Vgl. oben p. 326. die Stiftung des Joh. Polczmacher.
Oeffentliche Bibliotheken. 349
In Erfurt erhielt 1433 das Collegium zur Himmelpfort von
seinem Stifter Amplonius eine Bibliothek und Vorschriften zur
Benutzung derselben. ') Nur ausnahmsweise sollten Bücher den
Collegiaten aufs Zimmer gegeben werden, nach dem Wortlaut:
si textualia in artibus et philosophia fienda haberent, was viel-
leicht bedeuten mag: wenn Textbücher durch Abschrift beschafft
werden sollten. In der Regel blieb die Benutzung der Bücher
auf das studorium beschränkt. Die erstaunliche Barbarei der
Sprache in diesen Statuten läfst den grofsen Fortschritt lebhaft
empfinden, welcher in Erfurt durch den bald darauf eindrin-
genden Humanismus eintrat.
In Leipzig hatten die Augustiner im Thomaskloster ihre
Bibliothek, welche wir nach den Statuten von 1445. auch als
eine öffentliche betrachten können. Der librarius soll die
Bücher nach dem Inventar (prius in inventario fideliter anno-
tatos) verwahren, ebenso claves ad librariam et ad omnes seras ;
einmal im Jahre ist allgemeine Ablieferung und Revision. Nur
mit Erlaubnifs des Prälaten dürfen Fremde Bücher erhalten,
wenn sie ein mindestens gleich werthiges als Pfand geben;
darüber ist ein genaues Register zu führen.
Eine merkwürdige Stiftung begegnet fern von jeder Uni-
versität* in Alzei. Johannes von Kirchdorf nämlich, Wormser
Domherr und Kaplan König Ruperts auf der Burg zu Alzei,
vermachte seine sämmtlichen Bücher, damit Priester und andere
gelehrte Leute, die zu der Pfarre und Stadt Alzei gehörten und
die Liebe dazu hätten, in denselben Büchern lesen und stu-
dieren, und sich selbst und andere Leute desto bafs unter-
weisen möchten. Die Geschworenen hatten an S. Niclaus Ca-
pelle eine lybery bauen lassen, worauf König Rupert 1409
die Stiftung bestätigte. 2 )
Aehnlicher Art ist auch das Vermächtnifs des Cardinais
Nicolaus Cusanus von 1464, durch welches er seine ansehnliche
M Biese mitgetheilt von Hesse im Serapeum 17, 78.
*) J. Mone im Anz. d. d. Vorzeit 6, 255. In ChmeFs Regesten fehlt
die Urkunde.
350 Bibliotheken und Archive.
Handschriftensammlung dem von ihm in seinem Geburtsort Cu es
an der Mosel errichteten Hospital überwies. 1 )
4. Einrichtung der Bibliotheken.
Die ganze Einrichtung antiker Bibliotheken ist in den an-
geführten Werken von Gßraud u. a, ausreichend beschrieben
(vgl. auch oben p. 105). Häufig sieht man auf alten Darstel-
stellungen runde verschliefsbare Kasten mit Bücherrollen, und
man hat sie auch in Herculaneum gefunden, in demselben
Hause, in welchem die Bibliothek entdeckt wurde 2 ); später
kommen auch viereckte, mit Büchern gefüllte vor. Die Evan-
gelisten haben in den Bildern der Handschriften einen solchen
neben sich, namentlich in den nach antiken Mustern gearbeiteten
der karolingischen Zeit. Auch ihr Schreibpult ist zuweilen
ein mit Fächern, worin Bücher sich befinden, versehenes
Gestell.
Vom Schulknaben sagt Juvenal 10, 117:
Quem sequitur custos angustae vernula capsae.
Dieser Sclave hiefs capsarius. Ein anderer Ausdruck findet sich
bei Martial 14, 37:
Scrinium.
Constrictos nisi das mihi libellos,
Admittam tineas trucesque blattas.
Dieselbe Bedeutung hat nach Schwarz de ornam. libr. p. 130
der cpelövrjg oder (padovrjg, welchen Paulus nach IL Tim. 4, 13
in Troas gelassen hatte ; er beruft sich dafür auf alte Erklärer,
namentlich Ghrysostomus : tov yXwaaoxofiov ev&a t<x ßißUa
Metro. In dem von Du Cange angeführten Lex. Cyrilli steht:
*) S. den Aufsatz von Jos. Klein im Serapeum 25 (1864) p. 353 ff.
vgl. Jos. Klein, Ueber eine Handschrift des Nicolaus v. Cues, Berl. 1*866.
2 ) Jorio, Officina de' papiri p. 15. Tav. 1.
Einrichtung der Bibliotheken. 351
qxxikovrjg' eikrjTov zofidgiov fieußQCctvov, rj yXwaaoTto/xov, rj xal
XITÜJVLOV.
Scrinium, und etwas später" armarium, sind Ausdrücke,
welche eine weiter gehende Bedeutung annehmen, und auch
ganze Bibliotheken bedeuten können. Isidor sagt Origg. 20, 9:
Apud Romanos Uli qui libros sacros servant, scriniarii nuncu-
pantur.
Bei den Kirchen verwahrte man anfangs Bücher und Ur-
kunden mit anderen kostbaren Gegenständen zusammen;
Justinian verordnete, dafs ein Gesetz in dem Schatzhause der
Kirche jlistci tojv hgcov oxevaiv aufbewahrt werde. Der Skeuo-
phylax oder Cimeliarch hatte die Aufsicht. Auch Karl der
Kahle verwahrte seine Bücher in thesauro nostro (Capit. a. 877
c. 12). Ludwig IX liefs für seine Bücher einen angemessenen
und festen Platz einrichten in capellae suae thesauro (p. 333).
Nicolaus von Bibra sagt von dem Probst Otto von Sulz, wel-
cher die Samländer Custodie erhalten hatte:
Officium siquidem custodis adeptus ibidem,
Et bene fecisti quod talem constituisti,
Ut sit vasorum custos simul atque librorum
Et thesaurorum penes ecclesiam positorum. ')
Das merkwürdigste Beispiel sind die Florentiner Pandecten,
für deren Sicherheit früher in Pisa die Statuten von 1284 sorg-
ten; in Florenz wurden sie im Palazzo vecchio, später in der
Schatzkammer (gardaroba) des Grofsherzogs verwahrt, mit den
Originalacten des Florentiner Concils von 1439 und dem an-
geblichen Original des Evangelium Johannis. 2 )
So waren auch die kostbaren Handschriften der burgun-
dischen Herzoge bei dem Kronschatz unter Verschlufs der
gar des joymuv.
Bei wachsender Zahl der Bücher stellte sich frühzeitig das
Bedtirfnifs einer Trennung heraus; in Nola geschah sie schon
*) Nicolai de Bibera Carmen satir. ed. Th. Fischer p. 48.
2 ) Blume, Iter Ital. 2, 47. Savigny 3, 412.
352 Bibliotheken und Archive..
im Anfang des 5. Jahrh. unter Paulmus; seit 581 finden sich
in der römischen Kirche Bibliothekare, Scriniare, Chartularien ;
in Constantinopel im 7. Jahrh. ein Chartophylax des Patriarchen,
in den Acten der sechsten Synode.
Die Verbindung von Büchern und Urkunden ist in man-
chen Fällen immer geblieben, wie in Montecasino und La Cava,
und auch da, wo man die Bücher aussonderte, verblieben doch
immer noch einige dem Archiv, wie ja auch jetzt noch die Ar-
chive Handschriften verwahren. Selbstverständlich gehören da-
hin die Urkundenbücher , aber in diesen finden sich oft ge-
schichtliche Aufzeichnungen, und da auch die Abfassung von
Chroniken nicht selten zum Hauptzweck hatte, die Erwerbs-
titel nachzuweisen und bei rechtlichen Streitigkeiten Auskunft
zu geben, da sie aufserdem vorsichtig geheim gehalten zu wer-
den pflegten, vorzüglich in den Städten, so ist es begreiflich,
dafs man gerade geschichtliche Werke oft nicht in der Biblio-
thek, sondern im Archiv findet, wie z. B. noch jetzt in S. Peter
in Salzburg. Auch in Altenzelle wurden die geschichtlichen
Handschriften im Archiv verwahrt. 1 ) In Lübeck wurde die
Stades Chronik für die Stades Scriverie im Auftrag des Rathes
geschrieben, und auf der Wette verwahrt; Hermann Korners
Chronik war auf der Kämmerei. 2 ) Peter von der Heiden (f 1473)
verordnete , dafs seine Chronik auf ewige Zeiten im Stadthaus
zu Brüssel angekettet verwahrt werden sollte. 3 ) Natürlich ge-
hören zur Kanzlei auch Rechtsbücher, Briefsammlungen und die
so häufigen Anweisungen zur Kanzleipraxis. So steht z. B. in
einer Handschrift: Hunc librum scilicet Petrum de Vineis } ve-
nerabilis dominus Conradus de Fryburg decretorum doctor, tra~
didit cancellariae reverendissimi domini nostri archiepiscopi Tre-
verensis, ita quod semper maneat in cancellaria Erembreitstensi,
a. d. M° cccc Ix septimo.*)
») Ed. Beyer, Alte Zelle p. 124.
2 ) Nachricht von Lübeck (1742) p. 283; vgl. GrautolFs Ausg. derLüb.
Chroniken.
3 ) Petri a Thymo Chron. ed. de Reiffenberg p. XXVI.
4 ) Cod. Berol. fol. 188. Huillard - Brdholles , Vie et Corr. de Pierre
de la Vigne p. 276.
Einrichtung der Bibliotheken. 353 '
Für die Bibliothek ist der gewöhnlichste Ausdruck armarium.
In Italien nannte man davon den Bibliothekar armarisia^);
doch kommt auch librerista vor 2 ], und librarius. Die Form
armarius hatten wir oben p. 255. Die Florentiner Minoriten
schrieben in ihre Bücher: Est armarii Florentini Conventus
Ordinis Minorum. 3 ) Den Benedictinern zu S. Marien wurden
1424 in einem Testament Bücher vermächt, nebst hundert Gold-
gulden pro conStruendo et ordinando unum armarium seu libra-
rium in dicta abbatia, in quo dicti libri stent et ponantur. 4 ) In
Xanten dagegen ist armarium die Sacristei, und wird von der
liberaria unterschieden» Häufig ist die Form almarium, und
deutsch die Almer noch jetzt gebräuchlich; auch armaria
kommt vor.
Für libraria hatten wir oben die barbarische Form librarium ;
sie findet sich öfter, im angels. Gloss. Aelfrici erklärt durch
bockus*) Deutsch kommt liberei vor, buckgaden, buchkammer. 6 )
Die Statuten von S. Victor geben an, wie die Almer be-
schaffen sein soll: Ipsum armarium autem inlrinsecus ligno ve-
stitum esse debet r ne humor parietum membranas rubigine äliqua
sive humectatione aliqua inficiat. In quo etiam diversi ordines
seorsum ac seorsum distincli et convenienter coaptati esse debent,
in quibus libri separatim ita collocari possunt et distingui ab
tnvicem, ne vel nimia compressio ipsis libris noceat vel confusio
aliquid specialiter in eis quaerenti moram afferat vel impedimen-
tumJ) Ein solcher Schrank stand zuweilen in der Kirche, wie
in S. Albans, dem Grab des h.' Eremiten Roger gegenüber,
das speciale almarium picturatum 7 in welchem Abt Simon (p. 256)
die besten Bücher verwahrte. Bei gröfserer Zahl bedurfte es
eigener Räume ; man konnte die Bücher nicht gut, wie in Abys-
*) Laur. Mehus V. Ambr. Trav. p. 135. 343.
2 ) P. Villari, Savonarola 1,468 der librerista di San Marco.
3 j Mehus p. 343, wo mehr Beispiele.
4 ) Mehus V. Ambr. p 383.
5 j Du Cange ed. Henschel 4, 102.
6 j bibüotheca, diu büohchamera. Notker's Uebers. des Boethius,
Hattemer, Denkm. 3, 26. Vgl. Grimms D. Wörterbuch 2, 474. 475.
7 ) Martene de antt. eccl. ritt. 3, 733.
Wattenbach, Schriftwesen. 23
354 Bibliotheken und Archive.
sinien, in den Rauch hängen 1 ); aber man stieg doch aufs Kirchen-
dach. So heifst es in der Tegernseer Chronik von Abt Eber-
hard, dafs er die Michaeliskirche stiftete, et super eandem ar-
maria locaiur. 2 ) Ein Beschlufs des Capitels von Notre-Dame
in Paris zeigt uns ihre Bibliothek de novo ordinatam supra
lesludines seu voltas eiusdem ecclesiae; der Zugang war durch
den einen Thurm. 3 ) Man hat in neuerer Zeit zuweilen auf
Kirchenböden ganz vergessene alte Bibliotheken gefunden.
Häufiger und zweckmäfsiger war die Aufstellung in der Kirche.
In der Beschreibung der Athosklöster (p. 320) ist zweimal von
Bibliotheken über der Vorhalle die Rede; p. 468 heifst es:
ETtavwd-ev öh tov vdQ&rjxog eivai ßißXiod-ri'Arj 7tlovaicoTaTT]'
EVQlo~/.erai de %al älkrj ßißlcod-rjxr] ev xtj) oxevoq)vhcc%i(p 7toXkcov
xal xQrjoif4coT(iTCüv ßtßMcov. Diese zweite befand sich also nach
ältester Weise in der Schatzkammer oder der Sacristei.
In Dol waren nach dem Katalog der Kapitelsbibliothek
von 1440 im Chor der Kirche 27 Bücher zum Studium der
Kleriker angekettet. 4 ) In Sevilla war, und ist vielleicht noch,
die Dombibliothek über einem der fünf Schiffe der Kathedrale. 5 )
Man findet zuweilen die auffallende Bauart, dafs Seitenschiffe
in halber Höhe überwölbt sind, und so Emporen bilden, die
einen gottesdienstlichen Zweck schwerlich gehabt haben können.
So ist die Bauart der grofsen gothischen Pfarrkirche in Her-
mannstadt, so die der Heiligengeistkirche in Heidelberg, und
hier hat sich, wie der Herr Stadtpfarrer Herbst nachgewiesen
hat, in diesen Räumen die berühmte Bibliothek befunden, bis
sie geraubt wurde. 6 )
i t in Behältern von Löwenhaut, s. die Abbildung bei Curzon, Visit
to Monasteries in the Levant (Lond. 1849) p. 93. Catalogue of the Curzon
library p. 19. Ein Original in Berlin Cod. or. qu. 370.
2 ) Pez Thes. III, 3, 515.
3 ) A. Franklin p. 50. Im J. 1379 wollte man sie über der Kapelle
S. Aignan einrichten, p. 47.
4 ) Bibl. de l'ßcole des Chartes 5, 3, 4L
5 ) Bourgoing, Tableau de l'Espagne 3, 97.
6 ) Mittheilungen des Heidelb. Schlo fsver eins, Heid. 1S68; vgl. W. Oncken
in der Festschrift f. d* Juristentag in Heidelberg (1869) p. 12.
Einrichtung der Bibliotheken. 355
Die Strafsburger Domherren hatten ihre Bibliothek in ihrem
Schlafhaus. In dem kostbaren alten Manuscript von Quinti-
lians Institutio oratoria, welches Poggio auffand, steht: Werin-
harius episcopus dedit S. Mariae. Es ist der durch seine Ge-
sandtschaft nach Constantinopel bekannte Bischof Werner,
1001 -—1029. Eine fernere Inschrift besagt: Liber S. Mariae
ecclesiae Argn. in dormitorio. Nota quod XCI libri sunt in-
calenati in dormitorio ecclesiae Argentinensis. Es folgt dann
noch ein Inventar bei der Uebergabe von 1372. ! ) In ähnlicher
Weise hatte auch das Hamburger Domcapitel im oder am
Schlafhaus eine Buchkammer, denn der. Probst Johann von
Campe (f 1353) vermachte ihm Bücher mit der Bestimmung:
ut in dormitorio eodem ad cameram librorum in cathenis ad
utilitatem communem ponantur.*)
In Wien starb 1349 domina Gertrudis Hösinna, die ganz
besondere Freundin der Minoriten, von der es im Nekrolog
heifst: Etiam aedificavit librariam magnam et quinque camer as
iuxta lectorem. 3 ) Also, wie es scheint, gewölbte Räume für
die Bibliothek, anstofsend an den Lettner, und wohl mit diesem
in Verbindung.
Als 1480 Paul Munthart dem Thomasstift in Strafsburg seine
Bücher vermachte, verordnete er, dafs dafür binnen Jahresfrist
an passendem Orte libraria cum voltis seu testudinibus , banccis
et cathenis, ut mos est, erbaut werde. 4 ) Von solcher Anket-
tung, die hier als allgemeine Sitte erscheint, ist schon oft die
Eede gewesen; gewöhnlich wohl unter dem Lesepulte befand
sich eine lange Eisenstange, an welcher die Ketten befestigt
waren, lang genug um die Handschrift im Local ungehindert
benutzen zu lassen. Mittelst eines Schlüssels liefsen sie sich
ablösen, wenn man ein Buch verleihen wollte. Die Bücher waren
nicht aufgestellt, und pflegen deshalb auf dem vorderen Deckel
x ) Bandini, Codd. latt. 2, 382. Plut. XLVI cod. VH
2 ) Zeitschr. f. Hamb. Gesch. N. F. 3, 37.
3 ) Pez, Scriptt. 2, 489.
4 ) Ch. Schmidt, Hist. du Chapitre de Saint-Thomas de Strafst» p. 459.
23*
356 Bibliotheken und Archive.
des Einbandes die Angabe des Inhalts unter einer durchsich-
tigen Hornplatte zu führen. Das älteste mir bekannte Beispiel
ist in dem Katalog des Klosters Weifsenburg, der um das Jahr
1040 verfafst ist 1 ); man hatte psalteria intus servata X. in aec-
clesia IUI catenata. Hier waren also nicht die in der Biblio-
thek befindlichen, sondern die für den Kirchengebrauch bestimm-
ten der Sicherheit wegen angekettet; dasselbe findet sich im
Inventar der Olmüzer Domkirche von 1435, wo nur liturgische
Bücher in der Sacristei und an Altären angekettet sind. 2 ) Für
Bibliotheken wurde es erst bei zunehmender Benutzung, auch
durch Fremde, nöthig.
Dem Kloster Cluny wurden 1257 vom Abt Ivo Bücher
übergeben, und 22 davon in claustro angekettet 3 ); Beispiele
sind von da an häufig und schon manche auch hier erwähnt.
Kurfürst Ludwig III verordnete 1421 bei dem Vermächtnife
seiner Bücher an das Stift zum H. Geist in Heidelberg: quod
memorati libri omnes in liberaria ecclesie S. Spiritus ponerentur
et concathenarentur atque sie concalhenati in predieta liberaria
perpetuo permanerenL 4 ) Deutsch heifst es in dem Testament
von 1436: das man dieselben bücker czu dem heyligen geiste
in eine liberye, die man darinne machen wirdet, legen und die
mit ketten und schlössen wol verwaren und versichern sal 7 daz
die darinne bliben undnit dar ufs in kheines huse oder gewalte
genommen, gezoget, geleget oder behalten werden sollen^ sunder
wer dar inne studiren oder darufs schriben wil 9 der sal in die
liberye geen. 5 )
So richtete sich 1550 das Victorstift in Xanten seine Bib-
J ) Knittel, Ulph. Fragm. p. 243—245; vgl. p. 246 das Verzeichnis
der ausgeliehenen Bücher.
2 ) Notizenblatt d. Wiener Akad. 1852 p. 168. Vgl. auch oben p. 326.
Die Pariser Kirche erliefs 1368 Sentenzen in fractores librorum existentium
in choro, etiam contra Mos qui amovebunt cathenas de dictis libris.
A. Franklin p. 46.
3 ) A. Franklin 1, 363 nach Bibl. Clun. p. 1667.
4 ) Wilken p. 175.
5 ) Hautz, Gesch. d. Univ. Heid. 1, 259.
Einrichtung der Bibliotheken. 357
liothek ein. l ) Die Handschriften der Marcusbibliothek in Florenz
waren bis 1530 in Schränken, dann bis 1685 an Ketten; die
der Laurenziana wurden erst 1571 an Ketten gelegt (p. 342).
Mabillon fand in Padolirone 500 Pergamenthandschriften prisco
more scamnis allig atos ferreis catenis. 2 ) Der häufig vorkom-
menden Unterscheidung zwischen angeketteten Büchern zu
ganz freier Benutzung, und anderen, welche aus besonderen
Gründen lose in Schränken verwahrt wurden, ist schon wieder-
holt gedacht worden. Dahin gehört auch aus dem Jahr 1489
das Ivventarium omnium librorum Conventus S. Mariae No-
vellae de Florentia Ord. Praed. tarn de Ulis qui sunt in banchis
secundum ordinem tahulanim, quam de Ulis qui sunt in cassis,
atque etiam de Ulis qui sunt fratrybus concessi. 3 )
C. L. Bethmann sah 1839 die Bibliothek der Universität
Zütphen noch ganz in ihrer alten Gestalt. In einer kleinen
Capelle der schönen Johanniskirche, sagt er, liegen auf ur-
alten Eichenpulten, zwischen denen niedrige Bänke, etwa 300
Bände, alle auf der breiten Seite ruhend, mit Ketten an eine
Eisenstange geschlossen, und von dickem Staube bedeckt. 4 )
Auch im Merton College in Oxford ist die Einrichtung er-
halten.
Merkwürdig ist die Weltchronik der Erfurter Karthäuser,
eine gewaltige Tafel von Eichenholz mit Flügelthüren, inwen-
dig mit Pergament überklebt und beschrieben; das Ganze an
einer starken eisernen Kette aufgehängt. 5 )
Eine nicht unzweckmäfsige Art der Aufstellung für die
grofsen Folianten besteht darin, dafs sie mit dem Bücken gegen
die Wand gestellt, auf dem Schnitt mit grofsen Buchstaben den
Titel tragen. So ist die im Germanischen Museum zu Nürn-
') Schölten, Auszüge aus den Baurechnungen der S. Victorskirche
zu Xanten (Berl. 1852) p. 90 ff.
2 ) Iter Ital. p. 207.
3 ) Laur. Mehus V. Amhr. Camald. p. 341.
4 ) Pertz' Archiv 8, 36.
5 ) Jetzt in der Berliner Bibl. Cod. lat. fol. 322.
358 Bibliotheken und Archive.
berg aufgestellte Scheurlsche Bibliothek beschaffen, so die
Bibliothek im Escorial.
5. Die Archive.
Urkunden möglichst sicher aufzubewahren, mufste früh-
zeitig als ein dringendes Bedtirfnifs erscheinen, vorzüglich für
die geistlichen Körperschaften, welche sich nicht auf die Be-
weiskraft ihres Schwertes verlassen konnten. Aufeerdem hatten
diese bessere Gelegenheit zu sicherer Aufbewahrung ; sie waren
weniger gewaltsamen Wechselfällen ausgesetzt, und es ist da-
her nicht zu verwundern, dafs die kirchlichen Archive viel
höher hinaufreichen, als die weltlichen.
Zwei Hauptquellen sind für den Bestand der Archive zu
unterscheiden, die verliehenen Privilegien, Schenkungen, Ver-
trags -Urkunden, richterliche Entscheidungen, einerseits, und
andererseits die aus der eigenen Thätigkeit hervorgehenden
Concepte, Register, Acten aller Art. Auch Correspondenzen,
kurz alles mit Ausnahme der endgültig abschliefsenden Ur-
kunde, fiel diesem Theile zu, den wir mit modernem Aus-
druck als die Registratur bezeichnen können. Natürlicher
Weise wurde das Urkunden-Archiv am sorgsamsten verwahrt,
und nur davon sind aus frühester Zeit Stücke erhalten", mit
Ausnahme derjenigen, welche, wie Gregors I Register und die
Sammlung päbstlicher Schreiben an die Frankenkönige, durch
Abschriften vervielfältigt in die Litteratur übergingen, und ein-
zelner zufällig erhaltener Stücke.
Frühzeitig wurde das päbstliche Archiv organisirt.
In einem Nebengebäude des Lateranischen Palastes war die
päbstliche Kanzlei, scrinia apostolica oder sacrum scrinium la-
teranense genannt. Hier war der Actenschrank , bibliotheca,
archivum oder scrinium, unter dem primicerius notariorum
stehend, bis diesem später ein besonderer bibliothecarius bei-
geordnet wurde. Die ersten Spuren dieses Archives finden
sich in einem unter Damasus (366 — 384) gehaltenen Concil,
dann in den Briefen Innocenz I (402 — 417). Es erhielt sich
Die Archive. ' 359
bis in das 12. Jahrhundert, wo es mit dem Schatze vereinigt
und dem thesaurarius zur Aufsicht tibergeben wurde. 1 )
Mit den Päbsten kam auch das Archiv ins Wandern, es
folgte ihnen nach Viterbo, Orvieto, Avignon, und dabei ist fast
alles zu Grunde gegangen. Nur wenige Urkunden sind von
dem früheren Bestände gerettet, und von den Regesten, welche
seit Gregor I alle von der Curie ausgehenden Schreiben in
Copie enthielten 2 ), nur Abschriften des Registers Gregors I,
von 308 Briefen Johanns VIII, einer Auswahl von Gregors VII
Briefen und eines Fragments von Anaclets II Register. Von
Innocenz III an aber sind die Originalregesten in 2016 Bänden
vorhanden, ein für die Geschichte unerschöpflicher Schatz, der
in mancher Richtung, aber noch lange nicht hinreichend aus-
gebeutet ist. 3 ) Der übrige Inhalt des Archives ist noch viel
schwerer zugänglich, und daher auch noch weniger bekannt.
Ueber die zahllosen Archive der Kirchen und Klöster,
denen wir die meisten Urkunden verdanken, ist im Allgemeinen
nur zu bemerken, dafs sie sehr sorgfältig verwahrt zu werden
pflegten. In Fontenelle baute Abt Ansegis in medio porticus
domum cartarum, in Reims Ebo arckivum ecci.esi.ae tutissimis
aedificiis. Karl der Kahle befahl ausdrücklich die sorgfältige
Aufbewahrung der Privilegien. 4 ) Lambert erwähnt ad a. 1059
ein Schreiben Nicolaus II, welches noch im cartarium der
Herfelder Kirche verwahrt werde. In Ravenna wünschte
Ambrogio Traversari vergeblich den Eintritt ins Archiv: esse
intra ecclesiam locum qui chartophylacium diceretur prqfessi
sunt, in quo priviiegia plurima iunco imcripta servarentur. Da
aber der Custos nicht anwesend war, konnte es nicht geöffnet
werden. 5 ) Vom Erfurter Peterskloster erzählt Nicolaus de
Syghen zum J. 1473: factum fuit ad S. Petrum armarium sive
1 ) nach Blume, Iter Ital. 4, 265.
2 ) Jaflfö, Regesta Pontificum Ronianorum (Berol. 1851) Praef. p. IV.
3 ) s. darüber Pertz im Archiv 5, 27—33. 344—352. Dudik, Iter Rom. ll,
auch über die äufsere Gesch. des päbstlichen Archivs.
4 i Sickel. Acta Karol. 1, 10.
5 ) Mehus V. Ambr. Camald. p. 413.
360 ' Bibliotheken und Archive.
sacristia in opposito turri in qua maiores campane dependent,
contra altare S. Martini, pro preciosis clenodiis atque princi-
palibus privilegiis. Da sehen wir also die Verbindung der
Hauptprivilegien mit dem Schatze 1 ), und ihre Trennung von
Kanzlei und Registratur.
Während daher geschichtlich weit wichtigere Actenstttcke
meist zu Grunde gegangen sind, haben Privilegien sich nicht
selten in unglaublicher Frische über ein Jahrtausend erhalten*
Die Siegel suchte man oft durch Umhüllung mit Werg zu
schützen, was aber die Fettigkeit entzieht und sie häufig -ganz
zu Grunde gerichtet hat. Die angehängten Siegel pflegen in
kleinen Beuteln von Leder oder anderem Stoff zu stecken. In
der Regel haben die Urkunden eine alte Bezeichung, oft nach
der cistula oder ladula, in welcher sie lagen; dieser Ordnung
entspricht das Copialbuch, welches die zu häufige Einsicht
der Originale unnöthig machte. Wir verdanken diesen, in
älterer Zeit immer sehr sorgfältig und correct geschriebenen
Copialbüchern die Kenntnifs einer aufserordentlichen Menge
von Urkunden, deren Originale verloren sind.
Hervorragende Fürsten und Prälaten, welche Ordnung in
die oft arg verwahrloste Verwaltung brachten, haben sich immer
auch des Archivwesens ernstlich angenommen; ich erinnere
nur an Erzbischof Balduin von Trier und die von ihm her-
rührenden musterhaften Copiarien. Aber die Nachfolger haben
selten den gleichen Sinn bewahrt, und daher finden wir so
häufig in Copialbüchern wie in den Archiven selbst, wenn ihre
Anordnung noch zu erkennen ist, dafs trotz des verständigsten
Schema's, welches die Ordnung sehr leicht machte, doch neu
hinzukommende Urkunden hingelegt und eingetragen sind, wo
gerade Platz war, ohne Rücksicht auf den Inhalt. Dem gegen-
über mufs ich jedoch ausdrücklich hervorheben, dafs ich in
dem mir näher bekannten Staatsarchive zu Breslau unter den
riesigen Urkundenbüchern des 15. Jahrh. aus schlesischen
') in vestigario (Garderobe) sivelarmario ecdesiae citirt Waitz, Verf.
Gesch. 3, 436 aus Gesta Aldrici c. 12, Baluzii Mise. 3, 33.
Die Archive. 361
Klöstern wahre Wunderwerke menschlichen Fleifses gefunden
habe, die auch an systematischer Ordnung nichts zu wünschen
übrig lassen, und mit hoher Achtung vor den damaligen Archi-
varen erfüllen.
Weltliche Archive haben weit mehr durch Kriege und
andere Unfälle gelitten, als die kirchlichen. Unter den Mero-
wingern hören wir von gewaltsamer Zerstörung der Steuer-
rollen. 1 ) Ob übrigens ihre Archive die unruhigen Zeiten der
Auflösung des Eeiches tiberdauert haben, wissen wir nicht.
Karl der Grofse liefs 794, nachdem Tassilo noch einmal feier-
lich auf seine Ansprüche verzichtet hatte und dafür zu Gnaden
angenommen war, darüber tres breves ausfertigen; eins für
Tassilo zürn Andenken, eines in palatio retinendum, das dritte
in sacri palatii capella recondendum; d. h. für Registratur und
Archiv : jene folgte der Hofhaltung, diese war in Aachen oder
in S. Denis. 2 ) Die Markgrafen und Herzoge von Oesterreich
hatten ihr Archiv in Klosterneuburg, und überhaupt war es
Sitte, die wichtigsten Documente in einem Stift zu verwahren.
In Ungarn waren die Archive bestimmter geistlicher Körper-
schaften die loca credibilia für Urkunden, und im Mittelalter
ist es für den Landadel lange üblich geblieben, bei ihnen. ihre
Urkunden zu verwahren. 3 )
Merkwürdig ist, dafs polnische Fürsten 1234 zu gröfserer
Sicherheit einen Staatsvertrag in die päbstlichen Regesten auf-
zunehmen baten, was ihnen auch gewährt wurde; nur da hat
er sich erhalten. 4 )
*) Waitz Verfassungsgesch. 2, 567 ed. IL
2 ) Für S. Denis spricht die Dreitheilung in Ludwig's Urk. 302 Sickel.
Vgl. übrigens Waitz, Verfassungsgesch. 3, 436. Sickel 1, 9 — 11. An die
capella, welche dem Hofe folgte, ist hier wohl wegen der vorhergehenden
Bestimmung nicht zu denken.
3 ) Mir trat das lebhaft entgegen bei der Bearbeitung der Urkunden
von Czarnowanz, Cod. Sil. Dipl. I. Eine Anzahl der aus diesem Kloster
stammenden Urkunden ist ohne alle Beziehung auf den Güterbesitz des-
selben.
4 ) ad malus facti robur et evidentiam hec omnia in Registris domini
pape dominis episcopis procurantibus redigantur. Marino Marini, Diplo-
<j
362 Bibliotheken und Archive.
Unter Karl nnd seinen nächsten Nachfolgern ist noch die
Rede vom archivum palatii, armarium palatii, scrinium noslrum,
wo Urkunden und Gesetze niedergelegt wurden. 1 ) Das mag
unter Karl und Ludwig in Aachen gewesen sein; später gab
es bald keine Residenz mehr. Die deutschen Karolinger ver-
wahrten vielleicht ihre werthvollsten Urkunden in der Capelle
zu Regensburg; in der Folgezeit aber wird man sie wohl bald
in diese, bald in jene Pfalz gelegt haben, wie in Spanien,
nach Bergenroth , unter Karl V und Philipp II nach dem zu-
fälligen Aufenthalt des Hofes in Kastilien oder Aragon die
Archivalien nach Simancas oder Barcelona gebracht wurden.
Wir können uns von einer solchen Geschäftsführung kaum
eine Vorstellung machen, aber im Mittelalter darf dergleichen
nicht auffallen. Mufste nach einer Urkunde vielleicht ein Jahr
lang oder länger gesucht werden, so wartete man eben; fand
sie sich gar nicht, so behalf man sich ohne die Urkunde.
Wer etwas wollte, brachte seine Urkunden, die gegen gute
Sportein bestätigt und vermehrt wurden. Die laufenden Acten
aber und viele wichtige Urkunden führte der Hof mit sich.
Als 1132 Roger von Sicilien bei Benevent geschlagen war,
heifst es: Tentoria ducis et proprio, capella cum omnibus uteri-
silibus et scriniis capta fuere. In quibus invenla sunt privilegia
in quibus Petrus Leonis etc. 2 )
Aehnlich erging es 1194 dem König Philipp August von
Frankreich, und man liest wohl, dafs damals das ganze fran-
zösische Archiv den Engländern in die Hände gefallen sei. Allein
das bedarf doch sehr der Beschränkung. Roger von Hoveden
sagt: Captus est etiam regis Franciae thesaurus magnus et ca-
pella regia et cartae universorum hominum regis Angliae, qui
se dederant regi Franciae et comiti Johanni contra cum. Aus-
führlicher spricht sich Guillermus Brito in seiner Philippis da-
matica Pontificia (1841) p. 64. Neuer Abdr. in den Dissert. della Ponti-
ficia Accad. di Archeologia, Vol. XII Parte 2 p. 91. Theiner, Mon. Pol. \, 28.
*) Waitz, Verfassungsgesch. 3, 436. Sickel 1, 9.
2 ) Jatfe, Bibl. 5, 443 ex cod. Udalrici.
Die Archive. 363
ruber aus, und wir erfahren durch ihn, dafs aufser den Hand-
festen über eingegangene Verpflichtungen vorzüglich die Re-
gister der Abgaben und anderen Rechte des Staates mitgeführt
wurden, und bei dieser Niederlage verloren gingen; 4, 547
heifst es (Bouq. 17, 170):
Scripta tributorum fiscique chirographa nee non
Cum reliquis rapitur rebus regale sigillum.
Genauer wird der Inhalt angegeben, wo von der mühsamen
Wiederherstellung die Rede ist, v. 563 ff.
sed scripta quibus praenosse dabatur,
Quid deberetur fisco, quae, quanta tributa,
Nomine quid census, quae vectigalia, quantum
Quisque teneretur feodali solvere iure;
Qui sint exempti vel quos angaria damnet,
Qui sint vel glebae servi vel conditionis,
Quove manumissus patrono iure ligetur,
Non nisi cum summo poterit rescire labore.
Er rühmt dann den Kämmerer Gautier Le Jeune, welcher das
alles wieder in Ordnung gebracht habe.
Für den Verlust des ganzen Urkundenschatzes scheint
allerdings zu sprechen, dafs aus älterer Zeit nichts vorhanden
ist. Gerade Philipp August scheint in Folge jenes Unfalls das
Archivwesen neu geordnet und den thesaurus chartarum, tresor
des chartes begründet zu haben, welcher von nun an bei der
Sainte Chapelle du Palais über der Sacristei verwahrt wurde. 1 )
Ueber Einrichtung und Inhalt der englischen Archive
giebt ein Aufsatz von R. Pauli willkommene Auskunft: Das
alte englische Staatsarchiv im Tower zu London 2 ), kurz vor
der Uebersiedlung in das neue Record Office geschrieben. Merk-
würdiger Weise ist es hier der König Johann, von dem die
*) Dessalles, Le Tresor des Chartes, in : Memoires präsentes ä TAcademie
des Inscriptions I (1844) 365—461. A. Franklin, Les anciennes Biblio-
theques p. 217, und die von ihm angeführten Schriften.
2 ) Allgemeine Monatschrift 1853 p. 631 — 643.
364 Bibliotheken und Archive.
neue Ordnung ausgeht; mit 1199 beginnen die Rotuli ckar-
tarum, während die damals noch vorhandenen älteren Urkunden
in den Rotuli chartarum antiquarum zusammengeschrieben sind.
Auch die übrigen Rollen verschiedener Art sind, wenn gleich
nicht ohne Lücken, von Johanns Zeit . an erhalten, und werden
noch fortgeführt. Der Krönungsrotel der Königin Victoria soll
600 Fufs Länge haben, und da der Anfang immer am innersten
Ende ist, oft auch beide Seiten beschrieben, kann man die Be-
quemlichkeit des Nachsuchens leicht ermessen.
Auch kanaperia, kampers, sind noch aus alter Zeit vor-
handen, Körbe, deren jeder mit seinem label versehen ist;
darin wurden Complexe einzelner Original-Urkunden verwahrt.
Das Archiv im Tower wird zuerst unter Edward I 1305
erwähnt. Seit 1295 stand ihm der magister rotulorum vor;
im Record Tower oder Wakefield Tower wurden diese Docu-
mente verwahrt. Ganz abgesondert davon aber war in West-
minster das Archiv der Schatzkammer, des Court of Exchequer,
wo die Pipe-rolls, Rotuli magni pipae verwahrt wurden. Sie
sind in Quartform geheftet, dann aber zur Aufbewahrung
ebenfalls gerollt, wovon auch die Benennung hergeleitet wird.
Hier, im Chapter house, wurde auch das Doomsday-book,"ein
Buch in einfacher Quartform, aufbewahrt.
Das Archiv des deutschen Reichs th eilte die Schick-
sale des Reiches. Ein Stück von Friedrichs II Regesteh ist
in Neapel erhalten '), doch gehört es seiner sicilischen Regierung
an; dort, in Neapel, sind die Regestenbände der Anjou von
1268 an vorhanden. Carl I hatte ein eigenes Reise -Archiv,
scrinium viatorium, welches in Säcken und Körben auf Maul-
thieren die Curia begleitete. 2 ) ' Einen Einblick in den Zustand
des deutschen Reichsarchivs, aber keinen erfreulichen, gewährt
uns die Kenntnifs dessen, was davon nach Heinrichs VII Tod
*) von Oct. 1239 bis Mai 1240, gedr. in Carcani Constitutiones regum
Siciliae.
2 ) Paoli im Archivio Stör. Serie HI Tomo XII, 1, 146 nach Del
Giudice Cod. Dipl. Angiovino I Pref. p* XII.
Die Archive. 365
theils nach Turin gebracht wurde, theils in Pisa zurückblieb.
Ein Theil der Urkunden fand sich in gardaroba domini unter
Aufsicht des Kaplans Goswin. Aufser dem in Italien ange-
sammelten Material sind Urkunden aus K. Rudolfs Zeit dabei,
aber kein Motiv läfst sich erkennen, weshalb gerade diese mit-
genommen waren. Ordentliche Register über die Ausfertigungen
scheinen gar nicht geführt zu sein. l ) Von Ludwig dem Baiern
sind in München Stücke seiner Regesten erhalten, von Karl IV
in Dresden , aber von irgend einer Continuität eines Reichs-
archivs kann in dieser Zeit gar keine Rede sein. Von K. .Ru-
precht an sind dann endlich Regestenbücher in Wien erhalten.
Mittlerweile aber hatten die einzelnen Reichsländer sich
früher und fester als das Reich selbst ausgebildet, und mit der
beginnenden Ordnung der Verwaltung entstanden die Land-
bücher und andere Archivalien, auch ordentliche Register, die,
sorgfältig verwahrt wurden. Viel freilich ist doch noch in
späteren Bränden und Kriegslasten zu Grunde gegangen, oder
auch durch Vernachlässigung verfault.
Eine recht alterthümliche und zweckmäfsige Einrichtung
habe ich im Hofkammer- Archiv in Ofen kennen gelernt. Durch
luftige Gewölbe gehen eiserne Querstangen, an denen Beutel
hängen, sicher gegen Mäuse und Feuchtigkeit. Die Basis bil-
det ein vierecktes Brett, etwa von 1 Quadratfufs; darauf steht
die Signatur. Der Archivar durchschreitet mit einer langen Ofen-
gabel bewaffnet diese Räume, mustert das Firmament, und
langt sich seinen Beutel herunter; er löst die eisernen Haken,
in welche die vier Zipfel auslaufen, von dem Ring, der sie
*
zusammenhält, und wie nun die Zipfel seitwärts niederfallen,
liegen die Acten zu bequemer Benutzung vor uns.
In den Städten hat man von Anfang an grofsen Werth
auf geordnetes Archivwesen gelegt; sie reihen sich auch in
dieser Beziehung den geistlichen Körperschaften an. Man ver-
schaffte sich Privilegien, fälschte auch wohl zuweilen, was sonst
') s. J. Ficker, Die Ueberreste des deutschen Reichsarchivs zu Pisa,
Sitz. Ber. d. Wiener Ak. 14, 142 ff.
,a
366 Bibliotheken uiid Archive.
nichtft zu erlangen war, und verwahrte, was man hatte, möglichst
sicher; safs man doch hinter festen Mauern, und konnte ent-
weder das Rathhaus oder die Pfarrkirche zur Aufbewahrung be-
nutzen. In Italien und im südlichen Frankreich mögen Ein-
richtungen dieser Art sich unmittelbar an die römische Zeit
anknüpfen lassen. 1 ) Im 13. und 14. Jahrhundert soll bei den
italienischen Republiken ganz allgemein der Gebrauch bestanden
haben, Mönchen die Archive und die öffentlichen Gelder zur Auf-
bewahrung zu tibergeben und ihnen auch die Schlüssel dazu
anzuvertrauen. 2 )
Mehr einfach als zweckmäfsig wird die Einrichtung de&
alten Frankfurter Archivs geschildert, das in den Thürmen der
Leonhardskirche aufgerollt in Säcken lag, ohne Sonderung;
war ein Sack voll, so wurde ein neuer angefangen. Das soll
bis 1589 gedauert haben, war aber doch wohl kaum der ur-
sprüngliche Zustand. Anfänglich genügte ein grofser Kasten
oder Koffer, die cista civitatis, welche in Hamburg 1293 er-
wähnt wird. 3 ) Später bedurfte es neuer Behälter; die Stadt
Aachen gab 1338 acht Schillinge slus pro duobus parvis scrineis
in qaibns quitancie posite fuerunt, 11 pro una lada ad im-
ponendum cartas novas, 1349 sieben Schilling pro sera magna
ad cistam. 4 )
In Lübeck ist das Archiv seit der Gründung unversehrt
erhalten. In der schönen Marienkirche, der Marktkirche, welche
im 14. Jahrh. erbaut ist, befindet sich über der Rathscapelle,
und nur durch diese zugänglich, ein sehr festes Gewölbe. Eine
eiserne Thtire führt zu einer engen Wendeltreppe, eine zweite zu
dem gewölbten Raum, der durch starke Gitterfenster ein Dämmer-
licht erhält. Er heifst treselaria consilii, die Tresekammer,
entstellt aus thesauraria, wie wir auch unter den Beamten des
') Sickel, Urkundenlehre 1, 10.
2 ) nach Ces. Paoli, Archivio Stör. Serie 1H Tomo XII, 1, 146.
3 ) s. Lappenberg in der Vorrede zu dem, leider durch den Brand
von 1842 so selten gewordenen Cod. Dipl. Hamburgensis.
'•) Laurent, Aachener Stadtrechnungen p. 136. 207.
Die Archive. 367
deutschen Ordens den Tressler finden. Mit anderen Kostbar-
keiten wurden hier die Privilegien, Staatsverträge u. s. w.
verwahrt, diese auch noch jetzt, in grofsen und starken Kisten.
Die Zugänglichkeit dieser Schätze wurde zuweilen so erschwert,
dafs vor lauter Sorgfalt die Pergamente vermoderten; in Lübeck
aber sind sie trefflich erhalten. Für den gewöhnlichen Ge-
brauch hatte man Abschriften und Copialbticher. Man würde
aber sehr fehl gehen, wenn man sich bei geschichtlichen For-
schungen auf die Trese beschränken wollte; viel reicher ist
das Material der Registratur im Kanzleigebäude. Da liegen
die Acten und Register, Rechnungen und Correspondenzen,
die Stadtbticher, und auch die deponirten Privaturkunden, na-
mentlich die Testamente. Niemals hat man den Werth dieser,
zur laufenden Verwaltung und zu politischer Thätigkeit un-
entbehrlichen Materialien gering angeschlagen, aber man mufste
sie zur Hand haben, und auch der gröfsere Umfang erschwerte
die Verwahrung. Daher ist dieser Theil des Archivs mehr der
Feuersgefahr ausgesetzt gewesen, älteres Material allerdings,
auch der Vernachlässigung.
In Co ein waren die städischen Handfesten im Gewahrsam
des Stadtvogtes; auch als die Herren von der Stesse 1262 die
Burg des Stadtvogts kauften, blieb doch noch lange dort das
Archivgewölbe. Erst als der inzwischen immer mächtiger ge-
wordene Rath der Stadt im Anfang des 15. Jahrh. auf dem
Hofraum hinter dem Rathhaus einen mächtigen Thurm baute,
wurde hier auch ein besonderes Gewölbe zur Aufbewahrung
der städtischen Urkunden errichtet, und der Aufsicht von drei
Gewölbsherren aus dem Rathe übergeben. Zugleich wurde
eine Repertorisirung vorgenommen; der Katalog scheint von
1415 zu sein. Er weist in 48 hölzernen Laden etwa 1400 Ur-
kunden nach, in 8 anderen Laden eine unbestimmte Zahl von
Quittungen, Mannbriefen u. s. w. und noch einige Kisten mit
Geleitsbriefen und Schreiben an den Rath. Die Urkunden
waren meist aufgerollt. Der Zuwachs wurde stets im Katalog
nachgetragen, allmählich aber rifs eine greuliche Unordnung
ein. Neben diesem schwer zugänglichen Gewölbe bestand als
368 Schlufswort.
besonderes Institut, wie das ja die Natur der Dinge erfordert,
das Actenarchiv. ')
Diese Beispiele mögen genügen, da es hier nicht unsere
Absicht sein kann, den Schicksalen der einzelnen Archive nach-
zugehen; die Grundzüge werden sich überall in ähnlicher
Weise wiederholen.
Den gröfsten Verlusten sind die Archive erst in neuerer
Zeit ausgesetzt gewesen, als man die alten Schriften nicht mehr
verstand, und sie bei veränderten Verhältnissen ihren prak-
tischen Werth verloren hatten. Darüber enthält schon die Zim-
berische Chronik merkwürdige Mittheilungen mit lebhaften
Klagen des Verfassers über wunderliche und thörichte Schlofs-
herren. Noch weit verderblicher wirkte mit dem Beginn
unsers Jahrhunderts das Aufhören der alten corporativen Selb-
ständigkeit.
Doch diese Betrachtungen gehen schon über die Grenzen
unserer Aufgabe hinaus.
') nach Ennen und Eckertz, Quellen zur Gesch. d. Stadt Koeln,
I p. XHI ff.
Schlufswort.
Nachdem wir so das gesammte Schriftwesen im Mittel-
alter betrachtet haben, möge es gestattet sein, einige allgemeine
Betrachtungen hinzuzufügen.
Im Alterthum war die Kunst des Lesens und Schreibens
sehr verbreitet; man hatte ein billiges und bequemes Material,
geordnetes Geschäftswesen, einen ausgebildeten Buchhandel.
Mit dem Sturze des römischen Reiches gingen diese Vortheile
grofsentheils wieder verloren. Ein Stand jedoch rettet die
Kenntnifs der Schrift; es ist von grofser Wichtigkeit, dafs ge-
rade dieser Stand durch ein festes Band an Italien geknüpft
war, wo noch einige Nachwirkung des alten Zustandes sich
erhalten hatte.
Mit gröfster Emsigkeit schreibt Jahrhunderte lang der Cle-
rus; er vervielfältigt die überkommenen Werke, er verfafst die
Urkunden und Briefe. Der Schriftsteller macht auf seiner
Wachstafel den Entwurf der Schrift, welche er nach reiflicher
Prüfung auf das theuere Pergament tibertragen läfst. Auf die
äufsere Ausstattung der Handschriften wird viel verwandt, die
Schrift ist von grofser Schönheit, und in den Verzierungen ent-
faltet sich ein reiches und mannigfaltiges Kunstleben.
Doch dem Clerus entgleitet das Monopol litterarischer Bil-
dung; der Bürgerstand gewinnt an Bedeutung, Wohlstand und
Bildung; er schafft sich Schulen, benutzt die Schrift geschäft-
lich, und verlangt endlich auch nach Lesebüchern. Zahlreiche
Lohnschreiber genügen der gesteigerten Nachfrage, die popu-
läre Litteratur beginnt. Gleichzeitig findet ein billigeres Ma-
terial Eingang; man lernt Papier aus Lumpen herzustellen,
und der jetzt rasch wachsende Absatz ruft in vielen Gegenden
Papierhäuser hervor, welche den Preis immer niedriger stellen
können. So wird es möglich, dafs Bücher aus den Kreisen
der Gelehrten hinaustreten auf den Markt, und schon lohnt es,
sie im Mefsverkehr feilzubieten.
Wattenbach, Schriftwesen. 24
370 Schlufswort.
Die Nachfrage wächst sehr rasch; man sinnt auf mecha-
nische Mittel zu rascher und billiger Vervielfältigung. *Die
gangbarsten Schriften werden in Holzplatten geschnitten, dann
die Lettern gesondert und beweglich hergestellt: die Buch-
druckerei wird erfunden. Sie hätte wenig leisten können, wenn
man nur noch das theuere Pergament gehabt, wenn noch nicht
ein lesendes Publicum sich gebildet hätte. Nun aber sind
alle Bedingungen zum Fortschritt gegeben, Angebot und Nach-
frage steigern sich gegenseitig. Die anfangs noch theuern
Druckwerke werden bald billiger, die Kunstgriffe vervollkommnet
und tiberall hin verbreitet. Dazu bedarf es längerer Zeit; end-
lich aber ist ein Höhepunkt erreicht. An zahllosen Orten wird
mit Leichtigkeit gedruckt ; das Volk hat sich ans Lesen gewöhnt,
und die Buchführer machen auf den Messen gute Geschäfte.
Der Vorrath reicht nicht aus: man trägt kein Bedenken, Nach-
drucke zu veranstalten.
Schon erregen einzelne Schriften Anstofs, aber die Staats-
gewalt hat der neuen Erscheinung gegenüber noch keine festjß
Haltung gewonnen. Noch ist die Censur nicht erfunden ; Bücher-
verbote kommen vor, sind aber bei der raschen Verbreitung
nicht durchzuführen.
So war die Lage der Dinge, als Martin Luther auftrat.
Es bedarf keiner weiteren Ausführung, wie mächtig den refor-
matorischen Bestrebungen diese ganze Entwickelung des Schrift- .
wesens zu Hülfe kam. Was wollte die Verbreitung der Schriften
von Wiclef und Hus besagen gegen das vielgeäderte Getriebe,
wodurch jetzt die zahllosen Flugschriften in alle Welt "aus-
flogen, während auch die gewichtigen Werke den Gelehrten
aller Länder rasch und- leicht zugänglich wurden.
Doch nicht neben einander bestehen die verschiedenen
Künste. Um die Blüthe der alten Schreibkunst, die Herrlich-
keit der Miniatur, wie sie noch zuletzt am burgundischen Hofe
sich so glänzend entfaltet hatte, war es geschehen, sie mufsten
absterben. Und damit haben wir die Grenze unserer Dar-
stellung erreicht.
Berichtigungen und Nachträge.
Da einige Berichtigungen nicht zu vermeiden waren , habe ich hier zu-
gleich solche Stellen und Bemerkungen nachgetragen, welche den Text
zwar nicht verändern, aber doch zu gröfserer Vollständigkeit des
Materials beitragen.
p. 26. Noch nicht gesehen hahe ich das eben erschienene
Werk: Compendio delle lezioni teorico-pratiche di Paleografia
e Diplomatica, del dottore Andrea Gloria, professore straor-
dinario delle scienze ausiliarie alla storia nella Universitär,
e direttore del civico Museo in Padova. Padova, Prosperini
1870. 8. Cpn un Atlante di 29 tavole. Nach der Anzeige
von Cesare Paoli im Archivio Storico, Serie III, Tomo 12,
parte 1 p. 126 — 150 ist es wesentlich Urkundenlehre im alten
Stil, und die Unkenntnifs neuerer Litteratur bei beiden be-
dauerlich grofs.
p. 33. Für das Schreibwesen der Griechen ist noch an-
zuführen: K. F.Hermann, Lehrbuch der griech. Privatalter-
thümer, 2. Aufl. von Prof. Stark (1870) p. 281.
p. 37. In der Abhandlung von Deloye ist nicht hinläng-
lich unterschieden zwischen Urkunden, welche nur in Stein
oder Metall zur Schau gestellt wurden, und solchen, die von
Anfang an zu solcher Bekanntmachung bestimmt; oder nur in
solcher Gestalt vorhanden waren. Dahin scheint die Urkunde
über eine Freilassung vom Bischof Johann von Orleans aus
dem Ende des 11. Jahrh. zu gehören, welche in den Thür-
24*
372 Berichtigungen und Nachträge. '
pfosten der Kirche S. Crucis eingehauen ist, und schliefet:
teste hac sancta ecclesia. Mab. Ann. 0. S. B. 5, 533. Die In-
schrift aus S. Maria Maggiore in Rom (Marini, Pap. Dipl. n. XCI)
besagt ausdrücklich, dafs sie aus den authentischen Schriften
entnommen ist, aber die von Deloye p. 39 zuerst mitge-
theilte Verkündigung einer Schenkung aus Pierrelatte bei Mon-
t61imart mag vielleicht wirklich als Urkunde gedient haben.
p. 38. Andere griechische Ausdrücke für Schreibtafeln sind
nv%iov bei Pollux Onomast. X, 59, 7clva^, 7uvcudg, öekrlöiov,
yQa^azelov ; doch ist die vollständige Sammlung altgriechischer
Ausdrücke hier nicht beabsichtigt.
p. 42. Den Schreibunterricht bei den Griechen erläutert
die von K. F. Hermann 1. c. angeführte Stelle Plat. Protag. p. 326
D: ol ygcnjuiAariaTal zolg ^nw dewoig yqdcpeiv riav Ttaldwv
vrtoyodipavzeg ygafi^idg %fj ygacpiöi, ovra) %b yq^iiiaxelov 6i-
doaat nal dvayzd^ovac yqdcpeLv xard rrjv vcpqyqaiv tüv yqa^i-
fiwv. Hier sind die Buchstaben im Wachs mit leichten Linien
vorgezeichnet; etwas abweichend ist die Methode bei Seneca,
ep. 94, 51: Pueri ad praescriptum discunt, digiti illorum tenen-
tur, et aliena manu per litter arum simulacra ducuntur: deinde
imitari iubentur proposita, et ad illa reformare chirographum.
p. 44. Im Vocabularius optimus ed W. Wackernagel p. 29:
dictica, dichtauel.
p. 47. efßgiendi kommt in der Unterschrift des Druckers
Joh. Veldener vor, bei Harzen im Archiv f. d. zeichnenden
Künste 1855 p. 3 aus Lambinet, Recherches p. 271.
p. 49. Etwas unklar ist die Schriftstellerei des h. Nilus
(t 1005). In seiner Vita heifst es Acta SS. Sept. 7, 293, dafs
er in seiner Einsiedelei nicht unthätig sein wollte, od-ev and
TtQuu ewg TQiTTjg o^ewg €xalkiyQCcq)ei, Xstttcj) xal 7tvKV(p %Q(jl>-
fxevog Idioxeigq) , xal rergdötov nkrjQaiv xctxP sKdoTtjv. Aber
nach p. 295 beschrieb er nur Wachstafeln: dU! ovöb [i&avog
öoxsiov axokd^ovTi iv Tip ygacpeiv' xrjgov de Tttj^ag B7xl T(p
(ItvL T(p?) £vkcp, öt avTOv tcüv tooovtwv ßißllcov %b Ttlrj&og
£KaXkiyQdq)r]0€.
p. 58. In dem Livre des mätiers d'fitienne de Boileau
Berichtigungen und Nachträge. 373
(Röglemens sur les arts et m6tiers de Paris redigös au 13. stecle,
ed. Depping, 1837) bilden die tabletiers ein mutier; p. 171: De
ceus qui fönt tabks ä escrire ä Paris. Sie arbeiten vorzüglich
in Buchsbaum, und dürfen geringeres Material nicht nehmen.
Verzierungen sind von Hörn, Elfenbein u. a. Das Wachs darf
nicht mit Talg gemischt werden, p. 173: Ne nus tabletter ne
puet metre suif arec che. In der Steuerrolle von 1292 (ed.
H. Göraud p. 538) sind 21 tabletiers.
Ambrogio Traversari schreibt um 1430 an Francesco Bar-
baro nach Venedig, dafs sein Bruder tabellas btuveas quales
fiunt apud vos venustissimas cum stylo wünsche; er selbst ver-
langt 1432 Nachsendung seiner tabellae buxeae; epp. ed. Mehus
p. 300. 534.
p. 62. Zu dem Markenbuch von Schwäbisch Hall vgl.
Homeyer, Die Haus- und Hofmarken (1870) p. 263.
p. 64. Auf einem zu Italica bei Sevilla gefundenen Back-
stein steht der Anfang der Aeneide ; die Schrift wird mit pom-
pejanischen Wandschriften verglichen. Aus der sehr ungenü-
genden Beschreibung ist nicht zu ersehen, ob es Gekritzel oder
Vorschrift ist. Archaeolog. Anz. zur Berl. Archaeol. Zeit. 1864
p. 199.
p. 65. Vocabularius optimus ed. Wackernagel p. 29: cento.
geuüiz uf der schribschindel.
p. 66. Ueber Kerbhölzer vgl. Homeyer, Die Haus- und
Hofmarken p. 214.
p. 68. Es bleiben noch viele Zweifel bei Erklärung der
Stelle des Plinius; scapus wird als eine Rolle von höchstens
20 Blättern erklärt. Später kommen tomi vor, p. 73. Auch
die Länge war bei der Fabrication beschränkt; man leimte die
plagulae nach der Schrift zusammen (p. 112), aber man sieht
auf ägyptischen Rollen auch Schrift auf der Commissur. Das
Verfahren scheint nicht immer dasselbe gewesen zu sein.
p. 71. Vgl. p. 106 die Acten der Synode von 680.
p. 75. Die Stelle des Chron. Mosom. steht p. 243.
p. 79. In der Vita S. Nili, Acta SS. Sept. 7, 303 heifst
es, dafs Nilus vom Abt nach Rossano geschickt wurde, äyo-
374 Berichtigungen und Nachträge.
qdaat fie^ßgdvag. In Mone's Zeitschrift 2, 11 — 13 sind Anwei-
sungen, Pergament zu machen, aus dem 14. Jahrhundert; Es
scheint aber nicht, dafs es zum Schreiben bestimmt war. Vgl.
oben p. 92. Der italienische Ausdruck carta di pechora findet
sich im Inventar der Bücher des Cynus von 1337. Savigny,
Geschichte des röm. Hechts im Mittelalter, 1. Ausg. 3, 559.
p. 81. Hieronymus contra Faustum 15, 4 scheint coria
agnorum und pelles caprinas als das gewöhnliche Schreibmate-
rial zu bezeichnen ; auch Herodot (p. 76) Ziegen und Schafe. In
einer Schenkung an die Pariser Kirche von 1334 biblia scripta
in pergameno caprino. A. Franklin, Les anciennes Bibliothöques
p. 18. Kälber und Schafe finden wir in der Formel saec. IX
bei De Roziöre, Eecueil n. 766 p. 1035: rescribas , ni grave
Jiierit, calamum tinguere tinctumque in vitulino campo ovinoque
trakere.
p. 84. In der Pariser Steuerrolle von 1292 (H. Geraud,
Paris sous Philippe-le-Bel p. 528) kommen 19 parcheminiers vor;
da es aber ein freies Gewerbe war, hat es vermuthlich viel
mehr gegeben.
p. 85. Die Verse minder correct in den Geschichtsquellen
der Provinz Sachsen 1, 96. Die Pergamentergasse in Erfurt
wird schon 1296 erwähnt. Die ? % aso?*es pergameni (wenn nicht
eher chartarum rasores zu verbinden und pergamenarii zu lesen
ist) erscheinen in den Statuten der Prager Universität unter den
Personen, welche der Jurisdiction derselben unterstanden, angef.
bei A. Kirchhoff, Weitere Beitr. p. 23. An Palimpsester (p. 233),
welche in Erfurt spöttisch gemeint sein könnten, ist hier doch
nicht zu denken. Vgl. auch p. 130.
p. 94, 12. Die Worte wo— bedeutet sind zu streichen ; s. p. 98.
p. 96. Ambrosius Camaldulensis schreibt epp. p. 585 : Char-
tas ad me Fabriano rnissas conserva usque ad nostrum reditum.
p. 97. Nach den angeführten Stellen kostet in Nürnberg
1384 ein grose rizs papiers 1 Pf. 3 Schilling, 1388 swey puch
pappiers 3 Schilling. In der Lausitz im 14. Jahrh. werden 108
Blatt Papier gekauft, macht 2 Fächer und 4. Pagen, wo also >
50 Blatt oder 25 Bogen ein Buch ausmachen.
Berichtigungen und Nachträge. 375
p. 102. über eptaticum Moysi in Staffelsee unter Karl dem
Grofsen, Mon. Leg. 1, 176. Der Camaldulenser Paulus Orlan-
dinus verfafste im 15. Jahrb. ein siebentheiliges Werk unter
dem Titel Heptathicum , Laur. Mehus V. Ambr. p. 385. Eine
bibliotheca nennt unter den nöthigen Kirchenbüchern Job. de
Garlandia, Göraud, Paris sous Philippe-le-Bel p. 604. Bei A.
Franklin, Les anciennes Bibliothöques de Paris, sind viele Bei-
spiele. Bandini 2, 40 giebt aus ein^m Beda de temporibus das
Inventar des Kirchenschatzes, welches 1070 Stephan abbas S.
Agerici Virdun. aufnehmen liefs. Das*Verzeichnifs der Bücher
beginnt: Textum L Bibliothecam veteris et novi Testamenti in
duobiis magnis voluminibus ?iovis, et unam veterem.
p. 105. Das Distichon unter Ovids Metamorphosen findet
sich bei Bandini 2, 229 und sonst häufig ; p. 309 die Verszahl
der virgilifcchen Werke. Ich glaube in Münchener Abschriften
saec. XV noch mehr gesehen zu haben.
p. 109. Die von Delisle publicirten Todtenrollen sind
meistens nur Fragmente. Auch der Abt Hermann II von Brau-
weiler schickte 1397 rolulam ad diversa monasteria ordinis nostri
pro inscribendis nominibus fratrum defunctorum atque soro7*um.
Der Bote hiefs rotula?*ius. Eckertz, Fontes rerum Rhenanarum
2, 243.
p. 110. Das Kloster Camp verzeichnete erlittenen Kriegs-
schaden in quodam longo rotulo per nolarium publicum de istis
eventibus conscriplo 1363. legal qui voluerit. Et prefalus rotulus
habet in longitudine 18 ulnas cum dimidia et in latitudine quasi
unam ulnam mensure Coloniensis. Eckertz, Fontes rer. Ehen. 2,
369. Brauweiler führte 1518 einen Prozefs in Trier, ut ex actis
in cista conventuali inclusis patet. In quißus fere continentur
omnia privilegia nostra per modum rotuli transsumpta. ib. p. 323.
Thorner Rolle über Strandungsfälle von 1377, Homeyer, Die
Haus- und Hofmarken, p. 268. Lübecker p. 272.
p. 113. Die nach Savigny 3, 536 angeführte Stelle hat iü
einem alten Druck des Catholicon scilicet statt sed; in einem
andern charte. Der Codex Terentii Vat. 3226 ist in Quinionen
geschrieben, nach der Vorrede von Umpfenbach p. IV — VIII.
376 Berichtigungen und Nachträge.
•
Ungenau steht in dem alten Orosius Med. Laur. iste quaternio
quinque folia habet, Bandini 2, 728.
Libri in seinem Auctionskatalog p. 69 n. 298 hat Cyprians
Briefe saec. VII mit einem fly~teaf 9 das Fragmente eines theolog.
Manuscripts saec. IX in 4 Columnen enthält. Vielleicht sind es
aber 2 Seiten.
p. 114. Dreispaltig ist der Utrechter Psalter aus S. Augu-
stins Schule, s. p. 215, u. 2 Handschriften der Nibelungen nach
v. d. Hagen, Berichte der Berliner Ak. 1852 p. 452.
p. 120. Ein eigentümlicher Ausdruck igt in Siena caleffo
für den 1203 angelegten und dann fortgesetzten liber memo-
rialis communis, cartularius, instrumentarium. Man unterschied
nach der Zeitfolge caleffo vecchio, delV Assunta (nach dem Titel-
bild), nero, rosso und calefetto. Cesare Paoli dei cinque caleffi
del K. Archivio di Stato di Siena, Arch. stör. Serie III, Tomo IV,
Parte 1, 45—92.
p. 121. Eine pagina des Herzogs Wilhelm von Aquitanien
vom 19. Apr. 1134 enthält eine Schenkung an Fontevraud in
Form eines Theilzettels mit Datum optimitm et omne bonum 7
Bibl. de l'Ecole des Chartes 4, 4, 322. Andere Beispiele im
Musee des Archives. Festsetzung von Leistungen durch Abt
Poppo von S. Maximin um 1050 mit 2 durchschnittenen Mono-
grammen, Zeitschrift f. Gesch. des Oberrheins 23, 130. Oft ist
Testimonium veritatis durchschnitten. x
p. 124. Wenn Froumund von Tegernsee bei Pez, Thes. 6,
1, 166 schreibt: Librum Boetii vestro b? % evi a me petivistis
praestari, so scheint es doch der modernen Bedeutung sehr
nahe zu stehen.
Eine koptische Papyrusrolle mit Band umwickelt und ver-
siegelt bei Libri, Mon. in^dits pl. 54. •
p. 131. Ein S. Galler Mönch schreibt um 900, vielleicht an
Bischof Salomo:
Cultro membranas ad libros presulis aptans,
Pumice corrodo pellique superflua tollo,
Et pressando premens ferrumque per aequora ducens,
• Berichtigungen und Nachträge. 377
Linea Signatur cum regula recta tenetur.
Tunc quoque litterulis operam dans saepe legendis,
Quod minus aut maius scriptor depinxit anhelus,
Rado vel adiungo, placeant ut grammata domno.
E. Dümmler, S. Gall. Denkm. in den Mittheilungen d. Züricher
Antiq. Ges. 12, 247.
p. 132. Dasselbe oder ein ähnliches Werkzeug ist die plana,
welche Joh. de Garlandia unter den instrumenta clericis neces-
saria nennt, bei Geraud, Paris sous Philippe-le-Bel p. 602:
pumex cum plana et creta. Commentar dazu: plana proprie
dicitur instrumentum ferreum , cum quo peryameniste preparant
pergamenum.
p. 133. Ursprüngliche Löcher finden sich im Palimps.
Ambros. Plauti, Studemund de Vidularia Plautina (Ind. schol.
Gryphiswald. 1870) p. 6. Im Cod. Sinaiticus sind sie mit solcher
Geschicklichkeit verklebt, dafs sie noch jetzt kaum zu bemer-
ken sind.
p. 135. Bei Joh. de Garlandia 1. c. unter den instrumenta
clericis necessaria auch plumbum et regula.
p. 136. In den zierlichen Handschriften des 15. Jahrh.
kommen oft rothe und violette Linien vor, so im Breslauer
Froissard. Jehan Fouquöre erhielt 1456 pour avoir taille, pointe,
ponce et regle de rose six douzaines de parchemin en 36 caiers,
20 deniers für jedes caier. A. Schultz, Beschreibung der Bres-
lauer Bilderhandschrift des Froissard p. 11 aus de Laborde.
p. 137. Pollux Onomast. 10, 59: rcp de 7taiöl dioi av
rtQOoeivai yqacpelov , TtaQayqacplda, 7taA.a/.Uda, rcv^lov
TtQOod-ereov de rolg €iQrjf.ievoig /.lilav, ixe'kavd6%ov > xakd/uovg.
Unter den Aufgaben des Grammatikers nennt er 4, 18: ry
yqacpel(i) 7tctqayqa.q)eiv tjj noLqayqatpidi, aber die Verbindung
der Worte mit einander ist unsicher.
p. 138. Antike Dinte hat durchgefressen im S. Galler
Virgil; im Ambros. Plautus die neuere etwa saec. VII.
Vocabularius opt. ed. Wackernagel erklärt incaustum, sepia
durch lingta.
378 Berichtigungen und Nachträge. •
p. 141. Zwei Recepte saec. XV bei Frid. Mone de pa-
limpsestis, ebenfalls mit Galläpfeln und Vitriol oder Kupferwasser.
In der Pariser Steuerrolle von 1292 (ed. Göraud p. 506) ist eine
encriere.
p. 143. Drei rothe Zeilen am Anfang jedes Buches der
Bibel unter Ephraem Syrus (ed. Tischendorf 1845), zwei am
Anfang jedes Evang. die beiden ältesten Codd. (Bodl. u. Corp.
Chr.) aus Canterbury.
Ueber die Anwendung rother Farbe zur Sonderung von
Text und Commentar s. p. 196. 292. In Libri's Catalog p. 32
n. 139 enthält Bedae Comm. in Marcum s. VIII den Text in
rothen Uncialen, Facs. pl. V, p. 210 n. 935 Comm. Servii in
Vergil. s. XIV ebenfalls den Text roth.
p. 144. Der von W. Wackernagel in Basel 1847 zur Be-
grüfsung der Philologenversammlung gedruckte Vocabularius
optimus s. XIV liegt dem Wörterbuch im Serapeum zu Grunde;
er hat p. 29 lasurum blauanve, und lasarium wird daher nur
ein Fehler sein.
p. 147. Das älteste Beispiel von Goldschrift ist die p. 77
erwähnte Handschrift der LXX. Bandini Codd. latt. 2, 419
führt aus einem Cod. Prisciani s. XII p. ult. an: Ratio faciendi
litlcras aureus et rosas, d. h. rothe Verzierungen, Rosetten.
p. 148. Abt Peter von Hautvilliers liefs 1213 die Evan-
gelien in Gold schreiben, Gallia Christ. 9, 255.
p. 151. In dem Bobienser Inventar von 1461 finden wir
bei Peyron de bibl. Bob. p. 64: Privilegium aureum d. Theo-
dori summi pontißcis Bobuleno abbaii S. Columbani (JafK 1590
Susp.) und p. 65: Privilegium aureum Ottonis imp. pro conßnibus
civitatis Bobii eiusque districtus. Hier scheint nur der werth-
volle Inhalt Anlafs zu dieser Bezeichnung zu geben.
p. 153. Pollux 10, 60 hat f.eelavöoyov (accus.). Joh. de
Garlandia nennt cornu cum incausto. In der Pariser Steuerrolle
von 1292 sind 2 cornetiers, wovon einer als feseur de cornez be-
zeichnet wird; ein escriturier. Geraud, Paris sous Philippe-le-
Bel p. 602. 500. In einem Rhythmus des 13. oder 14. Jahrb.
heifst es, im Anz. d. Germ. Mus. 1870 p. 353:
Berichtigungen und Nachträge. 379
Fuso cornu, folio rupto quod planavi,
Fracta penna, tedio coactus cessavi.
p. 155. graphius hat auch das Wörterbuch im Serap. 23,279.
p. 156. In den merkwürdigen Verhandlungen über die
Fälschungen Roberts von Artois um 1330 kommt vor, dafs
Perrot de Sains eine Urkunde schrieb avec wie penne ou plume
(Fairain, pour sa main desguisier. Lancelot, Memoire pour servir
ä Thistoire de Robert d' Artois, M6m. de FAcad. des Inscriptions
10, 607.
Der Gebrauch der Schreibrohre scheint sich in Italien er- '
halten zu haben. Gegen das Ende des 9. Jahrh. schrieb ein
Schreiber in Ivrea unter einer Abschrift des Ps. Isidor einige
niederträchtige Verse, welche (nach einer Collation von Dümmler)
beginnen : .
Dulcior ut portus nautis, ut meta quadrigis,
Ut stabulum fessis, ut frigida limpha sitis,
Sic mihi similis quem prebet pagina versus,
Ultima dum extremas pangit arundonotas.
Qui nescit scribere non putat esse laborem,
Ideoque obsecro: orate pro scriptorem.
Memorie della R. Accad. di Torino, Serie II. tomo XI. p. 70. —
*
Ambrosius Camald. schreibt 1433 aus Venedig an seinen Bruder
Hieronymus, epp. ed. Melius p. 416: Calamos si qui occurrent
electiores ad te mittam ; licet ipse malis aeque ut bonis uti soleo.
Paucissimi tarnen inveniuniur quales cupis, neque omnium iudicio
cognitu Und etwas später p. 566 : Mitto ad te calamorum Jas-
ciculum, non quidem optimorum, sed quales mihi dono dali su?it. .
Niccolö Niccoli soll sich einige auswählen. Nam revera maiorem
in hac civitate huiusce .{sie) rerum penuriam quam Florentiae
patimur. Deutlicher schreibt Jo. Aurispa an Ambrosius p. 1025 :
Calamos Bononiensis agri in fascem ad te Jeram, und p. 1026:
Una cum quinternionibus istis quosdam Bononienses calamos ad
te feram.
Bruder Adam von Genua schreibt 1460 in Velletri, nach
Bandini, Codd. latt. 2, 114:
380 Berichtigungen und Nachträge.
Non bene scribenti calamo rogo parce mihique,
Namque ego cum calamo scribere ineptus eram.
p. 161. Vgl. ReissbleU Rehsbreit; gerizo p. 49. Zu cara-
xare gehört vielleicht auch das crassare p. 189. Zum Schreib-
unterricht oben zu p. 42.
p. 163. Im Vocabularius opt. p. 28 ist unter den Schreibge-
räthen specular, spiegel, was nach W. Wackernagel, Die deutsche
Glasmalerei (Leipz. 1855) p. 128 eine Brille bedeutet. Am
Schlufs einer Predigthandschrift von 1387 steht, daz ick phaff
Albrecht genant der kolbe ..... han dis buoch geschriben mit
grossen unstatten und durch ain spiegel, do ich sechs und sechszig
jar alt was.
Im Vocab. opt. p. 28: cauilla durluog, und p. 29: epicau-
sterium gluothauen. Daher scheint die Erklärung des jüngeren
Wörterbuchs durch ein Versehen entstanden zu sein; doch hat
auch das Glossarium Wenceslai Brack (impr. 1483) Epicausterium
ein filcz auf dem pulpret.
p. 164, 21 1. elften statt zehnten.
p. 165. Ambrosius Camald. schreibt 1436: Minutam illam
ut vocatis literarum ad ducem Albertum scribendarum accepL
Epp. p. 215. Vgl. auch oben p. 272. In der Unterschrift eines
Cod. Vincentii Cracov. von 1459 regiwssatus, Zeissberg, Vincenz
Kadi. p. 190.
p. 168. pluteus schribbrett, Vocab. opt. p. 28. Schreibende
Evangelisten ohne Naturwahrheit bei Arneth, Evang. Karls d.
Grofsen. In einer der schönen Handschriften aus der Mindener
Schule zu Bischof Sigeberts Zeit in Berlin, Cod. theol. qu. 11,
ist Notker schreibend dargestellt. Pertz Arch. 8 , 845. In Libri's
Katalog p. 38 n. 1 60 (s. XI vel XII) u. pl. 34 ist im B des Beatus
vir oben David dargestellt, unten Hieronymus als schnurrbärtiger
Mönch, schreibend und mit dem Messer in der Linken das Blatt
haltend. Der Stil der Miniaturen ist derselbe wie in der schönen
Bibel des Brit. Mus. aus Arnstein. Auf pl. 35 zu n. 358 ist
Johannes in unmöglicher Stellung schreibend, aus einem Evang,
s. XI aus Walbeck.
Berichtigungen und Nachträge. 381
Merkwürdiger ist in der Beschreibung der Miniaturen einer
Handschrift medicinischen Inhalts in Dresden, von Dr. Ludwig
Choulant, im Archiv f. d. zeichn. Künste 1855 p. 264—271,
saec. XV aus den Niederlanden, dafs eine, an einem Faden
vom obern Ende des Pultes herabhangende Kugel das Blatt
festhält; sonst hält auch der Schreiber in der linken Hand
einen schwarzen Stift.
p. 172. Vgl. über Palimpseste p. 233. '
p. 183. Das gefälschte Privileg des Bisthums Triest ist
seltsamer Weise nach Venedig ausgeliefert.
p. 187. Ueber die Fehler in griechischen Handschriften,
ihre Ursachen und Arten ist sehr beachtenswerth : Bruchstücke
zu einer Methodologie der diplomatischen Kritik , von Dr. Joh.
Heinrich Christian Schubart, Cassel 1855. Vgl. auch I. C.
Vollgraff, Studia palaeographica. Lugd. Bat. 1870. Ueber
Dictiren s. zu p. 253.
p. 188. vgl. L. Spengel zur Subscription des Bamberger
Cassiodor, Philologus 17, 555.
p. 1 93. Ein sehr fehlerhafter, viel emendirter Quintil. de
instit. or. saec. IX aus S. Gallen in Zürich hat die Unterschrift
(ed. Spalding I p. XL VI):
Tarn male scribenti, tarn denique desipienti
Absque exemplari frustra cogor medicari.
Das Y ist wohl Isidors antigrapkus cum puncto, vbi in Iransla-
tionibus diversus sensus.
Am Rande von Bl. 1 des Rabanus super Numeri saec. XII
aus Heilsbronn in Erlangen steht: hunc librum contulerunt ex
praecepto Rabani abbatis Lupus et Gerulfus, et in quantum per-
misit angustia temporis , pro captu intelligentiae correxerunt.
Irmischer p. 30.
p. 195. Ueber die Fehlerhaftigkeit seiner Vorlage klagt
der Schreiber des sächs. Lehnrechts von 1441 bei Homeyer,
Die deutschen Rechtsbücher n. 646. Die kritischen Arbeiten
der Humanisten sind hier als bekannt tibergangen ; merkwürdig
ist die Klage des Coluccio Salutato um 1370 über die grofse
Fehlerhaftigkeit der Handschriften und die unglücklichen Emen-
382 Berichtigungen und Nachträge.
dationen der Halbwissen Er wünscht deshalb, dafs öffentliche
Bibliotheken errichtet und gelehrte Bibliothekare angestellt
werden, mit ausdrücklicher Berufung auf die alten Subscriptionen.
Laur. Mehus V. Ambr. Camald. p. 290.
p. 196. Sehr genaue Anweisung für die Einrichtung einer
Abschrift seiner Briefe in Bezug auf Initialen und Ueberschriften
giebt Ambros. Camald. epp. p. 622.
In Rechnungen werden die paragraphi, paraffi, parapkes,
von den litter ae capitales unterschieden, A. Kirchhoff p. 11.
p. 198. Statt miniatur steht minius in einem Briefe des
Leonardo Dati (Epist. Flor. 1743. 8. p. 11) von 1443, angeführt
von Ebert p. 113.
p. 200, 11 1. Cottoniana.
p. 208. In Italien blieb miniare gebräuchlicher; so sagt
Benvenuto von Imola zu der angeführten Stelle Dante's (Murat.
Antt. ed. Aret. 3, 584): Parisius enim dicitur illuminiare (.sie)
ubi in Jtalia dieunt miniare. Et hie nota quod miniare est ma-
gis proprium. Sic enim diciiur a colore minio, qui olim fuit
aliquando in maximo pretio. Und weiterhin: che pennelleggia 9
id est miniat cum pennicillo . . .-. Franco Bolognese, hie fuit
alius miniator de Bononia excellentior eo, coneurrens secum,
sicut apparet in quibusdam libris miniatis per eum. Die Pariser
Steuerrolle von 1292 nennt 13 steuerpflichtige enlumineeurs, p. 506.
p. 211. Ambros. Camald. schreibt aus Florenz an Lionardo
Bruni: Cupio doceri abs te, an sit penes vos eiusce coloris qui
azurrum vulgo dicitur, transmarini scilicet illius optimi, copia, et
quo item veneat et quod sit elöctissimum pretio ; quidam enim ew
nostris adolescentibus pro monasterii consuetudine et ornandis
voluminibus eleganter eo uti didicerunt. Epp. p. 317, und p. 318:
Fuere semper in noslro monasterio (nee modo quidem desunt)
qui iflo oimandis voluminibus scitissime et venuslissime utantur.
Est quippe id minisierium otio religioso non inilignum.
p. 212. Ueber nachträgliches Einkleben der Bilder s. A.
Kirchhoff, Weitere Beiträge p. 28.
Die beliebte Darstellung von dem Jäger, welchen die Hasen
braten, findet sich auch auf einer alten Spielkarte, Le livre d'or
Berichtigungen und Nachträge. 383
des M6tiers, Hist. de rimprimerie p. 56. Aufgehängt wird er
auf einer Spielkarte des Germ. Museums, Sammlungen Tafel VI.
Anz. 1857 p. 217.
p. 222. Ueber die, auf den angeführten Blättern der No-
titia Dignitatum abgebildeten Codices ansati vgl. p. 117 der für
das altrömische Archivwesen sehr wichtigen Abhandlung von
Th. Mommsen über ein Sardinisches Decret, im Hermes 2,
102—125.
p. 228. Die angeführte Handschrift ist bei Homeyer n.512.
p. 229. Merkwürdig ist die Stelle in Lerbecke's Chron.
Mind. bei Leibn. 2, 169 über die Prachtbände, in welche Bischof
Sigebert die überaus schönen Handschriften binden liefs, welche
jetzt in der Berliner Bibliothek sind.
p. 234. Die Geschichte von der grofsen Siegelfälschung .
1364 steht in Klose's Documentirter Geschichte von Breslau 2,
222—236.
p. 242. Ueber das Aufleben wissenschaftlicher Bestrebungen
unter den Macedoniern und den Komnenen, und die damals ge-
lesenen und abgeschriebenen Autoren s. G. Bernhardy, Grund-
rifs d. Griech. Litteratur § 88—90. Nach den erhaltenen Hand-
schriften gebührt den Schreibern hohe Achtung.
p. 243. Notare als Bücherschreiber finden sich, vorzüglich
in Florenz, sehr häufig bei Bandini; einer unterschreibt 1323,
1, 651 : Et si puleras ticteras non Ject\ sattem ad intettectum quam
melius potui scripsz.
p. 245. Unter dem Hilar. Pictav. in psalmos der Cap. Bibl.
in Verona XIII, 11 saec. VI steht: Antiquar ius Eulalius. Sitz.'
Ber. d. Wiener Akad. 49, 94.
p. 246. Petrarcha de remediis utriusque fortunae lib. I
dial. 43 beklagt die Sorglosigkeit der Obrigkeiten, welche sich
um die Brauchbarkeit und Kenntnisse der Schreiber nicht küm-
mern : quibus nulla unquam rei huius cura ,fuit 9 oblitis quid Eu-
sebio Palestinae Constantinus iniunxerit, ut libri scilicet non nisi
ab artificibus iisque antiquariis et perfecte artem scientibus scri-
berentur; vgl. p. 241. Er scheint den Ausdruck in seiner Ueber-
setzung gefunden und nicht recht mehr verstanden zu haben.
384 Berichtigungen und Nachträge.
Der Jacobus Antiquarius war Mailänder Staatssecretär
(f 1512), der Beiname sein Geschlechtsname. Tiraboschi Tomo
VI libro I c. 7.
Clericus bedeutet doch auch in Italien einen Gelehrten, so in
einem Cod. saec. XV : molto sofficiente cherico in diverse scienzie,
Laur. Mehus V. Ambr. Camald. p. 294 — 297. Der Bologneser
Poet Johannes tadelt Dante wegen des Gebrauches der lingua
vulgaris, ib. p. 320:
id est litterati
Carmine, sed laico: clerus vulgaria temnit.
p. 247. Das Facs. des Ursicinus bei Ottley ist aus dem
Nouveau Trait6 III pl. 46 entnommen.
p. 248. In der Histoire de rimprimerie (Livre d'Gr des
Mötiers) p. 14 werden Verse von oder auf Paulinus Nolanus
angeführt :
Exercere artem prohibet, conceditur unum
Scribendi Studium, quod mentem oculosque manusque
Occupet atque uno teneat simul omnia puncto:
Aspectu visum, cor sensibus, ordine dextram.
Ich habe sie nicht auffinden können.
p. 253. In dem Codex eines Marienklosters, aus welchem
v. d. Hägen Wilrams Paraphrase des hohen Liedes herausge-
geben hat, stehen folgende Verse, Germania 5, 182:
Merces scriptpris sit lux vitae melioris,
Pro re terrena mercetur gaudia plena.
In requiem labor inque diem mens caeca recurrat.
In libro vitae deus hunc dantem tibi scribe
Librum terrenum, da noxae linquere coenum.
Mente minus tuta deus offero bina minuta,
Suscipe placatus, es qui viduae miseratus.
In dieser Handschrift ist auch ein Verzeichnifs der Kloster-
bibliothek mit starker Bedräuung der Diebe.
Gegen Dictiren griechischer Handschriften spricht sich
auch Schubart in der zu p. 187 angeführten Schrift p. 89 aus.
Ueber Dictate der Universitätslehrer vgl. p. 314; auch p. 282.
Berichtigungen und Nachträge. 385
p. 255 n. 4. Diese Verse sind mangelhaft abgedruckt in
Reiffenberg's Annuaire de la Bibl. R. de Brux. 4, 114.
p. 259, 8. Nach Maine ist virginis ausgefallen; Jacob
Lindau war wohl kein grofser Lateiner. Die Inschrift steht
mit abwechselnd rothen und schwarzen Zeilen am Schlufs des.
Antiphonar. Auf der ersten Seite steht im E von Eterne
rerum conditor eine Nonne mit Spruchband : ego kathe. dicta .
zebrugg. in rubeo monasterio. Es ist das Cist. Kloster Rothen-
münster im Constanzer Sprengel.
Ambrosius Camald. schreibt epp. p. 634: Psalterium quod
non miseris, imputamus infirmitati sanctimonialium illarum; er
bittet den Psalter anderswo fertig machen zu lassen.
p. 260. Ueber die Schreibart der Mtnoriten vgl. R. Pauli in
dem Tübinger Programm von 1864 über Bischof Grosseteste p. 18.
Nach schrib vil bücker ist einzuschalten : item in disen jar
was ain guter stulschreiber zu Kaisheim, Wernher von Eich-
stett, der schrieb auch vil bücher.
p. 261. Der neue Aufschwung der Klöster um die Mitte
des 15. Jahrh. tritt uns auch in der Chronik des Klosters
Camp entgegen. Um 1440 wird die Bibliothek im Umgang
erneuert und gewölbt. Der Converse Wilhelm de Reno, scriptor
egregius nulli Mo tempore in arte sua secundus, schreibt das
Catholicon, Mefsbücher etc. und lehrt auch andere schreiben,
t 1487. Bruder Heinrich von Altkirchen schreibt 5 Mefsbücher,
f 1503. Im Jahr 1463 verbrennen aliqui libri cum multo per-
gameno novo ad valorem 120 flor. renensium. 1482 werden die
Urkunden und Register geordnet, notariell abgeschrieben, und
iuxta dormitorium in camera testudinaria mit eisernen Thüren
verwahrt, in novis capsulis distincle locata. Abt Heinrich von
Calcar sorgte hierfür schon als Prior und Supprior, schaffte
für den Schreiber Wilhelm 18 Jahre lang jährlich für 16 bis
17 fl. Pergament und andere Requisiten. Als er 1499 resig-
nirte, schenkte er dem Kloster seine Bücher. Eckertz, Fontes
rer. Rhen. 2, 393. 394. 432.
p. 265. In der Vita domini Joh. Hatten bei Dümbar, Ana-
lectt. 1, 190 heifst es: Nam inventores novorum modorum et
Wattenbacli, Schriftwesen. 25
386 Berichtigungen und Nachträge.
curiositatum in ligando aut illuminando a Joris venientes et
fralres docere volentes numquam admisit; voluit enim opera
paranda fideliter et fortiter, non curiose parari. Von dem ein-
fachen modus scribendi ist eben vorher die Rede gewesen.
p. 274. Beispiele von Lohnschreiberinnen in Bologna saec.
XIII b. bei Sarti 1, 186.
p. 279. Cod. Pal. Germ. 175 hat einen einfachen alten
Umschlag von Pergament mit verstärktem Rücken und über-
schlagender Klappe; aufsen steht Stat buch, auf der innern
Seite des Umschlags über der Inschrift des Schreibers 43, was
wohl kaum mit Wilken als Jahrszahl zu ergänzen ist.
p. 282. Franciscus Philelphus schickte an Ambros. Camald.
aus Bologna seine Uebersetzung des Dion, a rudi quodam
librario schlecht geschrieben. Commodiores autem hie librarii,
praeter bar bar os quosdam, nulli sunt, Ambr. epp. p. 1010.
Ambrosius schrieb an seinen Bruder: Nee illud quidem te ad-
monere desistam, uti non ?iegligas manum librariam quam opti-
mam atque perquam celerem ac ßdelissimam tibi comparare,
studeasque priscam illam in scribendo imitari puritatem ac sua-
vitatem. Quod tunc adsequere facilius, si ex emendatissimo
antiquoque codice quidpiam tibi transcribendum deligas totoque
annisu ad unguem exemplar imitari (sie). Epp. p. 501. An
Michael schreibt er p. 619: Postulamus impendio ab eo (Nico-
iao) ut duos vel si possei tres vel quatuor librarios nobis con-
ducendos curaret, qui exciperent ex ore nostro, vel certe a
nobis emendata rescriberent. Bei Bandini finden sich viele In-
schriften von Notaren; dann auch manche wie diese unter
einer Achilleis Statu von 1415, 2, 261 : Senis in scholis Magistri
Nofri. Sandes scripsit. Barptolomeus Johannis schrieb 1403
Claudian de raptu Proserpinae in scholis magistri Mathiae de
S. Geminiano, electi ad legendum grammaticam Prali, ib. p. 94.
Vielleicht wurde in diesen. Schulen auch für den Verkauf ge-
arbeitet.
p. 286. Eine auch nur annähernd vollständige Sammlung
von Schreiberversen war hier natürlich nicht beabsichtigt, doch
wäre wohl zu erwähnen gewesen, dafs, wie in mehreren alten
Berichtigungen und Nachträge. 387
Handschriften, in dem alten Orosius Med. Laur. (Bandini 2,
727) unter den einzelnen Büchern steht Utere felix. Lege in
Christo. Lege feliciter. Nach dem fünften Buch steht : Legenti
vita, scribtori gratia; vgl. p. 294. Im Vergil. Laur. schreibt
Turcius Eufus Apronianus (Bandini 2, 291):
Distincxi emendans. gratum mihi munus amici
Suscipiens operi sedulus incubui, etc.
Und am Schlufs:
Quisque legis relegas felix parcasque benigne
Si qua minus vacuus praeteriit animus.
Zu dem Vergleich mit dem Hafen vgl. oben zu p. 156. So
schrieb auch Walafrid Strabo (Canisii Antiquae Lectt. 6, 641):
Ut gaudere solet fessus iam nauta labore,
Desiderata diu littora nota videns:
Haud aliter scriptor optato fine libelli
Exultat viso lassus et ipse quidem.
Vgl. auch die schönen Verse Alcuins, Opp. ed. Froben 2, 204.
Bei Bandini kommen viele Schreiberverse vor, doch bieten
die der Italiener wenig Individuelles. Einzelne wiederholen
sich mit allerlei Varianten, und werden willkürlich mit anderen
combinirt. Ein Spruch, von dem p. 286 zwei Parodien vor-
kommen, lautet 2, 246:
Finito libro reddatur gratia Christo,
oder p. 263 :
Finito libro reddatur gloria Christo,
oder p. 250. 686. 692:
Finito libro sit laus et gloria Christo.
Ungenau p. 232:
Finito libro referamus gratia Christo.
Dieser Vers ist durch referatur zu verbessern, aber der Schrei-
ber, welcher 1403 Ovids Metamorphosen abschrieb, war ein
schlechter Metriker, denn er fährt fort:
Manus Zenonis salvetur omnibus horis.
Tres digiti scribunt cetera membra languent.
25*
388 Berichtigungen und Nachträge.
Der letzte Vers ist p. 288 correcter, und in einem Heilsbronner
Cod. bei Irmischer p. 130:
Scribere qui nescit, nullum putat esse laborem.
Tres digiti scribunt, corpus tarnen omne laborat.
Der Vers:
Explicit expliciat. ludere scriptor eat.
findet sich auch unter einem Horaz saec. XIV bei Bandini 2, 152.
Zu den frommen Wünschen gehört:
Facto fine pia laudetur Virgo Maria
unter Cicero's epp. ad familiäres und Vibius Sequester, p. 78
u. 469, und p. 152 saec. XIII mit:
Qui me scripsisti fias ovis in grege Christi.
Unter der Alexandreis steht p. 164:
Explicit iste liber, sit scriptor crimine liber.
Sehr beliebt und häufig war in Italien, schon saec. XIII:
Qui scripsit scribat, semper cum domino vivat.
Bandini 2, 152. 697 etc. p. 238 von 1398 so:
Quis scrixit iscribat, semper chun domino vivat.
Der Schreiber der schön geschriebenen Handschrift von 1293 (?)
mit Gebeten und Denksprtichen für einen Manuel 1, 748 setzt
dazu immer:
Vivat in celis Manüelus iustus (oder: legalis, salvus, bonus)
homo fidelis.
Anders 2, 697:
Vivat in celis qui me scripsit in nomine felix amen.
Metrisch nicht besser ist 2, 239:
Manus scriptoris benedicta sit omnibus horis.
oder p. 94:
Manus scriptoris salvetur omnibus horis.
Berichtigungen und Nachträge. 389
Unter einem Livius steht 2, 692:
Frater Jordanis scripsit, quem deus ille benedixit.
Finito libro sit laus et gloria Christo.
Pennula scriptoris requiescat plena laboris.
p. 288, 23. domine 1. domini.
p. 290. Vgl. bei Bandini 2, 205 unter einem Lucan
saec. XIII:
Sum scriptor talis monstrat mea littera qualis.
Finito libro sit laus et gloria Christo.
Johannes Schedel schrieb 1457 unter einem Passional im Cod.
Germ. Mon. 409:
Si non schribo bene
Sed melius discere volo.»
Ach ich armer gesell
Der Ion ist aller verton *
Umb wein ist er gegeben
Der tet mir sanfft auf meiner leber.
Maria.
Jhesus Maria hilff.
p. 291. Die Inschriften der Bücher von S. Victor aus
verschiedenen Zeiten sind facsimilirt bei Ä. Franklin, Les
anciennes Bibliothöques p. 140. 147. 170. Die Statuten scheint
er nicht zu kennen.
p. 292. Derbe Sprüche gegen Diebe in Weidmann's Gesch.
der Bibl. von S. Gallen (1841) p. 7. Das Buch enthält auch
alte Kataloge und schätzbare Nachrichten. In einem Codex,
den Grimald schreiben liefs, steht abs Grimaldo patratus.
p. 308, 2. Statt Vorsicht 1. Vorschrift.
p. 309. Ueber Vespasian s. Laurentii Mehus V. Ambrosii
Camald. p. 94 ff. u. 142.
p. 313. Nicht erreichbar war mir: Catalogue d'un mar-
chand libraire du 15. siecle, tenant boutique ä Tours, publi6
par le docteur Achille Chereau. Avec des notes explicatives.
66 p. 8. Paris, impr. Jouast, 1868 (Acad. des Bibliophiles).
390 Berichtigungen und Nachträge.
p. 332. Angeführt finde ich: W. Moll, De Boekerij van
het S. Barbara-Klooster te Delft in de tweede helft der vijf-
tiende eeuw. Amsterd. 1857. Uitgegeven door de Kon. Akad.
van Wetenschappen.
p. 333. Dafs in der früheren Karolingerzeit auch vor-
nehme Laien ansehnliche Büchersammlungen besafsen, zeigen
die Testamente des Markgrafen Eberhard von Friaul und des
Grafen Eccard von Autun. Ueber Eberhard (t 864) s. E. Dümm-
ler im Jahrbuch für vaterländische Geschichte (Wien 1861)
p. 178, und das Testament selbst bei A. Miraeus, Opp. dipl.
1, 19. D'Ach&y, Spicil. 2, 876. Ueber Eccard E. Dümmler,
Geschichte des Ostfränkischen Reichs 2, 648; das Testament,
etwa aus dem Jahr 875, bei Pörard, Recueil de Bourgogne p. 26.
p. 334. Zu der burgundischen Bibliothek ist noch zu ver-
gleichen das weitschweifige R6sum6 historique von J. Marchai
vor dem Catalogue des Manuscrits de la Bibl. Roy. des Ducs
de Bourgogne, 1842, und zu den Sammlungen der französischen
Prinzen: Le Cabinet des Manuscrits de la Bibl. Imp. par
L. Delisle, 1. 1868 (Hist. G6n6rale de Paris).
REGISTEK
der
technischen Ausdrücke, welche sich auf das Schriftwesen
beziehen.
abbreviare 13 t. 165.
abecedarium 122.
abolere 177.
abradere 98. 172. 234.
abreissen 161.
abreviator 272.
abscisus 284.
accentuare 119.
acuere calamum 160.
acuta nottula 284.
adurum 211.
ainbinden 260.
alapae librorum 229.
albeus 167.
album 80.
alluminar 208.
almaria 354.
almariolum 237. 345.
almarium 348. 353.
almer 353.
alphabetum 121. 122. 146.
alumpnacio 209.
alumpnyng 209.
aluta 50.
aminiator 198.
anguli 131. 228.
ansatus 383.
antigraphus 381.
antiquare 244.
antiquaria ars 244. manus 236. 245.
antiquarius 242. 244—246. 248. 252.
294. 338. 383. 384.
apices 161. 244.
apificare 164.
appingere 207.
appreciare 276.
aptificare 121.
archivum 358. 359. 362.
arcus 117.
argenteus calamus 156. codex 88.
argentum 284.
armaria 353.
armarista 353.
armarium 224. 249. 258. 329. 333.
348. 351. 353. 359. 360. 362.
armarius 255. 257. 275. 353.
armorie* 209.
ars antiquaria 244. scribendi 264.
scriptpria 255. dictaminis 268.
artavus 160.
artificialiter 283. 284.
arundo 379.
-asseres 167. 225. 227. 228. 237.
assurae litterae 148.
asteriscus 149. 243.
atramentarium 153. 158. 159.
atramentum 51. 73. 138. 140—142.
auditor contradictarum 272.
aurea penna 261.
aureae cruces 151. litterae 87. 148
—150. 198.211.237.378. picturae
151.
aureum Privilegium 378.
aureus hber 230.
aurificare 207.
aarum ad scribendum 147. 284. de
penna 140. niolitum 149.
azur 91. 210. 211.
banccus 355. banchus 351. bancus
328.
bappims 226.
bastardus 166. 264.
bedellus 299.
beslahen 226.
?
309.
psa» 89. 231. (biblia)
101— 10a. 129. 375. (libraria) 252.
309. 312. 321 ff. 358.
bibliothecariua 352, 35B.
biblus 94.
bidellus 30«. 309.
bükt 123.
bimss 133.
binden 22<j.
bindit 223.
birmetter SS.
birmit 319,
black BS.
blancus 230.
blatt 117. 374.
blavdrwe 378.
bochus 35 3.
bock 259.
bocksbeutel 229.
bogen 117. 374.
bökareis 246.
bolletta 123.
bombacinus 94.
bombycinua 93. 98.
bombyx A4. 98.
breviarium 72.
brevis 101. 124. 361. 376.
brief 53. 83. 124. 315.
TO, de penne 264.
brunus 167.
■ buch 100. papier 374.
bukebinder 226.
bulete 123.
buletta 123.
bulla 123.
bullare IRä.
bullator 272.
bullettino 123.
buochaere 24G.
buochtichter 268.
cahiet 113. caier 377.
calamajo 159.
calamare 159.
calamarium 154. 157—159.
calamus 95. 138—140. 156—160. 162.
210. 244. 252. 379. 380.
calefacere incaustum 141.
calefetto 376.
caleffo 376.
calx 140.
camera librorum 355.
camisia 231.
campus paginae 192.
cancellana 338. 352.
cancellarius 145. 273.
cancelleysch 2S3.
cancelliren-55.
caniclinus 144.
caniculns 144.
caiiif 16«.
camia 156. 158.
canon 137.
caotzelcr 273.
cantzelloi 2SO.
capellii ;!.!:!. 361. 362.
capital letters 210.
capitales litterae 130. 144. 149. 314.
3S2.
capitulares litterae 206—208.
caprina pellis 374.
causa 103. 231. 350.
cap sarins 350.
Capsula 335.
caraxare 161. 3 SO.
cart. s. cbart.
carta di pechora 374.
cartolajo 310.
Register.
393
cathedralis 260. 261. 2$5.
caudex 38. 111.
cautio 330.
cavilla 163. 380.
cedula 122. 124.
cento 373.
cera, cerae 38. 39. 48—54. 57. sigil-
latoria 124. 273.
ceraculum 46.
ceratae tabulae 44. 46. 48.
cerati codicilli 112.
cereae tabulae 58.
cerula 50.
charaxare 161.
charaxatura 161.
Charta, carta 38. 39 etc. (epistola)
267. (folium) 113. 316. 328. bom-
bycina 93. 98. bombycis 98. cor-
ticea 238. cuttunea 93. damascena
93. deleticia 171. emporetica 95.
103. gossypina 93. haedina 82.
notata 165. pannucea 96. papyri
98. pergamena 78. regalis 279.
regia 170. romana 75. transversa
106. 107. xylina 93.
chartaceus 67. 71. 74. 112. 187.
chartae divisee 121. excisael21. in-
dentatae 121.
chartarium 359.
chartes dentele'es, parties 121.
chartophylacium 359.
chartophylax 352.
chartula 82. 237. 253.
chartularius 243. 299. 310. 352. 376.
chemise 231.
cherci 246.
cherico 3S4.
chirographum 121. 122. 151. 326. 333.
363. 372.
chrisobula 123.
circinus 136.
cire 54. 373.
cirographum s. chir.
cista 366. 375.
cistula 329. 360.
clausurae 225. 228. 277.
clerc 166. 246. 247. 266. 334.
clergesse 247.
clericus 166. 246. 254. 266. 384.
coniugatus 246. 311.
Clerk 246. 266.
clerus 384.
codex 38. 71. 79. 87. 100. 102. 106.
1 1 1 etc. ansatus 383. argenteus 88.
chartaceus 187. eboreus 112. pac-
torum 120.
codicelli 47.
codicilli 38. 112.
cola et commata 186. 250.
colligare 224.
colligator 226.
color violatus rubeus 151.
colores 325. 327.
columna 117.
commodare 331.
compaginare 74.
comparare 276. 277.
complanare 54.
componere quaterniones 131.
comprimere scripturam 119.
concatenare 356.
conclavatus 284.
condicionalis 338.
conducere 276. 277.
conferre 187. 193. 294. 381.
conficere 245.
conglutinare 112.
conscribere 254. 276. 299.
constituere 322.
consuere 112.
contextus 192.
continuare dictiones 119.
contre escripre 166.
cooperire 167. 223. 224.
coopertorium 228. 23 1 . Judaicum 232.
coopertura 167. 226.
copiare 254.
corda 227.
corium 225. 227. piscis 150.
cornet 154. 378.
cornetier 378.
cornicularius 154.
cornu 129. 154. 378. 379.
corporare 209. 210.
corpus 333.
corrector 194. 272.
corrigere 187. 189. 190. 193 — 195.
225. 250. 381.
corrigiae 227.
corr ödere 376.
corrosorium 133.
corsiva 2S2.
cortex 238.
coternulus 226.
couverture 231.
crassare 189. 380
craxare 161.
creta 129. 133. 160. 172. 377.
cretare 130. 133.
crocatus 91.
cruces aureae 151.
crux 271.
cultellus 159. 160.
culter 376.
cumhdach 231.
cürialia 270.
eburneae tabulae 39. 43. 44. 90.
curiensis 283.
ecrire 161.
cursivus 270.
(•eritüiro 154.
custodia 338.
effigiare 47. 207.
effigiendi 372.
1. 351.
effingere 47. 207.
eguiile 46.
eiuminacio 209.
s. chir.
czewgen 277.
czinober 197.
emanare 326.
emendare 112. 187. 189. 190. 1
260. 322. 387.
damascena 93.
encaustura 132. 138.
dare 272.
euere 138.
dealbare 131.
encriere 378.
decatenare 346.
enluminer 197. 209.
decorare 210.
enlumineur 209. 311. 382.
defiliere 85. 133.
enque 138.
deleticius 171.
ephemeridae 39.
depilator 234.
63. 380.
depingere 207. 210. 377.
describere 187. 256. 267.
desiccare 131.
eptaticus 102. 375.
dichtavet 372.
ereze aus der jeder 283.
dichten 268. 269.
escriipvein 311.
dichter 26B. 269. 273.
escripre 46. 54.
dictales tabulae 49.
escripvain 166. 167. 278. 334.
dictamen 234. 267—270.
escrire 54. 373.
dictar 268.
escriturier 378.
dictare 49. 51. 243. 245. 266 — 269.
escriyain 247. 278.
282.
estriguier 231.
dictator 267 — 270. 273.
estui 231.
dictatus 269.
45. 207.
dictica 44. 54. 372.
dictie 269..
HH
dihten 268.
121. Iitterae 122
dinte 138. pla, rote 144.
exeoriare 234.
diplomata 35.
exemplar 163. 189. 195. 238. 25
diptica 44. 53.
299. 381.
diptycha 38. 43—45. eburnea 43. 44.
exemplator 307.
distinctae iitterae 324.
J27.
distinctio 194. 251.
explicare 105.
distioguere 387.
explicit 105. 286.
ditar 268.
exscribere 279.
194.
extendere 131.
dividere per abecedarium 122. ailla-
exultet 107.
divisa Charta 121.
doctor librarius 283.
domus antiquariorum 246. cartarum
359. dellbris 345. scriptomm 255.
dozen parchment 142.
douzaine de pareberain 377.
druck 300.
duplices 38.
durluog 380.
eboreus codex 112.
atura 193. 210.
florisher 210.
hebeysen 228.
floriUira 284.
helfenbein 53.
flourir 210.
heptathicum 375.
flurns pergamenuin 85.
birsuta hilla 230.
foglio 57.
folium 113. 117. 236. 252.
bistoire 209.
316. 379.
S!
foramen Bö. 134.
bistorieur 209.
forma 95. 134.
hude 83.
formaliter 283.
formare 129. 131. 165. 166
251. 272.
illuminare 129. 131. 149. 197. 198.
fonnatio 131.
206. 208—211. 258. 327. 382. 386.
forme 161. 218.
Illuminator 198. 208. 211.
formierung 55.
illumiuatura 277. 284.
foumne 166.
illuminieren 260. 284.
fourmer letres 54.
^^^n 210.
167. 284.
modus 167.
131. 166.
incatenare 355.
132.
incaustum 47. 78. 83. 119. 133. 1-38.
140-146. 154. 157. 159. 237. 327.
furcenum 131.
317. 378. rubeum 146. sacrora 144.
incaustus 141.
gallae 140. 141.
inchiostro 138.
gardaroba 351. 365.
51.
indentata charta 121.
indentura 122.
indenture 121.
230.
index 86. 105.
indumentum 223.
geticht 21.9.
inemendatus 194.
geviltz 373.
i u formare 234.
gigas librorum 303.
glutinator 222.
IX?™" 2 "' >~*^-*-*-
>tw*L li.
gossypinus 93.
gracf 155.
inkhorn 154.
inkoust 138.
grafio 155.
inkt 138.
gramma 251. 377.
inligare 226.
grapkia 94. 161.
inrotulare 110.
inscrivere 57.
' 7. 158.
Instrumentarium 376.
introligare 226.
graphium 45—47. 52. 55.
29. 155.
inventariura 345. 349.
graphius 155. 379.
greife 54. 155.
jnvo hierum 224.
iscrivere 57. 282.
greftier 161.
iugulare 193.
griffel 53. 155.
grifil 49.
grollum 120.
kalaraarz 159.
grossa 165. 272.
85.
grossa littera 166.
grossare 119. 165—167. 272.
grosse 165.
373.
grosser 318.
kerbzettel 123.
grossir 166.
kerffrecht 122.
gumnii 140. 141.
kerflzettel 122.
kersnuor 227.
hamper 364.
ketten 356.
hanaperium 364.
kreid 133. "
baut 85.
396
Register.
label 364.
lada 366.
ladula 360.
lana ligni 94.
latus 117. 318.
lasurum 378.
lazarium 144. 211. 378.
lazur graecum 211.
lazurium 198. 211.
leabhar 230.
legere 271. 272.
legibilis 257.
legimus 145.
letterä corsiva 282.
lettres rouges 239. closes 312. tor-
nöes 196. 210. ymagine*es 209.
libellus 242.
über 74. 81. 99. 100. 111. 112. au-
reus 230. axium 230. blancus 230.
catenatus 345. 356. crinitus 230.
üluministarius21l. memorialis 376.
niger 230. papiri 117. purpureus
87. ruber 230. vagans 345. viridis
230. vitae 130. 3S4.
liberaria 238. 330. 353. 356.
liberarius 332.
liberei 300. 353.
Hberus 279.
liberye 356.
libraire 311.
librairie 334.
libraria 326. 328. 355. communis 345.
conventus 346. magna, parva 345.
scholarium, studentium 346.
librarian 313.
librarier 314.
librarium 345. 353.
libraiius, adj. 160. 386.
librar.us (scriptor) 158. 242. 244. 245.
252. 282. 295. 386. (bibliothecarius)
117. 131. 143. 259. 265. 345. 349.
353. parvus 346. (bibliopola) 308.
310. 311.
librerista 353.
libro delle tre croci 230.
liäeur 225.
ligamen 237.
ligare 86. 224. 225. 227. 327. 386.
ligator 224. 225. 265.
ligatura 208. 224. 226. 277.
ligniculum 136.
linea 119. 130. 136. t37. 377.
linealis 167.
lineare 131. 132. 206. 207.
linearium 137.
lingua paganorum 235.
linial 137.
liniare 130.
liniarium 137.
linum 35.
littera bona 260. Bononiensis 257.
grossa 166. legibilis 257. Lombar-
üorum 257. magna 167. minuta
103. preciosa 262. psalterialis 166.
punctuata 257. purgata 257. ro-
mana 90. 255. 296. saxonica 151.
litterae 38. 39. apertaell8. assurae
148. aureae 87. 148 — 150. 198.
211. 237. 378. capitales 130. 144.
149. 382. capitulares 206-208.
clausae 124. distinctae et decorae
324. excisae 122. miniatae 198.
patentes 110. 118. rubeae 130. 146.
unciales 87.
litterula 251. 377.
litura 139.
loca credibilia 361.
locagium 299.
lora 170. 227.
luminare 14S. 209.
lybery 349.
macula 131.
magister rotulorum 364.
magistraliter 283. 284.
magna littera 167.
magnus modus 167.
malen 317.
malleare 112.
mango librorum 311.
manus antiquaria 236. 245. libraria
386. obtunsa 236.
margo 119. 328. 329.
marsupium 230.
meljan 161.
membrana, membranae 39. 72. 74 etc.
haedinae 94. purpureae 87 — 90.
vitulinae 84. 94.
membranaceus 79. 91.
membranarius 84.
membraneus 112.
membranula 48.
membranum purpureum 90.
mestiers frans 311.
metallum extra pennam 284.
metrificator 269.
miniare 197. 198. 20S. 382.
miniator 198. 208. 282, 382.
minium 131. 143-145.194.197.198.
minius 382.
mlnuare. 166.
miuuer 166.
minuta 165. 380. littera 103.
minute 165.
missiles 124.
missorius 270.
Register.
397
modus fractus brevis, magnus 167.
scribendi 386.
molere aurum 149.
molins ä toile 97.
moyses 230.
multiplices 38.
mundare 131.
norma 137.
nota (concept) 272.
notae cantus 190. 262.
notare 52. 165. musice 129. 197.
258. 262. 263. 265.
notaria 273.
notaria scripta 75. 243.
notarius 242. 243. 272. 273. 280. 383.
notatura 167.
nottel 283.
notula, nottula acuta 284. conclavata
284. curiensis 283. fracturarum
284. simplex 284.
novacula 92. 129. 132. 140.
novare scripta 171.
nudus Laurentius 230.
obelus 149. 193.
obtunsa manus 236.
officina 295.
orichalcum 225.
originale 328.
orthographia 119. 188. 190.
pagina 51. 52. 105. 106. 117. 118.
139. 252. 253. 376.
paginula 52. 192.
pafimpsestus I70ff. 233.
pampklet 112.
pan Charta 120. 230.
pandectes 100—102.
panfletus 1 12.
pannucea Charta 96.
pape 246.
papel 96.
papeleta 112.
papierer 92.
papir 55. 279.
papir huss 97.
papireus 177. 263.
papirus s. papyrus.
pappier 374.
papyreus 74. 243.
papyrius 139.
papyrus (aeg.) 66 — 76. 79. 81. 238.
(papier) 83. 93ff. 117. 131. 159.
374.
parafti 382.
paragrammata 187.
paragraphus 314. 382.
paraphe 382.
parare 132. 243. 386.
paravisus 311.
parchemin 81.
parcheminier 84. 311. 374.
parchment 81.
parcus 272.
pargamina 92.
patentes 110. 118.
patrare 389.
patronus 164.
pauper Henricus 230.
pauvillart 120.
pawelhar 120.
pawiart 120.
pays latin 311.
peaux 54.
pecia 117.
peciarius 117.
pedes 284.
pellicula 39.
pellis 73. 94. 226. caprina 374.
pencase 158.
penna 46. 47. 54. 55. 83. 95. 129.
132 etc.
pennale 157. 159.
penne 264. d'airani 379.
pennellus 198.
pennicillus 382.
pennula 389.
pentaptychon 43.
pentateuchus 101.
percamenum 227.
pergamena, pergamenum 46. 47. 50.
75. 76. 78 etc. caprinum 374. fluens
85. graeca 94. teutonica 80. vitu-
linum 85.
pergamenista 377.
pergamentarius 84. 85.
pergaminarius 84.
pergamino di cuero, di panno 96.
permed 86.
perment 78. 273.
permenter 84.
permentin 306.
perspectaculum 163.
pertongar 120.
pfaff 246. 266.
phaff 3S0.
philobiblion 347.
philyra 64. 81.
pictacium 124.
pictorare 207.
pictura 210. 211. aurea 151.
pignus 323.
pinax 53.
pingere 258. 281.
pinna 159.
398
Register.
pipe rolls 364.
pirgamenum 131.
pirmenter 86. 315.
pirmeter 85.
pirmit 233.
pisarz 240.
pisati 161.
pitaciolum 236.
pitacium 124.
pla dint 144.
plagula 373.
plana 377.
planare 379.
planen 53.
plaveus 144.
plicare 105.
plicatura 117.
plumbeus Stylus 149.
plumbum 129. 136. 170. 377.
plume 54. 379.
pluteus 342. 380.
pointel 56.
pointer 377.
polyptycha 38. 120.
poncer 377.
ponere in asseribus, in corrigiis 227.
postis 129. 136.
p<raille* 130.
praeductal 137.
praescisus 284.
praescriptum 372.
pressare 376.
, proba 262.
procurare 252. 259. 277.
procuratio 208.
pronunciare 254. 314.
prosa 268.
prosator 268. 269.
protocollum 124.
psallia 123.
psalterialis 166.
psalteriolus 177.
puch pappiers 374.
pugillar 46.
pugillares 38. 137. 171.
pulpitum 345.
pulpret 380.
pumex 129. 130. 133. 160. 170. 172.
177. 376. 377.
pumicare 118. 130—132.
punct eyssen 136.
punctare 119. 136.
punctorium 129. 136.
punctuare 257.
punctum 130. 314.
punctus 250—252.
pungere 129. 136.
puochäri 246.
purgare 129. 130. 132.
purpureae membranae 87 ff.
quadrangulare 118.
quadratus 166. 284.
quarta 113.
quarterium 113.
quatern 59. 85.
quaternio 84. 112. 117. 131. 376.
quaterniunculus 236.
quaternus 113. 117. 136. 166. 177.
227. 228. 329.
quayer 113. 166.
quinquiplices 38.
quinternio 379.
quinternus 113. 328.
rädere 118. 129. 131. 132. 139. 172.
177. 178. 234. 329. 377.
rasio 130.
rasor 85. 130. 374.
rasorium 129. 130. 132. 140.
rasura 85. 94. 119. 134.
recognoscere 189.
reformare 326.
regal, karta 279.
regestrare 4.
regestrum 272.
register 59. 60.
registrum 2 — 4. 167. 226. 227. 361.
regier 377.
regrossare 380.
regula 129. 130. 137. 377.
reguläre 129. 131.
reissblei 380.
reissbrett 380.
reistrum 227.
relegere 187. 189.
renovare 208.
reparare 244. 322.
reparatio foraminum 134.
rescribere 177. 324.
riga 117. 137.
rita 161.
rizan 161.
rizz papiers 374.
robeo 196.
rodere 198.
rolle 77. 79. 100.
rolliger 108.
romana Charta 75. littera 90. 255.
296.
rose 377.
rosa 378.
rota 271.
rote dint 144.
rothes buch 230.
rotula 375.
Register.
399
rotularius 375.
rotulus 78. 100. 108-111. 237. 364.
375.
rotundus 166. 283. 284.
roydmeilre 198.
rubeator 198.
rubeatrix 198.
rubeus 130. 144. 146. 151. 196. 211.
rubrica 197.
rubricare 197. 225. 325.
rubricator 265.
rubricatura 198.
rubriche 197.
rubrick 197.
ruga 228.
ruptura 131.
sacculus 52.
sacristia 360.
sacrum incaustum 144.
scalpellum 129.
scalprum librarium 160.
scamnum 357.
scannum 345.
scapus 373.
scarpellium 160.
sceda 49.
scedula 236.
schloss 356.
scholae 296. 386.
schreiben 161.
Schreiber 246. 289. 300. 317.*
schreibfeder 157.
Schreibzeug 159.
schribbrett 3 SO.
schribdafel 58.
schriber 317.
schribo 3S9.
schribschindel 373.
schriptor 279.
schriversche 259.
scindere pergamenum 132.
scriba 213. 242.
scriben 53.
scribere 161. 246.
scrineum 366.
scriniarius 351. 352.
scrinium 103. 302. 329. 350. 351.
35S. 362. viatorium 364.
scripta notaria 75. 243.
scriptare 275.
scriptitare 245. 258.
scriptor 130 ff. 166. 242. 243. 248.
250. 253. 256. 257. 260. 272ff. 384.
scriptoria ars 255. tabula 163.
scriptorium 129. 154. 155. 160. 249.
251. 255. 256. 263. 267.
scriptrix 166. 278.
scriptura 208. 227. 241. 253. 257.
262. 263. diversa 194.
scripturarius 198. 225.
scriverie 352.
semiquadratus 284.
separatus 284.
sepia 138. 139. 377.
sera 349. 366.
sericum 228.
sexternus 113. 117. 227. 228. 279.
siccare pergamenum 141.
sigülator 273.
sigillierer 279.
sigillum 123. 279.
signare 271. 377.
Signum 271.
sillaba 119.
spaltzettel 123.
spanzettel 123.
spatium 119.
specular 380.
Spiegel 380.
spongia 139.
statio 245. 294. 295.
stationarius 306ff.
stationer 313.
Stile 57.
stilus 48. 50. 51. 53. 55 — 58. 155.
373. curialis 270. cursivus 270.
missorius 270. nobilior 270. ola-
viensis 279. plumbeus 149.
studorium 349.
stulschreiber 260. 285. 385.
subdistinctio 194.
subrubeus 167.
subscribere 270.
subscriptio 157. 188.
subula 129. 136.
sulcare 74. 129. 136.
sulcus 252.
summa dictaminis 268.
superducere 228.
sutura pergameni 131. 134.
tabella, tabellae 38. 39. 48. 51. 52.
106. 227. buxeae 373.
tabella rii 38.
tabellio 242. 295.
tabellulae 44.
taberna libraria 308. 309.
tables ä escrire 373. de cire 54.
d'yvoire 54. 56.
tabletier 373.
tablettes 46.
tablinum 111.
tabula 357. scriptoria 163.
tabulae 38. 39. 45 — 58. 111. 129.
242. ceratae 44. 46. 48. cereae58.
400
Register. .
dictales 49. eburneae 44. 90. ho»
neBtae missionis 35. officiorum 58.
tabularium 111.
tabuls 56.
taffein 59.
tafiln 60.
taille 65.
tailler 377.
talea 65.
tallia 65.
tally 65.
tavele 53.
taxare 272.
tegere 223.
temperare calamum 160.
temperatojo, temperino 160.
tenaculum 228.
tentio 134.
text 283.
textualia 349.
textura 166.
Cextus 102. 166. 325. 375. abscisus
284. bastardus 166. 284. prae-
scisus 284. quadratus 166. 284.
rotundus 166. 283. 284. semiqua-
dratus 284. separatus 284.
textwriter 313.
theca 158. calamaria 157. 158. gra-
phiaria 158.
tbesauraria 366.
thesaurarius 359.
thesaurus 333. .344. 351. 363.
tich„en 269.
tilde 164.
tiliae 235.
tincta 138.
tingta 377.
tiiiguere 374.
tinta 138.
tinte 142.
titella 164. 165.
titula 164. 165.
titulare 164. 207.
titulatio 164.
titulus 164. 165. 234. 237.
toffel 59.
tomus 67. 73. 100. 101. 243. 373.
tornare 161.
tor natura 210.
torne 197. 210.
tourner 210.
transcribere 298. 299.
transfix 124.
transversa Charta 106. 107.
tresekammer 366.
treselaria 366.
trdsor des chartes 363.
tressler 367.
triplices 38.
triptycha 38. 42. 43.
tuncardus 72.
umbilici 170. 227.
unciales litterae 87.
undirweysen 284.
vadimonium 298.
velin 81. 86. 210.
vellum 81. 327.
venditor librorum 307.
verlichter 314.
vermeil 197.
vermeillon 210.
verstichter 269. *
versus 318.
veru 243.
vestigarium 360.
vicecancellarius 272.
violatus color 151.
virgula 119. 130. 193. 314.
virgulare 119. 265.
vitriolum 141.
vitulinae membranae 84. 94.
vitulinium 86.
vitulinum 81. 85. 374.
volumen 74. 77. 81. 100. 101. 111.
112. mortuorum 108.
volveje 100. 328.
vreitan 161.
wachs 55. 273.
wahs 49.
was 83.
wax 56.
waz 53.
wiitan 161.
write 161.
writer 246.
writter 210.
xraxare 161.
xylinus 93.
ymagine* 209.
ystoriö 209.
zedel 124.
zerfzettel 123.
zerter 123.
zettel 124.
zona 228.
zuogen 277.
zurusten 300.
Register.
401
Griechische Ausdrücke.
00. 112.
axQißovv 184. ISü.
aXqxxßrjToy 123.
avoiy/ua 201.
dyrißdXXtiy 184. 186.
uyziyqdftiy 184.
uvxiyqaq)ov lb6.
avuxoTTvqas 242.
anaXiifpsiv 159. 173.
anoyqaytiv 186.
ctQxaioyQCMpos 244.
uq%oi£Xiov 202.
aitQccfjvoy 138.
ßaxQtt^tlov xQatua 145.
ßißXdqiov 112.
ßißXioyQatpog 241.
ßißXiodhrjg 320.
ßißXio&jxq 321. 338. 354.
ßißXioxnnrjXog 173.
/Sc/tt/o»' 79. 99. 112.
/fc'/ttos- 66. 76. 99. 1'
/tyoyiV 125. 153.
/tf/ftor 66. 71.
yXvntJQ 128. 160.
yAi'qpoj'oi' 126. 160.
jAvqpfr 126—128. 160.
yQafAfxazelov 372.
yQttfAfxaTtvs 241. 246.
ygct/uficn larijg 372.
yQapM 126. 127. 135. 137. 372.
ypaqptw 161.
ygaytelov 155. 377.
ygatptvg 71. 184.
yqacpidiov 155.
yQcuptxby fxiXav 137.
yQcc<pio&rjxq 157.
;e«9>/V 126—128. 155. 156. 372.
yQacpiüv {ig xaXXog 241.
yQaxpifxov 201.
diXridiov 372.
dtXxiov 38.
cfc'ArofT 38. 112.
dieser 77. 78.
tfiaßdxrjg 136.
dioQ&ovy 194.
di<p&iqai 69. 76. 77. 79. 103. 137
doxifAa&iy 187.
<fc>V«£ 126. 127. 156.
tyxatxrroi' 138.
iyxavry 144.
dXt]id(Jtoy 100.
e^roV 77. 100. 351.
€(Aera^iov 100.
exöootg 194.
«WtW 222.
i&Oqua 100. 118.
i£<6{47iXia 201.
iniyQaqty 202.
IgyaoTiJQioy 295.
£o%axox6Xkiov 70.
evoiaxüHJty 223.
idio^tiQoy 372.
xaXa/uc'tQioy 157 — 159.
xaXapfg 157. 377.
xaXauo&TJxTj 157.
xdXapog 125-128. 156. 160. 377.
xaXXtyQagxJy 241. 244. 245. 372.
x«AAtye«<jpo? 241. 244. 245. 295. 320.
xaWxAtioi' 144.
xavovig 126.
xavoviGfxa 125.
xavcoV 126— 128. 137. 157.
xavtovig 137.
xd.QY.iva 125. 136.
xaxaßaxov 105.
XtlJUtjXldQXrjC 351.
xtqpaAatoi' 202.
XicpaXcclü)/ua 201.
xqgoßovXXog 123.
xi^oV 372.
xiyydßagig 144. 145.
xatygiff 125. 126. 133.
xoxxivov 144.
xovdiXioy 147. 155.
xovidxiov 107.
xgoxtaxog 91.
xvxXofAoXißöog 126.
xu'AwdpOjT 100.
xuxfixiov 112.
*■■
Aa£bvpcoi' 201.
377.
^«v 127. 128. 137. 138. 144.
^eWdoW 127. 128. 154.
fAtXaydo%€ioy 153. piXavog do%€ioy
372.
HfXaySoxn 153.
lAtXavdoxoy 377. 378.
(AeXdvioy 137. 144.
(UfjißqaCvog 351.
psfAßQdvai 77. 79. 374.
402
Register.
fitrayQdipiw 173. 321.
/jtTctXa/ußavtiy 194.
pofoßdos 127. 128. 134.
poXißoßovXXoe 123.
poXißos 126—128.
(tovoxoydiXioy 150.
voxaQios 241.
tieiv IC1.
SvXoxaQtia 70. 71. 93.
b{ÄoXotyyqu(pov 123.
Q^vyQttyos 241.
7iali\pr]Oiog 171.
nanvQos 66. 71.
naqayQtt(ptiy 37 7.
nctQayija(pi± 377.
naqdyQacpoi 137.
nevrd&ut 113.
nsQyQttuivii 79.
nivaxig 137. 372.
ti«V«£ 372.
nixxdxiov 105. 124.
»Airftfr 125. 128.
nQoowdia 186.
7i£a>T oxoAAo»' 70.
nxvxxiov 112.
TiTv%ai 223.
nvxxioy 38. S7. 101. 112.
nvtxig 112.
tiv&'ov 372. 377.
GtXidioy 105.
<y*;UV 105. 113. 125. 126.
Orj/usioyQcccpoc 243.
aiXXvßog 105.
axivocpvXaxioy 354.
oxsvocpvXaZ 351.
«r^ify 125. 126. 12S. 160.
anoyyog 125. 127.
OTayoTadee 223.
aza^oj/ua 223.
aro^tu^tv 223.
ouyfirj 186.
Ozl%r}Qü)C 186.
gt iv topos 114.
Gri%og 105.
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av/ußoXtj 77.
o%oiyioy 144.
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o^oXtoyqacpt'iy 194.
o%6Xtoy 194.
GtSua 101.
Gatpara 78. 79. 91.
atoparioy 76. 79.
GtopattSog 222.
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raßotXXa 118.
*«/t>y(>«$w 241.
TtTQuöiov 71. 112. 114. 372.
TtTQcafiGxioy 113.
rae«V 112. 115. IIS.
TlTQCtOOa 114.
Ttv/Ojr 79. IUI. 112.
ropccQioy 351.
TQUiayiopos 114.
TQiaad 114.
« 193. 381.
v flirte 77. 8S.
vnayoQtvtiv 241.
vnoyqdfpity 372.
vnoyQatptj 144.
vnoyQatptvg 241.
vnoGr t (Asi(aoi£ 115. 145.
cpaiXoyiis 350.
ytAAoV 222.
<ftX6yn<; 79 350.
(fiXvqa 64.
(pÜLVQlOV 64.
(pvXXoy 117.
XaQidgia 71.
/a? 7 ?? 67. 69. 70. 113. 11^.
XctQiia 201.
%aQioxoxxiva 91.
/aQzo<pvXa^ 352.
XaQTipo? 67. 71. 100.
ZQvoä ygaftfAHTfc 77. SS.
XQvaoßovXXoy 123.
XQvooyQccjUjuia 147.
XQVGQyQCCCptVs 147.
ZQVGoycupia 147.
XQvGoyqaifog 147. 202. 241.
XQvOio/ua 201.
Druck von J. B. Hir-chfeld in Leipzig.
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