Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at |http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen.
Ml
10 6Ö6 260
;2'zr<s.^^/
fTTTTTT
FrOM THE INCOME
OFTHEBEQUESTOF
LEEM.
FRIEDMAN '93
I Harvard College
I^Sy Library
Das S
TUDIUM
DEI^
Hebräischen Sprache.
Das S
TUDIUM
OEI^
Hebräischen Sprache.
Das Studium
Hebräischen Spräche
IN
p
EUTSCHLAND
VOM Ende des xy. bis zurMitte des xyi. Jahrhunderts.
yoN
Ludwig Geigei\.
Breslau 1870.
Schlettei^sche Buchhandlung
Jl. pKUTSCH.
Das Studium
Hebräischen Spräche
IN
p
EUTSCHLAND
VOM Ende des xv. bis zurMitte des xvi. Jahrhunderts.
yoN
Ludwig Geigei\.
■«••>-
Breslau 1870.
SCHLETTEI^SCHE BUCHHANDLUNG
ji. pKUTSCH.
Ik
2}.9'ti. 3,01
Inhalt.
Seite.
Vorbemerkung VII
1. Verhältniss des hebräischen Sprachstudiums zu der geistigen und
religiösen Bewegung der Zeit 1
2. Die Vorgänger Reuchlin's 18
3. Johannes Reuchlin 23
4. Johannes Böschenstein und Matthäus Adrianus 41
5. Die Schüler des Elias Levita. ~ Sebastian Münster und Paul Fagius 55
6. Die Universitäten 89
7. Die Schulen 123
8. Schluss 129
Nachträge 132
Vorbemerkung.
Üine Geschichte der wissenschaftlichen Ausbildung der
hebräischen Sprache, ihrer Grundzäge, ihrer Regeln, will ich
nicht geben. Dazu ist der Stoff zu gering, zu wenig Originales,
das geschaffen wurde, fast nur häufiges Betreten des einmal ein-
geschlagenen Weges, ohne rechte Entwickelung und Veränderung.
Das ist auch nicht, was eine Betrachtung der allmählichen Aus-
breitung hebräischer Sprachkenntniss in Deutschland so überaus
interessant und lehrreich macht ; was das Interesse weckt, das ist
vielmehr der enge Zusammenhang, in dem das Studium der
hebräischen Sprache mit den geistigen Richtungen der Zeit, mit
Humanismus und Reformation, steht.
Dass ich mich nicht mit einer Aufzählung der Männer be-
gnügt habe, die sich in dieser Beziehung ausgezeichnet haben,
sondern über ihr Leben Manches, bald mehr, bald weniger, mit-
getheilt habe, wird, wie ich hoffe, keiner Entschuldigung bedürfen.
Zarncke sagt einmal (Einleitung zu Sebastian Brants Narren-
schiflf p. IX. A. 1) in Betreff einzelner Humanisten, dass „ihre
Lebensschicksale gleichsam eine Verkörperung ihrer geistigen
Thätigkeit sind*'; dasselbe gilt auch von einem Theile der
Männer, deren Studium auf eine Erforschung und Verbreitung der
hebräischen Sprache gerichtet war. Aber von dem Fehler,
jedes Mannes, von dessen Leistungen zu reden ist, Leben und
Schicksale zu erzählen, so wenig sie auch mit dessen wissenschaft-
licher Thätigkeit in Zusammenhang stehen, hoffe ich mich frei-
gehalten zu haben.
VIII Vorbemerkung.
Die Betrachtung erstreckt sich nur bis zu Ende des soge-
nannten Eeformationszeitalters, ohne enge Festsetzung von Grenz-
jahren; die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ist von der ersten
völlig abhängig. Von Bedeutung wird die Zeit erst dann, wenn
am Ende des 16. und Anfang des 17. der ältere Buxtorf eine
neue Aera hervorruft.
Zum grossen Theil ist die Arbeit in Paris entstanden. Was
die Schätze, auch die handschriftlichen, der dortigen kaiserlichen
Bibliothek boten, habe ich eingesehen. Von deutschen Bibliotheken
habe ich die hiesige, die Darmstädter, Heidelberger, Bonner und
Göttinger, Einiges aus der Münchener und BöcMngs Sammlung
in Bonn benutzt. Das daraus Gewonnene schien mir hinreichend,
um ein Bild zu geben. Schriften, die ich nicht selbst gesehen,
habe ich meist nur dann anführen zu müssen geglaubt, wenn
ich Kenntniss von ihnen aus Büchern schöpfen konnte, in denen
auch der Inhalt besprochen wurde, oder sie in zeitgenössischen
Schriften, wie Neanders Erotemata u. A., angeführt fand. Denn
bibliographische Verzeichnisse wollte ich nicht liefern.
üebrigens kann ich auch für diesen Theil der Arbeit auf die
Angaben von Steinschneider im Catalogus librorum hebraeorum
in bibliotheca Bodlejana, Berolini 1852 — 1860, verweisen. Von
Werth wäre es für mich gewesen, wenn mir dessen Schrift: Biblio-
graphisches Handbuch über theoretische und praktische Literatur
für hebräische Sprachkunde, Leipzig 1859, die Recension über die-
selbe von Gildemeister in der Zeitschrift der deutsch -morgen-
ländischen GeseUschaft, Bd. XIV, Leipzig 1860, S. 297—308,
und Steinschneiders 'n^?]Dn. Hebräische Bibliographie. Blätter
für neuere und ältere Literatur des Judenthums, 8 Bde., Berlin 1858
bis 1865, früher bekannt geworden wäre, als nachdem meine Arbeit
abgeschlossen und zum grössten Theil gedruckt war. So konnte
daraus nur Einiges in den Nachträgen berichtigt und ergänzt werden.
Frankfurt a. M., 21.Novbr. 1869.
Der Verfasser.
I.
Verhäitniss des hebräischen Sprachstudiums zu der
geistiglbn und religiösen Bewegung der Zeit.
Man nenrt nicht mit Unrecht die Zeit des ausgehenden
ISl^und des beginnenden 16. Jahrhunderts die Periode der
Wiederbelebung der Wissenschaften. Aus langem Schlafe
wurde mit den übrigen auch die hebräische Sprache wieder
ans Licht gezogen. Die Bttcher der Bibel, die in dieser Sprache
geschrieben waren und die auch die Kirche als heilige ver-
ehrte, waren bisher nur in der lateinischen Uebersetzung und
zwar auch nur den Geistlichen bekannt, denn den Laien waren
sie zu lesen verboten. Die Kenntniss der Sprache blieb bei
den Juden; sie, das ganze Mittelalter hindurch gedrückt und
gehetzt, gelangten in Deutschland nur zu geringer wissen-
schaftlichen Ausbildung und schriftstellerischen Thätigkeit in
derselben.
Die Christen begehrten ihre Unterweisung nicht. Die
Unwissenschaftlichkeit des Zeitalters, das in einem barbari-
schen Latein genügenden Behelf erblickte, war zu gross, um
Sehnsucht nach der „heiligen" Sprache zu erwecken ; dazu kam
der Hass gegen die Juden : man wollte von Denen, die man im
Leben verachtete, auch wissenschaftlich keine Förderung er-
fahren. Man brauchte das ganze Mittelalter hindurch — in
Deutschland freilich am wenigsten, da besass man andere,
wirksamere Mittel, mehr in Frankreich, Italien, Spanien —
das Hebräische meistens zur Bekehrung der Juden. Da wur-
den Disputationen veranstaltet, auf der einen Seite die Juden,
die ängstlich jedes Wort ihrer Schriften zu vertheidigen ent-
Geiger, Stadium. 1
J Verhältniss des hebräischen Sprachstadinms
schlössen waren, trot^ Kerkerqualen und Scheiterhaufen, auf
der anderen Uebergetretene, die ihre im Schosse des Juden-
thums gewonnene Kenntniss der Sprache zum Angriff gegen
ihre früheren Glaubensgenossen verwertheten. Lernte je ein
Christ Hebräisch, so geschah es durch Vermittelung, mit Hülfe
solcher getauften Juden, ohne dass es wirklich einer zu tieferer
und genauerer Kenntniss gebracht hätte.
Jeder, der die Geschichte des 15. und 16. Jahrhunderts
kennt, weiss, dass trotz allen freien Sinnes, der hier erwachte
und gepflegt wurde, der Hass gegen das Judenthum noch zu
den Dingen gehörte, die man als Erbe des Mittelalters über-
kommen hatte. Aber ^nes war gescljjninden : die ün-
wissenschaftlichkeit. Wie befreit ausFess4b und Banden
stürzte man sich auf Alles, was man erhaschen konnte, jede
Wissenschaft wurde gepflegt, jede Kwpt geüb%i|}ede Sprache
gelernt. Eine gewaltige Reaction traj; fast in allen Dii^en
hervor, so auch hier. Mit Eifer und Ernst wurde die hebräi-
sche Sprache betrieben, ihre Denkmale erforscht, hier glaubte
man nun den Quell aller Offenbarung gefunden zu haben.
Die lateinische Sprache war die gelehrte Umgangssprache,
sie musste Jeder kennen, der auf wissenschaftliche Bildung
Anspruch machen wollte; am Anfange der. Periode, die uns
hier beschäftigt , war das Griechische liidlu gekommen —
man bezeichnete sie kurzweg mit sjitraque lingua; jetzt war
das Studium des Hebräischen mit in die Reihe aufgenommen
worden, trium linguarum peritus zu sein, galt als ehrende
Bezeichnung, die gern Jeder sich* erwarb. Man hatte am Ende
des 15. Jahrhunderts angefangen auch in den Schulen Grie-
chisch zu lehren, jetzt trat das Hebräische als Unterrichts-
Gegenstand hinzu; collegia trilinguia gehörten nun zu den be-
liebten Einrichtungen: iclH^rinif&re nur an das CoUegium
Buslidianum, um das sich Erasmus viel Mühe gabO«
Und nun wurde es auch auf den Universitäten aufge-
nommen. Als Petrus Mosellanus 1518 in Leipzig Griechisch
zu lehren anfing, da ermahnte er in dem Schreiben, mit dem
er seine EröflSuungsrede dem Herzog Georg von Sachsen zu-
schickte: nun möge er auch, nachdem er fiir andere Lehrer
f'«
1) Näher darauf wird bei Matthäus Adrianus einzugehen sein.
ZQ der geistii^en and religi&sen Bewe^ping der Zeit. 3
gesorgt, einen senden, der das Hebräische, die heilige Sprache,
lehren könne, damit Niemand etwas vermisse, was
zu einer wohl eingerichteten Universität gehöre*);
und im Verlaufe der Rede meint er, es gebe keine wissen-
schaftliche Beschäftigung, die nicht aus der Kenntniss der
Sprachen, namentlich des Griechischen und Hebräischen, För-
derung erhalte, ja jede bleibe mangelhaft und dunkel, wenn
eine von diesen fehle ^). Man kann sagen, die Verehrung
steigerte sich mit jedem Tage. Seinen Jüngern flösste der
Meister — wem ist es nicht bekannt, dass dies Reuchlin war?
— immer mehr Fleiss zur Erlernung der Sprache und mit der
Erlernung imni^r griüsere Hochachtung und Liebe ein.
Es sei erlAibt ein Beispiel zu bringen. Georg Wicel —
als eifriger Gegner Luthers bekannt — hoffte L^>32 etwa als
Professor derwbräisclMn Sprache nach Erfurt berufen zu
werabn. Er hatte eina,^ede bereits ausgearbeitet „zum Lobe
der hebräischen Sprache" ^da der Ruf nicht an ihn kam , so
gab er die Rede im Druck heraus ^). Die hebräische Sprache
1) 1. Aug. 1518 De variarum linguarum cognitione (über die Rede selbst
vgl. Schmidt: Petrus Mosellanus Leipzjg 1867, S. 30 flf.) Postrcmo cum ex Cle-
mentina sanctione didmtae|| in publicis scholis trium linguarum doctores foven-
dos, ne hic'tuae Academme quicquam deesset, iam in tertium annum utriusque
linguae professores et sumptu tuo foves, et autoritate tueris. Nee dubita-
mus, quin brevi, ubi per aliquam OMftsionem licuerit, et sanctae, hoc est
Hebraicae linguae magistrum tua celsitudo nobis sit procuratura, ut
posthac nemo quicquam, quod ad instructissimum gymnasium
attinet, sit hie desideraturus.
2) D 2 (Baseler Ausgabe 1519 p. 27) nuUam esse literariam professio-
nem, quae non cum ex aliarum linguarum, tum vero maxime Graecae et
Hebraicae cognitione lucem accipiat, tum nullam disciplinam non fore man-
cam et tenebrosam, si altera haruij^desit. „Mi will nicht verschweigen, dass
Andere in diese Werthschatzung ^ namentlich in das Betonen der Noth-
wendigkeit dieser Kenntniss — nicht einstimmten. Rudolf Agrikola sagt
in dem Schriftchen De formando studio über die sacrae literae: quarum
cognitio magis ad omamentura animi nostri, honestamque voluptatem, quam
ad necessarium utique usum pertineat. Wicel in der gleich anzuführenden
Rede meint auch: partim ut quae non ita multum utilitatis afferat, partim
quae habeat plurimum dif ficultatis , nihil voluptatis aut gratiae. Das seien
die Gründe, quae abhorreant ab ea addiscenda. Aber er hält das freilich
für unrecht.
3) Oratio in laudem Hebraicae linguae. Autore Georgio Vicelio.
MDXXXIIII. 14 Bll. 80 (Aus der Münchener Bibl.) Widraungsbrief an
1*
4 Verh<niss des hebräuchen äpractLstudiums
— SO ist etwa der Grundgedanke — sei vor allen würdig
mit Eifer betrieben zu werden, von Moses leite sie ihren Ur-
sprung ab, Gott selber habe sie geredet, Christus und die
Apostel hätten sich ihrer bedient. Er wolle den classischen
Studien nicht zu nahe treten, aber der heiligen Sprache müss-
ten sie nachstehen. Ihre Kenntniss besitze Vortheile, kleine
und grosse, zum Kampf gegen die Ungläubigen, zur Stützung
des eigenen Glaubens, ja selbst zum Gebete')-
Kann es uns da wundern, wenn bei diesem nicht etwa
auf den einen Mann beschränkten, sondern fast unter dem
ganzen Kreis der Humanisten und Reformatoren verbreiteten
Enthusiasmus — von den bedeutenderen Gtelehrten in der ersten
Hälfte des 16. Jahrb. ist mir nur von Erasmus oekannt, dass
er fast oder gar kein Hebräisch verstand ^^ — auch eine
ßeaction sich zeigte, wenn sich ein Strebenr* kundgab,^ die
classischen Studien mehr in den Vordefgrund zu stellen, ihnen
Bernardus Gualtherus 20. März 1534: oratiojiem... quam Erphurdiae, si per
quoruhdum invidiam Eudimenta hebraica tradere licuisset, in Academia
ante sesquiannium amplius publice habiturus fueram.. tibi dono.
1) Um nicht die ganze Rede abzuschreiben, citire ich nur zwei Stellen :
Quo nam dialecto egressae sunt dei Hebraeorum dulcissimae promissiones,
blandissima solatia, iustissiraae minae, denique po||riMtissima quaequc vcrba
ad patres Hebraeos, nisi Hebraea ? . . . und : Mirum dictu est, quanto vehemen-
tius soletur atque veneretur precans hebraice, quam si quis graece aut latine
precetur. Vim vividara addunt tibi voces sacratissimae , adeoque sonus ille.
Als Beweis, dass diese Meinung nicht vereinzelt blieb, vielmehr fast ein
Jahrhundert noch fortwirkte, citire ich eine Stelle des Bartholomaeus Sche-
raeus in Itinerarium in Psalterium Davidis Hebraeum. Witeb. 1612. : Anti-
qua et prima omnium est lingua hebraea, est sancta et illabata, et statim
in paradiso, et postea extra cum in rudi et nondum habitato mundo sonare
coepit, et vult accurate excoli ac conservari in vitam aetemam usque.
2) De Hebraicis literis nij||il arrogo mihi, quas primoribus dumtaxat
gustavi labris. Erasmus an Reuchlin m: Epistolae illustrium virorum ad
Reuchlinum. Hagenoae 1519 s 3b. Den Grund, warum er es nicht gelernt
habe, gibt er an: Coeperam et Hebraica attingere, verum peregrinitate ser-
monis deterritus, simul quod nee aetas, nee ingenium hominis pluribus rebus
pariter sufficit, destiti. Angeführt bei Hess: Erasmus von Rotterdam I.
S. 107 Anm. * Vgl. auch Raumer: Geschichte der Pädagogik I, S. 95. Was
andere bedeutende Humanisten anbetrifft, so überschreibt z. B. Thomas Vena-
torius ein Gedicht an Pirckheimer : Bilibaldo Pirckheimer, Hebraeae, Graecae
ac Latinae linguae viro eruditissimo(Bilib.Pirckh. Opp. ed. Goldast Francof. 1610
p. 46); Mutian lässt sich von Heinrich ürban Reuchlins hebräische Grammatik
kaufen (Manuscript der Mutian'schen Briefe in der Frankf. Stadtbibl. Fol. 20 a).
ZQ der geiittigen und reMgiSuen Bewegung der Zeit. 5
den Platz wieder zu erringen, den sie wenige Jahrzehnte vor-
her eingenommen hatten? Da ist eine bezeichnende Aensse-
rong, die in klagendem Ton Heinrich Loriti Glareanua an
Pirckheimer schreibt: wie die Kenntniss der griechischen
Sprache wieder hergestellt werden könnte, das sehe er nicht ;
schreien ja die Leute, Griechisch und Lateinisch zu studiren,
sei nicht nothwendig, es sei genug, wenn man Hebräisch verstehe
and Deutsch'); da beschwert sich Erasmus bei Melanchton,
dass man öffentlich zu Strassburg und an anderen Orten lehre,
man brauche jetzt keine Wissenschaften und keine Sprachen
mehr zu lernen mit alleiniger Ausnahme des Hebräischen^).
Das ist — wenn den Ausdruck zu gebrauchen gestattet
ist — die Klage des untergehenden Humanismus; die Refor-
mation war über ihn hinweggeschritten, in ihrem Gefolge hatte
das Studium des Hebräischen neue Pflege gefunden. Denn
neben der erwachenden Wissenschaftlichkeit war ein Haupt-
grund zum Studium der Sprache die theologische Rich-
tung der Zeit. Man ging auf die Bibel zurück, aus ihr nur
wollte man Belehrung schöpfen, nur aus ihr konnte eine'
Widerlegung der gegnerischen Ansichten gegeben werden.
Was Wunder, dass man nach der Ursprache verlangte, sie
bei Uebersetzungen in die Muttersprache zu Grunde legte.
Es hat schon vor Luther deutsche Bibeltibersetzungen ge-
geben, keine hatte die rechte Zeit und das rechte Wort so
zu treffen gewusst wie die seine. Allzubedeutend war Luthers
Kenntniss des Hebräischen freilich nicht, bei der Bibeltiber-
setzung bediente er sich derHtilfe des hebräischkundigen Johann
Forster, bei seinen Kommentaren musste ihm der jeweilige
Professor der hebräischen Sprache in Wittenberg zur Hand
gehen^). Aber an unzähligen Stellen seiner Schriften betont
er die Nothwendigkeit hebräischer Sprachkenntniss.
1) Pirckheimeri Opera ed. Goldast, Francofurti 1610, p. 314. Egout...
graecae linguae notitia restituatur , plane non video. Et tarnen hi magno
boatn clamitant non esse graece (sie) latinove studendnm, sat esse, si hebraice
ac germanice sciamus.
2) Angeführt bei Döllinger: Die Reformation (Regensburg 1846) I.
S. 437, Anm. 54.
3) Ein hebr. Buch, das ihm Amsdorf geschickt hatte, übergibt erAuro-
gallus: excedit enim vires meas, s. de Wette: Luthers Briefe II, S. 612, und
schreibt seinen Inhalt nach dessen Angabe a. a. 0. S. 625. Er sagt einmal selbst
6 Yerhältniss des hebräischen Sprachstadioms
Doch macht sieb ein Umstand sehen hier bemerklieh.
Dem Theologen war die Spraehkenntniss nicht mehr die
Hauptsache. Er brauchte sie nur als Mittel, um mit ihr aus-
gerüstet die Bibel verstehen, zu seinen Zwecken benutzen zu
können. Da war ihm denn bedenklich, dass, um die Bibel
recht begreifen zu können, man sich nicht auf den Urtext be-
schränken konnte, sondern die jüdischen Commentatoren, die
Rabbinen, zum Studium mit herbeiziehen musste. Den Sab-
binen ist nicht zu trauen, das ist ein Satz, der sich durch
alle seine Erklärungen hindurchzieht. Er meint, sie haben
die Schrift verdreht und gefälscht, um ihre Träumereien und
Einbildungen zu erweisen. Er warnt daher vor ihrem Ge-
brauch, ja er geht so weit, den Juden nur grammatische
Kenntniss zuzuschreiben und auch diese nur in beschränktem
Maasse^), Sacherklärung, Yerständniss des wahren Inhalts sei
bei ihnen nicht zu finden, „ so müssen wir's thun, die Christen
sind, als die den Verstand Christi haben, ohne wel-
chen auch die Kunst der Sprache nichts ist^y^ Schon
von sich : Denn ob ich mich ^ol for einen vollkommenen Hebräer nicht halte,
so düncket mich doch gantzlich etc. Walch: Lnthers Werke I, dOl. In
einem handschriftlichen Briefe Luthers an Capito (die Notiz verdanke ich der
gütigen Mittheilung des Herrn Notar Karsch in Hombach) prid. Cal. Maias
1520 schreibt Luther, dass er mit Melanchthon nih hundert Groldgulden
hebräisch lerne.
1) Man kann leichtlich sagen, dass die ebräische Sprache noch nie
wieder aufgekommen ist, und die Juden nicht wissen können virtutem om-
nium vocabulorum sicut res ostendit, viel weniger wissen sie vim Phrasis,
fignrarum et idiotismomm. Luthers Werke ed. Walch III, 2865 fg., nament-
Hch vgL auch U, 2246.
*) Walch XIV, 19. Dafür, dass sich die Grammatik der Erkenntniss
der Sachen unterordnen muss, eine bezeichnende Stelle Walch I, 1511 und
de Wette, Luthers Briefe V, S. 89 — 93. Warnung vor den Rabbinen ent-
halten, ohne dass ich die Beispiele häufen will, Walch IQ, 2899, I, 546 ff.
Wen erinnert nicht der Satz »So sehen wir, dass die Grammatici . . . theo-
logische Sachen nicht verstehenc an das Wort der Kölner D.unkelmänner:
Non mirura si Jurista (Reuchlin) non attigerit theologicas subtilitat^s.
Stellen gegen die Rabbinen, wie II, 1458 : »Es sind die verruchtesten Leute
und werden vom Teufel gefangen gehalten und besessen« sind nichts seltenes,
VgL I, 2042 das. 1514 u. A. m. Beiläufig bemerke ich, dass der hier und
im Folgenden zum Ausdruck kommende Hass gegen die Rabbinen ein be-
wusster oder unbewusster Gegensatz gegen die Reuchlin'schen Ansichten ist.
Reuchlin sagt (Augenspiegel FoL XIII b, wo freilich zunächst die Frage zu
erörtern war, ob die Commentare verbrennenswerthe Bücher seien oder nicht,
tu der geistigen und religideen Bewegung der Zeit. 7
die früheren Uebersetzungen hielt er ftlr verderbt, die 70 Dol-
metscher sind die „allerboshaftesten Leute gewesen, die den
König Ptolemäum Philadelphnm nur zum Narren haben woll-
ten^'; dass sie aaf Eingebung des heiligen Geistes übersetzt
hätten, will er nicht glauben >). Er ist freilich in seiner Kritik
nicht consequeilt genug. Bald giebt er den Rabbinen zu, die
Grammatik spreche zwar für sie, aber „weil sie nicht wissen,
quid rei, hilfet und fördert sie es ^nichts, dass sie wissen,
quid nominis'^ und erklärt es der Sache nach^), bald weist
er sie nach der Grammatik zurecht.
Der Grundzug dieser Methode findet sich aber nicht blos
bei Luther, er ist ein durchgängiger bei der ganzen Theologie
der Zeit, zunächst nattlrlich bei den Anhängern Luthers, bei
den Reformatoren. Ich will in Beziehung auf ihre Stellung
gegenüber den Rabbinen nur auf zwei Punkte aufinerksam
machen: Johann Forster oder Förster, mit dem wir uns später
noch werden zu beschäfkigen haben, gab 1557 ein hebräisches
Lexikon heraus, er hielt es ftlr nothwendig hinzuzuftigen, nicht
aus den Erdichtungen der Rabbinen, aus den Schätzen der
heiligen Schrift selbst sei es genommen^), und als einige
Jahre darauf Victorinus Strigelius ein in Gutachtenform ge-
haltenes Urtheil über die Uebersetzungen der Bibel abgab,
da hielt er die cbaldäische ftir geeignet, die Nichtigkeiten der
Jaden zurückzuweisen; die der Gegenwart angehörenden Ueber-
setzungen aber, ausser der lutherischen, wie die Münsters u. A.,
die, meinte er, dürften nur von Hebräischkundigen benützt
werden, weil sie oft mehr mit den Gommentarien der Rabbinen
das Gutachten sich aber von dieser besonderen bald zur Beantwortung der
aUgemeinen Frage erhebt): Ich sag auch vnd hab des meinen anseger, dass
sich unsere doctores und lerer der hailigen schrift zu verstentnus des texts
inn der bibel saer und fast sollicher commenten, glosen, und usslegungen
müssent gebrauchen, wöllent sie vor anfechtung fremds glaubens wol
beston sollich commentarien Van und mag die christenlich kirch nit
von banden lassen, dan sie behaltten die hebräische sprach in der aigen-
schaft Übung, dero die hailig schrift nit kan mangeln, besunder in alten
testament.
1) Walch VI, 1146 ff.
.2) Walch I, 493.
3) Non ex Kabinorom commentis.. sed ex ipsis thesauris SS. bibliorum
depromtum.
3 Verhältniijg de» hebräischen Sprachstudiums
als der Erklärer der wahren Kirche übereinstimmten 0. Aber
dieser allgemeine Hass gegen die Rabbinen ist nicht das
Grnndprincip, er ist nur ein AnsjBnss des Gedankens, von dem
man beim Studium der hebräischen Sprache geleitet wurde,
des Gedankens, seine Theologie, die man — es würde lächer-
lich erscheinen, wenn man nicht so gedacht hätte — allein
fUr die berechtigte hielt, in der Bibel bestätigt zu finden. Da
mussten die rabbinischen Commentare, die ihrerseits die Grund-
lehren des Judenthums vertheidigen wollten, ein Hindemiss
bilden, — man stiess sie weg.
Und wie die Reformatoren, so brauchten auch ihre Gegner
die hebräische Sprache zur Stütze ihrer Theologie. Eine Rede
Georg Wicels ist schon erwähnt: sie mag auch in dieser Hin-
sicht berührt werden. Auch er glaubte aus der heiligen
Schrift Beweise ftlr die Wahrheit seiner Theologie zu ziehen,
ßber er warnte vor den täglich neu erstehenden Erklärem
der Schrift, nur wenn man mit genügender Kenntniss der
Sprache versehen sei, könne man die Schrift ohne Gefahr
benutzen 2). Aber nicht bloss ein rechtes Verständniss der
Bibel erschliesse diese neugewonnene hebräische Sprachkennt-
niss, sie bringe erst die rechte Sicherheit über die Wahrheit
des christlichen Glaubens hervor. Wie im Allgemeinen, so
im Besonderen, wie dem Christen überhaupt Beweise ftlr sei-
nen rechten Glauben, so gebe sie dem Prediger in seinen
1) De versionibus Bibliorum Judicium.
Chaldaica versio est luculenta paraphrasis textus Ebraici et prodest ad
refutandas cavillationes recentium Judaeorum Beliquae versiones ut
D. Münsteri, Castalionis et similes, etsi non sunt contemnendae , tarnen quia
interdum magis congruunt cum Rabbinorum Commentariis quam cum narra-
tione interpretum verae ecclesiae, magno iudicio et non nisi a peritis linguae
sanctae legendae sunt.
Victorinus Strigelius anno 1565, 26. Sept. Lipsiae , angeführt bei
Olearius, Scrinium antiquarium, Arnstadt 1698, p. 177 sq.
2) Die Stelle, die, nach einer lobenden Erwähnung des in allen Fächern
der Wissenschaft sich zeigenden löblichen Eifers, bezeichnend genug mit den
Worten eingeleitet wird »Theologiae sola friget scholac lautet: Cotidie exo-
riuntur novi scripturae interpretes quorum quisque pro suae partis com modo
sacras literas ti-ansfert, in quibus lustrandis nisi catus (sie! wahrscheinlich
cautus) fueris, ilico in errorem praeceps eas oportet. Si munitus sis huius
linguae soientia^ pergrassari vales absque ullo insidiosi serpentis periculo.
ZI der geistigen und religioeen Bewegung der 2Seit. 9
Beden Stütze und Unterlage, mache geschickt zum literari-
schen Kampfe, namentlich gegen die Juden. Und wer die
Sprache nicht kenne, Alles müsse er glauben, was ihm auf-
gedrungen werde. ^)
Doch kann man nicht sagen, dass in der katholischen
Partei dieselbe Uebereinstimmung der Ansichten herrschte wie
in der evangelischen. Wicel gehörte zu denen, die einer Re-
form der Kirche innerhalb des katholischen Glaubens nicht
abgeneigt waren, — die strengeren, z. B. Job. Eck, unterschie-
den sich von ihnen auch in der Ansicht über das Hebräische.
Ein Gegner Ecks, Andr. Oslander, hatte bei einer Gelegenheit,
die wir nicht weiter verfolgen können, behauptet, „Gott habe
nicht gewollt, das der Juden buecher verbrent wurden der
Christenheit zu gut, darmit durch hebräische sprach die Chri-
sten wider zum rechten verstand jhrs glaubens möchten
kummen'^ Das läugnete Eck, denn da der rechte Verstand,
des Glaubens seiner religiösen Auffassung nach gar nicht ver-
loren war, so bedurfte es keiner Wiedergewinnung desselben.
Auch sei die Sprache flir die christliche Kirche keine heilige,
die Evangelien seien nicht in ihr geschrieben, mit Ausnahme
des Briefes an die Hebräer und des Evangeliums Matthäi ; die
Kirchenväter hätten sich de^ Sprache nicht bedient, und wäh-
rend es wohl eine lateinische, griechische, indianische, arabi-
sche, wendische Messe gebe, habe von einer hebräischen
Messe noch Niemand gehört. Interessant ist aber namentlich,
wie er das Argument gegen die Reformatoren wendet und
ihnen, die von dem Werthe der hebräischen Sprache so viel
redeten, vorwirft, dass sie dieselbe durchaus nicht in der Weise
pflegten, wie sie es thun mtissten, im Gegentheil „allain zu-
■weilen zu einem hoffertigen bracht und unnützen Spiegel-
fechten" gebrauchten^. Der Vorwurf ist freilich ungerecht-
1) Das im Text Gesagte steht zerstreut an vielen Stellen der Rede,
eine führe ich an : Non umquam vidisti Hebraeum aenei muri instar invic-
tum Stare in conflictu, quoties ad huius linguae praesidium oceurrerit? Qui
posset homo Christianus de Judaeo victoriam reportai'e, nisi praesidiis sanctae
linguae?
2) Die ganze Auseinandersetzung findet sich ziemlich ausführlich in
Ecks Schrift: Ains Juden buechlins Verlegung. Ingolstat MDXXXXI. P 4b bis
Q 2b.
10 Yerhältniss des hebräkchen Sprachstudiums
fertigt. Das ist zwar richtig, dass die Reformation die Kennt-
niss der hebräischen Sprache nicht wieder ins Leben rief.
Das war früher geschehen: zu dieser schöpferischen Thätig-
keit hätten die Reformatoren, deren ganzes Streben mehr ein
den Wissenschaften ab- als zugeneigtes ist, weder Sinn noch
Zeit gehabt. Aber da das Studium ihren Zwecken diente, er-
griffen sie es, und in der theologischen Rührigkeit, die sich
in Folge der Reformation in Deutschland entfaltete, wurde
das Studium ein allgemein verbreitetes.
Wenn Eck und die strenge katholische Partei, deren
Haupt er war, in dieser Weise keineswegs die hebräische
Sprache als heilige ansah, ihr nicht dieselbe Verehrung an-
gedeihen Hess, mit der die Reformatoren sie gepflegt hatten,
— so zeigt sich diese verschiedene Betrachtungsweise auch
in etwas Praktischem. Wir haben gesehen, Luther hatte der
Rabbinen Commentare verachtet, aber er übersetzte die Bibel
nach dem Urtext; Eck ahmte ihm im Ersten nach, aber er
verdolmetschte die Bibel „wie die gesungen, gelesen, ge-
braucht und angenummen ist je und je von der haiigen latei-
nischen kirchen", es kümmerte ihn nicht „wie es in Jüdisch,
Kriechisch oder Chaldaisch laut^', denn auch die Juden stimmten
nicht überein. Auch selbst im Aeusserlichen wollte er sich
nur der Annahme der Kirche fügen, und die biblischen Namen
nicht in ihrer hebräischen Fassung: Chava, Hanah, Cham,
Galgal, sondern in der lateinischen Form bringen 0-
Freilich schon vor dem theologischen Kampfe, der seit
Luthers Auftreten mindestens anderthalb Jahrhunderte fast
vollständig den Geist des deutschen Volkes beherrschte, war
diese Ansicht aufgetreten, die hebräische Sprache zum Be-
weise der Wahrheit des Ghristenthums zu benutzen. Das ist
freilich keine in Deutschland erstandene Richtung, sie wurde
aus Italien hierher verpflanzt. Man gmb in den Schätzen des
Judenthums, man wollte, da man nun der fast verloren ge-
gangenen Kenntniss der Sprache wieder theilhaftig geworden
war, auch Alles in sich aufnehmen, was in ihr vorhanden
war, — so stiess man auf die Kabbalah.
1) Einleitung in die IMbelübersetzung 1536 abgedruckt bei Wiedeniann :
Dr. Johann Eck, Regensburg 1865, S. 618.
za der geistigen nnd reiig^Ö6en Beweg^nng der Zeit. 1 1
Die Kabbalah^) — das Empfangene — ist die jüdische
Geheimlehre, die als theoretische in den Worten und Vor-
schriften der Bibel and des Talmuds einen tieferen als den
gewöhnlichen Wortsinn zu finden glaubt, als praktische durch
gewisse Formeln und Kttnste den Menschen Einfluss auf das
Geisterreich und Gott selbst zuzuschreiben sucht.
Sie hatte unter den Juden des Mittelalters zwar dem Cha-
rakter der Zeit gemäss grosse Verehrung erlangt, aber unter
den wirklich wissenschaftlich Strebenden wenig Gönner ge-
funden.
Dagegen wurde sie unter den Christen von Gelehrten er-
fasst, die ein wirklich tiefer Forschergeist und Wissensdurst
trieb. Zuerst in Italien von Johann Picus, Grafen von Miran-
dula *), der in Florenz am Hofe des Lorenz von Medici lebte.
Picus lernte sie durch einen von Constantinopel nach Italien
eingewanderten Juden Joehanan Aleman kennen '). Picus hatte
sich kaum ein wenig mit ihr bekannt gemacht, als er in ihr
eine Begründung der christlichen Lehre zu erkennen glaubte.
Er meinte die Dreieinigkeit, die Fleischwerdung des Wortes,
die Ankunft des Messias, die Erbsünde u. s. w. in ihr wieder-
zufinden, was Paulus und Dionysius gesagt, was man bei
Hieronymus und Augustinus lesen könne, werde in allen
diesen Schriften bestätigt. „Man denkt Plato und Pythagoras
zu hören, deren Lehren den christlichen so nahe verwandt
sind, kurz die Juden können nicht mehr wagen ihre Glaubens-
sätze als abweichend von den unsrigen darzustellen ^)". Darin
1) Ueber den Ursprung der Kabbalah, der hier nicht untersucht werden
kann, hat Grätz, Geschichte der Juden Bd. VII, S. 442—458, eine ausführ-
liche Auseinandersetzung gegeben, auf die ich verweise.
2) geb. 1462, gest. 1494 MCCCCLXXXXIIII anno redemptionis nostrae,
Dum ipse secundura et trigesimum aetatis annum impleret, Fiorentiaeque
moraretur, insidiosissinia correptus est febre. Vita Joh. Pici de Mirandula
per Jo. Franciscum Galeotti Pici filium vor des Ersteren Werken s. 1. 1504
• • • • «
a lujb.
8) s. die hebräische Quelle bei Grätz a. a. 0. Bd. VIII, S. 254, Anm. 1;
in der vita Jo. Pici finde ich dies nicht erwähnt.
4) Vidi in illis (nämlich in den kabbalistischen Büchern) Eeligionem
non tarn mosaicam quam christianam, Ibi trinitatis mysterium, ibi verbi
incamatio, ibi messiae divinitates, ibi de peccato originali, de illius per
Christum expiatione, de celesti Hierusalem , de casu daemonum, de ordinibus
12 Verhältnis» des behräiächen Sprachbtudianui
sind ihm auch die Späteren nachgefolgt und namentlich haben
unter den christlichen Gelehrten Deutschlands solche kabba-
listische Grübeleien Eingaüg gefunden.
Durch Picus' Bemühungen war es wohl gelungen, dass
Papst Sixtus IV. einige kabbalistische Bücher ins Lateinische
übersetzen lassen wollte, und Picus erzählt, dass drei Bücher
wirklich übersetzt wurden 0- Und Picus Einfluss ist es ferner
zuzuschreibeü, dass die Kabbalah Eingang in Deutschland
fand tiurch Johann Eeuchlin. Im Jahre 1494 erschien
sein Werk: Capnion vel de verbo mirifico. Den Zweck dieser
später so berühmt gewordenen Schrift gibt er in der Wid-
mung an Johann von Dalburg, Bischof von Y^orms, dessen
Freundschaft er seit lange genoss, und dessen Bibliothek ihm,
wie früher, so auch bei diesem Werke gute Dienste geleistet
hatte , mit den Worten an 2) : er habe gewagt, auf den Rath
und die Ermahnung trefflicher Männer gestützt, in die tiefen
Dunkel der verborgenen Worte einzudringen, die Geheimnisse
der ältesten Philosophie aufzudecken, und die Namen zu er-
klären, mit denen Pythagoräer, Juden und Christen ihre hei-
ligen Gegenstände bezeichneten^).
angelorum, de purgatoriis, de iiiferorum poenis. Eadem legi quae apud
Paulum et Dionysium, apud Hieronymum et Augustinum quotidie legimus.
In his vero quae spectant ad philosopliiam Pythagoram prorsus audias et
Platonem quorum decreta ita sunt fidei Christianae affinita, ut Augustinus
noster immeusas deo gratias agat, quod ad eins manus pervenerint libri
platonicorum. In plenum nuUa est ferme de re nobis cum Hebraeis con-
trovcrsia, de qua ex libris Cabalistarum ita redargui convincique non pos-
sint, ut ne angulus quidem reliquus sit in quem se condant. Job. Picus in
Oratio de hominis dignitate in den Opera J. P. Fol. 90a.
1) Hi libri Syxtus quartus Poutifex maximus qui hunc sub quo vivimus
foeliciter Innocentium VIII. proxime antecessit, maxima cura studioque curavit
ut in publicam fidei nostrae utilitatem latinis literis mandarentur. Jamque
cum ille decessit tres ex illis pervenerant ad latinos a. a. 0.
2) Er rühmt seine inennarabilem variarum literarum peritiam, cuius
testis est bibliotbeca illa tua, latinis, graecis et hebraicis voluminibus referta.
ünus Germanie nostre thesaurus, quo sum uti solitus semper pro animi mei
sententia. De verbo mirifico a 2 a.
3) Tantas tenebras et tarn obfuscata sacratorum immo secretorum ver-
borum latibula ingredi, et quasi de adytis oraculorum et vetustissimae philo-
sophiae penetralibus, exponere nostro saecrdo, quantum memoria suppetit,
universa ferme nomina, quibus superiori aetate sapientes homines et mira-
culosis operationibus praediti utebantur in sacris, sive pythagorica fuerunt et
zu der geistigen and religiösen Bewegung der Zeit. 13
Die äussere Einkleidung der Schriffc ist die, dass der
Gegenstand an drei Tagen durchgesprochen wird, an deren
jedem einer der Betheiligten das Hauptwort flihrt: Sidonius,
ein Philosoph, zuerst ftir einen Epikuräer gehalten, von dem
man später findet, dass er keiner Schule angehört ^), Baruchias,
ein Jude, und Gapnion (die gräcisirte Form des Nanlens
Reuchlin).
Das verbum mirificum ist, wie Capnio am dritten Tage
auseinandersetzt, JHSVH, nichts anders als das alttestament-
liche JHVH (d. h. die Consonanten des sog. Tetragrammatons,
des Gottesnamens Jehovah) mit Hineinsetzung eines S*).
Ein tieferes Eindringen in die kabbalistischen Ideen und
eine grössere Durchbildung derselben verrathen die drei Bücher
über kabbalistische Kunst, Leo X. gewidmet, die erst 1517
erschienen sind*).
Die äussere Einkleidung ist die, dass Philolaus der Jün-
gere, ein Pythagoräer, Marranus, ein Mahometaner, nach
Frankfurt kommen, um sich mit dem Juden Simon, einem
kabbalahkundigen Manne, zu unterreden. Dass Reuchlin sich
nicht selbst unter den ünterrednem anflihrt, hai seinen Grund
sicherlich darin, dass in der Schrift mehrmals, so namentlich
am Anfang des 2. Buches, auf den Reuchlin*schen Streit Rück-
sicht genommen wird, der damals noch immer an dem päpst-
lichen Hofe Gegenstand der Verhandlung war, und R. nament-
lich Philolaus und Marranus sich sehr heftig über die Kölner
vetustiorum philosophorum sacramenta, sivc Hebraeorum Chaldaeorumque
barbara memoracnla, scu Christianorum devota supplicia, quae de illorum
libris atque Unguis in hoc operc prompta cernere licet, a. a. 0.
1) Dcinde inventus in nullius verba jurassc. a 2 b.
2) Diese Idee wurde dann bildlich von Reuchlins Drucker Thomas
Ansbelm Badensis ausgeführt, der von nun an über seinem Druckerzeichen
in einigen Beuchlinschcn Schriften die Buchstaben JHVH mit dem hinein
verschlungenen S führte.
3) Joannis Reuchlin Phorconsis LL. Doc. De arte cabbalistica libri tres
Leoni X dicati. Am Schluss: Hagenau apud Thomam Anshelmum. Mense
Martio MDXVII. Ich möchte nur beiläufig hier auf einen Umstand aufmerk-
sam machen : Das Werk de verbo mirifico hat 3 Theile, 3 sich unterredende
Personen, 3 Tage, an denen der Gegenstand durchgesprochen wird ; ganz die-
selbe Gliederung hat de arte cabbalistica, die Rudimenta hebraica zerfallen
ebenfalls in 3 Bücher. Sollte hierin nicht auch eine Art Zahlenspielerei, der
ß. eine tiefere Bedeutung untei*schob, gesucht werden?
14 ' Verliältniss des het)räisclien Spraclistiidiaiiis
und ihre Schlechtigkeit aussprechen lässt. Freilich ist, seiner
ganzen Gesinnung nach, in dem Philolaus Reuchlin unschwer
zu erkennen.
Bleiben wir einen Augenblick stehen: Man sollte meinen,
die beiden Richtungen, die wir unterschieden haben, wären
so entgegengesetzt gewesen, dass sie nur in verschiedenen
Personen zum Ausdruck hätten gelangen können. Auf der einen
Seite die tiefe Ehrfurcht vor der hebräischen Sprache, ihrem
Alterthum, ja selbst dem Volke, das die alten Schätze ge-
wahrt hatte; auf der anderen bittere Erregung gegen das
letztere, als Veruntreuer ihres Gutes, Benutzen der gewonne-
nen Kenntniss recht eigentlich gegen die Juden , um die
Wahrheit des eigenen Glaubens zu beweisen.
Und doch waren sie vereint Es ist eben bemerkt wor-
den, wie Reuchlin in seiner Kabbalistik einen Juden Simon
als Redenden einführt. Da ist denn lehrreich zu sehen, in
welcher Weise von ihm gesprochen wird. Seine Gelehrsam-
keit wird gerühmt, die tief und gründlich, nicht blendend und
glitzernd, zwar der farbenreichen Blüthen entbehrt, aber durch
Früchte ergötzt. Die ganze Nacht hätte ich bei ihm sein
können, sagt einer der Fremden, so gross war mein Wunsch
ihn zu hören, sein Antlitz zu sehen, und da muss der un-
glückliche Sabbath dazwischen kommen. Das allein erschien
ihnen störend, sonst gefiel ihnen Alles an diesem Manne. Und
ein solcher Mann, gute Götter, ist ein Jude, von Juden ge-
boren, ernährt, erzogen und unteri-ichtet, von einem Volke,
das von allen Andern für barbarisch, abergläubisch, niedrig,
verworfen und fem von dem Glänze aller Wissenschaften ge-
halten wird^.
Kann es uns da wundern, wenn bei diesem Stande der
Dinge die Gegner der wissenschaftlichen Richtung, die sich
mit Eifer dem hebräischen Studium zuwendete, oder die per-
sönlichen Feinde irgend eines Mannes, der sich mit dieser
1) Die letzte SteUe zu Anfang des 2. Baches lautet: Dil boni, homo Ju-
daeus, ex Judaeis ortus, alitus, educatus et edoctus, quae natio ubique gen-
tium barbara, superstitiosa , viüs, abiecta et a splendore omnium bcmarum
artium aliena est habita. Näher auf das Verhältniss der damaligen Gelehrten
zu den Juden einzugehen ist hier nicht der Ort.
SU der geistagen und religioeeii Bewegung der SSeii. 15
Sprache beschäftigte, ihn, um ihm empfindlichen Sehaden oder
Kränkung zuzufügen, des Jndaisirens beschuldigten, wie der
beliebte Ausdruck lautete? Man hat gesagt, und Reuchlin
hat es selbst gelegentlich einmal ausgesprochen ^) , dass der
ganze so berühmt gewordene Streit mit den Kölnern von
letzteren nur angefangen wurde, weil man in dem durch
ReuchUn angeregten und hauptsächlich vertretenen hebräischen
Studium eine Gefahr für sich erblickte. Mag auch die Ansicht
sich nicht beweisen lassen: manchmal schien es wirklich, als
wenn die Geister in einer ähnlichen Strömung sich bewegen
wollten. £s war nichts Seltenes, dass den Vertretern des
Studiums der Vorwurf entgegengeworfen wurde, sie seien
Juden der Gesinnnng'nach *); ja man verstieg sich bei vielen,
die ihre christliche Abstammung gut beweisen mochten, so
weit, sie getaufte Juden zu schelten! Und doch, das Studium
ging nicht unter, es wurde mit grösserem Eifer immer be-
trieben. Denn eben, um in das Verfahren des Mittelalters
hinein zu gerathen, die Sprache zu vernachlässigen, weil man
das Volk nicht achtete, davor schützte einmal das Bedürfniss
der Philosophen und Theologen und — was ich nicht gering
anschlage — die Wissenschaftlichkeit des Zeitalters, das Wehen
einer neuen Zeit, die sich überall ankündigte, auch hier.
Ehe wir die einzelnen Personen betrachten, denen das
Verdienst einer Neubelebung und allmählichen Ausbreitung
des hebräischen Studiums gebührt, und ihre Leistungen, soll
noch eine Bemerkung gemacht werden. Sie hängt mit einer
obigen zusammen. Aus Hass gegen die Juden hatte man
1) Doch sagt er freilich: Forte inter alia quod me viderent hac aetate
in Germaniam semina hebraicarum literarum . . . iecisse. Brief an Jacob Faber
31. Aug. 1513.
2) Die stärkste Aeusserung dieser Art erzählt Conrad v. Heresbach von
einem M(Hiche: es will noch eine andere Sprache (neben der griechischen)
aufkommen, die hebräische ; wer diese lernt, wird sicher ein Jude. Angeführt
bei Sdinurrer: Biogr. u. lit. Nachr. von den Lehrern d. hebr. Lit. in Tübin-
gen, S. 1. — Als eine Gefahr für den Katholicismus betrachtet es später der
Jesuit Gretser, der meinte: Ingolstadt sei dreimal in Gefahr gewesen den
alten Glauben zu verlieren, 1) als man den Erasmus berief, 2) als Eeuch-
lin dort die alten Sprachen lehrte, 3) als man Melanchthon hinziehen
wollte. Vgl. Meuser: Johann Eck in Dieringer: Katholische Zeitschrift für
Wissenschaft und Kunst. 1846, I, S. 97. Anm. 1.
16 Verhältniss des hebräischen Sprachstudiums
früher eine Beschäftigung mit ihrer Sprache verachtet: jetzt
war man anderer Ansicht geworden; schon des Unterrichts
der Juden sich zu bedienen schien verderblich: auch in dieser
Beziehung war jetzt ein Fortschritt erkennbar*). Freilich, es'
gab nicht allzuviel Juden in Deutschland. Die Verfolgungen,
die bis in das sechszehnte Jahrhundert hinein dauerten, hatten
gründlich unter ihnen aufgeräumt: nur in einzelnen Städten
gab es noch grosse Gemeinden. Die, die sonst sich fanden,
waren, wie Reuchlin klagt, theils unwissend, theils meinten sie
es sei ein thalmudisches Verbot Christen zu unterrichten ^). Und
dann, wenn auch unter den Christen die Abneigung von früher
nicht mehr vorhanden war von den Juden zu lernen, allzu-
bereitwillig that man es auch nicht, und als Reuchlin seine
Grammatik schrieb, da konnte er in der Vorrede, in der er
seinen Bruder zum Studium der Sprache ermunterte, mit Recht
sagen: er solle es schon deshalb lernen, weil die jungen
christlichen Theologen es nicht so gern von Juden, als von
ihnen beiden, empfangen wollten 3).
Erschwerte so die Seltenheit der Lehrer das Studium,
so waren auch anfangs die Lehrmittel von grosser Seltenheit.
Die erste Bibel wurde bekanntlich erst 1488 gedruckt, und
1) Die einzelnen Beispiele, wo Christen von Juden im Hebräischen
unterrichtet wurden, werden an passendem Orte erwähnt werden.
2) Keuchlin, Vorrede des 3. Buches der Rudimenta hebraica an seinen
Bruder Dionysius : er habe ihn griechisch lernen lassen , nun nolui etiam
huic decori tuo deesse, quin Hebraica nunc sacerdos addisceres, praesertim
cum nostrates Judaei vel invidia, vel imperitia ducti Christianum neminem
in eorum lingua erudire velint idque recusant cuiusdam Rabi Ami auctori-
tate, qui in Thalmud ita dixit: Non explanantur verba legis cuiquam gen-
tili eo quod scriptum est: qui adnuntiat verba sua Jacob, praecepta sua et
iudicia sua Israel, non fccit similiter omni genti.
8) Reuchlin sagt: Recte vero speraverim quoslibet religionis Christianae
studiosos non tam libenter a Judaeis quam abs te sacerdote et a memet
ipso ista suscipere Rudimenta hebraica. Sehr begreiflich ist, dass, da man
der Juden als Lehrer sich nicht gern bediente, und geborene Christen, die
man als Lehrer hätte gebrauchen können, kaum vorhanden waren, man sich
an die getauften Juden wandte. Als der Abt Leonhard im Kloster Otten-
beuren einen hebr. Lehrer für seine Klostergenossen von Reuchlin verlangte,
bat er gradezu um einen getauften Juden (8. Oct. 1508) : si quenquam noveris
Hebraeorum fönte baptismatis renatum qui hanc provinciam subiret me per
litteras certiorem reddas (Schelhom, Amoenitates historiae ecclesiasticae et
literariae, Frankfurt 1738, p. 594).
zn der geistigen und religiöden Bewegung der Zeit. 17
und es dauerte noch einige Jahre, bis sie nach Deutschland
kam. Keuchlin hatte seinen Bruder Dionysius nach Italien
gesendet, um Griechisch zu lernen (1491). Johannes Streler,
der ihn begleitete, gab sich Mühe, eine Bibel für Reuchlin zu er-
langen. Nachdem er Anfangs sein Suchen gar nicht belohnt sah,
fand er eine unvollständige Bibel, die er nicht kaufen mochte;
nach Neapel wandte er sich, um Erkundigungen einzuziehen,
denn andere gedruckte Exemplare gebe es nicht ^). Als Conrad
Pellikan im Jahre 1500 eine in Italien gedruckte hebräische
Bibel zu Gesicht bekam, betrachtete er eä für ein grosses
Glück 2), und noch fast 10 Jahre später, als Nikolaus Eilen-
bog, ein Freund Reuchlins, auf dessen Antrieb Hebräisch
lernte, wurde eine hebräische Bibel, die er zum Behufe seines
Studiums von Conrad Peutinger lieh, wie eine grosse Kost-
barkeit angesehen und demgemäss behandelt*).
Aber schon am Anfang des Jahrhunderts fing es an anders
zu werden. Thomas Anshelm zu Pforzheim, dann zu Tübingen,
dann zu Hagenau, der Drucker der Reuchlin'schen Werke,
hatte recht gute hebräische Typen. Blieb er auch einige Jahre
vereinzelt, allmählich fanden sich Nachfolger, und wenn merk-
würdigerweise noch in der 1518 erschienenen hebräischen
Grammatik Böschensteins für die hebräischen Stellen ein leerer
Baum gelassen und dieselben später mit der Hand ausgefüllt
1) Streler an Reuchlin (1491) Epp. ill. vir. a 4b : Bibliam hebraicam
hactenus habere non possum. (Anfang 1492) a. a. 0. E a.: Nullam adhuc
possnm habere bibliam hebraicam , nisi unam quae est Bononiae , quae tarnen
caret aliquot quatemionibus, quam coemere nolo. Si tamen postbac ad nos
adveherentur aliqua, satisfacerem voluntati tuae. (29. Juni 1492) a 4 b sq. :
De Biblia hebraica ero certior, cum Holtzhuser venerit ex regno Neapolitano,
alia non sunt impressa.
2) Schnurrer a. a. 0. S. 3.
3) Die Briefe, in denen darüber verhandelt wird, stehen als Anhang
zu Peutingers Sermones convivales, hgg. von Zapf. Augsburg 1789. Der-
selbe Nikolaus EUenbog suchte noch im J. 1512 vergeblich eine griechische
Bibel zu kaufen und wandte sich an Reuchlin: Velim itaque ut siquam
venalem noveris, literis nie certiorem reddas. Epp. ill. vir. h 4. Da mag
freilich mit in Anschlag gebracht werden , dass EUenbog in Ottenbeuren,
fem vom Büchermarkte, lebte. Schon vorher hatte sich sein Abt Leonhard
in derselben Angelegenheit an Reuchlin gewandt. S. d. o. S. 16, A. 3, an-
gefahrte Stelle.
Qeiger, Studium. 2
18 Die Vorgänger ReacblmK.
sind, so hat schon Förstemann ^) bemerkt, dass in einer Rede
Melanehthons, die vor der Grrammatik in derselben Offizin ge-
druckt wurde, sich hebräische Typen finden. Bald war es
allgemein, und Vicel meint, jetzt seit der Erfindung der Buch-
druckerkunst sei es ein leichtes auch hebräische Bücher
überallhin zu verbreiten^).
So war denn Alles vorhanden: die Sprache war — wir
dürfen den Ausdruck gebrauchen — wieder entdeckt, das
Bedürfniss war da, die wiedergewonnene Kenntniss zu erhalten
und weiter zu entwickeln, Lehrer fanden sich und Lehrmittel
wurden in genügender Anzahl geboten und Schüler strömten
in grosser Anzahl hinzu, um das Gebotene sich anzueignen.
IL
Die Vorgänger Reuchlins.
Die ersten Anfänge sind freilich ziemlich unbedeutend:
ich kann nur einige Namen nennen, ohne glänzende Leistungen
1) Corpus Reformatomm ed. Bretschneider, I, col. 54, Anm. ** Der
Drucker war Johann Grünberg in "Wittenberg , der übrigens auch nicht lange
vereinzelt blieb. Schon im folgenden Jahre meldete sich Melchior Lotter als
Drucker nach Wittenberg, und sein Gesuch wurde von Andreas Carlstadt
bei Spalatin, dem vielvermögenden Rathe des Churfürsten von Sachsen, unter-
stützt, denn gloriam "Wittenbergi futuram maiorem, si tam Graeca quam
Hebraica imprimerentur. Der Brief findet sich bei J. G. Olearius : Scrinium
antiquarium, Jena u. Arnstadt 1698, p. 49. Ob gleich damals dem Gesuch
willfahrt ist, weiss ich nicht, jedenfalls finden wir nicht lange später den
Lotter in Wittenberg. — Dass die hebräischen Drucke in Italien früher sind
als die deutschen , ist aus oben S. 17, Anm. 1 zu entnehmen. Vgl. übrigens
die genaue Nachweisung für die hebräischen Drucke bei de Rossi Annales
hebraeo - typographici saec. XV. Der berühmte Drucker Aldus Manutius scheint
keinerlei hebräische Drucke aus seiner Officin hervorgebracht zu haben; wenig-
stens schreibt er nach Aufzählung einer Anzahl lateinischer und griechischer
Schriftsteller, die bei ihm erschienen waren, an Reuchlin: De hebraicis non
est Impressum quicquam (Venetiis 18. Aug. 1502), Epp. clar. vir. g 8b und
unter der Aufzählung seiner berühmten Verlagswerke finde ich kein hebräi-
sches. Vgl. Metz, Geschichte des Buchhandels, Darmstadt 1835, I, S. 281 ff.
2) Die Früheren quin et librorum Hebraicorum copia caruerunt, non-
dum videlicet reperta chalcographiae arte , qua levi negotio plurimi libri cir-
cumquaque diffunduntur.
Die Vorgänger Benchlins. 19
anznfxihren, Namen von Männern, die man daher weniger ihrer
Werke wegen, als um der Priorität willen als Vorgänger
Beuchlins wird bezeichnen können.
In Tübingen wird zuerst von Hebräischkundigen berichtet,
die beiden Theologen Conrad Summenhart und Paul
Script oris als solche bezeichnet, beide in ihrer Art treffliche
Männer, von grosser Gelehrsamkeit, beide Theologen, aber Feinde
der Scholastik , die sie , namentlich der letztere , mit unermüd-
lichem Eifer bekämpften. Der erstere erzählt, dass er selbst
mit mehreren anderen in Tübingen von einem Wilhelm Ray-
mundi, Professor der Theologie, einem in der lateinischen,
griechischen, hebräischen, ja sogar chaldäischen und arabischen
Sprache sehr bewanderten Mann, Unterricht in der hebräischen
Sprache erhalten habe^). Aber beide haben die gewonnene
Kenntniss nicht allzusehr zu verwerthen gevnisst, wenigstens
ist kein schriftliches Denkmal, worin sie dieselbe gezeigt
hätten , auf uns gekommen , und sei es durch die Ungunst der
Zeiten, sei es durch ihre Unlust oder Unfähigkeit zu erklären,
sie haben keine Schüler ausgestellt, die ihren Namen fUr die
Zukunft bekannt machen könnten.
Das muss nur ein wenig beschränkt werden, denn von
einem wird allerdings berichtet, er habe, wenn auch nicht
gradezu ihren Unterricht, so doch von ihnen Anleitung und
Ermunterung empfangen. Hebräisch zu studiren: von Conrad
Pellikan^). Es ist interessant, wie dieser dem geistlichen
Stande angehörige Mann , der später in wissenschaftlicher und
religiöser Beziehung eine nicht unbedeutende Rolle spielte —
1) Schnurrer, Nachrichten von den Lehrern der hehräischen Lite-
ratur in Tübingen. S. 2. Als erster Besitzer einer hebräischen Biblio-
thek wird Johannes Behaim (Vater des Lorenz Behaim, Freund Keuch-
lins und Pirckheimers) erwähnt, a. 1490 Joannes Beham Ulmensis, primus
onmium in Germania Hebr. Lexicon et libros aliquot Grammaticos a Judaeis
comparavit, quibus Capnioni, Pellicano et aliis profuit. M. Crusius Annales
Suevici (1595) pars III, lib. IX, cap. III, p. 489. Doch bemerke ich, dass
bereits 1494 Keuchlin Dalburgs grossartige Bibliothek auch für's Hebräische
rühmt, s. o. S. 12, Anm. 2.
8) Das sagt er selbst in der Vorrede zu seiner Bibel, wo er von Sum-
menhart sagt: quo nihil praestantius habuit ordo Minorum, den Scriptoris
als Theologorum decus et Tubingensis scholae tunc columen bezeichnet, vgl.
Crusius a. a. 0. p. 513.
2*
20 i^ie Vorgänger Rcnchlin».
er war ein Freund Zwingiis und auch Anhänger seiner reli-
giösen Richtung — , danach strebte, sich eine Kenntniss der
hebräischen Sprache zu verschaffen. Aller Htilfsmittel beraubt,
ist das erste, was ihm in die Hand fällt (1499), ein Gommentar
des Nikolaus de Lyra zu einigen Schriften des alten Testa-
ments. Die hebräischen Wörter, die vorkommen, sucht er ver-
mittelst der gegebenen lateinischen Uebersetzung zu verstehen,
die einzelnen Buchstaben sich einzuprägen, so andere Worte,
in denen sie wieder vorkommen, sich zusammen zu setzen.
So geht er schrittweise weiter, mit unsäglicher Mühe verschafft
er sich eine gewisse Geläufigkeit im Lesen, erkennt, zum Theil
durch Errathen, die Bedeutung der Worte, und hält sich für
vorbereitet genug im folgenden Jahre, nachdem er auch eine
hebräische Bibel erlangt hatte, sich eine kleine Grammatik
und ein Wörterbuch zusammenzustellen, freilich einstweilen
nur zum Privatgebrauch, die indess bei seinen Freunden in
zahlreichen Abschriften circuliren. Wie es aber mit seinen
grammatikalischen Kenntnissen ausgesehen haben mag, geht
daraus hervor, dass er sich gar nicht erklären konnte, wieso
im Hebräischen die Verba so selten in der ersten Form des
Präsens erschienen, die er für die Grundform hielt. Reuchlin,
den er 1500 Gelegenheit zu befragen hatte, klärte ihn erst
auf, dass dies gar nicht die Grundform sei.
So ist er nicht ganz unter die Vorgänger Reuchlins zu
rechnen, da er auch sonst, wie es scheint, Belehrung von
diesem suchte, wenigstens empfiehlt ihn Jodocus Gallus an
Reuchlin, er bittet diesen , ihn im Hebräischen zu unterrichten
— liegt in dem Wunsch, den er beifügt, es wäre ihm lieber,
wenn er im Griechischen seine Unterweisung begehrte, eine
Spur von der Missachtung gegen die Sprache der Juden*)?
Doch mag er unter diesen ersten Kennern seinen Platz finden,
weil er von Anfang an seinen eignen Weg ging, und er der
Erste unter den Deutschen war, der ein kleines Schriftchen
1) Jodocus Gallus Kubeaquensis (Ruffach, aus demselben Orte, aus dem
auch Pellikan stammte und in dem er lange Zeit die Stelle eines Guardians
verwaltete) an Reuchlin, 28^ Febr. 1501 : Conradam meura Pellicanum ut
facis foveas oro sive hebraeas seu quod malo graecas literas ex te discere
cupiat. (Epp. ill. vir. e üb sq.)
Die Vorgänger Kenchlintf 21
über das Verständniss der hebräischen Sprache veröflFentlichte *).
Für Reuchlin , dem er doch nur Rath und Unterstützung, nicht
vollen Unterricht und Einführung in das neue Studiengebiet
verdankte, bewakrte er eine rührende Zuneigung. Er besuchte
ihn während seiner letzten Krankheit im Bade Liebenzell, und
als Reuchlin gestorben war, da geschah es auf Pellikans
Veranlassung, dass Erasmus seine bekannte Apotheose schrieb^).
Weiter zurück als Pellikan, der uns schon an die Grenz-
scheide des 15. und 16. Jahrhunderts versetzt hat, flihrt uns
Sebastian Murrho aus Colmar, ein Schüler Dringenbergs
in Schlettstadt, ein Freund Wimphelings und Reuchlins, dessen
Kenntniss des Hebräischen uns gerühmt wird, ohne dass wir
viel mehr als das Zeugniss der Zeitgenossen darüber besässen ^),
fahren uns zwei andere Männer, deren Namen bekannter sind:
Johann Wessel und Rudolf Agrikola.
Agrikola ist einer der ausgezeichnetsten Humanisten; seine
Hauptbedeutung liegt in der Verbreitung der Kenntniss der
griechischen Sprache, die er sich angelegen sein liess, in der
Begeisterung, mit der er das classische Alterthum und dessen
Schätze betrachtete, in der vielfachen Anregung, die er als
Lehrer für alle Wissenszweige seinen Schülern zu geben ver-
stand. Seine Kenntniss des Hebräischen war wohl nicht sehr
gross, er hatte es ziemlich jung von Wessel gelernt-, in seinen
letzten Lebensjahren war er darauf gekommen, die fast ver-
gessenen Studien wieder vorzunehmen. Verstehe ich seine
Worte richtig, mit denen er diesen Entschluss an Reuchlin
1) 150B erschien von ihm De modo legendi et intelligendi Hebraea.
Das Vorhergehende im Text stützt sich zum Theil auf Schnurrer a. a. 0.
S. 3 ff. Seine späteren Leistungen werden weiter unten gewürdigt weriien. —
Trotz der Priorität seiner Leistung ist man doch gewohnt, Reuchlin und
seinem Werke seiner Bedeutung wegen den ersten Rang einzuräumen. Schon
Sebastian Münster, der, wie er selbst erzählt, ein Schüler Pellikans war,
stellt es so dar in seiner Vorrede zum Opus grammaticum consummatum.
2) Diese Nachricht giebt Pellikan selbst in seinem Chron. Msc. zum
Jahre 1523, das ich sonst nicht kenne, diese Stelle nur aus S. Hess: Eras-
mus von Rotterdam, Zürich 1790, I, S. 215, weiss: Inveni in Thermis Cel-
lensibus prope Hirsaugiam sese lavantem infirmum D. Joannem Reuchlin . .
eum ultimo vidi, nam statira diem obiit supremmn . . Rediens autem Basileam
et Erasmo narrans de obitu et colloquio, occasionem praeatiti coUoquio illi:
De apotheosi Reuchlini.
3) Vgl. unten S. 25 und Anm. 1.
22 Die Vorgänger Beachliiis.
mittheilt und motivirt, so suchte er in dieser Kenntniss etwas
Positives, das ihm bisher abging und dessen Mangel er er-
kannte 0« So wollte er denn die Tage seines Alters, wie er
sich ausdrückt, obgleich er damals in den becten Jahren stand
— freilich ereilte ihn kaum zwei Jahre darauf der Tod — der
heiligen Sprache widmen und mit ihrem Studium das eifrige
Lesen der göttlichen Gebote verbinden 2).
Wir haben schon früher die Vermischung der Theologie
und des hebräischen Sprachstudiums bemerkt, und war es bei
Agrikola freier Mannesentschluss , dass er, die Gebiete seines
Studiums fast ganz umändernd, sich dieser Richtung zuwandte,
so war es bei Johann Wessel durch die von Jugend an
feste Gestaltung seines Strebens bestimmt. Er ist einer der
Bedeutendsten von den vielen geisteskräftigen Männern in
Deutschland, die man sich gewöhnt hat als Vorläufer der Refor-
mation zu bezeichnen. Die Befreiung aus den Fesseln der
Scholastik im Leben und Glauben ist zum grossen Theile sein
Verdienst, und wenn er auch vielfach noch in mystisches
Sinnen sich vertieft, so ist seine ganze Auffassung der Reli-
gion eine freie und befreiende ^). — Seine wissenschaftlichen
Kenntnisse waren viel umfassend, wenn sie auch vielfach ab-
1) Der Brief (Nov. 1483) findet sich Epp. ill. vir. i 3b sq. Der Anfang
der zur Mittheilung etwas zu langen Stelle lautet : At ego qui mihi sterilem
hanc arenam excolendam sumpsi nisi aliquid amplius quam vulgus solet coner
quid erit quo a segniciae nomine haec mea studia defendam ....
2) Ueber Agrikola will ich eine Bemerkung des Paulus Jovius mit-
theilen, nicht etwa, weil ich glaube, dass das in ihr Berichtete als wahr anzu-
nehmen sei, sondern um an diesem Beispiele die Art der unter den Huma-
nisten gebräuchlichen Lobpreisungen zu zeigen: Hausisti enim Hebraicas
Graecasque literas usque adeo stupenda celeritate, ut nequaquam Groningiae
in ultima Frisia , sed Hierosolymis Athenisque natus ac educatus a doctissimis
<jrederere. (Erasmi Opera ed. Lugd. Bat. 1703 vol. I, col. 868.) Als Schüler
des Agrikola im Hebräischen wird Celtis genannt in der zeitgenössischen von
der societas literaria Rhenana herausgegebenen vita C. Celtis : Motus fama
R. A. Heidelbergam adiit, ibique oratoriam et poeticam cum linguae graecae
et hebraicae praegustamentis hausit. Von der besonderen Kenntniss Celtis'
im Hebräischen ist nichts bekannt; in seiner Schrift De situ.. Norirabergae
kommen einige hebräische Worte vor, ich erinnere mich nicht mehr, in
welchem Zusammenhange.
*) Eine ausführliche Biographie hat Ulimann gegeben: Reformatoren
vor der Reformation (Hamburg 1842) II, S. 285—685.
Johannes Benchlin. 23
häügig waren von seiner theologischen Richtung: ihr verdankt
er auch die Kenntniss des Hebräischen. Ob er es während
seiner Studienzeit in Heidelberg von Mönchen gelernt, die eine
Zeit lang im Morgenlande sich aufgehalten hatten, wie sein
ältester fast zeitgenössischer Biograph berichtet ^), oder ob er
es von getauften Juden gelernt, wie Spätere wollen, bleibt
ungewiss. Schriftliche Denkmale seiner Beschäftigung mit
dieser Sprache hat er nicht hinterlassen ; den Rudolf Agrikola
hat er darin unterrichtet, vielleicht auch Andere *).
ni.
Johannes Reuchlin.
Schon in dem vorigen Abschnitt ist uns der Name Reuch-.
lins an vielen Stellen begegnet. Die Erweckung des hebräi-
schen Sprachstudiums und die ersten Schritte zu der Ausbildung
desselben sind zu eng mit ihm verknüpft, als dass nicht bei
jedem Schritt, den man thut, eine Spur von ihm sich zeigte.
Bei dieser Lage der Dinge muss es gestattet sein über alle
Fragen, die über Reuchlins Studien in dieser Sprache Licht
verbreiten , sich klar zu werden und Untersuchungen zu führen,
die an sich höchst geringfügig erscheinen, eine gewisse Be-
deutung nur durch das Ziel erlangen, zu dessen Erreichung
auch sie hinstreben.
Die Frage nach Reuchlins Lehrern soll zuerst ihre Erle-
digung finden. Die früher oft vorgetragene Behauptung, Johann
Wessel sei sein Lehrer gewesen, hoflFe ich an anderen Orten
genügend zurückgewiesen zu haben; Agrikola sagt gradezu,
Wessel habe ihii von diesem Studium abgeschreckt^). Aus
diesen Worten muss man allerdings noch ein zweites entneh-
1) Hardenberg : a monachis qui vixerant in transmarinis regionibus, an-
geführt bei Üllmann S. 314, Anm. 4.
2) lieber Wessel und Reuchlin vgl. das Folgende.
3) vgl. meine Abhandlung : Ueber Melanchthons Oratio . . . Frankfurt
1868. S. 47 . . . 52, unsere Stelle S. 50, Anm. 2.
24 Johanne» Kenchlin.
men, dass Eeuchlin schon in den ersten Jahren seines Studiums *)
Lust zu der Sprache gehabt hat, deren Erforschung er sich
in seinem späteren Leben fast ausschliesslich hingab. Und,
wenn ich auch früher nicht geneigt war dieses anzunehmen,
ein Selbststudium Reuchlins in dieser Sprache muss behauptet,
selbst eine gewisse Stufe, zu der Reuchlin durch eisernen
Fleiss sich emporarbeitete, muss angenommen werden. Denn
so sehr man auch die Worte beschränken will, mit denen
Agrikola bereits im Jahre 1483 Reuchlins Kenntnisse im Hebräi-
schen preist — und dass die Beschränkung gestattet ist, wird
Jeder, dem die Art und Weise der Humanisten, bei ihren
Lobsprüchen aus einer Mücke einen Elephanten zu machen,
bekannt ist, zugeben — so viel wird immer übrig bleiben,
dass Reuchlins Beschäftigung mit der hebräischen Sprache
bereits für den Anfang der achtziger Jahre feststeht^). Denn
weiter dürfen wir nicht zurückgehen, man darf als sicher an-
nehmen, dass es auf den Universitäten von ihm nicht in den
Bereich seiner Studien gezogen wurde. Grade für diese Zeit
hat er so genaue und zuverlässige Berichte über die Gegen-
stände seiner wissenschaftlichen Beschäftigung hinterlassen,
dass er , falls das Hebräische damals dazu gehört hätte, gewiss
nicht davon geschwiegen haben würde. Für die achtziger
1) Denn er war zu Paris (und nur hier allein kann das persönliche,
später, so weit man sieht, nicht fortgesetzte Zusammentreffen mit Wessel
stattgehabt haben, vgl. meine Abhandlung S. 47, Anm. 3), wo er sich 1473/74
und 1477/78 aufhielt, 18 resp. 22 Jahre alt.
2) Die Stelle Agrikolas lautet: Quin tu quoque, qui contraria
sentis, nescio an acerrimis me facibus extimules, turpe namque fuerit mihi
vel noUe id vel non posse percipere in hoc studiorum ocio, quod tu tantis
tanque diversis districtus studiis discere potuisti. Sie folgt gleich nach den
oben S. 22, A. 1, angezogenen Worten. Was die Worte: tu quoque, qui con-
traria sentis, bedeuten , ist nicht ganz klar. Sie können dem Wortsinn nach
bezeichnen, dass R. der Meinung Agrikolas, es sei für ihn gut und noth-
wendig die hebräische Sprache und biblische Studien zu betreiben, nicht
beistinmie; aber das würde zu Reuchlins Denkart, wie sie uns wenigstens
bald darauf bestimmt genug entgegentritt, nicht passen. Mir scheinen die
Worte mehr darauf hinzuweisen, dass R. von der Einwirkung Wessels auf
Agr.'s erwachende Neigungen nicht überzeugt war; er hatte selbst keine
Anregung, im Gegentheil Zurückweisung von ihm erfahren: was Wunder,
dass er glauben mochte, W. habe sich A. gegenüber in derselben ablehnen-
den Weise verhalten.
Johannes Kenchlüi. 25
Jahre aber liegt noch ein anderes Anzeichen vor, aus dem
eine Stütze meiner obigen Behauptung gezogen werden kann,
dass Reuchlins Streben nach der Erlernung der hebräischen
Sprache ein grosses, der Grad seiner Kenntniss aber in dieser
Zeit nur ein geringer gewesen sein kann. An Sebastian Murrho
hatte sich Reuchlin im Jahre 1487 gewandt, er möge ihm einen
Pentateuch zu verschaffen suchen, aber in Uebersetzung. Viel-
leicht wollte Reuchlin — das sei allerdings nur als Vermuthung
hingestellt — sich das Verständniss des hebräischen Textes
(den er handschriftlich besass?) dadurch aneignen. Aber
Murrho konnte seinem Wunsche nicht entsprechen, er besass
nur das 2. Buch Mose und gab ihm Nachricht davon, um seine
Sehnsucht nach Moses zu steigern *).
Aber alles dies sind Anfange und mussten solche bleiben,
denn es fehlte Reuchlin das, was er später so vielen nament-
lich im Hebräischen geworden ist: ein Lehrer 2). Und diesen
1) Das im Text Gesagte kann ich nicht als sicher hinstellen. Der Brief
Eeuchlins fehlt uns, der Brief Murrhos ist an sich nicht ganz veretändlich.
Die Stelle (Epp. ill. vir. h 4) lautet: Moysen.. ad te missum, uti
desydefas et quidem flagranter fecissem, si totus apud me
interpretatus foret, sed quum solum Exodum haheam... Curabo optime
Doctor, ut brevi Moyses neque tibi neque mihi desit. Paiiem libri tabellario
huic ostendi non quod me fingere putes, sed ut desyderium tuüm in Moysen
crescere faciam. Diese handschriftlichen Stücke des Pentateuchs, die Sebastian
Murrho besass, sind, wie es scheint, nicht erhalten geblieben. Ich finde
eine Notiz, dass Conrad Leontorius dem Bruno Amorbach einmal einige Blätter
des Pentateuch mit beigeschriebener wörtlicher deutscher Uebersetzung schenkte,
die er . . von Sebastian Murrho hätte erhalten können. Fechter, Bonifacius
Amorbach in Beiträge zur vaterländ. Gesch. Basel 1843. 2. Band, S. 179,
Anm. 15. Der hier und schon oben (S. 21) erwähnte Sebastian MuiTho
nennt sich auf seinem Commentar zu Baptista Mantuanus: Hebraicae,
Graecae, Latinaeque linguarum Interpres doctissimus. (Strassburg 1501 in
40.) Vgl. Panzer: Annales typographici vol. VI, p. 27.
2) Den Anstoss zu Reuchlins hebräischen Studien hat man gern in der
Kabbalah gesucht und darin einen vorwiegenden Einfluss des Grafen Picus
von Mirandula zn finden geglaubt. Inwieweit letzteres Wahrheit enthält,
habe ich in meiner ob. a. Abb. S. 65, Anm. 5 zu zeigen versucht (vgl. auch
oben S. 12); dass ersteres falsch ist, geht daraus hervor, dass R.'s Beschäfti-
gung mit der hebräischen Sprache in die 80er Jahre hinaufreicht, die kabba-
listischen Neigungen frühestens 1490 zu setzen sind. — Dass am Ende der
80er Jahre Reuchlins hebr. Kenntniss nicht so hervorragend war, dafür mag
auch ferner bemerkt werden, dass derselbe Leontorius, der im Jahre 1494
26 , Johannes Benchlin.
ZU finden war allerdings schwer genug. Denn in Wtirtemberg,
wo er von 1481 an, nachdem er von seinem Aufenthalte an
verschiedenen Universitäten (Freiburg, Basel, Paris, Orleans,
Poitiers) zurückgekehrt war, sich aufhielt, gab es kaum eine
nennenswerthe Zahl von Juden und von diesen war keiner
im Stande, Reuchlfns Sehnsucht zu befriedigen. Sein Wunsch
ging erst in Erflillung, als er im Jahre 1492 von Eberhard
im Bart, dem er bereits seit 1481 als Rath diente, an den
Hof Kaisers Friedrich III. geschickt wurde. Dort fand er den
Jakob Jehiel Loans, den Leibarzt des Kaisers, der bei diesem
seiner hohen Kunst wegen in Ansehen stand, aber mit der
Kenntniss seines Berufes auch ein gediegenes Wissen in der
hebräischen Sprache verband.
Er wurde Reuchlins Lehrer. Es lässt sich nicht läugnen :
dieses erste Begegniss Reuchlins mit dem jüdischen Arzte ist ein
welthistorischer Moment. Reuchlin war ein Kind seiner Zeit, er
hat sich in vielen Dingen von den Fesseln, die der Zeitgeist
einem Jeden auferlegt, nicht freizumachen gewusst, vielleicht
nicht einmal zu befreien gesucht. Er hatte bisher wohl Juden
gesehn; zogen sie doch überall in Deutschland umher, wo eine
Handelsgelegenheit sie anzog, wo ein Bedtirfniss sie hintrieb.
Aber in welcher Gestalt sind sie ihm erschienen ! In sonderbarem
Aufzuge, der sie schon äusserlich von der sie umgebenden Welt
schied , mit einer eigenthümlich gemischten Sprache , die nur
ihnen recht verständlich war, mit einem Geiste, der nur am
Irdischen, an Gewinn und Handel zu kleben und für das
Höhere keinen Sinn zu haben schien. Hier trat ihm ein An-
deres entgegen, ein Spross desselben Volkes , das ihm so ver-
ächtlich erschienen war und seinen bisherigen Erfahrungen
nach nicht wohl anders hatte erscheinen können, und dabei
ein Mann, am Hofe geehrt, in Wissenschaften unterrichtet und
in die Gemeinschaft der Gebildeten willig aufgenommen. Dass
von diesem Augenblick an Reuchlins Ansichten über Juden
(Widmungsbrief an Jak. Wimpheling vor Reuchlins De verbo mirifico) dessen
Kenntnisse nicht genug zu rühmen weiss, in einem Briefe vom Jahre 1489
nur von dem Griechischen und Lateinischen berichtet.
1) Einige Bestimmungen über sie in dieser Zeit sind zusammengestellt
bei Wächter: Würtembergisches Privatrecht, Band I, S. 100 ff.
Johannes Renchlin. 27
sich von den Vornrtheilen der Zeit losgerissen hätten, kann
man nicht sagen; aber sie sind milder als die der meisten
seiner Zeitgenossen, und die Einzelnen aus dem Volke konnte
er ihrer Eigenschaften wegen achten, wenn er auch stets sich
erinnerte, dass sie Juden waren. Es war schon viel, dass
er jede Gelegenheit ergriflF, von Juden zu lernen, überall sie
aufzusuchen, freilich — vergisst er nicht hinzuzufligen — so
weit es einem Christen erlaubt ist*).
Seinem ersten Lehrer, von dem wir übrigens sonst nichts
wissen^), bewahrte er treue Zuneigung; mir ist wahrscheinlich,
dass er ihn in dem Juden Simon ^) hat zeichnen wollen. In
einem Briefe, den er ihm neun Jahre nach empfangenem Un-
terrichte zusandte, versicherte er ihn seiner fortdauernden
Anhänglichkeit *).
lieber den Unterricht selbst besitzen wir wenige Notizen,
die uns über die Art und Weise desselben und über die Gegen-
stände, die er umfasste, gar nichts mittheilen und auch über
die Dauer desselben nicht rechtes Licht verbreiten. Dass er
am 25. Sept. 1492 begann , wissen wir aus einer uns von Mai
aufbewahrten Notiz Reuchlins^), am 18. Oct. erfolgte die Be-
stätigung des Esslinger Vertrages durch den Kaiser, deren-
wegen Reuchlin nach Linz geschickt worden war ^). Es lässt
sich annehmen, dass Reuchlin, um seinem Fürsten von dem
Erfolg seiner Gesandtschaft zu berichten, nach erlangter Be-
stätigung bald nach Stuttgart reiste ^), von da ist er aber wie-
der nach Linz , wahrscheinlich im ersten Viertel des folgenden
Jahres, zurückgekehrt. Auch Loans war eine kurze Zeit ab-
*) Einleitung zu seinem Buclie : De accentibus et orthographia Fol. III b.
... Doctissimum quenque hebraicoruni auctorare praeeeptorem solitus, cum
ipsis quoque ApeUis congressus, quatenus homini Christiano phas esset.
2) Denn was Grätz, Geschichte der Juden, IX. S. 55, sagt, ist nur
Vermuthung.
3) 8. 0. S. 14.
4) Der Brief, hebräisch geschrieben 1. Nov. 1501, Epp. ill. vir. ma.
5) Maius vita Reuchlini (Durlach 1687) p. 541.
6) Chmel, Kegesten Friedrichs IV, S. 793, Nr. 8855.
7) Am 24. Oct. war er noch in Linz und erhielt daselbst vom Kaiser
die Pfalzgrafenwürde. (Das Diplom abgedruckt in Epp. ill. vir. m 4b sq.)
28 Johannes Benchlin.
wesend gewesen, und ehe Eeuchlin nach Linz ging, hatte er
sich bei seinem Freunde Petrus Bonomus erkundigt, ob sein
Lehrer zurückgekehrt sei, dann ist er wohl bald nach Linz
gegangen; beim Tode des Kaisers Friedrich IE. am 19.>A.ug.
1493 war er dort. Staatsgeschäfte hatten ihn, so viel wir
wissen, nicht hingezogen, sein Wissensdurst hatte ihn hinge-
trieben *).
Man kann nicht sagen, dass Reuchlins erstes kabbalisti-
sches Werk eine Frucht dieser hebräischen Studien ist, denn
die dazu nöthige Kenntniss mochte er sich ganz gut aus den
ihm in anderer Weise zugänglichen Büchern erworben haben ^)
und speciell hebräische Studien zeigt das Buch gar nicht.
In seinem Erlernen der Sprache hatte Reuchlin aber mit
diesem ersten bedeutenden Schritte nicht abgeschlossen. Wie
weit er in den nächsten Jahren sich fortgebildet, lässt sich
nicht sagen; die bürgerlichen Unruhen, die bald darauf Wür-
temberg ergriffen und ihn zwangen das Land zu verlassen,
mögen ihn nicht sehr zu ruhiger Thätigkeit haben gelangen
lassen. Von Heidelberg aus , wo er sich niedergelassen hatte,
ging er 1498 im Auftrage des Churfftrsten von der Pfalz nach
Rom, und bei dieser zweiten Gesandtschaft war es, wo er
auch zum zweiten Male einen Lehrer fiir's Hebräische erlangte.
Es war wieder ein Jude: Obadja Sfomo aus Cesena, ein clas-
sisch gebildeter Mann, Arzt und Philosoph, der neben dem
Unterricht in der hebräischen Sprache auch Reuchlins Eifer
für die Kabbalah noch mächtiger angeregt haben mag ^). Auch
über ihn spricht sich Reuchlin mit voller Befriedigung aus
und gedachte seines treuen Unterrichts, wenn er auch ihm
nicht die Anerkennung zollte wie Loans, und Sforno, vielleicht
1) Die Chronologie dieser Jahre kann nur nach der Beuchlin'schen Brief-
sammlung hergestellt werden und ist, da hier die Daten nicht immer zu-
verlässig sind , schwierig. Ohne mich in das weitere Detail einzulassen, führe
ich den Brief des Petrus Bonomus an, der vom 2. März 1492 datirt, aber
gewiss vom 2. März 1493 ist; die Stelle über Loans schon bei Grätz a. a. 0.
IX, S. 92, A. 1, dem die chronol. Schwierigkeit entgeht. Dass Reuchlin beim
Tode des Kaisers zugegen war , sagt er in der Einleitung zur Defensio contra
Calumniatores Colonienses (1513).
2) s. 0. S. 14, Anm. 1.
3) vgl. Grätz a. a. 0. IX, S. 50 und 94.
JohanneH Renchlin. 29
anders als jener, sich seine Mühe hoch genug vergelten liess ^).
Ausser diesen beiden wissen wir keinen anzugeben, der Reuchlin
im Hebräischen unterrichtet hätte; er mag noch hie und da
YOD Manchen etwas aufgegriffen haben ^), aber im Ganzen war
er jetzt fertig, er konnte auf eigenen Füssen stehen, um in
dem ganzen grossen Gebiete sich immer heimischer zu machen
und das , was er mit Mühe sich angeeignet hatte , auch andern
mitzutheilen.
Schon im Jahre 1498^) hatte er in Heidelberg begonnen
zu unterrichten, es hatte nicht öffentlich geschehen dürfen,
das hinderte die Wuth der Mönche. Es ist kein Zweifel:
hätte Reuchlin nach einer Universitätsstellung verlangt, er
hätte sie bald erhalten, aber er wollte sie nicht, er fühlte sich
in seiner amtlichen Stellung behaglicher, die Mussestunden
ungestört der Wissenschaft zu widmen schien ihm genug.
Selbst als er seine öffentliche Stellung aufgegeben hatte und
>) Melanchthon erzählt in der Oratio continens historiam Capnionis,
Reuchün habe pro singulis horis singulos aureos bezahlen müssen. Mutian
schreibt, er habe Doctori verpo pro unius dictionis, quae obscura erat, enar-
ratione X aureos gegeben (Strauss, Ulrich von Hütten, I, S. 190, A. 3).
Beuchlin spricht nur von einem grave impendium. — Während dieses Aufent-
haltes in Rom hatte Reuchlin auch vielfache Gelegenheit hebräische Bücher
zu erwerben , handschriftliche Notizen in einigen seiner Bücher weisen darauf
hin; vielleicht bezieht sich darauf auch eine Stelle aus einem Briefe des
Lorenz Behaim an Reuchlin vom 20. Juli 1515 (Epp.'ill. vir. Cb): Tantus
enim mens est in te amor, quem suavi amicitia tibi Romae cum pariter
iremus Hebraicos inter Judaeos libros percontando comparasti. In der Karls-
ruher Hofbibliothek, befindet sich Kimchis Wörterbuch (Neapel 1490), das
^r damals kaufte, worin von Reuchlins Hand Folgendes eingeschrieben : Hunc
librum David Kimhei (!) cum commentariis super quatuor emi ego Joannes
Reuchlin Phorcensis Doctor aureis tribus ren. Rome. Prid. Id. Junias Anno
1498, ebenso das Targum Jonathan's u. a.
2) So wollte er noch 1516 bei Johannes Potken in Köln sich im Chal-
däischen vervollkommnen. Dieser schreibt an Reuchlin 13. Sept. 1516 (Epp.
ill. vir. vi). Quod autem scribis, lata pro te sententia (nämlich im Streite
Reuchlins mit den Kölnern) te Coloniam peregre iturum, ad meam in lingua
quam edere coepi chaldia eruditionem , plurimum gaudeo quod sententiam vel
iam latam , vel propediem ferendam spero. Ob aus der Reise und dem Unter-
richt etwas geworden ist, kann ich nicht finden. Petrus Galatin nennt Potken
seinen Lehrer im Chaldäischen : an Reuchlin (Juni 1515) Epp. ill. vir. C 4.
3) Für Reuchlins öffentliche Lehrthätigkeit auch im Hebräischen ver-
weise ich auf meinen Aufsatz in Langbeins Pädagogischem Archiv 1868.
S. 481-493.
30 Johannes Beuch! in.
ihn der Herzog von Sachsen dringend bat an der Universität
Wittenberg den hebräischen Lehrstuhl einzunehmen, schlug er
ihn aus, und erst als ihm durch äussere Umstände sein Stutt-
garter Aufenthalt verleidet war und er sich nach Ingolstadt
begeben hatte, um dort in dem Umgänge der Gelehrten die
Ruhe zu finden , nach der er sich sehnte , erst da nahm er die
Stelle eines Universitätslehrers an und versammelte eine grosse
Menge Zuhörer um sich, vor der er die Grammatik des Kimchi
erklärte *). Und noch einmal in seinem letzten Lebensjahre hatte
er in Tübingen die hebräische Sprache gelehrt; hier, wo wir
die ersten Spuren hebräischer Kenntniss in Deutschland be-
merkt haben, bestieg Reuchlin als erster öffentlicher Lehrer
den Lehrstuhl 2).
1) Von Reuchlins Schülern in Ingolstadt ist hauptsächlich Johannes
Forster zu erwähnen, der uns später beschäftigen wird, ausserdem Johannes
Eck, der bekannte unermüdliche Kämpfer für den Katholicismus. Derselbe
hatte in ähnlicher Weise wie Reuchlin eine jede Gelegenheit benutzt, sich
die Kenntniss der hebräischen Sprache zu verschaffen, er hatte während seiner
Studienzeit in Freiburg bei dem Carthäuser Gregor Reisch, später bei Joh.
Böschenstein, dann bei Reuchlin gelernt, er hatte den getauften Juden Pater
Staffelsteiner zu Rathe gezogen , selbst den Unterricht des jüdischen Gelehr-
ten Elias Levita nicht gescheut. 26 Jahre hat er nach seinem eigenen Ge-
ständniss der Beschäftigung mit dieser Sprache gewidmet , und er rühmt sich
wohl mit Recht seiner Kenntniss derselben. Ueber dieselbe geschrieben hat
er nicht, wenn man nicht ein von ihm angelegtes, handschriftlich in der
k. k. Hofbibliothek in Wien vorhandenes Regestum super lexico hebraico
Capnionis (1521) und eine ebenda befindliche Epitome super grammatica
hebraica Farinarii vulgo Kimhi Ingolstadii tradita (nämlich von Reuchlin)
et ab Eckio auditore accepta — was von den Grammaticalia hebraica et
graeca, die sich gleichfalls da befinden sollen, zu halten ist, kann ich, da
jede weitere Nachweisung fehlt, nicht sagen, — als selbständige Werke be-
trachten will, nur in seinen Predigten und Bibelerklärungen sie vielfach be-
nutzt. Vgl. die gründlichen Nachweisungen bei Dr. Wiedemann: Johann
Eck, Regensburg 1865, S. 23—25, namentlich die Anmerkungen, und S. 615.
2) Zu den Schülern in Tübingen gehörte Jakob Gruerius. Er schreibt
an Nik. Eilenbog 29. Juli 1526: Sunt et mihi coUectanea quaedam in ge-
nesim, übrum ruth et aliquot psalmos quae a Joanne Capnione, viro in re
hebraea et primo et facile doctissimo, cum Tubingae hebraea et graeca
publice profiteretur, ad calamum dictitans, magno cum labore cxcripsi, ex-
cripta adhuc mecum habeo, ceu pignora et monumenta fidi mei praeceptoris
Capnionis. Hamm si petieris olim copiam faciam quoque tibi. Dass Eilen-
bog dieses Anerbieten nicht ausschlug , ist natürlich. CoUectanea tamen quae
Capnione illo doctissimo praeceptore studiosus auditor coUegisti ad me des
precor. in die Sixti 1536. Die Briefe in Nie. EUenbogii Epistolarum libri IX,
Johannes Renchlin. 31
Aber während er in Stuttgart lebte, ohne ein Lehramt zu
bekleiden, hat er Einzelne in die Sprache eingeführt. Wir
haben schon oben gesehen, wie er dem Conrad Pellikan mit
seinem Käthe behtilflich war; dass er Johann von Dalburgs
Lehrer im Hebräischen war, wird freilich ohne Beweis be-
richtet. Aber gewiss ist es, dass Melanchthon, Beuchlins Gross-
neffe, wie er überhaupt dem Alten für seine Bildung und Er-
ziehung so viel verdankte, auch das, was er im Hebräischen
kannte, von diesem gelernt hatte*), und die Jünglinge, die,
wie Melanchthon erzählt, in seiner Gemeinschaft gern und oft
zu dem „greisen Vater" von Tübingen nach Stuttgart wall-
fahrteten ^), mögen auch dazu Anregung von ihm erhalten haben.
Und auch andere strömten ihm zu, Christoph Schilling aus
Luzem*), ein Jüngling, dessen auch Cornelius Agrippa von
Nettesheim rühmend gedenkt*); Johannes Oekolampad, der,
nachdem er seine Studien in Heidelberg beendet hatte, nach
Stuttgart eilte, um die Kenntniss des Hebräischen aus der
Quelle zu schöpfen, aus der sie ihm am reinsten floss^);
Johannes Cellarius , der die Verehrung für seinen Lehrer auch
dadurch zeigte, dass er ihm ein Werk, das später noch zu
besprechen ist , dedicirte und in einer Vorrede sein Lob in be-
redtesten Worten aussprach^); Bartholomäus Caesar, dessen
wir in anderm Zusammenhang nochmals werden gedenken
müssen, der mit einer Empfehlung des Lorenz Behaim zu
Hb. IV, ep. 47, 48, fol. 132 sq. (Cod. 8643 der Bibl. Imper. in Paris, vol. I).
Schüler R.'s in Ingolstadt ist femer Jacob Ceporinus , später Prof. des Hebr.
in Zürich (s. u.). Vgl. Ersehn. Gruber: Realencyclopädie, Sect. I, Th. 15, S.57.
1) Camerarins in der vita Melanchthonis sagt es freilich nicht aus-
drücklich, sondern nur (ed. Strobel, p. 70) Hebraicae linguae ... quam ado-
lescens discere non negligenter inceperat.
2) Davon spricht Manlius Locorum comraunium coUectanea (Basil. 1563)
nach Melanchthons eigenen Erzählungen an vielen Stellen.
•') Reuchlin erwähnt ihn in dem Schlussworte des Werkes De accentibus
et orthographia , bei dem er ihm einen kleinen Dienst leistete.
4) Agr. ab Nettesheim Opera (1739) II, p. 733 : Legi ego nupcr in fine
operis integerrimi viri Johannis Capnionis intitulati de accentibus raentionem
eiusdem Christophori, gaudeoque permultum tam digno discipulo tam ex-
cellentissimum contigisse praeceptorem.
5) Herzog, Leben Oekolampads, I, S. 107.
6) Isagogicon in hebraeas literas. Hagenoae 1518.
32 Johannes Renchlin.
Reuchlin reiste, in der das bezeichnende Wort vorkommt,
er ginge zu ihm, dürstend nach der Quelle der Erkennt-
nisse); und viele andere, deren Namen nicht überliefert
sind 2).
Und konnte Reuchlin mit dem mündlichen Worte nicht
Belehrung geben , dann suchte er auf andere Weise den die
Kenntniss der Sprache Begehrenden nützlich zu sein. Von
vielen Seiten wandte man sich an ihn , er möge einen Lehrer
für das Hebräische schicken. Es ist schon berichtet worden ^),
wie der Abt Leonhard von Ottenbeuren darum bat (1508),
hauptsächlich, wie es scheint, für den Nikolaus EUenbog, einen
in den Wissenschaften bewanderten Mönch seines Klosters.
Reuchlin konnte dem Wunsch nicht alsbald entsprechen, 1510
war er im Stande einen hebräischkundigen getauften Juden
zu schicken; nachdem dieser einen Monat hindurch unterrichtet
hatte , musste er das Kloster verlassen. EUenbog wandte sich
an Conrad Peutinger, um diesen Lehrer mit Hülfe und Rath
zu unterstützen*). Aber nicht blos in die Klöster drang die
von Reuchlin gegebene Anregung, auch in die militärischen
Kreise. Hieronymus von Eudorff, doctor et miles, Rath des
Kaisers, Beamter seiner Hofhaltung, wie er sich selbst nennt,
hatte sich vom Hofe des Kaisers auf sein Landgütchen be-
geben. Er hatte Sehnsucht nach den heiligen Wissenschaften
und hätte am liebsten Reuchlin selber bei sich gesehn. Da
1) In dem oben S. 29, Anm. 1 angeführten Briefe : At nunc quia tuus
discipulus amicnsque maus Bartholomaens Caesar ad tnam oxcellentiam , uti
sitibundus, ad scientiarum fontem proficiscitur. . .
2) Eine Stelle Reuchlins über seine Schüler (Vorrede zu seinen Septem
psalmi poenitentiales. Tübingen 1512) verdient angeführt zu werden: Cuius
exercitii discipulos nonnuUos nulla tarnen mercede sed gratuito feci
participes, partim gratos qui praeceptori suo debitum honorem perquam reve-
renter exhibent partim vero, ut acerbe audio, supreme ingratos
quibus deum iudicem propono et nisi resipuerint vindicem opto. — Ob unter
die Zahl der ersteren Simon Sunfeld zu rechnen ist? Jakob Ziegler schreibt
an Erasmus : Codicem Cypriani ego vidi concreditum Simoni Sunfeldo, doctori
Medicinae, homini Hebraea, Graeca et Latina lingua docto, et cui est ad
Capnionem nostrum antiqua familiaritas. Rom. 16. Febr. 1522, Opera Erasmi
(Lugd. Bat. 1706) vol. III, col. 1699. Epist. (Appendix) uro. CCCXX.
3) S. oben S. 16, Anm, 3.
4) Der Brief in C. Peutingeri Sermones convivales ed. Zapf. Augsburg
1789 uro. VII, p. 148 sq.
Johannes Benchlin. 33
das nicht anging, bat er um einen Lehrer, den Benchlin zu
dieser Thätigkeit vorbereitet hätte ^). Und selbst die höchsten
Kreise verschmähten es nicht seinen Beistand zu verlangen.
Es ist erzählt worden, dass der Churfttrst von Sachsen ihm
den hebräischen Lehrstuhl in Wittenberg anbot; als er ihn
für sich ablehnte, bat er ihn wenigstens, einen andern, der
ihm geeignet schien, für diese Stelle vorzuschl^en 2).
Und auch in anderer Weise verlangte man seinen Bath.
Wie er im Lateinischen und Griechischen, wie er in der Theo-
logie als Autorität galt, an den man sich in zweifelhaften
Fällen wandte, dessen Gutachten man bei schwierigen Fragen
einholte, so wandte sich Peutinger an ihn, um zu erfahren,
ob der 5. Mos. cap. 14 erwähnte pygargus nicht vielmehr py-
gardus heisse, ob er eine Adlerart sei oder ein vierfüssiges
Thier ^), will Johannes Stoff 1er, der bekannte Astrologe, wissen,
ob bobel und bovel hebräische Worte sind *), fragt ein Wolfgang
praepositus in Bor über schwierige Stellen in Eeuchlins Werk
de verbo merifico an^), fordert ihn Johannes Amorbach auf,
ihm bei seiner Ausgabe des Hieronymus für die Dinge, die
Kenntniss des Hebräischen nöthig machen, behtilflich zu sein ^),
und Andere verlangen Anderes^). Alle diese kleinen Züge
mögen nicht flir mehr gelten, als sie wirklich sind : sie sollen
nur dazu dienen, die Wirksamkeit Eeuchlins, die in ihren
1) An Reuchlin 31. Jan. L'VOQ (Epp. ill. vir. ia.b.) Ich führe nur eine
kleine Stelle an: Sed dulcissime, mi pater, cum caream docentis vivae vocis
oraculo obsecro ut unum mihi mittas quem forte instituisti pro cura huiusce
rei. Der Lehrer soll auch reiten können, um ihn und sein Söhnchen auf
Reisen zu begleiten; dafür soll er Unterhalt und Kleider bekommen und
Gehalt, so viel Reuchlin für ihn verlange.
2) Reuchlins Brief an den Churfiirsten vom 7. Mai 1518, auf den in
anderm Zusammenhang zurückzukommen ist.
3) 12. Dec. 1512 Epp. ill. vir. e 4 sq. Reuchlins Antwort folgt gleich
darauf.
*) 8. Apr. 1502. Epp. ill. vir. i b sq.
5) 1501. Epp. ill. vir. h 4.
6) 27. Juni 1509 Epp. ill. vir. g 1 b sq.
^ Auch seine im Hebräischen ebenso gut als in anderen wissenschaft-
lichen Fächern ausgestattete Bibliothek veranlasste zu Bitten, vgl. oben
S. 17, Anm. 3. Georg Simler bittet dringend um einen hebräischen Psalter
20. Juni 1509. Epp. ill. vir. i 2 a. .
Geiger, Studium. 3
34 Johannes Renchlin.
grossen Zügen so bekannt ist, auch für das Kleine und Ein-
zelne zu beleuchten^).
Die grösseren Werke und Arbeiten, die er auf unserem
Gebiete hinterlassen, sollen im Folgenden erwähnt werden.
Zuerst erschienen seine Kudimenta linguae hebraicae, 1506,
hebräische Grammatik und Wörterbuch. Keuchlin war sich
bewusst, damit einen neuen Weg zu betreten, und wie er am
Schluss des Werkes die stolzen Worte von sich aussprach:
Exegi monumentum aere perennius, so kehrt das Selbst-
bewusstsein, als Erster auf diesem schwierigen Pfade voran-
zugehn, noch an vielen Stellen wieder 2). Gleichsam zurVer-
theidigung, dass er das Werk überhaupt unternommen, führt
er eine Constitution Papst Clemens' V. an, die die Beschäfti-
gung mit der hebräischen Sprache gestatte; und wie wenig
vorbereitet er die Leser seines Werkes glaubt, zeigt er da-
durch an, dass er sie wiederholt ermahnt, das Werk nicht
wie andere von der linken zur 'rechten, sondern von der
rechten zur linken Seite zu lesen ^). Er theilte das Werk in
drei Theile : der erste umfasste Erläuterungen über Buchstaben,
Silben, Redewendungen, enthielt alle Worte von Anfang des
Alphabets bis zum Buchstaben k; der zweite setzte dasWort-
verzeichniss vom 1 bis zum Ende des Alphabets fort, indess
nur die biblischen Ausdrücke, ohne die Sprache des Talmuds
und der Rabbinen zu berücksichtigen und ohne auch für die
ersteren Anspruch auf Vollständigkeit zu machen. Der letzte
Theil handelte von der Grammatik; er sollte den, der über
1) Wie sehr man nach 'seinem Tode seinen Beistand vemiissto, dafür
mag Folgendes als Zeugniss dienen. Nikolaus Gerbelius — ein Pforzheimer,
wie Renchlin — schreibt an Johann Schwebel: Quod adco avide studia
Hebraica sectaris recte atque optime facis. Ubi enim melius divinum spiri-
tum percipies quam in ea lingua qua primo hominem animare voluit? Ego
sane nulla re egeo ad id Studium, quam Capnionis opera. Nee
est quod plurium librorum copiam desideres , mea sententia : nam tota res in
veteri Testamente conferendo consistit. 1523 in: Centuria Epistolarum theolo-
gicarum ad Johannem Schwebelium. Zweibrücken 1597, nro 18, p. 49 sq.
2) z. B. in der Vorrede zum 1. Buch : Quod quum ante me inter Latinos
nemo fecisse appareat, spero inde gratiam haud mediocrem et apud posteros
laudem absque invidia non intermorituram consequi.
3) In der Einleitung zum 1. Buch und am Schluss des Werkes in ein
paar Versen, die anfangen: Canon. Non est über legendus hie ceu ceteri u.s.w.
Johannes Benchlin. 35
die Bedeutung der Worte unterrichtet sei, nun in den Stand
setzen, in ihren Theilen kunstvoll gestaltete Sätze und Rede-
wendungen zu bilden. Als Vorbild folgte er dem Sepher Michlol
des Kimchi, einem Buche, das ihm beim Erlernen der Sprache
gute Dienste geleistet hatte. Er hatte nach besten Kräften
gearbeitet, Schätze des Wissens zusammengerafft und geordnet
und war von einem Geiste geleitet worden, der nicht starr
an dem Ueberlieferten klebte, sondern sich von dem Falschen,
was frühere Zeiten gelehrt hatten, zu befreien suchte. Grade
das, meinte er, werde ihm wohl Feindschaft eintragen, dass
er es oft gewagt die Uebersetzungen der Früheren zu tadeln,
eines Hieronymus, dessen Schriften vom Papst Gelasius als
heilig aufgenommen, eines Nikolaus de Lyra, der als treuer
Erklärer allen Gläubigen bekannt sei. Aber dasselbe Recht,
das Hieronymus gegen die Uebersetzung der 70, das Lyra
gegen die des Hieronymus, das Paul von Burgos gegen Lyra
angewendet habe, das stehe auch ihm gegen jene zu, er ver-
ehre sie auf's Höchste, aber die Wahrheit gehe ihm über Alles ^).
Seine Anstrengungen in dem Buche 2) wurden anerkannt.
1) Die letztere, oft angeführte schöne Stelle lautet: Quanquam enim
Hieronyinum sanctum veneror ut angelum, et Lyram colo ut magistmm,
tarnen adoro veritatem ut dcum in der Vorrede zum 3. Buch.
2) Eine neue Ausgabe veranstaltete Sebastian Münster, Basel 1537,
über die später zu sprechen ist; einen Auszug des Lexikons gab Theodoricus
Martinus Alostensis in seinem Dictionarium Hebraicum (0. 0. u. J. in 4^.
Bibl. imp. Par. X, 99.) Er sagt selbst auf dem Titel: Redegimus in
Enchiridion, lectores optimi, primitiva vocabula sive radices hebraicarum
dictionura , quac a Capnione diligenter et diffuse tractantur, cuius ideo ubique
ferme verba apposuimus, quod ingeniöse in alienis libris videri noluimus....
Das Buch enthält nichts als die Stämme mit den abgeleiteten Worten, alles
unpunktirt, daneben Angabe ihrer Bedeutung in möglichster Kürze, kein
Wort nimmt mehr als eine Zeile ein. Dann folgen unter dem Titel: Utilis
quaedam et succincta in Hebraeas literas introductio ganz kurze Bemerkungen
über die Buchstaben und eine Tabelle des Verbums. Der Schluss des Ganzen
mag hier folgen: Non esse ignorandum statuo, vocabula in dirtionario meo
posita nihil existimari deberi nisi formas , typos , exemplaria et ideas nondum
singularizatas , ideo nee opus esse punctis in dictionario nee vocabula necesse
fore secundum notata illic puncta pronunciari. Deinde memineris velim, In-
tegra verba res vel actiones significantia (non dico consignificativa) trito more
temis literis constare praeter admodum pauca, quapropter, si abundantiam
videris, subtrahe, sin defectum, adde. Sunt itaque literae in principio vel ob-
mutescentes alepli et iod vel deficientcs nun, lamed, jod. In medio vero
3*
36 Johannes Beuch! in.
von allen Beurtheilern der Zeit und Reuchlins Leistungen wird
dies Werk als ein grundlegendes betrachtet. Bei diesem einen
Werke blieb Reuchlin nicht stehen, in verschiedenen anderen
hat er die Früchte seiner Beschäftigung mit der hebräischen
Sprache niedergelegt. An die Rudimenta schloss sich ein
zweites an, das einzelne Theile der Grammatik näher erläu-
tern sollte: über Accente und Orthographie. In drei Büchern
sollte es die Regeln für die Aussprache lehren , in dem ersten
die des grammatischen, im zweiten des rhetorischen, im dritten
die des musikalischen Accents auseinandersetzen. Der soge-
nannte grammatische Accent, die Betonung in der gewöhn-
lichen Rede, wurde nach seinen verschiedenen Arten im Nomen,
Adjectivum und Verbum gelehrt, für die Regeln der Musik
folgten einige Notenbeilagen, die das Gesagte deutlich machen
sollten ^).
Auch andere kleinere Werke sollen nicht übergangen werden.
Schon im Jahre 1512 hatte er, im Anschluss an seine Rudi-
mente, wie um die hier nur theoretisch gegebenen gram-
matischen Lehren praktisch auseinanderzusetzen, die 7 Buss-
Psalmen herausgegeben, dem hebräischen Text eine wortgetreue
Uebersetzung folgen lassen und daran Erklärungen ange-
schlossen, die weniger dazu bestimmt waren, die Schwierig-
keiten, die der Sinn bot, zu lösen, als die grammatischen
Fragen bis in's Einzelnste zu erörtern^). Mit diesen Studien
hing auch ein anderes Werkchen zusammen , das kurz erwähnt
sein mag, eine Uebersetzung der Erklärungen des Athanasius
aleph, iod, wau, in fine autem aleph et he et si qua sit litera geminata.
Hi sunt modi, quibus tales defectus reparare valebis. Finis. (Dieses Stück
wird als von Reuchlin geschrieben angegeben.)
1) Das Werk De accentibus et orthographia linguac Hebraicae . . libri
tres erschien, dem Cardinal Hadrian gewidmet, Hagenau bei Thomas Anshelm
1518. — Dass die Angabe Köhlers (Beiträge zur Lit.- u. Kunstgesch., 2.Th.,
Leipzig 1794, S. 3), Reuchlin habe ein hebr. Wörterbuch unter dem Titel
Breviloquus herausgegeben, auf einer Verwechselung mit R.'s lateinischem
Lexikon beruht, bedarf keines weiteren Beweises.
2) Joannis Reuchlin .... in Septem psalmos poenitentiales hebraicos
interpretatio. Tübingen, Anshelm 1512. Das Fehlen bibliographischen Details
in diesem Abschnitt bitte ich damit zu entschuldigen, dass eine in Vor-
bereitung begriffene Biographie Reuchlins auch hierüber das Nöthige an-
geben wird.
Johannes Kenclüin. 37
za den Psalmen, ohne Zuthat Reuchlin's (1515). Eine andere
Arbeit war die Uebersetzung eines hebräischen Gedichtes, die
silberne Schüssel des Joseph Ezobi in Perpignan, eines Hoch-
zeitsgedichts , das dieser für seineli Sohn Samuel verfasst
hatte (15121).
In hebräischer Sprache selbst hat Beuchlin nur sehr
Weniges geschrieben ; die Anführung eines von ihm verfassten
hebräischen Werkes beruht auf einer Verwechselung *). Einige
Briefe von ihm in dieser Sprache sind vorhanden, an seinen
früheren Lehrer Jakob Loans, an den Leibarzt Leo's X., Bonet
de Lates, in dem er um dessen Mitwirkung in seinem Pro-
cesse gegen die Kölner, namentlich um die Geltendmachung
seines Einflusses beim Papste bat, ein Promemoria in diesem
Streite, das im Wesentlichen nur eine Umschreibung dieses
Briefes ist 3). Ein anderer hebräischer Brief ist verloren, nur
das Antwortschreiben des Jakob Margoles, Vorstehers der
jüdischen Gemeinde in Eegensburg, ist erhalten, aus dem
hervorgeht, dass Beuchlin sich an ihn einiger kabbalistischen
Werke wegen gewandt hatte*).
Nach Betrachtung der Leistungen ^) sei es gestattet, einen
kurzen Blick zu werfen auf die Art, in der die Zeitgenossen
Beuchlin's Studien betrachteten. Und da kann man wohl
sagen: sie strömten über von Lob. Es war ein ganz neues
Gebiet, das Beuchlin ihnen erschloss, und wie sie sich gern
seiner sicheren Leitung in demselben anvertrauten, so Hessen
sie es an sich nicht fehlen, seine Verdienste ihm selbst und
der Welt gegenüber in das richtige Licht zu stellen. So
1) Vgl. F. Delitzsch: Zur Geschichte der jüdischen Poesie. S. 66.
2) Serapeum etc. von R. Naumann, 1868, Nr. 13, S. 193 fg. Eben-
sowenig, wie diese Schrift, dürfen Reuchlin die Tabulae XX. institutionum
in linguam S. Basileae 1554. Corapendium Grammaticae Hebr. Wittenberg
1581, zugeschrieben werden, wie Herzog Athenae Rauricae p. 458 dies thut.
3) lieber den Brief an Loans, s. o. S. 27, Anm. 4. Die beiden letzten
Schriftstücke hat Grätz a. a. 0. IX, Noten, S. XVII — XX. abdrucken lassen.
*) üeber diesen Brief (Epp. ill. vir. m b sq.) undatirt und die Ver-
wirrung, die Grätz in Betreff des Briefschreibers angerichtet hat, vergl.
Dr. M. Wiener in Frankel : Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft
des Judenthums, 1868, S. 345 sqq.
5) Reuchlin's kabbalistische Werke sind oben (S. 12 — 14) bereits als
eine Folge der hebräischen Studien im Allgemeinen zur Genüge gewürdigt.
38 Johannes lieuchlin.
nennt ihn Heinrich Bebel einen Mann, dem man gegenwärtig
in der Kenntniss des Hebräischen selbst vor jedem Juden,
geschweige denn vor einem Christen den Vorrang geben
müsse ^), ja seit Hieronymus sei kein solcher Mann aufge-
standen, weder in Deutschland, noch in Frankreich, noch in
Italien. Nicht blos die griechische Sprache habe er wieder-
erweckt, sagt der Hirsauer Mönch Nikolaus Basellius, auch
die hebräische ziehe er nun aus dem Staube hervor. Die
ganze Gelehrtengemeinde müsse ihm unendlichen Dank sagen,
da er eine solche Last auf seine Schultern nehme, die Juden
müssten sich beschämt zurückziehen, in der Kenntniss ihrer
eigenen Sprache besiegt, die Theologen müssten ihm den
Kranz reichen, da er die heiligen Schriften in ihrem alten
Glänze habe auferstehen lassen ^). Durch seine Vertheidigung
der jüdischen Bücher gegen Pfefferkornes Angriffe galt er als
der Erretter der Lehre jener Bücher, ohne deren Kenntniss
uns ewige Nacht umhüllt, ewige Verdammniss uns umgibt 3).
Es gab nur Wenige , die nicht diese Bewunderung theilten,
die nicht in die allgemeine Lobpreisung einstimmten, das
waren fast nur die Kölner Gegner Reuchlin's , vor allem Johann
Pfefferkorn, Letzteren hatte ßeuchlin freilich empfindlich
genug gekränkt; er hatte ihm gesagt, er sei ein durchaus
unwissender Mensch und verstünde kein Hebräisch. Das ver-
suchte ihm Pfefferkorn mit gleicher Münze zurückzugeben.
Reuchlin hatte ^) ehrlich genug gestanden, er hätte den
Thalmud nicht erwerben und erlernen können; dieses Geständ-
niss griff Pfefferkorn begierig auf ^), er sprach ihm Kenntniss
der jüdischen Gesetze und Schriften kurzweg ab^) und er-
klärte den Kuhm, den die Juden Reuchlin als einem in ihrer
Sprache und ihrem Schriftthum Erfahrenen zuerkannten, nicht
als auf Reuchlin's wirkliche Verdienste gegründet, sondern
1) Epp. m. vir. fb.
2) 14. Sept. 1501 Epp. ill. vir. h ii a sq.
3) Aegidius Viterbiensis an Keuchlin 1516. Epp. ill. vir. B iii b sq.
4) Augenspiegel, fol. XLb.
5) Brantspiegell (Köln 1512) Dia: Aber in dem hat er war gereth
das er keyn verstant des Thalmudts hab.
6) Haudt Spiegel (1511) a 3 b.
Johannes Renchlin. 39
als eine Folge der jüdischen Gewohnheit „wer sie berümpt,
den berümen sie wider, und wer jn dient, dem dienen sie
wider 0." Die natürliche Consequenz von Pfeflferkom's Vor-
wurf, Reuchlin verstände kein Hebräisch 2), war, dass er er-
klärte, die unter seinem Namen ausgegangenen hebräischen
Werke seien gar nicht von ihm; er habe sie sich von
einem gelehrten Juden machen lassen, und nur seinen Namen
dazugesetzt, „gleich als ob du werst ein grosser gelerter
Doctor unnd lerer der Hebreyscher tzungen')." Gegen diese
Vorwürfe hat sich ßeuchlin vertheidigt, aber wir erkennen
den Ungrund der Beschuldigung an, auch ohne die Verthei-
digung gehört zu haben.
Er hatte sich gegen diese Anschuldigungen vertheidigt,
weil die Beschäftigung mit der hebräischen Sprache ihm eine
Herzenssache war. Er war stolz darauf, sie wiedererweckt
zu haben, nicht weil er reichen Lohn dafür erwartete, sondern
weil er im Stande gewesen, den Studien seiner Zeitgenossen
eine neue Richtung zu geben. Zu dieser Leistung fühlte er
sich gleichsam berufen;, die Juden, die einzigen Lehrmeister
der Sprache, seien bald ganz aus Deutschland verbannt, man
müsse fürchten, dass mit ihnen die Kenntniss der hebräischen
Sprache verschwinde und jede Gelegenheit aufhöre, sich die-
selbe zu verschaffen^). Es war ihm die heilige Sprache; mit
ihrer Erschliessung meinte er der Theologie einen wesent-
lichen Dienst geleistet zu haben und beklagte sich bitter,
dass das von den Kölner Theologen nicht anerkannt wurde 5);
erst durch sie, lehrte er, könne man in den Stand gesetzt
werden, die tiefe, verschlossene Wissenschaft der Philosophie
zu ergründen^).
1) a. a. 0. C 2b.
2) Er sagt einmal, Keuchlin verstände nicht soviel, „das du (Reuchlin)
eyn Epistel auss dem Latein in die Hebreysche sprach oder auss dem He-
breyschen in das Latein möchst übersetzen." Pf. Eyn mitleydliche claeg
vber alle claeg etc. (1521) G 1.
3) Eyn mitleydliche claeg F 4 b.
4) De Rudimentis hebraicis, Einleitung zum 1. Buch.
5) An Arnold v. Tungem, 28. Octbr. 1511. Epp. ill. vir. p iifg., ahn-
lieh in der Vorrede zu Septem psalmi poenitentiales 1, August 1512.
6) Rud. hebr., Schluss des 3. Buches,"
40 Johannes Beuchlin.
Und dennoch, obwohl es sein Liebstes war, sich dem
Studium dieser Sprache ganz zu weihen, erkannte er gar wol,
welches Vorurtheil noch gegen die Beschäftigung mit dersel-
ben herrschte, und als Pfefferkorn ihm einmal vorwarf, er
habe sich gern vor Fürsten und Herren seiner Kenntniss ge-
rühmt, da hatte er nicht Unrecht, wenn er der Zurückweisung
dieses Vorwurfs die Bemerkung hinzufügte, ein solches Prahlen
„hett mir vil mer zu verclainerung gediennt, dann zu ainem
lob^)." Und fast am Ende seines Lebens, 1518, als er sein
zweites grösseres Werk dem Cardinal Hadrian zueignete,
musste er es aussprechen: Nicht Durst nach Gold habe ihn
dazu getrieben, die hebräischen Geheimnisse zu lernen, nicht
eitle Ruhmsucht, im Gegentheil, er habe diese Studien ver-
bergen müssen, weil man sie eines hochgestellten Mannes
fUr unwürdig hielte^).
Dass dieses Vorurtheil flir die Folgezeit ganz geschwun-
den ist, das wird, wenn auch die Leistungen Reuchlin's jetzt
nicht mehr mit derselben hohen Bewunderung angesehen wer-
den, wie früher, . stets das Verdienst Reuchlin's bleiben 3).
1) EeuchUn's Augenspiegel (1511) fol. XXXV b.
2) Nulla me fames auri adegit ad hebraica mysteria discenda, nuUa
inanis gloria sitis, ea enim studia tum celanda vulgo erant, ut quae in tanta
dignitate constituto viderentur indecentia.
3) Wie sehr die Tübinger Universität Eeuchlin's Verdienste um's He-
bräische zu schätzen wusste, zeigt Folgendes: Am 18. April 1728 bei Ge-
legenheit eines Examens von 24 Studirenden veröffentlicht Decanus et col-
legium Facultatis Philosophicae einen Anschlag (ein Folioblatt in der k.
Stuttgarter Bibl. eingelegt in die Handschrift Hist. 560), in dem über die
hebräischen Lehrer in Tübingen gesprochen wird. Tübingen sei in der Re-
formationszeit den übrigen Universitäten überhaupt vorangegangen, in einer
Zeit, wo hebraea legere propemodum haeresis erat. Das erste hebräische
Buch, Psalmi poenitentiales VII, sei dort gedruckt (1512, der Anschlag gibt
falschlich an 1522), sed etiam de constituendo et vocando Professore harum
linguarum serium est actum. Quis vero vocaretur alius quam hujus litera-
tui;ae felicissimus Restaurator atque adversus ignarum et rudissimum istius
aetatis Monachorum pecus fortissimus Vindex, incomparabilis Reuchlinus, vel,
ut appellari amabat, Capnio, qui licet Juris Consultus, Comes Palatinus,
Consiliarius Caesareus et maxime Würtembergicus atque ad summas saepe
Aulas Legatus, tanto tarnen linguae sanctae flagravit amore , ut eam maxima
diligentia multoque pretio Vindobonae et Romae a Judaeis didicerit, in
scriptis suis doctissimis, lexico maxime, propagaverit, et cum in Bojorum
Angelopoli, tum hie Tubingae A. MDXXI. primus publice fuerit professus.
Johann BöeGhenstein and Mattti&iu Adrianns. 41
IV.
Johann Böschenstein und Matthäus Adrianus.
Das Vorurtheil, als sei ein Jeder, der sich mit dem Stu-
dium der hebräischen Sprache abgebe, ein Jude, als weiche
er von christlichem Wege, von christlichen Anschauungen ab,
hat sich namentlich gegen die beiden Männer gerichtet, deren
Lebensschicksale und Leistungen uns im Folgenden beschäf-
tigen sollen.
Matthäus Adrianus war ein geborener Jude aus
Spanien. Ob er selbst bei der Vertreibung der Juden aus
Spanien (1492) dies Land verlassen hat, oder von einer spa-
nischen Familie stammt^ lässt sich nicht entscheiden ; Keuchlin
nennt ihn einmal Hispanus^), das ist der Beweis für seine spa-
nische Herkunft, dass er ein getaufter Jude gewesen, dafür
liegen sichere Zeugnisse genug vor *). Er hatte in seiner Jugend,
wie jeder andere Genosse seines Glaubens, sich ohne Zweifel
die nothwendigen Kenntnisse in der „heiligen Sprache" er-
worben; aber sein eigentliches Studium sollte es nicht werden,
er war Arzt und ist es ohne Zweifel auch sein Leben hin-
durch geblieben; noch 1517 beglückwünscht Erasmus den
kranken Peter Aegidius, dass er einen Arzt (Adrianus) zum
Freunde habe 3).
Wann und wo Adrianus geboren, in welcher Weise er
sein Leben zugebracht bis zu dem Augenblick, wo er uns
zuerst begegnet, können wir nicht sagen ; auch von da an, wo
wir die erste sichere Spur von ihm besitzen, können wir keine
Annalen seines Lebens liefern, wir sind auf fragmentarische
1) Er sagt von einer Schrift Pfefferkorns (einer Uebersetzung des Ave
Maria u. s. w. in*s Hebräische), sie sei von Adriano Hispano iuste reprehensa.
Keuchlin an die Pariser Fakultät 19. Juni 1514. Epp. ill. vir. v 3 b.
2) Erasmus schreibt an Aegidius Buslidius: Adrianus genere Hebraeus,
sed reKgione iam olini Christianus. Erasmi Opera ed. Lugd. Bat. vol. III.
col. 353. u. a. m.
3) Er. Opp. a. a. 0. Epist. CCXL. col. 236. 17. April 1517.
42 Johann BÖschenutein und Matihäas Adrianus.
Notizen angewiesen, die aller Orten haben aufgelesen werden
müssen. Nach Conrad Pellikans Weggang (1509? 1510?), der
dem gelehrten Buchdrucker Johann Amorbach in Basel für
den Unterricht seiner Söhne im Hebräischen und für die Her-
ausgabe des Hieronymus nützlich gewesen war, nahm Amor-
bach den Adrianus in sein Haus auf. Er war von Reuchlin
und Pellikan warm empfohlen. Wie er deren Bekanntschaft
gemacht, darüber fehlen uns die Nachrichten; Pellikan hat er
im Hebräischen unterrichtet, und der Schüler rühmt den Lehrer
ungemein: „Er habe von ihm mehr gelernt, als von irgend
einem Andern, und viele Nächte schlaflos mit ihm zugebracht" ^).
Sein Antheil an der Herausgabe des Hieronymus lässt sich
nicht bestimmen, dass er aber im hebräischen Unterricht flir
die drei Söhne Amorbach's, Bruno, Basilius und Bonifacius,
Treffliches geleistet, beweisen spätere Zeugnisse % auch wissen
wir, dass er mit ihnen weiter in freundschaftlicher Verbindung
geblieben ist^). Einige Jahre wird er wol in Amorbach's
Hause oder jedenfalls in Basel geblieben sein; gegen das
Jahr 1513 wurde von ihm Wolfgang Fabritius Capito in der
hebräischen Sprache unterrichtet. Dass der Unterricht von
Erfolg begleitet gewesen, meldet Sebastian Münster, freilich
1) Für Adrians Stellung bei Amorbach vgl. Fechter: Bonifacius Araor-
bach in : Beiträge zur vaterländ. Gesch. Basel 1843. 2. Bd, S. 179 fg.
2) Erasmus rühmt die tres doctissimos juvenes fratres Amorbacchios,
Hebraicarum quoque literarum pulchre doctos, an den Cardinal Grimanus
31. März 1515. Er. Opp. III. col. 143; vgl. auch Praefatio in Augustinmn
(1529) col. 1249; ähnlich an Leo X. col. 154. In diesem Briefe, der Wid-
mung der Ausgabe des Hieronymus an den Papst, bezieht sich aber die
Stelle: Quod idem (nämÜch die Verbesserung der vielen Fehler) factum est
et in Hebraicis : verum o6x aveu ÖTjaiwc, ut Graecum habet proverbium,
quod eas literas ipse primoribus modo labris degustarim (col. 153), wol auf
Reuchlin, von dem es dann bei Aufzählung der Mitarbeiter heisst: Inter
quos est eximius ille vir Joannes Reuchlinus Phorcensis, trium linguarura
Graecae, Latinae et Hebraicae pene ex aequo peritus, ad haec in nullo doc-
trinae genere non versatus, ita ut cum primis certare possit. Unde merito
virum hunc ceu phoenicem et unicum suum decus tota suspicit ac veneratur
Germania (col. 154).
3) Bruno schreibt an Bonifacius (1519) : Habes Matthaeum Hadrianum,
quondam in litteris hebraicis praeceptorem nostrum, virum Optimum qui te
non secus ac filium amat. Fechter a. a. 0,
Johann Böschenüteiu and Matthäutf Adrianiu. 43
nenut er den Adrianus einen difficilis praeceptor ^) ; ob das
auf seine Lehrmanier oder auf seine Umgangsformen, die, wie
wir noch sehen werden, allerdings nicht Jedem annehmbar
schienen, sich bezieht, ist ungewiss.
1513 wandte sich Adrianus — die Veranlassung dazu ist
unbekannt — nach Heidelberg. Er lehrte hier Hebräisch bis
1516, wie es scheint, ohne öffentliche Lehrthätigkeit, nur
privatim 2). Gewiss sind Viele von ihm während dieser Zeit
zu diesem Studium angeregt oder in demselben gefördert
worden, von dem später so bekannten Theologen Johann
Brenz ist es sicher, dass er hier 1514 seinen Unterricht an-
gefangen hat 2), ebenso von Johannes Oekolampad^).
So wenig wir wissen, welche Veranlassung ihn nach
Heidelberg getrieben hat, so unbekannt ist es uns auch, was
ihn zum Verlassen dieser Universität bewog. Wenn es richtig
1) Sebastian Münster, Vorrede zu Opus graramaticum consummatura :
Circa annum Christi 1513 Wolfg. Capito .... nactus copiam cuiusdam Judaei
baptizati, Matthaei seil. Adriani, coepit et ipse sub difficili tarnen prae-
ceptore, feliciter hebraicari. Wo der Unterricht stattgefunden hat, lässt sich
freilich nicht bestimmen. Adrianus mag man sich bis gegen Ende 1513 in
Basel denken ; aber nach der Darstellung Baum's (Capito und Butzer, Elber-
feld 1860, S. 12—17) ist Capito 1512—1515 in Bruchsal gewesen und erst
im Mai 1515 nach Basel gekommen. Dagegen Folgendes geltend zu machen
scheint bedenklich. In der Leydener Ausgabe der Briefe des Erasmus (vom
Jahre 1706, Opera Tom. III), die wegen der Unzuverlässigkeit ihrer Brief-
daten berüchtigt ist, findet sich ein Brief des Erasmus an Henricus Bovillus
vom 31. August 1513 (col. 129, nro. CXLVIIL), worin er schreibt: Fabricius
Capito in insignem Theologiae cognitionem in Basiliensis Ecclesiae CoUegium
cooptatus, ubi publicum concionatorem agit. Danach müsste also die Be-
rufung schon vorher, vielleicht gegen Anfang 1513, erfolgt sein. Erasmus
föhrt fort: vir, praeter alias egregias disciplinas trium linguamm non vul-
gariter peritus, graecae, latinae et hebraicae; domique vita tam integra,
moribus tam piis, ut nihil unquam viderim incorruptius. Die Stelle würde
ihrerseits zu dem Schlüsse führen, dass Capito schon vor dem Unterrichte
Adrians ein tüchtiger Hebräer gewesen sei.
2) Vgl. Hautz, Geschichte der Universität Heidelberg. 1. Band. S. 370.
3) Beyschlag, Leben des Brenz, p. 330. Einen Beweis seiner Kennt-
niss legt er in einem Briefe an Pirckheimer ab, dem er schreibt: Veneran-
dum certe ac propemodum divinum apud me BiHbaldi nomen nam TO\?^ '•BS
^K bb.T (Proverb. XII, 8) abgedruckt bei Freytag: Epistolae virorum doc-
torum (Leipzig 1831) p. 3.
^) Herzog, Leben Oekolampad's (Basel 1843) I, S. 107, wo der Lehrer
unrichtig Matthäus Adriani genannt wird.
44 Johann BÖschsnstein and Matthäus AdrianoB.
ist, dass er schon 1516 Heidelberg verlassen hat, so sind wir
wieder für ein Jahr ohne Nachricht: 1517 treffen wir ihn in
Ltittich. Hier hatte er den Berselius, einen Frennd des £ras-
mus, zu grosser Zufriedenheit des Schülers einen Monat lang
im Hebräischen unterrichtet; jetzt trieb ihn die Lust, den
Erasmus kennen zu lernen, nach Löwen; Berselius gab ihm
einen Empfehlungsbrief mit (17. September 1517), wünscht
aber sehr, der üeberbringer möge zu ihm zurückkehren^).
Aber dieser Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen. Ein
reicher Freund des Erasmus, Hieronymus Buslidius, war ge-
storben und hatte in seinem Testamente zur Errichtung eines
collegium trilingue eine Summe von mehr als 20,000 Franken
vermacht ^); dem Erasmus war die Einrichtung desselben, die
Wahl der Professoren übertragen worden. Schon am 26. Octbr.
meldet Erasmus einem Freunde, ein vorzüglich gelehrter He-
bräer, Matthäus, sei da 3). Er schickte ihn alsbald dem
Aegidius Buslidius, dem Bruder des Verstorbenen, zu, dem er
wol gefiel. Um ihn dem Buslidius zu empfehlen, konnte
Erasmus kaum genug Worte finden: kein Anderer sei in der
Kenntniss des Hebräischen mit ihm zu vergleichen, das meine
nicht er allein, alle Grelehrten Deutschlands und Italiens be-
zeugten dies. Er sei so gelehrt und in jeder Beziehung aus-
gezeichnet, dass man seine Ankunft als eine günstige Schickung
Gottes betrachten müsse; man dürfe ihn nicht loslassen, er würde
ihn halten, und sollte er ihn auf eigene Gefahr annehmen ^). Zur
Zeit, als er dies schrieb (Novbr. 1517), hatte Matthäus noch nicht
seinen festen Wohnsitz in Löwen genommen^). Aber schön
1) BerseHusDesiderioErasmo in Opp.Er.III. col. 1633 (Epist. CLXXXVIII
appendix) 17. Sept. 1517.
2) Er. Budaeo: Destinata enim sunt huic negotio plus viginti fran-
corum millia. 22. Febr. 1518. Opp. III. col. 305 epist. CCCV.
3) Thomae Lupseto Opp. III. col. 1638. Epist. CXCVI (Append.).
4) Opp. III, col. 353, Epist. CCCXXXVIII. Das Datum, 18. Oct. 1518,
ist gewiss falsch, es muss heissen 1517.
ß) Pro Hebraeo benigne comiterque accepto agerem tibi gratias, orna-
tissime Buslidi, ni magis liberet gratulari tibi cui nitro obtigerit ille votis
Omnibus exoptandus ad hoc negotii, quod haud dubii toti genti Buslidianae
famam ac decus pariet nunquam intermoriturum, quodque studia omnia variis
modis coUapsa restituet. Neque deerunt in caetris Gymnasiis, qui pulcher-
rimum hoc institutum aemulentur . . . Matthaeus nondum huc commigravit.
Jokann Böschensteiii und MstthAiw AdrUnofl. 45
am 30. November war er da ; Erasmus meldet dem Grafen
von Nenenaar, dass Matthäus, der Freund Reuchlin's,
den auch er kenne, bei ihnen eingezogen sei '), und theilt die
freudige Botschaft von der Aufnahme seines Lehrers dem
Fabritius Capito mit^). Und an den vielen Stellen seines so
ausgedehnten Briefwechsels vergisst er nie, so oft er unseres
Adrianus Erwähnung thut, ihn mit einem ehrenden Beinamen
zu versehen, seine Kenntnisse als nach seinem und anderer
gelehrten Leute Urtheil ausgezeichnete zu preisen^).
Und wirklich schien anfanglich Alles vortrefflich zu gehn;
wir kannten bisher nur zwei Sprachen, jetzt lernen wir drei,
konnte Erasmus bereits am 6. März 1518 melden. Matthäus
unterrichtet lediglich in seiner Sprache, eine hebräische
Partei schaart sich um ihn, deren Führer Martin Dorpe ist,
bald wirst Du ein neues Zeitalter anbrechen sehn^). Aber
schon am 13. März, wo Erasmus dem Oekolampad mittheilte,
dass Adrian auf Lebenszeit angestellt sei, und dass Alles
zur Zufriedenheit von Statten gehe'^), schreibt er auch dem
Capito über ein Begegniss, das er seinetwegen mit ihm gehabt
habe und das, wie es scheint, in Geldangelegenheiten zwi-
schen Capito und Adrian seinen Grund gehabt hat. Mit der
ebenso leicht vergänglichen, wie schnell auflodernden Freund-
schaft des Erasmus war es nun vorbei, schon jetzt, meint er,
Adrian werde wegziehn, wie das seine Gewohnheit sei, auch
aus Middelburg sei er bereits früher wegen Schulden fortge-
zogen ^) 5 seine Geldgier tadelt auch Dorpius in einem etwas
Ornatissimo viro Domino Aegidio Buslidio . . Erasmus. Opp. Er. III. col.
1653. Epist. App. CCCXXXII.
1) Er. Opp. III. col. 1644 Epist. CCX. (Append).
2) 6. Decbr. 1517, a. a. 0. col. 1646. Ep. CCXV.
3) z. B. col. 270 epist. CCLXXV., col. 319 epist. CCCXIV., col. 382,
epist. CCCLXVIII., col. 1654 epist. (append.) CCXXXIV.
4) Petro Barbirio Opp. III, col. 307. Epist. CCCVII.
5) a. a. 0. in, col. 1675, epist. CCLXXII (append.)
6) De Mattheo dicam quod rideas. Inviserat ille nos . . ego no mibi
tarn occupato molcstus esset, mitto tuas literas ad illura scriptas: redit ab
atrio minister, nuntians illum tribus duntaxat volle convenire; annuo, ad-
scendit, exhibet epistolam, rogat uti sibi praelegam, nam dcesse conspicillam,
lego semiperiodum, et mox ad illum versus, non admodum blandum, inquam,
exordium, praestat ut ipse perlegas; imo, inquit, cupio te ista scire; pergo
46 Johann Boschenstein und Matthäus Adrianus.
späteren Briefe, wo er zugleich als Grund der Unzufriedenheit
des Adrianus die schlechte Ausbezahlung des Gehaltes an-
gibt 0. Unterdess hatte sich Adrianus über den Brief des
Capito keineswegs beruhigt, er zürnte gewaltig und sagte, er
sei von Capito aufs Aergste beleidigt worden 2). Lange hielt
er es nicht mehr aus, freilich weder die Geldverhältnisse noch
der kleinliche Streit mit Capito mochten ihn zum Weggehen
von Löwen veranlasst haben, letzterer um so weniger, da
Capito nicht an demselben Ort lebte — der wahre Grund ist
wol in dem Gegensatz zu suchen, der auch den Erasmus von
Löwen vertrieb, in dem die freiere humanistische Partei sich
gegen die Anhänger der scholastischen befand. Sie hatten,
wie berichtet wird, dem Adrianus von Anfang an Widerstand
entgegengesetzt, mit der Zeit wurde das eher ärger als besser,
und als Adrianus gar in einer öffentlichen Rede den h.
Hieronymus als einen gewöhnlichen Menschen darstellte, er-
reichte die Wuth seiner Gegner ihren Höhepunkt; einer der
Professoren, der später als Gegner Luthers so bekannt ge-
wordene Latomus, gab eine Schmähschrift gegen ihn heraus
und Adrian rausste Löwen verlassen^).
Er wandte sich nach Wittenberg. Schon am 7. November
1519 hatte sich Luther an Spalatin gewandt, ihm das Gesuch
Adrians geschickt, in Wittenberg das Hebräische zu lehren,
und zur Berücksichtigung empfohlen, und am 7. December
iussus : cum duriora semper succederent, moneo ut solus ipsc legat ; ille orare
ut legere pergam; perlego, ridens interira: ille longam incoeptat apologiam,
clamitans omnia esse falsissima, imo te sibi debere. Ego, quoniam eram
occupatissimus, rogo ut eam fabulam in aliud tempus differat. Ait se tibi
respondisse: minatur sese, quae in tua Grammatica docuisti, reprehensurum
omnia. Opinor hominem hinc disccssurum ut solet: nam ex Middelburgo
cum suramo tumultu discessit ob acs alienum.
Opp. m. col. 1675. Epist. CCLXXII (App.).
1) DorpiusErasmoinEr. Opp. III. col. 332. Epist. CCCXXIII. 14. Juli 1518.
2) Erasmus Capitoni. Opp. III. col. 1682 nro. CCLXXXIX (Append.)
19. Octbr. 1518.
3) Das Letzte nach Köhler: Beyträgc zur Ergänzung der deutschen
Kunst- und Literaturgeschichte, Leipzig 1794. Tli. 2, S. 14—17. Die Stelle
über Hieronymus lautet: Homo erat H., multa nescivit, alicubi dormitavit,
quaedam casu praeteriit — multa depravata sunt.
Johann Böschenstein nnd Mattliftns Adrianos. 47
wiederholt er die Bitte i). Bald waren die Unterhandlungen
im Gange; flir 90 oder 100 Gulden jährliche Besoldung war
Adrian bereit, die Stelle anzunehmen. So leicht scheint der
Churflirst aber sich nicht dazu haben verstehen zu wollen,
und erst auf die dringende Mahnung Luthers, ihn wenigstens,
um die Schande zu vermeiden, auf ein Jahr zu nehmen, sonst
würde er nach Leipzig oder nach Frankfurt a. 0. gehen, er-
folgte die Anstellung (16. April 1520 2). Ein sehr freundliches
Verhältniss scheint trotz der grossen Mühe, die Luther sich
gab, ihn nach Wittenberg zu ziehen, trotz der grossen Aner-
kennung, die er seinen Fähigkeiten zollte, zwischen ihm und
dem neuen Ankömmling nicht geherrscht zu haben; wenn
Luther auch in verschiedenen Dingen ihm behülflich war, ihm
zu seiner plötzlich geschlossenen Heirath (13. Januar 1520)
alles Glück wünscht, so beklagt er sich doch ziemlich bitter
darüber, dass Hadrian ihm ziemlich viel zu schaffen mache ^).
Noch nicht vier Monate später war das Verhältniss vollständig
gelöst: Adrian wüthet, schreibt Luther (3. Oktober), und sucht
eine Gelegenheit, fortzugehn. Ich habe ihm nichts gethan,
dennoch verfolgt er mich, will mich das Evangelium lehren,
er der nicht einmal seinen Moses versteht *). Und kaum einen
Monat darauf war die Feindschaft offen ausgebrochen, Adrian
hatte sich der Lehre Luthers, dass nur der Glaube etwas ver-
möge und die guten Werke ohne Kraft seien , widersetzt.
Einen ganz ungelehrten Menschen in der Theologie nennt er
ihn, vollständig unnütz und gleich zu entlassen^), und wäh-
rend er sich früher sehr bemüht hatte, den Adrian nach
1) de Wette: Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken, I, 8.365.
366. 373. Wenn bereits am 6. Decbr. 1519 Petrus Mosellanus von Meissen
aus an Julius Pflug schreibt: »Churfurst Friedrich verschreibt jetzt Mat-
thäum Hadrianum, den stattlichsten hebräischen Mcdicum unserer Zeit, aus
Löwen nach Wittenberg,« Luthers Werke ed. Walch, Band XV. p. 1425, so
ist entweder das Datum falsch, oder Mosellan berichtet etwas als sicher,
worüber die Unterhandlungen kaum begonnen waren.
2) de Wette, Luthers Briefe, I, S. 420. 440 fg. Die erfolgte Anstel-
lung meldet auch Melanchthon an Johann Hess und Lange in Corpus Re-
formatorum ed. Bretschneider vol. I, p. 161. 168.
3) de Wette, I, S. 442. 445. 449. 454.
4) de Wette, I, S. 492.
5) 4. Novbr. 1520, de Wette, I, S. 522.
48 Johann Boschenstein und Matthäus Adrianus.
Wittenberg zu ziehn, verschafft er ihm jetzt (17. Februar 1521)
gern die erbetene Entlassung, und freut sich, von diesem
Menschen befreit zu sein^).
So ist er aus Wittenberg fortgezogen, möglich dass er
sich nach Leipzig gewandt hat, wie Luther vermuthete 2).
Ein talentvoller Mensch, von vielem Wissen und freier An-
schauung in Leben und Glauben, der es wol weniger seiner
Unverträglichkeit zuzuschreiben hatte, dass er nirgends eine
feste Stätte finden konnte, sondern den kleinlichen Nachstel-
lungen, die ihm seine Gegner bereiteten, die es nicht zu ver-
gessen schienen, dass er ein Jude war 3).
Von seinen Schülern ist noch Sebastianus Nucenus zu
erwähnen, der in Löwen bei ihm hörte und der uns noch
später beschäftigen wird; von hebräischen Schriften findet
sich nur eine Uebersetzung der Oratio dominica erwähnt^).
Ungleich bedeutender als Adrian ist JohannBöschen-
stein, der durchaus nichts gethan zu haben scheint, um den
Hass zu verdienen, mit dem man ihn verfolgt hat. Man hat
ihn häufig den zweiten Wiedererwecker der hebräischen
Sprache genannt und ohne Zweifel verdient er nach ßeuchlin
einen hervorragenden Platz. Boschenstein^) war 1472 in
Esslingen geboren. Er lernte — ob in seiner Vaterstadt oder
anderswo, ist nicht bekannt — von Judfen das Hebräische
und das hat wol hauptsächlich die Veranlassung gegeben,
ihm vorzuwerfen, er sei ein geborener Jude. Wir lassen ihn
1) de Wette, I, S. 560.
2) Vgl. auch Wiedemann: Dr. Johann Eck, Regensburg 1865, S. 177,
Anm. 62, der aber fälschlich einen Brief auf Sylvius Egranus bezieht, der
auf unsem Adrianus zu deuten ist. Egranus war noch 1527 mit Luther
befreundet, nach Döllinger: Die Reformation, I, S. 132 fg.
3) So schreibt Melanchthon an Spalatin (22. Febr. 1521): De Wittemberga
hoc tempore nihil novi scribere possum. Nam de Adriano ^evooyp(ax(i), sive
mavis Hebraeo, ex aliis intelliges. Corp. Ref. I, p. 359.
*) Vgl. Genaueres in meiner Bemerkung im Serapeum 1868, Nro. 13,
S. 197, Anm. 2. Seine Intoductio ad Linguam Hebraicam, Basileae 1518
in 80 und Haganoae 1519, in 40 erwähnt Wolif: Bibliotheca Hebraea IV,
S. 273.
5) Eine Biographie hat Köhler: Beyträge zur deutschen Kunst- und
Literaturgeschichte, Leipzig 1794, 2. Theil, S. 1 — 23, gegeben.
JohMn B60cheiurtein und Matth&qg AdrUniu. 49
selbst erzählen ^). ,,Iiat sich aber begeben , das ein gaistlich
person mich dargeben, ich seye ain getanffien Jnd, and mein
vatter sey ain hochgelerter Raby andern jaden gewesen, da-
rumb sey ich wider die Bilder and Gemäl, das man sy nit
machen oder braachen soll etc. Des mass ich mich (Oott
verzeyhe mirs) verantwarten, nit von meinen wegen, sonder
meiner freandtschafft and meinen nachkamenden geplaet zu
gat. Und ich sag also, mein lieber vater sälig ains*gar alten
geschlechts der stat Stain am Reyn anderhalb Costenz ge-
boren and herkommen, ist gat Heinrich Böschenstein and
noch heat, aaff Datam diser schrifft, meines vatters braders
san gat Klöwe JBöschenstain and Batt Böschenstain, noch
disen tag za Stain vischer seind, heaslich and Bargerlich da
wonend. Das red ich nit daramm, ob ichjoch (wie der Bra-
der von mir sagt) ains Jaden san were, mich dester
verwtirflicher vor got schätzen, dann ich wayss das
got kein person besonder ansieht, aber ainyeder, der got
furcht and würkt die gerechtikeit, er sey welches geschlechts
oder Volks er wolle, der ist angenem got dem herren, aber
ich mass dannocht meinen nachkommen za gat disen argk-
won ambstossen" *). Und an einer andern Stelle desselben
Schrifkchens : „Also (nämlich den reinen christlichen Glaaben)
haben mich meine frammen altern, vatter and mein liebe
matter gelert, die framm gebom Christen seind gewesen, das
ich mit ainem Ersamen Bat der stat Esslingen, and der stat
Stayn in Schweytz, genagsam beweysen mag. Aach hab ich
1) Das Folgende ist entnommen aus: Ain diemietige Versprechung:
Durch Johann Böschenstain, gehom von Christenlichen altem, ausz der stat
Esslingen, wider etlich die von jm sagen. Er seye von Jüdischem stammen,
und nit von gebomen Christen herkommen, Zugesannt dem Christenlichen
seynen liehen Bruder Andrea Oslander, Prediger zu Nürnberg, der samlung
sant Lorentzen Pfarr genandt s. 1. e. a 5 Bll. in 40, auch abgedruckt bei
Hummel: Neue Bibliothek von alten und seltenen Büchern, Nürnberg 1775,
I, S. 415 fg., der es wol mit Eecht ins Jahr 1523 setzt, in welchem Oslan-
der Pfarrer zu St. Lorenz in Nürnberg wurde. Ueber Oslander vgl. unten.
Wer die »gaistlich person" ist, von der Böchenstein tadelnd spricht, ist nicht
bekannt.
3) Dass er auch von Juden ge]ias8t sei, weil er ihre Sprache gelernt
habe, gibt er in dem unten anzuführenden Briefe an Eeuchlin an; als einzige
Ausnahme nennt er seinen Lehrer Moses Möllin aus Weissenburg.
Geiger, Stadiam. 4
50 Johann Bo8clien«itein und Matthäus Adrianos.
darnach getreuwe frumme Christglaubige schulmayster gehapt
an vil orten, auch auflf Hohenschulen bey frummen gelerten
männern die schriflft gelernt." Er kannte den Grund des gegen
ihn gerichteten Vorwurfs ganz gut und spricht sich am Schlnss
darüber so aus : ^^Allerliebster Andrea, dises hab ich dir znge-
schriben, das ich way^s, dich auch mit sollich gleicher that
angetascht und verletzet von aynem Phariseyschen menschen
mit unwarheit, wir müssen entgelten der Hebrayschen
hayligen sprach; so wir von Christenlichen altem geborn,
und diser (bey vns ungewonlichen) hayligen zungen ain
wenig bericht seynd, von unverstandnen menschen verhasst
werden."
Trotz dieses energischen Dementis, das Böschenstein dem
über ihn verbreiteten böswilligen Gerüchte entgegensetzte, er-
hielt es sich doch und selbst Sebastian Münster gab sich,
vielleicht durch kleinlichen Neid dazu bewogen, zur Verbrei-
tung desselben her. Zu der Angabe, dass Böschenstein ein
getaufter Jude gewesen, fügt er den neuen Vorwurf hinzu,
dass er zu den getauften Juden gehört habe^ „die am An-
fange des erwachenden Studiums privatim aber ohne Erfolg
die heilige Spracfie lehrten, da sie kein lateinisch verstanden ;
Böschenstein namentlich habe seinen Schülern viel Geld abge-
nommen, aber nichts gelehrt. Zeugen sind die, die ihn gehört
haben" ^). Den letzten Vorwurf ebenso absolut zu verneinen,
wie den ersten, ist aus Mangel an Zeugnissen nicht möglieb;
die drei Männer, von denen es hauptsächlich bekannt ist, dass
sie Böschensteins Unterricht im Hebräischen genossen haben,
Caspar Amman, Johann Eck und Sebastian Sperantius, haben
sich allerdings nicht über ihn beklagt^).
1) Fuerunt et in exordio huius nascentis studii quidam baptizati
Judaei, qui privatim sed sine fructu docuerunt sacram linguam, carentes
latinae cognitione, inter quos Joannem Auchsenstein nrnnerandum censeo,
qui levato multo aere a discipulis nihil docuit. Testes sunt qui iUum audie-
runt. Sebastian Münster, Vorrede zum Opus grammaticum consummatum.
Die Corrumpirung des Namens Böschenstein in »Auchsenstein« darf nicht
Wunder nehinen ; in gleicher Weise kommen Bossensthenius u. A. vor.
2) Ueber Johann Eck s. o. S. 30, A. 1, über Caspar Amman unten,
Sebastian Sperantius war Bischof von Brixen und stand mit Beuchlin in
Briefwechsel. Diese und viele andere nennt Böschenstein als seine Schüler
Johann Böschenatein und Matth&as Admnns. 51
Aach sonst ist es nicht sehr wahrscheinlich, denn er war
als Lehrer sehr gesucht, und wenn ihm das Glück nirgends
hin folgte, so war das nicht die Schuld seines Mangels an
Fähigkeit. Nachdem er in Esslingen (?), seiner Vaterstadt, das
Hebräische gelehrt, aber hier Verfolgungen von den Feinden
der Aufklärung zu erleiden gehabt hatte und sogar ins Ge-
fängniss geworfen worden war '), ging er 1514 nach Augsburg
und setzte hier seine gewaltsam unterbrochene Thätigkeit
fort, ohne sich auch hier den Vorwürfen wegen seiner Ab-
stammung und sonstigen gehässigen Anklagen entziehen zu
können. Dann gehörte er Ingolstadt eine kurze Zeit an —
wol nicht als Universitätslehrer, 1518 kam er nach Witten-
berg. Melanchthon hatte bald nach seiner Ankunft in Witten-
berg auch hebräisch zu lehren angefangen, doch freut er sich
über die Berufung Böschenstein's : er wolle ihm gerne den
bisher innegehabten Platz einräumen, ihn in seiner Aufgabe
soviel als möglich unterstützen, um ihm zum Schreiben und
Herausgeben Zeit zu lassen ^). „Von Böschenstein gefallt Alles
in einem Briefe au Reuchlin, 2. Juni 1514, mit welchem er ihm eine kleine
Schrift widmet. Dieselbe fuhrt den Titel : nrniK »anK Dm CONTENTA
IN HOC LIBELLO NVPER a Joanne boeschenstein esslingensi edita
Elementale introductorim in hebreas literas teutonice et hebraice legen-
das u. s. w. Am Ende: Auguste ex officina Erhardi oeglin mense Maio
Anno MDXmi, 3 Bogen ä 4 BU. in 40.
Dieses sehr seltene Schriftchen (ich habe es aus* der Heidelberger
Bibliothek benutzt) wird als das erste in Augsburg gedruckte hebräische
Buch angeführt. Es enthält ausser der kurzen Anweisung jüdisch -deutsch
zu schreiben, dem ersten von christlicher Seite gemachten Versuche dieser Art,
das eigentlich hebräische Alphabet; Begeln über das Schewa und die Punkte;
die Zehngebote," das Vaterunser, Ave Maria, Credo, Magnificat und einige
Stücke aus den Evangelien hebräisch, lateinisch und deutsch. In dem Briefe
sagt er, dass er das Schriftchen auf Verlangen seiner Schüler, namentlich
aber auf dringendes Bitten Reuchlins veröffentlicht habe.
1) Brief an Keuchlin : Nam quod scis me similis fortuna multos annos
agitavit, quando scilicet a rabidis indigne laceratus et in carcerem coniectus fui.
2) Melanchthon an Spalatin, Anfang September 1518. Corpus Refor-
matorum I, col. 44 fg. Das Album Academiae Wittebergensis ed. Förste-
mann p. 77 erwähnt zwischen dem 2. und 5. November 1518 unter den
Eingeschriebenen: Johannes boschenstein de Esslingen Privilegiatus Cesaree
Maiestatis Pbr. Hebraice ligue (!) interpres Dioc. Constancien. ; aber das
Datum muss, wenn man nicht annehmen will, B. habe sich einige Monate
nach seiner Anstellung einschreiben lassen, irrig sein.
4*
52 Johann BÖschenstein and Matthäus Adrianns.
sehr wohl", schreibt er an seinen Freund Spalatin ^), begleitet
die Grammatik Böschensteins mit einem kurzen Nachwort und
beeilt sich, dieselbe an Spalatin und an den Churfürsten von
Sachsen zu schicken^). Im Anfang des nächsten Jahres
empfiehlt er ihn an Christoph Scheurl in Nürnberg (wohin
Böschenstein vielleicht im Auftrage der Universität ging) mit
dem Zusätze, dass es ein trefiSicher Mann sei^). Aber im
April verliess Böschenstein die Universität, weshalb? ist dai^
mals nicht klar gewesen und ist es heute noch weniger.
Man bedauerte seiner Kenntnisse wegen ihn verloren zu haben,
aber Luther vergisst ihm nicht einen kleinen Fusstritt -mit-
zugeben, indem er ihn unsern Böschenstein nennt, „dem Namen
n^ch ein Christ, in der That aber ein Erzjude,"*) und Me-
lanchthon erzählte boshaft genug 1550 Folgendes über ihn:^)
„Wir hatten vor 30 Jahren einen Professor des Hebräischen
hier, der sagte: was soll ich thun? ich kann anderswo leben,
wo ich mich besser stehe. Ich fragte, welchen Ort er meine.
Er antwortete : ich könnte in Eegensburg unter den Juden frei
leben. Einmal ging ich des morgens der Gesundheit wegen
in ihrem Tempel spazieren. Da kam eine alte Frau, gab mir
einen Batzen und bat mich für sie eine Messe zu lesen (!),
ebenso eine zweite und eine dritte, so kann ich die Woche
sechs Batzen verdienen."
Von Wittenberg begab sich Böschenstein nach Augsburg,
aber er blieb hier nur kurze Zeit; er kam nach Heidelberg,
wo sein Aufenthalt gleichfalls nur ein ziemlich vorübergehen-
der war — von seiner traurigen Existenz daselbst ist an
1) 14. September, Corp. Bef. I, col. 45.
2) 16. December 1518, 1. c. I, col. 56.
.8) 26. Januar 1519: Joannem Boeschenstain egregie doctum in hebraids
meo privatim, dein et public© Universitatis nomine, tibi com-
mendo. Bonus vir est. 1. c. I, col. 61.
*) An Job. Lang, 4 post Judica 1519; de Wette, Luthers Briefe I, 254
deutsch bei Walch, Luthers Werke, Band 15, Anhang S. 99 S,
5) Narationes iucundae et utiles ex praelectionibus . . . Philippi Me-
lanchthonis, früher handschriftlich im Besitz von J. G. Schelhorn, angeführt
in dessen Ergotzlichkeiten aus der Kirchenhistorie und Literatur, 1763,
IL Band, S. 737. Der Name Böschensteins ist nicht genannt, aber schon
Schelhorn hat ihn ergänzt.
JolMDii Bdflchenstein und MattUiu Adri*nas. 53
anderm Orte zn sprechen, lieber sein späteres Schicksal fehlen
die Nachrichten, er starb 60 Jahr alt.
Seine schriftstellfrischen Leistungen können nur theil-
weise in den Bereich der Betrachtung gezogen werden. In
Wittenberg veröffentlichte er 1518 eine hebräische Grammatik *),
bei d^r bekanntlich die typographische Merkwilrdigkeit zu
erwähnen ist, dass für die zahlreich vorkommenden hebräischen
Wörter, ganze Tabellen u. s. w. ein leerer Baum gelassen
und dieselben nur hineingeschrieben sind. Böschenstein wid-
mete sein Werk dem Churflirsten von Sachsen. Der höchste
Ruhm sei der der Wissenschafken, er, der Fürst, habe ihn
sich dadurch erworben, dass er auf seiner Universität die
drei Sprachen lehren lasse, was bis dahin unerhört sei. Er
müsse daher, setzt er mit einer gewissen stolzen Wohlgeßillig-
keit hinzu, als der erste öffentliche Lehrer ihm, der zuerst
einen Hebräer an eine Universität berufen, sein Werk widmen.
Zwanzig Jahre lang habe er bereits privatim diese Sprache
gelehrt, welches Glück flir ihn, sie nun öffentlich vortragen
zu können ! Dieses glückliche Bewnsstsein erhebe ihn über all
den Neid, dem er bisher ausgesetzt gewesen sei, die Verfol-
gungen, die er bisher zu dulden gehabt habe. „Die Juden
hassten mich, weil ich eine Wissenschaft lehrte, die bisher
den Christen unbekannt war; von ungelehrten und ungebildeten
Priestern wurde ich beschuldigt mit Juden umzugehn, wäh-
rend ich mich ihrer nur soweit bediente, um ihre wilden
Weinstöcke in den Weinberg des Herrn zu tragen"*).
1) Hebraicae Grammaticae institutiones studiosis sauctc lingue a D.
Johann Boschenstain C. M. C. collecte. (Das Büchlein geht von links nach
rechts) 4 Bogen ä 4 Bll. in 40. Auf der letzten Seite kurzes Nachwort
Melanchthons; darunter: Wittenbergii in officina Joannis Grunenbergii Anno
domini MDXVIII. Förstemann (in der Anmerkung zu Corp. Ref. I, col. 54)
meint, die Buchstaben C. M. C. hätten Bezug auf Böschensteins Titel:
Eaiserl. Maiestat gefreieter hebräisch. Zungenmeister.
2) Vgl. 0. S. 49, A. 1. Die letzte Stelle, die wie die vorhergehenden ziem-
lich stark ruhmredig ist, lautet: Odio Judaeis eram quod literas publicarem
hactenus vulgo Christiano ignotas, a plerisque indoctis et male imbutis sacrificis
criminabar iudaice consuetudinis quibuscum eatenus conversatus sum quatenus
feraces eis vites auferrem in vineam domini conserendas. Den Schluss bildet
ein schönes Lob Eeuchlins : Omnium autem quae vel hactenus scripsi, aut scrip-
turos aliquando sum, clarissimum virum D. Joannem Beucblin Juris divini
54 Johann Böschenstein und Matthäus Adrianus.
Die Grammatik ist ,eiiie eigenthümliche Verbindung prak-
tischer und theoretischer Lehrmethode. Nach der Aufzählung
der Buchstaben wird die Eintheilung derselben, die Conso-
nanten, Vokale, dann das Schewa behandelt; darauf folgt unter
dem Titel: Incipit Genealogia Marie virginis ex qua homo
natus est, ßex regum Hiesus tV^^ V^^lni deus optimus maxi-
mus, die hebräischen Namen der Glieder dieser Geschlechter-
reihe von Adam an, und die folgenden 5 Blätter sind mit der
Erklärung dieser Worte, die zwei geschriebene Seiten aus-
machen, angeftlllt, in der jeder einzelne Buchstabe, jedes
Zeichen, die Zusammensetzung der Silben u. s. w. ausein-
andergesetzt wird. Dem eigentlich grammatischen Theil Ars
grammatica ist der bei weitem kleinere Theil des Büchleins
eingeräumt, er bespricht die Redetheile, die Deklination, die
Artikel, die Zahlwörter, die Bezeichnung derselben mit Buch-
staben, die Pronomina, endlich das Verbum, wo pakad als
Paradigma zu den ziemlich kurz gehaltenen Tabellen gegeben
wird. (Die Ausdrücke Kai, Niphal u. s. w. finden »sich nicht,
statt dessen wird Prima conjugatio, passivum primae u. s. w.
gesagt.) Zum Schluss wird nochmals eine kurze Uebersicht
der Buchstaben und der Vokalzeichen gegeben.
In Augsburg veranstaltete Böschenstein eine Ausgabe der
Grammatik des Moses Kimchi, er hatte von dem Verleger
Sigismund Grimm den Auftrag erhalten, die Fehler, von denen
die vorhandenen Exemplare des Buches wimmelten, zu be-
seitigen ^). Jedenfalls verstand er sich auf diese Arbeit besser
als auf die Uebersetzung biblischer Bücher ins Deutsche, seine
Uebersetzung der Klage Jeremias und des 9. Cap. Daniels *)
ac humani consultam, qui primus ex latinis de Hebraicis literis scribere
adorsns est, et patronum et iudicem, ut semper veneratus sum, ita nunc
quoque dico et veneror. Auch bei einigen Erklärungen in der Grammatik
findet sich der Zusatz : Secundum praeceptorem nostrum D. Keuchlin.
1) Eudimenta Hebraica Mosche Kimchi a J.;Boeschensteinio revisa.
Augsburg 1520. Vgl. Wolf: Bibliotheca hebraea vol. III, p. 810.
2) Die klage Jeremie über Jerusalem, mit sampt dem gepet Danielis
am 9. Kap. auss dem warhaflftigem Text, vonn wort zu wort verteutscht
durch Johann Böschenstein, K. Ma. gefreyter lehrer der Hebrayschen Zungen,
1529 in 80.
Die Schüler de? Elias Levita, Paul Fagius und Sebastian Mänster. 55
ist in einem so jämmerlichen Deutsch abgefasst, dass man
Schelhorn ^) nicht Unrecht geben kann, wenn er nach Mitthei-
lung einiger Proben ausruft: Wer sieht nicht hieraus, dass
zwischen unseres theuren Lutheri und Böschensteins Ueber-
setzung ein so grosser Unterschied als zwischen Tag und
Nacht sei.
V.
Die Schüler des Elias Levita, Paul Fagius
und Sebastian Münster.
Wir haben bereits mehrfache Beispiele davon gehabt und
werden noch einigen begegnen, dass Christen von Juden im
Hebräischen unterrichtet wurden ; oft sind uns die Namen der
jüdischen Lehrer tiberliefert, manchmal auch nicht, selten
waren es Männer von irgendwelcher Bedeutung, Keiner hatte
sich als Schriftsteller ausgezeichnet. Ein Anderes ist es bei
Elias Levita: er ward der jüdische Lehrer der Christen-
heit. Eigentlich gehört er nicht in den Rahmen unserer Dar-
stellung; nur seiner Lehrthätigkeit hätte kurz gedacht werden
müssen. Aber die wissenschaftlichen Arbeiten seiner beiden
hauptsächlichen Schüler Fagius und Münster — von denen
übrigens nicht feststeht, wann sie seinen Unterricht genossen
— knüpfen sich zu eng an ihn an, kehren immer wieder auf
ihn zurück, bald durch Herausgabe, bald durch Uebersetzun-
gen seiner Werke, so dass es unmöglich ist, ihn aus unserer
Darstellung zu entfeinen.
1) J. G. Schelhorn 1. c. (s. oben S. 52, A. 5) H, S. 615 fg. — Eine Zu-
sammenstoppelung von Stellen des alten und neuen Testaments ist Böschen-
steins Schrift, die, wie es scheint, sehr selten ist (Böckings Bibl. in Bonn).
Ain getreuwe ermanung zu allem volck geistUchs und weltlichs Stands der
Crystenlichen kirchen, aufrur unnd zwytracht zu verhüten. 0. 0. u. J.
6B11. in 40. Er nenne seinen Namen in dieser Schrift nur „So mir aber
meiner person noch vil unnbillichs auffgelegt , auch änderst und in annder
gestalt aussgelegt wird, dann mein verstand ist,"
56 I>ie Schftler d$8 Elias L«vita, Pavl Fagios und Sebastian Mtknster.
Eliah ben Ascher ha-Levi, auch. Aschkenasi
(Deiitgcher)^ nach seinen Werken : Bachnr, Tischbi, von den
Christen Elias Levita genannt, war inKenstadt an der Aisoh
bei Nürnberg geboren 1472 1), hatte seine Erziehung wol in
Deutschland genossen und war vermuthlich seiner Ausbildung
wegen nach Italien gegangen. Wir treffen ihn 1504 — 1509 in
Padua, wo er das Hebräische lehrte, dann in Venedig bis 1512,
wo freilich die Bltithe der jüdischen Typographie noch nicht
vorhanden war, die erst durch Bomberg gezeitigt werden sollte,
später in Born. Hier lernte er den Cardinal Egidio (Petrus
Aegidius von Viterbo (?) Freund und Gönner Eeuchlins) kennen,
wurde in seinem Hause aufgenommen und unterrichtete ihn
im Hebräischen und empfing von ihm mannigfache Belehrung
im Griechischen und in den profanen Wissenschaften ^). Nach
14 jährigem Aufenthalt vertrieb ihn aus Bom, wie fast zwanzig
Jahre vorher aus Padua, die Eroberung der Stadt (1527); er
selbst zog aus, aller seiner Habe, auch seiner Bücher, be-
raubt. Nun nahm er seilen bleibenden Wohnsitz in Venedig,
unterbrach seinen ruhigen, ganz der eifrigen schriftstellerischen
Thätigkeit gewidmeten Aufenthalt nur ftir ein paar Jahre, als
er im Jahre 1541 dem Bufe des Fagius nach Isny folgte, und
starb in Venedig, das er wie seine Vaterstadt liebt, in der er
sterben wolle % 1549, 77 Jahre alt.
Levita war der Lehrer der Christenheit: das wurde ihm
zum Vorwurf angerechnet; dass er bei dem Cardinal Egidio
gewohnt, als Verbrechen ausgegeben. Er bekannte es stolz
1) Man hat an dieser Angabe vielfach gezweifelt und gesagt, Elias sei in
Italien geboren. Mir scheint in dieser Hinsicht das bisher unbeachtete Zengniss
Münsters entscheidend (Vorrede zum Opus grammaticuni consunnnatom) : Inter
hos omnes excitavit Dominus et in Italia Judaeum quendam qui tamen natus
fuerat in Germania, in Nova sciücet civitate super amne Eysch, haud pro-
col a Nurmherga, Eliam nomine. Die folgenden Lehensnachrichten gibt
Elias selbst in einer der Vorreden zu seinem Buche tTPOtän n*niD& 'HO
und zerstreut an anderen Stellen. Kritische Feststellung einiger Einzel-
heiten gibt de Bossi: Historisches Wörterbuch der jüdischen Schriftsteller,
übersetzt von Hamherger, Leipzig 1839, S. 178—183.
s) Das betont er besonders in seiner hebräischen prosaischen Vorrede
zu seinem Werke Tischbi.
8) de Rossi a. a. 0. S. 178.
Die 6ch&]er des ElUe Levita, Paa] Fagins nod Selwetian Xftneter. 57
und rühmte sich dessen^). Noch könne er sagen: Preis dem
Herrn, ich bin ein Hebräer, ich ehrfttrchte Gott, der Himmel
und Erde geschaffen. Die Lehrer hätten nur verboten, den
Christen die Geheimnisse des Schöpfangswerkes , des gött-
lichen Wagens zu lehren, die 7 noachitischen Gebote aber
hätten sie ausdrücklich erlaubt; wie sei es aber möglich
darin zu unterrichten, wenn man nicht vorher den Schülern
die hebräische Sprache, in der diese Gebote geschrieben
wären, beibrächte? Nicht bloö' einen habe er die hebräische
Sprache gelehrt, sondern eine grosse Zahl Schüler gehabt,
und alle diejenigen, welche wieder von diesen gelernt, wolle
er als seine Schüler anerkennen. Diese Mittheilnng ergänzt
Fagius*), wenn er berichtet, dass Levita zahlreiche Schüler
gehabt, aber nicht blos unbedeutende Leute, sondern die her-
vorragendsten Männer unter denselben gezählt, Cardinäle,
Bischöfe, Gelehrte an allen Orten. Alle würden wünschen,
dass seine Jahre stets sich erneuerten; das wäre ein grosser
Vortheil für Alle, Juden und Christen, die sich mit der hei-
ligen Sprache beschäftigten. Mit welchem Beifall sein Unter-
richt aufgenommen wurde, das zeigen die verschiedenen Be-
rufungen, die er von mehreren Seiten, unter Anderm auch
vom König von Frankreich nach Paris, erhielt; er schlug sie
aber aus').
In welcher Weise ihn die deutschen Gelehrten betrach-
teten — und dieser Gesichtspunkt ist jetzt flir uns von haupt-
sächlicher Wichtigkeit — zeigt am besten die ausführliche
Schilderung, die Paul Fagius von ihm entworfen hat*):
„Levita ist ein ausgezeichneter Grammatiker, eine seltene
Eigenschaft bei den Juden überhaupt, besonders bei den
1) Das Folgende aus seiner oben, S. 56 Anm. 1, angeführten Vorrede.
2) In seiner gleich näher zu besprechenden lateinischen Vorrede zu
Levita's Tischbi.
8) Hebräische prosaische Vorrede Levita's zum Tischbi, vgl. Frensdorff :
Aus dem Sefer Hasichronot von Elias Levita in Frankeis Monatsschrift für
Geschichte und Wissenschaft des Judenthums, 1863, XII, S. 18 und Anm. 3.
*) Lateinische Vorrede zum Tischbi Isnae in Algavia MDXXXXI. Das
Werk selbst wird später betrachtet werden. Die im Text gegebene Ueber-
setzung macht keinen Anspruch auf Wörtlichkeit, sondern nurauf treue Wieder-
gabe des Sinnes.
58 Die Schüler des Elias Levita, Paul Fagius und Sebastian Münster.
deutschen, sein ganzes Leben hat er damit zugebracht, um
sich diese Kenntnisse anzueignen. Die Werke bewährter
Schriftsteller hat er alle gelesen, von seinem Verständniss
derselben in seinen eigenen Schriften ruhmvolles Zeugniss
abgelegt. Aus diesen Schriften haben Alle geschöpft, die sich
mit hebräischer Sprache beschäftigt; die in derselben gegen-
wärtig verbreiteten Kenntnisse sind sein Verdienst, das die
Schüler laut und ohne Erröthen anerkennen. Wie die he-
bräische, so kennt er auch die chaldäische Sprache, die chal-
däischen Bibeltibersetzer hat er mit Fleiss und Sorgfalt ge-
lesen, eine Frucht dieser Studien ist sein chaldäisches
Wörterbuch *). In der Bibel, mit der sich die übrigen Juden,
die ihre Zeit meist auf thalmudische Spielereien und andere
Nichtigkeiten verwenden, kaum beschäftigen, ist er so gelehrt,
dass er nicht nur den Anfang aller biblischen Bücher, sondern
auch einzelne Verse, Redensarten, Zeichen, Accente u. A. m. im
Gedächtniss hat, was bei einem so bejahrten Manne durchaus
wunderbar erscheint. Gerade dieses Alter gibt dem verdienten
Manne ein nicht geringes Ansehen, es empfiehlt seine Gelehr-
samkeit als eine in vielen Jahren erprobte, zeigt das, was er aus
seiner Rüstkammer hervorholt, nicht als neu entstanden, son-
dern als wohl und vielfach überlegt und durchgesprochen, als
fest und solid begründet. Von einem solchen Mann muss
man lernen, von ihm, der, obgleich er Jude, dem christlichen
Glauben nicht feindlich gegenübersteht, nicht spöttisch wie
die übrigen seiner Glaubensgenossen über Christus sich aus-
drückt, der ausser seinen positiven Kenntnissen einen reichen
Schatz von Erfahrung besitzt und alles dies bereitwillig und
mit wunderbarer Geschicklichkeit mitzutheilen versteht. Nur
ist zu furchten, dass das hohe Greisenalter diesen Mann eines
Tages unversehens aus unserer Mitte herausreisst , bis dahin
aber. muss man Gott danken, der ihn so lange erhalten und
der todbringenden Parze noch nicht gestattet hat seinen
Lebensfaden abzuschneiden. Vor Allen bin ich ftir diese
1) (ut) ex illis Lexicon Chaldaicum doctissimum et utilissimum , cni
nomen pJ^TlMö fecit, coUegerit, qnod propediem in communem utilitatem
omnium studiosorum linguae sanctae Jl"^ (DtWl nat^*» DM» (so Gott will) excndi
cuarbimus. Es erschien noch in demselben Jahre 1541,
Die Schftler des Elias Levita, Paul Fagius und Sebastian Mftnster. 59
Wohlthat verpflichtet, denn mir war vergönnt, nicht nur die
Schriften dieses Mannes zu lesen, sondern ihn selbst in der
Nähe zu haben, als Gast aufzunehmen, mit ihm zu plauderm
Mund an Mund, wie der Hebräer sagt, mit ihm zu verhandeln;
mit seinem Bath und seiner Hülfe, die Elias, dieser, obgleich
ein Jude, dennoch seiner ausgezeichneten Gelehrsamkeit und
seiner wunderbaren Milde und Freundlichkeit alles Lobes
würdige Mann, so gern ertheilt, meine hebräische Druckerei ^)
zu beginnen. Mir liegt es daher besonders ob, die des
hebräischen Studiums Beflissenen zu ermahnen, diesen Mann
zu loben und zu preisen, dass er nach Deutschland ge-
kommen, um den Dank gegen -sein Vaterland 2) durch seine
Schriften abzutragen, die er in ihm veröffentlicht, der, obgleich
von vielen Jahren gedrückt, nicht die verdiente Buhe aufsucht,
sondern Tag und Nacht unaufhörlich den hebräischen Studien
obliegt .... Noch eins, lieber Leser, wenn Du in diesem
Buche einige jüdische Spöttereien antriffst, so wisse, dass sie
nicht von Elias angeführt sind, um sie zu billigen oder ihnen
Glauben beizumessen, wie er selbst an einer Stelle deutlich
bezeugt 3), sondern dass diese Stellen nur der Erklärung
wegen beigefügt sind. Ich habe daher in meiner üeber-
setzung diese Stellen' ausgelassen. Du sollst aus ihr nur die
hebräische Sprache kennen lernen, nicht den jüdischen Glau-
ben billigen.*'
Die letzte Stelle namentlich ist überaus interessant, das
Ganze aber zeigt, wie sehr ein Jude durch seine Kenntnisse
nicht nur, sondern auch vermöge seiner Persönlichkeit im
Stande war, Achtung und Verehrung seitens der Christen sich
zu verschaffen. Auch Sebastian Münster hegte die grösste
Verehrung vor seinem Meister, beide wetteiferten, die he-
bräisch geschriebenen Schriften des gelehrten Juden durch
Uebersetzung einem weiteren Kreise zugänglich zu machen.
Levita freute sich seiner Jünger, und wenn er Münster auf-
1) lieber die hebräische Druckerei, die Fagius in Isny errichtete,
siehe unten.
2) Vgl. oben S. 56, Anm. 1.
3) Ut alicubi etiain manifesto testatur. Mir ist die Stelle, auf die hier
angespielt wird, nicht bekannt.
60 Die 8chft]er des Elias Levita, Paul Fagins xtnä Sebastian Mftiuter.
forderte eine seiner Schriften zu übersetzen^), so ehrte er
den Fagius mit seinem Besuche, arbeitete wacker in seiner
Gemeinschaft und gab ihm grosse Lobsprüche, er verdiene,
dass auf ihn angewendet werde was man über Maimonides
gesagt habe: Von Paulus bis Paulus stand keiner auf, wie
Paulus 2).
Elias Levita war im Leben und in der Wissenschaft von
der grössten Bescheidenheit. Ein stiller, emsiger Arbeiter,
will er aus seinem einmal gewählten Arbeitsfelde, der Gram-
matik und der Massorah, nicht herausgehen ; bei seinem ersten
etymologischen Interpretationsversuche entschuldigt er sich
wegen seines Wagnisses. Es habe einmal ein Schuhmacher
einen Maler auf einen Fehler im Zeichnen von Schuhen auf-
merksam gemacht, da habe dieser den Fehler dankend ver-
bessert; dadurch kühner geworden, habe der Schuhmacher
auch an den Knieen etwas aussetzen wollen, da habe ihn
der Maler mit Schande und Spott weggejagt. Er flirchte, es
werde ihm auch so gehen, es werde Jemand zu ihm spre6hen:
Was willst Du hier Elias? gehe und sprich über Grammatik
und Massorah, aber hüte Dich in Fremdes Dich einzulassen,
unbekannte rabbinische Wurzeln zu erklären^). Wenn er in
seinen Werken auf etwas Philosophisches, Kabbalistisches zu
sprechen kommt, so weist er es als nicht in sein Fach
schlagend ab , keineswegs aus Verachtung , wie er z. B. von
der Kabbalah sagt: Ich bin nicht würdig ihren Inhalt zu er-
örtern, denn ob meiner Sünden habe ich diese Wissenschaft
nicht gelernt, und die Kenntniss dieser Heiligen weiss und
begreife ich nicht. Namentlich in seinem Werke Tischbi tritt
dieser Standpunkt hervor. Tischbi (oder Thisbite, Beinamen
des Propheten Eliah, an Zahlenwerth = 712) enthält die Er-
klärung von 712 rabblnischen Wörtern. Es wurde von Fagius
herausgegeben und mit einer lateinischen Vorrede und Ueber-
setzung versehen*). Levita erzählt, wie er nach Beendigung
1) Das berichtet Münster in der Einleitung zn Levita's ISTW^ Basel 1527.
2) Prosaische hebräische Vorrede zum Tischbi.
3) Poetische hebräische Vorrede zum Tischbi.
A) Opusculum recens hebraicum a doctissimo Hebraeo Elia Levita
Germano Grammatico elaboratum, cui titulum fecit •'5\rn i. e. Tischbi, in
Die Schfiler des EliM Lerito, Paul Fagias and Sebastwii Mflnater. 61
des Baches einen Druckort gesucht habe und es nach Bologna
zu ^omberg habe schicken wollen , da sei ihm aus Deutsch-
land die freudige Kunde gekommen, ein Christ habe eine
hebräische Druckerei gegründet, erbitte sich seinen Beistand
dazu und wolle seine Werke drucken. In dem Werke wollte
er keineswegs, wie das talmudische Lexikon, der 'Aruch, alle
talmudischen und midraschischen Ausdrücke zusammenstellen,
sondern nur solche, bei denen er etwas Neues zu sagen
wtisste. Zu jeder Wurzel habe er Erläuterungen aus den
chaldäischen Bibelübersetzungen, Beweise aus anderen Spra-
chen, dem Griechischen, Lateinischen und Italienischen, bei-
gebracht. Wie er in kabbalistischen Dingen zu Werke geht,
haben wir schon gesehen; hören wir, wie er philosophische
und allgemeine Beligionsbegriffe erklärt. Bei dem Wort
N3n D^ly : „zwischen den Neueren ist ein Streit über die Zeit
der künftigen Welt. Einige sagen, sie bedeute das Leben
der Seele, das gleich nach dem Tode beginne. Andere, sie
sei die Zeit des Messias, die Dritten, sie sei die Zeit der
Wiedererweckung der Todten. Jeder bringt Beweise zur
Unterstützung seiner Meinung herbei, ich bin nicht würdig,
mich unter die Schaar dieser Weisen zu mischen; wer die
Frage genau ergründen, will , der sehe die Erklärung Isaak
Abarbanells nach". Auf dasselbe kommt er auch bei dem
Worte «Ü^ TDIJ zurück, wo er den Unterschied dieses und
des ersteren ebensowenig wie die wahre Bedeutung dieser
Ausdrücke entscheiden will. Bei DT}5» „die Meinung der
Alten, das Paradies habe vier Eingänge gehabt, als An-
deutung des himmlischen Viergespanns, will ich nicht er-
örtern". Auch von Thalmudischem spricht er mit gleicher
quo 712 Yocum quae sunt partim Hebraicae, Chaldaicae, Arabicae, Graecae
et Latinae, queque in Dictionariis non facile inveniuntur, et a Eabbinis
tarnen Hebraeorura in scriptis suis passim usurpantur: origo, etymon, et
verus usus docte ostenditur et explicatur per Paulum Pagium in gratiam
studiosorura linguae Sanctae latinitate donatum. Eationem Tituli invenies
in Praefotione authoris. Impressum Isnae in Algavia, Anno MDXXXXI.
(Vorreden und Schlussseiten unpaginirt) 278 SS. in 4o. Eine Ausgabe mit
hebräischem Titel ohne lateinische Vorrede und Uebersetzung erschien Basel
1601, 200 BU. in 40.
62 Die Schüler des Elias Levita, Paul Fagins nnd Sebastian Münster.
zurückhaltender Ehrerbietung, obwohl er geistreiche Wortspiele
liebt. Seine jüdische Hoffnung verbirgt er nicht, wenn er bei "lin
die Erwartung ausspricht, dass vor 1560 der Messias erschei-
nen werde. In schlichter Weise bespricht er Christliches.
Bei Wy, „Die Christen sagen, ihr Messias sei auf Befehl des
Engels Gabriel Jesus genannt worden , weil er alle Welt er-
lösen sollte (y'^tf^l"' er wird helfen, erlösen). Andere meinen,
er habe zufällig so geheissen, wie Viele in jener Zeit." Fagius,
der sonst sich fast von jedem Zusatz enthielt, fügte hier hinzu:
„Ich, Paulus Fagius, Uebersetzer dieses Buches, will zur Ehre
Christi, unseres Erlösers, die Stelle anführen, die sich in dem
Werke des Josephus, Sohnes Gorions, findet: Zu jenen Zeiten
lebte Jesus, ein weiser Mann, wenn man ihn überhaupt
Mensch nennen darf, der viele Wunder that und allen Men-
schen die Wahrheit verkündete. Er war der Messias, der
viele Juden und Christen um sich schaarte, den Pilatus in
Folge der Anklage einiger Angesehenen unseres Volkes ans
Kreuz schlagen liess. Die ihm angehangen hatten, Hessen
aber nicht von ihm,' er erschien ihnen drei Tage darauf wie-
der lebend und that all das Wunderbare, das die Propheten
von ihm vorhergesagt hatten. Sein Name besteht bis auf den
heutigen Tag und seine Anhänger werden „Messianische" ge-
nannt. Ebenso einfach spricht er über NB? Petrus ^), über
^p Nazarener, Christ 2) u. A. Bald nach dem Tischbi wurde
der Methurgeman, ein targumisches Wörterbuch, herausgegeben,
das Fagius gleichfalls mit einer lateinischen Vorrede versah *).
1) Hier macht er die sprachliche Bemerkung, dass, wie Petra im
Griechischen, so Pereda im Italienischen und im Targum Stein bedeute,
ein neues Beispiel der Aehnlichkeit dieser drei Sprachen, von der er schon
in der Einleitung gesprochen.
2) In diesem Artikel sind die Worte iy3"ttKön O^Xl ms^ O^vmp 1ph\
D'nstlJ TH^ wol nur aus Versehen unühersetzt gehliehen.
3) Der Methurgeman erschien unter dem Titel: Lexicon Chaldaicum
authore Eliia Levita quo nuUam hactenus a quoquam ahsolutius aeditum est;
omnihus Hebraeae linguae studiosis inprimis et utile et necessarium. Ex-
cusum Isnae Anno MDXXXXI. Mense Augusto. Ausser der Vorrede findet
sich im Buche seihst keine Bemerkung des Fagius. Anfuhren will ich auch
ein Büchlein : Nomenciator Eliae Levitae ed. J. Drusius, Frankerae 1652
Die Schftler^des Elias LeriU. Paul FagiuB nnd SebMtiaa MAnstar. 63
Die eigentlich grammatischen Werke Levita's sind ziemlich
zahlreich. Schon während seines Aufenthalts in Padaa be*
schäftigte er sich mit der Heraasgabe der kurzen Grammatik
des Moses (älteren Bruders und Lehrers des David) ben Joseph
Kimchi ^), die ihm damals von einem Betrüger entwendet und
unter falschem Namen veröffentlicht wurde und die er selbst
erst fast 40 Jahre später herausgab^); um diese Zeit trifl%
auch die Ausgabe von David Kimchi's Grammatik und Wörter-
buch ^).
Sein erstes eigenes grammatisches Werk war eine unter dem
Titel lira veröffentlichte Granmiatik, zu deren Abfassung er
,,durch einen gotterweckten Mann", wie er sagt, veranlasst
worden sei, den Cardinal E^dius nämlich, dem er auch die
Schrift gewidmet hat (Rom 1517), die damals und noch lange
später als eins der vortrefflichsten Lehrbücher über diesen
Gegenstand gerühmt wurde und durch die Uebersetzung Mün-
sters eine weite Verbreitung erhielt *). Eine speciellere gram-
matische Schrift, das HD^vn "IDD über gemischte, unregel-
mässige Formen, erschien bereits 1518*) und wurde mit Er-
in 80 wo in 47 SS. (S. 48 — 240 sind Anmerkungen des Job. Drusius) eine
Anzahl Wörter getheilt in Substantiva, Verba und eine dritte Klasse, die
alles übrige enthält, nach dem Alphabet der lateinischen Worte lateinisch
und hebräisch mitgetheilt werden (der Herausgeber hat noch griechisch hin-
zugefugt), dann einige Grussformeln. Die Worte mischen sich in der bun-
testen Reihe, ohne jedes System; es ist durchaus nicht ersichtlich, wozu das
Ganze hat dienen sollen.
1) riwi 'h^Sfü) '^ItHö*
2) Venedig bei Bomberg 1546. Noch 1652 wurde in Mantua eine neue
Ausgabe davon veranstaltet. Die Zusätze des Elias scheinen nicht sehr be-
deutend zu sein.
3) brXäb und ü^'y^ beide bei Bomberg in Venedig, letzteres Marche-
schwan 1547. Die Anmerkungen des Elias stehen mit kleinerem Druck in
den Text eingerückt, am Anfange einer jeden iTKK'^UITbn VT^K *TÖK» Die
am Rande stehende lateinische Uebersetzung der einzelnen Worte ist wol
von Fagius. 548 Spalten in Folio.
*) Nur ein Auszug befindet sich handschriftlich in dem Cod. 1251
(fonds hebreu) der Pariser Bibliothek, fol. 1 — 8.
5) In Rom; der Titel lautet: rfcö h^ p'npi 'Tftra ^^'D n^ynn nßo
: nyra D-HBO D-ntwn ranKa ntPK naamöl m Es gibt zahlreiche spätere Aus-
gaben, z. B. 1548; handschriftlich findet es sich im Cod. 1251 (Paris) fol. 12
bis 49.
64 I>io Sch&ler des Elias Levita, Paul Fagius und Sebastian Mfinster.
laubniss Leo's X. gedruckt '). Nach beliebter Weise des Levita
machen Gedichte den Anfang und Schluss des Buches ^ die
unregelmässigen, schwer zu erklärenden Worte, die in dem-
selben einer Besprechung unterzogen werden, sind alphabetisch
geordnet. Das Werkchen erschien von Mtlnster in lateinischer
Uebersetzung 2), die, wie er selbst sagt, sich meist wörtlich an
den hebräischen Text anschliesst, von dem er nur die Ein-
leitung mittheilt; weitere Zusätze enthält diese Uebersetzung
nicht. Auch in diesen seinen eigenen Werken folgt Elias
seinem Meister David Eimchi, macht ihn zum Alleinherrscher,
bringt nicht neue Ideen, sondern stellt in einfacher, für Beleh-
rung bestimmter Form den vorhandenen Stoff zusammen.
Bedeutender als diese grammatischen Leistungen ist das,
was er über die Accentlehre und die Massorah geschrieben
hat. Die dahin gehörigen Schriften DytO 3110 und miDDH miDD
wurden bald nach ihrem Erscheinen von Münster ins Latei-
nische tibersetzt, der ihre Bedeutung wol erkannte; aber wenn
er auch ausdrücklich die vorzüglichen Dienste hervorhebt, die
Elias damit der Wissenschaft, speciell Denen, die sich mit
Hebräisch beschäftigen, geleistet habe, so meint er doch,
Elias habe in dem zweiten der angeführten Werke Vieles ge-
schrieben, was mehr dem Aberglauben seines Volkes als uns
diene 3). Wir müssen freilich sagen, dass gerade dieses
zweite Werk epochemachend gewesen ist, dass dieses erst
die Massorah, diese wichtige, unentbehrliche Handhabe flir
1) Im Nachwort: rf^T -nnron px«^ 'n^cßK ^TTnv^ r\ift^ nrn ntcn däti
2) naa^nn nco Composita verborum et nominum Hebraicorum. Opus
vere insigne atque utile Hebraicae Grammaticae studiosis in primis neces-
sarium, Eomae Eliae Levitae autore editum et nuper per Sebastianum Mon-
stenim latinitate donatum. Basileae An. MDXXV mense Novemb. Aa . . .
Kk ä 8 BU., LI. ä 3 BU. in 8o.
3) Aus diesem Grunde übersetzte er auch das Werk Masoreth nicht
ganz, sondern gab nur den Inhalt der einzelnen Capitel an. Die hebräischen,
von Elias veranstalteten Ausgaben erschienen Venedig 1538, Masoreth 87 SS.
Tuw Taam 35 SS. in 4© die Münster >che hat zum Titel: Accentnam he-
braicorum liber unus ab Elia Jndaeo aeditus et iam diu desideratus. Item
liber Traditionum . . . latine redditus per Sebast. Munsterum. Basileae apud
Henricum Petrum 1539. 109 SS. lateinisch; X . . . K ä 8 Bll., und noch ein
unpaginirter Bogen a 6 BIL, hebräisch, kl. 8o.
t)ie Sctifiler des Elias Levita, Paul FafpuH und Sebastian Münster. (>D
Kritik nnd Feststellang des biblischen Textes, zugänglich
machte, durch verständiges Studium derselben neue Blicke
eröffnete, neue Ansichten ans Licht brachte, die noch bis
heute nicht zur vollkommenen Erkenntniss gelangt sind. Zur
Ergänzung und Ausführung verfasste er eine mächtige maso-
rethische Concordanz — in der einen Vorrede zum Schriftchen
Masoreth sagt er, er habe zwanzig Jahre daran gearbeitet —
die nur handschriftlich, freilich ganz druckfertig, vorhanden, aber
ungedruckt und ziemlich unbekannt geblieben ist *). Die Con-
cordanz verzeichnet in peinlichster Sorgfalt die Beispiele aller
einzelnen Formen, z. B. bei den Verben in den einzelnen Zeiten
jede Person mit den ihnen anzuhängenden Suffixen, lässt aber,
wie ein bewährter Kenner der Massorah bemerkt, ^) den ebenso
wichtigen Theil, welcher Accente, Wortverbindungen, Vers-
formen behandelt, ausser Acht. In dem Werkchen Masoreth
gab Levita in der dritten Vorrede Bemerkungen über die Neu-
heit der Punktation: sie sollte, meinte er, nicht zugleich mit
dem biblischen Texte dem Moses überliefert worden sein;
Vocal- und Accentzeichen überhaupt nicht vor der Zeit des
babylonischen Talmud existirt haben, sondern erst durch die
Lehrer in Tiberias aufgekommen sein ; Bemerkungen, die, weit
entfernt gleich zur Annahme zu gelangen, zu heftigen Kämpfen
Anlass gaben, in Uebermaass missbraucht wurden, bis man
erst allmälich zur richtigen Anwendung kam. Münster sagt, er
habe in dieser Vorrede vieles Seltene und Vorzügliche gefun-
den, wunderbare Auseinandersetzungen über die Punktation,
die Buchstaben des Alphabets und die Accentzeichen, er habe
daher diese Vorrede vollständig übersetzt, da sie einen Inbe-
griff der hebräischen Sprachlehre enthalte 3).
Paul Fagius haben wir als Freund und Schüler des
Levita kennen gelernt. Er würde, wenn er nicht auch selbst
1) Die Handschrift, 2 voll, in foL, der erste (5-X) 514, der zweite (D-b) 606
Bll. enthaltend, befindet sich in der kaiserl. Bibl. in Paris (Cod. 134. 185
fonds hebreu.) Der Titel lautet .rtJitr nfeö *?3ö .nlDlatC^ tt^|53ö . nl3ln?T nep
:ni3DDtD nniaaa ,nl3iBX rhx^^ .rfMh pnip-ia .nlsiök^ tjö ,hi3ln p n3K Die Ein-
leitung zu dem Werke, ohne Beschreiijung der Handschrift, ist mitgetheilt
von Prensdorff a. a. 0.
2) Frensdorf a. a. 0.
3) Münster in der lateinischen Einleitung zu seiner Ausgabe.
Geiger, Studium. 5
66 Dio Schfiler des Elias Leviia, Paul Fagins nnd Sebastian Hünsier.
ßchriftstellerisch aufgetreten wäre, dadurch Bedeutung verdie-
nen, dass er eine hebräische Druckerei gründete, aus der eine
Anzahl Werke des Levita hervorgingen. Das geschah in luiy,
wo Fagius (geb. 1504) lange als Schulmeister lebte und wohin
er nach einer Unterbrechung, während der er Professor der
hebräischen Sprache in Strassburg war, 1537 zurtlckkehrte.
DieErrichtung der Druckerei verdankte er dem Peter Büffler,
Bürger in Isny, den er in der Vorrede zu dem ersten Werke,
das seine Presse verliess (1541)^) rühmte als einen sehr frei-
gebigen Maecenas, als einen sehr redlichen und frommen
Mann, der wegen des besonderen Eifers, mit dem er allm
Gelehrten nachgehe und auf dieses fromme Werk seine ganze
Thätigkeit verwende, unsterbliches Lob bei aller Nachwelt
verdiene^). Fagius ist ein Schüler des Kapito, dessen
Nachfolger er in Strassburg wird. Von seinen eignen Schfilem
ist Johann Drakonites zu nennen, den wir in Wittenberg
treffen werden, Martin Crusius, der erzählt^), ihn in Strass-
burg gehört zu haben, Jakob Hartmann und Jakob Velo-
cianus, dem Ersteren widmet er seine Ausgabe des Tischbi,
der Letztere hat Elias' poetische Vorrede dazu übersetzt, beide
nennt er sehr gelehrt im Hebräischen. Fagius ging 1549 nach
England und starb daselbst in Cambridge am 12. Nov. 1549
in demselben Jahre, wie Elias Levita.
Fagius' Werke sind zum Theil Uebersetzungen und Aus-
gaben von Scbrifken Anderer, zum Theil eigene Schriften.
Von der ersten Klasse haben wir die der Levita'schen schon
betrachtet, einige andere müssen erwähnt werden. Es ist
natürlich, dass Fagius sowie Münster von ihrem jttdischmi
Meister Eines namentlich lernten : Achtung und Werthschätzung
der jüdischen Kabbinen, ihrer Leistungen in Grammatik und
Erklärung biblischer Bücher. Fagius gab den Commentar des
David Kimchi zu den ersten 10 Davidischen Psalmen, hebräi-
1) Der Tischbi des Elias Levita.
2) Liberalissimus Maecenas qui per institnenda officina tjpograpbiea
caque Hebreä sumptus liberalissime exponit, nempe D. Petrus Bf^erus diis
Isnensis et honestissimus et piissimus qui ob singulare Studium, qno proee-
quitur omnes doctos et in ipsam pietatem promoyendam totus incumbit, aeter*
nam laudem apud omnem meretur posteritatem.
3) Annales Suevici (1595) Pars III, lib. IX, cap. XIII, p. 525.
Die Schüler des Elias Levita, Panl Fagin» nnd Sebastian Mfinstor. 67
sehen Text mit lateinischer Uebersetzong, heraus 0^ der sich
dem Texte wörtlich anschliesst, aber ohne der lateinischen
Sprache Zwang anzuthun. Er habe die Uebersetzung veran-
staltety damit daraas hervorgehe, welche Bedeutung die Schriften
der Rabbinen für die Erklärung der h. Schrift hätten. In dieser
Beziehung sei seinem Urtheile zufolge David Kimchi einer der
hervon-agendsten, der die wörtliche Bedeutung und Eigenthüm-
lichkeit glücklicher als Andere erfasst zu haben scheine. ,,Denn
wenn auch die jüdischen Commentatoren auf Christus, der das
einzige Ziel der heiligen Schrift ist, wenig oder gar keine
Rücksicht nehmen, ja sogar oft ihn absichtlich bekämpfen, so
glaube ich doch nicht, dass ihre Werke deswegen ausser Acht
zu lassen oder gar völlig zu vernichten sind, wie Einige thöricht
und unsinnig verlangen. Denn sie enthalten Vieles, was
nicht mit Christus in Zusammenhang steht und doch denen,
die die heiligen Orakel des alten Testamentes lesen, sehr
nützen kann, besonders die Erläuterung des Textes nach seinem
buchstäblichen, grammatischen und historischen Sinn. Unter
den Öchriftstellern dieser Art ist David Kimchi vielleicht der
bedeutendste."
Doch wies er die Gelegenheit nicht ab, den christlichen
Standpunkt in diesen Studien hervortreten zu lassen : er über-
setzte ein „Buch des Glaubens und der Wahrheit", das, wie
er angiebt, vor langen Jahren ein Jude herausgegeben habe,
um zu zeigen, dass der christliche Glaube vollkommen sei und
auf der Grundlage der alten heiligen Schrift stehe, und zum
Beweise, dass das Buch von einem geborenen Juden geschrie-
ben sei, macht er auf den reinen hebräischen Stil aufmerksam,
den Niemand leicht so schreiben könne, wenn er nicht in dieser
1) tDTB Commentarium hebraicum Rabbi David Kimchi in decem primos
psalmos davidicos, cum versione latina e regione pro exercitamento omnibus
hebraicae linguae studiosis quibus ad Icgenda Hebraeonim commentaria ani-
raus est. Per Paulum Pagimn. Constantiae MDXLIIII a — e a 6 Bll. f a
4 Bll. in Fol. Die Schrift beginnt ohne jede Einleitung und geht von links nach
rechts. Zuerst werden die einzelnen Psalmen ganz mitgetheilt, dann folgt der
Commentar ; die erklärten Worte sind gross gedruckt, das Hebräische durchgängig
punktirt. Eigene Bemerkungen des Fagius finden sich nicht, die im Texte
angeführten Stellen sind aus einem Schlussworte ad lectorem zu entnehmen.
5*
68 Die Schüler Aes iülias Levita, i'ani Fagiu» und Sebastian Münster.
Sprache erzogen sei *). Er gab ferner hebräische Gebete heraus
um den Ritus zu zeigen ^), dem auch Jesus sich angeschlossen
habe, und einen kleinen Traktat eines bekehrten Juden, der
lehre, warum sich die Juden scheuen, dem christlichen Glauben
beizutreten, selbst wenn sie dessen Wahrheit erkennen^).
Sonst hat Fagius keine blossen Uebersetzungen angefer-
tigt, sondern Werke mit einzelnen Bemerkungen oder ganzen
Conmientaren begleitet herausgegeben. Am kürzesten fässte
er sich in seinen Bemerkungen zu den Sprüchen der Väter, ^)
in denen er sich ganz sachlich und objektiv verhielt und
zwischen kurzen Sinneserklärungen und Lösung grammatischer
Schwierigkeiten abwechselt. Die Sprüche, die er hier dem
lateinisch gebildeten Publikum vorlegte, schätzte er sehr hoch;
in einem hebräischen Gedichtchen, das seiner lateinischen Ein-
leitung folgt, nennt er sie tausendjährige Worte, Sprüche der
Weisen, gegraben in die Herzen, aus denen man schöpfen solle,
um aus ihnen guten Wandel zu lernen. Schon auf dem Titel
der Schrift drückt er sich rühmend genug über den folgenden
Inhalt aus. In ähnlicher Weise ist auch die Ausgabe der
Sprüche des Sirach und des Tobias veranstaltet. Die lateinische
1) Die drei folgenden Schriften habe ich nicht gesehen, sie sind mir nur
aus der Anführung in Michael Neanders Erotemata p. 248 bekannt. Liber
fidei seu veritatis, preciosus bonus et iucundus, quem doctus quidain Israhe-
lites ante multos annos edidit ad comprobandum, fidem Chri^tianoruni per-
fectam esse et niti super fundamentum sacrae veteris scripturae: Impressum
Isnae 1542 in 4; Hebraice chartis 16 item Latine Paulo Fagjo interprete.
2) Precationes Hebraicae vielleicht zusammen erschienen mit
3) Parvus tractatulus ex libro fidei Judaei cuiusdam ad Christianismum
conversi ante annos 200 in quo obiter ostendit causaa aüquot propter quas
multi Judaei etiamsi veritatem agnoscant ad fidem nostram accedere verentur.
Chartae sunt 4 ibidem impressae anno 1542 in 4^. cum translatione Fagii.
4) Sententiae vere elegantes, piae, mireque cum ad linguam discendam,
tum animum pietate excolendum utiles, vetemm sapientum Hebraeorum quas
rrOK ''P"1B id est Capitula , aut si mavis Apophtegmata Patrum nominant in
Latinum versae scholiisque illustratae per Paulum Fagium in gratiam stu-
diosorum linguae sanctae. Excusum Isnae, in Algavia oppido imperiaU
Anno MDXXXXI. Die aus Fagius' Druckerei hervorgegangenen Schriften
haben alle (als Druckerzeichen) einen in Rahmen eingeschlossenen Baum, an
dessen vier Seiten Inschriften stehen, an der einen Seite gewöhnlich die
hebräische : STÖ nß XttTU 3110 /?K b'O Hier findet sich noch folgende : TTpH
♦ D^nai n^ jr6 Tn» KVW pfctrrt mwaa Die Schrift hat 1 51 Seiten in 40. Die
Vorrede ist datirt: Isnae 12 Cal. Apr. 1541.
Die Schüier des Elias LeviU, Panl Fagias und Sebantian M&näter. f*9
Uebersetzung ist mit Sorgfalt angefertigt, die Bemerkungen zu
den Sprüchen ohne besonderen Werth. In der Einleitung zu
der Ausgabe des Tobias, bei der kein Commentar sich findet,
bemerkt er, dass er den hebräischen Text, den er vorlege, aus
einem alten constantinopolitanischen Drucke genommen habe.
Auch in diesem Buche finden sich ein paar hebräische Verschen,
in denen Fagius Geschicklichkeit in Handhabung der Sprache
und in Befolgung der poetischen Regeln zeigt*).
Dem Beispiel des Elias Levita folgend, der als erster auch
die chaldäische Sprache mit in sein Studiengebiet zog, wenn
auch hier sein Ruhm das Gebiet als erster betreten zu haben
grösser ist, als der wirkliche Werth seiner Leistungen, be-
schäftigte sich auch Fagius mit dem Chaldäischen. Als Frucht
dieser Beschäftigung liegt der erste Band des Targum des
Onkelos vor ^). Ausgaben der Bibel gebe es zwar genug, meint
er, aber um sie recht zu verstehen, müsse man auf ihre ersten
Uebersetzungen zurückgehn, unter diesen sei die chaldäische
nach der Septuaginta die älteste und daher für die richtige
Auffassung der Bibel von grösster Bedeutung. Die chaldäischen
Uebersetzungen empfehle daher: 1. ihr Alter, Onkelos sei der
Sohn der Schwester des Kaisers Titus gewesen, Jonathan ben
Usiel, von dem das Targum zu den Propheten herrühre, habe
200 Jahre vor der Zerstörung des Tempels geschrieben. Ueber
1) Hyo [S ♦ Seiitentiae morales Ben Syrae vetustissinii authoris Hebraei
qui a Jüdaeis iiepos Hieremiae prophetae fuisse creditur, cum succincto commen-
tario. Tobias Hebraicc, ut is adhuc hodie apud Judaeos iiivenitur omiiia ex
hebraeo in Latinum translata in gratiam studiosorum linguae sanctae per
Paulum Fagiura Isnae MDXLII. Am Ende der Sprüche Sirachs folgt noch
ein besonderer hebraeischer und lateinischer Titel für Tobias. A . . H ä 4 Bl.
und A . . F a 4 Bl. in 4o.
2) Thargum, hoc est Paraphrasis Onkeli Chaldaica in Sacra Biblia. Ex
Chaldaeo in Latinum fidelissime versa, additis in singula fere capita succin-
tis Annotationibus. Autore Paulo Fagio . . . Toraus I. Argentorati Anno
1546. (Diese, wie schon die oben S. 67, Anm. 1 mitgeth eilte Angabe des
Druckorts zeigt wol, dass die Druckerei zu Isny nur sehr kurz bestanden
hat.) a . . z, A . . S a 6 Bl. in Fol., das letzte Blatt leer. Am Ende:
Argentorati per Georgium Machaeropolum mense Martio, Anno MDXLVl.
Das Werk ist dem Pfalzgrafen Friedrich gewidmet; in der Widmung erzählt
er , dass er in Heidelberg studirt habe , und nennt als seine Lehrer Martin
Frecht und Johann Brenz ; wir erinnern uns, dass letzterer seinerseits Schüler
des Matthäus Adrianus im Hebräischen war (s. o. S. 43 und Anm, 3),
70 Die Schüler des Elias Levita. Paul Fagius und Sebastian Münster.
die Frage, ob beide, wie Viele nach der Autorität des Petrus
Galatinus behaupten, eine chaldäische Uebersetzung der gan-
zen Bibel geschrieben haben, oder ob, wie Andere wollen,
Onkelos mit Aquila, Jonathan mit Theodotion zu identificiren
sei, möchte er nicht entscheiden ; 2. die Leichtigkeit, mit ihnen
die Dunkelheiten des hebräischen Textes aufzuhellen; 3. die
Autorität, die die Juden dem Targum beimessen, indem sie
ihm nicht geringeren Glauben schenken, als dem hebräischen
Texte selbst, so dass sie nicht besser von ihren Irrthümem
tiberzeugt werden können, als durch die chaldäische Ueber-
setzung^). In der Uebersetzung habe er keine Eleganz er-
strebt, wer die verlange, möge Cicero, nicht Moses zur Hand
nehmen. In den Noten habe er die manchmal dunkle und
schwierige Sprache des Textes erklärt, die Abweichungen der
chaldäischen Uebersetzung vom biblischen Texte gezeigt,
Parallelstellen namentlich aus dem jerusalemischen Targum
herangezogen, die jüdischen Gebräuche erläutert, aber immer
nur das angemerkt, was ihm einigen Nutzen zu haben schiene.
Daher habe er auch aus jüdischen Schriften nicht kindische
Fabeln und abergläubische Spottreden beigebracht, sondern
werthvoUe Auseinandersetzungen; gottlose Irrthümer habe er
mit Eifer bekämpft.
In der That leisten die Anmerkungen das, was dieses
vorläufige Programm verspricht. Ausfälle gegen die Juden
oder Zurückweisung ihrer gottlosen Irrthümer, um mit Fagius
zu reden, kommen ziemlich selten vor und sind, wenn sie
vorkommen, in ziemlich objektivem Tone gehalten: so zu
Deut. 4, 16, wo er den gegen die Christen erhobenen Vor-
1) Er fährt fort: Dieses Chaldäische sei dasselbe, wie das Syrische, das
zu Zeiten Christi vernacula liiigua fuit. Imo adhuc hodie quatuor Eyange-
listarum in liac lingua scripta extant, cuius rei fidelissimum testem profero
praeclarissimum doctissimumque virum DD. Albertum Widmanstadium a con-
siliis lUustrissinio Principi Duci Bavariae qui hunc thesaurum secum recon-
ditum habet, raihique per amantissimas quas ad me dedit literas spem fedt
fore aliquando ut hie thesaums in lucem prodeat. Diese Hoffnung sollte in
Erfüllung gehen. Widmanstadt, der später in den Dienst des Kaisers über-
trat und uns noch als Lehrer des Hebräischen in Wien begegnen wird, gab
Novum testamentum Syriace, Wien 1555, heraus. Auch er betont in der Ein-
leitung zu diesem Werke, wie nothwendig das Syrische zum Verständniss
des hebräischen Textes sei.
Die Schüler des Elias Levita, Paul Fagios and Sebastian Münt^ter. 7 1
wurf, als beteten sie Bilder an, für ungerechtfertigt erklärt;
Deut. 30, 3, wo er die Beziehung dieser Stelle auf eine künf-
tige Befreiung der Juden durch einen Messias nicht gelten
lassen will und die Nichtigkeit dieser Hoffnung überhaupt
nachzuweisen sich bemüht. Oft giebt er ausführliche nicht
unwichtige und ziemliche Gelehrsamkeit verrathende Ausein-
andersetzungen, über die Gelübde zu Numeri 30, 2; über die
Todtengebräuche zu Deut. H, 1; ein ander Mal, wo er die
dreizehn Grundsätze (0"»"^!;) mittheilt, übersetzt und erläutert,
zu Deut. 5, 4, wo er eine Stelle aus dem Sacrificium Isaak des
Rabi Isaac Aramaei aniührt. Seine Kenntniss der Kabbinen
ist nicht gering, namentlich die Bibelerklärungen des David
Eimchi führt er an und nimmt auch auf dessen Über Radicum
Rücksicht, häufig citirt er R. Salomo (Raschi) und hie und da
andere weniger bekannte. Kirchenväter citirt er verhältniss-
raässig sehr selten, dagegen erwähnt er Neuere, wie Augusti-
nus Steucho, Petrus Galatinus in seinem Werke De arcanis
catholicae veritatis, die Gomplutenser Bibelausgabe und die
Sebastian Münsters^).
Ein rein exegetisches Werk ist seine Erklärung der vier
ersten Capitel der Genesis ^), Er habe dieses Schriftchen ver-
öffentlicht, sagt er in der Widmung an Johannes Marbach,
um dadurch zu zeigen, wie viel Werth das Verständniss der
hebräischen Sprache flir die Theologie besitze , namentlich der
hebräischen Worte, in denen der heilige Geist seine göttlichen
Orakel der Welt offenbarte. Es wäre eine Schande für einen
Theologen, wenn er diese Sprache, die Quelle einer reinen
Theologie, aus der alle Uebersetzungen der Bibel geflossen
1) Ob ein zweiter Band dieses Werkes erschienen, ist mir nicht bekannt.
Er beabsichtigte ihn jedenfalls, am Schlüsse der Einleitung bemerkt er, er
werde einen zweiten Band, der die Propheten enthalten solle, veröffentlichen,
wenn dieser erste gut aufgenommen werde; aus dem werde man erkennen,
wieviel Licht die chaldäischen Uebersetzung auf die Christus betreffenden
Prophezeiungen werfe. Am Schluss des gleich zu besprechenden Werkes
Exegesis spricht er von seinem Plane, die ganze chaldäische Bibel mit latei-
nischer Uebersetzung herauszugeben.
/ ^._ . „ . .. ^ 'T* -:-lifv~ • "
Id est Exegesis sive Expositio dictionum hebraicarum literalis et simplex
in quatuor capita Geneseos pro studiosis linguae Hebraicae per Paulum Fagium .
Isnae mense Augusto MDXUI. A . . V ä 4 Bl. oder 154 S. in 40.
72 I)ie Schüler des Elias Levita, Paul Fagiub und Sebastian M&nster.
seien, nicht verstehe. Nicht Alles freilich müsse man blind
aufnehmen. ,,Ja die scheinen mir nicht nur thöricht, sondern
gottlos zu sein, die meinen, in den Schriften der Juden sei
Nichts zu verwerfen, sondern Alles anzunehmen; denn das
ist einer der hauptsächlichsten Gründe der bejammemswerthen
Blindheit dieser zweimal elenden Juden, dass sie alle Tränme
und Erdichtungen der Kabbinen gleich wie göttliche Orakel
aufnehmen und verehren, und nicht unterscheiden zwischen
den Einflüsterungen des Lügengeistes und denen des Geistes
der Wahrheit. Aber ebenso thöricht handeln die, welche die
rabbinischen Commentare gänzlich vernichten wollen, ja ich
wage zu behaupten, dass Keiner, ohne sie gelesen zu haben
und von ihnen unterstützt zu werden, jemals zu einer gründ-
lichen Kenntniss der hebräischen Sprache gelangen kann." ^)
Er begreife, dass Vieles von ihrer Lektüre abschrecke, „die
lächerlichen, thörichten, gottlosen Fabeln '', die in. ihnen ent-
halten seien, und er denke daran, wie man diesem Uebel
abhelfen möchte. Das könne geschehen, wenn man aus den
vielen und zwar hauptsächlichsten Commentaren einen machte,
mit Beseitigung der jüdischen Thorheiten und Spöttereien und
Beibehaltung des WerthvoUen, dann würden weit mehr zu
deren Studium angelockt werden und die Furcht völlig schwin-
den , dass das Studium der heiligen Sprache untergehe *).
Die Einrichtung des Werkes ist die, dass voran ein klei-
nes Stück, gewöhnlich nur der Theil eines Verses, mit grossen
hebräischen Buchstaben steht, darunter die wörtliche latei-
*) Die letztere Stelle lautet: Ita quoque temere et imprudenter mihi
illi facere videntur qui hebraeorimi comraentaria in Universum exibilanda et
explodenda iudicant, cum hoc ausim affirmare, neminem sine illorum lectione
et adminiculo ad solidam hebraicae linguae Cognitionen! unquam perventunun.
2) Am Ende dieser Widmung ein kurzes hebräisches Gebet; am Ende
des Werkes ein hebräisches Gedichtchen nach der beliebten Weise des Fagius.
Am Schluss des Buches der Baum mit den beiden, S. 68, A. 4 erwähnten Um-
schriften. Vor diesen Endformeln stehen auf den letzten Blättern, wie
Fagius selbst in einer kurzen Vorbemerkung angiebt, um den Kaum zu füllen,
einige Verse der im Werke erklärten 4 Capitel: der hebräische Text, die latei-
nische Uebersetzung, die chaldäische Paraphrase und deren lateinische Wieder-
gabe. Den chaldäischen Text hat er, wie er sagt, aus der Venediger, nicht
aus der Complutensischen Ausgabe genommen.
Die Schüler des Elias Levita, Paul Fagiuti und Sebastian M&iidter. 73
nische Uebersetzung , dann folgt die Erklärung. Diese ist
natürlich sehr weitläufig, geht auf alles Einzelne mit grosser
Ausführlichkeit ein. Zur Erläuterung dienen zahlreiche Bibel-
stellen, Citate aus den chaldäischen Uebersetzungen , dem
Onkelos und dem jerusalemischen Targum; von Rabbinen ist
hier sein hauptsächlicher Führer David Kimchi, andere wer-
den seltener angeführt, wie Kaschi, Abenesra, Nachmanides,
author Hizkuni (p. 44), häufig findet sich das unbestimmte
veteres Hebraei dicunt u. A. Hindeutungen auf seinen christ-
lichen Standpunkt kommen wenige vor; zu elohim (1, 1) merkt
er an „die Unsern schliessen daraus das Mysterium der Drei-
einigkeit", aber ohne dass er selbst hier ein bestimmtes Ur-
theil ßlUt, dagegen 17 (p. 26), um die Worte „wir wollen den
Menschen schaffen" zu erklären^ meint er, die Juden brächten
hier allerlei Erklärungen bei, um nur nicht die heilige Drei-
einigkeit anerkennen zu müssen; 2, 4 (p. 36) sagt er, nnbin
werde sonst immer ohne Waw in der zweiten Silbe (defective)
geschrieben, ausser hier und Ruth (Cap. 4, 18); als Grund
giebt er an: „wie die Unsrigen erklären" ,• dass alle „Ge-
schlechter" unvollkommen seien, ausser dem ersten Menschen-
geschlechte und dem Geschlechte des Messias, das dem Flei-
sche nach von der Familie Perez stamme.
Endlich ist noch seine hebräische Grammatik^) zu erwähnen.
Er gab sie, wie er sagt, auf Bitten einiger Schüler heraus, denen
er nicht widerstehen konnte; obwohl es schon viele hebräische
Lehrbücher gebe, so glaube er mit den seinigen doch auf Be-
achtung Anspruch machen zu können, weil er sich vielfach
mit der Herausgabe und Uebersetzung alter hebräischer Gram-
matiken beschäftigt habe. Nach Durchnahme der verschiede-
nen Schriftweisen des Hebräischen, wobei auch auf das Jüdisch-
deutsche Rücksicht genommen wird, werden die Buchstaben
sehr ausführlich durchgenommen, zugleich mit Angabe ihrer
Bedeutung als Präpositionen u. s. w. Dem Verbum wird ein
grosser Platz eingeräumt. Vor dem Paradigma werden all-
1) Compendiaria isagoge in linguam hebraeam authore Paulo Fagio Con-
stantiae Aono MDXLIII. Am Ende : Constantiae excudebat Jacobus Ranivora,
anno a Christo natu MDXLIII mense Septenibri. A . . Y ä 4 Bl. in 4^.
74 Die Schüler des Elias Levita, Paul FagiuB und Sebastiau Münster.
gemeine Regeln über Person, Geschlecht, Zahl gegeben ; dem
Paradigma folgt die Umschreibung solcher lateinischer For-
men, die im Hebräischen durch eine einfache Form nicht aus-
gedrückt werden können: Präsens, Optativ, die Gonjanktiye
aller Zeiten. Dann folgt das Nomen (die Deklination fireilicb
ganz getrennt davon am Ende der Schrift) mit Tabellen fiür
die Comparation, Zahlwörter und Pronomina. Den dritten Ab-
schnitt bilden die Adverbien, die nach einzelnen KategorieB
in Tabellen aufgezählt werden, nebst Präpositionen ond Inter-
jektionen. Einzelne Regeln werden mit den Ausdrücken der
alten Grammatiker in hebräischer Sprache gegeben. Im Nach-
wort nimmt er auf seine Scholien zur Genesis Rücksicht;
dieser oder ähnlicher müsse man sich bedienen und durch
fieissiges Bibellesen sich in den gelernten grammatischen Re-
geln befestigen.
Die Thätigkeit des Fagius war, wie wir sehen, eine nicht
geringe. Er war ein emsiger, stiller Arbeiter, ohne grosse Ori-
ginalität, aber von treuer Hingabe an sein Werk, das er in
vielen Beziehungen förderte und ausbaute.
Einen bedeutenderen Platz in der Anerkennung sowohl
der Mit- als der Nachwelt nimmt Sebastian Münster eiü.
Er verdient es auch, denn er war ein Mann von Staunens-
werther Vielseitigkeit, und wenn wir bedenken, dass derselbe
Mann, der für die Verbreitung und Ausbildung des hebräi-
schen Sprachstudiums im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts
ebenso thätig gewesen ist, wie Reuchlin im ersten, auch
Schöpfer einer ganz neuen Wissenschaft, der Kosmographie,
geworden ist, dass er ausserdem, fern davon, sein Leben in
ruhiger Stille zuzubringen, viel Kraft in kleineren und grösse-
ren Streitigkeiten zubrachte, so erreicht unsere Bewunderung
einen hohen Grad. Er war 1489 in Ingelheim geboren, war,
als er das Mannesalter erreicht hatte, Professor des Hebräi-
schen in Heidelberg geworden, dann nach Basel gekommen,
wo er am 23. Mai 1552 sein Leben beschloss. Seine Lehr-
thätigkeit muss keine geringe gewesen sein, aber wenn wir
nicht Einzelne, denen er seine Schriften widmet, als seine
Schüler bezeichnen wollen, so sind uns solche völlig unbe-
kannt. Er lehrte gern, wenn es auch nur eine Redensart
sein mag, die er dem Andreas Masius schreibt: „Ich beneide
Di« Schüler des Elias Lovita, Paul Fagius und Sebastian Münster. 75
Euch nicht, die Ihr behauptet mich in der Kenntniss des
Hebräischen zu tibertreffen; ruhmvoll erscheine ich mir, dass
ich Dir und vielen Andern die Handhabe geboten, jene hei-
lige und wahrhaft göttliche Sprache zu erlernen" ^). Denn in
Wirklichkeit mochte er nicht gern Jemanden dulden, der ihm
den Bang streitig machen könnte, er liebte es alle die, die
vor ihm und gleichzeitig mit ihm das Studium betrieben hat-
ten, oft mit scharfem Worte zu kritisiren, stellte gern sich als
den Dritten dar, neben Beuchlin und Pellikan, der das He-
bräische Studium wahrhaft gefördert und auf seinen Höhepunkt
gebracht hätte*), und verachtete seine Gegner, die begierig
1) Widmung der Uebersetzung von Levita's: Accentumn hebraiconun
über onus. In derselben wird Masins anlicos genannt, der keinen bestimmten
Sitz habe, bald in Löwen, bald in Luzem, dann in Spanien, später in Oester-
reich, nun beim Keichstag in Frankfurt sich aufhalte. Es ist interressant,
dass von einem solchen gesagt wird : Laudo et modestiam tuam, qui cum eo
perveneris, ut ex tempore hebraice scribere valeas quicquid velis, non erubescis
te nuncupare 'n%*?n (mein Schüler). Die im Text angeführte Stelle lautet:
Nee invideo vobis illam fortunam, qui mihi in heb. studio preire contenditis.
Gloriosus videor mihi esse , quod tibi et multis aliis ansam prebui ad istud
sacrosanctum et vere divinum Studium. Basileae mense Augusto 1539. Viel-
leicht kann man die Folgenden, von denen er sagt, sie hätten ihm hebräisch
geschrieben, als seine Schüler bezeichnen : der obengenannte Andreas Masius,
Jacob Jonas (?), Oswald Schreckenfuchs, Petrus a Wormaria, Johannes Harius,
Theodorikus a Gorinchen, Nikolaus Winmann (Vorrede zu seinem Lexicon
trilingue).
2) Die bemerkenswerthe Stelle lautet (Vorrede zum Opus consummatum) :
Primus omnium qui nostro aevo colere et plantare coepit hebraicam linguain,
fuit doctissimus vir Johan. Reuchlin sive Capnion, de Unguis et bonis literis
apud nostros bene meritus, quippe qui multa post se eruditionis suae reli-
quit monumenta. Huic fere coaevus fuit in hoc sacro studio, licet aetate
raulto iunior, incomparabilis ille vir, dominus Conradus Pellicanus, nam simul
eodem tempore et in eodem gymnasio Thubingensi hi duo magni viri
hebraismo operam impenderunt, usi etiam ad hoc mutuis oflficiis. His ego
TO^n tertius accessi, anno scilicet Christi 1509. Translatus enim ad D. Pelli-
canum indefesso studio sub fidelissimo praeceptore prima imbibi rudimenta
ac mox animum appuli ad Biblicas historias. Aus dem oben Angeführten
ist nur der Irrthum von dem gleichzeitigen Wirken Pellikan's und Eeuchlin's
in Tübingen zu entfernen. Als E. 1481 in Tübingen war, war P. noch ein
Kind, und 1521/22, wo E. hier als Professor der hebräischen Sprache lehrte,
war P. lange von hier fort, vergl. über P. oben S. 19 fg. und unten (Tübingen).
Auch von mutua oflEicia zwischen beiden Männern ist nichts bekannt, als dass
Eeuchlin dem Pellikan für sein Studium des Hebräischen behülflich war.
Als vierten in der Eeihe der ums Hebräische verdienten Männer nennt
76 I>ie Schüler dets Eliab L«vita, l'aul Fagius uud Sebastian Münster.
danach suchten, einen Fehler, den er gemacht hätte, zu ent-
decken ^). Aber die Missgunst, der er nicht ganz entging,
war keineswegs das Gefühl, mit dem man im Allgemeinen
seine Leistungen aufnahm: er hatte viel Bewunderer, die von
ihm wie Johannes Eck sagten, dass kaum jemals Einer in
Münster den Capito. Dann fähii er fort; Quo tempore et multi alii docti
viri per Gemianiam et Italiam amore huius linguae excitati brevi adeo pro-
fecerunt, ut editis libris laudem non vulgarem apud posteros meruerint, inter
quos praecipui sunt Johannes Oecolampadius, Casparus Ammon ins, cuius tamen
labor in publicum non prodiit, Udalrichus Zwinglius, Matthaeus AurogaHus
. . . quibus multi alii successerunt et eo usque in huius linguae studio per-
venerunt ut publice in academii» hebraismum profiteantur obscurarintque sua
eruditione suorum praeceptorum nomina quibus ego, sicut debeo, hanc foeli-
citatem rainime invideo. Ueber Aurogallus s. u. Wittenberg, über Oekolampad
und Zwingli s. u. Basel und Zürich : die Kenntniss der beiden letzteren im
Hebräischen war nicht allzu bedeutend, jedenfalls geringer, als die einer grossen
Anzahl der multi alii, die auch eine namentliche Aufzählung verdient hätten.
Caspar Ammon, Provinzial in Laugingen, scheint ein tüclitiger Hebräisch-
kundiger gewesen zu sein, vergl. einen Brief des Aegidius von Viterbo an
ihn vom 15. Dec. 1513 in Henke und Bruns Annales Literarii. Helmstädt 1782,
vol. I. p. 193 sq., und einen Brief des Wolfgang Rychardus Urbano Regio
sincero evangelii doctori amico suo carissimo, worin die Stelle vorkommt:
Dr. Caspar, Augustinianus monachus, cui in hebraeis literis primatum etiam
a te audivi tribuere, nuper hie (Ulm) fuit, petiitque hospitium: quod et
deuegatum (sie, wol non den.?) est ei. Qui egregium quoddam opus ad
hebraeas literas ediscendas . . Basileam chalcographis misisse dicitor,
cuius simile mundus non videt antea. Briefcodex des Wolfg. Eychardus in
der Hamburger Stadtbibl. No. 503. Ich verdanke die Notiz einer gütigen
Mittheilung meines Freundes Dr. Alfi-ed Stern in Carlsruhe. Ammon lebt
noch 1523; in diesem Jahre widmet ihm Böschenstein sein Buch: das gebet
Salomonis vom driten buch der künig geteutscht von wort zu wort nach dem
hebräischen buch.
1) Vorrede zur lateinischen und hebräischen Ausgabe von Elias Levita's
C^yV Basileae apud Joannem Frobenium. Anno MDXXVII. a . . 1 ä 8 Bl..
m. ä 10 Bl. in kl. 80. Levita selbst habe ihn aufgefordert, sagt er in der
Widmung an Johannes Erasmus Frobenius, den Sohn seines Verlegers, dann
habe auch Johannes Eck ihn dazu ermuntert. Ad quod promptum quidem
me exhibui parviducens etiam quorundam ingratitudinem qui cum nihil in
publicum aedant, gloriosmn tamen sibi ducant, si alios de literarum studiis bona
meritos lacerent et traducant : cuiusmodi ego quendam novi qui mavult
M u n st er i esse calumniator quam pius interpres et candidus excusator, pnblicus
conviciator, quam secretus monitor, si quando lapsus est in Hebraismo, nempe
lingua illa extranea et quae Latinis auribus hactenus omnino incognita ftiit,
ut non mirum sit, si propagatores eins quandoque hallucinari contingat et a scopo
aberrare, quousque altiores inter Christianos haec ipsa lingua radices figat.
Die Schüler de« EUtM Levita, Paul Fagius und Sebaniian IfftHMtei*. 77
Deutschland so vertraut mit der hebräischen Sprache gewesen
sei, wie er ^).
Fagius hatte wol seine Werke manchmal mit hebräischen
Verschen begleitet, am Schlüsse seiner Einleitungen einen
lange ausgeführten Gedanken in ein paar kurze hebräische
Worte zusamraengefasst, oder einen bekannten hebräischen
Vers hie und da angeführt; ganz anders Mtlnster. Nicht nur,
dass er dem Johann Oekolampad eine kurze hebräische Grab-
schrift und einen längeren poetischen hebräischen Nachruf
widmete ^), ist fast keines seiner Werke, namentlich die Wid-
mungen und Einleitungen, ohne hebräische Stellen, hat er seine
Bibel mit einer langen hebräisch geschriebenen Vorrede ver-
sehen und eine eigene hebräische Schrift verfasst. Nur aus
diesem Grunde verdient dieselbe hier eine Erwähnung, denn
ihr Inhalt ist nicht dazu angethan, ihr in unserer Darstellung
einen Platz einzuräumen. „Der Messias der Christen und
Juden" ^) soll aus den prophetischen Stellen erweisen, dass
1) Die Stelle Eck's ist auch sonst interessant, und mag darum hier
eine Stelle finden : Super Aggaeo Propheta Jo. Eckii Commentarius. Solingen
1538. 40. (L 6b.) Nam cum Munsterus frequenti studio et diligentia
iion poenitenda tantum in Hebraeis literis profecerit, quantum vix alius in
Germania et cum Judaeis sermone patrio ausus sit congredi, verebar ne Judaei
supra modum captiosi nobis Christianis insultarent: Ecce liic vester Rabi
Munsterus, qui plurimum doctus in lingua sancta apud nos famatur, religiosus
ex divi Francisci ordine, unde reputatior apud vos Nazarenos habetur.
2) Beides steht im Oecolampadii et Zwinglii epistolae. Basileae 1536
in 40, 8 3.
3) rncto Messias Christianorum et Judaeorum Hebraice et Latine. Sebast.
Munsterus. Describitur in hoc libro ex prophetis Christus totius mundi verus
salvator: et item larvatus ille Judaeorum Meschias qui a gente illa in hunc
usque diem frustra expectatur. Videbis lector quam portentosae et absurdae
de Christo opiniones sint apud hanc excoecatam gentem et quam violenter
sacram interpretentur scripturam. Basileae apud Henricum Petrum. 153pag.S.
lat. Am Ende : Basileae per Henricum Petrum Mense Augusto Anno MDXXXIX.
Dann hebräischer Text, rechts beginnend, paginirt H • . K ä 8 Bl., mit der-
selben Unterschrift am Ende wie oben und mit dem Titel : rnSTl»"!' ♦ Christiani
hominis cum Judaeo pertinaciter prodigiosis suis opinionibus et scripturae
violentis interpretationibus addicto coUoquium per Sebastianum Munsterum.
Ist das die zweite Auflage, oder die Schrift 9 Jahre ungedruckt geblieben?
Ziemlich am Anfang des hebräischen Textes findet sich : "^003 riKT iniK ^3^51
,n"i< mn ;-T'^ = /ntm tsnrfe ti p"th drson nmaa n^tra bra to^ nc anaa
290 = 1530 n. Ch. Aus der Widmung (Basel, 1. Juli 1539) Joanni a Panizonibus,
Caesareo ad Helvetios legato, eine Stelle, die an Pfefferkorn erinnert : Dici nequit
78 I^ie Schaler des Elias Levita, Panl Fagias und Sebastian Munster.
Christus der wahre Erlöser der ganzen Welt ist und der ver-
hüllte Messias der Juden ^ den sie bis auf den heutigen Tag
vergeblich erwarten ; soll die schrecklichen und thörichten bei
diesem verblendeten Volke über Christus verbreiteten Mei-
nungen und seine gewaltsame Erklärung der heiligen Schrift
zeigen. Seit den dreissig Jahren, in denen er sich mit He-
bräisch beschäftige (die Schrift ist 1539 veröffentlicht, also seit
1509, s. 0. S. 75 Anm. 2) und die jüdischen Schriften lese,
seien ihm überall Verläumdungen und Beleidigungen gegen
die Christen entgegengetreten, die frommen Ohren unerträglich
seien, Beleidigungen, mit denen die Juden die Schrift zerfleischen
und fälschen, namentlich die Propheten, die sie mit ihren ver-
kehrten Deutungen peinigen, wie ihre Vorfahren den Erlöser
Christus selbst. Oft, aber immer vergeblich, habe er und sein
Lehrer Pellikan mit ihnen zu disputiren angefangen; so wolle
er denn in diesem Büchlein Alles zusammenstellen, was sie
ihrem Messias andichten und Schlimmes über die Christen.
reden. Der Inhalt der Schrift, die in Form einer Unterredung
zwischen einem Christen und Juden abgefasst ist, entzieht
sich, wie gesagt, hier unserer Erörterung; das Hebräische,
in dem die Schrift abgefasst, und dem die lateinische
Uebersetzung beigegeben ist, „weil doch nicht Alle mit der
hebräischen Sprache vertraut sind", ist leicht und fliessend
und verräth grosse Grewandtheit.
Als Uebersetzer Levita'scher Werke haben wir Münster be-
reits kennen gelernt, auch sonst entfaltete er in dieser mehr
unselbstständigen Art eine nicht unbedeutende Thätigkeit. Die
Reuchlin'schen Rudimente^) gab er neu heraus in fast ganz ver-
änderter Gestalt. Die Grammatik, die er sehr abkürzte, fasste das
erste, das Lexikon, das bei Reuchlin zwei Bücher eingenommen
hatte, das zweite Buch. Viele eigene Bemerkungen gab er hinzu
(sie sind mit kleineren Charakteren gedruckt, voran steht
immer der Name Münster), die meist sehr kurz sind und
quam horrenda convitia autor libri Nizaclion coniiciat in servatorem nostmin
qui ex professo contra omnia sancta nostra virulento animo scripsit.
1) ttripTl ptC^a ^^3ßÖ3^ rtS'^Wl 73J^1 pnp'TT "nBDt Dann noch sehr langer
lateinischer Titel. Basileae per Henricum Petrum Mense Martio Anno
MDXXXVII. 418 S. fol.
Di« Schiller des Elias Levita, Paul Fagins nnd Sebastian Mftnstor. 79
manche Bogen hindurch ganz fehlen. Für die Grammatik be-
diente er sich, wie er sagte, der Noten ans Levitas Lehr-
bttchem; im Wörterbuch bemühte er sich zu den blossen
Wurzeln auch die abgeleiteten Worte hinzuzufügen und das
von Beuchlin zufällig Ausgelassene zu ergänzen. Ein anderes
hebräisches Lexikon ^), hauptsächlich eine Abkürzung des
grossen Wörterbuchs von David Eimchi, stellte er zusammen,
was aber erst nach seinem Tode herausgegeben worden zu
sein scheint. Es ist eine Aneinanderreihung der Stämme, meist
mit Beifügung der Derivata, die zahlreichen angeführten Bibel-
stellen sind weder hebräisch noch lateinisch citirt, sondern nur
kürz der Ort angegeben, wo sie zu finden sind. Das am Schlüsse
stehende Yerzeichniss der in dem Werke benutzten Autoren
verräth grosse Gelehrsamkeit, es enthält ausser Bibel, Talmud
und den Targumim und natürlich Kimchi: Raschi (Jarchi), Aben-
esra, Levi ben Gerson, Saadias, von Neueren Levita und
viele Andere. Ausgabe und Uebersetzung eines anderen Werk-
chens, der Sphaera Mundi, veröffentlichte Münster, die lateini-
sche Uebersetzung ist von Oswald Schreckenftichs , die An-
merkungen schrieb Münster ^). Ebenso rührt die Ausgabe des
hebräischen Matthäusevangeliums von ihm her und dessen la-
teinische Uebersetzung; er besass nur ein unvollständiges
Exemplar des in schlechtem, von Barbarismen strotzenden
hebräisch geschriebenen Schriftchens und glaubte sich berech-
tigt die Lücken auszufüllen^). Ein Schriftchen anderer Art
gab er unter dem Titel „Logik Rabbi Simeons" heraus*), das
1) D^p3 ÜO UI&K^ 1BD Dictionariam hebraicum, ultimo ab autore
Sebastiano Munstero recognitum et ex Rabinis praesertim ex Eadicibus David
Kimcbi auctum et locupletatmn MDLXIIII. Am Ende: Basileae perFrobenimn
et Episcopium. Anno MDLXIIII. Mense Febr. a . . z, A . . Z,aa . . qq. a8Bl.in8o.
^) Spbaera mundi et arithmctica hebräisch nnd lateinisch. Basel 1546 in 40.
Ich kenne diese Angabe nur aus Michaud, Biographie universelle. T. XXIX. p. 574.
3) Fides Christianorum sancta, recta et perfecta atque indubitata et
fides Judaeorum : accedit lex Dei nova quae ut doctrina et vita Christi, sive
Evangelium Domini nostri Jesu Christi secundum Matthaeum, hebräisch und
lateinisch. Basel 1537 fol. Diese und das vorhergehende Schriftchen werden
von Michaud a. a. 0. als sehr selten bezeichnet.
4) [iöött^ ^1 D3ITI hi^ r^3Jtl» Logica Sapientis Rabi Simeonis per Seba-
stianum Munstenim Latine juxta Hebraismura versa: quae Hebraeorum
commentaria legere volentibus non tarn utilis est quam necessaria. Basileae
80 Die Schüler des Klia« Liwita, Paul FagiuH und SebaNtian Münster.
aber von Mairaonides herrühren soll ^). Die Uebersetzung des
Buches sei ihm sehr schwer geworden, bemerkt er, hanpt-
sächlich der philosophischen Ausdrücke wegen; eine ueber-
setzung ähnlicher Werke, aus denen er sich Raths erholen
könne, existire nicht, und die ungebildeten Juden, die in
Deutschland lebten, hätten ihm keine befriedigende Auskunft
geben können; einer, der flir sehr gebildet und gelehrt gelte,
und den er gefragt, habe noch weniger gewusst als er selbst.
Daher seien Irrthüraer unvermeidlich. Wir müssen dieses
offene Bekenntniss annehmen, das gewiss zur Entschuldigung
vieler Fehler dienen kann, die philosophischen Ausdrücke sind
so verwickelt und erklären sich oft so wenig aus sich selbst,
dass bei einem ersten Versuche sie sich zu erläutern, die
Arbeit Münsters hohe Anerkennung statt bitteren Tadels ver-
dient 2).
Auch einige biblische Bücher übersetzte er und ftigte
ihnen Anmerkungen bei, so Jesajas; in Betreff der Anmer-
kungen tadeln Einige seine Kühnheit, rabbinische Conjecturen
als sicher hinzustellen'^); ebenso Koheleth, als er noch in
Heidelberg war, hauptsächlich auf Anrathen des Martin Frecht*);
dann das hohe Lied'»), das ihm zuerst zu schwer schien, das
er aber dann auf Bitten einiger Freunde herausgab. Die An-
merkungen enthalten meist grammatikalische Erklärungen, nur
einige wenige Anderes, z. B. eine, wo sein christlicher Stand-
apud Jo. Frob. Anno MDXXVII. Ort und Jahresangabe nochmals am Ende
a . . g ä 8 BL, h ä 6 Bl. in 8^. Die Widmung Joanni Campensi, sacrae
Hebraeae linguae exiuüo apud Lovanium professori datirt Bas. Cal, Nov.
Anno 1526.
1) Michaud a. a. 0. nach Richard Simon Lettres choisies tom. IV. p. 40 sq.
2) Diesen hat Bichard Simon a. a. 0. in reichem Maasse gegen Münster
laut werden lassen. £r sagt: Munster ne faisait presque ancnn pas sans
tomber, il etait un pauvre homme lorsqu'il se melait de tradnire d'autres
livres que ceux de la Bible, ou quelques rabbins grammairiens, dans Finter-
pretation desquels il a ete aide par Elias Levita.
^) Nach Michaud a. a. 0.
4) Das sagt er in der Vorrede zu der folgenden Schrift.
5) D'H'TS^n llff Canticum Oanticorum Salomonis Latine iuxta Hebraicnm
per Sebastianum Munsterum translatum atque annotationibus aliquot non
contextum nihil illustratum (?) a . . d a 8 Bl. in 8®. Am Ende : Baslleae apud
Joan. Frob. Anno MDXXV.
Die Schfiler des Elias Levita, Panl Fagins and SebasHan Mftnaler. 81
punkt henrortritt. Zu Cap. 6: K. Salomo erklärt, secbszig
Königinnen, das sind: Abraham und seine 59 Nachkommen,
achtzig Kebsweiber: Noah und seine Nachkommen bis auf
Abraham. . . . Von allen diesen Nationen war eine schöner,
vollkommener und dem Bräutigam angenehmer als die übrigen,
nämlich die israelitische Synagoge zur Zeit des zweiten Tem-
pels. Wenn dieser Jude, sagt Münster, dies von der christ-
lichen Kirche schriebe, die zur Zeit des zweiten Tempels an-
fing, so würde ich ihm gerne glauben. — üebrigens war Mün-
sters Hauptzweck grammatische Noten zu schreiben, die nur
zur Erklärung des Textes dienen sollten; im Titel seiner
Ausgabe der Sprüche sagt er dies ausdrücklich^). In den
Anmerkungen folge er dem Beispiele Reuchlin's in seiner Er-
klärung der sieben Busspsalmen, „aus der wol ein sieben-
jähriger Knabe hebräisch lernen könne;" er beschränke frei-
lich die Arbeit ein wenig und gehe nur in den ersten Capiteln
auch auf das Kleinste und Greringfllgigste ein, begnüge sich
aber bei den späteren mit der Berücksichtigung der wirklichen
Schwierigkeiten. In der That sind die Anmerkungen voll-
ständig elementar, die einzelnen Formen werden erklärt und
dabei die allgemeinen Sprach- und grammatikalischen Regeln
eingeprägt, ohne jeden gelehrten Apparat, höchstens mit Ver-
weisung auf ßeuchlin's und Münster's eigene Grammatik. Von
Uebersetzungen biblischer Bücher ist noch die der Psalmen
bekannt, die aber ohne Anmerkungen erschienen ^^).
Bei der Ausgabe und Uebersetzung einzelner biblischer
Bücher blieb er aber nicht stehen, er wagte sich an das
1) Die erste 1525 erschienene Auflage habe ich nicht gesehen, die zweite
hat zum Titel : ^H ]? HCW 'hf^ Proverbia Salomonis iam denuo iuxta He-
hraicam veritatem translata et Annotationibus grammaticis illu-
strata authore Sebastiano Munstero. AnnoMDXLVIII. a...ta8Bll. in 80.
Am Ende: Basileae per Hieronymura Frobenium et Nicolaum Episcopium
anno millesimo quingentesimo quadragesimo octavo. Am Anfang das Vorwort
Münster's zur ersten Auflage (15 kal. Jun. 1524), und das inhaltbse Pelli-
kan's zur zweiten.
2) Ich kenne nur die Ausgabe : Liber Psalmorum Davidis Prophetae et
Regis Ad hebraicam veritatem a Sebastiano Munstero quam diligentissime
versus in dem Werke: Liber precum publicarum seu Ministerii Ecclesiastici
administrationis Sacramentorum. Fol. 188 . . 299. Am Ende : Londini Excudebat
Thomas Vautrollerius 1574.
Geiger, Studium. 6
82 Die Schüler des Elias Levita, Paul Fagins und Sebastian Mflnstor.
grosse, bisher noch nicht versuchte Werk einer Ausgabe der
ganzen Bibel mit Uebersetzung '). Hätte . Münster weiter
nichts gethan, als eine Ausgabe des hebräischen Textes ver-
anstaltet, so verdiente er schon unter den Gelehrten, die vnr
hier behandeln, einen achtungswerthen Platz; so aber, da er
mit Sorgfalt das mächtige Werk genau übersetzte, keinen
Finger breit, sagte er, solle die Uebersetzung vom Texte ab-
weichen, „alle Bücher und jedes einzelne Wort abwog, hin
und her wendete, die Commentare der Rabbinen durchforBcbte
und die besten auswählte'S mag man ihm glauben, dass seine
Arbeit eine ungeheure war. Wenn auch schon Reuehlin mit
kühnem Muthe Irrthümer der lateinischen Uebersetzung des
Hieronymus aufgedeckt hatte, wenn auch Andere für eine An-
zahl biblischer Bücher eine andere Uebersetzung an Stelle
der angenommenen zu geben versucht hatten, so war es
immerhin ein nicht geringes Wagniss, nun an Stelle der gan-
zen von der Kirche gleichsam heilig gesprochenen Fassung
eine neue zu petzen. Münster sagte sich selbst, dass num
sich mit diesem Beginnen leicht glühendem Hasse aussetzte ');
1) Der Titel dieses grossen Werkes lautet typographisch genau: ^"Ü'jjjJü
(in einer Einfassung:) D'^l'n Jltt^a "^W D^ 1 ttrHfjJTl anSÖll Ü^iffV "nip? ^'SHiR
% '1 'nr ho h\^ nn^n riß" Mn: j f wpi D-niian up6t b^ S^ im^ d»i
JKTöttnKniTDa ENTIBILECTORIHEBRAICABIBLIAiLATINEPLA-
NEQVE NOVA SEBAST.MVNSTERI | tralatione post omneis omnium hactenus
ubiuis gentium aeditiones evulgata | et quoad fieri potuit, hebraicae neritati
conformata: adiectis insuper e Eabinorum commentariis annotationibos band
poeni- I tendis pukhre & voces ambiguas & obscu- | riora quaeq. eluddantibiis.
vol. I Pent. Jos. Jud. Sam. Reg. vol. II Prophet. Psalt. Prov. Hi. Dan.
Chron. Cant. Ruth. Thren. Eccl. (vol. 11 unter dem eig. Titel): Hi sacri &
canonici libri, amice Lector, sie ad Hebraicam veritatem genuina versione in
latinum sunt traducti, ut ne quidem ad latum unguem ab ea disaideant. |
Quibus praeterea in locis & sententiis obscurioribus opera SEBASTIANI j
MYNSTERI non parum accessit lucis per Annotationes | quas vel exHebmeocnm
commentariis, vel ex pro- | batioribus latinis scriptoribus adiecit.
in fol. voL I 12 unpagg. foll. 365 foU. vol. II pag. fol. 366—795.
Am Ende von vol. I: BASILEAE EX OEFICINA BEBEIJANA, IM
PEN- I DIIS MICHAELIS ISENGRINII | ET HENRICI PETRI | 1534.
von vol. II: BASILEAE EX OFFICINA BEBELIANA, IM PENDIIS |
Michaelis Isengrinii et Henrici Petri | 1535.
S) In der letzten Einleitung, der eigentlichen Sebastiani Münster! in vetns
Testamentum praefatio ist eine lange Abhandlung überschrieben: An Hie-
ronymus vulgatae aeditionis fuerit autor?
Die Seh&]«r des EU» Levita, Paul Ftkgivui and SebastiaB Mtaster 83
aber mich tröstet, sagt er, mein Bewnsstsein, dass ich diese
Arbeit nicht aus Buhmsucht oder ans Lnst an Tadel gegen
die Alten, denen wir sogar sehr viel Dank schuldig sind, da
sie, besonders bei dem fast vollständigen Mangel an Büchern ,
Alles geleistet haben, was sie leisten konnten, unternommen
und nichts anderes beabsichtigt habe, als den hebräischen
Text, wie er nach den rabbinischen Gommentaren festgestellt
werde, zu geben. . . . Freilich, und hiermit kommt er auf
seine und Fagius' Lieblingsthese, halte er nicht alles, was er
in diesen Commentaren finde, nach Art gewisser Leute für
Orakel, sondern prüfe das Gelesene, hauptsächlich hüte er
sich die kabbalistischen Schwärmereien anzunehmen, die diese
Schriften so oft verunstalten; oft aber seien sie, selbst wenn
sie sich in Dunkel und Irrthum beftlnden, Führer zum Bich-
tigen. In einer eigenen, mit Aufwand von grosser Gelehr-
samkeit geschriebenen, Abhandlung in einer der Einleitungen
bebandelt er die These, dass die jüdischen Commentare nicht
zu verachten seien. Hieronymus habe nur eine unpunktirte
hebräische Bibel besessen ; um sie zu verstehen, habe er sich
der Hülfe von Juden bedient, denn Kenntniss ihrer Sprache
und deren Eigenthümlichkeiten sei den Juden nie fremd ge-
worden, „wenn sie auch das hauptsächliche Ziel der heiligen
Schrift verkennen, das uns Christus und die Apostel gezeigt
haben". Der Haupttheil der Abhandlung richtet sich gegen
Augustin Steucho, dem er das Verkehrte seiner Auffassung
nachweist, B. Salomo habe fast alle seine Erklärungen aus
Hieronymus genommen ^). Unter den Autoren und Werken,
die er zu Bathe gezogen habe, nennt er Baschi, David Kimchi,
Abenesra, B. Menachem, Abraham Hispanus, Verfasser des
Fasciculum Myrrhe, „Seder Olam"^), Moses Gerundensis,
„ArbaTura". Als richtige Art des Verständnisses der Bibel,
1) Ueber R. Salomo (Raschi) sagt er einmal: R. Salomon qui inter
recentiores antiquior est, nam fait ante qnadringentos annos, id qnod ex
Judaeis Wormaciensibns habeo, ubi aliquamdiu commoratus est, cum alioqui
natione Gallus faerit.
2) Ans diesem Buche führt er am Ende seiner Bibelausgabe hebr. mit
lat. üebers. an : Catalogus et successio regum Jiehuda et Jerusalem ostendens
quando et sub quibus regibus vixerint singuli prophetae et quid memorabile
contigerit sub illis. Sunt autem haec huc relata ex Sedar olam minori.
6*
84 Die Schüler des Elias Levifca, Panl Fagins und Sebastian Münster.
als Zweck ihrer Lektüre stellt er hin, Christus kennen und
verstehen zu lernen. In der ziemlich ausfllhrlichen hebräi-
schen Vorrede vor dem ersten Band hebt er diesen Stand-
punkt ganz ausschliesslich hervor, preist Christus, tadelt die
Irrthtimer der Juden und ermahnt sie, dem rechten Worte und
der rechten Lehre des Propheten zu folgen und ihren falsche
Weg zu verlassen. „Denn die Propheten", wie er dies in der
Vorrede zum zweiten Band hervorhebt, die übrigens eine sehr
schöne Würdigung der prophetischen Literatur enthält, „geben
fast nur Weissagungen über Christus und die Zukunft seiner
Lehre". — Der hebräische Druck ist sehr deutlich, etwas schiefer
liegend als der gegenwärtig gebräuchliche , die Anmerkungen
sehr kurz und ziemlich ohne Bedeutung.
Nächst diesen Arbeiten nehmen die grammatischen und
lexikographischen eine hervorragende Stelle in der wissen-
schaftlichen Thätigkeit Münster's ein. Ein hebräisches aus
den Kabbinen gezogenes Lexikon ist bereits erwähnt, wir
haben ausserdem ein chaldäisches und ein dreisprachiges zu
behandeln. Letzteres ^) ist eigenthümlich genug: die lateinischen
Wörter sind alphabetisch geordnet, daneben stehen die griechi-
schen, zuletzt die hebräischen, oft vier, fünf und mehr fllr
einen lateinischen Ausdruck, so dass ein Wort sich zwei und
mehrere Male findet, da auf die Nuancen der Bedeutung durch-
aus keine Rücksicht genommen wird. Den Schluss macht
ein kleines viersprachiges Lexikon, in dem auch das Chaldäi-
sche (Rabbinensprache) mit in den Bereich der Betrachtung
gezogen ist. Die eigentliche Praefatio enthält einige specielle
Regeln für das Hebräische: dass es keine zusammengesetzten
Verba habe, dass im Gegensatz zum Lateinischen die loea
rerum meistens umschrieben werden müssten % dass die Deri-
1) nlJHsn WTTV Dictionarium trilingne in quo scilicet latinis yocabnlis in
ordinem alphabeticum digfestis respondent Gracca et Hebraica. Hebraicis
adiecta sunt magistralia et Chaldaica: Sebastian! Munsteri opera et
labore congestum.
üna cum eius Appendice de Hebraicis vocabulis tropis et modis loqnendl,
tarn apud grammaticos et logicos quam apud pbilosophos et roatbematiooB
quibus, etsi in Bibliis aut Chaldaicis nusquam invenies, tarnen ipsi Babbini
passim in suis utuntur libris. Basilea per Henricum Petri.
8) z. B. pman n-'a für balneum.
Die Schftler des Elias Levita, Paul Fagius und Sebastian Monster. 85
vata durch einfache Nomina mit vorangesetzter Präposition
ausgedrückt würden u. s. w. Werthvoll ist namentlich der An-
hang, der unter verschiedenen Aufschriften eine grosse Anzahl
rabbinischer Ausdrücke für Grammatik, Logik und Philosophie,
Mathematik, Astronomie und eine ziemliche Reihe von Redens-
arten der wissenschaftlichen Sprache enthält. Das chaldäische
Lexikon ist nur eine Znsammenstellung chaldäischer Wörter aus
dem alten thalmudischen Wörterbuch : Aruch, den chaldäischen
Bibelübersetzungen und den rabbinischen Commentaren '). Von
grammatischen Büchern ist seine ConjugationstafeP) zu rein
praktischem Gebrauche bestimmt: es sind Tabellen für alle
Formen der regelmässigen und unregelmässigen Verba, aber
nicht sehr übersichtlich geordnet, danach Tabellen für De-
klination der Nomina, Verzeichnisse der Indeklinabeln und der
unregelmässigen Wörter.
Seine hebräische Grammatik ist kein selbständiges Werk, son-
dern, wie schon der Titel angiebt, aus verschiedenen Schriften
des Elias Levita zusammengestellt. Sie ist ziemlich ausführ-
lich und durchaus elementar, verhält sich bei schwierigen
Fragen, bei neuen von Levita zuerst aufgestellten wissen-
schaftlichen Thesen durchaus objectiv. So wird die von die-
sem ausgesprochene Behauptung, die Vokalzeichen rührten
nicht von Moses her, sondern seien viel späteren Ursprungs,
mitgetheilt, aber auch die entgegenstehenden Ansichten wer-
den angefahrt, ohne dass Münster eine Entscheidung zu geben
versucht. Nichtsdestoweniger ist das Buch sehr brauchbar,
zwei Auflagen sind bei Lebzeiten des Verfassers erschienen,
jetzt ist es sehr selten geworden'). Einige Anhänge über
1) IfHO Dictionarium Chaldaicum , non tarn ad Chaldaicos interpretes
quam Rabinorum intelligenda commentaria necessarium : per Sebast. Mun-
sterum ex Baal Aruch et Chald. bibliis atque Hebraeorum peruschiin
congestum.
Basileae apud Jo. Fro. Anno MDXXVII.
2) D''PJ3an m Tabula omnium hebraicarum coniugationum iuxta octo
verborum classes pulchre in ordinem digesta. 2 T. Basileae. A. . . C. ä 8B11. in 8^.
3) Ich habe es nach langem vergeblichen Suchen in der Darmstädter
Hofbibliothek gefunden. Die erste Auflage ist ohne Titelblatt und ohne jede
Vorrede, sie beginnt: Grammatica hebraica absoluta. Am Ende: Basileae per
Henricum Petri Mense Martio Anno MDXLII. in 8«. Die zweite Auflage hat
den Titel; th^ri plljp'in ri5i6ö Opus grammaticum consummatum ex varüs
86 I)io Schftler des Elias Levita, Paul Fagius und Sebastian Münster.
Abkürzungen, Accente, Metren u. s. w. erhöhen den Werth
des Buches.
Neben dieser hebräischen Grammatik ist er als erster
Verfasser eines grammatischen chaldäischen Lehrbuches zu
erwähnen ^). Mit Stolz weist er darauf hin, dass er der Erste
sei, der ein solches Werk unternehme. Beuchlin klage tlber
die Mühen seiner Arbeit bei der Herausgabe seines ersten
hebräischen Buches , während er doch Lehrer gehabt , die
Unterstützung gelehrter Juden genossen, aus den Büchern
des Mosis und David Kimchi habe schöpfen können; mit wie
viel mehr Becht könne er über seine Schwierigkeiten und
Mühseligkeiten sich beschweren, da er keines dieser HtUfs-
mittel gehabt habe. Die dazu nöthigen Kenntnisse habe er,
wie er sagt, von seinem Lehrer Elias Levita erhalten, er habe
Elianis libris concinnatum, complectens scilicet Elementarium abao-
lutmn, Numerandi rationem, Pronominum declinationes , Verborum iutegns
conjogationes, Artificium snbiiciendorum afQxonim, Nominum varias foimiiks
et mutationes, Consignificativomin Explicationes, Magistrales abbreviationea,
Accentnum tractationem, Metromm compositionem. Anthore SebastianoMunstero.
Am Ende: Basileae per Henricum Petri Mense Augusto An. MDLVI. in 8^.
Dieser Auflage geht eine ziemlich ausführliche Einleitung voran: Clariaaimo
atque praestantissimo yiro domino Joanni M.(arbach?) amico candido Sebasi
Munst. S. D., von der einzelne Stücke z. Th. nach Citaten Anderer schon viel&ch im
Obigen angeführt worden sind. Am Anfange betont er, er habe schon mandie
Schriften des Levita übersetzt , trotzdem habe es ihm und seinen Freunden
geschienen, als wenn in dieser Wissenschaft noch eine grosse Lücke bestehe. Diese
habe er nun durch eine die mannigfachen Levita'schen Schriften zusammen-
fassende Grammatik ausfüllen wollen. Der zweiten Auflage ist der hebräische
Text und die Uebersetzung des Tobias beigegeben, den er von Oswald
Schreckenfuchs aus Memmingen erhalten hatte; wie bekannt, hatte auch
Fagius schon dieses Schriftchen veröffentlicht. Schreckenfachs begleitete die
Ausgabe mit einem nichtssagenden hebräischen Briefe.
1) ninDSirT 1K WK l^^"^ \^\p. Chaldaica grammatica, antehac a nemine
attentata, sed iam primum per Sebastianum Munsterum conscripta et aedita,
non tarn ad Chaldaicos interpretes quam Hebraeorum commentarios intelli-
gendos, Hebraicae linguae studiosis utilissima.
Item in DimT, hoc est commentaria Hebraeorum
Begulae aliquot generales
Modi loquendi Hebraici plurimi
Abbreviaturae Hebraicae generales, nee non plurimae speciales et latin^
et Hebraice explicatae
Per eundem Sebastianum Munsterum.
Basilea apud Jo. Fro. Anno MDXXVll.
Die Schüler des Elias Levito, Paul Fagins und Sebastian Münster. 87
die Beschäftigung mit dieser Sprache für nothwendig gehalten,
denn die Vertrautheit mit ihr trage viel dazu bei, das Hebräi-
sche, selbst das Biblische, recht zu verstehen. ,,Die Juden in
ihrem Dahindämmem und ihrer krassen Unwissenheit belasten
diese heilige Sprache mit Barbarei und beflecken sie mit
Schmutz, während sie doch die heiligen Propheten, die biblischen
Schriftsteller so rein überliefert haben." Die Grammatik ist
sehr ausführlich, hier bedarf es nur ihrer kurzen Erwähnung;
einige Uebungsstücke aus dem Deuteronomium, Josua, Jeremia,
Ezechiel, den Psalmen sind mit ihrer lateinischen Uebersetzung
angehängt. Andere Beigaben sind zerstreut uns bereits in
anderen Schriften begegnet, den Schluss machen zwei he-
bräische aber inhaltlose Anreden an den Leser.
Ausser den bereits besprochenen Schriften Münster's,
Uebersetzungen, Erklärungen biblischer Schriften, Wörter-
büchern und grammatischen Werken bleibt nur noch Weniges
zu erwähnen übrig: ein hebräisches Kalendarium, das er
namentlich als nützlich ftir Historiker und Astronomen er-
klärte^), ein Schriftchen theologischen und geschichtlichen
Inhalts, in dem er neben den 13 Glaubensartikeln des Mai-
monides die 10 Gefangenschaften Israels (4 unter Sanherib,
4 unter Nebukadnezar, 1 unter Vespasian, 1 unter Hadrian),
die Geschicke Israels in denselben und in der Zwischenzeit
erzählte, und eine Ausgabe nebst lateinischer Uebersetzung
des jüdischen Geschichtschreibers Josippon gab 2), und end-
lich eine Schrift, in der er die 613 Ge- und Verbote^) der
1) Aus M. Neandri Erotemata p. 256. Sebastiani Munsteri Kalendarinm
Hebraicum, ex Hebraeomm penetralibus iam recens editum quod non tarn
Hebraicae studiosis quam historiographis et astronomiae peritis subservire
poterit. Probenius 1527 in 40. vgl. die Nachträge.
2) I hKi'ü^ rm^ -Ttrr 1 "^trn trsn nan 1 ancrv rrmv isho Tredecim arti-
culi fidei Judaeorum item compendium elegans historiarum Joseph!, complectens,
Acta LXX InterpretuiD, Gesta Machabaeorum , facta Herodum, Excidimn
Hierosolymitanum, item decem captivitates Judaeorum. Haec per Sebastianum
Munsterum et Hebraeis et Latinis legenda exarantur, anno Christi MDXXIX.
Am Ende; Wormatiae apud Petrum Schotter.
Die Angabe ist aus Weller: Altes aus allen Theilen der Geschichte.
Chemnitz 1766 II, S. 104—113.
3) rmm nnSDÖ Catalogus omnium praeceptorum legis mosaicae quae ab
Hebraeis sexcenta et tredecim numerantur cum succinctaRabiöorum expositione
88 Die Universitäten.
Juden zusammenstellte und ihnen einen lateinischen Auszug
beigab. Ganz habe er es nicht übersetzen wollen, um das
Werk nicht allzusehr anzuschwellen, schon aus diesem Auszug
werden die des Hebräischen unkundigen Leser ersehen, bis
zu welchem Grade von Wahnsinn und Verblendung die Jaden
sich verstiegen hätten.
VI.
Die Universitäten.
Damit, dass einzelne Männer sich dem Studium der he-
bräischen Sprache hingaben, war aber nicht genug geschehen;
um wirklich in die Reihe der Wissenschaften zu treten, musste
es an den Stätten eine Pflege finden, wo sich alles zusammen-
drängte, was in der wissenschaftlichen Beschäftigung des
Zeitalters eine Rolle einnahm: auf den Universitäten. Und
wirklich ist auf fast allen wichtigeren deutschen Universitäten
von dem Beginn des 16. Jahrhunderts an das Hebräische als
Lehrgegenstand aufgenommen worden. Es wird am besten
sein, wenn wir, mit annähernder Bestimmung der Zeitfolge,
die einzelnen Universitäten durchnehmen.
Der Churfürst Ruprecht II. von der Pfalz hatte, dem Bei-
spiele vieler anderer Fürsten seiner Zeit folgend, in seiner
Hauptstadt Heidelberg eine Judenverfolgung veranstaltet (1391).
Die Universität, der er die von den Juden zurückgelassenen
Bücher überliess, betrachtete dieselbe nicht grade als ein
werthvoUes Geschenk; sie verkaufte dieselben und hielt nur
ein Exemplar des Talmud zurück^). Kaum ein Jahrhundert
später aber war Heidelberg der erste Ort, an dem von
Reuchlin Hebräisch gelehrt wurde, wenn es auch heimlich
et additione traditionnm quibns irrita fecerimt maudata dei. Haec Sebasi
Munstenis utriusque linguae Latinae et Hebraicae studiosis legenda impartit.
Basileae excudebat Henricns Petrus. a...i a 6 Bll. , k a 5 611. Am Ende:
Excudebat Henricns Petms Mense Martio Anno MDXXXIII. Dann folgt der
hebräische Text mit besonderem hebr. nnd lat. Titel tr...K a 8 BIL in 8^.
1) HantZ; Geschichte der Universität Heidelberg, 1, S. 225,
Die UnWeraitäten. 89
geschehen musste. Als regelmässigen Professor der hebräischen
Sprache können wir auch Matthäus Adrianus nicht betrachten,
von dem wir gesehen haben, dass er in Heidelberg gelehrt hat.
Aber das Bedtirfhiss, einen ordentlichen Professor für dieses
Fach anzustellen, machte sich bald geltend. Es war überhaupt
ein neues Streben in die Universität eingezogen, man wollte
den übrigen nicht nachstehen, suchte neue Kräfte zu ge-
winnen, z. B. den Erasmus, und blickte fast neidisch auf
Tübingen, das Reuchlin besitze (1521 ^), In einer besonderen
Eingabe wandte man sich in demselben Jahre an den Chur-
fürsten, er möge Böschenstein, der mit gewichtigen Empfeh-
lungen Beuchlin's, Caspar Ammon's, Oekolampad's in Betreff
seiner Kenntnisse nach Heidelberg gekonmien war, als Lehrer
der hebräischen Sprache anstellen und ihm ein Gehalt be-
stimmen; für letzteres begnügte man sich sogar mit dem be-
scheideneren Vorschlag, die 4 Fakultäten sollten kleine Bei-
träge zum Unterhalt des neuen Professors bewilligen *). Gegen
letzteren billigen Vorschlag konnte der Churftlrst nicht wol
etwas einwenden, er selbst wollte freilich nichts beisteuern,
und da die Beiträge der Fakultäten , der artistischen und der
Universität je 10, der juristischen 5 — 6, der medicinischen
1) Der Dekan und die Artistenfakultät machten eine Eingabe beim
Churfürsten, in der sie um Berufung des Erasmus baten. Sie sagten darin
über Reuchlin : Etsi non desint et huic nostrae universitati fama et doctrina
non ignobiles, attamen non tales, ut possint in publicum tam repente prod-
ire admiratione tanta, ut solent qui editis iam multis yoluminibus illustres
evaserunt: qualis est e milibus unus Doctor Joannes Beuchlinus, ex publico
stipendio Tybingensium conductus grecae et hebraicae linguae professor, quod
haec scheda his literis inclusa indicat. Nach den Akten abgedruckt bei Hautz,
I, S. 369, Anm. 25.
2) Quandoquidein Jo. Boeschenstein Eslingensis hebraeae linguae insi-
gniter auditus, aliquorum (quibus respublica nostrae universitatis nonparum
curae esset) precibus victus, ad nos divertisset, suae vero non vulgaris audi-
tionis nobilium aliquot Germaniae academiarum, atque Joannis Reuchlini,
iurium, Joannis Oecolampadii et Casparis Ammani Theol. Doctorum aliorum-
que doctissimorum hominum non poenitenda attulisset testimonia . . . petit
facultas artium, ut sua dementia apud Gynmasii nostri proceres illi ipsi
Stipendium pro linguae hebraeae professione constitui demandaret aut, si
ipsum modo fieri non posset, saltem ad tempus hie ex publicis quatuor facul-
tatum aerariis aleretur, donec reformatio studiorum inchoaretur. (1521) Hautz,
I, S. 371, Anm. 29,
90 Die Universitftten.
1 — 2 Goldgulden, zum Fristen des Lebens nicht hinreichten,
so verliess Böschenstein bereits im August 1522 die Uni-
versität^). Der Lehrstuhl blieb 2 Jahre unbesetzt; 1524 wurde
Sebastian Münster zum Professor angenommen, sein Gehalt
betrug jährlich 25 Gulden; die 5 Gulden jährliche Erhöhung,
die man ihm 1526 bestimmte, mögen ihm auch nicht sonderlieh
gefallen haben, schon 1527 verliess er Heidelberg*). Die
Nachfolger, die man ihm gab, waren höchst unbedeutend) die
Universitätsakten wissen nichts mehr von ihnen als ihre Namen,
es lohnt sich kaum sie aufzuzählen : Georg Sibold von Ketten-
hausen 1529, Valentin Kleymann 1531, Valentin Mikrander
und Johann Koller 1538^). Für eine Beihe von Jahren naeh
dem Abgange des Letzteren lassen sich aber nicht einmal
Namen nennen, erst 1551 wurde der Lehrstuhl durch den
getauften Juden Paul Staffelstainer^) besetzt. Glänzend
war die Stelle grade nicht : für das erste Jähr erhielt er 50 Gulden
Gehalt, 1555 wurde ihm eine Zulage von 30 Gulden gewährt. Das
Programm, in welchem der Rektor der Universität zu seiner
ersten Vorlesung einlud, ist noch erhalten, danach sollte der
neue Professor Bibelerklärung und grammatikalische Ausein-
andersetzungen vereinigen. Das Ziel der Vorlesungen sollte
sein, die Hörer zum Verständniss der schwierigen Sprache,
die Viele von philologischer Lektüre zurückhalte, zu fahren
und in ihnen eine Liebe zu jener sehr alten Theologie zu
erwecken ^). Wie lange Staflfelstainer in Heidelberg gelehrt, ist
ebenso unbekannt, als der Erfolg, der seinen Unterricht begleitete.
Hatte Keuchlin in Heidelberg das hebräische Studium
eingeweiht, so war er es auch, an den sich der Ghurftlrst von
1) Hautz I, S. 371 fg.
2) a. a. 0. S. 374. Es wäre interessant über die Lehrthätigkeit dieser
beiden bedeutenden Männer Genaueres zu wissen.
3) Hautz I, S. 378 fg.
4) Derselbe, der uns als Lehrer Johann Eck's (s. S. 30, Anm. 1) be-
gegnet ist?
5) Idem hie auspicabitur cras ab ennarratione celebris dicti qtiod de
mondi duratione in domo Heliae sonuisse traditur. Grammatica deinoeps
tractabit compendia ac praecepta e scriptura petitis exemplis illostrabit idqne
curabit sedulo, ut ad phrasin, quae multos a philologicis lectionibns aicet,
adsuefieri auditor possit vetustissimarnque illam paulatini amare theologiam.
Haut? I, S. 428 fg.
Die Univenitäten. 91
Sachsen wandte, als er an seiner Universität Wittenberg
dem hebräischen und dem griechischen Studium Eingang ver-
schaffen wollte. Keuchlin ^hlte sich nicht kräftig genug im
hohen Alter diese Last zu übernehmen; ftir das Griechische
empfahl er, wie bekannt, seinen Grossneffen Melanchthon,
und auch filr die Besetzung der hebräischen Professur machte
er seine Vorschläge. Von Oekolampadius, den er empfahl,
musste er zugleich berichten, die Baseler hätten ihn bereits
genommen; Paul ßitius^), der Leibarzt des Cardinais von
Gurk, der sich namentlich durch seine kabalistischen Werke
einen Namen gemacht hat, schien ihm „zu fest und wohl zu
stehen", um ihm eine Aenderung seiner Stellung anzubieten;
als dritten zu der Stelle Geeigneten nannte er Conrad Pelli-
kan: er glaubte, wenn seine Oberen, die Barftisser, zustimm-
ten, wttrde es leicht sein ihn flir den Lehrstuhl in Witten-
berg zu gewinnen. „Man filnde vielleicht sonst," schliesst er,
„getaufte Juden, wer dess gute Erfahrung hätte; aber ftlr-
wahr, wenn sie nicht in lateinischer Zunge gelehrt sind, so
könnten sie uns künstlicher Weise in Regeln nicht lehren;
denn in teutschen Landen empfahen die Juden ihre Sprach
allein aus gewöhnlichem Brauch, das aber uns nicht so mög-
lich ist, sondern wir müssen das Hebräische erstlich durch
Regeln, und darnach durch viel Lesen der Bücher gleichwie
die lateinischen und griechischen Zungen überkommen"*).
Es ist nicht sicher, ob der Churfürst diese Vorschläge in der-
selben Weise billigte, wie er dem Plane, Melanchthon nach
Wittenberg zu ziehen, seine Zustimmung gab; jedenfalls ist
seine Antwort nicht erhalten. Aber nachdem Melanchthon
seine Stelle angetreten hatte, suchte man ihm einen CoUegen
ftir das Hebräische zu geben ^). Denn um Lehrer der Jugend
1) Von ihm sagt Erasmus, der überhaupt von seiner wissenschaftlichen
Tüchtigkeit und seinen sonstigen trefflichen Eigenschaften entzückt ist: Ib
demum vere mihi videtur Israelitam agere, suoque cognomini pulchre
respondere, cujus omnis voluptas, omnis cura omne otium ac negotium in
divinis literis. Erasmus Ricardo Bartolino 10. März 1516. Opp. III col. 190
Epist. CCX.
2) Reuchlin an den Churfürsten Friedrich von Sachsen 7. Mai 1518,
in Corpus Reformatorum ed. Bretschneider vol. I, nro. 14, coli. 27 — 31.
3) Hütten schreibt in demselben Jahre an einen Freund von dieser ihm
bekannt gewordenen Absicht. Vergl. Böcking, Hutteni opera vol. I, p. 187,
92 Die Universitäten.
im Hebräischen zu werden, d^-zu waren weder die Kenntnisse
Luther's noch die Melanchthon's hinreichend. Der Letztere
namentlich beschäftigte sich zwar viel mit Hebräisch, er Hess
gleich in der ersten Zeit seines Wittenberger Aufenthaltes
hebräische Bibeln von Leipzig herbeischaffen, damals ein selteaer
Schatz, wegen dessen Erlangung er sich beglückwünschen
konnte ^), er war weniger in seiner schriftstellerischen Thätig-
keit als in seinen Vorlesungen bei Erklärung biblischer
Bücher bemüht, die Nothwendigkeit des Zurückgehens auf den
hebräischen Text hervorzuheben, er war ein grosser Verehrer
der hebräischen Sprache und billigte, da er sich nichts heil-
sameres, wahreres, feineres und höheres denken konnte als
diese Studien, die Ansicht derer keineswegs, die dieselben
flir thöricht und roh erklärten ^). Die Pflege des Hebräischen
in Wittenberg schien ihm ein hoher Buhm der Universität;
er datirt eine Vorrede ^) aus der Wittenberger Akademie, „wo
durch die Gnade des weisesten Mäcenas aller Gelehrten, des
1) An Spalatin (Sept.) 1518 und an Christoph Scheurl 24. Sept. 1518.
Corp. Eef. vol. I, coli. 43, 48.
2) An Johann Hess 17. April 1520, Corp. Ref. I, vol. 158. ffier ist
auch eine Rede anzuführen, die er über Nothwendigkeit und Nutzen des
hebräischen Sprachstudiums schrieb, Corp. Ref. vol. XI, coL 867 — 877, De
studio linguae Ebreae (1549), die aber ziemlich unbedeutend ist. Er fireue
sich, nicht vor Ungebildeten zu reden; aber selbst bei Gebildeten gelte die
hebräische Sprache für barbarisch. Diese ziehen lateinisch und griechisch
bei weitem vor. Freilich, wenn man Eleganz der Sprache, angenehme Er-
zählung verlange, dann sei es besser, sich im Herodot zu vertiefen, quam
legere Thalmudicos libellos, in quibus et tempora mundi manifeste errore
mutilata sunt et tantum est insulsitatis, ut Alexandrum somnient gessisse
bellum cum Dario filio Hystaspis qui successit Cambysi; sei es nützlicher,
von der Weisheit des Themistokles, von der Gerechtigkeit des Aristides sich
unterhalten zu lassen, quam legere fanaticos furores ben Cosban. Das sei
allerdings wahr: Literatur und Philosophie hätten in den griechischen und
lateinischen Schriftstellern ihre ausgezeichnetsten Vertreter gefunden, sed
in ecclesia Dei carere lingua Ebrea non possumus. Da genügten
auch üebersetzungen nicht, obwol manche, wie Luther's Bibelübersetzung,
unendlichen Werth hätten; man müsste an den Text selbst herangehn, der,
oft schwierig und dunkel, eignes Nachdenken und eifrige Wahrheitsliebe ver-
lange. Trotz seiner Schwierigkeit nehme aber doch das Studium der hebräi-
schen Sprache nicht so in Anspruch, dass nicht auch Zeit für die Beschäfti-
gung mit andern Wissenschaften übrig bleibe.
3) Zu der von Luther herausgegebenen Erklärung von Pauli epistola
ad Galatas.
Die Unirersit&ten. 93
Chnrftirsteu Friedrich, die rechten Stadien in den 3 Sprachen
Lateinisch, Griechisch nnd Hebräisch umsonst gelehrt wer-
den^^^); er entschloss sich sogar einmal, als ein Lehrer fllr
diese Sprache fehlte ^) , kurze Zeit auch dieses Amt zu ver-
walten, aber er fühlte doch selbst am besten, dass ihm zur
vollen Uebernahme dieser Thätigkeit die Fähigkeit fehlte.
Man suchte also einen Professor ftlr das Hebräische. Es
ist von vornherein klar, dass die Stellung eines solchen, in-
mitten eines vorzugsweise theologischen Lehrkörpers, neben
Männern, wie Luther und Melanchthon, die nicht nur durch
den Grad ihrer Kenntnisse, sondern durch den eigen-
thtimlich hervorragenden Platz, den ihnen die Bewunde-
rung ihrer Berufsgenossen zuerkannt hatte, eine Art Ober-
aufsicht über Alles ausübten, was unter ihren Augen vor-
ging; es ist klar, dass die Stellung eines Lehrers der Sprache,
deren richtiges Yerständniss die Grundlage ihrer ganzen
Theologie bildete, eine schwierige war, und dass ein selb-
ständiger Geist, der sich in seiner Lehrmethode und in seinen
Ansichten nicht beschränken lassen wollte, hier schwer, wenn
nicht gar unmöglich, eine Wirksamkeit auszuüben im Stande
war. Hierin mag wol der Grund liegen, dass es ziemlich
lange dauerte, bis man den rechten Mann gefunden hatte,
dass eine Anzahl Versuche fruchtlos blieben, und dass, wenig-
stens in den ersten Jahrzehnten, keiner in Wittenberg dauernd
die hebräische Sprache gelehrt hat, der unter den Kennern der-
selben einen bedeutenden Rang einnimmt. Diese Behauptungen
können freilich nur Vermuthungen bleiben, die zerstreuten
Quellen, die wir zu Käthe ziehen können, erlauben uns keine
sicheren Schlüsse.
Von Johannes Böschenstein, der als erster die Stelle ein-
nahm, ist schon in anderm Zusammenhang gesprochen; nach
ihm ist von einem Bartholomäus Caesar die Rede.
Luther, der jeden neuen Ankömmling mit grossen Lobsprüchen
empfing, um dieselben freilich oft bald genug mit bitteren
Schmähungen zu vertauschen, sagt von ihm — es ist die
») 1519 C. R. I, col. 125.
2) 21. Mai 1519 a. a. 0. col, 81: Interim ego psalterimn praelego, dum
doctior aliqois conducitur.
94 Die Universitäten.
einzige Stelle, in der er von ihm spricht, in den Briefen Me-
lanchthon's findet sich gar keine Erwähnung des Mannes — :
er habe eine lateinische Bede von ihm gehört, untermischt
mit Hebräischem, die habe ihm sehr gefallen ; es scheine ihm,
wenn man diesen gewinnen könne, werde sich der Weggang
Böschenstein's ertragen lassen. Gott, auf die Pflege unserer
Studien bedacht, hat auch ohne uns gesorgt ^). Einige inter-
essante Details geben einige Briefe des Andreas Carlstadt.
Danach verdankt Caesar die Aufmerksamkeit, die man ihm
zuwandte, der Empfehlung des Böschenstein. Dieser habe
seine allgemeine Gelehrsamkeit, seine specielle gründliche
Kenntniss der hebräischen Sprache herrorgehoben, zu deren
Erlernung er viele Jahre hindurch grossen Fleiss angewendet
und namentlich Beuchlin's Unterricht sich zu Nutzen gemacht
habe. Plötzlich aber habe Böschenstein sein Urtheil flber ihn ge-
ändert, seinen eignen Entschluss, von Wittenberg fortzugehen,
habe er aufgegeben, ihm sei an Gelehrsamkeit doch Keiner in
Deutschland zu vergleichen; was aber Caesar anbetreffe, so
stehe er in seiner Kenntniss dem Melanchthon um Vieles nach.
Auch andere Schmähungen habe er auf Caesar gehäuft, den er
früher mit Lobsprüchen überschüttet habe; vielleicht sei auch
das Gerücht, die Leipziger wollten Caesar ftlr sich gewinnen,
nur von ihm erftmden, um sich des unbequemen Gegners zu
entledigen. Die Wittenberger Studenten seien aber sehr
begierig, ihn als Lehrer zu erhalten; Spalatin möge Alles
thun, um diese Wünsche zu befriedigen. Sie gingen frei-
lich nicht in Erfüllung: Carlstadt schreibt, Caesar wolle
nicht kommen, und kann sich die Sinnesänderung nicht er-
klären «).
Nach Caesar war es Johann Cellarius Gnostopoli-
tanus, den man nach Wittenberg ziehen wollte. Er war in
Heidelberg früher gewesen und wollte jetzt in Leipzig die
1) Luther an Spalatin 11. Januar 1519 bei de Wette: Luther^s Briefe,
Sendschreiben und Bedenken I, S. 210. lieber Böschenstein lautet die Stelle:
ideoque nobis visum est, quando ille veteranus omnino maturat recessum,
hoc assumto in vicem illius, recessus eins feratur.
8) Die Briefe, für die der im Text gegebene Auszug genügen mag,
finden sich in J. G. Olearius : Scrinium antiquarium. Arnstadt 1682, p. 42 8q.,
45, p. 52—56; sec. fer. post epiphan, Rerainiscere und Die Felicia 1519.
Die tJnivMrsil&ien. ^
hebräische Sprache lehren; Lather Hnd Melauchthon zeigen
sich gleich eifrig ihn zu gewinnen^). Aber wenige Wochen
darauf schreibt Melanchthon: Der Hebräer, den sie hätten,
wolle nicht lehren, abgeschreckt dnrch die Schwierigkeit des
Psalters, den er non schon binnen Jahresfrist erklärt habe^).
Das scheint sich auf Cellarius zu beziehen. Möglicherweise
war das nicht der wirkliche Grund^ bekanntlich stand Cel-
larius bei der Leipziger Disputation auf Eck's Seite ^) und es
wird Niemand den Wittenbergem verargen ktonen, dass sie
sich hüteten, einem erklärten Feinde Eingang bei sich zu ver-
schaffen. Noch unglücklicher war der Versueh, den man mit
MatthäusAdrianus machte, der, wie oben genauer erzählt
ist, nach sehr kurzer Thätigkeit in voUem Unfrieden aus Witten-
berg schied.
Erst 1521 wurde ihm ein Nachfolger gegeben. Matthäus
Aurogallus, ein Böhme, hatte einige Jahre in Wittenberg
studirt, er war Melanchthon und Luther bekannt geworden,
beiden erschien er zur Besetzung der vakanten Professur ge-
eignet, vielleicht eb^isosehr, weil man ihn als ein^i getreuen
Anhänger kannte, als seiner Bef^Lhigung wegen ^). Melanch-
thon berichtet, dass er ihn aus dem Stegreif Vieles aus dem
Hebräischen habe übersetzen und erklären sehen a). Luther
bediente sich seiner Unterstützung bei der Bibelübersetzung «).
Von sein^i Schülern und von seiner Lehrthätigkeit in dieser
1) Melanchthon an Spalatin 21. Mai 1519, Corpus Reformatorum I,
col. 81 ; Luther an Spalatin 22. Mai 1519 bei de Wette : Luther's Briefe etc.
I, S. 278. Ueber Cellarius vgl. unten: Leipzig.
2) G. Spalatino 29. Juli 1519 Corp. Ref. I, col. 104 fg.
3) Darum bezweifelt Pörstemann, der Verfasser der Anmerkungen in den
ersten Bänden des Corp. Ref., dass diese Stelle sich auf Cellarius beziehe.
4) Luther an Spalatin 19. März 1521, de Wette I, S. 574; Melanchthon
an denselben 21. März 1521 Corp. Ref. I, col. 362 sq.
5) Mel. a. a. 0. : Ipse vidi ex tempore multa enarrantem ac reddentem
de Hebraeis. Eine andere kurze Bemerkung desselben an denselben 14. Juni
1521: Inprimis Aurogallum praeficiendum hebraeis scholis. Corp. Ref. I,
col. B97.
6) Melanchthon sagt in der Vita Crucigeri (Declamationes, alte Aus-
gabe, Tom. III, p. 305) : Etsi Lutherus Ebream linguam probe callebat, tamen
quia collationem iudiciorum sciebat non aspemandam esse, adhibuit viros in
ea lingua praeclare eruditos Aurogallum, Crucigerum et Forsterum. Hos et
iudices in obscuris locis et suae fidei et diligentiae testes haberi voluit.
96 I>io Universitäten.
Sprache, die er bis zu seinem Tode 10. November 1543*)
fortsetzte, ist sonst nichts bekannt. Die hebräische Gramma-
tik^), die er geschrieben hat, erfüllt den Zweck eines Leit-
fadens vollkommen. Nach den Kegeln ftlr das Lesen der
Buchstaben, Silben und Wörter folgei^ Beispiele flir die Ac-
cente, Tabellen für die Zahlen, Fronomina, Substantiva, danach
die Conjugation und die Kegeln für die übrigen Kedetheile:
Adverbia, Conjugationen , Interjektionen. Der hebräischen
Grammatik folgt ein ungemein dürftiger Abriss der Eigenthüm-
lichkeiten des Chaldäischen, dann eine ziemliche Anzahl von
einer nicht nach alphabetischer Reihenfolge und überhaupt
ohne jedes System zusammengestellten Anzahl von Abbre-
viaturen, den Schluss macht das „Lied Moses^^ in hebräischer
Sprache. Wie gesagt, die Grammatik ist ein guter Leitfaden
und sie ist schon früh wegen ihrer Bequemlichkeit und Nütz-
lichkeit fiir die Studirenden gerühmt worden^).
Nach Aurogallus' Tode wurde die Professur dem Lukas
Edenberger übertragen; ein Stück des Briefes, in dem
Luther denselben dem Churfürsten Johann Friedrich empfiehlt,
ist interessant genug, um erkennen zu lassen, was Luther bei
seinen Candidaten hauptsächlich suchte: „E. K. F. G. wolle
die hebräische Lektion dem M. Lukas Edenberger leihen und
befehlen, nicht allein desshalb, dass er sich zu dieser Zeit
schwerlich behilft, . . sondern dass er E. K. F. G. und uns Allen
wol bekannt, dass er treu und fleissig, auch ernstlich ist über
der reinen Lehre, welchs alls vonnothen ist dem, der hebräisch
lesen soll. Denn viel Ebraisten sind, die mehr rabinisch,
1) Vgl. Scriptor. publ. propos. a Professorib. in Academia Witebeig
(1559). T. I, p. 72 und Bismark an der Anmerk. 3 anzuführenden Stelle.
^) Ich kenne nur eine spätere Auflage: Grammatica hebraeae chaldae-
aeque linguae a Mattheo Aurogallo in.lucem aedita, pluribusque in locis ab
autore emendata et aucta. Basileae apud Henricum Petrum. Anno MDXXXIX.
A...L. a 8 Ell. in 16 <> (169 S.). Von S. 142— 159: De chaldaeae et hebraeae
linguae. Die Abkürzungen unter dem Titel: Abbreviationes quibus Judaei in
commentariis super veteris instrumenti Bibliis passim usi sunt.
*) Nach der kurzen Lebensbeschreibung des Aurogallus in Bismark:
Vita et Res Gestae praecipuoruni Theologorum Liber primus Continens vitam
et res gestas Theol. Viteb. Halae Saxonum 1614 Bl. I 1 und 2: Ghwn-
maticam hebraicam quoque edidit, quam alicubi D. Selueccerus ob facilitatem
et utilitatem studiosis sanctae linguae commendat.
l)ie Unirenit&ien. 97
denn christlich sind, und doch die Wahrheit ist, wer nicht
Christum sacht und sieht in der Bibel und ebräischer Sprache,
der siebet nichts und redet wie der Blinde von der Farbe" *)•
Von Edenberg's wissenschaftlichen Leistungen und seiner
Lehrthätigkeit ist Nichts bekannt^). Auch war sein Aufenthalt
in Wittenberg nur kurz, ebenso wie der seines Nachfolgers,
des durch seine spätere theologische Thätigkeit so bekannt
gewordenen Matthias Flacius Illyrikus. Er war nach
Wittenberg gekommen hauptsächlich zum Studium des Griechi-
schen und Hebräischen. Melanchthon erkannte die grossen
Fähigkeiten des jungen, kaum 24jährigen Mannes, man machte
ihn zum Professor der hebräischen Sprache; nur viermal
wöchentlich sollte er lesen, man setzte ihm dafür einen Gehalt
von 100 Goldgulden aus. Er erklärte die Schriften des alten
Testaments mit vieler Anerkennung;^ aber nicht lange hielt
es ihn, 1547 nach der Capitulation Wittenbergs wanderte er
mit den übrigen Professoren aus, aber diese kehrten ohne
ihn zurück 3).
Ihm folgte Johann Forster, nach Böschenstein wol
der beste Schüler Reuchlin's. Er hatte seinen Lehrer eine
kurze Zeit, wie es scheint, in Ingolstadt vertreten (1521),
dann hatte er hauptsächlich auf dem theologischen Kampf-
platz sich geübt und, nach einem Zeugniss Melanchthons ^),
seiner Neigung nicht ausschliesslich der Beschäftigung mit der
hebräischen Sprache zugewendet. Desselben Empfehlung ^)
hatte er es zu danken, dass er 1537 eine Anstellung als Pro-
*) Luther an den Churfürsten Johann Friedrich, bei de Wette V, S. 606,
3. December 1543.
2) Nur findet sich schon aus dem Jahre 1548 von Edenberger eine —
übrigens unbedeutende — (Praelectio) in Ebraeam Grammaticam in: Scripta
publ. propos. in Acad. Witteb. (1560) Tom I, D 3 sq.
3) Ueber Flacius s. die Nachträge.
*) Er schreibt an Camerarius: Forstemium (Forsterum) iudico esse
modesto ingenio praeditum, et in sacris literis mediocriter versatum, neque,
ut multi d7:eipoy.aXoi, qui se Hebraicis literis dedidere, nimium delectari suo
studio. Angeführt bei Strobel: Vermischte Beiträge zur Geschichte und Lite-
ratur. Nürnberg 1775, in den ausführlichen Mittheilungen über Forster,
S. 129—160.
5) Ebenso wie der Luther's, vergl. Schnorrer: Nachrichten von den
Lehrern der hebr. Literatur in Tübingen, der auch erzählt, dass Forsters
Gehalt 200 fl. betrug. Verschiedenes über Forster s. in den Nachträgen.
Geiger, Studium. 7
98 Oio Ünivereititen.
fessor der hebräischen Sprache und Theologie in Tübingen
erhielt; von hier seiner lutheranischen Gesinnungen wegen
den Reformirten verdächtig geworden und entlassen, war er
9 Jahre in durchaus praktisch -theologischen Aemtem thätig.
Erst 1549 kam er nach Wittenberg, zuerst ohne Amt; man
wusste noch nicht, ob Flacius Illyrikus zurückkehren werde,
der Wittenberg verlassen hatte, um, wie er sagte, nicht einer
Veränderung des Gottesdienstes beizuwohnen. Als Gehalt
wurden Forster 300 Goldgulden versprochen, eine für jene
Zeit recht respektable Summe ^). Von seinen Schülern ist
hauptsächlich LäliusSoccinuszu nennen 2), der sich freilich
weniger durch seine Kenntniss des Hebräischen, als durch
seine theologische Wirksamkeit bekannt gemacht hat. Forster
starb nach einer 7jährigen glücklichen Lehrthätigkeit im Jahre
1556 3). Das Werk, das seinen Namen hauptsächlich bekannt
gemacht hat, ist sein hebräisches Lexikon^). Es ist nöthig,
dass wir bei demselben verweilen, und dass, ehe wir seinen
Inhalt zergliedern, wir Forster's Ansichten, die er bei Ab-
fassung des Werkes zu Grunde legte, eiü wenig nachgehn.
In einem Worte kann man es ausdrücken : in ihm prägte sieb
mit am schärfsten und schroffsten die Gesinnung ans, die
Luther über die hebräische Sprache und ihre Behandlung ge-
hegt und seinen Schülern eingeflösst hatte. „Die Kenntniss
der hebräischen Sprache", beginnt er, „ist der Kirche nöthig
1) Die letzten Angaben aus einem Briefe Melanchthon's an den Fürsten
Georg von Anhalt 29. März 1549, Corpus Reformatorum vol. VII, p. 356.
2) a. a. 0., p. 632.
3) Camerarius vita Melanchthonis, ed. Strobel, p. 320, der bei dieser (Je-
legenheit über ihn sagt : Joannes Forsterus, hebraicarum literarura inprimis peri-
tus, qui varia et duriore aliquando fortuna confiictatus tandem Wittenbergae
consederat, doctrina sua Academicam illam communitatem augens atqne ornans.
4) Der typographisch genaue Titel dieses wichtigen Werkes lautet:
DICTIONARIVM i HEBRAICVM NOVVM , NON EX RA i BINOEVM
COMMENTIS NEC EX NOSTRATIVM DOCTORVM | stulta imitatioiie
descriptum, sed ex ipsis thesauris sacrorum Bibliorum | et eorundem aocmata
locorum collatione depromptum, cum phrasibus | scripturae Veteris et Novi
Testamenti diligenter annotatis. |i
Autore Joanne Forstero Augustano, sacrae Theologiae Doctore, ac,
Hebraicae linguae professore in Academia
Vuitebergensi. ,1
Froben's Buchdruckerzeichen BASILEAE MDL VII.
l)ie Universitäten. dd
und sorgfältig aus den Quellen geschöpfte Wörterbücher sind
die Schatzkammern, in denen die Sprache aufgewahrt wird."
Aber was sind die Quellen? Sind es die Rabbinen? Hören
wir Forster's Antwort: „Viele Jahre nach dem Wieder-
erwachen des Evangeliums habe ich gesehen, dass ebenso
wie in den Synagogen und Schulen der Juden, so bei den
Christen beim Uebersetzen und Erklären der h. Schrift die
rabbinischen Commentare gleichsam wie heilige Mysterien
Gottes von allen mit grösster Dehmuth und Verehrung ange-
betet werden. Daher konnten wir den wahren Sinn der hei-
ligen Schrift nicht erlangen." Dieser traurige Zustand der
Dinge habe ihn zur Abfassung seines Lexikons veranlasst.
Es seien bisher schon von Christen Werke geschrieben wor-
den, aber sie haben keinen Werth ; bei ihnen sei Christi Wort
eingetroffen: „Wenn ein Blinder einen Blinden ftlhrt, so
straucheln sie beide." „Und blind sind die Führer wirklich;
sie haben kein Licht, keine Kenntniss von Gott, keinen Geist,
keine wirkliche und gründliche Bekanntschaft; mit irgend
einer Wissenschaft oder Kunst, kein Verständniss der Sprachen,
nicht einmal der hebräischen" 0« Aber eine solche Finstemiss
dürfe nicht fortdauern, die christliche Religion habe nöthig,
dass sie zerstreut werde. „Sie muss der Sprache eine be-
sondere Pflege angedeihen lassen, die die erste und älteste
ist, in welcher die Gottheit, Vater, Sohn und heiliger
Geist, diesen wunderbaren Schauplatz der Welt und alle Ge-
schöpfe in ihr geschaffen hat, in der die ganze Dreieinigkeit
gleichsam im Bilde sich dargestellt hat. . . Durch diese Sprache
war der Sohn Gottes allein wirksam, mit ihr schenkte er den
Elendgestorbenen neues Leben. In ihr nannte Adam alle
Thiere, alle Vögel und Fische mit Namen, als sicherstes
Zeichen, dass sie die passendste und geeignetste ist, um die
Natur der Dinge auszudrücken. — Bis zum babylonischen
Thurmbau gab es keine andere Sprache, als diese ; nach die-
1) Darauf folgen mehr positive Anklagen : Dicat mihi universa ipsorum
Synagoga, comportatis omnibus suis libris, quid proprie hoc nomen HTp"*
significet et quae sit ipsius etymologia, similiter fl'^tt^^ "^pS' V^' ]^' Dann
giebt er 68 Regeln zum leichteren Verständniss der hebräischen Sprache,
über die Buchstaben und ihre Bedeutung, über die Deklination und den Ge-
brauch der Substantiva, über Conjugation und Verba.
100 Die Universitäten.
sem Ereigniss folgte, hervorgerufen durch den schrecklicliea
Zorn Gottes, zum unglaublichen Schaden der Kirche^ Ver-
schiedenheit und Verwirrung der Sprachen, in der dennoch
Gott diese Sprache, rein und unverderbt in dem heiligen Heber
und seiner Familie erhalten hat bis Lot, von Lot bis Abraham
und seiner Nachkommenschaft, um ihm in dieser Sprache
jene Verheissung zu verkünden über seinen gesegneten Sa-
men, welcher ist unser Herr Jesus Christus".
Man sieht, es ist nicht leicht möglich in überschwäng-
licheren Ausdrücken sich zu ergehen. Neben der Heiligkeit
der Sprache wird aber auch ihr Nutzen hervorgehoben, einmal
gegen die Juden, „um die von den Kabbinen hervorgebrachten
Verschlechterungen zu erkennen, die den Worten innewohnende
Bedeutung, ihren wahren Sinn zu zeigen und gegen die Spötte-
reien Jener zu vertheidigen", dann auch gegen die alten üeber-
setzungen, um beurtheilen zu können, wie gotteslästerlich und
abergläubisch es ist, was sie über Christi Verdienst enthalten.
Auf die Rabbinen kommt er immer wieder zurück. Wenn er
in schönen Worten zeigt, dass nur die hebräische Sprache
allein den wahren Gott lehre und die wahre Gottesverehmng,
dass sie allein Furcht und Treue, Gehorsam und Geduld, Be-
scheidenheit und Ergebung vorschreibe, dann fehlt der Nach-
satz nicht: aber hüte Dich vor den Lehrsätzen der Kabbinen,
die voll von Schmutz und Schändlichkeit sind; wenn er in
einem Gebete Gott bittet, die Liebe zur hebräischen Sprache
immer stärker werden zu lassen, dann vergisst er nicht zu
bemerken: um sie von den Irrthümem der Juden zu reinigen.
Aber er bemüht sich sehr die Meinung nicht aufkommen
zu lassen, als kenne er, der das Studium der jüdischen Er-
klärer sehr abrathe, dieselben selbst nicht. „Wenn es einen
gibt, der seine Fähigkeiten an den Kabbinen verschwendet,
der sie in seinem Hause auf eigene Kosten als Lehrer unter-
halten, der sich oft und lange in ihren Synagogen benun-
getrieben und ihre Commentare fleissig gelesen hat, dann ist
es Forster, und dennoch habe ich nichts Ausgezeichnetes,
nicht was besonderen Lobes werth wäre, davongetragen."
Sein Lexikon, recht eigentlich eine Frucht dieser Kab-
binenverachtung, ist daher entsetzlich einseitig. All das Gute,
was er aus jüdischen Commentatoren, Grammatiken ziehen
Die Universitäten. 101
konnte, hat er bei Seite geworfen, man kann sagen, er kennt
nur die Bibel und seine eigene hermeneutische Fertigkeit, die
alten Schriftsteller, soweit sie in Sacherklärung in Betracht zu
ziehen waren, und die Kirchenväter, obwol er sich auch ent-
schieden dagegen verwahrt (schon im Titel des Lexikons),
in kindischer Nachahmung ihnen zu folgen. Von seinem
Lehrer Reuchlin hat er viel gelernt, namentlich in der äusseren
Eintheilung, obwol ja der Weg, den er folgte, ganz verschie-
den ist von dem, den der Lehrer eingeschlagen hatte. Er
gedenkt desselben mit vieler Liebe. Nachdem er ihn als sei-
nen Lehrer gerühmt und erzählt hat, dass er seinerseits von
W es sei den ersten Unterricht empfangen hatte, fährt er fort:
Ich erwähne gern diese Männer, damit die Nachwelt diese
Wohlthat Gottes im Auge behalte, dass jene, schon so früh
wie von göttlicher Eingebung getrieben, sich der Verbreitung
dieser Sprache hingegeben haben.
Man hat das Lexikon wegen seiner durchgängigen Rück-
sichtnahme auf die Bibel eine gute Bibeleinleitung genannt;
vielleicht dürfte der Ausdruck Bibelconcordanz noch passen-
der den Werth oder in jedem Falle die Eigenthümlichkeit des
Werkes bezeichnen. Unter eine jede Stamm wurzel werden
sämmtliche Formen eingereiht, in der diese Wurzel sich
findet, die Conjugation des Verbums und die Hauptzeiten jeder
einzelnen Conjugation und die von dem Verbum abgeleiteten
Nomina. Die Stämme, die numerirt sind: 1 — 1758, sind natür-
lich nach ihren Anfangsbuchstaben eingetheilt; am Anfange
einer jeden dieser 22 Abtheilungen steht ein Bibelvers, der mit
dem zu besprechenden Buchstaben beginnt; am Ende derselben
sind die zu jedem Buchstaben gehörigen Quadrilitera, soweit
sie nicht unter den dreibuchstabigen Wurzeln ihren Platz ge-
funden haben, und Peregrina zusammengestellt. Bei den ein-
zelnen Wörtern wird oft nur ganz kurz die Bedeutung ange-
geben, oft, wenn grammatische Schwierigkeiten oder sonstige
Unregelmässigkeiten sich finden, dieselben ausflihrlich er-
läutert und eine Masse Beispiele aus dem alten Testament zu
ihrer Erklärung angefügt, deren Nutzen freilich dadurch, dass
sie nur lateinisch und nicht hebräisch gegeben werden, fast
illusorisch gemacht wird. Zur Erklärung der Worte wird die
chaldäische Uebersetzung, werden griechische, lateinische,
102 I>ie Universitäten.
auch deutsche Worte angeführt; zur Analogie viele Stellen
aus dem neuen Testament; zur Sacherklärung, wie bereits
bemerkt, einige Classiker, einige Kirchenväter, von Neueren
Nikolaus von Lyra. Die jüdischen Commentatoren sind, wie
es sich von selbst versteht, ausgeschlossen, nur R. Salomo
findet sich einigemal erwähnt. So wenig Freund der Juden
und ihrer Commentatoren auch Forst er war, die Gerechtigkeit
muss man ihm widerfahren lassen, dass er sein Lexikon nicht
mit Polemik, mit Schimpfreden gegen diese flillte. Man sieht
doch fast an jedem Schritte, den er thut, dass es ihm in
tiefem Ernst um die Erforschung der Wahrheit zu thun ist,
so beschränkt auch der Standpunkt ist, von dem aus er die
Wissenschaft betrachtet.
Eine kurze Zeit (1557 fg.) verwaltete Paul Eber die
Professur, der schon früher einmal zur Aushülfe einge-
treten war^).
Am 18. März 1560 hielt Heinrich Moller seine Antritts-
rede als Professor der hebräischen Sprache in Wittenberg. *). Da
sonst keine Leistungen dieses Mannes erwähnt werden, er
auch (s. das Fgde.) nur kurze Zeit sein Amt verwaltet zu
haben scheint ^), so mag es erlaubt sein die Rede etwas näher
zu betrachten. „Durch eine besondere Wohlthat", beginnt der
Verfasser, „hat Gott der Kirche immer Männer zu Theil wer-
den lassen, bald mehr, bald weniger, die der hebräischen
Sprache kundig waren." Die Kenntniss derselben sei zwar
durch die Schuld der faulen und unwissenden Mönche des
Mittelalters fast verschwunden, aber nie völlig. Auf einer
Synode^) sei bestimmt worden, das Hebräische solle auf den
Universitäten gelehrt werden, dann haben Nikolaus von Lyra,
1) Vergl. Nachträge zu S. 97, Aüm. 3.
2) Adhortatio ad cognoscendam linguaia hebraeam a Mag. Henrioo
MoUero Hamburg., hebraico Professore; habita d. 18. Martii 1560, zuletzt
gedruckt in Corpus Eeformatorum (Melanchthonis Opera), vol. XII, col. 385
bis 392.
3) Ich finde ihn noch erwähnt in dem Wittemberger Lektionskatalog
von 1561: M. Henricus Moller enarrabit textum hebraicum minorum pro-
phetarum bei Strobel: Neue Beiträge zur Literatur des 16. Jahrhrmderts
1790 I, S. 126.
*j Dem Wiener Concil 1312.
Die Universitäten. lOo
Paul von Burgos, Petras Galatinus ^) die Kenntniss fortgepflaüzt.
Dieselbe sei für die Kirche so nothwendig, „dass die Studiren-
den der Theologie durch strenge Befehle der Kegierung an-
gehalten werden müssten sie sich anzueignen" ^). Seien ihnen
dagegen die Quellen fremd, so folgen daraus verschiedene
Nachtheile: die heiligen Schriften würden nicht gelesen wer-
den ; durch ihre Unkenntniss würden Zweifel über den Willen
Gottes hervorgerufen, der in diesen Schriften seinen Ausdruck
gefunden; man müsste sich an üebersetzungen halten, die,
wenn sie schlecht und mit mangelndem Verständniss der
Phrasen und Bilder abgefasst seien, schiefe und unrichtige
Deutungen enthalten ^) ; Polemik könne nur dann richtig geftlhrt
werden, wenn man in das einzugehen wisse, was in den
Quellen stehe. Daher müsse man sich bemühen ein Ver-
ständniss der Quellen herbeizuführen. „Um diese Gewissheit
über die Meinungen der prophetischen und apostolischen
Schriften in den Gemüthem hervorzurufen und durch diese
Gewissheit ein eifriges Lesen der Schriften zu erzielen, muss
man diese Sprache lernen, weil die Kirche unmöglich be-
stehen kann, wenn die prophetischen und apostolischen Bücher
verachtet werden"^).
Am Anfang der sechsziger Jahre war Johannes Dra-
konites in Wittenberg. Als Schüler des Paul Fagius hatte
er dessen trefflichen Kenntnisse in sich aufzunehmen ge-
wusst. Er trug sich mit grossen Planen: er wollte eine Biblia
Pentapla herausgeben, die er als Aufgabe seines Lebens be-
1) Petrus Galatinus ein gelehrter Italiener, ein Freund Reuchlin'a.
Wie wenig historisch die Auffassung MoUer's ist, liegt auf der Hand;
Galatinus hätte sich selbst am wenigsten einen directen Nachfolger der
mittelalterlichen Interpreten des A. T. genannt, sondern willig als Schüler
Reuchlin's bekannt.
2) Gubernatorum severitate opus esset, ut cogerent eos, qui aluntur
ut Ecclesiae doctrinam discant, adiungere ad id Studium linguam Graecam
et Ebream, col. 386.
3) Darauf folgt eine längere Auseinandersetzung über die Irrthümer
der Juden und über die Miss Verständnisse der Griechen und Römer in ihren
üebersetzungen, mit zahlreichen Beispielen.
4) Ut igitur et certae sint mentes de sententia propheticorum et
apostolicorum scriptorum, et horum lectio propter certitudinem magis appe-
tatur, lingua haec discenda est, quia ubi spernuntur libri prophetici
et apostolici, ibi Ecclesiam esse impossibile est. col, 391.
104 Die Universitäten.
trachtete, an verschiedenen Orten Schritte that, um thätige
Beihülfe, namentlich Geldunterstütznng zu finden, von Zeit zu
Zeit Bruchstücke jener Ausgabe veröflfentlichte, um das Inter-
esse der gelehrten Welt zu erregen und wachzuhalten. Aber
nachdem er durch das bereitwillige Entgegenkommen des
Churfürsten August von Sachsen zu seinem Ziele gelangt
schien, starb er 1565 und das kaum begonnene Werk hatte
sein Ende erreicht^). Man hatte in Wittenberg überhaupt
keine Zeit mehr zu wissenschaftlicher Beschäftigung. Schon
nach Luther's Tode hatten fast nur theologische Streitigkeiten
die Gemtither beschäftigt, die Federn in Bewegung gesetzt;
nachdem mit Melanchthon's Tode (1560) der letzte Damm
einer zuletzt freilich sehr wankenden Autorität gebrochen
war, gingen die Wissenschaften in dem allgemeinen Trubel
theologischen Zankes völlig unter.
Das Andenken R e u c h 1 i n ' s wird bei j edem Schritte wach-
gerufen, den wir thun. Auch in Ingolstadt ist er es, der
zuerst als öflfentlicher Lehrer im Hebräischen unterrichtete.
Wie weit sein Schüler Forst er ihn ersetzte, ist nicht bekannt.
Nach ihm scheint überhaupt ein besonderer Lehrer für das
Hebräische nicht angestellt gewesen zu sein. Unter den Auf-
trägen, die dem berühmten J oh. Eck bei seiner dritten Reise
nach Rom mitgegeben wurden, figurirt auch der, er solle fllr
die Universität Ingolstadt neben der Erlaubniss einige griechi-
sche Präceptores zu halten auch die erlangen, einen Professor
des Hebräischen zu haben 2). Man sieht aber nicht, ob und
inwieweit diesem Auftrage entsprochen worden ist. Eck selbst
war ein tüchtiger Kenner des Hebräischen, aber es ist nicht
bekannt, ob er auch specielle Vorlesungen über die hebräi-
sche Sprache gehalten hat, die er bei seinen theologischen
1) Der Churfürst hatte den Superintendenten Paul Eber mit der Fort-
setzung beauftragt, der aber freilich nicht der geeignete Mann dazu war.
üeber Drakonites vergl. Strieder: Hessische Gelehrtengeschichte III, S. 194
bis 212.
2) Wiedemann : Dr. Johann Eck, Eegensburg 1865. S. 186.
Die UniTeTsitäten. 105
wol berücksichtigen mochte. Als zerstreute Notiz findet sich
nur, dass Wilhelm Uelin 1536 — 1543 in Ingolstadt das He-
bräische gelehrt hat ^),
Wir begleiten Reuchlin auch auf dem letzten Schritte
seiner Laufbahn 2). Er war 1521 von Ingolstadt nach Tü-
bingen gegangen. Wir haben schon gesehen, dass bereits
an der Wende des Jahrhunderts sich hier Männer gefunden
hatten, die, des Hebräischen kundig, gern bereit waren ihre
Kenntniss Andern mitzutheilen °)] aber den Namen eines
öfifentlichen Lehrers verdient erst Eeuchlin. Sein Nachfolger
war Robert Wakfeld. Er blieb zwar eine Reihe von Jah-
ren in Tübingen, bis 1530, aber er gehört seiner Geburt und
seiner Erziehung nach England an und, was er schriftstelle-
risch leistete, kam auch mehr seinem Heimatslande — er
lehrte bis zu seinem Tode 1534 in Oxford — zu Gute*). Die
Art und Weise, in der man seinen Nachfolger Jakob Jonas
behandelte, zeigt einen sehr traurigen Verfall der Achtung,
die man einem Lehrer einer so oft als heilig gepriesenen
Sprache hätte entgegenbringen sollen. Seine erste Anstellung
vom 1. Mai 1528 (?) war auf ein halbes Jahr mit einem Ge-
halte von 15 Gulden; dafür sollte er täglich eine Stunde lesen.
Dann trieb man die Munificenz so weit, ihm für ein Jahr
50 Gulden zu bewilligen, freilich mit der Bedingung, sich für
jede Stunde, die er versäumte, V4 Gulden abziehen zu lassen.
Er resignirte bald darauf auf die Stelle (1533), bat aber
doch, man möchte sie ein Jahr lang, so lange wollte er fort
bleiben , unbesetzt lassen. Indess hielt er selbst es für ge-
rathener den unwürdigen Verhältnissen zu entsagen, und von
*) Schnurrer : Nachrichten von den Lehrern der hebräischen Literatur
in Tübingen.
2) Ich folge für Tübingen als Hauptquelle dem in der vor. Amn. und
auch früher vielfach erwähnten Buche von Schnurrer. Es beschreibt in
ziemlicher Ausführlichkeit das Leben aller Nachfolger Reuchlin's, und
während es so viel Unnöthiges für uns bietet, enthält es auch Alles, was
für unscrn Zweck von Werth ist.
3) s. oben S. 19.
4) Schuurrer, S. 67—70.
106 Di« Universitäten.
dem König Ferdinand sich mit einer hohen amtlichen Stellung
betrauen zu lassen. Dabei traf er in Wien wieder mit seinem
früheren Schüler Widmanstadt zusammen, der ihm in der
i^LUsgabe der syrischen Uebersetzung des neuen Testaments
ein schönes Denkmal gesetzt hat ^). Von Wilhelm Uelin,
der ihm folgte und der später in Ingolstadt seine Thätig-
keit fortsetzte, ist gar nichts bekannt; von seinem Nach-
folger Johann Forster, den man in anderer Weise be-
handelt als den armen Jonas, ist bereits an anderm Orte
gesprochen. Nur für kurze Zeit kann Tübingen einen Mann
flir sich in Anspruch nehmen, der weniger durch seine Lei-
stungen, als durch die Meister Sebastian Münster und Elias
Levita, denen er seine Kenntnisse verdankt, bekannt ist:
Erasmus Oswald Schreckenfuchs. Er war 1549*) zum
Professor der hebräischen Sprache vorgeschlagen und ging,
trotzdem der Senat ihn zu ernennen verweigerte, doch hin
und ertheilte einige Jahre hindurch privatim Unterricht. In
Freiburg lehrte er dann als Professor die Mathematik, neben-
bei auch Hebräisch; es scheint, dass er, auch sonst seinem
Lehrer Münster folgend, diese beiden Studiengebiete ver-
einigte, wenigstens deuten Uebersetzungen zweier hebräischer
Werke, die Astronomie und Mathematik behandeln, die
Sphaera Mundi des K. Abraham Hispanus und die Arithmetik
des R. Elija, darauf hin. 1556 hatten in Tübingen die flirst-
1) Auch diese Worte — sie finden sich in der Widmung des angege-
benen Buches an König Ferdinand, Wien 5. Id. Jun. 1555 — bei Schnurrer
(S. 75) : quod . . . Jonas, quo tempore eum in Suevorum gymnasio utramqne
linguam (hier ist mit diesem Ausdruck hebräisch und griechisch gemeint)
celebritate magna docentem enidit iomnes venerabantur, mihi iam tum adoles-
centi stimulos admoverit.
2) Als 2. Lehrer der Schule in Memmingen stand er mit dem Otten-
beurer Mönche Nikolaus EUenbog in Verbindung, der ihn u. A. einmal an-
fragte, ob in allen Exemplaren der Bibel der Vers, der mit dem Buchstaben
Nun anfangen sollte, fehlte. Dieser verglich das Targmn, consuloi etiani Maso-
reth, de quo an audieris nescio, quod, ut paucis scias, omnium tumvenmnm tum
dictionum tum literarum insuper etiam omnium apiculorum, vel additiones vel
defectum i<ipönw summo studio et obseryationetammeniinit quam rationem ha-
bet. Auch hier fand er nichts ; um EUenbog's Zweifel ganz zu zerstreuen, ob die
Auslassung des Verses einer Nachlässigkeit der Abschreiber zuzuschreiben sei,
sah er auch Rabinorum opiniones praecipue R Salomonis nach. Der Brief schliesst :
chV2 rbn «tr. (Nie. Ellenb. Epist. vol. in, lib. IX, fol. 162. Cod. lat. Paris. 8643.)
Die Universitäten. 107
liehen Visitatoren den Antrag gemacht, „es sollte dahin ge-
sehen werden, dass ein geschickter und gelehrter Hebraeus
zu Wege gebracht werde, sonderlich aber möchten Rektor und
Regenten bedacht sein, ob und wie Schreckenfuchs von Frei-
burg hierher zu dieser Lektur gebracht werden könnte." Doch
erfolgte kein Schritt darauf, obwol Schreckenfuchs erst 1575
starb. Ausser den schon erwähnten Schriften hat er noch
eine Ausgabe der chaldäischen Uebersetzung des hohen
Liedes und des Predigers^) veranstaltet, der er ein hebräi-
sches Druckfehlerverzeichniss voranschickt und als Anhang
eine hebräische Leichenrede auf seinen Lehrer Sebastian
Münster mitgab. Nur zu bedauern ist, dass die Rede,
der ein gewisses Geschick in der Diktion nicht abzuspre-
chen ist, ihrem Inhalt nach so völlig werthlos ist, für das
Leben dessen, dem sie gilt, kaum den kleinsten Beitrag
liefert, während grade Schreckenfuchs, wie kein anderer, be-
rufen gewesen wäre, das Leben seines Lehrers zu schreiben,
für das uns nun leider die Quellen abgehen.
Der Zeit nach hätte Leipzig einen Platz vor Ingolstadt
und Tübingen verdient. Schön im Jahre 1518 hatte Mosel-
lanus in einer Rede erklärt, wie der Fürst daran denke eine
Professur des Hebräischen zu schaffen, damit Nichts an einer
vollkommenen Universität fehle 2); in demselben Jahre hören
wir von dem Plane, Bartholomäus Cäsar, der in Wittenberg
nicht ankommen konnte, für Leipzig zu gewinnen; 1519 will
Johann Cellarius dort lehren^). Von seinen wissenschaft-
1) Basel 1553. 285 S. in 80. Ein hebräischer Brief ist oben, S. 85,
A. 3, angeführt.
2) S. 0. S. 3, Anm. 1.
3) Corpus Reformatorum I, col. 81 sq. Melanchthon schreibt an Spa-
latin 21. Mai 1519: Heri nobiscum fuit Hebraicus quidara (später: Joanni
Cellario nomen est) mediocriter eruditus et aliquamdiu in negotio grammatico
versatus Heydelbergae antea professus elementa eßpaixd et iam Lipsiae prae-
lecturus . . . Hat er in Leipzig schon damals gelehrt, so geschah das wol auf
eigne Hand, denn in dem „Lehr- und Stundenplan für alle Fakultäten von
1519" (vgl. Zamcte, Statutenbücher S, 34 fg.) findet sich keine hebräische
Lektion aufgeführt.
108 Die ünivereititen.
liehen Leistungen ist sein Isagogicon zu erwähnen *). Es ist ein
Leitfaden für die Studirenden, aber nicht etwa um sie mit
der ganzen hebräischen Sprache, sondern nur um sie genau
mit den Buchstaben bekannt zu machen. Besonders lang ver-
weilt er bei den Vokalzeichen, bei den Schwierigkeiten der
einzelnen Buchstaben, die sich inmitten eines Wortes, nament-
lich in der Conjugation leicht verändern, oder Neigung zur
Verstärkung durch Dagesch u. a. zeigen , spricht über die
hauptsächlichsten Satzzeichen wie Athnach, über die Zahl-
zeichen, flir die eine Tabelle folgt. Ein paar Seiten Abkür-
zungen machen den Schluss, aber man fragt vergebens, wel-
ches eigenthtimliche Princip ihre Zahl und ihre Ordnung be-
stimmt hat 2). Auch dass Bernhard Ziegler in Leipzig
hebräisch gelehrt hat, wissen wir, aber es ist weder bekannt,
wann, noch mit welchem Erfolge er seinen Unterricht ertheilt
hat. Nach Melanchthon's Urtheil, der, so lange Ziegler in
Wittenberg war, sich mit ihm oft über die Schwierigkeit dieser
Sprache unterhielt^), war er ein überaus fähiger Mann; keiner,
meinte Melanchthon, in Wittenberg und in Leipzig sei ihm
vorzuziehen, namentlich ^bl er seine Fähigkeiten zum Nutzen
der Kirche verwende, und mit grosser Geschicklichkeit die
prophetischen Schriften erläutere 0- Sonst begegnen wir nur
1) Isagogicon Joannis CcUarii Gnostopolitanae in hebraeas literas
Omnibus hebraicarum literaniin candidatis non minus utile quam necessaritun.
Die beigegebenen Gedichte Reucblin's, Melanchthon's, Hakus\ der W^idrauBgs-
brief an Reuchlin tragen das Datum 1519, a...e a 4 Bll. in 4o. Am Ende:
Ex Neocademia Anshelmiana Hagenoae. Thomas Anshelra war bekanntlich
auch der Drucker Reuchlin'scher Werke.
2) Abbrevationes perpulchre scitu quibus frequentissime Hebrei utuntur.
3) Multumque et saepe collocutus est de eins linguae difficili et olscnra
tractatione. . . Camerarius Vita Melanchthonis ed. Strobel p. 70.
^) Das. in einem Anm. m angeführten Buche: Tanta est vis ingenii
in Zieglero ut neminem in his duobus Academiis ei proponendum ducam
et hanc vim naturae confert ad Ecclesiae utilitatem, magna dexteritate iUu-
strat prophetica scripta. Nach einer Mittheilung des Herrn Prof. Zamcke
übertrug am I.Juni 1542 Herzog Moritz die Lektion der hebräischen Sprache
an B. Ziegler. (Vgl. Zamcke: Urkundliche Quellen, S. 543, Nro. 28, abgcdnickt
bei Brandes, Beiträge zur Charakteristik des Herzogs Moritz, S. 32.) Die
Stellung des hebräischen Professors war eine eigenthümliche , sie schwebte
in der Mitte zwischen der theologischen und philosophischen Fakultät (Gretschel,
Die Universität Leipzig, S. 101).
t)ie Univenitäten. 109
noch einer Notiz aus dem Jahre 1524, dass der Herzog Georg
von Sachsen die Bezahlung des Gehaltes für den Professor
der griechischen und hebräischen Sprache eingestellt habe\).
Die Männer, die uns in Leipzig begegnet sind, waren
selbst unter ihren Zeitgenossen kaum allzusehr bekannt; in
Basel begegnen wir dagegen Männern, die eine grosse Be-
deutung während ihres Lebens besassen und deren Verdienste
auch heute noch unsere Anerkennung verdienen: Johannes
Oekolampad und Wolfgang Fabritius Capito. Sie
hatten sich beide nach tüchtigen Lehrern formen können.
Ersterer war ein Schüler Reuchlin's, letzterer des Matthäus
Adrianus. Schon 1515 rühmte man des Oekolampad's he-
bräische Kenntnisse. Johann Sapidus empfiehlt den jungen
Oekolampad an Erasmus als einen, der mit dem Verständ-
niss des Griechischen und der Theologie eine nicht gewöhn-
liche Kenntniss des Hebräischen verbinde 2), und vielleicht
hatte diese Empfehlung zur Folge, dass Erasmus sich seiner
Hülfe bei der Ausarbeitung der Anmerkungen zum neuen
Testamente bediente, „um darauf aufmerksam zu machen, wie
weit die im neuen Testamente vorkommenden alttestament-
lichen Anführungen, sie seien nun aus der Septuaginta oder
aus dem hebräischen Grundtext geschöpft, von diesem ab-
weichen oder mit demselben übereinstimmen" 2). Vielleicht
durch die gemeinschaftliche Arbeit mit Erasmus angeregt,
beschäftigte er sich mit Hieronymus und gab mit seinem
Freunde Johann Brenz*) einen Index zu Hs Werken heraus
mit Erklärung der darin vorkommenden griechischen und he-
bräischen Wörter^) (1520). Er war Professor der Theologie
in Basel geworden, als solcher lehrte er auch seit 1523 he-
bräisch ; die erste Vorlesung war eine Erklärung des Jesajas.
In einem Briefe an Caspar Hedio lobt er diesen sehr, dass er
1) vgl. meine Recension über J. G. Schmidt: Petrus Mosellanus, Gott,
gel. Anz. 1868, S. 1539.
2) Erasmi Opera (ed. Lugd. Bat. 1706), tom III, col. 1543, Epist.
App. XXXII, Schlettstadt 15. Sept. 1515.
3) Herzog: Leben Johann Oekolampad's. Basel 1843, 1. Band, S. 120.
^) Einen Schüler Adrians, s. 0. S. 43, A. 3.
5) Herzog, a. a. 0. I, S. 123.
110 Öie Universitäten.
sich mit Hebräisch beschäftige, bedauert, dass er selbst zu
wenig Müsse habe, um seine Kenntnisse darin zu erweitern.
„Unangenehm erscheint diese Sprache gegenüber dem
hochtrabenden Wesen der lateinischen und der
Verweichlichung der griechichen Sprache. Es ist
aber eine heilige Sprache und flir die heiligen Studien höchst
nützlich. Ihre Vernachlässigung hat viel Ketzereien und Irr-
thtimer veranlasst. So wie Du ein wenig fortgeschritten bist,
wirst Du mit Bewunderung wahrnehmen, in welch* klarem
Licht dasjenige strahlt, was Dir jetzt noch dunkel vorkommt.
Aber ich ermahne Dich und die Ermahnung ist wahrlich nöthig:
Sei nicht nach jüdischer Weise neugierig. Die Schrift hat
ihre wichtigen Stellen, diese suche auf und sammle sie" ^).
Oekolampad hielt nicht lange den hebräischen Unterricht
in seinen Händen. Der ruhige Portgang der Universität war
durch die politischen und religiösen Unruhen eine Zeit lang
unterbrochen worden; in der neuen von dem Baseler Refor-
mator entworfenen Universitätsordnung (1529), die der Wieder-
eröffnung voranging, wurde bestimmt, dass in den theologi-
schen Vorlesungen auch über das alte Testament gelesen
werden solle, dass aber ausserdem ein Professor der hebräi-
schen Sprache Grammatik lesen und einige Bibelverse er-
klären solle mit Beachtung der Wurzeln, der Deklination und
Conjugation 2). In Folge dessen wurden noch 1529 Versuche
gemacht, den Bartholomäus Wolfhard nach Basel zu
ziehen und neben der theologischen Stellung, die man ihm
zudachte, ihn auch zu veranlassen den hebräischen Unter-
richt zu übernehmen; aber der Versuch missglückte, weil, wie
es scheint, Wolfhard eine jede andere Beschäftigung als Be-
einträchtigung seines theologischen Berufes ansah*). Seine
1) Die Briefstelle ist wörtlich entnommen aus Herzog a. a. 0. I, S.
223 fg., der weder die lateinischen Worte, noch den Ort, wo er die Stelle
gefanden hat, angibt.
2) Herzog a. a. 0. II, S. 176.
^) 2 Briefe Oekolampad's an Wolfhard bei Herzog (Anhang) 11, S. 297 fg.
In dem zweiten, 10. Mai 1529, schickt er ihm seine BerufoBg zu, obwol
Wolfhard noch nicht zugesagt hatte, und schreibt dabei: Quamvis antem
Hebraicae linguae professio iniungatur, occasionem serviendi Christo minime
defuturam. Von Wolfhard's religiösem Eifer habe ich interessante Belege
Die Universitäteti. 111
Weigerung ist nicht zu beklagen, denn an seine Stelle kam
Sebastian Münster nach Basel, dem er seine grosse segens-
reiche Wirksamkeit bis zu seinem Tode 1552 zu Gute kom-
men Hess.
Wolfgang Fabritius Capito war eigentlich nie Pro-
fessor in Basel, aber seine wissenschaftliche Thätigkeit in
der hebräischen Sprache fällt in die Zeit, da er als Stifts-
prediger in Basel wirkte (1515 — 1519), und ist daher am besten
hier zu behandeln. Sein Lehrer war Matthäus Adrianus, bei
dem er sich auch später in wissenschaftlichen Fragen Raths
erholte*); da er kein öffentliches Lehramt bekleidete, so hat
er auch natürlich wenig Schüler gehabt. Hartmann von Hallwill,
dem er seine Grammatik widmete, hat er privatim im Hebräischen
unterrichtet ; aber auch P. Fagius rühmte ihn als Lehrer. Capito's
Grammatik ist eine der ausführlichsten aus jener Zeit, aber, wie
mir scheint, für den Unterricht nicht so brauchbar, wie andere-,
in der Mitte finden sich oft den Zusammenhang unterbrechende
Abschweifungen über die chaldäische Sprache, über die Ver-
dienste Reisch's, Potken's, Ritius' u. A.m. Das erste Buch enthält
die Regeln über die Buchstaben, ihre Theilung, über die Vo-
kale und die Eigenthümlichkeiten der einzelnen, über die Be-
deutung und Werth der Vokalzeichen, über die Accente, zu-
letzt eine ziemliche Reihe alphabetisch geordneter Abkürzun-
gen und Zahlzeichen; das zweite Buch handelt über Conju-
gation und Deklination und giebt für Beides sehr ausführliche
Tabellen. Das Buch erschien in mehrfachen Auflagen (1518,
in einigen Briefen gefunden, in denen er die neue Lehre gegen seinen väter-
lichen Freund Nikolaus Eilenbog, der der alten Kirche treu geblieben war,
vertheidigt. Sie sind in Paris handschriftlich in der Briefsainnilung des Letz-
teren aufbewahrt. Cod. lat. 8643. Bibl. Imp.
1) Eine solche Belehrung, ebenso wie eine von Caspar Ammon, ist in
dem gleich anzuführenden Buche (H 2 b) mitgetheilt. Ueber Capito und
Adrianus vgl. oben S. 43, Anm. 1, und S. 45.
2) Ueber die ersten nur unvollständigen Ausgaben vgl. Baum: Capito
und Butzer, Elberfeld 1860, S. 577 fg. Die erste vollständige war: V. Fa-
britii Capitonis Hagenoii Theologiae Doctoris et Concionatoris Basiliensis,
Hebraicarum institutionum libri duo. In inclyta Germaniae Basilea. A..Z,
Aa..Ii ä 4 BU. in 4^. Am Ende: Basileae apud Jo. Frobenium mense Ja-
nuario Anno MDXVIII.
112 t)ie Universitäten.
1525, 1531) und hatte sich grossen Beifalls zu erfreuen*).
Von sonstiger wissenschaftlicher Thätigkeit Capito's für die
hebräische Sprache ist aber nichts zu berichten, ausser einer
Ausgabe des hebräischen Psalters^). Er trug sich mit dem
Plane, ein hebräisches Lexikon herauszugeben; schon seit
1516, noch 1519 erinnert man ihn daran ^), aber es wurde
nichts daraus. Er meinte, wenn er nur Geld hätte und schön
lateinisch schreiben könnte, dann wolle er wol im Hebräischen
so Ausgezeichnetes leisten, dass ihn auch der gelehrteste Jude
nicht leicht übertreffen könnte^). Aber jedenfalls war seine
Armuth weniger Schuld daran, dass er seine schriftstellerische
Thätigkeit für das Hebräische unterbrach, als die theologischen
Kämpfe, die seine Zeit in Anspruch nahmen. Ganz gab er die
Beschäftigung damit doch nicht auf; noch 1528 berichtet er
Zwingli von seinen hebräischen Studien^).
1) Martin Dorpius schreibt an Erasmus: Fabritius (Capito) acntissimis
Hebraicorum rudinieutorum institutionibus, linguam quam discunt, sanctain
quaiitopere illustravit. 14. Juli 1518. Erasmi Opp. III, col. 331, Epist. CCCXXIII.
Vgl. auch Baum a. a. 0., S. 24.
2) Sie erschien 1516. Vgl. Baum, S. 578, der die Ausgabe auch nicht
gesellen hat und ihre Beschreibung nach Riederer gibt.
3) Otho Brunfels schreibt an ihn : Hebraica studia mea ad annum fenne
intermissa ob frequentes meas infirmitates, rursum incipio tractare. Pac ut
Dictioiiarium hebreum quod nobis poUicitus es, prodeat in lucerii. 15. Febr.
1519. Widmungsschreiben des Schriftchens: Confutatio Sophistices et Qnae-
stionum curiosarum , ex Origine , Cypriano , Nazianzeno . . . Selestadii apud
Lazarum Schürerum . . . Mai 1520 (Aus Böcking's Bibliothek in Bonn). Ob
Capito's libellus de annotationibus Hebraeorum erschienen ist, um dessen
Zusendung Erasmus bittet {Lachnero et Frobenio 1517, Opp. III, col. 1655,
Epist. App. CCXXXVI), oder ob hier eine Verwechselung des Erasmus vor-
liegt, weiss ich nicht.
4) Capito an Erasmus (2. Sept. 1516): Comparo mihi suppellectilem
latinae linguae ex tuis potissimum operibus, utinam satis mundam et copioaam.
Editurus aliquando Lexicon Hebraicum gestientem reprimit inopia qui nove-
rim quam nihil agat in tam sterili loco rudis industria, divitiis illis destituta.
Quod si mihi proprietas foret et elegantia verborum, me confiderem in
Hebraeo praestiturum quod non facile posset vel doctissimus Judaeorom.
(Erasmi Opp. III, col. 1568, Epist. App. LXXV.)
5) Capito Zwinglio : Hebraea vetera perlustro quarum eruditio hac nostra
vulgari diversissima est. Opera Zwinglii ed. Schuler & Schulthess II, p. 209,
ultima Julii 1528.
Die Universitäten. llö
Neben Basel war Zürich einer der hervorragendsten
geistigen Mittelpunkte der Schweiz; wie dort Oekolampad
wirkte, so war hier Zwingli reformatorisch umgestaltend thätig.
Trotz der Vorwürfe, die ihm Joh. Eck machte, als verstünde
er kein Hebräisch ^) , scheint er sich doch eine ziemlich ge-
diegene Kenntniss dieser Sprache erworben zu haben, haupt-
sächlich durch den Unterricht des Jakob Ceporinus (Wisen-
danger), der selbst 1522 in Zürich öffentlich Hebräisch zu
lehren beginnt. .Aber wie alles Theologische, so nahm Zwingli
auch das Lesen des hebräischen Textes und dessen üeber-
setzung ins Lateinische für sich in Anspruch; erst als ihm die
Last zu schwer wurde, überliess er es seinem Lehrer Ce-
porinus 2). Als dieser indess im nächsten Jahre starb,
fühlte man doch das Bedürfniss, einen eigenen Professor der
hebräischen Sprache zu haben. Conrad Pellikan, der
den an ihn gerichteten Euf gern annahm, — und der uns be-
reits von früher her bekannt ist — hatte auch in Basel, wo
er Professor der Theologie war, viel für Verbreitung der he-
bräischen Sprache gethan; als seine Schüler werden Joh.
Frisius und Sebastian Guldibeck genannt. Am 26. Febr. 1526
traf er in Zürich ein, am 1. März begann er seine Vorlesungen.
Aehnlich wie Münster gehört er für sein ganzes Leben nun
derselben Universität an, er stirbt erst am 6. April 1556. Von
seinen literarischen Verdiensten ist zum Theil schon oben ge-
sprochen. Ausgaben verschiedener Bücher der Bibel mit Com-
mentaren werden von ihm erwähnt, aber es scheint, dass sie
ebenso wie die einen mächtigen Folianten grosse Erklärung
zum Pentateuch auf den hebräischen Text keine Kücksicht
nimmt und zu seiner Erklärung nichts Neues hinzubringt 3).
Sein Lexikon, bei dessen Anfertigung er sich auch der Bei-
hülfe eines gelehrten Jünglings Marci Heilandi bedient haben
1) z. B. : „man sieht, das Zwingli nit kan die puerilia, der kinder ding
in Hebreischen, das er seycht gelert ist im Hebreischen." Eck's Verlegung
der Disputation zu Bern 1528. S. 91.
2) J. J. Hottinger, Helvetische Kirchengeschichten, III. Theil, Zürich
1708. S. 52, 99, 233.
3) Hottinger a. a. 0., S. 121, 289 fg., 824. In der Pariser Bibliothek
habe ich in dem Werke u.d.T. : Commentaria Bibliorum Tiguri 1532, 257 BU.
in Fol., nur die Erklärungen des Pentateuch gefunden.
Geiger, Studium. "
114 Die Universitäten.
soll, wird häufig angeflihrt, ebenso wie seine 1540 erscliienene
Grammatik ^). Eine poetische hebräische Grabschrift widmete
er seinem Freunde und Meister Zwingli. *^) Mit einer merk-
würdigen Aeusserung begrtisste er die lutherische Bibeltiber-
setzung: er habe sie mit dem hebräischen Text verglichen
und sie gefalle ihm ausserordentlich, weil nun nur noch die
Lehrer nöthig hätten den Text nachzusehn ^). Pellikan's Nach-
folger war Petrus Martyr. Ein interessanter Mann: ge-
borener Italiener hatte er sich in früher Jugend, durch seinen
Drang theologische Kenntnisse zu erwerben getrieben, die
hebräische Sprache mit Hülfe eines Juden zu eigen gemacht,
hatte dann als Prior in Lukka einen eigenen Professor für*8
Hebräische, den Emanucl Tremellius^), angestellt und von
seinen Kenntnissen für sich so viel als möglich zu profitiren ge-
sucht, hatte sich dann, da er sich der Reformation anschloss,
in Italien nicht mehr halten können, war nach Strassburg ge-
gangen, wo ihn der Kuf nach Zürich traf. Er lehrte hier bis
zu seinem Tode, 12. Dec. ir)62'>). Von seiner literarischen
Wirksamkeit ist mir nichts bekannt.
Fast zu gleicher Zeit wie in Zürich wagte ein kühner
Mann in Köln mit dem Ertheilen von hebräischem Unterricht,
mit öffentlichen Vorlesungen über diese Sprache aufzutreten
(1525), in Köln, wo das Andenken an jenen berühmten Kampf
gegen die jüdischen Bücher noch lebhaft genug vorhanden
war, wo überhaupt die freie Wissenschaft noch kaum ange-
fangen hatte eine Stätte zu finden, wo die weltlichen und
geistlichen Machthaber, wo die Leiter der Universität mit con-
sequenter Strenge an dem Alten festhielten in Lehre und
1) In den meisten Gelehrtenlexicis und biographischen Werken, z. B. bei
Pantaleon, Prosopographiae heronm. Basileae 1566, p. III, p. 119.
2J Die Grabschrift nimmt als Text Ps. 112, V. 6, 7. Sie findet sich
in Oecolampadii et Zwinglii Epistolaruni libri IV, 1536 in Fol., am Anfimg.
3) Pellikan an Thomas Blanrer: et vehementissirae placet, ut minor
posthac necessitas sit investigandi hebraicam vcritatem nisi tantum Prae-
ceptoribus, angeführt bei Hottinger a. a. 0. S. 121.
*) Ueber Em. Tremellius vgl. unten S. 128.
ö) Hottinger a. a. 0. S. 753 ff. 860.
bie Universitäten. 115
Leben und wo bis dahin unter der Bürgerschaft, unter der stu-
direnden Jugend, sich zwar manchmal ein freierer Geist geregt,
williges Aufnehmen der von Aussen hereingetragenen Ideen
sich gezeigt, aber nie stark genug bewiesen hatte, um die
festen den Geist umklammernden, umspannenden Fesseln zu
sprengen. Der Mann, der hier versuchte eine Sprache . zu
lehren, die weit mehr, als anderer Orten, unter den herrschen-
den Kreisen Kölns als gefährlich, als ketzerisch betrachtet
wurde, verband damit eine offene Ketzerei, er suchte in sei-
nen akademischen Vorträgen die lutherische Lehre in die
Geister der Jugend einzuschmuggeln» Der Mann war Theodor
Fabritius. Ein trefflicher, achtungswerther Mann, der eigner
Anstrengung Alles verdankte, was er geworden war. 15 Jahre
war er ohne jeden Unterricht aufgewachsen, da fand er einen
Gönner, der sich seiner annahm, ihn in die Schule schickte.
Aber seine Sehnsucht trieb ihn nach Wittenberg; dadurch ent-
fremdete er sich seinen Beschützer. Er studirte Theologie und
hebräische Sprache. In bitterer Armuth hielt er es 4 Jahre aus,
sein Bett war Stroh, seine Nahrung Wasser und Brot, selten
hatte er etwas Besseres, Wein niemals. Erst im ftinften Jahre
verbesserte sich seine äussere Lage durch die erworbene
Kenntniss des Hebräischen, die ihn von da an befähigte durch
Unterricht Geld zu erlangen '). In Köln hatte er mit seinen
Vorlesungen sofort einen grossen Hörerkreis um sich ver-
sammelt, man sog gierig das Gift ein, das er spendete. Kaum
waren seine Bemühungen um Verbreitung der evangelischen
Lehre, und noch mehr der Erfolg, von dem seine Anstren-
gungen begleitet wurden, bekannt geworden, so verbot ihm
der Rektor Theodorich Schiderich mit den übrigen Universitäts-
oberen jede Vorlesung an der Universität; als er fortfuhr
Privatvorlesungen zu halten, wurde ihm 1527 jedes Lehren
untersagt und er aus der Siadt gejagt^). Von da vertrieben
war er nach Hessen gegangen, aber nur in theologischen
Aemtern thätig gewesen. Er verliess Hessen, da seine religiöse
Ueberzeugung ihm nicht gestattete die Doppelehe des Land-
1) Cornelius: Die münsterischen Humanisten (Münster 1851), S. 31 ff.
2) Bianco: Die alte Universität Cöln I, S. 403.
8*
116 Di« tJniyersitäten.
grafen Philipp zu billigen, und starb als Superintendent in
Zeitz 1570^). Wiegern er seine hebräischen Studien betrieb,
zeigt z. B., dass er in einem Briefe an den Landgrafen sich
„der Hebräer" unterschreibt^). Von seinen literarischen Ar-
beiten worden zwei genannt, die diesen Studien ihre Ent-
stehung verdanken : die Institutiones grammaticae in lingnam
sanctam Coloniae 1528, die mehrere Auflagen erlebten, und
Tabulae duae de nominibus Hebraeorum una, altera de ver-
bis, Basileae 1545«). — Was Köln betrifft, so findet sich eine
Nachricht, dass bei der dortigen Universität eine Lectio he-
braica sich bis zum Jahre 1626 befand, welche erst durch
den Beschluss vom 29. April desselben Jahres einging*).
Es ist freilich nicht bekannt, wann diese Lectio gegründet
wurde, und nur zum Theil, wer die Nachfolger des Fabritins
gewesen sind, wenn es deren überhaupt gleich nach seinem
Fortgange gegeben hat^).
Soweit war es nun doch in dem Bewusstsein aller derer,
die es mit der Wissenschaft ernst nahmen, gekommen, dass,
als man in Marburg im Jahre 1526 an die Gründung einer
Universität ging, die freilich recht eigentlich dem Bedürfnisse
des protestantischen Hessens entsprechen sollte, es sich
fast von selbst verstand, neben den Lehrern der griechischen
und lateinischen Sprache einen Professor des Hebräischen zu
berufen. Der erste, dem man dieses Amt anvertraute, war
Sebastian Nucenus, ein geborener Holländer, ein Schüler
des Adrianus, der in Löwen auch nach seines Lehrers Fort-
gang fleissig das Hebräische betrieben, dann in Löwen und
Gent Vorlesungen gehalten, sich durch seine freien Ansichten
1) Cornelius a. a. 0.
2) Der Brief ist bei Cornelius im Anhang mitgetheilt, er behandelt eine
rein private Angelegenheit.
3) Ersch und Gruber Realencyclopädie, 1. Sektion, Bd. 40, Th. 2, S. 55.
Worauf sich die Angabe gründet, dass Fabritius auf ein Jahr 1543 als
Professor der hebräischen Sprache nach Wittenberg gegangen ist, weiss
ich nicht.
*) Bianco: Die alte Universität Cöln I, S. 358.
5) Vgl. die Nachträge.
Die Universitäten. 117
den Hass der Mönche zugezogen hatte, nach Wittenberg ge-
gangen war, dort freudig die Gelegenheit ergriffen hatte sich
im Hebräischen weiter zu vervollkommnen und dem an ihn
gelangten Eufc nach Marburg als Professor gern folgte. Wenige
Jahre, nachdem er seine Stellung angenommen hatte, auch ein
Schriftchen — wol als Leitfaden für seine Vorlesungen — über
hebräische Grammatik ^) veröffentlicht hatte, war ihm sein Amt
verleidet, — vielleicht wegen der geringen Zahl seiner Schüler
— er warf sich auf die Jurisprudenz und nahm wenige Monate
vor seinem Tode, der am 18. April 1536 erfolgte, das Amt
eines Baths und Beisitzers am Hofgericht an^). Sein Nach-
folger war JohannesLonicerus, der bereits in Frankfurt a.O.
hebräisch unterrichtet hatte und nun länger als 30 Jahre, von
1536 bis zu seinem Tode 20. Juni 1569, das Lehramt der he-
bräischen Sprache in Marburg verwaltete ^). Trotz dieser langen
Amtsdauer hat er keine Schrift über die hebräische Sprache
hinterlassen, nicht einmal irgend ein Zeugniss seiner Beschäfti-
gung mit hebräischer Literatur oder Geschichte der Juden, man
müsste denn eine lateinische Uebersetzung der Schrift Luther's,
„dass Jesus Christus ein geborener Jude sei", dahin rechnen *).
1) De literanmi, vocum et accentuum hebraicorum natura s. de prima
sermoiiis hebraici lectioiie libellus ex optimis quibusque Rabinoruin coin-
raentariis studiose collectus. Accessit de servientium literarum officiis per
Augiistum Sebastiaiuim Nuceiium cornj)eiidimn. Mai*purgi 1532 in 8o.
2) Strieder, Hessisches Gelehrtenlexikon, X. Band, S. 104—106. Beiläufig
bemerke icb, dass Nucenus zuerst ein Freund des fruchtbaren Dichters und
Epigrammatikers Euricius Cordus (vgl. z. B. Euricii Cordi Opera poetica,
Helmstädt 1615, p. 4(.)3) später sein bitterer Feind wurde (vgl. Krause: Eu-
ricius Cca-dus. Hanau 1863, S. 102).
3) Strieder a. a. 0. VIII, S. 75—85.
4) Die von ihm herausgegebene Schrift: Divinae scripturae veteris novae-
que omnia, Argentorati W. Cephalus 1526 in 8^, ist nichts als eine Text-
ausgabe der griechischen Bibel. Bemerkenswerth ist höchstens, dass an dem
Buchdruckerzeichen sich neben einem griechischen und lateinischen Verse
auch der hebräische ♦TtT'' pp] ^DJö ^D rtTT findet. Verschweigen will ich
nicht, dass in dem oben Anm. 2 angeführten Gedicht steht: atque diserte
Lonicere, Graiamm nova fama literarum. Das geht allerdings auf die Zeit
vor 1536; oder sollte Lonicerus später die griechische mit der hebräischen
Professur vereinigt haben?
118 Die Univeraitäten.
DiellniversitätWien sank tief herab, seitdem der Humanis-
mus seine lebenskräftige Thätigkeit hatte einstellen müssen,
seitdem jedes wissenschaftliche Streben vor der religiösen Be-
wegung zurückgetreten war. Es ist nicht unsere Aufgabe zu unter-
suchen, ob dieses Weichen des wissenschaftlichen Sinnes eine
nothwendige Consequenz des Protestantismus gewesen, oder ob
es hervorgegangen war aus einer bedauerlichen Starrheit der An-
hänger der alten Kirche, die, fest hangend an den Lehrsätzen ver-
gangener Jahrhunderte, auch von der veralteten Sitte, mit der die
Wissenschaft früher betrieben war, nicht abgehen zu dürfen mein-
ten : in Wien scheint Beides zusammengewirkt zu haben. Ernstliche
Anstrengungen zu einer Hebung der Universität wurden erst durch
die Reform von 1554 versucht, aber auch diese wurden in der
Folgezeit durch die Kämpfe, in denen die Jesuiten mit den bis-
herigen Leitern der Universität um die Herrschaft rangen, fast illu-
sorisch gemacht. Dass bei dieser Lage der Dinge, bei diesem
Zustand des wissenschaftlichen Lebens überhaupt, von der Pflege
des hebräischen Studiums sich nicht besonders Rühmenswerthes
sagen lässt, ist natürlich i). Im Jahre 1529 hatte der Bischof
Job. Fabri von Wien in einer Unterrichtsanstalt, die er in dem
ihm vom Kaiser geschenkten Magdalenenkloster errichtet hatte,
die 13 Stipendiaten, die daselbst ein Unterkommen fanden,
einem Präsidenten unterstellt, der Magister artium und trilinguis,
also auch des Hebräischen kundig sein musste 2) ; für die Univer-
sität war erst 1533 Antonius Margaritha als erster Professor
der hebräischen Sprache berufen worden 3), am 13. Okt. 1544
1) Nebenbei sei bemerkt, dass auf dem Wiener Concil 1312 die Be-
stimmung getroffen wurde, dass die hebräische, arabische und syrische Sprache
am Sitze des römischen Hofes, in Paris, Oxford, Bologna, Salamanca gelehrt
■werden dürften.
2) Rudolf Kink, Geschichte der k. Universität Wien 1854 I. 1, S. 244,
Anm. 283. Auch für die obigen allgemeinen Bemerkungen ist die Darstellung
dieses völlig nach Akten gearbeiteten Buches benutzt worden.
8) Für dies und das Folgende zum Theil Kink a. a. 0., S. 270, Anm. 324.
Dass Margaritha, wie dort angegeben wird, Professor in Tübingen war,
ist wohl ein Irrthum, wenn er sich auch vielleicht eine Zeitlang daselbst
aufgehalten haben mag, wie auch Kaltenbäck : Oesterr. Zeitschr. für Geschichte
und Staatskunde 1837, S. 18, berichtet. Margaritha war auch nicht der
Sohn des Eabiner Samuel, sondern des Jakob Margolith in Regensburg, 8.0.
S. 37 und Anm. 4.
Die ünivenit&ten. 119
wurde der Italiener Franz ötankarus*) berufen, schon 1546
aber musste er wegen Ketzerei — wol bemerkter Hinneigung
zum Protestantismus — abtreten. Ob gleich darauf Andreas
Plank ihm gefolgt ist, an dessen Stelle 1552 — 1554 Johann
Sylvester als öffentlicher Lehrer der hebräischen Sprache
trat, lässt sich nicht entscheiden. Der letztere hat eine hebräi-
sche Grammatik geschrieben und damit verbunden eine Aus-
gabe des Propheten Jonas mit lateinischer Uebersetzung ver-
anstaltet 2). Wilhelm Posteil hat in Wien gelehrt, wie es
scheint, mit Sylvester zu gleicher Zeit; obgleich er das hohe
Gehalt von 200 fl. bezog, machte er sich bereits 1. Mai 1554
aus dem Staube; und der gelehrte Joh. Alb. Widmanstatt
wird als nieder -österreichischer Regiernngskanzler und seit
1554 Superintendent der Universität kaum Zeit gefunden
haben als Lehrer thätig zu sein 3).
■
Ein gleiches Schauspiel des Verfalles wie Wien bot im
Anfang der dreissiger Jahre auch Erfurt. Der Humanismus mit
der Reformation hatte zwar zeitweilig triumphirt, aber sein
Sieg, mit Gewalt erkämpft, wurde in Zügellosigkeit benutzt;
Rohheit und Unwissenschaftlichkeit herrschte an der Stätte,
wo früher eine geistige Regsamkeit gewaltet hatte, auf die
ganz Deutschland mit Stolz hinsah. Man machte in Erfurt
häufig Anstrengungen, die versunkene Grösse wieder herzu-
stellen; bei einem solchen Versuche dachte man auch daran,
einen Lehrer für das Hebräische zu berufen, die Wahl fiel
auf Georg Wicel. Die characteristische Rede, die Wicel
für den Antritt seines Amtes vorbereitet hatte, ist oben schon
vielfach benutzt. In derselben zeigte er, was er von seinen
Schülern verlangte: „Ich will nicht hebräische Briefe, nicht
hebräische Reden, nur das will ich, dass Du Dich an die
hebräische Bibel gewöhnst, dass Du Dich mit den Phrasen
1) Melanchthon sagt von ihm: Stankarus ... ist in Ebraischer Sprach
wohl gelahrt. 1553, Corp. Beform. VIII, col. 166.
2) Institutiones Grammatices Ehreae 1552. Die heiden Namen gieht Eal-
tenhäck an a.a.O. S.29. Kink spricht nicht davon, üeher Plank vgl. die Nachträge.
3) Widmanstatt's Verdienste für die syrische sind hier ebensowenig wie
die Posteirs (eines Franzoseii) für die arabische Sprache näher zu erörtern.
120 I>ie Universitäten.
und- Eigenheiten vertraut machst, dass Du den Text so giilnd-
lich kennen lernst, um den Werth der Uebersetzungen beur-
theilen zu können." Zu einem gründlichen Studium der he-
bräischen Sprache locke auch die stattliche Reihe derer, die
sich in demselben bereits ausgezeichnet haben, Hieronymus,
Origenes, Nicolaus von Lyra, Paulus von Burgos, Galatinus,
Reuchlin, die alle Mangel an Büchern litten, während jetzt
es ein Leichtes sei die Bücher überallhin zu verbreiten; von
den Neueren Pellikan, Münster, Capito, Aurogallus, Margarita,
und alle die, welche die ganze Bibel oder Theile derselben aus
dem Urtexte tibersetzt haben ^). Doch zu seiner Berufung kam
es nicht. Wicel war aus einem eifrigen Reformator ein noch
eifrigerer Katholik geworden ; die Wittenberger mochten nicht
dulden, dass ein so gefährlicher Gegner in Erfurt festen Fnss
fasste, wo es ihnen schon ohnedies sauer genug gemacht wurde,
den schwer errungenen Sieg zu behaupten. Sobald Luther und
Justus Jonas von den Bemühungen Wicels und seinen Aus-
sichten hörten, suchten sie die Sache rückgängig zu machen.
„ Jonas reisete selbst nach Erfiirt, um den Rath wider ihn ein-
zunehmen und ihn selbst beim Volke äusserst verhasst zu
machen. Luther schickte an die dasigen evangelischen Prediger
ein Schreiben, worin er sie vor Wiceln ausdrücklichst warnte." *).
Wizels Kenntnisse im Hebräischen lassen sich natürlich nach
dieser Rede nicht beurtheilen, sonst hat er kaum ein Denkmal
seiner Beschäftigung mit dieser Sprache hinterlassen. An der
Universität Erfurt hat man später nicht mehr den Versuch ge-
macht, die hebräische Sprache zum Lehrgegenstande zu erheben.
1) Oratio in laudem Hebraicae liiiguae. Autore Georgio Vicelio
MDXXXIIII. am Ende.
2) Vgl. Strobel, Beiträge zur Literatur des 16. Jahrhunderts, 1786
2. Band, S. 318. — lieber den steten Karai)f . der pro.testantischen und ka-
tholischen Richtung auf der Universität Erfurt vgl. das treffliche Werk von
F. W. Kampschulte : Die Universität Erfurt u. s. w. 2 Band. Von hebräischen
Studien hört man sonst sehr wenig auf der Universität Erfurt. Von Petrejus
Aperbachist hauptsächlich bekannt, dass er sich mit solchen abgegeben habe:
Cordi est huic hebraica disciplina atque ideo tuam pietatcm et Janum Beuchlin
sive Capnionem, nihil tamcn minus quam Capnionem, salutare constituit,
schreibt über ihn Mutian an Trithemius o. J. 5. idus sextiles (Mutian'sches
Briefmanuscript nro. 341, fol. 215 sq.), vgl. §iuch Kampschulte.
Diti Univer»itäten. l2l
Den Schluss unserer Betrachtung machen zwei Universi-
täten im Norden Deutschlands: Königsberg und Rostock.
Die Königsberger Universität wurde 1543 gegründet: schon
in den ersten Jahren ihres Bestehens 1546 findet sich ein
Professor der hebräischen Sprache Andreas Wesseling^
— 1551. In seiner Eröffnungsrede legte er den Nutzen und
die Nothwendigkeit der hebräischen Sprache dar, wies auf
seine schon früher erprobte Fähigkeit im Unterrichten dieser
Sprache hin, imd verhiess in dieser neuen Stellung den be-
währten Weg nicht zu verlassen. Er wollte die hebräische
Grammatik vortragen und die hier gegebenen theoretischen Er-
örterungen durch Erklärung der Psalmen praktisch belegen^).
Sein Nachfolger Franz Stankarus verwaltete sein Amt
kaum zwei Jahre lang, um Johann Sciurus Platz zu macheu,
der früher Professor der griechischen Sprache gewesen war
1) Für Königsberg kann ich leider nur Amold's Historie der Königsberger
Universität, Königsberg 1746, 2 Theile, folgen; unsere Stelle II. S. 356 — i^GO,
2) Oratio de studiis linguae ebraicae in Corpus R^formatorum vol. XI
(1843), col. 708—715. Ich citire einige Stellen daraus: Quid enim mira-
bilius est quam hanc linguam gentis Ebraeae, natam procul ad Euphrateni,
seu Jordanem, nunc ab homine Germano hie doceri in littore maris Balthici,
inter Germanos, Sannatas, et alias gentes, quae prorsus alienissimae a lite-
raruni cultura fuenmt? . . . Fidelissimi autem interpretes linguam Ebraicam
etiam senes didicenint, quia iudicabant lectionem Ebraicam consulendum
esse, ut Hieronymus, Lyranus, Burgensis: et nostro tempore Galatinus, Com-
plutensis (!), Wesselus, Capito (das ist jedenfalls ein Druckfehler für Capnio,
wie nicht bloss die Stellung zwischen Wessel und Agrikola zeigt, sondern
auch der Umstand, dass Reuchlin sich wirklich erst in seinem Alter gründliche
Kenntuisssd. Hebräischen angeeignet hat, wie er selbst berichtet, (s.u.S. 123, A. 1.)
während dies bei Capito durchaus nicht der Fall ist), Rudolphus Agricola et
multi alii. (Ueber Wessel und Agrikola s. o. S. 21 ff.) . . . Neque haec ita dico,
(juasi non errent etiam saepe illi, quibus lingua Ebraea ita nota est ut Judaei,
etsi grammaticam suam bene callent, tarnen flagitiose hallucinantur in tota
Prophetarum enarratione. . . . Und am Schluss: De mc non prolixe dicam,
callere me linguam propheticam mediocriter, multi norunt in iis Academiis
(wo Wesseling früher gelehrt hat, darüber habe ich mir keine Kenntniss ver-
schaffen können), in quibus antea docui, ubi et diligentiam et'fidem auditori-
bas probavi. Spero igitur mo recte et utiliter facturum officium in hac
Acadcmia: tradam Grammaticam Ebraeam et adiungam Psalmorum enarra-
tionem, ut exempla lectionis, vocabula et phrasin proponam. Haec simpli-
cissima docendi ratio doctis viris etiam in aliis Academiis probatur. Sequar
autem sententias probatas nostrae Ecclesiae, quas solas et veras et nativas
esse non dubito. . ,
122 T>ie Universitäten.
und nun theologische und hebräische Vorlesungen mit einander
verband. Die Professur der hebräischen Sprache gehörte zur
philosophischen Fakultät; in den Statuten findet sich, dass
der Professor im Sommer die bist. Bücher des A. Te&taments,
im Winter die 5 Bücher Mosis erklären solle ^). Erst 1553 dachte
man daran, eine Professur für's Hebräische zu errichten.
Andreas Wesseling, von Melanchthon empfohlen 2), be-
kleidete als erster die Stelle. In seinem langen Wirken, er
starb erst am 4. Januar 1577, „trug er nicht wenig dazu bei,
die alttestamentlichen Studien, die damals nur von Wenigen
in ihrer Bedeutung erkannt waren, wieder in ihre Rechte ein-
zusetzen und emporzubringen". Selbst noch am Ehide seines
Lebens dachte er an die ihm liebgewordenen Studien. In
seinem Testamente bestimmte er ein Stipendium für drei
Studirende der Theologie, denen er das Studium der hebräi-
schen Sprache besonders zur Pflicht machte ^), Mit ähnlichem
Eifer wie er wirkte sein Nachfolger Henning Adendorp,
der freilich nur vorübergehend lehrte, und Nicolaus Goniäus,
der bereits seit 1570 um Verbreitung hebräischer Studien
bemüht war und als Professor bis 1589 seine Anstrengungen
eifrig fortsetzte, Er hatte in Wittenberg studirt und dort von
Juden Unterricht genossen^).
1) Arnoldt a. a. 0. II, S. 346, 347.
2) Melanchthon an Herzog Albrecht, Joh. Drakonites, Joh. Aurifaber
10. Sept. 1552 Corp. Ref. vol. VII, col. 1066—1070.
3) Krabbe, Die Universität Rostock im 15. und 16. Jahrhundert.
S. 548 fg.
4) Krabbe a.a.O., S. 731 fg. — Beiläufig sei erwähnt, dass auf der 1559
gestifteten Universität Jena auch bald ein Professor des Hebräischen thätig
war. In dem Lektionskatalog von 1564 heisst es: Ubiorem linguae Ebreae
Cognition em ex praelectionibus Aedonis (!)... studiosi petent bei Strobel.
Neue Beiträge zur Literatur des 16. Jahrhunderts. 4. Bd., S. 70.
Die Schulen. 123
vu.
Die Schulen.
Das Hebräische wird heutzutage in den Schulen keines-
wegs als obligatorischer Gegenstand gelehrt, die dazu be-
stimmten Unterrichtsstunden werden fast ausschliesslich von
denen besucht, die die theologische Laufbahn wählen und die
hebräische Sprache zu ihrem Studium nöthig zu haben glauben.
Anders in der Zeit, mit der wir uns hier beschäftigen. Der
einmal erwachte Eifer für diese früher ungekannten Studien
bewirkte, dass man ernstlich die Frage erwog, ob dieselben
auch für die Jugend geeignet seien, und dass diejenigen,
welche die Frage bejahend entschieden, wirklich in den
Schulen hebräisch lehrten.
Eeuchlin hatte einmal gesagt, dass alle diejenigen, die
nach den Aposteln mit ihrer Kenntniss des Hebräischen der
Kirche genützt, dieselbe sich erst im vorgerückteren Alter er-
worben hätten 0- Es scheint fast, als ob das nun ein ver-
breitetes Vorurtheil gewesen sei, man könne das Hebräische
nicht in der Jugend erlernen. Dagegen wurde aber doch viel
Widerspruch laut. Fagius widmet eines seiner Bücher 2)
einigen Schülern und ermahnt sie mit den übrigen Wissen-
schaften auch das Hebräische in früher Jugend zu erlernen.
„Denn ich stimme keineswegs denen bei, die meinen, erst
nach Aufnahme aller Fächer der Wissenschaft und Kunst, in
reiferem Alter, soll man die hebräische Sprache kosten, als
wenn sie nicht auch ihre Zeit verlangte, und es nicht ebenso
nützlich ja nothwendig sei, öich ihr von Anfang an in gleicher
Weise hinzugeben, wie den übrigen Sprachen" % Auch Johann
1) Nemo ferme omnium post apostolos orthodoxam ecclesiam hebraicis
literis illustravit qui nou eas in provecta aetate discere coeperit. Einl. z.
3. B. der Kud. hebr.
2) Sententiae vere elegantes 1541.
3) Auf denselben Gedanken kommt er auch in der Widmung der Schrift:
Sententiae moralcs ben Syra, Isnae 1542, an Gasparus Heidelinus zurück: als
Patrone suche er Männer qui sua opera sanctam linguam hebraeam apud
btudiosos eins promoveant mecumque pomeria eins ampliare studeant. Dazu
124 Die Schnlen.
Forster hatte warm diesen Grundsatz vertheidigt ^). Grade
die Jugend, meinte er, müsse an das Studium der hebräi-
schen Sprache gewöhnt werden, nachdem sie die Anfangs-
gründe der lateinischen und griechischen gelernt habe, damit
sie die heilige Schrift besser verstehen lerne und das Licht
des Wortes Gottes der Nachwelt übergeben werde, nicht er-
lösche, sondern dieses Studium ihm gleichsam zur Nahrung
diene. Namentlich für die Jugend biete diese Sprache einen
unermesslichen Vortheil. Alles was in ihr geschrieben worden,
sei heilig und rein, während die Denkmäler der übrigen
Sprachen soviel Anstössiges enthielten, dass die Jugend leicht
daran strauchle."
Diese Ansichten theilte auch Michael Neander, er gab
ihnen eine bestimmte praktische Richtung, formulirte sie in
einem förmlichen Unterrichtsplan und hat sie in der Schule
von Ilfeld, der er in so glänzender Weise vorstand, zur Aus-
ftlhrung gebracht. Man solle, meint er^), als hebräische Lehr-
bücher „das Opus consummatum Mtinsteri und Eliae Levitae
Grammaticen nehmen", den hebräischen Unterricht bei einem
Knaben erst beim 16. Jahre beginnen, und auch dann nur
täglich 2 Blättchen „in Hebraeis tabulis" ihn lernen lassen,
um sie in einem Jahre zu Ende zu bringen. „Darnach — um ihm
nun selbst das Wort zu lassen — möchte man ihm pro exemplo
praeceptorum Grammatice exponiren, parvum Cateehismum
Lutheri hebreum, item Evangelia hebrea oder etwa Genesin,
dieweil diese Bücher und alle Libri historici in der Bibel viel
leichter seien, denn Davidis, Salomonis und der Propheten
sei naineiitlicli Heldcliiius der geeignete Mann qui scholae Limlaviensi praeest
eoque iuventuteni suae disciplinae concreditani in hebraea etiam lingna magna
cum ingenii ielicitate erudirc potest.
1) In der Vorrede zu seinem Jiexilvon, die so ziemlieh Alles enthält,
was er über die hebräische Sprache dachte: In ])rimis autem iuventus post-
quani fundamenta jecit liuguae Latinae tum Graecae, assuefacienda est ad
hoc Studium Hebreae linguae, ut sacram scripturani rectius intelligere discat
et ad posteritatem transmittatur nee extiuguatur lux verbi dei sed studio
linguae hujus accendatur et tanquam i)abulo alatur. Von den übrigen Sprachen
(juaelibet suuni habeant contagiuni quo iuventus facile infici queat.
2) Das Folgende ist genommen aus seinem „Bedenken, wie ein Knabe
zu leiten und zu unterweisen", auch mitgetheilt bei K. Schmidt: Geschichte
der Pädagogik III, S. 139 fg.
Di« Schulen. 125
Bücher, welche sehr schwer auch was die Gramiuaticam be-
langt. Es ist aber Hebraea lingua nicht allein den Theologis
nutz, sondern auch nöthig allen Studiosis, worauff sie auch
jr leben lang gedenken zu beharren, dieweil sie alma mater
ist oinnium linguaruni, oninibus aetatibus, oninium gentium,
welche alle aus jrem Leib gekommen, denen sie allen gibt
und wiederümb von keiner Sprache etwas nimpt oder ent-
lehnt. Und keine Sprache in der weit so ungeschaffen, die
nicht vocabula hebraea von der Mutter als zu jrem Erbtheil
behalten."
Er hat in seiner Schule das Hebräische selbst gelehrt,
und das Buch, das er anfänglich zu eigenem Nutzen zusammen-
stellte, dann als er sich überzeugt hatte, es gereiche auch den
seiner Pflege Anvertrauten zum VortheiP), herausgegeben =^).
Das Buch verräth vollständig seinen Zweck als Schulbuch.
Es ist in Fragen und Antworten getheilt, die zum Auswendig-
lernen bestimmt scheinen. Die 6 Theile enthalten die Grund-
züge der hebräischen Grammatik; der erste handelt über die
Buchstaben im Allgemeinen, über die Zeichen Dagesch, Schewa,
über die Besonderheiten der einzelnen Buchstaben; der zweite
über das Verbum, über seine einzelnen Conjugationen, über
das regelmässige und unregelmässige, die gegebenen Regeln
durch . zahlreiche Tabellen erläuternd; der dritte über das
Nomen; der vierte ist eine Ergänzung zu zwei und drei, er
bespricht die Schwächung und Veränderung der Vokale im
Verbum und im Nomen. Die übrigen Satztheile bilden den
Inhalt des 5. und 6. Theils, im fünften werden die Präpositionen,
Zahlwörter, im sechsten Pronomina, Adverbien und Oonjunctio-
nen, behandelt, am Schluss einige Regeln über Accente, Metrum
1) S. 24 der Vorrede des gleich zu nennenden Buches.
2) Sauctae linguae hebraeae Erotemata . . . Omnia vero ita absoluta
hrevitate, facilique ordine tractata, ut non modo tyrones Graminaticae he*
braeae praecepta inde nullo cum negocio intra paucas septimanas addiscere
possint, sed etiam perfectiores iam ibidem inveniant quod ipsos iuvare
queat. Accesserunt ad finem dicta veterum Eabinorum de JESV MESSIA
mundi salvatore. Item Catalogus librorum quorundam praecipuorum in
lingua Hebraea, Chaldaea, Aethiopica, Arabica, Graeca et Latina : Omnia in
gratiam studiosorum linguae sanctae aMichaeleNeandro Soraviense edita.
Basileae apud Joannem Oporinum. Am Ende : 1556 mense Augusto. 153 S. in 8^.
126 Die Schulen.
beigefügt. Die Erwähnung von vier Abbreviaturen ist seltsam
genug, da sie weder so selten noch so häufig sind, um einen
besonders hervorragenden Platz zu verdienen i).
Die bereits im Titel angegebenen Zusätze, die streng-
genommen zu der Grammatik gar nicht gehören, sind einmal
Dicta quaedam, ein interessantes aber durchaus seltsames Ge-
misch von Sätzen und Aussprüchen aus Bibel, Targum, Rabbinen
und christlichen auch neueren Schriftstellern, z. B. eine Stelle des
Flacius Illyricus über Jehova, eine Anzahl Auszüge aus dem
Werke des Peter Galatin: De arcanis catholieae veri-
tatis u. s. w. ; dann unter der Aufschrift Catalogus ein Ver-
zeichniss von hebräischen Bibeln, von griechischen und lateini-
schen Ausgaben des alten und neuen Testaments. Das Ver-
zeichniss ist keine trockene Aufzählung, es ist begleitet von
vielen Bemerkungen, Stücken aus der Einleitung einiger Bücher,
z. B. bei der Bibel des Chimenes, bei dem Psalterium octaplum
des Augustinus Justinianus, bei Bomberg's Targum (1517), für
das ein genaues Inhaltsverzeichniss folgt, ebenso bei Fagius'
Ausgabe des Targum. Auf die Bibelausgaben folgen die
Editionen einzelner Bücher und Traktate, worunter namentlich
des Fagius' Sententiae patrum ausfuhrlicher besprochen werden;
bunt durcheinander werden darauf die Schriften von Levitit,
Reuchlin, Münster und einer grossen Zahl Anderer aufgezählt,
gewiss nicht ein vollständiges bibliographisches Verzeichniss
aller erschienenen Schriften, aber eine gute Hinweisung auf
viele seltene und fast ganz unbekannte. Zuletzt wird eine
vollständige Aufzählung der Traktate des Talmud gegeben,
einige Schriften des Rambam und Alphes ; den Schluss machen
Stücke aus Reuchlin's Kabbalah, aus einer Schrift Theodor
Bibliander's, Sentenzen aus den Sprüchen der Väter mit la-
teinischer Uebersetzung und Hinzuziehung deutscher Sprttch-
wörter zur Analogie.
Ein nicht minder berühmter Schulmann, als Michael
Neander es war, Johannes Sturm, theilte nicht die An-
sicht, das Hebräische als ebenso berechtigten Gegenstand, wie
die übrigen Sprachen, in die Schulen einzuführen. Man muss
1) Es sind n"inK'Dlbtrn iho "m -iöK ♦ b::"ai DSCr — die Anfangs-
buchstaben der Namen der 7 Planeten; IWS"Dn'I)aK pl? j» Wt: .Tnn und nnm*
Die Schuten. l27
freilich bedenken, dass Hauptziel des Strassb. Pädagogen war,
seine Schüler in der Sprache Cicero's reden zu lassen, in den
Anschauungen der Römer und Griechen zu erziehen; da konnte
sich für das Hebräische allerdings keine Stelle finden. Und wie
seine Einrichtungen überhaupt zum guten Theil typisch ftir die
Gymnasien der späteren Zeit bis auf unsere Tage geworden
sind, so findet sich bereits bei ihm der Vorschlag, die he-
bräische Sprache höchstens als fakultativen Lehrgegenstand
aufzunehmen, mit dem eigenthümlichen Zusatzgrunde neben
dem bereits erwähnten, dass er seine Schüler nicht zwingen
wolle eine Sprache zu treiben, die er selbst bis zu seinem
59. Jahre leider zu erlernen versäumt habe, in der er freilich
nun, nachdem er sie ohne fremde Hülfe zu erlernen begonnen
habe, das Uebrige leicht sich anzueignen hoflfe *).
Es wäre ein zeitraubendes und sehr unfruchtbares Ge-
scliiift alle Schulen aufzuzählen, die in gleicher Weise, wie der
Sturm'sche Plan das will, dem Hebräischen keinen rechten
Platz unter den Lehrgegenständen anwiesen; erwähnt sei nur,
dass in einigen aus jener Zeit bekannten Schulplänen das
Hebräische nicht aufgefllhrt wird : in dem Frankfurter, der von
dem Dichter und Philologen Jakob Micyllus herrührt =^), und
1) Joan. Sturmii Classicarum Epistolarum libri III aive.Scholae Argenti-
nenses restitutae. Argentorati MDLXV, fol. 47 — 49. Joannes Sturmius Eliae
Hyberi amico, Interpret! Hebraeo. Linguae Hebraicae institntionem in curiis
consulto non proposuimus primum quia multuin profecisse illum arbitror, qui
ante sextum decimum aetatis annuni, facultatem duarum lingnarum mediocrem
assecutus est : una cum dicendi disserendique doctrina : et praeter catechesin
Ecclesiae, in curiis etiam Evangelia et apostolorum cognovit epistolas et
psalmodiis exercitatus est et reliquos sacros libros, in quotidianis coUegii
recitationibus : saepe per illos annos quibus in curiis docentur, possent reco-
gnoscere. Deinde quia consilium meum est, sermonis Hebraici grammaticam
extra ordinem tradi: aliqui earum horarum quibus in classicis tribubus non
docetur: et cuivia concessum est quod velit extra ordinem discere, modo
liberale sit, et moribus non officiat, et cursum non impediat in studio classi-
corum. Postremo tametsi poeniteat me buius linguae studium usque in hunc
annuni quinquagesimum nonum distulisse: tamen nolim alios cogere ut faciant
quod ipse non feci. Hortor tamen orones, ut ad difas illas classium linguas etiam
hanc adiiciant (?), meo exemplo : qui superiore proxima estate ea fundamenta
absque doctore posui hujus sermonis : ut absque ope et voce roagistri aperem
quod reliquum est brevi posse in boc curriculo perficere.
') Vgl. J. Classen: Jaliob Micyllus. Frankfurt 1858. S. 147 ff.
128 I>ie Schulen.
dem Basler, der jedenfalls unter Mitwirkung Oecolampad*8
entstanden ist*); die Schule in Zwickau soll nach dem Titel
des Schulplans zwar „auf drey Hauptsprachen, Hebraysch,
Griechisch und Lateinisch gestellt" sein, aber in dem Schfil-
plane selbst wird auf Hebräisch gar keine Rücksicht ge-
nommen 2).
Dagegen hatte in gleicher Weise, wie Neander in Ilfeld,
der berühmte Paul Fagius in seiner Schule zu Isny das
Hebräische gelehrt; hatte im Jahre 1527 der Ulm er Rath dem
Michael Brodhag den Befehl ertheilt, „dass dem jetzigen
Provisor, der in bayden sprachen hebreysch und kriechisch
für ander berorapt und erfarn die schul zu verleyhen und dem-
selben jnu seinen aiden zu geben wer, die knaben getrewlich
Inn latein und obgemelten bayden sprachen zu undterweisen
unnd zu lernen, damit sy jnn denselben auch geübt und erfarn
werden"^); war Andreas Osi ander 1520 in Nürnberg als
Lehrer der hebräischen Sprache angestellt worden *). Emanuel
Tremellius, der uns schon als Lehrer des Petrus Martyr
begegnet ist ^), war in den fünfziger Jahren erster Lehrer der
Schule in Hornbach und hat gewiss dort seine Kenntniss
deg Hebräischen zu verwerthen gewusst. Er trat auch schrift-
stellerisch auf in einem hebräisch geschriebenen Schriftchen«).
1) Vgl. das angeführte Buch von Herzog II, S. 173 fg.
2) Ordnung dess Nawen Studii vnd jetzt aufgerichten Collegij jn Fürst-
licher Stadt Zwickau. 1523. lOBll. in 4", wieder abgedruckt bei Weller:
Altes aus allen Theilen der Geschichte 1766. II, S. 678 ff.
3) Weyermann: Nachrichten von Ulmischen Künstlern und Gelehrten,
Ulm 1798 I, S. 84.
4) Will, Nürnberger Gelehrtenlexikon. Zusätze von Nopitzsch Bd. VU,
S. 68 ff. Daselbst auch : „Oslander lernte 1529 von dem Juden-Schulmeister
Wölfflein zu Schnaitach chaldäisch." Ueber seine ersten hebräischen Stadien
theilt Jo. Manlius: Locorum communium collectio (ed. 1560) p. 532 nnter
dem Titel : Osiandri ingeniosum inventum. Folgendes mit : Oslander scribens
Hebraicum Alphabetum invertebat chartamj tunc in altera facie chartae erat
Graecum Alphabetum.
5) S. 0. S. 114.
6) n; ntta ^^p nsp (152 S in 12«) o. 0. 24. El«l 1554, 314 nach der
kleinen Zahl." Die lateinische Vorrede ist datirt: Argentorati III Mus
Aprilis Anno MDLIIII . . . Die zweite im Text angeführte Stelle lautet:
Nam id summa diligentia, maxima soUicitudine in hac scriptione cavi, ut
de faece Rabinorum verba et phrases non haurirem, sed illud, quantum res
Schlns?. 129
Diese Sprache wäLlte er hauptsächlich der Juden wegen, „denn
obgleich heute das israelitische Volk unserer Religion feindlich
ist, so unterlässt es doch nicht, Alles zu lesen, was von uns
hebräisch geschrieben wird, um Alles zu wissen, was wir zu
ihren Gunsten oder gegen sie urtheilen, in welchen Punkten
wir mit ihnen über die Gottesverehrung und die Frömmigkeit
uneins sind." Aber freilich der Sprache der Rabbinen wolle
er sich nicht bedienen, oder, um mit Tremellius zu reden:
„Aus dem Schmutze der Rabbinen will ich die Worte und
Phrasen nicht schöpfen, sondern, soweit der Stoff es gestattet,
die Redegattung anwenden, in der die göttlichen Aussprüche
in den heiligen Büchern geschrieben sind." Die Schrift war
hier nur zu erwähnen, weil des Tremellius als Lehrer gedacht
werden sollte, auf den Inhalt näher einzugehn, der vollständig
theologischer Art ist, würde die Grenzen dieser Arbeit über-
schreiten.
VIIL
Schluss.
Wir haben das Erwachen und die allmähliche Ausbreitung
des hebräischen Sprachstudiums vom Anfang bis in die sechs-
ziger Jahre des 16. Jahrhunderts verfolgt, haben den Wider-
willen, der sich zuerst gegen seine Aufnahme kund gab, die
Begeisterung, mit der man sich dann ihm zuwandte, das ruhige
Vorwärtsschreiten, mit dem man den einmal betretenen Weg
verfolgte, betrachtet, indem wir die einzelnen Universitäten,
die Schulen, durchgingen, bedeutendere Männer besonders nach
ihren Leistungen kennen zu lernen suchten. Ein fester End-
punkt ist nicht gefunden. Der neue Aufschwung, den das
Studium durch Buxtorf nahm, gehört einer späteren Epoche
an ^) ; die Zeit, die das Ende unserer Betrachtung bildet, ist
patiebatur, genus orationis adhibui, quod Divina oracula fuerunt in sacris
voluminibus conscripta.
1) Es ist interessant zu sehn, dass am Ende des von uns besprochenen
Zeitraums doch in Manchen das Bewusstsein herrschend war, es bleibe noch
Geiger, Stndiam. 9
130 Sciilnsi.
eine Zeit des Sinkens, eine Zeit, die höchstens im Stande ist,
das früher Vorhandene zu wahren, nicht fähig, Neues zu pro-
duciren; eine Zeit, in der die theologische Fehde die Geister
Aller derer gefangen nimmt, die etwas mehr verlangen, als
den kleinen täglichen Bedürfnissen des Lebens nacbzngehn,
sie aber so in Anspruch nimmt, um zu jeder wissenschaftlichen
Beschäftigung untauglich, zu jedem freien Gedankenaufschwnng
unfähig zu machen.
Der Charakter einer Zeit prägt sich in allen Ereignissen
aus, die in ihr einen Platz einnehmen; der eben geschilderte
traurige Charakter der Zeit, die wir verlassen haben, zeigt sich
auch in einem unsern Gegenstand berührenden Ereigniss, da«
wenig bekannt ist^). Der Talmud war seit dem gegen ihn
hervorgerufenen Sturm im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahr-
hunderts, der ihm fast den Untergang kostete, in Deutschland
unter den Christen wenig bekannt geworden, und der geringen
Kenntniss entsprach seine geringe Verbreitung. Ambrosius
Frohen in Basel will 1579 den Talmud drucken lassen; da
den Juden der Eintritt in die Stadt nicht erlaubt ist, so er-
sucht er, ihm zu gestatten, einen hineinzunehmen, „dieweil
dieses Werk eine besondere Art habe, deren die Druckergesellen
bisher nicht genugsam geübet und der Sprachen unerfahren."
Aber der Kaiser Eudolf II. erklärt durch ein Schreiben, der
Talmud sei gegen den Glauben und die christliche Religion;
er untersagt den Druck. „Ein gründlicher Bericht wird an
den Kaiser abgesandt, gezeigt, dass Censur und Universität
das Werk gestattet habe; aber die erlangte Concession ist
nur, ein Exemplar solcher talmudischer Bücher dem Kaiser
zur Durchsicht zu schicken." Aber nachdem er es erhalten,
schickt der Kaiser keine Antwort; auf ein Schreiben des
Bürgermeisters und Raths vom 25. Juli 1579 verlangt er die
Vernichtung des Buches, „da im Talmud die heilige Dreifaltig-
viel zu thun übrig: Matthias Flacius Illyricus zählt 15G2 unter dreiDingen,
die zur Vollendung der Kirche noch fehlten, auf: separata et plena aliqua
hebraeae linguae illustratio. Angeführt bei Baur: Die Epochen der kirch-
lichen Geschichtsschreibung. Tübingen 1852. S. 43, Anm. 1.
1) Die im Text gegebene Erzählung folgt der gut nach den Quellen
gearbeiteten Darstellung v.Streuber: Beiträge zur Basler Buchdruckergeschichte
in den Beiträgen zur vaterländischen Geschichte. Basel III. Bd. 1846, S. 83 sqq.
Schluss. 131
keit und unser einiger Erlöser und Seligmacher Jesus Christus
geschmäht werde."
Nene Bitte Frobens, die von einem Gutachten der Uni-
versität unterstützt wird: im Talmud seien herrliche, nützliche
und wohlgegründete Lehren begriffen, Fehler und Irrthtimer
kämen auch in den Evangelien und alten Schriftstellern vor,
die doch gedruckt seien, ßeuchlin und Galatin haben ihn
gleichfalls vertheidigt, die darin vom Kaiser Maximilian unter-
stützt worden seien. Doch erst 1588 wurde der Talmud ge-
druckt, beide Parteien erklärten sich mit der Censur des In-
quisitors Dr. Markus Marinus zufrieden, die das Ihrige that ^).
Es bedurfte dieses Beispiels nicht, um zu zeigen, wie viele
Vorurtheile man dem Studium dieser Sprache entgegentrug;
wir haben deren genug bemerkt. Auch das ist klar, das
Studium wer nicht immer durch einen wissenschaftlichen Eifer
hervorgerufen ; es diente der Theologie und wurde oft in ihrem
Dienste missbraucht, aber im Ganzen war es das ernste Stre-
ben nach Wahrheit, das seinen Begründer und auch den
grössten Theil seiner Nachfolger beseelte.
1) Ueber die Wirksamkeit dieser Censur vgl. z. B. die lehrreichen Be-
merkungen bei Em. Deutsch: Der Talmud (Berlin 1869) S. 6 fg.
Nachträge,
Zu S. 6 fg. Einige characteristische Aeusserungen Luthers über die
hebräische Sprache finden sich in seinen Tischreden (ed. Förstemann und
Bindseil. 4. Band. Berlin 1848. S. 5G8— 572), von denen nur einige Stellen
hervorgehoben werden sollen. „Die ebräische Sprache ist für andern wol
einfältig, aber majestätisch und herrlich, schlecht (d. h. schlicht) und wenig
von Worten, aber da viel hinter ist; also, dass ihr es keine nachthun kann" . . .
„Die ebräische Sprache ist die allerbeste und reichste in Worten, bettelt
nicht, hat ihre eigene Farbe" . . . „Ich kann weder Griechisch, noch Ebräisch,
ich will aber dennoch einem Ebräer und Griechen ziemlich begegnen. Aber
die Sprachen machen für sich keinen Theologen, sondern sind nur eine
Hülfe "... „Da M. Forstemius viel sagte von Nutz und Herrlichkeit der
ebräischen Sprache „„die jtzt doch sehr verachtet würde, vielleicht aus
einer Impietät und gottlosem Wesen, oder aus Verzweifelung, dass man daran
verzagte, und gab für, man könnte sie am besten aus der Grammatica
lernen " ", da sprach D. M. L Ich hab mer Ebräisch gelernt, wenn ich
im Lesen einen Ort und Spruch gegen dem andern gehalten habe, denn
wenn ichs nur gegen der Grammatica gerichtet habe. Wenn ich jünger
wäre, so wollte ich diese Sprache lernen, denn ohne sie kann man die h.
Schrift nimmermehr recht verstehen . . . Ich bin kein Ebräer nach der Gram-
matica und Regeln, denn ich lasse mich nirgend an binden, sondern ich
gehe frei hindurch . . . Lyra ist für andere der beste Ebräer gewest, und ein
fleissiger Dolmetscher des alten Testaments. Wenn ich wiederum wollte in
der ebräischen Sprache studiren, so wollte ich die reinsten und besten
Grammaticos für mich nehmen und lesen, als David Kimchi, Mose Kimchi,
welche die reinesten sind; danach wollte ich Mosen lesen, darum, dass der-
selbige gar eigentlich von Dingen redet; nach dem wollte ich den Psalter
und die Sprüche Salomonis lesen und zuletzt die Propheten, die brauchen
vil verblümter Wort und Rede." Der hier erwähnte Forstemius ist der oben
S. 97 ff. besprochene Johann Forster.
Zu S. 7. Dagegen stellten die Katholiken das Ansehen der Septuaginta
sehr hoch. Der Nürnberger Reformator Andreas Oslander war in seiner
Schrift Coniecturae de fine mundi (1544) in der Berechnung der Jahre
zwischen Adam und Noah der jüdischen Angabe (1656 Jahre) gefolgt und
hatte die griechische (2242 Jahre) ausser Acht gelassen; in seiner Wider-
Kach träge. 133
legiing der Schrift sagt der eifrige Katholik Cochläus: Textui hebraico
iiituntur Judaei hostes Christi et vos Catholicae fidei reprehensores et hostes
ecclesiae : Lutherani, Zwingliani et Anabaptistae. LXXII iuterpretes maximae
semper fuerunt in ecclesia Christi authoritatis a temporibus usqueApostolorum,
qiiibus nixi sunt antiquae ecclesiae Doctores omnes usque ad unum Hierony-
nium qui sua translatione hanc de annis primae aetatis diversitatem in-
vexisse creditur. Quod si res aequa trutinetur libra (quamquam difficile est
pronuntiare, utra lectionum praeponderare debeat) multis respectibus apud
ecclesiae filios potior videri potent lectio et sententia LXXII interpretum.
J. Cochlaeus: In quatuor Andreae Osiandri coniecturas de fine mundi. 1545 D 1.
Zu S. 17. Für die Seltenheit und Kostbarkeit hebräischer Bibeln in
damaliger Zeit noch zwei Notizen. Trithemius überlässt seine ganze Biblio-
thek dem Kloster Spanheim und nimmt nur eine kleine gedruckte hebräische
Bibel mit sich (Epistolae p. 384. Jacobe Kymolano 16. Aug. 1507.). 1518 wird
eine hebräische Bibel nach unserm Geld für 49 Thlr. 10 Sgr. und 15*20 eine
solche mit Commentaren für 86 Thlr. 10 Sgr. verkauft. Beide Notizen aus
Oskar Hase: Die Koburger, Buchhändlerfamilie zu Nürnberg. Leipzig 1869.
S. 78, A. 2. S. 84.
Zu S. 18. Von Wichtigkeit würde es sein, wenn die von Steinschneider,
Bibliographisches Handbuch S. 156, Nro. 2290 angeführte Schrift : J. C. Ulrich
De lingua hebr. inter Christianos ante Reuchlinum culta. Halis. . . ? [Handschr.
Notiz V. Gesenius] bekannt wäre.
Zu S. 26. Unbeachtet geblieben ist der Spott der Lamentationes
obscurorum vironim (I. 14) gegen Loans: Sigillum autem quod vides, mihi
commodato dedit Jacobus Johel Judeus quinquies circumeisus, et bonus
Reuchlinista.
Zu S. 30, Anm. 1. Ueber seine hebräischen Studien spricht Eck in der
Epistola de ratione studiorum, Ingolstadt 1543 in 40 (B 1»): Audivi tunc (als
er Lcvita's Schüler war) Rhomae etiam Sancten Pagninum et Achacium pro-
fessores Hebraismi; in Chaldaeo praeter versionem in Pentatheucon Complu-
tenseni usus sum Magistro Munstero, qui prae ceteris egregie emulatur et
assequitur Heliam, trimestri quoque Judaeo Loto usus sum praelectore. Recte
dixi nie usum, quia cum utriusque grammaticae esset asyrabolus, nihil prae-
stare poterat praeter usum.
Zu S. 30, Anm. 2: und Nicolaus Apelles aus EgWeil, der 1522 Professor
der Theologie in Ingolstadt, 1532 Prediger in Marburg wird und 1545 stirbt.
Vgl. Mederer, Annales Ingolstadiensis Academiae. Pars I. Ingoist. 1782.
p. 116. 196.
Zu S. 32, Anm. 2. Eine Zeit lang, als der Streit mit den Kölnern ihn
ganz in Anspruch nahm, Hess er in seinem Unterricht eine Pause eintreten.
Mutian schreibt an ihn: Quod si vacatione recuperata docere volles quae
cumulatissime didicisti, mitterem ad te optimos auditores. Nuper Crocns
Britannus . . cum apud me quiesceret et Grocinum et Aleandrum et nescio
quos magistros laudaret, deesse sibi dixit hebraicam sapientiam, quam omni
via prosequi vellet. 13. Sept. 1516. (Epp. ill. vir. z iü») Richard Crokus,
ein Engländer, während einiger Jahre Professor des Griechischen in Leipzig,
scheint später, nach seiner Rückkehr nach England, noch hebräisch gelernt
zu haben, wenigstens wird ihm ein hebräisch geschriebenes Gutachten zu-
geschickt und vorausgesetzt, dass er darüber ein Urtheil abgeben könije.
134 Nachtr&ge.
Mittheilung Wrights in Geiger: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und
Lehen V. S. 216.
Zu S. 35. Ebenso wie Keuchlin mit grossem Freimuthe die Mängel
der alten lateinischen Bibelübersetzung tadelt, thut es auch sein Freund und
Vertheidiger Peter Galatin. In seinem mannigfach interessanten Werke De
arcanis catholicae veritatis (1518), das die Wahrheiten des christlichen
Glaubens aus dem Talmud und andern jüdischen Büchern beweisen soll, und
in Form von Gesprächen zwischen dem Verfasser, Reuchlin und dessen Hanpt-
feind Hochstraten geschrieben ist, sagt Galatin einmal (fol. LXX): Et hoc
est, quod dictum est: Osculamini filium; hucusque traditio. Worauf Hoch-
straten: Editio nostra: appraehendite disciplinam hie habet; und Galatinus
entgegnet: Author nostrae editionis aequivocatione vocabulorum deceptos,
•multa longo aliter transtulit quam veritas hebraica habeat. Licet enim haec
dictio „ Bar " quandoque filium, quandoque disciplinam sive doctrinam, qnan-
doque frumentum, quandoque purum sive mundum, quandoque electum
significet etc.
Zu S. 35, Anm. 2. Der Herausgeber dieses — nach einem Exemplar
der Hamburger Stadtbibliothek von J. L. Hoffmann in Steinschneiders
hebräischer Bibliographie 1. Band. Berlin 1858. S. 107 beschriebenen —
Lexikons ist, wie H. a. a. 0. angibt, der Buchhändler Dirck Martens aus
Aalst, der zu Löwen, wo er auch Professor der lateinischen und hebräischen
Sprache gewesen sein soll, in seiner Druckerei schon 1518 hebräische Lettern
besass. Das angeführte Buch soll in Löwen 1520 gedruckt sein.
Zu S. 43, Anm. 1. Die in der mir erst später bekannt gewordenen
Originalausgabe zwischen Capito und nactus stehenden Worte „fectus in
oppido Bruchsellensi vcrbi dei praeco " machen meine Anmerkung überflüssig.
Wie lange Adrian in Bruchsal (oder [vorher oder nachher?] in Middelburg
s. 0. S. 45, Anm. 6) sich aufgehalten, ist nicht zu bestimmen.
Zu S. 46, Anm. 3. Die Rede Adrians erschien u. d. T.: Oratio de
linguarum laude, Lovanii habita (A. 1519) 40. Wittenb. Jo. Grunenberg.
1520. 4 Bll. Die Angabe ist aus Steinschneider: Bibliographisches Hand-
buch S. 3, der hinzufügt: Im Epilog heisst es: „Habita fuit haec oratio
in CoUeg. Buslidiano Lovan. non alio studio quam ut trium linguarum peritia
commendaretur Theologiae studiosis** etc.
Zu S. 48. Auf Adrian ist wol auch folgende Stelle der Universitäts-
matrikel von Freiburg zu beziehen (22. Jan. 1521): Commissum Doctori
Joanni (Lonicero) theologo, ut Wittenbergam pro Magistro Lova-
niensi hebraicedocto scribat, quo veniente conveniatur cum eo ad probam.
Mitgetheilt in Schreiber: Geschichte der Universität zu Freiburg (1859)
2. Band, S. 212, Anm. **
Zu S. 48, Anm. 4. Die im Serapeum a. a. 0. gegebene Notiz ist nach
Steinschneider, Bibliographisches Handbuch S. 2 zu berichtigen. Das Schrift-
chen mit der Widmung an J. L. (Jakob Lemp? den bekannten Tübinger
Theologen, dem auch Reuchlin seine Septem psalmi poenitentiales (s. o. S. 36,
Anm. 2) gewidmet hatte), in der Adrian „ausdrücklich als Veranlassung des
Schriftchens angibt, dass Jemand [in dem Schriftchen selbst nochmals:
quas transtulit quidam] die Gebete ins Lateinische auf eine den Genius der
hebräischen Sprache beleidigende Art übersetzt habe.** Dieser „Jemand"
ist ohne Zweifel Johannes Pfefferkorn s. o. S. 41, Anm, 1,
Nachträge. 135
Zu S. 54. Gildemeister (i. d. Ztsch. d. deutsch -morgenl. Ges. 1860,
Bd. XIV, S. 301) führt folgende Schrift Böschensteins an: Contenta libelli.
Precatio ad divam . ■ Virginem Hebraica per Jo. Boschenstain | uersa qui
linguae proprietatem pocius quam elegantiam do- ! cere voluit | Epistola
ad Reuerendissimum | Vuiennensem Episcopum. | Confessio Judeorum coram
dno coeli & ' terre in die propiciationis Leuit 23. | Psalmus 19 | Pro rege.
A. E. Excusum Augustae Vind. in offic. Sigism. Gry mm Medici ac M. Vuirsung
Anno MDXXI. 6 Bll. in 40.
Zu S. 55. Böschensteins deutsche Uebersetzung des Büchlein Ruth, an
die einige hebräische Todtengebete mit deutscher Üebertragung angehängt
sind. Nürnberg 1525 in 4^ schliesst sich deqenigen der Klagelieder würdig
an oder übertrifft sie noch : vgl. Biederer, Nachrichten zur Kirchen-, Bücher-
und Gelchrtengesch. 2. Band. Altdorf 1765. S. 375—381. lieber Böschen-
stein ist noch nachzutragen der Artikel bei Erhard: Gesch. des Wiederauf-
blühens wissen schaftl. Bildung in Teutschland. Magdeburg 1832. III,
S. 332 — 340, der aber, ausser der bibliographischen Zusammenstellung, für
unsern Zweck ohne sonderlichen Werth ist, und die Abhandlung von Wiede-
niann in der Oesterreichischen Vierteljahrsschrift für katholische Theologie
1863, S. 70— 88, die mir leider nur aus einer Anführung bekannt ist.
Zu S. 64, Anm. 3. Von dieser Sehrift spricht er in dem von ihm
herausgegebenen Targum Onkeli zu Deut. 4, 16: Quibus cum Judaeus doctus
quidam ante ducentos annos ad fidem Christianam conversus in libello He-
braico quem contra illos pro nostra religione scripsit quemque ipse superio-
ribus annis latine factum in lucem edi curavi, non inepte respondeat, causas
pias ostendens, cur Christiani in templis suis imaginem habeant, — putavi
pio lectori rem non ingratam facturum, si verba ejus hie recenseam quae in
<]:ratiam studiosonmi linguae sanctae primum hebraice, dein latine referam.
Darauf folgen drei Foliospalten aus dieser Schrift, hebräisch mit lateinischer
Uebersetzung.
Zu S. 68, Anm. 4. Auf manchen Büchern, z. B. der Ausgabe der Sprüche
der Väter, befindet sich bei dem Baume noch ein Storch, der Frösche verzehrt.
Crusius (Annales Suevici 1595 Pars III, p. 679), der das bemerkt, fügt hinzu:
propter affinitatem nimirum Jacobi Froschesseri, qui et ipse typogrophiam
hanc iuverit. Froschesser (Ranivora) druckte selbst später ein Werk des Fagius.
s. S. 73, Anm. 1.
Zu S. 73. Dieselbe Bemerkung über Toldot findet sich bereits bei
Reuchlin: De verbo mirifico 1494 (ed. 1514, g. 5a).
Zu S. 76. Anm. 1. Hierher gehört auch eine Stelle aus der Widmung
der Schrift Logica Rabi Simeonis an Joannes Campensis, Professor in Löwen :
Scis, quam pauci hodie in nostra sint Germania qui libris velint iuvare He-
braicum Studium retracti fortassis et deterriti quorundam sycophantarum
conviciatrice lingua. Ego autem ptt?'?S 3th^ et plane rerum peritia parum
doctus ut audaculus saepius in publicum prorumpo, cum interim tu, Pelli-
canus, Aurogallus, Jacobus Jonas, et raulti alii Hebraicae linguae professores
apud vestros delitescatis qui hanc provinciara longe felicius et gloriosiua
subire valeretis.
Zu S. 87, Anm. 1. Das hier angeführte Werk (mir nachträglich aus
der Gott. Univ.-Bibl. bekannt geworden), 200 paginirte Seiten, 3 unpag. Bll.
am Anfang und 8 am Scbluss in 4^ gehört nur insoweit in den Bereich
136 Kachtrige.
unserer Betrachtung, als es aus hebräischen Quellen geschöpft ist und eine
reiche Kenntniss der Sprache zeigt ; der Gegenstand selbst liegt unserer Be-
urtheilung zu fem. Sehr interessant sind einige WortCj die Münster in der
Widmung an Bernhard, Episcopus Tridentinus, braucht : Siquidem tu unus es,
pientissime praesul, cui non modo ego, verum et onanes sacrae linguae can-
didati, ad quos meae pervenerint lucubrationes, quas in Hebraismo molior,
plurimum debent; quippe qui principem nostrum [den König Ferdinand?]
male persuaaum, quasi scripta mea nunquam non perniciosis sub-
servirent tumultibus, suspicione liberasti, adeo ut liberalitatem etiam
se dignam senserim.
Zu S. 97, Anm. 3. Vgl. Wilhelm Preger, Matthius Flacius Ulyrikns und
seine Zeit. 2 Bände. Erlangen 1859 und 1861. I S. 21 fg., 23, 37. Schriften
über das Hebräische sind von ihm nicht bekannt. Eine Frucht seiner Witten-
berger Vorlesungen ist wol nur die bei Preger II S. 548 angeführte Schrift:
Argumenta Psalmorum sexaginta distributis ordine versuum sententiis, dictata
a M. Flacio Illyrico in Academia Witebergensi. Phil. Melanchthon. S^. Francof.
ex off. Petr. Brubachii 1550. 250 pagg. Preger sagt: „scheint von Me-
lanchthon dem Drucke übergeben"; wahrscheinlich hat dieser aber auch An-
theil am Inhalt, denn während Flacius in Wittenberg war, gab ihm Mel.
„ungebeten die Summarien zu den" Psalmen, die er (öffentlich zu erklären
gedachte". I S. 24. Paul Grell schreibt in der Dedikation einer späteren Auf-
lage des Büchleins, die er besorgte : Hos in Psalmos 60 commentariolos breves
quidem, sed utilissimbs et doctrina multiplici refertos ante annos aliquot
(Melanchthon) ingratissimo cuidam discipulo et hosti suo (Flacio) praescripsit.
(Witeb. 1561) bei Strobel: Neue Beiträge z. Lit. bes. d. 16. Jahrh. 1790 I,
S. 161. — In der Zeit zwischen Flacius' Weggang und Forster's Ankunft
mag PaulEber die Stelle provisorisch innegehabt haben: er wird in einem
Verzeichniss der Wittenberger Professoren von 1547 als Lehrer des Hebräischen
angegeben bei Strobel : Katzenbergers geheime Geschichte von den Chur- und
sächsischen Höfen. 1775. S. 86, Anm. 68. In demselben Jahre (1547) schreibt
auch CasparCruciger in seinem Anschlag: Adiungam autem et Ebraicae
linguae Grammaticen et Enarrationem vel Psalmorum vel Proverbiorum Sa-
lomonis, 23. Oktober 1547 in Corpus Keformatorum ed. Bretschneider vol. VI
col. 712.
Zu S. 102. Die Abhandlung vom Licent. Förster : „Johann Forster,
ein Bild aus der Keformationszeit", in der Zeitschrift für historische Theo-
logie 1869 S. 210—238, ist für unsern Zweck ohne Werth. Das Lexikon Forster's
wird zweimal S. 219 u. 237 nur kurz erwähnt; die Mittheilung, dass Forster
„1515 in Ingolstadt den berühmten Keuchlin hörte" und dass er ,,mit Beuchlin
in näherem mehrjährigen Verkehr stand", möchte schwer zu beweisen sein.
Neben der oben S. 132 erwähnten Aeusserung vgl. ferner: „Magister Forste-
mius klagte D. M. Luther, dass sein Predigtamt ihm säur und schwer an-
käme, uud alle seine Predigten ihme zu eng wären, auch würde er oft irre
drinne, er wollte, dass er noch bei seiner alten Profession (näml. der hebr.
Professur) geblieben wäre." Luthers Tischreden hgg. von Förstemann,
Bd. 2. Leipz. 1845. S. 371. Gegen Forster's Lexikon wandte sich Johann
Isaak in folgender Schrift : m3l''|in Mediationes hebraicae in artem grammati-
cam per integrum librum Euth etplicatae, una cum aliarum rerum nonnullis
accessionibus, hujus linguae tyronibus cum primis utilibus ac necessariis.
Nachträge. 137
Authore Johanne Isaac, amplissimi Senatus Coloniensis publico Professore . . .
Adiecta sunt quaedam . . . contra confusissimum D. Johannis Fürsten, quan-
doque Professorjs Wittenbergensis Lexicon . . . Coloniae ex officina typogra-
phica Jacobi Soteris. Anno MDLVIIL 52 S. in 40. Die Bemerkungen gegen
Forster beginnen S. 41. Er habe sein Buch schon beendet gehabt, da sei
ihm F.'s Lexikon zv^gekommen. Cuius etiam frontispicio adiecta praefatio
miris quibusdam convitiis tam Christianos oranes qui in hoc genere studiorum
excelluerunt, quam Judaeos onerabat, quorum omnium in rebus perquirendis
solertiam, in adinventis aestimandis fidem atque artificiosara industriam
hactenus in Hebraea lingua nihil quicquam laude dignum praestitisse, sed
per solum Fursterum hanc linguam esse et a sordibus repurgatam et quasi
postliminio Cristianorum commodis restitutam praedicabat, aliaque multa non
sine multorum ignominia gravissima iactabat. Er habe sich zuerst gegen-
über dieser Frechheit kaum massigen können und sofort eine Gegenschrift
veröffentlichen wollen; als er aber gehört. Forster sei gestorben, habe er
diesen Plan aufgegeben, ne vel cum larvis certare (quod dici solet) vel mor-
tuum mordere videremur. Aber ganz schweigen wolle er auch nicht, denn
Forster zähle Anhänger: sein Sohn und Lorenz Humfrid erklären, in hoc
studiorum genere unum Fursterum omnes a tergo reliquisse. — Die Wider-
legungen beschränken sich auf Einzelheiten : Tvyh sei nicht gen. fem., sondern
masc; nvbj'TÖ sei kein sing., sondern plur.; hnVi Gen. cap. 4 sei nicht fut„
sondern praet; pTt sei nicht von ppn» abzuleiten u. s. w. ; bei jeder einzelnen
Gegenbemerkung wird die freche Unwissenheit Forster's gegeisselt. Dieses
Bemühen tritt namentlich am Schluss hervor : Quaenam est igitur in Furstero
tam insolens eruditionis ostentatio? quod non tam incredibile hominis iudi-
cium quod se absque Rabbinorum subsidio consecutum gloriatur? Illene sibi
Rabbinorum scripta undequaque perspecta in Judaeorum synagogis se versatum,
domi Judaeorum multa consuetudine non sine rei familiaris singulari iactura
usum fatetur, quam ne vidisse quidem Rabbinorum (praeter unius aut alterius)
scripta argumenta certissima docent? quem nunquam feliciter in hisce studiis
versatum sua ipsius monumenta declarant? quae mihi quidem prorsus hanc
suspicionem afferunt, ut existimem, si quisquam fuit, qui linguam Hebraeam
iudicio suo conturbavit, Fursterum fuisse; si quisquam fuit, qui sua inter-
pretatione linguae integritatem laesit, Fursterum fuisse; si quisquam fuit,
qui horum studiorum fundamenta errore convulsit, firmamenta audacia labe-
factavit, Fursterum fuisse . . . Die Schrift enthält sonst den hebräischen Text
und die lateinische Uebersetzung des Buches Ruth und u. d. T. Hebraicae
Meditationes kurze Erklärungen und längere Bemerkungen nachKimchi gegen
Castalio.
Zu S. 107. Schon 1521 wurde in Freiburg Johannes Lonicerus
auf vorübergehende Zeit Lehrer der hebräischen Sprache, ihm folgte
Michael Däle von Aach 1522—1531. Nach ihm kam Johannes Moli-
toris, der aber, durch sein Amt als Vierherr am Münster in seinen Vor-
lesungen gehindert, die Professur an Johann Härtung abgiebt (1546).
H., eigentlich Professor des Griechischen, erklärt zwar, er habe sich lange
nicht mit dem Hebräischen beschäftigt, liest aber doch. Indess moss er sich
bald, obwohl die philosophische Fakultät alle Diejenigen, die Magister wer-
den wollen, auf die Nothwendigkeit des Hebräischen aufmerksam macht (1548j,
über den geringen Besuch der Vorlesungen beklagen; ein Mangel, der wol
Geiger, Studium. 10
138 Nachträge.
weniger an der Interesselosigkeit der Schüler, als an. der Unfähigkeit de»
Lehrers lag und unter dem uns bereits bekannten Oswald Schrecken-
fuchs (1552—1575) nicht mehr empfunden wurde. Vgl. Schreiber, Geschichte
der Universität zu Freiburg i. Br. 1. Band 1857, S. 89; 2. Band 1859, S. 198,
200 u. Anm., S. 212, 213 fg. u. Anm., S. 255.
Zu S. 116. Später war Johann Isaak Professor des Hebräischen in
Köln, ein getaufter Jude, den wir bereits in seinem Auftreten gegen Förster
betrachtet haben (s. o. S. 136 fg.). Er hat auch eine hebräische Grammatik ge-
schrieben, deren zweite Auflage (vgl. Steinschneider, Bibliographisches Hand-
buch, S. 68, No. 975) mir vorliegt ; dass die Auflage eine umgearbeitete ist,
sagt der Verfasser in der Epistola dedicatoria an Bemhardus Morrien. Sie
X hat zum Titel: D'H^b fit^p Perfectissima hebraea grammatica, commodo
admodum ordine in tres libros distincta. Quorum primus simpliciora tantum
docet, secundus perfectiora et graviora paulo: tertius difficillima qoaeque
absolutissime et accuratissime tradit, Authore Johanne Isaac, amplissimi Se-.
natus Coloniensis publice Professore . . . Coloniae. Ex officina typographica
Jacobi Soteris. Anno MDLVII. 6 unpag. und 152 S. in 40; auf der letzten
Seite ein hebräisches Gedicht und Errata. Im lateinischen Ausdruck hat ihm,
wie er sagt, Stefan Mumius aus Zwoll nachgeholfen. Ueber die Accente,
bemerkt er, fasse er sich sehr kurz (wirklich giebt er pg. 119—122 nur wenige
Notizen weil Andreas Balenus, Professor in Löwen, ein Buch darüber schreiben
, wolle. [Das ist entweder nicht erschienen, oder hat ihm nicht genügt,
wenigstens hat der Titel der 4. Auflage unserer Grammatik (Antwerpen 1564,
vgl. Steinschneider a. a. 0) et aucta nominatim diifuso de accentibus trac-
tatu.] Sonst ist er gegen die Zeitgenossen nicht von dieser zartfühlenden
Zurückhaltung; wenn er sie citirt, so geschieht es nur, um sie tadelnd zu
widerlegen. So weist er ihre Meinung zurück, das H in np*iac u. a. sei ein
he heemanticum mit folgender einleitender Bemerkung: Ideoque hie quaedam
non reprehendendi libidine, neque ostentandi voluntate, sed veritatis demon-
strandae causa breviter inserenda videntur, a qua Grammatici fere omnes qui
hac nostra aetate, etiam in universitatibus celeberrimis , scribunt, hac in re
maxime aberrasse mihi visi sunt (p. 37); fertigt den Abraham de Balmes kurz
ab, der seiner Behauptung: W^^ÜV sei nach der Ansicht aller Grammatiker
eigentlich Dnto zu schreiben, widersprochen (p. 107); tadelt den von Münster,
den er übrigens hujus linguae alioquin satis peritus nennt, ausgesprochenen
Satz: vor Gutturalen stehe das Schwa mobile, in ziemlich wegwerfender Weise:
Verum id esse falsissimum, tam est manifestum, ut probatione non indigeat
(p. 129 fg.), und verwirft zwei Behauptungen des Pariser Professors Quin-
quarboreus (p. 139 und 161). Nur von Elias Levita nimmt er willig auf,
ebenso von den früheren jüdischen Grammatikern und Commentatoren : den
Kimchis ; die Aft'ixe gebe er, sagt er gradezu (p. 109), nach dem 'h^'V ■pno
rinn des Moses K. (s. o. S. 36); Raschi, Aben Esra; gelegentlich führt er
an liber Cosdrae p. 119, Aben Tibbon, Moses Hanakdan p. 123, R. Jona
p. 148; von ihnen angewendete grammatische Ausdrücke, selbst hebräisch
gefasste Regeln braucht er gern, z. B. p. 45. Nur einmal spricht er einen
heffcigen Tadel gegen die alten Grammatiker aus. Er wendet sich gegen die
Meinung derer, die behaupten, ein Hophal könne nur von den Verben vorkommen,
die sich mit dieser Form in der Bibel finden, und sagt: Quam bonis rationibns
utantur, docti iudicent, mihi sane non vacat contra ineptias cuiusvis dispntare.
Nachtrag«^ 139
Hoc tarnen dico, istos multo magis videri cum ratione insanire, quam qui
uullum vocabulum Latinum admittunt, quod apud Ciceronem haud extet, cum
scripta Ciceronis multa et varia sint, Biblia vero exigua, ut in iis non omnia
Hebraica contineri queant (p. 141).
Auch auf das Arabische nimmt er Rücksicht: p. 11, 39, 123; an letzter
Stelle findet sich ein gedrucktes, allerdings ziemlich verunglückt ausgefallenes
arabisches Wort; dagegen finde ich nur eine Berücksichtigung des Chal-
däischen p. 142. Der christliche Standpunkt tritt nur einmal hervor und
da schwach genug: Für die Regel, dass tT im Rabbinischen häufig für "^tt^l<
gebraucht werde , gibt er das Beispiel : '''''Ci!\^T^ ItST h^ "Q"! nTHB p SJTtsnrPtt?
quod Joh. b. Per. praeceptor fuit JESV NAZARENI, p. 44.
Die drei Bücher der Grammatik sind drei Stufen. Das erste Buch ist
die Elementargrammatik ; als merkwürdig sei daraus der Abschnitt de literis
heemaiiticis, d. h. die sechs Buchstaben, die im Worte ^rOÖKH vorkonmien und
die vorn oder hinten an Wörter angefügt werden können, hervorgehoben.
Das zweite Buch enthält die unregelmässigen Verba, dann die funfsilbigen
und andere unregelmässige Nomina, die Zahlen, Affixe an Verba und Präpo-
sitionen und kurze Bemerkungen über Präpositionen. Das dritte Buch ent-
hält Zusätze und Ergänzungen zu fast allen in den früheren Theilen gegebe-
nen Regeln, die für den ersten Gebrauch der Sprache noch nicht nothwendig
erschienen.
Zu S. 120. Wizel hat ausserdem geschrieben: Idiomata quaedam linguae
sanctae in scripturis veteris testamenti observata. Moguntiae 1542. 76 S. und
1 Bl. in 80. Vgl. Steinschneider, Bibüogr. Handb. S. 149, No. 2155.
Zu S. 119, Anm. 2. Sein Werk: Institutiones Grammatices Ebreae,
authore D. Andrea Planco. His subnectitur Jonas Propheta, cum versione
Latina . . Viennae Austriae excudebat Egidius Aquila. Anno DMLII. ist
schon deshalb zu erwähnen, weil es der erste gute hebräische Druck in Wien
ist. Vgl. Denis: Wiens Buchdrucker -Geschichte bis MDLX. Wien 1782.
S. 498 — 500. (In einem das., S. 412, angeführten Schriftchen vom J. 1544,
dessen Verf. Joh. Sylvester Pannonius sich Professor hebraicarum literarum
publicus nennt, kommen zwar auch hebräische, aber sehr schlechte Typen
vor.) Nach Denis sei bemerkt, dass unsere Grammatik, die am Ende auf
die Arbeit^ der beiden Kimchi, des Elias Levita, Reuchlins, Münsters,
Aurogallus', Biblianders [als auf ihre Quellen?] verweist, die Sprache in
vier Theilen : Orthographia, Etjnnologia, Syntaxis und Prosodia behandelt, und
dass die Uebersetzung des Jonas, die dem Text gegenübersteht, ziemlich
wörtlich ist. Plankus wird 1554 als Dekan der mediciuischen Fakultät
genannt; andere Werke über hebräische Sprache sind, nach Denis, nicht sicher
ihm angehörig.
Zu S. 127. Wie unter den Pädagogen jener Zeit Erasmus überhaupt
einen Platz verdient, so soll er auch in unserer Frage gehört werden. In
seinem Dialogus de recta latini graecique sermonis pronunciatione (Opera ed.
Lugd. Bat. voL I., col. 923 fg.), heisst es: ürsus. Quid de lingua Hebraica?
Leo. Eam, quoniam nee admodum late patet, et ut apparet, nee ab
ipsis Hebraeis satis tenetur ludaeis ac Theologis relinquerem. Simulque
vereor, ne quid Judaismi cum literis imbibat puer. U. Eadem
opera verere, ne quid Paganismi imbibat ex Homere, Demoethene, Virgilio
et Cicerone. L. Et hoc pro YuribuB cnrabitur. — Es sei bei dieser Grel
140 Nacbtr&fe.
heit gestattet, einiges über Erasmus zu sagen, was zur Ergänzung von oben
S. 4, A. 2 dienen kann. 1516 wollte er hebräisch lernen. Johannes Colet
schreibt an ihn : . . . . agnoscens etiam te, qui es mecnm par aetate et anma,
nunc Hebraicis Uteri« te dare. 13. October 1516. Opp. vol. III., coL 1573. '
Epist. (App.) LXXXrV. Aber noch 1. December 1519 schreibt er, vielleicht
in Betreff eines neuen Professors an Adrians Stelle : De Hebraeo non possum
jndicare, sed consulam eos, qui sine dubio possunt. 1. c. col. 523, epist.
CCCCLXXX. Unwissenheit, die sich breit machte, verspottete er auch hier.
Er erzählt eine Geschichte von einem Theologen, der vor dem König von
England das kühne Wort sprach, das Griechische könne er nicht verachten,
weil es vom Hebräischen abstamme, und der wegen dieser Behauptung von
Hofe weggejagt worden (Petro Mosellano, 1519, I.e. col. 408, epist. CCCI/XXX.),
und von einem Professor der Theologie, der später Bischof geworden sei, und
der die weise Behauptung vorbrachte, Paulus habe an die Corinther h^biaisch
geschrieben (Martine Lipsio, 5. Sept. 1528, 1. c. col. 1108, epist.' DCCCCIÄXIX),
Wir haben schon oben gesehen (S. 43, A. 1), «dass er Capito's Eenntpiss des
Hebräischen sehr hoch schätzte; dennoch hätte er lieber gesehen, (lass er
sich mit anderen Studien, z. B. dem Griecliiscben, beschäftige. Eine 1)ezeich-
nende Stelle darüber mag hier Platz finden: Oi)tarim te propensiqrem ad
Graeca quam ista Hebraica, licet ea non reprehendam; vided' gentem eam
frigidissimis fabulis plenam, nihil fere nisi fumos quosdam objicere, T&lmnd,
Cabalam, Tetragrammaton, Portas Lucis, inania noniiua : Scoto malim infec-
tum Christum quam istis naeniis. Itali'a nmltos habet Judaeos, Hispania
vix habet Christianos . . . Atque utinam Christianorum ecclesia non tantum
tribueret veteri testamento quod cum quo temjwre datum umbris constet,
Christianis literis pene antefertur; Interim utcumque deflectimus a Christo
qui vel unus nobissufficiebat (13.März 1518, 1. c.col. 1675, epist,(app.) OCLXXII.)
Zu S. 128 u. A. 4. Auch Melancht. benutzte seine Kenntniss d. Hebräischen:
Peto ab Osiandro Rabinorum s^r.yT^aei; de lege Judaica, qua frater mortui
firatris uxorem ducere iubetur. An Veit Dietrich , 9. Februar 1536. Corpus
Reformatum III, col. 30. Um von dem Juden -Schulmeister Wölfflin chal-
daisch zu lernen, muss Osiander, da den Juden der Eingang in die Stadt
verboten war, den Rath um die Erlaubniss bitten, denselben in sein Hans
zu nehmen. Vgl. Andreas Würfel: Nachricht von der Juden - Gemeinde zn
Nürnberg. 1775. S. 96.
Berichtigungen:
S. 17, Z. 1 streiche „und".
S. 30, Z.3 lies: „es" statt „ihn".
a.Stö, Z. 6 v.u. lies: „mirifico" statt .,merif!co".
8.58, A. 1 lies: „curabimus" statt „cuarhimns".
8.89, Z.H. y. o. lies: „Amman'«" statt „AmmonV
Druck Ton Heinrich Lindner in Brealan.
^^
v.-s-ai
.-.*■■-.-.'_*
140 Nachtrag.
heit gestattet, einiges Qber Erasmus zu sagen, was zur Ergänzung TOn oben
S. 4, A. 2 dienen kann. 1516 wollte er hebräisch lernen. Johannes Colet
schreibt an ihn : . . . . agnosccns etiam te, qui es mecum par aetate et annis,
nunc Hebraicis literis te dare. 18. October 1516. Opp. vol. III., coL 1573. '
Epist. (App.) LXXXIV. Aber noch 1. December 1519 schreibt er, vielleicht
in Betreff eines neuen Professors an Adrians Stelle : De Hebraeo non possnm
judicare, sed consulam eos, qui sine dubio possunt. 1. c. col. 523, epist.
CCCCLXXX. Unwissenheit, die sich breit machte, verspottete er auch hier.
Er erzählt eine Geschichte von einem Theologen, der vor dem König von
England das kühne Wort sprach, das Griechische könne er nicht verachten,
weil es vom Hebräischen abstamme, und der wegen dieser Behauptung von
Hofe weggejagt worden (Petro Mosellano, 1519, I.e. col. 408, epist. CCCLXXX.),
und von einem Professor der Tlieologie, der später Bischof geworden sei, nnd
der die weise Behauptung vorbraclite, Paulus liabe an die Corinther hebräisch
geschrieben (Martine Lipsio, 5. Sept. 15*28, 1. c. col. 1108, epist.' DCCCCI^XXIX),
Wir haben sciion oben gesehen (S. 43, A. 1), «dass er Capito's Eenntpiss des
Hebräischen sehr hoch scliätzte; dennoch hätte er lieber gesehen, dass er
sich mit anderen Studien, z. B. dem Griechischen, beschäftige. Eine Vzeich-
nende Stelle darüber mag hier l*latz finden: Optarim te propensiorem ad
Graeca quam ista Hebraica, licet ea non reprehendam; vide^r gentem eam
frigidissimis fabulis i)lenam, nihil fore nisi fumos quosdam objicere, Talmud,
Cabalam, Tetragrammaton, Portas Lucis, inania nomina: Scoto malim infec-
tum Christum quam istis naeniis. Itali'a inultos habet Judaeos, Hispania
vix habet Chris tianos . . . Atque utinam Christianorum ecclesia non tantum
tribucret veteri testamento quod cum quo temjwre datum umbris oonstet,
Christianis literis pene antefertur; Interim utcumque deflectimus ß Christo ^
qui vel unus nobissufi'iciebat (13. März 1518, 1. c. col. 1675, epist, (app.) CCLXXII.)
Zu S. 128 u. A. 4. Auch Melancht. benutzte seine Kenntniss d. Hebräischen :
Peto ab Osiandro Rabinorum sc^^yr^aei; de lege Judaica, qua frater mortui
fratris uxorem ducere iubetur. An Veit Dietrich , 9. Februar 1536. Corpus
Reformatum III, col. 30. Um von dem Juden -Schulmeister Wölfflin chal-
däisch zu lernen, müss Osiander, da den Juden der Eingang in die Stadt
verboten war, den Rath um die Erlaubniss bitten, denselben in sein Haus
zu nehmen. Vgl. Andreas Würfel: Nachricht von der Juden - Gemeinde zu
Nürnberg. 1775. S. 96.
Berichtigungen:
S. 17, Z. 1 sireiche „und".
S. 30, Z. 3 lies: „es" statt „ihn".
Ö. 83, Z. 6 ▼. u. lies: „mirifico" statt „tnerifico".
8.58, A. 1 lies: „curabimns" statt „cuarhimns".
8.89, Z.H. y. 0. lies: „Amraan's" statt „ÄmmonV*
Brack Ton Heinrich Lindoer in Breslan.
:/*ji
The borrower must retum this item on or before
the last date stamped below. If another user
piaces a recal! for this item, the borrower will
be notified of the need for an earher return.
Non-receipt ofoverdue notices does not exempt
the borrower from overdiie fines.
Harvard College Widener Library
Cambridge, MA 02138 617-495-2413
Please handle with care.
Thank you for helping to preserve
library collections at Harvard.