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Full text of "Das Verhältnis von Sittengesetz und Staatsgesetz bei Thomas Hobbes"

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Das Verhältnis 



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Sittengesetz und Staatsgesetz 

bei 

Thomas Hobbes. 



Inaugural-Dissertation 

zur 

Erlangung der Doctorwürde bei der philosophischen Facultät 

der 

Ludwigs-Universität zu Giessen 

eingereicht von 

Wilhelm August J[esser 

ans Mainz. 



Mainz, 

Drnck von Joh. Falk III. Söhne. 

1893. 






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Dem Andenken meines verehrten Lehrers 



Ludwig Noir6 



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Vorbemerkung. 

Die Schriften des Thomas Hobbes sind dtiert nach der Gesamt- 
ausgabe von Molesworth (London 1889 ff.) Die Schrift de corpore politico 
steht im vierten Band der English Works ; die Schrift de cive im zweiten 
der Opera latina ; der Leviathan im dritten der englischen wie auch der 
lateinischen Schriften. 






1. Der unserem Worte ^Sittengesetz^ zunächst ent- 
sprechende Ausdruck «lex moralis^ (law moral) findet sich bei 
Hobbes verhältnismässig selten. An mehreren Stellen erklärt 
er jedoch, die lex moralis sei identisch mit der lex naturalis, 
so d. civ. 3. 31 (n p. 196): legem naturalem eandem esse 
cum lege morali consentiunt omnes scriptores ^). 

Da der Begriff der lex naturalis, wie bei den Scholastikern, 
so auch bei H. eine wichtige Bolle spielt und von ihm aus- 
führlich erläutert wird, so haben wir zunächst zu untersuchen, 
was er darunter versteht. Eine Definition des Begriffes findet 
sich d. civ. 2. 1. (11 p. 168 f.)«). Seiner Methode») getreu 
„nur von allgemein angenommenen Begriffsbestimmungen aus- 
zugehen^, sucht er hier eine von Allen anerkannte Definition 
der lex naturalis. 

Nachdem er zwei gebräuchliche Definitionen als unge- 
nügend verworfen, fährt er fort: Alle geben zu, dass das mit 
Recht (iure) geschieht, was nicht gegen die recta ratio d. h. 
gegen eine "Wahrheit, welche aus wahren Principien durch 
richtige Schlussfolgerung gefunden ist, verstösst ; was gegen die 
recta ratio geschieht, das geschieht iniuria. Dann aber reden 
wir von Unrecht (iniuria), wenn ein Verstoss gegen ein Ge- 
setz vorliegt. Es ist demnach die recta ratio ein Gesetz, und 
da sie nicht minder ein Teil der menschlichen Natur ist, als 
irgend eine andere Fähigkeit oder ein Affekt, so darf das 
Gesetz , das in ihr enthalten ist , als naturalis bezeichnet 
werden. So gelangt er zu dem Ergebnis : Est igitur lex na- 
turae, ut eam definiam, dictamen rectae rationis circa ea, quae 
agenda vel oroittenda sunt ad vitae membrorumque conservätio- 
nem, quantum fieri potest, dintumam^). 



1) cf. d. civ. 3. 31 (II p. 198); d. corp. pol. I 5. 1. (IV p. 111.) 
Lev. 15 (in p. 122 [146]). — 2) cf. d. corp. pol. I 2. 1. (IV p. 86 f.) 
— 3) Lev. 32 (lll p. 265 [359]). — 4) cf. Lev. 14. (III p. 102 [116 f.]( 



— 6 — 

Um diese Definition zu verstehen, müssen wir noch fest- 
stellen : 

1) Was heisst recta ratio? 

2) Aus welchem Grunde und in welchem Sinne fügt er noch 
bei: circa ea, qua agenda vel omittenda etc. 

Batio, als facultas animi gefasst, ist nichts anderes als 
ein Bechnen mit Namen, welche zur Bezeichnung und zum 
Ausdruck unserer Gedanken dienen *) ; sie ist eine geistige 
Thätigkeit, deren Ergebnis die scientia ist. Freilich hat der 
einzelne keine Gewähr dafür, dass er durch den Gebrauch seiner 
Vernunft wirklich zur Erkenntnis der Wahrheit gelange; auch 
darin, dass mehrere zusammenstimmen, liegt noch keine Garan- 
tie dafür; aber damit will H. nicht sagen, dass überhaupt keine 
sichere Erkenntnis möglich sei. 

Er sucht seine Meinung durch ein Gleichnis zu erläutern; 
wie die Arithmetik eine certa ars, so ist auch die ratio immer 
recta ratio, aber wie der einzelne Bechenkünstler in seiner 
Beohnung irren kann, so auch jeder einzelne Mensch in dem 
Gebrauche seiner ratio. 

Es ist damit die Möglichkeit eines wirklichen Wissens 
nicht verneint, ja es giebt dafür signa certa et infallibilia, 
nämlich: quando qui se scire dicit, idem alterum docere et 
veritatem perspicue demonstrare potest^) und, was die hier in 
Betracht kommende Wissenschaft, die scientia moralis, anbe- 
trifft, so ist er überzeugt, dass sie ebenso sichere und untrüg- 
liche Begeln bietet wie Arithmetik und Geometrie'), und er 
selbst hofft dieselben erkannt zu haben, weil er seine Ansichten 
durch Aussprüche der hl. Schrift bestätigt findet. 

Hobbes hält somit einerseits an der Voraussetzung, die 
ja aller Philosophie zu Grunde liegt, fest, dass die menschliche 
Vernunft zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen könne, anderer- 
seits hebt er die Erfahrungsthatsache hervor, dass die einzelnen 
Menschen an ihrer Vernunft keine facultas infallibilis besitzen. 

Die Erklärung der lex naturalis als dictamen rectae ratio- 



1) Lev. 5. (III p. 32 ff. [29 ff.]). — 2) Lev. 5. (III p. 39 [37.]). - 
3) Lev. 20. (III p. 159 [195.]). 



nis bedarf aber noch einer näheren inhaltlichen Bestim- 
mung ; es muss angegeben werden, worauf sich die dictamina 
rationis, welche das Naturgesetz ausmachen, beziehen. Dies 
geschieht durch den oben bezeichneten Zusatz: circa ea, quae 
agenda etc. 

Da derselbe an der Stelle des Buches de cive, die unserer 
Erörterung zu Grunde liegt (2. 1. II p. 169), einigermassen un* 
erwartet auftritt, so müssen wir seine Begründung der ganzen 
vorhergehenden Gedankenreihe entnehmen. 

Um seinen eigentlichen Gegenstand, die Lehre vom Staat 
und den Pflichten der Staatsangehörigen, systematisch zu er- 
örtern, glaubt H., wie auch seine scholastischen Yorgängcr, 
ausgehen zu müssen von der Betrachtung der Menschen ausser- 
halb des Staates ; um den status civilis zu verstehen, muss vor- 
her der Status naturalis erforscht werden. 

Diesen status naturalis fasst H. bekanntlich als allgemei- 
nen Kriegszustand. Darin ist das Streben eines jeden darauf 
gerichtet, ut a morte et doloribus proprium corpus et membra 
def endet conservetque ^). 

Dazu wird er getrieben mit derselben Naturnotwendigkeit, 
mit der der Stein fällt. Es ist also auch nicht zu tadeln und 
nicht gegen die recta ratio, dass er diesem Triebe folgt. So 
erscheint denn von diesem Gesichtspunkte aus die Selbster- 
haltung als das eigentliche Ziel aller menschlichen Hand- 
lungen ; es entspricht dasselbe auch der recta ratio und damit 
der lex naturalis. 

Es widerspricht dem nicht, wenn an anderen Stellen *) die 
menschlische Wohlfahrt als letzter Zweck erscheint. 

Es ist leicht erklärlich, dass H. in dem oben erörterten 
Zusammenhang, da er den Menschen im status naturalis, im 
fortwährenden Kampfe ums Dasein betrachtet, die Fristung des 
Lebens als das Ziel alles Thuens hinstellt, aber Wert hat die 
Selbsterhaltung nur als die notwendige Voraussetzung für die 
Wohlfahrt^), und nicht sowohl das vivere, als vielmehr das 



1) d. civ. 1. 7. (II p. 113.) — 2) z. B. de hom. 11. 6. (II p. 98); 
d. civ. 18. 4. (n p. 299.) — 3) de hom. 11. 



— 8 — 

1;) e n e vivere erscheint als höchster Zweck, als oberstes Moral- 
princip. 

Sehen wir nun weiter zu, warum die lex naturalis als 
identisch mit der lex moralis erscheint. Wir müssen dabei 
wieder vom status naturalis ausgehen. Wie sehr in ihm auch 
die Urteile der Menschen über Gut und Bös je nach ihren 
herrschenden Begierden auseinandergehen, eins müssen sie 
alle erkennen, dass dieser allgemeine Kriegszustand, weil ja 
nichts der Selbsterhaltuög mehr entgegen ist, ein Übel und dass 
demnach der Friede ein Gut ist^). Diese Erkenntnis ist 
aber eine Sache der recta ratio und somit lautet das erste und 
fundamentale Naturgesetz : quaerendam esse pacem, quatenus 
habendae eius spes aliqua affulserit; ubi haberi ea non potest, 
quaerenda esse belli auxilia^). 

Somit ist also ein fester Massstab für die Beurteilung 
menschlichen Wollens und Handelns gewonnen : was den 
Frieden fördert ist gut, was Zwietracht erregt schlecht. Da 
aber das Naturgesetz den Frieden gebietet, so gebietet es auch 
alles, was zu seiner Herstellung erforderlich ist, also die Tugen- 
den der iustitia, modestia, humanitas , misericordia u. s. w. 
Somit kann die lex naturalis, welche diese yirtutes oder mores 
boni vorschreibt, auch lex moralis genannt werden. 

Damit sind freilich nur diejenigen Normen bezeichnet, die 
unser Verhalten gegen unsere Mitmenschen regeln, (quae perti- 
nent ad officia hominum erga se iuvicem. de civ. 15. 8. H p. 337.) 
aber unsere Vernunft (und demnach auch die lex naturalis) 
gebietet uns z. B. auch Massigkeit, weil Unmässigkeit zu Krank- 
heit und Tod führt, also unserer Selbsterhaltung entgegen ist. 
Doch hat H. die Tugenden, die nicht in unserem Verhalten zu 
unseren Mitmenschen, sondern in unserem Verhalten zu uns 
selbst hervortreten *) in der Schrift de cive nicht näher er- 
örtert, ja er will sie später in de homine nicht einmal als vir- 
tutes morales gelten lassen; denn es seien dies Tugenden, 



1) d. civ. 3. 31. (H p. 197). - 2) d. civ. 2. 2. (II p. 170). - 3) Also 
die drei ersten der in der antiken Ethik festgestellten CardinaltugeodeD 
der prudentia (sapientia), fortitado und temperantia. 



— 9 — 

welche dem einzelnen nicht als Bürger, sondern als Men- 
schen zukämen, und keiner könne verlangen, dass Eigen- 
schaften, welche (unmittelbar) nur ihm und nicht den andern 
nützlich seien, vom Staate oder seinen Mitbürgern gelobt und 
als „Tugenden" anerkannt würden ^j. So ergiebt sich denn 
als summa doctrinae moralis : Ingenia quidem bona esse, quae 
idonea sunt societati civil! ineundae, et mores bonos, id est 
virtutes morales esse, quibus inita optime conservari po- 
test 2). Wenh er noch beifügt : Contineri autem virtutes omnes 
in iustitia et caritate, so ist dies in dem Sinne zu' verstehen, 
dass wir vermöge der iustitia dem Nächsten das geben, was 
„se'm^ ist, worauf er ein Recht hat; vermöge der Caritas das, 
was uns zwar das Naturgesetz ihm zu geben gebietet, was er 
aber nicht als „das Seinige** beanspruchen kann ; woraus weiter- 
hin die kurz vorhergehende Äusserung sich erklärt: Gerechtig- 
keit sei diejenige Tugend, welche wir nach dem bürgerlichen 
Gesetze messen könnten, Liebe (caritas) die, welche wir nach 
dem blossen Naturgesetz messen ; denn nach H. Anschauung 
wird erst durch das bürgerliche Gesetz festgestellt, was jeder 
als „das Seinige** beanspruchen kann. 

Die Forderungen der lex naturalis (oder moralis), welche 
diese als unerlässlich zum Bestand des Friedens stellt, sind 
entwickelt in d. corp. pol. 1 cap. 3, 4. (IV p. 95 — 111), in 
d. civ. 2, 3 (II p. 168—198) und im Lev. cap. 14, 15. (III 
p. 102—22 [116—52]). Eine nähere Erörterung derselben 
kann hier unterbleiben. 

Wir haben oben gesehen, dass H. die Wohlfahrt des In- 
dividuums als Endzweck und damit als Massstab für den Wert 
menschlichen Handelns aufstellt; wie ist es nun zu erklären, 
dass er hier gerade die individualistischen Tugenden, welche 
das Wohl des Einzelnen unmittelbar fördern beiseite lässt, ja 



. 1) d. hom. 13. 9. (II p. 117.) - 2) 11. p. 118. — Aus dieser Stelle 
wird auch der abrupte und auf den ersten Blick hefrerndeude Anfang 
des Kapitel XI des Leviathan verständlich (III p. 77 [85]): Per mores 
intelligo hoc loco non comedendi, vestiendi, salutandi ritus . . ... sed 
humani geueris qualitates illas, quibus pax conservatur et civitatis statas 
confirmatur. 



— 10 — 

ihnen ethischen Wert abspricht und nur die socialen Tugenden 
als moralisch wertvoll anerkennt? — Jedenfalls weicht damit 
H. von seiner individualistischen Grundansicht nicht ab, denn 
die isolirt neben einanderstehenden Individuen können selbst- 
verständlich nur diejenigen Eigenschaften an anderen wert- 
schätzen, die ihnen selbst Nutzen bringen (besonders indem sie 
das allen unentbehrlichste Gut, den Frieden, fördern). In der 
Anerkennung und Wortschätzung durch andere 
sieht aber H. — wie aus den oben citierten Worten hervor- 
geht -: — das Criterium, nach dem er Eigenschaften die Bezeich- 
nung „boni mores" oder „virtutes" zuerkennt. 

Übrigens sind diese principiellen ethischen Fragen bei H. 
nur gestreift; sein eigentliches Thema ist die Staatslehre, auch 
daraus ist es erklärlich, dass er den Hauptnachdruck auf die 
socialen Tugenden legt. 

Hervorgehoben zu werden vordient, dass er gleichwohl 
nicht verkennt, dass auch die individualistischen Tugenden 
mittelbar dem allgemeinen Wohle dienen, wie andererseits die 
socialen durch Beförderung des Friedens lediglich den höchsten 
Zweck, die individuelle Wohlfahrt, zu verwirklichen die Auf- 
gabe haben ^). Es ist darin gleichsam im Keime die Erkennt- 
nis enthalten, dass Egoismus und Altruismus nicht sich aus- 
schliessende Gegensätze sind^). 

Wenn aber die Pflichten der Menschen gegen einander 
den ganzen Inhalt der lex moralis ausmachen, so umscliliesst 
die lex naturalis zwar vollständig die lex moralis, aber sie 
umfasst auch noch manches andere, was wir nicLt unter den 
Begriff der lex moralis, wie ihn H. in den, oben citierten Aus- 
führungen festgestellt hat, bringen können. Dahin gehört z. B. 
alles das, was das Naturgesetz besagt inbezug auf die Rechte 
und Pflichten des Staatsoberhauptes, ferner inbezug auf das 
Verhalten der Menschen gegen Gott. 

Wenn also H. die lex naturalis und lex moralis als schlecht- 
hin identisch bezeichnet, so entspricht dies nicht vollständig den 



1) d. hom. 13. 9. (ü p. 117.) — 2) Paulsen, Ethik (Berlin 1889) 
jS. 295 f. 



j 



- 11 — 

näheren Erläuterungen, die er selbst von diesen beiden Be- 
griffen giebt, und, um das Verhältnis des Sittengesetzes zum 
Staatsgesetz ausreichend darzustellen, dürfen wir auch dieje- 
nigen Teile des Naturgesetzes, welche über den von H. ange- 
nommenen Umfang der lex moralis hinausgreifen, nicht ausser 
Acht lassen. 

2. Dass unserem Worte „Staats gesetz" bei H. der 
Ausdruck „lex civilis ** (law poütic or civil) entspreche, bedarf 
keiner weiteren Erörterung. - Sehen wir zu, in welcher Ge- 
dankenfolge H. zu einer Definition des Staatsgesetzes gelangt. 
Die erste Aufgabe des Staates ist (in Konsequenz des über den 
Inhalt der recta ratio Gesagten) die Herstellung und Wahrung 
des Friedens. Sie erfolgt dadurch, dass der Staat über jeden, 
der den Frieden stört, eine entsprechende Strafe verhängt ; noch 
wirksamer aber dadurch, dass allen Friedensstörungen von vorn- 
herein möglichst vorgebeugt wird. Da nun aller Streit ent- 
steht aus den verschiedenen Meinungen über Mein und Dein, 
Recht und Unrecht, Nützlich und Schädlich, Ehrbar und Schimpf- 
lich u. 8. w., so muss der Staat allgemeine Regeln erlassen, 
nach denen die Staatsangehörigen diese Fragen beurteilen 
können und aus denen sie überhaupt ersehen, was sie im ge- 
sellschaftlichen Leben (in communi vita) zu thuen und was sie 
zu meiden haben. Somit lautet die Definition des Staatsge- 
setzes : Leges civiles, ut eas dofiniamus, nihil aliud sunt, quam 
eins, qui in civitate summa potestatc praeditus est, de civium 
futuris actionibus mandata^), und an einer anderen Stelle: 
Regulae, quibus definiuntur meum et tuum et in actionibus 
bonum, maluro, licitum, illicitum .... vocantur leges civiles '). 
Zu einer im Wesentlichen übereinstimmenden Definition gelangt 
er in d. corp. poh II 10. (fV p. 220—28), in d. civ. cap. 14. 
(II p. 312—30) und im Lev. cap. 26 (IH p. 196—209) 
[250—77]). 

Wenn wir den „Inbegriff der Normen für unser Willkür^ 
liches Handeln^ als „Sitte'^ bezeichnen^) uud das „Rechf* 



1) d. civ. 6. 9. (II p. 222.) — 2) Lev. 18. (lll p. 136. [105]). — 
3) Wandt. Ethik (Stuttgart 1886) ö. 91 S. 



— 12 — 

(d. i. die Gesamtheit der Staatsgesetze), als die aus der Sitte 
hervorgegangene „zwingendere Lebensnorm**, welche „die un- 
yeräusserlichsten Zwecke des einzelnen und der Gesamtheit in 
Besitz genommen hat^, davon scheiden, so ist von einer solchen 
Scheidung von ^Sitte" und „Recht" bei H. noch nichts zu 
merken. Es hängt dies damit zusammen, dass ihm die gesell- 
schaftlichen Bildungen der Familie, des Stammes, des Standes, 
welche den einzelnen umschliessen und seine Lebensführung in 
viel umfassenderer und eingreifenderer Weise als der Staat 
regeln, in dieser ihrer Bedeutung nicht zum Bewusstsein ge- 
kommen sind: er operiert nur mit zwei Faktoren, dem Indivi- 
duum und dem aus den Individuen als seinen Atomen mecha- 
nisch zusammengefugten Staate. So wird es begreiflich, warum 
er in der oben angeführten Definition des Staatsgesetzes diesem 
Begriffe einen so grossen Umfang einräumt, dass er ungefähr 
mit dem Begriffe der „Sitte** (in der oben erwähnten Bedeu- 
tung) sich deckt, und dass nach H. vieles im Staatsgesetze 
enthalten ist, (oder wenigstens enthalten sein soll; denn er 
construiert ja den Staat, wie er sein soll) was nach unserer 
Auffassung nicht hinein gehört. 

Erwähnt sei auch, dass die verschiedenen Wirkungsweisen 
der Staatsgewalt, die wir als „Gesetzgebung** und „Verwaltung** 
von einander scheiden, bei H. in ihrem Unterschiede nicht klar 
hervortreten. So wird es erklärlich , dass er, von dem Ge- 
danken ausgehend, dass das Staatsoberhaupt das Wohl der Ge- 
samtheit, nicht das einzelner fördern müsse, den Satz aus- 
spricht ^) : Non enim imperans, quatenus talis, civium saluti 
aliter prospicit, quam per leges, quae universales sunt. Was 
doch, wörtlich genommen, besagen würde, die Wirkungsweise 
des Staatshauptes bestehe nur in der Gesetzgebung^). 

3. Nach dieser Erörterung der Begriffe „lex naturalis*^ 
(moralis) und „lex civilis^, die notwendig schien, um die 
Fassung und Ausprägung, welche dieselben bei H. erfahren 

1) J. civ. 13. 3. (II p. 299.) — 2) Doch klingt in den bald darauf 
folgenden Worten: ut per salatares constitationes etc. Die Bück- 
sicht anf die Verwaltangsthätigkeit an. Ähnlich Lev. 26. (III p. 197) 
und 30 (p. 240 [322 f.]). 



— 13 — 

haben, klar zu stellen, sei es aus demselben Grunde gestattet, 
auf den Begriff der Verpflichtung, den wir mit dem des 
Gesetzes unmittelbar verbinden, kurz einzugehen. — Bei dem 
Staatsgesetze musste es von selbst in die Augen springen, dass 
die nächste Quelle seiner verpflichtenden Kraft in dem Willen 
und der Autorität des Gesetzgebers liege. H. ist darum auch 
nicht dazu gekommen hierbei den genannten Begriff näher 
zu erörtern. Wenn wir uns dagegen seiner Identificierung der 
lex naturalis mit der recta ratio erinnern, so dürfen wir viel- 
leicht mit mehr Grund erwarten, dass er hier die Frage auf- 
werfen' werde, inwiefern denn die dictamina rectae rationis zu 
ihrer Befolgung verpflichten. 

Das ;, Gesetz** unterscheidet sich nach H. dadurch vom 
„Rate", dass der Grund seiner Befolgung nicht in seinem In- 
halte liegt, sondern in dem Willen des Befehlenden (Lex est 
mandatum eins .... cuius praeceptum continet obedientiae 
rationem ^). Da aber die leges naturales nur sind conclusiones 
quaedam ratione intellectae de agendis et omittendis, so sind 
sie an sich, lediglich als dictamina rationis betrachtet, keine 
^yGesetze** ^). Wenn B.. ihnen trotzdem eine verpflichteiide 
Kraft beilegt oder, richtiger gesagt, wenn er von Anfang an 
davon redet, dass sie „verpflichten**, ohne von vornherein nach- 
zuweisen, worauf denn ihre verpflichtende Kraft beruht, so wird 
das Motiv dafür erkennbar, sobald wir uns der Stelle erinnern, 
an welcher er den Begriff des Naturgesetzes in seine Unter- 
suchung einführt. Als Ziel desselben wird hier die Selbster- 
haltung angegeben. Dazu wird aber der Mensch schon durch 
einen unwiderstehlichen Naturtrieb hingelenkt, der sich (nach 
seiner negativen Seite) äussert als Furcht vor Tod und Ver- 
wundung. 

Da somit das Naturgesetz erscheint als praeceptum sive 
regula generalis ratione excogitata, qua unusquisque id, quod 
ad damnum suum sibi tendere videbitur, facere prohibetur 5), 



1) d. civ. 14. 1. (II p. 313.) - 2) d. civ. 3 33. (II p. 198.), Lev. 15 
(III p. 122 [147]). — 3) Lev. 14. (III p. 102 [116 f.]); za vergleichen 
ist auch die Stelle der epistula dedicatoria zu de cive (II p. 139), wo 



— 14 — 

so ist es begreiflich, dass sieb für H. an dieser Stelle 
keine Veranlassung ergiebt, die Frage nach der verpflichtenden 
Kraft des Sittengesetzes aufzuwerfen. Näher lag es dieselbe 
zu erörtern an einer anderen Stelle im Verlaufe der Unter- 
suchung. 

Als das Mittel zur Aufhebung des status naturalis und zur 
Herstellung des vom Naturgesetz geforderten Friedens erscheint 
der Vertrag. Er ist es, durch welchen die isolierten 
Individuen zum Staate sich verbinden. Da aber jener Selbst- 
erhaltungstrieb, der auf den ersten Blick die Beobachtung des 
Naturgesetzes in seiner Gesamtheit zu garantieren schien, weil 
es ja gleichfalls auf die Selbsterhaltung abzielt, an und für 
sich unvernünftig ist und praesentia bona den bona 
ratio nis vorzieht i), so kann hier leicht ein Widerstreit 
zwischen Trieb und Vernunft entstehen, und es drängt sich die 
Frage auf, was uns denn zum Halten der Verträge ver- 
pflichte, wenn uns dasselbe augenscheinlich schädigt. Er 
beantwortet die Frage mit dem Hinweis*), dass es zum Wesen 
des Vertrags gehöre, dass er auch gehalten werde; Verträge 
seien notwendig zur Herstellung des' Friedens; diese gebiete 
das Naturgesetz, also gebiete es auch das Halten der Verträge. 
Die verpflichtende Kraft des Vertrags wird also gegründet auf 
die verpflichtende Kraft des Naturgesetzes. Dafür jedoch, dass 
er nun auch hier die doch naheliegende Frage, worin denn 
das „Verpflichtende" des Naturgesetzes bestehe, nicht auf- 
wirft, liegt der Grund offenbar in seiner Anschauung vom Wesen 
und der Wirkung der lex naturalis. Diese gebietet ja eben 
das, was die Vernunft (recta ratio) einem jeden als notwendig 



der Selbsterhaltungstrieb und die fundamentale Forderung des Naturge- 
setzes geradezu als identisch gesetzt werden: Postulatum rationis na- 
turalis, quo quisque mortem violentam tamquam summum naturae malum 
studet evitare. 

1) d. civ. 3. 32. (II p. 197.) - 2) d. corp. pol. I. 15. (IV p. 130); 
d. civ. 3. 1. (II p. 182.) Schon an einer früheren Stelle hat er eineu 
seltsamen Versucli gemacht die verpflichtende Kraft der Verträge ge- 
wissermassen psychologisch zu erklären, d. corp. pol. I 2. 9. (IV p. 90 f.) ; 
d. civ. 2. 10. (II p 173 f.) cf. Tönnies, Viertelj.-schr. f. w. Phil. V, 
p. 189. 



— 15 — 

zu ergreifendes Mittel angiebt, wenn er das Ziel, dem er an 
sich schon mit Naturnotwendigkeit zustrebt, seine Selbsterhal- 
tung und seine Wohlfahrt, erreichen will. Wenn ferner die 
unerlässliche Vorbedingung zur Verwirklichung dieses höchsten 
Zweckes der Friede ist,' so sind die Naturgesetze nichts an- 
deres als die „Friedensartikel" ^). Demnach ergiebt sich für 
H. nicht die Notwendigkeit das „Verpflichtende** des Naturge- 
setzes etwa aus der Autorität des über den Menschen stehen- 
den göttlichen Willens abzuleiten. Er nimmt zwar die herge- 
brachte Gleichsetzung der lex naturalis mit der lex divin a 2) 
am Schlüsse der Ausführungen, die sich aus „rein natürlichen 
Principien** entwickeln Hessen, auf; er giebt auch zu, dass die 
Naturgesetze erst in ihrer Eigenschaft als Gebote Gottes „Ge- 
setze** im eigentlichen Sinne seien : aber er thut dies keines- 
wegs, um damit dem Sittengesetze eine besondere ^verpflich- 
tende Kraft** zu vindicieren; denn es liegt ja in des Menschen 
eigenstem Interesse, es zu beobachten und ein unwiderstehlicher 
Naturtrieb muss ihn — bei richtigem Vernunftgebrauch — da- 
zu anhalten?). Somit ist der Begriff der „Verpflichtung** im 
Sinne der neueren Ethik (Kategorischer Imperativ und dergl.) 
H. unbekannt geblieben. 

Darin aber, dass er das Naturgesetz des Charakters eines 
göttlichen Gebotes fast ganz entkleidet, ist es auch begründet, 



1) Lev. 18. (III p. 102 [116]). — 2) d. civ. 3. 3S, (II p. 198): Lev. 
15, (III p. 122 [147]). Und zwar ist nach H. die lex naturalis (moralis) 
gleich der lex divina: 1. weil die ratio, qnae est ipsa lex naturae von 
Gott jedem als Richtschnur für seine Handlungen gegeben ist ; 2. weil 
die lex naturalis auch in der hl. Schrift sich findet. — 3) Man erkennt 
leicht, wie von dieser Anschauung nur ein Schritt war zu der Annahme, 
dass man das Naturgesetz nur richtig zu erkennen brauche, um es auch 
zu befolgen. In der That hat H. an einer Stelle dies behauptet : d. civ. 
2. 1. adn. II, p. 170. In ratiocinatione falsa . . . omnis consistit legum 
naturalium violatio. Im Gegensatz hierzu führt er allerdinc^s an zahl- 
reichen Stellen aus, dass die Erkenntnis des Sittengesetzes seine Be- 
folgung noch nicht gewährleiste; dass die passiones stärker seien als die 
ratio. Woraus er weiterhin die Veranlassung entnimmt zu zeigen, dass 
die Menschen vielfach auch durch ihre L<*ideuschaften zu dem hinge- 
trieben werden, was die ratio fordert, so durch spes und metus zum 
Frieden, durch metus zur Beobachtung der Verträge. 



— 16 — 

dass die Übertretung desselben nicht sowohl als schlecht 
und sündhaft, sondern als unvernünftig bei ihm er- 
scheint *). 

4. Es soll nunmehr das Verhältnis von Sittenge- 
setz und Staatsgesetz nach seinen verschiedenen Seiten 
hin betrachtet werden. Als erste und wichtigste Beziehung 
zwischen beiden erscheint hier diese: lex naturalis omnes 
leges civiles iubet observari. Wie hat H. dies begrün- 
det ? — Die Entstehung des Staates ist nach ihm in d e r Weise 
zu denken, dass sich alle unter einander verpflichten dem 
Träger der Staatsgewalt so viel Macht zu übertragen, als der- 
selbe zur Erreichung des Staatszweckes bedarf. Aus letzterem 
entwickelt nun H. die ihm zustehenden Befugnisse ^j, wobei er 
mit Recht scharf hervorhebt, dass Inhalt und Umfang der 
Staatsgewalt an sich unabhängig sei von der Verfassungsform. 
— -- Er kommt zu dem Resultate, dass in jedem wirklichen 
Staate (in omni civitate perfecta) der Träger der Staatsgewalt 
ein Imperium absolutum besitzen' müsse, dem vpn selten der 
Bürger ein unbedingter Gehorsam ^) zu entsprechen habe. 

Die Errichtung des Imperium absolutum, wie die davon un- 
trennbare absolute Gehorsamspflicht tritt aber ein kraft Na- 
turgesetzes; denn beide sind notwendig, um den Frieden 
herzustellen, was ja die erste Forderung des Naturgesetzes ist. 
Demnach fordert das Sittengesetz einen unbedingten Gehorsam 
gegen jede Willensäusserung des Staatshauptes, ehe noch ein- 
zelne Staatsgesetze erlassen sind; mithin verpflichtet es die 
Bürger allen Staatsgesetzen schlechthin zu gehorchen *). 

Hierdurch erst erlangt das Staatsgesetz den Charakter 
eines im Gewissen verpflichtenden Gesetzes; denn das 



1) Er betont auch, die Befolgang des Naturgesetzes habe nicht etwa 
die Erreichung der ewigen Seligkeit, sondern, die Wohlfahrt in diesem 
Leben zam Ziel und zur Folge; und die Strafen, die auf Übertretungen 
derselben folgten, seien lediglich deren ;,natürliche Nachwirkungen.'' 
d. civ. 3. 32. (IC p. 198.) Lev. 31. (lll p. 263. [356]). — 2) d. corp. pol. 
II. 1. (IV p. 125 ff.); d. civ. 6. (II p. 216 ff.); Lev. 18. (III p. 132 ff. 
[159 ff:]). — d. civ. 11. p. 226. — 4) d. civ. 14. 2. (II p.314. 319); Lev. 
26. (III p. 198. [254]). 



— 17 — 

Staatsgesetz verpflichtet an sich nur zu Handlungen (bezw. 
Unterlassungen), nicht zu dem dem Gesetze entsprechenden 
Willen^). Somit erscheint es gerechtfertigt die möglichen 
Gesetzesübertretungen zu scheiden in peccata und crimina. Pec- 
catum ist nicht nur jede That, jedes Wort, jede Unterlassung 
gegen das Gesetz, sondern auch die Absicht oder der Vorsatz 
das Gesetz zu übertreten ; crimen nur diejenige Gesetzesver- 
letzung, die vor das Forum eines irdischen Richters gebracht 
werden kann. Also ist jedes crimen ein peccatum, aber nicht 
jedes peccatum ein crimen ^). 

H. gesteht nun freilich zu, dass es Falle geben kann, in 
welchen das Sittengesetz den Gehorsam gegen den staatlichen 
Befehl nicht fordert. Der höchste Zweck menschlichen 
Handelns ist ihm ja die Wohlfahrt des Individuums und ihre 
notwendige Voraussetzung, die Selbsterhältung ; um i h r e t- 
willen nur ist im Grunde der Staat vorhanden. Es kann also 
niemand durch obrigkeitlichen Befehl verpflichtet werden sich 
selbst zu töten oder zu verwunden, oder bei einem Angriffe 
keinen Widerstand zu leisten, oder sich der Nahrung oder eines 
Gegenstands, ohne den er nicht leben kann, zu enthalten ^). 
Doch ist damit die Reihe der Fälle, in welchen der Gehorsam 
ohne Verstoss gegen das Sittengesetz verweigert werden kann, 
nicht abgeschlossen. Die genannten hatten das gemeinsame 
Merkmal, dass in ihnen durch den Gehorsam der Selbsterhal- 
tungstrieb direkt negiert , die Vernichtung des Lebens un- 
mittelbar herbeigeführt würde ; aber auch gegen sich oder einen 
Nahestehenden zu zeugen, oder irgend etwas, was für ihn ge- 
fährlich oder schimpflich ist, zu thuen, kann niemand im Ge- 
wissen verpflichtet sein*). So giebt er auch zu, dass es ein un- 
veräusserliches Recht der Bürger sei, Kriegsdienste zu ver- 
weigern, wenn sie einen tauglichen Stellvertreter beschaffen; 



1) d. civ. 14. 14. (11 p. 322). — 2) Lov. 27. (Hl p. 210 f. [277 f.]). 
— 3) d. civ. 6. 13. (H p. 226 cf. p. 177). Lev. 21. (III p. 164 ff. cf. 
p. 104. [203 ff.]). — 4) Freilich muss in dieser Klasse von Fällen eine 
Yoranssetzang zutreffen, dass nämlich durch die Gehorsamsverweigerung 
nicht der Staatszweck überhaupt vereitelt werde. 

2 



— 18 — 

"WOZU Tönnies^) zutreffend bemerkt, man ersehe daraus, „wie 
die realen Haifische noch über den ideellen Haifisch hinaus- 
gingen." 

Es offenbart sich aber gerade hier die Unzulänglichkeit 
des H'schen Moralprincips ; denn aus ihm vermag er nicht ab- 
zuleiten, dass es unter Umständen sittliche Pflicht sein 
kann, auch das Leben hinzugeben — nicht einmal sittlich 
wertvoll kann ihm die Selbstaufopferung erscheinen. 

Wenn er gleichwohl erklärt, falls die Lage es erheische, 
seien alle zum Kriegsdienst (und damit doch wohl auch zur 
Hingabe des Lebens für das Vaterland) verpflrichtet, so hat dies 
darin seinen Grund, dass er mit Recht glaubt, nur so werde 
der Bestand des Staates gegen äussere Feinde ausreichend 
gesichert; aber dieses Zugeständnis entspricht nicht seinem 
obersten Princip. 

5. Der Zweck des Sittengesetzes ist, wie schon oft gesagt, 
die Selbsterhaltung. Nun würde aber der Einzelne durch ge- 
wissenhafte Befolgung desselben diesem Zwecke geradezu ent- 
gegenhandeln, wenn nicht auch alle andern, mit denen er in 
Beziehung tritt, es beobachteten. 

Eine Gewähr dafür ist aber in status naturalis nicht vor- 
handen, (wenn sie vorhanden wäre, so wäre der Staat über- 
haupt nicht nötig*) daher verpflichtet die lex naturalis im Na- 
turzustand im Allgemeinen nicht zu wirklicher Befolgung, son- 
dern nur zur Bereitwilligkeit sie zu befolgen ^). 

Erst durch die Existenz der Staatsgewalt, welche die 
Rechtssphären der einzelnen abgrenzt und jede Übertretung 
bestraft, ist die Möglichkeit gegeben, das Sittengesetz nach 
seinem ganzen Umfange zu befolgen*). Also beruht die Ver- 



1) Deutsche Rundschau Bd. 49 (1889) p. 111. — 2) Lev. 17. (III 
p. 128 [155]). - 3) d. civ. 3. 27. (II p. 195). — 4) Dabei ergiebt sich 
freilich eine Schwierigkeit: das Sittengesetz kann nur befolgt werden 
im Status civilis, aber zum status civilis kann man aus dem status na- 
turalis nur gelangen durch Befolgung des Sittengesetzes (nämlich durch 
Beobachtung des don Staat begründen<len Vertrags). Diese Schwierig- 
keit lässt sich nicht dadurch lösen, dass man erklärt, der status natura- 
lis sei für H. eine reine Fiktion; da der Staat für ihn aus den 
Einzelnen bestehe, für die Einzelnen da sei, und von den Einzelnen „ge- 



— 19 — 

pflichtung dem Staatsgesetze Gehorsam zu leisten auf dem 
Sittengesetz; die Erfüllung des Sittengesetzes aber 
ist erst im Staate möglich. 

6. Die Staatsge\yalt ermöglicht aber nicht nur die Be- 
folgung des Sittengesetzes, sie fordert dieselbe auch bei Strafe ; 
denn da in dem Staatsgesetz nicht alle irgend möglichen Fälle 
vorgesehen sein können, so muss überall da, wo das Staatsge- 
setz nichts besagt, das Naturgesetz befolgt werden i). Daher 
ergiebt sich als eine weitere Beziehung zwischen beiden Ge- 
setzen: leges naturales etiam civiles sunt^). 

Eine notwendige Voraussetzung hierzu ist aber, dass der 
einzelne die Forderung des Sittengesetzes in jedem Falle kenne. 
Dies ist nach H. möglich, weil sich die Gebote des Sittenge- 
setzes zusammenfassen lassen in den Satz: Quod tibi fieri non 
vis, alteri ne feceris '), oder : Quodcunque vultis, ut faciant 
Yobis homines, id vos facite illis^). 

Da also jeder der zum Vernunftgebrauch gelangt ist, die 
Naturgesetze kennen muss, so folgt, dass dieselben, um Staats- 
gesetze zu sein, keiner besonderen Promulgation bedürfen; sie 
können als leges non scriptae von den eigentlichen Staatsge- 
setzen als den leges scriptae^) unterschieden werden. 



macht^ sei, so habe er um Zweck und Wesen des Staates zu yerstehen, 
zunächst die Einzelnen in einem staatlosen Zustand betrachtet. Den 
Stellen, ans denen man dies folgern kann (z. B. d. corp. pol. II 3. 2. 
(IV p. 149). d. civ. 8. 1. (II p. 249)), stehen andere gegenüber (z. B. 
Lev. 13. (III p. 101. [114])), welche beweise^, dass ihm die Vorstellung 
des — reia fingierten — n i c h t staatlichen Znstands zasammenfloss mit 
der eines — historisch gegebenen — Vorstaalicheu, der zugleich, im 
Gegensats zu dem „künstlichen^ Staat als der „natürliche^ erschien. 

1) d. ci7. 14. 14. (II p. 322 f.) - 2J Lev. 26. (lll p. 198. [253]).- 
3) d. civ. 3. 26. (II p. 194). — 4) Lev. 26. (III p. 200. [258]). Diese 
praktische Begel zur Erkenntnis unserer sittlichen Pflichten lässt sich 
allerdings nur bei den Beziehungen der Menschen antereinander 
anwenden. Wir haben aber schon hervorgehoben, wie es gerade dieser 
Theil des Sittengesetzes ist, dem H. seine Aufmerksamkeit schenkt — 
übrigens sind die beiden oben citierten Formeln, die H. unterschied los 
braucht nicht ganz identisch. Die erstere würde mehr die Pflicht der 
„Gerechtigkeit*, die zweite die der „Liebe* ausdrücken. — 5) so nennt 

2* 



— 20 — 

» 

Wenn andererseits ein Gesetz ohne besondere Promul- 
gation als verpflichtend gelten soll, so muss es ein Naturge- 
setz sein *). 

Von diesem Gesichtspunkt aus erscheinen Sitten- und 
Staatsgesetz nicht als diversa genera von Gesetzen, sondern als 
diversae partes, quarum una scripta est, quam civilem, altera 
non scripta, quam naturalem vocant ^), 

Somit ergänzt das Sittengesetz das Staatsgesetz nicht nur 
sozusagen intensiv, indem es die Befolgung des Staatsge- 
setzes zur Gewissenspflicht erhebt, sondern auch exten- 
siv, indem es in allen Fallen, in denen das Staatsgesetz nichts 
besagt, ergänzend eintritt. 

Befremdlich mag die Ansicht des H. erscheinen, dass das 
Sittengesetz (in seiner Gesamtheit) ^) im Status civilis zugleich 
Staatsgesetz sei. Wir müssen uns aber dabei erinnern, dass 
er nur mit den zwei Faktoren, Staat und Individu«um 
rechnet und da er eine einigermassen allgemeine Verwirklich- 
ung des Sittlichen ohne „Imperative des äusseren Zwangs"*) 
nicht für möglich hält 5), so muss der Träger dieses Zwangs 
für das ganze Gebiet des Sittlichen eben der Staat sein. 

Das Einseitige dieser Betrachtungsweise bleibt ihm 
umso leichter verborgen, weil er, wie schon erwähnt, unter dem 
Begriffe lex naturalis vor allem diejenigen Gebote des Sitten- 
gesetzes versteht, welche unser Verhalten zu andern regeln, 
(die also der Cardinaltugend der Gerechtigkeit und den um 
sie zu gruppierenden Tugendea entsprechen.) la der That tritt ja 
auch der Staat zu diesem Teile, der sittlichen Ordnung, in eine 
besonders innige Beziehung; denn durch seine „Rechtsordnung" 
werden ja ;,die Interessen des Gemeinwesens, wie auch gewisse 
Interessen der einzelnen anerkannt und geschützt^^ ^), also das- 



H. alle Gesetze, die einer besonderen Kundmachung bedürfen, d. civ. 14. 
14. (II p. 322). 

1) Lev. 26. (III p. 200. [258]). — 2) 11. p. 198. — 3) denn das be- 
deuten doch die oben angeführten Worte : leges naturales etiam civiles 
sunt. — 4) Wundt, 11. p. 419. — 5) cf. z. B. Lev 17. (III p. 127 [153]) 
und 27. (III p. 214 [285]). — 6) Gareis, Allg. Staatsrecht in H. Mar- 
quardsen, Handb. d. öfftl. Rechts. Freiburg 1887. L S. 7. 



— 21 — 

jenige, was den einzelnen und der Gesamtheit als das ^^Ihrige^ 
zukommt, abgegrenzt. 

7. Da somit H. im „Sittlichen" eigentlich nur das „Natur- 
rechtliche*' sieht, so müssen wir die Frage aufwerfen, ob nach 
seiner Ansicht schon das Naturgesetz darüber Bestimmungen 
enthält, was jeder (Gesamtheit sowohl wie der einzelne) als 
das „Seinige** beanspruchen kann; mit andern Worten, ob er 
ein ^Naturrecht" annimmt in dem Sinne, wie es 
zunächst vor ihm die Scholastik vertreten hatte. 
— Es ist nun interessant zu beobachten, wie bei H., der doch, 
wie wir soeben gesehen, Staats- und Sittengesetz in die engste 
Beziehung setzt, eine Anschauung sich anbahnt, welche ganz 
im Gegensatz hierzu das „Recht" (also den eigentlichen Gegen- 
stand der Staatsgesetze) von der Sittlichkeit abtrennt, indem 
sie die Existenz eines „Naturrechts** im Sinne eines sittlichen 
Faktors, der auch für das „positive** Recht noch seine Bedeu- 
tung behält, verneint. 

H. bemerkt in der Dedicationsepistel zu de cive, dass er 
den Begriff der iustitia einer besonders eingehenden Betrachtung 
unterzogen habe, und in der That können wir noch aus seinen 
Schriften erkennen, wie er mit der Umformung gerade dieses 
Begriffes lange beschäftigt war. 

In de cive 1. 7. (II p. 163) ^) sagt H. : Quod contra rec- 
tam rationem non est, id iuste et iure factum omnes dicunt. 
Neque enim iuris nomine aliud significatur, quam libertas, quam 
quisque habet, facultatibus naturalibus secundum rectam 
rationem utendi. Nun ist aber, fähr| er fort, die Selbster- 
haltung das oberste, von der Vernunft gebilligte Ziel, mithin 
hat auch jeder das Recht auf die ihm zur Erreichung dieses 
Zieles als notwendig erscheinenden Mittel; da nun aber alles 
unter Umständen als ein dazu notwendiges Mittel erscheinen 
kann, so hat jeder ein Recht auf Alles. 

Diese Argumentation ist ein Fehlschluss ; denn wenn wir 
auch zugeben wollen, dass alles unter Umständen als zu unserer 
Selbsterhaltung notwendig erscheinen kann, so haben wir da- 



1) So schon früher in d. corp. pol. I 6. (IV p. 83.) 



— 22 — 

mit noch nicht ein Recht auf alles schlechthin, sondern 
immer nur in dem Falle, dass es gerade zu dem genannten 
Zwecke als unentbehrlich erscheine. H. gelangt also von seiner 
oben citierten Definifcion des Begriffes ius nur dadurch zu der 
Statuierung des ius omnium in omnia, dass er die in ihr 
enthaltenen Bestimmung „secundum rectam rationem" im Ver- 
laufe der Deduktion unversehens eliminiert ^). So verwandelt 
sich ihm das Wort „ius" aus der Bezeichnung für eine mora- 
lische Befugnis, welche der ratio (d. h. der lex naturalis) 
als einem über ihr stehendem Gesetze gemäss ist, in 
den Ausdruck für rein physisches Können. In der That 
lautet denn auch die Definition von ius an der entsprechenden 
Stelle des Leviathan (14. III p. 102): ius naturale est libertas, 
quam habet unusquisque, potentia sua ad naturae suae conser- 
vationem suo arbitrio utendi. 

Demnach besagt für H. das Naturgesetz nichts über das, 
was yRecht" ist, d. h. was jedem als das „Seinige^ zukommt; 
es gebietet nur, dass dieses ius omnium in omnia (d. h. das 
„ Naturrecht**), welches ja identisch mit völliger Rechtslosig- 
keit ist, aufgehoben werde, weil aus ihm sich immer neuer 
Streit erzeugt. 

Wie freilich diese Aufhebung vor sich gehe und w i e die 
Schaffung der Staatsgewalt logisch zu fassen sei, auch da- 
rüber scheint H. im Laufe der Zeit verschiedene Ansichten 
gehabt zu haben. In seinen früheren Schriften findet sich 
folgende Auffassung : Alle einzelnen übertragen einem 
Einzigen (oder einer Mehrheit von Personen) soviel Recht als 
sie nur übertragen können ; da aber von vornherein jeder 
ein Recht auf alles hat, so heisst dies nur, sie verpflichten 
sich untereinander jenem in keiner Weise Widerstand zu 
leisten. Freilich ist diese Vorstellung unzulänglich ; denn das 



1) Für jetzt wollen wir davon absehen, dass H. den Menschen völlig 
individualistisch isoliert und nicht als notwendig neben und mit an- 
deren existierend fasst. AndBrnfalls hätte er erkenne)i müssen, dass lio 
recta ratio gleichzeitig allen ein Recht auf Selbsterhaltung zugesteht 
und somit dem einzelnen nicht nur Anspruch darauf einräunit, sondern 
ihm aach den gleichen Anspruch der anderen anzuerkennen gebietet. 



-^ 23 — 

Staatshaupt erlangt damit nur die Beseitigung der Hin- 
dernisse für die Ausübung seines ius omnium in omnia, nicht 
einen Zuwachs an positiver Macht, nicht die Möglichkeit 
andere zu zwingen nach seinem Willen zu handeln. 

H. hat deshalb hier die Verpflichtung ad non resisten- 
dum einfachhin gleichgesetzt der Verpflichtung dem Staatsober- 
haupte die eigne Macht gegen jeden anderen zur Verfügung 
zu stellen 1). Aber das Ungenügende dieser Darlegung hat 
er wohl selbst empfunden, er hat deshalb im Leviathan eine 
andere gegeben^), derzufolge der Träger der Staatsgewalt als 
der Vertreter (actor) der Gesamtheit der Bürger (als 
der autores)^) erscheint. 

Doch wie H. auch seine Ansicht über die Beseitigung des 
ius omnium in omnia im Laufe der Zeit auch ausgeprägt haben 
mag, von vornherein steht ihm fest ; Vor der Existenz des 
Staates kann von Recht und Unrecht nicht die Rede 
sein; das Naturgesetz an sich besagt also hierüber 
nichts: der Staat ist es, welcher das „RecTit** schafft. 

Daraus ergeben sich ihm eine Reihe wichtiger Folgerungen : 

1) Da erst der Staat unter Aufhebung des ius omnium in 
omnia Eigentum in wahrem Sinne begründet, da er die In- 
teressenkreise der einzelnen überhaupt erst abgrenzt und be- 
stimmt, was jeder als „das Seinige ^ beanspruchen kann, so hat 
er auch zu definieren, was als ^ widerrechtlicher ** Eingriff in 
die Rechtssphäre des einzelnen anzusehen ist , also welche 
Handlung als furtum, homicidium , adulterium und überhaupt 
als iniuria zu betrachten ist^). Das Naturgesetz verbietet diese 
Handlungen nur insofern, als es die Verletzung der Staats- 
gesetze überhaupt verbietet*). 

2) Der Träger der Staatsgewalt, oder, was dasselbe ist, 
der Staat ist den S taatsgesetzen nicht unterworfen; denn 



1) d. civ. 5. 8. (II p. 211). — 2) Darum ist hier das Cap. 16. de 
personis et autoribus eingeschoben cf. HI p. 123 ff. [147 ff,]. — 3) So 
gelangt er zu der Definition 11 p* 131. [158]. Civitas persona nna est, 
ooius actionam homines magno namero . . . fecerunt seauthQres; eo fine, 
ut potentia omniain arbitrio suo ad pacem et com'munem defensionem 
uteretur. — 4) d. civ. 6. 16. (II p. 229). — 5) U. 14. 9. (H p. 318). 



— 24 — 

er kann sie jederzeit abändern ; ebensowenig ist er durch Ver- 
pflichtungen gegen Staats angehörige gebunden ; denn er 
kann sich selbst davon nach Belieben befreien, da in seinem 
Willen der Willen der Unterthanen enthalten ist i). 

3) Wenn der Unterthan auf Grund bestehender Gesetze 
Rechtsansprüche auch gegen den Staat verfechten kann, 
so handelt es sich bei solchen Rechtsstreitigkeiten nicht darum, 
was der Staat iure vermag, (denn sein i u s kennt keine 
gesetzlichen Schranken) sondern, was er in dem vorliegen- 
den Gesetze zu Gunsten der Staatsangehörigen habe bestimmen 
wollen *). 

Die Staatsgesetze erscheinen demnach als Normen, welche 
die Staatsgewalt sich selbst giebt und an die sie sich auch 
— das ist doch wohl die Ansicht des H. ') — im normalen 
Verlauf der Dinge halten wird. 

4) Da der Staat bestimmt, was Recht und was Unrecht 
ist, so ist das, was der Staat als „Rechf^ setzt in der That 
„Recht" ; also kann es auch „ungerechte" Staatsgesetze nicht 
geben. Ferner kann der Staat niemand „Unrecht" thuen. 
„Natürliche Grundrechte" , die der einzelne auch gegen den 
Staat geltend machen könnte und durch deren Nichtachtung 
der Staat „Unrecht" thuen würde, giebt es nicht; denn wenn 
auch, wie oben gezeigt, niemand auf sein Recht, unmittelbarer 
Lebensgefahr sich auf jede Weise zu entziehen , verzichten 
kann und er in solchen Fällen auch zum Gehorsam gegen die 
Staatsgesetze im Gewissen nicht verpflichtet ist, so bleibt es 
doch dem Staate unbenommen einen solchen deshalb iure zu 
töten *). 

Nun muss aber H. doch zugestehen, dass der Staat sein 
ius in einer nicht zu billigenden Weise gebrauchen 
kann ; aber nach welchem Massstab beurteilen wir diesen 
Gebrauch? Doch wohl nach der ratio. I h r e Aussprüche sind 
aber nichts anderes als — das Naturgesetz. Also besagt 



1) d. civ. 6. 14.. (II p. 227). — 2) 11. 6. 15. {ü p. 228). — 3) 11. 15. 
16. (II p. 309 f.) — 4) IL 6. 13. (11 p. 226). 



— 25 — 

dieses doch etwas darüber, was ^Recht^ ist und was 
^Unrecht.** 

Aus dieser Schwierigkeit kommt H. in der That nicht 
heraus. Er erklärt: Alles, was der Staat thut, thut er zwar 
iure, aber darum noch nicht iuste^). 

Doch da stellt eben nur „ein Wort zur rechten Zeit 
sich ein." 

So vermag also H., trotz seiner eigenartigen Fassung der 
Begriffe ins und iustitia, doch von der schon aus dem Alter- 
tume und dem Mittelalter überkommenen Annahme eines „Na- 
turrechtes" sich nicht völlig loszulösen; er giebt im Grunde 
doch zu, dass das Naturgesetz auch über das, was in das Ge- 
biet dieser beiden Begriffe fällt, mancherlei besage ; dass es also 
ein „Naturrecht^ als Teil des Naturgesetzes gebe. 

Noch klarer tritt dies hervor an einer anderen Stelle sei- 
nes Systems. H. leitet unbedenklich aus dem Naturgesetze 
alle die Befugnisse ab, welche dem Staatshaupte als solchem 
zustehen, welche dasselbe also als das „Seinige^^ beanspruchen 
kann und muss 2). Aber dies gehört nicht weniger zu der Lehre 
vom ,^Recht" als das, was den einzelnen gegen -einander und 
gegen den Staat zusteht. 

Angebahnt ist also in der That bei H. die Trennung des 
Rechts von der Sittlichkeit ; denn, wenn das natürliche Sittengesetz 
über das Recht nichts besagt, wenn es kein „Naturrecht" im 
Sinne der Überlieferung giebt'), dann muss der Begriff ins 
seinen ethischen Charakter abstreifen, was denn bei H. wirk- 
lich der Fall ist. 

Ferner tritt schon bei ihm die „Erzwingbarkeit" des 
Rechtes als sein wesentliches Merkmal hervor; denn nur 
deshalb verneint doch wohl für den status naturalis die Existenz 



1) d. civ. p. 224 Anm. ; im Lev. 18. (III p. 135. [163]) setzt er dafür 
„inique/ — 2) Hier lässt er sogar unter umständen das Naturgesetz 
corrigierend gegen den Willen des Staatshanptes eingreifen. Wenn das- 
selbe z. B. auf wesentliche Rechte der Staatsgewalt verzichtet, so ist 
ein solcher Verzicht kraft Naturgesetzes ungültig. Lev. 21. (III. p. 168. 
[207]). — 3) Dieses wird doch durch die Lehre des H. vom „natür- 
lichen* ins omnium in omnia negiert. 



— 26 — 

eines Rechtes im wahren Sinne, weil keiner das, was er als 
das „Seinige'' beansprucht, wirksam behaupten kann. 

In letzter Linie lie^t aber der Grund für die eigentüm- 
liche Fassung des ßegriffes ius naturale bei H. darin, dass er 
in dem „natürlichen'' Menschen nur das alleinstehende, 
selbstsüchtige Individuum sieht. Somit konnte auch das Natur- 
gesetz — insofern es sich (direkt) nur auf den „natürlichen" 
Menschen bezieht — über das „Recht" nichts enthalten, da ja 
,, Recht" lediglich aus der gegenseitigen Bezogenheit 
der Individuen aufeinander entspringt. 

Da er freilich bei den Erwägungen, die ihn zur Statuierung 
des ius omnium in omnia (also der Rechtslosigkeit) als des von 
Natur gegebenen Zustandes führen, nur die einzelnen in 
ihrem Interessenkampfe ins Auge fasst, so erstreckt sich seine 
Negation eines „Naturrechts" im wahren Sinne thatsächlich 
nur auf das Gebiet des Privairechts, während er, wie ge- 
zeigt, das öffentliche Recht durchaus auf das Naturgesetz 
zurückführt '). 

Da er ferner in dem Bereich des Ethischen sozusagen 
ausschliesslich das Gebiet des Rechts berücksichtigt, so ist es 
für ihn der Staat, der den Menschen überhaupt erst zu einem 
ethischen Wesen umbildet, indem er ihn zu einem socia- 
len macht und der mit dem „Recht" im Grunde auch erst die 
„Sittlichkeit" schafft. Von diesem Gesichtspunkt aus muss sich 
für H. das Sittengesetz mit dem Staatsgesetz fast ganz identi- 
ficieren. 

8. Die ganze praktische Philosophie des H. ist durchzogen 
von dem Widerspruche zwischen ihrer Tendenz, die darauf 
ausgeht, das Sittengesetz in das Staatsgesetz aufzulösen, und 
der Art ihrer Durchführung, die sich doch veranlasst 
sieht, gelegentlich bestimmte, dem Staatswillen übergeordnete 
ethische Normen (leges naturales, denen ihr normativer Charak- 
ter durch die nebenhergehende Bezeichnung als leges divinae 



1) Freilich auch erst auf dem Umwege über das bellum omnium 
contra omnes; denn um diesen zu beseitigen, fordert die lex naturalis 
jene Fülle von Machtbefugnissen und von „Rechten'' für das Staatshaupt. 



— 27 — 

zuerkannt wird), anzuerkennen. Dies zeigt sich, was hier zum 
Schluss noch dargelegt werden soll namentlich in seinen Er- 
örterungen über die Frage, ob und inwieweit überhaupt 
Konflikte zwischen Staatsgesetz und Sittengesetz 
möglich sind. — Gelegentlich führt er auö, Naturgesetz und 
Staatsgesetz stünden sich gegenüber als höheres und n i e- 
de res Gesetz. Für ihr Verhältnis ergeben sich also (rein 
theoretisch betrachtet) folgende Sätze ^) : 

1) Was durch Naturgesetz geboten ist, kann durch Staats- 
gesetz nicht verboten werden. 

2) Was durch Naturgesetz verboten wird, das kann durch 
Staatsgesetz nicht erlaubt (oder geboten) werden. 

3) In den Fällen, in denen das Naturgesetz nichts ge- 
bietet und nichts vorbietet, also jedem seine natürliche Hand- 
lungsfähigkeit zu bethätigen erlaubt, kann durch Staatsgesetz 
dem Belieben des einzelnen (seiner libertas oder seinem ius 
naturale) eine engere Schranke gezogen werden. 

Ferner betont H. auf das nachdrücklichste, dass der 
Träger der Staatsgewalt überhaupt, also auch in seiner 
gesetzgebenden Thätigkeit dem Sittengesetze unter- 
worfen sei. So heisst es im Leviathan 29. (III p. 233, 
[312]): Subditum illum (sc. principem) esse legibus naturae 
verum est; leges illae divinae sunt neque possunt ab homine 
vel civitate quacunque abrogari*). 

Er hebt hervor, dass der Satz : ,,salus populi suprema lex" 
für ihn als Richtschnur gelten müsse ; er hat auch die Pflichten, 
die sich hieraus für den Träger der Staatsgewalt ergeben für 
die einzelnen Seiten des Staatswesens ausführlich erörtert*). 
Er kann freilich nicht umhin zuzugestehen, dass das Staatshaupt 
diesen Pflichten möglicherweise nicht nachkomme und dadurch 
das Naturgesetz verletze. Dass aber auch in den Fällen, in 
denen objektiv ein Conflikt zwischen Staatsgesetz und Sittenge- 



1) d. dv. 14. 3. (II p. 315). — 2) Von den zahlreichen hierher ge- 
hörigen Stellen seien noch genannt: d. civ. 13. 2. (II p. 298). Lev. 22. 
(III p. 172. [212]). — 3) d. cir. 13. (II p. 297 ff.) Lev. 30. (III p. 240 ff. 
[322 ff]). 



— 28 — 

setz vorliegt nach H. Ansicht der einzelne nie (oder doch 
,,fast nie") in die Lage kommen kann, als Yertreter des Sitten- 
gesetzes gegen das Staatsgesetz auftreten, wird sich uns 
aus dem von H. mit besonderem Nachdruck hervorgehobenen 
Grundsatz ergeben, dass die Auslegung aller Gesetze 
Sache des Staates ist. 

Sehen wir zu, wie er ihn begründet hat und was daraus 
notwendig folgt. — Der hauptsächlichste Staatszweck ist 
der Friede; dieser würde aber nicht verwirklicht, wenn er dem 
einzelnen überlassen bliebe, die Gesetze nach seinem Gutdünken 
auszulegen. Der Staatsgewalt kommt also notwendig, wie das 
Recht der Gesetzgebung, so das Recht der Gesetzesauslegung 
zu, und zwar bedarf es dieser Auslegung Sowohl bei dem Na- 
tur- als bei dem Staatsgesetz *) ; denn dass die Erkenntnis des 
Naturgesetzes leicht und jedermanns Sache ist, gilt doch nur 
für jene, qui causas cognoscunt alienas*). Bei dem Staatsge- 
setze aber kann sowohl durch zu grosse Kürze, als auch durch zu 
grosse Weitschweifigkeit Unklarheit entstehen *) ; abgesehen da- 
von, dass sich auch die Frage erheben kann, ob etwas über- 
haupt Staatsgesetz ist oder nicht ^). — Dieser Satz des Natur- 
gesetzes, dass die Auslegung aller Gesetze der Staatsgewalt 
zustehe, gilt nicht nur, wenn es sich um Beurteilung eines I 

vorliegenden Thatbestandes handelt, er legt dem einzelnen auch, 
wenn er zweifelt, ob eine beabsichtigte Handlung mit dem Ge- 
setze übereinstimmt oder nicht, der Pflicht auf, sich darüber 
vor der That an competenter Stelle zu vergewissern ; denn qui 
dubitat bonumne an malum sit, quod aggreditur, et tamen facit 
legem contemnit*). 

Die Gesetzesauslegung hat im Hinblick auf die (durch Na- 
turgesetz gegebenen) Zwecke der Gesetze stattzufinden •). — I 
Es ist allerdings keine Sicherheit dafür gegeben, dass die Aus- 
legung durch die Vertreter des Staates in jedem Falle richtig 



1) Lev. 26. (III p. 202 [262]). — 2) 11. — Dass dies mit früher an- 
geführten Stellen nicht ganz im Einklang steht ist leicht ersichtlich. — 
3. 11. — 4. 11. p. 201. [261]. ~ 5) 11. 26. (III p. 201 [261]). — 5) 11. 
p. 205. [267]). 



— 29 — 

sei; dass also in der That ihre ratio „recta ratio^' sei; aber 
ausser der ratio civitatis und der ratio der einzelnen Bürger 
giebt es eben keine ; bleibt die Gesetzesauslegung den letzteren 
überlassen, so wird der Zweck aller Gesetze, der Friede, ver- 
eitelt; demnach bleibt nur die ratio civitatis berechtigt zur 
Auslegung ; „authoritas non veritas facit legem** i). 

Da freilich die Naturgesetze als göttliche Gesetze ewig 
und unveränderlich sind, so kann ein irrige Auslegung der- 
selben durch einen Richter noch keine Präjudiz abgeben für 
folgende Fälle. Wenn also der Irrtum erkannt wird, so muss 
(nach Naturgesetz) eine billigere Entscheidung gefällt werden ^), 
Bei den Staatsgesetzen aber, welche ihrer Natur nach veränder- 
lich sind, kann ein bei ihrer Auslegung erfolgter Irrtum instar 
novae legis werden — doch nur wenn er die stillschweigende 
Billigung der höchsten staatlichen Autorität gefunden hat 3). 

Wenn wir nun bedenken, dass die Auslegung aller 
Gesetze überhaupt dem Staate zusteht, dass ferner in allen 
zweifelhaften Fällen der einzelne die ratio des Staates als recta 
ratio anzusehen hat, dann kann derselbe in der That niemals 
in die Lage kommen zwischen dem Gehorsam gegen das Sitten- 
gesetz und dem gegen das Staatsgesetz wählen zu müssen. 

Denn, wenn er auch einen Conflikt zwischen beiden glaubte 
annehmen zu müssen, so wäre doch durch die jedenfalls wider- 
streitende Ansicht der Vertreter des Staates eine controversia 
gegeben, mithin müsste immerhin die ratio civitatis als recta 
angesehen werden. 

So ergibt sich als schliessliches Ergebnis unserer bis- 
herigen Ausführungen: publica lex unicuique pro cons- 
cientia habenda est^). 

Dies folgt übrigens schon daraus, dass, wie oben gezeigt, 
das Sittengesetz den Gehorsam gegen alle Staatsgesetze schlecht- 
hin befiehlt. — 

Wir haben uns in unseren seitherigen Erörterungen ledig- 
lich auf dem Gebiet der leges saeculares bewegt : so kann 

1) Lev. p. 202. [263]. — 2) 11. p. 203. [264]. — 3) 11. — 4) Lev. 29. 
(HI p. 233. [311]). 



— 30 — 

man nämlich alle die Gesetze nennen, welche sich auf das 
Verhältnis der Menschen zueinander und zum 
Staate beziehen. Neben ihnen stehen die leges sacraeoder 
ecclesiasticae, die sich auf das Verhältnis der Menschen 
zu Gott beziehen. H. hat die Frage, ob etwa Conflikte 
zwischen beiden Gesetzen möglich seien, für dieses 
Gebiet einer besonderen Untersuchung unterzogen i). 

Von den Naturgesetzen kommen hier diejenigen in Be- 
tracht, quas recta ratio dictat* circa honorem et cultum diyinae 
maiestatis. 

Honor (im eigentlichen Sinne) ist opinio alienae potentiae 
coniunctae cum bonltate. Diese opinio begleiten notwendig 
3 Affekte: amor (in Bezug auf die bonitas), spes und metus 
(in Bezug auf die potentia). Diese Innen stände geben sich auch 
nach aussen kund, und darin besteht eben der Cultus (oder 
honor im übertragenen Sinne). Er ist also der Inbegriff der 
Signa honoris. Nun haben aber die signa ihre Bedeutung ent- 
weder von Natur oder durch (ausdrückliche oder still- 
schweigende) Übereinkunft. Letzteres gilt von allen 
Worten. 

Was aber durch menschliche Übereinkunft festgesetzt ist, 
das kann durch Menschen auch wieder abgeändert werden. 
Mithin hat der Staat das Recht zu bestimmen: quae nomina 
sive appellationes Deo honorificae sint, quae non sint *). 

Anders verhält es sich mit den Handlungen. Davon 
sind manche naturaliter ehrenvoll, andere entehrend. Daran 
kann der Staat nichts ändern. Er kann unmöglich solche, die 
von Natur Zeichen der Missachtung sind in den Cultus auf- 
nehmen; denn das hiease eben die Beschimpfung Gottes be- 
fehlen. Aber zwischen den beiden genannten Ciassen liegt das 
weite Gebiet der ihrer Natur nach indifferenten Handlungen. 
Solche können vom Staate als signa honoris festgesetzt werden 
und dadurch werden sie wirkliche Ehrenbezeigungen. 



1) d. civ. 15. (II p. 337 ff.) Lev. 31. (HI p. 257 ff. [US ff]). Die 
Erörterungen über das Verhältnis des Staates zum Christentum haben 
wir hier nicht zu berücksichtigen, weil sie aus d»*ni Kahrnon der rein 
philosophischen Untersuchungen herausfallen. — 2j d. civ. 14. (II p. 345). 



— 31 — 

Also gilt für das Verhältnis von Natur und Staatsgesetz 
in Bezug auf Cultus der Satz : Civitate obediendum est, quic- 
quit iusserit pro signo honorandi Deum i. e. pro cultu usurpari, 
modo id in Signum honoris institui possit; quia honoris signum 
est, quod iussu civitatis pro tali usurpatur ^). 

Obwohl nun auch auf dem Gebiet der leges sacrae die 
Auslegung der Naturgesetze der Staatsgewalt zusteht, so sind 
hier doch Fälle denkbar, in denen das Staatsgesetz dem 
Sittengesetz augenscheinlich widerspricht und in denen 
deshalb um des letzteren willen der Bürger dem Staate den 
Gehorsam zu verweigern hat*): 

1) Wenn der Staat die Gottesverehrung überhaupt ver- 
bietet. 

2) Wenn er Gott zu beschimpfen gebietet. 

3) Wenn das Staatsoberhaupt derartige Ehrener Weisungen 
fordert, die nur Gott zukommen können. 

Wenn H. für das Verhältnis der Bürger der Staatsgewalt 
gegenüber als allgemeinen Grundsatz aufstellt : lis, qui summum 
imperium obtinent, obediendum est simpliciter i. e. in omnibus, 
quae mandatis Dei non repugnant, so hatten wir jetzt die 
Fälle gefunden in welchem ein Widerspruch zwischen Staats- 
und Sittengesetz zu constatieren wäre. H. war aber wohl der 
Meinung, dass diese Fälle sich schwerlich verwirklichen 
würden, und so konnte er, mit Ausserachtlassung derselben, 
seine Ansicht über das Verhältnis zwischen dem gottlichen 
(resp. natürlichen) Sittengesetze und dem Staatsgesetze in die 
Worte zusammenfassen : 

Was Gott befiehlt, das befiehlt er durch den 
Mund des Staatsoberhauptes; was andererseits 
das Staatsoberhaupt befiehlt sowohl in Bezug auf 
die Gottesverehrung, als auch in Bezug auf die 
i rdischen Verhältnisse, das befiehlt Gott'). 

9. Werfen wir von diesem Endergebnis nochmals einen 
Blick auf die Voraussetzungen, von denen H. in seiner Staats- 



1) d. civ. 15. 16. (II p. 346). — 2) 11. 15. 18. {U p. 348 f.). — 
3) 11. 15. 17. (n p. 347 f.). 



— 32 — 

lehre ausgeht. Er sieht — ohne Zweifel infolge seiner eignen 
Lebenserfahrungen — in dem Menschen nur diejenigen Eigen- 
schaften, die ihn zum Zusammenleben mit seinen Mitmenschen 
ungeeignet machen. Aber die Vernunft besagt , dass der 
Mensch in seiner Isolierung nicht bestehen kann. Doch die 
Vernunft ist machtlos gegen die durchaus blind-egoistischen 
Triebe. So muss denn der Mensch durch „Erziehung^ zu einem 
gesellschaftlichen und damit erst moralischen Wesen werden. 
Sein Zuchtmeister ist der Staat, der homo artificialis, den 
„Menschenwitz und Eunst^' aus den Individuen zusammenge- 
fügt hat. — H. hat zwar mehrfach betont, dass die Wohl- 
fahrt wie der Endzweck des einzelnen, so auch der des Staates 
sei. Aber dieses eigentliche Ziel tritt in seinen Erörterungen 
immer wieder in den Hintergrund gegen den „Friede n", 
der ihm als die notwendige Voraussetzung der Wohlfahrt er- 
scheint. Den Frieden sucht er so sehr um jeden Preis zu 
sichern, dass er wenig darauf achtet, ob er nicht die Wohl- 
fahrt selbst als Preis dafür hingiebt, und ob den Menschen, 
wie sie wirklich sind, das Leben in dem von ihm construierten 
Staate noch lebenswert erscheinen möchte. 

Auch seine Ansichten über das Verhältnis von Sittenge- 
setz und Staatsgesetz tragen den Charakter seines ganzen 
Systems. Das Sittengesetz tritt in seiner Beziehung zu dem 
einzelnen gegen das Staatsgesetz ganz zurück; alles, was es 
von ihm fordert, lässt sich im Grunde zusammenfassen in das 
Gebot: Gehorche dem Staatsgesetz ! — Dass dieses Resultat 
einseitig und unzulänglich ist, bedarf keines Beweises; dass es 
einseitig sein musste, wird aus dem, was wir über die Voraus- 
setzungen des H. gesagt haben, einleuchten. 



33 — 



Lebenslauf. 

Am 11. Februar 1867 als Sohn des Kaufmanns Joseph 
Messer zu Mainz geboren, katholischer Confession, empfing ich 
den Elementarunterricht in dem Scharvogerschen Institute zu 
Mainz und absolvierte in den Jahren 1876 bis 1885 das dortige 
Gymnasium. 

Ich studierte klassische Philologie und Geschichte auf 
den UniYersitäten Giessen, Strassburg und Heidelberg, wo ich 
4 Semester dem klass.-philol. Seminar als ordentliches Mitglied 
angehörte. Die Prüfung für das höhere Lehramt bestand ich 
zu Giessen am 1. August 1890. 

Nachdem ich hierauf meiner Militärpflicht zu Mainz genügt, 
gehörte ich vom Herbst 1891 bis dahin 1892 dem von Hermann 
Schiller geleiteten pädagogischen Seminar an dem Gymnasium 
zu Giessen an und bin seitdem an dem Gymnasium zu Mainz 
thätig. 






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