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Full text of "Das Schriftwesen und Schrifttum der böhmisch-slovenischen Völkerstämme in der Zeit der Ueberganges aus dem Heidentume in das Christentum; eine literaturhistorische Abhandlung. Zur Jubilaeums-Feier der Auffindung der Grünberger und Königinhofer Handschrift"

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Hanus,  Ignac  Jan 

Das  Schriftwesen  und 
Schrifttum 


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UNIVERSITY    OF    TORONTO 

from  the 

KATHLEEN   MADILL   BEQUEST 


Das 

CHRIFTWESEN  UND  SCHRIFTTUM 

der 

böhmisch-slovenischen  Völkerstämme 


1  der  Zeit  des  Ueberganges    aus   dem  Heidentume   in 
das  Christentum. 


Eine   literaturhistorische  Abhandlung 


Dr.  I.  J.  Hanus. 


ir  Jubilaeums-Feier  der  Auffindung  der  Grünb  erger  und  Königin- 
hofer  Handschrift. 


PRAG,  1867. 

In  Kommission  bei  F.  Eivnac,  Kolowratsstrasse  Nr.  858. 


Das 

SCHRIFTWESEN  UND  SCHRIFTTUM 

der 

böhmisch-sloveiiischen  Völkerstämme 


in  der  Zeit  des  Ueberganges    aus   dem   Heidentume  in 
das  Christentum 


Eine   literaturhistorische  Abhandlung 


Dr.  I.  J.  Hanus. 


Zur  Jubilaeiims-Feier  der  Auffindung  der  Grünberger  und  Königin* 
hofer  Handschrift. 


PRAG,  1867. 

Druck  und  Verlag- der  Buchdruckerei  von  Dr.  Fr.  Skrejöovsk^. 


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Vorwort. 


Titel  und  Inhaltsübersicht  berichten  von  selbst  über  den 
Zweck  der  vorliegenden  Abhandlung:  eine  Grundlage  abzugeben 
zur  ältesten  böhmisch-slovenischen  Literatur-Geschichte  in  Form 
einer  Monographie. 

Da  nun  derselben  zugleich  der  Nebenzweck  unterliegt,  zur 
Brücke  für  deutsche  Leser  zu  dienen,  welchen  daran  liegt,  das 
gegenwärtige  Gebiet  dieses  Grundteiles  der  böhmischen  Literatur- 
Geschichte  kennen  zu  lernen:  so  wurden  bei  der  Darstellung  der 
Grün  berger  und  Königinhofer  Handschrift  teils  nur  Sum- 
marien, teils  fast  wörtliche  Uebersetzungen  gegeben,  selbst  auf 
die  Gefahr  hin,  stylistische  Correctheit  der  Treue  zu  opfern.  Falls 
nun  diese  beabsichtigte,  dem  Sinne  nach  genaue  Darstellung  der 
beiden  Handschriften  nur  etwas  gelungen  sein  sollte,  dann  dürfte 
wol  diese  Monographie  zur  fünfzigjährigen  Jubilaeums-Feier  der 
Auffindung  dieser  Handschriften  nicht  unwürdig  sein. 

Prag,  Collegium  Clementinum  im  März  1867. 


Ilanus. 


1.  Kannten  die   böhniisch-slovenischen  Volksstämme 
im  Heidentume  eine  eigene  Lautschritt  ? 

Unter  dem  Ausdrucke  böhmisch- slovenische  Vülkerstämme  verstehen 
wir  die  sprach-  und  stammverwandten  Slavenvölker  der  Böhmen  (Öe§i), 
Mährer  (Moravane),  Schlesier  (Slezäci)  und  Slovenen  (Slovaci)  in  Ungarn. 

Die  Frage,  ob  diese  im  Heidentume  eine  Lautschrift  kannten,  ist 
enge  verbunden  mit  der  Frage,  ob  die  Slaven  überhaupt,  ehe  das  Chris- 
tentum au  sie  herantrat,  eine  Lautschrift  hatten,  welche  Frage  jedoch 
nicht  identisch  ist  mit  der  Frage:  hatten  die  Slaven  der  Urzeit,  ehe  sie 
nämlich  eine  den  geschichtsschreibenden  Griechen  und  Römern  bekannte 
historische  Völkergruppe  wurden  -  -  also  noch  in  ihren  hinterkarpathischen 
Wohnsitzen  —  eine  Lautschrift  ? 

Den  hier  festgesetzten  Uibergang  von  den  Böhmen- Slovenen  ins- 
besondere zu  den  Slaven  im  Allgemeinen  rechtfertigt  das  Resultat  ver- 
gleichender Slavistik :  dass  die  Grundlagen  der  Bildung  aller  Slavenstärame 
je  altertümlicher,  desto  gleichförmiger  waren. 

Die  eben  so  schwierige  als  wichtige  Beantwortung  dieser  Frage 
scheint  ein  altes  bekanntes  Zeuguiss,  nämlich  das  des  Mönches  Clirabr, 
der  am  Anfange  des  10.  Jahrhundertes  in  Bulgarien  noch  lebte  und  über 
die  sogenannte  Schrifterfindung  KyriVs  schrieb  (Vgl.  Ilattala,  musejn. 
1858.  S.  116),  ganz  einfach  mit  wem  zu  beantworten,  da  er  gleich  am 
Anfange  seines  Aufsatzes  sagt:  „Vordem  (früherhin)  hatten  die  Slovienen 
(Slovöne)  heine  Schriften  (Bücher,  knigx),  denrr  als  sie  Heiden  waren, 
zählten  (cttechfi)  sie  mit  Striche7i  (critami)  und  ioahrsa<jten  (gataacha) 
mit  (aus)  Riszen  (Einschnitten,  rözami)."  Allein  die  Deutung  dieses  Aus- 
spruches enthält  in  sich  fast  so  viele  Schwierigkeiten,  als  sie  Worte  in 
sich  fasst. 

Denn  der  Ausdruck  Sloveninx,  Slovene,  bezieht  sich  wahrscheinlich 
nur  auf  die  südlichen  Alt-Slovenen  (Bulgaren),  nicht  auf  Slaven  überhaupt  -- 
auch  kann  dem  Mönche  Chrabr  keine  Kenntniss  über  das  Schriftaltertum 
aller  Slaven,  namentlich  der  hinterkarpathischen  Slaven  zugemutet  wer- 
den. Er  sagt  von  diesem  seinen  Slovienen  aber  weiter  :  „Als  sie  aber 
Christen  geworden,  mühten  sie  sich  ab,  mit  römischen  und  griechischen 
Buchstaben  (pismeny)  ihre  slovienische  Sprache  (sloveninska  recb)  zu 
schreiben  (pisati)  und  das  ohne  Organisation  (bezi  ustrojenia)  der  Buch- 


Stäben."  Erst  der  h.  Kyril  hätte  ihnen  sodann  ein  eigenes  Alphabet 
gegeben.    (Vgl.    Safafik:    Starozitnosti,  1.  Aufl.  S.  995.  2.  Aufl.  S.  739.) 

Könnte  man  nun  Chrabr's  ,jSlovenin"  auch  auf  den  bölimisch-slo- 
venischen  Völkerstamm  und  zwar  aus  dem  Grunde  beziehen,  weil  die  Ein- 
führung des  Christentums  duixb  Kyril  undMethud  wenigstens  bei  einem 
Teile  desselben  feststeht:  so  hätte  mau  vorläufig  ei7i  Zeugniss,  dass  sie 
als  Heiden  nm*  Striche  (crity)  zum  Zählen  imd  Risze,  EinscJinitte  (rezy) 
zum  Wahrsagen  gehabt  haben.  Das  Wort  cbtöcha,  das  nun  allerdings  auch 
den  Sinn  des  Lesens  hat,  kann  denselben  im  Sinne  Ciu'abr's  unmöglich 
haben,  da  er  ja  ausdrücklich  sagt,  dass  sie  keine  Bücher,  Schiliften 
(knigi),  also  nichts  Lesbares  gehabt  hätten. 

Die  Näherrückung  der  Slovönen  zu  den  Böhmen-Slovenen  durch 
die  Einführung  des  slav.  Christentums  Methods  wird  aber  gewaltig  ge- 
hindert durch  Chrabr's  ferneres  Wort,  dass  die  christlichen  Slovenen  grie- 
chisch und  lateirisch  geschrieben  hätten,  denn  von  grie^-ldschen  Schriften 
weiss  man  bei  den  Böhmen-Slovenen  schlechthin  nichts,  wol  aber  bei  den 
Südslaven,  die  vor  allen  Chrabr  im  Auge  gehabt  haben  mag.  Notiren 
wir  daher  vorläufig  Chrabr's  Gegensatz  der  knigy  oder  Pergament-Laut- 
schrift zu  einer  Einschnitt-  (rezy),  sohin  zu  einer  Holztafel- Schrift, 
die  zum  Wahrsagen  diente  und  zu  Strichen  (crity),  welche  zum  Zählen 
bestimmt  waren.  Diese  Einschnitte  können  wii*  uns  als  Grundlage  des 
Wahrsagens  (Vorher-Denkens)  unmöglich  ohne  Bedeutung  (Sinn),  sohin 
nur  als  Bilder  oder  Denkmale  vorstellen. 

Um  nun  den  Böhmen- Slocenen  näher  zu  kommen,  citirt  man  häu- 
fig eine  altslavische  Handschrift,  verfasst  um  1200,  geschrieben  aber  zu 
Ende  des  14.  oder  im  Anfange  des  15.  Jahrhunderts  (Wiener  J.  B.  d. 
Lit  53.  B.  1831.  Anz.  Bl.  N.  79.  S.  29.  —  Safafik,  starozitn.  Editio 
prmceps.  S.  997),  welche  da  sagt,  dass  zu  den  halbgläubigen  Völkern, 
welche  Schriften  (Bücher,  knigb)  haben,  die  Frauken,  Allemanen,  Ungarn 
(v^grLska)  Böhmen  (cesska),  Armenier  gehören.  Allein  das  hat  offen- 
bar keine  Beziehung  zu  den  heidnischen,  sondern  zu  den  römischkatho- 
lischen Böhmen,  weil  sie  eben  halbgläubig,  nicht  rechtgläubig  (griechisch- 
katholisch), genannt  werden  und  ist  nichts  als  ein  Beweis,  dass  man  von 
diesen  Böhmen  zu  Ende  des  12.  Jahrh.  wusstc,  dass  sie  bereits  eine 
christliche  Literatur,  ^^'ol  die  ganze  Bibel  oder  doch  einige  Teile  der- 
selben hatten,  was  auch  sonst  sichergestellt  ist. 

Um  also  auf  eine  andere  Weise  eine  heidnische  Schrift  und  zwar 
eine  Lautschrift  für  die  Böhmen  sicherzustellen,  macht  man  auf  die  na- 
hen Beziehungen  der  Böhmen  imd  Elbeslaven  aufmerksam,  die  allerdings 
ähnliche  Kulturzustände  bei  beiden  voraussetzen  lassen  und  citirt  den 
Chronisten  Thietmar  (f  1018),  der  sagt,  dass  in  der  Stadt  Riedegost 
(Katara,  Rhetra)  m  einer  Ai't  slavischen  Pantheons,  worm  „Zuarasici" 
(d.  i.  Svarozic)  der  oberste  Gott  war,  Götterstatuen  stünden,  mit  einzeln 
eingegrabenen  Namen  (nominibus  insciüptis).  Wagner's  Ausgabe  VL  B. 
S.  150.  151.  Allein  dieser  Beweis  für  eine  Lautschrift  bei  den  Nord- 
slaven ist  nicht  stichhältig  genug,  denn  das  Zeugniss  Thietmar's  fällt  ja 
in  das  Ende  des  10.  christlichen  iahrhmiAcviQ^,  wo  allerdings  Lautschrif- 


teil  uüd  zwar  die  Glagolica,  Kyrilica  oder  wenigstens  das  römische  Alpha- 
bet bei  den  Nordslaveu  in  Gebrauche  sein  konnten,  ja  auch  Runenalpha- 
bete,  ohne  dass  diess  einen  Beweis  für  eine  Lautschrift  in  wahrhaft 
heidnischer  Zeit  abgeben  würde.  Im  10.  christl.  Jahrhunderte  sind  Schrift- 
vermittlungen durch  Fremde  bei  den  Nordslavcn  nichts  sonderbares  (Sa- 
fafik,  Star.  2.  Ausg.  IL  B.  S.  742).  Wie  muss  auch  das  Heidentum 
schon  im  Verfalle  gewesen  sein,  wenn  man  Göttcrstatucu  Unterschriften 
beifügen  durfte  oder  musste?  —  Auch  spricht  Thietmar  nur  von  einge- 
grabenen Namen,  was  nicht  durch  förmliche  Worte,  worum  es  sich  aber 
hier  handelt,  sondern  auch  durch  mythische  Götterzeichen  (Göttermale) 
bewerkstelliget  werden  konnte.  So  hatte  z.  B.  der  slavische  Blitzgott 
sein  Götterdenkmal  in  zwei  sich  kreuzenden  Blitzen  ^,  wie  dies  noch  an 
einzelnen  Todtenurnen  vorkömmt,  so  z.  B.  bei  der  in  IIole§ovic  ge- 
fundenen (Kaliua,  Opferplätze,  S.  125,  126).  Eine  solche  Eingrabung 
von  Göttermaleu  wäre  dann  allerdings  echt  heidnisch,  wie  denn  nur  we- 
nige Zeilen  voran  derselbe  Thietmar  sagt,  dass  die  Wände  dieses  Svaro- 
zic-Tempels  dm-cli  wunderbar  (sonderbar?)  eingegrabene  Götterbilder  ge- 
ziert waren  (mirifice  inscupltae).  Für  eine  heidnische  Lautschrift  der  alten 
Böhmen  folgt  endlich  aus  allem  dem  gar  nichts. 

Aehnliche  späte  Zeugnisse  über  die  ft-agliche  Slavenlautschrift  sind 
die  von  reisenden  Arabern  erhaltenen  z.  B.  von  Fadhläu,  Masoudy,  Ne- 
dim  u.  a.  m.  (Mem.  de  l'acad.  de  St.  Petersb.  VL  Ser.  2.  Seite  319. 
513.)  ;  denn  wenn  schon  die  Ostgothen  im  4.  christl.  Jahrhunderte  eine 
eigene  christl.  Schrift  besassen,  warum  sollten  im  9. — 10.  Jahrb.  nicht 
auch  unter  die  Russen  schon  Schriftzeichen  eingedrungen  sein  (Zur  slav. 
Runenfrage.  S.  65),  die  in  so  nahen  Berührungen  mit  den  Normannen 
sowohl  als  mit  den  Griechen  (im  Süden)  stunden.  Aus  solchen  besonde- 
ren Verhältnissen  würde  dazu  noch  nichts  für  die  Böhmen  folgen. 

Fast  dasselbe  gilt  von  den  Schriftzeichen  bei  diplomatischen  Ver- 
handlungen, wie  wenn  z.  B.  Konstantin  Porphyrogeneta  (er  schrieb  zw. 
945 — 959  )  bezeugt,  dass  die  Chorvaten  (Kroaten)  in  eigenen  Handschrif- 
ten (chirographis  propriis)  den  römischen  Kaisern  um  das  Jahr  635 
Treue  angelobten,  lieber  die  nähere  Beschaffenheit  dieser  Handschriften, 
die  dreihundert  Jahre  vor  Konstantin  geschrieben  waren,  sagt  er  natür- 
lich nichts,  auch  würden  sie,  wenn  das  Wort  „eigene"  (propriis)  auch  auf 
die  Kroaten,  und  nicht  auf  die  Treue-Versprechung  sich  beziehen  würde, 
nichts  beweisen,  da  am  Hofe  der  Herrscher,  wenn  sie  mit  andern  kultivir- 
ten  Potentaten  in  politische  Beziehungen  treten,  manche  Kulturmoinente 
herrschen  mussten,  die  dem  Volke  selbst  fehlen.  So  verhandelt  nun  der 
türkische  Hof  mit  den  europäischen  Mächten  französisch,  woraus  aber 
nur  durch  einen  Irrschluss  sieb  ergäbe,^  dass  auch  das  türkische  Volk 
französisch  schreibe  und  spreche.  Vgl.  Safaf.  Staroz.  2.  A.  S.  738. 

Der  Ausdruck:  „eigene  Schriften"  kömmt  in  einem  anderen  Sinne 
in  einer  viel  älteren  QueUe,  nämUch  in  dem  Chronicon  paschale  vor 
(354—630),  wo  von  den  Sarmaien  und  Skythen  gesagt  wird,  dass  sie 
ihre  eigenen  Schriften  hatten  (ayrciv  7pa[j.[i.aTa).  Allein  dieser  Ausdruck 
bedeutet  hier    wie    oben    in   der  citirten    altslav.    Handschrift   Schriften 


christlicher^  Zeiten  und  wenn  auch  der  Ausdruck:  Sarmateu  und  Skythen 
anstandslos  auf  Slaveu  bezogen  werden  könnte,  so  ist  doch  hier  von  kei- 
nen heidnischen  Slaven,  um  die  es  sich  handelt,  die  Rede.  Dass  emzelne 
Slaven  ün  4.  Jahrh.  bekehrt  waren,  unterliegt  keinem  Zweifel,  ebenso, 
dass  das  Christentum  nicht  ohne  Schrift  sich  werde  verbreitet  haben. 
Vgl.  Safafik  1.  c.  S.  737. 

Auch  Nestor  spricht  bei  den  J.  912  und  945  von  schriftlichen 
Verträgen  zwischen  Russen  und  Byzantinern,  ohne  natürlich  dadurch  für 
heidn.  Slavenschrift  etwas  beweisen  zu  können,  wie  Konstantin  oben  bei 
den  Kroaten. 

In  dem  Jahrhunderte,  von  welchem  Nestor  spricht,  erwähnen  nicht 
ganz  unglaubwürdige  Sagen  in  Böhmen  sogar  schon  Schreibschulen  zu 
Budec  und  Vysehrad  mit  heidnischem  Anstriche,  allein  niemand  wird 
daraus  auf  eme  heidnische  Lautschrift  schliessen  dürfen,  die  etwa  schon 
in  der  karpathischen  Heimat  oder  in  Böhmen  wenigstens  vor  der  Zeit 
der  Concentration  der  slavischen  Stämme  zum  einigen  Böhmervolke  um 
die  Doppelburg  Vysegrad-Praga  geherrscht  hätte.  Denn  um  die  Zeit  der  Con- 
centi-ation  trat  nicht  nur  die  Berührung  der  Böhmen  mit  fremden,  schrift- 
kundigen Völkern  des  europäischen  Südens,  sondern  auch  mit  dem  Chris- 
tentume  statt,  das,  wie  gesagt,  ohne  Schriftkunde  nicht  recht  möglich 
ist,  da  sich  seine  Lehre  eben  auf  „Schriften"  gründet. 

Wenn  man  endlich  die  „  Vinda-runir"  d.  i.  die  Slaven-Runeu  ins 
Feld  fühi-t,  um  abermals  emen  Schluss  von  den  Nordslaven  auf  die  Böh- 
men zu  tun:  so  zeigt  die  nähere  Betrachtung  derselben  den  Fehlschluss 
offenbar.  Denn  von  den  Vinda-runir  spricht  nur  Thuniaann  in  seinen 
Untersuchungen  über  die  alte  Geschichte  einiger  nord.  Völker  (Berlin, 
1772.  S.  283),  belegt  sie  jedoch  durch  kein  altes  Zeugniss,  sondern  be- 
hauptet nur,  dass  auch  die  isländischen  Schriftsteller  dieselben  kannten. 
Wir  zweifehl  nun  keineswegs  an  dem  Dasein  von  Slavenruuen,  halten 
dieselben  jedoch,  wie  gleich  des  Nähern  gezeigt  werden  soll,  für  keine 
Lautschrift.  Was  aber  die  Thunmann'schen  „Vindarunir"  betrifft,  so  kann 
dies  Wort  auch  den  Sinn :  Slavische  (wendische)  Gesänge  und  Sagen 
haben,  wobei  dann  der  Behauptung:  die  Isländer  hätten  auch  slavische 
Sagen  gekannt,  natürlich  nichts  entgegensteht. 

Wenn  nun  alle  diese  Zeugnisse  die  Sache,  nämlich  die  altheidnische 
Lautschrift,  und  die  Person,  nämlich  die  alten  heidnischen  Böhmen  nicht 
treffen:  so  kann  wohl  behauptet  werden,  dass  dieoe  keine  Lautschrift 
kannten,  oder  doch,  dass  man  es  bisher  nicht  beweisen  konnte. 


t.    Die   heidnischen   böhmisch  *  slovenischen    Völker 
kannten  eine  Bilderschrift. 

Eine  Bilderschrift,  die  als  Sach-  oder  Gegenstands-Schrift  der 
Zau^Schrift  geradezu,  und  zwar  wie  Natürliches  dem  Künstlichen,  ent- 
gegensteht,   bei  den  genannten  Völkern    bezweifeln  zu  wollen,    hiesse  ge- 


d 

radezu  ohue  Grund  Kulturausnahmen  setzen,  da  eine  solche  zu  den  all- 
gemeinen Momenten  jeder  indoeuropäischen,  wenn  nicht  gar  jeder  mensch- 
lichen Kultur  überhaupt  gehört 

Denn  so  wie  das  emphatisch  ausgesprochene  Wort  dem  Natur- 
menschen psychisch  imponirte,  weil  es  in  seiner  flüchtigen  Gehörform 
unmittelbar  und  gleichsam  geistig  die  Sache  selbst  in  sich  zu  bergen 
schien,  wie  solches  das  altertümliche  Wünschen  und  Verwünschen  na- 
mentlich beweist:  so  imponirte  ihm  auch  das  gegenständliche  Bild,  das 
dem  Auge  den  Gegenstand  selbst  wiederzugeben  schien,  imd  dazu  noch 
objectiver,  als  das  Wort  dem  Ohre.  Auge  und  Ohr  sind  aber  die  zwei 
Haupterkenntnissquellen  des  sinnlichen  Menschen,  der  die  unendlich  vielen 
Processe  der  Anschauungsentstchungen  nicht  einmal  ahnt. 

Da  nicht  alle  Gegenstände  ehrfurchtsgebictend  waren,  so  mussten 
auch  die  Bilder,  welche  den  ebcnberührtcn  Eindruck  machen  sollten, 
einen  ehrfurchtgebietenden  Inhalt  haben :  und  diess  waren  yi  iftldsche  Bilder, 
die  in  irgend  einer  Beziehung  zur  Volksreligion,  dem  Inbegriffe  eben  all 
der  erfurchtgebietenden  Naturanschauung  stunden.  So  ist  es  z  B.  Tat- 
sache, dass  das  Gorgonen-  oder  Medusen-llaupt  nichts  anderes  war,  als 
das  personificirte  Bild  der  wilddrohenden  Gewitterwolke,  der  sich  ohne 
Gefahr  eigenen  Schadens  ni.chts  nahen  durfte:  aber  eben  so  ist  es  Tat- 
sache, dass  bei  Griechen  und  Römern  solche  Bilder  an  Stadttore  ange- 
bracht wurden,  um  Feinde  vor  dem  Eintritte  abzuhalten.  In  der  naiven 
Scheu  oder  in  der  naiven  Ehrfurcht  vor  solchen  Bildern  liegt  ein  grosser 
Teil  religiöser  Gefühle  geborgen,  die  eine  ganz  eigentümliche  Art  psy- 
chischer Zustände  bilden.  Auf  ihrer  Grundlage  ist  daher  alles,  was  ein 
solches  Bild  an  sich  trägt,  ebenso  geschützt,  als  dasjenige,  was  mit  mythi- 
schen Worten  besprochen  (beschrieen)  wurde.  Das  Bezeichnen  scheint 
dem  Naiven  ebenso  schutzkräftig  zu  sein,  wie  das  Beschreien  Schreiben 
wir  ja  noch  an  unsere  Türen:  C  M.  B. 

Gibt  man  daher  die  selbstständige  Entwicklung  v.gthischer  Aus- 
drücke bei  einem  Volke  überhaupt  zu :  so  gibt  man  damit  auch  die  Ent- 
wickelung  mythischer  Bilder  bei  demselben  zu  :  womit  man  sohin,  nach 
unsern  Begriffen  zu  reden,  zauhei  te,  nach  mythisch  naiven  Begriffen  aber 
feite  oder  heiligte. 

Ob  diese  Bilder  nun  roh  oder  fein  ausgeführt,  ob  sie  ganz  oder 
nur  verkürzt  gegeben  sind,  ist  dem  naiv  gläubigen  Gemüte  gleichgültig, 
da  dieses  ohnehin  nicht  das  kalte  Objcct,  sondern  darin  nur  sein  gefärb- 
tes Herzensbild  sieht. 

Aus  der  ähnlichen  Anschauung  der  ehrfurchtgebietenden  Dinge,  welche 
eben  die  Veranlassung  der  mythischen  Bilder  waren,  eben  so  wie  aus 
der  ähnlichen  Anschauungsweise  der  Naturvölker  ergibt  sich  die  Menge 
des  Gemeinsamen  bei  allen  heidnischen  Religionen,  ohne  an  äussere 
Entlehnung  denken  zu  müssen.  Das  Bündlein  Blitze,  das  Griechen  und 
Römer  ihrem  Zeus  oder  Jupiter  in  die  Hand  oder  dessen  Adler  (d.  i. 
dem  Thierbilde  des  Zeus,  des  Gewittergottes)  in  die  Krallen  gaben,  er- 
scheint bei  Deutschen  und  Slaven  in  dem  Bilde  des  Hammers,  des  Schwer- 
tes, der  Axt  oder  ganz  abgekürzt  in  dem  oben  besprochenen  Andreaskreuze, 


10 

dem  mythischen  Fruchtbarkeits-  oder  Multiplicationszeicheu.  Der  Ger- 
raane  legte  der  Neuvermählten  einen  Hammer  in  den  Schoss,  um  sie  da- 
mit zu  segnen,  der  Slave  richtet  während  des  Gewitters  Aexte  vor  seinem 
Hause  auf,  um  dasselbe  zu  schützen,  oder  legt  eine  Axt  (sekyra)  unter 
den  Türpfosten,  worüber  die  Braut  schreiten  muss,  um  sie  zu  feihen, 
bezeichnet  endlich  auch  die  Todtenurne  mit  dem  geheiligten  Zeichen. 

Wie  unterscheiden  sich  die  Slaven  von  den  Griechen,  und  doch  er- 
zählt uns  Homer,  dass  Proitos  dem  Bellerophon  auf  einer  zweiteiligen 
Tafel  Zeichen  eingrub,  die  angeschaut  seinem  Schwäher  Verderben  brin- 
gen soUten  (Ilias,  VI.  168.  173.). 

Bei  Tacitus  aber  lesen  wir,  dass  bei  den  Germanen  entweder  der 
Hausvater  oder  der  Burgpriester  (sacerdos  civitatis),  je  nachdem  es  sich 
entweder  um  Familienangelegenheiten  oder  um  öffentliche  Dinge  handelte, 
die  Losstäbchen  mit  verschiedenen  Zeichen  versah  (sm'culos,  notis  qui- 
busdam  discretos),  um  dann  daraus  wahrsagen  zu  können  (Germ.  10.), 
derselbe  Tacitus,  der  da  behauptet,  dass  bei  den  Germanen  weder  Män- 
ner noch  Weiber  die  Geheimnisse  unserer  Schrift  (literarum  secreta)  ge- 
kannt hätten. 

Wenn  wir  nun  damit  den  oben  berührten  Ausspruch  des  Mönches 
Chrabr  vergleichen,  dass  die  Slovenen  vor  dem  Christentume  keine 
Schriften  (knigi)  kannten,  sondern  nur  mit  Strichen  und  Einschnitten 
(Riszen)  zählten  und  wahrsagten:  so  haben  wir  ein  gleiches,  gemeinsames 
Kulturraoraent  europäischer  Völker  im  Heidentume  vor  uns,  um  mit 
Grund  von  viythischen  Zeichen  der  böhmisch-slovenischen  Völker  sprechen 
zu  können- 

Eine  LautschriftQwi'siQimn^,  ist  aber  kein  solches  gemeinsames  Kul- 
turmoment, da  es  linguistisch-analytische  Studien  und  scliarfe  Beobachtung 
der  einfachen  Sprachlaute  voraussetzend,  von  der  natürlichen  Bezeichnungs- 
weise der  Gegenstände  zu  der  künstlichen  Bezeichnung  der  analysirten  Laute 
übergeht.  Griechen  und  Römer,  gewiss  wenigstens  ebenso  kuitureutwicke- 
lungsfähig,  wie  Slaven  und  Germauen,  entwickelten  aus  und  in  ihrer  hei- 
mischen Kultur  keine  Lautschrift,  sie  empfmgen  dieselbe  von  den 
Aegypto-Phöniziern  :  mit  welchem  Rechte  setzt  man  daher  bei  den  Slaven 
im  Heidentume  eine  solche  Lautschrift  voraus,  ohne  deren  historisches 
Dasein  strenge  beweisen  zu  können :  während  das  Nichtdasein  einer  Bil- 
derschrift bei  denselben  gerade  so  aucli  bewiesen  werden  raüsste,  da  diese 
im  Entwickelungsprocesse  europäischer  Völker  mit  Notwendigkeit  anzu- 
nehmen ist. 

Wenn  man  nun  die  obige  Nachricht  Homers  über  die  verderblichen 
Zeichen  auf  einer  Doppeltafel  mit  der  Nachricht  des  Saxo  Grammaticus 
(t  um  1204)  vergleicht,  die  er  im  3.  Buche  seiner  Geschichte  Däne- 
marks von  mythischen  Zeichen  gibt,  die  man  in  hölzerne  Tafeln  schnitt 
(ligno  insculptae),  eine  Schriftart,  die  einst  berühmt  war  (quondam  cele- 
bre  chartarum  genus)  :  so  hat  man  Zeugnisse  aus  dem  Süd  und  Nord 
und  wenigstens  tausend  Jahre  vor  und  tausend  Jahi-e  nach  Christus! 
über  Bilderschriften.     Ja  mau    kann   aus   allen    diesen  Zeugnissen  sogar 


11 

zwei  Formen  derselben  unterscheiden:    nämlich  vereinzebite  Zeichen   und 
Zeichen  in  grösseren    Gruppen  beisammen. 


3.  Sprachliche  Belege  für   das  Dasein  sowohl  verein- 
zelter Zeichen  als   von  fiiruppenzeichen  bei  den  böh- 
misch-slovenischen   Völkerstäninien. 

Vor  allem  sind  die  vom  INIönche  Chrabr  für  solche  mythische  Zei- 
chen gebrauchten  Ausdrücke  auch  den  böhmisch-slovenischen  Völkerstäm- 
men  bekannt. 

Den  Stamm  des  Ausdruckes  crU-y  kennt  man  nämlich  in  verbaler 
Form  als  a•^ati  oder  cert-üX\,  Striche,  Linien,  Furchen  ziehen,  in  sub- 
stantiver Form  aber  als  cert-ez,  Abrisz,  Bild,  ceri-a-dlo,  Furchenmacher, 
Pflugschar,  Slovenisch  bedeutet  nun  cri-eziti  auch  strattiren.  Der  einfachere 
Stamm  dieser  Wörtergruppe  findet  sich  aber  im  böhm.  als  c«r-a,  Linie, 
car-y,  pl.  Striche,  aber  zugleich  aucli  Zauberei,  altslav.  car-5,  ra.  Zauberer, 
incantator,  böhm.  caro-dej,  wörtlich  Strichemacher,  mit  dem  Sinne  Zau- 
berer, ebenso  wie  im  altslav.  caro-tvortcL  —  Dieselbe  Analogie  ergibt 
sich  im  böhm.  Diminutiv  des  altslav.  Wortes  crbt-a,  nämlich  tT^ka,  f.. 
Eingegrabenes,  Zeichen  überhaupt  bedeutend,  während  die  Form  cert^  ra. 
nur  im  Sinne  der  Teufel  bekannt  ist,  während  die  ältere  Wortform  da- 
von, nämlich  krl,  den  Maulwurf,  also  Wühler  bedeutet.  Auf  diese  äl- 
tere Wortform  führt  auch  Miklosich  den  polnischen  Ort-  und  Familien- 
namen Carto-ryi  m.,  C'erio  rjja,  f.  (Car^o-ryjski,  m.)  nämlich  auf  krto- 
rjja,  Maulwurfsgewühle  zurück  (lexic.  1123),  und  zwar  mit  Grund,  wemi 
die  Naturdeutung  den  Ausschlag  gebeu  soll :  wenn  aber  die  Deutung  im 
menschlichen  Tun  gesucht  werden  sollte,  dann  würde  der  Ortnarae  einen 
Platz  bezeichnen,  worin  „Striche  gewühlt",  gegraben  würden  und  der 
Personennamen  einen  Menschen,  der  einem  solchen  Orte  augehörte.  Vgl. 
Erben,  regesta  389.  722.  v.  Safafik:  Rozvötveni  slov.  kofene  car  a  cer. 
Starozit.  2.  Aufl    1862.  IL  B.  S.  744. 

Würde  aber  jemand  einwenden,  dass  Mönch  Chrabr  ohne  alle  Ro- 
mantik das  Wort  crUy  mit  dem  Worte  cbteclia  verbindet,  das  wir:  sie 
zählten  mit  Strichen,  übersetzten,  so  würden  wir  antworten,  dass  wir  da- 
durch nm-  die  Mitbedeutuüg  des  Lesens  ausschliessen  wollten,  keineswegs 
aber  die  zweite  Mitbedeutung  des  Verehrens,  da  cis-ti  (für  cit-ti  stehend) 
wohl  numerare  und  legere,  aber  auch  colere  bedeutet:  auch  Chrabr  cn>ty 
7iicht  geradezu  mit  cisti  verbindet,  da  er  icörtUch  sagt:  den  mit  Stri- 
chen und  Schnitten  (critami  i  rezami)  verehrten  und  wahrsagten  sie 
(cbtScha  i  gataachjj),  ohne  entscheiden  zu  können,  was  Chrabr  wirklich 
meinte,  da  sich  Gründe  für  und  dagegen  anführen  lassen.  Wir  deuteten 
dies  oben  schon  mit  den  Worten  an:  dass  in  dem  Berichte  Chrabr's  fast 
eben  so  viel  Schwieriglceiten,  als  Worte  enthalten  wären.  Eine  solche 
Vieldeutigkeit  liegt  auch  in  dem  Worte  carovaii,  das  bei  den  Böhmen 
nun  nur  zaubern,  bei  den  Slovaken  aber  ändern,  tauschen  bedeutet. 


12 

Lassen  wir  vorläufig  diese  Schwierigkeiten  auf  sich  beruhen  und 
wenden  uns  zum  zweiten  Ausdrucke  Chi-abr's,  zum  Worte  rez-y.  Es  ist 
desselben  Stammes  wie  das  deutsche  Risz  z.  B.  in  Ab-risz,  Gruud-risz, 
das  sich  im  goth.  v-rit-s,  Schnitt,  Buchstabe,  dem  altd.  ?v'c:-an,  schi-eiben, 
wiederfindet  Der  slav.  Stamm  kömmt  gleichfalls  in  zwei  Formen  vor  : 
rat  und  raz,  wie  es  z.  B.  die  Wörter  altsl.  ratb,  Schlacht,  böhm.  ratiste, 
ratisko  Lanze  und  raz-\i\,  sclilagen  (z.  B.  Geld)  oh-raz,  Bild  ausweisen. 
Das  poln.  raz^  Schlag,  wii'd  zum  Zählen :  raz,  dva  razy  eben  so  gebraucht 
wie  das  deutsche  ein-?/ia^,  zwei-?wa^,  und  das  böhm.  jeden-Ä.'ra^,  dva-Ä;rai. 
Die  Form  rez-a,  fem.  sing.,  rez-y  pL,  böhm.  fez-ati,  fiz-novX\  (schneiden), 
ist  nur  die  im  Vocale  potenzirte  Form  von  raz,  rat. 

Dass  aber  in  der  Tat  in  Böhmen  beiderlei  Arten  von  Schriftzei- 
chen: einzelne  und  zu  Gruppen  verbundene  im  Gebrauche  waren,  er- 
hellet u.  a.  auch  aus  der  Grünberger  Handschrift.  Dort  nämlich  sam- 
meln zwei  sondernde  Jungfrauen  (deve  sudue)  die  Stimmen  der  am  Land- 
tage versammelten  in  h.  Gefässe,  welche  dann  von  Radovan  gezählt  wer- 
den. Es  waren  daher  wohl  die  abgegebenen  Stimmen  eine  Art  Lose, 
greb-y,  hfeby  (wörtlich  soviel  als  EingegrabenesJ  mit  unterscheidenden  Malen 
versehen,  wie  wir  solche  auch  in  des  Tacitus  citirten  „surculi  notis  qui- 
busdam  (iiscreiis"  wahrnehmen;  mit  Malen,  wovon  das  eine  etwa  die  Un- 
teilbarkeit der  väterlichen  Verlassenschaft,  das  andere  aber  deren  Teil- 
barkeit u.  dgl.  bedeuteten.  Das  waren  also  crt-ky.  Gruppenzeichen  lie- 
gen hinwiederum  angedeutet  in  den  Worten  derselben  HanJschi-ift,  die  so 
lauten  :  Zwei  hocliweise  Jungfrauen  (erschienen  vor  dem  Gerichte),  bei 
der  einen  sind  die  rechtaussagenden  Holztafeln  (desky  pravdo-datne),  bei 
der  anderen  das  Unrecht  strafende  Schwert.  Unter  dem  Ausdi'ucke  desky, 
fem.  pl  ursprünglich  geschnittenes  (vgl.  das  lat.  discus)  bedeutend,  da  die 
Wurzel  dieselbe  ist  wie  im  skr.  dag,  griech.  8ax,  können  wohl  nur  Holz- 
platten, Holztafeln  verstanden  werden.  Noch  heut  zu  Tage  nennt  man 
in  Böhmen  und  Mähren  die  Landesgrundbücher,  die  Hof-  und  Lehen- 
Tafeln  desky  oder  abgekürzt  dsky,  Landtafeln.  Die  Jungfrauen  werden 
sohin  in  dem  Gedichte  als  die  Hüterinen,  daher  wohl  als  die  Bildnerineu 
der  alten  Rechtstafeln  bezeichnet  in  analoger  Weise,  wie  die  alte  Edda 
Frauen  mythische  Zeichen  schneiden  und  lesen  lässt  (Atamäl  hin  gron- 
lensku  S.  4.  35.).  Solche  Tafeln  kannten  jedoch  auch  andere  Slaveu,  z. 
B.  die  Russen.  Die  Novgoroder  Annalen  bezeugen  nämlich  zum  J.  1208, 
dass  bei  einem  Aufrühre  die  Bürger  von  Novgorod  „cto  na  disctkachx, 
was  auf  den  Tafeln  stund,  dem  Fürsten  überliessen,"  (Safarik,  starozitn. 
2.  A.  2.  Bd.  S.  743 — 744).  Diese  russischen  Tafeln  waren  fi-eilich  schon 
in  Lautschrift  abgefasst,  woraus  man  jedoch  nicht  schliessen  kann,  dass 
die  böhm.  Tafeln  der  Grünberger  Handschrift,  gleichfalls  in  Lautschrift 
verfasst  waren,  denn  was  vom  13.  christl.  Jahrhunderte  in  Russland  gilt, 
kann  nicht  ohne  weiteres  vom  heidn.  Böhmen  vor  dem  Chi'istentume 
gelten:  wohl  aber  beweiset  es  die  alte  slav.  Sitte:  festes,  zu  Recht  be- 
stehendes in  Tafelform  zu  verwahren. 

Mönch  Chrabr  läugnet  den  heidn.  Slaven  die  Lautschrift  unter  dem 
Namen  knigy  ab.  Dieses  Wort  kommt  im  altsl.  auch  in  der  Form  kmig-a 


13 

vor  (Miklosich,  lexic.  293)  und  ist  in  weibl.  Form  ausschliessend  den 
Slaven  eigentümlich.  Der  Wurzel  oder  vielmehr  dem  Stamme  nach 
schliesst  es  sich  wohl  an  das  deutsche  kunig,  kunitui,  m.  A  i.  König  an, 
welches  Wort  lautlich  herabgesunken  sich  in  dem  slav.  kngzb,  böhm.  knez, 
Füi-st,  demiu,  knize,  wiederfindet.  Wir  behaupten  sclion  seit  manchem 
Jahre,  dass  die  Wurzel  aller  dieser  Wörter  dieselbe  ist,  wie  in  dem  slav. 
Worte  kon-ati  gestalten,  schneiden,  allsl.  kond  und  konh  Anfang,  Gestal- 
tung, böhm.  zk-kov,  Gesetz,  kon-ec,  Spitze,  Ende:  so  dass  das  Wort 
kniga,  wenn  auch  nicht  in  dem  Sinne  Lautschrift,  Bücher,  Biblia,  doch 
in  dem  Sinne:  gestaltet,  wohlgestaltet,  bekannt  gewesen  sein  muss,  wie 
das  Wort  knez,  Fürst,  im  ursprünglichen  Sinne:  activ,  den  Schneidenden, 
Bildenden,  passiv  :  den  gestalteten,  wohlgestalteten  bedeutot.  Fs  ist  bekannt, 
dass  auch  das  Wort  Sajiskrit  urs])rünglich  nichts  andoi'cs  bedeutet  als 
sam-s-krt,  gestaltet,  wohlgestaltet.  Dieselbe  Wurzel  bilden,  gestalten  be- 
dentend,  finden  wir  auch  in  den  deutschen  Wörtern :  Kunst,  Künstler, 
können  und  kennen. 

Dies  vermittelt  uns  nmi  eine  Transgression  zu  dem  böhm.  Worte 
demo-kniznik,  Schwarz-Künstler,  das  man  gleichfalls  als  einen  Beweis- 
grund aufstellte  für  die  Behauptung  :  die  lieidn.  Bithmen  hätten  eine  Laut- 
schrift gekannt.  Dies  Wort  ist  nämlich  ^Gmuraltes,  sondern  kömmt  zum 
erstenmale  in  der  „Mater  verborum"  vor,  welches  Wörterbuch  wir  aus 
guten  Gründen  erst  in  das  J.  1302  versetzen.  Wäre  es  alt,  so  käme  es 
auch  im  Jaroslav  der  Kön.  Handschrift  vor,  da  diese  von  den  Jaro-deje, 
hddaci,  livezddri  und  küzelnicv'  spricht.  Es  wird  in  der  Mater  Verbo- 
rum mit  mogi  übersetzt  und  ist  wol  nichts  anderes  als  die  mittelalter- 
liche Uibersetzung  des  deutschen  ^Schwarz- Künstler,''  weil  dies  Lexicon 
knizn^  als  scitus,  doctiis  gibt.  Die  wörtliche  Uibersetzung  desselben,  als 
einen,  der  schcarze  Buchstaben  macht,  ist  sohin  eine  petitio  principii, 
die  dazu  nichts  beweiset,  weil  diese  sogenannten  schwarzen  Buchstaben 
auch  schwarze  Bilderzeichen  und  nicht  Lautzeichen  sein  könnten. 


4.  Alte  Ausdrücke,  die  sich  ebenfalls  auf  die  Beg^riffe 
Zeichen,  Sclireiben  beziehen. 

Wahrhaft  uralte  Ausdrücke  für  Schrift  und  verwantes  sind :  altslav. 
pis-arh,  m.  der  Schreiber,  pis-me,  n.,  der  Buchstabe,  pzs-ati,  schreiben, 
ü/5-anije,  n.  das  Schreiben,  allen  Slaven  bekannt.  Allein  die  gegenwar- 
tige Bedeutung  kam  ihm  wol  erst  mit  dem  Christentume  zu,  da  die 
Wurzel  pis  ursprünglich  graben,  stechen,  dann  erst  mahlen  und  endlich 
schreiben  bedeutete.  Es  ist  nämlich  Wurzel  pis  nur  eine  Nebenform 
der  Wurzel  pich,  stechen,  altslav.  pich-aü  ferire,  trudere,  böhm.  pchäti. 
Das  Wort  beweiset  schin  für  eine  ursprüngliche  Lautschrift  nichts,  wol 
aher  für  eine  derlei  Bilderschrift.  In  der  Tat  bedeutet  noch  jetzt  in  Mah- 
ren pisati  färben,  malen  (z.  B.  pisana  jaja,  rote  Eier,  Ostereier^  NN^e  auch 
in  Böhmen  im  1 4,  Jh.  noch  pismo  und  psdfi  Gemälde  und  schreiben  bedeutete. 


14 

Derselbe  Fall  tritt  im  Deutsclieu  eiu,  wo  gotb.  meZ-jan,  ahd.  7näl- 
an  auch  schreiben  bedeutet,  jedoch  nicht  ursprünglich  in  unserer  Bedeu- 
tung, sondern  als  malen  —  während  man  /?<?'  die  auch  den  heidnischen 
Deutschen  unbekannte  Sache  des  Schreibens  mit  Lautzeichen  den  latein. 
Ausdruck  smbere,  schreiben,  mit  aufnahm. 

Die  Slaven  haben  wol  auch  denselben  Stamm  m?,  mal,  was  vieL- 
leicht  eine  Nebenform  von  mr,  mar,  verderben  ist,  allein  er  verblieb  bei 
den  Slaven  in  der  ursprünglichen  Bedeutung:  zerstücken,  klein  machen, 
wie  im  Deutschen  in  den  Worten :  Mühle,  mahlen,  Mehl,  bei  den  Slaven 
in  denselben  Bedeutungen  in  mhjn,  mliti  und  inal,  der  kleine.  Den  Be- 
griff des  Zeichens :  Mal  z.  B.  in  Denk-Mal,  Mutter-Mal  kann  man  durch 
den  Uibergang  der  Bedeutungen:  zertrümmernj  verkleinern,  eingraben, 
Zeichen  machen  vermitteln,  aber  auch  so,  dass  ursprünglich  Mal  das  ver^ 
kleinerte  Bild  der  abzubildenden  Sache  war. 

Den  berühmten  deutschen  Ausdruck  Rune,  unbekannter  Urbedeu- 
tung, kennen  die  Slaven  nicht,  obschon  sie  dieselbe  ähnliche  Form,  run-o, 
aber  in  der  Bedeutung  vcUus,  Vliess  haben.  Es  wäre  indess  immer  mög- 
lich, dass  beide  Ausdi'ücke  derselben  Wurzel  ru  entsprängen.  Denn  das 
slav.  leitet  man  in  der  That  von  derselben  Wurzel  ab,  indem  altslav.  der 
verstärkte  Stamm  rg-v-ati,  böhm.  r-väti  für  die  Urbedeutung:  runo  zum 
Grunde  gelegt  wird,  nämlich  ausreissen,  wie  latein.  vellus  mit  vello  ver- 
wandt ist.  Im  Slovenischen  heisst  run-o,  eine  Furche  im  Weinberge.  Die- 
selbe Wurzel  ru  bedeutet  aber  in  der  geschwächten  Form  r^/-ti  auch 
graben  (rov,  das  Grab),  es  könnte  sohin  auch  ru-n-o,  n.  die  Bedeutung: 
zerstückt,  getheilt  und  mit  dem  deutschen  run-n,  f.  dieselbe  Urbedeutung 
haben.  Doch  man  vergl.  darüber  auch  W.  Grimm  über  deutsche  Runen 
S.  67.  u.  folgg. 

Neben  den  Chrabr'schen  Ausdi-ücken :  crUa,  und  rha  kennen  Böh- 
men und  Russen  noch  ein  Wort  ähnlicher  Bedeutung,  womit  man  auch 
versucht  werden  könnte,  das  deutsche  run-a  f.  wiederzugeben,  nämlich 
meta  Zeichen,  Mal.  So  kennt  die  Mater  verborum  pa?nc7-a,  f.  oder  pa- 
met,  f.  (denn  das  End-e  ist  im  Codex  fraglich),  welches  Wort  Safafik 
mit  dem  russischen  po-met-a,  f.  Signum,  nota  (S.  228)  zusammenstellt. 
Den  Russen  bedeutete  in  den  ältesten  Rechtsbüchern  met-Qlhmkh,  notarius, 
po-met-a  Signatur,  met-a  Zeichen  Doch  ist  die  Geschichte  dieser  Wör- 
ter noch  nicht  völlig  aufgehellt.  Ilire  slavische  Urform  wäre  mait-%  das 
sich  im  goth.  mait&xi  hauen,  fällen,  wiederspiegeln  könnte. 

Ebenso  fraglich  ist  altslav.  buk-y,  f.  Buche  und  Buchstaben  bedeu- 
tend (Miklos.  Icxic.  48).  In  der  B^rm  hnkvy  bezeichnet  es  auch  Briefe. 
Miklosich  hält  es  für  ein  Lehnwort  des  deutschen  bucha.  Buche,  böhm. 
buk,  m. ;  ebenso  wie  schon  Safafik  das  altslav.  bukarb,  grammaticus,  mit 
dem  goth.  bokareis,  librarius,  verglich.  Allein  das  deutsche  Buche  ist  ja 
selbst  nicht  speciell  deutsch,  sondern  indoeuropäisch  (fagus),  warum 
sollte  daher  das  slav.  buk  dies  nicht  auch  sein,  sohin  auch  die  damit 
zusammenhängenden  Ausdrücke  nicht  entlehnt  ?  Ihikvarb  ist  slav.  Alpha- 
bet, bukvica  heisst  bei  Kroaten  das  glagolische  Alphabet.  Wie  man  im 
deutschen  Buche,  Buchenstab  mit  rün-stab,  skand.  rünastafr,  ags.  rün-staef, 


IS 

rou-tafel  mit  einander  vermittelt  ((.Jrimm,  Kiineu,  (!1.  71-  73)  und  auf 
die  bekannte  Stelle  bei  Vcnantius  Fortunatus  in  dessen  Briefe  an  Flavus 
(6.  Jahrhundert) :  „barbara  fraxineis  pingatur  mna  tabellis"  hinweiset : 
ebenso  konnte  man  im  slavischen  buky,  bukvy  mit  dem  nachgewiesenen 
deshy^  Tafeln  vermitteln,  die  immerhin  von  Buchholz  gewesen  sein  konn- 
ten. Den  späteren  Lautbuchstaben  benennen  jedoch  die  Slaven  auch^w-mg, 
n.,  böhm.  pis-me  und  pis-men-o,  n.  ursprünglich  gemaltes,  buntes  bedeu- 
tend :  buk-y  und  bukvy  können  sohin  ursprünglich  in  Buchenholz  geschnit- 
tenes bedeuten,  wie  das  altslav.  hikva  auch  tabula  und  pyxis  bedeutet. 
Ganz  aufgeklärt  ist,  wie  gesagt,  die  ganze  Sache  noch  nicht,  wie 
überhaupt  das  meiste  wahrhaft  altertümliche:  durch  Annahme  einer  Laut- 
scbi'ift  im  Heidentume  würde  aber  dieses  Dunkel  zur  viilligcn  Finster- 
niss  werden. 


5.  Deutsche  und  slavische  Runen. 

Allem  diesem,  was  hier  über  die  blosse  Zeichenschrift  im  Heiden- 
tume gesagt  wurde,  stellt  man  aber  die  sogenannte  Tatsache  deutscher 
und  slavischer  Runenschrift  als  Instanz  entgegen. 

Aber  diese  ^/Tatsache"'  ist  ja  eben  erst  noch  zu  beweisen,  in  wie 
ferne  man  sie  ins  hohe  Altertum,  d.  i.  ins  wahre  Heidentum  versetzt. 
Keichen  ja  doch  selbst  in  Scandinavien  die  Runendenkmale  nicht  über 
das  10.  Jahrhundert  hinaus,  ob  schon  die  meisten  davon  Steindenkraale 
sind.  Warum  gelingt  es  mit  den  Futhork's  oder  Runenalphabetcn  solche 
Runendenkmalc  späterer  Zeit  gut  und  gleichförmig  zu  lesen:  während 
man  Runen  auf  altertümlicheren  Gegenständen  noch  nicht  ein  einzigesmal 
mit  voller  Sicherheit  und  in  Uebereinstimmung  mit  Andern  las.  Erklärt 
sich  diese  Tatsache  nicht  genügend  durch  die  Hypothese,  dass  die  alten, 
heidnischen  Runen  nicht  Buchstaben  in  unserem  Sinne,  d.  i.  nicht  Laut- 
zeichen waren  ?  Die  Runenalphabete  kommen  tatsächlich  erst  in  christ- 
lichen Zeiten  vor  und  sind  durch  ihre  IG  Zeichen  schon  im  Verdachte, 
doch  im  Grunde  nichts,  als  ein  semitisches  (aegyptisch-phönizisches)  Al- 
phabet zu  sein  (Dieterich:  Enträthsehmg  des  odinischen  Futhork  durch 
das  semitische  Alphabet.  Stockh.  und  Leipzig,  1864.).  In  der  Tat  ist  die 
Entstehung  der  Lautschrift,  wie  wir  oben  schon  hervorhoben,  etwas  so 
eigenthümliches,  dass  es  kein  Wunder  nehmen  würde,  wenn  sie  ein  ein- 
zigesmal in  der  Kultiu-geschichte  vorkäme,  wie  dies  z.  B.  in  anderer 
Hinsicht  mit  der  siebentägigen  Woche  und  mit  dem  Planetennamen  der 
Tage  der  Fall  ist.  Nach  A:  Webers  Forschungen  (Indische  Skizzen, 
127.)  soll  ja  auch  das  indische  Devanagari  dem  allgemeinen  und  ein- 
zigen ägyptisch-semitischen  Alphabete  entspriessen  Die  Futhorke  haben 
nun  in  der  Tat  ihre  Eigentümlichkeiten,  da  sie  nicht  nur  die  Namen 
der  Zeichen,  sondern  auch  deren  Aufeinanderfolge  so  bedeutend  geän- 
dert vorweisen,  ganz  abgesehen  von  der  Figur  der  Zeichen.  Ein  blosser 
Abklatsch  des  semitischen  Alphabetes,  wie  es  das  griechische  ist,  sind  die 


16 

Runen  auf  keinen  Fall.  Man  vergleiche  nur  die  Forschungen  Jul,  Za- 
cher's  darüber  in  seinem  Werke :  das  goth.  Alphabet  und  das  Runen- 
alphabet (Leipz.  1855).  Wir  denken  uns  nun  deren  Entstehung  etwa  auf 
folgende  Weise.  Das  tiefe  heidnische  Altertum  in  Nordeuropa  hatte 
eine  unbestimmbare  Menge  mythischer  Zeichen,  und  keine  Lautschrift. 
Als  Phönizier  (Karthager),  Griechen,  Römer,  endlich  das  Christentum 
in  historische  Berührungen  mit  dem  Norden  Europas  kamen,  den  wir 
uns  als  einen  autochthonen  denken  (Sitzungsberichte  der  kön.  böhm.  Ge- 
sellsch.  d.  W.  in  Prag,  1865.  4.  Dezember  S.  80  —  87.),  entstand  das 
Lautschriftbedürfniss  durch  die  sichtbaren  Vorteile  des  mitgebrachten 
semitisch- griechischen  und  die  alte  mythische  Bilderschrift  kam  in  den 
Kampf  mit  der  mitgeteilten  Neuerung,  die  desto  dringender  wurde,  je 
mehr  sich  gegen  die  christlichen  Zeiten  hin  der  Nord  Europa's  mit  dem 
Süden  berührte.  Weil  eben  der  Nord  an  der  Bilderschrift  hieng,  gieng 
eine  Vermittlung  zwischen  beiden  durch  die  Namen  der  semitischen  Buch- 
staben vor  sich,  welche  ursprünglich  Gedankenbilder  enthielten,  Semiten 
erklärten  z  B.  ihr  Aleph  als  Stier,  Rind,  der  Normann  setzte  dafür  sein 
Faihu  (feoh,  fO)  und  nahm  das  Zeichen  dafür  entweder  aus  dem  Bereiche 
seiner  Runenmythenbilder,  oder  aus  dem  Bereiche  der  semitischen  Zei- 
chen, aus  Gründen,  die  wohl  nie  mehr  klar  werden  werden.  So  mag  es 
gekommen  sein,  dass  die  Futhorke  mit  dem  Buchstaben  /  begannen, 
d.  h.  mit  faihu,  Vieh,  Wcährend  die  Semiten  gleichfalls  ihr  Aleph  (Rind) 
an  der  Spitze  des  Alphabetes  hatten.  Dadurch  wurde  das  semitische  Al- 
phabet gewisscrmassen  umgestürzt,  d.  i.  von  links  nach  rechts  gelesen, 
d.  i.  die  letzten  semitischen  Buchstaben  wurden  die  ersten  runischen. 

Bekanntlich  ist  das  Zeichen  für  Runen-F6  dasselbe  wie  das  für 
das  phönizische  Aleph.  Das  Werk  Avar  dann  zu  Ende  gebracht,  als  man 
die  16  Rimenzeichen  und  Namen  mit  den  16  phönizischen  Zeichen  imd 
und  Namen  ausglich. 

Ob  auch  die  Slaveu  ihre  Futhork's  hatten,  ist  eine  noch  ganz  un- 
entschiedene Sache.  Einzelne  für  slavische  Runen  ausgegebene  Zeichen  und 
Zeichenreihen  sind  teils,  wie  die  Obotritischen,  äusserst  verdächtig,  an- 
dere sind  eine  offenbare  Täuschung  seiner  selbst  und  anderer,  wie  z.  B. 
die  Zeichen  am  Bamberger  Höllenhunde.  Zur  sicheren  Tatsache  ist  hier 
noch  nichts  geworden.  (Zur  slavischen  Runenfrage,  Wien  1855.  Archiv 
für  Kunde  östcrr.  Geschichtsquellen,  18.  Band.)  Unwahrscheinliches,  oder 
gar  unmögliches  liegt  nichts  im  Wesen  eines  slavischen  Futhork:  da  Sla- 
ven  und  Deutsche  so  viel  gemeinschaftliches  in  ihren  alten  Kulturzustän- 
den nachweisen :  eine  feurige  Phantasie  könnte  sogar  im  Namen  des  sla- 
vischen Alphabetes,  nämlich  Bukvar',  die  sechs  ersten  slavischen  Runen 
eben  so  erblicken,  wie  im  Namen  Futhork  die  sechs  ersten  deutschen. 
Dass  die  oben  genannten  Alphabet  führenden  Völker  auch  an  die  Slaven 
herankamen,  dass  gleichfalls  bei  den  Slaven  das  Schriftbedürfniss  entstund, 
dass  gleiche  Ursachen  gleiche  Wirkungen  haben  u  dgl.,  das  alles  kann 
mit  Recht  geschlossen  werden :  allein  gegeben  sind  nur  im  Slavischen  d. 
h.  nachweisbar  des  Mönches  Chrabr  örsti/  (crtky,  cary),  wie  z.  B.  an  den 
Königgräzer  Goldgewinden  und  den  slavischen  rovase,  roba§e  d.  i.  Kerb- 


17 

hölzeru,  die  zum  Teile  noch  jetzt  im  Gebrauche  sind  —  und  die  rezy, 
mety,  pisnwia  (im  Sinne  von  Bildern)  auf  den  slavischen  desky,  z.  13. 
im  Libu§in  soud. 

Wäre  wahre  Lautschrift-Anwendung  bei  Deutschen  und  Slaven  im 
Heidentume  im  Gebrauche  gewesen,  dann  gäbe  es  gewiss  auch  bestimm- 
tere Nachrichten  darüber :  gerade  das  Spärliche  der  Quellen  hierüber  lässt 
sich  nur  durch  eine  Bilderschrift  erklären,  die  man  sich  jedoch  durchaus 
nicht  als  ein  allgemeines  Gedächtniss-  und  Industrie-Mittel  vorstellen  kann, 
wie  es  die  Lautschrift  ist. 


6.    Die  glagolische  Schrift  (Glagolica). 

Wäre  walu-e  Lautschrift- Anwendung,  wiederholen  wir  nochmals, 
bei  Deutschen  und  Slaven  im  lebendigen  Gebrauche  gewesen,  dann  hätte 
gewiss  der  gothische  Bischof  Ulßlas  nicht  nötig  gehabt  mit  der  gothi- 
scheu  Schrift  bei  den  Gothen  und  der  Slavenapostel  Kyril  mit  der  (jla- 
golischen  Schrift  bei  den  Slaven  aufzutreten.  Da  dies  aber  geschah,  so 
ist  es  auch  ein  Grund  mehr,  unter  den  wahren  Runen  —  Rözy  nur  Bilder- 
zeiclien  zu  denken. 

Der  Ursprung  des  glagolischcn  Alphabetes  selbst  ist  sehr  dunkel, 
da  die  Nachrichten  über  dessen  Urheber  nur  Legenden  und  diese  selbst 
nichts  weniger  als  klar  sind.  Dass  der  glagolische  Bukvarh  eine  Art 
Transscription  der  slavischen  Möty  oder  Runenzeiclien  in  Lautzeichen 
sei,  lässt  wenigstens  die  Form,  in  der  wir  dies  Alphabet  erhalten  haben, 
nicht  zu,  so  sehr  auch  B.  Kopitar  und  ./.  Grimm  dafür  gesprochen. 
Es  kommen  nämlich  unter  dessen  Buchstabemiamen  Wortformen  voi',  die 
nicht  slavisch  sind,  z.  B.  Frxt^  für  das  unslavische  ph.  Auch  dadurch 
unterscheidet  sich  der  Buk\ar'  von  den  Futhorks  und  dem  gothischen 
Alphabete,  dass  deren  Buchstabennamen  sinnliche  Gemeinhilder  zur  Be- 
deutung haben,  sohin  auf  ehemalige  Runennamen  deuten  können,  während 
die  Glagolica-Namen  dohro,  das  gute,  ize,  dieser,  hako,  wie,  nash,  der 
unsere,  ohi,  jener  u,  dgl.  zu  solchen  durchaus  nicht  taugen.  Vgl.  Fr. 
Miklosich  Glagolitisch,  in  der  Ersch-  und  Gruber'schen  Encyclopaedie. 
Leipzig  1858.  Darum  hat  man  auch  unsere  Gestaltung  der  Glagolica 
für  eine  Verunstaltung  eines  früheren  Alphabetes  erklärt  und  z.  B. 
Friti  als  Missklang  für  goth.  pairthr,  asi.  als  solchen  für  den  Runen- 
namen ans  (ös),  Btjt  als  faihu  (feoh),  r.iaro.ib  als  ags.  caic,  iivko  als  goth. 
eis  (is),  Humb  als  goth.  nauths,  ()T^  als  othal,  epx  als  Runennaraen  yr 
oder  als  goth.  urus  u.  dgl.  mehr'  erklärt,  welche  Worte  in  der  Tat  sinn- 
liche Gemeinbilder  zur  Bedeutung  haben,  allerdings  aber  der  Glagolica 
den  Charakter  eines  slavischen  Alphabetes  abstreifen.  Das  gilt  nun  von 
den  Buchstabennamen:  was  aber  die  Zeichen  betrifft,  so  scheint  der  Gla- 
golica als  Vorbild  ein  semitisch-griechisches  Alphabet  von  22  Zeichen 
vorgelegen  zu  sein,  welche  es  später  bis  auf  31  einheimisch- slavische 
Zeichen,  dann  mit  Ligaturen  (Compendien)  und  fremden  Zeichen  auf  40 

2 


18 

Buchstaben  vermehrte,  indem  es  entweder  unslavische  Lautzeichen  z.  B. 
ph,  fr%t%,  0  (griech.  o),  otx,  ih  (ohne  Namen!)  aufnahm,  oder  echt  sla- 
vische  Lautzeichen  ganz  am  Ende  und  zwar  meist  namen-  oder  doch 
zahlen- los  anfügte,  z.  B.  s,  sa,  verklingendes  i,  u\  dann  das  im  Sla- 
vischen  so  wichtige  e  (ursprünglich  wohl  ai,  ia,  eä,  ja,  je  (daher  auch 
wohl  der  Name  jaf,  jef).  Der  Schluss  ist  sohin  gerechtfertigt,  dass  die 
ältere  Glagolica  einst  im  Dienste  einer  unslavischen  Sprache  gewesen 
sei,  ehe  sie  mit  manchen  unorganischen  Unförmlichkeiten  durch  K}Till 
einer  altslavischen  Sprache  (altbulgarisch'?  alslovenisch ?),  die  zumeist  an 
Uebersetzungen  aus  dem  Griechischen  angewiesen  war,  adaptirt  wurde. 
Solche  Unförmlichkeiten  sind  z.  B.  das  doppelte  e,  wovon  das  eine  mit 
dem  Zahlenwerte  20  eigentlich  die  slavi sehe  Spirans  ^'  zu  sein  scheint,  da 
kurz  i  im  Grunde  der  Buchstabe  jerb  ist:  daneben  kommen  noch  die 
ungeschickten  Ligaturen  ju,  ja  u.dgl.  vor,  gleichfalls  hat  die  Glagolica  ein 
dreifaches  z  oder-  z,  und  wenn  auch  das  eine  davon  ein  sibillirtes  g  (dz) 
sein  sollte,  so  steht  wiederum  ein  Doppel-g  mit  dem  Zahlenwerte  4  und 
30  zu  Gebote,  wovon  wenigstens  das  letztere,  manchmal  djervb  genannt, 
als  Jj,  j  nur  durch  schwächere  Sibillation  sich  vom  obigen  dz,  z  unter- 
scheidet. Die  erwähnte  Spirans  j  (Z.  20.)  hat  zum  Zeichen  das  umge- 
kehrte Zeichen  der  Sibillans  s  (Z.  200.).  Die  einfachen  Lautzeichen 
der  zusammengesetzten  Laute  cund  c  stehen  dazu  noch  neben  den  zusammen- 
gesetzten Zeichen  57  (sc). 

Die  Illusion,  in  der  Glagolica  ein  reinslavisches  Alphabet  vor  sich 
zuhaben,  ist  sohin  gestört:  allein  auch  die  Illusion  hat  kein  Bleiben,  dass 
es  auch  in  der  ihm  äusserlich  gegebenen  Form  eines  slavischen  Alpha- 
betes für  die  vielen  hühmisch-slovakischen  (slovenischen)  Dialecte  nach 
dem  J.  862  vollkommen  gepasst  hätte,  zu  denen  es  schon  fertig  (und 
zwar  mit  geschriebenen  teilweisen  Bibelübersetzungen)  gebracht,  unter 
diesen  Dialecten  in  sein  drittes  Benützungsstadium  trat,  in  welchem  es 
eigentlich  erst  historisch  geworden.  Denn  über  die  beiden  vorherge- 
henden Stadien  sind  nur  Vermutungen  möglich.  Nach  diesen  Vermu- 
tungen läge  der  Glagolica  ein  altarmenisches  oder  aeihiopisches  Alphabet 
zu  Grunde,  das  vielleicht  bei  der  Bekehrung  der  Chazaren  benützt  wurde 
(erstes  Stadium),  dann  wurde  es  bei  der  Rückkehr  in  die  Heimat  sla- 
visirt  und  bei  der  Bekehrung  der  Bulgaren  (Boris)  angewendet  (zweites 
Stadium),  wornach  es  erst  in  Grossmähren  in  sein  drittes  Benützungstadium 
trat.  Aber  gerade  in  diesem  dritten  Stadium  war  die  slavische  Glagolica 
so  wie  die  Sprache  der  Bekehrer  in  manchem  Missverhältuisse  zu  den 
slavischen  Dialecten  in  Mähren  und  Pannonien.  Die  Sprache  der  Be- 
kehrer war  nämlich  die  sogenannte  altbulgarische  (altsüdslovenische), 
welche  in  den  zu  bekehrenden  Ländern  nicht  zu  den  Volksdialecten  zählte, 
die  unter  andern  selbst  schon  im  9.  Jahrhunderte  die  Nasalen  e,  ij,  jg, 
jcj  nicht  so  auszeichneten,  wie  der  Bekehrer  Sprache  und  Schrift,  und 
wohl  auch  den  Unterschied  der  Halbvocalc  jeri  und  jerb  nicht  mehr  so 
einhielten  wie  diese,  sie  verhallen  lassend  oder  durch  andere  Vocale  er- 
setzend, auch  ganz  abgesehen  von  den  Dialectverschiedenheiten  der 
Formeubildung  und  des  Lexicons.  Wenn  auch  nicht  aZ/e  Völkerdialecte  gleich 


19 

weit  von  der  Sprache  der  Bekehrer  entfernt  gewesen  sein  mochten,  so  ist 
es  doch  nur  eine  Fictiou,  den  grüssten  Teil  dieser  Völker  zu  Süd- 
slovenen  umzutaufen,  denn  das  wüi-de  man  doch  noch  den  heutigen  Dia- 
lecten  anmerken.  Die  ültcste  christliche  Literatur  des  böhmisch-sloveni- 
schen  Stammes  ist  sohin  in  einem  yiicht  böhmisch-slovenischen  Dialecte 
ins  Leben  getreten.  Die  glagolischen  Prager-JYagmente  und  das  älteste 
Johannesevangelium  bestätigen  dies  schlagend,  die  Fragmente  in  Sprache 
und  Schrift,  das  Evangelium  wenigstens  seitens  der  Sprache. 


7.  Die  lateinische  Schrift. 

Dass  die  lateinische  Schrift  bei  der  Christianisirung  des  böhmisch- 
slovenischen  Stammes  mit  der  ghgolischen  um  die  Ober-,  oder  gar  um 
die  Allein-Herrschaft  kämpfte,  ist  wohl  eine  so  unläugbare  Tatsache, 
wie  der  Umstand,  dass  die  Glagolica  bei  dem  Kampfe  den  kurzem  zog. 
Streitig  ist  nur  der  Umstand,  ob  die  lateinische  Sprache  und  Schrift 
schon  vor  der  glagolischen  oder  neben  ihr  oder  gar  erst  nach  ihi'  bei 
den  genannten  Stämmen  herrschte.  Jeder  dieser  fraglichen  Momente  fand 
schon  seine  Verteidiger  und  Gegner. 

Man  wolle  bei  diesen  Streitfragen  ja  nicht  aus  den  Augen  lassen, 
dass  die  genannten  slavischen  Stämme  selbst  während  der  Dauer  des 
grossmährischen  Reiches  wohl  nie  ein  politisches  Ganzes  bildeten,  dass 
sie,  wie  schon  gesagt,  dialectisch  unterschieden  und  über  einen  sehr  grossen 
geographischen  Raum  verbreitet  waren,  in  welchem  östlich  ganz  andere 
Einflüsse  wirken  konnten,  als  welche  westlich  wirkten. 

Die  Behauptung  daher,  dass  alle  diese  Slavenstämme  und  überall 
bis  zur  Ankunft  der  Slavenapostel  reine  Heiden  geblieben,  ist  sehr  un- 
wahrscheinlich, wenn  man  bedenkt,  dass  sie  fast  ringsum  von  chrisiiaui- 
sirten  Völkern  umgeben  waren.  Kam  daher  das  Christentum  vor  dem 
9.  oder  im  Beginne  des  9.  Jahrhundertcs  an  manche  dieser  slavischen 
Völker  heran,  so  ist  es  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  es  in  der  Form 
des  römischen  Katholicismus,  also  mit  lateinischer  Schrift  an  sie  heran- 
kam. Es  ist  sohin  wahrscheinlich,  dass  in  manchen  Puncten  der  weiten 
Räume,  -worin  diese  slavischen  Völkerschaften  wohnten,  die  lateinische 
Schrift  früher  eingeführt  war,  als  die  glagolische. 

Es  bleibt  aber  noch  fraghch,  ob  sich  das  „  IFo  und  Tlann"  dieser 
Schrifteinführung  nicht  eiuigermassen  näher  bestimmen  lasse. 

Emer  der  frühesten  Versuche  der  Christianisirungen  Böhmeus  ist 
jener,  den  man  dem  h.  Emeramus  zuschreibt,  welcher  zw.  60.5  —  652 
lebte.  Dieser  Versuch  ist  jedoch  historisch  nicht  näher  zu  beglaubigen. 
Die  Biographien  des  Heiligen  sind  in  den  Actis  Sanctorum  äusserst  lücken- 
haft und  disharmonisch.  Es  scheint  nur  fest  zu  stehen,  Emeramus  sei  als 
Bischof  von  Aquitanien  (Poitiers  ?)  in  fremde  Länder  gezogen,  uui  sie 
zu  christianisireu.  Sein  Ziel  soll  vor  allem  Avarien  gewesen  sein,  wor- 
unter   man  wohl   damals    Pannonien   gemeint  hat.     Doch   wurde    er  in 

2* 


20 

y,Bajoarien^  in  diesem  Berufe  festgehalten,  wol  nur  darum,  weil  damals 
d.  i.  um  das  J.  649  eine  Cbristianisirung  der  wilden  Avarenhorden 
eine  Unmöglichkeit  zu  sein  dünkte.  Ob  Emeramus  nun  von  Baiern  auch 
nach  Böhmen  gekommen,  ist  durchaus  ungewiss  (Homiliar  des  Prager 
Bischofs.  Einleitung  von  Pr.  Hecht,  S.  XXVn.  Prag,  18 03).  Es  ist  nun 
wol  wahr,  dass  er  in  diesem  sogenannten  Homiliare,  das,  im  12.  Jahrh. 
geschrieben,  in  der  Univ.  Bibliothek  zu  Prag  u.  d.  Signatur  3.  F.  6.  auf- 
bewahrt wird,  patronus  noster,  ja  sogar  praedicuior  nosier  (fol.  120.  v.) 
genannt  wird :  allein  eben  die  ganze  Supposition,  dass  dieses  Homiliare 
in  Böhmen  von  einem  böhm.  Bischöfe  herrühre,  ist  irrig  (Wiener  kathol. 
Kirchenzeitung,  1862.  Nr.  33.  37.  —  Sitzungsberichte  der  kön.  böhm. 
Ges.  d.  Wiss.  1866.  12.  Nov.);  denn  das  sogenannte  Ilomiliar  enthält 
drei  Sammlungen  von  Canones  und  Musterhomilien,  ja  überhaupt  von 
merkwürdigen  Kirchenschriften  (so  kömmt  z.  ß.  auch  Jonas  der  Vulgata 
darin  vor),  ist  dazu  noch  eine  üble  Copio,  wohl  veranlasst  durch  eiaen  deut- 
schen Abt,  und  kem.  Original.  Der  h.  Emeramus  wurde  in  Regeiishurg, 
wohin  man  Böhmen,  so  lange  es  kein  Bistum  hatte,  deutscherseits  zu 
zählen  pflegte,  so  wie  in  Mainz,  wohin  Böhmen  als  Bistum  gehörte,  vor- 
züglich verehrt,  so  dass  auch  die  citirte  Homilie  nur  eine  (in  Böhmen?) 
transscribirte,  nicht  aber  auf  Böhmen  sich  beziehende  Homilie  ist.  In 
der  Charta  divisionis  Francorum  regni,  817.  (Erben  regesta,  I.  18.  H. 
Jirecek  codex  juris  bohemici,  S.  8)  wird  Bajoaria  von  Böhmen  ausdrück- 
lich unterschieden.  Aus  den  Biographien  des  h.  Emeramus  geht  sohiu 
nur  so  viel  hervor,  dass  er  in  dem  Complex  der  böhmisch  slovenischeu 
Länder  wirken  loollte,  factisch  aber  wohl  nur  in  Bajoarien  wirkte.  In 
späterer  Zeit,  in  der  Zeit  des  h.  Wetizel,  war  in  der  Tat  ein  Eme- 
ramusfest  in  Böhmen  gefeiert,  denn  die  sogenannte  Petersburger  Legende 
vom  h.  Wenzel  sagt  ausdrücklich:  „pride  ze  denb  svjatago  Emxraama, 
kl  njemuze  obescani  sv.  Vjaceslavb, "  (Slavische  Bibl.  II.  B.  S.  274). 
Allein  darin  liegt  kein  Beweis,  dass  der  h.  Emeram  zu  seinen  Lebzeiten 
in  Böhmen  gewesen,  sondern  nur,  dass  Böhmen  einst  wirklich  zu  Re- 
gensburg und  Mainz  gehörte. 

Ein  anderer  Versuch  einer  Chi-istianisirung  Böhmens  ist  der  in  der 
Königinhöfer  Handschrift  im  Gesänge  Zaboj  und  Slavoj  erwähnte,  den 
wir  noch  weiter  unten  näher  kennen  lernen  werden.  Tomek  versetzt 
diese  Tatsache  zwischen  die  Jahre  728  —  748  (Abhandl.  d.  kön.  böhm. 
G.  d.  W.  7.  Band,  S.  45,  46).  Das  Gedicht  endet  jedoch  mit  der  Ver- 
treibung und  Vernichtung  der  fremden  Schaaren,  die  mit  Gewalt  das 
Christentum  einführen  wollten.  Eine  dritte  Christianisirung  ist  die  all- 
gemein bekannte  der  14  böhm.  Lechen  im  J.  845  in  Regeusburg.  Allein 
diese  fand  nicht  im  Centrum  des  Landes  statt,  da  der  damalige  Central- 
fürst  Hostivit  noch  Heide  blieb,  auch  ist  es  ganz  unbekannt,  loo  die  da- 
dm-ch  etwa  veranlasste  latein.  Schrifteinführung  partiell  in  Böhmen  ein- 
geführt wurde,  ob  und  wie  lange  sie  andauerte.  In  Mähren  ist  eine 
„rudis  christianitas'^  im  J.  851  nachweisbar  und  zwar  in  der  Mainzer 
Synode  (Monum.  Gcrman.  Leges  I.  414.  —  Wattenbach,  die  slav.  Li- 
turgie in  Böhmen.  1857.  S.  209.).  Aber  trotz  derselben  sandte  Rastislav 


21 

im  J.  863  ura  glagolisclie  Lehrer.  So  ist  auch  in  der  Slovakei  u.  zw. 
in  Neitra  der  Fürst  Privina  sogar  im  Beginne  des  \).  Jh.  nach  latein. 
Ritus  getauft  worden,  allein  von  .l/oi'miV  vertrieben  fand  er  erst  m  Moxburg 
einen  ruhigeren  Sitz,  wo  sein  Sohn  Kocel  einer  der  eifrigsten  Förderer 
der  Glagolica  wurde.  Gerade  darum,  weil  das  Christentum  iu  dentsch- 
lafein.  Form  unter  den  Slaven  nicht  gedeihen  wollte,  mochten  die  sla- 
vischen  Fürsten  um  slavische  Lehrer  gebeten  haben.  Und  so  ist  denn 
doch  der  latein.  Schriftgebrauch  in  den  böhm.-slovenischen  Ländern  erst 
nach  dem  Falle  der  Glagolica  daselbst  allmählig  als  gemeingiltig  nachweisbar. 


8.  Die    Glagolica  verbreitet  sich  von  Paiinonien  nach 
den  süclslav.  Ländern  und  von  Grossmähren  nach 

Böhmen. 

Wir  setzen  hier  als  bewiesen  voraus,  dass  die  ursprüngliche  Schrift 
der  Slavenapostel  Konstantin  (Kyril)  und  Methud  die  Glagolica  gewe- 
sen, obwohl  wir  wissen,  dass  diese  Behauptung  noch  viele  ehrenwerte 
Bekämpfer  findet:  wir  setzen  dies  deshalb  hier  voraus,  weil  es  unsere 
festeste  Ueberzeugung  ist  und  in  so  dunklen  Dingen  ein  objectiver  Beweis 
wohl  nie  hergestellt  werden  wird. 

Für  das  Erscheinen  der  Glagolica  in  Böhmen  setzen  wir  jedoch 
nicht  das  J.  871  als  das  Jahr  der  Taufe  Bofivoj's  in  Velehrad  fest,  aus 
dem  Grunde  nicht,  weil  einerseits  das  eigentliche  Taufjahr  unbekannt 
ist,  andererseits  aber  bei  den  damaligen  disharmonischen  Verhältnissen 
in  Böhmen  es  mehr  als  wahrscheinlich  ist,  dass  schon  vor  Bofivoj  auch 
einige  Lechen  in  Grossmähren  zum  slav.  Christentume  übertreten  sein 
werden.  Wie  weit  sich  die  Glagolica  in  Grossmähren  und  noch  irüher 
im  Pannonischen  Gebiete  des  Fürsten  Kocel  und  von  da  aus  nach  den 
Südslavischen  Ländern  (Kroatien)  verbreitet  hatte,  ist  im  einzelnen  wol 
nicht  mehr  nachweisbar.  Sicher  ist  es  jedoch,  dass  sie  von  den  Für- 
Sienhöfen  (grady)  aus  in  Pannonien,  Grossmähren  und  Böhmen  sich  über 
das  Land  verbreitete  und  unter  dem  politischen  Fürstenschutz e  stand. 
In  diesem  dreifachen  Ländcrc^nir'Mm  bildeten  sich  natürlich  auch  förm- 
liche glagolische  Schnftschulen,  wie  dies  für  Böhmen  wol  die  am  Hrad- 
cin  (Hradcany)  aufgefundenen  glagolischen  Prager  Fragmente  schlagend 
nachweisen,  die  schon  ins  neunte  oder  10  Jh  fallen  Noch  viel  früher 
müssen  derlei  an  den  Höfen  des  mährischen  Fürsten  Rastislav  und  des 
pannonischen  Fürsten  Kocel,  der  schon  873  oder  anfangs  874  starb,  be- 
standen haben,  da  sich  ohne  sie  die  tatsächliche  Verbreitung  des  Chri- 
stentums mit  slavischer  Liturgie  gar  nicht  denken  lässt.  Man  vgl  J. 
Srieznievskij  in  den  Izviestija  archeol.  obscestva  vom  J.  1861.  1862., 
wovon  sich  ein  Auszug  in  Schmaler's  Slav.  Jahr-Büchern,  1862,  L  B. 
S.  170;  n.  Band  S.  5  befindet.  Dann  äafarik:  Strucny  pi'ehled  liturg. 
kneh.Musejn.  1862.  S.  291.  Schmaler's  slav.  J.  B.  1864.  IL  B.  S.  27. 


22 

In  den  Prager  glagolischen  Fragmenten,  welche  in  Böhmen  ge- 
funden, auch  wohl  in  Böhmen  geschrieben  sein  mögen,  wenn  auch  nicht 
gerade  in  Sazava,  finden  wir  die  oben  berührten  drei  z,  z,  neben  dj  (g), 
eben  so  das  doppelte  i  neben  ju,  ji^^  jq^  daher  natürlich  auch  die  Na- 
salen §,  a,  die  Halbvocale  s  und  b,  die  unslavischen  Laute  ph,  th :  also 
kurz  die  altbulgarische  Glagolica,  so  dass  wohl  auch  angenommen  werden 
kann,  das  zufällig  in  den  Fragmenten  fehlende  s'.  (sc)  wäre  auch  darin 
gewesen.  Es  bestätigen  diese  Fragmente  die  obige  Behauptung,  dass  die 
pannonisch-mährischen  Bekehrer  in  einem  fremdartig  slavischen  Dialecte 
das  Christentum  in  Ungarn,  Mähren  und  Böhmen  verbreiteten,  dass  sohin 
auch  die  slavische  Kirchensprache  ursprünglich  nicht  der  Landesdialect 
war.  Vergl.  jedoch  Miklosich  über  die  Nationalität  der  alten  Mährer. 
(Svetozor  1860.  S.  5).  Dies  musste  notwendig  zur  gegenseitigen  Assimi- 
lation drängen,  wie  man  es  denn  auch  wirklich  in  den  obengenannten 
glagolischen  Fragnenten,  mit  Miklosich  zu  reden,  mit  Formen  zu  tun 
hat,  welche  keinen  Zweifel  darüber  aufkommen  lassen,  dass  man  es  mit 
einem  Slaven  cechischen  Stammes  als  Abschreiber  zu  tun  habe  (Ersch. 
Encycl  420.  b.).  Wie  weit  und  wie  tief  sich  die  glagolische  Liturgie  von 
den  drei  Fürstensitzen  aus  gegen  die  Landesperipherien  hinverbreitet 
hatte,  ist  im  einzelnen  wohl  unbestimmbar.  Die  entferntesten  Gränzen 
mögen  gegen  Norden  Lausitz  und  Polen,  gegen  Süden  Dalmatien  ge- 
wesen sein  Vgl.  J.  E  Schmaler:  Die  Lausitzer  Serben  erhielten  das 
Christenthum  von  den  Slaven,  dann  von  den  Deutschen  (J.  B.  1864.  IL 
B,  S.  33).  V.  Zelen^:  de  relig.  Christianae  in  ^oÄemw  principiis.  Prag, 
1855  (Programm  des  acad.  Gymn.)  gegen  E.  Dümmler:  de  Bohem.  cou- 
ditione  Carolis  imperitantibus,  Lips.  1854.,  welcher  jede  slav.  Liturgie 
sogar  in  Böhmen  läugnete. 


9.  Die  Kyrilica  in  Böhmen  und  Mähren. 

Die  Keime,  welche  die  Slavenapostel  von  der  Glagolica,  was  wört- 
lich Lautschrift  bedeutet,  in  Bulgarien  im  zweiten  Stadium  ihrer  Wirk- 
samkeit zurückgelassen  hatten,  müssen  tiefe  Wurzeln  gefasst  haben,  wenn 
man  aus  der  Menge  der  aus  dem  Glagolischem  transscribirten  kjTilischen 
Handschriften  und  aus  dem  Vorkommen  glagolischer  Zeichen,  Zahlenwerte 
und  Worte  in  kyrilischeu  Handschriften  einen  Schluss  ziehen  darf.  Auch 
der  Name  des  bekannten  „Abecedarium  hulgaricum"'  bestätigt  dieses.  — 
Wie  aber  die  Glagolica  in  Grossmähren  einen  Kampf  auf  Tod  und  Leben 
mit  der  lateinischen  Schrift  zu  bestehen  hatte :  so  kam  in  einen  ähnlichen 
Kampf  die  Glagolica  in  Bulgarien  mit  dem  griechischen  Alphabete.  Schon 
Chrabr  erwähnte,  dass  christliche  Slaven  vor  der  Entdeckung  der  Gla- 
golica Slavisches  mit  griechischen  Lettern  schrieben.  Das  griechische 
siegte  auch  hier  insoferne,  als  man  in  das  griechische  Alphabet  nur  die- 
jenigen glagolischen  Lautzeichen  aufnahm,  welche  es  selbst,  als  Zeichen 
ungriechischer,  wohl  aber  als  slavischer  Laute  nicht  besass.    So  entstand 


23 

die  Kyrilica,  die  griechischen  Zahlenwert  neben  glagolischen  Buchstaben- 
namen in  sich  aufnahm,  also  auf  eine  ähnliche  Weise  wie  einst  das  yo- 
ikische  Alpliabet,  das  man  mit  dem  Namen  des  Bischofes  Ullihis  verband. 
Dieser  Ausgleich  scheint  rasch  den  Slavenai)osteln  nach  Paimonien  und 
Mähren  auf  dem  Fusse  gefolgt  zu  sein,  ja  es  ist  eben  die  Frage,  ob 
nicht  schon  vor  oder  doch  unmittelbar  nach  dem  'J'ode  Methud's  die 
Kyrilica  über  Pannonien  sich  auch  in  Böhmen  und  INIühren  einfand, 
da  man  sich  die  Wirksamkeit  der  Slavenapostel  in  Pannonien  und  IVIähren 
wül  nicht  ohne  Zu-  und  iVac/t-Züge  christlich-slavischer  Bulgaren  denken 
kann.  In  ihr,  der  Kyrilica  nämlich,  erwuchs  dort  von  einer  unerwarteten 
Seite  ein  neuer  Feind  der  Glagolica,  wie  sie  einen  erwarteten  Feind  von 
Seite  des  Lateinischen  bereits  hatte.  Die  Kyrilica,  als  griechische  Schrift, 
mag  bei  dem  beginnenden  griechisch-römischen  Kirchenschisma  dio  sla- 
vische  Liturgie  mit  in  den  Verdacht  der  Heterodoxie  gebracht  haben. 
Wo  das  Griechische  nicht  vorherrschte,  wie  z.  B.  in  Dalmatien,  Kroatien, 
wohin  die  Glagolica  wol  auch  von  Kocel's  Hof  aus  sich  verbreitet  hatte, 
was  einigermassen  die  Sage  von  ihrem  alten  Ursprünge  durch  Hieronym 
erklärt,  da  blieb  die  Glagolica  aufrecht,  ja  sie  ist  es  noch  in  unseren  Tagen, 
und  selbst  in  Prag  erweckte  sie  im  Slavenkloster  Emaus  Karl  IV.  wie- 
der, wo  sie  sich  gleichfalls  vielleicht  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  hätte, 
wenn  die  Husitenstürme  nicht  gekommen  wären,  und  Hus  sie  nicht  latein- 
hühmisch  transscribirt  hätte  (M.  J.  Husi  Orthographie  ceska.  Slav.  Bibl. 
IL  S.  173). 

Ein  Beweis  der  alten  Herrschaft  der  Kyrilica  in  Böhmen  liegt  in 
der  schon  genannten  Wenzelslegende,  die  man  irrig  die  Petersburger- 
legende nennt,  da  sie  doch  zuerst  Vostokov  im  Jahre  1827  im  Moskauei- 
Viestnik  (Nr.  17.  S.  85—94)  veröffentlichte.  Vergl.  Musejn.  1830.  IV. 
453  —  462.  Slav.  Bibl.  H  270.  Sie  ist,  obschon  um*  in  einer  Abschrift 
des  15.  Jahrhunderts  bekannt,  in  althirchenslavisch-höhmischer  Sprache 
geschrieben  und  scheint  ganz  nahe  an  das  Leben  des  hl.  Wenzels,  also 
an  das  10.  Jahrhundert  der  Sprache  nach  hinaufzureichen.  Das  Original 
scheint  sohin  irgendwo  in  Böhmen  oder  Mähren  glayolisch  verfasst  und 
dann  kyrilisch  transscribirt  zu  sein,  in  welcher  Form  sie  sich  nach  Russ- 
land hin  verbreitete,  da  die  kyrilische  Schrift  als  griechische  endlich  dort- 
hin flüchtete,  wo  die  griechisch-katholische  Kirche  herrschte.  Selbst  in 
der  kyrilischen  Abschrift  sind  noch  die  Bohemismen  deutlich  sichtbar 
(Safafik,  Staroz.  edit.  princeps,  S.  779.  —  Musejn.  1837:  S.  408.  M. 
Büdinger:  zur  Kritik  altböhm.  Gesch.  1857.  Zeitschr.  f.d.  österr.  Gymn. 
VII.  Heft.).  W.  Waüenbach  verarbeitete  sie  kulturhistorisch  m^den  Ab- 
bandlungen der  bist,  phil,  Gesellschaft  in  Breslau,  I  Bd  1857.  —  In 
dieser  Legende  wird  nun  erzählt,  dass  den  hl.  Wenzel  seine  Grossmutter 
Ljudmila  nach  Art  eines  Priesters  in  skioischer  Schrift,  sein  Vater  aber 
in  Budec  in  latein.  Schrift  unterrichten  Hess  —  ferner  —  dass  er  latei- 
nische Bücher  zu  verstehen  begann,  wie  ein  tüchtiger  —  Bischof  oder 
Priester  —  und  falls  er  ein  griechisches  oder  slavisches  Buch  aus  der 
Hand  legte,  er  es  aus  dem  Gedächtnisse  ohne  Mühe  recitiren  konnte. 
Es  lauten   die    Ausdrücke   über  die    Schriften   im   Originale  so:  nauciti 


24 

knigamö  slovenbskims  po  sledu  popovu  -  uciti  sja  knigara^  latijnbshinw 
—  i  naca  ie  uraeti  knigi  Za^yw6skija,  jakoze  dobryj  episkopx  ili  popx  — 
da  a§öe  ja  vizmjase  ja  greceskija  knigi  ili  sloveniskija  (nach  Miklosich: 
„quando  depouebat  graecum  librum  vel  slovenicum"). 

Diesem  nach  schildert  diese  böhm.-russische  Legende  den  hl.  Wenzel 
hinsichtlich  der  Schriftaufnahme  als  ein  Bild  des  böhm.-slovenischen  Volkes, 
das  eben  zur  Zeit  Wenzel's  schon  dreierlei  Alphabete  kannte :  das  glago- 
lische  hier  unter  dem  Namen  slavische  Schriften  (Bücher)  begriffen,  dann 
das  kyrilische^  hier  griechische  Schrift  genannt,  endlich  das  lateinische, 
das  siegreich  über  beide  erstehen  sollte  Zugleich  hören  wir  aus  der 
Legende  noch  den  ursprünglichen  Namen  der  Glagolica,  unter  welchem 
sie  durch  die  Slavenapostel  eingefiihrt  wurde,  heraus,  nämlich  „knigi 
slovenöskija."  Es  ist  dies  derselbe  Ausdruck,  den  Pabst  Johann  VIIL  im 
J.  880  gebraucht,  nämlich  „litteras  sclaviniscas  a  Constantino  quondam 
repertas,"  als  er  die  Glagolica  Methud's  billigte  (Palacky  ital.  Reise. 
Abh.  1841.  L  B.  Facsimile)  und  derselbe  Ausdi'uck,  den  der  Mönch  aus 
Sazava  in  seiner  Chronik  von  dem  Stifter  des  slavischen  Klosters  zu 
Sazava,  dem  hl.  Prokop  nämlich,  gebraucht,  wenn  er  von  demselben  sagt, 
er  wäre  ,.canonice  admodum  imbutus"  gewesen  ,,sclaronicis  litteris  a 
sanctissimo  Quirillo  episcopo  quondam  inventis  et  statutis"  (Monum.  Germ. 
Script.  IX.  149):  als  slavische  Lettern  standen  ja  eben  die  glagolischeu 
entgegen  den  graecisirten  sogenannt  kyi'ilischen,  als  auch  den  lateinischen. 
An  wahrhaft  griechische  Bücher  in  der  Hand  "Wenzels  ist  gewiss  nicht 
zu  denken. 


10.   Das    Altkirclienslavisclie   in    lateinischer    Schrift 
in  Böhmen  u.  s.  w. 

Wir  haben  schon  oben  berührt,  dass  die  Glagolica  viel  Unförmliches 
an  sich  trägt,  als  dass  sie  für  eine  angenehme  Schriftart  erklärt  werden 
könnte.  Als  nun  auch  die  Kyrilica  nach  Böhmen  gelangte,  die,  wie  ge- 
sagt, nur  eine  griechische  Tratisscription  der  Glagolica  ist,  sahen  darin 
die  Geistlichen  Böhmens  einen  Fingerzeig,  wie  auch  sie  sich  von  derselben 
befreien  konnten.  Nicht  etwa  durch  blinde  und  allgemeine  Annahme  der 
Kyrilica,  die  wol  nur  hie  und  da  gepflegt  sein  mochte  und  immerhin  im 
Verdachte  blieb,  das  Kirchenschisma  zu  fördern,  sondern  durch  lateinische 
Transscription  der  Glagolica  suchte  man  sich  von  der  Glagolica  und 
Kyrilica  ganz  zu  befreien,  und  zwar  dadurch,  dass  man  hlos  mit  lateini- 
schen Buchstaben  die  bereits  vorhandenen  glagolisch  oder  kyrilisch  ge- 
schriebenen heiligen  Schriften  überschrieb.  Diese  Methode  beweiset  schla- 
gend das  Fragment  des  Johannisevangeliums,  welches  man  beschrieben 
und  fascimilirt  in  Palacky's  und  Safafik's  ältesten  Denkmalen  der  böhm. 
Sprache  (Prag,  1840,  S.  105  — 1G6)  findet.  Die  Sprache  darin  ist  noch 
die  Sprache  der  Slavenapostel  —  mit  Bohemismen  vermengt,  allein  die 
Schrift  der  Intcrlinearversion  ist  durchaus,  ebenso  wie  der  Text  der  Vul- 


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gata,  nur  lateinisch.  Dieses  Schriftstück  ist  ein  Beweis,  dass  die  alt- 
slovenische  Sprache  der  Slavenapostel  tiefo  Wurzehi  in  den  bekehrten 
Ländern  muss  getasst  haben,  da  man  Bestandteile  der  röraisch-hateinischen 
Liturgie  mit  altkirchenslavischen  Formen  übersetzte.  Man  kann  dieses 
merkwürdige  Schriftstück  in  das  10.  oder  11.  Jahrliundert  aus  diploma- 
tischen und  sprachlichen  Gründen  versetzen.  Der  Ucbersetzcr  hatte  schon 
die  Vulgata  vor  sich,  war  soliin  ein  römisch  katholischer  Geistlicher,  der 
aber  noch  der  alten  slovenischen  Kirchensprache  mächtig  war,  indem  er 
darin  das  Latein  übersetzte.  Der  Ort,  wo  dies  gescliah,  ist  unbekannt, 
denn  das  Pergamentfragment  bildete  den  Einband  eines  Görlizer  Buches. 
Wie  unter  den  Kusinen  in  Galizien  die  Geistlichkeit  unter  sich  modern 
rusinisch  spricht,  aber  altkirchenslavisch  betet:  so  sprach  auch  in  Böhmen 
die  Geistlichkeit  böhmisch,  verrichtete  jedoch  die  Liturgie  altkirchen- 
slavisch, so  lange,  bis  auch  böhmische  Uebersetzungen  der  heil.  Schriften 
die  altslovenischcn  verdrängten.  Wir  können  hier  wol  den  Namen: 
^.Böhmen"'  nennen,  ja  sogar  auch  Mähren^  Schlesien^  die  Lausitz  und 
Slovakei  hinzufügen,  ohne  auch  den  Ort,  wo  die  Interlincarversion  statt- 
fand, zu  kennen;  weil  in  all'  den  genannten  Ländern  noch  andere  Beweise 
von  der  Herrschaft  des  Altkirchenslavischen  bei  römisch-katholischer 
Liturgie  sich  vorfinden. 

So  ist  nach  Jos.  Jirecek's  Forschung  ein  ganz  ähnlicher  Text,  wie 
im  ebenerwähnten  Johannesevangelium  (Jungm.  histor.  liter.  S.  16,  N  3) 
auch  im  Olmüzer  Evangeliare  vom  J.  1421  (o  ceskem  püvodnim  pfe- 
klade  evang.  1859.  S.  5  —  9)  und  im  Evangeliare.,  das  Jungm.  S.  16. 
N.  4  verzeichnete  (Rozbor  z  lit.  ßeske,  2.  Heft  S.  33),  denn  obwol 
dies  Evangeliar  nicht  vor  dem  14.  Jh.  überschrieben  ist,  so  weisen 
doch  manche  Ausdrücke  wie  z.  B.  samoho,  samomu,  samiem  auf  nicht 
böhmische  Urformen  hin. 

In  dem  ganzen  Bereiche  der  böhm.-slovenischen  Völker  kennt  die 
kathol  Kirche  auch  das  uralte  Kirchenlied  Gospodi  pomHuj  ny,  das 
dem  Inhalte  und  der  Form  nach  ein  Rest  slavischer  Liturgie  ist.  Bei 
dem  andern  gefeierten  Kirchenliede :  Svati)  Vaclave  ist  in  dem  erhal- 
tenen Texte  allerdings  kein  Altbulgarismus  mehr  vorzufinden :  doch  einer- 
seits die  Reimlosigkcit,  andererseits  die  einfache  Dreistrophenform,  worauf 
sich  dies  Kirchenlied  zurückführen  lässt  (Sembcra  Döjiny  fcci  a  liter. 
2.  Aufl.  S  193  und  J.  Feifalik  altcechischc  Leiche,  Wien  1862,  S.  9 
(oder  643  der  Sitzungsberichte.  Dalibor.  1862.  S.  201),  lassen  dies 
Kirchenlied  gleichfalls  als  einen  Rest  der  slav.  Liturgie  erscheinen.  Von 
andern  sprachlichen  Resten  in  der  Kirchenterminologie,  die  von  den  Sla- 
venaposteln  herrühren,  spricht  Jirecek  im  Wiener  S\etozor  1858.  S.  27. 
Aber  auch  noch  die  sogenannte  Mater  verborum,  die  wir  erst  in  das 
J.  1302  verlegen,  hat  in  ihren  Interlinearglossen  genug  Ausdrücke,  welche 
auf  die  slav  Liturgie  hinweisen.  Dahin  rechnen  wir  z.  B.  BlaJiodohe, 
eufemia ;  blaJwvole  eudochia  ;  blahoslove,  eulogium,  bledi  (d.  i.  blgdi) 
stulti ;  pravoslavni),  orthodoxus  (gerade  wie  es  noch  die  griech.  Kirche 
nennt)  u.  a.   — 


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11.  Glagolica  und  Kyrilica  neben  lateinischer  Schrift. 

Gewöhnlich  leitet  man  den  Fall  der  Glagolica  und  der  slav.  Li- 
turgie in  Böhmen  und  Grossmähren  von  der  Vertreibung  der  Nachfolger 
und  Anhänger  des  h.  Methudius  ab.  Kyril  sei  schon  im  J.  869,  Methud 
aber  im  J.  885  gestorben,  was  zugleich  als  Signal  galt,  dass  mit  der 
persönlichen  Autorisinmg  der  Apostel  die  objective  Autorisirung  der  slav. 
Liturgie  gefallen  wäre.  Allein  in  Kroatien  und  Dalmatien  erhielt  sich 
diese  Liturgie  in  glagolischer  Form  bis  auf  unsere  Tage,  sogar  trotz 
manchem  päbstlichen  Verbote.  Es  muss  sohin  mit  dem  Falle  derselben 
in  Mähren  und  Böhmen  ein  eigenes  Bewandniss  gegeben  haben.  Uns 
dünkt,  dass  dies  in  einem  zweifachen  Umstände  gelegen  war.  Die  Be- 
rufung der  Slaveuapostel  war  nämlich  selbst,  wie  es  scheint,  mehr  ein 
politischer,  als  wie  ein  kirchlicher  Act:  die  slavische  Liturgie  sollte  den 
Innern  Verband  des  zu  gründenden  slavischen  Reiches  abgeben:  wogegen 
die  Deutschen  von  allen  Seiten,  die  Magyaren  aber  von  Osten  her  Ein- 
sprache taten,  obschon,  wie  ihre  Sprache  ausweiset,  sie  selbst  von  sla- 
vischen Kulturmomenten  gehoben  worden  waren.  Die  slavische  Liturgie 
war  auch  zu  künstlich  eingeführt  worden,  sie  basirte  mit  ihrem  fremd- 
artigen Dialccte  mehr  in  dem  "Willen  der  Fürstenhöfe,  als  im  Gemüte 
des  Volkes  und  ihre  Vertreter  waren,  wenn  auch  Slaven,  doch  zumeist 
wol  Fremde.  Den  andern  Umstand  deuteten  wü'  schon  oben  an :  nämlich 
in  dem  Eindringen  der  Kyrilica,  die  wir  in  Grossmähren  noch  vor  der 
Vertreibung  der  Anhänger  Methuds  bereits  vermuten.  Denn  die  Kyrilica 
schien  dmxh  ihre  griechischen  Buchstaben  und  Kirchentexte  das  Kirchen- 
Schisma  zu  fördern,  so  dass  die  Fürsten,  falls  sie  dieselbe  begünstigten, 
die  Billigung  Rom's  einbüssen  zu  müssen  vermutet  haben  mögen.  Als 
daher  die  Fürsten  ihre  schützende  Hand  davon  abzogen,  da  traten  die 
durch  die  slav.  Liturgie  ohnehin  nur  momentan  zurückgedrängten 
Deutschen  auch  als  politisch  und  römisch  gesinnte  Partei  hervor.  Die 
Anhänger  der  slav.  Liturgie  waren  vermutlich  selbst  in  2  Parteien  :  in 
die  der  Kyrilica  günstige  und  in  die  Partei  geschieden,  welche  die  Gla- 
golica aufrecht  erhalten  wollte:  die  Kyrilisten  mögen  sohin  auf  ihrer 
Flucht  nach  Bulgarien,  wo  die  Kyrilica  gewiss  weit  vor  dem  J.  9 IG, 
dem  Todesjahre  Bischof  jSr/g?we?is,  schon  bekannt  und  von  ihm  nur  weiter 
begründet  war,  sich  gewendet  haben  und  zur  eifrigen  Transscription  gla- 
golischer Schriften  in  k}Tilische  geschritten  sein.  Die  Glagolisten  aber 
mögen  durch  die  ehemaligen  Besitzungen  des  Fürsten  Kocel,  worin 
kern  griechischer  Einfluss  sie  hemmte,  gegen  den  Süden  Europas  vorge- 
drungen und  dort  die  Hen'scliaft  der  Glagolica  bedeutend  gefördert  haben. 
Dass  nicht  alle  Verfolgten  geflohen,  sondern  dass  heimliche  Anhänger 
in  Mähren  und  Böhmen  zurückgeblieben,  so  wie  dass  auch  von  den  Flie- 
henden sehr  viele  in  den  Klöstern  Pannonieus  nur  einen  günstigen  Um- 
schwung der  Verhältnisse  abgewartet  haben  mögen,  liegt  nicht  nur  in 
der  Natur  der  Sache,  sondern  lässt  sich  auch  aus  manchen  historischen 
Andeutungen  erschliessen.  So  ist  es  z.  B.  Tatsache,  dass  in  Bulgarien 
und  Russland  die   Kyrilica   die  Glagolica  ganz  verdrängte,  während  von 


27 

Kroatiea  die  Glagolica  sich  bis  nach  Dalmaticn  hinzog  und  im  Süd- 
Westen  fasst  allein  herrschte,  während  gegen  den  Süd-Osten  zu  die  Ky- 
rilica  vorherrschte  und  einen  Hinterhalt  an  den  Bulgaren  fand:  in  Pan- 
nonieu  aber  hielt  sich  die  Glagolica  und  Kyrilica  lange  Zeit,  bis  in  das 
13.  Jahrh.  hin,  das  Gleichgewicht.  Dass  zwischen  dem  bühm.  Sazava- 
kloster  und  den  slavischen  Klöstern  im  nördlichen  Ungarn  enge  Baude 
noch  zur  Zeit  Spitihnev  II.  und  König  Vratislavs  bestanden,  zeigen  die 
Scriptores  rerum  Boheraicarum  deutlich  genug  (I.  S.  97,  9^,102,204). 
Dass  zwischen  den  geflohenen  und  den  rückgebliebenen  heimlichen  An- 
hängern Verbindungen  fort  erhalten  wurden,  lehrt  ebenfalls  die  Natur  der 
Sache,  namentlich  da  man  sich  im  10.  und  den  nächsten  Jahrhunderten 
Böhmen  und  Mähren  weder  politisch  vollständig  centralisirt,  noch  auch 
dialectisch  vereinigt  denken  darf. 

Dass  die  Kyrilica  neben  der  Glagolica  in  diesen  Ländern  zugleich 
herrschte,  siebet  man  u.  a.  in  dem  Riesencodex,  den  aus  Podlazice  in 
Böhmen  die  Schweden  nach  Stockholm  entführten  (Dobrovsky's  literar. 
Nachrichten.  Pg.  1796.  S.  35  —  47.  Pecirka's  Referat  im  Musejnik,  1851. 

I.  und  2.  Heft.).  Dieser  Codex,  der  dem  13.  Jahrh.  angehöret,  hat  näm- 
lich auf  dem  Deckel  em  kyrilisches  und  ein  glagolisches  Alphabet,  etwa 
um  das  J.  1400  hinein  geschrieben  (Dobrovskj',  Gesch.  d.  Lit.  1h18.  S.  57). 
Auch  in  manchen  Handschriften  der  Prager  Univ.  Bibliothek  findet  man 
solche  Alphabete  noch  aus  husitischen  Jahrzehenden:  ja  das  Alphabet, 
welches  man  dem  Hus  zuschreibt,  ist,  wie  oben  schon  angedeutet  wurde, 
offenbar  nur  nach  dem  Muster  der  slavischen  Alphabete  hergestellt  und 
sind  die  fremdartigen  Buchstaben-Namen  in  böhmische  Namen  verwandelt 
worden.  Die  aufgeschriebenen  kyril.  und  glagolischen  Alphabete  setzen 
einerseits  (wie  ehemals  die  von  Mönchen  aufgeschriebenen  Futhorke) 
schon  einen  Mangel  an  der  Fertigkeit  im  Lesen  voraus :  aber  doch  noch 
den  Besitz  von  glagolischen  und  kyrilischen  Codices,  da  niemand  einen 
Schlüssel  verwahren  wird,  dessen  Schloss  schon  ganz  verloren  gegangen 
wäre.  So  ist  in  der  Tat  in  der  glagolisch  geschriebenen  böhmischen 
Bibel  (l7.  A.  1.)  vorn  am  Deckel  ein  glagolisches  Alphabet  zugeschrieben, 
aber  von  einer  ganz  andern  Recension,  als  der  Bibel  selbst  zu  Grunde  liegt. 
In  dieser  glagolischen  Bibel,  welche  141 G  in  Emaus  beendet  wurde 
(„unter  dem  slavischen  Abte  Kfiz.  Diese  Bibel  ist  geschrieben  von  den 
Klosterbrüdern,  aber  nicht  von  kroatischen  Schreibern,"  u.zw.  ist  der  Text 
böhmisch-kroatisch),  wird  der  altertümliche  Laut  g  mit  dem  glagolischen 
Zeichen,  das  böhm.  ä,  das  erst  aus  altslav,  g  wurde,  jedoch  mit  kyrili- 
schem  Zeichen  kennzeichnet,  wie  es  auch  der  Fall  ist  in  der  Handsclirift 

II.  A.  14.  Blatt  242  vom  J.  1436,  wo  in  dem  glagolisclien  Alphabete 
dem  kyrilischen  g  das  glagoliäche  g  voransteht,  gewiss  ein  Zeichen,  dass 
in  Böhmen  das  Andenken  an  den  Gebrauch  der  Glagolica  und  Kyrilica 
bis  in  die  Mitte  des  15.  Jahrhund  ertes  nicht  erlosch.  Der  Text  der  gla- 
golischen Bibel  enthält  noch  viele  Archaismen  der  altslav.  Liturgie,  ob- 
schon  er  im  ganzen  in  der  böhm.  Sprache  des  15.  Jahrh.  geschrieben 
ist.  Der  Text  des  Codex  11.  A.  14.  aber,  worin  das  glagol.  Alphabet 
geschrieben  ist,  ist  selbst  eine  böhm.   Bibel  mit  folgendem  Explicit:     „A 


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psany  su  na  Kosti  hradu  in  rubea  turri  per  Andream  Figuli  de  Roki- 
cano  plebanura  in  Zerfic  a.  d.  1436...  Vgl.  J.  Jireöek  im  Musejuik 
1864  II.  144  und  Koläf  in  den  Sitzungsberichten  d.  königl.  böhm.  Ges 
3  Decemb.  1866.  In  Raigern  (Rajhrady)  in  Mähren  verwahrt  man  wie-* 
darum  das  latein.  Martyrologium,  „Odonis"  genannt,  das  aus  dem  10. 
Jh.  stammen  soll.  Es  enthält  mitunter  kyrilische  Zeichen  und  altslavische 
Randglossen.  Dort  verwahrt  man  auch  den  Anfang  einer  Homilie  des 
Job.  Chrysostomus  mit  hyriliseher  Schrift.  Er  soll  einem  latein.  Codex 
des  9.  Jh.  beigeschrieben  sein. 


12.    Text   du  Sacre  oder  das  slavische  Evaiigeliar  zu 

Rlieims. 

Dem  ersten  Anscheine  nach  könnte  man  auch  das  in  der  Aufschrift 
genannte  Evangeliar  als  einen  Beweis  des  Vorhandenseins  der  Glagolica 
und  Kyrilica  neben  einander  in  Böhmen  anführen,  da  dies  Evangeliar 
in  der  Tat  aus  einem  glagolischen  und  aus  einem  kyrilischen  Teile 
besteht.    Dies  ist  aber  aus  inneren  Gründen  untunlich. 

Der  erste  mit  dem  zweiten,  glagolischen  Teile,  nicht  zusammen- 
hängende kyrilische  Teil  ist  sogar  unter  dem  Namen  des  St.  Prokops 
evangeliums  bekannt,  unter  welchem  Namen  es  dem  Kaiser  Karl  IV., 
welcher,  wie  schon  das  Marcus  -  Evangelium  im  Prager  Domschatze  be- 
weiset, in  diesen  Dingen  nicht  kritisch  genug  vorgieng  (Liter,  püsobeni 
J.  Dobrovsk6ho.  1867.  S.  7.  Abhandl.  d.  kön.  böhm.  Gesell,  zu  Prag. 
15.  Band),  verkauft  wurde.  Da  Procop,  erster  Abt  des  berühmten  sla- 
vischen  Sazavaklosters,  schon  1053  starb,  müsste  dies  Evangeliar  von 
ihm  etwa  in  den  Jahren  1030-1053  geschrieben  worden  sein.  Das  ist 
nun,  weder  aus  inneren,  noch  aus  äusseren  Gründen  möglich.  Es  scheint 
nämlich  der  kyrilische  Teil  nicht  einmal  von  einer  Hand  geschrieben  zu 
sein,  da  u.  a.  z.  B.  mit  dem  Bl.  17.  Pergamen  und  Äc/irz/i{  sich  ändern. 
Im  11.  Jahrhunderte  hätte  auch  niemand  eine  so  verderbte  altslav. 
Sprache  sprechen  und  sclu-eiben  können,  wie  solche  die  einzelnen  Frag- 
mente ausweisen.  Es  ist  wohl  nur  ein  Produkt  aus  dem  Anfange  des  14. 
Jh.  und  Karl  IV.  offenbar  unterschoben  worden.  Vgl.  B.  Kopitari:  prole- 
gomena  histor.  in  Evangelia  Remcnsia.  Slav.  Bibliothek,  I.  S.  80.  Der 
facsimilirte  Text  ist  in  der  Präger  Univ.  Bibliothek  (26.  C.  57).  Die 
Beschreibung  siehe  im  Prager  Muscjnik,  1840.  S.  188.  Ausführlich 
schrieb  aber  über  den  kyril.  Teil-  P  Biljarski  in  seinen  Sudbby  cer- 
kovnago  jazyka.  St.  Petersburg,  1848.  2.  B.  S.  V  — VII.  Dort  findet 
man  auch  die  gesammtc  Literatur  über  dies  crcignissvolle  Evangeliar  und 
dann  S.  283.  das  kurzgefasstc  Urtheil  darüber,  welches  dahin  lautet, 
dass  der  kyrilische  Teil  eine  Copie  aus  dem  14.  Jh.  sei,  die  irgendwo  im 
Süden  Europas  (Wallachci)  nach  einem  mittelbulgarischen  Originale  ver- 
fertigt wurde.  Der  glagolische  Teil  aber  ist  mit  der  kroatischen  Gla- 
golica von  einem  Mönche  im  Slavenkloster  zu  Emaus,  dem  Karl  IV.  das 


29 

sogenaDüte    Procopö    Evangelium     geschenkt    hatte,    im    J.    1395  hinzu 
geschrieben. 

Immerhin  hat  es  aber  liir  die  Geschichte  der  Glagolica  und  Ky- 
rilica  in  Böhmen  eine  grosse  Bedeutung,  namentlich  in  Anwendung  auf 
den  Ruf  des  Prokopsklostcrs  in  Sazava.  Man  kann  nämlich  wol  folgende 
Momeiite  desselben  unterscheiden. 

1.  Der  h.  Procop  schrieb  glagolisch.  Dies  folgt  einerseits  aus  der 
gegenwärtig  herrschenden  Ansicht  von  der  Priorität  der  (llagolica  in  Ver- 
bindung mit  den  Worten  des  Mönches  von  Sazava:  Procopius,  nationc 
Bohemicus,  sclavonicis  literis  a  S.  Quirillo  -  inventis  —  admodura  in- 
butus  (Script,  rer.  Bohem.  I.  90). 

2.  Im  J.  1079,  also  26  Jahre  nach  dem  Tode  des  h.  Prokop's  bat 
Vratislav  den  Papst  Gregor  VII.  um  die  allgemeine  Wiedereinführung 
der  noch  hie  und  da  giltigen  slav.  Liturgie,  „quod  secundum  sclavonicam 
linguam  ap^ul  vos  (also  auch  am  Hofe)  divinum  celebrari  annueremus 
officium,"  was  jedoch  der  Pabst  als  eine  vana  temeritas  verwarf  mit 
der  Bulle  vom  2.  Jänner  1080. 

3.  Vratislav  hob  jedoch  darum  doch  die  slavische  Liturgie  im  Sa- 
zavakloster  nicht  auf:  sondern  führte  sie  nur  nicht  allgemein  ein.  Da- 
gegen wird  jedoch  von  Uneinigkeiten  unter  den  Mönchen  im  Sazavaklostcr 
Erwähnung  getan,  die  wir  uns  nicht  blos  in  der  Eifersucht  der  Mönche 
mit  dem  Abte,  sondern  auch  in  dem  Streite  der  Glagolisten  und  Kyri- 
listen  in  dem  Kloster  gegründet  vorstellen.  Denn  dass  in  irgend  einer 
Zeit  auch  die  Kyrilica  im  Prokopskloster  Eingang  gefunden  haben  musste, 
folgt  schon  daraus,  dass  man  ein  kyrilisches  Evangeliar,  als  Prokops- 
Evangelium,  dem  Kaiser  Karl  IV.  zu  unterschieben  wagte,  welches  er 
dem  glagolischen  Emauskloster  schenkte. 

4.  Erst  nach  dem  Tode  Vratislav's  vertrieb  Bfetislav  die  hadernden 
Mönche  und  setzte  den  Abt  Diethhard  aus  dem  Bfevnoverkloster  als 
Vorstand  ein.  Dieser  scheint  selbst  die  slavisch  geschriebenen  Bü- 
cher nicht  gleich  vertilgt  zu  haben,  sondern  neben  ihnen  (praeter  scla- 
vonicos)  sich  um  lateinische  Piitualbücher  bekümmert  zu  haben,  wie  er 
denn  auch  noch  dann  einige  slavische  Mönche  aus  Barmherzigkeit  im 
Kloster  duldete  (Palacky,  dejiny,   1848.  S.  359). 

5.  Es  ist  die  Frage,  ob  nach  der  Umwandlung  des  Slavenklosters 
zu  Sazava  an  andern  Orten  Böhmens  doch  nicht  noch  einige  Reste  der 
slavischen  Liturgie  sich  vorfanden,  welche  auch  zu  Zeiten  Karl  IV.  noch 
einige  Wurzehi  hatten,  um  es  erklärlich  zu  machen,  dass  Pabst  und 
Kaiser  im  J.  1347  ein  glagolisclies  Kloster  zu  Prag  ,,na  Slovanech'' 
unbedenklich  gründeten,  welchem  Karl  IV.  das  kyrilische  Prokops-Evan- 
gelium als  Geschenk  verehrte.'  In  Ungarn  erhielten  sich  factisch  einige 
Klöster  slav.  Liturgie  unter  der  Oberhoheit  Roms  bis  in's  13.  Jh.  (Pa- 
lacky 1.  c.  S.  359.)  Anm.  358.'.  Im  Grunde  kann  man  auch  schon  aus 
der  päbstlichen  Bulle,  womit  das  Prager  Bistum  gegründet  wurde,  das 
damalige  Vorhandensein  der  Ki/rilica  und  Glagolica  in  Böhmen  er- 
schliessen;  denn  da  heisst  es,  es  solle  das  Bistum  nicht  beruhen  secun- 
dum ritiis    aut  sectam  Bulgarice  gentis  vel  Ruzice,    was  auf  die  KjtI- 


30 

lica  deutet,  aut  slavonicae  Unguae,  was  wiederum  auf  die  Glagolica 
weiset,  sed  magis  sequens  instituta  et  decreta  apostolica  u.  s.  w.,  wie  es 
Cosmas  anführt.  Offenbar,  und  zwar  mit  Recht,  ist  hier  der  ritus  Bulga- 
ricus  oder  Russicus  entgegengesetzt  dem  o^itiis  slavonicae  linguae:  auch 
wird  im  Grunde  nur  befohlen,  es  solle  das  Bistum  „magis''  (nicht  also 
schlechthin)  nach  latein.  ritus  geordnet  werden  und  in  der  Tat 
finden  sich,  wie  oben  angedeutet  wurde,  noch  heut  zu  Tage  Kirchen- 
Itymneii  im  lat.  Ritus,  die  dem  slav.  Ritus  entsprangen.  —  "Was  eigent- 
lich Karl  IV.  mit  dem  slav.  Prager  Kloster  zu  Emaus  bezweckte,  ist 
noch  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen.  Man  vergleiche  z.  B.  seine 
Bestimmungen  in  der  goldenen  Bulle  zu  Gunsten  der  slav.  Sprache  mit 
seiner  neuen  Gründung  des  slavischen,  ja  specifisch  böhmischen  Chorherrn- 
stiftes zu  l7)f/elheim,  dem  heil.  Wenzel  geweiht,  wohin  der  Pfalzgraf  (pa- 
latinus)  das  Handbuch  (viaticum)  des  Hus,  worin  dieser  sich  im  Kerker  zu 
Konstanz  Notate  machte,  nach  dem  Tode  des  Hus  sendete.  Diese  Notiz 
ist  von  der  Hand  (^es  Kfiz  z  Telce,  welcher  zu  Ende  des  15.  Jh.  lebte, 
erhalten,  ein  Beweis,  dass  noch  in  dieser  Zeit  die  Schöpfung  Karl's  zu 
Ingelheim  in  Beziehungen  zu  Böhmen  stund.  Vgl.  die  Sitzungsberichte 
der  kön.  böhm.  Gesell,  zu  Prag  am  3.  Juni  1867.  Das  Ingelheim'sche 
Kloster  war  nur  ein  Abzweig  des  Karlhofs  Klosters  zu  Prag  (am  Karlov). 


13.  Die  lateinische  Schrift  im  Dienste  des  weltlichen 

Böhmens. 

Bisher  betrachteten  wir  die  Glagolica  und  Kyrilica  im  Dienste  der 
Liturqie.  Eine  andere  Frage  entsteht  nun  in  Beziehung  des  weltlichen 
Schriftgebrauches. 

Alle  k)Til.  und  glagolischen  Schriftreste,  die  sich  bisher  in  der 
Oeffentlichkeit  zeigten,  waren  kirchlichen  Inhaltes  (Hanka  :  Ostatky  slovan- 
sk6ho  bohosluzeni  V  Öechäch,  Prag,  1859.J.  Erhalten  hat  sich  sohin  nichts 
"Weltliches  in  glag.  oder  kyril.  Form.  Es  ist  wol  nichts  unmögliches, 
anzimohmen,  dass  die  einzelnen  geistl.  Personen  glagoL  und  kyril,  Litur- 
gie mit  ihres  Gleichen  in  Böhmen,  Mähren,  Pannouien  —  ja  sogar  mit 
solchen  in  Bulgarien,  Kroatien  und  Dalmatien  im  Briefverkehr  waren, 
der  immerhin  zum  Teile  ein  weltlicher  gewesen  sein  mag.  Allein  einen 
tatsächlichen  Beweis  eines  solchen  herzustellen,  ist  bisher  nicht  möglich 
geworden.  In  südslavischen  Ländern,  sowohl  kyrilischer  als  glagolischer 
Litiu-gie,  ist  ein  solcher  Schriftgebrauch  nichts  seltenes,  wie  es  sich  noch 
neulich  in  der  Sitzung  der  kön.  böhm.  Gesellschaft  zu  Prag  1865.  30. 
Oktober  an  der  glagolischen  Urkunde  aus  Voksic  vom  J.  1484.  in  kroa- 
tischer Sprache  zeigte,  welche  gegenwärtig  in  der  Univ.-Bibliothek  auf- 
bewahrt wird.  Doch  auch  beim  weltlichen  Gebrauch  der  Schrift  ist  noch 
ein  Unterschied  zwischen  öf eidlichem  und  diplomatischem  Schriftgebrauche 
der  Höfe,  wie  oben  berührt  wiu-de,  und  jenem  der  Privaten  zu  machen. 


31 

Die  Untersuchungen   über   den   fraglichen    Privatgebrauch    der  Glagolica 
und  Kyrilica  müssen  vor  der  Hand  auf  sich  beruhen. 

Dass  die  Glagolica  und  Kyrilica  nicht  zum  diplomatischen  Schriften- 
wechsel bei  den  Höfen  gelangte,  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  da  sie 
auch  im  Süden  wohl  nur  Schrift  der  Geistlichkeit  blieb.  In  Bezug  auf 
die  böhmisch- slovenischen  Länder  ist  die  lateinische  Schrift  und  Sprache 
tatsächlich  die  diplomatische,  sowohl  an  den  Fürstenhöfen  als  auch  am 
Hofe  des  Papstes  gewesen,  und  zwar  sogar  noch  vor  der  vollen  Christiani- 
sirung  dieser  Länder.  1.  So  schrieb  z.  B.  Papst  Gregor  UI.  an  alle 
deutschen  und  slavischen  Fürsten  im  J.  739,  dass  sie  dem  (h.)  Bonifac 
Gehorsam  leisten  sollten,  auch  sollten  sie  verabscheuen  alle  Zauberer 
und  Losicerfer^  alle  Todtenopfer^  den  gesammten  Wahl-  und  Quellen- 
Dienst,  die  Anaehinde,  Bezauherungen,  so  wie  überliaui)t  alle  gottlosen 
Gebräuche.  Der  h.  Bonifac  führt  in  seinem  Erraahnungsbriefe  an  den 
sittenlosen  Ethibald  im  J.  745  die  heidn.  Slaven  als  ein  Cluster  auf,  in- 
dem er  an  die  wendische  Sitte,  dass  das  slav.  Weib  mit  dem  Manne  beim 
Verbrennen  des  Leichnams  sich  mit  verbrenne,  anspielt ;  obschon  er  des 
slavischen  Heidentums  halber  die  Slaven  die  hässlichste  und  ärgste  Men- 
schengattuug  nennt.  Papst  Johannes  YHL  sagt  dagegen  in  der  Zuschrift 
2lu  Kocel  (Cozili)  zwischen  den  J.  873— 882,  dass  der  Gebrauch,  Frauen 
zu  Verstössen  oder  noch  bei  ihren  Lebzeiten  neue  Ehen  zu  schliessen, 
ein  Rest  heidnischer  Sitten  sei  (Erben:  Regesta,  S.  2.  15).  Auch  an  den 
mähr.  Herzog  Svatopluk  schreibt  Papst  Joaiines  IX.,  er  berufe  den  Erz- 
bischof Methud  nach  Rom,  da  er  vernommen,  Methud  lehre  anders,  als  er 
sollte.  In  dem  Briefe  an  Methodius  selbst  (von  demselben  Datum,  18. 
Juni  879)  wiederholt  er  nicht  blos  dies,  sondern  sagt  auch,  dassMethod 
„die  Messe  slavisch  lese."  Es  war  diese  Berufimg  nach  Rom  wohl  die 
Folge  überti'iebener  Denunciationeu.  Als  der  Papst  nun  den  Method  in 
Rom  orthodox  befunden,  empfahl  er  ihn  im  J.  880  dem  Svatopluk  und 
unterordnete  demselben  sogar  den  deutschen  Bischof  von  Neutra  Wiching. 
In  demselben  Briefe  belobt  er  die  oben  schon  genannten  „litteras  sda- 
vijiiscas"  (1.  c.  S.  17.  18).  Diese  Urkunden  und  Briefe  weisen  sohin 
nicht  nur  die  latein.  Schrift  und  Sprache  als  die  diplomatische  nach,  son- 
dern lassen  auch  Einblicke  in  das  precäre  der  slav.  Liturgie  tun,  um 
annehmen  zu  können,  dass  sich  die  Glagolica  zur  weltlichen  Schrift  nicht 
habe  herausbilden  können,  wir  sagen  die  Glagolica,  weil  diese  vorzugs- 
weise die  slavische  Schrift  „sloveniska,'*  wie  sie  Method  selbst  vor  dem 
Papste  mag  genannt  haben,  hiess,  da  diese  unlateinische,  wohl  aber  slavische 
Wort/orm  in  der  latein.  Urkunde  des  Papstes  noch  durchklingt.  Die  Ur- 
kunde vom  J.  971,  wodurch  das  Prager  Bistum  sammt  dem  Georgs- 
kloster am  Hradcin  gegründet  wurde  (1.  c.  S.  29.),  haben  wir  schon 
oben  angeführt.  Von  der  Zeit  an  wurde  also  mit  dem  Bischof  Thietmar, 
der  ein  geborener  Sachse  war,  im  Centrum  des  Landes  das  latein-germa- 
uische  Christentum  eingefüint.  Dass  der  Herzog  einen  Deutschen  wählte, 
da  der  Papst  doch  nur  einen  Jatinis  adprime  libris  eruditum''  haben 
wollte,  weiset  wohl  darauf  hin,  dass  die  meisten  Slaven  in  Böhmen  noch 
Anhänger  der  slav.  Liturgie  waren   Nun  wurde  vom  Landes-Centrum  aus 


32 

dasselbe  nötig,  was  wir  oben  im  Sazavakloster  den  ersten  lateinischen 
Abt  auch  üben  sahen,  nämlich  slavische  Manuskripte  ins  Latein  zu  über- 
tragen. So  sagt  z.  B.  in  den  Actis  sanctorum  der  RoUandisten  2.  Juli, 
S.  140  der  latein  Legendist  beim  Leben  des  h.  Procop,  dass  er  diese 
Biographie  einer  Prager  Handschrift  entnehme,  die  „slavonicis  literis^"' 
also  glagolisch  abgcfasst  war. 

Als  eine  Art  diplomatischer  Urkunden  sind  auch  2.  die  Münzen 
anzusehen.  Die  älteste  Form  derselben,  die  Goldgewinde  enthalten  nur 
Gewichtszeichen  (Die  alterthüraliche  Sitte  der  Augebinde  bei  Deutschen, 
Slaven  und  Litauern.  Prag  1855.  S.  2G.).  Die  eigentlichen  böhm.  und 
mähr.  Münzen  beginnen  mit  Boleslav  im  J.  936.  In  deren  lateinischen 
Legenden  sind  literaturhistorisch  die  Personen  und  Ortsnamen  wichtig. 
Doch  ist  dieser  ganze  Zweig,  auch  in  Hinsicht  der  Literaturgeschichte, 
noch  einer  genauen  Kritik  zu  unterziehen.  Glagolische  oder  kyrilische 
Legenden  fand  man  in  Böhmen  und  Mähren  nicht.  (Vgl.  Hanka  in  den 
Pamatky  archael.  18:)r>.  S.  234— 328;  1856.  S.  42— 336;  1859,  S.  41  — 
369;  1860.  S.  85—184). 

3.  Stiftimgsurkunden  von  Bistümern,  Klöstern  bilden  eine  Art 
Uebergang  von  wahrhaft  diplomatischen  Urkunden  der  Höfe,  zu  Privatur- 
kunden. Auch  sie,  welche  für  Kultur-  und  Literaturgeschichte  auszubeuten 
selbst  an  einer  unterschobenen  Urkunde,  dem  Bfevniover  Stiftungsbrief 
vom  J.  993,  Dobrovsky  gelehrt  (Abband,  der  kön.  böhm.  G.  zu  Prag. 
1785.  I.  Bd.  S.  101.  dann  1867.  15.  Bd.,  Dobrovsky's  literarische  Wirk- 
samkeit. S.  18.  30.),  sind  bisher  nur  in  latein.  Sprache  und  Schrift  be- 
kannt geworden,  doch  enthalten  die  Formen  der  Personen-  und  Ortsna- 
men gar  oft  wichtige  Beiträge  zur  Linguistik  und  Literaturgeschichte  (Vgl. 
Sembera:  dejiny.  2.  Aufl.  1859.  S.  56.  57.).  Die  hauptsächlichsten  aus 
den  älteren  Zeiten  sind  etwa : 

a)  Der  Leitmerize7'  Stiftungsbrief  angeblich  zw.  den  J.  1055 — 1061 
aufgesetzt.  Er  ist  allerdings  seitens  dieses  Alters  unterschoben,  doch  ge- 
treu genug  aus  einem  alten  Originale  copirt,  wie  u.  a.  alte  Namensformen 
beweisen  (Dobrovsky  in  den  Abb.  1785.  193.  194.  Geschichte  d.  böhm. 
Spr.  u.  Liter.  1818.  S.  80.  81.  Aelteste  Denkmäler.  1840.  199.):  so 
z.  B.  die  Locale  Doljas  (Doleas)  in  Doljany,  Trnovas  (Trrnovas)  in  Tir- 
novany,  Worte  mit  g  statt  h,  z.  B.  gostinnö,  Zollgefälle  der  Fremden, 
Kaufleute,  f/mecn^.,  Zoll  für  Gefässverkauf  u.  dgl. 

ß)  Die  Urkunde  Vratislav's  bei  der  Stiftung  der  Vy^ehrader  Col- 
legiatkirche  v.  J.  1088,  die  jedoch  nur  aus  spätem  Abschriften  zusam- 
mengestellt ist  (Erben,  regesta.  S.  77.). 

y)  Die  Zusatzurkunde  zur  Vysegrader  Stiftung  unter  Sobeslav  im 
J.   1135.  (Erben.  99.). 

h)  Urkunde  über  die  Uebertragung  des  Bischofsstuhls  von  S.  Peter 
zu  S  Wenzel  in  Olmütz,  1131.  (Erben,  96.).  Ausführlich  spricht  davon 
Öerabera  in  der  2.  Ang.  d.  Lit.  Gesch.  S    56.  57. 

4.  Mortuarieti,  Nekrologien,  so  z  B.  das  Mortuarium  im  oben  ge- 
nannten codex  giganteus,  es  enthält  eine  Menge  linguistisch  und  kulturhisto- 
risch  sehr  interessanter  Mönch-   und  Nonnennaraen   z.  B.  Bezded,  Deua, 


33 

Diua,  Podiua,  Godek,  Gostek,  Deuik,  Gostak,  Gostik,  Deuic,  Modlac, 
Ladec,  Rajca,  Marena,  Modlena,  Perun,  Deuna.  Trebata,  Vrbata,  Radost, 
Radosta,  Trebaua,  Dnepr,  Ilraber,  Bogdal,  Bogdalec,  Bogdan,  Dobrogost, 
Hualibog,  Modlibog,  Radgost,  Vacemil,  Vacemila,  Radoslau,  Vaczlau, 
Radowit  u.dgl.  —  Dobrovsky  Gescb.  1818.  91  —  103.  Jungm.  bist,  liter. 
S.  16.  N.  7.  — 

5.  Privaturkunden  z.  B.  Kauf-,  Pacbt-,  Borgbriefe  u.  dgl.  Deren 
gibt  es  in  latein.  Sprache  eine  staunenswerte  Menge.  Die  relativ  älteste 
höhm.  Urkunde  wurde  im  Jahre  1861  in  der  Pragor  Univ.-Bibliothek 
entdeckt :  es  ist  des  Ritters  Thomas  v.  ^iitny  Vertragsurkunde  mit  seiner 
Schwester  vom  J.  1373.  Sie  ist  dem  vollen  Inhalte  nach  abgedruckt 
im  Musejnik  1861.  S.  349.  Diese  Urkunde  ist  ein  Beweis,  dass  sich  die 
böhmische  Sprache  in  Angelegenheiten  des  Volkes  und  der  Privaten  viel 
früher  von  den  Banden  des  Latinismus  befreite,  als  die  öffentlichen  An- 
gelegenheiten, die  unter  dem  Einflüsse  der  latinisirten  Höfe  und  der  la- 
teinischen Kirche  stunden.  Diese  Urkunde  Ötitny's  hat  bereits  eine  ge- 
regelte Orthographie^  obwol  sie  sich  nur  des  latein.  Alphabetes  bedient, 
ein  Beweis,  dass  böhm.  Schulen  der  Schreiber  (Notai'e)  schon  längst  un- 
ter dem  Volke  tätig  gewesen  sein  mussten,  und  man  mit  Recht  den  Be- 
ginn der  böhm.  Privaturkundenliteratur,  nicht  wie  bisher  in  das  Ende  des 
14.  Jhrh.,  sondern  sicher  in  den  Beginn  des  13.  Jahrb.  versetzen  kann, 
da  die  Urkunde  Stitny's  schon  eine  völlige  Reife  der  juridischen  Termi- 
nologie ausweiset,  die  doch  nicht  in  wenigen  Jahrzehenden  zur  Reife 
gelangt. 

6.  Ein  ähnliches  Resultat  der  Selbstbefreiung  der  böhmischen  Sprache 
von  der  lateinischen  findet  man  bei  den  Annalisten  oder  Geschieht^' 
Schreihern.  Wem  es  darum  zu  tun  ist,  die  ältesten  böhmisch- slo venischen 
Namen  von  Orten,  Flüssen,  Bergen,  Personen,  Dingen  udgl.  zu  sammeln, 
der  findet  deren  genug  bei  griechischen  und  lateinischen  Geschichtsschrei- 
bern. So  beginnt  z.  B.  Sembera  seine  Literaturgeschichte  mit  dem  J.  58! 
vor  Christus,  weil  er  bereits  im  Julius  Caesar  slavische  Namen  z.  B.  der 
Donau  fand.  Doch  hat  man  sich  dabei  vor  Extravaganzen  zu  hüten,  in 
welche  z.  B.  KoUar  in  seiner  Staroitalia  Slovanskä  verfiel,  und  soll  nicht 
vergessen,  dass  es  auch  bei  Namen  ein  indoeuropäisches  Gemeindegut  gibt. 
Die  mittelalterlichen  Annalisten  waren  zumeist  Geistliche,  z.  B.  Cosmas, 
der  erste  Geschichtsschreiber  Böhmens,  welches  Wunder  dann,  dass  eine 
solche  Menge  und  eine  so  geraume  Zeit  die  Geschichte  der  böhm.-sloven. 
Länder  in  der  Hand  der  Lateiner  blieb.  Und  doch  haben  wir  eine  schon 
im  Jahre  1314  beendete  böhmische  Kronik  in  gereimten  Versen,  wir 
meinen  den  sogenannten  Dalimil,  der  sich  auf  viel  frühere  Kroniken  be- 
ruft (Musejn.   1861.  S.  116). 

7.  Am  ersichtlichsten  ist  die  Selbstbefreiung  der  böhm.  Sprache  von 
der  lateinischen  in  den  theologischen  Schriften.  Denn  nicht  nur  dass  die 
slavische  Liturgie  bei  den  böhm.-sloven.  Völkern  die  heimische  Sprache 
mit  dem  Gottesdienste  bei  weitem  mehr  versöhnte,  als  z.  B.  bei  den  be- 
nachbarten Deutschen:  so  ist  auch  die  hieratsche  Uebersetzungsliteratur 
der  Böhmen,    namentlich   des  Psalters   und    der  Evangelien,   so    in  das 

3 


34 

Altertum  greifend,  dass  man  daraus  auf  die  frühe  Notwendigkeit  der 
böhm.  Bibelübersetzungen  mit  Recht  schliessen  kann,  die  wiederum  den 
früheren  Gebrauch  der  böhm.  Sprache  bei  der  Liturgie  auch  der  lateini- 
schen Kirche  voraussetzt. 

8.  Diese  kultur-  und  literaturhistorischeu  Deductionen  bestätigen  auch 
die  so  frühen  und  häufigen  Glossen  und  Interlinearversionen  in  theolo- 
gischen Schriften,  z.  B.  Predigten,  die  lateinisch  verfasst,  böhmisch  gehal- 
ten wurden.  Am  frühesten  sehen  wir  dies  in  einer  lateinischen  Pergamen- 
handschrift  aus  dem  12.  Jhrh.  (Signatur  3.  F.  6.  der  Universitätsbiblio- 
thek zu  Prag).  Die  Geschichte  dieser  Handschrift  findet  man  in  den 
Sitzungsberichten  der  könig.  böhm.  G.  d.  W.  zu  Prag  vom  12.  Novbr. 
1866,  worin  gezeigt  wird,  dass  diese  Schrift  nicht  ein  Homiliare  eines 
Prager  Bischofes  ist,  sondern  eine  Art  theologischer  Chrest07nathie,  und 
zwar  dazu  nur  einer  ^6scÄnyif  von  wenigstens  3 — 4  theologischen  Muster- 
sammlungen. Die  Glossen,  welche  bisher  nur  in  den  Sitzungen  der  kön. 
böhm.  Gesellschaft  zu  Prag  besprochen  worden  sind,  sind  nicht  von  einer 
Hand  und  auch  nicht  in  einer  Zeit  geschrieben.  Manche  sind  auch  nur 
mit  Blei,  wie  hingehaucht  geschrieben.  Ihre  eigentümliche  Orthographie 
gibt  auch  ein  hinreichendes  Zeugniss  ab,  wie  sehr  die  Fülle  böhmischer 
Laute  mit  dem  relativ  ärmlichen  latein.  Lautalphabete  zu  kämpfen  hatte. 
Der  Satz  z.  B.  v  kteryz  kolivek  den  obrätil  se  bude  hriesnik  od  sve  zle 
cesty,  ist  wie  folgt  geschrieben:  „wterizqoliuek  den  obratilse  bude  hresni 
od  suve  zlechesty."  Wie  schon  hieraus  ersichtlich,  enthält  der  Codex  ei- 
gentlich Fragmente  von  Interlinearversionen. 

Von  den  Glossen  desselben  mögen  nur  wenige  dastehen:  Fol.  130 
vita  vivet:  ziuotem  ziu  bude  —  vocari  filii:  lozviuati  sa  (se?)  sinoue  — 
pater  omniura  nostrum:  othcch  ws<h  nass.  —  Von  einer  anderen,  viel 
altern,  fast  vollständigen  Interlinearversion,  nämlich  des  Fragmentes  des 
Johannes i'vangeliums  aus  dem  10.  Jhrh.  gaben  wir  schon  oben  Kunde,  hier 
erinnern  wir  daran,  dass  diese  letztgenannten  noch  halb  kirchenslavisch, 
jene  des  Codex  3.  F.  6  aus  dem  13.  Jhrh.  herrührend  schon  rein  böh- 
misch ist.  Es  entstund  in  den  spätem  Jahrhunderten  in  Böhmen,  nament- 
lich bei  theologischen  Schriftstellern,  auch  ein  widerliches  Ding  einer  ma- 
caronischen  latein.  böhm.  Mischsprache,  wie  man  solche  in  Predigtform 
im  Maly  vybor,  Prag,  1863.  S.  31—37.,  in  Form  von  Sprichwörter- 
erklärungen in  der  Litcratura  pfislovnictvi  (Prag,  1853.  S.  25.  26)  be- 
rührt findet.  Auch  Rechts- Formelbüch  r  finden  sich  in  solcher  Weise  vor,  da 
die  Latinität  in  manchen   Kreisen  eine  Art  Zwangskurs  hatte. 

Wir  müssen  hier  noch  einmal  der  verschiedenen  Orthographien 
gedenken,  die  bei  diesen  literarischen  Selbstbefreiungsprocessen  des  Böh- 
mischen aus  den  Banden  des  Lateinischen  tatsächlich  sind.  Ihre  Formen 
lassen  sich  nach  Klassen  unterscheiden  und  werden  einst  eine  Geschichte 
der  böhm.  Ortliographie  zu  Stande  bringen.  Bei  den  einen  herrscht  z, 
B.  nur  das  lateinische  Alphabet,  bei  den  anderri  aber  schon  das  ger- 
mcmmr^ -lateinische  Alphabet  vor,  z.  B.  mit  dem  Doppel -m  oder  w. 
So  kennt  z.  B.  die  Interlinearversion  des  Johannes-Evangelium  noch  kein 
w,  «ben  so  wie  die  Grünberger  Handschrift,   zu  welcher  wir  sogleich  ge- 


35 

langen.  Sie  schreibt  z.  B.  iiueri  (uveri,  nun  uvefi),  uace  (viace,  nun  vice), 
uecinu  (nun  vecinu),  tdetauo  (Vletavo,  nun  Vltavo).  Das  oben  erwähnte 
relativ  älteste  Daliinilfragment  schreibt  aber  im  Anfange  des  14.  Jh  schon 
wie  folgt:  ziw  (ziv),  kralowslw  (krälovstvu),  modlitw  (modlitvu),  loaczla- 
uoui  (Vaclavovi),  mhinithi  (mluviti).  S.  Musejn.  1861.  S.  117.  — Dabei 
sind  wiederum  zwei  Formen  in  der  Beziehung  zu  unterscheiden,  dass  die 
einen  (altern)  Formen  der  Orthographie  nur  durch  lateinisch  dnfache 
Buchstaben  die  bölim.  Töne  andeuten,  die  andern  jedoch  durch  Zusam- 
mensetzungen die  böhra.  Toneigentümlichkeit  auszudrücken  sich  bemühen, 
z.  B.  othech  für  otec,  7iass  für  nas.  Diakritische  Zeichen  erfand  erst 
Hus  füi-  das  böhm.  Alphabet  (Slav.  Bibl.  II.  173),  das  in  den  neuesten 
Zeiten  zu  einer  Art  Pasü/raphie  verwendet  wurde.  Schreibschulen  muss 
man  sohin  über  alle  Länder  der  böhm.  slovenischen  Stämme  und  zu  allen 
Zeiten  sich  verbreitet  denken,  so  dass  die  Geschichte  der  böhra.  Ortho- 
graphie einst  zu  wichtigen  llesiütaten  des  Entwicklungsgeschichte  der 
lateinisch-böhra.  Schrifttumes  selbst  führen  wird. 


14.  Die  lateinische  Schrift  im  Dienste  der  heidnisch- 
böhmischen  Literatur. 

Die  oben  erwähnte  Orthographie  dm'ch  einfache  Lautzeichen  des 
ÄeicZwisc/i -lateinischen  Alphabetes  ist  insofern  noch  insbesondere  beachtens- 
wert, als  sie  die  Schreibweise  des  noch  vorchristlichen  heidnischen  Böhmens 
gewesen  zu  sein  scheint.  Denn  das  lateinische  Christentum  kam  ja  an 
die  Böhmen  in  römisch-germanischer  Form,  sohin  auch  mit  dem  germa- 
nisirt-lateinischen  Alphabete,  mögen  wir  dabei  schon  an  die  Tatsache 
vom  J.  845  in  Rcgenshurg  oder  aber  erst  an  die  Tatsache  vom  J,  973 
in  Prag  (Gründung  des  Bistums)  denken;  die  erste  Tatsache  brachte  das 
germanisirte  Alphabet  in  eine  Seite  der  Peripherie  des  Landes,  die  zweite 
aber  in  das  Centrum,  das  da  bestimmt  war,  kirclilich  nicht  nur  über 
ganz  Böhmen,  sondern  auch  über  Mähren  und  Schlesien,  ja  auch  über 
die  Slovakei  und  einen  Teil  Polens  zu  herrschen.  In  allen  diesen  Län- 
dern finden  wir  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  die  Wirksamkeit  des 
germanisirien  Alphabetes,  z.  B.  in  dem  Gebrauche  des  germanischen  W 
bei  den  Polen. 

Wenn  nun  tatsächlich  die  älteste  böhm.  Literatur  ein  nichtgerma- 
nisches und  insofern  nichtkirchliches,  rein  lateinisches  Alphabet  auf- 
weiset: so  ist  der  Schluss  erlaubt,  dass  man  auch  noch  vor  der  Chri- 
stianisirung  in  Böhmen  in  reinweltlichen  d.  i.  heidnischen  Angelegenheiten 
lateinisch  schrieb,  nicht  etwa  in  dem  Sinne,  als  ob  das  Latein  die  Scln-ift 
des  heidnischen  Volkes  gewesen  wäre,  sondern  in  dem  Sinne,  dass  ein- 
zehie  Böhmen,  in  wie  ferne  sie  in  den  christlichen  Jahrhunderten  immer 
mehr  in  nähere  Verhältnisse  mit  schriftführenden  Völkern  gekommen,  ge- 
nötigt waren,    die  lateinische  Schrift   in  ihre  Kulturzuständc  aufzunehmen. 


36 

was  etwa  nicht  blos  an  den  Höfen  der  Fürsten  (in  den  2upenburgen)  not- 
wendig gewesen  sein  wii*d. 

Wir  stehen  sohin  durchaus  nicht  an  zu  behaupten,  dass  schon  in 
den  Zeiten,  als  das  Christentum  an  Böhmen  in  glagolischer,  dann  kyrili- 
scher  Form  herangerückt  war,  hie  und  da  im  Lande  und  zwar  in  welt- 
lichen Dingen  böhmisches  mit  lateinischer  Schrift  sich  aufgezeichnet 
fand,  d.  h.  dass  es  eine  böhm.  heidnische  Literatur  mit  lateinischen 
Schriftcharakteren  gab.  Ja  in  der  Zwischenzeit  —  als  das  Glagolische  und 
Kyrilische  um  die  Autorität  kam  —  das  germanisirte  Alphabet  aber  noch 
nicht  in  Uebung  war,  transscribirte  man  sogar  selbst  aükirchenslavisches, 
z.  B.  in  dem  Johannisevangeliumfragmente,  mit  heidnisch-lateinischer 
Orthographie. 

Alle  Schriftsteller  sind  darüber  einig,  dass  das  Heidentum  in  Böh- 
men im  ganzen  ersten  christlichen  Jahrtausende  und  weit  darüber  hinaus 
noch  starke  Wurzeln  im  Volke  hatte,  die  man  von  allen  Seiten  durch 
christliche  Völker,  namentlich  seit  Karl  der  Grosse  das  weltl.  Schwert 
des  röm.- katholischen  Christentums  geworden  war,  bedroht  fand.  Wie 
sollten  also  in  solchen  drängenden  Verhältnissen  die  selbstbewussten  An- 
hänger des  Heidentums  wenigstens  darauf  nicht  ihre  Aufmerksamkeit  ge- 
richtet haben,  durch  die  Mittel,  welche  ihnen  die  drängenden  Christen 
selbst  boten,  durch  die  latemische  Schrift  nämlich,  die  heidnischen  Natio- 
naläusserungen  wenigstens  aui  ideeUeiyi  Gebiete,  nämlich  seitens  der  altna- 
tionalen Sagen  und  Erinnerungen,  zu  fixiren  und  den  späteren  IS  achkom- 
men zu  erhalten,  besonders  , da  sie  eingesehen  haben  mochten,  dass  sich 
auf  realem  Gebiete  das  Heidentum,  wol  nicht  mehr  werde  halten  lassen. 

Ein  solches  Bestreben  und  Bemühen  sehen  wir  eben  in  der  Samm- 
lung heidnischer  Nationalsagen,  wovon  sich  leider  nur  die  beiden  Fragmente 
der  Grünberger  Handschrift  erhielten.  Sie  werden  aus  palaeographischen 
und  linguistischen  Gründen  in  das  Ende  des  9.  oder  den  Anfang  des  10. 
Jahrhunderts  verlegt. 

Die  G.  H.  ist  das  natürlichste  Kulturphänomen,  das  man  in  der 
Uebergangszeit  des  Heidentums  in  das  Christentum  erwarten  kann ;  sie 
ist  eine  ähnliche  Erscheinung,  wie  auf  slavischera  Gebiete  noch  das  rus- 
sinischc  Epos:  Slovo  o  phku  Igorove  (Kalajdovic:  parajatniky  ross. 
slovesn.  12.  veka.  Moskau.  1822.  —  Hattala,  Prag,  1858),  auf  germa- 
nischem Boden  aber  u.  a.  das  Nibelungenlied  ist.  Ja  sie  ist  dieselbe 
Erscheinung,  wie  Cosmas  Kronik,  indem  demselben  derselbe  Beweggrund, 
allerdings  vom  christlichen  Standpunkte,  zum  Grunde  lag,  nämlich  der 
Drang,  das  Geschehene  dem  Gedächtnisse  der  Zukunft  aufzubewahren. 
Nur  war  Cosmas,  der  schon  im  J.  1125  starb,  obschon  verheirathet, 
Canonicus  des  Prager  Domcapitels  (Dobrovsky :  de  sacerdotum  in  Bohe- 
mia  coelibatu.  Pragae.  1787),  sah  daher  mit  Verachtung  auf  das  Heiden- 
tum herab  und  verfiel  in  den  allgemeinen  Fehler  der  mittelalterlichen 
Chronisten,  das  Heidentum  nur  als  Zustand  der  Rohheit  aufzufassen.  Sonst 
zeigt  seine  oft  geschnörkelte  Schreibweise  deutlich  genug,  dass  ihm  Salust, 
Vergil  und  Boctliius  geläufig  genug  waren,  dass  sohin  das  Studium  römisch- 
heidnischer  Classiker  bei  hervorragenden  Männern  Böhmens  gepflegt  genug 


37 

war,  um  das  lateinische  Alphabet  dazu  benützen  zu  können,  alte  poetisch 
erfasste  Nationalsagen  in  kunstgerechter  Form  der  Vergessenheit  zu  ent- 
reissen.  Konnte  ja  doch  der  greise  Cosmas,  ein  so  erklärter  Feind  des 
Heidentums,  nicht  umhin,  von  der  fabulosa  senu/n  relatione  d.  i.  von 
den  mythischen  Sagen,  wie  sie  die  ältesten  Böhmen  erzählten,  wenigstens 
einzebe  Momente  uns  aufzuzeichnen.  Ach !  hätte  er  es  nur  in  vollerem 
Masse  getan. 


15.    Heidnischer    Fortbestand    des    christianisirten 

Böhmens. 

Es  ist  schwierig,  selbst  nach  dem  10.  Jahrh.  Böhmen  schon  als  in 
allen  Schichten  der  Bevölkerung  christianisirt  sich  zu  denken.  Tatsäch- 
lich war  ja  auch  Böhmen  politisch  nicht  so  concentrirt,  keine  solche  po- 
litische Einheit,  wie  sie  es  im  Verlaufe  der  Pfemyslidenherrschaft  erst 
wurde,  dass  eine  Aenderung  im  Centrum  des  Landes,  wie  z.  B.  die  Chri- 
stianisirung  des  Hofes  unter  Bofivoj,  auch  schon  eine  durchgreifende 
Aenderung  gegen  die  Peripherie  des  Landes  hin  zur  Folge  hätte  haben 
können,  oder  gar  haben  müssen. 

Böhmen  war  seit  jeher,  d.h.  seit  die  ausserarischen  Völker  Eui'opa's 
den  arischen,  aber  gleichfalls  autochthoneu  Völkern,  und  zwar  vorzugsweise 
denen  litauischen  Stammes,  haben  weichen  müssen,  von  Slaven  bewohnt, 
die  sich  schon  in  Urzeiten  aus  ihrer  karpatischen  Heimat  bis  dahin  er- 
streckten. Sie  waren  jedoch  in  ihrer  nationalen  Entwickelung  nach- 
einander durch  die  kriegerische  Besitzname  der  Länder  und  als  Folge 
derselben  durch  die  Oberherrschaft  der  Bojer,  Markomannen,  endlich 
der  Avaren  gestört,  ohne  je  das  Land  völlig  verlassen  zu  haben,  bis  in 
der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  diese  fremden  Völker  und  Horden  aus 
der  kriegerischen  Geschichte  herausgedrängt,  den  slaviscben  durch  sie 
bisher  unterdrückten  Böhmen  die  gestörte  uralte  Verbindung  mit  ihren 
slaviscben  Verwandten  in  den  Karpateuläudern  ermöglichten.  Durch  neu 
angekommene  Stämme  verstärkt  begannen  sie  sich  —  was  sie  vielleicht 
schon  oft  versucht  hatten  —  slavisch  zu  orgauisiren,  d.  i.  in  Zupen  zu 
gliedern,  welche  i^upen,  obschon  dialektisch  und  sohin  auch  national  eigen- 
tümlich von  einander  unterschieden,  doch  durch  das  allgemeine  Slaven- 
beiousstsein  und  gemeinsame  religiöse  Verehrung  um  eine  Centralzupa 
(wahrscheinlich  Vysegrad,  die  Hochbm-g,  wo  die  religiöse  Verehrung 
ihren  Hauptsitz  hattej  sich  gruppirteu,  wie  dies  in  allen  anderen  slaviscben 
Ländern  auf  ähnliche  Weise  der  Fall  war.  Weil  eben  die  hindernden 
kriegerischen  Besatzungen  Böhmens  von  dem  historischen  Schauplatze 
schwanden,  trat  mit  und  nach  Samo's  Auftreten,  der  das  letzte  Hindernis, 
die  Avarenbesatzung,  beseitigt  hatte,  in  Böhmen  die  slavische  religiös- 
politische Organisation  in  den  Vordergrund  der  Geschichte:  es  werden 
nämlich  nationale  Sagen,  nationale  Gebräuche  und  eine  nationale  Central- 
regierung  sichtbar,    d.  h.  es  beginnt   in  Böhmen   die    wahre  Geschichte, 


38 

das  wahre  slavische  Leben  der  Böhmen,  wobei  anfänglich  die  Ceclien 
nur  die  Bewohner  der  Centralzape  waren,  während  andere  slavische 
Stämme  die  Peripherie  des  Landes  bewohnten.  Daher  auch  die  Erschei- 
nung in  der  Geschichte,  dass  mit  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  die  frem- 
den Quellen  über  Böhmen  zu  sprechen  aufhören  und  ainheitnische  Quel- 
len, zunächst  in  Sagenform,  in  das  Innere  der  Geschichte  Böhmens  einen 
Blick  gewähren.  Kaum  hatte  diese  Art  heimischer,  heidnischer  Organi- 
sation, oder  slavischer  Centralisation,  wobei  nicht  alle  Zupen  als  gleich 
fügsam  sich  bewiesen,  da  sie  auch  aus  nicht  ganz  gleichartigen  Elementen 
bestehen  mochten,  einige  Festigkeit  zu  erlangen  begonnen,  so  kam  an 
Böhmen  eine  neue  Einwirkung  von  Aussen,  diesmal  kulturhistorischer 
Wesenheit  heran,  nämlich  das   Christentum. 

Es  ist  daher  gleich  zum  vornherein ,  anzunehmen,  dass  dasselbe  nur 
Schritt  für  Schritt  und  mit  innerem  Widerstände  sich  verbreitete  und  dass 
es  Jahrhunderte  lang  Teile  von  Böhmen,  entfernt  von  dem  christianisirten  und 
christianisirenden  Centrum  gegeben  hatte,  die  da  bei  den  alten  heimisch-heidni- 
schen Sitten  geblieben  waren  und  diese  zu  erhalten  trachteten.  Belege  dafür 
anzuführen  ist  eigentlich  überflüssig,  da  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag  un- 
glaublich viele  heidnische  Gebräuche,  wenn  auch  meist  nur  in  abergläubischer 
Form,  sicherhalten  haben  (Bajeslovny  kalendäf.  Prag,  1860).  Beleg-Stellen 
aus  Concilienbeschlüsseu,  Synodalresultaten,  Poenitentialen,  falls  sie  nicht 
eigentümliches  geben,  sind  jedoch  nur  sehr  vorsichtig  zu  benützen,  da 
sie  gewöhnlich  nur  in  hieratisch  feststehenden  Formen  sich  bewegen  und 
Jahrhunderte  lang  unverändert  sich  fortpflanzen,  ohne  ein  bestimmtes  Land 
und  eine  bestimmte  Zeit  im  Auge  zu  haben.  Also  nur  Specialitäten  sol- 
cher Belege  sind  für  das  Bestehen  des  Heidentumes  in  Böhmen  bewei- 
send. Darunter  verdient  denn  Cosmas  den  ersten  Platz,  da  er  von  seiner 
eigenen  Zeit  (1045  bis  1125)  sagte:  dass  viele  Landbewohner  geradezu 
wie  Heiden  lebten;  deshalb  hätte  schon  Herzog  Bfetislav  (1092)  Zauberer 
und  Wahrsager  aus  Böhmen  ausgewiesen,  Haine  und  heidnisch  verehrte 
Bäume  ausgerodet,  die  Gewohnheit  in  Wäldern  und  Feldern  die  Toten 
zu  bestatten,  nicht  geduldet,  so  wie  auch  die  Sccnen  auf  Kreuzwegen  (in 
biviis  et  in  triviis),  die  gleichsam  zur  Beruhigung  der  Seelen  vorgenom- 
men wurden  (quasi  ob  animarum  pausationem) . 

In  Bezug  auf  Concilienbeschlüsse  führen  wir  aus  dem  J.  1366  eine 
merkwürdige  Specialität  als  Beispiel  an:  „In  einigen  Burgen,  Städten  und 
Dörfern  nahm  der  Missbrauch  bei  Klerikern  und  Laien  überhand,  dass 
sie  in  der  Mitte  der  Fastenzeit  Bilder  in  der  Gestalt  des  Todes  (im- 
maglnes  in  figura  mortis)  durch  die  Burgen  unter  abergläubischen  Ge- 
sängen und  Spielen  (cum  rythmis  et  ludis  supcrstitiosis)  zum  Flusse  tra- 
gen, um  sie  dort  gewaltsam  (cum  impetu)  zu  untertauchen,  wornach  sie 
behaupten,  dass  ihnen  fortan  der  Tod  nicht  schaden  könne,  da  sie  ihn 
aus  ihrem  Bezirke  ausgeschieden  und  vernichtet  hätten."  (C.  Hößer: 
Concilicn.  S.  10.  N.  8).  Wer  würde  in  diesen  Worten  nicht  die  noch 
herrschende  Sitte  des  slavischen  „Todansiragens^^,  d.  i.  die  Verwand- 
lung der  Morana  in  die  Vesna  wiedererkennen,  nur  dass  jetzt  nicht  mehr 


39 

Kleriker,  sondern  blosse  Kinder  daran  Teil  nehmen  und  auch  nicht  mehr 
durch  Burgen  (die  Sitze  ehemaliger  Heiligtümer)  zum  Flusse  ziehen. 
Diese  Sitte  verbot  auch  noch  die  Prager  Synode  vom  J.  1384  (1.  c. 
S.  31.  N.  13).  Ja  in  der  Synode  vom  J.  1407  heisst  es  noch,  dass  viele 
"Weissager  aus  Losen,  Beschreier  und  Beschreierinnen  in  verschiedenen 
Pfarreien  sich  aufhalten  und  üftentlich  geduldet  werden  und  zwai-  selbst 
von  den  Pfarrern  (1.  c.  S.  59.  N.   6.). 

In  Handschriften  des  lö.Jahrh.  finden  sich  häufig  Namensverzeich- 
nisse solcher  Personen,  welche  nicht  zur  Communion  zugelassen  werden 
sollen.  Darunter  kommt  viel  ins  Heidentum  Einschlagende  vor.  Wir  füh- 
ren davon  nur  das  an,  was  mit  böhmischen  Namen  begleitet  ist.  So  heisst 
es  z.  B.  im  Codex  der  Univ.-Bibliotliek  5.  H.  27.  Blatt  170  :  Incanta- 
tores,  zaklinaci  (eigentl.  Fluchende) ;  sortilegi,  carodejnlci  (würtl.  Striclie- 
machende) ;  divini,  hddaci ;  koriagi  (karagi),  navdzaci  (eigentlich  Anbin- 
dende) et  sunt  qui  characteres  (also  Zeichen-Schriften)  aut  evangelium 
circa  se  ligant;  arioli,  svatokuzedlnici,  cum  consceratis  rebus  nefanda 
operantes  ;  casokuzelni,  qui  dies  et  horas  observant  eundi  et  revertendi 
u.  s.  w.  —  Im  Codex  9.  B.  9.  finden  wir  u.  a.  folgende  Sondernamen : 
neben:  kuzedlnici^  hddaci,  darodejnici,  viesci  (Wahrsager),  zaklinaci,  le- 
kovnici  (Wunderdoctoren),  es  werden  nämlich  noch  genannt :  baby  (Matronen) 
et  qui  ad  eas  vadant,  ancillae  cum  famnlis  (junge  Mägde  u.  Diener)  vel 
viri  cum  mulieribus  risus  velcachinos  etpohddkij  (d.  i.  Märchen)  proferentes. " 

Wenn  man  nun  daraus  auch  nicht  den  Schluss  auf  das  Dasein  vie- 
ler von  einander  gesonderten  Arten  von  Zauberern  machen  darf,  so  die- 
nen sie  doch  zum  Beweise,  dass  selbst  noch  im  15.  Jahrh.  heidnische 
Ansichten  und  Sitten  in  Böhmen  herrschten.  Die  „pohddki/"  d.  i.  Mär- 
chen z.  B.  sind  in  der  gelehrten  Literatur  Europas  in  neuerer  Zeit  als 
Stücke  heidnischer  Theologie  bereits  anerkannt. 

Unbefangene  und  den  Kulturprocessen  mit  Verständniss  folgende 
Denker  werden  sich  daher  nicht  wundern,  in  der  Literatur  der  Böhmen 
vom  9, — 13.  Jahrh.  epische  Gesänge  oder  Epe7i-,  und  Liedercyklen  zu 
finden,  wie  sie  in  der  Grünberger-  und  Küniginhofer  Handschrift  ent- 
halten sind,  zu  welchen  wir  uns  nun  insbesondere  wenden  wollen. 


16.  Aeussere  Vorgänge  bei  der  Auffiiidung  der  Grün- 
berger Handschrift,  früher  „Gericht  Libusa's"  genannt. 

Im  J.  1816  wurde  der  bisherige  Oberamtsschreiber  der  Colloredo- 
Mansfeld'schen  Herrschaft  Grünberg  (Zelena  hora),  bei  Nepomuk  in  Böh- 
men, zum  Rentmeister  befördert.  Als  solcher  hatte  er  auch  die  beiden 
Wirtschaftsgewölbe  des  Schlosses,  worin  damals  auch  das  alte  Schloss- 
archiv reponirt  war,  unter  seiner  Aufsicht.  In  dem  rückwärtigen  etwas 
finstern,  aber  grösseren  Gewölbe  fand  er  im  J.  iVl  7  unter  anderen  alten 
Schriften  und  Büchern,  in  Staub  und  Schmutz  gehüllt,  vier  Blätter  kleinen 
Quartpergamens   oder  wenn  man   will  in  Gross-Octavform,    die  er,    ohne 


40 

sie  entziffern  zu  können,  dem  Dechant  von  Nepomuk,  Franz  Bauhel 
brachte.  Dieser  entzifferte  so  viel  heraus,  dass  es  sich  darin  um  ein  Ge- 
richt der  Lubusa  handle  und  dass,  wie  er  meinte^  mehrere  Ortsnamen 
darin  vorkämen,  die  in  der  Umgebung  von  Nepomuk  wohl  bekannt  waren. 
Das  Jahr  darauf  ergieng  am  15.  April  im  Namen  des  obersten  Burggrafen 
Franz  Karl  von  Kolovrat  die  feierliche  Bekanntmachung  der  Gründung 
des  böhmischen  Museums  in  Prag  zugleich  mit  der  Aufforderung  zu  Bei- 
trägen für  dasselbe,  woran  in  der  Tat  die  edelsten  Geschlechter  Böhmens 
und  die  ausgezeichnetsten  Patrioten  den  eifrigsten  Anteil  nahmen.  S.  dar- 
über Jungmann  in  Kramerius  Vlastenecke  noviny,  1818.  N.  17.  25.  April. 
Es  riet  sohin  auch  der  Dechant  von  Nepomuk,  Koväf  möge  die  aufge- 
fundenen Pergamenblätter  dem  böhm.  Museum  einliefern.  Mit  dem  un- 
ordentlichen und  oft  trunkenen  Koväf  war  indess  seine  Herrschaft  unzu- 
frieden, sohin  auch  er  mit  ihr.  Und  so  schrieb  er  denn  in  einem  unüber- 
legten Zustande  voll  Unmut  folgenden  Brief  an  den  obersten  Burggrafen 
und  dazu  nur  mit  Bleistift:  „Ew.  Exe.  In  uuserm  Hausarchive  lagen 
anliegende  vier  Blatt  Pergament  vielleicht  Jahrhunderte  lang  im  Staube 
verworfen.  Da  ich  aber  die  erhabenen  Gesinnungen  meines  Herrn,  der 
ein  eingefleischter  deutscher  Michel  ist,  in  Rücksicht  des  Nationalmu- 
seums kenne,  denn  er  würde  es  lieber  verbrannt  oder  verfault  sehen, 
als  selbes  dieser  Anstalt  zu  schenken,  so  verfiel  ich  auf  den  Gedanken, 
diese  Blätter  an  Ew.  Exe.  anonym  zu  senden,  denn  unter  meinem  Namen 
liefe  ich  Gefahr  meines  Dienstes  verlustigt  zu  werden  (sie)  und  bitte  selbe 
diesem  vaterländischen  Institute  von  einem  ungenannten  loahren  Patrioten 
zu  verehren.  Ihren  Inhalt  konnte  ich  nicht,  obwol  ich  weder  Zeit  noch 
Mühe  sparte,  zusammen  bringen  und  bin  sehr  neugierig  darauf.  Ich  hoffe, 
der  böhmische  Professor  oder  ein  anderer  böhm.  Gelehrte  wird  es  nicht 
so  schwierig  finden.  Schade,  dass  sich  die  Schwärze,  wie  ich  den  Staub 
mit  feuchtem  Schwämme  abwischte,  nachher  ins  Grüne  verwandelte."  — 
Der  Oberstburggraf  übersendete  den  Brief  und  die  4  Pergamen- 
blätter, welche  Koväf ^  in  Prag  angekommen,  selbst  in  den  Briefkasten  der 
Kleinseitner  Post  geworfen,  als  er  Ende  October  1818  nach  Prag  ge- 
fahren war,  an  den  Grafen  Caspar  Sternberg,  welcher  die  Seele  des  jun- 
gen Museums  war,  und  Sternberg  sandte  alles  wieder  an  Ant.  Jaroslav 
Puchmayer  (1769  tl820),  deu  Pfarrer  seiner  Herrschaft  zuRadnice  bei 
Prag.  Puchmayer  bog  jedoch  die  Blätter  irrig  um,  so  dass  ihm  die  3. 
Seite  zur  ersten  ward  und  er,  obwohl  der  Buchstaben  fast  überall  Herr 
geworden,  doch  nicht  Herr  weder  des  Sinnes  einzelner  Worte  noch  des 
ganzen  Zusammenhanges  werden  konnte.  Er  übersendete  daher  am  20. 
December  sein  Facsimile  sammt'  einem  umständlichen  Berichte  an  den 
Linguisten  Jos  Bobrovski)  (1753  f  1829),  der  in  seinem  höheren  Alter 
oft  verdrüsslich,  je  gemüthskrank  war,  und  den  Missgriff  Puchmayer's 
nicht  erkennend,  das  Original  im  Jahresanfänge  1819  für  unterschoben 
erklärte.  (Literdrnl  püsobeni  Jos.  Dobrovskeho.  4°  Prag,  1867.  Abhandl. 
d.  böhm.  Gesellschaft  etc.  15.  B.).  Jos.  Jungmann  und  V.  Hanka  gelang 
es  aber  die  Blätter,  in  die  rechte  Lage  zu  bringen  und  zu  erklären,  wor- 
auf Dobrovsky-  beide  sammt  dem  bei  Hanka  wohnenden  Linda,  einem  Ama- 


41 

nuensis  der  Prager  Univ. -Bibliothek,  geradezu  für  die  Fälscher  erklärte 
(Musejn.  1837.  S.  244).  Jungmauns  bekannte  edle  Haltung  und  Ottenbeit 
vernichtete  gar  bald  diesen  Verdacht,  den  das  unbeholfene  Benehmen 
Hanka's  leider  nur  nährte. 

Als  endlich  nach  manchen  literarischen  Kämpfen  pro  und  contra 
Palack^  und  Safafik  im  J.  1840  in  den  „Aeltesten  Denkmälern  der 
böhm.  Sprache"  mit  wissenschaftlichen  Gründen  jeder  Art  die  Echtheit 
nachgewiesen  hatten,  verstummte  durch  18  Jahre  jeder  wissenschaftliche 
Angriff,  bis  endlich  im  J.  1858  ein  Anonymus  in  dem  Prager  politischen 
Blatte  „der  Tageshote''  wiederum  gegen  Hanka  auftrat.  Hanka  hatte  in- 
dess  auf  Privatwegen,  namentlich  durch  den  gräflich  CoUoredo'schen  Ge- 
mäldegallerie  Aufseher  Franz  Horcicka,  den  wahren,  oben  geschilderten  Her- 
gang der  Auffindung  erfahren,  und  klagte,  besonders  da  er  eines  einträglichen 
Falsificirens  und  Verkaufens  böhm.  Manuscripte  zunächst  nach  Russland  mit 
beschuldigt  worden  war,  mit  Erfolg  auf  Ehrenbeleidigung.  Das  Gericht 
Hess  nun  die  eingehendsten  Untersuchungen  über  Hanka's  Entdeckung  der 
König.  Handschrift  im  J.  1817  anstellen,  womit  seitens  der  Grünherger 
Handschrift  Privaterkundigungen  und  Zusammenstellungen  von  Zeugnissen 
Hand  in  Hand  giengen.  Diese,  meist  auf  Aussagen  noch  lebender  Zeugen, 
die  sonderbarer  Weise  bis  jetzt  geschwiegen  hatten,  sammt  den  Gerichts- 
resultaten, stellten  den  geschilderten  Tatbestand  des  Einsendens  und  die 
Unschuld  Hanka's  seitens  der  Kön.  Handschrift  vollständig  an  das  Licht. 
Dies  hatte  die  Veurteilung  des  Redakteurs,  welcher  sich  mit  dem  Ano- 
nymus identificirt  hatte,  zur  Folge. 

Die  Literatur  über  diese  Vorgänge  und  die  Geschichte  der  noch 
späteren  Angriffe  wird  unten  angeführt  werden. 


17.  Aeussere  Beschaffenheit  der  Orüiiberg^er  Fragmente 
nach  Pergamen  und  Schrift. 

Eine  ganz  genaue  diplomatische  Beschreibung  der  Handschrift  wäre 
itzt  überflüssig,  als  solche  in  den  ältesten  Denkmälern  der  böhm.  Sprache 
seit  1840  bereits  vorliegt.  Es  sind  sohin*  nur  Zusammenfassungen  und 
Nachträge  nötig.  Die  erhaltenen  vier  Quartblätter  waren  einst  ein  Duer- 
nion  in  einem  grösseren  Pergamencodexe,  der  wie  viele  andere  durch  den 
Buchbinder  zerstört  und  verbraucht  wurde.  Aber  eben  darum  ist  es  noch 
immer  möglich,  dass  in  bisher  unbeachtet  gebliebenen  jüngeren  Hand- 
schriften oder  älteren  Druckbüchern  einst  ergänzende  Fragmente  werden 
gefunden  werden.  Der  Buchbinder  beschnitt  aucli  die  vorliegenden  Blätter, 
um  sie  als  Vorsetzblätter  (pfideSti )  eines  Quart-Buches  von  1 00  Pariser 
Linien  Höhe  und  71  Linien  Breite  zu  benützen,  wobei  jedoch  glücklicher 
Weise  nur  auf  der  3.  Seite  einige  Buchstabenteilchen  ergriffen  \\-urden. 
Ob  der  Auffinder  Kovär  die  Fragmente  aus  dem  Buclie  schon  losgelöst 
vorfand  oder  selbst  erst  daraus  befreite,  ist  nie  bekannt  geworden  ;  wahr- 
scheinlicher ist  jedoch  das  letztere,  weil  sonst  die  Erhaltung  zweier  losen 


42 

Blätter  schwerer  zu  erklären  wäre.  Es  befanden  sich  in  der  Tat  in  dem 
gräflichen  Archive  von  Grünherg  auch  Codices  in  Quartform,  wie  Tomek 
(Musejn.  1859.  S.  44.)  berichtet.  Würden  nun  in  dem  dort  erwähnten 
Codex,  der  über  die  Templer  gehandelt  haben  soll,  die  Pergameublätter 
zu  Vorsätzblättern  gedient  haben,  dann  könnte  man  fast  sicher  sein,  dass 
man  darin  auch  die  Fortsetzung  der  Handschrift  auffinden  würde,  da  die 
Buchbinder  dasselbe  Manuscript  auch,  zu  Streifen  geschnitten,  dazu  ver- 
wendeten, um  die  Nat  der  Duernionen  u.  dgl.  zu  befestigen. 

Das  Pergamen  der  Handschrift  selbst  ist  nun  schmutzig  rothbraun, 
worauf  sich  die  grüngewordenen  Buchstabenreete  kaum  leserlich  abheben, 
sohin  auch  den  zweimal  wiederholten  Versuch,  das  Manuscript,  wie  es 
mit  der  K.  H.  glückte,  photographisch  aufnehmen  zu  lassen,  vereitelten. 
Die  Schrift,  welche  man  in  dem  Facsimile  der  „ältesten  Denkmäler"  ziem- 
lich getreu,  obschon  viel  härter  und  leserlicher  lithographirt  vorfindet, 
läuft  ohne  Wort-  und  Satz -Abtheilung  ununterbrochen  fort.  Man  hat  je- 
doch dabei  auf  ein  dreifaches  Moment  zu  achten: 

a)  Vor  allem  finden  sich  in  der  Schrift  keine  Rubriken  oder  (rote) 
Aufschriften  vor,  ja  es  werden  auch  durch  Majuskeln  keine  Abteilungen 
im  Texte  angedeutet  und  dies  zwar  mit  Ausnahme  des  relativ  grössten 
A  der  ersten  Seite  beim  Anfange  des  zweiten  Gesanges:  Aiuletauo  d.  i. 
AI!  Vletavo  (Zeile  10.  11.).  Durch  alle  anderen  Majuskeln  wurden,  wie 
es  scheint,  nur  zur  Verzierung  ohne  eine  innere  organische  Unterscheidung 
damit  andeuten  zu  wollen,  die  Worte  Griue  (kfive),  Visegrade  (Vy§egrade) 
und  Due  (dve,  Zeile  23,  24,  39,  50,  62,  63)  ausgezeichnet,  wovon  nur 
das  letztere  bei  einem  Hauptabschnitte  des  Gedichtes  zu  stehen  scheint. 
Aber  auch  die  kleinste  Gattung  der  Majuskeln  scheint  ganz  unorganisch 
mit  Minuskeln  abzuwechseln,  so  dass  die  ganze  Handschrift  ein  deutlicher 
Zeuge  des  Uiberganges  der  Majuskeln  in  die  Minuskelschrift  ist. 

b)  Unterscheidungszeichen  (delidla)  finden  sich,  äusserlich  betrachtet, 
zwar  vor,  aber  sonderbare,  nämlich  ein,  drei  und  vier  Punkte,  allein 
selbst  diese  sind  nicht  syntaktische  Unterscheidungszeichen,  sondern  dienten, 
wie  wir  unten  finden  werden,  einem  ganz  anderen  Zwecke.  Ein  einziger 
Punkt,  der  das  erste  Fragment  vom  zweiten  trennt,  kann  syntaktisch  als 
an  seinem  Ort  stehend  betrachtet  werden, 

f)  Dafür  sind  aber  die  Anlaute  aller  Worte  durch  rote  Striche 
kennzeichnet,  was  man  bis  zum  J.  1859  nicht  einmal  bemerkt  hatte 
(Tomek,  musejn.  1859.  S.  105).  Diese  Rubricirung  scheint  ursprünglich 
nicht  in  der  Handschrift  gewesen  zu  sein,  da  der  dadurch  erreichte 
Zweck  der  Wortabtheilung,  wenn  er  in  der  Absicht  des  ursprünglichen 
Schreibers  gewesen  wäre,  durch  einfachere  Mittel  zu  erreichen  war.  Diese 
Rubricirung  geschah  wol  erst  dann,  als  man  beim  Gebrauche  der  Hand- 
schrift auch  manche  andere  Besserungen  darin  vornahm,  um  dieselbe 
leserlicher  zu  machen,  was,  obschon  sie  nicht  durchgängig  gelang,  in 
späterer  Zeit  vor  sich  gehen  musste.  In  der  4.  Zeile  wird  so  geteilt: 
sbozie  mu  iedno  uladu;  20.  Z  secruto;  33.  Z.  otnezlate;  37.  Z.  sestra- 
rodna;  41.  Z  bratrueia;  42.  Z.  zaconucasecnezna ;  G8.  69.  Z.  niraa- 
zuatocudua;    73.  Z.  prauduiasc;    86.   Z.  govori  titicho;     128.   Z.  i  use. 


43 

Manchem  dieser  Missgiüffe  (wie  sie  wenigstens  uns  erscheinen)  mag 
etwa  eine  andere  Leseart,  als  es  nun  unsere  ist,  zu  Grunde  gelegen  sein, 
manchem  eine  andere  Ursache,  wenn  man  nicht  alle  fiir  zufällige  Nicht- 
durchführungen  ansehen  will,  wie  z.  B.  titicho  für  govoriit  ticho. 

d)  Es  kommen  aber  noch  andere  gar  sonderbare  /eichen  in  der 
Handschrift  vor,  die  Ton-  oder  Gesantjs zeichen  zu  sein  scheinen.  Es 
sind  dies  zioölf  verschiedene  Arten  von  seltsamen  Buchstahenformeii 
mitten  in  und  oberhalb  des  Schrifttextes  hingesetzt.  Die  genannten 
Zeichen  der  Anlaute  sind  mit  Zinnober  gerötet,  diese  Gesangzeicheu 
aber  mit  Mennig.  Die  Form  dieser  Buchstaben  ist  nicht  mehr  die  runde 
Antiqua  wie  im  Grundtexte,  sondern  eine  viel  spätere  Letternform,  ihr 
Hineingezeichnet-sein  in  den  Text  gehört  daher  auch  einer  viel  spätem 
Zeit  an.  Man  sieht  die  Formen  dieser  spätem  Schrift  nicht  blos  im  ge- 
nannten Facsiraile,  sondern  auch  S.  28-  im  Texte  der  „ältesten 
D.  M."  Wenn  man  nun  in  Erwägung  zieht,  dass  diese  Tonzeichen  sich 
besonders  in  der  Gegend  der  vier  Majuskeln  und  dann  der  sogenannten 
Unterscheidungspuncte,  die  alle  ebenfalls  mit  Zinnober  gerötet  sind,  häufen, 
so  kann  man  wol  nicht  umhin,  auch  in  den  Anlautzeichen  eine  Ait 
Accentzeichen  zu  erblicken  und  die  genannten  drei  Unterscheidungs- 
puncte selbst  für  eine  Art  Tonzeichen  zu  halten,  wodurch  auch  deren 
scheinbare  Unregelmässigkeit  mit  einem  Male  ihr  Ende  nähme. 

Wir  hätten  demgemäss  eine  doppelte  Art  von  Notenzeichen  in  un- 
serer Handschrift:  eine  uralte  mit  Zinnober  gefärbte  —  und  eine 
spätere,  mit  Mennig  angelegte  ;  jeneist  sehr  einfach,  diese  aber  zusammen- 
gesetzt. Diese  beiderlei  Notenzeichen  sind  aber  wiederum  ein  Beweis, 
dass  wir  in  der  G.  H,  nicht  blose  epische  Gedichte,  sondern,  wie  es 
sich  im  Altertume  ohnehin  anders  nicht  erwarten  lässt,  altböhmische 
epische  Gesänge  vor  uns  haben,  die  Jahrhunderte  lang  in  Uibung  ge- 
wesen sein  mögen.  Dies  wird  vollständig  begreiflich,  wenn  man  erwägt, 
dass  im  tiefen  Altertume  jeder  pathetische  Vortrag  gesangartig  war 
und  zugleich  mit  Musik  begleitet  wurde.  So  hören  wir  z.  B.  in  der 
Kön.  H.  den  den  Aufstand  leitenden  Zäboj  einerseits  „kurze  Worte  zu  den 
einzelnen  Männern  sprechen  {rece}',  aber  anderseits  auch,  wenn  er  er- 
griffen die  Lage  des  unglücklichen  Vaterlandes  schildert  „das  tönende 
Varyto  ergreifen  und  aus  dem  tiefsten  Grunde  seines  Herzens  das  Leid- 
lied singen  (peju  piesn)."'  Ob  und  inwieferne  man  auch  schon  hier  von 
rlem  Unterschiede  eines  blossen  Liedes  {pisen,  carraen,  Recitativ)  und 
Gesanges  [zpev,  cantus,  Melodie)  sprechen  solle  und  dürfe,  überlassen 
wir  zu  entscheiden  gerne  den  Versbau-  und  Musik- Kundigen  (Jirecek 
Echtheit  der  K.  H.  S.  79).  Uibrigens  müssen  wir  ja  selbst  noch  diesen 
Gegenstand  weiter  unten  und  zwar  bei  der  K.  H.  berühren. 

Die  Schrift  der  Fragmente  ist,  wie  schon  gesagt,  die  rM?irfe  latei- 
nische oder  Antiqua,  wärend  die  Menniggesangsbuchstaben  schon  in  die 
eckige  Mönchsschrift  hinüberstreifen.  Die  Form  der  Antiqua  ist  aber  m 
vielen  Zügen  uralt  und  ganz  eigentümlich.  Die  gerundete  Form  des 
Buchstabens  S,  die  manche  an  das  kyrilische  Sigma  (Slovo)  erinnerte, 
findet  sich  auch    in  anderen,   alten  böhm.  Handschriften.  Die  Buchstaben 


44 

selbst  entbehren  aller  diakritischen  Zeichen,  alle  böhmischen  Laute  sind 
mit  den  wenigen  lateinischen  Lautzeichen,  wie  Mönch  Chrabr  sagen 
würde,  bez  ustrojenia,  ohne  Organisirung  oder  mit  abstrakter  Einfach- 
heit geschrieben.  Abbreviaturen  kommen  nur  sehr  spärlich  vor,  da  sie 
sich  nur  auf  die  Sylben  pra,  pro,  pre,  pri  beziehen.  Sie  sind  sodann 
von  derselben  Form,  wie  in  alten  lateinischen  Handschriften,  nur  be- 
zeichnet die  latein.  Abbreviatur  für  die  unböhmischen  Sylben  par  undper 
hier  die  Sylben  pre,  pri.  Sohin  sehen  wir  auch  hier  bei  den  Abbre- 
viaturen, so  wie  bei  den  Schriftzügen  keine  passive  Aufnahme  des  Latein, 
sondern  eine  eigentümliche  Anwendung,  welche  auch  in  späteren  böhm. 
Handschriften  noch  fortlebt,  sohin  auf  böhmische  Schulen  schliessen  lässt. 


18.    Uiber    das    Zeitalter    der    Entstehung    der     Gr. 

Handschrift. 

Die  Begebenheit,  die  in  dem  längern  Fragmente  besungen  wird, 
ist  zwar  zumeist  mythisch :  in  wie  fern  aber  dem  Mythus,  in  Form  der 
Nationalsage,  ein  historischer  Kern  zu  Grunde  liegen  kann,  verlegt  man 
diesen  gewöhnlich  in  das  achte  Jahrhundert  n.  Chr.  Möglich,  dass  die 
Böhmen  in  diesem  Jahrhunderte  den  mythischen  Ursprung  nicht  mehr  kann- 
ten und  die  ganze  Sage  eben  so  für  historisch  hielten,  wie  unser  Volk  im 
Cec/t  und  Ärok  nur  historische  Personen  sieht. 

Wir  haben  schon  oben  die  Gründe  berührt,  welche  altböhmischen, 
iveltUchen  Gedichten  die  lateinische  Schrift  näher  brachten,  als  die  gla- 
golischen  und  später  die  kyrilischen  Zeichen,  ja  es  ist  nichts  unm.ögliches, 
dass  auch  vor  Anwendung  der  glagolischen  Zeichen  in  kirchlichen  Ange- 
legenheiten, in  Böhmen  bei  weltlichen  Angelegenheiten  die  lateinische 
Schrift  in  Uibung  war. 

Was  aber  das  Alter  der  Sprache  der  Handschrift  betrifft,  zeigt 
es  uns  das  böhmische  in  den  ältest  bekannten  reinsten  Formen,  deren 
Correktheit  nur  die,  bei  uns  so  spät  in  die  Wirksamkeit  getretene,  ver- 
gleichende Linguistik  im  letzten  Decennium  zu  würdigen  wusste.  Diese 
alten  Formen  sind  rein  böhmisch,  keine  Spur  des  Altkirchenslavischen 
zeigt  sich  darin,  etwa  so,  wie  in  dem  Johannisevangeliumfragmente  das- 
selbe vorherrscht.  Das  Gedicht  ist  sohin  in  einer  Zeit  entstanden,  wo 
Böhmen  noch  nicht  vom  Altkirchenslavischen  berührt  war,  oder  doch  in 
solchen  Schichten  der  Bevölkerung,  welche  mit  den  christianisirenden 
Bekehrern  noch  in  keine  Beziehung  kamen.  Aber  man  findet  darin  auch 
keine  Ausdrücke,  welche  etwa  auf  den  Einfluss  lateinischen  Christentums 
hindeuten  könnten. 

Der  Inhalt  sind  wol  Natioualsageu,  die  gar  weit  verbreitet  sein 
konnten,  da  man  ähnliches  selbst  in  den  Sagen  der  Karpatenländer  fin- 
det ;  die  Form  aber  ist  eine  so  kunstgerechte,  dass  man  das  Gedicht  mit 
Recht  als  ein  Geistesprodukt  heidnischpatriotischer  Laien  oder  mit  an- 
deren Worten   als    ein    heidnischepisches  Kunstgedicht   betrachten   muss. 


45 

Sieht  man  nuQ  einerseits  auf  die  Altertümlichkeit  der  Sprachformen  des- 
selben (Hattala,  musejn.  1858.  S.  603.  604),  andererseits  auf  die  scriptio 
continua  der  Wörter  und  Sylben,  welche  bei  romanischen  und  germani- 
schen Nationen  schon  mit  dem  Anfange  des  9.  Jahrhundertes  aufzuhören 
pflegt,  endlich  auf  die  Mengung  der  Majuskeln  und  Minuskeln  mit  Aus- 
schluss jeder  Currentschrift:  so  ist  die  Entstehungszeit  des  Schriftstückes 
spätestens  in  das  Ende  des  U.  oder  in  den  Anfang  des  10.  Jahrhunderts 
zu  setzen. 

Doch  haben  wir  kein  Original  vor  uns,  sondern  eine  Abschrift. 
Darauf  weisen  1.  die  Unregelmässigkeiten,  ja  Fehler  und  Lücken  der 
Schrift  hin,  welche  zu  späteren  Ergänzungen  aufforderten,  wie  z.  B.  die 
Ergänzung  der  fehlenden  Versbruchstücke  (IL  Fragm.  V.  45.  49.),  da 
von  manchen  Forschern  von  Versen  gesprochen  wird.  Diese  dachten  die 
Ergänzungen  „v  Libusine  sedlc"  und  „vi/süipiste''  hinzu;  2)  ein  schlagen- 
der Beweis,  dass  das  Gedicht  nur  Abschrift  ist,  deutet  auch  der  Umstand 
an,  dass  es  schon  in  einer  Sammlung  epischer  Gedichte,  in  einem  Cydus 
von  Epopöen  vorkömmt. 

Der  Charakter  der  Abschrift  erfordert  es,  sie,  wie  gesagt  wenig- 
stens in  den  Anfang  des  10.  Jahrh.  zu  verlegen,  in  welcher  Zeit  man 
ohnehin  an  einen  Abschluss  des  epenbildendan  heidnischen  Geistes  zu 
denken  hat,  den  das  sich  verbreitende  Christentum  in  Böhmen  veranlasste. 
Epencyklen  setzen  nämlich  stets  schon  einen  Abschluss  des  schaffenden 
Geistes  voraus,  sei  es  auf  nationalem,  sei  es  auf  dem  Kunstgebiete,  das 
dem  Volksgeiste  nachbildet.  Es  ist  nun  allerdings  das  10.  Jahrb.,  in 
welchem  mit  dem  heil.  Wenzel,  als  seinem  christl.  Hauptrepräsentanten, 
der  christliche  Geist  im  Centrum  des  Landes  zu  walten  begann,  die  Zeit, 
wo  man  den  Q^enhildenden  heidnischen  Geist  in  Böhmen  verstummen  zu 
machen  begann,  wie  z.  B  der  h.  Wenzel  durch  die  Grundlegung  der 
Veitskirche  den  heidnischen  Svato-Vit's-Sagen  die  christhchen  Sagen  vom 
Svaty-Vit  entgegensetzte  (vgl.  Sitzungsberichte  der  kön.  böhm.  G.  d.  W. 
1865.  3.  April):  allein  darum  verschwand  doch  nicht  der  heidnische 
Geist  selbst  d.  i.  das  Bestreben,  die  heidnischen  Anschauungen  und  Sitten 
der  Altvordern  wenigstens  in  Reminiscenzen  lebendig  im  Bewusstsein 
zu  erhalten,  eben  weil  das  Christentum  mit  fremden,  nicht  nationalen  Mo- 
menten an  die  Böhmen  herantrat.  Denn  im  Ceutrum  des  Landes  oder 
am  Fürstenhofe  konnte  ein  ganz  anderer  Geist  herrschen,  als  in  der  Peri- 
pherie des  Landes  und  in  den  vielen  Schichten  des  Volkes,  welche  dem 
Hofe  und  seinem  Anhange  fern  stunden,  imd  nichts  ist  irriger,  als  ganz 
Böhmen  in  jenen  Tagen  schon  als  durchaus  in  der  Kulturstufe  gleichartig 
sich  zu  denken.  Gerade  als  man  wahrnahm,  dass  im  Centrum  des  Lan- 
des und  am  Hofe  die  entschiedene  Opposition  gegen  das  Heidentum  be- 
gann, suchte  man  in  den  entgegengesetzten  Kreisen  alles  dasjenige  zu 
sammeln  und  zu  verbreiten,  worin  sich  der  heidnischnationaie  Geist  ge- 
äussert hatte. 

Eine  solche  Sammlung  haben  wir  in  der  Grünherger-  und  (muta- 
tis  mutandis),  einige  Jahrhunderte  später,  in  der  Königinhofer-IIandschrift 
vor  uns:  die  erstere  scheint  vorzugsweise  die  Taten  der  mythischen   Ce- 


46 

chiden,  die  zioeite  die  Taten  der  PremysUden  verherrlicht  zu  haben. 
Solcher  Sammlungen  kann,  ja  muss  es  gar  viele  gegeben  haben. 

Da  in  der  Grünb.  Handschrift  die  erste  und  ältere  Art  der  Zinno  • 
6er-Notenzeichen  mit  dem  Texte  gleichzeitig  ist,  so  ist,  wie  schon  angedeutet, 
die  Sammlung  eine  künstlich  sehniger  echte,  da  anfangs,  so  lange  das 
Recitativ  oder  der  einfache  Gesang  im  Volke  selbst  lebte  und  daher 
öffentlich  ohne  Anstand  zu  finden  erschallte,  au  Notenzeichen  wol  eben- 
sowenig zu  denken  war,  wie  noch  bei  lebenden  Volksliedern  der  Neuzeit, 
die  durch  Tradition  die  Modulation  sicherer  als  den  Text  an  die  Nach- 
kommenschaft brmgen.  Ein  lehrender  Kunstsänger  aber  konnte  sich 
allerdings  gleich  mit  dem  Texte  auch  entsprechende  Tonzeichen  fixiren 
lassen  oder  selbst  fixiren  und  zwar  besonders  bei  einer  Copic  der  Urschrift. 

Wir  haben  sohin  in  der  Grünb.  Handschrift  wol  unmittelbar  die 
literarisch-musicalische  Aeusserung  einer  uationalheidnischen  Scinde  vor 
uns,  die  nicht  mehr  durch  mündliche,  unbeanständigte  Tradition,  sondern 
durch  eigentümlich 3  Schrift-  und  Noten-Zeichen  künstlich  das  Alte  zu 
erhalten  und  zu  verbreiten  suchte. 

Die  Eigentümlichkeiten  der  Schrift,  wovon  oben  schon  Erwähnung 
getan  wurde,  ziehen  sich  in  manchen  Einzelnheiten  in  böhmischen  Hand- 
schriften bis  in  das  14.  Jahrh.  fort.  So  findet  sich  das  gebogene  S  auch 
in  der  König.  Handschrift,  in  den  neuaufgefundenen  Dalemilfragmeuten 
(musejn.  1861.  S.  209),  in  den  böhmischer  Handschrift  des  14.  Jahrb., 
welche  die  Signatur  der  Universitätsbibliothek  17.  A.  12.  hat.  Dies  lässt  auf 
böhm.  *Sc/^/•e^Asc/mZen  zuverlässlich  schliessen,  wie  denn  auch  im  15.  Jhrh. 
noch  bei  den  böhm.  Incunabeln  die  Regeln  der  blos  allgemeinen  Palaeo- 
graphie  bei  deren  Beurteilung  nicht  hinreichen. 

Da  jedoch  die  zweite  oder  spätere  Art  der  Notenzeichen,  die  näm- 
lich mit  Mennig  geschriebenen,  einige  Hundert  Jahre  später  sein  können 
(Cor da  in  Palacky  und  Safafik"s  ältesten  Denkmäler.  S.  23.  24.  33), 
als  die  ZinnoheriQ\c\x&n :  so  zeigt  diess  die  Tatsache  an,  dass  auch  noch 
im  12.  oder  etwa  im  13.  Jahrh.  in  Böhmen  Kunstschulen  vorhanden  wa- 
ren, in  welchen  altheidnischc  Epopoeen  geschätzt,  ja  gesanglich  einge- 
übt wurden. 

Früge  man  nach  einem  Orte  dieser  Kunstschulen,  so  würden  wir 
ohne  jedes  Bedenken  irgend  eine  der  vielen  Zupenburgen  Böhmens  in 
der  Peripherie  des  Landes  nennen,  weil  diese  nicht  blos  die  politische, 
sondern  auch  die  Kulturmacht  jeder  Zupe  in  sich  centralisirten  und  gar 
häufig  mit  der  Centralzupeuburg  in  Ojiposition  stunden.  Welche  Zupen- 
burg  es  jedoch  gewesen,  dos  anzugeben  ist  allerdings  unmöglich,  weil 
aus  jenen  fernen  Zeiten  nur  dunkle  Nachrichten  und  in  spärlicher  Zahl 
an  uns  gelangten  (man  vgl.  Tomeks  Apologie  der  ältesten  Geschichte  Böh- 
mens gegen  die  neueren  Anfechter  derselben.  Prag  1863). 

Altböhmen  war  in  stammlicher  und  religiöser  Hinsicht  keineswegs 
ein  gleichförmiges  Ganze,  was  es  erst  durch  politische  Concentration 
wurde;  es  konnte  sohin  in  einer  oder  der  andern  Zupe  noch  national- 
heidnisches  pflegen  und  schützen,  wenn  in  anderen  Zupen  auch  schon 
christliche  Zustände  blühten  und  dies  umsomehr,  als  seitens  des  Heidnischen 


47 


das  Christliche,  seitens  des  Nationalen  z.  B.  der  alten  Rechte,  aber  das 
Deutsche  immer  drohender  auch  an  die  Peripherie  des  Landes  lioran- 
drcängte.  H.  Jirecek:  Das  Recht  in  Böhmen  und  Mähren  geschichtlich 
dargestellt.  I.Abt.  Die  ersten  Nachrichten  bis  zum  Schlüsse  des  10.  Jhrh. 
2.  Abt.  Bis  zum  Schlüsse  des  12.  Jahrb.  (Prag,   isn.ö.    1866). 


19.  Inhalt  der  Grünber^eiiiaiulschrift  -  Fragmente  im 

Ganzen. 

Die  Gr.  Handschrift  besteht  aus  zwei  ungleich  grossen  Fragmenten : 
das  erste  ist  neunzeUig,  es  fehlt  ihm  der  Anfang  und  die  Mitte,  das 
zweite  lODzeilig,  es  fehlt  demselben  das  Ende.  Da  man  nun  beide  nicht 
einmal  ganz  kennt,  so  ist  daraus  um  so  schwerer  zu  entnehmen,  durch 
welche  Inhaltsgattung  der  Cyklus  aller  der  fehlenden  Gedichte  zum  Ab- 
schlüsse kam.  In  beiden  Fragmenten  kommen  Schilderungen  von  Land- 
tagen vor,  besucht  von  drei  Arten  von  Ständen:  Knieten,  Lecken  und 
Viadyken  genannt;  der  Cyklus  der  Epen  konnte  sohin  die  epische  Ent- 
stehungsgeschichte der  einzelnen  Hauptlandesgesetze:  Pravdy,  sohin  die 
Geschichte  der  Gründung  der  centralen  Krokidenmacht  Böhmens  ent- 
halten. Da  nun  das  grössere  Fragment  von  einer  Art  gesetzgebenden 
Tafeln  spricht,  die  zweifelsohne  in  Bilderschrift  bestunden,  so  wird  man 
vielleicht  nicht  weit  von  der  Wahrheit  abweichen,  wenn  man  den  Cyclus 
der  Landtag shilder,  den  die  epischen  Gedichte  enthielten,  selbst  eine 
Art  Landrechtstafeln,  desky  pravdo-datne,  aber  in  epische  T^autschrift 
transferirt,  nennt.  In  der  Tat  ist  die  Schilderung  darin  so  concret  leben- 
dig, dass  man  sie  heutzutage  wieder  in  Bilder  zurück  umwandeln  könnte, 
und  wir  wundern  uns  wirklich,  dass  noch  kein  heimischer  Künstler  es 
bisher  versucht  hatte,  die  ganze  Grünb.  Handschr.  in  ein  cyclisches  Ge- 
mälde- oder  Statuenepos  umzuwandeln. 

Das  erste  Fragment  lautet  nun:  „Jeder  Vater  waltet  über  seinen 
Familienmitgliedern:  (ixQ  Männer  ackern,  die  IFeiier  bereiten  die  Kleider, 
stirbt  aber  das  Haupt  der  Familie,  dann  verwalten  alle  Kinder  in  Ein- 
heit das  Vermögen,  indem  sie  sich  aus  dem  Stamme  den  Vladyka  (Herr- 
scher) auswählen,  welcher  Wohlfahrtshalben  die  feierlichen  Landtage  be- 
sucht und  zwar  mit  den  Knieten,  frechen  und  Viadyken.  Es  stunden 
auf  die  Kmeten,  Lechen  und  Viadyken  und  billigten  diese  Rechtsbestim- 
mung nach  dem   Gesetze.'"'' 

Da  nun  etwas  ähnliches  auch  im  2.  Fragmente  vorkömmt,  so  hat 
es  den  Anschein,  als  ob  durph  Landtage,  sohin  mit  Zustimmung  der 
Volksrepräsentanten  eine  Revision  der  uralten,  früher  zumeist  nur  religiös 
geltenden  Landessitten  vorgenommen  worden  wäre,  wodurch  diese  zu  po- 
litisch giltigen  Rechtssatzungen  umgewandelt  wurden.  Die  Krokidenmacht 
beruhte  nun  zumeist  auf  solchen  religiös  geltenden  Gesetzen  (zäkony  vöko- 
ziznych  bogov),  mit  der  Pfemyslidenmacht  aber  begann  die  politische 
Centralisation  der  Zupen  Böhmens:    der  Epencyclus   konnte    sohin   auch 


48 

die  epische  Ueberführung  des  mythischen  Böhmens  in  das  politische  Böh- 
men besingen.  Fasst  man  jedoch  die  Sache  etwas  äusserlicher,  aber 
praktischer  an,  so  kann  dabei  die  Meinung  vertreten  werden :  die  einzelnen 
Epen  erhielten  das  Andenken  an  die  bedeutendsten  Rechtsstörungen  und 
deren  Lösungen  mittels  der  Landtage,  wie  denn  in  der  Tat  das  zweite 
Fragment,  das  man  früher  mit  Unrecht  Libusas  Gericht  nannte  —  denn 
Libuäa  richtet  ja  darin  nicht  —  den  Erhrechtsstreit  zweier  Brüder  dar- 
stellt, wovon  der  ältere  Bruder  Chrudos  nach  germanischem,  der  jüngere, 
Stiaglav  aber  nach  böhmischem  (slavischem)  altem  Rechte  erben  wollte: 
jener  nahm  nämlich  das  fremde  Recht  der  Erstgeburt:  prvencu  dedinu 
däti  pravda  (v.  98.),  dieser  die  heimische  Sitte  der  gemeinsamen  Ver- 
waltung in  Anspruch.  Der  Landtag  entscheidet  für  diese.  Dadurch  führt 
nun  auch  Chrudos  die  Katastrophe  des  Ueberganges  der  Krokiden-  in 
die  Premysliden-MsiChi  herbei,  indem  er  zugleich  das  Recht  der  Lubusa, 
den  Landtag  zu  berufen,  abläugnet.  Frauen  und  Jungfrauen  konnten  nur 
etwa  nach  mythischem,  nicht  aber  nach  politischem  Rechte  auf  dem  Für- 
sten-Throne sitzen  und  Lubusa  zeigt  auch  beleidigt  den  Antritt  der  neuen 
Dynastie  der  Pfemyslideu  au.  Dieses  Epos  konnte  eben  das  Ende  des 
Krokidenepencyclus  bilden. 

Der  Form  nach  bewegen  sich,  wie  man  allgemein  lehrt,  diese  Epen- 
fragmente  in  dem  sogenannt  slavisch-epischen  Versmasse  d.i.  in  lOsylbi- 
gen  Verszeilen  hin.  Indessen  ist  dies  noch  etwas  problematisch,  da  die 
Sylben  nur  gezählt,  nicht  gewogen  werden,  auch  die  Vollverse  nur  durch 
Hinzufügungen  zu  Stande  gebracht  werden  können,  welche  man  bei  einem 
so  langen  Gesangsgebrauche  des  Fragmentes  nicht  leicht  entbehrt  haben 
würde.  Manche  Zeilen  enthalten  wieder  auch  mehr  als  zehn  Sylben,  z. 
B.  im  U.  Fr.  v.  109.  Die  edle,  gewählte  Sprache,  die  Menge  künstlicher 
Figuren  und  Tropen,  der  gleichförmige  in's  Einzelne  ausgearbeitete  Fort- 
schritt des  Ganzen  lassen  den  Gedanken  eines  im  Volksmunde  entstandenen 
Epos,  d.  i.  eines  blossen  Volksgesa?iges  nicht  aufkommen.  Wir  haben 
hier  keinen  Naturdichter,  sondern  einen  Kunstdichter  vor  uns  und  zwar, 
wenn  der  Vermutung  Raum  gegeben  werden  darf,  den  aus  der  K.  H. 
bekannten  Sänger  Lumir  selbst,  der  da  mit  seinen  „Gesängen  ganz  Vyse- 
grad  bewegte  und  das  gesammte  Vaterland!"  Und  in  der  Tat  war  der 
hier  so  feierlich  besungene  Vysegrad  der  Sitz  der  Krokidenmacht.  Solcher 
Kunstdichter  gab  es  gewiss  viele.  So  wird  in  dem  Gesänge  Igor 
der  Dichter  Bojan  genannt.  „Bojau,  ihr  Brüder!  pflegte  seine  sagen- 
kundigen  Finger  an  lebende  Saiten  zu  legen  und  diese  tönten  dann  von 
selbst  die  Herrlichkeit  der  Fürsten :  Bojan,  der  Sänger  (die  Nachtigall) 
der  alten  Zeiten."  Auch  hierin  ist  sohin  die  gemeinsame  Grundlage  je- 
der echten  slavischen  alten  Kultur  nicht  zu  verkennen.  Lumir  war  der  Sänger 
der  Krokidenmacht  am  geheiligten  Vyäegrad,  —  Bojan  der  Sänger  ru- 
siuischer  Fürsten,  —  Zdboj  der  Sänger  einer  Gränziupe  Nord-Böhmens, 
die  mit  deutschen  Gränznachbaren  zu  kämpfen  hatte. 


49 

20,  Eiiizeliierkläruiigen    zu   den  Fraginoiiteii  der  iir. 

Handschrift. 

Der  Inhalt  der  Grüiib.  Handschrift  ist  aus  Uebersetzungen  so  weit 
bekannt,  dass  dieser  nicht  eigens  im  einzelnen  hergesetzt  zu  werden 
braucht:  Erklärungen  sollen  in  schwierigen  Punctcn  eben  nachhelfen. 
Das  wahre  Verständniss  desselben  wächst  eben  allmälig  mit  der  Zunahmo 
der  Kenntniss  vergleichender  Slavistik,  dann  mit  der  Zunahme  der  Er- 
kcnntniss  böhmischer  Archaeologie  überhaupt  und  böhmischer  Kultiu*ge- 
schichte  insbesondere. 

Ersü'S  Fragment.  V.  1.  Der  Ausdruck:  ot  voie-vodi  bedeutet  aller- 
dings soviel,  als:  der  Vater  führt  (i\Q  Streitbaren  an,  aber  die  Streitbaren 
(voie)  sind  nicht  unmittelbar  die  Bewaffneten  oder  gar  die  Heere :  son- 
dern die  Männer  der  Familiencommunc  (celed)  überhaupt:  es  liegt  dar- 
in enthalten  der  Vorzug  der  Männer  vor  den  Weibern,  oder  mit  andern 
Worten,  dass  auch  dem  böhm.  Altertume  nur  der  tätige  Mann  Volhnensch 
war.  Die  Wiu'zel  von  voic  ist  vi,  winden,  im  Sinne  von  geben,  tätig  sein, 
daher  voie  die  Aktiven. 

Der  so  strittige  Unterschied  und  Zusammenhang  der  Kmety,  Lechy 
(Le§i)  und  Vlaclyhj  ist  wol  am  besten  etwa  so  aufzufassen:  Vladyka 
(Waltende)  war  ursprünglich  mehr  ^\?,  voivoda  (Führer  der  Aktiven)  oder 
ot  (Vater)  oder  batja  (Herr,  vgl.  bäöa)  der  Familienlenker :  er  war  das 
Haupt  (glava)  mehrerer  Familien,  den  diese  aus  sich  d.  i.  aus  dem  Stamme 
(rod),  nicht  aus  der  Familie  (öeled,  rodina)  zu  wählen  hatten,  damit  er 
eben  als  Stamrarepräsentant  die  Landtage  besuche.  Schwieriger  ist  schon 
das  Wort  Ljach,  Lech  zu  erklären,  dessen  Wurzel  ganz  zweifelhaft  ist, 
da  das  Wort  zumeist  aus  unursprüngliclien  Lauten  besteht.  Lochen  waren 
ursprünglich  wol  selbstständige  Anführer  mehrerer  Stämme  oder  doch 
mehrerer  Familiencommuncn:  ein  Lech  scheint  sohin  über  mehreren  Vla- 
dyken  gestanden  zu  sein :  als  Besitzer  oder  besser  gesagt,  als  Lenker 
grösserer  Landesbez\vkQ  mögen  sie  auch  zemanS  geheissen  haben,  wie 
sie  als  Lenker  der  Personen  hiezi  (Fürsten  d.  i.  Fürdersten,  später  mit 
dem  Diminutiv  verschönernd  hüzata)  genannt  WTirden.  Der  knez  erkannte 
keinen  Oberherrn  mehr  über  sich,  denn  sein  Landesbezirk  d.  i.  seine 
Zupa  stand  ursprünglich  unter  keiner  Oberzupe :  der  Fürsten  Länder 
und  ihre  Leute  bildeten  zusammengenommen  die  slavische  selbstständige 
politische  Persönlichkeit  (Individualität),^  oder  mit  einem  älteren  Ausdrucke : 
die  moralische  Person.  Eine  solche  Zupe  unter  Zdhoj  und  eine  andere 
unter  Sldvoj  werden  in  der  K.  H.  besungen  als  zwei  föderirte  politische 
Individualitäten:  solchergestalt  waren  wol  alle  2upen  des  alten  Böhmens 
—  gedrückt  in  der  kriegerischen  Unterjochungs-Zeit  der  Bojer,  Marko- 
mannen und  Avaren  —  welche  endlich  befi'eit  unter  die  religiöse  Gn* 
traUupe  des  Centralf ürsten  zu  Vysegrad  frei  (insoferne  Religionsverhält- 
nisse frei  genannt  werden  können)  sich  einordneten.  Wie  aber  an  die 
Stelle  der  religiösen  Öechideumacht  die  politische  Premyslidenmacht  trat, 
verloren  die  Zupen  der  Peripherie  nicht  ohne  Widerspruch  und  Kampf 
ihre  Selbstständigkeit,   denn  sie  wurden  statt  pares  (pairs)  mit  dem  ehc- 

4 


50 

maligen  Fürsten  Pfemysl  und  dessen  Nachkommen  zu  bleiben,  zum  hoben 
Landadel  (päni)  dem  Klein-Landadel  der  Vladtjken  gegenüber,  bis  sie 
sich  endlich  in  die  hohen  Beamten  des  Centrallandesfürsten  verwandelten. 
Man  vergl.  die  Erklärungen  Safai-ik's  im  Musejnik  1864.  S.  9.  und  H. 
Jireceh  in:  Das  Recht  in  Böhmen  und  Mähren.  Die  Lechen  verkündig- 
ten am  Landtage  auch  den  Beschluss :  die  veiina  (Mehrheit,  Majorität) 
oder  die  veisma,  Ausspruch?  eminentia?  altslav.  v^stbsina:  aus  der  Schreib- 
weise allein:  „uecina"  kann  man  sich  weder  für  das  eine  noch  für  das  an- 
dere mehr  entscheiden.  Das  urälteste  Böhmen  hatte  sohin  als  blosser 
innerer  Föderativstaat  keine  Landtage  —  es  hatte  natürlich  auch  keine 
Landtage,  so  lange  die  Fremdherrschaft  z.  B.  der  Bojer  Böhmen  unter- 
jocht hielt.  —  Im  religiös  unter  Vysegrad  centralisirten  Böhmen  war 
aber  der  Landtag  aus  dem  hohen  und  niederen  Adel,  eben  weil  dieser 
Schützer  der  Heiligtümer  und  der  Hüter  der  Gesetze  der  ewig  lebenden 
Götter  war,  zusammengesetzt,  sohin  weder  demokratisch  noch  aristokra- 
tisch in  unserm  Siine,  weil  der  sogenannte  Adel  eben  nur  die  gewälte 
Familien-  und    Volksrepräsentanz  war. 

Der  dritte  sogenannte  Stand,  die  Kmeti^  die  Senatoren  sind  wol 
ein  späteres  Produkt  der  Centralmacht,  nämlich  ein  vom  Fürsten  selbst- 
erwählter Beirat,  den  man  in  Mähren  u.  d.  N.  Pdni  hospoddri  findet. 
Sie  scheinen  ihren  festen  Sitz  am  Fürstenhofe  oder  doch  in  dessen  Nähe 
gehabt  zu  haben,  um  auch  ausserhalb  des  Landtages  Bat  erteilen  zu  kön- 
nen. So  kommen  z.  B.  die  Ä'meigw  im  2.  Fragmente  am  Vy§egrad  nicht 
zusammen,  sondern  nur  die  Lechen  und  Vladyken  (IL  v.  44,  45.),  wahr- 
scheinlich weil  sie  am  Vysegrade  selbst  wohnten.  So  fragt  z.  B.  noch 
bei  Dalemil  Drahomira  bei  den  Kmeteu  an,  wer  bei  der  Minderjährig- 
keit ihres  Sohnes  herrschen  solle.  Die  Kmeten,  nachdem  sie  sich  be- 
raten hatten  (potazachu),  antworteten,  sie  solle  ihren  Sohn  wol  pflegen 
und  bis  zu  seiner  Mündigkeit  das  Land  verwalten.  Drahomira  erscheint 
nur  als  zeitioeilige  Fürstin,  oder  aber  vielmehr  nui"  als  Erzieherin  des 
jimgen  Fürsten.  Es  scheint,  dass  der  einmütige  Beschluss  der  Kmeten 
für  den  Fürsten  bindend  war,  wie  es  der  Landtagsbeschluss  aller  drei 
Stände  gleichfalls  war  (ndrod  k  rozsüzeniu  na  snem  sboren).  Am  äussern 
Range  scheinen  die  Kmeti  allen  Ständen  vorangegangen  zu  sein,  wenig- 
stens spricht  Libusa  die  Stände  so  üi  der  Ordnung  an :  Kmete,  Lesi  i 
Vladyky.  Vgl.  PalackJ^  dejiny  L  2.  S.  233.  234.  So  lange  die  Central- 
macht des  Fürsten  nicht  erstarkt  war,  mag  es  noch  keine  Kmeten  am 
Landtag  gegeben  haben,  und  auch  der  Dichter  unseres  Epos  scheint  mehr 
die  Landtage  seiner  Zeit,  wenigstens  zumeist,  zu  schildern,  als  die  zur 
Zeit  der  mythischen  Ljubusa,  wo  es,  einen  historischen  Kern  überhaupt 
vorausgesetzt,  kaum  etwas  mehr  als  religiöse  Versammlungen  am  Vy§e- 
grad  gegeben  haben  mag.  Der  Ursprung  des  "Wortes  Kniet  ist  fraglich : 
eine  slavische  Wurzel  ist  unbekannt :  das  lateinische  comes,  comites  nicht 
recht  passend.  Ueber  Kmet  bei  d^n  Serben  s.  V.  St.  Karadzic  im  1.  B. 
der  Slav.  Bibliothek  (Wien,  1851.  S.  85.),  bei  den  Polen  s.  Ossolinski. 
Bibliothek  IX.  B. 


51 

Ziveites  Frayme)it.  „Aj!  Vlctavo!  warum  trübst  du  dein  Gewässer, 
dein  Gewässer  sonst  so  silberscliäumig."  Der  Name  Vlet-ava.  nun  Vlt-ava, 
ist  eine  Sinn  Reduplication,  Flut-fluss  oder  Fluss-flut  bedeutend,  da  <iva 
dasselbe  im  arischen  bedeutet,  was  vlei,  vlt  im  altböhm.  nämlich  thessen- 
des  Wasser  (vgl.  latcin.  a(iua  mit  fluctus).  Es  ist  ein  Wortrest,  das  auf 
uralten  Volkswcchsel  in  ßölnnen  deutet  (wie  ähnliches  auch  anderwärts 
häufig  vorkommt  z.  B.  Mar  —  morja  —  Meer).  Das  arische  Urvolk 
nannte  nämlich  die  Flüsse  ava  oder  aha,  die  später  aus  demselben  ari- 
schen Urvolk,  wol  dm'ch  Vermittlung  der  Litauer^  sich  entwickelnden  sla- 
vischen  Böhmen,  welche  wenigstens  teilweise  aus  den  Karpathenländern 
sich  hierher  verbreiteten,  nahmen  es  schon  unverstanden  für  einen  Eigen- 
namen und  nannten  daher  den  Strom  :  „Fluss  Ava",  die  flutende  Ava. 
Vgl.  Saz-ava  für  Sad-ava ;  Mor-ava;  Fuld-aha  u.  dgl. 

Die  Moldau  wird  aber  hier  als  Hauptfluss  der  Krokidenma.cht, 
der  damaligen  religiösen  Landeseinheit,  also  als  der  Centralhaupttluss  an- 
gesprochen, aber  nicht  als  solcher,  sondern  nur  als  belebendes  Naturbild 
des  böhm.  Ccniralvolke^  selbst.  Es  ist  somit  der  antithetische  Tropus  wol  den 
Worten,  nicht  aber  den  Gedanken  nach  darin  übergangen,  nämlich  der 
Tropus:  Es  war  aber  nicht  der  Fluss  Vltava,  es  war  die  bewegte  Flut 
des  Volkes  in  der  Mitte  Böhmens,  die  sich  so  betrübte.  Daher  antwortet 
auch  die  Moldau  bereits  als  Volksflut :  „Wie  sollte  ich  denn  meine  Flu- 
ten nicht  trüben,  wenn  zwei  leibliche  Brüder  um  ihr  väterlich  Erbteil 
streiten."  Beachtung  verdient  auch  hiebei  das  Zurückdrängen  der  Elbe, 
und  in  Wahrheit  fällt  auch  die  Elbe  in  die  Moldau  und  nicht  die  Moldau 
in  die  Elbe. 

Die  schwierige  Stelle:  „priletiese  ditnink  vlasiovica ■,""  als  die  gesel- 
lige Schwalbe  herangeflogen  war  (priletie  sie,  in  ähnlicher  Construction, 
wie  in  der  E.  H. :  ^letie  mlat"  und  , priletie  holub")  wurde  vom  Prof. 
Hattala  (musejn.  1857.)  mit  Recht  gleichfalls  durch  den  ebenberührten 
Naturtropus  d.  1.  durch  die  den  Slaven  so  geläufige  Gedankenwendung 
von  der  Natur  zu  der  ihr  ähnlichen  Menschheit,  erklärt,  aber  auf  eine 
ganz  eigentümliche  Weise,  nämlich:  es  war  keine  Schwalbe,  sondern  das 
im  Verhältnisse  des  Posesirimstco  (Schwestertum,  s.  Vuk  Stef.  Karad. 
rjecnik)  zur  leiblichen  Schwester  der  hadernden  Brüder,  welche  am  Vy§e- 
hrade  wohnte,  stehende  Mädchen.  Schon  Jos  imd  Ant.  Jungraann  hielten 
die  Schwalbe  für  das  Bild  einer  —  aber  leiblichen  —  Pchwester  (Krok, 
1822.  I.  3.  S.  60.  Vgl  Susil,  mor.  pisne,  1860.  S.  424.  425.). 

Wir  halten  diese  Erklärungen  jedoch  nicht  für  ganz  zureichend, 
da  auf  die  Angabe  eines  Mädchens  gewiss  kein  so  politischer  Act,  wie 
die  Zusammenberufung  des  ganzen  richtenden  Landtages  erfolgt  wäre. 
Wir  nehmen  hier  die  Schivalbe,  einen  durch  den  Volksglauben  geachte- 
ten Vogel,  als  ein  Bild  des  Volksrufes  selbst  (vlastovica  heisst  wörüich 
wirklich  die  heimatliche),  als  ein  Bild  des  mit  der  Schnelle  des  Vogel- 
fluges an  den  aufmerksamen  Vysegrad  (na  okence  rozlozito)  sich  ver- 
breitenden Trauer  gerächtes:  dasss  die  alten  Rechtsgebräuchc  und  heimi- 
schen Sitten  zu  sinken  begännen,    welche  Erklärungsweise  die  böhmische 

4* 


52 

sprüchwörtliche  Redensart :  po  ptacku  se  dozvödeti,  durch  den  Vogel  etwas 
erfahren,  unterstützt. 

Wie  sehr  in  der  Tat  dieser  Brüderstreit  den  Bruch  alter  heimischer 
Volkssitte  andeutete,  hat  J.  P.  ^afarik  in  den  Sitz.-Ber.  d  kön.  böhm. 
G.  d.  W.  in  Prag  (1859.  19.  Decenib.  —  Prazske  novin.  1859.  Nro. 
310.  21.  Decerab.)  genugsam  angedeutet:  es  handelte  sich  nämlich  um 
nichts  geringeres  als  darum,  ob  die  deutsche  Sitte  des  Erstgeburtsvorrech- 
tes („prev^ncu  dedinu  dati")  wenigstens  einzelner,  mit  den  Böhmen  grän- 
zender  Völker,  oder  aber  das  slavische  Recht  des  Vereineigentums  bei 
Erbschaften  künftighin  gelten  sollte.  Diesen  drohenden  Bruch  sollte  Lu- 
busa  „po-praviti,"  d.  1.  wieder  zu  Rechte  machen,  darum  berief  sie 
den  Landtag.  —  Die  Ansicht,  dass  im  1.  Fragmente  „die  Darstellung 
des  Haders  zwischen  den  Brüdern  und  die  zwischen  beiden  getroffene 
Vereinbarung,  ihren  Streit  vor  Libu§a's  Gericht  zu  bringen,  erzählt  wor- 
den sei  (Tagesbote,  1858.  N*  292,  22.  Oct.),  ist  wol  nicht  sachlich  be- 
gründet. 

Das  Gedicht  nennt  nur  sieben  Landtagsmitglieder,  vielleicht  nur  bei- 
spielsweise, um  etwa  den  Umkreis  der  damaligen  Centralfürstenmacht  an- 
zuzeigen :  denn  die  am  Landtage  versammelten  werden  Ndrod,  Volk,  ge- 
nannt. Schwerlich  ist  aber  die  Siebenzahl  hier  mythisch  gesetzt.  Die 
Namen  der  Berufenen  bestehen  bis  auf  den  Namen  Radovan  aus  blossen 
Wortcompositionen,  worunter  drei:  Luto-bor,  HaXibor  und  Strezi-6or 
nämlich,  sogar  gemeinsam  mit  „bor"  auslauten.  Dies  weiset  auf  historisch- 
linguistische Culturschichten  hin,  da  der  Dichter  als  solcher  gewiss  derlei 
Wiederholungen  vermieden  hätte.  Die  Berufenen  treten  unter  Förmlich- 
keiten, nach  dem  Alter  (Geburt?)  nämlich  (rozenia  —  die),  in  den  Saal, 
zuletzt  besteigt  die  Fürstin  (knezna)  im  weissglänzenden  Gewände  den  vä- 
terlichen Thron. 

Hiebei,  wie  im  folgenden,  ist  schwer  zu  sondern,  was  dabei  auf 
Wahrheit  und  was  auf  Dichtung  hinweiset,  möge  man  sich  nun  auf 
den  Standpunkt  der  Geschichte  oder  der  Sage  stellen,  denn  Ljubusa 
ist  in  beiden  eine  sehr  fragliche  Gestalt,  ob  man  nun  auf  ihre  beiden 
Schwestern  Kasi  und  Teta  mit  Rücksicht  nimmt  oder  nicht.  Was  sol- 
len auch  die  beiden  iceissagicngskundigen  Jungfrauen  in  einem  historisch 
und  politisch  geschilderten  Landtage,  der  sogar  feste  Formen  des  Ver- 
fahrens hatte  ?  Kamen  sie  auch  beim  Landtage  des  ersten  Fragmentes 
vor  ?  war  dort  noch  Krok  der  Fürst?  oder  auch  schon  Ljubusa  die  Für- 
stin? welches  Gesetz  galt :  umre-li  glava  des  fürstlicheii  celMina'?  herrsch- 
ten auch  da  die  „deti  vsie  \  jedno,''  y,vladyku  si  z  rodu  vyberücc,"  war 
dieser  Fürst-Vladyka  hier  Ljubusa  und  die  zwei  andern  Jungfrauen  etwa 
ihre  Schwestern:  „die  heilkundige  Zauberin  Kasi,  die  fromme  Deuterin 
des  religiösen  Kultus  und  Reglerin  der  heil.  Gebräuche  Teta,"^  wie  Safa- 
fik  sie  nennt?  Wie  sagenhaft  stechen  Krok's  drei  Töchter  gegen  die 
derbe  historische  Menge  der  Kinder  des  Samo  ab :  hier  (bei  Samo)  ist  Ge- 
schichte, dort  (bei  Krok)  Mythe!  sohin  zwei  ganz  verschiedene  Kultur- 
kreise. Krok's  drei  alrunenhafte  Töchter  sehen  wir  dem  Landtage  vor- 
stehen :  Libu§a,  die  weise  Richterin  und  mythische  Nachfolgerin  des  weisen 


53 

Krok,  sehen  wir  aber  niclit  selbst  richten,  sondern  geltende  Reclitsformen 
dem  Landtage  vorlegen,  und  die  zwei  anderen  Jungfrauen  weder  die  desky 
pravdodatue  befragen,  noch  das  Unrecht  strafende  Schwert  führen:  son- 
dern die  Stimmen  in  geheiligte  Gefässe  sammeln  und  sie  den  Lechcn  zum 
Verkündigen  vorlegen. 

Die  Mythe  ist  aber  hier  ganz  wie  wirkliches  Geschehen  behandelt 
und  namentlich  die  Sonderbarkeit,  dass  drei  Jungfrauen  als  Reglerinnen 
eines  nationalen  Landtages  vor  uns  L.-scheiuen,  wol  nur  so  historisch  zu 
erklcären,  dass  in  Wirklichkeit  die  durch  den  Oechcnstanim  begründete 
Einheit  der  vielen  Stämme  Böhmens  auf  einer  religiösen  Gtnindlaqe  be- 
ruhte. Die  drei  Schwestern  werden  wol  nur  die  drei  Seiten  oder  Be- 
ziehungen einer  und  derselben  mythischen  Wesenheit  sein,  die  unter  dem 
Namen  Wanda  in  polnischen  Mythus  als  Tochter  des  Krakus  erscheint. 
Wanda  bedeutet  aber,  nach  der  litauischen  Form  vandü  zu  schliessen, 
urspsünglich  wol  Wasser  (slav.  voda  d.  i.  v-od  a,  skr.  ud-a,  lat.  unda). 
Die  Massen  Burgen  um  den  alten  Vy§egrad  herum  weisen  schon  durch 
sich  selbst  auf  eine  Masse  Heiligtümer  im  Centrum  des  Landes  hin, 
Krakov,  Kaziii,  Tetin,  Vysegrad  (Praga)  zeigen  auch  topographisch  auf 
eine  Centralstätte  von  Kultusheiligtümern  des  Öechenstammes  hin,  deren 
persönliche  Repraesentanten  hier  die  drei  Jungfrauen  sind:  so  wie  als 
sachliche  Repraesentanten  die  geheiligten  „Iiu7ien''  oder  „Gesetztafeln"' 
(wie  Safafik  die  desky  nennt),  die  rechtverhündigende  Flamme  und  das 
heilig  reinigende  Wasser,  endlich  das  sühnende  Straischiüeri  fungirten 
(Ordalien.  J.  Slavicek,  Prävnik,  18GL  S.  70.  —  H.  Jireöek,  Das  R.  in 
B.  und  M.  S.  63  —  65). 

Das  Schwert,  welches  ursprünglich  bei  den  Slaven,  wie  der  Hammer 
bei  den  Deutschen,  ein  geheiligtes  Zeichen  —  die  Waffe  des  Blitzgottes 
nämlich  —  war,  das  Wasser  und  Feuer  sind  hier  schon  zu  Rechtssym- 
bolen herabgedrückt,  so  wie  die  drei  Jungfrauen,  die  vielleicht  ursprünglich 
nur  das  waren,  was  sachlich  Wasser,  Feuer  und  Blitzschwert  ist,  zu  das  Recht 
vermittelnden  Persönlichkeiten,  um  einigermassen  die  historische  Färbung 
des  Landtages  zu  begründen.  Das  Schwert,  das  Feuer  und  Wasser  sind 
auch  sonst  als  Rechtssymbolc  bekannt,  die  desky  prai'dodatn6  und  die 
beiden  in  rechtskundigen  Liedern  unterrichteten  Jungfrauen  (Jirecck  1. 
c,  S.  44.)  sind,  persönlich  betrachtet,  hier  etwas  eigentümliches.  Vgl. 
oben  Wanda  als  Wasser  und  die  Anrufung  der  Vlet-Ava  —  sodann 
über  Öech,  Krok,  Libusa  und  Pfemysl  die  Sitzungsberichte  der  kön. 
böhm.  Gesellschaft  1866.   12.  Februar. 

Uiber  die  desky  sprachen  wir  uns  schon  oben  aus,  die  Deutung 
der  „  Veschy  vitzovy"-  (vaticinia,  vatum  cantus)  als  rechtskundige  Gesänge, 
statt  blossen  Helden- Gesängen  (carmiua  heroica)  ziehen  wir  hier,  als 
mehr  zur  Rechtssache  gehörig,  vor:  ^m  besangen  wahrscheinlicli  dasjenige 
episch,  was  die  desky  graphisch  vorstellten:  ja  wir  haben  auch  schon 
oben  unsere  Fragmente  selbst  als  Reste  solcher  vescby  vitzovy  hingestellt 
(Palacky  u.  Safarik  1.  c.  96  —  99.).  Volle  Klarheit  wird  wol  in  alle  diese 
Einzelnheiten  niemals  dringen. 


54 

Unsere  ebenfalls  oben  schon  geäusserte  Ansiebt  von  der  religiös 
begründeten  Oberherrschaft  der  Öechen  oder  Krokiden  über  die  anderen 
böhmischen  Volksstämme  finden  wir  auch  noch  bestättiget  in  den  Worten 
der  Ljubu§a,  womit  sie  sich  au  den  Landtag  wendet:  Ihr  Kmeten,  Le- 
chen  und  Vladyken !  habt  zu  Recht  zu  sprechen  :  ob  die  streitenden  Brü- 
der „nach  dem  Gesetze  „wiserer"'  ewig  lebenden  Götter"  entweder  ge- 
meinsam die  väterlichen  Güter  verwalten,  oder  ob  sie  dieselben  zu  glei- 
chen Teilen  besitzen  werden.  Der  zweite  Fall  mag  nur  ein  Ausnahmsfall 
gewesen  und  die  Gemeinsamkeit  der  Güter  eben  nach  den  Gesetzen 
„unserer'*  ewig  lebenden  Götter  religiöse  Sitte  gewesen  sein.  —  Immer- 
hin ist  es  aber  bedeutungsvoll,  dass  schon  der  Landtag  befragt  wird,  ob 
die  heilige  Sitte  fortbestehen  solle  oder  nicht,  denn  Ljubu§a  sagt  aus- 
drücklich: „Schienen  Euch  aber  meine  Vorlagen  (vypovedi)  nicht  nach 
der  Vernunft  zu  sein  (po  rozumu),  dann  werdet  Ihr  eine  7ieue  Entschei- 
dung (novy  nälez)  treffen "^  (v.  64  —  67).  Libusa  richtet  sohin  nichts  gibt 
jedoch  selbst  die  Möglichkeit  eines  Abfalls  von  der  alten  heiligen  Sitte 
zu.  Der  Schluss  des  Fragmentes  weiset  auf  die  fremde  Ursache  dieser 
Möglichkeit  in  den  Worten  des  Ratibor  ot  gor  krekouosi  hin  :  „Unrühm- 
lich wäre  es  für  uns  bei  den  Deutschen  das  Recht  zu  finden :  bei  uns 
gilt  das  Recht  nach  dem  heiligen  Gesetze,  das  unsere  Väter  (in  dies 
Land  brachten)",  welche  Worte  den  Cechenstaram  wol  als  einen  Central- 
heiligtümer  in  das  Land  bringenden  und  sich  eben  deshalb  in  der  Mitte 
des  Landes  ansiedelnden  Volksstamm  nachweisen.  „Unsere  Väter",  „otci 
nasi'*  sind  dies  Stammväter  oder  Penaten  ?  Diedci  ?  und  die  drei  Flüsse  ? 
sind  sie  geographische  Ströme  oder  mythisches  Gewässer,  über  welches 
allerdings  alle  Penaten  herüber  müssen.  Allerdings  waren  wol  seit  jeher 
Heiligtümer  im  Lande,  allein  die  vielhundertjährige  Herrschaft  der  Bojer 
und  Markomannen  hat  eben  deren  Herrschaft  erdrückt,  die  sohin  durch 
die  Ankunft  der  Öechen  neu  belebt  werden  konnten  (Aelteste  D.M.  99. 
100.  Vymesky  o  dedicnem  pravu  v  Öechach  pod.  Safafik  museju.  1864. 
Seite  3.). 

Es  scheint  jedoch,  dass  auch  diese  Heiligtümer,  obschon  sie  ihre 
Macht  gegen  den  deutschgesinnten  Chrudos  noch  werktätig  bewiesen, 
doch  schon  als  schwach  angesehen  wurden,  um  dauernd  das  Land  organi- 
siren  zu  können  :  denn  mit  Lubusa  trat  das  religiöse  Böhmen  der  Ce- 
chen  in  den  Hintergrund  und  das  politische  Böhmen  der  Premfjsliden 
in  den  Vordergrund. 

Am  Schlüsse  muss  noch  auf  eine  scheinbare  Differenz  zwischen  dem 
ersten  und  zweiten  Fragmente  aufmerksam  gemacht  werden.  Im  ersten 
Fragmente  heisst  es  nämlich :  Es  stunden  auf  die  Kmeten,  Lechen  und 
Vladyken  und  billigten  den  Rechtsspruch  als  gesetzlich:  während  im  2. 
Fragmente  nur  die  Lechen  und  Vladyken  stille  unter  einander  sich  zu 
besprechen  beginnen  und  die  Aussprüche  Lubu§a's  belobten.  Allein  im 
ersten  Fragmente  handelte  es  sich  wahrscheinlich  weder  um  einen  Rechts - 
streit  noch  um  einen  neuen  Beschluss  (novy  nalez):  sondern  nur  um  die 
Anerkennung  eines  alten  Rechtes,  als  heimische  Satzung,  was  allerdings 
auch  Sache    der  Kmeten    gewesen   sein  konnte,   während  das  eigentliclie, 


55 

die  strittigen  Augelegcnheiteii  entscheidende  Volk    dodi    nur  Leeben  und 
Vladyken  repracsentirten. 


21.  Allgriffe  der  Echtheit   der  Grüiib.  und  Königinh. 

Handschrift. 

Es  hiesse  gewiss  die  Zeit  nur  mit  Nutzlosem  zubringen,  wollte 
man  noch  heutzutage  alle  die  Angriffe  gegen  die  Acclithcit  der  G.  H. 
im  einzelnen  widerlegen:  die  gleich  unten  folgende  Literatur  gibt  das 
Quantum  und  Quäle  derselben  andeutend  an. 

Wurden  andere  Handschriften  angegriti'en,  so  wurden  sie  dies  ein- 
mal und  sanken  in  ihr  verdientes  Nichts  (z.  B.  Pertz,  Archiv,  IX.  4 Co. 
Sybel,  Zeitschr.  I.  127.  X.  171.  Springer,  Gesch.  Oesterr.  II.  12)  :  die 
G.  und  K.  Handschriften  kehrten  jedoch  nach  jedem  Angriffe  nur  um  so 
sieghafter  zurück:  man  hatte  sie  irtümlich  nur  todgesagt. 

Es  ist  auch  jetzt  der  Standpunkt  der  Angritfe  und  ihrer  Wieder- 
legungen  ein  ganz  anderer,  als  er  noch  vor  einigen  Jahrzehenden  war  : 
die  Kenntnisse  in  der  Palaeographie,  comparativen  Linguistik  und  Geschichte 
der  Psychologie  und  Poesie  sind  in  uusern  Togen  so  erstarkt,  dass  man  mit 
Sicherheit  behaupten  kann,  ein  solches  Geistes-  und  Schriftprodukt,  wie 
es  die  genannten  Handschriften  sind,  war  zu  fälschen  vor  fünfzig  Jahren 
eine  Unmöglichheit.  Ja  es  kann  die  erste  Academie  der  Welt  auch  noch 
heutzutage  welchen  Preis  immerhin  auf  die  Nachahmung  einer  ähnlichen 
Grünberger  und  Königinhofer  Handschrift  aussetzen  und  Niemand  wird 
ihn  verdienen! 

So  lange  dies  nicht  geschieht,  wäre  ein  Wort  über  die  Angriffe  zu 
verlieren,  rein  eitel:  heati  Bohemi  possidentes. 


22.  Literatur  über  die  Grünberger  und  Königinhofer 

Handschrift. 

Es  stehe  hier  auch  eine  Uebersicht  der  ausgebreiteten  Literattir, 
die  sich  bereits  über  beide  Handschriften,  zum  Teile  für,  zum  Teile  ge- 
gen dieselbe  herangebildet  hat.  Wir  nehmen  hier  vorgreifend  die  Lite- 
ratur der  K.  H.  mit,  einerseits  um  .uns  einen  Weg  zm'  nachfolgenden 
Betrachtung  dieser  Handschrift  selbst  zu  bahnen,  andererseits  weil  die 
Literaturen  beider,  ohne  sich  grosser  Wiederholungen  schuldig  zu  machen, 
nicht  gesondert  gegeben  werden  können. 

Jahr   1817. 

Aufgefunden  wurden  beide  Handschriften  in  demselben  Jahre, 
aber  die  Gr.  H.  im  Südwesten,  die  K.  H.  im  Nordosten  Böhmens. 
Die  K.  H.  erfreute  sieh  jedoch  eines  viel  besseren  Geschickes,  einer 


56 

viel  freundlicheren  Aufnahme  als  die  Gr.  H.  wegen  der  anonymen 
und  ungeschlachten  Form  der  Einsendung-. 

Jabr  1818. 

Denn  obgleich  erst  im  Spätherbste  aufgefunden,  wurde  die 
K.  H.  doch  schon  im  J.  1818  von  Banka,  dem  Auffinder,  in  seineu 
Starobyla  skladanie  (II.  B.  S.  X.)  probeweise  dem  böhm.  Publikum 
vorgeführt,  was  durch  W.  Svoboda  in  den  vaterländischen  Blättern 
(Wien  S.  52.)  und  Li7ida  (Prazske  noviny,  S.  115)  weiter  verbreitet 
wurde.  In  demselben  Jahre  bewillkommnete  sie  selbst  Jos  Dobrov- 
sk'y  in  seiner  zweiten  (eigentlich  dritten)  Ausgabe  der  Gesch.  der 
böhm.  Sprache  und  Literatur  (S.  385 — 390)  auf  das  wärmste,  wie 
dies  auch  von  ästhetischer  Seite  Damheck  im  Hesperus  (N.  71) 
und  in  literarhistorischer  Hinsicht  die  damals  in  Wien  erscheinen- 
den Srbske  noviny  (S.  87.  88.)  taten.  Die  Gr.  H.  kam  aber  in 
diesem  Jahre  erst  heimlicher  Weise  nach  Prag. 

Jahr  1819. 

In  diesem  Jahre  gab  schon  Hanka  die  editio  prineeps  der 
K.  H.  heraus,  die  nun  eine  der  grössten  Seltenheiten  wird  (kl.  8*^ 
2  Bl.  Vorwort,  119  S.  Text,  3  uugezeichnete  Seiten  die  Versfrag- 
mente (Streifen),  und  4  eben  solche  Seiten  Erklärungen:  worauf 
dann  unter  eigener  Paginirung  die  deutsche  Uibersetzung  Prof. 
Wenzel  Svoboda  s  von  Navarov  folgt  Diese  Uibersetzung  hatte  ein 
erklärendes  Vorwort,  das  aber  einem  Auszuge  aus  Dobrovsky's 
Gesch.  d.  böhm.  Sprache  weichen  musste.  Die  Uibersetzung  selbst 
füllt  62  S.).  Diese  Ausgabe  ist  unter  allen  spätem  Angaben 
Hankas  die  wissenschaftlichste,  weil  er  darin  den  Text  unverändert 
gibt,  allerdings  nur,  wie  er  ihn  damals  selbst  lesen  konnte,  und 
sich  darin  nur  in  der  Nachahmung  des  kleinen  Formates  der  Hand- 
schrift und  der  Starobyla  Skladanie,  als  deren  besonderer  Teil, 
dil  zvlästni,  die  K,  H.  erschien,  dann  in  der  Vorrede  und  in  den 
Erklärungen  unbekannter  Worte  äussert.  Wie  fern  sein  Geist  dem 
Wesen  der  Handschrift  stund,  zeigt  die  Vorrede,  in  welcher  ihm 
Lumir  und  Zäboj  dobrodruzstvi  d.  i.  Abenteur  besingen.  Sie  waren 
ihm  also  eine  Art  Troubadoure  und  Minnesänger.  Zdvise  von  Ko- 
senberg  (Vitkovic)  dichtete,  oder  sammelte  doch  (nach  Hanka) 
diese  Gesänge.  —  Tiefer  beurteilte  allerdings  der  tüchtige  und 
warmfülende  MemertAn  Hormayer's  Archiv  (1.  H.)  diese  Gedichte 
und  fand  sein  Echo  sowol  im  Präger  Hyllos  (N.  15-17),  als  auch 
in  der  Prager  Zeitung  (N.  84.  85).  Ja  selbst  ein  Kopiiar  rühmte 
zumeist  mit  Worten  Dambeck's  die  K.  H.  in  den  erneuerten  vater- 
ländischen Blättern  (Wien.  Chronik.  S.  34). 

Jahr  1820. 

Starb  Ant.  Puchnayer^  der  zuerst  durch  den  Grafen  Stern- 
berg die  Gr.  H    zum  Entziffern    erhalten  und  nach  Prag  gesendet 


57 

hatte.  Ant.  Jiingmann  verfertigte  sich  eine  Abschrift  von  einer 
Abschrift  seines  Bruders  Josef,  des  Slavisten,  und  sendete  dieselbe 
an  den  Polen  Val.  Sliorochod  Majevski,  und  erstaunte  niclit  wenig, 
als  er  in  J.  B.  Rahovieckis  Pravda  ruskaja  (^^'ars(•llau)  seinen  Brief 
und  die  Abschrift  abgedruckt  fand,  während  der  Busse  Siikor  die 
K.  H.  böhmisch  und  russisch  in  den  Izvestija  rossijskoj  akadeniiji 
in  Petersburg  (Vlll.  S.  47—215)  abdrucken  Hess. 

Jahr  1821. 

Liess  der  als  Gelehrte  und  Minister  rühmlichst  bekannte  .Si.s- 
kov  auch  die  Gr.  IL  in  die  genannte  akademische  Schrift  (im  IX. 
Hefte)  nach  Rakoviecki  abdrucken. 

Jahr  1822. 

Erschien  von  den  Brüdern  Jungmann  in  Prag  (Krok,  1.  B. 
3.  H.)  die  erste  wissenschaftliche  Ausgabe  der  Gr.  H.  mit  neu-böhm. 
Texte  und  Anmerkungen  (S.  48—61). 

Jalir  1823. 

Liess  der  Russe  Nie.  Grammatin  mit  seiner  Ausgabe  des  Igor 
zugleich  die  russische  ^Übersetzung  von  der  Gr.  11.  in  Moskau  erschei- 
nen, während  zugleich  in  der  Prager  Zeitschrift:  der  Kranz  die 
erste  deutsche  Uibersetzung  derselben  erschien. 

Jahr  1824. 

Es  brachen  die  heftigen  Angriffe  des  damals  gemütskranken 
Dobrovsk^  g'^gew  die  Gr.  H.  öffentlich  aus  (Hormayer's  Archiv,  N. 
46),  die  er  bisher  nur  privatim  in  Prag  geäussert  hatte.  W.  Svo- 
hoda  replicirte  daselbst  (N.  64),  was  aber  Dobrovsky  nur  kampf- 
lustiger machte,  da  er  im  Archiv  (N.  79)  und  zugleich  in  den  Wie- 
ner Jahr-Büchern  (27.  B.  S.  95—100-114)  die  Handsehriit  an- 
griff. Siehe  :  Literärni  püsobeni  Jos.  Dobrovskeho  (Abhandl.  d.  kön. 
böhm.  G.  d.  W.  1867.  15.  Band). 

Jahr  1825. 

Dobrovsky  setzte  die  Angriffe  fort  (Archiv  11.  Fcl)cr)  und 
.schrieb  an  den  Engländer  Boioring,  der  in  demselben  Jahre  in 
the  föreigu  quarterly  review  (III.)  seine  Anerkennung  der  K.  H. 
bezeugt  hatte  und  auch  eine  Anthologie  böhm.  Gedichte  heraus- 
geben wollte,  er  möge  sich- vor  den  böhmischen  Fälschern  in  Acht 
nehmen. 

Jahr  1829. 

Dohrovshj  starb  und  TTanka  gab  mit  Svohorla  die  zweite  Aus 
gäbe  der  K.  H.  oder  eigentlich  die  erste  populäre  Ausgabe  heraus,  die 
obschon  sie  sich  den  Anschein  einer  wissenschaftlichen  üab,  nichts- 
destoweniger  aber  mit  dem  Texte    oft  ganz  willkürlich  umsprang. 


58 

Die  Gr.  H.  ist  darin  als  kurzer  „Anhang  (pridavek)"  mit  aufgenom- 
men, ja  sogar  das  gefälschte  Lied  an  den  Vysehrad  und  das  Miune- 
lied  König  Wenzels,  obschon  die  Herausgeber  selbst  gelinde  Zwei- 
fel darüber  äusserten  (S.  183.  184  deutsch,  S.  191.  böhmisch).  Bei 
Gelegenheit  dieser  Ausgabe  erschien '  in  den  Wiener  J.  B.  (48.  B. 
S.  138  — 169,  insbesondere  aber  S.  164— 166)  die  erste  vollständige 
Kritik  und  Analyse  der  beiden  Handschriften,  namentlich  aber  der 
verletzten  Grünb.  Handschrift  durch  Fr.  Palacki^.  welcher  Analyse 
jedoch  der  damalige  Redakteur  der  J.  B.  Kopitar  eine  bittere  Nach- 
schrift zufügte. 

Jahr  1832. 

Bowring  gab  zwar  seine  augekUndete  Cheskian  anthology  sammt 
dem  warnenden  Briefe  Dobrovsky's  (S.  7—9.)  heraus,  jedoch  nicht 
darauf  achtend;  aber  von  einer  andern  Seite  erschien  ein  unerwarte- 
ter Angriff.  Denn  G.  Palkovic  gab  in  seinem  Almanache  Tatränka 
in  Pressburg  beissende  Bemerkungen  über  die  Gr.  H.  zur  Schau, 
die  jedoch  alsobald  ihre  gebührende  Abfertigung  durch  Jos.  Jung- 
mann  im  Prager  Musejnik  (H.  S.  239 — 248)  fanden,  wo  auch  in- 
teressante Aufschlüsse  über  das  Gedicht  „an  den  Vysehrad^'  zu 
finden  sind.  Seitens  der  Fälschungen  vergleiche  die  Sitzungsbe- 
richte d.  kön.  böhm  Ges.  d.  Wissensch.  vom  6.  Juli  1863  und  31. 
Oktober  1864. 

Jahr  1833. 

Palkovic  verstummte  jedoch  nicht  sogleich,  wie  die  Tatränka 
bewies,  und  verbarg  sich,  während  er  seine  gehässigen  Pfeile  gegen 
Böhmen  losschuellte,  hinter  den  Schild  Dobrovsky's,  woher  ihn 
jedoch  Fr.  Palacky  im  Musej-n.  1834.  (S.  462—465)  nicht  nur  glücklich 
heraustrieb,  sondern  auch  zum  endlichen  Verstummen  brachte  (Pal- 
kovic starb  1850). 

Jahr  1834. 

Palacky  begleitete  auch  in  demselben  Jahre  den  Zigeuner- 
aufsatz Eduard  Quinet's  im  de  Varro's  Almanach  de  Carlsbad  (S. 
181)  mit  seinen  treffenden  Bemerkungen;  in  demselben  Jahre  also, 
in  welchem  er  von  der  Echtheit  der  Gr.  H.  fest  überzeugt  zu  sein, 
öffentlich  erklärte  (Musejn.  1834.  S.  464.  465). 

Jahr  1830  bis  1839. 

Sehr  edle  Namen  unter  den  Kusinen  (z.  B.  Saskievic,  Vahy- 
levic),  Russen  (z.  B.  Bodjanski)  und  Pohn  (z.  B,  A.  Bielovski) 
hatten,  durch  die  Angriffe  sich  nicht  irre  machen  lassend,  die  be- 
deutendsten Teile  beider  Handschriften  gewürdigt  und  zum  Teile 
in  ihre  Sprache  übertragen.  Wir  führen  als  Beispiele  an :  den  Lem- 
berger  Halicanin  (1830.  T.  202.  H.  93),  Zievonia  (1834.  S.  229), 
bis  endlich  L.  Sieminski  im   J.  1836   die  ganze    K.  H.  übersetzte. 


f)9 

Siehe  darüber  die  Kvety  vom  J.  183G  Beil.  S.  Id.  79.  üiber  diese 
und  andere  Uibersetziingen  und  Bearbeitungen  siehe  auch  den  Auf- 
satz KanheTcs  und  NebesJafs  im  Musejnik  1838.  S.  303.  307.  18Ö2. 
S.  144.  1853.  1.  124.  136.  142.  Im  J.  1838  veranstaltete  auch 
Sreznevsky  in  Prag  (bei  Spurny,  VIII.  75)  eine  Ausgabe  d(!r  K.  H. 
und  Igor's  für  Russen.  F.  G.  Eichhof  machte  mit  den  Handschrif- 
ten die  Franzosen  durch  sein  Werk  bekannt:  bist  de  la  langue 
et  de  la  literature  des  Siaves.  Paris  1839.  Während  sich  die  IJibcr- 
setzungeu  und  Erklärungen  mehrten,  so  ruhte  doch  Kopitar  nicht,  in- 
dem er  im  J.  1837  in  dem  Aufsätze:  de  vetenim  codicimi  bohe- 
micorum  insperatis  invenHonibus  non  sine  causa  suspec'is,  welcher 
im  Hesychii  glossographi  discipulus  (Wien,  S.  58)  erschien  und 
den  skeptischen  Bemerkungen  nachfolgte,  die  im  14.  Baude  von 
Gersdorfs  Repertorium  desselben  Jahres  erschienen.  Diese  waren 
nämlich  von  Kopitar  schon  ein  Jahr  früher  geschrieben  worden, 
blieben  aber  liegen. 

Jahr  1840. 

Das  grosse  Werk  Palackfs  und  Safank's:  die  ältesten  Denk- 
mäler der  böhm.  Sprache  (Prag  in  den  Abhandlungen  der  küu. 
böhm.  Gesell,  der  Wiss.)  machte  Frieden  auf  fast  18  Jahre,  da 
selbst  Kopitar  verstummte  (geb.  1780  f  1844).  Die  „Denkmäler'' 
standen  damals  aufder  vollständigen  Höbe  der  Wissenschaft  und  waren 
so  der  erste  Anlauf  zu  einer  wissenschaftlichen  Literaturgeschichte, 
die  fortgesetzt  werden  sollte,  was  leider  nicht  geschah,  da  Safafik 
von  allen  historischen  Arbeiten  sich  zurückzog,  um  fortan  seiner 
Lieblingswissenschaft,  der  Linguistik,  zu  leben.  Leider  sind  sie 
formal  sehr  ungleichartig  gearbeitet,  indem  der  Anfang  viel  zu 
breit  gehalten,  das  Ende  jedoch  zu  sehr  praecipitirt  ist.  DieK.  H. 
blieb  dabei  so  ziemlich  ausser  Betracht,  einerseits  weil  die  Gr.  H. 
relativ  schon  den  meisten  Raum  absorbirt  hatte,  andererseits  weil 
man  Hanka  im  ruhigen  Alleinbesitze  der  K.  H.  nicht  stören  wollte. 
Für  die  Gr.  H.  sind  sie  die  einzige  kritische  Ausgabe  derselben, 
sie  geben  deren  vollständige  Literatur,  Transscription  in  der  Kyri- 
lica,  deutsche  und  lateinische  Uibersetzung  derselben,  so  wie  eiu 
litographirtes  Facsimile,  das  ziemlich  geeignet  ist,  den  Einblick  in 
das  Original  zu  ersetzen.  Auch  noch  heutzutage  sind  sohin  die 
„Denkmäler"  ein  gesuchtes  und  geschätztes  Werk. 

Jahr  1845. 

'Ein  eben  solches,  obsöhon  für  weitere  Kreise  berechnet,  ist 
das  Werk  des  hochherzigen  Grafen  Jos.  Math.  Thun,  das  unter 
dem  Titel  :  Gedichte  aus  Böhmens  Vorzeit,  in  Prag  bei  Tempsky 
erschien.  Die  literatnrhistorische  Einleitung  schrieb  mit  Mcistcrliaiul 
Safafik.  Die  Gedichte  der  Gr.  und  K.  H.  sind  darin  nach  ihrem 
mulhmasslichem  Alter  gereiht,  mit  altböhmischem,  jedoch  neuböh- 
misch transscribirtem  Texte  und  einer  Uibersetzung  des  Grafen  ab- 


60 

gedruckt.  Diese  Uibersetzung*  zeichnet  sich  durch  grössere  Ge- 
nauigkeit aus,  als  die  frühere  Uibersetzung  Svoboda's,  die  zu  sehr 
modernisirt  ist.  Leider  kommen  mitten  unter  den  Gesängen  der 
K.  H.  (S.  105)  die  gefälschten  Lieder  an  den  Vysehrad  und  das 
Minnelied  König  Wenzel's  vor,  das  jedoch  bescheiden  mit  dem  Anhange 
vorlieb  nehmen  musste  (S.  179).  Man  vgl.  damit  0.  ScJmielhr  in 
den  Münchner  gelehrten  Anzeigen,  1846.  —  In  demselben  Jahre 
1845  erhielten  beide  Handschriften  einen  wissenschaftlich  besorg- 
ten Text  im  Vybor  literatury  ceske,  obschon  nun  bei  dem  grossen 
Fortschritte  der  Slavistik  in  den  letzten  20  Jahren  eine  neue  Auf- 
lage derselben  höchst  erwünscht  wäre. 

Jalir  1844-1852. 

Um  diese  Zeit  herum  waren  wiederum  Erklärer  und  Uiber- 
setzer  sehr  tätig.  So  hatte  schon  im  J.  1844  Kaiina  (geb.  1816 
t  1846)  in  der  Piager  Zeitschr.  Ost  und  West  die  einzelneu  Lieder 
der  K.  H.  gewürdigt,  der  Musejnik  (1845.  S.  586)  brachte  süd- 
slavische  Uibersetzuugen  derselben  von  Stanko  Vraz,  während  auch 
Berlic  eben  solche  vom  J.  1848 — 50  zuerst  eiuzelnweis,  dann  1852 
gesammelt  in  Prag  erscheinen  liess.  Im  J.  1846  gab  auch  Nik. 
Berg  in  Moskau  eine  Uibersetzung  der  K.  H.  heraus,  die  1851 
wiederholt  wurde.  Im  Musejnik  1847  (II.  225)  findet  man  ober- 
lausitzische  Uibersetzungen  J.  Buk's  (III.  122),  serbische^  aber  nur 
vereinzelt.  In  den  „neueren  Gedichten"  Mor.  Hartmanns  (Leipzig 
1847)  findet  man  gleichfalls  treffliche  Paraphrasen  der  K.  H. ;  in 
welchem  Jahre  dixxah  Peitz  selbst  seine  Stimme /«?'  die  K.  H.,  aber 
zugleich  gegen  die  Gr.  H.  abgab.  Archiv  der  Gesell,  für  ältere 
deutsche  Geschichtskunde,  9.  B.  B.  S.  465).  In  eben  demselben 
Jahre  feierte  man  gemütlich  die  30jährige  Auffindungsfeier  in  Kö- 
niginhof, wie  dies  Brdickds  Venecek  uvit  16.  zäri  1847  kundtut. 
Nach  Pertz  entschied  sich  auch  Wattenbach  in  Deutschlands  Ge- 
schichtsquellen im  Mittelalter  (S.  447).  Im  Musejnik  1849  gab 
V.  V.  Tomek  historische  Erläuterungen  zu  einzelnen  Teilen  der  K. 
IL  In  ihrem  Histor.  view  gibt  die  begabte  Schriftstellerin  Talvj 
(v.  Jakob)  ihre  Meinung  über  beide  Handschriften  ab,  eingehender 
aber  A.  IL  Vratislav,  ein  Nachkomme  vertriebener  böhm.  Familien, 
sowohl  in  seiner  Lyra  1849,  als  im  Patriotism  1852,  und  endlich 
in  der  ganzen  Herausgabe  des  Queen's  court  manuscr.  (1852  in 
Cambridge). 

Jahr  1852. 

Dies  Jahr  macht  in  der  Geschichte  der  K.  IL  Epoche,  da  in 
demselben  V.  Ne.beshj  im  Musejnik  (III.  S.  125,  IV.  129.  1853. 
I.  IIG.  IL  335.)  seinen  referireuden  und  kritisircnden  Aufsatz; 
Krälodvorsky  rukopis  erscheinen  liess,  den  er  1853  beendigte.  Er 
enthält  in  der  Tat  die  ganze  Geschichte  nicht  nur  der  K.  H.  son- 
dern auch  des  Grünberger  Manuscriptes  in  ein  literaturhistorisches 


61 

Bild  zusaniuiengefasst  und  bietet  mit  Ausnahme  eini^^r  Längen 
bis  auf  unsere  Tage  neben  den  Scbriften  Safafik's  das  beste,  was 
über  beide  Handschriften  gesehrieben  wurde.  In  de  ms.  Jahre  hielt 
Tomek  am  3.  Feb.  in  d.  gel.  G.  einen  Vortrag  über  Zäboj,  worin 
er  das  darin  genannte,  sonst  unbekannte  Faelum  in  d.  erste  Hillflo 
des  8.  Jhhr.  u.  zw.  etwa  728—748  setzt,  stat  in.s  0.  Jhr.  wie 
gewöhnlich  (Act.  7  B.  S.  45.  46.).  Der  Streit  über  die  Handschrif- 
ten schien  aufgehört  zu  haben,  so  wie  zugleich  der  naive  Gcnuss 
an  dem  Besitze  der  herrlichen  Denkmale,  denen  wol  kein  modern 
europäisches  Volk  etwas  ähnliches  an  die  Seite  setzen  kann,  ge- 
sichert schien.  Dies  zeigt  die  Analyse  vom  „Zäboj"  in  der  Ko- 
leda,  1854.  S,  88.  dann  von  „Zäboj"  und  „JaroslaV  durch  Vocel 
im  Musejn.  1854.  S.  410.  Act.  Bd. 'iX.  1855.  S.  41. 

Jahr  1857. 

Aber  Fnfalik  bereitete  schon  in  den  Sitzungsberichten  der 
Wien.  Acad.  einen  geschärften  Angriff  vor.  Auch  als  V.  Rnijt  in 
dem  Znaymer  Gymn.  Progr.  die  K.  H.  in  deren  Verhältnisse  zur 
Liter.  Gesch  besprach,  griff  dasselbe  Feifalik  1858  im  5.  B.  S. 
420  der  „Gymn.  Zeitschr."  an. 

Jahr  1858  und  1859. 

Wärend  im  Wiener  „Svetozor"  mit  dem  im  J.  1858  die  interes- 
santen Studien  über  die  K.  H.  durch  Jirec^'k  begannen,  um  auch 
in  den  folgenden  Jahren  fortgesetzt  zu  werden,  erscholl  in  Prag 
ein  gar  arger  Misston.  Denn  es  gab  ein  Ajiomjmus  in  der  Prager 
politischen  Zeitung:  Tagesbote  aus  Böhmen  einen  Aufsatz  unter 
dem  Titel  heraus:  Handschriftliche  Lügen  und palarographische  Wahr- 
heiten, der  in  den  Nummern  276,  285,  289  die  Gr.  H.,  dann  in 
der  Nummer  299  die  K.  H.  und  die  wirklich  gefälschten  Lieder 
heftig  angriff.  Nicht  nur  die  Sache  sondern  auch  die  Person  Ilan- 
kas  wurde  verdächtig  gemacht.  Hanka  in  seiner  bürgerlichen  Ehre 
sich  mit  Recht  gekränkt  fühlend,  und  im  Privatwege  indess  zu 
wichtigen  Auffindungsnachrichten  gekommen,  klagte  gerichtlich,  und 
so  hatten  die  Böhmen  das  seltene  Schauspiel,  dass  auch  die  Ge- 
richtshöfe für  die  altertümlichen  Handschriften,  namentlich  aber  für 
die  K.  H.  wirksam  eintraten  und  den  Gegnern  ihr  Unrecht  Juri- 
disch beweisen  mussten.  Während  nun  die  Gerichte  in  voller  Tä- 
tigkeit waren,  versäumten  die  böhm.  Literaten  nicht  vom  wissen- 
schaftlichen Standpunkte  dem  Anonymus  einerseits  seine  Seichtig- 
keit  der  Beurteilung,  andererseits  aber  die  Nichtigkeit  seiner  sitt- 
lich unberechtigten  Verdächtigung  öffentlich  nachzuweisen. 

Den  Reihen  führte  Palack^  an,  der  seine  Verteidigung  in  die 
vielgelesene  Zeitschrift  Bohemia  und  zwar  seitens  der  Gr.  H.  in 
den  Nummern  288,  289,  seitens  der  K.  H.  aber  in  der  Nummer 
292  tibergab.  Die  Worte,  welche  Palacky  der  Unbeholfenheit  Hau- 
ka's  sagen  musste,    waren  allerdings  nur  wenig  milder,  als  es  die 


62 

Worte  waren,  welche  schou  im  J.  1851  Fr.  Miklosich  in  seiner 
„Slavischen  Bibliothek"  (I.  267)  gegen  die  Unwissenschaftlichkeit 
Hanka's  vorbrachte  (vgl.  auch  kritische  Blätter.  Prag.  1858.  2.  Jg. 
Nr.  12.  S.  291.  292.  Nr.  17.  S.  89.  Nr.  21.  S.  188),  allein  seitens 
der  Auffindung  der  K.  nnd  Gr.  H.  stand  Hanka  ganz  rein  da. 

Der  schon  genannte  Svetozor  bewies  im  Frühjahre  1858  (Nr. 
8,  S.  61),  wie  der  Wortschatz  der  K.  H.  sich  in  der  Alexandreis 
fortsetzte  eben  so  wie  er  an  der  Neige  des  Jahres  1858  (Decem- 
ber)  nachwies,  wie  die  Altertümlichkeit  der  Rechtsanschauungen 
im  Libusin  soud  selbst  schon  für  seine  Echtheit  sprechen. 

Professor  Martin  Hattala^  die  erste  Autorität  wissenschaft- 
licher Slavistik  in  Böhmen,  ein  Slovene  (siehe  desen  Biographie 
in  von  Wurzhaclis  biograpb.  Lexicon,  welche  dessen  Controversen 
ausführlich  berührt),  schrieb  zur  Verteidigung  beider  HandscJiriften 
mehrere  gediegene  Artikel,  z.  B.  in  die  „Prager  Morgenpost"  und 
zwar  in  den  Nuiumern  317.  318.  325.  335.  vom  J.  1858  natürlich 
zumeist  linguistischer  Natur,  worauf  nach  einer  Sitzung  in  der 
kön.  böhm.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  am  3.  Jännei-  18öÖ 
seine  Verteidigung  der  Gr.  H.  von  poetischer  Seite  in  derselben 
„Prager  Morgenpost"  (Nr.  8  und  9)  erschien.  Doch  dies  alles  war 
zur  Orientirung  des  grösseren  Publicums  bestimmt.  Die  eigentliche 
wissenschaftliche  und  zwar  schlagende  Obrana  d.  i.  Verteidigung 
Hattala's  erfolgte  im  Musejnik  1858.  S.  600  und  1859.  S.  326. 
1860.  S.  59  und  313—321. 

Auch  im  Svetozor  wurde,  wio  gesagt,  1858  die  Gr.  u.  K.  H. 
eingehend  besprochen  St.  177.  185.,  worauf  H.  Jirecek's  klassische 
Studien  darüber  1858  S.  43—185  folgten. 

K.  3.  Erben  gab  imLumirl859.  S.  423  die  Erklärung  schwie- 
riger Stellen  d.  K.  H.  (sipäse). 

In  demselben  Jahre  veröffentlichte  Nebeskp  im  Mus.  seine 
nova  acta  ve  pH.  1859.  S.  198    397. 

Ein  Jahr  zuvor  gab  Ida  v.  Düringsfdd  ^le  manuscrit  de  Kö- 
niginhof  französ.  in  Brüssel  1858  heraus,  in  demselben  Jahre  als 
Reinherg's  literature  Tcheque  ebendaselbst  erschien. 

Doch  auch  die  Gegner  waren  nicht  untätig.  M.  Büdinger  griff 
nämlich  in  der  histor.  Zeitung  von  Sybel's  im  J.  1859  (I.  B.  S. 
127),  in  demselben  Jahre  also,  in  welchem  Siegfried  Kapper's  ge- 
wandte Uibersetzung  der  Handschriften  in  Prag  erschien,  „die  Kö- 
niginhofer  Handschrift  nnd  ilire^  Sclnoestern'-'  heftig  an,  und  ward 
darob  sowol  von  der  officiellen  Wiener  Zeitung  ( 1 859.  Nr.  23),  als 
von  der  officiösen  Augshurger  Allgemeinen  (16.  April)  unterstützt 
und  laut  gepriesen.  Das  führte  denn  Fr.  Palackij  noch  einmal  rüstig 
auf  den  Kampfplatz  und  zwar  in  v.  Sybel's  genannter  Zeitschrift, 
wie  der  Aufsatz  unter  dem  Titel :  „die  altböhmischen  Handschriften 
und  ihre  Kritik"  1859.  HI.  S.  89— 111)  beweisen.  Büdinger  wehrte 
sich  aber  nicht  blos  in  der  „Entgegnung  (ibid.  S.  112— 117),  son- 


dern  auch  m  einer  eigeneu  VerteidigUDgssclirift  „die  K.  II.  und  ilir 
neuester  Vertlieidiger,"  die  iu  demselben  Jahre  1859  in  Wi'ju 
erschien. 

Denn  auch  die  Verteidiger  der  Handschriften  mehrten  sich. 
So  trat  V.  Nehesky  in  der  Sitzung  der  bühm.  Gesellschaft  am  20. 
Juni  1859  (Sitzungsber.  S.  41.)  für  die  K.  H.  namentlich  seitens 
des  Gedichtes:  über  die  Vertreibung  der  Polen  aus  Prag  auf,  wel 
chen  Aufsatz  der  Musejnik  (1850.  S.  198 — 235)  brachte.  Ma.\  Krup- 
sk^  gab  im  Bühm.-Leipacr  Gym.  Progr.  1859  den  „Kozi)(»r  Jaro- 
slava"  d.  i.  die  Analyse  des  Gedichtes  Jaroslav  heraus. 

Auch  ein  Anonymus  (man  nannte  in  Prag  Baron  JJel/ei-t  als 
Autor)  Hess  in  Prag  eine  Broschüre  erscheinen,  „Max  Blidinger 
und  die  Königiuhofer  Geschwister",  welche  auf  humoristische  Weise 
einige  schielende  Schlüsse  der  Büdingerschcn  Einwürfe  hervorhob. 

Der  Svetozor  brachte  ebenfalls  (1859.  S.  237— 239)  einen  Auf- 
satz gegen  Büdinger.  llattala  hielt  im  J.  1860  in  der  kön.  böhm. 
Gesellschaft  am  9.  Jänner,  6.  Feber,  2.  April  Vorträge  gegen  Bü- 
dinger, die  dann  zur  genannten  Obrana  verarbeitet  wurden  (Sitz. 
Ber.  S.  14.  28.  74),  ja  selbst  der  grosse  &afnrik  verteidigte  in  der 
Sitzung  vom  19.  December  1859  (S.  90),  in  der  letzten  Sitzung 
vor  seiner  gefärlichen  Erkrankung,  die  Grünberger  Handschrift,  in- 
dem er  das  altgermanische,  sonderbarerweise  in  den  Einzelnhciteu 
noch  so  wenig  durchforschte  Erbrecht  in  originelle  Untersuchung 
zog.  Damals  fand  Büdinger  eine  Unterstützung  nur  an  E.  J.  Schwam- 
mel,  der  die  Erzählung  der  K.  H.  von  dem  Mongoleneinfalle  angrift' 
(Sitzungsberichte  der  kais.  Academie  in  Wien.  1860.  33.  Band.  1. 
H.  S.  179—218).  Siehe  dsn-üher  Jiredek :  Echtheit  der  K.  H  S.  161. 
K.  J.  Erben  begann  eine  illustrirte  Prachtausgabe  der  K.  H.  bei  Bell- 
mann 1860,  welche  jedoch  bald  eingieng. 

Zum  Teile  behufs  des  Processes  gegen  den  Anonymus,  zum 
Teile  um  selbstständige  äussere  Mittel  gegen  die  Angriffe  zu  ge- 
winnen, fing  man  an,  die  Aussagen  von  Augen-  und  Ohrenzeugen 
der  Auffindung  der  K.  und  Gr.  H.  zu  sammeln,  die  noch  im  J. 
1859.  V.  V.  Tomek  imMusejnik  (S.  28  und  102)  chronologisch  ge- 
ordnet abdrucken  liess,  ebenso  auch  1859  im  Lumir  (Zeugniss  des 
Jos.  Koläf)  S.  135. 

Alle  diese  „Zeugnisse  der  Auffindung  der  Gr.  H."  übersetzte 
ebenfalls  noch  in  demselben  Jahre  J.  Maly  ins  Deutsche,  wozu 
man  auch  den  genannten  Aufsatz  V.  Nehesky  s:  Neue  Acta  bei 
dem  Processe  über  die  K.  H."  im  Musejnik  1859.  S.  397—106  zu 
zählen  hat. 

In  späteren  Jahren  traten  zum  Uiberflusse  noch  zwei  Zeugen 
auf,  und  zwar  im  J.  1863  Franz  P^tera,  der  in  der  Prager  Zeit- 
schrift „Beseda''  das  Zeugniss  Alizar  s  veröffentlichte,  das  da  nach- 
wies, dass  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhundertes  noch  alle  drei  Band- 
chen der  K.  H.  vorhanden  waren,  deren  kleinen  Rest  im  J.  1817 
Hanka  dort  auffand. 


64 

Das  zweite  Zeug-niss  gab  erst  im  J.  1864  Dr.  Legis  Glück- 
selig durch  den  Aufsatz  ab :  „Die  K.  H.  Offenes  Sendschreiben  zur 
end^'Itigen  Lösung'  der  Echtheitsfrage,''  welcher  in  der  Wiener- 
Oesterreichischen  Zeitung  (26.  27  29.  und  30.  Novemb.  N.  276— 
279)  erschien.  Er  nennt  sich  darin  den  „letzten  lebenden  Gedenk- 
mann'^  (Glückselig  ist  1806  in  Prag  geboren  und  starb  im  Jänner 
1867)  der  Begebenheiten  und  war  selbst  dabei,  als  Hauka  die  eben 
aufgefundene  Handschrift  noch  im  J.  1817  dem  Altmeister  Dobrov- 
sky  vorlegte.  Er  nennt  sie  „ein  ausschliessendes  Product  des  cechi- 
schen  Nationalgeistes,  woran  die  Deutschen  nur  durch  den  Schimpf 
beteiligt  sind,  der  ihnen  darin  gezollt  wird."  Sonderbarerweise  und 
inconsequenterweise  wirft  jedoch  Dr.  Glückselig  doch  noch  schie- 
lende Blicke  gegen  die  Gr.  H.  Viele  hielten  ihn  einst  für  den  Ano- 
nymus selbst,  der  im  „Tagesboten"  auftrat,  für  den  jedoch  der  Re- 
dakteur, sieh  mit  ihm  identificirend,  einstund. 

Jaür  1860. 

Doch  es  sollte  nochmals  zu  einem  letzten,  aber  entscheiden- 
dem Kampfe  kommen.  Den  bisherigen  Angreifern  von  deutscher 
Seite  hatte  man  nämlich  ünkunde  im  Slavischen  im  allgemeinen 
und  im  BöJimisclien  insbesondere  vorgeworfen,  als  dass  sie  für 
würdig  und  fähig  sollten  gehalten  werden,  als  Kämpfer  gegen 
Handschriften  aufzutreten,  deren  Sprache  sie  nicht  verstunden. 

Das  war  denn  nun  bei  Julius  Fcifalik  aus  Brunn  nicht  der 
Fall.  Dieser  hatte  nämlich  nicht  nur  in  der  böhm.  Literaturge- 
schichte schon  bedeutendes  geleistet,  sondern  es  war  ihm  auch  ge- 
lungen, das  „  WentelsUed'-'  als  ein  gefälschtes  nachzuweisen.  Da 
nun  seit  Hanka's  Vorgang  im  J.  1829  unter  die  echten  Perlen  der 
K.  H.  auch  die  unechten  der  gefälschten  Lieder  gemengt  worden 
waren :  so  schloss  Feifalik,  dass  auch  die  Perlen  gefälscht  seien. 
Darin  liegt  der  Grundirrtum  der  Schrift:  „Uiber  die  K.  H."  Wien. 
1860,  der  schwächsten  Schrift  Feifalik's. 

Jahr  1801. 

Inzwischen  hatte  M.  Hattala  im  populären  Tone  in  den  I^d- 
rodnl  noviny  im  1.  Semester  die  Haltlosigkeit  aller  bisherigen  An- 
griffe an  den  Tag  gelegt,  nachdem  er  ein  Jahr  zuvor  im  Musejnik 
S.  .ol3  durch  den  Aufsatz:  über  enclitisches  z  und  f,  die  Echtheit 
der  K,  H.  dargetan:  in  demselben  J.  1860,  in  welchem  Jos.  Jirecek 
in  den  Rozpravy  ruhig  die  Ausdrücke  der  Gr.  H.  „ot,  oten  und 
Tetva''  auseinandersetzte.  In  der  Prager  Zeitschrift  Pravnik  setzte 
Dr.  Slavidek  (S.  70)  die  Spuren  slavisch  heidnischer  Ordalien  in 
der  Gr.  Handschrift  auseinander. 

Jahr  1862. 

In  diesem  Jahre  erschien  der  Gebrüder  Jirecek  Schrift:  Die 
Echtheit  der  K.  H.  in  Wien,  welche  von  Grund  aus  die  Einwürfe 


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Feifalik's  gegen  dieselbe  widerlegte.  Sie  nimmt  auch  auf  Ein- 
würfe Anderer  Rücksicht,  z.  B.  auf  Büdinger's  und  Schwamniers 
Einwürfe,  belehrt  jedoch  dabei  zugleich,  so  dass  sie  als  literarisches 
Magazin  dieses  Sc'hriftentumsc3'clus  angesehen  werden  kann  und 
eindringlicher  wirkte,  als  Dr.  Kvk's  etwas  matte  aesthetische  Ana- 
lyse der  K.  H.,  die  im  J.  1861  in  Prag  erschien.  Den  reichhalti- 
gen Umfang  der  Schrift  der  Jireeek's  setzte  auch  Vocel  den  böhmi- 
schen Lesern  im  Musejnik  1803  auseinander  (S.  100  115). 

In  demselben  Musejnik  war  im  J.  1862  mehr  als  eine  Probe 
der  K.  H.  ins  Finnische  durch  Dr.  A.  M.  Ählquisi  (S.  275.  312)  er- 
schienen, in  demselben  Jahre,  als  auch  Dr.  K.  Collan's  Proben 
schwedischer  Uibersetzuug  darin  erschienen. 

Jahr  1863. 

An  die  Seite  der  Gegner  der  K.  H.  und  Gr.  H.  trat  nun  auch 
sogar  noch  Wattenbach  auf  und  zwar  in  Sybel's  liistor.  Zeit.schrift 
(III.  S.  172 — 175),  welcher  die  Widerlegungen  der  Gebrüder  Jire- 
cek  nur  „Scheingefechte^'  nennt,  dass  Festhalten  an  der  G.  H.  dazu 
noch  ,,bUnden  Eifer''  zuschreibt,  welcher  der  ,,besser  fabricirten''  K. 
H.  nur  schaden  kann,  denn  jenes  Maclmerk  (die  Gr.  H )  sei  dem 
Inhalte  nach  so  unmöglich  und  palaeographisch  so  stümperhaft, 
dass  nur  arge  Befangenheit  und  die  leider  nun  einmal  dabei  com- 
promittirten  Namen  es  erklären  können,  dass  man  diesen  verlorenen 
Posten  nicht  lieber  gleichfalls  aufgibt"  (S.  174).  Solche  Worte 
würde  noch  die  Unkenntniss  im  Altböhmischen  einigermassen  ent- 
schuldigen, allein  wenn  Wattenbach  einen  neuen  Grund  gegen  die 
K.  H.  in  den  Initialen  derselben  finden  will  „die  allein  zur  palaeo- 
graphischen  Verdammung  hinreichen,  da  sie  den  Charakter  einer 
spätem  Zeit  an  sich  tragen,  als  diejenige  ist,  welcher  die  Minuskel 
des  Textes  nachgeahmt  ist''  (;S.  176)  —  dann  sieht  man  deutlich, 
wie  nur  Vergesslichkeit  einen  Mann,  wie  Wattenbach,  so  reden 
lassen  kann-,  denn  gerade  die  Initialen  sind  der  noch  runden,  heid- 
nischen Antiqua  entnommen,  während  die  Minuskeln  der  gebrochenen 
oder  Mönchsantiqua  sich  etwas  nähern. 

Solchen  palaeographischeu  licschuldigungen  machte  am  besten 
Bibliothekar  Vrtdtho  im  J.  1862  dadurch  ein  Ende,  dass  er  durch 
H,  Staatsanwalt  Rokos  eine  photographische  Abbildung  der  gesammten 
K.  H.  verfertigen  Hess  und  r.uf  der  Grundlage  derselben  eine  genaue 
Beschreibung  der  Handschrift  herausgab.  In  derselben  zählt  er  alle 
die  Misshan'^lungen  auf,  die  an  der  Handschrift  selbst  im  Alter- 
tume  schon,  wie  er  meint,  in  der  Neuzeit  aber,  wie  uns  bedünken 
will,  verübt  wurden,  als  da  sind:  Uiberstreichungen  verblasster 
Züge,  Radirungen  einzelner  Buchstaben,  um  teils  die  alte  Ortho- 
graphie, teils  einige  alte  Accusative  angeblich  zu  bessern,  kindische 
Uibermalung  und  Vergoldung  mancher  beschädigten  Uncialen  und 
ungeschickte  Einzeich nung  plumper  Arabesken  in  leer  gebliebene 
kleine  Räume  der  Handschrift  u.  dgl.  Zugleich  machte  aber  Vrfätko 


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auf  die  Hauptsache  aufmerksam,  dass  die  gut  ausgeführte  Photo- 
graphie manche  Schriftzüge  so  hervortreten  liess,  dass  dadurch  erst 
nun  bessere  Lesearten  erzielt  werden  konnten. 

Eben  so  aufrichtig  beschrieb  im  J.  1863  V.  Nebeski)  im  Na- 
ucn^  slovnik  (4  Band  S.  941 — 951)  die  K.  H.,  wodurch  beide  den 
besten  Beweis  dafür  lieferten,  dass  der  böse  Zufall  die  Entdeckung 
der  K.  H.  in  die  unrechten  Hände  gespielt  hatte.  —  Dasselbe  Jahr 
brachte  noch  die  Zeitschrift  Beseda  in  Prag  Beiträge  zur  Geschichte 
der  K.  H.  von  F.  Petera  (S.  49)  und  Proben  einer  altgriechischen 
Uibersetzung  durch  J.  Sasha  imMusejnik  S.  217.  Früher  gab  auch 
schon  Riedel  Proben  magyarischer  Uibersetzung. 

Jahr  1805. 

Anfangs  dieses  Jahres  kam  die  18.  Ausgabe  der  K.  H.  her- 
aus, noch  ganz  in  der  Form,  Avie  sie  einst  Hanka  herauszugeben 
pflegte,  während  zugleich  Jos.  Kofinek  in  Neuhaus  eine  mit  An- 
merkungen, zumeist  linguistischer  Art,  versehene  Schulausgabe  der 
Gr.  u.  K.  H.  veranstaltete,  die  an  scientifischer  Formung  alle  Han- 
ka'schen  Ausgaben  weit  hinter  sich  liess. 

Im  demselben  Jahre  (verspätet,  sohin  noch  unter  der  Jahres- 
zahl 1864)  erschien  im  Musejnik  und  dann  auch  in  den  Sebran6 
spisy  (1864.  III.)  äafaHUs  letzte  Vorlesung  über  die  Gr.  H.  unter 
dem  Titel :  V;y^raesky  o  dedicnöm  präve  v  Cechäch,  welche  er  schon 
im  Jahre  1859  in  der  köu.  böhm.  G.  d.  W.  vortrug  (19.  Dezemb.). 
Es  sind  wie  gesagt  Betrachtungen  und  Forschungen  über  das  böh- 
mische und  deutsche  Erbrecht,  wie  es  die  Gr.  H.  in  deren  gegen- 
sätzlicher Verschiedenheit  hinstellt.  Schade,  dass  es  dem  greisen 
und  kranken  Safafik  nicht  mehr  vergönnt  war,  wenigstens  noch 
diese  letzte  Arbeit  vollenden  zu  können.  Auch  für  deutsches  Recht 
waren  Beiträge  seltener,  ja  oft  einziger  Art  im  Vortrage  SafaHk's 
angedeutet. 

Die  Zeitschrift  Kvety  meldete  in  ihrer  Nr.  3  im  J.  1865.  dass 
die  Umelecka  beseda  d.  i.  der  Künstler-  und  Literaten-Verein  in 
Prag  eine  Polyglotten- Ausgabe  der  K.  H.  vorbereitCj  um  das  50jähr. 
Jubiläum  der  Handschrift  würdig  zu  begehen  (S.  34).  —  Der  Pra- 
ger Lumir  brachte  Beitr.  zum  Streite  über  die  Echtheit  der  K.  H. 
(S.  15),  während  die  wissenschaftliche  Zeitschrift  Krok  das  aus- 
führliche Urteil  über  Kofinek's  Ausgabe  durch  Dr.  Jedlidka  brachte. 

Gegen  Ende  des  Jahres  d.  i.  am  30.  October  hielt  H.  Koma- 
rek  in  der  kön.  böhm.  Gesell,  -d.  W.  zu  Prag  einen  Vortrag  über 
die  Verfasser  und  den  Sammler  der  K.  H.,  welcher  auch  interes- 
sante Beiträge  zur  Datirung  der  Entstehungszeit  der  einzelnen  Ge- 
dichte brachte  (Sitz.-Ber.  1865.  2.  Heft  S.  40). 

Jahr  1806. 

In  Paris  erschien  in  diesem  Jahre  eine  neue  Uibersetzung 
unserer  Handschriften  durch  Louis  Leger  u.  d.  T.  Chants  heroiques 


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et  chansons  populaires  de  Sluves  de  Boheme.  —  Die  Beurteilung 
dieser  Schrift  siehe  in  d.  Revue  criti(|ued'i)i8toire  et  de  Htterature.  Paris, 
1866.  N.  46.  17.  Novemher  von  O.  Paris,  wek-her  zug^leich  eine 
kurze  Geschichte  der  Auffindung-  beider  Handschriften  und  der  ihr 
parallel  laufenden  Fälschungen  gibt.  Derselbe  L.  Leger  gab  im  J. 
1867  auch  den  Dalimil  in  Paris  heraus. 

In  demselben  Jahre  wurde  auch  der  ^lusealbibliothekar  Vr- 
fdtko  für  die  überreichte  photographirte  Ausgabe  der  K.  11.  durch 
den  Kaiser  von  Oesterreich  Franz  Josef  nach  dessen  Besuche  in 
Prag  mit  einer  goldenen  Medaille  ausgezeichnet. 

Jahr  1807. 

Hermenegild  Jirecek,  der  Gründer  böhm.  slavischer  Rechtsge- 
schichte, gab  in  seinem  Codex  juris  bohemici  (Pragae)  auch  die 
Gr.  H.  als  die  älteste  Quelle  bölimischer  Rechtsgebräuche  heraus, 
nachdem  alle  seine  früheren  jurid.  Schriften  und  Studien  Erklärun- 
gen darüber  geliefert  hatten. 

Am  11.  März  wurde  in  der  böhm.  Ges.  d.  W.  ein  Vortrag 
über  die  K.  H.  gehalten,  welcher  die  Fortsetzung  war  von  dem 
Vortrag  über  die  Gr.  H.  im  J.  1866,  14.  Mai,  beiden  lag  der  In- 
halt gegenwärtiger  Monographie  zu  Grunde,  teils  um  auf  die  bevor- 
stehende Jubiläumsfeier  beider  Handschriften  aufmerksam  zu  ma- 
chen, teils  um  noch  durch  Kritik  der  versammelten  Mitglieder  der 
Gesellschaft  die  letzte  Feile  au  diese  Monographie  anzulegen. 

Endlich  forderte  Prof  Martin  Hattala  in  seinem  Werke :  de 
contiguarum  consonantium  mutatione  in  Unguis  Slavicis  (Pragae, 
1865,  erschien  jedoch  erst  Juni  1867)  alle  Sla\n8ten  auf,  etwaigen 
Bedenken  gegen  die  beiden  Handschriften  öffentlich  Ausdruck  zu 
geben,  um  den  Sieg  ihrer  Echtheit  vor  der  ganzen  "Welt  feiern 
zu  können.  Auch  erschienen  zur  Feier  die  D6jiny  Kr.   Dvora. 


23.  Aeussere  Geschichte   und  Beschreibung  der  Kgh. 

Handschrift. 

In  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhimdertes  lebte  zu  Köuiginhof,  das 
einst  wol  Chvojnov,  dann  Bvür  genannt,  der  ehemalige  Landsitz  der  Pfe- 
mijsliden  war,  ein  alter  Kaplan  in  Pension,  der  unter  anderen  alten  Bü- 
chern auch  drei  Bändchen  altböhm.  Poesien  auf  Pergaraen,  klein  S'^  und 
nett  geschriel}en,  immerfort  vor  sich  auf  seinem  Schreibpulte  stehen  hatte. 
Nach  seinem  Tode  wurden  dieselben  mit  seinen  andern  alten  Büchern 
in  das  untere  Gewölbe  des  Kirchturmes  gebracht,  wo  man  verschiedene 
Kirchenparamente  und  Altertümer  aufzubewahren  pflegte.  Dort  verbrauchte 
zwei  Bcäudchen  Pergamen,  der  Sage  nach,  der  Kirchendiener  zumeist 
zum  Befestigen  der  Kerzen  in  den  Kirchenleuclitcrn,  bis  ein  geringer  Rest 
des  3.  Bändchens  hinter  einen  Schrank  verworfen  wurde,  wo  er  bis  zum 

5* 


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16.  Semptember  1817  sich  erhielt,  an  welchem  Tage  ihn  dort  eben  V. 
Hanka  (geb.  1791  f  12.  Jänner  1861)   auffand    (Beseda  1863.  N.  7.). 

Die  früheste  Nachricht  davon  gab  Hanka  öffentlich  erst  am  1.  Feb. 
1818  im  2.  Teile  seiner  „Starohyld  skladanie"  (S.  VI.  VII.)  heraus, 
indem  er  dort  sagt:  „Auch  mir  gelang  es  im  Herbste  zu  Königinhof  ober- 
halb der  Elbe  die  schätzbare  älteste  Handschrift  dem  Staube  und  den 
Motten  zu  entreissen.  Ich  werde  dieselbe  nächstens  prächtig  (ozdobne) 
herausgeben. " 

Hanka's  weitere  Behauptung  (Nebesky,  musejn.  1852.  HI.  S.  149), 
auch  auf  den  im  Kirchengewölbe  aufgefundenen  Pfeilen  wären  Streifen 
der  K.  H.  als  Pfeilflügeln  befestigt  gewesen,  ist  gewiss  ein  lapsus  memo- 
riae,  denn  einerseits  hätte  selbst  ein  Hanka  nicht  Teile  der  K.  H.  ver- 
schenkt (angeblich  an  den  Fürsten  Rud.  Kinsky),  da  er  die  beiden  Strei- 
fen so  sorgsam  aufbewahrte,  andererseits  wären  „husitische"  Pfeile  längst 
abgeschossen  worden  und  nicht  mit  ihren  Pergamenflügeln  neben  der  K. 
H.  liegen  geblieben.  Woher  sah  man  es  auch  den  Pfeilen  an,  dass  sie 
insbesondere  Jmsitische^''  Pfeile  waren  ? 

Einige  nähere  Umstände  des  in  "Wahrheit  und  Dichtung  durch  Hanka 
nicht  ganz  aufgehellten  Fundes  machte  am  11.  April  1818  Linda,  der 
Redakteur  der  k.  k.  böhm.  privilegirten  Zeitung  bekannt.  Er  nennt  die 
Handschrift  „12  Pergamenblätter,  das  Bruchstück  (odtrzek)  irgend  eines 
Buches,  worauf  zur  grossen  Verwunderung  böhniisch  und  zwar  mit  gros- 
ser Vorzüglichkeit  geschrieben  ist  (a  to  velikä  vybornost  psäna)."  „Der 
Finder,  schliesst  Linda,  gedenkt  dies  Uiberbleibsel  durch  den  Druck  be- 
kannt zu  machen  und  es  mit  einer  russischen  und  deutschen  Uibersetzung 
zu  versehen.  Indess  ist  er  gerne  bereit,  dies  Altertum  allen  Patrioten  zu 
zeigen,  die  es  zu  sehen  begierig  wären."  Die  Herausgabe  erfolgte  auch, 
nach  dem  Vorworte  zu  schliessen,  in  demselben  Jahre  am  16,  September 
1818,  also  gerade  ein  Jahr  nach  der  Entdeckung,  obschon  das  Titelblatt 
der  editio  princeps  die  Jahreszahl  1819  mit  dem  irrigen  Titel  zeigt: 
eine  Sammlung  lyrisch- epischer  National- Gesänge.  Man  hielt  nämlich 
damals  und  lange  noch  hin  die  Poesieen  naiv  genug  für  Volkslieder. 

Von  Notenzeichen,  welche  wir  in  der  Gr.  H.  wol  aufgefunden  hat- 
ten, ist  in  der  K.  H.  keine  Spur.  Der  Schrift  nach  gehören  die  Reste 
entweder  in  das  Ende  des  13  oder  in  den  Anfang  des  14.  Jhrh.  Es  ist 
dies  eine  späte  Abschrift  und  Sammlung  altböhmischer  Poesien  verschie- 
dener Autoren,  verschieden  in  der  Altertümlichkeit  der  Sprache  und  ver- 
schieden in  der  poetischen  und  natürlichen  Weltauftassung.  Ein  Teil  ge- 
hört noch  dem  Heidentume,  ein  anderer  Teil  aber  dem  Christentume  an, 
obschon  kein  Gedicht  davon,  Avenigstens  der  Form  nach  oder  nach  ein- 
zelnen Momenten,  den  Einfluss  des  Ileidentumes  verläugnet. 

Als  eine  ahsichtliche  Sammlung  und  Sichtung  von  Gedichten  kündi- 
get sie  sich  schon  durch  die  Rubriken  an:  z.  B.  „Pocina  sie  kapitule 
Sestmezcietma  tfetiech  knih  o  pobiti  sasikov"  (es  beginnt  das  26.  Kapi- 
tel der  dritten  Bücher:  von  der  Miederlage  der  Sachsen).  Gold  und  far- 
big verzierte  Buchstaben  gibt  es  im  Ganzen  auf  den  12  Octavblättern 
nur  7,  doch  kommen  im  Contexte  noch  45  minirte  Majuskeln  vor,  welche 


69 

teils  die  einzelnen  Abschnitte  der  grösseren  Gedichte,  teils  aber  die  An- 
fange der  lyrischen  Gesänge  andenten. 

Die  Gesänge  selbst  führen  die  Aufschrift:  pocina  sie  kapitule  osra 
mezcietma  tfietiech  knih,  o  piesniech,  es  beginnt  das  28.  Kap.  von  den 
Gesängen.  Dazu  wird  aber  auch  Zbyhon  ein  episches  Gedicht  gezählt, 
so  dass  unter  pieseii,  Gesang,  wol  alles  gezählt  wurde,  wovon  eine  Me- 
lodie bekannt  war.     Doch  davon  noch  unten. 

Die  Aufeinanderfolge  der  Gedichte  ist  folgende:  1.  Blatt  o  vyhndni 
Polanü.  1.  Bl.  V.  26.  Kap.  o  pobiti  Sasikov.  2.  Bl.  o  velkych  bojech 
Kfestan  s  Tatary.  5.  Bl.  v.  o  vicestvi  nad  Vlaslavem.  7.  B.  v.  o  slav- 
n6m  seddni.  8.  Bl.  v.  o  veliUm  pobiti  Bl.  10.  v.  28.  Kap.  o  pimkh, 
acht  Lieder  mit  dem  Anfange  eines  9.  zakrakocie  v  hradie  vr(äna) ;  es 
krächzte  in  der  Burg  (eine  Krähe). 

Herr  Komdrek  bestimmte  in  der  philologischen  Sitzung  der  k.  b. 
G.  d.  W.  am  30,  Oct.  1865  die  Verfassungszeit  der  Gedichte,  wie  folgt: 
Zdboj  um  806,  Öestmir  um  830,  Jelen  im  9  Jhrh.,  Oldfich  um  1004, 
Zbyhori  zwischen  dem  11.  und  12.  Jhrh.,  Bene,^,  1203,  .faroslav,  nach 
1261  oder  1264,  Ludise  1270  —  80.  Die  kleinern,  sogenannt  lyrischen 
Gedichte  sollen  nicht  über  das  12.  Jhrh.  reichen,  Jaliody,  Roze,  Skri- 
vdnek  und  die  Opuscena  gehören  dem  13.  Jhrh.  Wenn  wir  nun  auch 
diese  zu  concreten  Datirungen  zu  beweisen  uns  nicht  getrauen  würden, 
so  ist  doch  aus  ihnen  schon  ersichtlich,  dass  in  der  wirklichen  Sammlung 
diese  Poesieen  nicht  nach  ihrer  Altertüralichkeit  geordnet  sind,  ja  es  ist, 
weil  man  nicht  einmal  weiss,  ob  in  den  beiden  zu  Grunde  gegangenen 
Büchern  lauter  Poesien  und  nicht  etwa  auch  Prosa  vorhanden  war,  über- 
haupt das  Princip  nicht  recht  aufzufinden,  wornach  die  Sammlung  entstund. 

Die  Orthographie  ist  in  den  Fragmenten  schon  sehr  complicirt  und 
ruht  bereits  auf  dem  germanisch -latein.  Alphabete,  da  z.  B.  das  w  oft 
ganz  unorganisch  neben  v  und  u  gebraucht  wirJ.  Die  böhmischen  Aspi- 
raten oder  späteren  Sibillanten  werden  zumeist  durch  Buchstabencombina- 
tionen  wiedergegeben,  z.  B.  cz-ö,  rs,  rz-f,  d.  i  ursprünglich  cj,  cb,  rj 
oder  rb.  Sie  bleiben  jedoch  auch  öfters  ganz  unbezeichnct,  was  auf  Ab- 
schriften aus  älteren  Manuskripten  mit  einfachen  Alphabeten  und  nicht 
auf  die  Aufnahme  aus  dem  Volkmunde  deutet.  So  sind  auch  die  Laute 
i  und  z,  die  zur  Zeit  der  Abschrift  m'oI  noch  den  mildern  Ton  von  S 
und  z  (st,  zl)  gehabt  haben  mögen,  ganz  unbezeiclinet  geblieben,  sohin 
von  s  und  z  schriftlich  noch  nicht  unterschieden.  Die  manchmal  vor- 
kommende Dopplung  des  r  deutet  auf  den  ehemal  geltenden  Unterschied 
eines  langen  und  kurzen  Halbvocales  r  und  l  Abkürzungen  kommen  nur 
selten  vor,  wie  überhaupt  in  allen  alten  böhmischen  Handschriften  und 
weisen  solche  diplomatischen  Eigentümlichkeiten  vor,  dass  man  auch  da 
noch  von  einer  böhmischen  Schreib.sc/m/g  mit  vollem  Rechte  sprechen 
muss.  Doch  war  der,  zwar  genug  geübte  Schreiber  der  Handschrift  doch 
kein  Schreiber  von  Profession,  wie  es  die  Ungleichheit  der  Schrift  und 
die  mannigfachen  Schreibfehler  dartun.  Die  Correcturen  mancher  Geni- 
tive und  Accusative  fallen  wie  gesagt  wol  dem  Auftinder  zur  Last.  Eine 
genaue  Darlegung  der  Schreibweise  gibt  Nebesk^  im  Mus.  1852.  HL  S. 


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171  —  174.  Facsimilia  gab  Hanha  in  jeder  seiner  Ausgaben,  die  besten 
sind  natürlich  die  photographirten  Vrfdtkos.  Gut  gelungen  ist  auch  die 
Lithograpliie,  welche  I.  L.  Koher  in  die  Kronika  präce  (5.  Heft  1866) 
einrücken  liess. 

Ganz  getreu  und  genau  ist  noch  keine  Uibersetzung,  weder  eine 
slavische  noch  eine  deutsche  und  wird  es  wol  auch  nie  werden:  einer- 
seits der  innern  Schwierigkeiten  wegen :  altböhmische  ganz  eigentümliche 
Gedanken-  und  Sprachwendmigen  in  einer  modernen  Sprache  wiederzu- 
geben, deren  Lexicon  und  Sprachlehre  so  verschieden  von  der  altböhrai- 
schen  ist:  anderseits  bezugs  älterer  Uibersetzungeu  auch  des  äussern 
Umstandes  halber,  weil  einerseits  erst  in  der  neuesten  Zeit  die  vorgerück- 
ten Sprachstudien  und  die  photographirte  Ausgabe  neue,  bessere  Lese- 
arten an  den  Tag  gebracht  haben,  andererseits  man  aber  noch  vom  Vor- 
urteile abhieng,  geverstes  oder  gar  gereimtes  sei  besser  als  sogenannte 
prosaische  üibersetzungen. 

Offen  zu  warnen  ist  jedoch  vor  der  teilweiseu  Uibersetzung  Julius 
Feifalik's  in  seiner  polemischen  Schrift,  nicht  so  sehr  darum,  dass  er 
des  Slavischen  nicht  völlig  Meister  gewesen,  sondern  seiner  ÄbsichtUch- 
keit  halber,  die  Anmut  der  böhm.  Diction  ins  geraeine  deutsche  herab- 
zuziehen. Er  selbst  sagt  wol :  „Ich  ziehe  dort,  wo  ich  eine  Uibfersetzung 
beizufügen  für  nötig  hatte,  prosaische  und  luörtliche  vor  (S.  18)."  Allein 
in  der  Tat  gieng  er  anders  vor.  Vergleichen  wir  nur.  Der  Text  sagt  z. 
B.  „wo  ist  meine  Mutter,  die  gute  Mutter!  junges  Gras  (trävka)  wächst 
über  ihr,"  um  anzudeuten,  dass  der  Schmerz  noch  frisch,  sohin  auch 
tief  sei.  Feifalik  übersetzte  jedoch  ganz  derb :  „auf  ihr  wächst  das  Gras.'^ 
—  Der  Text  sagt:  „Bruder  und  Schwester  hatt'  ich  nie  imd  den  Jüng- 
ling (junosu)  nahm  man  mir  weg."  Fejfalik  übersetzt :  „den  Burscheii 
haben  sie  mir  genommen."  —  Der  Text  lässt  das  Mädchen  (deva)  dem 
Geliebten  durch  die  Lerclie  einen  Gruss  überbringen,  weil  sie  kein  Brief- 
chen schreiben  könne :  Feifalik  erklärt  dies  aber  wie  folgt :  „diese  schrei- 
bende Gänsekiel  inhxcw^Q  Bauer ndirne  des  13.  Jhhr.  allein  würde,  denke 
ich,  genügen,  die  K.  H.  in  den  Augen  der  Klardenkenden  zu  Grunde  zu 
richten"  (S.  21).  Deva,  Maid,  eine  so  edle  Wortform,  die  man  von 
der  Jungfrau  Maria  gebraucht,  und  perce,  Federchen  ist  also  ,,iüörtlich"' 
Baicemdirne  und  Gänsekiel!  —  „Po  pi'di  vsej  z  Vesny  po  Moranu," 
d.  i.  auf  dem  ganzen  Wege  von  der  Vesna  bis  zur  Morana,  übersetzt 
Feifalik :  ..auf  iln-er  Wallfahrt  von  der  Vesna  nach  der  Morana,"  da 
doch  put,  Weg,  hier  Lebensweg  bedeutet  und  derselben  indoeuropäischen 
Wurzel  ist,  wie  das  Deutsche  Pfad  (5.  33).  Er  verwandelt  sohin  den  heid- 
nischen Lebensweg  von  der  Geburtsgöttin  zur  Totengöttin  in  eine  christ- 
liche „Wallfahrt."  —  „Diva  tura"  übersetzt  F.  „wilder  Ochs,'-  da  tur 
nur  llr  oder  Auerochs  bedeutet  (S.  53.).  —  „/^m/m/e"  d.  i.  die  ge- 
heiligten oder  mythischen  Sperber  oder  Falken  in  den  Hainen  verwandelt 
Feifalik  in  einfache  „Krähen"  (S.  39)  u,  dgl. 


71 

24.  Uiber  das  Wesen  und  die  innere  Einrichtung  der 
Königinliofer    Sammlung. 

Wie  die  Grünb.  H.  so  ist  aucli  die  K.  II.  noch  Gegenstand  fort- 
gesetzter Studien  der  Zukunft  und  erst  eine  wahre  kritische  Ausgabe 
derselben  wird  alle  die  Schwierigkeiten  aufdecken,  welche  im  Inhalte  und 
der  Form  der  Sammlung  liegen. 

Dass  im  äussern  Baue  der  Gedichte  oin  auffallender  Unterschied 
bestehe  ist  augenscheinlich,  so  dass  man  dieselben  von  der  Stufe  völliger 
Verslosigkeit  bis  zur  Stufe  zergliederten  Stroplienbaues,  und  von  der  Stufe 
mythischer  Altertümlichkeit  bis  zur  Stufe  naiver  Gemütlichkeit  gruppiren 
kann.  Allein  tiefer  gefasst  bleibt  auch  hier  wie  bei  der  Gr.  H.  die  Frage 
über  das  Metrum  erst  der  Zukunft  zu  beantworten  übrig,  da  die  Beant- 
wortung Entscheidungen  voraussetzt  die  keineswegs  leicht  und  schon  von 
der  Gegenwart  angebahnt  sind. 

Eine  solche  Sclmierigkeit  bietet  die  Frage,  in  welchem  Grade  der 
Unv  er  ander  lichkeit  die  K.  H.  uns  überliefert  wurde.  Solcher  Geistespro- 
ducte  entstehen  nämlich  und  circuliren  immer  viele,  ja  verschiedenartige 
Copien  und  wir  haben  doch  seitens  der  ältesten  Gedichte  darin  nur 
eine  sehr  späte  Abschrift  von  wer  weis  wie  viel  älteren  Abschriften.  Es 
scheinen  hie  und  da  nicht  bloss  Worte,  sondern  ganze  Sätze  zu  fehlen  : 
sind  wir  jedoch  nicht  aller  Sylben,  Worte  und  Sätze  gewiss,  dann  können 
wir  es  auch  gewiss  nicht  in  Bezug  auf  das  Metrum  sein. 

Eine  andere  solcher  schwierigen  Fragen  ist  die,  ob  das  altböhmische 
denselben  Accent  und  dieselben  Längen  und  Kürzen  hatte,  wie  das  neu- 
böhmische. Die  altbulgarische  Sprache  der  Bekehrer  hatte  sicher  auch 
auf  den  Accent  und  die  Längen  der  böhmischen  Sprache,  sohin  auch  auf 
die  abschreibenden  Christen  seinen  Einfluss  ausgeübt.  Wer  bürgt  dafür, 
dass  Quantität  und  Qualität  der  Sylben  beim  Versemachen  bekannt  und 
ob  das  Versemachen  überhaupt  den  Heiden  bekannt  war.  Wir  können  das 
altböhm.  Metrum  nur  höchstens  aus  einigen  kirchlichen  Poesien  studiren, 
haben  aber  durchaus  kein  Recht,  daraus  einen  Schluss  auf  vorchristliche 
Poesien  zu  tun. 

Eine  dritte  Frage  ruht  darin,  ob  in  dem  Metrum  der  K.  H.  noch 
kein  Einfluss  griechischer  und  römischer  Studien  der  letzten  Abschreiber 
wahrzunehmen  ist  —  wenn  wir  auch  nicht  minutiös  so  tief  gehen  wollen, 
zu  fragen,  ob  zu  den  Zeiten  der  Markomannen  nicht  an  einzelnen  Punc- 
ten  von  Böhmen  römische  Metrik  bekannt  gewesen  war.  Auch  die  sla- 
vische  Liturgie  selbst,  so  wie  das  lateinischgermauische  Christentum  konn- 
ten wie  schon  gesagt  in  den.  letzten  dreihundert  Jahren  vor  der  letzten 
Abschrift  der  K.  H.  auf  die  Umarbeitung  schon  vorhandener  und  die 
Schaffung  neuer  böhmischer  Gedichte  seitens  des  Metrums  vom  Einflüsse 
gewesen  sein.  Man  denke  z.  B.  an  das  edle  Metrum  des  Liedes :  Gos- 
podi  pomiluj  ny  und  an  den  gar  verschiedenartigen  Bau  der  Gedichte 
der  K.  H.  Die  Hymnen  der  griechisch-katholischen  Kirche,  wie  sie  sich 
in  den  Prager  glagolischen  Fragmenten  kundtun,  sind  viel  einfacher  und 


72 

eines    andern  Metrums,    als    die    lateinischen    oder  späteren  griechischen 
Kirchenlieder. 

Keime  finden  sich  allerdings  und  glücklicherweise  noch  keine  dar- 
in, auch  nach  unserer  innigsten  Uiherzeugung  keine  Stabreime,  keine 
Alliterationen,  sohin  kein  Einfluss  germanischer  Metrik.  Ob  es  überhaupt 
ein  altslavisches  oder  ein  altböhm.  Metrum  im  Sinne  unserer  heutigen 
Sylbenwägung  und  Sylbenmessuug  gegeben,  ist  wie  gesagt  unbekannt:  da 
nicht  nur  Poesie,  Lied,  sondern  sogar  auch  Sang  recht  wol  mit  unge- 
bundener Rede  (in  uaserm  Sinne)  bestehen  kann  (vgl.  über  Singen  und 
Sagen  von  K.  Lachmann  1833.  Act.  Band  der  Berliner  Acad.). 

Eine  vierte  Frage  ruht  wiederum  darin,  wie  weit  im  Altböhmiscben 
der  Unterschied  zwischen  piseii  (penii  und  zpev  ("zpeväui)  d.i.  zwischen 
Lied  und  Gesang,  blossem  Recitativ  (Carmen  recitare)  und  wirklicher 
Melodie  (cantare)  m  das  böhmische  heidnische  Altertum  zurückreicht.  So 
ist  das  „pienie"  des  Zäboj  gewiss  nur  ein  Recitativ,  kein  förmlicher  Ge- 
sang gewesen,  wie  schon  die  Analogie  der  russinischen  Dumy  und  der 
serbischen  pesrae  junacke  (Mannslieder,  Heldenlieder)  erfordert.  In  der 
Tat  ist  auch  das  Lied  (piesii  ide  z  srdce  raeho),  was  Zäboj  z.  B.  in 
den  Worten  ,,dva  syny"  bis  ,.byvsie  blahost"  singt,  jedes  Metrums  bar 
und  doch  heisst  es  eben  so  gut  .,piesü,'''  wie  die  sogenannten  lyrischen 
Gesänge  der  K.  H.  nach  der  Aufschrift;  „o  piesniech^',  die  doch  wol 
schon  zpevy,  zpievanie,  cantiones,  cantilenae  sein  sollten. 

Durch  das  Näherrücken  der  Begriffe  Recitativ  und  Gesang,  des 
Sagens  und  Singens  wird  jedoch  durchaus  nicht  die  musicalische  Beglei 
tung  in  Zweifel  gezogen,  denn  auch  bei  blossem  Sagen  kann  das  ohnehin 
äusserst  einfache  Instrument,  Varyto  in  der  Handschrift  genannt,  mit- 
tönen oder  nachtönen.  Auch  konnte  der  Vortrag  stellenweise  zur  blossen 
Rede  (zum  Sagen),  stellenweise  aber  zum  erhabenem  Singen  werden, 
welchen  Wechsel  von  Diction  man  eben  in  den  ältesten  Liedern  der  K. 
H.  bemerkt,  die  bald  ruhiger  und  gemessener,  bald  feuriger  und  mass- 
loser wird,  je  nachdem  es  der  Inhalt  erheischt.  Das  schliesst  oben  jedes 
constante  Metrum  aus,  das  hohes  und  niedriges  nivellirt  und  alles  un- 
poetisch  uniformirt.  Die  echte  alte  slavische  Poesie  suchte  wol  die  Schön- 
heit nicht  so  sehr  in  äusserlicher  Anordnung  der  Sylben  als  in  dem  Quäle 
der  Diction  { Safai^ik-Thun,  S.  33.  —  Jirecek:  Echtheit  §.  43.  S.  92. 
und  §.44  S.  94  K  Je  mehr  daher  manche  Gedichte  der  K.  H.  ihrer 
Form  nach  an  europäische  Metra  mahnen,  desto  misstrauischer  müssen 
wir  gegen  ihre  Altertümlichkeit  und  reine  Slavicität  sein  Wie  unförmlich 
sind  auch  bis  auf  den  gegenwärtigen  Augenblick  manche  böhm.  Volks- 
lieder und  wie  herrlich  ist  doch  ihre  Melodie,  über  deren  Altertümlich- 
keit freilich  leider  keine  Belege  vorliegen.  —  Lassen  wir  daher  die  Me- 
trumfragp  noch  der  Zukunft  anheimgestcllt  sein,  wie  es  schon  im  J.  183G 
der  l'olo  r.uc.  Siemirfiski  bei  seiner  Uibersetzung  der  Iv  H.  (Krakau 
bei  Fricdlein)  sagte  und  Fr.  L.  Öelakovsk^  durch  die  Tat  bewies,  als 
er  in  seinem  „Maly  vybor"  nR',])  ,,7Jhoj  und  Slävoj"  ohne  alle  Zeilen- 
abteilung abdrucken  Hess. 


73 

Dies  gilt  jedoch  auch  teilweise  von  den  pisne  im  engeren  Sinne. 
Wir  statuiren  da  einerseits  mit  Recht,  dass  in  altslavischer  Poesie  jede 
Verszeile  ihren  abgeschlossenen  Sinn  (wenigstens  relativ)  haben  müsse, 
d.  h.  dass  sie  ein  kleines  poetisches  Bild  gebe :  teilen  aber  deraungeachtet 
die  Zeilen  z.  B  wie  folgt  ab:  ach!  ty  röze,  krAsnä  roze  —  na  zelena 
borka  —  z  borek  vymyteno  —  v  zelene  borecce,  po  tichünku  v  borce 
—  za  striebrnü  uzdu  —  nemütilo  srdce.  Es  ist  in  einem  solchen  Ver- 
fahren offenbar  das  Bemühen  ersichtlich,  alles  in  eine  mittelalterliche  oder 
gar  moderne  Versforra  hineinzudrängen,  was  gewiss  vom  Uibel  ist,  da 
man  aus  dem  eigentümlichen  Alten  lernen,  nicht  aber  es  auf  dem  Pro- 
crustesbette  martern  soll. 

Den  natürlichen  Versfall,  den  jede  Sprache  hat,  wie  z.  B.  die  alt- 
böhmische Sprache  zumeist  irochaeisch,  die  neuböhmische  daktylisch,  die 
npudeutsclie  jambisch  ist,  vermengen  wir  mit  den  Längen  und  Kürzen, 
Hebungen  mid  Senkungen,  die  loir  allerdings  darin  hören  und  gehen  über 
kleine  Unreg  Imässigkeiten  durch  gemachte  X?<c^  n-Annahmen  leichthin 
hinaus,  um  nur  ein  beliebtes  Versschema  in  dem  Gedichte  wiederzufinden, 
und  das' liebe  Altertum  in  den  modernen,  kindischen  Verszeilena5<et7wn^gw 
vor  uns  zu  sehen.  Dabei  bedenken  wir  gar  nicht,  in  welche  Schwierig- 
keiten wir  uns  dadiurch  hineinversetzen.  Denn  die  Fragen:  woher  rührt 
eine  so  kunstgerechte  Metrik  her,  ist  sie  den  Böhmen  angelernt  und  von 
wem,  oder  ist  sie  ein  heimisches  Erzeugniss  und  zwar  wieder  :  noch  im 
Heidentume  oder  schon  in  christlichen  Zeiten  heimisch  geworden,  sind 
nicht  so  leicht  zu  beantworten,  namentlich  wenn  man  sie  wie  gesagt  mit 
der  einfachen  Metrik  alter  christlicher  Lieder  und  Legenden  und  deren 
verwahrlostem  Zustande  in  späteren  Zeiträumen  vergleicht.  Ja  wenn  alle 
die  kleineren  Lieder  erst  in  das  13.  Jahrh.  versetzt  werden  könnten,  wie 
z,  B.  „Jaroslav",  dann  wäre  eine  gekünstelte  Metrik  eher  begreiflich, 
aber  dann  wäre  sie  auch  schwerlich  ein  heidnisches  Product  der  pevci, 
pesnotvorci  (Safafik,  staroz  edit.  princ  S.  194),  sondern  Nachahmung 
romanisch  deutscher  Dichtung,  wobei  wiederum  die  Reimlosigkeit  nicht 
recht  begreiflich  wäre  So  aber  ist  z.  B.  der  Jelen  offenbar  noch  heid- 
nisch und  so  andere  kleinere  Lieder  gleichfalls,  die  wir  mit  Unrecht  mit 
dem  gemachten  Mäntelchen  gekünstelter  Metrik  umgeben.  Und  da  hat 
z.  B.  Safafik  vollständig  Recht,  beim  Jelen  nur  von  einem  sogenannten 
orientalischen  Rhythmus  (Thun,  30).  d.  h.  einer  der  Innern  Gedanken- 
Symmetrie  entsprechenden  äussern  Wort-  und  Satzgruppirung  zu  sprechen. 
Dieselbe  Behauptung  gilt  jedoch  gewiss  auch  von  vielen  anderen  der  klei- 
neren Gedichte. 

Trotz  der  Kunstmetrik,  welche  man  in  die  Gedichte  der  K.  H. 
hineinlegte  und  dann  bewunderte,  hört  man  doch  noch  hie  und  da  die 
Behauptung,  alle  Gedichte  der  K.  H.  seien  Volh-  oder  Nationallieder, 
namentlich  aber  die  kleineren.  Das  sind  sie  jedoch  gewiss  nicht. 

Im  Zaboj  wird  z.  B.  geradezu  auf  Lumir  hingedeutet  und  Zäboj 
mit  ihm  verglichen,  obschon  das  Gedicht  ganz  objektiv  beginnt.  So  liegt 
auch  dem  Öestmir  und  dem  Bene5  troz  ihres  objectiven  Beginnes  ein 
dichtendes  künstlerisches  Subject  zu  Grunde,  das  sich  im  ^^Jaroslav'"  so- 


74 

gar  hervordrängt  {Zvestnju  Vdm  povest  veleslavnü),  ja  auch  in  der  „Lu- 
dise"  (Znamenajie  stafi,  miadi).  Die  meisten  kleineren  Lieder  sind  jedoch 
zu  selir  nett  ausgeführt  und  organisch  durchgedacht,  um  sie  als  blosse 
Volkslieder  gelten  zu  lassen.  Wenn  wir  sie  jedoch  auch  sämmtlich  als 
Kunstlieder  ansehen,  so  soll  dadurch  durchaus  nicht  behauptet  werden^ 
dass    sie 

1.  nicht  zu  Volksliedern  hätten  werden  können,  wenn  ihr  Inhalt 
und  ihre  Form  Anklang  beim  Volke  fand, 

2.  dass  in  unsere  Sammlung  der  K.  H.  manche  in  der  Tat  nur  aus 
dem  Volksmunde  aufgenommen  wurden,  worauf  auch  die  Lückenhaftigkeit 
mancher  deutet, 

3.  dass  die  meisten  von  ihnen  im  Gegensatze  der  Kunstpoesieen 
des  christlichromantischen  Zeitalters  z.  B,  der  Legenden,  der  Alexandreis 
nach  unserem  Kunstgeschmacke  wahre  echt  böJünische  (patriotische)  Na- 
turlieder sind.  Denn  so  verschieden  auch  die  einzelnen  Gedichte  der 
K.  H.  sowol  in  der  Erfassung  als  Durchführung  der  poetischen  Idee  sind, 
so  zeichnen  sie  sich  doch  durch  natürliche  Auffassung  humaner  Momente 
seitens  des  Inhaltes  eben  so  aus  wie  seitens  der  Form  durch  schlichte 
Lieblichkeit  und  natürliche  Einfachheit. 

Man  vgl.  z.  B.  nm*  Dalemil's  täppische  Ungeschlachtheit  selbst  mit 
dem  gedi'illten  Gedichte:  Ludise  und  dem  etwas  klagsüchtigen  Jaroslav, 
und  man  wird  vom  Hauche  natürlicher  Anmut  angeweht,  obgleich  die 
beiden  letztgenannten  Gedichte  die  geziertesten  der  K.  H.  sind. 

Diese  Humanität  der  i&edichte  kann  aber  noch  zu  anderen  Betrach- 
tungen führen,  die  sich  auf  die  Einleitung  oder  Gliederung  der  K.  H. 
beziehen. 

Die  kleinern  Gedichte  nämlich,  welche  unter  der  Aufschrift  „o 
piesniech'^  im  28.  Kapitel  vorkommen,  fassen  den  Menschen  als  eine  Ein- 
zelnperson zumal  in  seinem  geschlechtlichen  Verhältnisse  auf,  ohne  ge- 
rade Lieheslieder  im  spätem  lüsterneu  Sinne  zu  sein.  Sie  sind  auch 
nicht  reiydyrisch^  sondern  zumeist  episch  oder  dramatisch.:  indem  sich 
der  Gemütsinhalt  derselben  natürlich  an  eine  Tatsache  oder  ein  Gespräch 
sohin  an  einen  ohjectiven  Inhalt  anzulehnen  pflegt.  Alle  Gedichte,  welche 
dem  28.  Kapitel  vorangehen,  fassen  jedoch  den  Menschen  als  ein  Glied 
der  Gesellschaft,  als  sociale  Person  auf.  Hieraus  Hesse  sich  auch  schliessen, 
dass  es  in  der  Sammlung  auch  eine  Abteilung  wird  gegeben  haben,  deren 
Gedichte  den  Menschen  als  Erdenbewohner,  im  Verhältnisse  zur  sichtba- 
baren  Naturwelt  d.  i.  in  heidnischreligiöser  Beziehung  aufgefasst  haben. 
Das  wären  Gedichte  gewesen,  deren  Inhalt  eine  Fülle  von  Mythen- 
oder  Götter  sag  eng  eschichie  gewes-en  wäre,  und  welche  in  den  beiden 
ersten  Büchern  hinreichend  Raum  gehabt  hätten. 

Würde  man  sich  zu  dieser  Ansicht  bequemen  können,  dann  könnte 
man  das  erste  Buch  sich  erfüllt  denken  mit  Theogonien  oder,  populärer 
gesprochen,  mit  Mi/then  im  engereu  Sinne  oder  mit  Märchen  —  das  ziveiie 
Buch  mit  der  (mythischen)  Sagengeschichte  des  böhmischen  Volkes,  wie 
dies  Libu^in  süd  ist.  Siehe  die  Sitzungsberichte  d.  köu.  bühm.  G.  d.  W.  v.  9. 
Oct.  1865.  Ueber  das  Wesen  und  den  Ursprung  der  slav.  Mythologie.  Das  drüte 


75 

Buch  mag  in  27.  Kapiteln  die  historischen  Begebenheiten  zumeist  des 
politisch-socialen  Lebens  der  Böhmen,  vom  28.  Kapitel  an  aber  Bege- 
benheiten des  Privatlebens  politisch  aufgefasst  enthalten  haben.  Wäre  dem  so, 
dann  hätten  wir  keine  willkürlich  entstandene  Sammlung  von  Poesien  vor 
uns,  sondern  ein  Ganzes,  das  nach  einem  tief  und  wol  durchdachten 
Plane  gegliedert,  das  poetische  Echo  der  höhmischen  Vorzeit  gewesen 
wäre,  weil  es  vom  eigentlichen  Mythus  beginnend  durch  die  Geschichte 
bis  ins  Privatleben  eingedrungen  wäre.  Daraus  wäre  dann  ersichtlich,  dass 

1.  die  von  Hanka  eingeführte,  noch  immer  giltige  Sitte,  die  histo- 
rischen Poesien  nach  den  Namen  der  darin  handehiden  Personen  zu 
benennen,  z.  B.  Benes  Hefmanov,  Jaroslav,  im  Grunde  nur  eine  Unsitte 
sei,  da  es  sich  darin  um  politische  Taten  handelt,  wobei  der  Einzelne 
nicht  als  Person  sondern  als  Moment  des  politischen  Ganzen  erscheint. 
Darin  hatte  also  der  alte  Sammler  mehr  Tact  bewiesen,  als  wir,  da  wir 
uns  mit  Persönlichkeiten  vordrängen,  wo  sie  nicht  am  Orte  sind,  z.  B. 
Ludise  und  Lubor,  weil  es  sich  da  um  Schilderung  des  altertümlichen, 
feierlichen  Zweikampfes:  ,^0  slavnSm  siedanie''''  oder  „o  potky  a  siedanie''' 
handelt  und  das  Verhältniss  Lubor  s  zur  Ludise  nur  am  Ende  als  Knospe 
hervorblüht.  Wo  die  Nennung  der  Persönlichkeit  nottat,  da  finden  wir 
sie  auch  schon  in  der  alten  Ueberschrift  z.  B.  „ovicestvie  nad  Vlaslavem.'"'' 

2.  dass  auch  die  „piesnie,''  wie  bereits  angedeutet  wurde,  nicht 
als  blos  lyrische,  oder  gar  romantische  Gedichte  aufzufassen  seien,  indem 
hinter  oder  mit  den  Persönlichkeiten  derselben  zumeist  ernste  Privatver- 
hältuisse  geschildert  werden.  Wir  befinden  mis  in  ihnen  stäts  m  der  wirk- 
lichen und  in  keiner  zauberhaft  verklärten  Welt,  wenn  auch  manche 
einen  mythischen  Hintergrund  haben  können,  der  es  wieder  erklären  würde , 
dass  unter  den  Liedern  anderer  Slavenstämme  so  viele  Analogien  dersel- 
ben sich  vorfinden  (Jirecek,  Echtheit.  S.  53 — 55.  63 — 66.].  Denn  auch 
dem  Mythus  liegt  ja  nur  das  allgemeine  Verhältniss  des  Menschen  (hier 
als  Privatperson)  zur  Natur  zu  Grunde.  Daraus  ist  auch  erklärlich,  dass 
in  den  Liedern  (piesnie)  ebenfalls  das  national  böhmische  Bewnsstseiu 
des  Hasses  gegen  die  unterdrückenden  Fremden  und  zwar  namentlich 
der  Deutschenhass  schwindet,  wärend  die  rein  menschhche  Persönlichkeit 
hervortrit,  allerdings  in  speciell  böhmischen  Verhältnissen  (z.  B.  ach ! 
vy  lesy  Miletinsti !),  wie  dies  jedes  concreto  Kunstwerk  fordert. 

3.  Wenn  Safaink  die  Kytice  und  Jirecek  die  Zezulice  ein  Hoch- 
zeitslied nennt,  so  ist  zu  bedenken,  ob  nicht  alle  „piesnie'*  des  28.  Kap. 
Pisne  svatebni  d.  i.  Braut-  und  Hochzeitslieder  gewesen  sind.  Alle 
besingen  nämlich,  wie  gesagt,  einzelne  Beziehmigen  der  Geschlechtsver- 
hältnisse, von  welchen  wir  nicht  aburteilen  können,  ob  sie  nicht  zu  den 
einzelnen  Momenten  altböhmischer  Hochzeitsgebräuche  passten.  War 
z.  B.  der  Scheinkampf  und  die  Scheinentführung  der  Braut  ein  Hoch- 
zeitsmoment, wie  es  in  der  Tat  noch  alte  Sitten  nachweisen,  dann  ist 
Zbyhoh  ein  Gegenbild  der  hochzeitlichen  Entführung,  der  .Jelen  (Hirsch) 
ein  Gegenbild  des  Kampfes  um  die  Braut,  wobei  natürlich  der  Bräuti- 
gam siegen  musste.  Wer  weis,  ob  dem  Bräutigam  und  der  Braut  nicht 
zur    Folie    ihres    Glückes  halbironisch   Gegenbilder    vorgehalten  wurden, 


76 

wie  es  z.  B.  in  der  Zarmoucnd  (Betrübte)  geschieht,  worin  besonders 
die  Ansprache  an  eine  Menge  (Versammlung?)  auffällt  („a  rieknete, 
dobfi  ludie'^).  Die  Jahody  (Erdbeeren)  könnten  an  die  Brautmutter  ge- 
richtet sein,  welche  ihr  Kind  frohsinuig  dem  Bräutigam  übergibt,  wärend 
die  Mutter  im  Liede  ihr  Kind  vor  den  Jünglingen  warnt.  Man  unterlege 
der  Kytice  (Sträusschen)  in  der  Zmiltka  eine  Braut  und  man  wird  die 
naive  Schalkheit  fühlen,  die  in  den  Worten  liegt:  Dem  gäbe  ich  mein 
Kränzchen  vom  Kopfe. 

Waren  aber  die  Lieder  des  28.  Kapitels  Braut-  und  Hochzeits- 
lieder,  so  konnte  ein  29.  Kapitel  Familienlieder,  z.  B.  Kinder,  Postfiäiny- 
lieder,  ein  30.  31.  32  ...  .  ntes  Kapitel  Totenlieder  udgl.  Gesänge 
enthalten  haben,  die  man  öffentlich  bei  den  Zusammenkünften  in  den 
Rajhrady  sang  (Safafik  —  Thun.  32).  Aus  allem  dem  könnte  man  aber 
auch  schliessen,  dass  selbst  diese  „piesnie"  mehr  heidnisches  enthalten, 
als  man  gewöhnlich  dafür  hält.  Das  gibt  uns  nun  Gelegenheit,  das  Heid- 
nische der  K.  H.  näher  zu  berühren. 


25.  Heidnisches  und  Christliches  in  der  K.  H. 

Es  kann  kein  Zweifel  darüber  vorwalten,  dass  die  Reste  der  K.  H.,  wie 
wir  sie  vor  uns  haben,  entweder  am  Ende  des  13.  oder  im  Anfange  des 
14.  Jh.  geschrieben  sind.  Genauer  irgend  ein  Jahrzehend  anzugeben, 
worin  die  Abschrift  vollbracht  wurde,  dünkt  uns  unsicher  und  unnötig  zu 
sein,  da  es  mit  der  böhmischen  Palaeographie  noch  durchaus  nicht  so 
sicher  steht,  dass  mau  mit  Sicherheit  Jahrzehende  bestimmen  könnte. 
Dass  auch  das  Original,  woraus  abgeschrieben  wurde,  bereits  christlich 
germanischen  Zeiten  angehörte,  ist  schon,  wie  gezeigt,  aus  der  Ortho- 
graphie und  den  Uiberschriften  ersichtlich.  Diese  enthalten  nämlich  das 
latein.  Wort  „kapitule^''  als  Abteilungswort,  auch  der  Eingang:  „poöina 
sie"  ist  nur  die  Üibersetzung  des  lateinisch  üblichen:  incipit,  oder  des 
deutschen:  „/ae  hebet  an."  Die  deutsche  Wortform  heim,  helmice,  statt 
des  slavischen  slemx,  weisst  entweder  auf  die  germanischen  Ritterzeiten 
des  Sammlers  oder  Abschreibers  hin,  oder  es  rührt  noch  aus  den  Mai'- 
komanenzeiten  als  ein  übriggebliebenes  Fremdwort  her,  da  auch  schon 
im  althochdeutschen  die  Form  heim  (goth,  hilms)  gebräuchlich  war. 

Das  Wort  tvrdost,  die  Feste,  muss  jedoch  keine  blosse  Uebersetzung 
des  lateinischen  firmamentum  sein,  sondern  kann  entweder  aus  dem  Heiden- 
tum selbst  herrühren,  da  allen  Heiden  der  sichtbare  Himmel  ein  Gewölbe 
oder  eine  Feste  zu  sein  schien,  wie  z.  B.  bei  den  Griechen  die  Gestirne 
am  oupavoi;  sogar  befestigt  waren :  oder  aber  es  ist  eui  Rest  der  slavi- 
schen Bibelübersetzung,  da  es  in  der  russischen  Kirchensprache  tvrdh 
lautet.  Diese  wenigen,  zum  Teile  nur  gemutraassten  Fremdwörter  der 
Handschrift  sind  FCrscheinungen  nur  späterer  Abschriften,  späterer  Re- 
dactioncn,  deren  es  viele  gegeben  haben  muss:  der  Kern  der  Gedichte 
und  die  ganze  Tendenz  der  Sammlung  zeigen  ein  rm6ö7tmiWi6s  na^ionaZ- 


77 

gefärbtes  heidnisches  Gemüt.  Selbst  das  Gedicht:  „o  velikych  bojech 
hfesfan  s  Tctary'-^  oder  der  Jaroslav  zeigt  mehr  Hass  gegen  die  Tata- 
ren als  Unterdrtlcker  slavischer  Nationen,  denn  als  Verwüster  christlicher 
Länder:  die  verächtlichen  Ausdrücke  ^Jcfestensti  lucU  zabili,'"''  christliche 
Leute  töteten  sie,  sind  eben  nicht  christenfreundlich  gesagt,  das  Gebet 
am  Hosty^n  wird  ganz  objectiv  erfasst,  ja  es  kommen  sogar  Anklage  an 
heidnische  Momente  vor.  Denn  auch  die  Heiden  glaubten  an  eine  Mäti 
hozia  e'ne  Göttermutter,  welche  Wunder  wirkte,  die  Christen  am  Hostj^n 
versprachen  Gott  (o !  Hospodine!)  fast  auf  heidnische  Art  eine  ^Jilaso- 
nosnd  obef,^^  hostia  vociferationis  (Psalm.  XXVL  6),  wenn  er  helfe,  zu 
bringen  (vzdamy,  imolabimus),  und  das  ganze  Wunder  besteht  in  einer 
Naturerscheinung,  nämlich  in  einem  'E.oc\\%omm&Y- Geioitter\  —  Auf  die 
hlasonosnd  obef  vergisst  dann  das  Gedicht  ganz,  vielleicht  weil  sie  nur 
Psalmgebet  war.  Psalmen  waren  unter  allen  Bibelteilen  zuerst  und  zu- 
meist unter  den  ersten  Christen  verbreitet.  Da  ist  also  von  einer 
wahrhaft  christlichen  Innigkeit  keine  Rede:  auch  ein  Heide  könnte  so 
über  leibliche  Lebensgefahr  von  und  über  Christen  berichten.  Nun  meinen 
wir  allerdings  nicht,  dass  im  J.  1241  in  Böhmen  noch  Heiden  gewesen  wären, 
wol  aber,  dass  an  gar  vielen  Orten  das  Christentum  nur  äusserlich  an- 
genommen worden  war,  dass  der  altnationale  böhmische  Geist  das  ni- 
vellirende  Christentum,  das  dazu  noch  im  deutschen  Gewände  heran  kam, 
nicht  freudig  begrüsste,  dass  es  sohin  getaufte  Heiden  auch  im  13.  Jh. 
in  Böhmen  genug  gegeben  haben  mag. 

Diese  dürfen  wir  uns  allerdings  wol  nicht  im  Centrum  des  Landes, 
in  und  um  Prag  denken,  eben  weil  da  sowol  der  königliche  als  auch  der 
bischöfliche  Hof  den  christlich  germanischen  Geist  förderte.  Der  Sammler 
der  K.  H.  kannte  aber  auch  Prag  gar  nicht,  wie  es  das  Gedicht: 
j,o  pobitie  Polanöv"'  ganz  deutlich  zeigt,  da  es  die  Stadt  Prag  (subur- 
blum)  mit  der  Burg  Prag  (castrum,  castellum,  Hradcany),  den  Fluss, 
welcher  die  Burg  im  Burggraben  vom  Pohofelec  abschloss,  mit  dem 
Moldaustrom  und  sohin  auch  die  Schlossbrücke  mit  der  Moldaubrücke 
gründlich  verwechselte,  was  doch  stark  genug  ist  wie  jeder  bezeugen 
wird,  der  Prag  gesehen.  Beiläufig  fragen  wir  hier  die  Fälschungsgläubi- 
gen, ob  denn  bei  solchen  und  ähnlichen  Mängeln  der  K.  H.  ein  Impostor 
sich  so  benommen  hätte? 

Aber  die  Peripherie  Böhmens  atmete  einen  ganz  andern  Geist  als 
das  Centrum,  die  Peripherie  hielt  noch  am  Nationalen  und  Altertümlichen 
fest,  als  das  Centrum  schon  entnationalisirt  und  modernisirt  war.  Dies 
gilt  zumeist  von  dem  Jiordöstlichen  Böhmen,  wo  schon  die  ungeheueren 
Waldstrecken  Heimisches  pflegen  Hessen  imd  es  vor  Fremden  schützten. 
Und  in  der  Tat  gedenken  die  Gedichte  der  lieblichen  Gegenden  Nord- 
böhmens im  einzelnen,  sie  erwähnen  der  Sommer  und  Winter  grünen 
Miletiner  Wälder,  sie  kennen  die  Trosky,  die  Hrubd  Skala  sehr  gut 
—  nicht  aber  die  entfernten  Gegenden,  eben  so  wie  gegen  Prag,  so 
auch  gegen  Olmüz  zu:  sie  verlegen  z.  B.  den  Berg  Hostj^n  nahe  zu  an 
Olmüz,  bezeichnen  ihn  als  nicht  hoch,  vermengen  die  Enkelin  des  russi- 
schen Fürsten  Michal  Väevladovic,  die  vor  den  Tartaren  durch  Schlesien 


78 

floh,  mit  emer  Tochter  des  Tataren-Chans  selbst.  Die  Nähe  wird  wahr 
und  concret  geschildert,  die  Ferne  irrig  und  matt.  Dort  im  nordöstlichen 
Böhmen  entstand  die  Sammlung,  dort  wurde  sie  auch  gefunden. 

Von  diesem  nordöstlichen  Puncte  aus  muss  wol  auch  der  Ausdruck : 
knez  Zalahsk^  im  Gedichte:  o  slavnem  sedäni  beurteilt  werden:  ein 
Fürst  jenseits  oder  hinter  der  Elbe  (Labe),  wobei  gewiss  nicht  die  Elbe 
innerhalb  Böhmen  gemeint  ist.  Denn  auch  dies  Gedicht  kargt  mit  der 
topograi'hischen  Beschreibung,  es  spricht  so  unbestimmt  von  Herren  ferner 
Länder,  ferner  Heimat  (z  dalnych  zemi,  z  dalnj'ch  vlasti),  es  nennt  den 
Adel  bald  pdni,  bald  starosty,  bald  zemanS^  was  vom  böhmischen  Adel 
fast  unmöglich  gewesen  wäre,  da  man  ihn  i^äher  bestimmt  haben  müsste. 
Auch  da  scheint  also  eine  Entfernmig  gegen  den  Nordwest,  nämlich  zu 
nördlicheren,  ausser  Böhmen  liegenden  Elbeländern  hin  die  sonderbare 
Fremdheit  und  Unbestimmtheit  des  Gedichtes  hervorgebracht  zu  haben, 
bis  zu  welchen  Ländern  hin  z.  B.  über  Meissen,  Thüringen,  die  böh- 
mische, oder  doch  eine  nahverwante  slavische  Sprache  reichte. 

Aber  gerade  dieser  Unterschied  in  der  concreten  Auffassung  der 
Gedichte  nach  den  topograijhischen  Verschiedenheiten  zeigt  ihren  concen- 
trischen  heimischen  Ursprung,  weist  aber  auch  auf  verschiedene  Ver- 
fasser hin,  wenn  auch  der  Sammler  nur  eine  Person  an  einem  bestimm- 
ten Orte  (wahrscheinlich  Chvojnov-Dvür-Kralove,  Nebesky,  musejn.  1852. 
H.  Jirecek,  Slov.  Nov.  1856.  N.  106.  Svetozor  S.  71.  —  Komdrek: 
aforismy  rukopisu Krälodvor.  v  Pamatkäch.  1867.  13.  rocnik.  sv.  1.)  ge- 
wesen sein  mag,  obschon  auch  da  die  Ansicht  von  einer  allmäligen  An- 
sammlung der  Dichtungen  durch  Mehrere  die  natürlichere  wäre.  Diese 
verschiedenen  Dichter  und  Sammler  wurden  dadurch  zu  geistig  einigen 
und  sich  gleichsam  fortsetzenden  Persönlichkeiten,  dass  sie  eben  der 
altnationale  höhmische  Geist,  der  eben  so  dem  Deutschtum  als  dem 
Christentum  abhold  war,  zusammenhielt.  Je  mehr  die  Kirche  solchen  Ge- 
dichten ganze  Lefiendencyklen  imd  ascetische  Gedichte,  der  königliche 
Hof  aber  die  schulmässigen,  abenteuernden  und  ülfmwe-lieder  entgegen- 
stellte: desto  mehr  mögen  Patrioten  auf  die  Erhaltung^  Verbreitung 
und  Sammlung  ihrer  alten,  heimischen  Gedichte  gedacht  haben,  desto 
mehr  mögen  ihre  Sänger  und  Schreiber  von  nationaler  Seite  geehrt 
worden  sein  (Jirecek,  Echtheit.  S.  99.).  Männer,  wie  Zdvise  von  Rosen- 
berg, können  sohin  weder  Sammler  noch  Dichter  solcher  Gesänge  ge- 
wesen sein,  welche  viel  weiter  und  tiefer  reichen  und  gänzlich  der  schul- 
mässigen Bildung  des  13.  Jh.  ferne  stehen  (Safai-ik-Thun,  S.  16.  —  J. 
Feifalik:  Sitzung  der  bist.  stat.  Scction  am  25.  Juni  1858  in  Brün). 
Solche  jimdckS  und  zenske  pisne  der  Gr.  und  K.  H.  sind  der  Schoa- 
nengesang  des  alten,  heidnischen  Böhmens,  sie  sind  Geistes-Reste  aus  dem 
Heidentume,  die  meisten  auch  direct  daraus  rührend,  indirect  aber  alle. 
Die  Gränzc  beider  strenge  anzugeben,  ist  wol  unmöglich.  Das  Metrum 
allein  darüber  entscheiden  zu  lassen  geht  offenbar  nicht  an.  Denn  in  der 
Gr.  H.  will  man  z.  B.  ein  Metrum  gefunden  haben,  ohne  dass  es  dem 
Heidnischen  daiün  Abbruch  täte,  warum  sollte  dies  auch  nicht  bei  Zhy- 
hon    der  Fall  sein,  wenn    man   auf   den  Geist  des  Gedichtes,    die  freie 


79 

Sinnlichkeit  preisend,  sieht.  Wie  viel  dhristliches  findet  man  denn  in 
den  kleineren  Liedern  ?  Das  künstlichere  Metrum,  wenn  ja  eines  wirk- 
lich darin  ist,  könnte  nur  für  eine  spätere  kunstgeübte  Hand  bei  der 
letzten  Umarheiiung  sprechen.  Reimen  sich  sogar  oft  offenbar  heidnische 
Sprüche  z.  B.  proti  Mofene,  neni  kofenc,  durch  die  Umformung  nämlich 
späterer  Tage.  In  solchen  Fragen  kann  nie  die  veränderliche  äussere 
Form,  sondern  nur  der  Inhalt,  der  Geist  entscheidend  sein.  So  ist  z.  B. 
seitens  der  Tüchtigkeit  des  Styles,  seitens  der  Uibereinstimmung  in  ein- 
zelnen poetischen  Tropen  wol  eine  Analogie  zwischen  den  Gedichten  der 
K.  H.  und  der  geversten  Alexandreis,  so  wie  zwischen  manchen  Legen- 
den herzustellen  (äafafik,  musejn.  1847.  I,  339.  Nebesky  musejn.  1852. 
EL  159),  der  Gedankengang  aber,  der  Geist  gehört  schon  einer  ganz 
andern  Welt  an,  einer  Welt,  welcher  das  Jenseits  erst  die  wahre  Welt 
ist,  während  in  allen  Gesängen  der  K.  H.  die  Natürlichkeit  und  indivi- 
duelle Humanität  im  Diesseits  gepriesen  wird  (Dambeck-Kopitar :  Vaterl. 
Blätter,  1819.  Wien.  Chronik.  S.  34).  Vergleiche  auch  die  nachfolgende 
Anmerkung.  Dieses  allein  verführte  Dobroiski)  (G.  d.  b.  Liter.  1818. 
385  —  390)  zu  der  Behauptung,  dass  „der  Ton  des  nationalen  Volkslie- 
des in  ihnen  nicht  zu  verkennen  sei,"  was  wiederum  Spätere  zu  der  noch 
irrigeren  Behauptung :  es  seien  dies   Volkslieder,  verleitete. 

Wir  wollen  nun  hier  die  einzelnen  Lieder  der  Handschrift  analy- 
sirend  dem  Leser  vorführen  und  zwar  nach  dem  von  uns  vermuteten 
Alter  derselben  manchmal  wörtlich  übersetzend,  manchmal  nur  contrahirend. 

Anmerkung.  Wenn  wir  im  obigen  hie  und  da  gegen  die  Verse  auf- 
traten, so  geschah  das  nur  seitens  der  extremen  Richtung,  die  kein  Gedicht 
ohne  Verse  (und  Reime)  sich  denken  kann  oder  will.  Wir  sind  nämlich  über- 
zeugt, dass  auch  in  sehr  alten  Zeiten  in  Böhmen  und  den  anderen  dazu  gehö- 
renden Ländern  fleissig  Verse  gemacht  wurden,  ja  dass  man  auch  Reime,  wo 
man  nur  konnte,  anbrachte.  Haben  wir  doch,  auch  abgesehen  vom  Dalimil 
und  den  -4Zecca?^cZ?'el's-Fragmenten,  sowie  selbst  der  Anzahl  gereimter  Legen- 
den, selbst  von  einem  altertümlichen  Gedichtfragmente  Bericht  erstattet  (Sitz. 
Ber.  d.  kön.  böhm.  G.  d.  W.  3.  Februar  1862),  das  nach  den  aufeinander  fol- 
genden Worten:  spevati  (zpgvati),  tcitati  (vitati),  snati  (znäti),  picati  (py- 
kati)  zu  schliessen,  nicht  sehr  zart  gereimt  war.  Es  wurde  an  einer  Incunabel, 
die  einst  in  der  Bibliothek  des  letzten  Rosenbergers  war,  aufgefunden  (Fr. 
Pfeifers  :  Germania,  Wien,  1863.  S.  187.)  und  ist  unter  anderen  auch  darum 
interessant,  weil  es  an  einem  Fragmente  der  Nibelungen  geschrieben  vorge- 
funden wurde.  Es  hat  nun  in  der  Prager  Univ.  Bibliothek  die  Signatur  17. 
J.  17.  Nro.  3.  Doch  da  es  im  Leime  lag,  litt  es  bei  der  obschon  sehr  sorg- 
fältig vorgenommenen  Lösung  so,  dass  kaum  der  dritte  Teil  lesbar  ist.  Es 
sind  des  Fragmentes  Schriftzüge  noch  viel  altertümlicher,  als  die  der  K.  H. 
Es  ist  in  einem  slavischen  Dialecte  verfasst,  der  manches  unböhmische  hat 
z.  B.  die  Formen  heu,  (chcu,  chci)  sicaki  narod,  duorzwo  und  kann  sohin 
denjenigen  zum  Belege  dienen,  die  da  mit  Recht  von  verschiedenen  Stämmen 
in  Böhmen  und  Mähren  sprechen.  Da  es  sich  an  einer  abgeschabten  Seite 
eines  iVü6e/Mw</ere-Fragmentes  erhalten  hat  und  zwar  gerade  des  Anfangs  der 
Nibelungen,  so  meinte  Fr.  Pfeifer,  es  sei  ein  Versuch  der  Uibersetzung  der 
Nibelungen,  was  jedoch  sowol  zu  behaupten  als  zu  läugnen  schwer  hält,  da 
eben  fast  kein  Satz  mit  Sicherheit  festgestellt  werden  kann.  Der  Beginn: 
Höret  zu,  ich  will  euch  wunderbares  singen  oder:  höret  zu,  ich  hab'  euch 
wunderbares  zu  singen,  lauten  allerdings  wie  der  Beginn  eines  epischen  Lie- 
des.   Aber  die  ganze  Natur  des  Liedes   ist    schon   gekünstelt  angelegt   und 


80 

die  Reime  drängen  sich  zu  sehr  hervor:  als  dass  es  im  entferntesten  mit  ei- 
nem Liede  der  Königinhofer  Handschrift  verglichen  werden  könnte.  Es  ist 
mit  Ausnahme  des  Anfangs-  P  (Posluchajte)  in  zwei  Langzeilen  ohne  Inter- 
punctation  geschrieben,  mit  einer  wahren  Perlschrift,  die  eine  sehr  geübte 
Hand  verrät.  Ob  sohin  gerade  Böhmen  das  Vaterland  des  Liedes  ist,  muss 
dfihin  gestellt  bleiber,  wenn  auch  manche  der  sonderbaren  Formen  in  anderen 
böhmischen  Handschriften  sich  vorfinden,  z.  B.  in  den  Offenbarungen  der  h. 
Brigitta  im  Manuscripte  17.  E.  8.  N.  18.  fol.  133  „a  na  v§aku  hodinu  myslila 
sem".  In  der  Handschrift  17.  F.  1.  d.  i.  in  den  Stitny'schen  Offenbarurgen 
der  h.  Brigitta,  fol.  7.  v.  ..jesto  mie  mas  na  vSak  den  ku  obieti  na  oltäfi." 
Dvorzvo  kann  verschrieben  für  dvorstvo  sein. 


26.    „O  velik^m  pobiti",  Zäboj  und  Slävoj  (oder  von 
der  g:rossen  siegreichen  Schlacht). 

Dies  Gedicht  ist  in  unserer  Sammlung  eine  Art  Anhang  der  histo- 
rischen Lieder,  da  es  den  Hochzeitsliedern  unmittelbar  vorangeht.  Da  es 
nun  das  älteste  der  Zeit  der  Entstehung  nach  zu  sein  scheint  (Komärek 
versetzt  den  Ursprung  gegen  das  Jahr  806),  so  mag  es  zu  einer  frühern, 
schon  abgeschlossenen  Sammlung  aus  einer  andern  Sammlung  lierüberge- 
Dommen  worden  sein.    Es  besteht  aus  folgenden  Abteilungen. 

Erstes  Bild. 

Der  starke  Zäboj  betrachtet  von  einem  hohen  Waldfelsen 
ringsum  die  Gegenden  seiner  unglücklichen  Heimat  (krajiny,  hier 
wahrscheinlich  nur  Natnrgegenden,  nicht  ^upengebiete).  Nach 
langer  wehmutsvoller  '  etrachtung  aller  dieser  Gegenden  eilt  er 
durch  die  Wälder  zu  all  den  Mannen,  die  sich  darin  bergen  und 
sammt  ihren  Schutzgöttern  (bozi)  darin  als  in  einem  noch  nicht 
von  den  Feinden  eroberten  Teile  der  Heimat  (po  vsickej  vlasti) 
weilten.  Er  spricht  nur  weniges  und  dies  im  Stillen  zu  ihnen,  weil 
wol  der  Hanptentschluss  längst  gefasst  war,  neigt  sich  vor  lien 
Göttern,  um  wieder  weiter  zu  eilen.  Seine  Worte  betrafen  eine 
geheime  Zusammenkunft  in  der  Nacht  des  dritten  Tages  beim 
Mondscheine  im  Waldesdunkel. 

Zweites  Bild. 

Zäboj  führt  die  nächtlich  Versammelten  in  ein  tiefes  Tal 
und  zu  Unterst  stehend  singt  er  „den  Männern  von  Bruderherzen 
und  funkelnden  Augen,"  den  innig  Verbündeten  und  Feurigen  bei 
Begleitung  des  Varyto  einen  Gesang,  w^orin  die  trübe  Lage  des 
Vaterlandes  und  sein  trauerndes  Gemüt  dargelegt  wird.  Es  starb 
uns,  sagte  er,  der  Vater,  er  hinterlicss  seine  Kinder  (Penaten?)  und 
die  Frauen  (Inbicc)  ohne  einen  Nachfolger  zu  bestimmen,  der  mit 
Vaterworten  za  ihnen  gesprochen  hätte.  Da  drang  der  Fremde  (cuzi) 


81 

(der  Deutsche)  mit  Gewalt  ins  Land  und  mit  fremden  (deutschen) 
Worten  gebietet  er  über  Familiensitten  und  über  den  Götterglau- 
ben. Nur  ein  Weib  sollen  wir  durch  unser  ganzen  Leben  haben, 
wenn  wir  von  der  Vesna  zur  Morana  wandern,  aus  den  Hainen 
vertrieb  er  alle  Sperber  (krahuje),  fremden  Göttern  sollen  wir  uns 
neigen,  ihnen  opfern:  dort,  wo  wir  uns  vor  unseren  Göttern  bis  zur 
Erde  beugten  (se  hiti  v  celo  pfed  bohy),  wo  wir  ihnen  Speise  hin- 
legten und  laut  zu  ihnen  saugen,  dort  fällten  sie  die  (heiligen) 
Bäume  und  zertrümmerten  die  Götterbilder. 

Anmerlcung.  Nicht  etwa  romantisches  Waldesdnnkel  war  der  Grund 
der  Waldverehrung,  sondern  die  Wälder  galten  als  mythische  Metamorphosen 
der  Wolken,  hinter  denen  sich  die  Götter  zu  bergen  pflegten :  eben  so  waren 
die  Sperber  bei  den  Böhmen  dieselbe  Blitzmetaraorphose  gewesen,  wie  der 
picusdes  Lateiners  überhaupt  und  der  Adler  des  Zeus  insbesondere.  Der 
mythische  Gedankengang  versetzt  nämlich  die  Bilder  der  Gegenstände  des 
Unten  auf  die  Erscheinungen  des  Oben,  nennt  z.  B.  die  dichten  Wolken  Wäl- 
der oder  Berge,  was  eigentlich  im  Altertum  dasselbe  war  (hory  =  bewaldete 
Berge),  sah  aber  wiederum  in  den  Bergwäldem  des  Unten  seine  Wolkenberge 
des  Oben,  und  wie  er  in  den  Wolken  die  zerreissenden  Blitze  in  Gestalt  von 
reissenden  Vögeln  sich  dachte,  pflegte  er  in  den  Bergwäldern  in  heiliger 
Scheue  die  Sperber  (Vgl.  Wesen  und  Ursprung  der  slavischen  Mythologie  in 
den  Sitzungsberichten,  Ibßö   9.  October.  1866.  Prag). 

Drilles  Bild. 

Ein  zweiter  Atiführer,  Slavoj,  äussert  nun  den  Eindruck  des 
ebengesungenen  Liedes  im  Namen  aller  durch  die  Worte :  Ja, 
Zäboj  !  du  bist  ein  Göttersänger,  wie  es  einst  Lumir  war,  wel- 
cher durch  Spruch  und  Sang  Vysegrad  und  dessen  Gebiet  be- 
wegte. Als  Zäboj  die  feurig  erregten  Blicke  des  zweiten  Führers 
verstand,  fuhr  er  im  Gesänge  fort:  Wir  beide  sind  die  zwei  Söhne 
des  dahingeschiedenen  Vaters,  noch  jung  übten  wir  uns  mit 
Schwert,  Hammer  (mlat)  und  Speer  heimlich  in  den  Wäldern: 
doch  als  unsere  Arme  männlich  wurden,  und  eingeübt  (umy)  gegen 
die  mörderischen  Feinde  und  auch  die  anderen  Brüder  nachgewachsen 
waren,  da  brachen  wir  gegen  die  Feinde  los  und  unsere  Wut 
war  die  des  wetternden  Himmels.  Das  Wol  kehrte  in  unsere  Erb- 
güter zurück.  —  Als  auf  diese  Weise  Alle  im  Gesänge  Zäboj's 
die  Gegenwart  und  Zukunft  vorgebildet  hörten:  eilten  alle  erregt 
zu  Zäboj  hinab:  die  Hände  gehen  von  Brust  zu  Brust  und  mit 
klugen  Worten  wird  die  dritte  Nacht  zum  Aufbruche  gegen  den 
Feind  bestimmt. 

Doch  die  Nacht  wich  schon  dem  Morgen,  alles  eilt  sohin  aus 
dem  tiefen  Tale  gegen  die  Bäume  der  Höhen  und  verliert  sich 
durch  den  Wald  nach  allen  Seiten. 

Anmerkung.  Nirgend  ist  so  deutlich,  wie  in  diesen  Stellen,  das  Ge- 
fühl der  slavischen  Autochthonenschaft  der  Böhmen  in  der  Peripherie  Böhmens 
ausgesprochen,  wärend  die  Gr.^H.  der  Einwanderung  mancher  Stämme,  na- 
mentlich des  Centrums  der  Cechen  mit  deren  Heiligtümern  ausdrücklich 
gedenkt. 

6 


82 

Anmerkung.  2.  Es  ist  die  Frage,  ob  auch  nicht  in  dem  zweiten  Bilde 
dieses  Gesanges,  wie  im  Dalemil,  statt  „dietky'*  Kinder,  gelesen  werden  sollte 
„ostavi  f//erf/v7/,  Penaten,  svoieisvoie  lubice'-,  ferner  „tako  bö  so  zdieti  died- 
Icom  (für  dietkam)  i  zenam":  denn  es  ist  wahrlich  sonderbar,  dass  im  Ge- 
sänge die  Kinder  vorangehen  sollten  den  Müttern,  auch  greift  der  erobernde 
Fremde  tatsächlich  nur  die  Gebräuche  seitens  der  Götter,  Penaten,  diedky, 
und  der  Weiber  an:  in  der  detaillirten  Klage  ist  auch  ferner  von  den  im 
Altei  turne  ohnehin  stets  untergeordneten  Kindern  keine  Rede  mehr.  Der 
Ausdruck:  mluvi  k  nira  oteckymi  slovy,  wäre  dann  gleich  bedeutend  mit 
dem  Ausdrucke:  „otcik  k  nim  hläsat  chodivase."  „Bozi'^  Götter  und  „Z)ie<:^- 
Ä:?/,"  Penaten  wären  hier  synonym  gebraucht,  wodurch  es  eben  erklärlich  würde, 
däss  der  Hausvater  ihnen  in  der  Dämmerung  Speise  reichte,  was  wohl  bei 
Penaten,  nicht  aber  bei  wahren  Göttern  zu  geschehen  pflegte,  denen  man  wol 
opferte,  die  man  jedoch  nicht  /w^^e;'^e,  wie  das  allerdings  bei  den  verstorbenen 
Vorältern,  den  Diedky  zu  geschehen  pflegte.  Man  vgl.  das  Verbot  des  alten 
Poenitendale  (12  Jh.  Sign.  3  F.  6.)  „teuflische  (d.  h.  heidnische)  Lieder  zur 
Nachtszeit  über  den  Toten  abzusingen"  mit  dem  „chodivase  hldsat'  er  pflegte 
die  Penaten  laut  zu  rufen.  Der  Ausdruck  der  K.  H. :  ,, otcik  zajde  k  otcem"  das 
Väterchen  gieng  hjim  zu  den  Vätern,  ist  sohin  gleich  dem  Ausdruke  der 
Gr-  H.  „i  umre-li  glava  celedina',  stirbt  das  Haupt  der  Familieneinheit. 

Anmerkung  3.  Die  Erwähnung  der  Sängers  Lumtr  (wol  verkürzt  für 
Lubomir  oder  Lutomfr)  in  poetischer  und  politischer  Beziehung  zum  Vyse- 
hrad  ist  nicht  nur  eines  der  Zeichen,  dass  unser  Gedieht  selbst  eine  bestimmte 
historische  Begebenheit  besingt,  sondern  auch  ein  Beweis,  wie  viele  Vyse- 
grad-Sagen  für  uns  verloren  gegangen  sein  mögen.  —  Die  Erwähnung  des 
„Vysehrad  i  vsie  vlasti,'^  soll  jedoch  nicht  als  ein  Beweis  angesehen  wer- 
den, dass  auch  im  Zäboj  das  mittlere  Böhmen  gemeint  sei,  sondern  gerade 
umgekehrt,  dass  der  Pfemyslidensänger  des  fernen  Krokidensängers  gedachte 
und  zwiir  in  so  uralter  Zeit,- in  welcher  wol  Vysehrad  die  gemeinsame  Cul- 
tusstätte,  aber  noch  nicht  die  politische  Centralstätte  von  Böhmen  war,  was 
wol  Frag  wurde,  das  allerdings  als  Znpenburg  auch  Heiligtümer  in  sich 
fassen  musste,  wie  denn  im  Böhmischen  der  lateinische  Name  der  Burg,  ca- 
stellum  in  den  Begriff  Kirche,  kostel  übergieng. 

Der  sonderbare  Ausdruck  im  fi5.  v.  „pfichäzese  noc  pfied  iutro"  sollte 
vielleicht  der  Leseart  weichen:  pfie  hazi  sie  pHed  iutro,  eben  so  wie  es  im  Ja- 
roslav  V.  140.  141.  heisst:  noc  rozvali  sie  k  zemi"  oder  noch  besser  im  Ja- 
romir  und  Oldfich :  „noc  sie  pfevali  sie  pfes  pölnoci,  pokroci  siekiatru  sedosern" 
(v.  13.  14.):  da  noc,  die  Nacht,  hier  nicht  der  abstracte  Begriff  der  Zeit  ist, 
sondern  der  concrete  Begriff  des  Nacht-Dunkels,  so  wie  iu-tro  (Diu-tro)  ur- 
sprüglich der  Licht-Bringer  ist. 

Viertes  Bild. 

Die  Verbündeten  versammeln  sich  in  zwei  Heeresabteilun- 
gen im  dunklen  Walde  unter  Zäboj  und  Slavoj's  Anführung-,  treu 
denselben  ergeben  und  voll  Hass  gagen  den  König  (kräl),  sowie  scharf 
bewaffnet.  Zäboj  gibt  den  Rat  auf  verschiedenen  Wegen  gegen  den 
„blauen  Berg"  hinzuziehen,  da  dort  das  Haupt  der  Schlange  sei, 
die  zertreten  werden  solle,  während  der  rasche  Slavoj  zum  so- 
gleichen  Angreifen  drängt.  Docb  wird  der  klügere  Rat  Zäboj's 
befolgt.  Nach  fünf  Tagen  sind  beide  mit  ihren  Heeren  beim  blauen 
Berge,  dort  vereinigen  sie  sich  und  erscbeinen  mit  besonnenem 
Antlize  so  gewendet  vor  den  Königsheeren,  dass  deren  Anführer 
Ludek  genötigt  wird,  seine  Heere  auf  einen  Punct  zusammenzu- 
ziehen.    Damit   dies   so    rasch  als  möglich  geschehe,    lässt  Zäboj 


dem  Anführer  die  Verhöhnung  zurufen :  Aj !  Ludek,  du  bist  ein 
Knecht  von  des  Königes  Knechten,  sage  nur  deinem  Wüteriche, 
dass  seine  Befehle  uns  nur  Rauch  sind.  Ludek  vor  Zorn  entbrannt 
ruft  in  der  Tat  seine  Heere  gleich  zusammen:  vom  Sonnen-  und 
vom  Waffen-GIauze  wird  die  ganze  Gegend  erhellt.  Die  Königs- 
heere stehen  in  Schlachtordnung,  den  Fuss  zum  Schritt,  die  Hand 
zum  Waffengebrauche  bereit. 

Anmerkung.  Die  Handschrift  hatte  ursprünglich  v.  77  krala  (kralja) 
oder  kralle,  das  a  oder  ie  erscheint  nun  ausradirt,  wol  durch  Hanka,  um  den 
Accusativ  nach  alter  ?  Art  dem  Nominative  gleich  zu  machen,  ein  töricht 
Beginnen,  da  ursprünglich  jede  Endung  ihr  eigenes  Suffix  hatte  und  der  Ge- 
nitiv doch  um  nichts  schlechter  ist  als  der  Nominativ.  —  Die  Führer  nennen 
sich  gegenseitig  Bruder,  trotz  dem  dass  Zäboj  der  eigentliche  Oberanführer 
ist,  welchem  Slavoj  sich  fügt,  was  etwas  gezwungen  durch  das  Verhältniss 
des  pobratimstvo  gedeutet  wird.  —  Das  Wor(;  kräl  wurde  als  Metathesis  des 
Eigennamens  Carolas  (magnus)  gedeutet,  auch  das  Gedicht  fast  schon  deshalb 
in  den  Anfang  des  9.  Jh.  versetzt.  In  der  Apologie  der  böhm.  Geschichte  (1863 
S.  48)  findet  nämlich  Tomek,  dass  die  geschilderten  Begebenheiten  in  keinen 
andern  Zeitraum  mit  solcher  Wahrscheinlichkeit  gesetzt  werden  können  als 
in  die  nächsten  Jahre  nach  dem  Feldzuge  Pipins  im  J.  797.  Tomek,  scheint 
das  Gedicht  jedoch  früher  hin  mit  Recht  in  eine  höhere  Zeit  hinaufgerückt 
zu  haben  und  zwar  zwischen  die  J.  728-748  (Abhandl.  VII.  B.  S.  45.  46). 
Dass  Karolus  und  Kräl  etymologisch  dasselbe  Wort  sind,  als  veraltete  par- 
ticipia  praeteriti  activi,  den  Geritzt-  oder  Gewült-  oder  den  Geschlagen-haben- 
den,  den  siegreichen,  den  Sieger  bedeutend,  daran  ist  wol  kein  Zweifel,  allein 
die  Würze!  kar  ist  ja  indoenropaeisch,  (litauisch  karälius,  altslav.,  also  von 
den  Deutschen  fern:  kralb,  magyarisch,  von  den  Slaven  entlehnt,  kiraly).  Kräl 
ist  sohin  ein  selbständig  slavisches  Wort.  Ein  anderes  Participium,  aber 
praet.  passivi  und  zwar  derselben  Wurzel  ist  krat  in  dva-Zcra^  u.  d.  gl.,  dessen 
Bedeutung  man  im  Vergleiche  des  polnischen  dva-razy  leicht  ersieht  Dass 
Kräl  die  obige  Bedeutung  habe,  zeigt  auch  der  Name  kral-ik  der  kleine 
Wühler,  das  Kaninchen,  den  man  doch  nicht  mit  Carolus  Magnus  in  Bezie- 
hung wird  setzen  wollen.  Im  Gedichte  kömmt  das  Wort  Kräl  auch  nur  als 
appellativum  im  Gegensatze  zum  Vojevoden  vor:  jedermann  war  Freund  des 
Vojevoden  und  Feind  des  Kräl  —  als   appellativum   zeigt    es   auch   die   Con- 

struction  „z  krdlevych  vojev"  (v.    110). Pet  sliinci,    fünf  Sonnen   stat 

fünf  Tage,  sohin  slunce  noch  in  der  Urbedeutung:  leuchtend. 

Fünftes  Bild. 

Zäboj  bricht  stürmend  geradezu  gegen  den  Feind  los,  wärend 
Slavoj  denselben  von  der  Seite  angreift.  „Ihr  Brüder  (bratfie!)'' 
ruft  Zäboj  zu  den  Seinen,  „diese  da  sind  es,  die  uns  die  Götter- 
bilder brachen,  sie  sind  es.  die  unsere  Bäume  fällten  und  die 
Sperber  aus  den  Hainen  trieben.''  Allen  ihren  Mannen  voran  treffen 
Ludek  und  Zäboj  zusammen.  Ludek  hieb  mit  seinem  starken 
Schwerte  gegen  Zäboj,  drei  Häute  des  auffangenden  Schildes  zer- 
sprangen; Zäboj  warf  aber  seinen  Hammer  (mlat)  gegen  Ludek, 
doch  da  Ludek  behende  zur  Seite  sprang,  so  traf  der  Hammer 
einen  Baum,  dieser  fiel  zu  Boden  und  riss  dreissig  Feinde  zu  den 
Vätern.  Das  machte  Ludek  noch  unbändiger,  so  dass  er  Zäboj 
zu  rief:  0  du  Vertierter  (zhovadily),  du  grosses  Schlangenunge- 
türa,  mit  dem  Schwerte  kämpfe  gegen  mich.  Dieser  Schwertkarapf 

6* 


84 

beginnt,  allein  auch  die  Heere  kämpfen  schon,  da  bereits  ebenfalls 
Slavoj  die  Schlacht  begann.  Es  dunkelte  bereits,  alles  war  schon 
bluto'etüncht,  doch  der  Kampf  noch  nicht  entschieden.  Da  ruft  nun 
Zäboj  dem  Ludek  zu:  „Du  Mörder!  Bcs  soll  dich  schlagen!  Warum 
trinkst  du  unser  Blut!"  Nun  greift  Zäboj  wieder  zum  Hammer. 
Als  Ludek  abermals  zur  Seite  springt,  wirft  Zäboj  den  wuchtigen 
Hammer  hochgezückt  so  gegen  Ludek,  dass  dessen  Schild  zer- 
springt, hinter  dem  Schilde  aber  auch  Ludök's  Brust.  Seine  Seele 
flog  heraus  vor  dem  schweren  Hammer,  doch  ward  Hammer  uod 
Seele  hinaus  getrieben  und  fünf  Klafter  weit  ins  Heer  getragen. 
Strach  (Furcht)  treibt  den  Mördern  (Feinden)  Geschrei  aus  den 
Kehlen,  Radost  (Freude)  aber  ertönt  aus  dem  Munde  von  Zäboj's 
Heer  und  Freude  funkelt  aus  ihren  Augen. 

Anmerkung.  Gewöhnlich  übersetzt  man  die  Sfelle  über  die  Seele  so: 
„Es  erschrickt  die  Seele  vor  der  schweren  Axt,  doch  diese  fliegt,  die  Seele 
mit  sich  nehmend,  mit  ihr  noch  fünf  Klafter  zu  den  Kriegern."  Das  Erschreken 
wäre  hier  bei  der  Heftigkeit  und  Schnelligkeit  der  Handlung  nur  ein  läh- 
mpndes  Bild,  wir  lesen  sohin  für  ulecie  sie  ,,uletiesie,"  und  finden  darin  dann 
den  Sinn,  nach  dem  Schlage  auf  Ludek's  Brust  fliegt  die  Seele  (durch  den 
Hals)  heraus,  doch  wird  sie  vom  die  Brust  durchdringenden  Hammer  ereilt 
und  mit  ihm  (im  Luftzuge)  bis  fünf  Klafter  unter  die  Krieger  getragen.  Würde 
der  Hammer  die  Seele  passiv  heraustreiben,  dann  würde  auf  orientalische 
Art  die  Seele  im  Blute  geroeint  sein,  während  in  der  indoeuropäischen  An- 
schauungsweise die  Seele  (dnch,  duchja,  dusa)  als  wai-mer  Atem  immer  fliegt. 
—  In  dem  höhnend  scheltenden  Ausrufe,  wodurch  Zäboj  den  Ludek  zum  Jäh- 
zorn treiben  will,  hebt  Zäboj  nUr  die  Störung  der  (xöY^erverehrung  hervor, 
was  die  obige  Leseart  diedky  für  dietky  unterstüzt.  —  Die  grossartigen  Hy- 
perbeln stimmen  gut  zu  dem  naivcolossalen  Bilde  von  Zäboj,  der  wie  ein 
Riese  gegen  Ludek  (Ludovikus?)  kämpft.  —  Die  Verfluchung  mit  dem  Bies 
(Bojas,  der  Schlagende)  ist  höchst  altertümlich,  und  doch  eben  so  wie  die 
Redensart:  „Parom  do  tebe"  noch  heutzutage  den  Slovaken  bekannt.  Wir 
leiten  bßs,  aus  der  Wurzel,  bi,  boj,  schlagen,  andere  aus  der  Wurzel  ba,  boj- 
ati  fürchten,  ab  und  glauben  Recht  zu  haben,  da  boj  auch  Schlacht  bedeutet. 
Den  dem  Bes  entgegenstehenden  Das  sehen  wir  wieder  für  eine  Kürzung  von 
div-n8  an,  der  leuchtende,  so  dass  uns  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  das, 
der  leuchtende  Blitz,  von  bes  aber  der  Donnerschlag  ist. 

Sechstes  Bild. 

vAj,  Brüder!  die  Götter  verliehen  uns  den  Sieg."  Pferde 
werden  aus  allen  Tälern  auf  den  Walplaz  gebracht,  doch  Slavoj 
mahnt,  noch  nicht  abzulassen  vom  Kampfe  gegen  die  Mörder 
(büf'it  V  vrahy).  Da  wirft  denn  Zäboj  den  Schild  weg,  in  einer  Hand 
den  Hammer,  in  der  andern  das, Schwert  bricht  er  ganze  Reihen 
der  Feinde  durch,  die  nun  Tras  von  der  Walstätte  jagt,  wärend 
ihnen  Sirach  Klagerufe  aus  den  Kehlen  treibt. 

Anmerkung.  Die  Götter  (bozi),  welche  den  Sieg  verleihen,  sind  nicht 
abstract  geh.iUene  Siegesgötter  überhaupt,  sondern  die  heimischen.  Götter, 
die  Penaten  i)der  Diedky,  welche  die  Heimat  vor  den  Fremden  schützen.  — 
Tfas,  das  Zittern,  Strach,  das  Fürchten,  Radost,  die  Freude  sind  objecti- 
virte  Geraüfsznstände  und  machen  fast  mehr  den  Eindruck  von  poetischen 
Personificationen,  als  von  echten  Göttergestalten.     Tfas  wird  in  alten  Bibeln 


85 

für  tremor  häufig  gebraucht  und   vollkommen  personificirt.    Solche  Gestalten 
kommen  auch  in  anderen  Liedern  der  K.  H.  vor. 

Slcbentfts  Bild. 

Die  siegenden  Heere  verfolgen  nun  zu  Pferde  die  Reste  der 
geschlageneu  Feinde.  Ebenen,  Berge  und  Wälder  eilen  hinter  die 
verfolgenden  Sieger.  In  einem  wildtosenden  Flusse  gehen  viele 
Feinde  zu  Grunde,  doch  die  Bekannten  (sv6  zvesty)  tragen  die 
Wellen  (vody)  auf  das  andere  Ufer.  Darauf  nehmen  in  den  Ebenen 
die  Verfolgenden  eine  stets  grössere  Breite  der  Schlachtlinie  an, 
wie  wenn  ein  wilder  Falke  (ostfiez)  seine  langen  Flügel  ausge- 
breitet hat  und  eilends  hinter  den  Vögeln  dahin  jagt.  So  geht  es 
nachts  wild  unter  dem  Monde  (nocü  pod  lunii),  so  tags  wild  unter 
der  Sonne  (pod  sluncem)  und  abermals  eine  finstere  Nacht  durch 
und  früh  noch  bei  grauem  Dämmern,  bis  abermals  ein  tosender 
Fluss  viele  Feinde  verschlingt,  und  die  Seinen  hinüber  trägt.  „Dort, 
bei  dem  grauen  (Gränz)  Gebirge",  ruft  Zäbqj,  soll  unsere  Rache 
zu  stürmen  aufhören."  Doch  selbst  Slavoj  rät  nun  schon,  dass  sie 
hier,  so  nahe  den  Gränzgebirgen,  den  kleinen  Haufen  der  fliehen- 
den Feinde,  die  so  kläglich  bitten,  nicht  weiter  verfolgen. 

Anmerkung.  Die  Lebhaftigkeit  der  Schilderung  ist  im  Original  wahr- 
haft grossartig,  trotz  der  merkwürdigen  Kürze  der  Diction,  z.  B.  „Es^  toset 
ein  wilder  Strom,  Wellen  wälzen  sich  auf  Wellen,  es  tosen  alle  Heere,  Sprung 
auf  Sprung  jagt  alles  über  den  stürmenden  Strom."  Nach  den  beiden  Flüssen 
die  Gegend  bestimmen  zu  wollen,  wird  wol  nicht  gelingen,  da  hier  nur  stür- 
zende Frühlings-Berggewässer  geschildert  zu  sein  scheinen,  deren  Furt  wol 
die  Heimischen,  nicht  aber  die  Fremden  (cuzi)  fanden.  Vgl.  Jir.  Echtheit. 

Aeliles  Bild. 

Zäboj  stellt  die  Verfolgung  ein.  Doch  teilt  er  das  Heer  aber- 
mal, damit  es  nun  in  zwei  Teilen  zu  verschiedenen  Seiten  im  Rück- 
wege alles  Königliche  ausrotte,  bis  beide  Heere  wiederuni  beim 
grauen  Berge  sich  vereinigen  werden,  dort  wo  der  Hauptsieg  er- 
föchten wurde.  „Aj  !  ihr  Brüder  (bratfi)!"  ruft  Zäboj,  „dort  ver- 
liehen uns  die  Götter  den  Sieg,  dort  flattern  scheu  noch  viele  See- 
len auf  den  Bäumen  hin  und  her :  Vögel  und  wild  Getier  fürchten 
sie,  nur  die  Eulen  nicht.  Dort  gibt  es  Leichen  berghoch  zu  be 
graben  (k  vrchu),  dort  ist  Nahrung  den  Penaten  und  Opfer  den 
Heil-Göttern  darzubringen,  den  Göttern  unseren  Ueübringem  (spä- 
säm),  milde  Worte  sind  jenen  zuzurufen  und  diesen  widmend  zu 
weihen  der  mörderischen  Feinde  Waffen." 

Anmerkung.  Die  Schilderung  mit  dem  grauen  Gebirge  hat  gewiss 
einen  topographischen  Hintergrund:  es  sind  bestimmte  uns  aber  m'oI  für 
immer  unbestimmbare  Oertlichkeiten  gemeint,  da  es  nicht  feststeht,  ^üo  in  Böh- 
men, ja  o5  überhaupt  im,  wie  gegenwärtig,  abgegränzten  Böhmen  dieTatliand- 
lung  vor  sich  gieng.  Die  Erwähnung  Vysegrad's  im  Beginne  des  Gedichtes 
tut  natürlich  nichts,  weder  für  noch  gegen  Böhmen  als  den  Ort  der  Hand- 
lung,   da     Vysehrad     auch     über    die     Gränzen    Böhmens     bekannt     war. 


86 

Das  Gedicht  geheint  iü  seiner  ursprünglichen  Form  etwas  bestimmter  ge- 
fasst  gewesen  zu  sein.  Zu  solchen  etwas  unbestimmten,  weil  später  vielleicht 
nicht  mehr  verstandenen  Stellen,  zählen  wir  auch  den  Schluss  namentlich  über 
das  Flattern  der  Seelen  auf  den  Bäumen  (velie  dns  tekä  semo  tamo  po  dfe- 
vech),  das  dem  oben  erwähnten  Erschrecken  der  Seelen,  sowie  dem  Heraus- 
schlagen derselben  aus  dem  Leibe,  der  Seelen  also  in  Blutgestalt,  falls  man 
die  vorgeschlagene  Aenderung  nicht  annähme,  zuwider  läuft.  Da  Bäume 
auch  mythische  Bilder  der  Wolken  sind,  so  können  darunter  auch  die  Wol- 
ken ursprünglich  verstanden  worden  sein  als  mythische  Sitze  der  unruhigen 
Seelen.  Eiden  waren  gleichfalls  mythische  Bilder  aber  der  Getvitterwolken 
(Medusenköpfe  haben  z.  B.  Eulen  in  ihrem  wirren  Haare)  und  ihr  Blick  ward 
dem  Blitz  verglichen:  darum  fürchten  sich  auch  Eulen  vor  den  flatternden 
Wolkenseelen  nicht;  denn  in  den  Gewitterwolken  dachte  man  sich  Seelen 
selbst,  welche  beim  Blitzen  neu  zur  Erde  sich  senkten,  um  neugeborene 
Kinderkörper  zu  beleben.  Wie  die  Seelen  mit  dem  Feuer  (mit  dem  Blitze) 
aus  den  Wolken  un  l  aus  dem  ßäj  zur  Erde  fuhren,  so  fuhren  sie  mit  dem 
Feuer  (des  Leichenbrandes)  wahrscheinlich  wieder  gegen  den  Himmel,  djiher 
der  Ausspruch:  sie  flattern  in  den  Wolken  bis  der  Tote  verbrannt  ist  (Cest- 
mir  a  Vlaslav).  Im  Zäboj  ist  jedoch  vom  Brande  keine  Rede,  sondern  nur 
vom  Begraben.  Den  Ausdruck:  Je  vrchu  pohrebat  mrch"  deuten  wir  Jedoch 
nicht  wie  gewöhnlich  durch  das  Begraben  beim  Berge,  sondern  durch  das 
Aufwerfen  einer  berghohen  Mogyla  und  wundern  uns  nur,  dass  man  im  Ge- 
dichte mit  den  Leichen  (mrchy,  Wurzel:  7«r  =  töten)  so  wenig  Umstände  macht, 
da  doch  Leichen  von  Freund  und  Feind  beisammen  waren  :  oder  sollte  dadurch 
angedeutet  werden,  dass  kein  Freund  fiel?  Ungeheuere  Hyperbeln  liebt  aller- 
dings das  Gedicht.  Darum  verbrannte  man  wol  auch  die  Leichen  nicht,  da 
man  eine  Sicges-mohyla  haben  wollte.  Die  Götter  werden  hier  offenbar  in 
einfache  bozi,  bohove  d.  h.  nach  unserer  Ansicht  in  Penaten,  denen  man 
Nahrung  (pokrm)  gab  und  in  wahre  Götter,  bohove  sjjäsjj  (Siegesgötter)  unter- 
schieden, denn  man  opferte,  (dat  mnostvie  obeti).  Das  Wort  obef,  obiet  für 
obviet  bedeutet  eigentlich  Versprochenes  faltsiav.  vcti.  Vertrag),  dann  Ge- 
lübde, Votum,  endh'ch  erst  Opfer  und  ist  altertümlich  ;  die  Christen  nahmen 
es  später  als  ein  unblutiges  Opfer  an,  um  es  eben  von  dem  heidnisch-blutigen 
Opfer  zu  unterscheiden.  Aber  auch  dieses,  das  blutige  Opfer,  das  Brand- 
opfer oder  die  zertva,  war  obiet,  in  wie  ferne  dabei  gebetet  oder  Geliibde 
gemacht  wurden,  wie  es  denn  in  Vlaslav  (v.  11  .  nusdrücklich  heisst :  „ez 
nepäli  obiet  bohöra."  Das  Gedicht  in  der  gegenwärtigen  Form  vergass  auch 
ganz  auf  die  Leiche  Ludek's.  Nahmen  sie  etw;i  die  Feinde  mit?  Ob  in  dem 
Worte  Ludek  der  Name  Lurhvig  und  der  irgend  eines  fränkisch-historischen 
Ludwigs  sich  berge,  ist  schwer  zu  entscheiden:  es  wäre  auftauend,  wenn  die 
Namensform  Chluodovig  oder  Chlodwig  im  8.  oder  9.  Jh.  schon  so  gekürzt 
popularisirt  gewesen  wäre. 


27.  0  viccstvic    nad   Vlasltivem   (Sieg^   über   Vlaslav) 
oder  Cestmfr  und  Vlaslav. 

Das  religiöse  Band,  welches  unter  den  Krokidcn  die  vielen  Zupen 
Bölirnens  mit  den  Centralzupen  Vyselirad-Prag  vereinte,  scheint  unter 
der  beginnenden  politischen  Concentration  der  Pfcmysliden  öfters  durch 
Versuche  von  Decentralisationen  gelockert  worden  zu  sein.  Waren  ja 
doch  diese  politischen  Centralisationen  der  Beginn  der  Nachahmung  der 
deutscli enVoWiWs.  (des  Königstums):  da  die  alten,  wahren  Slaveu  nur  durch 
Heiligtümer  und  Natio  ualsitte  Zupe    mit  Zupe  zu  verbinden  pflegten  und 


87 

auch  nur  insoferue  eine  Centralzupe  verehrten,  als  mehreren  Stämmen 
gemeinswne  Heiligtümer  zu  Grunde  lagen  („v  svcte  Vysegradö").  Das 
vorliegende  Gedicht  erzählt  eben  einen  solchen,  aber  misslungenen  Ver- 
such unter  dem  politischen  Centralfürsten  Neklan,  der  am  Kampfe  nicht 
selbst  teilnehmend,  durch  seineu  Foldherrn  Cestrnlr  die  Widerspänstigen 
zur  Unterwerfung  bringen  lässt.  Dieser  Cestmir.  im  Original  aucli  (Jtsmir 
geschrieben,  doch  auch  Ctmir,  wird  von  Dalemil  und  Iläjek  sammt  An- 
hang Stir.  von  Kosmas  aber  noch  sonderbarerweise  l^yr  genannt,  er- 
scheint, wie  die  mythisch  positive  Seite  Neklan's,  wie  denn  überhaupt  in 
den  alten  lat.  und  böhm.  Kroniken  diese  ganze  Begebenheit  mit  gar  man- 
chen mythischen  Momenten  geschmückt  geschildert  wird,  die  jedoch  unser 
Gedicht  zumeist  abgestreift  hat.  Es  bestätigt  sich  durch  das  unbedingte 
Lob  J^eHarts  die  oben  berührte  Ansicht,  dass  die  Gedichte  der  K.  II. 
das  Lob  der  Pfemysliden  besangen. 

Erstes  Bild. 

Vlaslav  (Vlasti-slav)  in  Verbindung  mit  Kruvoj  rühmten  sich 
laut  der  siegreichen  Oberherrschaft  (vicestviem)  über  Neklan,  den 
ruhmreichen  Fürsten  und  betätigten  sie,  Neklan  damit  höhnend, 
durch  feindliche  räuberische  Einfälle  in  dessen  Prager  Gebiet.  Ne- 
klan übergibt  persönlich  den  Rachezug  den  Händen  des  Vojevodeu 
Cestmir  (Ehren-reich  ?). 

Zweites   Bild. 

Cestmir  langt  freudig  seinen  schwarzen  zwei  Zähnigen  (dvu 
zubü)  Schild  von  der  Wand  herab,  so  wie  den  Hammer  und 
den  undurchdringlichen  Helm  {mlat  i  hehn).  Unter  alle  Bäume 
legt  er  Opfer  (obieti)  den  Göttern  (bohöm)  hin.  Freudig  folgen 
die  Heere  ihrem  Führer  gegen  das  Gebiet  des  aufständigen  Luca- 
ner  Fürsten  Vor  Tagesanbruch  beginnt  der  Zug,  und  dauert  bis 
nach  Sonnenuntergang.  Da  nehmen  sie  schon  den  Eauch  brennen- 
der Dörfer  wahr,  vernehmen  das  Stöhnen  klagender  Stimmen. 
„War  es  Vlaslav,  der  eure  Dörfer  zündete"  (frug  Cestmir),  „war 
es  Vlaslav.  der  euch  zum  Weinen  brachte?"  (der  euere  Stimmen 
so  weich  machte  ?)  —  „es  ist  dies  sein  letzter  Mordzug.  Rache 
und  Verderben  tragen  für  ihn  meine  Heere  !''  Sie  antworteten  aber 
dem  Vojvoden  Ctmir:  Kruvoj^  der  hässliche,  war  es,  der  uns  die 
Heerden  wegtrieb,  der  mit  Feuer  und  Schwert  Schmerz  in  unsere 
erblichen  Sitze  brachte.  Alles,  was  uns  nützlich  war,  hat  seine 
wilde  Bosheit  vernichtet:  sogar  den  Vojevoden  nahm  er  uns  ge- 
fangen.'^  Hoeherzürnt  lässt  Cestmir  seine  Heere  ausruhen;  denn 
früh  morgens  sollte  der  Rachezug  vorerst  gegen  Kruvoj  beginnen. 

Drittes  Bild. 

Kaum  bescheint  die  Sonne  die  höchsten  Bergesgipfel,  als 
schon  die  Heere  durch  zwei  Gebirgszüge  znr  Felscnburg  Kruvoj's 


88 

ziehen.  Dort  hielt  er  den  Vojmir  und  dessen  schöne  Tochter  ge- 
fano-eu,  welche  er  zur  Verhöhnung  Neklan's,  im  dichten  Walde  dort 
unter  dem  grauen  Felsen  festhielt  und  fortführte.  Kriivoj  schwur 
Treue  dem  Neklan  und  gab  ihm  auch  den  treuen  Handschlag,  aber 
derselbe  Mund  und  dieselbe  Hand  brachte  doch  das  Volk  Neklan's 
ins  Elend.  „Stürmet  Männer!  die  Höhere-Burg  (Vyseü-Hrad).''  be- 
fielt Öestmir  seinen  Heeren,  welche  nun,  geschützt  von  Schilden 
und  Bäumen,  die  Höhen  erklimmen  und  einen  wütenden  Schwert-^ 
kämpf  beginnen.  Einem  Stiere  gleich,  brüllte  Kruvoj,  hoch  auf 
der  Burg,  Tapferkeit  in  die  Seinen  und  sein  Schwert  fiel  schwer 
auf  die  Präger,  wie  ein  Stamm,  der  vom  Felsen  herabfällt :  doch 
Neklan's  Krieger  drängen  sich  in  dichten  Reihen  wie  Eichen  gegen 
die  Höhen.  Nun  befielt  Cestrair  auch  von  rückwärts  die  Burg 
anzugreifen,  zugleich  aber  die  höheren  Vorderburgraauern  zu  über- 
steigen. Mit  Hilfe  zusammengebundener  Bäume  und  Speere  steigt 
Mann  auf  Mann,  bis  die  fünften  oben  die  Burghöhe  einnehmen  und 
mit  Schwert,  Pfeiien  und  selbst  mit  Balken  die  Verteidigenden  zu- 
rückdrängen. Wie  ein  FrUhlingsstrom  (jarno)  drängen  nun  die 
Prager  über  die  Mauern  in  die  Burg  und  bewältigen  kraftvoll  alles 
in  der  festen  Burg. 

Viertes  Bild. 

Öestmir  ruft  nun  vor  dem  Turme,  worin  Vojmir  gefangen 
gehalten  ward:  „Trete  hervor  o  Vojmir,  trete  hervor  mit  deiner 
holden  Tochter,  schreite  aus  dem  Turme  in  die  Morgenfrische  her- 
aus. Dort  auf  dem  Felsen  wirst  du  erblicken  Kruvoj  schon  blu- 
tend unter  der  rächenden  Axt.  Vojmir  kömmt  hervor  in  die  wul- 
tuende  Morgenfrisehe,  er  kömmt  hervor  mit  seiner  schöngeforraten 
Tochter  und  siebet  bluten  seinen  Mörder  Kruvoj  — •  Die  Beute 
lässt  Cestmir  dem  Volke  wiederbringen,  zu  welchem  sich  auch  das 
Hebliche  Mädchen  heim  begiebt. 

Vojmir  hätte  nun  in  dieser  Stunde,  auf  diesem  Platze  den 
Göttern  (bohöm)  das  Opfer  (obiet)  gerne  gebracht,  doch  Cestmir 
mahnt  mit  dem  Dankfeste  (sluzba)  einzuhalten  und  lieber  rasch 
zum  Siege  über  Vlaslav  zu  schreiten,  damit  noch  nachmittags  die 
Heere  an  demjenigen  Orte  zurück  sein  könnten,  an  dem  als  dem 
Opferorte  ihre  Stimmen  den  vollen.  Sieg  verkündigen  sollen,  da 
sichtbarlich  die  Götter  auch  den  Vlaslav  niederschlagen  wollen. 
Nimm  diese  Watfen  deines  Feindes,  Vojmir,  und  komm.  Freudig 
hocherregt  ruft  Vojmir  von  einem  Felsen  im  Walde  aus  vollem 
Halse  so  den  Göttern  zu,  dass  darob  alle  Bäume  des  weiten  Wal- 
des erzitterten:  „Zürnet  nicht  ihr  Götter!  euerem  Diener,  dass  er 
das  Brandopfer  euch  beim  Tageslichte  nicht  bringet."  „In  der  Tat 
schulden  wir  den  Göttern  das  Opfer",  sagt  auch  Cestmir,  „doch 
uns  ist  zu  eilen  gegen  die  Mörder.  Du  aber  besteige  schnelle  Pferde, 
gleich  eile  mit  ihnen  durch    die  Wälder  hirschesgleich  hin  in  den 


89 

Eichenhain  (dubravu),  wo  wegwärts  der  den  Göttern  genehme 
Felsen  steht.  Auf  dessen  Gipfel  (na  jeje  vrchu)  magst  du  den 
Göttern,  den  siegenden  Rettern  (späsäm)  opfern,  für  den  eifoch- 
tenen  Sieg  und  für  den  Sieg,  der  noch  zu  erfechten  ist.  Ehe  die  Sonne 
merkbar  auf  der  festen  Hiinmelsbalin  weiter  geschritten  ist,  be- 
steigst du  schon  den  Ort,  und  ehe  die  Sonne  den  zweiten  und  den 
dritten  Schritt  hoch  über  die  Bergwälder  wird  getan  haben,  wird 
auch  mein  Heer  dort  augelangt  sein,  wo  dein  Oj)fer  bereits  in  Rau- 
chessäulen wehet,  damit  das  Heer  im  Vorbeigehen  davor  sich  beuge." 

Fünftes  Bild. 

Vojmir  opfert  eine  mutige  Kuh  von  roter  glänzender  Farbe: 
er  kaufte  sie,  die  Gelte,  dort  im  Tale  hohen  Grases  voll  vom  Hir- 
ten, dem  er  dafür  ein  Pferd  sammt  dem  Zaume  hingab  Das 
Opfer  brannte  schon  in  Flammen,  als  sich  das  Heer  dem  Tale  und 
talaufwärts  dem  Eichenhaine  nahte.  Geräuschvoll,  weil  die  Waffen 
tragend,  geht  jeder  Mann  um  das  Opfer,  Heil  den  Göttern  rufend, 
wenn  er  abtrat.  Doch  als  schon  die  letzten  vorbeikamen,  schwingt 
auch  Vojmir  sich  aufsein  schnelles  Ross:  die  mächtigen  Fleisches- 
teile der  Kuh  werden    von   sechs  Reitern   dem  Heere  nachgeführt. 

Sechstes  Bild. 

Das  Heer  (voisko)  schreitet  mit  der  Sonne  fort,  bis  es  mit- 
tags in  der  Ebene  ankömmt,  wo  der  kampfbegierige  Vlaslav  es 
schon  erwartet.  Sein  Heer  fünfmal  so  stark  als  das  der  Prager 
stund  von  einem  Walde  bis  zum  andern  und  wie  aus  Gewitterwolken 
hört  man  daraus  Getöse  schallen  und  das  Gebelle  grosser  Men- 
gen Hunde. 

„Sorgen  schaffet  es  mit  solchen  Mördern  zu  kämpfen"  sagt 
Vojmir,  „da  selten  ein  Stab  gegen  eine  Keule  aufkömmt."  Darauf 
erwiedert  Öestmir:  „Es  ist  klug,  solches  wol  heimlich  aaszuspre- 
chen, doch  sich  auf  alles  vorzubereiten,"  Darauf  entgegnete  Voj- 
mir: „Es  ist  ja  nicht  nötig,  mit  der  Stirne  gegen  den  Felsen  vor- 
zudringen: ein  Fuchs  überlistet  oft  den  hartköpfigsten  Auerochsen. 
Schritten  wir  geradezu  vor,  dann  sähe  hier  Vlaslav  unsere  Schwäche, 
lassen  wir  daher  neunmal  das  Heer  so  um  diesen  Berg  herumge- 
hen, dass  die,  welche  die  ersten  waren,  an  die  letzten  sich  im 
Marsche  talwärts  wiederholt  anschliessen,  um  ihn  zu  täuschen. 
Dies  geschah  nun  von  Vojmir  und  Cestmir.  Im  niedern  Gebüsche 
traten  sie  sodann  auseinander,  damit  ihre  Waffen  erglänzten  vor 
dem  Angesichte  der  Mörder.  Und  in  der  Tat  war  der  ganze  Berg 
voll  vom  Waffenglanze. 

Auf  einmal  bricht  Öestmir  mit  vier  Haufen  hervor  und  mit 
ihm  Tfas  (das  Bangen)  aus  Waldesdunkel,  Tfas  bemächtigt  sich 
der  Mördermenge,  die  in  Gruppen  zurück  in  die  Wälder  weichen^ 


90 

doch  auch  dort  durcli  Strach  (das  Fürchten)  gelähmt  sind.  Voj- 
mir  sperrt  nun  gegen  Aufgang  das  halbe  Tal  und  mit  tapferer 
Hand  greift  er  in  seitlicher  Richtung  die  Mörder  an.  Aj!  aus  dem 
ganzen  Walde  brüllt  es  heraus,  als  ob  Bergwälder  mit;  Bergwäldern 
kämpften  und  alle  Bäume  zerbrächen.  Doch  Vlaslav  dringt  eilend 
gegen  Cestmh-  hervor  im  wilden  Kampfe  bis  nach  Hieb  auf  Hieb 
Vlaslav  verwundet  am  Boden  liegt.  Fürchterlich,  doch  vergeblich 
windet  sich  am  Boden  Vlaslav,  er  kann  sich  nicht  mehr  erheben, 
denn  Morena  schläfert  ihn  schon  in  das  schwarze  Dunkel  ein.  Blut 
tritt  schäumend  aus  dem  kräftigen  Vlaslav  und  fliesst  über  das 
grüne  Gras  in  die  lockere  Erde.  Aj  !  aus  brüllendem  Munde  tritt 
schon  seine  Seele  hervor  und  fliegt  baumwärts,  dann  vom  Baume 
zu  Baume,  hierhin,  dorthin,  bis  verbrannt  ist  der  Tote.  —  Die  mit 
Vlaslav  halten,  eilen  seitwärts  in  die  Gebirge  um  gedeckt  zu  sein 
vor  dem  Blicke  Ctmir's,  vor  Ctmir  dem  Vlaslavatödter.  —  Bald 
vernimmt  Neklan's  erfreutes  Ohr  die  Siegesnachricht,  bald  erblickt 
sein  freudiges  Auge  die  Beute. 

Anmerlamg.  In  den  geschilderten  Gegenden  erblicken  manche  das 
Egertal  bei  Klösterle,  in  Kvnvoj's  Burg  die  Buigtrümmer  des  Himmelsteines, 
in  dem  Opfersteine  den  freistellenden  Felsen  dos  Furberges  und  im  Wal- 
platze selbst  die  Gegend  um  Winterniz :  andere  aber  nach  der  Weisung  der 
Kronikenschreiber  die  Gegend  um  Tursko,  nahe  bei  Prag  (Svetozor,  1858. 
S.  90.  91.  —  Nebesky's  musejn.  1853.  S.  478.  Tomek:  Apologie.  1863.  S.  16.) 
Paiacky  bestimmt  den  Ort  nicht  (Dejiny  I.  1.  S.  110—112). 

Vlaslav,  der  wol  auch  Gin  Piemyslide  war,  scheint  selbst  eine  Haupt- 
burg-Centraiisation  argestrebt  zu  haben,  in  welcher  die  Vysegrad-Prager  auf- 
gehen sollte.  Nach  den  Kronikenschrcibern  scheint  er  viel  Raubvögel  und 
Hunde  mit  im  Heere  geführt  zu  haben,  was  vielleicht  noch  ein  Rest  kelti- 
scher Xriegsführung  im  Ivando  war  (Diefenbach,  Origines  S.  169),  Das  Ge- 
dicht deutet  dies  auch  an  durch  den  jeket  der  Vögel  und  das  Idnip.  der 
Hunde  im  v.  151.  —  Verszeilen  werden  hier  allerdings  im  uneigentlichen, 
doch  gewöhnlichen  Sinne  genommen,  da  es  im  Gedichte  keine  wahren  Verse 
gibt,  so  wie  auch  im  Zäboj,  allein  manche  Poetiker  würden  gar  kein  Gedicht 
vor  sich  zu  haben  glauben,  wenn  sie  keine  Zeilenahteilungen  vor  sich  sehen 
würden.  —  Die  Landschaft  V'laslav's,  nämlich  Lucko,  später  Zatecko  genannt, 
erscheint  in  der  Gr.  H.  noch  nicht  am  Vysehrader  Landtage  vertreten:  auch 
ist  es  beachtenswert,  dass  Neklan's  Heere  nur  die  „Prager"  (Prazane)  heis- 
sen,  Wysehrad's  altertümliche  Bedeutenheit  scheint  sohin  in  den  Hintergrund 
getreten  zu  sein. 

Vojmfr  erscheint  durch  sein  Drängen  zum  Opfer,  sowie  durch  sein 
Verhalten  beim  Opfern  selbst  mehr  als  ein  Ober-Priester,  denn  als  Vojevode 
zu  fungiren ;  die  Worte  der  Verszcilen  KU.  und  110.,  dass  er  so  die  Götter 
anrief,  dass  davor  die  Waldcsbäume  erzitterten,  erklärt  den  Sinn  der  Worte 
hläsuti  bohöm.  Vojmir  scheint  sohin  der  Hüter  der  Central-Hciligtümer  ge- 
wesen zu  sein  in  Neklan's  Prager  Burg,  durch  dessen  Gefimgenname  Vlaslav 
eben  den  Neklan  beschimpfte  (pohanß). 

Die  (Jestalten;  Tran  und  Strach  kehren  auch  wieder  mit  eben  der 
Unbestimmtheit:  auf,  die  ungewiss  lässt  ob  sie  als  mythische  Wesen  oder 
nur  als  psychisch  poetische  Personificationen  aufzufassen  sind:  doch  Morena 
ist  als  mythische  (iestalt  auch  anderwärts  sichergestellt.  Unsicher  ist  jedoch 
durch  die  karge  Ortliographie  des  Originals  ihre  Tätigkeit,  denn  das  Wort 
„Morena  iei  sipase^  (v.  193)  kann  sypd.^e,  schläfert  ein,  oder  SipaSe  sie 
schnellt  (ihn  in  die  dunkle  Nacht)  gelesen  werden.     Die   älteste  Leseart   und 


91 

Deutung:  sie  streut  ihn  in  schwarze  Nacht,  wird  wol  niemand  mehr  ver- 
teidigen. Es  ist  zu  beachten,  dass  an  der  betreffenden  Stelle  noch  vom 
ganzen  Vlaslav  die  Rede  ist,  wäre  von  der  Seele  allein  die  Rede,  dann  könnte 
cerna  noc  das  Wolkendunkel  bedeuten  und  sipase  allerdings  die  Bedeutung 
des  Schnellens  habon,  da  böse  Seelen  wol  in  den  lichten  Räj  nicht  dringen 
konnten,  sondern  in  den  Wolken  blieben,  was  noch  in  der  spätem  Sage,  dass 
die  Vodnici,  die  Wassergötter  in  ihren  Palästen  Menschenseelen  bärgen,  wie- 
der erscheint.  Man  vergleiche  auch  das  serbische  Volks-Lied,  wo  die  Dje- 
vojka  (Sßirtholka)  „den  lebenden  Cär  ergreift,  dem  lebenden  Cäre  die  Augen 
blendet,  ihn  auf  den  grünen  Berg  hinlässt  (pustila  ga  u  goru  zelenu),  wo  er 
gehet  von  Baum  zu  Baume,  wie  ein  Vogel  von  Zweig  zu  Zweige  (D6va  zla- 
tovlasä.  1^60.  S.  24)."  Dies  Flattern  der  leblosen  Seelen  ist  auch  im  Ge- 
dichte von  der  Seele  Vlaslav's  gesagt:  doch  wird  nicht  mehr,  wie  im  Zäboj, 
vom  Begraben  sondern  vom  Verbrennen  des  Toten  gesprochen  (zzhati).  Dies 
zu  erklären  lässt  sich  verschiedenartig  versuchen.  Es  waren  nämlich  in 
Böhmen  verschiedene  slavische  Volkstämme,  die  gewiss  auch  verschiedene 
religiöse  Bräuche  gehabt  hatten,  was  vielleicht  eben  der  Grund  war,  dass 
die  religiöse  Centralisirung  unter  den  Krokiden  nicht  völlig  gelang,  —  auch 
kann  das  Jahrhundert,  welches  zwischen  der  Zeit  Zäboj's  und  Öestmir's  zu 
liegen  scheint,  viel  geändert  haben.  Doch  ist  auch  hier  nur  vom  Verbrennen 
des  Vlaslav's  die  Rede  und  nicht  im  allgemeinen :  so  dass  man  ganz  natur- 
gemäss  annehmen  kann.  Vornehmere  wären  verbrannt  und  erst  in  Aschenform 
begraben  worden:  grössere  Leichenmassen  aber  unmittelbar  mohylenartig  be- 
graben worden.  Auch  schliest  das  Begraben,  wie  eben  einzusehen,  nicht  ge- 
radezu das  Verbrennen  aus,  da  man  wol  Aschenurnen  (popelnice)  als  auch 
ganze  Knochengerüste  beisammen  begraben  findet.  Wenn  es  nun  wahr  ist, 
was  Comas  „referente  foma"  (Pcrtz,  IX.  B.  S.  21— 3i)  berichtet,  was  aber 
hier  der  Kunstdichter  poetisch  verschweigt,  dass  nämlich  auch  Öestmir^  an 
den  erhaltenen  Wunden  starb,  worauf  ihm  das  Volk  eine  hohe  Mohyla  „Cest- 
mir's  mohyla,  bustum  Tyri''-  vom  spätem  Volke  genannt,  errichtete :  dann 
Hesse  sich  der  scheinbare  Widerspruch  auch  so  erklären:  Vlaslav  kann  ver- 
brannt und  seine  Urne  mit  den  Leichen  der  gefallenen  Feinde  in  einer  grossen 
Mohyla  begraben  worden  sein,  die,  weil  sie  eigentlich  Oestmir's  Siegesdenk- 
mal war,  immerhin  Cestmir's  Mohyla  genannt  worden  sein  konnte.  Ja  aus 
dem  Vorhandensein  dieser  Mohyla  und  ihres  Namens  kann  auch  erst  die 
Sage  vom  Tode  Öestmir's  entstanden  sein:  man  schloss  vielleicht  aus  der  an 
der  Walstäte  befindlichen  Mohyla  Cestmir's  auf  seinen  Tod.  Die  vielen  Leich- 
name „bergeshoch,  k  vrcJiu,  pohrebat,"  zu  begraben,  ist  etwas  so  natürliches, 
dass  es  hier,  wenn  auch  nicht  wie  im  Zäboj  ausdrücklich  mitgesagt,  doch 
gewiss  auch  mitgedacht  ist.  —  Die  supponirte  Identität  zwischen  Tyr  und 
Cestmir  erheischt  jedoch  noch  eingehende  Untersuchungen,  linguistisch  und 
sachlich.  Ebenso  auch  das  oben  angedeutete  Verhältniss  Vojmir' s  zw  Neklan : 
war  etwa  unter  den  Krokiden  der  Knez  Oberpriester  und  Fürst  zugleich  in 
einer  Person,  unter  den  Pferaysliden  jedoch  der  knez  hauptsächlich  nur  Fürst 
und  der  Oberpriester  ihm  Untertan  ?  Dies  würde  das  Verhältniss  Vysehrads 
zu  Frag  bestimmen.  Vysehrad  sank  mit  dem  Sinken  der  Centralheiligtümer, 
Prag  erstund  mit  dem  Entstehen  politischer  Fürstenmacht. 

Anmerkung  2.  Im  ganzen  weiset  das  vorliegende  Gedicht  eine  ganz 
andere  Natur  aus  als  das  Gedicht  Zäboj,  es  ist  nämlich,  ob  schon  ohne  Verse 
geschrieben,  viel  zusammengesetzter,  in  manchen  Puncten  undeutlicher,  über- 
haupt nicht  so  altertümlich  einfach  wie  Zäboj.  So  undeutlich  sind  z.  B.  die 
Einzelnheiten  der  Erstürmung  und  Eroberung  von  Kruvoj's  Burg  geschildert. 
In  Zäboj  weht  ein  noch  altertümlicherer  Geist  als  selbst  in  der  Gr.  H.  ob- 
schon  die  Sprache  unserer  Abschrift  Formen  des  12.  13.  Jh.  an  sich  trägt. 
Die  Gestalt  Zäboj's:  Sänger  und  Held  zugleich,  ohne  wie  Orpheus  mythisch 
zu  sein,  verbürgt  dem  Gedichte  die  grösste  Altertümlichkeit,  auch  ist  von 
der  spätem,  Pfemyslidschen  Einteilung  in  Zupengebiete  mit  untergeordneter 
Fürstengewalt  im  Gedichte  Zäboj  keine  Rede.    Zäboj  war  nämlich  kein  sol- 


92 

eher  Teilfürst  im  spätem  Sinne,  er  reicht  in  die  Zeiten  vor  Krok,  er  kennt 
Vy§egrad,  als  noch  der  Sän.^er  und  Held  Lumir  dort  wirkte,  von  den  Kro- 
kiden,  die  mit  Culfusheiligtümern  nach  demCenlrum  Böhmens  zogen,  ist  noch 
keine' Rede,  Zäboj  und  Shivoj  kämpfen  als  Aiitochthonen  der  Peripherie  Böh- 
mens für  die  uralten  Volkssitten  gegen  die  Deutschen,  wie  Chrudos  sich  ge- 
gen die  Volkssitten  und  für  die  Deutschen  erklärt.  Im  Cestmir  wird  schon 
nir  die  Unterordnung  unter  den  Pfemysliden  Neklan  gekämpft.  Die  Riesen- 
hyperbeln im  Zuboj  fehlen  hier,  Zaboj,  der  wie  ein  Riesengott  gegen  die 
Scharen  der  Feinde  mit  Hammer  und  Schwert  zugleich  kämpft,  weicht  dem 
klugen  Cestmir  und  der  feurige  Slavoj  dem  priesterlichen  Vojmir,  der  zu 
dem  klugen,  doch  kleinlichen,  sohin  unpoetischen  Mittel  des  neunmaligen 
Bergumgaiiges  rät.  Der  Anfang  des  Gedichtes  Cestmir's  ist  viel  poetischer 
als  das  Ende:  der  zweizackige  Schild  und  der  Streithammer  Cestmir's  ver- 
lieren sich  jedoch  im  Gi^dichte  spurlos:  alles  kämpft  nur  mit  Schwertern,  nur 
Kruvoj  wird  mit  einer  Axt  (sekyra)  hingerichtet.  Und  doch  ist  das  ganze 
edel  und  altertümlich  gehalten,  wenn  man  es  mit  der  Erzählung  des  Cosmas 
oder  Dalemil  vergleicht  —  Bezugs  der  äusseren  Form  finden  manche  Mikros- 
kopiker  fünfsylbiges  Metrum  darin:  wir  schliessen  uns  aber  denen  an,  die 
mit  Recht  keine  Verse  darin  finden.  Eine  stümperhafte  Hand  hat  auch  da 
die  alten  Genitiv-Accusative  wegradirt  z.  B.  v.  31  Kruvoj  tür  früheres  Kru- 
voja  oder  Kruvoje,  v.  47  Vojmir  für  Vojmira,  v.  58.  Neklan  knez  für  Neklana 
knßzie,  u.  s.  w.  Manchmal  steht  aber  wirklich  ohne  Rasur  der  Nomin.  Accus. : 
Kruvoj  z.  B.  im  Verse  91.  auch  köö,  im  Verse  139. 


28.    Jelen  a  juiioäe,  der  Hirsch  und  der  Jüngling. 

Erstes  Bild. 

Uiber  Höhen  und  Flächen  pflegte  ein  Hirsch  hinzueilen,  in 
Sprüngen  über  Berg  und  Tal;  schöne  Geweihe  trägt  er,  mit  den 
Geweihen  durchbricht  er  den  dichten  Wald,  worin  er  mit  flinken 
Läufen  umherspringt.  Ajta!  auch  ein  Jüngling  pflegte  über  Berge 
zu  steigen,  durch  Täler  zu  schreiten  zu  wilden  Kämpfen,  stolze 
Waff'en  trägt  er  bei  sich  und  mächtige  Waffen,  um  damit  des  Fein- 
des (Mörders)  Schaaren  durchzubrechen. 

Zwciles  Bild. 

Dieser  Jüngling  ist  nicht  mehr  in  den  Bergen:  ein  wilder 
Mörder  hatte  ihn  hier  hinterlistig  überfallen,  Bosheit  brannte  die- 
sem dabei  im  trüben  Auge,  mit  wuchtigem  Streithammer  (ralat) 
schlägt  er  ihm  so  gegen  die  Brust,  dass  die  betrübten  Wälder  im 
Trauerschalle  ertönen.  Er  schlug  aus  dem  Jünglinge  die  Seele 
heraus,  die  junge,  liebe  Seele  (dusu,  dusicu),  sie  flog  heraus  durch 
den  schöugcformten  Hals,  aus  dem  Halse  durch  die  schönen  Lip- 
pen. Aj  !  da  liegt  er.  Warmes  Blut  strömt  hinter  der  jungen  Seele, 
welche  weggeflogen  war,  der  öde  Boden  saugt  das  heisse  Blut  ein  5 
in  einem  jeden  Mädchen  gab  es  ein  trauerndes  Herz. 


93 

Drittes  Bild. 

Der  Jüngling  liegt  in  kühler  Erde,  über  dem  Jünglinge  wächst 
eine  junge  Eiche,  sie  ward  zur  Eiche,  die  in  ihren  Aesten  sich 
immer  breiter  und  breiter  entfaltet.  Der  Hirsch  mit  den  schönen 
Geweihen  wandelt  in»mer  noch  einher,  er  springt  mit  seinen  behen- 
den Läufen,  er  pflegt  emporzustrecken  den  langgezogenen  Hals 
zu  der  BlätterftiUe.  Docli  zu  dieser  Eiche  fliegen  her  nun  nur 
Scharen  der  klugen  Sperber  (krahujcev)  aus  allen  Teilen  des  Wal- 
des :  auf  der  Eiche  oben  pflegen  sie  alle  zu  rufen:  „Der  Jüngling 
fiel  durch  Bosheit  des  Mörders  (vraha)/'  —  Den  Jüngling  beweinen 
alle  Mädchen." 

Anmerkung.  Das  Gedicht  atmet  einen  so  altertümlichen  Geist,  wie 
Zäbqj,  ja  es  scheint  ein  Epitaphium  desselben  zu  sein :  wenigstens  erinnern 
die  Worte:  er  durchbrach  mit  mächtigen  Waffen  die  dichten  Scharen  der 
Feinde,  gewaltig  an  ihn.  Den  Streithammer,  die  Totenbestattungen  und  die 
Sperber  finden  wir  auch  hier,  wie  im  Gedichte  Zäboj.  Die  Seele  fliegt  jedoch 
frei  (ohne  Morenai  fort,  sie  flattert  nicht  vom  Baum,  zu  Baum,  aucli  ist  das 
Blut  hier  deutlich  von  ihr  geschieden.  Die  Sperber  verkündigen  von  der 
Toteneiche  die  ruchlose  Tat.  Man  vergleich«  sie  mit  der  verkündigenden 
Schwalbe  in  der  Gr.  H.  Aber  auch  der  Hirsch  langt  nach  den  Blättern  der 
Toteneiche.  Alle  Mädchen  weinen  um  den  schönen  Jüngling,  er  scheint  sohin 
allgemein  bekannt,  z.  B.  ein  Volks-Anführer  gewesen  zu  sein.  —  Das  letzte 
Wort  „dievie"'  scheint  ursprünglich  in  der  Handschrift  „dievicie"  geschrieben 
gewesen  zu  sein,  beide  verhalten  sich  zu  einander  wie  Maid  und  Mädchen.  — 
Glücklicher  Weise  finden  selbst  Mikroskopiker  in  diesem  altertümlichen  Ge- 
dichte kein  Versmass.  Liegt  dem  Gedichte  keine  historische  Beziehung  (z. 
B,  auf  Zäboj)  zu  Grande,  so  könnte  es  auch  mythischen  Sinnes  sein  und  ein 
slavisches  Linos-lied  oder  eine  slavlsclie  Adonisklage  darstellen.  Natürlich 
wäre  dann  alles  Beiwerk  auch  mythisch  z.  B.  die  Eiche  u.  s.  f  weil  dann 
der  Jüngling  der  Sommergott  wäre,  der  plötzlich  vom  Winterriesen  überfal- 
len wurde. 


29.    Holub  a  juno§e :  Der  Tauber    und  der  Jüngling. 

Erstes  Bild. 

Ein  Tauber  flog  unruhig  im  Walde  her  und  hin,  von  Baum 
zum  Baume,  klagend,  dass  der  arge  Zbyhon  seine  Taube  in  der 
festen  Burg  (u  hrad  tvrdy)  gefangen  hatte.  Auch  ein  Jüngling  um- 
kreiset unruhig  die  feste  Burg  und  klagt  trauernd  um  seine  teure 
Geliebte  (drahä  milä).  Er  ersteigt  sodann  einen  Felsen,  der  Burg 
gegenüberliegend  und  trauert  .schweigsam  mit  dem  stummen  Walde. 
Da  fliegt  zu  ihm  der  klagende  Tauber,  Der  Jüngling  erhob  sein 
Haupt  gegen  ihn  und  sprach:  Wenn  dir  der  Sperber  deine  Taube 
ergriffen,  würdest  du  sie  wohl  zurückerkärapfen  und  den  boshaften 
Sperber  (krahujce  zlobneho)  getötet  haben,  falls  du  nur  ein  rautig 
Herz  und  scharfe  Waffen  hättest.  Du  Zbyhoii  dort  auf  deiner  fe- 
sten Burg:  du  hast  meine  Teuere,  viel  Teuere  ergriffen  und  entführt 


94 

auf  die  Burg,  ach !  auf  die  feste  Burg !  Auf,  o  Jüngling,  breche 
auf  gegen  Zbyhoü,  du  hast  ja  ein  mutig  Herz,  scharfe  Waffen  und 
den  schweren  eisernen  Hammer  (tezek  zelezny  mlat)  dem  Zbyhon 
damit  den  Kopf  zu  spalten. 

Zweites  Bild. 

Gerüstet  und  mit  dem  Streithammer  auf  dem  Arme  schreitet 
der  Jüngling  im  Tale  durch  den  dunklen  Wald  hin  zur  Burg. 
Nachts,  als  alles  schon  finster  war,  kam  er  zur  festen  Burg.  Mit 
kräftiger  Faust  schlägt  er  an  das  Tor.  „W>r  ist  da?"  ruft  man 
von  der  Burg  herab.  „Ein  irrer  Jäger"  (lovec).  Das  Tor  wird  ge- 
öffnet. Er  schlägt  mit  kräftiger  Faust  an  das  zweite  Tor.  Das  Tor 
öffnet  sich.  „Wo  ist  der  Vladyka  Zbyhoö."  „Hinter  dem  grossen 
Saale!"  „Dort  also  ist  der  wüste  Zbyhon  (vilny),  dort  weint  das 
Mädchen?"  —  „Aj !  mache  dem  Jäger  auf"  Doch  Zbyhoü  öffnet 
nicht.  Ein  Schlag  des  «tarken  Jünglings  mit  dem  Hammer  zertrüm- 
mert die  Türe,  und  zertrümmert  mit  dem  Hammer  das  Haupt  dem 
Zbyhon.  Durch  die  ganze  Burg  eilet  der  Jüngling  und  schlägt 
alles  nieder  (pobi).  Bei  seinem  schönen  Mädchen  ruhet  er  bis  zum 
Morgen  (leze). 

Drittes  Bild. 

Die  Morgensonne  dringt  durch  die  Gipfel  der  Bäume  zur  Burg, 
es  dringt  auch  eine  neue  Freude  in  das  Herz  des  Jünglings,  denn 
in  seinen  starken  Armen  hält  er  sein  schönes  Mädchen.  „Wessen 
ist  diese  Taube  ?^  „Zbyhoü  fieng  sie  ein,  mich,  so  wie  sie  hielt 
er  in  der  festen  Burg  gefangen."  „Fliege  hin  aus  der  Burg  in  die 
Wälder."  Sie  flog  hin  und  mit  ihrem  Tauber  flog  sie  von  Baum 
zu  Baume  und  schlief  auf  einem  Zweige  mit  dem  Tauber.  Auch 
das  Mädchen  wird  von  Freude  ergriffen,  frei  eilt  sie  mit  ihrem 
Jünglinge,  wohin  sie  nur  will  und  schläft  mit  ihrem  Geliebten  auf 
einem  Lager. 

Anmerkung.  Das  ist  ein  gar  sonderbares  Gedicht,  das  wol  an  Recensionen 
späterer  Zeit  gelitten.  Es  ist  in  gegenwärtiger  Redaktion  in  aechs-  oder 
zicölf-silhigc  Verszeilen  liineingepfercht,  die  es  gewiss  ursprünglich  nicht 
hatte.  Sechssylbige  gäben  in  den  wenigsten  Fällen  einen  relativ  abgeschlos- 
Benen  Sinn  für  sich,  wie  altslavische  Verszeilen  doch  sollen,  die  zwölfsyl- 
bigen  aber  gäben  wieder  mehr  als  einen  Sinn,  z.  B.  Ja  jsem  lovec  bludn^. 
Otvofie  sß  vrata  (v.  33),  Aj  !  otvori  lovcii.  Neotvofi  Zbyhoii  (v.  37).  Auch 
war  schwerlich  gleich  ursprünglich  der  Vers  13.  so  lautend:  „ty  hohibce 
mutny,  tobß  mutno  sanin,"  eben  so  der  Vers  17  „a  otnese,  ach!  u  hrad,  u 
hrad  «  tvrd^',"  da  die  Wiederholung  der  Vorwörter  (dreimal)  sehr  kakopho- 
nisch  wirkt.  Etwas  ähnliches  ist  im  v.  4  „s  holubicu  drahu  s  miln  s  pi'e- 
i.nlitku"  (was  im  Text  verschrieben  wol:  pfesmilitku  lautet.  V.  22.  lautete 
"''^K-i  f ^^  Pliotograhie  ursprünglich  mit  dem  Geaitiv-Accusativ :  ti  by  si  byl 
zabil  krahujce  zlobm^ho,  was  neuerer  Zeit  genial  in  krahujec  zlobn^  geän- 
dert wurde.    Eben  so   erscheint  der   Ausdruck:  vezde    temno  im  31.    Verse 


95 

sonderbar  zu  sein,  wenn  man:  bö  u  hrada  tvrda  nocjHiesst,  da  eben  unmittel- 
bar bereits  vorausgeht,  dass  es  nachts  war.  Besser  ist  daher  die  Leseart  (Svö- 
tozor  185S.  S.  170) :  Bö  u  hrada  tvrda.  Nocü  vezdö  temno,  d.  i.  bei  vorge- 
rückter Nacht  war  äusserlich  vor  der  Burg  alles  finster,  so  dass  man  den 
Jüngling  nicht  erkannte.  Wäre  es  jedoch  auch  im  Schlosse  überall  finster 
gewesen,  so  hätte  der  Jüngling  wol  nicht  so  rasch  vorwärts  schreiten  und  mit 
einem  Schlage  das  Haupt  Zbyhon's  treffen  können.  —  Sonst  enthält  das  Gedicht 
in  sich  viel  poetisches.  Der  Naturparallelismus  ist  gut  durchgeführt,  die  unge- 
nirte  Natürlichkeit  atmet  heidnischen  Geist.  Manche  Sonderbarkeiten  lassen 
sich  verteidigen. 

1)  Dass  krahuj  und  krahujec  als  Raubvogel  und  nicht  mehr  als  hei- 
liger Vogel  erscheint,  ist  an  und  für  sich  noch  kein  Beweis,  dass  das  Gedicht 
im  christlichen  Zeitalter  entstanden,  denn  auch  im  Zäboj  und  im  Jelen  wird 
ja  nicht,  und  kann  auch  nicht,  im  Verhältoiss  zur  Taube  die  reissende  Natur 
des  Sperbers  geläugaet  werden,  wie  dies  z.  B.  auch  beim  mythischen  Gewit- 
tervogel des  Zeus  nicht  geschah,  der  sogar  den  Ganymedes  in  den  Krallen 
gegen  den  Olymp  trug. 

2.)  Durch  die  Entgegenhaltung  des  gefeierten  Sperbers  und  des  Vla- 
dyken  Zbyhon  soll  nur  dieser  gehoben  und  zu  so  einem  Priestervladyken 
gemacht  werden,  wie  es  Vojmir  war.  Es  scheint  auch  in  diesem  Gedichte 
keine  feste  Unterordnung  der  Vladyken  unter  dea  Knöz  angedeutet  zu  sein, 
wie  im  Zäboj,  was  nur  für  die  Altertümlichkeit  des  Gedichtes  spräche.  Wie 
Kruvoj  die  Tochter  des  Vojmir  im  Walde  gefangen  nahm  und  in  der  Burg 
einsperrte,  so  tat  es  auch  Zbyhon  mit  der  Deva.  Doch  Zbyhon  nimmt  im 
Gedichte,  wenn  man  die  Sache  tiefer  anfasst,  ganz  die  Gestalt  des  mythischen 
Winterriesen  oder  Wintergottes  an,  welcher  die  jungfräuliche  Sommerlicht- 
göttin gefangen  hält,  (man  vergl.  den  Vers  47  rVeza")  und  der  Jüngling  ist 
wie  der  junge  Frühlingsgott,  der  sie  mit  seinen  Donnerschlägen  befreit.  Die- 
ser „juno§e"  wäre  sohin,  wenn  die  mythische  Deutung  des  Gedichtes:  „Der 
Hirsch  und  der  Jüngling"  Platz  greifen  sollte,  nur  der  dort  erschlagene,  aber 
wie  jede  Naturkraft  wieder  erwachte  Jüngling  und  Zbyhon  dort  sein  Mörder. 
Darum  kann  auch 

3.)  die  feste  Burg  des  Zbyhon  nicht  Wundernehmen,  denn  „Burgen 
im  Walde"  sind  ja  die  mythischen  Bilder  des  Wolkenverhüllten  Winters,  in 
dem  es  daher  auch  „vezde  temno"  ist,  nur  nicht  für  den  Frühlingsgott,  der 
seinen  sichern  Gang  geht.  So  findet  der  mythische  Standpunkt  das  not- 
wendig, was  der  blos  nüchterne  Standpunkt  anzuzweifeln  berechtigt  ist.  Wer 
die  Masse  mythischer  Erzählungen  kennt,  die  bei  allen  Völkern  zu  gewöhn- 
lichen Erzählungen  herabgedrückt  wurden,  wird  sich  auch  über  diese  Erzäh- 
lung gewiss  nicht  wundern,  die  auch  das  geschlechtliche  Verhältniss,  wie  es 
sich  mythisch  gebürt,  hervorhebt:  alle  Winterriesen  halten  Jungfraiien  ge- 
fangen, die  bei  ihnen  traurig  sind,  ohne  dass  ihnen  j edoch  üebles  widerführe,  da 
sie  ja  eben  nur  von  „Winter-Riesen  gefangen"  („vgza"  v.  47)  gehalten  wer- 
den, so  dass  erst  der  Frühlingsgott  sie  als  jungfräuliche  Bräute  heimführt. 
Auf  keinen  Fall  kann  aber:  tamo  Zbyhoii  vilni  (dort  schwelgt  Zbyhon)  gelesen 
werden,  da  sonst  der  poetische  Reiz  der  Jungfräulichkeit  der  DSva  schwände, 
gleichviel  ob  diese  mythisch  oder  nur  natürlich  ist.  Aber  auch  wenn  man 
das  Gedicht  als  blosse  Erzählung  nimmt,  und  sie  in  heidnische  Zeiten  ver- 
setzt, ist  eine  „feste  Bnrg",  hrad  tvrdy  nichts  in  Böhmen  sonderbares,  da 
solcher  aus  den  Bojer-  und  Markömanen-Zeiten,  eben  weil  diese  Völker  Höhmen 
nur  militärisch  besetzt  hatten,  in  Böhmen  genug  übrig  geblieben  waren.  Da  aber 
auch  die  Slaven  selbst  ihr  sociales  Leben  ura  feste  Burgen  herum  gründeten, 
ist  die  Erwähnung  einer  Burg,  bezugs  der  Altertümlichkeit  des  Gedichtes  nichts 
ausschliesliches,  eben  so  wie  die  Erwähnung  des  Streithammers  allein  dessen 
Altertümlichkeit  nicht  beweisen  würde,  da  auch  die  Alexandreis  und  der  Da- 
lemil  den  mlat  noch  kennen. 


96 

30.    0  pobitie  Polanöv  i  vylinanie   z  Prahy,  oder  01- 

dfich  und  Jaromir  (von  der  Niederlage  der  Polen  und 

deren  Vertreibung  aus  Prag). 

Uiber  die  historische  Grundlage  dieses  Gedichtes  spricht  Palwkij 
(Dejiny,  1848.  I.  1.  285),  nachdem  auch  schon  die  „ältesten  Denkmale" 
im  J.  1841.  (I.  Bd.  der  Abhand.  der  kön.  böhm.  G.  d.W.  S.  180)  der- 
selben gedachten.  Die  Einzeluheiten  des  Vorganges  werden  jedoch  bis 
jetzt  noch  verschieden  aufgefasst,  da  das  Gedicht  in  seiner  gegenwärtigen 
Form  einige  topographischen  Unrichtigkeiten  darbietet.  Man  vergleiche  nur 
die  Auflassungen  von  Tomek  im  Musejn  1849.  11.  S.  20.  dann  die  von 
Neheshj,  Musejn.  1852.  IE.  S.  169.  1853.  S.  351.;  und  endlich  die 
Auflassung  von  Jireceh  im  Svetozor,  1858.  N.  14.  S.   106. 

Der  Zweck  und  Kern  der  Handlung  besteht  darin,  die  missliebig 
gewordene  polnische  Besatzung  der  Prager  Burg  durch  einen  listigen  Uiber- 
fall  daraus  zu  vertreiben  und  Jaromir,  den  Sohn  Boleslav  II.  wieder  ein- 
zusetzen, nachdem  auch  in  anderen  Teilen  von  Böhmen  die  Polenscharen 
bereits  vertrieben  worden  waren.  Wir  erwähnten  schon  oben,  dass  der 
von  Prag  weit  entfernte  Dichter  oder  Sammler  der  Königinhofer  Gedichte 
die  Stadt  Prag  (suburbium)  mit  der  Burg  Prag,  mit  dem  jetzigen  Hrad- 
cany,  mengte,  auch  den  Fluss  Moldau,  mit  dem  Flüsschen,  das  etwa  die 
Hradcany  ehemals  vom  Pohofelec  durch  den  Burggraben  trennte,  identi- 
ficirte  Noch  auf  Sadeler's  Prag  vom  J.  1606  sieht  man  unter  Nr.  10. 
die  Gräben  der  porta  arcis,  wo  die  verabredete  Handlung  mit  dem  Hirten 
beginnen  konnte.  Dem  Gedichte  fehlt  der  Anfang,  da  es  das  erste  in  der 
Sammlung  der  K.  H.  steht. 

Erstes  Bild. 

(Oldfich  begab  sich)  in  den  Schvrarzwald  (am  Petrin,  Lau- 
renziberg)  dort,  wohin  auch  sieben  Vladyken  mit  ihren  Scharen 
sich  versammelt  hatten.  In  tiefer  Nacht  eilt  voll  Sehnsucht  der 
Vladyke  Vyhon  Dub  mit  ihm  bin,  der  hundert  treuergebene  und 
scharfbewaffnete  Männer  anführte.  Als  alle  mitten  im  Walde  bei 
den  Andern  ankamen,  reichten  sie  sich  ringsum  die  rechten  Hände 
und  flüsterten  im  stillen  miteinander.  Inzwischen  war  die  Nacht 
über  die  Mitternacht  gewichen  und  genahet  dem  Morgengrauen. 
Da  sprach  Vyboii  zum  Fürsten  Oldfich:  Dir  gab  Gott  (böh) 
Körper-  und  Geisteskraft,  du  sei  unser  aller  Anführer  gegen  die 
bösen  Polen.  Deinem  Worte  nach  werden  wir  folgen,  rechts  oder 
links,  vor  oder  zurück  in  alle  wilden  Kämpfe.  Auf!  rege  werde  der 
Mut  in  den  kühnen  Herzen.  Ajta!  da  ergreift  mit  starker  Hand  der 
Fürst  die  Fahne  und  „mir  nach,  mutvoll  gegen  die  Polen"  rufend 
„gegen  die  Feinde  unserer  Heimat,"  eilt  er  mit  allen  acht  Vla- 
dyken und  ihren  drei  Hunderten  und  dem  halben  Hundert  tapferer 
Mannen   gegen    den   Ort,    wo    die  Polcnscharcn    noch  im    Schlafe 


97 

zerstreut  herum  lagen.  Als  sie  aus  dem  Walde  herausgetreten  waren, 
aj,  da  lag  ganz  Piag  ruhig  noch  im  Morgenschlummer,  die  Vltava 
rauchte  vor  Morgennehel  und  hinter  Prag ,  hinter  den  blau- 
schimmernden Bergen  begann  der  graue  Ost  aufzuleuchten.  Sie  eilen 
(vom  Petrin)  herab:  überall  ist  noch  alles  tiefstill,  im  stillen  Prag 
bergen  sie  sich  vorsichtig  und  bergen  auch  die  Waffen  unter  ihren 
Gewändern. 

Zweites  Bild. 

Da  geht,  noch  im  Morgengrauen,  ein  Hirte,  und  ruft,  dass 
ihm  erhoben  werde  die  Torwehre  Die  Wache  vernimmt  das  Rufen 
des  Hirten  und  öffnet  ihm  die  Torwehre  (über  die  Vltava,  sagt 
die  Handschrift,  stat :  über  den  Wassergraben  der  Burg).  Der  Hirt 
betritt  die  Brücke  und  blaset  laut.  Da  springt  der  Fürst  hin  auf 
die  Brücke,  hinter  ihm  sieben  Vladyken,  jeder  eilends  mit  allen 
seinen  Mannen.  Donnernd  ertönen  die  Trommeln,  die  Trompeten 
ertönen  dröhnend,  die  Fahnen  mit  allen  Mannen  stürzen  auf  die 
Brücke  und  die  Brücke  erzittert  unter  dem  Drängen  der  Schaaren. 
Streich  wirft  sich  auf  alle  Polen.  Aj !  wie  sie  da  zu  ihren  Waffen 
eilen,  aj!  wie  die  Vladyken  da  Hiebwunden  schlagen:  die  Polen 
aber  eilen  hierhin,  dorthin,  bis  sie  im  Schwall  über  die  Burg- 
gräben zur  Hinter-Pforte  drängen  weithin,  weit  vor  den  tapferen 
Hieben. 

Drilles  Bild. 

Aj !  Gott  verlieh  den  Sieg.  Eine  Sonne  erhebt  sich  am  ge- 
sammten  Himmel,  ein  Jarmir  steht  wieder  über  dem  ganzen  Lande, 
Freude  verbreitet  sich  über  ganz  Prag,  sie  verbreitet  sich  rings  um 
Prag,  und  sie  fliegt  vom  erfreuten  Prag  über  das  ganze  Land, 
ja  über  das  ganze  Land. 


31.  O  pobitie  Sasiköv  (von  der  Niederlage  der  Sach- 
sen) oder  Bene§  Hermanöv. 

Hier  sind  wir  bei  einem  Gedichte  angelangt,  wo  der  Dichter  Ge- 
gend und  Begebenheit  aus  unmittelbarer  Erfahrung  genau  kennt,  sohin 
richtig  alles  ins  einzelne  zeichnet  und  malt,  denn,  wie  schon  oben  ange- 
deutet wurde,  war  der  Dichter  oder  doch  der  letzte  Sammler  der  K.  H.  wol 
wirklich  in  dem  ehemaligen  Fürsteusitze  Clwojnov,  später  Dvür  Krälov6 
oder  Königinhof  genannt  (H.  Jirecek:  über  die  Oertlichkeiten  der  Kön. 
Handschrift.  Slovenske  noviny,  Svetozor  1856.  Nr.  106.  S.  71.  —  Ko~ 
mdreJc,  Pamätky  arch.  1867.  14.  Jhrg.  1.  H.  Dejiny  Krälove  Dvora. 
Prag.  1867.).  Wärend  Jaromir  im  J.  1004  zum  zweitenmal  über  Böhmen 

7 


98 

zu  herrschen  begann,  fällt  die  zu  schildernde  Begebenheit  zwei  Jahrhun- 
derte später,  ins  J.  1203  nämlich.  Palachj,  Dejiuy.  I.  2.  S.  115.  Ne- 
beshj,  Musejn.  1852.  III  S  170.  IV.  S.  1G5.  1853.  S.  367.  Jiredek, 
Svetozor,  1858.  S.    106. 

Erstes  Bild. 

Aj !  du  Sonne,  liebe  Sonne,  bist  auch  du  betrübt?  warum 
leuchtest  du  auch  uns,  uns  so  elend  gewordenen  Leuten.  Wo  ist 
unser  Fürst,  wo  unser  bewaffnet  Volk?  Weit  bei  Otto  (IV.  von 
Baiern) !  wer  wird  verlassenes  Vaterland  uns  den  Räubern  ent- 
reissen?  Denn  im  langen  Zuge  zogen  die  Deutseben,  welche 
Sachsen  sind,  über  die  alten  Görlizer  Gebirge  her  in  unsere  Land- 
schaften. Ihr  Armen,  gebet  nur,  gebet  euer  Silber  und  Gold,  ja 
euere  Waaren  her,  dann  brennen  sie  nieder  euere  Höfe,  euere 
Hütten !  Ja,  alless  haben  sie  uns  ausgebrannt,  Silber  und  Gold  weg- 
genommen, die  Heerden  hatten  sie  uns  weggetrieben  und  sind 
dann  weiter  bis  gegen  die  Trosky  hin  gezogen. 

Zweites  Bild. 

Ihr  Landleute  (kmetie)  trauert  nicht  mehr,  trauert  nicht,  seht 
euer  Gras  erhebt  sich  wieder,  das  so  lange  durch  fremden  Huf 
niedergetreten  ward,  Alis  Feldblüten  windet  Kränze  euerem  Be- 
freier, die  Herbstsaat  grünt  schon,  alles  änderte  sich  gar  schnell. 
—  Ajta!  Benes,  des  Hcrmans  Sohn,  lud  das  Volk  heimlich  zu- 
sammen gegen  die  Sachsen,  es  hatte  sich  das  Landvolk  (kmetsti 
lud6)  im  Walde  unter  Hrubä-Skäla  (Gross-Skal)  zusammen  ge- 
rottet, doch  als  Waffe  haben  sie  nur  die  Flegel  ergriffen  gegen 
ihre  Räuber.  Da  reitet  Benes,  Benes  vor  dem  gesammten  aufge- 
regten Volke.  Rache!  ja  Rache!  ruft  er,  allen  plündernden  Sachsen. 
Ajta!  da  werden  Freund  und  Feind  von  grauser  Wut  ergriffen, 
das  Innere  der  erbosten  Männer  wühlet  die  Wut  auf:  es  lodern 
die  Blicke  beider  Seiten  furchtbar  gegen  einander  auf  und  Keulen 
über  Keulen  erstehen,  so  wie  Speere  über  Speere 

Drittes  Bild. 

Wie  wenn  ein  Wald  gegen  einen  andern  sich  erhöbe:  so 
werfen  sich  beide  Heere  gegen  einander.  Der  Abglanz  der  Schwerter 
ist  gleich  dem  Glänze  des  Gewitters  (hroraa)  am  Himmel:  ein 
furchtbares  Aufschreien  ertönt,  welches  das  gesammte  Wild  aus 
dem  Walde  und  alle  Vögel  des  Himmels  bis  zum  dritten  Berge 
hin  verscheucht.  In  allen  Tälern  wiederhallt  von  den  felsigen 
Höhen  her  hier  das  Getöse  der  Keulen,  dort  das  der  Schwerter, 
ähnlich  wie  wenn  man  altgewordene  Bäume  fällte.  Und  beide  Heere 
stunden   sich    entgegen    ohne   zu  weichen,    fest   gestützt   auf  den 


99 

Fersen  und  den  strammen  Waden.  (Hier  ist  ein  Widerspruch  der 
Schilderung:,  denn  kämpfende  Scharen  können  nicht  stehen  fest 
gestützt  auf  den  Fersen  und  strammen  Waden  )  Da  wendet  sich 
Benes  in  die  Höhe  empor;  er  schwenket  das  Schwert  gegen  die 
rechte  Seite:  da  drängt  sich  die  kräftige  Menge  rechts  hin;  er 
schwenket  dann  das  Schwert  nach  links  und  auch  dahin  stürmt 
die  Menge.  Zugleich  werfen  sich  auch  von  rückwärts  die  Mengen 
gegen  den  Steinbruch  und  schleudern  alles  Gesteine  gegen  die 
Deutschen.  Der  Kampf  zieht  sich  so  vom  Berge  hingegen  das  Tal: 
die  Deutschen  mussten  da  stöhnen,  die  Deutschen  mussten  fliehen 
und  erschlagen  werden. 

Anmerkung.  Die  historische  Gruudlage  des  Gedichtes  findet  man  in 
Palacky's  Dejiny  I.  2.  S.  Ii5.  Wärend  im  Zäboj  die  Detitschen  noch  cuzi 
d.  h.  ursprünj^lich  tjudt  (vergleiche  thiuda,  Volk)  genannt  werden,  erscheinen 
sie  hier  schon  mit  dem  Jetzt  allgemeinen  Namen  der  Deutschen,  als  Netnci 
und  zwar  zugleich  specificirt  als  Sachsen,  Sasici,  nicht  aber  etwa  Sachsen, 
die  in  den  Görlizer  Gebirgen  der  Oberlausitz  wohnen,  denn  darin  waren  da- 
mals nur  Sorbenwenden,  sondern  Sachsen,  die  aus  der  Richtung  oder  Ge- 
gend der  Görlizer  Berge  herkamen.  Hory  heissen  an  und  für  sich  und  ur- 
sprünglich nur  Gebirgsivälder,  nicht  kahle  Gebirge,  so  dass  dfevny  hier 
eher  uralt,  als  tvaldig  bedeutet.  Das  Wort  Görliz  ist  nur  das  verdorbene 
slavische  Zgorelice,  Zhofelice,  was  eine  Brandstätte,  einen  Brandort  bedeutet. 
Trosky  sind  die  bekannten  Burg-  und  Fehen-Trüinmer,  denn  das  bedeutet 
das  Wort  trosky,  mit  den  mythischen  Namen  ihrer  beiden  äussersten  Felsen- 
höheu:  Baha  und  Deva  genannt,  die  auf  ehemalige  angesehene  Heiligtümer 
weisen,  da  sich  in  der  slavischen  Mythologie  die  genannten  mythischen  Ge- 
stalten zu  einander  verhalten,  wie  etwa  Ceres  zur  Proserpina.  —  Die  Ord- 
nung der  Verse  scheint  jedoch  in  unserem  Gedichte  durch  einen  unaufmerk- 
samen Abschreiber  gestört  zu  sein.  Denn  hinter  den  Vers  48.  vstanu  kyji 
nad  kyje,  kopie  üad  kopie  scheint  gleich  Vers  61.  kommen  zu  sollen:  tako 
stasta  obö  stranö  und  zwar  bis  zum  Verse  73  jde  pötka  z  chluina  v  rovnu, 
worauf  erst  Vers  49.  kommen  sollte :  srasistö  ^'t  („v  rovnu")  obß  stranö  bis  zum 
Verse  60.  jak  kot  velkych  diev,  worauf  erst  Vers  74.  i  by  Nßmcöm  üpöti 
kommen  sollte.  Dann  wäre  der  Ideengang  in  der  Uibersetzung  folgender: 

Drittes  Bild. 

So  stunden  beide  S^i^on  regungslos  einander  gegenüber,  fest 
gestützt  auf  den  Fersen  und  strammen  Waden.  Da  wendet  sich 
Benes  von  der  Höhe  zu  den  Seinen,  winket  mit  dem  Schwerte 
nach  rechts:  dorthin  wril/.et  sic-h  eine  starke  Masse,  er  winket  nach 
links  und  auch  nach  der  linken  Seite  stürmt  eine  starke  Menge  : 
(er  rufet:)  „von  rückwärts  nach  dem  Steinbruche  hin"  und  auch  vom 
Steinbruche  wälzet  mau  alle  Steine  gegen  die  Deutschen.  Nun 
bewegt  sich  aber  die  Schlacht  von  den  Höhen  gegen  die  Ebene 
hin.  Hier  stosseu  beide  Seiten  an  einander,  wie  wenn  ein  Wald 
gegen  einen  andern  sich  erhöbe  Der  Glanz  der  Schwerter  ist 
gleich  dem  Blitze  des  donnernden  Gewitters  :  ein  furchtbares  Auf- 
schreien ertönt,  welches  alle  Waldtiere  und  alle  Vögel  des  Himmels 
bis  zum  dritten  Berge  hin  verscheucht.  Das  Getöse  der  Keulen 
hier,  dort  das  Getöse  der  Schwerter  wiederhallt  von  den  Felsen- 
höhen in  allen  Tälern,  wie  wenn  man  altgewordene  Bäume  fällte. 

7* 


100 

Und  da   mussten  stöhnen    die  Deutschen,    die  Deutschen  mussten 
fliehen,  sie  mussten  erschlagen  werden. 

Diese  Umstellung  der  Verse  scheint  notwendig  zu  sein,  da  bei  der 
jetzigen  Aufeinanderfolge  zwischen  den  Versen  60.  u.  61.  d.  i.  zwischen 
der  Beschreibung  der  regen  Schlacht  und  der  ruhigen  erwartenden  Stellung 
ein  offenharer  Widerspruch,  so  wie  dazu  noch  zwischen  den  Versen  73.  und 
74.,  nämlich  zwischen  den  Sätzen:  „Und  die  Schlacht  bewegt  sich  von  den 
Höhen  in  die  Ebenen'':  „und  die  Deutschen  mussten  stöhnen"  gewiss  wenig 
Zut^animenhang  ist,  sondern  eben  die  schon  vorangehende  Schilderung  der 
Schlacht  erheischt,  wornach  erst  die  Deutschen  zu  fliehen  genötigt  werden. 
Veigl.  Sitz. Ber.  d.  kön.  böhm.  G.  d.  W.  1867.  29.  Juli.  Wir  sprachen  von  Vers- 
ahteilungen  u.  zw.  wie  sie  in  Ausgaben  von  Safafik-Thun  und  J.  Kofi- 
nek  vorkommen,  zweifeln  aber  gewaltig,  mag  nun  die  eben  vorgeschlagene 
Aendcrung  gebilligt  werden  oder  nicht,  dass  sich  ein  so  gekünsteltes  un- 
slavisches  Metrum  (Strophen  zu  4  Versen,  wovon  der  erste  acht,  der  2.  und 
3.  sieben,  der  5.  Vers  aber  fünf  Sylben  zählen  soll)  in  der  Tat  im  böhmi- 
schen Altertume  nachweisen  Hesse.  Welcher  alte  Slave  hätte  wol  einen 
Vers  gemacht  wie :  cuziem  kopytem  —  protiv  Sasiköm  —  protivo  vrahöm  — 
kopie  nad  kopie  udgl.  das  klingt  ja  wie  die  Endverse  der  Hexameter !  Mussten 
jedoch  die  Versabteilungen  bleiben,  dann  müsste  allerdings  auch  der  V.  73  beim 
74.  Verse  bleiben  und  nur  die  Verse  61. — 72.  würden    eingeschoben  werden. 


32.  Von    dem  Festeszweikampfe  (o  slavn^m  sedanie) 
oder  Lubor  und  Ludise. 

Erstes  Bild. 

Vernehmet  ihr  Alten  und  ihr  Jünglinge  von  den  Zweikämpfen, 
ja  von  den  Zweikämpfen  zu  Pferde.  Es  gab  einst  einen  Fürsten 
hinter  der  Elbe,  ruhmesvoll,  reich  uud  tapfer,  der  hatte  eine  ein- 
zige Tochter,  ihm  und  allen  anderen  lieb.  Dies  Mädchen  war  wun- 
derbar lieblich,  ihr  Leib  war  schön  gewachsen,  das  Antliz  hatte  sie 
sehr  weiss,  doch  an  den  Wangen  blute  die  Röte,  die  Augen 
wareu  wie  der  klare  Himmel  und  über  ihren  weissen  Nacken 
wallen  goldglänzende  Haare  zu  Ringen  gekräuselt.  —  Aj,  da 
befahl  einst  der  Fürst  dem  Boten:  alle  Herren  möchten  sich  ver- 
sammeln auf  der  Burg  zu  grossen  Festlichkeiten.  Als  nun  der  be- 
stimmte Tag  heran  gekommen  war,  da  versammelten  sich  aus 
fernen  Landen,  aus  ferner  Heimat  all  die  Herreu  hieher,  auf  der 
Fürstenburg  zu  diesen  Festen.  Der  Schall  von  Trompeten  und 
Pauken  ertönet. 

Zweites  Bild. 

Die  Herren  (päni)  eilen  hin  zum  Fürsten,  sie  verneigen  sich  da 
vordem  Fürsten  (knezu),  der  Fürstin  (kneni)  und  vor  der  lieblichen 
Tochter  (dcefi).  Zu  überlangen  Tischen  setzen  sie  sich  ein  jeder  einzelne 
nach  seiner  Geburt.  Da  trug  man  ansehnliche  Speisen  auf  (oder 
Wildbraten?),  man  trug  auf  Honiggetränke:  da  ward  das  festliche 


101 

Mal  laut,  da  ward  das  festliche  Mal  ruhmvoll.  Kraft  verbreitete 
sich  in  allen  Gliedern  und  reger  Sinn  verbreitete  sich  über  jedes 
Gemüte.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  sprach  der  Fürst  zu  den  Herren : 
Ihr  Männer!  es  bleibe  euch  nicht  verborgen,  aus  welchen  Gründen 
ihr  euch  versammelt.  Edle  Männer,  ich  möchte  erfahren,  welche 
aus  euch  die  tüchtigsten  seien:  weise  ist  es  wärend  des  Friedens 
an  den  Krieg  zu  denken  und  stäts  haben  wir  die  Deutschen 
(Nemci)  zu  unseren  Nachbarn.  So  sprach  der  Fürst.  Die  Stille 
wird  unterbrochen,  von  den  Tischen  stehen  auf  die  Herren,  sie 
verneigen  sich  da  vor  dem  Fürsten,  der  Fürstin  und  vor  der  lieb- 
lichen Tochter.  Pauken  und  Trompeten  höret  man  wieder. 

Drittes  Bild. 

Alles  rüstet  sich  zum  Pferde-Zweikampfe  dort  vor  der  Burg 
auf  der  weiten  Wiese.  In  der  Höhe  am  geschmückten  Balkone 
sass  der  Fürst  mit  den  Starosten,  sass  die  Fürstin  mit  den  Edel- 
frauen  (zemankami)  und  Ludise  mit  den  Jungfrauen  (devicemi).  Da 
verkündete  der  Fürst  seinen  Grundbesitzern  (zemanöm):  Die  da 
die  ersten  zum  Zweikampfe  wollen,  die  bestimme  ich  als  Fürst 
selbst.  Da  ruft  der  Fürst  den  Stfebor  und  Stfebor  nennt  den  Lu- 
dislav.  Beide  setzten  sich  zu  Pferde,  ergriffen  Schafte  von  Holz 
mit  scharfer  Spitze,  jagten  hastig  gegen  einander,  kämpften  so 
lange  mit  einander,  bis  beider  Schafte  zerbrachen  und  beide  gleich 
ermüdet  aus  der  Kampfbahn  traten.  Es  erschallen  die  Töne  der 
Trompeten  und  Pauken. 

Viertes  Bild. 

Da  verkündet  der  Fürst  seinen  Grundbesitzern:  Welche  die 
zweiten  zum  Zweikampfe  wollen,  diese  mag  die  Fürstin  bestimmen. 
Die  Fürstin  ruft  den  Srpos  und  Srpos  nennt  den  Spytibor.  Beide 
setzten  sich  zu  Pferde  und  ergriffen  die  hölzernen  Schafte  mit 
scharfer  Spitze.  Srpos  jagt  gegen  Spytibor  hin  und  hebt  ihn  aus 
dem  harten  Sattel.  Behende  springt  er  selbst  vom  Pferde.  Beide 
ziehen  ihre  Schwerter:  Hieb  auf  Hieb  fällt  auf  die  schwarzen 
Schilde  und  aus  den  schwarzen  Schilden  springen  Funken  hervor. 
Spytibor  schlägt  da  gegen  Srpos,  Srpos  fällt  zur  kühlen  Erde. 
Doch  beide  sind  so  ermüdet,  dass  sie  aus  der  Kampfbahn  traten. 
Es  erschallen  die  Töne  der  Trompeten  und  Pauken. 

Fünftes  Bild. 

Da  verkündet  der  Fürst  seinen  Grundbesitzern :  Welche  die 
do^tten  zum  Zweikampfe  wollen,  diese  mag  die  Fürstentochter 
(knezna)  bestimmen.  Die  Fürstentochter  ruft  den  Lubor  und  Lubor 
nennt  den   Bolemir.   Beide  setzen  sich  zu  Pferde,   beide  griffen  zu 


102 

hölzernen  Schäften  mit  scharfen  Spitzen,  eilends  jagten  sie  in  die 
Bahn,  stellten  sich  zielend  gegen  einander  auf  und  stiessen  mit  den 
Speeren  gegen  einander.  Bolemir  stürzt  vom  Pferde,  der  Schild 
flog  weit  von  ihm  und  Knechte  trugen  ihn  aus  der  Bahn.  Es  er- 
schallen die  Töne  der  Trompeten  und  Pauken. 

Lubor  ruft  nun  den  Rubos.  Rubos  springt  behende  auf  das 
Pferd  und  jagt  scharf  gegen  Lubor.  Lubor  hieb  ihm  den  Speer 
mit  dem  Schwerte  durch  und  bringt  ihm  gewant  einen  Schlag  auf 
den  Helm  bei,  so  dass  Rubos  rücklings  vom  Pferde  fallt.  Knechte 
tragen  ihn  aus  der  Bahn.  Es  erschallen  die  Töne  der  Trompeten 
und  Pauken. 

Lubor  ruft  nun  zu  den  Grundbesitzern:  Die  gewillt  wären, 
sich  mit  mir  zu  schlagen,  mögen  hieher  in  die  Bahn  reiten.  Eine 
Unterredung  unter  den  Herren  beginnt,  Lubor  harret  auf  der  Bahn. 
Zdeslav  sucht  hervor  einen  langen  Schifc  und  auf  diesem  ist  der 
Kopf  eines  Auers.  Zdeslav  springt  auf  einen  jungrautigen  Hengst 
und  spricht  in  hochmütigen  Worten:  Der  Urahn  schlug  nieder 
einen  wilden  Auer,  das  Väterchen  verjagte  der  Deutschen  Schaaren, 
Lubor  wird  meine  Tapferkeit  erfahren.  Und  da  jagten  sie  gegen 
einander,  stiessen  mit  den  Köpfen  in  einander,  aj !  beide  fielen  von 
den  Pferden.  Da  griffen  behende  beide  zu  den  Schwertern,  kämpften 
zu  Fusse,  schwangen  rührig  mit  den  Schwertern,  rings  um  sie 
wiederhallten  die  Schläge.  Lubor  nähert  sich  ihm  seitwärts,  hauet 
gewaltig  ihm  in  den  Helm,  der  Helm  zerspringt  in  Stücke,  mit  dem 
Schwerte  schlägt  er  noch  einmal  gegen  dessen  Schwert,  aber  das 
Schwert  fliegt  über  die  Bahn  hinaus,  Zdeslav  wirft  sich  zur  Erde. 
Es  erschallen  die  Töne  der  Trompeten  und  Pauken. 

Sechstes  Bild. 

Die  Herren  Schäften  (panstvo)  umringen  den  Lubor  und  führen 
ihn  vor  den  Fürsten,  vor  die  Fürstin  und  vor  Ludisa.  Ludisa  setzt 
ihm  den  Kranz  auf,  einen  Kranz  aus  Eichenblättern.  Es  erschallen 
die  Töne  der  Trompeten  und  Pauken. 

Anmerkung.  Dies  Gedicht  hat  etwas  Fremdartiges,  ja  Eauhes  an  sich, 
zum  Teile  auch  gar  viel  Unschönes.  Der  Fürst  hinter  der  Elbe,  oder  der 
Fürst  Za/o6.s7ij/ ?  gehtniit  „seinen  Grundbesitzern"  (zemanö)  um,  wie  mit  ein- 
fachen Mannen,  er  befielt  und  sie  wirken,  er  zieht  die  Maschine  auf  und  sie 
wird  in  ihrer  Art  wirksam.  Auch  Widersprüche  finden  sich  vor:  „welche 
die  Ersten  ivoUeu  zu  dem  Kampfe,  die  bestimme  ich,  der  Fürst  selbst"  (V. 
54.  55.).  Dieser  Widerspruch  wiederholt  sich  dazu  rinigpuial  iV.  66.  84.).  Wie 
hart  und  schal  sind  Lubors  Worte  'V.  106.  107):  „die  sich  mit  mir  schlagen 
wollen,  die  müssen  hieher  auf  die  Bahn  reiten  "  Syntaktisch  macht  der  Man- 
gel fast  aller  Partikel  den  Satzbau  sehr  eintönig,  ja  mechanisch.  Wärend 
man  im  Gedichte  Benei^  Hefmanov  schon  Strophen  zu  vier  Zeilen  finden  will, 
wovon  die  erste  Zeile  8-,  die  zweite  und  dritte  7,  die  vierte  aber  5-sylbig 
ist,  geht  das  Gedieht  „o  sedani"'  nur  in  zerhackten  8-sylbigen  Zeilen  vor 
sich,  welche  strophenartig  nur  durch  das  Getöne  der  Pauken  und  Trompeten 
unterbrochen  werden.  Man  siehe  über  das  Gedicht,  welches  einer  der  Hauptan- 


1Ö3 

griflf^puncte  Fejfalik's  war,  der  darin  irrig  ein  Zerrbild  der  Turniere  (klänie) 
sah,  wärend  es  das  nationale  Vorbild  derselben,  d.  i.  das  Bild  des  Zwei- 
kampfes zu  Pferde  (sedanf)  ist,  Nebesky :  Musejn.  1852.  IV.  S.  165.  1853.  S. 
384.  —  Jirecek:  Svetozor  1858.  Nro.  19.  S.  14'.^.  Echtheit,  S.  122.  Wie  dies 
Gedicht  das  letzte  ist  in  der  Sammlung  der  historischen  Lieder  der  K.  H., 
so  ist  es  wahrlich  auch  das  letzte  nach  dem  Gehalte  seiner  Poesie:  seine  for- 
melle Ungeschlachtheit  ist  entweder  ein  Zeichen  seiner  Altertümlichkeit  oder 
aber  schon  des  Verfalles  nationaler  Poesie.  Wir  würden  für  das  erstere 
stimmen,  dazu  bestimmt  uns  die  Einfachheit,  ja,  langweilige  Einförmig- 
keit der  inneren  Momente,  da  es  fast  alle  möglichen  Vorfälle  beim  Pler- 
dezweikampfe  besingt,  dafür  die  Ausdrücke:  jedenie  divä  (V.  2-),  pitie 
mednä  (V.  29),  zkakych  pficin  (V.  ;3ti.  Jaroslav  nennt  schon  statkako  jako), 
vezdy  näm  süsede  Ne'mci  (V.  40.  im  13.  Jh.  würde  wol  niemand  in  Böhmen 
so  gesprochen  haben,  da  das  Deutschtum  wenigstens  in  das  Centrum  von 
Böhmen  förmlich  hereingezogon  wurde),  pradäd  zbi  divatura  (V.  114),  otcik 
zahna  Neincev  sbory,  mein  Väterchen  vertrieb  dfr  Deutschen  Schaaren,  mein 
Urahn  erschlug  einen  wilden  Auer  (V.  115.);  das  Wort  heim  statt  des  sla- 
vischen  slemi>  erinnert  allerdings  an  deutschen  Einfluss,  allein  wir  haben  ja 
nicht  das  Original,  sondern  eine  Abschrift  vor  uns.  Vgl.  jedoch  auch  Ko- 
mdrek's  Aphorismen  aus  der  K.  H.  in  den  Prager  Pamätkyarchaeologickö 
14.  Jg.  1.  Heft.  1867.  Ludise  u.  Lubor. 


33.  Das  Mädchen  und  der  Gukuck. 

Erstes  Bild. 

Im  weiten  Felde  steht  eine  junge  Eiche  (dübec),  auf  der  jun- 
gen Eiche  klagt  weinend  der  Grukuck  (zezhulice,  im  Slavischen 
weiblich),  dass  der  Frühling  nicht  ewig  dauere.  (Es  war  jedoch 
kein  Gukuck,  es  war  ein  Mädchen,  dass  ewig  schön  und  frei  blei- 
ben wollte). 

Zweites  Bild. 

Gäbe  es  einen  ewigen  Frülding,  wie  würde  da  das  junge  Ge- 
traide  am  Felde  je  reifen,  gäbe  es  einen  stäten  Sommer^  wie  würde 
da  der  Apfel  im  Garten  je  reif,  gäbe  es  einen  stäten  Herbst  (jesen), 
wie  durchfrören  die  Aehren  im  Schober?  —  Wie  würde  dem  Mäd- 
chen bange  werden,  das  immer  Mädchen  (sama)  bliebe? 

Anmerkung.  Obwol  die  Sprache  des  Gedichtes  Spuren  des  18.  Jh.  an 
sich  trägt,  reihen  wir  es  doch  vor  die  anderen  kleinen  Gedichte,  weil  wir  die 
ursprüngliche  Grundlage  desselben  für  eine  mythische  halten.  In  der  Tat  ist 
für  die  Natürlichkeit  aller  Lieder  der  K.  H.  der  Wunsch  eines  Mädchens,  stäts 
Mädchen  bleiben  zu  wollen  —  ohne  eine  mythische  Grundlage  anzunehmen  — 
unerklärlich.  Es  scheint  jedoch  unter  der  dSva,  dem  Mädchen,  die  Dieva 
(Dzieva,  „Siwa")  die  Götterjungfrau  gemeint  zu  sein,  wilche  dem  polnischen 
Chronisten  Prokos  gemäss  jährlich  in  einen  Gukuck  sich  zu  verwandeln 
pflegte.  Siehe  über  sie  die  „Deva  zlatovlasä"  (Prag,  1860,  S.  8.  38  im  Se- 
paratabdrucke),  S.  2«6.  (im  Actenbande)  und  zugleich  die  Sitzungsberichte 
der  kön.  böhm.  G.  d.W.  zu  Prag,  1865.  19.  Juni.  —  Kvgt:  aestheticky rozbor 
R.  K.  1861.  152.  153.  —  Die  Jungfräulichkeit  der  Pallas  (Athene),  des  grie- 
chischen Gegenbildes  der  (slavischen)  Deva,  Dievica  (beim    Chronisten    Siva 


104 

ßtat  Dsiva,  Dzieva)  ist  sattsam  bekannt,  obwol  diese  Art  mythischer  Jungfräu- 
lichkeit einen  ganz  andern  Sinn  hat  und  darum  auch  nicht  absolut  ist,  als 
wie  eine  klösterliche  Jungfräulichkeit.  Diese  mythische  Grundlage  würde 
dies  Lied  gut  eignen  zu  den  religiösen  Gebräuchen  einer  Hochzeit.  Von  den 
Jahrszeiten  ist  jaio,  l§to  und  jesen  genannt,  die  vierte  Jahrszeit,  zima,  ist 
aber  durch  den  Ausdruck  :  kakby  mrzli  klasi  v  stozö  angedeutet.  Der  Form 
nach  hat  das  Gedicht  einen  schönen  trochäischen  Rhythmus,  doch  zwingt  man 
es  auch  in  acht-  und  siebensylbige  Zeilen,  und  zwar  unslavisch,  wenn  man 
z.  B.  an  den  auch  relativ  unabgeschlossenen  Vers :  „na  dubci  zezhulice"  denkt. 


34.  Der  Jüngling^  und  das  Mädchen. 

Erstes  Bild. 

Meine  Geliebte  pflückte  im  Föhrenwäldchen  Erdbeeren.  Da 
verletzte  sie  ihr  Fiisschen  an  einem  scharfen  Dornstrauche.  Sie 
konnte  nicht  auf  das  Füsschen  auftreten.  Du  Dorn!  du  scharfer 
Dorn  wirst  ausgerodet  werden  aus  dem  Wäldchen,  da  du  dem 
Mädchen  Schmerz  verursachtest ;  du  aber,  Liebe!  verweile  etwas  in 
dem  schattigen  Föhrenwäldchen  bis  ich  mein  weisses  Rösslein  von 
der  Wiese  hole. 

Zweites  Bild. 

Das  Rösslein  weidet  im  dichten  Grase,  das  Mädchen  harrt 
des  Geliebten  im  schattigen  Wäldchen.  Ein  leiser  Vorwurf  steigt 
in  ihr  empor:  Ach  ich  unglückliches  Mädchen  (roba),  was  (cie) 
wird  die  Mutter  sagen,  die  mir  immer  rät,  vor  Jünglingen  sich  zu 
hüten!  Warum  sich  aber  auch  hüten  vor  so  guten  Menschen. 

Drittes  Bild. 

Da  kam  ich  an  zu  Pferde,  das  weiss  wie  Schnee  war.  Ich 
sprang  herab.  Mit  dem  silbernen  Zaume  band  ich  es  au  einen 
Ast  fest.  Ich  umarmte  das  Mädchen,  drückte  es  ans  Herz,  küsste 
es  und  sieh!  das  Mädchen  vergisst  den  Schmerz.  Es  war  uns  so 
wol,  es  war  uns  so  lieb,  doch  da  ist  die  Sunne  schon  nah  dem 
Untergange.  Lieber !  reite  eilends  nach  Hause,  die  Sonne  beginnt 
uns  zu  untergehen.  Ich  sprang  behende  auf  das  Rösslein  weiss 
wie  Schnee,  und  nahm  die  Liebe  in  die  Arme,  ritt  mit  ihr  nach  Hause. 

Anmerkung.  Man  teilt  die  Worte  dieses  Gedichtes  in  acht-  und  sieben- 
silbige  Verszcilcn,  ja  sogar  in  Strophen  ein.  Doch  das  ist  alles  noch  frag- 
lich, da  sodann  die  erste  Strophe  sechs-  die  andere  vierzeiiig  wären,  auch 
einzelne  Wörter,  z.  B.  i-de  oder  jde,  za-dfi-e-sc  oder  za-dfi-se  verschieden 
syllahirt  gedacht  werden  können.  Wir  würden  es  in  Langzeileu  lesen:  .Jde 
uiä  mihi  na  iahody  na  zelenä  borka  —  zadfiese  si  ostre  trnie  v  bßlitku  no- 
zicu  u.  gl.  Die  alte  Verskunst  verträgt  satzlose  d.  i.  gedankenlose  Verszeilen 
nicht,  wie  z.  B.  v  zeleuc  boreciö    —   po    tichünku    v  borcö    —    za   stfiebrnü 


105 

uzdu  u.  dgl.  Inhaltlich  ist  das  Gedicht  ein  liebes  (Jemälde  zwar  schüchterner, 
aber  naiv  sinnlicher  Liebe.  Der  Liebende  mit  seinem  schneeweissen  Pferde 
trägt  das  Gepräge  eines  Götterjüuglings,  das  'Mädchen  einer  märchenhaften 
Schönen  und  die  Erdbeeren,  wie  gHwöhnlich  in  den  IMärchon,  das  Gepräge 
roter  Biitzfunken  an  sich:  bekanntlieh  geht  auch  in  den  slavischen  Märchen 
das  Mädchen  auf  Erdbeeren  in  den  Wald  oder  wird  um  Erdbeeren  geschickt 
(Kvet:  Aestheticky  rozbor  K  R.  186L  str.  148.  Slovenske  pohädky  od  Boz. 
Nömcovö.  1857.  str.  29G  o  12  mösickäch). 


35.    Die  Rose  und  das  Mädchen. 

Erstes  Bild. 

Ach  du  Rose,  schöne  Rose,  warum  blühest  du  so  frühzeitig 
(jetzt  ?)  auf:  der  Frost  ergriff  dich,  du  welktest  hin  und  welk 
fielst  du  ab.  —  Abends  sass  ich,  sass  gar  lange,  sass  bis  zum 
Hahnengesange  und  doch  harrte  ich  vergebens,  alle  Späne  und 
aller  Kien  war  schon  verbrannt. 

Zweites  Bild. 

Da  schlief  ich  ein.  Im  Traume  träumte  mir  armen,  dass  mein 
Goldring  der  rechten  Hand  entgleite,  dass  auch  der  Edelstein  her- 
ausfalle. Ich  erwachte.  Den  Edelstein  fand  ich  nicht,  denn  auf 
meinen  Geliebten  hatte  ich  vergeblich  gewartet. 

Anmerkung.  Es  ist  fraglich,  ob  im  Texte  ranie  (früh,  frühzeitig  oder 
nynie{mmQ)  jetzt,  gelesen  werden  solle,  da  der  Sinn  und  die  verwischte  Schreib- 
weise beides  möglich  macht.  Nynie,  das  jetzige  nyni,  würde  auf  ein  Herbst- 
lied deuten,  dass  besser  zum  zweiten  Bilde  passte.  Die  vielen  verbrannten  Späne 
und  Kiene  deuten  gleichfalls  auf  lange  Herbstnächte.  Liesst  man  ranie  (ranö), 
dann  schildert  das  Gedicht  eine  vorzeitige  Liebe,  liesst  ma.nnynie,  so  ist  es  ein 
Bild  unbefriedigter  Liebe.  Natürlich  muss  man  bei  dem  Bilde  der  Rose  nach  sla- 
vischem  Gebrauche  hinzudenken  :  doch  es  war  keine  Rose,  sondern  ein  Mäd- 
chen, das  gerade  zur  LTnzeit  blühte.  Wie  nach  abgestreifter  mythischer  Farbe 
das  Mädchen  (N.  34)  ein  Bild  glücklicher  ^  Liebe  schildert,  so  ist  dieses  ein 
Gemälde  unbefriedigter  Sehnsucht.  Vgl.  Celakovsky  närodni  pisnö,  I,  122. 
123.  in.  132.  229.  —  Stur,  S.  45.  72.  Uebrigens  trägt  das  Gedicht,  wie  wir 
es  vor  uns  haben,  deutliche  Spuren  bedeutender  Umarbeitung  auf  sich :  denn 
die  verbalen  jüngeren  Formen,  wie  rozkvetla,  opadla,  smekl,  svlekl  passen  gar 
nicht  zu  den  älteren :  sedech,  sezzech,  nedozdech  n.  dgl.  Nur  gezwun- 
gen lässt  es  sich  auch  in  sieben-  und  acht-zeilige  Verssylben  unterscheiden. 
Uns  will  bedüuken,  dass  auch  hier  ursprüglich  in  Langzeilen  gelesen  wurde, 
denn  Verszeileu  wie :  „na  pravej  ruce  s  prsta"  —  „iako  by  mne,  nebozce" 
sind  wie  gesagt  gewiss  nicht  ursprünglich,  da  sie  keinen  relativ  einheitlichen 
Sinn  in  sich  einschliessen. 


36.  Der  Blumenstrauss  und  das  Mädchen. 

Erstes  Bild. 

Ein  Lüftchen    weht   aus  den  fürstlichen  Wäldern :   ein  liebes 
Mädchen  eilt  zu  dem  Flusse,   schöpft  Wasser  in  die  beschlagenen 


106 

Eimer,  Ein  Stränsschcn  (kytice)  schwimmt  auf  dem  Wasser  hin 
zu  dem  Mädchen,  ein  Sträusschen  aus  Veilchen  und  Rosen.  Das 
Mädchen  bemüht  sich,  das  Sträusschen  zu  haschen:  sie  fällt,  ach! 
sie  fällt  in  das  kühle  Wasser. 

Zweites   Bild. 

Wenn  ich  wüsste,  ihr  schönen  Blumen,  wer  euch  pflanzte  in 
das  fruchtbare  Erdreich,  dem  gäbe  ich  dies  goldene  Ringlein:  wenn 
ich  wüsste,  ihr  schönen  Blumen,  wer  euch  mit  weichem  Baste  zu- 
sammenband, dem  gäbe  ich  die  Ziernadel  aus  den  Haaren;  wenn 
ich  wüsste,  schöner  Blumenstrauss,  wer  dich  auf  kühlem  Wasser 
hierher  Hess,  dem  gäbe  ich  mein  Kränzchen  vom  Kopfe. 

Anmerkung.  Das  Anfangsbild  vom  Lüftchen  aus  den  fürstlichen 
Wäldern  ist  wiederum  der  slavische  Tropus  des  Naturparallelismus :  kein 
Lüftchen  war  es  nämlich,  sondern  der  Gruss  eines  Jünglings  aus  den  (dem 
Dichter  so  bekanntenj  fürstlichen  Wäldern  des  alten  Fürstensitzes  von  Chvoj- 
nov,  mitgeteilt  durch  das  Sträusschen.  Das  Mädchen  weiss  auch  recht  gut, 
dass  es  eben  ihr  gelte,  sie  hascht  nach  dem  Sträusschen  und  fallt  dabei  in 
das  Wasser,  Doch  erreicht  sie  ihren  Zweck  und  spricht  dann  den  Blumen- 
strauss schalkhaft  an,  als  ob  sie  nicht  wüsste,  von  wem  er  käme.  Göthe  ver- 
änderte daher  ganz  den  Charakter  dieses  Gedichtes,  als  er  das  Moment  des 
ins  Wasserfallens  an  das  Ende  desselben  setzte,  denn  aus  einem  neckischen 
Zufall  machte  er  einen  Furcht  erregenden  Unfall,  der  dem  heiteren  Tone  des 
Ganzen  nur  zum  Abbruche  gereicht.  Wenn  das  Mädchen  den  Blumenstrauss 
so  freundlich  anspricht,  dann  ist  er  auch  schon  in  ihrer  Hand  und  damit  jede 
Gefahr  vorüber.  Gerade  der  Fall  in  das  Wasser  zeigt  die  grosse  Neigung  des 
Mädchen  zum  Urheber  des  Blumengrusses,  indem  sie  die  Wassergefr.hr  nicht 
achtend,  ja  den  Fall  ins  Wasser  gleich  vergessend,  in  der  neckischen  Gra- 
dation Ring  und  Zicrnadel  dem  zurückgebeu  will,  von  dem  sie  diese  Liebes- 
male wol  empfangen,  indem  sie  sich  demselben  ohnehin  ganz  hingeben  will. 
Setzt  man  den  Sturz  ins  Wassers  an  das  Ende  des  Gedichtes,  so  würde 
man  fost  komisch,  indem  man  das  Mädchen  zu  dem  ihr  enteilenden  Sträusschen 
sprechen  Hesse,  abgesehen  davon,  dass  man  mit  trauriger  Prosa  die  heitere 
Poesie  enden  würde. 


37.  Das  Mädchen  und  die  Miletiner  Wälder. 

Erstes  Bild. 

Ach,  ihr  Wälder,  ihr  dunklen  Miletiner  Wälder,  warum  grünet 
ihr  im  Sommer  und  Winter  so  gleich.  Auch  ich  würde  gerne  mit 
dem  Weinen  aufhören  und  mein  Herz  nicht  so  betrüben.  Aber 
sprechet,  ihr  guten  Leute,  wer  würde  hier  nicht  weinen  ? 

Zweites  Bild. 

Wo  ist  mein  Väterchen,  mein  liebes  Väterchen.  Begraben 
ist  er  in  dem  niedrigen  Grabe.     Wo  ist  meine  Mutter,  meine  gute 


107 

Mutter?     Junges  Gras  wachset  auf  ihr.     Brüder  und  Schwestern 
habe  ich  nicht:  den  Jüngling  nahmen  sie  mir. 

Anmerkung.  Die  grünenden  Miletiner  Wälder  sind  hier  wol  die  Na- 
turrepräsentiinten  der  stets  heitern  „guten  Leute'  dieser  Gegend  des  Riesen- 
vorgebirges  und  das  Gedicht  muss  auf  ein  uns  unbekanntes  Factum  sich 
gründen,  das  eine  Aufforderung  zur  Heiterkeit  an  das  Mädchen  stellte.  „Den 
Jüngling  nahmen  sie  mir,"  auch  dieser  Gedanke  basirt  sich  auf  ein  uns  unbe- 
kanntes Factum,  denn  wer  sind  diese  „sie  nahmen"  (vzechu)  ?  und  wozu? 
nahmen  sie  ihn.  Der  Form  nach  findet  man  in  dem  Gedichte  einen  Wechsel 
von  acht-  und  sechs  sylbigen  Zd^ilen,  muss  aber  zu  manchen  Künstlichkeiten 
greifen,  die  nicht  altertümlich  erscheinen  z.  B.  man  muss  raoje  wie  moj' 
lesen,  die  Zeilen:  ,,a  feknSto  dobfie  ludie,  kdo  by  neplakal  zdö"  haben  dazu 
keinen  Versrhytmus.  Das  vorangehende  Gedicht  aber  nennt  man  in  zehn- 
sylbigen  Zeilen  geschrieben,  die  zweite  Zeile  aber:  „beze  zmilitka  ku  potoku" 
zählt  jedoch  nur  neun  Sylben. 


38.  Das  Mädchen  und  die  Lerche. 
Erstes  Bild. 

Ein  Mädchen  jätet  Hanf  im  herrschaftlichen  Garten.  Eine 
Lerche  fragt  sie,  warum  sie  so  klage.  Wie  könnte  ich  froh  sein, 
du  kleine  Lerche:  sie  führten  ja  meinen  Geliebten  fort  auf  die 
kleine  Burg  von  Stein. 

Zweites   Bild. 

Halte  ich  ein  Federchen,  schrieb  ich  ein  Briefchen,  du  kleine 
Lerche,  du  würdest  damit  hinfliegen.  Ich  habe  jedoch  weder  Fe- 
der, noch  ein  Schreib-Häutchen  (da),  worauf  ich  ein  Briefchen 
schriebe.  Erfreue  den  Teueren  durch  den  Gesang:  dass  ich  hier 
vor  Trauer  schmachte, 

Anmerkung.  Auch  hier  sind  unbekannte  Tatsachen  vorauszusetzen. 
Vielleicht  ist  hier  dasselbe  Mädchen  (döva)  gemeint,  wie  im  vorangehenden 
Gedichte.  „Pansky  sad"  die  Pflanzung  des  Herrn,  könnte  auch  herrschaft- 
licher Garten  übersetzt  werden,  wenn  man  wüsste,  was  ,, Herrschaft"  hier  be- 
deute, da  doch  wol  nicht  an  feudale  Verhältnisse  der  spätem  Zeit  gedacht 
werden  darf.  Ist  noch  etwa  von  der  Zeit  der  Markomannenherrschaft  im 
Gedichte  eine  Spur  zurückgeblieben,  sammt  der  gemauertun  Burg, 
der  Burg  von  Stein?  Die  Lerche  „skr ivanek''  ist  im  böhmischen  männlich. 
Es  muss  nicht  angenommen  werden,  dass  das  Mädchen  selbst  schreiben  konnte, 
sondern  dass  sie  nur  wusste,  zum  Schreiben  sei  Feder  und  Pergamen  nötig. 
Nimmt  man  im  Gedichte  Strophen  von  vier  Zeilen  an;  so  ist  die  erste  und 
dritte  sieben-  die  zweite  und  vierte  sechs-sylbig:  dann  aber  gelten  Zeilen  wie 
„u  panskeho  sada,  u  kamenny  hradek"  obschon  sie  keinen  relativ  abgeschlos- 
senen .^Jatzsinn  geben,  doch  für  alte  Verse. 

Unmittelbar  an  dies  Gedicht  schliessen  sich  im  Texte  die 
Worte:  „zahrakocie  v  hrade  vr(dnay\  „es  kräht  in  der  Burg  eine 
Krähe,"  als  Anfang  eines  neuen  Gedichtes,  dessen  Fortsetzung  je- 
doch  zu  Grunde  gieng. 


108 

39.  O  velikycli  boitcli  kr est'an  s  Tatary  (von  den  gros- 
sen   Kämpfen   der    Christen    mit    den    Tataren)  oder 

Jaroslav. 

Erstes  Bild. 

Ich  verkündige  euch  eine  sehr  berühmte  Sage  von  grossen 
Kämpfen,  wilden  Schlachten.  Werdet  ruhig  und  sammelt  all  eure 
Aufmerksamkeit,  bleibt  ruhig  und  eurem  Gehöre  wird  Wunder- 
bares geboten  werden. 

In  der  Heimat,  wo  Olomüc  der  Anführer  ist,  gibt  es  einen 
nicht  gar  hohen  Berg,  nicht  hoch,  Hostainov  ist  sein  Name,  die 
göttliche  Mutter  (mäti  bozia,  die  Mutter  Gottes)  wirket  alldort 
Wunder. 

Lauge  waren  unsere  heimatlichen  Länder  im  Frieden,  lange 
blute  der  Wohlstand  unter  den  Leuten,  ehe  vom  Aufgange  in  den 
Ländern  ein  Sturm  entstand,  und  zwar  der  Tochter  des  Tataren- 
Chames  halber,  welche  Christenleute  der  Edelsteine,  Perlen  und  des 
Goldes  halber  töteten. 

Die  angenehme  Kublajevna,  der  Luna  ähnlich,  hatte  ver- 
nommen, dass  es  westliche  Länder  gäbe,  dass  in  diesen  westlichen 
Ländern  viele  Menschen  lebten  und  bereitete  sich,  fremde  (cuziech, 
ursi)riinglich  deutsche)  Sitten  kennen  zu  lernen;  zu  ihrer  Beglei- 
tung springen  zehn  Jünglinge  auf  die  Füsse  und  zwei  Jungfrauen, 
sie  häufen  zusammen,  was  notwendig  war  und  alle  setzten  sich 
auf  behende  Pferde  und  reiseten  dorthin,  wohin  die  Sonne  enteilet. 

Wie  das  Licht  am  Morgen  (po  jutru)  erglänzet,  wenn  es 
sich  über  dunkle  Wälder  erhebt:  so  glänzte  die  Tochter  des  Ta- 
taren-Chams  durch  natürliche  und  bereitete  (künstliche)  Schönheit. 
Angekleidet  war  sie  ganz  mit  Goldgewändern,  die  Kehle,  den  Busen 
hatte  sie  enthüllt  und  mit  Edelsteinen  und  Perlen  umwunden.  Eine 
solche  Schönheit  bewunderten  die  Deutschen  (Nemci),  beneideten 
deren  Reichtum  sehr,  sie  beobachteten  den  Weg  ihres  Zuges  (ihrer 
Reise),  überfielen  sie  im  Walde,  töteten  sie  und  nahmen  ihren 
Reichtum  (ihre  Waaren)  weg. 

Zweites  Bild. 

Als  das  der  Tataren-Cham  Kublaj  vernahm,  was  sich  alles 
mit  seiner  teueren  Tochter  zugetragen,  da  sammelte  er  aus  allen 
bevölkerten  Landen  Heere  und  zog  mit  den  Heeren  dorthin,  wohin 
die  Sonne  eilet.  Dies  vernahmen  die  Könige  im  Westen,  dass  der 
Cham  nach  ihren  bevölkerten  Ländern  eile,  sie  verschworen  sich 
einer  mit  dem  andern,  brachten  eine  sehr  starke  Mannschaft  zu- 
sammen   und    zogen    zu  Felde  gegen  ihn.    Sie  lagerten    in,  einer 


109 

grossen  Ebene,  lagerten  und  erwarteten  da  den  Cham.  Kublaj 
beruft  alle  seine  Sehwarzkünstler,  Wahrsager,  Sterndeuter  und 
Zauberer,  damit  sie  vorher  verkündeten  und  errieten,  welches  Ende 
die  Schlacht  nehmen  werde.  Flugs  fanden  sich  die  Schwarzkünstler, 
Wahrsager,  Sterndeuter  und  Zauberer  zusammen,  traten  aus  dem 
Kreise  nach  zwei  Seiten,  legten  der  Länge  nach  ein  schwarzes 
Schilfrohr  hin,  zerteilten  es  in  zwei  Teile,  der  einen  Hälfte  gaben 
sie  des  Kublaj 's  Namen,  der  andern  Hafte  des  Königs  Namen, 
raunten  darüber  altertümliche  Worte,  Beide  Schilfe  begannen  mit 
einander  zu  kämpfen  und  das  Schilf  des  Kublaj  siegte. 

Drittes  Bild. 

Es  erfreute  sich  die  Menge  des  gesamraten  Volkes,  jeder 
eilet  behende  zu  seinen  Pferden  und  die  Heere  stellen  sich  in 
Reihen:  die  Christen  hatten  nicht  einmal  eine  Verabredung  (Plan) 
und  jagten  ohne  Verstand  in  die  Reihen  der  Heiden  mit  so  einem 
Uibermute,  als  sie  Stärke  (Macht)  hatten.  Da  drängt  sich  zusammen 
der  erste  Kampf  wie  in  einen  Haufen,  Pfeile  regneten  wie  Wolken- 
brüche, das  Brechen  der  Lanzen  glich  dem  Donnergetöse,  der 
Glanz  der  Schwerter  dem  Feuer  des  Wetters.  Beide  Seiten  wehrten 
mit  jungkräftiger  Macht,  dass  eine  der  andern  nicht  vorankomme. 
Doch  verfolgte  schon  eine  Menge  Christen  die  Heiden  und  sie 
hätte  ihnen  schon  Widerstand  geleistet,  wenn  nicht  die  Schwarz- 
künstler von  neuem  gekommen  wären  und  die  zerteilten  Schilfe 
nicht  mit  sich  gebracht  hätten. 

Das  entbrannte  gewaltig  die  Tataren,  wild  fielen  sie  gegen 
die  Christen  aus,  jagten  sie  die  einen  nach  den  anderen  so  ge- 
waltsam, dass  sie  diese  wie  ein  scheues  Wild  auseinander  stäubten. 
Da  liegt  ein  Schild,  da  ein  teuerer  Helm,  da  schleift  ein  Pferd 
einen  Vojevoden  in  den  Bügeln,  da  jagt  dieser  eitel  gegen  die 
Tataren,  der  andere  fleht  um  Gotteswillen  um  Erbarmen,  dadurch 
entflammten  (roz-noi  ichu)  die  Tataren  sich  nur  noch  mehr.  Zwei 
Königreiche  unterwarfen  sie  sich:  das  alte  Kyjev  und  das  geräu- 
mige Novyhrad, 

Viertes  Bild. 

In  kurzem  verbreitet  sich  Elend  über  all  die  Länder,  man 
erhebt  sich,  um  in  jeder  Heimat  Leute  zu  werben,  vier  starke 
Heere  stellte  man  auf,  erneuerte  das  Gekämpfe  gegen  die  Tata- 
ren. Die  Tataren  bewegten  sich  nach  der  rechten  Seite.  Wie  eine 
schwarze  Wolke,  wenn  sie  mit  Hagel  droht,  die  Früchte  üppiger 
Felder  verwüstet,  so  war  der  Tataren  Schwärm  schon  vom  ViTeiten 
zu  hören. 


110 

Flugs  treten  die  Ungarn  in  Scharen  za  hunderten  zusammen, 
flugs  treten  die  (regelmässig)  Bewafifoeten  (oruzeni)  zu  ihnen,  doch 
eitel  war  ihr  Mut,  ihre  Tapferkeit,  eitel  all  ihr  kühnes  Wider- 
stehen: in  dem  die  Tataren  gegen  die  Mitte  der  Reihen  hin  stür- 
men, zerstreuen  sie  alle  ihre  zahlreichen  Heere  und  verwüsteten 
alles,  was  im  Lande  war. 

Fünftes  Bild. 

Alle  Hoffnung  verlässt  die  Christen  und  es  war  ein  Elend 
grösser  jedes  (andern)  Elendes,  wehklagend  beteten  sie  gegen 
Gott  empor,  damit  er  sie  rdte  vor  diesen  böswilligen  Tataren: 
Stehe  auf  o  Herr  (hospodine!)  in  deinem  Zorne,  befreie  uns  von 
den  Räubern,  befreie  uns  von  ihnen,  die  uns  verfolgen,  sie  wollen 
unsere  Seele  erdrücken,  da  sie  uns  so  umzingeln,  wie  die  Wölfe 
die  Schafe. 

Die  er^ite  Schlacht  ist  für  uns  verloren,  verloren  auch  die  zweite. 
Sechstes  Bild. 

Die  Tataren  lagerten  schon  in  ganz  Polen,  näher  und  näher 
her  verwüsteten  sie  alle  Länder  und  drängten  sich  wild  zu  Olomüc 
(Olmtiz).  Ein  hartes  Elend  erhebt  sich  über  all  die  Landschaften, 
nichts  war  mehr  sicher  (frei)  vor  den  Heiden. 

Einen  Tag  wurde  gekämpft,  gekämpft  ward  auch  den  andern 
Tag:  der  Sieg  neigte  sich  nirgend  hin. 

Ajta!  der  Tataren  Menge  nimmt  zu,  wie  im  Herbste  das 
Abenddunkel  zunimmt.  Und  bei  dieser  Uiberschwemmung  (Flut) 
der  wilden  Tataren  bewegte  in  der  Mitte  sich  das  Heer  der 
Christen ,  nur  mit  Mühe  sich  durchdrängend,  zu  dem  Berge, 
worauf  die  Mutter  Gottes  Wunder  wirket. 

Hinauf  ihr  Brüder !  hinauf,  rufet  Vneslav,  schlägt  mit  seinem 
Schwerte  auf  sein  silbernes  Schild  und  schwingt  die  Fahne  hoch 
über  seinem  Kopfe.  Alles  ermannt  sich,  alles  drängt  gegen  die 
Tataren,  indem  sie  sich  zu  einer  starken  Macht  vereinten.  Als 
solche  brachen  sie  wie  ein  Feuer  aus  der  Erde  dort  gegen  den 
Berg  aus  den  Tatarenmassen  heraus.  Gegen  die  Höhe  über  den 
Bergabhang  schreiten  sie  rücklings,  am  Bergabhange  oben  (pod 
chlumi)  traten  sie  der  Breite  nach  auseinander,  unterhalb  ver- 
engten sie  sich  zu  einer  scharfen  Spitze,  deckten  sich  rechts  und 
links  mit  Schildern,  die  Speere,  scharf  gespitzt,  legten  die  zweiten 
den  ersten  auf  die  Schultern,  so  wie  die  dritten  den  zweiten; 
worauf  ganze  Wolken  von  Geschossen  hernieder  fielen  auf  die 
Tataren. 

Indes  bedeckte  die  dunkle  Nacht  die  ganze  Erde,  sie  ver- 
breitet sich  zur  Erde,  so  wie   zu  den  Wolken  und  trennet  die  ge- 


111 

gen  einander  erglühten  Blicke  sowol  der  Christen  als  der  Tata- 
ren. In  dichter  Finsterniss  werfen  die  Christen  Wälle  auf,  Wälle 
die  gegraben  waren  rings  um  den  Berg.  Als  im  Osten  ücht  zu 
werden  begann,  erhob  sich  das  ganze  Lager  der  Mörder.  Dies 
Lager  war  furchtbar:  Rings  um  den  Hügel  bis  zur  unsichtbaren 
Ferne.  Dort  schwärmten  sie  auf  raschen  Pferden  und  trugen  auf- 
gespiesste  Christen-Köpfe  hoch  zum  Zelte  des  Cham.  Da  drängt 
sich  eine  Menge  zu  einer  Kraft  zusammen,  alle  zielen  gegen  eine 
Seite  hin  und  stürmen  den  Hügel  hinauf  auf  die  Höhe,  und  schrien 
auf  mit  einem  schrecklichen  Schrei,  so  dass  es  in  den  Bergen 
und  Tälern  wiederhallte. 

Die  Christen  stunden  ringsum  auf  den  Wällen,  die  Mutter 
Gottes  mehrte  ihren  Mut,  stramme  Bogen  spannten  sie  behende 
und  schwenkten  kräftig  mit  scharfen  Schwertern  so,  dass  die  Ta- 
taren zurück  weichen  mussten.  Darob  ergrimmt  das  Volk  der 
wilden  Tataren,  der  Cham  erglüht  vor  wildem  Zorne:  in  drei 
Ströme  teilt  sich  das  ganze  Lager  und  alle  drei  Ströme  richten 
sich  wild  gegen  den  Hügel.  Zwanzig  Bäume  fällten  die  Christen, 
alle  zwanzig,  die  da  gestanden,  wälzten  sie  an  den  Rand  der  Wälle. 

Schon,  schon  stürmen  die  Tartaren  gegen  die  Wälle  furcht- 
bar gegen  den  Himmel  schreiend  und  brüllend,  schon  begannen 
sie  die  Wälle  zu  zerstören:  als  von  den  Wällen,  die  mächtigen 
Baumstämme  herabgerollt  wurden  und  die  Tartar^n  gleich  Wür- 
mern zerdrückten,  ja  noch  ferne  auf  der  Ebene  sie  niederwarfen. 
Lange  ward  so  und  hart  gekämpft  bis  wieder  der  Nacht  Dunkel 
dem  Kampfe  ein  Ziel  setzte. 

Siebentes  Bild. 

0  Gott!  aj!  da  sehet!  der  ruhmvolle  Vneslav,  der  ruhmvolle 
Vneslav  stürzt  getroffen  vom  Pfeile  von  den  Wällen :  wilder  Schmerz 
zerwühlt  das  bange  Herz.  Ein  peinlicher  Durst  trocknet  schmerz- 
haft alles  innere  aus:  bei  heisser  Kehle  labt  man  sich  mit  betau- 
tem Grase.  Der  stille  Abend  übergeht  in  eine  kühle  Nacht,  die 
Nacht  wandelt  sich  zum  grauen  Morgen,  auch  im  Lager  der  Tata- 
ren war  es  noch  ruhig.  Gegen  Mittas:  wird  es  immer  heisser,  vor 
peinigendem  Durste  fielen  Christen  nieder,  öffneten  ihren  ausge- 
trockneten Mund  und  sangen  heiser  zu  der  Gottesmutter,  zu  der 
sie  auch  ihre  matten  Augen  richteten,  klagend  ihre  Arme  gegen 
den  Himmel  streckend,  auch  ängstlich  von  der  Erde  gegen  die 
Wolken  blickend. 

„Unmöglich  ist  es  uns  länger  in  diesem  Durste  auszuhalten, 
unmöglich  vor  Durst  zu  kämpfen :  wem  Gesundheit,  wem  das  liebe 
Leben  wert  ist,  der  erflehe  Gnade  bei  den  Tataren!" 

So  sprachen  schon  die  einen,  die  anderen  aber:  „Peinlicher  sei 
es  durch  Durst   zu  Grunde  zu  geben,  als  durch  das  Schwert:   in 


112 

der  Sclaverei  werde  es  wenigstens  genug  Wasser  geben."  „Mir 
nach,  der  so  gesinnt !"  ruft  VestoTi,  „mir  nach  der  unter  euch  von 
Durst  gequält  wird." 

Da  springt  Vratislav  wie  ein  junger  Auer  herbei,  ergreift  den 
Vestoii  bei  der  starken  Schulter  und  spricht:  „Du  Verräter,  du 
ewiger  Schandfleck  aller  Christen,  in  das  Verderben  willst  du  wer- 
fen die  tüchtigen  Leute?  Von  Gott  Gnade  zu  erflehen  ist  wol  löb- 
lich, nicht  aber  Gnade  in  der  Gefangenschaft  der  wilden  Tataren. 
Wollt  doch  nicht,  ihr  Brüder!  hineilen  in  euer  Verderben.  Die 
wildeste  Schwüle  haben  wir  schon  überstanden,  Gott  hat  uns  ja 
gestärkt  im  erhitzten  Mittage,  Gott  wird  uns  auch,  wie  wir  hofi'en, 
noch  Hülfe  senden.  Ihr  Männer  schämt  euch  solcher  Reden,  wenn 
ihr  ja  Helden  noch  genannt  sein  wollet.  Gehen  wir  vor  Durst 
hier  am  Hügel  zu  Grunde,  so  ist  unser  Tod  hier  von  Gott  bestimmt, 
ergeben  wir  uns  jedoch  den  Schwertern  unserer  Feinde,  dann 
verübten  wir  selbst  den  Mord  an  uns.  Sclaverei  ist  ein  Gräuel  vor 
dem  Herrn,  Sünde  ist  es,  willkürlich  den  Nacken  der  Gefangenschaft 
zu  bieten.  Folget  mir,  ihr  Männer!  die  so  gesinnt  sind,  folgt  mir 
hin  zum  Throne  der  Gottesmutter." 

Eine  Menge  geht  hinter  ihm  zur  heiligen  Kapelle.  „Steh  auf! 
0  Herr  in  deinem  Zorne  und  eri-öhe  uns  in  diesen  Ländern  über 
die  Mörder,  ei^iöre  unsere  Stimmen,  die  zu  dir  flehen:  umzingelt 
sind  wir  von  den  wildem  Mördern,  errette  uns  aus  den  Schlingen 
der  grausamen  Tataren  und  verleihe  Labung  uuserm  Innern :  dann 
widmen  wir  dir  ein  Ruhmverbreiteud  Opfer!  Schlage  nieder  die 
Feinde  in  unseren  Ländern,  vertilge  sie  auf  ewig  ewige  Zeiten. !" 

Aj,  sieh  !  da  zeigt  sich  auf  dem  heissen  Himmel  ein  Gewölke, 
die  Winde  sausen,  ein  schreckbarer  Donner  ertönet,  Gewitterwolken 
überziehen  schwarz  den  ganzen  Himmel,  Blitze  schlagen  Schlag 
auf  Schlag  hin  in  die  Zelte  der  Tataren:  ein  reicher  Wolkenbruch 
belebt  neu  die  Hügelquelle. 

Acutes  Bild. 

Die  Gewitter  sind  vorüber.  Die  Heere  eilen  zu  den  Reihen, 
aus  allen  Ländern  aus  allen  Gegenden  des  Landes  wehen  gegen 
Olomüc  hin  ihre  Fahnen. 

Schwere  Schwerter  hängen  ihnen  an  der  Seite,  volle  Köcher 
rasseln  auf  den  Schultern,  glänzende  Helme  haben  sie  auf  ihren 
mutigen  Kfipfen  und  unter  ihnen  springen  rasche  Pferde.  Ausge- 
tönt hatten  schon  die  Töne  der  Waldhörner,  die  Laute  der  lauten 
Trommeln  hörten  bereits  auf  geschlagen  zu  werden,  als  auf  einmal 
beide  Seiten  auf  einander  stiessen.  Vom  Staube  erhebt  sich  schon 
eine  ganze  Wolke  und  zuletzt  entstund  ein  grausamer  Kampf.  Ein 
Getöse  und  Gerassel  bilden   die  scharfen  Schwerter,  ein  Gezische 


113 

furchtbar  anzuhören,  briug-en  die  geschärften  Pfeile  hervor,  ein 
Gelärme  aber  das  Brechen  der  Speere  und  der  scharfen  Lanzen. 
Da  gab's  des  Stechens,  da  gab's  des  Hauens,  da  gab's  des  Stöhnens, 
da  gab's  des  Frohlockens  (sie).  Bhit  wälzt  sich  fort  wie  Regen- 
güsse, Leichen  gab  es,  wie  im  Walde  Stämme.  Dem  ward  der 
Kopf  entzwei  gespalten,  jenem  beide  Hände  abgehauen,  dieser 
wälzet  sich  über  den  andern  von  dem  Rosse  herab,  wäreud  dieser 
so  wütend  seine  Mörder  zerhauet,  wie  der  wilde  Sturm  die  Felseu- 
stämme:  doch  diesem  wird  ins  Heiz  das  Schwert  bis  an  den  Grriff 
geboret,  aber  auch  diesem  haut  der  Tatare  das  Ohr  rein  weg. 
Ah!  das  war  ein  Schrein,  das  war  ein  kläglich  Stöhnen!  denn 
schon  begannen  die  Christen  zu  fliehen  und  die  Tataren  sie  im 
wilden  Schwalle  zu  verfolgen. 

Neuiiles  Bild. 

Ajta!  da  fliegt  Jaroslav  wie  ein  Adler  herbei,  harter  Stahl 
deckt  seine  mächtige  Brust,  unter  dem  Stahle  ist  Mut,  ist  Tapfer- 
keit, unter  dem  schönen  Helme  eine  gar  scharfsinnige  Einsicht 
und  Jugendmut  entflammt  den  glühenden  BKcken.  Erregt  jagt  er 
wie  ein  gereizter  Löwe,  wenn  es  ihm  zufiel,  warmes  Blut  zu  er- 
blicken, als  ihn  der  Jäger  anschoss,  hinter  diesem  jagt,  so  erzürnt 
war  er,  so  stösst  er  gegen  die  Tartaren  hin.  Die  Böhmen  (Cesie) 
sind  hinter  ihm  wie  ein  Hagelwetter.  Jaroslav  stosst  wild  gegen 
den  Sohn  des  Kublaj  und  ein  äusserst  wilder  Kampf  entspinnt 
sich  nun.  Mit  Speeren  stiessen  beide  gegen  einander,  beide  zer- 
brachen di3se  mit  grossem  Gekrache.  Jaroslav  schon  ganz,  sammt 
dem  Rosse,  blutbesprengt,  erreicht  mit  dem  Schwerte  den  Kublaj- 
Sohn  und  hieb  ihn  oben  von  dem  Arme  bis  zu  Weiche  quer  durch, 
so  dass  er  entseelt  unter  die  Leichen  fällt.  Ober  ihm  rasselte  der 
Köcher  mit  dem  Bogen.  Da  erschrack  das  gesammte  Volk  der 
wilden  Tataren,  warf  von  sich  die  klafterlangen  Schafte  und  ent- 
floh, wer  überhaupt  noch  fliehen  konnte,  dorthin,  woher  die  Sonne 
hell  (iasno)  aufgehet.  So  ward  die  Hana  frei  von  den  mörderi- 
schen Tataren. 

Anmerkungen.  Schon  oben  wurde  bemerkt,  dass  historische  Untersu- 
chungen über  den  Inhalt  dieses  Gedichtes  zum  Teile  Wahrheit  zum  Teile  aber 
nur  Dichtung  nachgewiesen  haben.  Palacky,  döjiny  I.  2.  176.  Nebesky', 
Musejiiik,  ]85•^.  III.  S.  161.  1853.  S.  370.  Svetozor.  18.58  Nr.  17.  S  129. 
Palacky,  Mongoleneinfall  S  405  Musejn.  1842  S.  23).  Wir  setzten  dies 
Gedicht  als  das  letzte  in  der  Reihe  der  anderen,  weil  es  uns  bedünken 
will,  es  habe  im  ganzen  schon  eine  Form,  die  mehr  Nachahmung  romanischer 
oder  deutscher  Formen  ist,  als  ein  rein  einheimisches  Formgebilde.  Das  ist 
nun  zum  Teile  auch  bei  dem  Gedichte  „die  Zweikämpfe"  (siedanie)  der  Fall, 
allein  noch  nicht  in  dem  Grade,  wie  hier,  wo  manches  schon  an  die  Bänkel- 
sängerei  erinnert.  Die  Verszeilen  sind,  wenn  man  hie  und  da  nachhilft,  zehn- 
sylbig.  Im  einzelnen  lässt  sich  jedoch  noch  genug  altertümliches  und  schönes 
darin  vorfinden.  Wenn  es  wahr  ist,  dass  einerseits  Kublaj  ein  eigener  Name, 
Bohin  ausschliesslich  persönlich  und  nicht  als  appellativum   der   Name   einer 


114 

Würde  ist,  andererseits  aber,  dass  Chan  Kublaj  bis  zum  J.  1294  lebte:  dann 
wäre  dies  Gedicht  mit  Sicherheit  erst  in  dem  letzten  Jahrzehende  des  13. 
Jahrhunderts  verfertigt  worden,  sohin  auch  nach  dieser  Begründung  das  letzte 
der  uns  erhaltenen  Fragmente.  In  der  Sammlung  jäerselben  steht  es  aber 
sonderbarer  Weise  zwischen  Benes^  Hefmanov  und  Cestmir,  jedoch  so,  dass 
Jaroslav  das  26.  Kapitel  schloss,  Cestmir  aber  das  27.  Kapitel  begann:  ob 
durch  Zufall,  oder  regelmässige  Berechnung,  ist  schwer  zu  sagen. 

Die  cumulative  Anführung  der  carodeji,  hädaci,  hvezdäfi,  ki'izelnici 
im  Verse  -18.  49.  beweiset,  dass  der  Dichter  nur  dunkle  Kunde  haben  musste 
von  den  Zaubervorhersagungen  der  Tataren,  denn  er  nennt  fast  alle  Arten 
der  heimischen  AVahrsager,  so  dass  es  den  Anschein  hat,  als  wolle  er,  man 
möge  sich  daraus  diejenigen  auswählen,  welche  von  ihnen  den  ihm  unbekann- 
ten tatarischen  Zauberern  am  ähnlichsten  gewesen  sind.  So  k;uin  auch  die 
Teilung  des  Schilferohres  in  2  Teile  eine  Art  einheimischer  Loswerfung  ge- 
wesen sein.  Bemerkenswert  ist  auch,  dass  die  Betenden  sowol  das  erstemal 
V.  108  als  das  zweitemal  V.  222,  als  sie  schon  in  der  Mariencapelle  sind  und 
zur  Mutter  Gottes  sich  wenden,  nur  mit  den  Worten  des  Psalters  und  nur 
zu  Gott  (hospodine!)  beten.  Y.  189  steht  freilich  ausdrücklich  pevse  chra- 
pave  k  raatefi  hoziej  zur  Mutter  Gottes,  nicht  aber  luas  sie  beteten.  Das 
Wort  hospodin  ist  im  böhmischen  noch  ein  Rest  der  alten  slavischen  Liturgie. 
Auch  Vratislav  (V.  206;  sagt:  von  Gott  Gnade  zu  erwarten  ist  löblich.  D^r 
Mariencultus  war  sohin  in  der  Liturgie  noch  nicht  sehr  hervorgehoben.  Nicht 
weit  von  Olmüz  ist  wie  gesagt  auch  ein  Marienberg,  svaty  kopecek,  hMliger 
Hügel  genannt,  den  der  Dichter  wol  mit  Hostajnov  mengte,  denn  dieser  ist 
nahe  und  nicht  hoch,  wie  schon  das  Wort  kopecek  Hügelchen  andeutet.  Der 
Berg  Hostajnov  nun  Hostyn  genannt,  der  im  V.  6.  ein  ,, nichthoher  Berg,"^ 
im  Texte  nur  Chlum  d.  i.  Höhe,  Anhöhe,  genannt  wird,  ist  2317  Fuss  hoch. 
Er  ist  ebenso  mythenvoich.,  wie  der  Rad-/)os-^  in  Mähren.  Die  Marienkapelle 
am  Hostyn  ist  wol  an  die  Stelle  eines  heidnischen  Heiligtums  der  Deva  ge- 
setzt worden,  worauf  auch  noch  die  Quelle,  der  Bach  am  Berge  zeigt,  dem 
das  Landvolk  noch  jetzt  Heilkraft  zuschreibt.  Auch  das  Gedicht  erwähnt 
noch  seiner  im  V.  230.  und  der  üppige  Regenguss  lässt  wieder  die  „Hügel- 
quelle'' aufleben.  Das  Wunder,  das  nach  dem  Gebete  entstehet,  passt  ganz 
zur  altertümlichen  Deva,  der  Tochter  des  Donnerers:  die  späteren  christlichen 
Marienwund'  r  sind  sanfterer,  innerer,  geistiger  Art.  Historisch  mag  der  Kampf 
um  Hostyn  nur  eine  Parcelle  d*  s  ganzen  Siegeskampfes  gewesen  sein,  den 
der  Dichter  hier  unrichtig  concentrirte  Altertümlich  ist  die  Trennung  von 
Hrom  und  Blesk,  Donner  und  Blitz,  ja  die  Voranstellung  und  Selbstständig- 
machung  des  Hrom.  In  den  Mytüen  wird  ia  der  Tat  der  Hrom  dem  Blitze 
vorangestellt  und  der  Gewittergott  heisst  vorzugsweise  Hromnik,  Donner- 
gott. Denn  die  mythischen  Momente  des  Gewitters  sind  1;  die  bewtgte  Luft, 
2)  die  Auftürmung  von  Gewitterwolken,  3)  der  Donner,  4)  die  Blitze,  5)  der 
Regenguss.  —  Das  Bild  von  dem  ergrimmten  Löiren  (V.  271.)  weiset  noch 
an  die  Rückerinnerungen,  teils  Erfahrungen,  teils  Sagen,  der  ehemaligen 
Krenzzüge. 

So  ist  das  Gedicht  wirklich  ähnlich  dem  Janusgesichte :  es  sieht  gegen 
das  Heidentum  nach  der  einen  Seite  und  gegen  das  Christentum  nach  der 
andern  Seite  hin :  es  ist  der  Absclduss  der  alt-höhm.  Poesie  und  zugleich  der 
AufscIUuss  der  cliristlich-böhvuschen  Poesie  oder  mit  anderen  Worten:  es 
ist  der  Wendepunkt  zwischen  heidnischem  und  christlichem  Schrifttume. 


Inhalts  -  Uibersicht. 


Seite 

1.  Kannten  die  böhmisch- slovenischen  Volksstämme  im  Heidentume 
eine  eigene  Lautschrift 5 

2.  Diese  Stämme  kannten    im  Heidentume  nur  Bilderschriften     .  8 

3.  Sprachliche   Belege    für    das    Dasein  solcher   vereinzelnter  und 
Gruppen-Bilder 11 

4.  Alte  Ausdrücke,  die  sich  auf  die  Begriffe,  Zeichen  und  Schrei- 
ben beziehen 13 

5.  Deutsche  und  slavische  Runen 16 

6    Die  glagolische  Schrift  in  Böhmen  und  Mähren     .      .      .      .  17 

7.  Die  lateinische  Schrift  in  Böhmen   und  Mähren     .      .      .      .  19 

8.  Die   Glagolica    verbreitet    sich   von  Pannonien    nach   den  süd- 
slavischen  Ländern  und  von  Grossmähren  nach  Böhmen      .      .  21 

9.  Die  Kyrilica  in  Böhmen  und  Mähren 22 

10.  Das    Altkirchenslavische    in    lateinischer    Schrift    in    Böhmen, 
Mähren  u.  s.  w 24 

1 1 .  Glagolica  und  Kyrilica  neben  lateinischer  Schrift  in  Böhmen, 
Mähren  u.  s.  w 26 

12.  Text  du  Sacre  oder  das  slavische  Evangelium  zu  Rheims  .      .  28 

13.  Die  lateinische  Schrift   im  Dienste   des  weltlichen  Böhmens      .  30 

14.  Die  lateinische  Schrift  im  Dienste  der  heidnisch-böhm.  hiteratur  35 

15.  Heidnischer  Fortbestand  des  christianisirten  Böhmens    ...  37 

16.  Aeussere  Vorgänge  bei  dev  Aufßndung  der  Grünb.  Handschrift  39 

17.  Aeussere  Beschaffenheit  der   Grünberger  Fragmente  nach  Per- 
gamen  und  Schrift 41 

18.  Uiber  das  Zeitalter    der    JEJntstehung    der   Gr.  Handschrift     .  44 

19.  Inhalt  der  Gr.  Fragmente  im  Ganzen 47 

20.  Einzelnerklärungen  zu  den  Fragmenten  der  Gr.  H.     .      .      .49 

21.  Angriffe  der  Echtheit  der  Gr.  H 55 

22.  Literatur  über  die  Gr.  H,    und  die  Königinhofer  Handschrift  55 

23.  Aeussere  Geschichte,  und  Beschreibung  der  K.  H 67 

24.  Uiber  das   Wesen  und  die  innere  Einrichtung  der  K.  Sammlung  71 


Seite 

25.  Heidnisches  und  Christliches  in  der  K.  H 76 

26.  Von  den  einzelnen  Gedichten  der  K.  H 7  9 

a)  Zäboj  und  Slavoj 80 

h)  Cestmir  und  Vlaslav 86 

c)  Der  Hirsch  und  der  Jüngling 9J 

d    Der  Tauber  und  der  Jüngling 93 

e    Oldfich  und  Jaromir 96 

/)  Benes  Hefmanov 97 

g)  Lubor  und  Ludise 100 

/()  Das  Mädchen  und  der  Gukuck 103 

i)   Der  Jüngling  und  das  Mcädchen 104 

h)  Die  Eose  und  das  Mädchen 105 

l)  Der  Blumenstrauss  und  das  Mädchen 105 

m)Das  Mädch'^n  und  die  Miletiner  Wälder 106 

n)  Das  Mädchen  und  die  Lerche 107 

o)  Jaroslav 108 


Druck  von  Dr.  Fr.  Skrejäovsk^. 


Hanus,  Ignac  Jan 

Das  Schriftwesen  und 
Schrifttum 


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